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171,268 | lg-dusseldorf-2019-01-14-8-oh-516 | {
"id": 808,
"name": "Landgericht Düsseldorf",
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"jurisdiction": "Ordentliche Gerichtsbarkeit",
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} | 8 OH 5/16 | 2019-01-14T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:36 | 2019-02-12T13:44:31 | Beschluss | ECLI:DE:LGD:2019:0114.8OH5.16.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag des Sachverständigen Dipl.-Ing. C. vom 21.06.2018 auf Bewilligung eines Vorschusses in Höhe von 2.130,29 EUR wird zurückgewiesen.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration: underline;">G r ü n d e :</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks"><strong>I.</strong></p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der Sachverständige Dipl.-Ing. C. (im Folgenden: Antragsteller) wurde mit Beweisbeschluss vom 11.01.2017 (Bl. 48 ff. d.A.) mit der Erstellung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens beauftragt. Am 21.06.2018 beantragte er die Bewilligung eines Vorschusses in Höhe von 2.130,29 EUR gemäß § 3 JVEG, die sich aus den Positionen Zeitaufwand (1.402,50 EUR netto) sowie Auslagen und Aufwendungen (387,66 EUR netto, von denen 251,56 EUR Aufwendungen für Hilfskräfte nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 JVEG betrafen) zusammensetzte. Für die Einzelheiten der Vorschussrechnung wird auf Bl. 242 f. d.A. Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Landeskasse hat zu dem Antrag unter dem 03.09.2018 Stellung genommen (Bl. 247 d.A.) und ist dem Antrag entgegengetreten. Hierbei hat sie die Auffassung vertreten, dass eine Vorschussbewilligung nach § 3 JVEG nur dann in Betracht komme, wenn die bereits erbrachten Teilleistungen 2.000,- EUR überstiegen bzw. erhebliche Fahrkosten oder sonstige Aufwendungen entstanden seien bzw. voraussichtlich entstehen würden. Beides sei vorliegend nicht der Fall, da sich die Vergütung lediglich auf 1.402,50 EUR und die Aufwendungen lediglich auf 387,66 EUR beliefen. Die Landeskasse beantragte insoweit gerichtliche Festsetzung gemäß § 4 JEVG (Bl. 248 d.A.).</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller nahm zu den Ausführungen der Landeskasse unter dem 13.09.2018 Stellung (Bl. 266 d.A.) und vertrat die Auffassung, dass die Grenze von 2.000,- EUR bereits deswegen erreicht sei, da die Umsatzsteuer Teil der Sachverständigenvergütung sei; die Wertgrenze von 2.000,- EUR sei als solche jedoch auch gar nicht alleine maßgeblich für die Bewilligung eines Vorschusses.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die Landeskasse vertrat hierzu – erneut angehört – die Auffassung, dass nach dem Wortlaut des § 3 JVEG davon auszugehen sei, dass entweder die Fahrtkosten bzw. sonstigen Aufwendungen oder die zu erwartende Vergütung jeweils einschließlich Umsatzsteuer einen Betrag von 2.000,- EUR übersteigen müssten (Bl. 272 d.A.).</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die Kammer hat dem Antragsteller per Verfügung vom 15.10.2018 (Bl. 275 ff. d.A.) im Einzelnen ihre Rechtsauffassung dargelegt. Hierbei hat sie insbesondere darauf hingewiesen, dass eine Bewilligung des Vorschusses nur dann in Betracht komme, wenn die Arbeiten für Hilfskräfte substantiiert dargelegt würden, so dass überprüft werden könne, ob die durchgeführten Arbeiten in sich selbst abgeschlossen seien und gegenüber dem Gutachten abgegrenzt werden könnten bzw. bereits vor Fertigstellung des Gutachtens geprüft werden könne, ob die Arbeiten notwendig gewesen seien.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller hat hierzu unter dem 10.12.2018 Stellung genommen (Bl. 297 d.A.) und mitgeteilt, dass der abgerechnete Zeitaufwand für die Hilfskraft im Zusammenhang mit folgenden Tätigkeiten entstanden sei: Verabredung eines Ortstermins, Beschaffung von Unterlagen und Erläuterung zur Durchführung der Gutachtertätigkeit, die von dem Antragsteller hinterfragt worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Landeskasse hat in Bezug auf diese auf den richterlichen Hinweis erfolgte Erläuterung mitgeteilt, diese nach wie vor keine substantiierte und detaillierte Aufschlüsselung der Verrichtungen der Hilfskräfte entnehmen lasse und insoweit nicht festgestellt werden könne, ob diese von § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 7 Abs. 2 JVEG abgegolten seien (Bl. 305 d.A.).</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks"><strong>II.</strong></p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Auf den Antrag der Staatskasse auf gerichtliche Entscheidung (§ 4 Abs. 1 JVEG) war der Antrag des Antragsteller vom 21.06.2018 auf Bewilligung eines Vorschusses nach § 3 JVEG zurückzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">1.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Grundsätzlich kann der Sachverständige, der einen Gutachtenauftrag ausführt, eine Vergütung erst nach Vorlage des Gutachtens verlangen, vgl. § 2 Abs. 1 S. 2 JVEG.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Nach § 3 JVEG ist dem Sachverständigen ein angemessener Vorschuss zu bewilligen, wenn (1) dem Berechtigten erhebliche Fahrtkosten oder sonstige Aufwendungen entstanden sind oder voraussichtlich entstehen werden oder (2) wenn die zu erwartende Vergütung für bereits erbrachte Teilleistungen einen Betrag von 2.000,- EUR übersteigt.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">a) § 3, Alt. 2 JVEG</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Grundsätzlich könnte dem Antragsteller unter der Voraussetzung der Alt. 2 des § 3 JVEG Anspruch auf Vorschuss seiner Vergütung zustehen.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">aa)</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Tatbestandliche Voraussetzung des § 3, 2. Alt. JVEG ist, dass die geltend gemachten Teilleistungen bereits erbracht wurden und im Umfang der Vergütung den Betrag von 2.000,- EUR übersteigen (Binz, in: Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, 3. Aufl. 2014, § 3 JVEG, Rn. 3). Hierbei handelt es sich bei der Betragsgrenze von 2.000,- EUR um den Bruttobetrag, d.h. der Vergütung einschließlich der Umsatzsteuer, denn auch die sonstigen Aufwendungen nach § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 JVEG, zu denen die Steuer gehört, werden von § 3 JVEG erfasst (Schneider, JVEG, 2. Aufl. 2014, § 3 JVEG, Rn. 29).</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Der von dem Antragsteller geltend gemachte Betrag i.H.v. 2.130,29 EUR brutto umfasst die Abrechnung von Zeitaufwand i.H.v. 1.668,98 EUR brutto (1.402,50 EUR netto) und von Aufwendungen i.H.v. 461,32 EUR brutto (387,66 EUR netto). Für die Beurteilung der Frage, ob diese Kosten i.R.d. § 3, Alt. 2 JVEG vorschussfähig sind, muss daher entschieden werden, welche Kosten als „Vergütung“ i.S.d. Vorschrift anzusehen sind.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">(1)</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Es ist vorliegend – und soweit ersichtlich, auch in Schrifttum und Rechtsprechung – streitig, was unter „Vergütung“ i.S.d. § 3, Alt. 2 JVEG zu verstehen ist.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Teilweise wird vertreten, es handele sich bei Teilleistungen i.S.d. § 3, Alt. 2 JVEG um solche, die im Umfang der Vergütung nach § 8 JVEG, also einschließlich aller Aufwendungen nach §§ 5 – 7 und § 12 JVEG, den Betrag von 2.000,- EUR übersteigen (Binz, a.a.O., § 3 JVEG, Rn. 1, 3).</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Wie auch die Landeskasse in ihrer Stellungnahme vertreten hat, wird demgegenüber auch die Auffassung vertreten, dass unter „Vergütung für bereits erbrachte Teilleistungen“ nur das Honorar für Leistungen i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 1 JVEG zu verstehen ist (LG Halle (Saale), Beschluss v. 22.02.2018, Az. 4 OH 14/17, Rn. 2 – zitiert nach juris; Schneider, a.a.O., § 3 JVEG, Rn. 31). Das LG Halle begründet dies mit dem Gesetzeswortlaut des § 8 Abs. 1 JVEG, der klar zwischen den zu vergütenden Leistungen und dem anderweitigen Aufwand trenne.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Der Gesetzeswortlaut des § 3, Alt. 2 JVEG ist insoweit nach Auffassung der Kammer nicht eindeutig. So ist von der „zu erwartenden Vergütung für bereits erbrachte Teilleistungen“ die Rede. Soweit an das Wort „Teilleistungen“ angeknüpft wird, erscheint es vertretbar, die Vorschrift nur auf § 8 Abs. 1 Nr. 1 JVEG („Honorar für Leistungen, §§ 9 bis 11“) bezogen wissen zu wollen. Knüpft man andererseits an „die zu erwartende Vergütung“ an, bestimmt § 8 Abs. 1 JVEG, dass Sachverständige als Vergütung nicht nur das Honorar (Nr. 1) erhalten, sondern auch Fahrtkostenersatz (Nr. 2), Entschädigung für Aufwand (Nr. 3) und Ersatz für sonstige und für besondere Aufwendungen (Nr. 4).</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">(2)</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die Kammer hält die zuletzt genannte Auffassung für vorzugswürdig, wonach auch die von § 3, Alt. 1 JVEG umfassten Aufwendungen i.R.d. § 3, Alt. 2 JVEG berücksichtigungsfähig sind.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Hierfür spricht, dass die Umsatzsteuer – im Übrigen auch nach Auffassung der Landeskasse und Vertretern der erstgenannten Auffassung (vgl. Schneider, a.a.O., § 3 JVEG, Rn. 29) – gemäß § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 JVEG bei der Bemessung der Summe von 2.000,- EUR Berücksichtigung finden soll. Dies wäre nicht mit der Auffassung vereinbar, nur § 8 Abs. 1 Nr. 1 JVEG sei von der Vorschusspflicht gem. § 3, Alt. 2 JVEG erfasst.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Zum anderen sieht die Kammer die beiden Fälle des § 3 JVEG nicht als sich gegenseitig ausschließend an, sondern als zwei nebeneinander stehende Möglichkeiten der Vorschusspflicht. So sind Konstellationen denkbar, unter denen ein Sachverständiger bereits erhebliche Aufwendungen hat, ohne insgesamt durch Teilleistungen einen Betrag von 2.000,- EUR zu überschreiten. Dass auch Konstellationen denkbar sind, in denen die Vorschussmöglichkeit nach Alt. 1 in derjenigen nach Alt. 2 „aufgehen“ kann, steht einer solchen Auslegung nicht entgegen.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass § 3, Alt. 2 JVEG sicherstellen soll, dass ein Vorschuss auch dann zu bewilligen sein soll, wenn die von dem berechtigten bereits erbrachten Leistungen einen Teilvergütungsanspruch in Höhe von 2.000,- EU begründen (BT-Drucks. 15/1971, S. 179). In diesen Fällen erscheine es zur Vermeidung unverhältnismäßig umfangreicher Vorfinanzierungen stets geboten, eine Abschlagzahlung auf den Vergütungsanspruch zu erhalten.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Insoweit stützt der gesetzgeberische Wille nach Auffassung der Kammer die hier vertretene Ansicht. Denn das Unbilligerscheinen der Vorfinanzierung für umfangreiche Vorleistungen wird insbesondere in Fällen relevant, in denen bereits umfangreiche Zahlungen durch den Sachverständigen erfolgt sind. Dass der Sachverständige darüber hinaus auch bzgl. seines eigenen Honorars in Vorleistung geht, stellt zwar ebenfalls eine Vorleistung, aber nicht gleichermaßen eine „Vorfinanzierung“ dar.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">b) § 3, Alt. 1 JVEG</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich § 3, Alt. 1 JVEG gilt, dass die nach § 1 JVEG Berechtigten einen Anspruch auf Vorschuss nur bezüglich der Fahrtkosten und der sonstigen Aufwendungen nach § 7 JVEG haben, nicht jedoch wegen der übrigen Entschädigungstatbestände wie z.B. Verdienstausfall (vgl. Binz, a.a.O, § 3 JVEG, Rn. 1).</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Die Fahrtkosten und sonstigen Aufwendungen müssen hierbei einen Betrag von 250,- EUR übersteigen, um „erheblich“ i.S.d. Vorschrift zu sein (Binz, a.a.O., Rn. 2; Schneider, a.a.O., § 3 JVEG, Rn. 18; Moebus, Der Bausachverständige 2010, Nr. 6, 55, 59). Dass sich die Erheblichkeit der in Alt. 1 genannten Fahrtkosten oder sonstigen Aufwendungen an der ausdrücklichen Betragsgrenze der Vergütung für Leistungen in Alt. 2 orientiert, ist dem Wortlaut nicht zu entnehmen und auch sonst nicht ersichtlich.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Insofern gilt vorliegend, dass der Antragsteller Aufwendungen i.H.v. 387,66 EUR netto (461,32 EUR brutto) geltend gemacht hat. Hierbei entfällt ein maßgeblicher Teil auf den Posten „Aufwendungen für Hilfskräfte“ (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 JVEG) i.H.v. 251,56 EUR netto. Voraussetzung für eine Erstattung nach § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 JVEG ist neben der Notwendigkeit eines Einsatzes und der Qualifikation als Hilfskraft die Mitteilung des entsprechenden Aufwandes. Denn anders lässt sich ein Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen nicht begründen und nicht prüfen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 28.05.2015, Az. L 12 SF 1072/14 E, Rn. 30 – zitiert nach juris). Davon unabhängig können Vorschüsse für Arbeiten von Hilfskräften nur dann gewährt werden, wenn die durchgeführten Arbeiten in sich selbst abgeschlossen sind und gegenüber dem Gutachten abgegrenzt werden können bzw. vor Fertigstellung des Gutachtens die Notwendigkeit der Arbeiten überprüft werden kann (vgl. OLG München, Beschluss vom 21.10.1975, Az.11 W 1502/75 – zitiert nach juris).</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller hat zwar einen konkreten Betrag genannt, jedoch auch auf Nachfrage der Kammer die Aufwendungen für Hilfskräfte nicht hinreichend dargelegt. So hat der Antragsteller zwar das Aufgabenfeld der Hilfskraft grob umschrieben (Verabredung des Ortstermins, Beschaffung von Unterlagen, Erläuterung der Durchführung der Gutachtertätigkeit, die von dem Antragsteller hinterfragt worden ist), allerdings ist durch eine derartig pauschale, zeitlich und sachlich nicht im Einzelnen abgrenzbare Beschreibung im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens nicht feststellbar, ob diese Arbeiten notwendig und in sich abgeschlossen sind. Insbesondere ist auf dieser Grundlage nicht ersichtlich, ob die jeweilige Verrichtung der Hilfskraft bereits durch andere Vorschriften des JVEG (z.B. § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 oder § 7 Abs. 2 JVEG) abgegolten sind.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">2.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Nach alledem kommt es nach Auffassung der Kammer nicht darauf an, ob der Antragsteller unter der Voraussetzung der Alt. 2 des § 3 JVEG Anspruch auf Vorschuss bezüglich seiner Vergütung hätte. Denn die Grenze des § 3, Alt. 2 JVEG von 2.000,- EUR ist auch nach diesseitiger Auffassung nur dann überschritten, wenn die Aufwendungen für Hilfskräfte mit einbezogen werden können. Da diese Kosten aus den vorstehenden Gründen nicht vorschussfähig sind, kommt die Zahlung eines Vorschusses nach § 3 JVEG insgesamt nicht in Betracht. Der Antrag war dementsprechend zurückzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsbehelfsbelehrung:</strong></p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Gegen die gerichtliche Festsetzung der Vergütung, Entschädigung oder des Vorschusses gemäß § 4 Abs. 1 JVEG ist die Beschwerde an das Landgericht Düsseldorf statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder das Landgericht die Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen hat. Die Beschwerde ist bei dem Landgericht Düsseldorf, Werdener Straße 1, 40227 Düsseldorf, schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden.</p>
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171,267 | ovgnrw-2019-01-14-4-a-619a | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 4 A 6/19.A | 2019-01-14T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:36 | 2019-02-12T13:44:30 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0114.4A6.19A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 13.11.2018 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Minden wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both">
<h1> </h1>
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist nicht wegen der allein geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellung bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Für die Darlegung dieser Voraussetzungen ist neben der Formulierung einer Rechts- oder Tatsachenfrage erforderlich, dass der Zulassungsantrag konkret auf die Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit der Rechts- bzw. Tatsachenfrage sowie ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26.4.2018 – 4 A 869/16.A –, juris, Rn. 4 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Eine auf tatsächliche Verhältnisse gestützte Grundsatzrüge erfordert überdies die Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen etwa im Hinblick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Auskünfte oder abweichende Rechtsprechung einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich sind. Insoweit ist es Aufgabe des Rechtsmittelführers, durch die Benennung von bestimmten begründeten Informationen, Auskünften, Presseberichten oder sonstigen Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Bewertungen in der Zulassungsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26.4.2018 – 4 A 869/16.A –, juris, Rn. 6 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Diesen Darlegungsanforderungen genügt die Antragsbegründung nicht.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der Kläger formuliert schon keine Rechts- oder Tatsachenfrage. Seinem Vorbringen zur Gefährdung durch die eine Verbindung ablehnende Familie seiner Freundin ist auch sinngemäß keine fallübergreifende Frage zu entnehmen. Wenn man seinem Vorbringen zu einer befürchteten unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch die Familie seiner Freundin sinngemäß die Frage entnimmt, ob § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG auch vor Gefährdungen durch Angehörige einer Freundin schützt, legt er die Entscheidungserheblichkeit dieser Frage nicht dar. Das Verwaltungsgericht ist unter Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Bescheides vom 17.2.2017 gemäß § 77 Abs. 2 AsylG davon ausgegangen, dass der Kläger internen Schutz insbesondere in der Anonymität einer pakistanischen Großstadt finden kann. Dem ist der Kläger nicht mit durchgreifenden Zulassungsgründen entgegen getreten. Insbesondere hat er die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, ihm könne nicht abgenommen werden, dass seit nunmehr mehreren Jahren zweimal im Monat im pakistanischen Fernsehen eine Anzeige zu sehen sei, mittels derer die Angehörigen seiner Freundin versuchten, seiner habhaft zu werden, nicht durchgreifend angegriffen.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die vom Kläger der Sache nach geltend gemachten Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind kein Zulassungsgrund gemäß § 78 Abs. 3 AsylG. Andere Zulassungsgründe, insbesondere Verfahrensmängel, sind auch sinngemäß nicht geltend gemacht. Dies gilt auch insoweit, als der Kläger die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts in Zweifel zieht. Diese ist dem sachlichen Recht zuzuordnen und rechtfertigt von vornherein nicht die Zulassung der Berufung wegen eines Verfahrensmangels.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11.12.2018 ‒ 4 A 3890/18.A ‒, juris, Rn. 11 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.</p>
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171,266 | ovgnrw-2019-01-14-4-a-5819a | {
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<p>Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 15.11.2018 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf wird abgelehnt.</p>
<p>Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die vom Kläger ausschließlich geltend gemachte Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das in Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO verankerte Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es ist indes grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht diesen Anforderungen genügt. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, jedes Vorbringen in den Gründen ausdrücklich zu bescheiden. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17.8.2017 ‒ 4 A 1904/17.A ‒, juris, Rn. 3 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Gemessen daran liegt kein Verstoß gegen Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör vor. Das Verwaltungsgericht hat das Vorbringen der Kläger zu ihren Ausreisegründen zur Kenntnis genommen und gemäß § 77 Abs. 2 AsylG zulässigerweise unter Bezugnahme auf die Würdigung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im ablehnenden Bescheid berücksichtigt (Urteilsabdruck, Seite 2). Zu weiteren Ausführungen sah es keine Veranlassung, weil die Kläger im Klageverfahren den Ausführungen der Beklagten in dem angefochtenen Bescheid nicht entgegengetreten waren und für sie niemand zur mündlichen Verhandlung erschienen war. Dieser Würdigung treten die Kläger nicht mit durchgreifenden Zulassungsgründen entgegen. Sie wenden lediglich ein, das Gericht hätte schon bei (eigener) Würdigung der Protokolle der Anhörungen der Kläger bei der Beklagten erkennen können, dass die Entscheidung der Beklagten nicht haltbar sei. Damit zeigen sie keine besonderen Umstände auf, die darauf hindeuten könnten, dass tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Vielmehr halten die Kläger lediglich die Würdigung des Verwaltungsgerichts in der Sache für fehlerhaft, wenn sie geltend machen, dies hätte erkennen müssen, dass in den Protokollen, insbesondere bezogen auf die Anhörung der Klägerin zu 2. Passagen enthalten seien, die die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben deutlich machten und zeigten, dass sie von tatsächlich Erlebtem berichtet habe. Dies berührt jedoch nicht ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Die Einwände der Kläger, die sich bereits nicht mit der weitergehenden Würdigung der Verfolgungsgründe der Kläger durch das Bundesamt auseinandersetzen, der das Verwaltungsgericht gefolgt ist, erschöpfen sich in Kritik an der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Bundesamts und des Verwaltungsgerichts. Einwände gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts sind aber dem sachlichen Recht zuzurechnen und rechtfertigen von vornherein nicht die Zulassung der Berufung nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 1.2.2010 ‒ 10 B 21.09 ‒, juris, Rn. 13, und vom 2.11.1995 ‒ 9 B 710.94 ‒, NVwZ-RR 1996, 359 = juris, Rn 5.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Auch sofern die Kläger meinen, sie hätten ihr Vorbringen in der mündlichen Verhandlung lediglich wiederholen können, ohne dass sich hierdurch das zu beurteilende Tatsachenmaterial verändert hätte, beanstanden sie lediglich die abweichende Würdigung ihres Prozessverhaltens durch das Verwaltungsgericht, ohne dabei eine Verletzung rechtlichen Gehörs aufzuzeigen.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.</p>
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171,265 | ovgnrw-2019-01-14-4-a-489518a | {
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"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
