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2004-11-01 12:00:00
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“Kulturelle Differenzen” sind keine Entschuldigung für sexuellen Missbrauch
Payam Younesipour war jahrelang Chefredakteur der “iran-varzeshi newspaper” und lebt seit 15 Monaten in Wien. Alle Fotos von Pegah Fatemi. In dieser Reihe berichten geflüchtete Journalisten über ihr neues Leben in Österreich.*** English version below. *** Im Iran hat sich der Begriff “kulturelle Differenzen” seit April 2012 zu einem geflügelten Wort entwickelt und wird manchmal auch als Witz verwendet. Damals war ein iranischer Diplomat wegen Kindesmissbrauch in Brasilien angeklagt. Die brasilianische Polizei verhaftete ihn und schickte ihn, auf Grundlage des iranischen “charge d’affaire” nach Teheran zurück. Das iranische Außenministerium verfasste sofort eine Aussendung, in der erklärt wurde, dass der sexuelle Missbrauch mit “kulturellen Differenzen” in Verbindung stehe. Obwohl das unsittliche Berühren eines Kindes nie als “Kultur” im Iran akzeptiert war, musste sich dieser Diplomat für sein Vergehen nicht vor einem Gericht verantworten. Seit Jahren zwingt das Gesetz, iranische Frauen in der Öffentlichkeit eine Hijab zu tragen. Es wurde als Vorsichtsmaßnahme eingeführt, um “kulturelle Differenzen” zu verhindern. Frauen ist es untersagt, ihre Haare oder andere Körperteile auf der Straße, in der Universität oder am Arbeitsplatz offen zu zeigen. Sie müssen in separaten Abteilen in Bussen oder U-Bahnen sitzen, um jeden körperlichen Kontakt mit Männer zu vermeiden. Des Weiteren haben Frauen kein Recht, zu singen. Sie dürfen seit Kurzem auch keine Musikinstrumente mehr spielen. All das nur, weil Männer vielleicht eine Sünde begehen könnten, wenn sie die Stimme einer Frau hören würden. Und ja, es ist wahr, iranische Männer belästigen Frauen auf den Straßen Teherans mit ihrem Mund, den Händen und ihren Augen. Sie tun es, weil— laut Gesetz—sexueller Missbrauch nicht die Schuld des Mannes, sondern die der Frau ist—wenn sie sich nicht an die Regeln des angemessenen Benehmens hält. Auch zählt die Aussage einer Frau vor Gericht nur zur Hälfte. Seit fünfzehn Monaten lebe ich jetzt in Wien und sehe iranische Männer, die in Österreich um Asyl angesucht haben, weil sie aus verschiedenen Gründen nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren können. Die Frauen hier tragen kein Kopftuch, um sich vor den Blicken und der Begierde der Männer zu schützen und die Polizei überwacht die Situation auch nicht. Vor ein paar Tagen habe ich ein iranisches Mädchen gesehen, sie hatte ihre Haare offen und trug ein T- Shirt, das im Iran verboten wäre. Sie hat gesungen und Musik gehört. Alles Dinge, die in ihrem Heimatland nicht erlaubt wären. Trotzdem belästigen die iranischen Männer dieses Mädchen nicht, nicht hier in den freien Straßen von Europas Städten. Sie belästigen die Mädchen weder mit Worten noch mit Blicken. Man könnte sich fragen: Warum? Warum respektieren iranische Männer die Rechte der Frau in Europa, aber nicht im Iran? Ich denke, der große Unterschied liegt hier nicht in der “Kultur”, sondern in der Rechtssprechung. Ich glaube, dass österreichische Männer sich wie Iraner verhalten würden, würden sie für ein paar Jahre in meinem Land leben. In Österreich wird Männern beigebracht, die Rechte der Frau zu respektieren—tun sie es nicht müssen sie mit einer Strafe rechnen. Vielleicht brauchen die Mädchen und Frauen im Iran auch diese Freiheit, aber noch wichtiger ist mir, dass alle, die hier leben, das Gesetz respektieren. Kulturelle Unterschiede können keine Entschuldigung für einen Gesetzesbruch sein. Protokoll und Übersetzung von Christoph Schattleitner. Wir versuchen, auf das Thema sexuelle Belästigung aufmerksam zu machen. Unter #NichtMehrWegschauen könnt ihr über eure Erfahrungen und Meinungen berichten. In Iran, the term “cultural differences” has become a winged word and sometimes a joke since April 2012. Back then, an Iranian diplomat was accused of child abuse in Brazil. The Brazilian police arrested him and returned him to the Iran’s charge d’affaires to Tehran. Iran’s Foreign Ministry immediately wrote a statement and told that the sexual charge is related to “cultural misunderstanding “. However, touching the body of children has never been common practice in Iran, although this diplomat was never charged for his crime by the court. For years, the law has forced Iranian women to always wearing a Hijab walking the streets; it was introduced as a retardant barrier to prevent “cultural problems”. Women have no right to show their hair or any part of their bodies on the streets, universities or workplaces. They even must sit in separate quarters in buses and subways in order to avoid any physical attempt by men. Furthermore, women don’t have the right to sing and recently they no longer have the right to play any musical instruments. All of this is because Iranian men might commit a sin if they see or hear the voices of women. And, yes it’s true—Iranian men are bothering women on the streets of Tehran with their mouth, their hands and their eyes. They are doing it, because according to the law, sexual abuse is not the man’s fault, but the woman’s—if she hadn’t sticked to the rules of appropriate behaviour. Furthermore the testimony in court of a woman counts only half. Now I am living in Vienna for 15 months and I see Iranian men that sought refuge in Austria, because they have reasons that won’t allow them to return home. The girls here have no hijab to avoid sins of men. And the police isn’t guiding women and girls in the streets. A few days ago I even saw an Iranian girl with open hair, she was wearing a shirt that would be forbidden in Iran. She was even singing and playing music. All this would forbidden in her country! Nonetheless Iranian men don’t touch the body of girls in the free streets of European cities. They don’t hurt women by their words, and also when they pass next to a girl, they don’t turn their heads to see the girl’s body. You may ask why? Why are Iranian men respecting women’s rights here and in Iran they are not? I think the differences between Austria and Iran are not because of “culture” but because of the law. If Austrian men were living in Iran for some time, they would also behave like all the others there, I think. Austria teaches men that they have to respect women’s rights and if not, they get punished. Maybe the girls, women and men of Iran need such a freedom as well. But the more important thing for me now is that all people that live in Austria have to respect the law in this country. Cultural differences cannot excuse breaking the law. Follow Payam on Torial.
Payam Younesipour
[ "flüchtlinge", "Integration", "Iran", "Journalisten nach der Flucht", "Österreich", "sexuelle belästigung", "Stuff", "teheran", "wien" ]
2016-06-10T05:00:00+00:00
2024-07-30T22:12:00+00:00
https://www.vice.com/de/article/kulturelle-differenzen-sind-keine-gute-entschuldigung-fr-sexuellen-missbrauch/
GeilerAsDu über Winterdepressionen, Schlaf und Träume
GeilerAsDu haben erst kürzlich ihr zweites Album Turbo Mate & Kalaschnikow veröffentlicht und damit einmal mehr bewiesen: Mundartrap kann auch spannend sein. Das Trio bestehend aus dem DJ und Produzenten LUiG und den beiden Rappern Luzi und Mike, das 2005 in Luzern zusammengefunden hat, hat sich in den letzten zehn Jahren einen Ruf als solider Fixpunkt innerhalb der Szene erarbeitet. Spätestens seit dem Album Flöchted, das die Jungs 2011 veröffentlicht haben, aber auch mit Luzis Soloalbum und seinen Releases mit der Moskito-Crew gilt das Umfeld der drei Musiker als zuverlässige Quelle für gute Rapmusik. GeilerAsDu ist das Ass im Ärmel, das Mundartrap immer dann spielt, wenn er merkt, dass es dringend eine Alternative braucht. Turbo Mate & Kalaschnikow ist in sich konsistent, kein Konzeptalbum, aber es lässt sich ohne Schwierigkeiten in einem Guss hören und funktioniert als Ganzes. Es hebt sich inhaltlich vor allem aus drei Gründen von den meisten Mundart-Rapalben ab: Die Platte ist intelligent, sie hat Rückgrat und sie beschäftigt sich mit der Realität. Ja, das genügt bereits, um aus der textlichen Irrelevanz des Schweizer Rap-Ozeans herauszustechen. GeilerAsDu ist aber auch in Bezug auf Ästhetik, Style und Technik eine Ausnahmeerscheinung und macht darum einfach Spass. Ich treffe die drei Jungs an einem kalten, grauen Tag im Dezember, und haben uns hierfür auf ein warmes, gemütliches Plätzchen namens Skype geeinigt. Das ist der perfekte Ort für ein Gespräch über ausgewogenen Schlaf, Traumdeutung und die Melancholie und erdrückende Schwere des Winters.Noisey: Es gibt viele Menschen, die Mühe damit haben, dass es gerade Winter ist. Es drücke auf die Stimmung und sorge für schlechte Laune—manche sprechen von “Winterdepression”. Wie geht’s euch?Luzi: Ich kann das alles ganz gut nachvollziehen. In meinem Umfeld kenne ich einige Menschen, die sich zur Zeit ein bisschen verwirrt oder niedergeschlagen fühlen. Mir geht’s manchmal auch selber so. Gestern zum Beispiel war ich grundlos down. Vielleicht liegt’s ja an der Nebeldecke, die gerade über Bern hängt.Mike: Also mir geht’s ganz gut. Ich bin in Luzern, liege in meinem Bett und mir scheint die Sonne ins Gesicht. Ist ein bisschen wie Sommer. Aber klar: Das Ende des Jahres verbunden mit der ganzen Weihnachtshysterie kann schon enorm viel Nerven kosten.LUi G: Ich muss ehrlicherweise zugeben, dass ich den Winter relativ geil finde. Wenn es neblig ist, finde ich das auch ziemlich geil. Mir schlägt das gar nicht auf die Psyche.Mike: Na gut, du bist auch der stabilste Mensch, den es gibt. OK, das ist eine Mutmassung. Aber in unserer Crew bist du eindeutig der Ausgeglichenste.LUi G, willst du deinen Freunden nicht das Geheimnis für ein ausgeglichenes Leben verraten? Ich frage für sie.LUi G: Ich versuche vor allem im Moment zu leben und die Probleme oder Schwierigkeiten nacheinander zu lösen. Wenn du dich zu sehr mit Fragen beschäftigst, die irgendwo in der Zukunft liegen, machst du dir nur unnötig Kopfschmerzen und fällst in ein Loch. Das hilft weder einem selber noch dem Problem. Das klingt jetzt alles ein bisschen floskelhaft und die Schwierigkeit an diesem theoretischen Modell ist natürlich die gelebte Realität, aber es funktioniert. Ich gebe dir Recht—das ist wirklich ein guter Vorsatz. Aber eben, es bleibt meistens ein Vorsatz. Und ich persönlich habe auch ein wenig mit diesem “Lebe den Moment” meine Mühe.Mike: Also bei LUi G funktioniert es wirklich ganz gut. Aber ich kann auch deinen Einwand verstehen. Ich glaube, dass es grundsätzlich am besten ist, wenn du es schaffst, dich auf den Moment zu fokussieren. Eine gewisse Weitsicht ist ab und an aber doch sehr wichtig und hilfreich. Und wenn ich sage, dass du im Moment leben solltest, heisst es ja nicht, dass du immer total glücklich und überschwänglich sein musst. Es darf und soll einem auch mal schlecht gehen dürfen. Das wichtige ist, zu wissen: Wir sind ein kleiner Funke Scheisse im Universum.Luzi: Mike hat das Interview gekillt. Das war der Schlusssatz. Wir können aufhören.Mike: Nein, wir kommen doch erst richtig in Fahrt. Beispielsweise war ich letzte Woche an der Westküste Irlands, wo eine beeindruckende Klippenlandschaft das Bild prägt. Ich habe gelesen, dass diese Klippen vor 320 Millionen Jahren entstanden sind. Da habe ich mir überlegt, dass diese Klippen wahrscheinlich in 320 Millionen Jahren immer noch in irgendeiner veränderten Form da sind.Wir sind irgendwo in Raum und Zeit, und in der Relation sind wir genau etwas: nichts. Immer wenn ich denke, jetzt brechen alle Probleme über mich ein, dieses mal schaffe ich es wirklich nicht, das war’s, ich bin am Arsch, und so weiter, passiert immer dasselbe: nichts. Ich mag diesen Gedanken sehr. Auf den ersten Blick klingt diese Erkenntnis nach Leere und Sinnlosigkeit. Ich finde aber sie hat was sehr Entlastendes: Dadurch dass du dich und deine Probleme nicht so wichtig nimmst, bekommst du erst richtigen Freiraum für das Leben.LUi G: Ja, das macht einen in der Tat einiges befreiter und mutiger und man schärft dadurch auch seine Fähigkeit, sich auf das wirklich Wichtige zu fokussieren. Aber Jungs, ich rede hier so, als wäre ich erleuchtet. Ich sehe mich schon in einer Stunde in ein Loch fallen.Mike: Ich glaube auch, dass diese Erkenntnis sehr befreiend sein kann. Leider ist aber auch hier die Umsetzung nicht ganz so einfach. Bemerkenswert finde ich, dass so viele Menschen, die ich kenne, spannende Projekte umsetzen und in diesen auch sehr eingespannt sind, sich irgendwie gestresst fühlen und sich unter Druck setzen. Aber sie möchten dann doch lieber nicht ganz offen und ehrlich über diese Probleme sprechen.Luzi: Das machst du dann beim Psychiater, oder? Und vielleicht sind all diese spannenden Projekte und dieses Eingespanntsein eben genau die Fassade, die du benötigst. Ich weiss es nicht. Wenn du aber dein Glück an Projekte und deren Erfolg koppelst, wirst du immer wieder unzufrieden sein. Es ist nämlich ein Fass ohne Boden. Du setzt dir ein Ziel und sagst dir innerlich, “wenn ich das erreicht habe, dann bin ich glücklich”. Und dann stellst du fest, dass du wieder was Neues willst. Das ist eine Spirale, die einen nie zufrieden machen kann. Dann doch lieber im Moment leben und sich einfach nicht allzu ernst nehmen. Und: Genug schlafen. Das wird total unterschätzt. Für mich ist das total wichtig. Dem kann ich nur beipflichten. Wie habt ihr es so mit ausgewogenem Schlaf?LUi G: Ich versuche immer acht Stunden zu schlafen. Wenn ich einige Tage hintereinander nicht genug schlafe, werde ich anstrengend. Ich brauche das wirklich. Ist euch eigentlich bewusst, dass wir einen Drittel unseres ganzen Lebens mit Schlafen verbringen?Luzi: Das ist krass, ja. Ich brauche auch meine acht Stunden. Manchmal schätze ich mich falsch ein und sage mir, dass auch vier oder fünf Stunden genügen. Am nächsten Tag bin ich dann gereizt oder hab nicht die Nerven, die ich an einem “normalen” Tag habe.Mike: Ich brauche auch relativ viel Schlaf und den nehme ich mir auch. Ich habe aber auch sehr viel Glück, was meinen Schlaf betrifft. Ich lege mich hin und innerhalb von einigen Minuten schlafe ich ein. Und da gibt’s auch kein Erwachen in der Nacht oder ähnliches.Luzi: Bei mir ist das ein bisschen anders. Ich mach das wie die meisten Menschen in meinem Umfeld. Ich lege mich hin und checke mal mein Handy. Ich glaube auch, die wenigsten gehen wirklich schlafen, wenn sie sagen, sie gehen schlafen. Sie legen sich einfach mal ins Bett. Bei mir dauert das dann mal eine Weile, bis ich effektiv einschlafe. Könnt ihr euch an eure Träume erinnern?Mike: Ja, eigentlich sogar sehr oft. Kurz nach dem Aufwachen, kann ich mich sehr gut erinnern. Ich muss mir dann einfach kurz Zeit nehmen, mich zu erinnern versuchen und dann klappt das sehr gut. Ich schreibe mir das manchmal kurz auf oder mache eine Sprachaufnahme, damit ich es nicht wieder vergesse. Ich habe gewisse Träume, die sich mir auch ganz leicht erschliessen. Dann habe ich aber auch diese total verworrenen Gefühlsträume, die ich nicht wirklich verstehe, die aber irgendwie meinen Kopf aufräumen. Wenn ich dann am Morgen aufwache, merke ich, dass ich zwar nicht verstehe, was ich da genau zusammengeträumt habe, aber dass da einiges geordnet wurde.Luzi: Ich mach das auch. Mir bringt das Träumen nämlich auf persönlicher Ebene echt was und hat mir auch schon geholfen, weil es mir quasi die Augen geöffnet hat. Ich finde Träume sind gar nicht mal so schwer zu entschlüsseln. Da brauch ich kein Traumdeutungsbuch. Mir ist meistens ziemlich schnell klar, was mein Gehirn mir sagen will.LUi G: Ich schaue am Montagabend immer verschiedene Serien und danach träume ich richtig absurde Dinge. Ich habe kürzlich geträumt, dass ich meinem Vorgesetzten einen Streich spiele und den Sensor seiner Computermaus mit durchsichtigem Klebeband überklebe, damit er sie nicht benutzen kann. Er wurde dann während des Traumes so richtig wütend.Luzi: Was für Serien schaust du denn, dass du danach von Klebeband träumst? Find ich aber cool, du bist ein smarter Junge und weisst dass man das System von innen heraus sabotieren muss. Unser nächstes Album muss unbedingt Turbo Mate, Kalaschnikow UND Klebeband heissen! Ugur auf Twitter. 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Ugur Gültekin
[ "bern", "CH-Rap", "geilerasdu", "HipHop", "Interviews", "Luzern", "Music", "Noisey", "Schweiz" ]
2016-12-28T15:59:50+00:00
2024-07-30T22:47:30+00:00
https://www.vice.com/de/article/geilerasdu-uber-winterdepressionen-schlaf-und-traume/
Toxisches Schocksyndrom: Ein Model verklagt eine Tampon-Firma, nachdem sie ihr Bein verloren hat
Foto: Jennifer Rovero / CamrafaceMit 24 hatte Lauren Wasser alles: Als das 1,80 Meter große Kind zweier Models war die Blondine sowohl mit strahlend blauen Augen, als auch mit einem Knochenbau gesegnet, der gut und gerne die androgyne Antwort auf Lara Stone sein könnte. Sie lehnte ein Basketball-Stipendium ab, um als Model zu arbeiten—diese Karriere hatte für sie eigentlich schon im Alter von zwei Monaten ziemlich verheißungsvoll angefangen, als sie zusammen mit ihrer Mutter in der italienischen Vogue zu sehen war. Wenn sie nicht als Model unterwegs war, nahm sie an Improvisationskursen teil, spielte in ihrer Freizeit Basketball und fuhr täglich gut 60 Kilometer Fahrrad. Sie wohnte in Santa Monica und war ein fester Bestandteil der glitzernden Promi-Szene von Los Angeles. „Dort kam es nur auf das Aussehen an”, erzählt sie. „Ich war quasi das Mädchen, habe mir darüber aber keine Gedanken gemacht.” Lauren hatte auch einen riesigen Freundeskreis: Als sie ein paar Wochen später ins Krankenhaus gebracht werden musste, wollten sich so viele Leute von ihr verabschieden, dass die Schlange um das ganze Gebäude reichte. Alles begann am 3. Oktober 2012, als sich Lauren ein wenig unwohl fühlte—fast so, als würde sich eine Verkühlung zusammenbrauen. Dazu hatte sie auch noch ihre Tage und ging deshalb in eine nahegelegen Drogerie, um sich eine neue Packung Kotex Natural Balance zu besorgen, ihre bevorzugten Tampons. Zu diesem Zeitpunkt hatte dieser Einkauf für sie noch nichts mit dem sich aufbauenden Leiden zu tun, das ihren Körper überfiel. Damals hatte sich Lauren ja immerhin schon seit elf Jahren mit ihrer Periode auseinandersetzen müssen und Kotex war einfach ein fester Bestandteil der Routine. Wie den meisten anderen Mädchen wurde auch Lauren mit 13 Jahren die Benutzung eines Tampons von ihrer Mutter beigebracht. Sie zeigte ihr, wie man den Applikator einsetzt, und wies sie an, der Tampon alle drei bis vier Stunden zu wechseln. Lauren verinnerlichte diese Regel und auch an diesem Tag führte sie laut eigener Aussage morgens, nachmittags und abends einen neuen Tampon ein. Schließlich entschied sie sich dazu, noch kurz bei der Geburtstagsparty einer Freundin in einem Club auf der Melrose Avenue vorbeizuschauen. „Ich versuchte, mich so normal wie möglich zu verhalten”, meint sie, obwohl ihr es zu diesem Zeitpunkt schon schwerfiel, nur aufrecht zu stehen. „Jeder meinte zu mir: ‚Mann, du siehst echt nicht gut aus.’” Dann fuhr sie zurück nach Santa Monica, zog sich zu Hause aus und fiel ins Bett. Sie wollte einfach nur noch schlafen. Die nächste Sache, an die sich Lauren erinnert, ist, dass sie aufwachte, weil sich ihr blinder Cocker Spaniel auf sie gesetzt hatte und laut bellte. Irgendjemand hämmerte gegen die Wohnungstür und rief: „Polizei, Polizei!” Die junge Frau schleppte sich zur Tür und ließ den Polizisten herein, der sich dann in ihrem Apartment umsah. Laurens Mutter, die gerade erst operiert worden war, hatte sich Sorgen gemacht, weil sich ihre Tochter nicht bei ihr meldete. Deshalb hatte sie auch die Polizei darum gebeten, bei ihr vorbeizuschauen.