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} | 4 A 4895/18.A | 2019-01-14T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:35 | 2019-02-12T13:44:30 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0114.4A4895.18A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 6.11.2018 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both">
<h1><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></h1>
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist nicht wegen der allein geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellung bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Für die Darlegung dieser Voraussetzungen ist neben der Formulierung einer Rechts- oder Tatsachenfrage erforderlich, dass der Zulassungsantrag konkret auf die Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit der Rechts- bzw. Tatsachenfrage sowie ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26.4.2018 – 4 A 869/16.A –, juris, Rn. 4 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Diesen Darlegungsanforderungen genügt die Antragsbegründung nicht. Die vom Kläger aufgeworfene Frage,</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">inwieweit ein pakistanischer Staatsangehöriger, der der polizeilichen Staatsgewalt (unberechtigte Verhaftung) und der Bedrohung von Kriminellen ausgesetzt war, gegen die die Polizei nichts unternommen hat, nicht auf die staatliche Hoheitsgewalt vertrauen kann und damit einer erheblichen Gefährdung ausgesetzt ist, zumal er Schutz in pakistanischen Großstädten aufgrund der finanziellen Situation nicht suchen konnte,</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">führt nicht zur Berufungszulassung. Der Kläger zeigt bereits nicht auf, dass sich diese Frage in einem Berufungsverfahren stellen würde. Das Verwaltungsgericht ist den Feststellungen und der Begründung des angegriffenen Bescheides vom 21.2.2017 folgend davon ausgegangen, dass dem Kläger auch unter dem Aspekt der Existenzsicherung interner Schutz in Pakistan zur Verfügung stünde. Dem ist der Kläger nicht mit durchgreifenden Zulassungsgründen entgegen getreten. Im Übrigen legt er die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der Frage nicht dar.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.</p>
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171,264 | ovgnrw-2019-01-14-4-a-232118a | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 4 A 2321/18.A | 2019-01-14T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:35 | 2019-02-12T13:44:30 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0114.4A2321.18A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 23.4.2018 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der ausschließlich geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist nicht gegeben.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellung bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Für die Darlegung dieser Voraussetzungen ist neben der Formulierung einer Rechts- oder Tatsachenfrage erforderlich, dass der Zulassungsantrag konkret auf die Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit der Rechts- bzw. Tatsachenfrage sowie ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29.1.2016 – 4 A 2103/15.A –, juris, Rn. 2 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Diesen Darlegungsanforderungen genügt die Antragsbegründung nicht. Die aufgeworfenen Fragen,</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">ob Art. 9 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) dahingehend auszulegen ist, dass eine schwerwiegende Verletzung der durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta und Art. 9 Abs. 1 EMRK garantierten Religionsfreiheit und damit eine Verfolgungshandlung gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. a der Richtlinie anzunehmen ist, wenn religiöse Betätigung oder Verhaltensweisen, die von einer Glaubenslehre, zu der sich der Kläger aktiv bekennt, vorgeschrieben und zentraler Bestandteil derselben sind oder die sich auf die religiöse Überzeugung des Klägers im Sinne einer besonderen Wichtigkeit für dessen religiöse Identität stützen, in dem betreffenden Herkunftsland strafbewährt verboten ist, oder</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">ob es erforderlich ist, dass ein sich zu einer bestimmten Glaubenslehre aktiv bekennender Antragsteller darüber hinaus nachweist, dass die von dieser Glaubenslehre als zentraler Bestandteil vorgeschriebenen religiösen Betätigungen oder Verhaltensweisen, die in seinem Herkunftsland eine bei Strafe verbotene Glaubensbetätigung darstellen, für ihn zur Wahrung seiner religiösen Identität „besonders wichtig“ und in diesem Sinne „unverzichtbar“ sind,</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">führt nicht zur Berufungszulassung. Der Kläger legte die Entscheidungserheblichkeit der Fragen nicht dar. Aus der Zulassungsbegründung wird nicht erkennbar, inwieweit ein strafbewehrtes Verhalten in Rede stehen soll. Das Verwaltungsgericht hat auf ein solches ‒ entgegen der Zulassungsbegründung ‒ nicht abgestellt.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83 b AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.</p>
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171,262 | ovgnrw-2019-01-14-10-a-313117 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 10 A 3131/17 | 2019-01-14T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:34 | 2019-02-12T13:44:30 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0114.10A3131.17.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 10.000,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<h1><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></h1>
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der zulässige Antrag ist unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Aus den innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegten Gründen ergeben sich weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) oder eine Abweichung des angefochtenen Urteils von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichtes, auf der das Urteil beruht (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO).</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Stützt der Rechtsmittelführer seinen Zulassungsantrag auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen. Dabei muss er den tragenden Rechtssatz oder die Feststellungen tatsächlicher Art, die er mit seinem Antrag angreifen will, bezeichnen und mit schlüssigen Gegenargumenten infrage stellen. Daran fehlt es hier.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat die Klage des Klägers mit dem Antrag, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 14. Juni 2016 zu verpflichten, ihm die beantragte Baugenehmigung für die Nutzungsänderung und den Umbau einer ehemaligen Schaltstelle der Deutschen Bundespost/Telekom auf seinem Grundstück in T., Gemarkung P., Flur 3, Flurstück 76/1 zu Unterkünften für Saisonarbeiter zu erteilen, abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, das Vorhaben sei im Außenbereich bauplanungsrechtlich unzulässig. Die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB lägen nicht vor. Die Umnutzung der ehemaligen Schaltstelle in eine Unterkunft für Saisonarbeiter diene nicht dem landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers. Dies erfordere, dass ein vernünftiger Landwirt auch und gerade unter Berücksichtigung des Gebots größtmöglicher Schonung des Außenbereichs das Bauvorhaben mit etwa gleichem Verwendungszweck und mit etwa gleicher Gestaltung und Ausstattung für einen entsprechenden Betrieb errichten würde. Hinzukommen müsse, dass das Vorhaben durch die so umrissene Zuordnung zu dem konkreten Betrieb auch äußerlich erkennbar geprägt werde. Hier entstehe bei der Umnutzung der Schaltstelle ein Wohnhaus, das äußerlich einen Bezug zur Hofstelle des Klägers nicht erkennen lasse. Das Gebäude stehe völlig frei am Straßenrand und sei von einer landwirtschaftlichen Nutzfläche umgeben. Die räumliche Entfernung zur Hofstelle betrage nach den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten mindestens 230 m. Von außen erkennbar sei allenfalls die Nutzung des Vorhabens als Wohngebäude, nicht jedoch sein Zusammenhang mit der Hofstelle. Daran ändere sich nichts, wenn die Außenwände der ehemaligen Schaltstelle in demselben Farbton  gestrichen würden wie die Gebäude der Hofstelle. Nicht die äußere Gestalt, sondern die von außen erkennbare Funktion eines Gebäudes sei maßgeblich für dessen optische Zuordnung zur jeweiligen Hofstelle. Abgesehen davon, dass dem Kläger wegen der bereits vorhandenen ehemaligen Schaltstelle ein Neubau erspart bliebe, sei nicht ersichtlich, weshalb sich eine Unterkunft für Saisonarbeiter abgesetzt von der Hofstelle ausgerechnet auf dem von Ackerflächen umgebenen Vorhabengrundstück befinden müsse. Dessen Nutzung für ein derart isoliert stehendes Wohnhaus widerspreche vielmehr dem Gebot größtmöglicher Schonung des Außenbereichs.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Ohne Erfolg rügt der Kläger, das Vorhaben diene seinem landwirtschaftlichen Betrieb im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB. Das Verwaltungsgericht habe zu strenge Anforderungen an den räumlichen Zusammenhang zwischen dem Vorhaben und der Hofstelle gestellt.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat zur Beantwortung der Frage, ob das Vorhaben dem landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers diene, die hierzu vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätzen zugrunde gelegt.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteile vom 19. Juni 1991 – 4 C 11.89 –, juris, Rn. 22, und vom 3. November 1972 – IV C 9.70 –, juris, Rn. 19, Beschluss vom 29. September 1987 – 4 B 194.87 –, juris, Rn. 2.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Dazu gehört, dass das jeweilige Vorhaben durch die Zuordnung zu dem konkreten Betrieb auch äußerlich erkennbar geprägt wird. Dass in diesem Zusammenhang die Entfernung zwischen dem Vorhaben und der Hofstelle Bedeutung haben kann, hat das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen. Dabei hat es weder einen unmittelbaren Anschluss des Vorhabens an die Hofstelle als erforderlich angesehen noch eine allgemein gültige maximalen Entfernung zwischen Vorhaben und Hofstelle festgelegt, sondern vielmehr in der Gesamtschau aller Umstände eine äußerlich erkennbare Zuordnung des Vorhabens zur Hofstelle des Klägers verneint. Allein mit dem Vorbringen des Klägers, das Vorhaben und die Hofstelle seien fußläufig voneinander entfernt und lägen an demselben Weg, lässt sich die erforderliche äußerlich erkennbare Zuordnung des Vorhabens zur Hofstelle auch angesichts der zwischen beiden liegenden Entfernung von immerhin mindestens 230 m nicht begründen. Darüber hinaus benennt der Kläger keine weiteren Anhaltpunkte für die erforderliche, von außen zu erkennende Zuordnung.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Etwas anderes folgt nicht aus dem vom Kläger in Bezug genommenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. November 1985 – 4 C 71.82 –, juris, in dem in erster Linie die Frage der räumlichen Zuordnung der Hofstelle zu den landwirtschaftlichen Betriebsflächen im Raum stand und nicht – wie hier – die Zuordnung eines Vorhabens zu einer Hofstelle mit den zugehörigen Betriebsgebäuden. Auch aus dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts vom 7. November 1977 – X A 707/75 –, AgrarR 1978, Seite 171 f., vermag der Kläger nichts zu seinen Gunsten herzuleiten. Der 10. Senat hat damals entschieden, dass ein Altenteilerhaus nicht zwingend in unmittelbarer Nähe zur Hofstelle errichtet werden müsse, um die Voraussetzungen der Privilegierung des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BBauG zu erfüllen, hat dabei aber gerade den Unterschied zwischen einem Altenteilerhaus mit seiner besonderen Zweckbestimmung und einem Gebäude, das unmittelbar betrieblichen Zwecken dient, hervorgehoben.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der Kläger zieht die Annahme des Verwaltungsgerichts, es gebe keinen Grund, eine Unterkunft für Saisonarbeiter ausgerechnet auf dem Vorhabengrundstück unterzubringen, nicht durchgreifend in Zweifel. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf abgestellt, dass die Erreichbarkeit der Ackerflächen, auf denen die Saisonarbeiter eingesetzt werden sollen, kein solcher Grund sei, weil sich die Hofstelle fußläufig nur wenige Minuten entfernt befinde. Soweit der Kläger mit dem Zulassungsantrag geltend macht, die für ihn verfügbaren Flächen in unmittelbarer Nähe zur Hofstelle seien wegen der dort vorhandenen Kartoffellagerhalle und der Reparaturwerkstatt aus immissionsschutzrechtlichen Gründen nicht für die Errichtung einer Unterkunft für Saisonarbeiter geeignet, bleibt dieses Vorbringen unsubstanziiert. Im Übrigen trägt er auch mit dem Zulassungsantrag nichts Konkretes dafür vor, weshalb eine Unterkunft für Saisonarbeiter aus betrieblichen Gründen nicht im Bereich der Hofstelle erfolgen kann oder soll.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Mit dem Zulassungsvorbringen vermag der Kläger auch die Annahme des Verwaltungsgerichts, die ehemalige Schaltstelle diene keinem genehmigten Zweck mehr und sei daher zu beseitigen, nicht ernsthaft in Frage zu stellen. Er nimmt insoweit lediglich Bezug auf Ausführungen im Urteil des 7. Senats des Oberverwaltungsgerichts vom 14. März 1997 – 7 A 5179/95 –, juris, ohne sich näher dazu zu verhalten, dass eine Nutzung der ehemaligen Schaltstelle zu Wohnzwecken und ohne Bindung an den seinerzeitigen Betriebszweck bauaufsichtlich zugelassen gewesen sei.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Soweit der Kläger im Übrigen auf sein erstinstanzliches Vorbringen verweist, genügt dies schon an sich nicht dem Darlegungsgebot aus § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Ungeachtet dessen folgt aus den vom Kläger im erstinstanzlichen Verfahren herangezogenen Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 31. Oktober 1979 – VIII 3820/78 – BRS 36 Nr. 86, und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 18. Juni 2003 – 1 LB 143/02 –, juris, die jeweils Einzelfälle der Privilegierung einer Landarbeiterwohnung beziehungsweise eines Geflügelmaststalls betrafen, nicht, dass das Verwaltungsgericht hier eine Privilegierung wegen zu strenger Anforderungen an den Zusammenhang zwischen dem Vorhaben und der Hofstelle fehlerhaft verneint hätte.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Dass sich dem Verwaltungsgericht eine Beweisaufnahme durch Ortsbesichtigung hätte aufdrängen müssen, ergibt sich aus dem Zulassungsvorbringen ebenfalls nicht. Ein vom Kläger in diesem Zusammenhang ohnehin allenfalls sinngemäß gerügter Verfahrensfehler lässt sich auf der Grundlage des Zulassungsantrags nach dem Vorstehenden nicht feststellen.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Der Kläger zeigt auch nicht auf, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat. Eine solche grundsätzliche Bedeutung wäre dann anzunehmen, wenn die Rechtssache eine im betreffenden Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Dabei ist zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes die Frage auszuformulieren und substantiiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Daran fehlt es hier. Der Kläger macht lediglich geltend, im Berufungsverfahren sei die Klärung des für das „Dienen“ im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB geforderten, gesetzlich nicht festgelegten Merkmals des räumlichen Zusammenhangs zwischen dem Vorhaben und der Hofstelle angezeigt. Anhand welcher Maßstäbe die Frage zu beantworten ist, ob ein Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB einem landwirtschaftlichen Betrieb dient, ist in der Rechtsprechung geklärt. Der Kläger legt mit seinem Zulassungsantrag nicht dar, inwieweit darüber hinaus mit dem vorliegenden Fall eine grundsätzlich klärungsbedürftige Frage im vorstehenden Sinne aufgeworfen sein soll.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich im Weiteren nicht, dass das angefochtene Urteil von einer Entscheidung eines der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Wird der Zulassungsantrag mit dem Zulassungsgrund der Divergenz begründet, muss zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ein die angefochtene Entscheidung tragender abstrakter, aber inhaltlich bestimmter Rechtssatz aufgezeigt werden, der zu einem ebensolchen Rechtssatz in einer Entscheidung eines der in der Vorschrift genannten Gerichte in Widerspruch steht.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der Kläger rügt eine Abweichung von der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts vom 7. November 1977 – X A 707/75 –, AgrarR 1978, Seite 171 f., ohne einen diese Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz aufzuzeigen, der zu einem ebensolchen Rechtssatz in der angefochtenen Entscheidung in Widerspruch stehen soll. Weder in der besagten Entscheidung des 10. Senats noch in der angefochtenen Entscheidung ist ein Rechtssatz aufgestellt worden, wonach bei einer Entfernung von etwa 230 m zwischen einem Vorhaben und der zugehörigen Hofstelle ein „Dienen“ im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB stets gegeben oder stets ausgeschlossen sei.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 40, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Sätze 1 und 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).</p>
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171,196 | ovgni-2019-01-14-12-me-17018 | {
"id": 601,
"name": "Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht",
"slug": "ovgni",
"city": null,
"state": 11,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | 12 ME 170/18 | 2019-01-14T00:00:00 | 2019-01-29T12:49:53 | 2019-02-12T13:44:19 | Beschluss | <div id="dokument" class="documentscroll">
<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 7. Kammer - vom 7. September 2018 wird zurückgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.400,- EUR festgesetzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>I.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Mit seiner Beschwerde wendet sich der Antragsteller dagegen, dass es das Verwaltungsgericht abgelehnt hat, ihm vorläufigen Rechtsschutz gegen die sofortige Vollziehung des Bescheides der Antragsgegnerin vom 25. Juli 2018 (Bl. 23 ff. der Gerichtsakte – GA –) zu gewähren. Durch diesen Bescheid wurde ihm unter Anordnung des Sofortvollzuges aufgegeben, für den auf ihn zugelassenen Personenkraftwagen mit dem Kennzeichen D. (oder ein Ersatzfahrzeug) vom 1. September 2018 bis zum 31. August 2019 ein Fahrtenbuch zu führen, da die Feststellung des Fahrzeugführers nicht möglich gewesen sei, der mit diesem Wagen am 23. Juli 2016 um 12:37 Uhr auf der E. Straße in F. die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um (nach Toleranzabzug) 32 km/h überschritten habe. In einem gegen den Antragsteller zuvor geführten Bußgeldverfahren war er trotz zahlreicher Ähnlichkeiten mit dem Messfoto nach Einholung eines anthropologischen Gutachtens (in Beiakte - BA - 2; Ergebnis: Nichtidentität wahrscheinlich) von dem Vorwurf freigesprochen worden, die Verkehrsordnungswidrigkeit vom 23. Juli 2016 selbst begangen zu haben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen begründet wie folgt:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>(1.) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei formell rechtmäßig. Gerade dann, wenn immer wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltungen eine typische Interessenlage zugrunde liege, könne sich die Behörde nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO darauf beschränken, die für diese Fallgruppe typische Interessenlage zur Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen Vollziehung aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass nach Auffassung der Behörde diese Interessenlage auch im konkreten Fall vorliege. Dem genüge die schriftliche Begründung auf Seite 4 des angegriffenen Bescheides vom 25. Juli 2018, welche insbesondere darauf abhebe, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung keine zu erhebliche Belastung darstelle und es im Rahmen der Verkehrssicherheit und im überwiegenden öffentlichen Interesse zum Schutz der Allgemeinheit wichtig sei, einen Fahrzeugführer ermitteln zu können.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>(2.) Der Antrag nach § 80 Absatz 5 Satz 1 VwGO sei in aller Regel unbegründet, wenn der Antragsteller im Verfahren zur Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg haben werde, insbesondere die angegriffene Verfügung offensichtlich rechtmäßig sei. Der angegriffene Bescheid begegne keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>(a) Die Nichtfeststellbarkeit des Fahrzeugführers im Sinne des § 31a StVZO liege vor, wenn die zuständige Behörde nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Lage gewesen sei, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen habe. Art und Umfang ihrer Ermittlungstätigkeit könnten sich an dem Verhalten und der Erklärung des Fahrzeughalters ausrichten. An dessen hinreichender Mitwirkung daran, den Fahrzeugführer zu bezeichnen, fehle es regelmäßig, wenn er auf Anhörungsschreiben nicht reagiere. Der Behörde würden in diesen Fällen weitere Ermittlungsversuche grundsätzlich nicht zugemutet. Maßgeblich sei daher hier, dass der Antragsteller mit Schreiben vom 27. Juli 2016 im Bußgeldverfahren angehört worden sei und trotz Aufforderung seinen dortigen Mitwirkungsverpflichtungen nicht nachgekommen sei. Es hätte bei ihm gelegen, innerhalb des Laufs der Verfolgungsverjährung den Fahrzeugführer zu benennen und dadurch an der Aufklärung mitzuwirken. Im Übrigen bestehe kein „doppeltes Recht“, nach einem Verkehrsverstoß zur Täterschaft keine Angaben zu machen, aber gleichwohl eine Fahrtenbuchanordnung abzuwehren.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>(b) Anders als der Antragsteller geltend mache, folge aus dem zwischen dem Verkehrsverstoß und der Anordnung einer Fahrtenbuchführung verstrichenen Zeitraum von zwei Jahren nicht die Rechtswidrigkeit der Anordnung. Zwar sei denkbar, eine solche Anordnung nach Ablauf eines erheblichen Zeitraums als unverhältnismäßig anzusehen. Da bei der Berechnung dieses Zeitraums diejenigen Zeiten außer Acht blieben, in denen der Fahrzeughalter etwa die sich aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht ergebenden Rechtsschutzmöglichkeiten ausschöpfe und dadurch selbst Anlass zu einer Verzögerung des Erlasses der Fahrtenbuchanordnung biete, sei jedoch maßgeblich auf den Zeitpunkt der Einstellung des Bußgeldverfahrens abzustellen. Die hier zwischen dem Freispruch des Antragstellers im Bußgeldverfahren (Beschluss vom 23. März 2017; Rechtskraft seit dem 5. April 2017) und dem Erlass des angegriffenen Bescheids vom 25. Juli 2018 verstrichene Zeit von knapp 16 Monaten könne (noch) nicht als derart erheblich angesehen werden, dass sich schon deswegen die ergangene Fahrtenbuchanordnung als unverhältnismäßig darstelle. Es sei insbesondere nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin das Verwaltungsverfahren zur Anordnung des Fahrtenbuches zögerlich bearbeitet habe. Denn erst mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Oldenburg vom 20. Juni 2018 sei ihr die Bußgeldakte zur Prüfung übersandt worden, ob eine Fahrtenbuchführungspflicht auferlegt werden könne.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>(c) Die hiesige Dauer dieser Fahrtenbuchführungspflicht, deren Bemessung im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde stehe, sei rechtlich nicht zu beanstanden. Es handele sich auch nach der Wertung des Gerichts um einen massiven Verkehrsverstoß mit einem ganz erheblichen Risikopotenzial. Im Übrigen habe das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urt. v. 28.5.2015 - BVerwG 3 C 13.14 -, juris) bereits bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 27 km/h außerorts die Anordnung einer Fahrtenbuchführung von einem Jahr für ermessensgerecht erachtet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 7. September 2018 hat keinen Erfolg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Denn die dargelegten Beschwerdegründe, die allein der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu prüfen hat, genügen teilweise nicht den Anforderungen, die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO an ihre Darlegung unter Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung zu stellen sind, und vermögen im Übrigen in der Sache nicht zu überzeugen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Um sich im Sinne des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO mit der angefochtenen Entscheidung auseinanderzusetzen, muss ein Beschwerdeführer von der Begründungsstruktur dieser Entscheidung ausgehen und das Entscheidungsergebnis in Frage stellen (Stuhlfauth, in: Bader u. a., VwGO, 7. Aufl. 2018, § 146 Rn. 31). Die erforderliche Dichte seiner eigenen Ausführungen hat sich dabei an der Dichte der Begründung der angefochtenen Entscheidung zu orientieren (Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 146 Rn. 22a). Je intensiver diese Entscheidung begründet ist, umso eingehender muss der Beschwerdeführer die sie tragende Argumentation entkräften. Es reicht deshalb grundsätzlich nicht aus, wenn er lediglich eine eigene Würdigung der Sach- und Rechtslage vorträgt, die im Ergebnis von derjenigen des Verwaltungsgerichts abweicht. Vielmehr muss er in der Regel den einzelnen tragenden Begründungselementen der angefochtenen Entscheidung geeignete Gegenargumente konkret gegenüberstellen und – soweit möglich – deren Vorzugswürdigkeit darlegen (Nds. OVG, Beschl. v. 16.11.2016 - 12 ME 132/16 -, ZNER 70 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 56, und Beschl. v. 10. 2. 2014 - 7 ME 105/13 -, juris, Rn. 26). Hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, muss ein Beschwerdeführer zudem alle diese Begründungen angreifen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 7.6.2006 - 2 ME 661/06 -, NVwZ-RR 2006, 650 f. [650]; Stuhlfauth, in: Bader u. a., VwGO, 7. Aufl. 2018, § 146 Rn. 31, m. w. N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p><strong>1.</strong> Mit dem Einwand, auch in formaler Hinsicht hätte die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer genaueren Begründung bedurft, da zwischen Freispruch und sofortiger Vollziehung 16 Monate vergangen seien, wendet sich der Antragsteller gegen die unter I. 1. wiedergegebenen Erwägungen der Vorinstanz. Seiner Kritik ist jedoch nicht zu folgen. Denn das formelle Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO beschränkt sich grundsätzlich darauf, diejenigen Gründe anzugeben, welche die Behörde positiv bestimmt haben, das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes zu bejahen. Nicht geboten ist deshalb eine Auseinandersetzung mit Umständen, welche sie insoweit ohnehin erkennbar für unerheblich gehalten hat. Schon aus den Ausführungen der Antragsgegnerin im sechsten Absatz und dem ersten Satz des siebenten Absatzes auf der Seite 3 des umstrittenen Bescheides vom 25. Juni 2018 (Bl. 25 GA) ergab sich für den Antragsteller hinreichend, dass die Antragsgegnerin den Gesichtspunkt der verstrichenen Zeit für nicht geeignet hielt, das im Interesse der Verkehrssicherheit bestehende Bedürfnis entfallen zu lassen, ihm zur Gewährleistung der Aufklärung und (auch präventiv wirkenden) Ahndung von mit dem Fahrzeug (D.) begangenen Verkehrsverstößen eine Fahrtenbuchführungspflicht aufzuerlegen. Hatte sie aber das von dem Antragsteller hervorgehobene Zeitmoment bereits an dieser Stelle für unerheblich erachtet, galt Gleiches erkennbar auch für das nachfolgend auf der Seite 4 des Bescheides (Bl. 26 GA) erneut erwähnte und nun zur Begründung der Anordnung des Sofortvollzuges herangezogene öffentliche Interesse an der Sicherung einer Ermittlung des jeweiligen Fahrzeugführers. Ohne Bedeutung in der Prüfung des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist, ob der insoweit eingenommene Standpunkt der Antragsgegnerin zutreffend war. Denn die inhaltliche Richtigkeit der Erwägungen, die von der Behörde zur Bejahung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung herangezogen werden, zählt nicht zu den Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des formellen Begründungserfordernisses nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO (vgl. Funke-Kaiser, in: Bader u. a., VwGO, 7. Aufl. 2018, § 80 Rn. 54., m. w. N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p><strong>2.</strong> Die Beschwerdegründe des Antragstellers, die das materielle Recht betreffen, greifen ebenfalls nicht durch.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p><strong>a)</strong> Der Antragsteller rügt, die Vorinstanz habe es zu Unrecht als eine nicht hinreichende Mitwirkung an der Fahrerermittlung im Bußgeldverfahren betrachtet (vgl. oben unter I. 2. a), dass er nach Erhalt des Anhörungsbogens vom 27. Juli 2016 (Bl. 64 f. GA) keine Angaben über den für die Verkehrsordnungswidrigkeit vom 23. Juli 2016 verantwortlichen Fahrzeugführer gemacht habe. Das Verwaltungsgericht hätte ihm nicht vorwerfen dürfen, er habe dadurch eine im Bußgeldverfahren bestehende Mitwirkungsverpflichtung nicht erfüllt. Denn er sei in dem Anhörungsbogen vom 27. Juli 2016 für den Fall, dass er die Ordnungswidrigkeit nicht begangen habe, über das Nichtbestehen einer solchen Mitteilungsverpflichtung wie folgt belehrt worden:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p><em>„Wenn Sie die Ordnungswidrigkeit nicht begangen haben, werden Sie hiermit als … Zeuge angehört. Teilen Sie bitte innerhalb einer Woche ab Zugang dieses Schreibens … die Personalien des Verantwortlichen … mit; hierzu sind sie nicht verpflichtet.“</em></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Diese Beschwerdegründe des Antragstellers vermögen nicht zu überzeugen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Die Anordnung der Führung eines Fahrtenbuchs setzt nicht voraus, dass die Nichtfeststellbarkeit des verantwortlichen Fahrzeugführers auf einer – aus welchem Grund auch immer – unzureichenden Mitwirkung des Fahrzeughalters an den Ermittlungen der Verfolgungsbehörde im Bußgeldverfahren beruht (Nds. OVG, Beschl. v. 13.11.2017 - 12 LA 98/17 - und v. 14.7.2016 - 12 ME 109/16 -). Es kommt vielmehr für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO allein darauf an, dass der verantwortliche Fahrer mit zumutbarem Aufwand der Verfolgungsbehörde nicht festzustellen war. Ohne Belang ist also insbesondere, ob den Fahrzeughalter ein Verschulden an der Nichtfeststellbarkeit des Fahrzeugführers trifft. Das entspricht dem gefahrenabwehrrechtlichen Charakter der Regelung über die Fahrtenbuchanordnung mit dem Ziel, die Ordnung und Sicherheit des Straßenverkehrs bei gegebenem Anlass dadurch zu gewährleisten, dass in Zukunft der Täter einer Verkehrsordnungswidrigkeit über das Fahrtenbuch alsbald ermittelt werden kann (BVerfG, Beschl. v. 7.12.1981 - 2 BvR 1172/81 -, NJW 1982, 568; BVerwG, Beschl. v. 23.6.1989 - BVerwG 7 B 90.89 -, NJW 1989, 2704, hier zitiert nach juris, Rn. 8; Nds. OVG, Beschl. v. 2.11.2006 - 12 LA 176/06 -, zfs 2007, 119; v. 12.12.2007 - 12 LA 267/07 -, zfs 2008, 356 und v. 1.3.2016 - 12 LA 105/15 -).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Da eine mangelnde Mitwirkung des Fahrzeughalters an der Ermittlung des Fahrzeugführers nicht den rechtfertigenden Grund für die Auferlegung einer Fahrtenbuchführungspflicht bildet, können Mitwirkungsmängel für die Bejahung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO nur eine mittelbare Bedeutung haben. Diese besteht darin, dass dann, wenn eine mangelnde Mitwirkung vorliegt, dies regelmäßig dazu führt, dass der Verfolgungsbehörde weitere eigene Ermittlungen nicht zuzumuten sind und sich der Fahrzeughalter den Einwand abschneidet, die Feststellung des Fahrzeugführers sei nach der Verkehrszuwiderhandlung sehr wohl möglich gewesen, hätten nur solche weiteren Ermittlungen stattgefunden. Ob die Mitwirkung eines Fahrzeughalters ausreicht, hängt dabei nicht entscheidend davon ab, ob er im Bußgeldverfahren durchsetzbare Rechtspflichten, wie etwa die dort grundsätzlich bestehende Zeugnispflicht (vgl. § 46 Abs. 2 OWiG i. V. m. § 161a Abs. 1 Satz 1 StPO, § 46 Abs. 5 OWiG) verletzt (Nds. OVG, Beschl. v. 13.11.2017 - 12 LA 98/17 - und v. 14.7.2016 - 12 ME 109/16 -) oder ihm dies sogar „vorzuwerfen“ ist. Das kann unter anderem schon daraus gefolgert werden, dass es – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat – kein „doppeltes Recht“ des Fahrzeughalters gibt, nach einem mit seinem Kraftfahrzeug begangenen Verkehrsverstoß zur Täterschaft (unter Berufung auf ein ihm zustehendes Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrecht) keine Angaben zu machen, aber gleichwohl eine Fahrtenbuchanordnung abzuwehren. Vielmehr darf auch ein vollständig rechtmäßiges Verhalten des Fahrzeughalters im Bußgeldverfahren in dem diesem Verfahren nachfolgenden Verwaltungsverfahren zur Anordnung einer Fahrtenbuchführung – unter rein gefahrenabwehrrechtlichem Blickwinkel – als Obliegenheitsverletzung gewürdigt werden, welche den Umfang der Ermittlungen reduziert, die von der Verfolgungsbehörde im Bußgeldverfahren unternommen worden sein müssen, damit im Rahmen des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO davon ausgegangen werden darf, die Feststellung des Fahrzeugführers sei nicht möglich gewesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Allerdings hatte der beschließende Senat im Anschluss an die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschl. v. 4.8.2009 - 10 S 1499/09 -, NJW 2009, 3802) angenommen, dass die behördlichen Maßnahmen zur Feststellung des Fahrzeugführers ggf. auch eine zusätzliche Zeugenanhörung des Halters umfassen müssten, um von einer Obliegenheitsverletzung im soeben umrissenen Sinne ausgehen zu können, aber eine solche Zeugenanhörung nicht ordnungsgemäß vorgenommen worden sei, wenn dabei eine Belehrung des oben zitierten Inhalts erfolgt war und der Anhörungsbogen keine weiteren Hinweise für eine etwaige zeugenschaftliche Vernehmung enthielt. Denn diese Belehrung sei falsch, da sie mit dem zu weitgehenden Hinweis verbunden sei, der Fahrzeughalter sei zur Benennung des Verantwortlichen nicht verpflichtet (Nds. OVG, Beschl. v. 24.4.2012 - 12 ME 33/12 -, juris, Rn. 10). Auf diese Rechtsprechung kann sich der Antragsteller aber aus zwei Gründen nicht erfolgreich zu berufen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Zum einen kann nach dem im Rahmen des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO anzulegenden Maßstab (vgl. grundlegend BVerwG, Beschl. v. 21.10.1987 - BVerwG 7 B 162.87 -, NJW 1988, 1104 f., hier zitiert nach juris, Rn. 4 f.) eine zusätzliche Zeugenanhörung des Halters nur dann geboten sein, wenn die Verfolgungsbehörde im Bußgeldverfahren bereits zu einem Zeitpunkt Hinweise darauf hatte, dass neben dem Halter für die Täterschaft auch andere Personen in Betracht kamen, zu dem gegenüber solchen anderen Personen die Verfolgungsverjährung (§ 26 Abs. 3 StVG) noch nicht eingetreten war. Lässt sich aber nicht bereits anhand des Messfotos, insbesondere unter Berücksichtigung von Alter und Geschlechts des Halters, ausschließen, dass dieser selbst der gesuchte Fahrzeugführer ist, sondern besteht sogar – wie hier – auf den ersten Blick eine ganz erhebliche Ähnlichkeit, liegen derartige Anhaltspunkte grundsätzlich erst dann vor, wenn der Halter selbst seine Täterschaft bestreitet. Das ist hier nicht geschehen, bevor die dreimonatige Verfolgungsverjährung der Verkehrsordnungswidrigkeit vom 23. Juli 2016 gegenüber anderen Personen als dem Antragsteller eingetreten war. Denn dieser hatte sich im Verfahren der Verfolgungsbehörde nicht zur Sache eingelassen und seinen am 6. Oktober 2016 erhobenen Einspruch (Bl. 2 f. der Beiakte - BA - 2) gegen den Bußgeldbescheid vom 23. September 2016 nicht sogleich begründet, sondern erstmalig in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht F. – Bußgeldrichter – am 21. Dezember 2016 die Tat bestritten (vgl. Bl. 20 - Rückseite - BA 2). Die durch den Erlass des Bußgeldbescheides gemäß § 26 Abs. 3 StVG bewirkte Verlängerung der Verjährungsfrist auf sechs Monate griff aber ausschließlich dem Antragsteller gegenüber als dem in diesem Bescheid genannten Betroffenen (vgl. Asholt, in: MüKoStVR, 1. Aufl. 2016, StVG § 26 Rn. 6, m. w. N.). Allein die nunmehrige unsubstantiierte Behauptung des Antragstellers, der Verfolgungsbehörde sei bekannt gewesen, dass er in G. einen Garten- und Landschaftsbaubetrieb mit zahlreichen Arbeitnehmern betreibe, reicht indessen nicht aus, um überzeugend darzulegen, die Verfolgungsbehörde habe es trotz seiner Ähnlichkeit mit dem Messfoto bereits vor der Hauptverhandlung ernstlich in Betracht ziehen müssen, ein Arbeitnehmer dieses Betriebes könnte der gesuchte Fahrzeugführer sein. Vielmehr genügten solche allgemeinen Kenntnisse über die genannte Geschäftstätigkeit des Antragstellers nicht einmal, um das in Rede stehende Fahrzeug als einen sogenannten Firmenwagen zu identifizieren, geschweige denn, um anzunehmen, dass dieses Fahrzeug neben dem Antragsteller diversen Arbeitnehmern zur Verfügung gestellt werde.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Zum anderen kann die oben angeführte Rechtsprechung (Beschl. v. 24.4.2012 - 12 ME 33/12 -, juris) auf die vorliegende Gestaltung des Anhörungsbogens nicht übertragen werden. Denn die dem Antragsteller auf diesem Anhörungsbogen erteilte Belehrung ist in der hier umstrittenen Passage nicht zu weitgehend und falsch. Sie trifft vielmehr deshalb zu, da ein Fahrzeughalter – unabhängig vom Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts – im Bußgeldverfahren generell keiner Verpflichtung unterliegt, allein auf die Zusendung eines (auch oder allein) für Zeugen bestimmten Anhörungsbogens mit einer Mitteilung des Verantwortlichen an die Verfolgungsbehörde zu reagieren. Die Zusendung eines solchen Anhörungsbogens stellt nämlich keine Vernehmung dar. Gemäß § 46 Abs. 2 OWiG i. V. m. § 161a StPO besteht im Bußgeldverfahren weder eine Verpflichtung von Zeugen, schriftlich zur Sache auszusagen, noch, ohne vorherige ordnungsgemäße Ladung zwecks Einvernahme die Verfolgungsbehörde aufzusuchen oder diese anzurufen, um ihr so mündlich Angaben zur Sache zu machen (vgl. Kölbel, in: MüKOStPO, 1. Aufl. 2016, StPO § 160 Rn. 27 und § 161a Rn. 3). Dass es – insbesondere bei fehlendem Zeugnisverweigerungsrecht – nicht generell an einer Zeugnispflicht mangelt, ergab sich aber für den Antragsteller aus dem der oben zitierten Passage nachfolgenden Text der Belehrung in dem Anhörungsbogen vom 27. Juli 2016 (Bl. 65 GA), die sich mit der Möglichkeit einer (richterlichen) Vernehmung befasste. Vor diesem Hintergrund ist in der Rechtsprechung bereits zutreffend anerkannt, dass eine zusätzliche förmliche Befragung (Vernehmung) als Zeuge keine stets erforderliche Voraussetzung für die Annahme einer Obliegenheitsverletzung im vorgenannten Sinne ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.10.1987 - BVerwG 7 B 162/87 -, NJW 1988, 1104 f., hier zitiert nach juris, Rnrn. 4 f.), sondern hierzu sehr wohl bereits das Schweigen auf eine quasi hilfsweise schriftliche Anhörung als Zeuge genügen kann (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 21.4.2008 - 8 B 482/08 -, juris, Rnrn. 9 f.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p><strong>b)</strong> Gegen die oben unter I. 2. b) wiedergegebenen Erwägungen der Vorinstanz wendet sich der Antragsteller mit der Begründung, im Zuge der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Fahrtenbuchanordnung sei zu beachten gewesen, dass der Verkehrsverstoß bei deren Erlass bereits zwei Jahre und zwei Tage zurückgelegen habe sowie nicht ersichtlich sei, aus welchem Grund 16 Monate zwischen seinem Freispruch und dem Ergehen der Anordnung hätten vergehen müssen. Außerdem sei diese funktionslos geworden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Auch diese Beschwerdegründe vermögen eine Änderung des angefochtenen Beschlusses nicht zu rechtfertigen. Der Hinweis auf die zwischen dem Verkehrsverstoß und dem Erlass der Anordnung vergangene Zeit lässt bereits die gebotene Auseinandersetzung mit der Erwägung der Vorinstanz vermissen, bei der Berechnung des Zeitraums, welcher der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Anordnung zugrunde zu legen sei, müssten diejenigen Zeiten außer Acht bleiben, in denen der Fahrzeughalter die sich aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht ergebenden Rechtsschutzmöglichkeiten ausschöpfe. Die Kritik des Antragstellers, es sei nicht ersichtlich, weshalb 16 Monate zwischen seinem Freispruch im Bußgeldverfahren und der Anordnung der Fahrtenbuchführungspflicht hätten vergehen müssen, geht schon nicht darauf ein, dass das Verwaltungsgericht die Ursache dieser Verzögerung in dem späten Zeitpunkt gesehen hat, zu dem die Verfügung der Staatsanwaltschaft Oldenburg vom 20. Juni 2018 (Bl.132 BA 2) erging. Dieser Zeitpunkt hatte aber seine maßgebliche Ursache ebenfalls im Verhalten des Antragstellers. Denn dieser hatte nach seinem Freispruch nicht nur einen zu hohen Anspruch auf Erstattung seiner Kosten und Auslagen geltend gemacht (vgl. Bl. 49 f. BA 2) und sodann gegen die gerichtliche Kostenfestsetzung einen unbegründeten Rechtsbehelf ergriffen (vgl. Bl. 98 f. BA 2). Er hatte zudem einen Teil seiner notwendigen Auslagen erst Mitte März 2018 geltend gemacht (Bl. 105 f., 116 f. BA 2). Beides hatte zur Folge, dass die Bußgeldakte nicht umgehend an die Antragsgegnerin abgegeben werden konnte, sondern immer wieder in Kostenstreitigkeiten und -angelegenheiten benötigt wurde, die der Antragsteller selbst verursacht hatte. Weshalb die so entstandene Verzögerung gleichwohl unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten zu seinen Gunsten wirken sollte, legt er nicht dar und ist auch nicht ersichtlich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Es kann auch keine Rede davon sein, dass die Fahrtenbuchanordnung im Hinblick darauf funktionslos geworden wäre, dass – wie der Antragsteller behauptet – derzeit keine Bußgeldverfahren wegen Ordnungswidrigkeiten geführt würden, die von unbekannten Fahrzeugführern mit seinem Kraftfahrzeug (D.) begangen worden seien. Denn die Fahrtenbuchführungspflicht sichert über ihre Dauer die Aufklärbarkeit von potentiellen Zuwiderhandlungen, deren etwaige künftige Begehung sich grundsätzlich nie ausschließen lässt, solange das betroffene Fahrzeug oder ein Ersatzfahrzeug weiter gehalten wird. Die Anordnung wird daher während ihrer Laufzeit durch eine aktuell fehlende Begehung von Verkehrsordnungswidrigkeiten seitens unbekannter Führer des von ihr betroffenen Fahrzeugs ebenso wenig funktionslos, wie es etwa eine Versicherung bei mangelnden Schadensfällen im Versicherungsjahr ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p><strong>c)</strong> Der Antragsteller beanstandet erfolglos die unter I. 2. c) dargestellten Erwägungen der Vorinstanz mit der Begründung, die Dauer der Fahrtenbuchführungspflicht sei unverhältnismäßig. Er macht geltend, sein von der Anordnung betroffenes Fahrzeug werde täglich im Betrieb genutzt, sodass auch eine kürzere Dauer der Fahrtenbuchführungspflicht ihren Zweck erreiche. Die von der Vorinstanz angeführte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts betreffe ein nur saisonal genutztes Motorrad und damit keinen vergleichbaren Fall.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Mit seinem Hinweis auf die Nutzungshäufigkeit des von der umstrittenen Anordnung betroffenen Fahrzeugs berücksichtigt der Antragsteller indessen nicht, dass die tägliche oder nahezu tägliche Nutzung eines Personenkraftwagens keine ungewöhnliche, sondern eine sehr häufige Fallgestaltung ist, die bei sogenannten Firmenfahrzeugen und den Personenkraftwagen von Pendlern sogar die Regel darstellt. Es stellt deshalb keine Ermessensüberschreitung (vgl. § 114 Satz 1 VwGO) der Antragsgegnerin dar, diese Nutzungshäufigkeit nicht zum Anlass genommen zu haben, die an die Schwere der Zuwiderhandlung anknüpfende Dauer der Fahrtenbuchführungspflicht gegenüber dem Normalfall zu verkürzen. Inwiefern sich unter dem Gesichtspunkt der Zweckerreichung eine strikte Grenze für das Ermessen der Antragsgegnerin ergeben soll, welche es ausschlösse, die Verpflichtung auf den hier gewählten Zeitraum zu erstrecken, legt der Antragsteller schon nicht ausreichend dar. Auch seine Kritik an dem Hinweis der Vorinstanz auf die oben unter I. 2. c) genannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vermag eine Änderung des angefochtenen Beschlusses nicht zu rechtfertigen. Denn der beanstandete Hinweis hat erkennbar („Im Übrigen …“) lediglich einen ergänzenden Charakter und der Antragsteller entkräftet die dem Hinweis vorausgehenden, selbständig tragenden Erwägungen der Vorinstanz nicht, die sich in den übrigen Sätzen des zweiten Absatzes auf der Seite 6 der Abschrift des angefochtenen Beschlusses finden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 und 52 Abs. 1 GKG. Sie entspricht den Vorschlägen unter den Nr. 1.5 Satz 1 und 46.11 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
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<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
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<dl class="RspDL">