„Die ganze Wohnung war voller Pisse und Scheiße—ich war ja nicht in der Lage gewesen, mit meinem Hund Gassi zu gehen”, erzählt Lauren. Sie hat keine Ahnung, wie lange sie im Bett lag, und weiß auch nicht, ob es Tag oder Nacht war. Der Polizist sah sich alles an, meinte dann, dass sie ihre Mutter anrufen solle, und ging wieder. Schließlich schaffte es Lauren irgendwie, ihren Hund mit ein paar Karotten zu füttern und ihre Mutter zu kontaktieren, die ihre Tochter dann fragte, ob sie einen Krankenwagen rufen sollte. „Mir ging es aber so schlecht, dass ich diese Entscheidung einfach nicht fällen konnte”, sagt Lauren. „Ich meinte zu ihr, dass ich einfach nur schlafen wolle und sie am nächsten Morgen anrufen würde. Das ist das Letzte, an das ich mich erinnern kann.” Am darauffolgenden Tag schickte ihre Mutter erneut einen Freund und die Polizei zu Laurens Wohnung, die sie dort mit dem Gesicht nach unten liegend auf dem Schlafzimmerboden vorfanden. Lauren hatte 41 Grad Fieber und wurde sofort ins Krankenhaus gebracht. Laut den Ärzten wäre zehn Minuten später jegliche Hilfe zu spät gekommen. Ihre inneren Organe waren kurz vorm Versagen und sie hatte einen schweren Herzinfarkt erlitten. Die Ärzte konnten sie nicht stabilisieren und niemand wusste, was genau mit ihr los war. Als schließlich ein Infektiologe hinzugezogen wurde, fragte der sofort: „Hat sie noch einen Tampon drin?” Dem war so und der Wattebausch wurde umgehend ins Labor geschickt. Dort kam man schließlich auf die Diagnose „Toxisches Schocksyndrom”. Foto: Brad Cerenzia | Flickr | CC BY 2.0 TSS wurde 1978 so getauft und ist im Grunde eine Verkettung von bakteriellen Infektionen—häufig unter Beteiligung von Staphylokokken (auch Staphylococcus aureus genannt). Zwar ist das Ganze nicht komplett auf Frauen beschränkt, aber es gibt schon seit mehreren Jahrzehnten einen Zusammenhang zwischen der Krankheit und der Benutzung von Tampons. Das liegt vor allem an einer Vielzahl von durch das toxische Schocksyndrom verursachten Todesfällen in den 80er Jahren. Ein Tampon alleine ist jedoch noch nicht ausreichend, um TSS zu verursachen—dazu muss die betroffene Person auch noch Staphylokokken im Körper tragen (und das machen zum Beispiel ungefähr 20 Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung). Schon seit Jahrhunderten kommen Tampons oder tampon-ähnliche Objekte beim Menstruationszyklus zum Einsatz. Aber erst seit gut 50 Jahren setzen sich diese Hilfsmittel nicht mehr aus natürlichen Bestandteilen wie Baumwolle, sondern aus künstlich hergestellten Komponenten wie Kunstseide oder Kunststoff zusammen. Das ist inzwischen vor allem bei großen Tampon-Herstellern gang und gäbe. Diese synthetischen Fasern schaffen zusammen mit der Saugfähigkeit der Tampons den idealen Nährboden für die Bakterien, die TSS verursachen können. Als Proctor & Gamble in den 80er Jahren ein extra-saugfähiges Tampon namens Rely auf den Markt brachte, war die perfekte Grundlage für das toxische Schocksyndrom geschaffen. Laut einer vom Yale Journal of Biology and Medicine durchgeführten Studie, „verhielt sich die gelierte Carboxymethylcellulose der Rely-Tampons wie Agar in einer Petrischale und fungierte so als zähflüssiges Medium, auf dem sich die Bakterien vermehren konnten.” „Das waren mit Abstand die schlimmsten Schmerzen, die ich … Ich weiß nicht, wie ich es überhaupt beschreiben soll.” Im Krankenhaus rieten die Ärzte Laurens Mutter dazu, zu beten und die Beerdigung vorzubereiten, denn ihre Tochter musste in ein künstliches Koma versetzt werden. Derweil verbreitete sich auf Facebook die Nachricht, wie es um Lauren stand, und ihre Freunde und Bekannten reihten sich vor dem Krankenhaus auf, um sich zu verabschieden. Natürlich kann sich Lauren an nichts von alledem erinnern—weder an die „Pray for Lauren”-Facebook-Posts, noch an ihre Freunde, die nervös an ihr Krankenbett traten, und auch nicht an den Moment, als ihr langes, blondes Haar abrasiert werden musste. Sie weiß nur noch, wie sie orientierungslos aufwachte, während knapp 40 Liter Flüssigkeit durch ihren Körper gepumpt wurden. Am Anfang war sie noch davon überzeugt, sich in Texas zu befinden. „Mein Bauch war total aufgebläht. Überall waren Schläuche und ich war nicht in der Lage, auch nur ein Wort rauszubringen”, erzählt sie. Neben ihrem Bett befand sich ein Behältnis, das mit den schwarzen Giftstoffen gefüllt war, die man aus ihrem Blutkreislauf gespült hatte. Lauren schaute aus dem Fenster und erblickte eine Reihe an kleinen Häusern, die ihr noch vernebeltes Gehirn mit dem Südwesten der USA assoziierte. Ihr Körper war aufgedunsen und fühlte sich total fremdartig an. „Ich dachte, dass ich vielleicht zu viel gegessen hatte”, meint sie. „Ich wusste nicht, was eigentlich los war.” Noch viel schlimmer als die Orientierungslosigkeit war jedoch das brennende Gefühl in Laurens Händen und Füßen, das einfach nicht aufhören wollte. Die Infektion hatte sich in Gangrän verwandelt. Selbst drei Jahre später findet sie immer noch nicht die richtigen Worte, um mir deutlich zu machen, wie sich das Ganze angefühlt hat. „Das waren mit Abstand die schlimmsten Schmerzen, die ich … Ich weiß nicht, wie ich es überhaupt beschreiben soll”, meint sie. Man brachte sie daraufhin sofort in die Universitätsklinik, wo sie einer hyperbaren Sauerstofftherapie unterzogen wurde. Um den Blutfluss in ihren Beinen wieder anzuregen, musste sie sich in eine Überdruckkammer begeben. Beim Warten auf die Behandlung war Lauren einen Moment lang alleine. Ihre Mutter und ihr Pate waren kurz nach draußen gegangen und sie saß einfach nur da. Hinter einem Vorhang konnte sie einer Frau beim Telefonieren zuhören. Diese Frau bestand darauf, dass etwas sehr dringend wäre und so schnell wie möglich geschehen müsse. Schließlich hörte Lauren folgende Worte: „Hier sitzt eine 24-jährige Frau, der das rechte Bein vom Knie abwärts amputiert werden muss.” „Ich dachte mir nur: ‚Oh mein Gott, sie redet von mir!’”, sagt Lauren. „‚Ich werde mein Bein verlieren.’” Foto: Jennifer Rovero / Camraface Noch während Lauren im Krankenhaus behandelt wurde, fing ihre Mutter einen groß angelegten Rechtsstreit, sowohl gegen die Kimberly-Clark Corporation (also die Hersteller- und Vertriebsfirma von „Kotex Natural Balance”-Tampons) als auch gegen die Drogerieketten Kroger und Ralph’s (die beide „Kotex Natural Balance”-Tampons verkaufen) an. Zwar besteht bei diesen Tampons kein zwangsläufig höheres TSS-Risiko als bei anderen Herstellern, aber es sind nun mal die, die Lauren benutzt hat. Letztendlich hoffen die Anwälte der Wasser-Familie, auf die Verwendung und die Gefahren von synthetischen Materialien in der Tampon-Industrie aufmerksam zu machen. In der Klageschrift heißt es, dass alle Angeklagten „eine fahrlässige, mutwillige, verworrene und gesetzwidrige Mitschuld” an Laurens durch TSS verursachten Krankenhausaufenthalt haben. Eine Vertreterin von Kimberly-Clark wollte für diesen Artikel keine Stellungnahme abgeben, da das Unternehmen „zu laufenden Gerichtsverfahren keine Auskunft gibt.” Laurens Anwalt Hunter J. Shkolnik ist es bereits gewöhnt, sich mit den Schattenseiten von Produkten auseinanderzusetzen, die die meisten Leute als sicher ansehen. Er war zum Beispiel auch in den Prozess involviert, in dem es um eine Hustensaft-Zutat ging, die Schlaganfälle verursachte. „Ich wünschte, ich könnte behaupten, dass mich Laurens Fall schockiert hätte, aber das tat er nicht”, meint er. „Der Tampon wurde nach der früheren TSS-Epidemie kein bisschen verändert. Es wurde halt einfach nur gesagt: ‚Ach übrigens, das hier kann das toxische Schocksyndrom verursachen.’ Die Materialen sind seit Jahrzehnten gleich geblieben.” Um nicht ins Fadenkreuz der amerikanischen Lebensmittel- und Medikamenten-Aufsichtsbehörde zu geraten, versehen die Unternehmen die Tampon-Verpackungen laut Shkolnik einfach nur mit einem Warnhinweis. Er nennt das Ganze die „So landet man nicht im Gefängnis”-Karte. Seit den 80er Jahren müssen die Tampon-Schachteln mit einem Warnhinweis versehen sein, aber Shkolnik ist der Ansicht, dass dieser Hinweis auf Laurens Verpackungen nicht deutlich genug war—vor allem im Bezug auf die Handhabung beim Schlafengehen. Folgendes ist zu lesen: „Wechseln Sie den Tampon alle vier bis acht Stunden, auch über Nacht.” Die Familie ist der Meinung, dass diese Anweisung unklar sei. Sie wollen damit argumentieren, dass „über Nacht” auch mehr als acht Stunden bedeuten kann—vor allem wenn es um junge Mädchen geht, die am Wochenende auch schnell mal neun oder zehn Stunden schlafen. „Die Tampon-Unternehmen sollten explizit sagen, dass man den Tampon über Nacht nicht drin lassen darf und stattdessen lieber eine Binde benutzen sollte”, meint Shkolnik. Natürlich wissen die meisten Frauen, dass sich auf allen Tampon-Schachteln ein Warnhinweis bezüglich des toxischen Schocksyndroms befindet, auch wenn sie sich diesen Warnhinweis wohl nicht jedes Mal durchlesen: Der Gebrauch von Tampons wird mit dem toxischen Schocksyndrom in Verbindung gebracht. TSS ist eine seltene, aber trotzdem ernstzunehmende Krankheit, die zum Tod führen kann. Bitte die Packungsbeilage genau durchlesen und aufbewahren. Ein Tampon maximal acht Stunden lang benutzen. Shkolnik gibt zu, dass die Warnhinweise auf den Packungen eine große Hürde darstellen. „Zu unserer Aufgabe gehört es, den Geschworenen zu zeigen, dass es uns nicht um die Warnhinweise geht, sondern um die Tatsache, dass den Herstellern seit 20 Jahren Materialien zur Verfügung stehen, die Tampons sicherer machen würden. Sie werden eben bloß nicht verwendet. Man bezeichnet die Tampons als ‚natürlich’, obwohl es die künstlich hergestellten Bestandteile sind, die sie so gefährlich machen. Dieses Marketing lässt junge Frauen glauben, dass Tampons aus natürlicher Baumwolle bestehen, aber sie sind weder natürlich noch aus Baumwolle. Wäre das der Fall, dann würde das Risiko eines toxischen Schocks gegen Null gehen.” Dr. Philip M. Tierno ist ein Mikrobiologie- und Pathologie-Professor an der NYU School of Medicine und hat schon eingehende unabhängige Forschung zum Zusammenhang zwischen Tampons und dem toxischen Schocksyndrom angestellt. Er ist ebenfalls der Meinung, dass Baumwolle ein sichereres Material wäre. „Die meisten großen Tampon-Unternehmen stellen ihre Produkte entweder aus einem Viskose-Baumwoll-Gemisch oder aus reiner Viskose her. So werden in jedem Fall die optimalen physikalischen und chemischen Voraussetzungen geschaffen, um die Produktion des TSST-1-Toxins anzuregen, wenn eine toxische Art von Staphylococcus aureus Teil der normalen Scheidenflora der Frau ist”, erklärt er. „Es kann dann zum toxischen Schocksyndrom kommen, wenn die Frau keine oder nur wenige Antikörper gegen das Toxin bildet. Deshalb sind die synthetischen Bestandteile der Tampons ein Problem, wohingegen Tampons aus reiner Baumwolle nur ein kleines bis gar kein Risiko beinhalten.” Foto: Jennifer Rovero / Camraface Im Krankenhaus sah sich Lauren dann mit einem Horror-Szenario konfrontiert: Sie musste die nötigen Dokumente unterschreiben, um die Amputation ihres rechten Beins vom Knie abwärts zu autorisieren. „Meine beiden Beine fingen an, sich zu mumifizieren”, erzählt sie. „Ich musste dringend eine Entscheidung fällen.” Zwar waren auch ihre linke Ferse sowie ihre linken Zehen betroffen und die Ärzte überlegten, auch das linke Bein zu entfernen, aber dagegen wehrte sich Lauren vehement. „Ich sah meine Chancen bei 50/50. Mir wurden zwei Vorhäute von beschnittenen Babys transplantiert, was mir Gott sei Dank meinen Fuß gerettet hat. Leider habe ich trotzdem meine Zehen verloren. Meine Ferse ist zwar endlich wieder zusammengewachsen, aber immer noch total empfindlich. An dieser Stelle habe ich absolut kein Fettpolster.” Da Lauren immer noch jung ist, produziert ihr Körper Kalzium, um ihren kaputten Fuß zu reparieren. Ironischerweise verschlimmert das die ganze Sache nur. „Im Grunde laufe ich wie auf Steinen”, erzählt sie. Sie muss sich in regelmäßigen Abständen immer noch Operationen unterziehen und hat selbst drei Jahre später noch Schmerzen. Die Ärzte meinten auch zu ihr, dass ihr das Bein im Alter von 50 Jahren vielleicht trotzdem noch amputiert werden müsste. „Es hat lange gedauert, bis mir klar wurde, dass ich immer noch schön und wertvoll bin.” „Als ich wieder zu Hause war, wollte ich mich umbringen”, erzählt Lauren. „Ich war das Mädchen—und plötzlich habe ich nur noch ein Bein, sitze im Rollstuhl, meine Zehen fehlen und ich kann nicht mal ins Badezimmer laufen. Ich bin ans Bett gefesselt, kann mich nicht bewegen und habe das Gefühl, in meinen eigenen vier Wänden eingesperrt zu sein.” Anfangs sprang sie—getäuscht vom Phantomglied-Syndrom—noch manchmal einfach so aus dem Bett und stürzte dann sofort zu Boden. Das Einzige, was sie vor der Selbstmord bewahrte, war der Gedanke an ihren kleinen Bruder, der damals 14 Jahre alt war. „Ich wollte nicht, dass er nach Hause kommt und mich so vorfindet. Denn dann wüsste er, dass ich aufgegeben habe”, sagt sie. Lauren meint, dass es sehr lange gedauert hat, sich an die neue Identität zu gewöhnen. „In der Dusche saß ich auf einem kleinen Stuhl und habe einfach nur geheult. Draußen wartete dann wieder mein Rollstuhl auf mich”, erinnert sie sich. „Das setzt einem total zu. Man denkt sein ganzes Leben lang, dass man eine Sportlerin oder ein hübsches Mädchen ist, und dann hatte ich plötzlich keine Kontrolle mehr darüber, was mit meinem Körper passiert. Es hat lange gedauert, bis mir klar wurde, dass ich immer noch schön und wertvoll bin.” Laurens Freundin, die Fotografin Jennifer Rovero, stand ihr dabei immer treu zur Seite und schoss während des Heilungsprozesses Hunderte Fotos. Sie sah das Ganze als eine Art Therapie an. Wenn die beiden in der Stadt unterwegs sind, dann fragen sie auch häufig junge Frauen, ob sie schon mal vom toxischen Schocksyndrom gehört haben oder die Krankheit als echte Gefahr ansehen. Meistens lautet die Antwort „Nein”. Ebenfalls interessant: Mit leuchtenden Tampons gegen die Wasserverschmutzung Lauren hofft, dass sie im Herbst zusammen mit der Abgeordneten Carolyn Maloney vor dem US-Kongress sprechen darf. Die Politikerin aus New York versucht, das Robin-Danielson-Gesetz durchzubringen, das nach einer Frau benannt wurde, die 1998 aufgrund von TSS starb. Damit würde „ein Forschungsprogramm bezüglich der Risiken von Dioxin, synthetischen Fasern, chemischen Düften und anderen Bestandteilen in weiblichen Hygiene-Produkten initiiert werden.” Das Ganze wurde schon neunmal abgelehnt, bevor man überhaupt darüber abstimmen konnte. Eine Sache muss jedoch klargestellt werden: Lauren, ihren Anwälten und Maloney geht es hier um Transparenz und nicht unbedingt darum, dass in Zukunft keine Tampons mehr benutzt werden. Tampons vereinfachen das Leben einer Frau nämlich erheblich und sie sind auch extrem sinnvoll, wenn es darum geht, den Fluss des Menstruationsbluts aufzuhalten. Lauren fühlt sich auch heute noch total unwohl, wenn sie im Fernsehen eine Tampon-Werbung sieht, in der sich junge Frauen am Strand vergnügen oder in strahlend weißen Shorts eine Rutsche herunterrutschen—denn diese Werbungen enthalten normalerweise keine Warnhinweise zum toxischen Schocksyndrom. „Ich kann nirgendwo mehr herunterrutschen, fühle mich in Badeanzügen unwohl und einfach so im Meer baden ist auch nicht mehr drin”, erklärt sie mir. „Diese Dinger haben mein Leben zerstört.” Lauren will, dass Tampons ähnlich wie Zigaretten mit größeren und eindeutigeren Warnhinweisen bezüglich der potentiellen Risiken ausgestattet werden. „Man weiß, dass Zigaretten tödlich sind, wenn man sie raucht”, meint sie. „Hätte ich mich mit dem Thema TSS besser ausgekannt, dann hätte ich auch niemals Tampons benutzt.” Zumindest wird sie jetzt in Zukunft so verfahren. Lauren und ihre Freundin machen normalerweise keine Fotos von ihrer Beinprothese und konzentrieren sich stattdessen eher auf ihr Gesicht. Heute haben sie mir jedoch die Bilder ihres letzten Foto-Shootings gezeigt. In den Porträts trägt Lauren auffälliges, schwarzes Augen-Make-up und steht ganz normal da. Dabei trägt sie auch an ihrer Prothese New-Balance-Schuhe und hat den aufmerksamen sowie objektiven Look eines Models perfekt drauf. Es sind jetzt drei Jahre vergangen, seitdem sich das schwarze Behältnis neben Laurens Krankenhausbett mit Toxinen gefüllt hat, seitdem sie in der Überdruckkammer liegen musste und seitdem der Prothesen-Verkäufer ihr verschiedene Modelle präsentierte, über die sie beim besten Willen nicht nachdenken konnte. Heute kann sie sogar schon über die ganze Situation lachen und Witze reißen: Sie nennt ihre Beine zum Beispiel „Little Leg” und „Little Foot”. Ich frage Lauren, ob sie immer noch Basketball spielt, und denke dabei an die Leben, die in ein „davor” und ein „danach” aufgeteilt wurden—und ob es dabei einen gewissen Spielraum oder eine Möglichkeit gibt, Teile von sich selbst auf die andere Seite mitzunehmen. „Wenn es dich einmal gepackt hat, dann lässt es dich nicht mehr los. Manchmal nie mehr”, antwortet sie.
Tori Telfer
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2015-06-19T07:00:00+00:00
2024-07-31T00:52:52+00:00
https://www.vice.com/de/article/eine-junge-frau-verklagt-eine-tampon-firma-nachdem-sie-ihr-bein-verloren-hat-462
Maeckes führt uns mit seinem neuen Fuck You-Meditationsvideo per Hass zur Erleuchtung
Es gibt ja Leute, die behaupten, die heutige Generation sei zu einem verweichlichten Haufen Waschlappen heranerzogen worden. Verhätschelt, in einem künstlichen Kokon der Sicherheit eingepackt und mit lächerlich großen Mengen an Liebe überschüttet, kommen wir nicht mehr auf unser Leben klar. Angeblich. Maeckes hat dieses Defizit wohl auch erkannt und die perfekte Methode gefunden, selbiges zu therapieren: mit seiner eigens für das im Oktober erscheinende neue Album Tilt entwickelte Meditationsform—der “Fuck You Meditation”. AAA Nichts mit “Du bist ein wertvoller Mensch, der es verdient hat, geliebt zu werden”, nichts mit Wurzelchakra und erst recht nichts mit Sonnenschein. Bei Maeckes’ Wutyoga wird Tacheles gesprochen und der Hörer von all seinen illusorischen Harmoniefantasien befreit. Da sag nochmal einer, Promovideos seien zu nichts gut!
VICE Staff
[ "Deutschrap", "Fitness", "maeckes", "Music", "New music", "Noisey", "Noisey Blog", "Orsons", "POP", "promo", "Promovideo", "Tilt", "Werbung" ]
2016-08-26T13:28:00+00:00
2024-07-30T21:32:11+00:00
https://www.vice.com/de/article/maeckes-fuck-you-meditation/
Die Renaissance männlicher Feministen in Hollywood
Ende März hat sich Chris Hemsworth in einem Radiointerview als Feminist geoutet, während er seinen Film The Huntsman: Winter’s War vorgestellt hat—ein Film, in dem es zwar drei weibliche Hauptrollen gibt, der aber trotzdem nach dem männlichen Protagonisten benannt worden ist. Als man ihm die Frage stellte, antwortete Hemsworth: „Oh ja, na klar. Meine Mutter ist eine große Feministin. Ich denke, dass ich viele meiner Ansichten, was den Respekt gegenüber Frauen und so angeht, von meiner Mutter habe.” Wie du, ich und all die schlagzeilengierigen Promi-Magazine da draußen wissen, führt der schnellste Weg in das Herz der weiblichen Leserschaft nicht über das markante Kinn oder die bemerkenswerten Bauchmuskeln eines Hollywood-Schönlings, sondern über seinen Sinn für soziale Gerechtigkeit. Was hält er von Frauenrechten? Was sagt er zu den Gehaltsunterschieden zwischen Männern und Frauen? Was denkt er über die Bevorteilung von Weißen? Bernie Sanders: ja oder nein? Hemsworth ist nur einer von vielen Hollywood-Männern, die den wohl riskantesten und gefährlichsten Weg eingeschlagen haben, den ein wohlhabender, im traditionellen Sinne attraktiver, weißer Cis-Mann überhaupt einschlagen kann: Er hat sich als praktizierender Feminist geoutet. An dieser Stelle möchten wir seine Schauspielerkollegen feiern, die dasselbe getan haben. Mehr lesen: Die Wahrheit hinter Boygroup-Hysterie und kreischenden Mädchen Ryan Gosling Gosling ist das Urbild eines aktiven feministischen Mannes und hat unter anderem deshalb Heldenstatus erlangt, weil er mit Brille einfach unglaublich gut aussieht und nett zu seinen weiblichen Co-Stars ist. Heutzutage verlangen wir schon mehr von unseren berühmten Feministenkollegen—zum Beispiel sollten sie mindestens zwei Bücher von Elena Ferrante sowie passives Wissen über Emma Goldman besitzen. Aber im Jahr 2011? Da war so etwas noch Gold wert. Jon Hamm In Mad Men spielte Jon Hamm einen Typen aus der Werbebranche, der gerne Whiskey trinkt, mit Frauen schläft und Verträge abschließt—in dieser Reihenfolge. Im wahren Leben macht sich Jon Hamm selbst regelmäßig über sein erstaunlich gutes Aussehen lustig, indem er absolute Vollidioten spielt. Beispielsweise einen von Gameshows besessenen Sektenführer (Unbreakable Kimmy Schmidt), oder einen Mann der so dumm ist, dass er sich selbst beim Sex kommentieren muss, um nicht den Überblick zu verlieren (Bridesmaids). Er hat auch in Minions mitgespielt, aber das wollen wir ihm jetzt mal nicht übel nehmen. Alles in allem ist es doch so, dass das Patriarchat durch nichts wirkungsvoller demontiert wird, als dadurch, seine Karriere darauf aufzubauen, Männer als den größten Ausschuss irdischen Daseins darzustellen, oder? Joseph Gordon Levitt Mit 15 Jahren war er der Star in Hinterm Mond gleich rechts und auch seine Ansichten über Frauen sind nicht von dieser Welt! (also, im guten Sinne). Levitt hat Playback zu Janet Jacksons „Rhythm Nation” gesungen und dabei Lippenstift getragen (rebellisch!). Als Hommage an seine feministische Mutter, hat er Don Jon gedreht—einen Film, der zeigt, wie negativ sich exzessiver Pornokonsum auf unser Leben auswirken kann—vor allem wenn du ein mit Steroiden vollgepumpter Typ aus New Jersey bist (respektvoll!). Und zu guter Letzt hat er sich nicht nur in der Ellen Degeneres Show als Feminist geoutet (mutig!), sondern auch noch ein YouTube-Video gedreht, in dem er erklärt, warum er Feminist ist (viral!). Kurzum: Gordon Levitt sieht zwar aus, als wäre er ein Weichei, das seine Dissertation über Anne Sexton geschrieben hat und dir in der Uni immer stumm nachgelaufen ist, aber er ist ein echter Verbündeter. Mark Ruffalo Mark Ruffalos Profil als Schauspieler hat vielleicht eine deutliche Kurve nach oben genommen, seit Spotlight einen Oscar für den besten Film gewonnen hat, aber seien wir mal ehrlich: Zu einem echten heroischen Feministen wurde er doch mit seiner Rolle in 30 über Nacht, einem Film, der zeigt, dass eine 30-jährige Frau auch dann noch die große Liebe finden kann, selbst wenn sie gerade mitten in einem psychotischen Zusammenbruch steckt, der sie denken lässt, dass sie 13 Jahre alt ist. Mark Ruffalo ist die „Ja, vielleicht”-Antwort auf die Frage: „Sind Bernie Sanders Anhänger heiß oder sind es nur ihre progressiven, jedoch wahrscheinlich finanziell nicht umsetzbaren Ansichten in Bezug auf Studiengebühren und die Reichensteuer, die ich so anziehend finde?” Außerdem ist es immer gut, den Hulk auf seiner Seite zu haben. Pen Badgley Nachdem Gossip Girl abgedreht war, ließ sich der Schauspieler, der einst als Dan Humphrey bekannt war, sofort einen Bart wachsen, nutzte die komplette Hautfarbenpalette rebellischer Emojis und begann Ta-Nehisi Coates zu retweeten. Vielleicht ist das seine ganz persönliche, pointierte Antwort auf seine Rolle in Gossip Girl, wo New York ein Höllenschlund war, der einzig und allein von bourgoisen, reichen weißen Gören bevölkert wurde, die die ersten wären, die man an die Wand stellen würde, wenn es eine Revolution gäbe. Vielleicht recherchiert er aber auch nur für Dan Humphreys zweiten Roman. Screenshot: Twitter Matt McGorry Wenn du ein Buch über den institutionellen Rassismus im amerikanischen Rechtssystem gelesen, aber kein Bild davon gemacht hast, ist es dann wirklich passiert? Matt McGorry würde sagen: „Nein, natürlich nicht. Ach und übrigens, hier ist ein Bild von mir oben ohne mit dem großartigen Buch The New Jim Crow von Michelle Alexander.” Hier sagt der Schauspieler aus Orange ist the New Black, dass Feminismus so ist, als würde man sich verlieben. Und hier weint er, weil auch Männer weinen, versteht du? Und hier ist er schon wieder und kommentiert Emma Watsons UN-Post mit: „YAAAAASSSS QUEEN! YAAS.” Vielleicht möchtest du jetzt gerne ein feministisches T-Shirt von Matt McGorry kaufen, dessen Einnahmen an die Pro-Choice Organisation NARAL gehen? Natürlich willst du das. Wir sind hier doch alle Verbündete!