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<dd><p style="margin-left:90pt">I.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller wendet sich gegen eine naturschutzrechtliche Anordnung des Antragsgegners, mit der ihm die Pflanzung von Bäumen und Strauchreihen sowie die Leistung von Ausgleichsmaßnahmen aufgegeben wird.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller ist Eigentümer der Grundstücke der Gemarkung W., Flur A, Flurstücke 583 und 581 sowie Flur B, Flurstücke 198/1, 196/1, 194/1, 192/1, 190/1 und 188/1 (W. Schachtsee), auf denen ein Campingplatz betrieben wird, sowie des östlich angrenzenden Grundstücks der Gemarkung W., Flur A, Flurstück 563, auf dem sich eine Parkfläche befindet. Nach einem Bürgerhinweis stellte der Antragsgegner bei einer am 17.11.2017 durchgeführten Ortsbesichtigung fest, dass auf diesen Flächen eine Vielzahl von Bäumen (Pappeln) sowie Strauchreihen beseitigt worden waren.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Mit Bescheid vom 29.05.2018 gab der Antragsgegner dem Antragsteller auf, im Bereich des Geländes W. Schachtsee eine Pflanzung von 36 Bäumen, davon mindestens zwei Baumreihen mit einem Mindestbaumbestand von jeweils 10 zusammenhängenden Bäumen, und von 4 Strauchreihen mit einem Gesamtumfang von insgesamt 150 m² anzulegen (Ziffer 1) sowie auf der angrenzenden Parkfläche 12 weitere Bäume zu pflanzen (Ziffer 2). Darüber hinaus ordnete der Antragsgegner an, dass als Kompensation des durch die Fällungen entstandenen Naturschadens weitere Ausgleichsmaßnahmen durch den Antragsteller zu leisten sind, dabei insgesamt 23.860 Biotopwertpunkte auszugleichen sind und der unteren Naturschutzbehörde bis zum 30.09.2018 ein landschaftspflegerischer Begleitplan mit konkreten Ausgleichsmaßnahmen zu Entscheidung vorzulegen ist (Ziffer 3). Zugleich ordnete der Antragsgegner die sofortige Vollziehung der Verfügung an (Ziffer 4). Für den Fall, dass der Antragsteller den Anordnungspunkten 1 und 2 nicht nachkomme, drohte er ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000,00 € an (Ziffer 5), und für den Fall, dass er dem Anordnungspunkt 3 nicht nachkomme, ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,00 € (Ziffer 6). Der Anordnung war u.a. die Nebenbestimmung Nr. 6 beigefügt, wonach die Aufwuchs- und Entwicklungspflege der Gehölze fünf Jahre beträgt und ausgefallene Gehölze in der jeweils darauffolgenden Pflanzperiode zu ersetzen sind.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Hiergegen erhob der Antragsteller am 27.06.2018 Widerspruch, über den – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Auf den vom Antragsteller ebenfalls am 27.06.2018 gestellten Antrag hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs hinsichtlich Ziffer 5 der Verfügung angeordnet, den Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs im Übrigen aber abgelehnt. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, der angefochtene Bescheid unterliege – bis auf die nicht hinreichend bestimmte Zwangsgeldandrohung in Ziffer 5 – nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorzunehmenden summarischen Prüfung keinen rechtlichen Bedenken.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 17 Abs. 8 Satz 2 BNatSchG für eine Wiederherstellungsanordnung seien erfüllt. Die vom Antragsteller vorgenommene Beseitigung von insgesamt 51 Bäumen und vier Strauchreihen stelle nach summarischer Prüfung einen Eingriff in Natur und Landschaft im Sinne des § 14 BNatSchG dar, der nach § 15 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG auszugleichen oder zu ersetzen sei. Die Gestalt der Grundfläche des Schachtseegeländes sei derart verändert worden, dass eine erhebliche Beeinträchtigung des Naturhaushalts und des Landschaftsbildes nicht ausgeschlossen werden könne. Wie sich auch den im Verwaltungsvorgang enthaltenen Lichtbildern entnehmen lasse, habe die Entfernung der großen Anzahl von Bäumen dazu geführt, dass der an den Campingplatz angrenzende Schachtsee auf großer Fläche einsehbar sei. Auch als Sichtschutz dienende große Bäume seien großflächig nicht mehr vorhanden. Auf der Luftbildaufnahme sei zu erkennen, dass der Bereich 1, der sich am Eingangsbereich des Campingplatzes befinde und die Grundstücksgrenze mit Bäumen verdeutliche, beseitigt worden sei, so dass ein freier Blick auf das Gelände gegeben sei. Für den Durchschnittsbeobachter stelle sich die den Schachtsee auf Höhe des Campingplatzes umgebende Landschaft als bedeutend weniger von Pflanzen, insbesondere Bäumen, bewachsenes Gebiet dar, als vor den vorgenommenen Veränderungen, insbesondere weil die Landschaft von den hochgewachsenen Bäumen geprägt gewesen sei. Wie den Bildern in der Akte entnommen werden könne, seien die beseitigten Bäume von einiger Höhe gewesen und hätten das sich für den Menschen ergebende Landschaftsbild maßgeblich beeinflusst, weshalb die mit den Rodungen einhergehende Veränderung des Landschaftsbildes nicht nur einem sich für Natur und Landschaft interessierenden Durchschnittsbetrachter unmittelbar auffalle und als negative Veränderung qualifiziert werde.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Diese sich optisch aufdrängende negative Veränderung des Landschaftsbildes habe auch erheblichen Einfluss auf das Funktionieren des Naturhaushalts. Insbesondere Rodungen oder auch die Beseitigung von Hecken beeinträchtigten das – aus den Faktoren Boden, Wasser, Luft, Tier- und Pflanzenwelt einschließlich ihrer vielfältigen Wechselwirkungen gebildete – ökologische Wirkungsgefüge einer Grundfläche, wenn – wie hier – einzelne dieser Faktoren oder ihr ökologisches Zusammenwirken Störungen unterlägen, die nach ökologischen Maßstäben als Verschlechterung zu bewerten seien. Dass das sich auf dem maßgeblichen Gelände entwickelte Wirkungsgefüge hier erheblich beeinträchtigt sei, dürfte in Anbetracht des Ausmaßes der Fällungen, das aufgrund des Stammumfangs ersichtlich höheren Alters der Bäume und daher der Intensität der Beseitigungen nicht in Frage zu stellen sein.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Ein rechtmäßiger Zustand könne auch nicht anders als durch Wiederherstellung des früheren Zustandes geschaffen werden (§ 17 Abs. 8 Satz 2 BNatSchG), insbesondere nicht durch Zulassung des Eingriffs. Der für die Behebung des Verstoßes gegen die formelle Genehmigungspflicht erforderliche Antrag auf Zulassung nach § 17 Abs. 3 Satz 2 BNatSchG bzw. die nachträgliche Anzeige des Vorhabens lägen bereits nicht vor. Ungeachtet dessen seien auch die Anforderungen des § 15 BNatSchG nicht erfüllt, die Voraussetzung für eine nachträgliche Zulassung des Eingriffs wären (§ 17 Abs. 3 Satz 2 BNatSchG).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Es bestünden auch keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der unter Ziffer 3 der Verfügung angeordneten Verpflichtung zur Erstellung eines landschaftspflegerischen Begleitplans. Die mit einem solchen Plan aufzuzeigenden weiteren Maßnahmen sollten der Kompensation der Beeinträchtigungen dienen, die auch nach den unter Ziffern 1 und 2 angeordneten Ersatzpflanzungen noch nicht beseitigt seien. Zweifel an der Berechnung der auszugleichenden Biotopwertpunkte, die der Antragsgegner auf der Grundlage der Richtlinie über die Bewertung und Bilanzierung von Eingriffen im Land Sachsen-Anhalt (Bewertungsmodell Sachsen-Anhalt) in der Fassung des Runderlasses des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt vom 12.03.2009 vorgenommen habe, bestünden bei Anlegung des summarischen Prüfungsmaßstabes nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:90pt"><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>A. Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen die Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>1. Der Antragsteller wendet ein, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 17 Abs. 8 BNatSchG seien nicht erfüllt. Ein Eingriff in Natur und Landschaft liege nicht vor. Eine erhebliche Beeinträchtigung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts und des Landschaftsbildes könne ausgeschlossen werden. Das Landschaftsbild habe sich durch die Entfernung der Bäume und Sträucher nicht wesentlich verändert. Das großflächige Landschaftsgebiet um den Schachtsee sei offen und flach. Die vornehmlich von Wiesen und Ackerflächen geprägte Landschaft werde nur sporadisch von Baumansiedlungen und Sträuchern unterbrochen. Eine zusammenhängende Vegetation von Bäumen und Sträuchern bestehe nicht. Eine Beeinträchtigung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit (des Naturhaushalts) könne ausgeschlossen werden. Nachdem nunmehr seit Beseitigung der Bäume und Sträucher ca. ein Jahr vergangen sei, lasse das Gebiet keine negativen Veränderungen erkennen. Vielmehr sei die Entfernung der witterungsbedingt stark beschädigten Gehölze für die Entwicklung der nahen Vegetation förderlich. Die bloße denktheoretische Annahme von Veränderungen reiche nicht aus. Weder Bodenschicht noch Grundwasser zeigten Veränderungen. Die Annahme einer Nutzungsänderung der Grundfläche könne auch nicht über die zweckgerichtete menschliche Nutzung herbeigeführt werden. Das Gelände sei im Allgemeinen in der Vergangenheit als Campingplatz genutzt worden. Die weiteren Naturbestandteile und -flächen ergänzten den Campingplatz zu diesem Zweck weiterhin.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Mit diesen Einwänden vermag der Antragsteller die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Beseitigung der Bäume und Strauchreihen einen Eingriff im Sinne der §§ 17 Abs. 8, 14 Abs. 1 BNatSchG darstelle, nicht in Frage zu stellen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Nach § 14 Abs. 1 BNatSchG sind Eingriffe in Natur und Landschaft im Sinne dieses Gesetzes Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen oder Veränderungen des mit der belebten Bodenschicht in Verbindung stehenden Grundwasserspiegels, die die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder das Landschaftsbild erheblich beeinträchtigen können.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>In der Beseitigung der Bäume und Strauchreihen ist jedenfalls eine Veränderung der Gestalt von Grundflächen im Sinne von § 14 Abs. 1 Alt. 1 BNatSchG zu sehen, so dass die Frage, ob darin auch eine Veränderung der Nutzung der Flächen zu sehen ist, offen bleiben kann.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Mit der Gestalt von Grundflächen ist deren äußeres Erscheinungsbild angesprochen, das durch geomorphologische Erscheinungen wie Berge, Hügel, Täler, fließende oder stehende Gewässer, aber auch durch seine charakteristischen Pflanzenbestände geprägt wird (vgl. Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht Bd. II, BNatSchG, § 14 RdNr. 5, m.w.N.). Handlungen, Vorhaben und Maßnahmen, die eine Grundfläche in ihrem äußeren Erscheinungsbild – wie hier - verändern, sind als relevante Veränderungen im Sinne des § 14 Abs. 1 BNatSchG zu erachten (Gellermann, a.a.O., § 14 RdNr. 10; Mühlbauer, in: Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/Stöckel, BNatSchG, 3. Aufl., § 14 RdNr. 14, jew. m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Ob durch die vom Antragsteller vorgenommene Veränderung des Baum- und Strauchbestandes auf seinen Grundstücken das Landschaftsbild in Anbetracht der die Umgebung prägenden Flächennutzung erheblich beeinträchtigt werden kann, d.h. die Veränderung bei der gebotenen großräumigen Betrachtungsweise (vgl. dazu OVG NW, Urt. v. 18.11.2004 – 7 A 3329/01 –, juris, RdNr. 46; Urt. v. 05.07.1993 – 11 A 2122/90 –, NVwZ-RR 1994, 260; BayVGH, Urt. v. 01.10.2007 – 15 B 06.2356 –, juris, RdNr. 22; Gellermann, a.a.O. RdNr. 18; Guckelberger, in: Frenz/Müggenborg [Hrsg.], BNatSchG, § 14 RdNr. 48; Lütkes, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 14 RdNr. 20) von einem gegenüber den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege aufgeschlossenen Durchschnittsbetrachter als nachteilig und störend empfunden wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.01.2016 – BVerwG 4 A 5.14 –, juris, RdNr. 146, m.w.N.), kann dahingestellt bleiben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Die in der Beschwerde vorgetragenen Erwägungen des Antragstellers vermögen jedenfalls die Einschätzung des Verwaltungsgerichts nicht in Frage zu stellen, dass die vom Antragsteller vorgenommene Beseitigung von ca. 50 Bäumen und 4 Strauchreihen die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts erheblich beeinträchtigen kann.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Der Naturhaushalt umfasst das aus den Faktoren Boden, Wasser, Luft, Tier- und Pflanzenwelt einschließlich ihrer vielfältigen Wechselwirkungen gebildete (§ 7 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG) und räumlich abgrenzbare Wirkungsgefüge; seine Leistungs- und Funktionsfähigkeit meint zunächst den aktuellen Zustand dieses Wirkungsgefüges, geht darüber aber insoweit hinaus, als der Begriff der "Fähigkeit" vorhandene, derzeit aber noch nicht aktualisierte Potenziale einschließt. Eine Beeinträchtigung erfährt die Leistungs- und Funktionsfähigkeit dieses Wirkungsgefüges, wenn einzelne seiner Faktoren oder ihr ökologisches Zusammenwirken in einer Weise gestört werden, die sich nach ökologischen Maßstäben als Verschlechterung darstellt. Da die Anzahl der Tier- und Pflanzenarten für das ungestörte Funktionieren des Ökosystems und seine Stabilität von entscheidender Bedeutung ist, kann eine Beeinträchtigung insbesondere dann angenommen werden, wenn Populationen von Tier- und Pflanzenarten die Lebensgrundlage entzogen wird, die Artenvielfalt abnimmt oder sich die Individuenzahl der Arten verringert. Auch wenn die biologische Vielfalt als nach der neu formulierten Zielstellung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG einen eigenen Schutzgegenstand darstellt, während sie früher gemäß § 2 Nr. 8 BNatSchG a.F. als Bestandteil zur Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts gehörte, bleibt sie im Hinblick auf die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts nicht außer Betracht; eine gewisse Einschränkung der Eingriffsdefinition ergibt sich allerdings daraus, dass die Veränderung die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts beeinträchtigen können muss (zum Ganzen: Urt. d. Senats v. 31.01.2018 – 2 L 56/16 –, juris, RdNr. 70, m.w.N).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Um den Tatbestand des § 14 Abs. 1 BNatSchG zu erfüllen, reicht – ganz im Sinne eines vorsorgenden Umweltschutzes – schon die Möglichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung aus. Eine Beeinträchtigung ist erheblich, wenn sie nach Art, Umfang und Schwere im Verhältnis zur ökologischen Qualität des betroffenen Naturhaushalts von Gewicht ist. Dabei ist insbesondere auf das Schutzwürdigkeitsprofil der betroffenen Naturgüter und das Gefährdungsprofil des Eingriffs abzustellen. Berücksichtigt werden sowohl formell ausgewiesene Schutzgebiete, die wegen des flächendeckenden Charakters der Eingriffsregelung nicht betroffen zu sein brauchen, als auch tatsächlich vorkommende Typen schutzwürdiger Lebensräume und Landschaftsstrukturen. Die Bestimmung des Gefährdungsprofils orientiert sich u.a. an der Dimension des Projekts und seinen wesentlichen Wirkungsparametern. Im Ergebnis muss es sich um eine Beeinträchtigung von spürbarem Gewicht oder zumindest um eine nach Art, Umfang und Schwere des Eingriffs nicht völlig unwesentliche Beeinträchtigung handeln. Erheblich sind Beeinträchtigungen des Naturhaushalts dann, wenn sie nicht von geringer Bedeutung und mit den in § 1 BNatSchG bezeichneten Zielen (und früher auch den Grund-sätzen des § 2 BNatSchG a.F.) unvereinbar sind. Die Intensitätsschwelle ist im Hinblick auf die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts umso eher überschritten, je empfindlicher das jeweilige Ökosystem und je schutzwürdiger die betroffenen Bestandteile des Naturhaushalts sind (zum Ganzen: Urt. d. Senats v. 31.01.2018, a.a.O., RdNr. 71, m.w.N.). Negative Einwirkungen liegen z.B. vor, wenn einzelne Elemente des Naturhaushalts wie Tiere und Pflanzen in ihrer Anzahl reduziert werden (vgl. Lütkes, a.a.O., RdNr. 16). Soweit Kleintiere und Vögel in einem Baumbestand günstigere Lebensbedingungen als auf einer Fläche ohne Baumbestand vorfinden, ist seine Bedeutung für die Tierwelt umso höher zu veranschlagen, je weniger Bäume und Sträucher in Folge intensiv betriebener Landwirtschaft in seiner Nähe sind (vgl. HessVGH, Beschl. v. 30.11.1992 – 3 TH 1789/92 –, juris, RdNr. 17).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht hat angenommen, das auf dem maßgeblichen Gelände entwickelte Wirkungsgefüge sei hier in Anbetracht des Ausmaßes der Fällungen und des Alters der beseitigten Bäume beeinträchtigt. Der Antragsteller vermag dies nicht mit dem Argument in Frage zu stellen, dass er keine negativen Veränderungen habe erkennen können. Um die Schwelle der Erheblichkeit im Sinne von § 14 Abs. 1 BNatSchG zu überschreiten ist es mit Blick auf den Naturhaushalt nicht erforderlich, dass die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts in eine "ohne weiteres feststellbaren Weise" herabgesetzt zu werden droht (Gellermann, a.a.O., RdNr. 17, m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Mit der Behauptung, die entfernten Gehölze seien witterungsbedingt stark beschädigt gewesen, vermag der Antragsteller die Eingriffsqualität der von ihm durchgeführten Maßnahmen nicht in Frage zu stellen. Insbesondere ist nicht näher dargelegt, inwieweit die (vollständige) Beseitigung beschädigter Bäume für die übrige Vegetation förderlich sein soll. Auch (stark) beschädigte Bäume eignen sich als Lebensräume für Tiere, insbesondere Vögel. Soweit von den beseitigten Bäumen eine Gefahr für Dritte, insbesondere Camper ausgegangen sein sollte, betrifft dies vielmehr die Frage, ob dem Antragsteller – auf entsprechenden Antrag – eine Genehmigung des Eingriffs nach § 17 Abs. 3 i.V.m. § 15 BNatSchG hätte erteilt werden müssen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Unabhängig davon lassen die Darlegungen des Antragstellers und die von ihm eingereichten Unterlagen nicht erkennen, dass die beseitigten Gehölze witterungsbedingt so stark beschädigt waren, dass nur ihre (vollständige) Beseitigung in Betracht kam. Allein der Umstand, dass im Zeitraum von September bis Ende Oktober 2017 insbesondere auch das Land Sachsen-Anhalt von Unwetter-Stürmen betroffen war und dort erhebliche Sach- und Personenschäden entstanden, belegt dies nicht. Der – erstmals im Beschwerdeverfahren vorgetragene – Einwand, die genauere Betrachtung des Baumbestandes habe ergeben, dass viele Bäume bereits schief gewachsen oder abgeknickt waren oder sich bedenklich zur Seite neigten, ist nicht durch aussagekräftige Unterlagen untersetzt. Insbesondere ist nicht dargelegt, dass eine sachverständige Begutachtung stattfand. Auch eine Dokumentation der geltend gemachten Sturmschäden hat der Antragsteller offenbar nicht vorgenommen. In seinem Widerspruch sowie im erstinstanzlichen Verfahren hat der Antragsteller lediglich vorgetragen, in den letzten Jahren seien gleich mehrere Bäume abgestorben bzw. umsturzgefährdet gewesen; diese seien nicht mehr zu retten gewesen und hätten aus Gründen der Sicherheit entfernt werden können. Auch ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass (auch) benachbarte, mit Bäumen bewachsene Flächen um den Schachtsee von Sturmschäden in dem vom Antragsteller geltend gemachten Ausmaß betroffen waren. Dadurch dass der Antragsteller die vom Antragsgegner erfassten Bäume ohne die erforderliche naturschutzrechtliche Genehmigung beseitigt hat, hat er sich der Möglichkeit begeben, die geltend gemachten (Sturm-)Schäden an den fraglichen Bäumen feststellen zu lassen. Der Vortrag, die Durchführung eines naturschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens hätte nicht so zeitnah abgeschlossen werden können, dass eine Gefährdung der Campingplatzbesucher hätte ausgeschlossen werden können, vermag nicht zu überzeugen. Soweit tatsächlich bei "genauerer Betrachtung" eine Gefahr von Bäumen ausgegangen sein sollte, ist nicht ersichtlich, weshalb der Antragsgegner dem Antragsteller nicht auf entsprechenden Antrag kurzfristig eine Genehmigung erteilt hätte, um die Gefahrensituation zu beseitigen. Soweit der Antragsteller unter Bezugnahme auf eine Erklärung der Platzmeisterin geltend macht, eine Dauercamperin sei auf dem in Rede stehenden Campingplatz durch einen umstürzenden Baum lebensgefährlich verletzt und ihre Unterkunft fast vollständig zerstört worden, ist dem entgegen zu halten, dass auch dies nicht belegt, dass sämtliche oder zumindest eine Vielzahl der vom Antragsteller beseitigten Gehölze so beschädigt waren, dass auch von ihnen eine entsprechende Gefahr ausging.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>2. Der Vortrag des Antragstellers, die unter Ziffer 1 aufgeführten Punkte seien bei der Prognoseentscheidung über die Wahrscheinlichkeit des Eintretens einer erheblichen Beeinträchtigung nicht genügend berücksichtigt worden und eine Prognose dürfe nicht ohne belastbaren Vortrag "ins Blaue hinein" getroffen werden, bleibt unsubstantiiert. Der Antragsteller zeigt auch an dieser Stelle nicht auf, weshalb die im Rahmen der summarischen Prüfung gewonnene Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass die Beseitigung der ca. 50 Bäume und vier Strauchreihen in Anbetracht des Ausmaßes der Fällungen die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts beeinträchtigen kann und deshalb einen Eingriff im Sinne des § 14 Abs. 1 BNatSchG darstellt, fehlerhaft ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>3. Ohne Erfolg bleibt auch der Einwand des Antragstellers, unter Beachtung des bisherigen Vortrages lägen die Voraussetzungen für eine nachträgliche Genehmigung seines Vorhabens vor. Mit der Erwägung des Verwaltungsgerichts, der für die Behebung des Verstoßes gegen die formelle Genehmigungspflicht erforderliche Antrag auf Zulassung nach § 17 Abs. 3 Satz 2 BNatSchG bzw. die nachträgliche Anzeige des Vorhabens lägen bereits nicht vor, setzt sich die Beschwerde nicht auseinander. Sie verhält sich auch nicht zu der Auffassung der Vorinstanz, die Anforderungen des § 15 BNatSchG, die Voraussetzung für eine nachträgliche Zulassung des Eingriffs wären, seien nicht erfüllt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>4. Der Antragsteller wendet ein, die Anordnung zur Erstellung eines landschaftspflegerischen Begleitplans stelle eine unzumutbare Belastung dar, die zu den konkreten Pflanzanordnungen hinzutrete. Spätestens nach der angeordneten Pflege- und Begleitzeit von fünf Jahren sollte der landschaftliche und natürliche Wert der Gehölze und Sträucher einen weiteren Begleitplan entbehrlich machen. Die Durchführung beider Maßnahmen parallel werte den Biotopwert des entsprechenden Naturgebiets auf. Er, der Antragsteller, habe jedoch in keinem Fall ein positives Schadensinteresse zu ersetzen oder sogar für die Förderung des Naturhaushalts in diesem Maß zu sorgen. Damit vermag der Antragsteller nicht durchzudringen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht hat zunächst darauf verwiesen, dass die mit dem landschaftspflegerischen Begleitplan aufgegebenen weiteren Maßnahmen der Kompensation der Beeinträchtigungen dienen soll, die auch nach den unter Ziffer 1 und 2 der Verfügung angeordneten Ersatzpflanzungen noch nicht beseitigt sind. Für die Kompensation des durch die Fällung von 50 bis 60 Jahre alten Bäumen entstandenen Schadens reiche es nicht aus, wenn die beseitigten Bäume im Verhältnis eins zu eins ersetzt werden, weil die Neuanpflanzung unter dem Gesichtspunkt des ökologischen Ausgleichs dem gefällten Baum (zunächst) nicht gleichkomme (vgl. S. 9 des Beschlussabdrucks). Mit dem Einwand des Antragstellers, es seien die gepflanzten Gewächse nach Ablauf der Fünfjahresfrist zur Sicherstellung der Anwuchs- und Entwicklungspflege einzustellen, für die er Sorge zu tragen habe, hat sich das Verwaltungsgericht im angegriffenen Beschluss ausführlich befasst (S. 13 f. des Beschlussabdrucks). Es hat angenommen, bei der Berechnung der Wertsteigerung, die mit den dem Antragsteller aufgegebenen Ersatzpflanzungen erfolge, werde in Anwendung der Richtlinie über die Bewertung und Bilanzierung von Eingriffen im Land Sachsen-Anhalt (Bewertungsmodell Sachsen-Anhalt) in der Fassung des Runderlasses des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt vom 12.03.2009 sowie der daran anknüpfenden Anlage 1 den Kompensationsmaßnahmen