Zing Tsjeng
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2016-04-15T07:20:00+00:00
2024-07-30T23:56:41+00:00
https://www.vice.com/de/article/8x4kn4/die-renaissance-maennlicher-feministen-in-hollywood
Das Shazam für Platten ist jetzt da: die Discogs-App
Der Vinyl-Boom geht weiter. Nach den steigenden Verkäufen des schwarzen Golds in den letzten Jahren, gibt es seit heute nun die finale Version der „Discogs-App”. Mit ihr kann man seine Plattensammlung, die man in seinem Profil angegeben hat, reviewen und verändern, selbst wenn man nicht online ist. Am wichtigsten ist wahrscheinlich die Scan-Funktion: Wenn du irgendwo eine Platte entdeckst, kannst du den Barcode scannen und bei Discogs suchen, um den Preis zu checken oder sicherzugehen, dass es sich um ein Original und nicht wieder um irgendein schlechtes Bootleg handelt. Bisher hat die App aber noch ein Manko: der sogenannten Marketplace ist nicht integriert. Will man eine Platte kaufen, wird man auf die mobile Version der Discogs-Seite weitergeleitet, was den Kauf-Prozess in die Länge zieht. Die App funktioniert sehr intuitiv, ähnlich wie die Amazon App. Die Vollversion ist leider nur für iOS verfügbar, Android-Benutzer müssen sich noch gedulden und die Beta-Version verwenden. Unten kannst du dir das Promo-Video ansehen:
THUMP Staff
[ "alpha", "android", "Beta", "bootlegs", "discogs", "iOS", "omega", "Opel", "Platten", "Preise", "scan", "Thump", "thump news", "Vinyl" ]
2016-02-29T13:45:00+00:00
2024-07-30T23:25:02+00:00
https://www.vice.com/de/article/das-shazam-fr-platten-ist-jetzt-da-die-discogs-app-287/
Ich habe mit einem Sommelier den Glühwein der Zürcher Weihnachtsmärkte degustiert
Alle Fotos von Fabienne AndreoliWer etwas auf seinen Geschmack gibt, sollte seine Vorliebe für Glühwein diskret im Stillen ausleben—zumindest wenn er in der Welt der Weinliebhaber bestehen möchte. Als billiger Fusel wird das rote Gebräu dort oft abgetan. Im Lexikon der Önologie, der Weinbaukunde, steht zu ihm: “weinähnliches Getränk, überwiegend aus Rotwein, Zucker, Gewürzen und Zitronen hergestellt.” Und das ist keineswegs wohlwollend gemeint. Doch auch bei den Profis gibt’s die Schwäche für heisse Weine—wie bei Nicola Mattana. Er ist leidenschaftlicher Weintrinker, diplomierter Sommelier und Geschäftsführer der Buonvini Weinhandlung in Zürich. Gemeinsam mit dem Kenner habe ich mich durch das Glühweinangebot der Zürcher Weihnachtsmärkte getrunken. Mattana bewertet die Glühweine auf einer 5-Sterne-Skala—wie er das auch mit den Weinen bei internationalen Weinwettbewerben macht. Der Fairness halber muss erwähnt werden, dass Mattana nie die volle Punktzahl gibt. Er möchte immer für den Fall gerüstet sein, dass vielleicht schon morgen die Welt dank einem noch besseren Wein zu einem etwas angenehmeren Ort wird. Preis pro Becher: CHF 6.50.— Wertung: 3 Sterne “Die Nase ist nicht sehr würzig, dürfte intensiver sein”, lautet das erste Urteil des Profis, während er mit konzentriertem Blick am Glühwein riecht. Was nicht ist, kann ja noch werden—und so nippen wir erwartungsvoll am Pappbecher und schlürfen vom Gemisch aus spanischem Wein von Macabeo Trauben, Gewürzen und Traubensaft. Der Alkohol sei zu dominant, meint Mattana. “Glühwein muss Spass machen.” Dass Spass und Alkohol ja geradezu Bromance-Qualitäten haben, wende ich meines seriösen Bildes wegen nicht ein. Den Grundwein schätzt der Experte auf einen Preis von drei Franken die Flasche, dies zeige sich im kurzen Abgang. Den getesteten Glühwein der Weinhandlung Smith&Smith, der eigens fürs Zürcher Weihnachtsdorf auf dem Sechseläutenplatz produziert wurde, schenken alle 13 Bars auf dem Sechseläutenplatz aus. Unmengen an Glühwein gehen hier Tag für Tag über den Tresen, da erstaunt es wenig, dass es sich nicht um hausgemachten handelt. Fazit: Der Wein schmeckt ordentlich, beschert uns aber auch keine Glücksgefühle. Preis pro Becher: CHF 6.00.—Wertung: 2 Sterne Das Pendlerdasein ist kein Zuckerschlecken. Volle Züge, Gedränge, Wartezeiten. Der Weihnachtsmarkt am HB ist der Markt für alle Getriebenen, die sich nur gerade auf dem Heim- oder Arbeitsweg ein wenig Marktluft gönnen können—und dann müssen diese auch noch mit einem wenig überzeugendem Gebräu Vorlieb nehmen.  Mattana meint, der Wein rieche zwar streng in der Nase, zeige danach aber kaum Profil. Er sei nicht definiert im Duft, es fehle an Konzentration und Konsistenz, kurz im Gaumen, schlank, ja fast wässrig sei er, so das Urteil des Sommeliers. Dennoch, der funkelnde Swarowski-Baum und die opulente Deckenleuchte trösten gekonnt über das “weinähnliche Getränk” hinweg. Preis pro Becher: CHF 6.00.— Wertung: 3.5 Sterne Der Weinkenner ist von der Konsistenz angetan. Von einem Glühwein erwarte er eine etwas dickflüssigere Konsistenz und jener auf dem Zwingliplatz überzeuge in diesem Punkt. Nicht sirupartig, aber eben auch nicht zu wässrig. Zudem gefällt Mattana die Ausgewogenheit der Gewürze und die Ambiance. Auch der strenge Blick des Zürcher Reformators Heinrich Bullinger vermag die Besinnlichkeit hier oben nicht zu stören—ganz im Gegensatz zum Zuckergehalt des Weins.  Beim Süssen scheint das christliche Masshalten etwas vergessen gegangen zu sein. Geschmacklich scheint der Wein dafür durchaus interessant, der Weinkenner fühlt sich jedenfalls gefordert. “Ganz erstaunlich finde ich die Schokoladennote. Ich kann mir nicht erklären, woher sie kommt, aber sie ist angenehm.” Die anscheinend im Wein steckende Schokolade sucht mein Gaumen vergebens. Wer eindeutige Signale braucht, bestellt wie ich eben doch lieber mit Amaretto oder Kirsch. Preis pro Becher: CHF 6.00.— Wertung: 4 Sterne Auf dem Werdmühleplatz ist es weniger hektisch als auf den anderen Märkten, was das Glühweintrinken gemütlich macht. Nach dem ersten Schluck analysiert Mattana: “Der Duft erinnert mich ans Spa. Ich fühle mich wie in einem Schaumbad.” Was sich für mich nach einem vernichtenden Urteil anhört, ist in Wirklichkeit lediglich eine Beobachtung. “Eine optimale Süsse und ausgewogene Würze”, lobt der Sommelier. “Ich könnte mir auch vorstellen, dass der Wein, der hierfür verwendet wurde, etwas teurer war. Vielleicht 4 bis 5 Franken der Liter.”  Die Grundmaterie sei essentiell. So wäre es auch fatal, für eine Bratensauce oder einen Risotto einen minderwertigen Wein zu verwenden. Dies sei beim Glühwein auch so, erklärt Mattana. Er selber habe eben erst Glühwein gebraut mit einem Wein für 27 Franken—das Ergebnis sei dementsprechend eine Wucht gewesen. Ein solch edler Tropfen wird hier zwar nicht ausgeschenkt, dennoch überzeugt der Glühwein, der in der Epilepsie-Klinik gemacht wird, in Geschmack und Süsse. Preis pro Becher: CHF 5.50.—Wertung: 3 Sterne Sollte das Auge auch mittrinken, dann ist hier nicht viel zu holen. Inmitten grell beleuchteter Warenhäuser, direkt neben dem nach Pommes duftenden McDonalds wird der Glühwein aus durchsichtigen Plastikbechern getrunken. Was darin serviert wird, ist glücklicherweise besser als das Drumherum. Der Sommelier findet, die Nase sei würzig. Besonders ein Anisgeschmack komme deutlich zum Vorschein. Im Mund sei der Wein vielleicht fast etwas zu stark gewürzt. Die Konsistenz gefällt Mattana, dafür überzeugt der Abgang wieder weniger. Je länger ein Wein im Mund zu spüren ist, desto besser sei er.  Die Verweildauer des Weines nach dem Schlucken (Abgang) wird in Caudalie gemessen—1 Caudalie gleich 1 Sekunde. Gute Weine haben Werte von 20 Caudalies, Spitzenweine erreichen gar 50 Caudalies. In solchen Sphären bewegen sich die heissen Weine kaum. Der eben probierte bleibt im einstelligen Bereich. Dennoch eine passable Wahl für alle, die kein Ambiente suchen—oder einfach bereits einen sitzen haben. Die Zürcher Weihnachtsmärkte haben ein durchaus süffiges Angebot an Glühweinen. Mit dem geschulten Gaumen des Sommeliers konnte ich, auch noch nüchtern, nicht mithalten. Schokoladennote oder Zitrusdüfte—die Feinheiten suchte ich vergebens. Das kann aber auch an der Natur der Frau liegen. Haben diese nämliche ihre Menstruation treten sie als Jurorinnen bei internationalen Weinwettbewerben in den Ausstand. Der Geschmackssinn sei dann nicht derselbe. Und so bleibt für mich immerhin die Erkenntnis: Schmecken tun nicht alle Zürcher Glühweine gleich, wärmen aber schon.  Folge VICE auf Facebook
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Popkultur
2016-12-21T10:25:02+00:00
2024-07-30T22:46:23+00:00
https://www.vice.com/de/article/ich-habe-mit-einem-sommelier-den-gluhwein-an-zurcher-weihnachtsmarkten-degustiert/
Eine Playlist der Songs, die ich auf dem Weg von Syrien nach Europa gehört habe
Dieser Artikel ist Teil unserer Serie ‘Neue Nachbarn’, in der junge Geflüchtete aus ganz Europa Gastautoren auf VICE.com sind. Lies hier das Editorial dazu. ––– A. ist 17 Jahre alt und stammt aus Syrien. Aktuell lebt er in einem Gästehaus der NGO Praksis in Athen. Ich stehe auf Metal, seit ich 10 bin. Die erste Metal-Band, die ich gehört habe, war Disturbed. Damals probierte ich verschiedene Genres durch und kam schnell zu dem Schluss, dass Metal meins ist. Mich entspannt diese Musik, auch wenn die große Mehrheit sie verstörend findet. Außerdem kann ich durch Metal meine englische Aussprache verbessern und mein Vokabular erweitern. Hier möchte ich euch eine Liste mit Songs meiner Lieblingsbands aus aller Welt zeigen. Jede Band hat ihren ganz eigenen Charakter. Dimmu Borgir beschäftigen sich hauptsächlich mit gesellschaftlichen Themen. Aeternam singen auf Englisch und Arabisch von den Kulturen in Ländern wie Ägypten, Jordanien und Syrien. Songs von Swallow the Sun sind ein bisschen düsterer, aber wenn ich sie höre, sind meine Probleme für den Moment wie weggeblasen. Ich mag auch, wie theatralisch Ahab sind und dass sie sich von Herman Melvilles Roman Moby Dick inspirieren lassen.Im Laufe der Zeit hat sich mein Geschmack noch auf andere Genres ausgedehnt, wie Dubstep, Country und Trap. Hier also die Songs, die mich auf der schweren Reise von Syrien nach Griechenland begleitet haben: Dimmu Borgir war die erste Band, deren Fan ich wurde. Ich hatte früher all ihre Alben und liebte jeden einzelnen Song. Vor allem dieses Lied hier erinnert mich an meine ersten Schritte im Metal-Genre. Es hat mich im Laufe der Jahre stark beeinflusst. Wann immer ich diese Band höre, denke ich an meinen Freund Arrab, denn er hat sie mir vorgestellt. Manchmal denke ich an alles, was Arrab und ich zusammen durchgemacht haben und wie weit wir jetzt voneinander entfernt sind – er ist noch in Damaskus und ich bin hier in Griechenland. Das zieht mich wirklich runter. Aber ich hoffe, dass wir in ein paar Jahren wieder zusammen abhängen und diese Songs hören können, und dass der Krieg dann hinter uns liegt. Dieser Song gibt mir Hoffnung und hält mich am Ball. Er war früher einer der Lieblingssongs meines Kumpels, der im Zuge der EU-Umverteilung nach Zypern verlegt wurde. Dort hat er ein neues Leben begonnen. Das möchte ich natürlich auch, aber ich weiß, dass so etwas dauert. Sobald dieser Song läuft, überkommen mich allerdings positive Gefühle und ich habe den Eindruck, dass alles möglich ist. Diesen Song höre ich mir an, wenn es richtig übel wird. Bin ich wütend, enttäuscht oder deprimiert, drücke ich Play und er beruhigt mich sofort. Auf meiner Reise hierher habe ich ihn viel gehört. Als ich in der syrischen IS-Hochburg ar-Raqqa ankam, hatte ich so entsetzliche Angst, erwischt zu werden, dass ich den Song ständig abspielte, um mich zu beruhigen. Zu diesem Song muss ich einfach tanzen. Er gibt mir so richtig Energie. Das hier ist eine der ersten Country-Bands, die ich je gehört habe, und jedes Mal, wenn eins ihrer Lieder läuft, denke ich daran, wie die Zeit vergeht und wie stur ich früher war, als ich nur Metal hören wollte. Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich diesen Song vor sechs Jahren das erste Mal hörte. Ein Freund von mir spielte ihn ab und er gefiel mir sofort. Heute erinnert er mich an Dimitra, eine der Sozialarbeiterinnen in meiner Unterkunft in Athen. Sie liebt den Song auch, und wann immer ich ihn abspiele, singen wir an denselben Stellen mit: “the toxicity of our city” und “disorder”. Wir versuchen dabei aus Spaß die Stimme des Sängers zu imitieren. Manchmal mache ich den Song einfach so rein und rufe: “Nur für dich, Dimitra!” Das ist unser kleines Ritual. Diesen Song habe ich früher immer beim Putzen gehört, wenn meine Schicht im Restaurant meines Onkels zu Ende ging. Ich habe nach der Schule und an den Wochenenden dort gearbeitet, um dem Familienunternehmen zu helfen. Wenn ich das hier aufdrehte, verging die Zeit schneller. Diesen Song und “Wizard” von Martin Garrix habe ich im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos gehört, wenn ich positiv denken und meine Sorgen wegtanzen wollte. Die Lebensbedingungen dort waren schrecklich und wir mussten warten, bis sie uns ins Lager Mandamados (auch auf Lesbos) oder woandershin verlegten. Bei diesem Lied muss ich lächeln, weil ich an meine Mutter denken muss und wie sie immer darauf reagierte. Sie hasste den Song und schrie mich an, ich solle aufhören, diesen Schund zu hören, aber ich drehte noch lauter und spielte ihn mehrmals, nur um sie zu ärgern. Heute muss ich sofort lachen, wenn ich mir die Grimassen vorstelle, die sie bei dem Sound immer geschnitten hat. Das werde ich wohl nie vergessen. Meine Mutter ist in Syrien, aber ich wette, wenn ich sie in ein paar Jahren sehen sollte und dann den Song hier abspiele, dann würde sie auch loslachen. Das ist noch ein Track, den ich höre, wenn es schlimm um mich steht. Wann immer ich an den ganzen Papierkram denke, den ich durchackern muss, und das Asyl-Gespräch, bei dem es um meinen Flüchtlingsstatus geht, werde ich ganz nervös. Behemoth beruhigen mich dann wieder. Das war der erste Song, den ich gehört habe, als wir von Syrien über die Grenze in die Türkei kamen. Ich war so erleichtert, als wäre ein tonnenschweres Gewicht von mir abgefallen. Ich atmete tief durch und dachte: “Du hast es endlich geschafft. Das Schlimmste hast du hinter dir. Zeit, nach vorn zu blicken.” Wenn ich diesen Track höre, erinnert er mich immer an meinen Freund Dany, der auch noch in Syrien ist. Ich versuche, ihn nicht zu oft zu hören, weil ich Dany so schrecklich vermisse und davon Depressionen kriege. Es ist hart für mich, so lange von meinen Freunden getrennt zu sein. Musik gehört zu meinem Leben. In Syrien habe ich immer gebeatboxt. Ich habe mich hier mit einem aus der Unterkunft angefreundet und wir machen zusammen Musik: Ich beatboxe und er rappt. Ich nehme auch zur Zeit Gitarrenstunden und lerne dabei alles von griechischen Liedern bis Rock. Später mal würde ich außerdem gern Schlagzeug lernen und Gesangsstunden nehmen. Illustration von Ana Jaks. Unterschreibe hier die Petition des UNHCR, die Regierungen dazu aufruft, eine sichere Zukunft für alle Flüchtlinge zu garantieren. Die griechische Organisation Praksis hilft Flüchtlingen aus der größten Not. Ihr könnt sie hier unterstützen. Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.
A. aus Syrien
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2017-05-30T14:00:00+00:00
2024-07-30T20:06:08+00:00
https://www.vice.com/de/article/newneighbours-der-songs-die-ich-auf-dem-weg-von-syrien-nach-europa-gehort-habe/
Warum ich mich durch die Pandemie schummle
Ich weiß noch, wie das Grummeln begann, lange bevor eine bundesweite “Notbremse” inklusive Ausgangsbeschränkungen nötig war. Ich saß eines Morgens zwischen zweitem Kaffee und erstem Videocall in meinem Zimmer und beschloss, wütend zu sein. Ich schickte einem Freund eine Nachricht bei WhatsApp, in der stand, dass ich fortan aufhören würde, mich an die Corona-Regeln zu halten. Nicht komplett, ich bin ja nicht wahnsinnig. Aber doch so weit, dass mein Leben wieder lebenswert würde. Das war im Januar. Zwei Monate lang war ich da bereits in der Kälte spazieren, hatte alleine gegessen und einsam die Weihnachtsfeiertage ausgesessen. Aber an diesem Morgen, kurz bevor ich in der Videokonferenz den einzigen Kontakt zu Menschen an diesem Tag haben würde, der mir Freude macht, wusste ich, dass es mir reicht. Von nun an würde ich die Regeln biegen, gerade so weit, dass ich sie nicht brechen muss. Und wenn doch, dann zumindest so, dass ich mir anschließend noch in die Augen gucken könnte. Auch bei VICE: Warum immer mehr junge Männer Viagra nehmen Ich würde schummeln. Und ich bin überzeugt, dass das menschlich ist. Ich erteilte mir aus meiner Wut heraus Absolution für meine Entscheidung, von der ich natürlich wusste, das sie moralisch nicht gerade unangreifbar wäre. Aber der Mensch ist ein Schummler. Wenn wir Regeln nicht verstehen oder akzeptieren, dann helfen wir uns, indem wir einen Weg suchen, diese Regeln zu umgehen. Wie damals, 2007, im Hebräisch-Unterricht in der 13. Klasse. Es war die letzte Klausur vor den Zeugnissen, eine Vier würde reichen, damit ich mein Hebraicum bekomme. Ich war ein schlechter Hebräisch-Schüler, ich schrieb fast ausschließlich Fünfen und Sechsen. Aber mit dieser Klausur konnte ich alles herumreißen, mit einer Vier. Eine Vier war machbar. Alt-Hebräisch hätte dann als meine dritte Fremdsprache auf dem Zeugnis gestanden, neben Englisch und Latein. Und das ohne dass ich Hebräisch gekonnt hätte, vom Alphabet einmal abgesehen. Damit ich rumreißen konnte, musste ich aber schummeln. Zum Glück ging das in diesem Jahr recht problemlos. Kurz zuvor waren für die gesamte Stufe sogenannte Palm-Taschenrechner angeschafft worden, kleine Computer, die wenig mehr konnten als Text anzeigen und eben ein bisschen komplexere Mathe-Aufgaben lösen. Sehr bald danach wurden sie vom billigsten Smartphone überholt. In der Klausur nun sollten wir aus der Bibel übersetzen, wie in jeder Klausur. Ich lud mir also das gesamte alte Testament auf meinen hochmodernen Taschenrechner. Als ich dann das Arbeitsblatt vor mir liegen hatte, suchte ich die Bibelstelle, die ich übersetzen sollte, im Text auf dem Palm heraus und schrieb sie ab – nur übersah ich, dass die Stelle auf dem Arbeitsblatt gekürzt war. Ich übersetzte viel zu viel.  Mein Lehrer mochte mich, er gab mir eine Fünf Minus statt eines Betrugsversuchs und trotzdem kein Hebraicum. Ich bin sicher, dass ich dieses heute hätte, wenn wir damals, zum Beispiel, eine Reise nach Israel gemacht hätte. Wenn die Schule Menschen zeigen würde, dass so eine Sprache wirklich geil sein kann, wenn man sie für Dinge benutzt, die nicht nur christlich sind. Denn ich fand die Kultur dahinter spannend, nur die Bibel nicht. Ich meine: Wir schummeln nur dann, wenn nicht genug dagegen spricht. Wenn wir nicht wissen, warum wir es nicht tun sollten.  Anfang Januar verstand ich nicht mehr, was da in Deutschland geschah. Lange hatte ich versucht, den Erklärungen zu folgen, die Regeln akzeptiert, viel geschluckt. Ich war einer der Regelkonformen. Ich strengte mich an. Ich nervte Freunde, die schon vorher ausgestiegen waren. Ich verabscheute diejenigen, die das Virus komplett ignorierten oder leugneten, das tue ich bis heute. Aber ich verstand selten das Konzept dahinter. Am Anfang war das noch OK. Ich dachte, na ja, ich bin ja kein Virologe oder Epidemiologe. Ich musste ja selbst erst lernen, was Aerosole oder Schmierinfektionen sind und wie Masken funktionieren. Doch irgendwann hatte ich ein paar Folgen Drosten-Podcast gehört und das alles zumindest so gut verstanden wie die Politikerinnen und Politiker. Dann wurde es schwieriger, die Maßnahmen nachzuvollziehen. Denn klar, auch die Virologen haben gesagt, dass sie nur Ratschläge geben können. Was damit gemacht werde, sei dann eine politische Frage.  Doch ich sah vor allem kein Ende der politischen Fragerei. Die Impfstoffe waren nicht da, die Inzidenzen stiegen. Alle paar Wochen wurden uns Erleichterungen versprochen, die dann nie kamen, weil es an irgendetwas gescheitert war, worüber bereits Monate vorher diskutiert worden war.  Wenn es also nie Verbesserungen gibt und die Gesellschaft für immer in diesem Schwebezustand gefangen bliebe – dann muss man doch schummeln, um nicht einzugehen. Und warum auch nicht? Wenn unser aller Verhalten, unsere Opfer ohnehin keine Verbesserungen bringen, dann können wir uns doch davor drücken. Dann können wir aussteigen. An einem wutgrummelnden Morgen schrieb ich also meinem Freund Adrian, dass ich vorhatte, mich nicht mehr so streng an die Regeln zu halten. Ich glaube, diese Entscheidung war purer, trauriger Trotz. Mir blieb einfach nichts anderes übrig, um meine Unzufriedenheit auszudrücken.  Normalerweise kann man demonstrieren gehen, wenn man unzufrieden mit der Politik ist.  Aber wer heute gegen Coronapolitik demonstrieren geht, hat direkt Neonazis, Rassisten, Antisemiten und QAnon-Wahnsinnige an der Backe. Mit denen will ich nicht laufen, aber ich will auch nicht länger die andere Backe hinhalten.  Also ist mein Ausweg: Stille, kindische und unvernünftige Renitenz. Ich wollte mir meine Regeln trotzdem selbst definieren. Ich wollte unvernünftig sein, aber nicht dumm. Man darf nur einen Haushalt auf einmal treffen? Ich treffe jeden Tag einen, manchmal mehrere, aber nie gleichzeitig. Oder fast nie. Das fühlt sich schon sehr bald sehr gut an.  Freitags trinke ich mit Adrian Wein am Maybachufer, Samstag Bier mit Manuel in Mitte und Sonntags gehe ich mit Miriam auf dem Tempelhofer Feld spazieren. Eines Tages dann die neueste Maßnahme: Wir dürfen draußen nicht mehr trinken. Natürlich tun wir es trotzdem, schon weil die Alternative noch viel schummeliger wäre: Dann würden wir uns drinnen treffen. Aber so lange wir uns draußen treffen, ist es auch in Ordnung, wenn wir mal zu dritt oder viert sind. Legal sind sogar fünf Personen aus maximal zwei Haushalten. Wir sind also weniger Menschen, dafür aber mehr Haushalte. Alles andere wäre unrealistisch. Zumal die Treffen in Innenräumen ab 21 Uhr mittlerweile verboten sind. Zum Glück liegt auch der Balkon von Manuel eigentlich draußen. Außerdem definiere ich manche Menschen zu Nicht-Personen, also Leuten, die nicht in meine Regeln fallen. Bis zum Sommer war ich noch mit meiner Freundin zusammen. Wäre ja Wahnsinn, wenn ich sie als Kontaktperson mit eigenem Haushalt gezählt hätte. Als es die Freundin nicht mehr in meinem Leben gibt, sind daten und knutschen trotzdem noch OK, auch nach 21 Uhr, weil man ansonsten ja auch kaputtgehen würde. Zur gleichen Zeit gehen Kinder übrigens weiterhin in die Schule und Angestellte in Büros, Fabriken und Schlachtanlagen. Das alles quasi auf Einladung der Politik, die mittlerweile auch weiß, was Aerosole sind. Auch meine Geburtstagsfeier Mitte März habe ich mir erschummelt. Ich habe ein gutes Dutzend Leute angeschrieben und zum Marsch gen Brandenburger Tor eingeladen. Wir hatten jede Menge Wein, Longdrinks und Bier dabei und als wir ankamen, waren wir durchgefroren, müde und wussten nicht, was man am Brandenburger Tor überhaupt machen könnte, weswegen wir zu einem Kumpel gefahren sind, um wenigstens im Warmen nichts zu tun zu haben.  Genau das hatte ich eigentlich vermeiden wollen, als ich mir die Schummelei einfallen ließ, weil die Aerosole in geschlossenen Räumen ja bekanntlich am lautesten knallen. Aber nach dem langen Spaziergang, der Kälte und dem vielen Alkohol hatten wir unsere Bedenken hinfortgeschummelt. Und sowieso schummle ich mich gern davon. Wenn ich einen Corona-Test mache, kann ich danach mit dem Zug unbeschwert überall hinfahren, wo mir die Decke gerade nicht auf den Kopf zu fallen droht. Zum Vater in Bonn, dem Bruder in Wien oder der Freundin in Hamburg. Warum denn nicht? Corona ist überall, da stört es weder mich noch die Menschen woanders, ob da eine Person mehr ist, die es bekommen und übertragen könnte. Das wäre aber auch nicht verboten, man hält uns nur an, es nicht zu tun. Das ist mir egal, ich halte es in meinem Haushalt nicht mehr aus.  Heute ist Mitte April. Das Wetter draußen wird wärmer, die Infektionsschutzgesetze strenger und willkürlicher. Gestern haben Aerosolforscher einen offenen Brief veröffentlicht, in dem sie erklärten, dass die Gefahr, sich anzustecken, draußen niedrig sei und eine Ausgangssperre daher kontraproduktiv. Gleichzeitig posten missgünstige Leute Fotos von Menschen, die das schöne Wetter nutzen, um ihren Corona- und Winter-Blues ein bisschen bunter zu tünchen. Die Versprechen der Politik, dass bald alles besser werde, wechseln sich derweil immer noch in gnadenloser Regelmäßigkeit ab mit dem Brechen eben dieser Versprechen. Heute hat sie die nahezu bundesweite Ausgangssperre verkündet. Wir schummeln also. Einfach, um das alles zu ertragen. Denn so, wie sich in der Kommunikation der Politik eine phlegmatische Inkonsequenz durchsetzt – was Lösungen betrifft aber auch ihr Personal -, müssen wir weiterhin versuchen, den Mittelweg zu finden. Wir versuchen, zu leben, ohne anderen mehr zu schaden als notwendig. Wir müssen die Balance halten zwischen Vernunft und Lebensfreude. Die Inkompetenz der Laschets und Spahns hat uns gebrochen, hat unser Wohlwollen aufgerieben, unser Vertrauen in ihre Weisungen mit ihren laschen, schwitzig-feuchten Händen zerquetscht.  Deshalb müssen wir uns jetzt selbst führen. Weil wir aber nur uns selbst führen können, keine Schulen schließen oder Impfzentren bauen, müssen wir gucken, dass wir nicht verrückt werden.  Das Wutgrummeln ist nicht mehr weggegangen, auch durch das Schummeln nicht.  Ich vermisse es, ins Restaurant zu gehen oder in die Kneipe, ins Kino oder einfach nur auf die Couch eines Kumpels. Es geht mir nicht gut. Ich fühle mich einsam und wahlweise über- oder unterfordert oder beides auf einmal. Aber ich freue mich zumindest wieder auf die Wochenenden. Denn seit ich schummle, fühlen sich die arbeitsfreien Tage wenigstens wieder so an. Folge Robert auf Twitter und Instagram und VICE auf Facebook, Instagram, YouTube und Snapchat.