ein Planwert zugeordnet, der der Inwertsetzung der zur Kompensation der Eingriffsfolgen geplanten Biotopentwicklungsmaßnahme diene. In der Regel sei der Planwert niedriger als der jeweilige Biotopwert. Je länger die Entwicklungsdauer und je höher das Wiederherstellungsrisiko des Biotoptyps seien, desto stärker weiche der Planwert vom Biotopwert ab. Beeinträchtigungen von Biotoptypen mit langer Entwicklungsdauer oder mit hohem Wiederherstellungsrisiko lösten danach grundsätzlich einen höheren Kompensationsbedarf aus (Ziffer 3.1.2.1 der Bewertungs- und Bilanzierungsrichtlinie). Daraus ergebe sich, dass bei der Festlegung des Planwerts die mit der Zeit eintretende Wertsteigerung des anzupflanzenden Gewächses bereits Berücksichtigung gefunden habe. Soweit der Antragsteller dahingehend zu verstehen sein sollte, dass für die Berechnung der mit den Ersatzpflanzungen eintretenden Kompensation nicht der Plan-, sondern der Biotopwert heranzuziehen sei, sei dem nicht zu folgen. Denn lediglich bei vorzeitig durchgeführten Maßnahmen – etwa bei bereits durchgeführten Ersatzpflanzungen – werde die anrechenbare Wertsteigerung ausschließlich über den (zum Anrechnungszeitpunkt jeweils aktuellen) Biotopwert ermittelt (Ziffer 3.1.2.2 der Bewertungs- und Bilanzierungsrichtlinie). Eine vorzeitige Durchführung der Kompensationsmaßnahme habe vorliegend jedoch nicht stattgefunden, so dass der Planwert in Ansatz zu bringen sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Mit diesen Erwägungen setzt sich die Beschwerde nicht auseinander. Mit dem Einwand, spätestens nach der angeordneten Pflege- und Begleitzeit von fünf Jahren machten der Wert der Gehölze einen landschaftspflegerischen Begleitplan entbehrlich, vermag der Antragsteller die Rechtmäßigkeit der Anordnung unter Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides schon deshalb nicht in Frage zu stellen, weil dieser Zustand bislang noch nicht erreicht ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>5. Der Antragsteller rügt schließlich, es könne nicht nachvollzogen werden, dass bei naturschutzrechtlichen Angelegenheiten eine besondere Eilbedürftigkeit bestehen solle. Verluste für das Landschaftsbild und den Naturhaushalt, wie sie der Antragsgegner überzogen dargestellt habe, seien nicht ersichtlich. Sie seien bislang nicht eingetreten und würden voraussichtlich auch nicht während des Hauptsacheverfahrens eintreten. Diese Einwände verfangen nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Es ist anerkannt, dass das besondere Vollzugsinteresse im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO durch das einschlägige materielle Recht bereichsspezifisch vorgeprägt sein kann. So ist für bestimmte Arten von Verfügungen das Erlassinteresse mit dem Vollzugsinteresse identisch. Die Gründe, die den Erlass eines Verwaltungsaktes rechtfertigen, fordern demnach zugleich auch dessen sofortigen Vollzug. Eine starke Vorprägung durch das materielle Recht erfährt die Vollziehbarkeitsanordnung bei naturschutzrechtlichen Maßnahmen. Insoweit ist Eilbedürftigkeit gegeben, wenn es darum geht, natürliche Verhältnisse baldmöglichst wiederherzustellen und die Herbeiführung einer irreparablen Zerstörung der zu schützenden Natur und Landschaft zu verhindern. Ein besonderes Vollzugsinteresse liegt vor, wenn bei rechtswidrigen Eingriffen in ein geschütztes Biotop der Eintritt von nicht oder nur schwer rückgängig zu machenden Auswirkungen auf den Naturhaushalt verhindert werden soll. Insbesondere bei illegalen Eingriffen in die Natur durch Beseitigung von Bäumen rechtfertigt sich ein behördliches Eingreifen durch Anordnung einer sofortigen Ersatzpflanzung daraus, dass bei einer grundsätzlich gebotenen Ersatzmaßnahme, die sich oft erst nach langer Zeit zu einem gleichwertigen Ausgleich auswächst, nicht noch durch Abwarten der rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung ein zusätzlicher Zeitverlust eintritt. Zudem kann die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer naturschutzrechtlichen Maßnahme generalpräventiv auf die Gefahr einer unerwünschten Nachahmungswirkung gestützt werden. Etwas anderes gilt allenfalls dann, wenn wirklich Zweifel an der Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden Verfügung bestehen (zum Ganzen: Beschl. d. Senats v. 21.04.2016 – 2 M 93/15 –, juris, RdNr. 20, m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Gemessen daran begegnet die Anordnung der sofortigen Vollziehung der naturschutzrechtlichen Verfügung des Antragsgegners keinen rechtlichen Bedenken. Dem Einwand des Antragstellers, Verluste für den Naturhaushalt seien nicht ersichtlich, vermag der Senat nicht zu folgen. Der Vortrag des Antragsgegners in der Antragserwiderung vom 13.07.2018 (S. 5), dass Lebensraum besonders streng geschützter Tierarten auf dem Gelände in erheblichem Umfang verloren gegangen sei, erscheint in Anbetracht der Anzahl der beseitigten Bäume und Strauchreihen überzeugend.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>C. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. 1.7.2 und 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Die sich aus dem Antrag des Antragstellers für ihn ergebende Bedeutung der Sache bemisst der Senat hinsichtlich der Ziffern 1 und 2 des angefochtenen Bescheids nach den voraussichtlichen Kosten für die Pflanzung von 48 Bäumen und 4 Strauchreihen sowie für die Anwuchs- und Entwicklungspflege (vgl. Beschl. d. Senats v. 08.02.2011 – 2 L 32/10 –, juris, RdNr. 13). Diese schätzt der Senat auf ca. 500,00 € je Baum und Strauchreihe, so dass sich insoweit ein Wert in Höhe von 26.000,00 € ergibt. Für die Anordnung unter Ziffer 3 des Bescheides legt der Senat wie die Vorinstanz den Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG zugrunde. Die mit der Grundverfügung verbundene und im Beschwerdeverfahren noch streitgegenständliche (unselbständige) Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 5.000,00 € hinsichtlich der Ziffer 3 der Anordnung bleibt bei der Streitwertfestsetzung außer Betracht, da auch die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes nicht höher ist als der für die Grundverfügung selbst zu bemessende Streitwert (vgl. Nr. 1.7.2 des Streitwertkataloges; BayVGH, Beschl. v. 16.03.2017 – 9 C 17.324 – juris, RdNr. 5; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 01.09.1992 – 1 B 163/92 –, juris, RdNr. 4). Der sich danach ergebende Gesamtbetrag von 31.000,00 € ist im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu halbieren (Nr. 1.5 des Streitwertkataloges).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>D. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<br>
</div>
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171,174 | lagsn-2019-01-14-5-ta-6718 | {
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<div class="docLayoutText"><div><dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt"><strong>Die Beschwerde der Bezirksrevisorin beim dem Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt vom 13.03.2018 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 26.02.2018 (Az.: 1 Ca 3199/15 PKH) in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 18.04.2018 wird zurückgewiesen.</strong></p></dd>
</dl></div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>I.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist der Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts bei Abschluss eines Mehrvergleichs. Es soll die Rechtsfrage geklärt werden, ob im Rahmen bewilligter Prozesskostenhilfe für einen Vergleichswert eine 1,5-fache oder eine 1,0-fache Einigungsgebühr zu erstatten ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Hinsichtlich des Sachverhalts wird auf I. der Gründe des Beschlusses des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 26.02.2018 Bezug genommen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Die gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 RVG zulässige Beschwerde der Bezirksrevisorin bei dem Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt ist unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht die Erstattung einer 1,5-fachen Einigungsgebühr für den Vergleichsmehrwert festgesetzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin steht wegen des abgeschlossenen Mehrvergleichs auch eine 1,5-Einigungsgebühr (Nr. 1000 RVG-VV) zu.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>1.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Es ist umstritten, welche anwaltlichen Gebühren der im Rahmen der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt bei der vergleichsweisen Erledigung nicht rechtshängige Gegenstände in einem gerichtlichen Vergleich verlangen kann.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Nach Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 RVG-VV entsteht die 1,5-fache Einigungsgebühr für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht. Nach Nr. 1003 RVG-VV betragen die Gebühren nach Nr. 1000 bis 1002 RVG-VV 1,0, wenn über den Gegenstand ein anderes gerichtliches Verfahren als ein selbständiges Beweisverfahren anhängig ist. Nach Nr. 1003 Abs. 1 Satz 1 RVG-VV gilt diese Reduzierung der Einigungsgebühr auf 1,0 auch dann, wenn über Verfahrensgegenstände zugleich ein Verfahren über die Prozesskostenhilfe anhängig ist, soweit nicht lediglich Prozesskostenhilfe für ein selbständiges Beweisverfahren oder die gerichtliche Protokollierung des Vergleichs beantragt wird oder sich die Beiordnung auf den Abschluss eines Vertrages i. S. d. Nr. 1000 erstreckt (§ 48 Abs. 3 RVG). Dabei stehen die Nummern 1000 (1,5-fach), 1003 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 (1,0-fach) und 1003 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 (1,5-fach) RVG-VV in einem Grundsatz – Ausnahme – Rückausnahmeverhältnis (LAG Schleswig-Holstein, 11.04.2017 – 5 Ta 36/17 -; LAG Baden-Württemberg, 27.04.2016; 5 Ta 118/15, juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>2.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Nach einer Ansicht greift die Ausnahme der Nr. 1003 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 RVG-VV mit der Folge der Reduzierung der Einigungsgebühr auf 1,0 ein. Kommt der gerichtlich protokollierte Vergleich erst nach der Erörterung der Sach- und Rechtslage zu Stande, wurde nicht lediglich Prozesskostenhilfe für die gerichtliche Protokollierung des Vergleichs beantragt i. S. d. 2. Alternative in Nr. 1003 Abs. 1 Satz 1 RVG-VV (LAG München, 02.11.2016, 6 Ta 287/16, LAG Nürnberg, 25.06.2009, 4 Ta 61/09, LAG Hamm, 31.08.2007, 6 Ta 402/07, LAG Rheinland-Pfalz, 12.03.2015, 5 Ta 51/15, jeweils veröffentlicht in juris; vgl. Übersicht bei Gerold/Schmidt/Müller/Rabe, RVG, 23. Aufl. 2017, § 48 Rdnr. 170 ff. m. w. N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>3.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Nach einer sich mittlerweile abzeichnenden überwiegenden anderen Ansicht wird angenommen, dass bei der Erweiterung der Prozesskostenhilfe auf den Abschluss eines Mehrvergleichs dem beigeordneten Rechtsanwalt sämtliche mit dem Vergleichsschluss anfallenden Gebühren aus der Staatskasse zu erstatten sind. Dabei werden vor allem der Sinn und Zweck der Prozesskostenhilfe sowie die Verfahrensökonomie in den Vordergrund gestellt (LAG Baden-Württemberg, 27.04.2016, 5 Ta 118/15; LAG Berlin-Brandenburg, 16.04.2018, 17 Ta (Kost) 6133/17; LAG Hamm, 03.08.2018, 8 Ta 653/17 unter Bezugnahme auf BGH, 17.01.2018, XII ZB 248/16, jeweils veröffentlicht in juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>4.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerdekammer folgt der zuletzt genannten Auffassung. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat in seinem Beschluss vom 16.04.2018 (17 Ta (Kost) 6133/17) zu Recht auf den Sinn und Zweck der Prozesskostenhilfe abgestellt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat zutreffend ausgeführt:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">"Der Anspruch auf Prozesskostenhilfe soll gewährleisten, dass unbemittelte Parteien in gleicher Weise Rechtsschutz in Anspruch nehmen können wie Parteien, die die Kosten der Prozessführung aus eigenen Mitteln bestreiten können. Er ist Ausfluss des verfahrensrechtlichen Gebots einer weitergehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes aus Art. 3 Abs. 1 GG i. V. m. dem in Art. 20 Abs. 3 GG niedergelegten Rechtsstaatsprinzip (BGH, Beschluss vom 17.01.2018; VII ZB 248/16). Die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung Unbemittelter darf im Vergleich zu Bemittelten nicht unverhältnismäßig erschwert werden. Eine derartige Erschwerung trete jedoch ein, wollte man an dem beigeordneten Rechtsanwalt bei Abschluss eines Mehrvergleichs die sich nach dem RVG danach ergebenden Gebühren nur teilweise aus der Staatskasse erstatten. Die unbemittelte Partei, die die anwaltlichen Gebühren nicht selbst tragen kann, wäre in diesem Fall gezwungen, hinsichtlich der nichtanhängigen Gegenstände ein weiteres gerichtliches Verfahren anzustrengen bzw. müsste sich einer – an sich sinnvollen – Gesamtbereinigung aller Ansprüche verweigern. Für diese Ungleichbehandlung gibt es keinen hinreichend sachlichen Grund. So ist es insbesondere nicht entscheidend, dass eine Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussichten einer beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Verteidigung hinsichtlich der in den Vergleich einbezogenen Regelgegenstände nicht in gleicher Weise erfolgen kann wie bei dem eigentlichen Gegenstand des Verfahrens. Es geht bei der Einbeziehung nicht rechtshängiger Gegenstände in einem gerichtlichen Vergleich nicht darum, ob ein insoweit geführtes eigenständiges Verfahren hinreichende Aussicht auf Erfolg hätte, sondern es ist zu fragen, ob der bereits anhängige Rechtsstreit durch Abschluss des Vergleichs beigelegt werden kann. Wird Prozesskostenhilfe für den Mehrwert eines Vergleichs beantragt, besteht die erforderliche Erfolgsaussicht deshalb bereits dann, wenn zu erwarten ist, dass ein Vergleich zu Stande kommt (BAG, 16.02.2012 – 3 AZB 34/11 –, juris). Gegen die hier vertretene Auffassung kann ferner nicht mit Erfolg eingewandt werden, nach § 48 Abs. 3 RVG komme eine Erstattung von Verfahrens- und Terminsgebühr für einen Mehrvergleich nur bei einer Beiordnung in Ehesachen in Betracht. Nach der genannten Vorschrift erstreckt sich die Beiordnung in Ehesachen ohne weiteres für den Abschluss eines Vertrages i. S. d. Nr. 1000 RVG-VV erforderlichen Tätigkeiten. Dies bedeutet jedoch nur, dass es insoweit keines ausdrücklichen Antrages auf Beiordnung und keiner gesonderten Bewilligung für einen Mehrvergleich bedarf, während in allen anderen weiteren Verfahren Prozesskostenhilfe für einen Mehrvergleich beantragt und bewilligt werden muss (vgl. § 48 Abs. 5 RVG). Das bei dem Abschluss eines Mehrvergleichs im Erörterungstermin nach § 118 Abs. 1 Satz 3 ZPO Prozesskostenhilfe nur für den Vergleich selbst und nicht für das gesamte Prozesskostenhilfeverfahren bewilligt werden kann, ist für die hier entscheidende Sachverhaltsgestaltung ebenfalls ohne Aussagekraft. Denn anders als im Anwendungsbereich des § 118 Abs. 1 Satz 3 ZPO ist der unbemittelten Partei Prozesskostenhilfe bereits bewilligt worden bzw. wird ihr zugleich bewilligt; dass Prozesskostenhilfe für das Prozesskostenhilfeverfahren nicht bewilligt werden kann, ist deshalb ohne Belang (BGH vom 17.01.2018)."</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerdekammer schließt sich den Ausführungen des LAG Berlin-Brandenburg vollumfänglich an.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Es geht darum, dass die Parteien mit geringem Einkommen die gleiche Möglichkeit erhalten müssen, ihre Streitigkeiten möglichst umfangreich beizulegen, wie Parteien mit ausreichend hohem Einkommen (vgl. auch BT-Drucksache, 17/11471 zu Nr. 25 (§ 48 RVG) Buchstabe b). In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass ein Vergleichsmehrwert nur anfällt, wenn durch den Vergleichsabschluss ein weiterer Rechtsstreit und/oder außergerichtlicher Streit erledigt und/oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt werden. Dabei muss gerade über die Frage eines Anspruchs oder Rechts in Bezug auf die jeweilige Regelung zwischen den Parteien Streit und/oder Ungewissheit bestanden haben. Keine Werterhöhung tritt ein, wenn es sich lediglich um eine Gegenleistung zur Beilegung des Rechtsstreits handelt (Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit, Fassung 9. Februar 2018, I Nr. 25.1).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>5. Der beigeordneten Rechtsanwältin sind sämtliche mit dem Vergleichsschluss anfallenden Gebühren aus der Staatskasse zu erstatten, also auch die 0,8 Verfahrensgebühr (Nr. 3101 RVG-VV) sowie die 1,2 Terminsgebühr (Nr. 3104 RVG-VV).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Das LAG Hamm hat in seinem Beschluss vom 03.08.2018 (8 Ta 653/17; juris) hierzu Folgendes zutreffend ausgeführt:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">"a. Wird ein Vergleich unter Einbeziehung bislang in das Verfahren nicht nach § 253 Abs. 2 ZPO eingeführter Gegenstände geschlossen (Mehrvergleich), entsteht für die am Vergleichsabschluss beteiligten Rechtsanwälte wegen der Miterledigung der (noch) nicht oder nicht anderweitig anhängigen Ansprüche neben der 1,5 Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV RVG im Regelfall zudem eine 0,8 Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Ziffer 2 VV RVG. Außerdem fällt, wenn dem Vergleichsabschluss eine mündliche Verhandlung oder ein Äquivalent dazu vorausgegangen ist, nach Nr. 3104 Abs. 2 und Vorb. 3 Abs. 3 VV RVG eine 1,2 Terminsgebühr aus dem (Gesamt-​) Wert des Vergleichs an (ebenso mit ausführlicher Begründung: LAG Baden-​Württemberg, Beschluss vom 27. April 2016, aaO). Wegen der Begrenzung der jeweiligen Einzelgebühren auf den Wert aus dem Gesamtbetrag sämtlicher einbezogener Gegenstände nach dem insoweit höchsten Gebührensatz (§ 15 Abs. 3 RVG) reduzieren sich sodann die durch die nicht anhängigen Verfahrensgegenstände veranlassten Gebühren auf die sogenannten Differenzgebühren (BGH, aaO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">b. Diese Gebühren sind – anders als bislang vertreten – unter den eingangs skizzierten Voraussetzungen im Grunde vollständig, wenngleich der Höhe nach durch § 49 RVG begrenzt, von der Staats- bzw. Landeskasse zu tragen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">aa. Gem. § 11a Abs. 1 ArbGG i. V. m. § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO erhält die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen bedürftige Partei auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht als mutwillig erscheint. Der Prozesskostenhilfeanspruch findet seine Grundlage in Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem aus Art. 20 Abs. 3 GG abgeleiteten Rechtsstaatsprinzip. Danach darf die Möglichkeit zur Erlangung und die Qualität des erreichbaren Rechtsschutzes nicht wegen der mangelnden Verfügbarkeit der dafür erforderlichen finanziellen Mittel unverhältnismäßig stark erschwert sein. Im Grundsatz muss vielmehr jede Person, ohne Rücksicht auf die aktuelle Verfügbarkeit von Mitteln, ebenso wirksamen, effektiven und interessengerechten Rechtschutz in Anspruch nehmen können, wie eine andere, vernünftig agierende und die Kostenrisiken abwägende Person mit dazu ausreichender wirtschaftlicher Ausstattung (BVerfG, Beschluss vom 9. November 2017 – 1 BvR 2440/16 – NJW 2018, S. 449 m. w. N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">bb. Diese durch Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG garantierte Gleichheit in der Erreichbarkeit und Effektivität gerichtlichen Rechtschutzes wäre jedoch nicht gewahrt, wenn trotz der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (auch) für den Mehrvergleich die der beigeordneten anwaltlichen Vertretung daraus gegen die PKH-​Partei erwachsenden Gebührenansprüche auf der gesetzlichen Grundlage des RVG gleichwohl nicht vollumfänglich von der Staats- bzw. Landeskasse getragen werden (ebenso: BGH, aaO). Denn Folge daraus wäre, dass sich der nicht über das Prozesskostenhilfeverfahren abgedeckte Teil des Gebührenanspruchs gegen die PKH-​Partei selbst richtet, nicht aber entfiele. Eine finanziell nicht ausreichend ausgestattete Partei könnte dann – obwohl nach gerichtlicher Entscheidung sachgerecht – nicht anhängige Streitgegenstände wohlmöglich allein deshalb nicht zum Gegenstand eines Mehrvergleichs werden lassen, da sie die daraus resultierenden Gebührenmehrforderungen ggf. nicht tragen bzw. nicht erfüllen kann. Der bedürftigen Partei wäre so die gerade im arbeitsgerichtlichen Verfahren etwa im Kontext einer Bestandsschutzstreitigkeit vielfach aus sachgerechten Erwägungen gebotene, weitgehende oder umfassende Regelung ihrer vom Rechtsstreit berührten Rechtsverhältnisse deutlich erschwert.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Einen sachlichen Grund bzw. eine ausreichende Rechtfertigung dafür, der PKH-​Partei diese Erschwernis oder Einschränkung aufzuerlegen, vermag die erkennende Beschwerdekammer – wie der BGH in der wiederholt zitierten Entscheidung vom 17. Januar 2018 – nicht zu erkennen. Diese ergibt sich insbesondere nicht aus einem Umkehrschluss zur Regelung des § 48 Abs. 3 RVG noch unter Beachtung sonstiger, im Prozesskostenhilferecht angelegter Grundsätze (BGH, aaO)."</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerdekammer schließt sich den Ausführungen des LAG Hamm vollumfänglich an.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>III.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Die Entscheidung ergeht kostenfrei (§§ 56 Abs. 2 Satz 2, 3 RVG) und ist unanfechtbar (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).</p></dd>
</dl>
</div></div>
<br>
</div>
|
171,148 | ovgsh-2019-01-14-4-mb-12618 | {
"id": 1066,
"name": "Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht",
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"state": 17,
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<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Beschwerde gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 11. Kammer - vom 4. Dezember 2018 wird zurückgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- Euro festgesetzt.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 4. Dezember 2018 ist unbegründet. Das Beschwerdevorbringen, welches gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO alleiniger Gegenstand der Prüfung durch den Senat ist, rechtfertigt keine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des minderjährigen Antragstellers auf vorläufige Untersagung aufenthaltsbeendender Maßnahmen gemäß § 123 Abs. 1 VwGO mangels Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches abgelehnt, da weder ein sicherungsfähiger Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG oder nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG bestehe noch auf Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Entgegen den Ausführungen in der Beschwerdebegründung hat das Verwaltungsgericht in Bezug auf § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht in Frage gestellt, dass sich der heute jugendliche Antragsteller seit vier Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufhält, nachdem er bereits am 6. Juni 2012 im Alter von neun Jahren mit einem Schengen-Visum eingereist war. Entscheidungserheblich war vielmehr, dass es an einem mindestens geduldeten Aufenthalt während dieser Zeit fehle. Ohne eigene Duldungsbescheinigung müsse dem Antragsteller jedenfalls ein materieller Duldungsgrund zugestanden habe. Dies wiederum komme nur in Frage, wenn sein Vater über ein Bleiberecht verfügt hätte oder für ihn Duldungsgründe bestanden hätten; anderenfalls wäre eine Ausreise gemeinsam mit dem Vater möglich gewesen. Dergleichen sei nicht dargelegt. In seiner Beschwerdebegründung macht der Antragsteller demgegenüber geltend, dass ein an den Aufenthalt des Vaters anknüpfender geduldeter Aufenthalt seit mindestens vier Jahren gegeben sei. Weil dieser sich jedenfalls seit Mai 2014 durchgehend im Bundesgebiet aufgehalten habe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Geht man mit dem Verwaltungsgericht und dem Antragsteller davon aus, dass die vom Antragsteller im vorangegangenen Eilverfahren vorgelegte Sorgerechtsvereinbarung seiner Eltern vom 8. Oktober 2012 aus Hanoi wirksam und hier anzuerkennen ist, wäre der Vater für den minderjährigen Antragsteller allein sorgeberechtigt. In diesem Fall müsste sich für den Antragsteller ein aus dem Aufenthalt des Vaters abzuleitender Duldungsgrund ergeben haben. Denn schon aus der vom Verwaltungsgericht zitierten AZR-Auskunft vom 8. Mai 2018 ergibt sich, dass der Vater am 3. Juli 2014 einen Asylantrag stellte; dieser wurde am 22. Dezember 2017 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Der dagegen gerichtete Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wurde am 5. März 2018 abgelehnt. Damit muss dem Vater aufgrund seines Asylantrages der Aufenthalt im Bundesgebiet zur Durchführung des Asylverfahrens gestattet gewesen sein (§ 55 Abs. 1 AsylVfG i.d.F. v.28. August 2013); die Gestattung kann frühestens nach dem verwaltungsgerichtlichen Beschluss vom 5. März 2018 wegen der Vollziehbarkeit einer im Asylverfahren ergangenen Abschiebungsandrohung erloschen sein (§ 67 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG). Außerdem erhielt der Vater laut AZR-Auskunft nach Erlöschen/Einziehung der Aufenthaltsgestattung am 4. Mai 2018 eine Duldung wegen fehlender Dokumente und „Nichtrückführbarkeit i.Z.m. Familienangehörigen“, die im Anschluss mehrfach verlängert wurde, um eine gemeinsame Ausreise von Vater und Sohn zu ermöglichen. Damit hätte die Abschiebung des minderjährigen Antragstellers jedenfalls ab dem 3. Juli 2014 gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wegen rechtlicher Unmöglichkeit (Art. 6 Abs. 1 GG / Art. 8 Abs. 1 EMRK) ausgesetzt werden müssen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Dennoch folgt daraus für den Antragsteller noch kein Anspruch aus § 25a Abs. 1 AufenthG. Denn sein Aufenthalt im Bundesgebiet war der zuständigen Ausländerbehörde über Jahre nicht bekannt, sodass sie diesen auch nicht faktisch dulden konnte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Sinn und Zweck des § 25a AufenthG ist es im Wesentlichen, die Rechtsstellung derjenigen zu stärken, die auch ohne rechtmäßigen Aufenthalt anerkennenswerte Integrationsleistungen erbracht haben. Letztere sollen durch die Erteilung eines gesicherten Aufenthaltsstatus honoriert werden (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 23, 42; OVG Hamburg, Urt. v. 25.08.2016 - 3 Bf 153/13 -, juris Rn. 59 zu § 25b AufenthG). Wie das Bundesverwaltungsgericht zu § 8 Abs. 2a BAföG entschieden hat, kommt dem Erfordernis eines geduldeten Aufenthalts im Rahmen der Zwecksetzung einer solchen anspruchsbegründenden Norm vornehmlich die Funktion zu, in verwaltungspraktikabler Weise sicherzustellen, dass sich der Ausländer in dem genannten Zeitraum tatsächlich im Bundesgebiet aufgehalten hat. Sollte es die Ausländerbehörde bei Vorliegen der materiellen Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG pflichtwidrig unterlassen, eine das Schriftformerfordernis wahrende Duldung zu erteilen, dürfe dadurch der gesetzgeberische Zweck nicht unterlaufen werden. In einem solchen Fall könne auf das Vorliegen einer Duldungsbescheinigung nach § 60a Abs. 4 AufenthG verzichtet werden (BVerwG, Urt. v. 25.03.2014 - 5 C 13/13 -, juris Rn. 20). Gleiches gilt für § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG (vgl. BayVGH, Beschl. v. 26.11.2018 - 19 CE 17.2453 -, juris Rn. 19; OVG Lüneburg, Urt. v. 19.03.2012 - 8 LB 5/11 - juris Rn. 71; VG Darmstadt, Urt. v. 31.08.2012 - 6 K 1808/11 -, juris Rn. 17-19; Wunderle/Röcker in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12 Aufl. 2018, § 25a Rn. 11, Göbel/Zimmermann in: Huber, AufenthG, 2. Aufl. 2016, § 25a Rn. 9; Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 6. Aufl. 2017, § 5 Rn. 140). Weitere Voraussetzung ist jedoch, dass der Ausländer nicht "untergetaucht" war oder sich in anderer Weise dem ausländerrechtlichen Verfahren entzogen hat (BVerwG a.a.O.; BayVGH, Beschl. v. 04.08.2009 - 19 ZB 09.1510 -, juris Rn. 4 zu § 104a AufenthG). Ausgeschlossen ist der Anspruch deshalb, wenn sich ein junger integrierter Ausländer unerlaubt und für die Behörde nicht greifbar im Inland aufgehalten hat (VG Darmstadt, Urt. v. 31.08.2012 - 6 K 1808/11.DA -, juris Rn. 24; Burr in: GK AufenthG, Stand Aug. 2012, § 25a Rn. 11) und sein Aufenthalt deshalb nicht mit der Ausländerbehörde „abgestimmt“ war (VG Hamburg, Beschl. v. 18.10.2016 - 2 E 4867/16 -, juris Rn. 33 unter Verweis auf BT-Drs. 18/4097, S. 43 zum vergleichbaren § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>An einem solchen abgestimmten Aufenthalt fehlt es hier. Die zuständige Ausländerbehörde des Antragsgegners erfuhr offenbar erst aufgrund des Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis am 3. Mai 2018 vom Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet. Trotz Ablaufs seines Visums am 30. August 2012 hatte sich der Antragsteller dort nicht gemeldet. Der sorgeberechtigte und insoweit nach § 1631 Abs. 1 BGB verantwortliche Vater hatte dergleichen nicht veranlasst. Auch musste die am 6. August 2012 erfolgte Wohnungsanmeldung in Pinneberg die Meldebehörde nicht veranlassen, die Ausländerbehörde von Amts wegen zu unterrichten; dies wäre nach § 87 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG (i.d.F. vom 22.11.2011) nur dann der Fall gewesen, wenn der Antragsteller nicht im Besitz eines erforderlichen Aufenthaltstitels gewesen wäre. Sein Visum war zum Zeitpunkt der Anmeldung jedoch noch gültig. Die vom Antragsteller zitierte Übermittlungspflicht der Einwohnermeldeämter nach § 6 Abs. 1 Nr. 9 AZRG und die entsprechende Speicherbefugnis in § 2 Abs. 1a AZRG wurden erst im Jahre 2016 in das Gesetz eingefügt (Art. 2 Nr. 3 a und Art. 3 Nr. 2 a bb des Gesetzes v. 02.02.2016, BGBl I, 130); auch aus dem zum Zeitpunkt der Anmeldung am 6. August 2012 geltenden Melderecht ergibt sich keine Unterrichtungs- oder Übermittlungspflicht gegenüber Ausländerbehörden. Erst recht kann der Antragsteller nicht darauf verweisen, dass er der Ausländerbehörde aufgrund seines kurz darauf aufgenommenen Schulbesuches hätte bekannt werden müssen, denn Schulen sind von der Auskunfts- und Unterrichtungspflicht des § 87 Abs. 1 und 2 AufenthG von vornherein ausgeschlossen. Auch wenn in diesem Zusammenhang nicht von einem klassischen „Untertauchen“ gesprochen werden kann, war der Antragsteller dem ausländerrechtlichen Verfahren jedenfalls entzogen mit der Folge, dass der Aufenthalt auch nicht mit ihr abgestimmt sein konnte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Eine „faktische“ Duldung, wie sie vom Antragsteller geltend gemacht wird, kann, wie ausgeführt, den Tatbestand des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenhG erfüllen, wenn der Ausländerbehörde der unerlaubte Aufenthalt bekannt war und sie trotz Vorliegens von materiellen Duldungsgründen keine Duldungsbescheinigung erteilt. War ihr der Aufenthalt hingegen unbekannt, könnte die Annahme eines „geduldeten Aufenthalts“ nur in Frage kommen, wenn auch diese Unkenntnis auf ein pflichtwidriges Unterlassen bzw. Verschulden der Ausländerbehörde zurückzuführen wäre, weil dies dann nicht zu Lasten des Antragstellers gewertet werden dürfte (Maaßen/Koch in: Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2017, § 4 Aufenthalt, Rn. 777). Für eine solche Annahme ist nach den vorstehenden Ausführungen jedoch kein Raum.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Mit den weiteren Feststellungen des Verwaltungsgerichts, dass dem Antragsteller weder ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG noch auf Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, jeweils i.V.m. Art. 8 Abs. 1 EMRK, zustehe, setzt sich die Beschwerdebegründung entgegen § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht auseinander, insoweit wiederholt sie lediglich wortgleich ihren erstinstanzlichen Vortrag, statt sich mit den entscheidungstragenden Rechtssätzen und Annahmen des Verwaltungsgerichts in sachlich substantiierter Weise auseinander zusetzen und sie mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage zu stellen (vgl. dazu schon OVG Schleswig, Beschl. v. 31.07.2002 - 3 M 34/02 -, NJW 2003, 158).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 2 GKG.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd>
</dl>
</div></div>
<br>
</div>
|
180,254 | vg-gelsenkirchen-2019-01-11-5a-k-246217a | {
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} | 5a K 2462/17.A | 2019-01-11T00:00:00 | 2019-02-07T14:18:44 | 2019-02-12T13:33:29 | Urteil | ECLI:DE:VGGE:2019:0111.5A.K2462.17A.00 | <h2>Tenor</h2>
<ul class="ol"><li><p>I.   Das Verfahren wird eingestellt soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.</p>
</li>
</ul>
<ul class="ol"><li><p>II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger. Gerichtskosten werden nicht erhoben.</p>
</li>
</ul>
<ul class="ol"><li><p>III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.</p>
</li>
</ul><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">I.   Das Verfahren wird eingestellt soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.</p>
|
171,277 | vg-arnsberg-2019-01-11-10-l-160118a | {
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"city": 384,
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"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
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} | 10 L 1601/18.A | 2019-01-11T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:39 | 2019-02-12T13:44:32 | Beschluss | ECLI:DE:VGAR:2019:0111.10L1601.18A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes unter Beiordnung von Rechtswalt E1.         , C.    , wird abgelehnt.</p>
<p>Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.</p>
<p>Die Antragssteller tragen die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Den Antragstellern wird keine Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten bewilligt, weil die von ihnen betriebene Rechtsverfolgung aus den im Folgenden dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung – ZPO).</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der sinngemäß gestellte Antrag,</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">die aufschiebende Wirkung der am 15. Oktober erhobenen Klage – 10 K 4187/18.A – gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 4. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 01. Oktober 2018 anzuordnen,</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, aber nicht begründet.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Nach Art. 16 a Abs. 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) und § 36 Abs. 4 S. 1 AsylG darf das Gericht in Fällen der vorliegenden Art die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsandrohung nur dann anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Solche ergeben sich entgegen der Auffassung der Antragssteller nicht bereits aus den Grundsätzen, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil vom 19. Juni 2018 („Gnandi“) aufgestellt hat.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">In dieser Entscheidung hat sich der EuGH mit der Frage befasst, ob in den Fällen, in denen der Antrag eines Ausländers auf Gewährung internationalen Schutzes abgelehnt wurde, eine Rückkehrentscheidung unmittelbar nach oder zusammen mit der Ablehnung erlassen werden darf. Dies könnte deshalb problematisch sein, weil die Aufforderung zum Verlassen des Staatsgebietes dann vor einer etwaigen gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Ablehnung ergeht. Der EuGH ist der Ansicht, dass die Richtlinien 2008/115/EG und 2005/85/EG sowie die Art. 18, Art. 19 Abs. 2 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union einem solchen Vorgehen der Behörden dann nicht entgegenstehen, wenn unter anderem alle Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung ausgesetzt werden, der Ausländer während dieses Zeitraums in den Genuss der Rechte aus der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten kommen kann und wenn er sich auf jede nach Erlass der Rückkehrentscheidung eingetretene Änderung der Umstände berufen kann, die im Hinblick auf die Richtlinie 2008/115/EG und insbesondere ihren Art. 5 erheblichen Einfluss auf die Beurteilung seiner Situation haben kann. Die Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, sei Sache der nationalen Gerichte.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl.    EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, – C-181/16, Celex-Nr. 62016CJ0181 – juris Rn. 68.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">In den Entscheidungsgründen führt der EuGH unter anderem aus, dass zur Vermeidung einer der Charta der Grundrechte widersprechenden Behandlung dem Ausländer ein Rechtsbehelf zustehen müsse, der kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung entfalte. Ferner müssten während der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs und im Fall seiner Einlegung bis zur Entscheidung über ihn unter anderem alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung ausgesetzt werden. Hierzu genüge es nicht, dass der Mitgliedsstaat von einer zwangsweisen Umsetzung der Rückkehrentscheidung absehe; vielmehr müssten alle ihrer Rechtswirkungen ausgesetzt werden. Diese bedeute insbesondere, dass die Frist für die freiwillige Ausreise nicht zu laufen beginnen dürfe, solange der Ausländer ein Bleiberecht habe.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl.    EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, – C-181/16, Celex-Nr. 62016CJ0181 – juris Rn. 54 – 66.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Diesen Rechtsschutzanforderungen wird das deutsche Asylverfahrensrecht unzweifelhaft bei Klagen, die nach § 75 Abs. 1 AsylG aufschiebende Wirkung haben, gerecht; im Ergebnis allerdings auch in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet. Dies gilt sowohl für die vom EuGH geforderte Aussetzung aller Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung als auch das Erfordernis eines Rechtsbehelfs, der kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung entfaltet.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Im Hinblick auf das Erfordernis der Aussetzung aller Rechtswirkungen bedarf es der Entscheidung, ob die unter Ziffer 4. des angefochtenen Bescheids getroffene Anordnung, nach der die Ausreisefrist von einer Woche grundsätzlich bereits mit der Bekanntgabe des Bescheides und nicht erst nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu laufen beginnt (vgl. §§ 36 Abs. 1, 38 Abs. 1 S. 2 AsylG) zu einer Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung führt. Diese Frage, die in Rechtsprechung und Literatur noch nicht abschließend geklärt ist, ist zu verneinen. Auch wenn insoweit Bedenken bestehen mögen, führen sie jedenfalls nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts (§ 36 Abs. 4 S. 1 AsylG).</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Teilweise wird vertreten, dass die Anordnung einer solchen Frist zur freiwilligen Ausreise, die mit der Bekanntgabe des Bescheides und nicht dem Abschluss des (gerichtlichen) Verfahrens zu laufen beginnt, zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung insgesamt führe.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Vgl.    Verwaltungsgericht (VG) Arnsberg, Beschluss vom 17. Dezember 2018 – 3 L 1935/18.A –, juris; wohl auch Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. Dezember 2018 – 11 S 2125/18 –, juris Rn. 14; offen gelassen von VG Würzburg, Beschluss vom 24. September 2018 – W 2 S 18.31990 –, juris; Gutmann, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, – C-181/16, in: NVwZ 2018, S. 1629 – 1631; siehe auch Hruschka, Anmerkung zum EuGH-Urteil vom 19. Juni 2018 in der Rechtssache „Gnandi“, in: Asylmagazin 2018, Heft 9, S. 290 – 293, der die Notwendigkeit einer Änderung des nationalen Rechts sieht.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Nach anderer Auffassung ist bereits nach der geltenden Gesetzeslage davon auszugehen, dass der Lauf der Ausreisefrist erst mit der (negativen) gerichtlichen Entscheidung über den Eilantrag in Gang gesetzt wird. Dies führe bei einer im Übrigen gegebenen Rechtmäßigkeit des Bescheides zur vollständigen Ablehnung des Eilantrags. Als Begründung wird teilweise eine europarechtskonforme Auslegung des § 36 Abs. 1, Abs. 3 S. 8 AsylG und teilweise die Ansicht, dass mit rechtzeitiger Stellung des Eilantrags die im Bescheid gesetzte Ausreisefrist gemäß § 59 Abs. 1 S. 6 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet – AufenthG unterbrochen wird, herangezogen.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Vgl.    VG Stuttgart, Beschluss vom 11. Dezember 2018 – A 2 K 10728/18 –, juris; VG Berlin, Beschluss vom 30. November 2018 – 31 L 682.18 A –, juris Rn. 27  m.w.N.; noch offen gelassen von VG Berlin, Beschluss vom 24. September 2018 – 36 L 358.18 A –, juris.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Schließlich wird vertreten, dass sich aus den vom EuGH aufgestellten Grundsätzen generell keine Rechtswidrigkeit einer solchen Abschiebungsandrohung ergibt.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Vgl.    VG Frankfurt am Main, Beschluss vom 26. November 2018 – 5 L 4508/18.F.A. – juris; VG Münster, Beschluss vom 08. Oktober 2018 – 9 L 976/18 –, juris; VG Stade, Beschluss vom 30.07.2018 - 2 B 1616/18 - asyl.net: M26508, unter Hinweis auf VG Hannover, Beschluss vom 12. Juli 2018, 10 B 4228/18; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 05. Juli 2018 – 20 B 17.31636 –, juris Rn. 40; Wittkopp, Abschiebung abgelehnter Asylbewerber im Einklang mit Unionsrecht – Das Urteil „Gnandi“ des EuGH, in: ZAR 2018, S. 325 – 331; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, EuGH: Zur Verbindung von Ablehnungs- und Rückkehrentscheidungen, in: Entscheiderbrief 11-12/2018, S. 4 – 6;  siehe auch Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. November 2018 – 12 S 2504/18 –, juris.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Dieser letztgenannten Auffassung ist zu folgen.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Denn das in dem Verfahren „Gnandi“ ergangene Urteil stützt sich auf die Bestimmungen der Richtlinie 2005/85/EG, die jedoch mittlerweile durch die Richtlinie 2013/32/EU abgelöst worden sind.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">In der Richtlinie 2005/85/EG war in Art. 39 Abs. 1 im Wesentlichen nur geregelt, dass abgelehnte Asylbewerber das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht oder Tribunal haben. In Art. 39 Abs. 3 dieser Richtlinie wurde den Mitgliedsstaaten zudem die Möglichkeit eingeräumt, im Einklang mit ihren internationalen Verpflichtungen Vorschriften festzulegen im Zusammenhang mit den Fragen, ob der Rechtsbehelf nach Art. 39 Abs. 1 zur Folge hat, dass Antragsteller sich bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im betreffenden Mitgliedstaat aufhalten dürfen und der Möglichkeit eines Rechtsmittels oder von Sicherungsmaßnahmen, wenn der Rechtsbehelf nach Art. 39 Abs. 1 nicht zur Folge hat, dass sich Antragsteller bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im betreffenden Mitgliedstaat aufhalten dürfen.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Diese Regeln sind mit der Richtlinie 2013/32/EU durch ein ausdifferenzierteres System ersetzt worden. Demnach stellen die Mitgliedsstaaten gemäß Art. 46 Abs. 1 sicher, dass Antragsteller das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht gegen die in Art. 46 Abs. 1 a) bis c) genannten ablehnenden Entscheidungen haben. Nach Art. 46 Abs. 4 und 5 legen die Mitgliedsstaaten angemessene Fristen für die Wahrnehmung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 46 Abs. 1 fest und gestatten unbeschadet von Art. 46 Abs. 6 den Antragstellern das Recht zum Verbleib in ihrem Staatsgebiet bis zum Ablauf der Rechtsbehelfsfrist oder bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf. Nach Art. 46 Abs. 6 sind demgegenüber unter anderem in dem hier vorliegenden Fall der Ablehnung eines Antrags als offensichtlich unbegründet die Gerichte befugt, „entweder auf Antrag des Antragstellers oder von Amts wegen darüber zu entscheiden, ob der Antragsteller im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats verbleiben darf, wenn die Entscheidung zur Folge hat, das Recht des Antragstellers auf Verbleib in dem Mitgliedstaat zu beenden und wenn in diesen Fällen das Recht auf Verbleib in dem betreffenden Mitgliedstaat bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im nationalen Recht nicht vorgesehen ist“. Gemäß Art. 46. Abs. 8 gestatten die Mitgliedsstaaten dem Antragsteller bis zur Entscheidung in dem Verfahren nach den Abs. 6 und 7 darüber, ob der Antragsteller im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats verbleiben darf, im Hoheitsgebiet zu verbleiben.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Diesem Regelungssystem entsprechen die §§ 34 – 43 AsylG und §§ 74, 75 AsylG. Demnach ist insbesondere die Bestimmung, dass bei einer Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet der Antragssteller nur bis zum Abschluss des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ein Recht zum Verbleib hat, nach Art. 46 Abs. 6 und 8 der Richtlinie 2013/32/EU europarechtskonform. Unter anderem in den Fällen der offensichtlichen Unbegründetheit ist es ausdrücklich zulässig, dass (1) die Behörden eine Entscheidung treffen können, die das Recht des Asylbewerbers auf Verbleib im Mitgliedsstaat beendet, dass (2) das nationale Recht nicht vorsehen muss, dass ein Recht auf Verbleib im Mitgliedstaat bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf besteht und dass es (3) dann einem Gericht obliegt darüber zu entscheiden, ob der Asylbewerber (bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens) im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats verbleiben darf (Art. 46 Abs. 6 a.E.). Dieses gestufte Rechtsschutzsystem, dem das deutsche Verfahrensrecht entspricht, setzt voraus, dass eine von der Behörde gesetzte Ausreisefrist sofort zu laufen beginnt, weil die Behörde es sonst nicht in der Hand hätte das Recht auf Verbleib zu beenden und eine gesonderte Entscheidung eines Gerichts über den Verbleib bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens überflüssig wäre. Würde die Ausreisefrist während der Rechtsbehelfsfrist und  – bei Einlegung eines Rechtsbehelfs – bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht zu laufen beginnen, bräuchte es nicht der von Art. 46 Abs. 6 und §§ 80 Abs. 5 VwGO, 36 Abs. 3 AsylG vorgesehenen Entscheidung des Gerichts über ein (vorläufiges) Bleiberecht. Auch die Regelung des Art. 46 Abs. 8 hätte keinen Anwendungsbereich, wenn die Ausreisfrist nicht schon zu laufen beginnen würde. Ferner sieht Art. 46 Abs. 8 ein Bleiberecht nur für den Zeitraum bis zur gerichtlichen Eilentscheidung und nicht bis zum Ablauf einer danach beginnenden Ausreisfrist vor. Von dem EuGH ist dies in der Entscheidung „Gnandi“ nicht berücksichtigt worden, weil die Richtlinie 2013/32/EU gemäß ihres Art. 52 erst auf nach dem 20. Juli 2015 gestellte Anträge auf internationalen Schutz Anwendung findet.