Robert Hofmann
[ "Ausgangssperre", "Corona", "Coronavirus", "covid", "Lockdown Life", "schummeln" ]
Menschen
2021-04-13T15:08:56+00:00
2024-07-30T13:23:14+00:00
https://www.vice.com/de/article/z3xb89/warum-ich-mich-durch-die-pandemie-schummle
Diese Menschen verlieren ihre Götter an den Klimawandel
Hoch oben auf den schneebedeckten Gipfeln des Ruwenzori-Gebirges sitzt der Gott Kithasamba. Eis und Schnee sind sein Sperma. Wenn es schmilzt, bringt es das Leben nach unten in die grünen, bewaldeten Täler und die Savanne. So lautet eine Legende der Bakonjo, einem Volk im Westen Ugandas. In ihrem Glauben spielt Wasser eine zentrale Rolle. “Das Wasser gibt uns Leben, es macht unser Land fruchtbar”, sagt Baluku Mikayir, ein Oberhaupt und spiritueller Führer der Bakonjo. Er wacht über den Wasserfall Ekishalhalha kya Kororo. Neben dem Tosen des herabstürzenden Wassers ist Mikayirs heisere Stimme kaum hörbar. Auch von VICE: Söder vs Habeck: Das Duell der Herzen “Nachdem die Alten Kithasamba Opfer gebracht haben, sieht man den Schnee hell leuchten. Das bedeutet, dass die Zeit zum Pflanzen beginnt. Wenn kein Schnee zu sehen ist, ist das ein Zeichen für Unheil.” Seit mindestens tausend Jahren leben die Bakonjo am Fuße des Ruwenzori-Gebirges. Jetzt bedroht der Klimawandel aber nicht nur ihr Leben und ihren Unterhalt, sondern auch ihre kulturelle Existenz. Im Mai 2020 lösten ungewöhnlich schwere Regenfälle oben auf den Bergen Erdrutsche aus. Fünf Flüsse traten über die Ufer und lösten eine Flutkatastrophe aus, die über 100.000 Menschen vertrieb. Bereits im vergangenen Jahrzehnt war das Gebiet der Bakonjo immer wieder von Sturzfluten heimgesucht worden.  “Die ohnehin langen Trockenzeiten werden noch länger, und die Regenzeit kommt zu einer ganz anderen Zeit als sonst”, sagt der Kulturhistoriker Stanley Baluku Kanzenze. “Die Natur verändert sich.” Jeder Teil des weitläufigen und vielfältigen Ökosystems wird von seiner eigenen Gottheit bewohnt. Kalisya ist zum Beispiel der Geist der Tierwelt, Ndyoka der des Wassers. Wasser zieht sich wie ein roter Faden durch das Bakonjo-Universum. Wo Flüsse aufeinandertreffen, konsultieren die spirituellen Führer mit den Göttern. Heiße Quellen, von denen es hier einige gibt, versprechen nicht nur körperliche Heilung, sondern auch spirituelle. Der Wasserfall Ekisalhalha kya Kororo ist für die Gemeinschaft ein Ort der Konfliktlösung – und eine von vielen Heimstätten des Geistes Ndyoka. Viele dieser heiligen Orte sind bedroht. Die Überschwemmungen des vergangenen Jahres haben die Flussläufe verändert – und mit ihnen die Zusammenflüsse. Heiße Quellen verschlammten und sind jetzt unbenutzbar. Felsen sind die Wasserfälle runtergekracht und haben Mikayirs Weihstätte zerstört. Medizinisch und zeremoniell wichtige Pflanzen, die an den Flussufern wachsen, wurden von der Flut mitgerissen. “Wir haben eine Menge wichtiger Pflanzen verloren, es war furchtbar”, sagt Mikayir. “Wir haben Angst, dass der Wasserfall in der Zukunft zerstört wird”, ergänzt Mary Kyakimwa, ein weiterer Hüter des Ekisalhalha kya Kororo. Er trägt eine zeremonielle Krone aus Pflanzen gespickt mit kleinen gelben Blumen. Steigende Temperaturen sorgen dafür, dass die Gletscher auf den Berggipfeln schmelzen, ohne nachzuwachsen. Wenn sie, wie Geologinnen und Geologen voraussagen, innerhalb des nächsten Jahrzehnts komplett verschwinden, würde das auch das Ende des Weltbildes bedeuten, das eng mit Eis und Schnee verbunden ist. “Das ist eine Bedrohung für die Bakonjo-Identität an sich. Wir können nicht sagen, dass sie noch Bakonjo sind, wenn das Eis nicht mehr da ist”, sagt Historiker Kanzenze. Bis dahin führen spirituelle Führer wie Mikayir weiter Rituale an den heiligen Stätten durch, konsultieren die Geister und versuchen, sie zu besänftigen. “Wir glauben, dass die Flüsse über die Ufer treten und dass der Schnee schmilzt, weil die Geister wütend sind. Die modernen religiösen Praktiken beeinflussen uns. Religiöse Führer sagen, wir sollen nicht opfern”, sagt Mikayir. “Die Geister sind wütend, weil niemand mit ihnen spricht. Wir spüren ihre Wut.” Seit Missionare Ende des 19. Jahrhunderts nach Uganda kamen, dominiert dort das Christentum. Einer Volksbefragung von 2014 zufolge sind 85 Prozent der Bevölkerung Ugandas Christen und 14 Prozent Muslime. Nur 0,1 Prozent folgen den traditionellen örtlichen Religionen. “Die aktuelle Tradition ist ein Mischmasch aus dem Westen und dem, was vom afrikanischen Erbe übrig geblieben ist”, sagt Kanzenze. “Die afrikanischen Kultursysteme konnten dem Ansturm westlicher Religionen nicht standhalten.” Traditionell glauben die Bakonjo daran, dass allen Dingen auf der Erde eine Seele innewohnt – Tieren, Pflanzen oder auch Flüssen. Kanzenze glaubt, dass Lösungen für den Klimawandel durch eine stärkere Bindung mit dieser übermenschlichen Welt entstehen könnten. Nach dem Motto: Wenn die Natur respektiert wird, ist sie auch geschützt. In den vergangenen Monaten hat die NGO Cross-Cultural Foundation of Uganda, CCFU, in Partnerschaft mit der International National Trusts Organisation versucht, eine Brücke zwischen konventionellen Ansätzen im Kampf gegen den Klimawandel und den Anliegen der indigenen Gemeinden zu schlagen. “Auf der einen Seite gibt es Umweltschützer, die sich für Biodiversität und Erderwärmung interessieren – Konzepte, die hier sehr fremd sind”, sagt Emily Drani, Gründerin der CCFU. “Auf der anderen Seite trägt eine Community hier aus ganz anderen Gründen zu diesen Themen bei, indem sie sich um den Wald kümmert und sicherstellt, dass die Gewässer sauber sind, weil Wasser hier als heilig gilt.” Durch Unterhaltungen mit Bakonjo-Führern hat die CCFU über 50 kulturell wichtige Stätten rund ums Ruwenzori-Gebirge dokumentiert und die dort lebenden Menschen beim Pflanzen neuer Bäume und bei der Regeneration der Vegetation unterstützt.  Ronah Masika, eine Projektkoordinatorin der CCFU, ist in den Ruwenzoris groß geworden. Trotzdem war sie überrascht. “Ich wusste nicht, dass entlang der Flüsse so viele kulturelle Stätten existieren”, sagt sie. Masika führt eine Gruppe einen steilen Pfad hinab zu den heißen Rwagimba-Quellen. Sie haben ein Dutzend junge Bambusbäume dabei. Entlang des Flusses, der an die heißen Quellen angrenzt, sind bereits tiefe Löcher für die Setzlinge ausgehoben. Die Pflanzen sollen hier einen natürlichen Schutzwall bilden. “Wir achten darauf, dass wir zur Bekämpfung des Klimawandels das kulturelle Wissen der Region einsetzen”, sagt Masika. Bald werden in dem Gebiet mehr als tausend einheimische Bäume mit besonders festen Wurzeln oder medizinischem Nutzen gepflanzt. Wälder, die früher entlang der Flüsse wuchsen, sollen mit Arten ersetzt werden, die kulturellen Wert für die Bakonjo haben. So hofft man zu verhindern, dass für die Holzproduktion gerodet wird. Die Bakonjo, die sich dem Königreich Rwenzururu zugehörig fühlen, haben eine angespannte Beziehung zu Ugandas Zentralregierung. Nach Disputen über Zuständigkeiten, Land und natürliche Ressourcen gab es Bestrebungen, sich von Kampala unabhängig zu machen. Bis heute reagiert die ugandische Armee darauf mit Gewalt. 2016 wurden laut Human Rights Watch am Rand des Gebirges über 100 Menschen in der Stadt Kasese getötet, darunter viele Wachen und Vertreter des Königreichs. “Es gibt die Oberhäupter noch und sie werden weiterhin respektiert, aber im modernen politischen System haben sie ihre Macht und ihren Einfluss eingebüßt”, sagt Kanzenze. Auch die Beziehungen zu anderen ethnischen Gruppen wie den Basongora, den Bakiga und den Batooro sind angespannt. Im Distrikt Kasese machen zwei Nationalparks über die Hälfte der Fläche aus. Wenn man auch Gefängnisse und andere Regierungsinstitutionen hinzunimmt, steht der Bevölkerung weniger als ein Drittel des Landes zur Nutzung zur Verfügung. In einem Bericht des Kabarole Research and Resource Centre von 2012 heißt es: “Die Konkurrenz um Land ist relativ hoch, und Konflikte sind unabdingbar.” Weil die Bevölkerung wächst und das Land knapp wird, ist der Eingriff in ökologisch und spirituell wichtige Gebiete wahrscheinlich unausweichlich. Die CCFU versucht, Ugandas Regierung davon zu überzeugen, die kulturell wichtigen Stätten anzuerkennen und zu schützen. “Wir haben das Problem der Finanzierung. Der Kultursektor bekommt nur sehr wenige Ressourcen vom Staat”, sagt CCFU-Gründerin Drani. Vom Ministerium für Tourismus, Wildtiere und Antiquitäten heißt es, dass man aktuell eine Machbarkeitsstudie für alle Kulturerbe-Stätten im Land durchführe. Ohne substanzielle finanzielle Unterstützung von der Regierung finden die lokalen Gemeinden ihre eigenen Wege, um die kulturellen Stätten der Bakonjo vor der Erderwärmung zu schützen. Am Ekiskalhalha kya Kororo leitet Mary Kyakimwa eine Spar- und Kreditgemeinschaft und ermutigt Mitglieder der Community, in den Erhalt der Stätte zu investieren. “Wir befürchten, dass die Stätten vernachlässigt werden und verschwinden, wenn wir die Menschen nicht für ihre Bedeutung sensibilisieren – insbesondere junge Leute”, sagt Kyakimwa. Die mündlich überlieferte Kulturgeschichte stirbt, wenn die Alten sterben.  Der spirituelle Führer Mikayir ist trotz seines hohen Alters davon überzeugt, dass seine Aufgabe von seinem Sohn Ntinisyo fortgeführt wird. “Ich habe die Position von meinem Vater geerbt, der sie von seinem Vater bekommen hat”, sagt Mikayir. “Der Wasserfall ist von unseren Vorfahren bis heute geschützt worden. Auch zukünftige Generationen werden seine Bedeutung verstehen.” Folge VICE auf Facebook, Instagram, YouTube und Snapchat.
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Menschen
2021-08-30T07:59:55+00:00
2024-08-12T09:11:19+00:00
https://www.vice.com/de/article/diese-menschen-verlieren-ihre-goetter-an-den-klimawandel-natur-uganda/
Liebe Menschen: Hört auf, meinen Afro anzufassen wie einen Pudel
Tai ist vor drei Jahren aus Brasilien nach Berlin gezogen | Foto: privat Plötzlich kniet ein dicker, verschwitzter Mann vor mir. “Respekt”, sagt er. Ratlos lasse ich ihn meine Hand schütteln. “Er wollte nur sagen, dass du tolle Haare hast”, übersetzt seine Freundin für mich. Der Mann steht wieder auf und krempelt die Ärmel hoch, um mir das Tattoo seines Motorradclubs zu zeigen. Wie in einem Tierfilm über Hyänen in Süd-Äthiopien erläutert die Frau, was für Absichten sich hinter seinen Gesten verstecken: “Er will ein Foto mit dir, um seinen Freunden zu zeigen, wie interessant die Leute in Berlin sind.” Ich möchte nicht fotografiert werden wie eine touristische Sehenswürdigkeit, um später von Bikern aus der Provinz bestaunt zu werden. Aber der Mann versucht zu verhandeln: “Du kannst auch dein Gesicht verstecken.” Als ich immer noch nicht will, ist er beleidigt: Er sei ja kein CIA-Agent. Dann rauscht die U-Bahn an und somit die Gelegenheit vorbei, dem Motorradfahrer zu erklären, warum er schwarze Menschen nicht als Zirkus-Kuriositäten behandeln sollte. Seit ich aus Brasilien nach Berlin gezogen bin, fühle ich mich wie ein Popstar. Wenn ich von meiner Wohnung zur U-Bahnhaltestelle Neukölln laufe, drücken die Kinder aus dem Kindergarten im ersten Stock ihre Nasen an der Fensterscheibe platt. An der Ecke schenkt mir ein Hippie ein breites Lächeln. Fünf Minuten zu Fuß dauert mein Weg zur U-Bahn. Währenddessen höre ich mindestens zweimal “Coole Haare!” oder “Krasse Haare!”. Zwei Jungs sind angesichts meiner Frisur ganz aus dem Häuschen. Als ich merke, dass der eine versucht, mit seinem Handy heimlich ein Foto von mir zu machen, winke ich und werfe ihm eine Kusshand zu. Foto: privat Ich hätte nie gedacht, dass meine Haare so viele Fans haben werden. In Brasilien, wo ich herkomme, gilt voluminöses, krauses Haar als ungepflegt. Brasilien wird zwar gern als ein “farbenblindes” Land dargestellt, das keinen Unterschied zwischen Schwarz und Weiß kennt, und wo alle beim Karneval gemeinsam feiern und knutschen. Aber das ist ein Mythos. Schwarze oder Menschen gemischter Abstammung verdienen immer noch 40 Prozent weniger als Weiße, nur 9,8 Prozent aller Studenten sind schwarz. Die wenigsten Brasilianer wollen afrikanisch aussehen. Krause Haare gelten als “triebhaft” und “sündhaft” und die meisten versuchen, sie um jeden Preis zu glätten. In der Kleinstadt im Bundesstaat Rio de Janeiro, aus der ich herkomme, schreien mir selbst Menschen mit afrikanischen Wurzeln “Kämm dein Haar!”, “Schneid dein Haar, du Scheiße!” oder “Dein Haar ist lächerlich” hinterher. Auch meine eigene (weiße) Mutter musste ich ständig korrigieren. Sie nannte mein Haar “cabelo ruim”—zu Deutsch “schlechtes Haar”—wie meine Locken oft in Brasilien bezeichnet werden. Dabei ist es eigentlich unglaublich, dass ich in Brasilien ein Fremdkörper bin: Schwarze oder Menschen gemischter Abstammung machen die Mehrheit der Bevölkerung aus: laut einer Erhebung von 2015 53 Prozent. Sprich: Über die Hälfte der Menschen in meinem Land sieht mir ähnlich, und unsere Nachbarn traten extra aus dem Haus, wenn sie mich sahen, um mit dem Finger auf mich zu zeigen und sich über mein Haar lustig zu machen. Nur langsam fangen die Brasilianer an, ihre schwarzen Wurzeln zu akzeptieren: Beautyblogger feiern endlich ihre afrikanischen Haare und geben Pflegetipps. In Telenovelas—in Brasilien ein Gradmesser für gesellschaftliche Veränderung—kann man endlich lockige Protagonistinnen sehen. Ich hoffe, dass der nächsten Generation in paar Qualen erspart bleiben, durch die ich gehen musste. Als ich sieben Jahre alt war, hat meine Tante mein Haar zum ersten Mal geglättet. Das Verfahren dauerte vier Stunden und hat sich nicht nur in meine Erinnerung gebrannt, sondern auch in meine Kopfhaut: in Form von Brandwunden auf meinem Kopf. Aber es half nichts. “Wer schön sein will, muss leiden”, hieß es dann die nächsten Jahre für mich—und für Millionen anderer Mädchen. Erst Ende der 90er, da war ich 12, habe ich mich getraut, mit Naturlocken zur Schule zu gehen—inspiriert von Mel B von den Spice Girls. Sie konnte tun und lassen, was sie wollte. Ich nicht. Meine Klassenkameraden mobbten mich so heftig, dass es ein weiteres Jahrzehnt dauerte, bis ich mich traute, meine Haare natürlich zu lassen. Als ich das erste Mal seit Jahren meine Naturlocken angefasst habe, dachte ich: “Sie sind so weich, ein Kunstwerk der Natur.” Seitdem sind meine Haare und ich endlich versöhnt. An meinem ersten Tag in Berlin, als ein faszinierter Punk mein Haar anfassen wollte, konnte ich kaum glauben, dass sich jemand gleichermaßen dafür begeistert. Ich ließ es zu, klar. Und so ging das weiter. Auf Partys, mitten im Smalltalk, auf der Straße ließ ich mehr oder weniger bekannte Neugierige meine Haare tätscheln. Bis mir auffiel, dass diese Aufmerksamkeit im Grunde die gleichen Wurzeln hat wie die Sprüche in meiner Heimatstadt: Beide erinnern mich daran, dass ich anders bin. Ich möchte nicht ständig im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Ich will, dass mein Äußeres als normal gilt. Das Fass war voll, als eine mir völlig fremde Oma, ohne zu fragen, nach meinem Haar griff. Ich meine: Hätte ich das gleiche gemacht, die Geschichte würde vermutlich auf der Polizeiwache enden. Ich verstehe, dass es niemand böse meint. Ich würdige die Komplimente. Ich kann nachvollziehen, dass Deutsche meine Haare als exotisch empfinden, neugierig sind. Fragt mich, ich antworte gern. Wenn wir gut befreundet sind, lasse ich euch sogar anfassen. Aber bitte behandelt mich nicht wie ein sonderbares Objekt, sondern wie einen Menschen, mit seinen Grenzen, die man nicht überschreiten darf. Ich habe es satt, eine Kuriosität zu sein. Man kann mich nicht einfach so anfassen wie einen Schoßhund, obwohl man auch das bei fremden Hunden nicht machen sollte. Mein Haar ist kein Pudel, sondern ein Widerstandssymbol.
Tai Linhares
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2016-08-25T13:21:00+00:00
2024-07-30T22:12:35+00:00
https://www.vice.com/de/article/fass-mich-nicht-an-meine-frisur-ist-kein-pudelsondern-widerstand/
Marsch für’s Läbe? Wasser marsch!
Mit „Weil Maria hat geboren ist die Welt noch nicht verloren!” richtete sich Daniel Regli, der Organisator der „Marsch für’s Läbe”-Antiabtreibungsdemo, an sein Publikum. Nicht ohne den Kommentar, dass „unsere Freunde da drüben rufen werden: Hätt’ Maria abgetrieben, wärt ihr uns erspart geblieben.” Dass Menschen, die Gott mögen, denken, dass er anwesend oder zumindest entschuldigt abwesend ist, ist deren gutes Recht. Sie dürfen auch eine politische Einstellung haben, so wie der alt-EDU-Nationalrat Markus Wäfler, der meinte: „Christen können beten und wählen.” Und ja, wenn sie es wie Markus Wäfler nötig haben, die Weltkriege mit Abtreibungen gleichzusetzen, ist das irgendwie auch noch einzuordnen. Aber wenn kleine Kinder auf einem riesigen Buggy durchkutschiert werden, Kinder selbst zum Demo-Symbol, also quasi zum Bioform-Transparent erhoben werden, ist das eher unschön. Richtig widerlich ist die Behauptung von Daniel Riegel, dass Richard Dawkins (und jeder, der halbwegs so denkt wie er) jeden behinderten Menschen abtreiben wolle. Als nächste erhält die Mutter eines Kindes mit Trisomie 21 das Mikrofon und erzählt von ihrer Liebe für Kind und Gott. Danach darf eine junge Frau mit Down-Syndrom von ihrem Arbeitsplatz bei der Verkehrspolizei berichten. Liebe Leute, das ist ziemlich off-topic. Beim Recht auf Abtreibung geht es um Notsituationen, um Zwang und Selbstbestimmung, nicht um das Lebensrecht von Menschen mit Behinderungen. Es geht um das Selbstbestimmungsrecht von Frauen. Es geht um Kinder, denen ein Leben aufgezwungen wird, das vielleicht niemand wollte (in der Schweiz) oder nicht lebenswert gestaltet werden kann (Ihr kennt ja sicher die afrikanischen Kinder aus der Worldvision-Werbung). Daniel Riegel forderte nochmals „die starken Männer in der Demo auf, Frauen, Kinder und Behinderte zu beschützen.” Dann trottete der „Marsch für’s Läbe” hinter zwei Saxofonen los. Aber anyway: Zum Glück bleibt mir die Demo, also vor allem die Gegendemo, nicht wegen der Fundi-Inhalte in Erinnerung. Es war nämlich die erste Demo in der Wolff-Ära, bei der die Polizei keinen sauberen Kessel machen konnte. Kaum hielt der Wasserwerfer beim Bürkliplatz an, spritzte er schon auf die dort versammelte Hundertschaft Gegendemonstranten. Andrea Stauffacher krähte ins Megafon. Aber der Wasserwerfer machte weiter, nur wenige Meter von den Touris am Seeufer und dem Samstagsflohmarkt entfernt. Der Wasserwerfer war schon in Gang als Polizeivorsteher Wolff mit dem Velo auf eine Verkehrsinsel angekommen ist. Wolff wollte das Velo direkt dort abschliessen. Unser Fotograf fragte: „Ist denn das hier ein Veloparkplatz?” Wolff blickte rasch über seine Schulter und zog mit Velo weiter. Als der „Marsch für’s Läbe” den Bürkliplatz passieren konnte, begann die Jagd erst richtig. Längst waren die Abtreibungsgegner nur noch ein abgeriegeltes Feindbild. Die Farb- und Dreckwasserballons trafen Polizeischilder, keine Christen. Immer wieder kamen Grüppchen aus Seitenstrassen und pfiffen für eine halbe Minute, bevor sie wieder wegrannten. Auch an Orten, die unbewilligte Demos sonst nie und schon gar nicht an sonnigen Samstagnachmittagen erreichen, wie der Paradeplatz oder die Bahnhofstrasse. Die Bahnhofstrasse?! Als der Fotograf und ich aus einer Seitenstrasse zurück zu den Christen spurteten, heischte uns ein Sympathieträger in Uniform an: „Das ist die zweite Verwarnung! Beim nächsten Mal nehme ich sie rein. Haben Sie mich verstanden? Das ist eine polizeiliche Anweisung. Ich will Sie nicht mehr ausserhalb der Bahnhofstrasse sehen!” Da half weder Presseausweis noch Visitenkarte. Aber für Bilder hätte man uns an keine bessere Location zwingen können: Wann fährt sonst schon ein Wasserwerfer durch das Bahnhofstrassen-Gewusel aus betuchten Konsumsüchtigen? Und überall pfiff und rannte es weiter. Bei einer Atempause an einer Hausecke trafen wir Antiabtreibungs-Aktivist Daniel Regli ausserhalb seiner Demo. VICE: „Entspricht der Verlauf der Veranstaltung Ihrer Zufriedenheit?” Regli: „Es tut mir einfach so leid, dass die Polizei kommen musste. Wegen uns hätte sie nicht kommen müssen.” Nach der Demo jubelten die wieder versammelten Abtreibungsgegner zwei Instanzen zu: Gott und der Zürcher Stadtpolizei. Folge Benjamin auf Twitter: @biofrontsau Folge Jan auf Twitter: @0xTry Alle Fotos von Jan Müller VICE-Autor Florian Vock in friedlicher Demofreude.
Benjamin von Wyl
[ "Antifa", "christen", "demo", "Fotos", "Fundamentalisten", "News", "ProChoice", "Vice Blog" ]
2014-09-22T09:08:00+00:00
2024-07-31T04:00:20+00:00
https://www.vice.com/de/article/marsch-fuers-laebe-wasser-marsch-667/
Druide, Segway-Fahrer, Judenhasser: Burghard B. soll Kopf einer rechten Terrororganisation sein
Screenshot: YouTube Stellt euch einen alten Mann vor, der aussieht wie ein harmloser, kauziger Nikolaus, aber Monologe über die jüdische Lüge hält. Das ist Burghard B., wie ihn unser Autor letztes Jahr auf der Gegendemo zur Bilderberg-Konferenz in Dresden erlebte. Burghard B. behauptete, die “Bilderberger” seien überwiegend Juden, “die sich selbst als Rasse und als auserwähltes Volk” sähen. Die Juden würden die Deutschen vernichten wollen. An diesem Tag bekam Burghard B. eine Anzeige wegen Volksverhetzung. Weshalb er angezeigt worden sei, könne er sich nicht erklären, sagte er später. Jetzt hat die Polizei den 62-Jährigen verhaftet. Er soll Kopf einer rechtsterroristischen Vereinigung sein. Mit fünf anderen soll sein Ziel gewesen sein, “bewaffnete Angriffe auf Polizeibeamte, auf Asylsuchende und auf Menschen jüdischen Glaubens” zu begehen, sagte die Sprecherin der Bundesanwaltschaft. Beamte durchsuchten zwölf Wohnungen in sechs Bundesländern, nahmen zwei Menschen fest. Sie fanden Waffen, Munition und Sprengmittel. “Anhaltspunkte für ganz konkrete Anschlagsplanungen” gab es laut der Staatsanwältin nicht. Waffen, Munition und Sprengmittel sind zumindest Hinweise darauf, dass die Gefahr, die von der Gruppe ausging, nicht so unkonkret war. Die Zahl rechtsextremistisch motivierter Straftaten in Deutschland ist im Jahr 2015 enorm angestiegen: 42,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, so die Zahlen des Verfassungsschutzes. Vor allem mit autonomen rechtsextremistischen Gruppen ohne direkte Verbindungen zu Organisationen tut sich unser Verfassungsschutz besonders schwer – also mit Menschen, die sich nicht über eine Organisation als Neonazis bekennen, sondern Reden schwingen, auf Facebook hetzen und sich dort zusammenschließen. Ob die Vereinigung um den weißbärtigen Druiden sich autonom organisiert hat, prüft die Bundesanwaltschaft gerade. Die Gruppe um Burghard B. stehe den Reichsbürgern, die der Verfassungsschutz teilweise beobachtet, ideologisch aber auf jeden Fall nahe. Auf der Bilderberg-Demo, wo unser Autor auf ihn traf, sprach er etwa neben dem bekennenden Reichsbürger Christian Bärthel. Gemeinsam standen sie zwischen Wohnwagen, Compact-Plakaten und Deutschland-Fahnen. Bärthel wurde bereits wegen Volksverhetzung verurteilt, der Thüringer Verfassungsschutz stufte ihn 2003 als Rechtsextremisten ein. Es mutet grotesk an: ein alter Mann, der sich auf YouTube beim Segwayfahren und Eisessen in Schwetzingen nahe Heidelberg zeigt, auf seine Visitenkarte “Menschenrechtler und Keltischer Druide” schreibt – und menschenverachtende Hetze verbreitet und sich auf rechtsterroristische Anschläge vorbereitet haben soll. Wer ist Burghard B.? 2008 porträtierten ihn die Osthessen-News und der Bayerischen Rundfunk noch liebevoll als Randgestalt, sie verglichen ihn mit dem Druiden Miraculix aus Asterix (“Burgos von Buchonia hätte Miraculix entzückt“). Auf den ersten Blick wirkt Burghard B. tatsächlich einfach wie ein verwirrter alter Mann mit weißem Bart und weiß-güldener Kutte. Er nennt sich Burgos von Buchonia und sagt, er sei vor 2.500 Jahren geboren. Wanderern erzählt er im Mittelgebirge Rhön von edlen Recken und holden Maiden. Laut BR gab er Führungen in einem mittlerweile geschlossenen Museum, laut Main Post machte er sogar Wanderungen mit dem SPD-Ortsverein. Doch wie wir jetzt wissen, ist Burghard B. eben kein harmloser alter Mann, wie es für Journalisten und Politiker damals scheinen mochte. Auf Facebook und dem russischen Pendant VK.com hetzt er gegen Juden und Flüchtlinge. Zuletzt etwa: “Wenn nun die Rechten so viel Arsch in der Hose hätten, wie sie an der Tastatur vorgeben zu haben, gäbe es keine linken Schmierereien und Angriffe mehr. (…) BANKEN HÄTTEN KEINE MACHT MEHR UND DIE JUDEN WÜRDEN FREIWILLIG EUROPA VERLASSEN.” Noch hetzerische, menschenverachtende Aussagen finden sich dort auch, ersparen wir euch aber hier. Die NPD engagierte Burgos von Buchonia übrigens im letzten Jahr für ihr “Kulturprogramm”. Screenshot von der Website der NPD Bayern Auf YouTube lädt er nicht nur Segway-Videos hoch und Filme, in denen er Eis isst, sondern auch seine Reden von Demos. Auf der Gegendemo zur Bilderberg-Konferenz sprach er zum Beispiel über fleißige Deutsche, denen alles weggenommen werde. (Wir verlinken das Video nicht, weil wir davon ausgehen, dass ihr keinen Bedarf an den Reden eines mutmaßlichen Rechtsextremisten habt.) Unser Autor brach das Gespräch auf der Demo mit dem selbsternannten Druiden übrigens ab – weil der alte Mann auf Widerspruch zu seinen kruden Theorien zur jüdischen Weltverschwörung nicht einging und unser Autor es nicht mehr aushielt. Ein Mensch, der noch bereit für Diskussionen ist, ist dieser mutmaßliche Gründer einer bewaffneten, rechtsterroristischen Gruppe, wahrlich nicht. Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.
VICE Staff
[ "druide", "Rechtsextremismus", "Rechtsterrorismus", "Reichsbürger", "terror" ]
2017-01-26T13:16:04+00:00
2024-07-30T19:12:35+00:00
https://www.vice.com/de/article/ypndq7/druide-segway-fahrer-juden-hasser-burghard-b-soll-kopf-einer-rechten-terrororganisation-sein
Touristenparty
Foto von Grey Hutton 782 Hotels gibt es in Berlin. Seit 2002 hat sich die Zahl der Übernachtungen pro Jahr fast verdoppelt, auf mehr als 20 Millionen. Was die alle hier wollen? Party machen, natürlich. Blöd nur, dass man in einer fremden Stadt gar nicht weiß, wohin. Man kann ja nicht in irgendeine Bar gehen, es muss schon was Authentisches sein. Aber nachdem heutzutage alle Bereiche des Lebens dienstleistungstechnisch optimiert werden können, gibt es hier seit ein paar Jahren eine Lösung für das Problem: die sogenannten „Pub Crawls“. Die Veranstalter des Insider Pub Crawl werben damit, dass sie einen „an Orte mitnehmen, die man ganz einfach nicht alleine finden würde.“ Das Ganze dauert fünf Stunden und kostet zwölf Euro. Ich stehe um 20 Uhr am Hackeschen Markt und werde dort von Simone begrüßt, der hyper-kompetenten Managerin. Innerhalb der nächsten Stunde tauchen ungefähr 30 Pub-Crawler auf, was ich beängstigend viel finde, Simone aber mit einem Achselzucken abtut: „Im Sommer werden es schon mal mehr als 100.“ Mit dabei: zwei Amerikaner, eine riesige Gruppe Schweden, ein paar erstaunlich zurückhaltende Australier und, siehe da, ungefähr fünf zugezogene Deutsche. Schon in der zweiten Bar fragt mich die Amerikanerin misstrauisch, ob das denn wirklich Orte seien, an die man als Berliner hinginge. Weil ich nett bin, beruhige ich sie, aber ich kenne niemanden, dem das im Traum einfallen würde. Alle Bars, die wir besuchen, sind charakterlose Touristenfallen, über die der Easy-Jetset mit Sicherheit auch so gestolpert wäre. Vor jedem Ortswechsel müssen alle schnell austrinken und im Zweifelsfall ihre Getränke in Plastikbecher schütten. Selbst wenn man also nichts gegen die Atmosphäre hat, kann es doch nicht amüsant sein, sich den Hedonismus so reglementieren zu lassen. Was also ist der Grund, aus dem man an sowas teilnimmt? Erst nach Mitternacht, auf dem Weg zum q-dorfig anmutenden Matrix rückt eine der Amerikanerinnen mit der Wahrheit raus: „Hier sprechen alle Englisch, das ist einfach leichter, als sich mit Deutschen zu unterhalten.“  
Theresia Enzensberger
[ "Berlin", "feiern", "Jahrgang 9 Ausgabe 3", "Kneipen", "News", "Party", "pub crawl", "The Cultural Atrocities Issue", "Vice Blog", "VICE Magazine" ]
2013-03-26T07:00:00+00:00
2024-07-31T05:44:48+00:00
https://www.vice.com/de/article/touristenparty-0000441-v9n3/
Nie wieder Feine Sahne Leberwurst für den Verfassungsschutz
Foto: Ole Olé Die Aufregung um Feine Sahne Fischfilet ist dieser Tage mal wieder besonders groß—erst wird die Band vom Riesaer Stadtfest ausgeladen, weil ein NPD-Mann investigativ herausgefunden hat, dass die Band im letztjährigen Verfassungsschutzbericht des Landes Mecklenburg-Vorpommern erwähnt wird (in dem übrigens auch die NPD erwähnt wird) und dann erscheint nur einen Tag später der neue Verfassungsschutzbericht und siehe da, noch mehr Feine Sahne. (Ihr könnt das Werk hier lesen, ab Seite 58) Liest man sich das Ding mal durch, kann man nur zu folgendem Urteil kommen: Die Herren vom Verfassungsschutz sitzen den ganzen Tag vorm Internet, haben Noisey auf eins in der Lesezeichenleiste gespeichert, mampfen lecker Wurst aus dem Feine Sahne Fischfilet-Präsentkorb, lesen alles und jeden Artikel auf unserer schönen Internetseite und werden dabei dicker und dicker. Und wenn dann zum Jahresende der Abteilungsleiter von seinem Thron steigt und wütend schreit: „Wo bleibt der diesjährige Bericht, Männers!“, bricht allenthalben Panik aus. Fuck, da war ja was, Bericht, Bericht, schon wieder ein Jahr rum! Aus Mangel an Alternativen kopieren die Jungs dann einfach in den Bericht, was sie eh das ganze Jahr lesen, also Zitate aus unseren Artikeln und weil es auf Noisey nur eine Band mit der Textzeile „Goethe ist scheiße, Goethe ist Dreck!“ gibt, fällt in diesen Zitaten immer wieder der Name Feine Sahne Fischfilet. Um Nazibands geht es in dem Bericht dagegen kaum. Dass es in Mecklenburg-Vorpommern keine Nazibands gibt, kann nicht der Grund sein. Aber woran liegt es dann? Vielleicht daran, dass wir nicht darüber berichten? Wir wissen es nicht. Also haben wir unseren Freund und Sänger der Band Feine Sahne Fischfilet Monchi Fromm gefragt. Noisey: Der Verfassungsschutzbericht nennt euch einen politischen Zusammenschluss. Nehmt ihr eigentlich noch Mitglieder auf?Monchi: Bandmäßig sind wir abgedeckt. Jemand, der aber für uns in den Backstagebereichen kurz vorm Abhauen die Kühlschränke plündert, können wir immer gebrauchen. Es steht im Bericht, ein Bandmitglied wurde wegen Beamtenbeleidigung verurteilt. Was ist da passiert?Jo, einer von uns hat einen Polizisten mal „Faschist“ genannt. Der Verfassungsschutz hat euch mehr als eine Seite gewidmet, was recht viel ist. Wie erklärst du es dir, dass in dem Bericht die Existenz rechtsradikaler Bands dagegen lediglich oberflächlich gestreift wird, aber kaum detaillierte Informationen vorliegen?Wir sind halt Social Network Hools, treten öffentlich auf und geben dann auch noch irgendwelchen halbseriösen Internetplattformen Interviews. Haha, vielen Dank.Im Ernst, bei uns brauchen die nur vorm Internet hocken und ihre Donuts futtern, dann wissen sie schon so richtig mächtig Bescheid. Nazibands wie Painful Awakening oder Path of Resistance gehören seit Jahren zum Umfeld des verbotenen neonazistischen Blood and Honour-Umfeld, welches auch gute Kontakte zum NSU pflegte. In Meck-Pomm gibt es ohne Ende Nazibands und augenscheinlich ist es den Schlapphüten auch einfach mal scheißegal, was dort passiert. Aber wir wollen hier ja auch keinen noch besser ausgestatteten VS fordern. Was wir als wichtig empfinden, wäre eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema Neonazis in Meck-Pomm. Die Leute, Zivilgesellschaft und antifaschistische Initativen dürfen sich auf keinen Fall im Kampf gegen die Faschos auf den Staat verlassen. Dat ist ‘nen Fakt und damit haben wir 100 Prozent Recht. via Es heißt weiter, ihr würdet eure musikalische Bekanntheit dazu nutzen, Fans zu beeinflussen. Hand aufs Herz, betreibt ihr mit eurer Musik Gehirnwäsche und verwandelt junge treue Anhänger der freiheitlich demokratischen Grundordnung in subversive Elemente?Ja. Wir wollen nur deine Seele… Im Bericht wird sehr ausführlich aus unserem Interview zitiert. Bist du vorsichtiger geworden, was Äußerungen in Medien und Öffentlichkeit angeht?Das, was wir sagen ist richtig. Das, was wir sagen ist nicht einfach mal so daher gelabert. Wir, Freunde von uns, andere Menschen die nicht in das Weltbild der Nazis passen, haben hier 1000 mal auf die Fresse bekommen. Wenn mir dann irgendein Sesselfurzer erzählen will, dass die kleinen, armen Faschos doch auch nur Opfer der beschissenen Verhältnisse sind, dann kriege ich das Kotzen. Ich feiere keine sinnlose Gewalt ab, aber ich werde auch keinen auf Oberpazifisten machen, wenn Nazis wie David Petereit, der seit Jahren hier landesweit rassistische Hetze betreibt, mal ‘nen paar nonverbale Denkanstöße bekommt… Offensichtlich sind die Beamten beim Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern Stammleser unserer Seite. Auch jetzt wird garantiert mit Interesse mitgelesen. Gibt es etwas, was du gegenüber der Behörde schon immer mal loswerden wolltest?Ja: Eure Behörde gehört abgeschafft. Nochmal bekommt ihr keinen Leberwurstpräsentkorb von uns. Kurz gesagt: Ihr seid Scheiße. Wir und unsere Homies sind geil! Nach der letzten Erwähnung im Verfassungsschutzbericht gab es einen Fresskorb für die Beamten. Was ist diesmal geplant?Die Revolution. Und wenn das nicht klappt, erstmal 1000 weitere, geile, abgefuckte Konzerte und ‘nen Besuch mit unseren besten Dudes im Heidepark Soltau, mit Go-Kart-Rennen im Anschluss. Danke Monchi. PS: Feine Sahne versprechen bei Facebook: „Das war das letzte Statement für diese Woche, wir machen jetzt nur noch Arschbomben in die Ostsee.“ Also lasst sie endlich in Ruhe mit dieser verfassungsgefährdenden Scheiße. PPS: Es geht uns wirklich auf die Eier, dass Spiegel Online in diesem Bericht als Spiegel Online bezeichnet wird, Noisey dagegen als „Noisey“. „Noisey“? In Anführungszeichen? Im Ernst? Immerhin ist Noisey inzwischen richtig geschrieben und nicht wie im letzten Jahr ohne e. ** Folgt Noisey bei Twitter und Facebook für tägliche Updates. MEHR VON NOISEY
Andreas Richter
[ "Antifa", "Blood And Honour", "Features", "Feine Sahne Fischfilet", "Interview", "Mecklenburg Vorpommern", "Monchi Fromm", "Music", "Naziband", "Nazis", "Noisey", "Noisey Blog", "Punk", "Verfassungsschutz" ]
2013-08-08T14:30:00+00:00
2024-07-31T04:56:27+00:00
https://www.vice.com/de/article/der-verfassungsschutz-kriegt-keine-wurstkorbe-mehr-von-feine-sahne-fischfilet/
Warum der nächste europäische MVP aus Griechenland kommt
Obamas Auftreten in der Öffentlichkeit ist in der Regel ziemlich lässig. Bei seinem letzten Griechenlandbesuch als US-Präsident verhaspelte er sich dennoch kurz. Man kann es ihm nicht verübeln—es gibt weitaus unkomplizierte Namen als „Giannis Antetokounmpo”, der deswegen häufig nur „The Greek Freak” oder „The Human Alphabet” genannt wird. „Er scheint jedes Jahr besser zu werden”, meinte Barack Obama und hatte damit Recht: Der Grieche, der mit zarten 21 Jahren schon vier NBA-Saisons auf dem Buckel hat, ist momentan der beste Europäer der Liga. Nachdem ihn sein Coach und Aufbau-Legende Jason Kidd in der letzten Saison von der Shooting auf die Point Guard-Position verschob, explodierten seine Stats förmlich. Für die Playoffs wird es wahrscheinlich auch dieses Jahr nicht reichen. Jedoch müssten wir uns schwer täuschen, wenn der nächste europäische MVP nicht aus Griechenland käme. Die aktuelle Saison ist zwar erst ein paar Wochen alt, doch es zeichnet sich bereits ein MVP-Rennen ab, das so offen ist, wie lange nicht mehr. Neben LeBron und den „Superschurken” von den Warriors, gibt es eine ganze Reihe anderer Kandidaten, die sich mit außergewöhnlichen Leistungen um den Titel des besten Spielers der Liga bewerben. Man denke an James Harden, Russell Westbrook, DeMar DeRozan und Damian Lillard. Direkt dahinter kommt allerdings schon Giannis Antetokounmpo. „The Greek Freak” startete ebenfalls sensationell in die Spielzeit. Auf seinem Statistikbogen lesen sich bisher 21.8 Punkte, 8.9 Rebounds, 5.5 Assists, 1.9 Steals und 2.1 Blocks pro Spiel. In jeder der genannten Kategorien hat er sich im Vergleich zum Vorjahr verbessert—obwohl er weniger Minuten spielt. Außerdem ist er mit seinen 21 Jahren noch meilenweit von seiner Prime entfernt. Kaum jemand schaffte es, bereits in diesem Alter alle Facetten des Spiels so gut zu vereinen: Antetokounmpo könnte deshalb der erste Spieler in der Geschichte der NBA werden, der eine 20-8-5-2-2-Saison spielt. Das liegt in erster Linie an den physischen Voraussetzungen von Giannis, die einfach nur verrückt sind. Seine schlaksige Statur und seine ewig langen Arme ermöglichen ihm Dinge, von denen andere Spieler nur Träumen können. Damit seine Fähigkeiten auf dem Court bestmöglich genutzt werden können, wird er seit letzter Saison als Playmaker eingesetzt—bei einer Körpergröße von 2,11 Metern. Im Vergleich zu seinen Aufbaugegnern ist er ein wandelndes Missmatch. In den letzten 28 Spielen der vergangenen Saison legte er so fünf Triple-Doubles auf und gab damit seinem Team—vor allem nach der Verletzung von Khris Middleton—weiterhin eine Richtung und einen Leader. Dass Giannis als Point Guard so floriert, liegt vielleicht auch an seinem Vorbild: Allen Iverson. Gegenüber der NBPA verriet er: „Ich hatte sogar Cornrows. Ich wollte wie er sein, als ich meine kleinen Brüder ausdribblte.” Z-Bo ahnt nichts Gutes. Foto von Benny Sieu-USA TODAY Sports Sein Vater war ein Fußballprofi in Nigeria und seine Mutter eine Hochspringerin. Beide sportlichen Veranlagungen konnte Giannis für sich nutzen: Seine exzellente Beinarbeit, aber auch seine explosive Sprungkraft machen sein Spiel einzigartig. Seine Fähigkeit ins Eins-gegen-Eins zu gehen und seinen Zug zum Korb erinnern an den Basketball der neunziger Jahre. Die Ursache der Faszination um ihn: „The Greek Freak” mischt Athletik mit der europäischen Spielphilosophie, die mehr auf Taktik und Technik beruht. Übrigens ist Giannis nicht das einzige Basketball-Talent in der Antetokounmpo-Familie: Sein älterer Bruder Thanasis konnte bereits NBA-Luft schnuppern und auch sein kleiner Bruder Kostas ist auf dem besten Weg dorthin. Mittlerweile wohnt seine komplette Familie bei ihm in Milwaukee. Seine Entwicklung hätte kaum besser verlaufen können, denn seinem Jahrgang ist er—auch wegen dem Erfahrungsbonus—schon lange enteilt. Das Problem des „Bucks”-Franchises ist ein anderes. Im Gegensatz zum 21-Jährigen weisen alle anderen Spieler eklatante Defizite auf: Jabari Parker ist zwar eine Scoring-Maschine, dafür aber in der Defense völlig überfordert. Cavs-Neuzugang Matthew Dellavedova sorgt für ein gutes Ballmovement, sucht aber immer noch seinen Wurf. Greg Monroe hat im Vergleich zum Vorjahr ebenfalls einen Gang runter geschaltet und der Rest der Rotation ist einfach nicht stark genug um Spiele zu entscheiden. Durch diese Umstände tut auch Khris Middletons Knieverletzung doppelt weh: Mit dem Shooting Guard wird in den nächsten vier Monaten nicht zu rechnen sein. Da dem Kader momentan die Qualität für den großen Wurf fehlt, muss man das Jahr nutzen um weiterhin an den Fähigkeiten des griechischen Rohdiamanten zu feilen. Dann wird er wohl auch bald dazu in der Lage sein, sein Team zu tragen. Sollte ihn keine Verletzungen stoppen, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis er in einem Atemzug mit Stephen Curry, LeBron James und Russell Westbrook genannt wird. Man lehnt sich auch nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man sagt, dass er nach Dirk Nowitzki wohl der zweite europäische MVP wird. Das Feld europäischer Superstars bleibt auch nach den Gasol-Brüdern und Dirk weiterhin dicht besiedelt—trotzdem sticht „The Greek Freak” heraus. Solange Kristaps Porzingis bei den Knicks spielt, wird er nach Carmelo Anthony in der Offensive erstmal nur die zweite Option bleiben. Auch wenn sich beide Teams im Rebulid-Prozess befinden, bleibt New York mit dem Team alternder Superstars auch in den nächsten Jahren eine Wundertüte. Bei den Bucks gibt es zum einen ein ruhigeres Umfeld und zum anderen einen erkennbaren Plan. Wenn man die Deutschlandbrille auszieht, hat Dennis Schröder zwar immer noch das Potenzial ein Allstar zu werden, muss sich aber erstmal als Starter beweisen, bevor er je Teil einer MVP-Diskussion werden könnte. Sämtliche anderen Europäer in der Liga sind von der Trophäe soweit entfernt, wie Charles Barkley von einem Meisterschaftsring. Ohne Kampf kein Ball. Foto von Benny Sieu-USA TODAY Sports Dieses Jahr wird die Bucks-Saison wohl Mitte April enden. Denn abgesehen von den Brooklyn Nets warten in diesem Kalenderjahr nur Titelaspiranten und Playoff-Kandidaten auf die Bucks. „The Greek Freak” macht zwar alles was in seiner Macht steht, aber er bekommt dabei einfach zu wenig Unterstützung von seinem Team. Daher wird man spätestens beim Allstar-Break ausgeträumt haben, was die Playoffs betrifft. Das muss aber auf lange Sicht nichts Schlechtes bedeuten: Ohne den Druck der Playoffs hat Middleton alle Zeit der Welt um seine Verletzung vollständig auszukurieren und außerdem könnte man im Draft ein weiteres Puzzlestück für einen Contender aus Wisconsin ziehen. Denn der MVP-Titel geht schließlich mit dem Teamerfolg einher. Natürlich ist es für „The Greek Freak” noch ein weiter Weg zum besten Spieler der Liga. Zwar kann er seinen teilweise etwas wackeligen Jumpshot aus der Mittel- und der Dreierdistanz durch seine tödlichen Drives zum Korb kompensieren—dennoch besteht hier Arbeitsbedarf. Die Dreierquote von 17,4 Prozent ist selbstverständlich mehr als ausbaufähig. Bekommt er das hin, ist ihm ein MVP-Titel in den nächsten zehn Jahren beinahe garantiert. Sollte er es dennoch nicht schaffen, setzen wir auf seinen kleinen Bruder Kostas.
Dominik Putnai
[ "Basketball", "Giannis Antetokounmpo", "jabari parker", "Milwaukee Bucks", "nba", "Sports", "the greek freak", "US-Sport", "VICE Sports" ]
Sports
2016-11-18T15:45:00+00:00
2024-07-30T23:31:19+00:00
https://www.vice.com/de/article/greek-freak-mvp-222/
Anschläge in NY: Auf Yelp verreißen Leuten den Laden der Eltern von Ahmad Khan Rahami
Die letzten Tage haben New York und New Jersey heftig erschüttert: Mehrere Sprengsätzewurden an öffentlichen Plätzen gefunden. Einer davon explodierte im beliebten Stadtteil Chelsea in Manhattan, wobei 29 Menschen verletzt wurden. Gestern hat die Polizei dann Informationen zu einem der Hauptverdächtigen der Bombenanschläge preisgegeben: Millionen von Amerikanern wurden per Handy vor Ahmad Khan Rahami gewarnt inklusive Foto, Beschreibung und Informationen zu seiner Familie und seiner Geschichte. Nur ein paar Stunden danach wurde Rahami bei einem Schusswechsel mit der Polizei gestellt. Ahmad Rahami, der in Afghanistan geboren wurde und in Elizabeth in New Jersey lebt, und seine Familie hatten juristische Probleme mit der Stadt, so der Bürgermeister J. Christian Bollwage. Bei einer Pressekonferenz gestern sagte er, dass das Familienrestaurant First American Fried Chicken 24 Stunden geöffnet war, was zu Beschwerden von Nachbarn führte, weil es bis spät in die Nacht laut und gut gefüllt war. Der Stadtrat hat dann beschlossen, dass das Restaurant nur noch bis 22 Uhr geöffnet sein darf, diesen Beschluss ignorierten die Rahamis jedoch und bedienten auch noch spätnachts Kunden. Als ein Polizist dann die früheren Schließzeiten durchsetzen wollte, wurde er von Ahmads Bruder angegriffen, der daraufhin verhaftet wurde. Ihm gelang es, nach Afghanistan zu fliehen und die Familie verklagte Bürgermeister, Stadtrat und die Polizei wegen Rassen- und ethnischer Diskriminierung. Der Bürgermeister versichert jedoch, dass einzig und allein die Beschwerden wegen Ruhestörung und nicht die Herkunft der Familie der Auslöser für das harte Durchgreifen waren. Foto via Google Jetzt wird die Yelp-Seite des First American Fried Chicken von Usern zugemüllt, viele behaupten, der Imbiss sei ein Nährboden für Terrorismus und sie posten Witze über Schnellkochtöpfe und Schweinefleisch. „Ihr Restaurant sollte für immer geschlossen werden und jedes Mitglied ihrer Familie sollte wieder zurück nach TERRORSTAN abgeschoben werden”, schreibt ein User aus Dallas, Texas. „Das beste Hühnchen aus dem Schnellkochtopf an der ganzen Ostküste”, reiht sich ein User aus Corona in Kalifornien ein. „Bleibt von diesem Restaurant weg, wenn ihr eure Eingeweide nicht überall verteilt haben wollt.” Yelp selbst kündigt mittlerweile an, die Kommentare zu entfernen—egal ob positiv oder negativ—, die nur durch den Medienrummel entstanden sind und keine wirkliche Rezensionen sind. Und in der Tat finden sich vereinzelte Kommentare, in denen sich User gegen die konstanten Beleidigungen und Drohungen stellen. Seit der Kommentarflut ist die Bewertung des Restaurants auf 1,5 Sterne abgesackt. Bevor bekannt wurde, dass Ahmad der Hauptverdächte der Bombenangriffe ist, waren die Rezensionen durchweg positiv, ein User lobte die Halal-Burger, ein anderer liebte das frittierte Hühnchen, die Pommes und die jamaikanischen Teigtaschen. Wie die New York Times berichtet, beschrieben Stammkunden Ahmad als freundlich, er „hing mit Freunden vor dem Restaurant ab” und hat den Stammkunden oft gratis Hühnchen gegeben.