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Vgl.    VG Frankfurt am Main, Beschluss vom 26. November 2018 – 5 L 4508/18.F.A. – juris Rn. 14; VG Münster, Beschluss vom 08. Oktober 2018 – 9 L 976/18 –, juris; VG Stade, Beschluss vom 30.07.2018 – 2 B 1616/18 – asyl.net: M26508, unter Hinweis auf VG Hannover, Beschluss vom 12. Juli 2018 – 10 B 4228/18 –.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Vor diesem Hintergrund wäre es auch im Ergebnis nur schwer hinnehmbar, dass aufgrund des formalen Kriteriums des Fristbeginns jedem Eilantrag unabhängig von seiner Begründetheit im Übrigen stattzugeben sein soll. Denn dann wäre ein Ausländer, dessen Antrag auch nach der Auffassung des Gerichts offensichtlich keinen Erfolg haben wird (etwa weil sein Vorbringen offenkundig falsch ist, er gefälschte Beweismittel vorgelegt oder über seine Identität getäuscht hat, § 30 Abs. 3 Nr. 1 – 3 AsylG) oder bereits unzulässig ist (§§ 36 Abs. 1, 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4, Art. 46 Abs. 6 b) der Richtlinie 2013/32/EU), bis zum Abschluss des oft mehrere Jahre dauernden Hauptsacheverfahrens nicht vollziehbar ausreisepflichtig. Dies würde dem Wortlaut der §§ 34 – 43, 74, 75 AsylG sowie des Art. 46 Abs. 6 und 8 der Richtlinie 2013/32/EU und ihrem Regelungszweck, erkennbar aussichtslose Verfahren effizient zu gestalten, zuwiderlaufen.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">In der hier vertretenen Lösung liegt keine unzumutbare Verkürzung des Rechtsschutzes des Ausländers. Dieser darf in den Fällen des negativen Ausgangs des Eilverfahrens und der damit tatsächlich vorliegenden offensichtlichen Unbegründetheit seines Antrags nicht auf einen längeren Aufenthalt im Bundesgebiet vertrauen, sondern muss ich auf seine Ausreise nach Beendigung des Eilverfahrens einstellen. Ferner ist ihm unabhängig davon nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens eine Frist zur freiwilligen Ausreise zuzubilligen.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Vgl.    BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1986 – 1 C 16/85 –, juris Rn 21 und 22.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Aufgrund der Bestimmungen der Art. 46 Abs. 6 und 8 der Richtlinie 2013/32/EU ist es auch nicht selbstverständlich, dass der EuGH verbindliche Anforderungen für alle Verfahrensarten aufstellen wollte, die über die Bestimmungen der Richtlinie 2013/32/EU hinausgehen. Der Entscheidung „Gnandi“ ist schon nicht ausdrücklich zu entnehmen, dass die Ausreisefrist erst nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens zu laufen beginnen muss. Die nicht Teil des Tenors gewordene Formulierung, dass diese Frist nicht zu laufen beginnen darf, „solange der Betroffene ein Bleiberecht hat“, kann auch so verstanden werden, dass er nur während des laufenden gerichtlichen Verfahrens den Mitgliedsstaat nicht verlassen muss. Dies entspricht dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits und der Vorlagefrage. Ferner stellt der EuGH in den weiteren Entscheidungsgründen hinsichtlich der Rechte des Antragsstellers stets auf den Abschluss des gerichtlichen Verfahrens und nicht an eine sich daran anknüpfende Ausreisefrist ab.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Vgl.    EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, – C-181/16, Celex-Nr. 62016CJ0181 – juris Rn. 63 a.E. und  66 a.E.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Auch in seinem Beschluss vom 05. Juli 2018, in dem wiederholt auf die im Verfahren „Gnandi“ ergangene Entscheidung Bezug genommen wird, fordert der EuGH nur, das die Wirkungen der Rückkehrentscheidung bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens auszusetzen sind. Unter Hinweis auf Art. 46 Abs. 8 der Richtlinie 2013/32/EU stellt er ausdrücklich fest, dass in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet die Mitgliedsstaaten Ausländern einen Verbleib in ihrem Hoheitsgebiet nur bis zu einer gerichtlichen Entscheidung über ihr Bleiberecht gestatten müssen. Er verlangt nicht, dass sich daran noch die ursprünglich gesetzte Ausreisefrist anschließt.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Vgl.    EuGH, Beschluss vom 05. Juli 2018 – C-269/18 PPU –, juris Rn. 53; siehe auch VG Berlin, Beschluss vom 30. November 2018 – 31 L 682.18 A – juris Rn. 21.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Die geltende Rechtslage wird im Ergebnis auch dem vom EuGH aufgestellten Erfordernis eines Rechtsbehelfs, der kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung entfaltet, gerecht.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Zwar hat gemäß §§ 75 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG eine Klage gegen die in dem Bescheid getroffenen Entscheidungen nicht kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung. Vielmehr ist der Ausländer gehalten, einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO zu stellen.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Dies entspricht jedoch  – wie dargestellt  – dem von Art. 46 Abs. 6 und 8 der Richtlinie 2013/32/EU ausdrücklich vorgesehenen Regelungssystem.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Ferner sind die Folgen der Stellung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Ergebnis mit denen einer kraft Gesetzes bestehenden aufschiebenden Wirkung identisch, so dass eine äquivalente Rechtsschutzdichte besteht.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">So ist gemäß § 36 Abs. 3 S. 8 AsylG eine Abschiebung des Ausländers vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Dabei handelt es sich um mehr als ein (vom EuGH als nicht ausreichend angesehenes) bloßes Absehen von einer Abschiebung durch die Behörden, weil die Rechtsfolge gesetzlich vorgeschrieben ist. Auch eine Inhaftierung des Ausländers ist während der Dauer des gerichtlichen Eilverfahrens nicht zulässig, da keine vollziehbare Ausreispflicht besteht (vgl. § 62 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG).</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Dem Ausländer stehen mindestens für die Dauer des gerichtlichen Verfahrens alle Rechte aus der Richtlinie 2003/9/EG und der sie ablösenden Richtlinie 2013/33/EU zu. Insbesondere behält er seine Rechte aus der Aufenthaltsgestattung (vgl. § 67 Abs. 1 Nr. 4 AsylG) einschließlich der Rechte aus dem Asylbewerberleistungsgesetz (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Asylbewerberleistungsgesetz – AsylbLG).</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Der Prüfungsumfang des Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes genügt ebenfalls den europarechtlichen Anforderungen. Zwar ist eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich (§§ 80 Abs. 5, Abs. 7, 101 Abs. 3 VwGO, 36 Abs. 3 S. 4 AsylG), dafür ist gemäß § 36 Abs. 4 S. 1 VwGO die Abschiebung bereits bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung auszusetzen und nicht erst bei voller richterlicher Überzeugung. Der Ausländer kann sich zudem auf jede nach Erlass der Rückkehrentscheidung eingetretene Änderung von Umständen berufen, die Einfluss auf die Beurteilung seiner Situation haben könnte (vgl. § 77 Abs. 1 S. 1 AsylG).</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Schließlich wird der Ausländer durch die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung transparent über die Einhaltung der vorgenannten Garantien informiert.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Vgl.    VG Berlin, Beschluss vom 30. November 2018 – 31 L 682.18 A – juris Rn. 22 – 29 m.w.N., auch zur Gegenansicht; VG Münster, Beschluss vom 08. Oktober 2018 – 9 L 976/18 –, juris Rn. 11.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Auch im Übrigen bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass die auf § 34 Abs. 1 AsylG i.Vm. § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung mit der in § 36 Abs. 1 AsylG vorgesehenen Ausreisefrist von einer Woche rechtmäßig ist. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die geltend gemachte Erkrankung der Antragstellerin zu 3.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 34 Abs. 1 AsylG erlässt das Bundesamt nach den §§ 59 und 60 Abs. 10 AufenthG eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn unter anderem die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des AufenthG nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Absatz 7 Satz 1 des AufenthG ausnahmsweise zulässig ist und der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt. Ein die Androhung hinderndes Verbot der Abschiebung nach § 60 Abs. 7 AufenthG ist in der Regel gegeben, wenn in dem Zielstaat für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Eine solche ist aus gesundheitlichen Gründen gegeben, wenn sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers auf Grund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, also wenn eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Ausgehend vom asylrechtlichen Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit reicht es dabei nicht aus, dass eine Verschlechterung des Gesundheitszustands im Bereich des Möglichen liegt; sie muss vielmehr überwiegend wahrscheinlich sein.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Vgl.    Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 17. Oktober 2006 –</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">          1 C 18/05 – juris; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein –Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 30.10.2006 – 13 A 2820/04 – juris.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Dies ist etwa dann der Fall, wenn eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation im Zielstaat wegen des geringen Versorgungsstandes generell nicht verfügbar ist oder der Ausländer sie tatsächlich, also individuell aus finanziellen oder sonstigen Gründen, nicht erlangen kann.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Vgl.    BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 2006 – 1 C 18/05 – juris; BVerwG, Urteil vom 29. 10. 2002 – 1 C 1/02 – juris.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Allerdings kann von einer zu berücksichtigenden Verschlechterung des Gesundheitszustands nicht schon dann gesprochen werden, wenn lediglich eine Heilung des Krankheitszustandes im Zielstaat nicht zu erwarten oder die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland nicht gleichwertig ist. Ferner ist eine wesentliche Verschlechterung nicht bereits bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustands anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Denn das Verbot der Abschiebung nach § 60 Abs. 7 AufenthG soll dem Ausländer keine Heilung von Krankheit unter Einsatz des sozialen Netzes der Bundesrepublik Deutschland sichern, sondern nur vor einer gravierenden Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter Leib und Leben bewahren. Daher ist der Ausländer auch grundsätzlich auf die im Zielstaat allgemein üblichen medizinischen Standards verwiesen.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Vgl.    OVG Münster, Beschlüsse vom 20. September 2006 – 13 A 1740/05 – juris; 6. September 2004 – 18 B 2661/03 – juris; 05. August 2004 – 13 A 2160/04 – juris; 20. Oktober 2000 –18 B 1520/00 – juris.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Ausgehend von diesen Grundsätzen führt das Vorbringen der Antragssteller nicht zur Annahme eines in Bezug auf die Antragstellerin zu 3. vorliegenden Abschiebungsverbotes aus gesundheitlichen Gründen.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Ausführungen in dem angegriffenen Bescheid verwiesen (dort S. 7 – 10), denen das Gericht folgt. In der Antragsbegründung ist diesen Ausführungen nicht entgegen getreten worden; vielmehr wird der Antrag nur auf die in dem Verfahren „Gnandi“ aufgestellten Grundsätze gestützt.</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 S. 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO, die Gerichtskostenfreiheit aus § 83b AsylG.</p>
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<p>Die Berufung des Klägers gegen das am 27.06.2018 verkündete Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln – 84 O 231/17 – wird zurückgewiesen.</p>
<p>Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.</p>
<p>Dieses Urteil und das genannte Urteil des Landgerichts Köln sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.</p>
<p>Die Revision wird nicht zugelassen.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">I.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der gemäß § 8 Abs. 3 Ziffer 2 UWG unstreitig auch im vorliegenden Verfahren klagebefugte Kläger nimmt den Beklagten auf Unterlassung einer Absprache mit eine privaten Krankenversicherung bzw. einem Augenarzt in Anspruch.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Der Beklagte betreibt als Inhaber die F. Apotheke. Als Teil dieser Apotheke betreibt der Beklagte ferner unter der Bezeichnung „B. Versandapotheke“ eine Versandapotheke, die über die erforderliche Genehmigung verfügt.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Der Beklagte hat eine Kooperation mit der D. Krankenversicherung AG (im Folgenden: D.) geschlossen, die die Versorgung von Versicherten der D. mit Arzneimitteln im Rahmen einer Intravitrealen Medikamenteneingabe in den Glaskörper (IVOM) durch Augenärzte zur Behandlung der degenerativen Makuladegeneration zum Gegenstand hat.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die D. hat ihre Versicherungsnehmer, bei denen vom behandelnden Augenarzt die Indikation zur intravitrealen Injektionstherapie mit einem Angiogenesehemmer gestellt worden war, angeschrieben und über die Kooperation mit dem Beklagten berichtet. Diesem Schreiben war ein an den jeweiligen behandelnden Augenarzt adressiertes Schreiben nebst einer „Anforderung patientenbezogener Arzneimitteltherapie“ beigefügt, wie im Unterlassungsantrag als konkrete Verletzungsform wiedergegeben.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat den Beklagten erfolglos abgemahnt.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat in der Zusammenarbeit zwischen dem Beklagten und der D. oder dem jeweiligen Augenarzt einen Verstoß gegen §§ 3, 3a UWG iVm § 11 Abs. 1 ApoG sowie §§ 3, 3a UWG iVm § 14 BO und § 18 Abs. 2 Nr. 6 BO gesehen. Der Kläger hat behauptet, dass die Fertigspritzen, die von dem Beklagten an die Augenärzte geliefert werden, in jeder Apotheke ohne Schwierigkeiten hergestellt werden könnten.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">I. den Beklagten zu verurteilen, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, und für den Fall, dass dies nicht beigetrieben werden kann, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder von Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu unterlassen, geschäftlich handelnd</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">eine Absprache mit einer privaten Krankenversicherung und/oder mit Augenärzten zu unterhalten, die zum Gegenstand hat, dass der Beklagte ärztliche Verordnungen von Augenärzten übersandt bekommt, wenn dies geschieht, wie durch die Anlage K 2 belegt:</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks"><img height="805" width="611" src="6_U_131_18_Urteil_20190111_01.png" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /></p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks"><img height="807" width="616" src="6_U_131_18_Urteil_20190111_11.png" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /></p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks"><img height="789" width="604" src="6_U_131_18_Urteil_20190111_21.png" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /></p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">II. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 267,50 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit Rechtshängigkeit (24.10.2017) zu zahlen.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Der Beklagte hat beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Der Beklagte ist der Ansicht gewesen, die Kooperation mit der D. unterfalle nicht dem § 11 Abs. 1 ApoG. Jedenfalls greife die Ausnahmeregelung des § 11 Abs. 2 ApoG. Bei dem hier in Frage stehenden Arzneimittel handele es sich um eine anwendungsfertige Zytostatikazubereitung, zumal der Begriff weit auszulegen sei. Aus diesem Grund schieden auch Ansprüche aus §§ 14, 18 Abs. 2 Nr. 6 BO aus. Der Beklagte hat behauptet, die Fertigstellung der Spritzen sei nur in besonders ausgestatteten Apotheken möglich. Der Transport und die Lagerung müssten erhöhten Anforderungen insbesondere an die Kühlkette gerecht werden, so dass eine Aushändigung der Spritzen an den jeweiligen Patienten nicht tunlich sei.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Ein Anspruch aus §§ 3, 3a, 8 UWG iVm § 11 Abs. 1 ApoG scheide aus. Es könne dahinstehen, ob die Kooperation des Beklagten mit der D. in den Anwendungsbereich des § 11 Abs. 1 ApoG falle. Jedenfalls könne sich der Beklagte auf die Ausnahmeregelung des § 11 Abs. 2 ApoG berufen. Hiernach dürfe der Inhaber einer öffentlichen Apotheke aufgrund einer Absprache abweichend von § 11 Abs. 1 ApoG anwendungsfertige Zytostatikazubereitungen, die im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebes hergestellt worden sind, unmittelbar an den anwendenden Arzt abgegeben.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Es könne offenbleiben, ob es sich bei den Wirkstoffen Ranibizumab, Bevacizumab und Aflibercept um Zytostatika handele. Der Begriff Zytostatika sei weit dahingehend zu verstehen, dass hierunter nicht nur Zytostatika im engeren Sinne fielen, sondern allgemein alle Arzneimittel mit zellwachstums-, insbesondere zellteilungsverhindernder oder -verzögernder Wirkung (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14.10.2010 – L 1 SF 191/10 B Verg -, aus juris Rn. 91 m.w.N.; Sieper in: Spickhoff, Medizinrecht, 2. Auflage 2014, Rn. 5 zu § 11 ApoG; Kieser/Böhnke, A&R 2014, 257, 261 f. m.w.N.; vgl. auch BT-Drs. 16/12256 vom 16.03.2009, S. 47 zu § 21 Abs. 2 Nr. 1b AMG a.F. = Anlage B 12). Insoweit schließe sich das Landgericht der Einschätzung des Verwaltungsgerichts Potsdam (Urteil vom 04.07.2017 – VG 6 K 4881/16, BeckRS 2017, 128548) an, dass unter die Ausnahmeregelung des § 11 Abs. 2 ApoG auch die hier in Rede stehenden anwendungsfertigen IVOM-Rezepturarzneimittel fielen (Rn. 21, 43, 44).</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus §§ 3, 3a, 8 UWG iVm §§ 14, 18 Abs. 2 Nr. 6 BO, weil nach §§ 14, 18 Abs. 2 Nr. 6 BO nur gesetzlich nicht ausdrücklich zugelassene Vereinbarungen bzw. Verträge, Absprachen und Maßnahmen untersagt seien. Vorliegend greife jedoch, die Ausnahmeregelung des § 11 Abs. 2 ApoG.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Da ein Unterlassungsanspruch nicht bestehe, stehe dem Kläger auch kein Anspruch auf Zahlung der Abmahnkostenpauschale zu.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Gegen diese Entscheidung, auf die gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, wendet sich der Kläger mit seiner Berufung.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Das Landgericht sei rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass die Kooperation des Beklagten mit der D. Krankenversicherung AG zulässig sei.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Soweit das Landgericht offengelassen habe, ob die dem Streit zugrundeliegende Kooperation in den Anwendungsbereich des § 11 Abs. 1 ApoG falle, sei dies anzunehmen. Dies ergebe sich aus den Grundsätzen, die der erkennende Senat in seinem Urteil vom 22.02.2017 (6 U 101/16, GRUR-RR 2017, 341 – Tattoo Apotheke) ausgeführt habe.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Ansicht des Landgerichts sei die Ausnahmevorschrift des § 11 Abs. 2 ApoG nicht einschlägig. Das Landgericht sei ohne Prüfung davon ausgegangen, dass es sich bei der Abgabe des Beklagten um die Abgabe einer anwendungsfertigen Zytostatikazubereitung gehandelt habe, die im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt worden sei.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Eine entsprechend weite Auslegung komme nicht in Betracht. Es könne nicht angenommen werden, dass „allgemein alle Arzneimittelmit zellwachstums-, insbesondere zellteilungsvermindernder oder –verzögernder Wirkung“ von der Ausnahmeregelung des § 11 Abs. 2 ApoG umfasst seien.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Würde dies angenommen, würden auch Präparate mit Vitamin D oder Kortison unter die Ausnahmeregelung fallen. Eine so weitgehende Anwendung käme allenfalls bei analoger Anwendung in Betracht. Diese scheitere bereits an einer Regelungslücke.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Zutreffend sei allerdings, dass der Begriff der Zytostatikazubereitungen weit auszulegen sei. Bei der Frage, ob eine solche gegeben sei, müsse die Frage gestellt werden, ob eine „Lösung der Onkologie“ vorliege oder eine solche Therapie ergänzt werde. Die dem Streit zugrundeliegenden Arzneimittel dienten alle der Behandlung der feuchten Makuladegeneration und erfüllten die vorgenannten Voraussetzungen nicht.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Da eine besondere personelle, räumliche oder apparative Ausstattung für das Aufziehen der Spritzen nicht erforderlich sei und auch keine besonderen Sicherheitsmaßnahmen in Bezug auf Lagerung pp. erforderlich seien, könne das Fertigarzneimittel ohne weiteres dem jeweiligen Patient ausgehändigt werden. Die toxische Wirkung der Zytostatika hätten die hier in Rede stehenden Medikamente nicht. Augenärzte könnten die Spritzen ohne weiteres selbst aufziehen.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Da sich der Beklagte nicht auf die Ausnahmeregelung des § 11 Abs. 2 ApoG berufen könne, sei die Kooperation unzulässig. Auch der Anspruch auf Zahlung der Abmahnkosten, den der Kläger geltend gemacht habe, sei daher begründet.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Köln vom 27.06.201, Aktenzeichen 84 O 231/17, zu verurteilen,</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">I. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000,00 € - ersatzweise Ordnungshaft - oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu unterlassen, geschäftlich handelnd</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">eine Absprache mit einer privaten Krankenversicherung und/oder mit Augenärzten zu unterhalten, die zum Gegenstand hat, dass der Beklagte ärztliche Verordnungen von Augenärzten übersandt bekommt, wenn dies geschieht, wie durch die Anlage K 2, die entsprechend dem erstinstanzlichen Antrag eingeblendet wird, belegt.