[ "Ahmad Khan Rahami", "Anschläge", "Denken", "Food", "Internet", "Munchies", "new jersey", "New York", "terror", "yelp" ]
2016-09-20T12:00:04+00:00
2024-08-12T10:27:35+00:00
https://www.vice.com/de/article/anschlaege-in-ny-auf-yelp-verreissen-leuten-den-laden-der-eltern-von-ahmad-khan-rahami/
Mode-Shoot: En Vogue
Korsett von Jean Paul Gaultier, Vintage-Kimono, Gürtel von Issey Miyake, Schuhe von der Stylistin angefertigt, Headpiece von Takayuki Shibata FOTOS VON STOLTZE UND STEFANIE STYLING: JULIEN ALLEYNE Fotoassistenz: Felix Glasmeyer und Steven Yatsko Stylingassistenz: Milton Dixon Set-Design: Ian Salter bei De Facto Assistenz Set-Design: James Glyant Produzent vor Ort: Andres Burgos Casting: Edward Kim bei the Edit Desk Make-up: Kento Utsubo Assistenz Make-up: Mayumi Kibe Haare: Takayuki Shibata und Michiko Yoshida benutzen Bumble and bumble Models: Aishika und Li Ming bei Ford, Jaunel Mckenzie bei Fusion, Tatyana Cooper bei the Lions, Nykhor Paul bei Red, Victoria Brito bei Muse Besonderen Dank an New York Vintage Oberteil von der Stylistin angefertigt, Halsketten von Dinosaur Designs, Haarband von Takayuki Shibata Kleid von Anna Stephenson, Halskette von Cornelia Webb, Haarband von Takayuki Shibata Kleid von Thierry Mugler, Oberteil von Marc Jacobs, Ohrringe und Ringe von Jennifer Fisher  Kleid von Madeline Gruen, Gürtel von Issey Miyake; Kleid von Alberta Ferretti, Rock von Madeleine Provost, Gürtel von Azzedine Alaïa Kleid von Alexander McQueen, Schulterteile von der Stylistin, Ringe von Wouters & Hendrix, Headpiece von Takayuki Shibata Kleid von Marc Jacobs, Choker von Cornelia Webb, Headpiece von Takayuki Shibata
[ "Alexander McQueen", "Azzedine Alaia", "Fashion", "fashionweek", "Issey Miyake", "Jean Paul Gaultier", "marc jacobs", "Mode", "Sex", "Thierry Mugler", "Vice Blog" ]
Sex
2014-06-20T09:00:00+00:00
2024-08-12T09:07:04+00:00
https://www.vice.com/de/article/en-vogue-0000221-v21n2/
Wie man den Menschen dankt, die einem helfen, sich in Europa zurechtzufinden
Dieser Artikel ist Teil unserer Serie ‘Neue Nachbarn‘, in der junge Geflüchtete aus ganz Europa Gastautoren auf VICE.com sind. Lies hier das Editorial dazu. ––– Reza ist 17 und stammt aus Afghanistan. Er lebt in einer Flüchtlingsunterkunft in Stockholm. Seit 14 Monaten lebe ich jetzt in Schweden. Ich bin allein aus Afghanistan hierhergekommen. Weil ich noch minderjährig bin, haben sie mir bei meiner Ankunft in Stockholm eine god man zugeteilt. “God man” ist zwar Schwedisch für “guter Mann”, doch so eine Person kann auch weiblich sein. Diese Person ist dein Ansprechpartner und soll jugendlichen Flüchtlingen wie mir helfen, die schwedische Gesellschaft zu verstehen und mit den Behörden umzugehen. Meine god man heisst Marina und sie besucht mich zweimal die Woche. Sie ist über 70 und wahrscheinlich der liebste Mensch, den ich je kennengelernt habe. Sie wird dem “god” in ihrem Titel wirklich gerecht. Die Leute, die diesen Job machen, haben in der Regel einen von zwei Gründen: das Geld (die schwedische Regierung zahlt ihnen umgerechnet etwa 1.250 Euro) oder sie wollen einfach nur helfen. Marina ist das Geld egal. Es ist eine wundervolle Erfahrung, Menschen kennenzulernen, die so viel Zeit und Mühe investieren, nur um einem Fremden zu helfen. Ich kann jetzt nichts Herausragendes nennen, was Marina und ihr Mann für mich getan haben. Es geht mehr darum, dass sie aufrichtig liebenswert sind und mir wirklich gerne helfen. Deswegen tue ich, was ich kann, um ihnen zu zeigen, wie dankbar ich bin. Meine Familie lebt im Iran. Marina und ihr Mann sind also meine Familie in Schweden. Der Autor, seine ‘God Man’ und deren Mann | Fotos und Collage vom Autor Vor Kurzem hatte Marina Geburtstag. Sie hat mir erzählt, dass Menschen in Schweden nicht gerne Geburtstag feiern, wenn sie in die Jahre kommen. Also ist sie stattdessen verreist. Ich habe ihr gesagt, dass es mir wichtig sei, mit ihr feiern zu können. Ich weiss ja auch nicht, wie lange ich noch in Schweden bleiben kann. Sobald ich 18 werde, muss ich vielleicht gehen. Marina hat für mich eine Ausnahme gemacht und das Geburtstagsverbot aufgehoben. Also habe ich den zweiten Kuchen, bzw. Torte, meines Lebens gebacken. Und das ging so: Zutaten: – Bananen – Vanillesosse– Schlagsahne– Gefrorene Erdbeeren– Kuchenboden– Marzipan– Lebensmittelfarbe Ich fing damit an, die Sahne mindestens zehn Minuten lang sachte zu schlagen. Währenddessen erwärmte ich die gefrorenen Erdbeeren in der Mikrowelle. Als die Sahne fluffig genug war, gab ich die Vanillesosse hinzu, was eine süsse und klebrige Creme ergab. Ich schälte die Bananen und zermanschte sie mit einer Gabel. Dafür brauchte ich auch viel Geduld und das Ergebnis sah ziemlich eklig aus. Zum Glück wird diese widerlich aussehende Pampe zusammen mit der Sahne und der Vanillesosse himmlisch schmecken. Jetzt war es Zeit, die einzelnen Zutaten in eine richtige Torte zu verwandeln. Ich habe meinen Tortenboden zwar gekauft, aber wenn du erfahren bist oder in einer Bäckerei arbeitest, willst du ihn vielleicht selbst machen. Da das hier allerdings mein zweiter Backversuch überhaupt war und ich keinen Ofen hatte, wollte ich kein Risiko eingehen. Nicht, dass der Boden am Ende so schlimm aussieht wie die Füllung. Ich verteilte vorsichtig die Vanillecreme auf dem Tortenboden. Den Bananenmatsch machte ich direkt auf die Creme, bevor ich dann den Zwischenboden drauf legte. Ich mischte den Vanillecreme-Bananenmatsch mit den Erdbeeren zu einem neuen süssen Brei zusammen, den ich auf dem zweiten Tortenboden verschmierte. Da ich die Erdbeeren nicht richtig zerkleinert hatte, wurde diese Schicht richtig dick. Als ich die oberste Teigschicht drauf machte, merkte ich, dass die Dicke der Creme überhaupt kein Problem war. Die Torte sah jetzt wie ein gigantischer und wunderbar süsser Hamburger aus. Es ist gar nicht so leicht, die ganze Creme davon abzuhalten, an den Seiten raus zu quellen, aber mit etwas Geduld bekommst du alles wieder reingedrückt. Als Nächstes schmierte ich den ganzen Kuchen von aussen mit der Vanillecreme ein. Das musst du sehr gleichmässig machen, damit es schön aussieht. Ich hatte noch ein paar Erdbeeren übrig, also gab ich die auch noch dazu. An dieser Stelle brauchst du die Hilfe eines Freundes. Ich hatte Fertigmarzipan aus dem Supermarkt, den ich sorgsam um die Torte legen musste. Wenn man das falsch macht, sieht es nicht nach einer Torte aus. Ich bat meinen Freund und Übersetzer Arash um Hilfe. Er hat sich richtig ins Zeug gelegt. Eine Torte ist aufs Design genau so angewiesen wie Kleidung. Normalerweise schaue ich YouTube-Tutorials, die mir zeigen, wie ich bestimmte Klamottendesigns machen kann. Ich habe allerdings noch nie ein Torten-Tutorial geguckt und musste in diesem Fall entsprechend improvisieren. Arash gab mir netterweise ein paar Ratschläge. Jetzt, da der Marzipan auf der Torte war, musste ich das Design vollenden. Ich hatte ein paar Marzipan-Blumen gekauft, mit denen ich die Torte dekorierte. Als Letztes schrieb ich eine essbaren Gruss an Marina auf den Marzipan. So konnte sie nicht nur schmecken sondern auch lesen, wie viel mir ihre Hilfe bedeutet. Das hier war der Augenblick der Wahrheit. Ich haderte lange mit mir, welche Farben ich verwenden und was ich genau schreiben würde. Ich entschied mich für grün und rot und die schwedischen Worte für “Herzlichen Glückwunsch, Marina” und “Du bist die Beste”. Es ist nämlich wahr, Marina ist wirklich die Beste. Mein Torte war fertig. Zuerst war ich etwas enttäuscht mit dem Ergebnis. Ich hatte nicht viele Hilfsmittel zur Hand gehabt und irgendwie gehofft, dass sie schöner werden würde. Vielleicht wäre meine Torte noch ehrlicher gewesen, wenn ich alles selbst gemacht hätte. Ich fragte mich sogar, ob Marina sich überhaupt darüber freuen würde. Arash beruhigte mich aber. Er sagte, dass diese Torte jeden glücklich machen würde. Und wahrscheinlich hatte er recht. Selbst eine perfekte Torte hätte nicht zeigen können, wie dankbar ich für alles bin, was Marina und ihr Mann für mich getan haben. Unterschreibe hier die Petition des UNHCR, die Regierungen dazu aufruft, eine sichere Zukunft für alle Flüchtlinge zu garantieren. Folge VICE auf Facebook und Instagram.
Reza, aufgezeichnet von Caisa Ederyd
[ "#newneighbours", "Afghanistan", "Danke", "flüchtlinge", "Flüchtlingskrise", "Geburtstag", "Integration", "Neue Nachbarn", "refugees", "Schweden", "torte", "unhcr" ]
2017-05-29T07:00:00+00:00
2024-07-30T19:56:06+00:00
https://www.vice.com/de/article/newneighbours-wie-man-den-menschen-dankt-die-helfen-sich-in-europa-zurechtzufinden/
Ganz normale junge Menschen mit ganz normalen Waffen in Mary Ochers neuem Video “Arms”
Header: Screenshot aus dem Video “Mary Ocher – Arms” von OddDot. Mary Ocher ist jetzt nicht unbedingt eine Künstlerin, die du sofort bei Noisey verorten würdest. Schließlich ist die Musikerin mit der Märchenstimme eher in psychedelischen Pop und Rock zu Hause und hat mit der Band Your Government oftmals gleich zwei Schlagzeuger an ihrer Seite. Die beiden sind auch auf ihrem neuen Album  The West Against The People zu hören, allerdings wagt Ocher gleichzeitig elektronischere Ausflüge bis hin zum Ambienthaften. “Arms” ist einer dieser Songs und für das Video dazu, ist Mary Ocher nach Israel gefahren, wo sie früher gelebt hat. Wenn du schon mal in Israel warst, vor allem in Jerusalem, dann wird dir unweigerlich aufgefallen sein, wie viele Maschingengewehre in der Öffentlichkeit, auf Straßen, in Märkten oder im Café zu sehen. Sie hängen an jungen Wehrdienstleistenden, Frauen und Männer, oder oftmals eher: Mädchen und Jungs, die eben noch zur Schule gingen. “In einer militarisierten Gesellschaft”, schreibt Ocher dazu, “werden Waffen mit Vitalität, Sexualität, Stärke und der Fähigkeit sich zu verteidigen ebenso assoziiert, wie sie Autorität untereinander durchsetzen. Die angedeutete Gewalt wird glorifiziert und der Mythos des Soldaten wird schon in den Grundschulen gelehrt.” Für die Künstlerin, die hier lässig durch die Straßen spaziert, steht dabei vor allem aber die mögliche Aneignung des metallenen Phallus durch die jungen Rekrutinnen im Fokus. Derzeit lebt Ocher in Berlin, war als Kind mit ihren Eltern aus der Sowjetunion aber nach Tel-Aviv emigriert. ” Change begins with us“, singt sie jetzt, umringt von Gewehren. Die Single “Arms” mit zahlreichen Remixen ist heute auf Mary Ochers Bandcamp-Seite erschienen. Dieser Artikel ist zuerst bei THUMP erschienen. ** Folgt Noisey bei Facebook, Instagram und Twitter.
Noisey Staff
[ "israel", "mary ocher", "Music", "Musikvideo", "Noisey", "Premiere", "Thump", "waffen" ]
2017-01-13T14:56:20+00:00
2024-07-30T19:09:16+00:00
https://www.vice.com/de/article/ganz-normale-junge-menschen-mit-ganz-normalen-waffen-in-mary-ochers-neuem-video-arms/
Eine Handvoll Gedanken zum Amadeus 2015
Gestern waren die Verleihungen zum Amadeus, Österreichs wichtigstem Musikpreis. Wie ihr vielleicht schon aus unserem Live-Ticker mitbekommen habt. Ich war sehr betrunken, habe die After Show Party im Volksgarten damit verbracht, mir mit Herbert Grönemeyer ein Battle der deutschesten Dance-Moves zu liefern und mir zum Schluss mit Teilen „der Band der Stunde”, also Wanda, ein Taxi geteilt. Ich hatte wirklich Spaß und will kein Party Pooper sein. Aber ich habe trotzdem das Gefühl, noch ein paar Dinge sagen zu wollen. Überschriften wie „x Dinge die ich dort und dort gelernt habe” sind zwar zu Recht mittlerweile verboten. Aber es ist trotzdem ein bisschen das, was jetzt kommt. Nämlich Beobachtungen. Lest den vollständigen Artikel auf Noisey.
Jonas Vogt
[ "Musik", "Noisey" ]
2015-03-30T15:07:00+00:00
2024-07-31T00:45:24+00:00
https://www.vice.com/de/article/eine-handvoll-gedanken-zum-amadeus-333/
Kann eine riesige Meerwasser-Entsalzungsanlage Kalifornien vor der Dürre retten?
​ In Kalifornien ist es so trocken wie noch nie. Seit 14 Jahren leidet der Fruchtgarten Amerikas an einer beispiellosen Dürre biblischen Ausmaßes. Niemand weiß, wie viel Grundwasser noch übrig ist, doch schon heute gibt es ganze Dörfer, in denen die Brunnen seit Monaten versiegt sind und Wasser nur noch per Kanisterlieferung fließt. „Der Klimawandel ist kein Scherz”, brachte es Gouverneur Jerry Brown Anfang des Monats auf den Punkt. Studien und Klimaforscher haben dieselbe Botschaft: Die Dürre sei kein Ausnahmezustand, sondern in Zukunft Normalität in Kalifornien. Der 40 Millionen-Einwohnerstaat braucht also nichts dringender als eine neue Trinkwasserquelle. Und tatsächlich haben die US-Amerikaner bereits eine Lösung für ihr drängendes Problem: Sie wollen aus dem Pazifischen Ozean trinken. Möglich machen soll das eine genauso alte wie umstrittene Technik zur Trinkwasseraufbereitung: die Umkehrosmose, ein physikalisches Verfahren, das in diesem Fall in großen Mengen Meerwasser entsalzen soll. Unter dem Namen Carlsbad Desalination Project (CDP) entsteht derzeit eine entsprechende riesige Entsalzungsanlage im südkalifornischen San Diego. Sie soll im Idealfall an die 200 Millionen Liter Trinkwasser pro Tag produzieren. Allerdings sind derartige Entsalzungsanlagen gigantische Energiefresser. 2,8 Kilowattstunden pro Kubikmeter Wasser benötigt das CDP allein für die Produktion. Weitere Energie ist nötig, damit das Wasser dann auch beim Verbraucher ankommt. Mit 450 Litern pro Kopf am Tag sind die Kalifornier nicht gerade als Energiesparer bekannt. Zum Vergleich: In Deutschland benötigt ein Otto Normalverbraucher ca. 120 Liter am Tag. Schließlich benötigt die Umkehrosmose auch noch einen immensen Energieaufwand, und nur allzu oft verbraucht die Produktion dieses Stroms selbst Unmengen an Wasser. Das  Carlsbad Desalination Project aus der Luft. Fotos: ​Screenshot und ​Facebook Die Einwohner von Los Angeles werden deshalb mittlerweile von der Regierung finanziell entschädigt, wenn sie ihren Rasen vertrocknen lassen und auf weniger wasserintensive Pflanzen setzen. Da nicht jeder auf das grüne Wohlstandssymbol schicker Vorgärten verzichten will, haben Unternehmen wie Lawn Paint mittlerweile Hochkunjunktur. Für umgerechnet 200 Euro besprühen sie bis zu 1.000 Quadratmeter vertrockneten Rasens mit grüner Farbe–rein pflanzlicher natürlich. Auch für Anbieter von Plastikrasen läuft das Geschäft derzeit nicht schlecht in Kalifornien. Doch das eigentliche Problem sind nicht die Privathaushalte, die von Jerry Brown per Dekret gezwungen wurden, ihren Wasserverbrauch in diesem Jahr um ein Viertel zu senken–80 % des Wassers wird von der Landwirtschaft verbraucht. Diese wurde bisher von jeglichen Sparmaßnehmen verschont, schließlich beliefert sie die kompletten USA mit Brokkoli, Blumenkohl, Mandeln und anderem exotischen Obst und Gemüse, auf das im Land der unbegrenzten Möglichkeiten niemand verzichten möchte. Ein Forscher der Meerwasser-Entsalzungsanlage in Zhoushan (China) präsentiert das Wasser vor und nach dem Prozess der Umkehrosmose. Foto: Imago Ist der Pazifische Ozean als Trinkwasserquelle nun also die Lösung für Kaliforniens Wassermangel? Umweltschützer sagen Nein. Denn die Entsalzungsanlagen belasten das Meeresleben enorm. Für die Erzeugung von einem Liter Trinkwasser wird ungefähr die doppelte Menge an Wasser aus dem Meer gepumpt–und mit ihr kleinste Meereslebewesen und Fischeier. Ein weiteres Problem ist, dass die Unmengen an herausgefiltertem Salz anschließend zurück ins Meer geleitet werden und so Flora und Fauna in Küstennähe bedrohen. Trotz des noch immer hohen Preis, den eine Entsalzungsanlage für die Produktion von sauberem Trinkwasser zahlt (das CDP kalkuliert mit rund 1,60 Dollar pro Liter), hat sich das Verfahren bereits in vielen trockenen Regionen auf der Erde etabliert. In den USA sind Kalifornien, Texas und Florida Vorreiter in Sachen Meerwasser-Entsalzung, die größte entsprechende Anlage der Welt steht in Algerien und das Jahre lang von Trockenheit geplagte Israel erzeugt mittlerweile knapp 50 % seines Trinkwassers aus dem Meer.
Johannes Hausen
[ "Dürre", "energie", "Kalifornien", "Klimawandel", "Motherboard", "motherboard show", "Tech", "Trockenheit", "Umwelt", "Wasser", "zukunft" ]
Tech
2015-04-13T11:07:00+00:00
2024-07-31T01:41:48+00:00
https://www.vice.com/de/article/wird-eine-riesige-meerwasser-entsalzungsanlage-kalifornien-vor-der-drre-retten/
“Wer nicht an uns glaubt, ist selbst schuld”—Mit Zuckerpapi auf Sightseeing-Tour im 42
Zuckerpapi hat heute sein erstes Tape “liebe gott danke dasses mi git amen” releast. Das Tape gibt’s hier als Free-Download. Hier haben wir bereits über seinen ersten Track “Primakov” berichtet. Während der Produktionsphase haben wir Zuckerpapi und seine 42-Leute im Laufental besucht. Unser Abenteurbericht: Nichts geringerem als dem Internet habe ich es zu verdanken, dass ich um 18:03 Uhr in Basel auf den Zug in Richtung Laufen umsteige. Es ist wohl verantwortlich dafür, dass Künstler wie Lil B oder Yung Lean überhaupt erst existieren können. Sie haben das Internet in all seiner Nerdiness und seiner Ästhetik mit dem Hedonismus, der der Generation Y gerne mal zugeschrieben wird, gepaart, das Ganze vor einigen Jahren auf sphärische Beats gepackt und so eine weltweite Bewegung losgetreten. Von Russland über Japan, Österreich und Deutschland existieren Künstler, die mit einem ähnlichen Verständnis davon, was gute Popkultur ausmacht, Musik erschaffen. Nach Laufen treibt mich ein Schweizer, der sich zwar nicht in dieser Tradition, die gerne als Cloud Rap kategorisiert wird, sehen will, es aber wohl doch ist. Ohne Lil B, ohne Yung Lean, ohne Money Boy, ohne Yung Hurn würde Zuckerpapis Musik wohl nicht so klingen, wie sie klingt, sein Musikvideo zu “Primakov“ nicht so aussehen, wie es aussieht. Und so reiht sich Zuckerpapi in die Reihe der Künstler ein, die für Aussenstehende scheinbar planlos verbreiteten Nonsense zum programmatischen Teil ihrer Musik erheben, die Bild-, Sound- und Social Media-Ästhetik über eine triftige Botschaft stellen (später wird Zuckerpapi das so zusammenfassen: “Nichts von dem, was wir machen, hat einen Grund”. Oder: “Die Message von “Primakov” ist, dass Primakov prima ist. Warum müssen Leute immer nach einer Message in allem suchen?”). Im Zug treffe ich den Fotografen für den heutigen Abend und gemeinsam steigen wir nach genau 17 Minuten Fahrt, vorbei an Dörfchen, deren Namen mir bislang unbekannt waren, am Bahnhof Laufen auf Gleis 2 von 4 aus dem Intercity in Richtung Biel. Bewusst verstosse ich gegen den von Zuckerpapi auferlegten Dresscode (“keine Socken”) und riskiere so, trotz seiner innigen Warnungen bezüglich der Sicherheitslage, von einem Lynchmob aus dem 5.500-Einwohner-Dorf vertrieben zu werden. Mit Socken an den Füssen, einem Fotografen an meiner Seite und einer Portion Spannung darauf, wie der “Primakov“-Typ sich geben wird, stehe ich also am Bahnhof. Kein Lynch-Mob weit und breit, keine Menschenmassen—aber auch kein Zuckerpapi. Ich hake via Twitter, dem Kommunikationsmittel unseres Vertrauens, nach, wo er denn bleibe. “Flug verspötig” lautet seine simple Antwort, die ich aber erst sehe, als der Abend im Laufental—Zuckerpapi nennt die Region 42 (“42 ist nicht nur der Anfang einer Postleitzahl. 42 ist der Anfang von etwas Grossem“)—in einer Waldhütte, die eine optimale Kulisse für einen Töfflibuben-Splatter-Film wäre, beim Golfen in einer Kiesgrube und beim Shisha-Rauchen in einer leerstehenden Bruchbude schon wieder vorbei ist. Als Zuckerpapis “Flug“ schliesslich zu Fuss bei uns angekommen ist, führt er uns, ein blaues Powerade in der Linken, zu seiner Stammbeiz, einer Pizzeria, deren Name viel mehr nach Schweizer Dorfbeiz schreit, als auch nur ein wenig nach Italien zu klingen: Krone. Dort bestellen wir uns die nicht auf der Speisekarte stehende Spezialität des Hauses (mit französischer Salatsauce gefüllter Pizzateig), der Zuckerpapi sogar zwei Tracks gewidmet hat, treffen Zuckerpapis Musikcompadre St. Gucci und versuchen, so etwas wie ein Interview zu führen. Versuchen, weil es sich als schwierig herausstellt, ein Interview-Gespräch mit Menschen zu führen, bei denen man nie weiss, was als nächstes kommt—aber letzten Endes ist es auch genau diese Überforderung in der Einordnung, die solche Künstler spannend macht. Also beschliesse ich, mich einfach mal treiben zu lassen und zu schauen, was zwischen Dialogen wie diesem noch passiert (Cloud Journalismus quasi, wie Zuckerpapi feststellt): Gucci: Alles in der Krone ist gut, ausser die Calzone. Esst nie Calzone!Zuckerpapi: Die Pizzas sind auch nicht gut.Gucci: Die Pizzas sind gut, Brueder! Schlussendlich wird der Abend mehr zum Sightseeing-Trip durch die Lebenswelt der heutigen Landjugend in einem Tal, das man nur kennt, weil dort voriges Jahr ein Show-Flugzeug in eine Scheune gestürzt ist. Unsere Guides haben sich anscheinend vorbereitet, sich überlegt, welche Stationen die Route, die sie heute mit uns abklappern wollen, haben muss. Ihre 42-Leute, von denen wir an diesem Abend nicht nur den wohl lethargischsten aller Töfflibuben der Welt treffen, sprechen sich hin und wieder aus Versehen mit ihren bürgerlichen Namen an. Zwischen dem Rasen über Dorf-, Feld- und Waldwege, dem Tanken bei einer Landi-Tankstelle und dem Einbrechen in “ihr“ leerstehendes Haus zeigen Zuckerpapi und Gucci, was ihre Herkunft ausmacht und wie diese ihre Musik prägt. Zuckerpapi: “Usrüef” und das Zwitscherspiel [Übersetzung: Twitter] sind das wichtigste am Rapper-Sein. Du kannst noch so scheiss Musik raushauen, wenn du ein gutes Zwitscherspiel hast, bist du ein guter Rapper.Gucci: Zwitscher ist die Verlängerung des Rapper-Daseins. Mit Zwitscher kannst du das Ausdrücken, was du nicht reimen kannst.Zuckerpapi: Stimmt.Gucci: Aber auch das, was du Reimen kannst.Zuckerpapi: Aber nur gute Reime kommen auf einen Beat, der Rest kommt auf Zwitscher. Noisey: Und das Facebook-Game ist einfach nicht wichtig? Zuckerpapi: Facebook ist tot. Alle sagen mir: “Alte, mach doch eine Facebook-Seite.” Aber Facebook ist tot, ich setze auf Zwitscher … und vielleicht auch Tinder. Findet mich auf Tinder! Das klingt erstmal nach Nonsense, ist wohl auch Nonsense—doch so genau kann man das nie wissen. Letzten Endes ist eben auch Nonsense der Ausdruck von etwas Realem. Vielen wird wahrscheinlich lieber sein, wenn ihre Kunst als Nonsense abgekanzelt wird, als wenn Journalisten versuchen, sie in den Rahmen eines Genres zu pressen. Noisey: Was macht für dich denn eine Szene aus? Zuckerpapi: Keine Ahnung. Ich mache mir keine Gedanken dazu. Nein, ich finde es etwas weird, diese Klassifizierungen, Alte. Ich mache auch nicht nur Hip Hop, Alte. Ich kann alles machen. Und jetzt mal ehrlich: Nenn mir mehr als fünf Schweizer Rapper, die man kennt. Ich kenn genau Stress … OK, ich kenne schon mehr als fünf. Aber es gibt keine Schweizer Hip Hop-Szene. Vielleicht noch in Winterthur und Zürich ein bisschen. Und es ist auch nicht Cloud Rap, Alte! Hört auf zu sagen, das sei Cloud Rap. Nur weil ich jung bin, alles selber mache, kein Label habe und alles kann, heisst das nicht, dass ich Cloud Rapper bin. Was ist eigentlich Cloud Rap? Wie würdest du deine Musik denn nennen? Zuckerpapi: Gar nicht. Bezeichnen ist für Pussys, Alte! Nein, ich weiss auch nicht … Bezeichnen ist nur für Leute, die überfordert sind, wenn etwas nicht bezeichnet und in einer Kiste verpackt zu ihnen kommt. Es ist doch egal, was meine Musik ist, das darf jeder für sich bestimmen … Was ist Cloud Rap? Definier das mal. Das ist schwierig so aus dem Stegreif. Ich würde es vielleicht über die aktuelle Bewegung beschreiben, die von Yung Lean geprägt wurde …Zuckerpapi: Nein, Alte! Wie vorhin gesagt: Cloud Rapper sind meistens Leute, die einfach übers Internet publizieren und kein Label im Rücken haben.Gucci: Und keine echten Leute auf der Strasse!Zuckerpapi: Ich meine, “Primakov“ ist vom Sound her überhaupt nicht Cloud Rap. Und darum ist das schon falsch. Aber von der Ästhetik her geht’s schon stark in die Richtung.Zuckerpapi: Ästhetik ist ein grosses Wort.Gucci: Du bist aber schon ein Wolken-Mensch.Zuckerpapi: Ich bin schon wolke, aber ich bin auch based, Alte. “Usrüef” an den basierten Gott! Erst als Zuckerpapi den Fotografen und mich wieder zum Bahnhof begleitet, wird er ruhiger, erzählt, dass er ohne Probleme auch anderen Rap machen könnte (Reminder: “Ich kann alles machen“), ernsthafteren mit einer Botschaft—”aber über welche Probleme soll ich in einem der reichsten Länder der Welt rappen? Da mache ich lieber einen Banger.” “Manche investieren extrem viel in das, was sie machen. Und ich mache alles, was ich mache, einfach so nebenbei”, ist auch eine der Bahnhof-Ansagen. Und das stimmt wohl. Wer auf dem Land aufwächst, weiss, dass einer der grössten Antriebe für vieles die Langeweile ist. Die Langeweile treibt einen zu Trinkorgien in Waldhütten. Die Langeweile treibt einen zu Shisha-Sessions in leerstehenden Häusern. Und die Langweile treibt einen wohl auch zu Autotune-Hymnen auf die lokale Pizzeria und mit Salatsauce gefülltem Pizzateig. Erst zwei Tage später, als Zuckerpapi ohne Text im Gedächtnis, dafür mit einem iPhone vor der Nase auf der Bühne des Zürcher Exil steht, merke ich, dass wohl tatsächlich einiges an Wahrheit hinter der Maskerade steckt. Auf Twitter schreibt er zwei Stunden später: Immerhin ist sein “Zwitscher-Spiel” stark. Denn das ist es ja, was einen guten Rapper ausmacht. ** Zuckerpapi findest du nicht auf Facebook, dafür aber auf Twitter und mit etwas Glück auf Tinder. Das Tape “liebe gott danke dasses mi git amen” gibt’s hier als Free-Download. Noisey Alps findet ihr auf Facebook und Twitter, wo sich Sebastian ebenfalls herumtummelt.
Sebastian Sele
[ "42", "basel", "cloudrap", "Features", "Music", "Noisey", "Noisey Blog", "Schweiz" ]
2016-05-31T12:10:00+00:00
2024-07-30T21:21:38+00:00
https://www.vice.com/de/article/die-schweiz-hat-keine-neue-hip-hop-szene-mit-zuckerpapi-auf-sightseeing-tour-im-42/
Frittierte Okraschoten mit Dip
Portionen: 2 Für den Dip:(ergibt circa 250 ml)10 Frühlingszwiebeln, Enden abgeschnitten (circa 2 Bund)16 g frischer Koriander1–2 Esslöffel Olivenöl1 Knoblauchzehe200 ml saure Sahne1 Esslöffel Mayonnaisefrischer Limettensaft, nach Beliebenkoscheres Salz und frisch gemahlener schwarzer Pfeffer, nach Belieben Für die Okra-Pommes:200 g eingelegte Okraschoten300 ml Bier125 g Mehl1 Prise frisch gemahlener schwarzer Pfeffer1 Prise Meersalz1 Ei, Größe M, verquirltPflanzenöl zum Frittieren 1. Zuerst geht’s an den Dip: Ofen auf 230° C vorheizen, Frühlingszwiebeln gleichmäßig auf einem Backblech verteilen und goldbraun rösten, circa 15 bis 20 Minuten. 2. Zwiebeln zusammen mit Koriander, Olivenöl, Knoblauch, Salz und Pfeffer mithilfe einer Küchenmaschine zu einer glatten Masse pürieren. In eine Schüssel geben und mit saurer Sahne, Mayonnaise, Limettensaft, Salz und Pfeffer verrühren. Beiseitestellen und jetzt die frittierten Bourbon-Okraschoten machen. 3. Dafür die Okras aus dem Einmachglas nehmen und auf Küchenpapier abtropfen lassen, um so vor dem Frittieren überschüssige Flüssigkeit zu entfernen. 4. In einem großen, verschließbaren Gefrierbeutel oder in einer Schüssel Bier mit Mehl, Pfeffer, Salz und Ei gut vermischen. Okraschoten hinzugeben und gut mit Teig bedecken. 5. Einen hohen Topf mit Pflänzenöl füllen, circa 5 cm, und erhitzen. Temperatur mit einem Fettthermometer überprüfen, ideal sind 180° C. In mehreren Runden alle Okraschoten goldbraun frittieren, circa 2 Minuten lang. Auf Küchenpapier abtropfen lassen. Noch warm zusammen mit dem rauchigen Dip servieren. Dieses Rezept stammt aus Freddie Janssens Buch Pickled: Over 60 inspiring recipes for Pickling, Kimchi, Vinegars & More. Aus So verwandelt man matschiges Gemüse in einen leckeren Snack
[ "ausbacken", "dip", "einlegen", "Food", "Frittieren", "machen", "Munchies", "okra", "Okraschoten", "Pommes", "Rezept", "rezepte", "snack", "Snacks" ]
2016-05-06T09:00:30+00:00
2024-08-12T10:52:12+00:00
https://www.vice.com/de/article/frittierte-okraschoten-mit-dip/
Corrosion of Conformity am Roadtrip
Freunde des Roadtrips! Wiens großartigstes Konzertformat geht in die nächste Runde, diesmal mit den US-Amerikanischen Kollegen von Corrosion of Conformity (die uns übrigens vor kurzem ihre phantastische neue selfgetitlete Platte vor den Latz geknallt haben), Black Cobra, Arabrot (die europäischen Ehrenretter aus Norwegen an diesem Abend) und Mose Giganticus. Weil ich ein Mann der kurzen Worte und moderat betrunken bin, gibt es einfach einen Hingeh-Befehl (zackig). Los gehts am 12.4. wie immer in der Arena, Freikarten sind ebenfalls wieder bei uns abzuholen, wenn ihr die Frage „Warum ist Pryde an einem Wochentag betrunken?“ falsch beantwortet – [email protected]. Damit ihr nicht ganz unvorbereitet eure Ohren an der feinen Kost labt, hab ich euch ein tolles Video rausgesucht: Mir gings ja so, dass ich auf einmal Lust habe, mir ein paar alte Songs von Biohazard anzuhören und meinen langen Haaren nachzuweinen, falls es euch auch so geht, können wir uns dort ja gegenseitig anjammern, Bier brechen und uns einfach auf den Gig freuen. Woohoo!
O. Pryde
[ "Arena", "Metal", "Musik", "opryde", "roadtrip", "Vice Blog" ]
2012-04-09T22:00:00+00:00
2024-07-31T06:32:50+00:00
https://www.vice.com/de/article/corrosion-of-conformity-am-roadtrip/
​Dieses Wiener Tattoo-Studio weigert sich, FPÖ-Fans zu tätowieren
Screenshot via Facebook Als Tätowierer bekommt man allerhand Anfragen. Die einen wollen, dass man ihnen das Genital des Partners auf der Haut verewigt, die anderen sind da schon ein wenig konventioneller und wünschen sich eine Feder als Cover-up für einen Schriftzug auf der Innenseite des Oberarmes. Eine solche Anfrage ist am vergangenen Freitag via Facebook-Anfrage beim Wiener Tattoo-Studio Dots and Daggers eingegangen. Auf dem Profil der Person, von der diese Anfrage stammt, ist anhand des Cover-Fotos sehr leicht ersichtlich, dass es sich hier um eine FPÖ-Sympathisantin handelt. Die Page von Dots and Daggers hat daraufhin mit folgender Ansage geantwortet: „Hallo, schön, dass du dich für uns entschieden hättest, aber aus idealistischen Gründen können wir es nicht vertreten, dich in unserem Studio zu tätowieren. Dein Dots and Daggers Team” Daraufhin hat die offizielle Facebook-Seite des Studios einen Screenshot der Konversation im sozialen Netz veröffentlicht. Mittlerweile wurde das Posting von Facebook gelöscht—laut den Betreibern der Page wegen der Verletzung von Persönlichkeitsrechten. Ein Statement von Facebook uns gegenüber zum konkreten Fall ist bisher noch ausständig. Dass sich Tätowierer immer wieder weigern, NS-Symbole oder Nazi-Codes wie 88 zu stechen, ist an sich nichts Neues—das sieht auch das Dots and Daggers-Team ähnlich: „Wir stechen weder verbotene Symbole aus dem Nationalsozialismus, noch Dinge wie 18, SS oder Phrasen wie ,Unsere Ehre ist Treue’.” Dass es sich diesmal jedoch nicht um eines der genannten Motive, sondern um ein wahrscheinlich relativ durchschnittliches Bild handelt, macht den konkreten Fall etwas weniger eindeutig. Die Reaktionen unter dem Posting, das das Tattoo-Studio mit „Alltagsgeschichten ;)” kommentiert hat, reichten von „Endlich mal ein Studio, das auch klar und öffentlich von rechts distanziert! Thumbs up for you!!” bis „Sowas nennt sich Diskriminierung und damit stellt ihr euch auf die gleiche Stufe wie alle FPÖ-Wähler … just sayin”. Erst vor Kurzem sorgte ein Autohändler für Aufsehen, der nach Ausschreitungen bei einer Demonstration in Spielfeld, bei der etwa 80 Autos durch Antifaschisten beschädigt wurden, „linke Bürger” gebeten hat, seine Firma zu meiden. Der Autohändler bot außerdem an, Reparaturen an den beschädigten Autos, die wohl zum Großteil „besorgten Bürgern” gehörten, zu vergünstigten Preisen durchzuführen. Dem gegenüber steht nun auf der politisch gegenüberliegenden Seite dieses Beispiel eines Dienstleisters, der sich im Gegensatz dazu weigert, genau die Fraktion zu bedienen, die der Autohändler nach den Ausschreitungen in Spielfeld unterstützt hat. Auf die Frage hin, ob sich die Tätowierer bei Dots and Daggers immer über die politische Gesinnung ihrer Kunden erkundigen, auch wenn diese ein völlig unbedenkliches Motiv gestochen haben wollen, oder ob es in diesem Fall eher zufällig passiert ist, da die Anfrage über Facebook kam und hier das Cover-Bild der Profils sofort ersichtlich war, heißt es seitens des Studios: „Wenn eine eindeutige fremdenfeindliche Gesinnung zu Tage tritt, möchten wir solche Leute nicht in unserem Studio haben—egal, welches Tattoo sie gerne hätten. In dem konkreten Fall eben darum, weil die Person ganz offensichtlich für eine solche Partei arbeitet [sic], die immer wieder durch rassistische und menschenunwürdige Aussagen auffällt oder diese aktiv unterstützt.” Man mag verleitet sein, derartige Reaktionen und Stellungnahmen von Unternehmen super zu finden, sofern sie der eigenen Meinung entspricht. Es stellt sich aber die Frage, ob Ausgrenzung schon jemals die richtige Lösung für irgendein Problem war—egal, von welcher (politischen) Seite sie ausgeht. Verena auf Twitter: @verenabgnr
Verena Bogner
[ "FPÖ", "Österreich", "Politik", "Strache", "Stuff", "tätowierer", "Tattoos", "Vice Blog", "wien" ]
2015-11-25T10:25:00+00:00
2024-07-31T01:18:34+00:00
https://www.vice.com/de/article/tattoostudio-wien-fpoe-fans-729/
Ein Interview mit dem ersten Kopftransplantations-Patienten der Welt
Am 22. Juni 2013 schickte Valery Spiridonov folgende E-Mail an den italienischen Arzt Sergio Canavero: „Lieber Doktor Sergio! Ich bin ein 29-jähriger Mann mit Muskelschwund. Ich habe mich so gefreut, als ich in den Zeitungen von ihrer Forschung an Kopftransplantationen gelesen habe! Bitte sagen Sie mir: Welche Ressourcen benötigen Sie für eine erfolgreiche Operation? Kann ich Ihnen nützlich sein? Ich bin bereit, an jeglichen Experimenten teilzunehmen, falls Sie mich brauchen. Herzlich, Val” Diese kurze E-Mail könnte den russischen Programmierer und Grafikdesigner zum weltweit ersten Patienten einer experimentellen Kopftransplantation machen, die für das Jahr 2017 eingeplant ist (obwohl viele Experten aus dem medizinischen Bereich sehr skeptisch sind, ob die Operation jemals wirklich klappen wird). Spiridonov leidet an der Werdnig-Hoffmann-Störung, einer unheilbaren Muskelschwundkrankheit. Die meisten Menschen mit dieser Krankheit erleben ihren 20. Geburtstag nicht; er weiß, dass seine Tage gezählt sind. Eine komplette Kopftransplantation, so glaubt er, wäre seine einzige Chance auf ein längerfristiges Überleben. Ich selbst habe den Großteil des vergangenen Wochenendes damit verbracht, diese Nachricht mit meinen Freunden zu erörtern: Manche fanden die Vorstellung zu eklig, um sie zu erörtern, andere waren komplett fasziniert. In jedem Fall waren die Reaktionen unmittelbar und existentialistisch. Wird er sterben? Warum sollte er das tun? Es fühlte sich komisch an, das Schicksal dieses Mannes so beiläufig zu diskutieren. Lest das Interview mit Val auf MOTHERBOARD.
Jason Koebler
[ "Motherboard", "Tech" ]
2015-04-16T07:56:00+00:00
2024-07-31T00:59:48+00:00
https://www.vice.com/de/article/interview-mit-dem-ersten-kopftransplantations-patienten-der-welt/
Dein Haus ist ein lukratives Investment geworden—also verpiss dich
Ich stehe wieder vor den Esso-Häusern auf der Reeperbahn, dessen gesamtes Areal seit der nächtlichen Evakuierung um Weihnachten herum mit einem Bauzaun abgesperrt ist. Anwohner haben ihre Wohnungen über Nacht verloren und Gewerbetreibende ihre Bars, Restaurants, Einzelhandelsgeschäfte oder Hotels—anscheinend weil das Haus zu marode und einsturzgefährdet ist. Keiner durfte mehr rein, sie mussten alle ihre Möbel und sonstiges Inventar zurücklassen—bis letzte Woche. Am Montag schickte der Vermieter—die Bayerische Hausbau—ein letztes Mal Statiker durchs Haus, um sich ein „OK“ für den geplanten Auszug aller Mietparteien zu holen. Jetzt werden seit ein paar Tagen Kisten und Möbel aus dem Haus in große Umzugswagen getragen. Von den Mietern ist weit und breit nichts zu sehen. Nur die Möbelpacker und ein paar Security-Männer stehen hinter dem Zaun. Auch die Esso-Tankstelle wird gerade ausgeräumt. Der Geschäftsführer Lars Schütze unterhält sich hier mit einer Bekannten. „Es ist alles wirklich sehr traurig. Ich weiß gar nicht, wohin mit den ganzen Sachen“, höre ich ihn sagen. Aber so traurig kann er jetzt auch wieder nicht sein: Sein Vater, Jürgen Schütze, hat den gesamten Gebäudekomplex 1997 für fünf Millionen Euro gekauft und 2009 für 19 Millionen an die Bayerische Hausbau weiter verkauft. Ich spreche kurz mit dem Wachmann hinter dem Bauzaun, der mir erzählt, dass selten einer der Mieter anwesend ist, wenn die Wohnung ausgeräumt wird. Die Bayerische hat eine Spedition angeheuert, die den gesamten Umzug stemmt—76 Wohnungen samt Kellerabteile in zwei Wochen, so ist der Plan, schreibt mir der Sprecher der Bayrischen, Bernhardt Taubenberger, in einer E-Mail. Wenn die Mieter wollen, dürfen sie dirigieren oder ein paar private Sachen einpacken, den Rest erledigen die Möbelpacker. Wer schon eine Ersatzwohnung hat, bekommt seine Sachen direkt dorthin geliefert, alles andere wird eingelagert. Der überstürzte Auszug hat die Bewohner schwer getroffen. „Sie stehen kurz vorm Nervenzusammenbruch“, sagte die Anwältin Christiane Hollander vom Hamburger Mieterverein e.V., bei einer Pressekonferenz. Sie vertritt knapp die Hälfte der Bewohner. Ich treffe die bekennende St. Paulianerin heute in ihrem Büro, das mitten in der Schanze liegt. Sie ist nicht nur die Anwältin, sondern auch Seelsorgerin für die Mieter. VICE: Ich habe versucht, Kontakt zu den Mietern aufzunehmen, aber sie wollen nicht mehr mit der Presse reden. Wie geht es den meisten denn jetzt? Christiane Hollander: Die sind immer noch traumatisiert. Viele haben Spätfolgen, können nicht richtig schlafen. Es macht ihnen zu schaffen, dass sie ihr Zuhause und ihre gewohnte Umgebung aufgeben müssen. Das Damoklesschwert, ein neues Zuhause zu finden, hängt die ganze Zeit über ihnen. Sie kommen hier bei mir vorbei oder rufen mich an und fragen, was sie machen sollen. Dann führst du quasi die psychologische Betreuung für sie? Auch. Eigentlich hätte der Bezirk Geld zur Verfügung stellen müssen, damit die Gemeinwesenarbeit St. Pauli (GWA) ein solches Programm erstellen kann, haben sie aber nicht. Die GWA hat hier viel geleistet, unterstützt von den Nachbarn und auch von uns—der Zusammenhalt ist ein Paradebeispiel für St. Pauli, besonders im letzten Jahr. Ich war damals außerhalb Hamburgs und habe nachts eine SMS bekommen, dass die Häuser evakuiert wurden. Am nächsten Morgen bin ich dann sofort dorthin gefahren und ins Zelt gegangen, in dem die Anwohner betreut wurden. Als sie mich sahen, hörte ich nur: „Gott sei Dank, sie ist da.“ Sie waren alle total fertig, die meisten hatten die Nacht in einer Turnhalle verbracht. Wie lange vertrittst du die Mieter der Esso-Häuser schon? Seit dem Vermieterwechsel 2009. Ein Koch, der in den Häusern wohnte, sprach kein Deutsch und hatte dieses Schreiben von der Bayerischen Hausbau in der Hand, das er nicht verstand. Es war die Ankündigung des Eigentümerwechsels. Ich hörte auch von den befristeten Mietverträgen und wurde skeptisch. Deshalb bin ich zur GWA St. Pauli gegangen und habe mit ihnen darüber gesprochen. Später ist auch die Initiative Esso-Häuser daraus hervorgegangen. Wir sind durch die Häuser gegangen und haben die Bewohner aufgeklärt und ihnen gesagt, dass sie nicht einfach alles unterschreiben sollen. Es gab einen Rahmenvertrag, nach dem die Mietverhältnisse ausgesetzt werden sollten. Zugesagt wurde lediglich eine Hilfestellung bei der Wohnungssuche von der Bayerischen Hausbau. Diesen Vertragsentwurf hielt ich für frech, da er einseitig zugunsten der Eigentümer war, was ich auch öffentlich sagte. Dies wurde mir sehr übel genommen. Danach war die Kommunikation erst mal dahin. Ist die jetzt besser? Ja, es gibt jetzt einen neuen Ansprechpartner, Herr Taubenberger, der sich bemüht, die Angelegenheiten einvernehmlich zu regeln. Was forderst du für deine Mandanten? Ich suche erstmal nach pragmatischen Lösungen. Klar könnte ich auch sagen, ich verklage die Bayerische Hausbau für euch, aber das bringt den Mietern jetzt keine Erleichterung. Ein Klageverfahren dauert lange. Daher sorge ich dafür, dass die Mieter jetzt versorgt sind. Das sind dann aber fast alles Einzelschicksale. Einige Mieter haben in ihren neuen Wohnungen keine Böden, nur Estrich, oder es gibt nur eine Spüle, keine Küche. Dann sorge ich dafür, dass sie einen Boden bekommen, oder die Küche aus der alten Wohnung, auch wenn sie dem Vermieter gehörte. Sind denn schon viele deiner Mandanten in neuen Wohnungen untergekommen? Von meinen 35 Mandaten sind vier oder fünf schon richtig wohnhaft, zwei ziehen noch Mitte Januar um und einige im Februar. Die Bayerische hat versprochen, sie alle möglichst in St. Pauli und Umgebung unterzubringen. Ist das gelungen oder wird das gelingen? Nein, es wird nicht gelingen. Bis jetzt sind die meisten hier in St. Pauli oder in der Schanze untergekommen. Dies betrifft aber langjährige Mieter, diejenigen, die noch nicht solange hier wohnen, werden auch in anderen Stadtteilen leben müssen.   Wie sieht es mit den Gewerbetreibenden aus? Die haben kein Rückkehrrecht. Und Schadensersatz? Bekommen sie den wenigstens? Es hieß immer, dass die Bayerische nichts zahlen wird. Das hat Herr Taubenberger zwar auf einer Pressekonferenz gesagt. Eine Stunde später wurden aber die ersten Entschädigungen gezahlt. Da die Mieter etwa in den Hotels einen Mehraufwand haben. Sie müssen zum Beispiel essen gehen, können dort nicht kochen.  Was hat Jürgen Schütze, also der vorherige Eigentümer, eigentlich für die Instandhaltung der Häuser getan? Er hat nie ernsthaft instand gesetzt. Später hat er dann auf die Tränendrüse gedrückt, dass die Sanierungskosten so hoch sind und er das Gelände verkaufen muss. Er hätte kein Geld dafür. Dabei muss eigentlich jeder Vermieter stets einen Teil seiner Mieteinnahmen zur Seite legen, genau für solche Fälle. Ist nur die Frage, was er dann stattdessen mit den Mieteinnahmen gemacht hat. Billig waren die Wohnungen nicht. Wieso hat das Bezirksamt nicht eingegriffen? Das Bezirksamt hat auch geschlunzt. Andy Grote (Chef Bezirksamt Mitte) meinte sogar: „Die Mieter hätten sich selber nicht gemeldet, was im Keller passiert.“ Da ist uns aber der Hut hochgegangen. Das sind doch keine Bauingenieure. Das Bezirksamt hätte selber zwischendurch nachkucken müssen. Das ganze Gebiet um die Reeperbahn steht unter Beobachtungsdruck. Direkt neben den Esso-Häusern haben sie die neuen, schicken „Tanzende Türme“ gebaut und dann kucken die nicht mal bei dem Riesenkomplex nebenan? Das Haus am Nobistor 18 ist leer, da haben eine Menge südamerikanischer Frauen gewohnt—alle weg. Das Haus über und neben dem Penny-Markt, da brennt nur noch in zwei Wohnungen das Licht und eine davon ist die Hausmeisterwohnung. Da interessiert sich auch keiner für. Hätte Schütze das Haus denn überhaupt noch retten können? Das Gebäude hätte gar nicht so kaputt gehen können, wenn man das instand gehalten hätte. Darf die Bayerische denn jetzt ihren geplanten Neubau schon bauen? Es gibt noch nicht einmal eine Abrissgenehmigung.
Elena Ochoa Lamiño
[ "Esso-Tankstelle", "Gentrifizierung", "Hamburg", "News", "reeperbahn", "Vice Blog" ]
2014-01-16T17:09:00+00:00
2024-07-31T04:03:20+00:00
https://www.vice.com/de/read/dein-haus-ist-ein-lukratives-investment-geworden-also-verpiss-dich-esso-haus-hamburg
Ich habe mich bei einer Damenverbindung zur Bundesschwester hochgesoffen
Ursprünglich sollte es hier um Männer gehen, Männer in Studentenverbindungen, Burschenschaften, braune Suppe, irgendwas und ob diese Gruppierungen an Zulauf gewonnen haben in den letzten Jahren. Dann bin ich allerdings auf etwas gestoßen, das mich ganz schön verblüfft hat: Damenverbindungen. Alles, was ich zu dem Zeitpunkt über Studentenverbindungen gelernt hatte—über ihre Trinkrituale, das akademische Fechten, das Leben im Verbindungshaus—lief auf diese gute, alte, angestaubte Idee der Männerfreundschaft hinaus. Sich selbst beweisen vor den Bundesbrüdern, indem man sich mit einer scharfen Klinge auf den Kopf schlagen lässt und regelmäßige Saufeskapaden, bei denen einer befiehlt, wer was wie viel trinkt und das oft über mehrere Tage—wieso um Himmels Willen sollten nun auch noch Frauen so einen Scheiß mitmachen? Viele sind das in Deutschland auch nicht, zumindest nicht im Vergleich zu den Männern. „Es gibt wahrscheinlich 30 oder 40 Frauenverbindungen, da sind insgesamt ein paar Hundert Frauen drin. Dagegen sind das bei den Männern 150.000“, erzählt mir der Politologe Stephan Peters, der sich in seiner Doktorarbeit mit Studentenverbindungen befasst hat. Rund die Hälfte der Frauenverbindungen haben sich erst nach 2000 gegründet. Sie sind also das Aktuellste, was die Verbindungsszene zu bieten hat. Ich wollte mir das Ganze mal ankucken. Die einzige Berliner Studentinnenverbindung mietet sich regelmäßig den Kneipenraum in der fetten Villa einer Männerverbindung im schicken Berlin-Grunewald. Ich erkenne das Verbindungshaus schon von Weitem an der orange-weißen Flagge, die von der Hausfront weht. Als ich durch die Gartentür gehe, ruft es hinter mir: „Claudia?“ Ich drehe mich um und erblicke ein Mädchen in Jeffrey-Campbell-Absätzen, die vorhin mit mir aus dem Bus gestiegen ist. Katharina ist viel zu hübsch und zu gut angezogen für meine Klischeevorstellung von einer Damenverbindung mit eher rustikalen, Perlenohrringe tragenden Mädchen (ich hab alle Namen übrigens geändert) Nachdem ich klargestellt habe, dass ich nicht Claudia bin, aber gerne trotzdem mit reinkomme, nimmt Katharina mich mit ins Haus. Am Eingang kommt Alex auf uns zu, in Hemd, Krawatte, grauem Pullover und heller Stoffhose. Über dem Pullover spannt sich sein—wie ich später lernen werde—Burschenband in den Farben seiner Verbindung. Die beiden umarmen sich und weiter geht es die dunkle Holztreppe hinunter in den Keller. Dort landen wir in der Art Mini-Kneipe, für die das Wort „urig“ erfunden wurde. Eine kleine, mittelblonde Frau in hautfarbenen Strumpfhosen begrüßt uns mit nasaler Stimme. Sie steht hinter dem Bartresen, links von ihr vier andere Mädchen und alle ziemlich klein. Sie sind nicht hässlich oder so, nur so die Art von Mädchen, die halt immer ein bisschen zu brav ist und immer so ein bisschen rumstrebt. Ich treffe Nicht-Ich, also Claudia, die Medizin studiert und gerade in der Notaufnahme eines Berliner Krankenhauses arbeitet. Sie redet nicht so viel, aber ich bekomme schnell mit, dass sie heute in die Verbindung aufgenommen wird. Bevor das aber passiert, wird mir ein Bier vor die Nase gestellt und Zigaretten angeboten und ich werde herzlichst aufgenommen. Die sechs Frauen um mich herum freuen sich sichtlich über meine Anwesenheit, so dass ich fast schon erwarte, dass sie es dem Hund, der gerade mein Bein ansabbert, gleichtun werden. Offenbar mag er mich total. „Der weiß auch immer, ob Freund oder Feind“, erklärt mir Frauchen Maria. Ich unterhalte mich weiter durch den Zigarettenqualm hindurch mit den kettenrauchenden Mädels. Das alles ist so wohlige Kneipenatmosphäre. Dann wird Claudia endlich aufgenommen. Die Seniora (also die, die in dem Laden am meisten zu sagen hat) heißt Tina. Sie hat ein Porzellanpuppengesicht und honigblonde, glänzende Haare, und stellt sich nach vorne und gebietet mit einem selbstbewussten „Silentio!“ Ruhe. Sie liest die Prinzipien—glaube so hieß das, der Abend wurde einfach auch echt noch lang, da kann ich mir nicht alles merken—der Verbindung vor, von wegen Freundschaft, Lebensbund und so weiter und bittet Claudia zu sich, um ihr das Fuxenband (das, was die in der untersten schwesterschaftlichen Kaste bekommen) umzulegen und ihr die passende Mütze dazu zu geben. Dann singen sie ihr eigenes Lied auf ihre Verbindung, von wegen Freundschaft, Lebensbund, mit überzeugter und feierlicher Miene. Es hört sich an wie eine Mischung aus Volkslied und Nationalhymne. Jedes Blutkörperchen in mir schämt sich in diesem Augenblick fremd. Als das Gesinge vorbei ist, exen wir Sekt und die mit den beigefarbenen Strumpfhosen beginnt mit ihrem Vortrag mit dem Titel Der Lehrer—das unbekannte Wesen. Aha. Gefühlte fünf Stunden lang pappt sie uns mit ihrem Studium und ihren Erfahrungen als Lehrerin an einer Berliner Privatschule zu. Bundesschwestern müssen nämlich auf ihrem Weg die Hierarchieleiter hoch (bis hin zur „Hohen Dame“) allen möglichen Kram machen, Ämter bekleiden, Leute bewirten und eben auch Vorträge halten. So grob kenne ich diese Rituale und Hierarchien auch schon aus meiner Vorrecherche. Ab und zu lasse ich ein bisschen Wissen fallen. Fatal, wie sich schnell herausstellt: Als ich nach dem Ritual des „Bierjungen“ frage, von dem ich mal gelesen hätte, ruft eine Maria neben mir auf einmal „Hängt.“ Das ist das Geheimnis hinter dem Ritual: Eine sagt „Bierjunge“, die Nächste ruft „Hängt“ und wir beide müssen ein komplettes Bier exen. Irgendwie sind die hier große Fans vom Prinzip des Exens. Wir stoßen an. Während der letzten Züge bin ich der festen Überzeugung, dass ich mir gleich auf die Füße kotze. Danach mache ich es wie die anderen und nenne das Ritual nur noch “BJ“, sodass ich nicht mehr herausgefordert werden kann. Mittlerweile kommen auch Jungs zu uns in den Keller. So um die 15 sind wir jetzt. Neugierige Blicke von den Boys, ein anzügliches Augenzwinkern und ich merke, dass ich gerade als fickbar eingestuft worden bin. Dafür sind die meisten allerdings überraschend schüchtern. Mädchen und Jungs mischen sich nicht so richtig (weil, ihr wisst schon, Barbies und Matchbox-Autos), allerdings habe ich das Gefühl, dass es eher die Jungs sind, die unter sich bleiben wollen. Einige der Mädchen verabschieden sich sowieso schon gerade. Die Jungs tragen teilweise dunkle Anzüge, teilweise graue Pullunder, so ziemlich alle Hemd und Krawatte. Und das Band darf natürlich nicht fehlen, an dem man genau erkennt, wer gerade wo in der Hierarchiestufe steht. Die männlichen Füxe haben es nämlich etwas schwerer als die Mädchen, wie mir Marcel erklärt: „Man gibt quasi seine Eier bei seinem Fuxmajor ab, bis man geburscht wird.“ Das dauert in der Regel wohl so ein Jahr. In dem Augenblick torkelt Jan in die Kneipe. In schwarzem, ausgehangenen Unterhemd, kurzen Hosen und dreckigen Converse-Schuhen. Offenbar hatte er gestern Geburtstag und ist seit zwei Tagen dauerbesoffen. Er ist der Erste der Jungs, der mir spontan sympathisch ist. Alex, der hier in der Hierarchiekette ziemlich weit oben sitzt, nutzt Jan als Anschauungsmaterial für die kleine Predigt zum Burschenband, die er mir gerade hält. „Wenn man so aussieht, darf man sein Band nicht tragen.“ Generell ist Jans Outfit offenbar gerade nicht OK und Alex sagt ihm, er solle mal hoch gehen und sich umziehen—im Scherz, denke ich. Doch tatsächlich stiefelt Jan nach oben. Neben mir höre ich Katharina von der Gothia sprechen, einer Burschenschaft hier in Berlin, die man vorsichtig schon als sehr weit rechts bezeichnen kann. Ich frage nach. „Ja, da waren welche oben im Gemeinschaftsraum. Das sind Nazis, mit denen machen wir nichts Offizielles.“ Offenbar trifft man sich öfter mal auf irgendwelchen Partys, aber insgesamt will man mit den Rechtsextremen nichts zu tun haben. Die Burschenschaften, betont Alex, haben auch eine ganz andere Geschichte als die anderen Studentenverbindungen. Irgendwie schwenkt das Gespräch aufs Fechten. Ich wittere meine Chance, meinem YouTube-Video-Wissen etwas Live-Erfahrung hinzuzufügen. Und tatsächlich bekomme ich eine Privatvorstellung von Marcel und Alex. Wir treten (leicht schwankend, weil angetrunken) aus den Rauchschwaden und kraxeln die Treppen nach oben in den zweiten Stock. Wahrscheinlich sollte ich an dieser Stelle genauer das Haus beschreiben, aber nach Sekt, Bierjunge und Apfelwein kann ich mich nicht mehr auf Wandbehängung konzentrieren. Sieht halt alles altbacken aus, wie bei so einem traditionellen Sportsvereinshaus. Oben angekommen—auf dem Paukboden, wie ich lerne—ziehen Marcel und Alex sich dicke Schutzhandschuhe über die Arme, setzen Masken auf und stellen sich breitbeinig eine Degenbreite voneinenander entfernt auf. Ein bisschen Erklärung und dann geht’s los. Viel mehr als Handgelenk und Unterarm bewegt sich eigentlich nicht. Immer so fünf Schläge hintereinander, danach ist die Runde vorbei. Ich hatte im Vorfeld mal mit einem Freund, Tim, gesprochen, der selbst für einige Monate Mitglied bei einer pflichtschlagenden Verbindung war. Er sagte mir, dass die Jüngeren da meistens keine Lust drauf haben, die „alten Herren“ (also die, die schon mit der Uni fertig sind) es aber nicht zulassen, dass das Fechten abgeschafft wird. Mit Innovation ist da halt nicht so viel. Meine gebrechlichen kleinen Frauenhändchen dürfen natürlich nicht mit Degen spielen. Aber immerhin lässt Alex mich das 12 Kilo schwere Kettenhemd (wie bei Rittern, ohne Witz!) anprobieren. Das tragen sie bei den offiziellen Kämpfen gegen andere Verbindungen, den Mensuren. Dort bedeckt dann auch nichts den Kopf außer eines Augenschutzes, der mich an eine Dr. Who-Folge erinnert. Ich packe also mein Nerd-Wissen aus und stelle fest, dass Alex ebenfalls Dr. Who-Fan ist. Als wir wieder in den Keller kommen, ist auch Jan zurück, diesmal ordentlich in Jeanshemd und mit Couleur. Scherzend frage ich, ob Jan nicht fürs Nicht-Ordentlich-Angezogen-Sein bestraft werden müsste. Prompt verordnet Peter, der Fuxmajor, dem gerade Jans Eier gehören, Liegestütze. Jan, hackedicht, glaubt es erstmal nicht ganz. Als er nicht sofort spurt, wechselt Peters Ton von freundschaftlich zu Befehlshaber. Und ich bekomme meine drei Liegestütze … Irgendwann ruft Tina wieder „Silentio“ und kündigt an, dass wir jetzt das letzte Bier trinken. Ich bin fast ein wenig traurig, dass es vorbei ist. Kaum irgendwo in Berlin wird man so herzlich empfangen wie dort und ich habe nach nur einem Abend das Gefühl, dass diese Mädchen mich niemals im Stich lassen würden. Auch die Jungs sind ja keine bösen Verbindungsroboter, sondern Menschen, die Dr. Who mögen und Fechten eigentlich scheiße finden. Der Abend endet mit Tina, die mir noch einmal sagt, wie sehr es sie gefreut hat, dass ich einfach so vorbei gekommen bin. Und ob ich denn am Sonntag bei der nächsten Veranstaltung dabei sein will, dann könne ich auch gleich meine Unterlagen mitbringen, falls ich beitreten möchte. Unterlagen? Ja, halt Lebenslauf (Lebenslauf?). Offenbar bin ich nämlich zur Bundesschwester geeignet: „Ich habe das Gefühl, du würdest hier einfach super reinpassen!“
Carolin Benack
[ "Bruderschaften", "Campus, Sex und Ravioli", "Fechten", "Freundschaft", "Jugendliche", "News", "saufen", "Studenten", "studieren", "uni", "Verbindungen" ]
2013-04-19T14:24:00+00:00
2024-07-31T05:49:16+00:00
https://www.vice.com/de/article/ich-habe-mich-bei-einer-damenverbindung-zur-bundesschwester-hochgesoffen/
Wir sollten alle mit Blut kochen
Alles begann mit einem Abendessen im Mugaritz. Ich war mit ein paar Kollegen vom Nordic Food Lab auf Rundreise durch Spanien, wo wir uns den „Abstecher” in eines der besten Restaurants der Welt einfach nicht verkneifen konnten. Zum Nachtisch wurden uns sehr spezielle Makronen serviert—aus Schweineblut und Blaukäse. Keine Frage, es hat super geschmeckt. Aber vor allem waren wir angetan von der Idee, Makronen ganz ohne Eier zuzubereiten. Nach dem Essen haben wir mit ein paar Leuten vom Mugaritz in ihrer Forschungsküche zusammengesessen. Dort hat uns dann einer der Köche erklärt (obwohl ich mir nicht so sicher bin, ob das wirklich im Sinne seiner Chefs war), wie man beim Kochen Eier durch Blut ersetzen kann. Blut hat etwas überaus Reißerisches und lässt keinen kalt. Es erinnert auf sehr plastische Weise an den Tod. Es führt uns mit einem Knalleffekt vor Augen, dass auf unserem Teller Überreste eines toten Tieres liegen. Viele Leute blenden gerne aus, dass ihr Brathähnchen auf einen Vogel mit Federn, Schnabel und Blut zurückgeht. Das klappt bei abgepackten Fleischwaren aus dem Supermarkt auch ziemlich gut. Bei Blut ist das hingegen anders. Und genau aus diesem Grund mussten wir es einfach in unsere Arbeit aufnehmen. Vielen Menschen ist der Geschmack von Blut präsenter, als ihnen vielleicht bewusst ist. Wenn Leute zum Beispiel Blutwurst essen, kommen sie an dem süßlich-strengen Geschmack einfach nicht vorbei. Gleichzeitig ist die geschmackliche Wahrnehmung von Mensch zu Mensch sehr verschieden. Eine der Fragen, der wir unbedingt nachgehen möchten, ist die, ob Frauen genauso auf den Geschmack von Blut reagieren wie Männer. Und nehmen Frauen den Geschmack stärker wahr, wenn der eigene Körper aufgrund der Menstruation gerade Blut verliert? Ihr seht, das Thema Blut hat es uns wirklich angetan. Wenn ich Leute dazu ermutige, in der Küche mit Blut zu arbeiten, geht es mir keinesfalls darum, ein How-To für finanziell schwierige Zeiten zu bieten, sondern an ihren gesunden Menschenverstand zu appellieren. Ich sehe das so: Wenn du von einem Schwein nur die Filetstücke verwertest, stehst du vor einem doppelten Dilemma. Erstens verhältst du dich gegenüber dem getöteten Tier respektlos. Und zweitens macht es wirtschaftlich keinen Sinn. Das ganze Tier zu verwerten, also samt seinem Blut, ist also nur logisch und sollte nicht als ein „Trend” von irgendwelchen Foodies angesehen werden. Die meisten Leute, die im St. John Niere oder Leber vom Lamm essen, machen das nicht, weil sie auf Teufel komm raus Gerichte wollen, die „in” sind. Nein, meiner Meinung nach haben sie einfach nur verstanden, dass ein Schaf auch innere Organe hat und nicht nur aus Schultern und Haxen besteht. Dabei möchte ich betonen, dass es nicht darum geht, der blutrünstigste Fleischesser zu sein. Ganz im Gegenteil. Es geht um Respekt. Ich für meinen Teil ernähre mich überwiegend vegetarisch. Wenn ich doch mal Fleisch esse, dann verwerte ich auch das gesamte Tier (wenn auch nicht in einem Ritt). In Dänemark gibt es zwanzig Millionen Schweine (bei gerade mal fünf Millionen Einwohnern). Jeden Tag haben 20.000 von ihnen leider gar kein Schwein und müssen ihr Leben lassen. Das Blut landet dann fast immer im Abfluss. In unserem Fall war es, der dänischen Gesetzeslage sei dank, dennoch gar nicht so leicht, an das „Abfallprodukt” heranzukommen. Das sollte aber keinen Hobby-Koch davon abhalten, es einfach mal mit Blut zu probieren. Aber Achtung: Besorg dir unbedingt frisches Blut. Geh dafür am besten zum Metzger deines Vertrauens und erkundige dich bei den Mitarbeitern, an welchen Tagen geschlachtet wird—wenn einer an frisches Blut rankommt, dann sie. Und Achtung: Lass die Finger von dem gefrorenen Zeug aus dem Asia Shop—es schmeckt einfach nur furchtbar, wenn es erstmal aufgetaut ist. Der reine und süßliche Geschmack von Blut geht dabei nämlich komplett verloren. Und gefriergetrocknetes Blut (das Zeug, das so aussieht wie Milchpulver) könnte man zwar dazu verwenden, um den Eiweißgehalt bestimmter Lebensmittel zu erhöhen, zum Kochen eignet es sich aber trotzdem nicht. Du brauchst schon das knallrote und flüssige Zeug und du musst dich echt sputen. Denn es gerinnt verdammt schnell. Wenn du alle logistischen Hürde überwunden hast und frisches Blut auftreiben konntest, wäre es—unserer Erfahrung beim Nordic Food Lab nach—eine gute Idee, mit Blut-Pfannkuchen oder einem Blutkuchen zu beginnen—beides geht leicht von der Hand. Blutwurst (ein Mix aus frischem Blut, Hafer, Fett sowie Gewürzen) ist dagegen der Heilige Gral. Du brauchst dafür unbedingt ein Füllgerät sowie Naturdarm. Alles in allem ist die Zubereitung relativ simpel. Das wissen aber nicht deine Gäste, die dich beim Anblick der hausgemachten Blutwürste ohne Zweifel für den ultimativen Boss in der Küche halten werden. Also trau dich was und mach’s mit (Herz-)Blut.
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2014-10-29T09:00:08+00:00
2024-08-12T08:43:52+00:00
https://www.vice.com/de/article/wir-sollten-alle-mit-blut-kochen-271/
So fühlt es sich an, mit 29 noch ungeküsst zu sein
Georg, 29, sieht aus wie Tausende andere Männer in Deutschland: dunkler Pulli, roter Schal, Brille, die Augen dahinter wach und blau. Vielleicht ist er schüchterner als der durchschnittliche Kerl. Vielleicht etwas ruhiger, verkopfter. In unserer Gesellschaft ist es schwer vorzustellen, dass er noch nie eine Freundin oder einen Freund hatte. Noch nie einen Kuss bekam. Noch nie Sex hatte. Die Hälfte der Deutschen hat spätestens im Alter von 17 Jahren ihr erstes Mal erlebt. Bei den 21-Jährigen hatten bereits 89 Prozent Sex. Erwachsene, die keinerlei romantische oder sexuelle Erfahrungen haben, nennen sich selbst Absolute Beginner. In Deutschland lebten im Jahr 2015 etwa 16,87 Millionen Menschen in Single-Haushalten. Wie groß der Anteil der Absoluten Beginner darunter ist, lässt sich schwer sagen – denn sie sprechen in den seltensten Fällen öffentlich darüber. In dem Buch Und wer küsst mich? von Maja Roedenbeck schätzt der Experte Wolfgang Cronrath die Anzahl auf etwa zehn Prozent. In Berlin gibt es eine Selbsthilfegruppe, in der Absolute Beginner sich über ihr Leben austauschen. Georg ist einer von ihnen. Und er heißt nicht wirklich so. Er hat VICE gebeten, seinen Namen zu ändern: “Die Scham ist zu groß.” Er lebt alleine in Berlin und arbeitet im Bereich Online-Marketing. Auch bei VICE: So erkaufen sich japanische Single-Frauen die “Boyfriend Experience” “Ich kann die Sprüche nicht mehr hören: ‘Jeder Topf hat einen Deckel!’ – ‘Du musst nur die Richtige finden.’ – ‘Schon mal Onlinedating probiert?’ Oder: ‘2017 klappt es bestimmt.’ Seit Jahren höre ich das schon. Passiert ist nichts. Körperlich bin ich einer Frau noch nie näher gekommen als Kuscheln. Mittlerweile traue ich mich, auch mal nach einem Date zu fragen. Es geht dann nur nie weiter. Ich weiß einfach nicht, wie ich mich Frauen gegenüber verhalten soll, wenn ich mit ihnen alleine bin. Bei einem Treffen war es furchtbar verkrampft und keiner wusste so recht, was er sagen oder tun sollte. Ein anderes Mal habe ich mich im Urlaub gut mit einer Frau verstanden und auch versucht, meinen Arm um sie zu legen, aber sie hat mir erklärt, dass sie schon jemanden hat. Oft deute ich auch Signale falsch. Frauen sehen mich häufig einfach als einen Freund. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass ich ein schüchterner, introvertierter Typ bin. Das war ich schon immer, allerdings früher deutlich stärker. Ich habe lieber ein Buch gelesen oder vor dem Computer gesessen, statt auszugehen. Dabei habe ich mich schon früh verliebt, so mit zehn oder elf. Aber ich habe es immer für mich behalten. Mit den Jahren habe ich mich immer stärker nach einer Beziehung gesehnt. Erst dachte ich, das kommt schon noch, es braucht nur Zeit. Aber mittlerweile frage ich mich an schlechten Tagen: ‘Wird es sich überhaupt jemals ändern? Werde ich mal eine eigene Familie haben?’ Dabei würde mir eine Affäre fürs Erste ja schon reichen. Ein Kuss, irgendwas, das über das erste Treffen hinausgeht. Am schlimmsten ist das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Es fehlt mir einfach etwas, das für andere selbstverständlich ist. Natürlich bekommt meine Familie das auch mit. Früher haben sie mich noch gefragt, ob ich eine Freundin hätte, aber jetzt haben sie damit aufgehört. Sie wissen, dass es ein sensibles Thema für mich ist, und wenn ich ehrlich bin, sind sie in dieser Hinsicht kein emotionaler Beistand. Außer ihnen, meinen engsten Freunden und den anderen ABs weiß keiner Bescheid, dass ich noch nie eine Freundin oder sexuelle Erfahrungen hatte. Ich habe schon Angst, dass es jemand mitbekommt. Ich weiß nicht, wie andere darauf reagieren würden, habe keine Lust auf betretenes Schweigen oder Mitleid oder eben diese Topf-und-Deckel-Sprüche. Zum Glück hat mich auf der Arbeit noch niemand darauf angesprochen. Aber neulich bei einem Abend im Café hat eine Bekannte ganz selbstverständlich in die Runde gefragt, wie wir den Valentinstag verbracht haben. Ich war heilfroh, dass andere zuerst geantwortet haben, bevor ich etwas hätte sagen müssen. Klar hätte ich antworten können, dass ich Single bin. Aber, dass es für andere Menschen eine einfache Small-Talk-Frage ist, macht mir zu schaffen. In solchen Situationen wünsche ich mir besonders eine Freundin. Oder auf Partys, wenn Pärchen von ihren Wochenendausflügen erzählen oder ihren Reisen zu zweit. Ich könnte dann höchstens vom Urlaub mit der Singlereisegruppe erzählen. Zweimal bin ich mitgefahren und es war toll, wie offen die Menschen waren. Gelaufen ist aber nichts. Vor drei Jahren habe ich beschlossen, aktiver zu werden und etwas zu ändern. Durch das Buch von Maja Roedenbeck habe ich den ‘AB-Treff’ – ein Forum für Absolute Beginner – entdeckt und bin dann zur Selbsthilfegruppe gegangen. Bei unseren Gruppentreffen sind wir meist acht Erwachsene zwischen 25 und 45 Jahren, ungefähr die Hälfte sind Frauen. Was mir aufgefallen ist: Die ABs sind oft überdurchschnittlich gebildet und sehr klug – aber eben wie ich meist introvertiert und verkopft. Und viele sind sehr freundlich – fast übertrieben nett. Ich denke, viele von uns haben das Problem, dass wir Dinge tun, nur um anderen zu gefallen. Ich hatte auch Dates mit ein paar AB-Frauen. Die Vorstellung, dass zwei unerfahrene Menschen die Liebe gemeinsam entdecken, finde ich immer noch schön. In der Praxis funktioniert es aber nicht so leicht. Wenn beide keine Ahnung haben, macht niemand den ersten Schritt. Die AB-Gruppe trifft sich jeden Sonntag für etwa zwei Stunden. Zuerst erzählt jeder, wie die Woche war und wie es ihm geht. Manche arrangieren sich gerade ganz gut mit ihrer Einsamkeit, andere schlechter. Manche hatten noch nie Kontakt zum anderen Geschlecht, andere hatten schon Sex, aber keine Beziehung. Mancher ist zu einer Prostituierten gegangen, um wenigstens einmal zu erleben, wie es ist. Für mich kommt Sex gegen Bezahlung nicht in Frage – zumindest jetzt nicht –, obwohl ich schon mal mit dem Gedanken gespielt habe. Aber die Hürde, es wirklich zu tun, ist dann doch noch zu groß. Wenn ich an die Zukunft denke, so in 10, 20 Jahren, sehe ich mich mit Frau und Kindern. Ich hoffe einfach, dass ich bald eine Partnerin finde. Ich fühle mich nämlich sehr bereit für eine Beziehung. Und reifer als je zuvor. Ich warte nicht auf die perfekte Frau, sondern einfach auf jemanden, mit dem ich mich gut verstehe und Dinge gemeinsam unternehmen kann. Ich bin in einem Sportverein, gehe öfter auf Kulturveranstaltungen, Lesungen und Konzerte – aber da fühle ich mich auch manchmal einsam. Am meisten fehlt mir einfach jemand, der zu Hause auf mich wartet – oder auf den ich warten kann.” Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.
Georg, aufgezeichnet von Vivien Nogaj
[ "Beziehung", "einsam", "Liebe", "Onlinedating", "Selbsthilfegruppe", "Sex", "single" ]
Sex
2017-02-24T10:43:19+00:00
2024-07-30T19:22:45+00:00
https://www.vice.com/de/article/so-fuhlt-es-sich-an-mit-29-noch-ungekusst-zu-sein/
Attaque macht eine 180°-Wende und ab jetzt Musik für erwachsene Menschen
Dominic Gentry aus dem beschaulichen Colchester in Essex, irgendwo nordöstlich von London, war auf dem besten Weg, eine angesagte Figur der Techno/EDM-Szene zu werden. Seine Tracks wie „Shine“ oder „Moderate“ wurden von großen DJs in angesagten Clubs gespielt, seine Bookings namen weltweit Fahrt auf. Attaque traf genau den Sound, der gerade vor allem in den neuen Märkten Nordamerikas Hunderttausende zum Ausrasten bringt. Nun hätte es sich der Brite einfach machen können und dank seines wachsenden Ruhms eine Karriere zwischen Las Vegas und Ibiza starten können, wo er jeweils einfach per Knopfdruck den MDMA-geschwängerten Kids die Gehirnzellen hätte durchschütteln können, um nachher dankbar die Gage in feinstes Koks investieren zu können. Hätte, hätte. Attaque scheint diese Aussicht nicht sonderlich gereizt zu haben. Stattdessen nahm er Bassdrum, Synthie-Gewitter und auf die Fresse-Sounds komplett raus und liefert dem geneigten Hörer auf seinem Debütalbum ON LY OU jetzt verletzlich verträumte Popnummern, mit Einschlägen aus Shoegaze und Electronica, die wirklich kein bisschen nach dem klingen, mit dem Attaque sich vor einer Weile zum gehypten DJ mauserte. Und das ist unserer Meinung nach wirklich eine sehr gute Nachricht, denn viele Anzeichen deuten längst darauf hin, dass der EDM-Hype der letzten Jahre schneller verpufft, als er kam. Was Attaque auf seinem Album liefert, hat dagegen eine Wertigkeit, die bleiben dürfte. Dass der erste Song von diesem Debütalbum auch noch passenderweise „Change Your Mind“ heißt, ist eventuell ein kleines bisschen konstruiert, macht den Song aber kein bisschen weniger hörenswert. Hört ihn euch hier exklusiv an und halten die Ohren und Augen auf, denn das Album erscheint am 24. Oktober via Bad Life/Rough Trade. ** Folgt YNTHT bei Facebook und Twitter. MEHR VON YOU NEED TO HEAR THIS
Ayke Süthoff
[ "Album", "attaque", "change your mind", "Music", "New music", "Noisey", "Premiere", "song", "You Need to Hear This" ]
2014-08-27T11:00:00+00:00
2024-07-31T02:52:24+00:00
https://www.vice.com/de/article/attaque-change-your-mind-premiere/
Huang’s World: London, Teil 1
In der ersten Folge von Huang’s World: London macht sich Eddie auf zur Brick Lane, einer historischen Enklave im Osten der Stadt und Heimat von Türken, Juden und Bengalis. Dort isst er das Lieblingsgericht der Briten, indisches Tikka Masala. Er versucht sich dann mit einer pakistanischen Cricket-Liga an Cricket und sieht sich die Auswirkungen der britischen Kolonisierung and der institutionalisierten Islamophobie in London genauer an. Abonniere MUNCHIES für mehr. Staffel 2 Episode 4 von Huang’s World. Mehr zu sehen
Eddie Huang
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Food
2014-12-19T15:00:09+00:00
2024-07-31T04:36:46+00:00
https://www.vice.com/de/article/huangs-world-london-1-445/
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