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">II. an den Kläger 267,50 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit Rechtshängigkeit (24.10.2017) zu zahlen.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Der Beklagte beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">              die Berufung zurückzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrages.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">II.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Landgericht hat mit Recht angenommen, dass ein Unterlassungsanspruch nicht besteht.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">1. Ein Unterlassungsanspruch ergibt sich nicht aus §§ 3, 3a, 8 Abs. 1, 3 Nr. 2 UWG. Der Kläger ist zwar aktivlegitimiert und es liegt eine geschäftliche Handlung des Beklagten vor. Der Rechtsbruchtatbestand des § 3a UWG ist jedoch nicht erfüllt. Im Einzelnen:</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">a) Der Kläger ist gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG klagebefugt. Die Voraussetzungen für die Klagebefugnis sind gerichtsbekannt erfüllt. Hiergegen wendet sich der Beklagte auch nicht.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">b) Die Absprache mit einer privaten Krankenversicherung sowie mit Augenärzten die zum Gegenstand hat, dass der Beklagte ärztliche Verordnungen von Augenärzten übersandt bekommt, stellt eine geschäftliche Handlung des Beklagten im Sinne des § 2 Abs.1 Nr. 1 UWG dar.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Die Annahme, dass eine geschäftliche Handlung besteht, setzt voraus, dass der Beklagte mit dem Ziel gehandelt hat, den (eigenen oder fremden) Wettbewerb zu fördern. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG ist eine geschäftliche Handlung im Sinne dieses Gesetzes jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrages über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt. Der Begriff der geschäftlichen Handlung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG ist nicht enger als der der Wettbewerbshandlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG 2004. Zur Bestimmung einer geschäftlichen Handlung kann daher auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Begriff der Wettbewerbshandlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG 2004 zurückgegriffen werden (BGH, Urteil vom 27.07.2017 – I ZR 162/15, GRUR 2018, 196 – Eigenbetrieb Friedhöfe).</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Nach diesen Grundsätzen liegt eine geschäftliche Handlung des Beklagten vor. Der Beklagte strebt im Rahmen der Kooperation mit der D., die wiederum Schreiben an Patienten versendet, damit diese die Schreiben an ihre behandelnden Augenärzte weitergeben, um einen Bezug des Medikaments zur Behandlung der feuchten Makuladegeneration über den Beklagten zu erreichen, an, dass auf der Grundlage seiner Absprache mit der D. ein Bezug von bestimmten Spritzen über ihn erfolgen soll. Der Beklagte bezweckt die Förderung des eigenen Absatzes mit Hilfe der angegriffenen Absprachen.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Für die Beurteilung der Frage, ob eine geschäftliche Handlung vorliegt, kommt es nicht darauf an, dass das Verhalten des Beklagten selbst als unzulässige Absprache zwischen dem Beklagten und der D. oder Augenärzten anzusehen ist. Entscheidend ist alleine die Frage, ob das mit dem Antrag angegriffene Verhalten eine geschäftliche Handlung darstellt.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">c) Der Unterlassungsanspruch ergibt sich nicht aus § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 3a UWG in Verbindung mit § 11 ApoG. Dabei ist bereits der Tatbestand des § 11 Abs. 1 ApoG nicht erfüllt. Auf die Frage, ob die Ausnahmevorschrift des § 11 Abs. 2 UWG eingreift, kommt es daher nicht an.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">aa) Die Bestimmung des § 11 Abs. 1 Satz 1 ApoG wendet sich an den Beklagten als Erlaubnisinhaber einer Apotheke.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">bb) Die Absprache zwischen dem Beklagten und einem Augenarzt ist nicht unzulässig. Die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 ApoG sind nicht erfüllt. Eine gemäß § 11 Abs. 1 ApoG unzulässige Absprache zwischen dem Beklagten und der D. oder Augenärzten liegt nicht vor.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 ApoG dürfen Erlaubnisinhaber und Personal von Apotheken mit Ärzten oder anderen Personen, die sich mit der Behandlung von Krankheiten befassen, keine Rechtsgeschäfte vornehmen oder Absprachen treffen, die die Zuweisung von Verschreibungen zum Gegenstand haben.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Nach dem Antrag des Klägers greift dieser das Verhalten des Beklagten an, weil er in diesem Verhalten eine Absprache zwischen dem Beklagten auf der einen und einer privaten Krankenversicherung sowie darüber hinaus Augenärzten auf der anderen Seite sieht. Beide Angriffe hat der Kläger kumulativ zum Gegenstand des Antrags gemacht.</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Die angegriffene Handlung des Beklagten stellt keine solche Absprache mit einer privaten Krankenversicherung (hier der D.) oder einem Arzt dar. Die D. ist keine „andere Person, die sich mit der Behandlung von Krankheiten“ befasst. Eine Absprache zwischen dem Beklagten und einem Augenarzt erfolgt nicht:</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">(1) Die D. ist keine andere Person, die sich mit der Behandlung von Krankheiten befasst.</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Die Vorschrift des § 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 ApoG soll sicherstellen, dass der Erlaubnisinhaber einer Apotheke sich bei seinem Kontakt zu anderen Gesundheitsberufen wie insbesondere zu Ärzten, die Einfluss auf sein Entscheidungsverhalten haben, nicht von sachfremden und vor allem nicht von finanziellen Erwägungen leiten lässt. Sie soll damit Verhaltensweisen der Apotheker entgegenwirken, die die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln beeinträchtigen können. Die Vorschrift stellt damit eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG (entsprechend § 4 Nr. 11 UWG aF) dar (vgl. BGH, Urteil vom 13. 04.2014 - I ZR 120/13, GRUR 2014, 1009 Rn. 13 – Kooperationsapotheke, mwN). Die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken, die nach ihrem Artikel 4 in ihrem Anwendungsbereich (Art. 3) zu einer vollständigen Harmonisierung des Lauterkeitsrechts geführt hat, kennt zwar keinen der Bestimmung des § 3a UWG entsprechenden Unlauterkeitstatbestand. Dieser Umstand steht der Anwendung der genannten Vorschrift aber nicht entgegen, weil die Rechtsvorschriften der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten in Bezug auf Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten, zu denen die Bestimmung des § 11 ApoG zählt, von der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken unberührt bleiben (vgl. BGH, Urteil vom 18.06.2015 – I ZR 26/14, GRUR 2016, 213 – Zuweisung von Verschreibungen, mwN). Wegen des mit der Bestimmung des § 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 ApoG bezweckten Schutzes der Gesundheit der Verbraucher sind Verstöße gegen sie regelmäßig geeignet, die Interessen der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen (vgl. BGH, Urteil vom 12.03.2015 – I ZR 84/14, GRUR 2015, 1025 Rn. 15 - TV-Wartezimmer; GRUR 2016, 213 – Zuweisung von Verschreibungen).</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Vor diesem Hintergrund werden solche Personen als mit der Behandlung von Krankheiten befasst angesehen, die Verordnungen ausstellen oder Medikamente oder Heil- und Hilfsmittel aus Apotheken beziehen können. Dies sind neben Ärzten auch Psychotherapeuten, Heilpraktiker und Angehörige medizinischer Assistenzberufe, etwa auch Arzthelfer (vgl. D. Prütting in Prütting, Fachanwaltskommentar Medizinrecht, 3. Aufl., § 11 ApoG Rn. 3).</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Nach diesen Grundsätzen befasst sich die D. entgegen der Auffassung des Klägers nicht mit der Behandlung von Krankheiten, sondern übernimmt allein die Behandlungskosten im Rahmen ihrer Versicherungsleistung. Die D. hat keinen Einfluss auf die Frage, welches Medikament der Arzt verordnet oder nutzt. Auch bezieht die D. keine Hilfsmittel. Damit kann die D. auch nicht (mit-) entscheiden, ob und welches Medikament verschrieben oder welche Therapie durchgeführt wird. Vielmehr bleibt es bei einer Empfehlung im Hinblick auf den Bezug eines Medikamentes.</p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Dies stellt keine Abweichung von den Grundsätzen dar, die der Senat im Rahmen des Urteils vom 22.02.2017 (6 U 101/16, PharmR 2017, 341 – Tattoo-Apotheke) dargelegt hat. In dem dortigen Fall ist der Senat davon ausgegangen, dass eine Internetplattform sich mit der Behandlung von Krankheiten befasst, wenn der Patient über diese Plattform die Symptome oder eine Erkrankung einem Arzt schildert, der sodann eine Diagnose stellt und ggf. ein Medikament verschreibt. Die Internetplattform war daher vergleichbar mit medizinischen Hilfsdiensten wie etwa einem Arzthelfer unmittelbar an der Behandlung der Krankheiten beteiligt. So liegt der Fall hier indes nicht. Vielmehr geht bereits aus dem Schreiben der D. an den behandelnden Augenarzt hervor, dass dieser bereits eine Diagnose gestellt und sich für eine konkrete Therapie entschieden hat. In diesem Zusammenhang wird der Arzt sodann lediglich auf eine besondere Möglichkeit des Bezugs eines Medikaments hingewiesen. Die D. ist folglich mit der eigentlichen Diagnostik und der Frage, welche Behandlung zur Anwendung kommt, nicht befasst. Eine Einflussnahme auf die Behandlung oder das zu nutzende Medikament scheidet daher aus.</p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Es liegt auch keine unzulässige Absprache mit einem Arzt vor.</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Die Vorschrift des § 11 Abs. 1 ApoG untersagt Rechtsgeschäfte oder Absprachen mit einem Arzt (hier einem Augenarzt). Es kann jedoch weder angenommen werden, dass eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung, noch eine sonstige Absprache mit einem Arzt erfolgt wäre.</p>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Ein Rechtsgeschäft liegt nicht vor. Dieses setzt einen Vertrag zwischen dem Beklagten und dem behandelnden Arzt voraus. Ein solches Rechtsgeschäft ist aber weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.</p>
<span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">(2) Auch eine Absprache ist nicht erfolgt. Der Begriff der Absprache hat eine Vereinbarung zum Gegenstand, die im Gegensatz zum Rechtsgeschäft keinen klagbaren Anspruch begründet. Eine Absprache kann darin zu sehen sein, dass die Zuweisung von Verschreibungen an eine bestimmte Apotheke abgesprochen wird (d. Prütting in Prütting aaO, § 11 ApoG Rn. 4). Die Absprache kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Auch eine eingespielte Übung kann als Absprache angesehen werden. Entscheidend ist, dass Arzt und Apotheker einvernehmlich handeln (vgl. Mecking in Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, 3. Aufl., § 11 ApoG Rn. 3). Geschützt ist letztlich die Freiheit des Patienten, das Rezept in einer vom ihm ausgewählten Apotheke einlösen zu können.</p>
<span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Vorliegend richtet sich das als Anlage K2 vorgelegte Schreiben nicht auf eine Absprache, die die Wahlfreiheit des Patienten beeinflussen könnte. Dies liegt schon darin begründet, dass das Schreiben – auch wenn es an den jeweils behandelnden Arzt adressiert ist – dem Patienten übermittelt wird, der dieses Schreiben sodann an den behandelnden Arzt weitergeben oder dies unterlassen kann. Ein einvernehmliches Handeln von Arzt und Apotheker, dass die Wahlfreiheit des Patienten in Bezug auf die Auswahl einer Apotheke einschränkt, findet daher nicht statt.</p>
<span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Weiter hat der Kläger auch nicht dargelegt, in welcher Form der Beklagte an dem Schreiben der D. tatsächlich beteiligt war. Zwar ergibt sich aus dem dem Schreiben beigefügten Bestellformular mit der Überschrift „Anforderung patientenbezogener Arzneimittel“, dass der Beklagte offensichtlich mit dem Vorgehen der D. einverstanden ist. Dies begründet aber nicht die Annahme, dass eine Absprache zwischen ihm und dem jeweiligen Arzt erfolgen soll. Denn die Aufforderung des Bezugs über den Beklagten erfolgt alleine durch die D., die mit dieser Aufforderung eigene Interessen verfolgt, weil das Medikament durch die Bestellung der Fertigspritzen bei einigen wenigen Versandapotheken für die D. Deutlich preiswerter wird.</p>
<span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">cc) Vor diesem Hintergrund kann offenbleiben, ob die Zubereitung in wenigen, bestimmten Apotheken und der unmittelbare Versandt an den behandelnden Arzt auf einer medizinischen Notwendigkeit beruht, was der Beklagte behauptet. Wenn eine medizinische Notwendigkeit für eine Absprache bestände, könnte die Vorschrift des § 11 Abs. 1 ApoG nicht angewendet werden. Der BGH hat mit Urteil vom 18.06.2015 (I ZR 26/14, GRUR 2016, 213 – Zuweisung von Verschreibungen) angenommen, dass eine medizinische Notwendigkeit bei der Beschaffung eines Applikationsarzneimittels bestehen kann, wenn eine qualitätswahrende Beschaffung nicht möglich oder von einer Unzuverlässigkeit des Patienten auszugehen ist. Trifft der Vortrag des Beklagten zu, müsste auch im vorliegenden Fall eine medizinische Notwendigkeit angenommen werden.</p>
<span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Ob die Berufung unter Berücksichtigung der Ausnahmevorschrift des § 11 Abs. 2 ApoG Erfolg hat, kann ebenfalls offenbleiben.</p>
<span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">2. Aus den vorstehenden Gründen ergibt sich, dass ein Anspruch auch nicht aus §§ 3, 3a, 8 Abs. 1, 3 Nr. 2 UWG in Verbindung mit § 14 BO oder § 18 Abs. 2 Nr. 6 ApoG folgt.</p>
<span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">3. Der Anspruch auf Zahlung der Abmahnkosten besteht ebenfalls nicht, weil die Abmahnung nicht berechtigt war.</p>
<span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.</p>
<span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">5. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist die Revision zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Vielmehr beruht die Entscheidung auf der dargelegten gesicherten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.</p>
<span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">6. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 25.000 € festgesetzt.</p>
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171,275 | ag-langenfeld-2019-01-11-95-m-354818 | {
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} | 95 M 3548/18 | 2019-01-11T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:38 | 2019-02-12T13:44:32 | Beschluss | ECLI:DE:AGME2:2019:0111.95M3548.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Auf die Erinnerung des Gläubigers vom 23.10.2018 wird der Obergerichtsvollzieher T angewiesen, seine Kostenrechnung vom 10.10.2018 (DR II 752/18) um die Gebühr für den Versuch der gütlichen Einigung KV 208 und die anteilige Auslagenpauschale KV 716 zu ermäßigen.</p>
<p>Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei, außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.</p>
<p>Gegen diese Entscheidungen wird gemäß §§ 5 Abs. 2 Satz 2 GvKostG, 66 Abs.2 Satz 2 GKG die Beschwerde zugelassen.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Gründe</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">I.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der Gläubiger beauftragte den Obergerichtsvollzieher unter Verwendung des amtlichen Vordrucks am 11.09.2018 mit der Abnahme der Vermögensauskunft. Unter der Rubrik F kreuzte der Gläubiger an: “Mit einer Zahlungsvereinbarung bin ich nicht einverstanden (§ 802b Absatz 2 Satz 1 ZPO).“ Der Obergerichtsvollzieher fertigte unter dem 14.09.2018 ein Schreiben an den Schuldner mit einer Zahlungsaufforderung und der Bestimmung des Termins zur Abgabe der Vermögensauskunft sowie der Ladung zu diesem Termin. In diesem Schreiben nahm der Obergerichtsvollzieher folgenden Passus auf:</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">„Sollte es Ihnen nicht möglich sein, diese Forderung fristgerecht zu begleichen, biete ich Ihnen hiermit nach § 802 b ZPO die gütliche Erledigung der Sache an. Die Bewilligung einer Ratenzahlung bei mir ist nur möglich, wenn Sie mir glaubhaft machen, wann, in welcher Höhe und aus welchen Mitteln (z.B. Arbeitgeberangabe mit Lohnnachweis) Sie die Raten aufbringen können. Ich weise darauf hin, dass der Gläubiger einer getroffenen Vereinbarung widersprechen kann. Zur gütlichen Erledigung ist es erforderlich, dass Sie sich persönlich mit mir innerhalb der Frist in Verbindung setzen.“</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Dieses Schreiben wurde dem Schuldner am 19.09.2018 zugestellt. Der Schuldner reagierte nicht und erschien auch nicht zum Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Der Obergerichtsvollzieher berechnete der Gläubigerin in seiner Kostenrechnung vom 10.10.2018 unter anderem für den Versuch der gütlichen Erledigung die Gebühr KV 208 GvKostG in Höhe von 8,00 €. Hiergegen wendet sich die Gläubigerin mit ihrer Erinnerung vom 23.10.2018.2018, mit der er geltend macht, dass im Hinblick auf die im Antrag ausgeschlossene Zahlungsvereinbarung, den sich hierauf gleichwohl beschränkenden Versuch der Obergerichtsvollziehers und des Fehlens eines Versuchs einer alternativen gütlichen Einigung die Gebühr KV 208 GvKostG nicht zu gewähren sei. Der Obergerichtsvollzieher hat der Erinnerung nicht abgeholfen, der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Düsseldorf hat als Vertreter der Landeskasse unter dem 06.12.2018 Stellung genommen und ist der Erinnerung nicht entgegengetreten.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">II.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die gemäß §§ 5 Abs. 2 GVKostG, 66 GKG, 766 ZPO statthafte Erinnerung der Gläubigerin ist begründet.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Dem Obergerichtsvollzieher steht die von ihm in seiner Kostenrechnung vom 10.10.2018 angesetzte Gebühr für den Versuch einer gütlichen Erledigung gemäß KV 208 GvKostG nach § 7 Abs. 1 GVKostG nicht zu. Zwar hat der Obergerichtsvollzieher in seinem Schreiben vom 14.09.2018 an den Schuldner diesem mit dem oben unter I zitierten Passus eine gütliche Erledigung der Sache angeboten. Dem Entstehen der Gebühr Nr. 207, 208 KV GvKostG steht es auch grundsätzlich nicht entgegen, wenn – wie vorliegend – der Gläubiger in dem Vollstreckungsauftrag vermerkt, mit einer Zahlungsvereinbarung gemäß § 802b Abs. 2 S. 1 ZPO nicht einverstanden zu sein. Der Gerichtsvollzieher ist gemäß § 802b Abs. 1 ZPO trotz des Ausschlusses einer Zahlungsvereinbarung zur Herbeiführung einer gütlichen Erledigung verpflichtet. Die in § 802b Abs. 2 ZPO ausdrücklich erwähnte Zahlungsvereinbarung stellt auch nicht die einzig mögliche Form einer gütlichen Erledigung dar. Deshalb kann der Gläubiger die dem Gerichtsvollzieher gesetzlich auferlegte Verpflichtung, die Herbeiführung einer gütlichen Erledigung zu versuchen, nicht vollständig ausschließen. Der Ausschluss einer Zahlungsvereinbarung schränkt den Spielraum des Gerichtsvollziehers für eine gütliche Erledigung lediglich stark ein.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der Obergerichtsvollzieher hat in seinem Anschreiben an den Schuldner vom 14.09.2018 auch eine gütliche Erledigung der Sache angeboten. Indessen beschränkte sich dieses Angebot inhaltlich auf eine Ratenzahlung und damit gerade auf die vom Gläubiger in seinem Vollstreckungsauftrag ausgeschlossene Zahlungsvereinbarung gemäß § 802b Abs. 2 ZPO. Das ausschließliche Angebot dieser vom Gläubiger ausdrücklich ausgeschlossenen Zahlungsvereinbarung als gütliche Erledigung stellt eine unrichtige Sachbehandlung im Sinne des §§ 7 Abs. 1 GVKostG dar, die die Erhebung der Gebühr gemäß KV 207,208 GvKostG ausschließt. Einen anderen Versuch einer gütlichen Erledigung, der über die angebotene Zahlungsvereinbarung hinausgeht, und den Anfall der Gebühr KV 207, 208 GvKostG begründet hätte, ist weder aus den Vollstreckungsunterlagen des Obergerichtsvollziehers noch aus seinem Vortrag im vorliegenden Erinnerungsverfahren ersichtlich.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 5 Abs. 2 GvKostG, 66 Abs. 8 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Rechtsmittel-/Rechtsbehelfsbelehrung:</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle bei dem Amtsgericht Langenfeld (Hauptstr. 15, 40764 Langenfeld), dessen Beschluss angefochten wird oder bei dem Landgericht Düsseldorf (Werdener Strasse 1, 40227 Düsseldorf) als Beschwerdegericht einzulegen.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift muss die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt werde.</p>
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171,274 | ovgnrw-2019-01-11-4-e-114918 | {
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"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
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} | 4 E 1149/18 | 2019-01-11T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:38 | 2019-02-12T13:44:31 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0111.4E1149.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Ablehnung seines Prozesskostenhilfegesuchs für das erstinstanzliche Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 19.12.2018 wird zurückgewiesen.</p>
<p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Ablehnung seines Prozesskostenhilfegesuchs ist unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat seinem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Ergebnis zutreffend eine hinreichende Aussicht auf Erfolg abgesprochen (vgl. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Für den Eilantrag, den das Verwaltungsgericht bereits mit Beschluss vom 26.11.2018 mit der Begründung abgelehnt hat, dem Antragsteller fehle offensichtlich ein Anordnungsanspruch, ist schon der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Nicht zu den öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten in diesem Sinne gehören solche, die Akte der rechtsprechenden Gewalt zum Gegenstand haben, die sich also auf die in gerichtlichen Verfahren in richterlicher Unabhängigkeit erfolgende Sachbehandlung durch die damit befassten Richter beziehen. Ein solcher „Rechtsschutz gegen den Richter“ ist auf dem jeweiligen Rechtsweg nach Maßgabe der einschlägigen Prozessordnung zu suchen.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5.12.2017 – 4 E 964/17 –, juris, Rn. 4 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Danach hat der Antragsteller sein Rechtsschutzbegehren auf dem ordentlichen Rechtsweg zu verfolgen. Er wendet sich gegen eine in einem aktienrechtlichen Verfahren vor dem Landgericht Dortmund ergangene richterliche Hinweisverfügung in Bezug auf ein in diesem Verfahren angebrachtes Prozesskostenhilfegesuch.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Wegen der Unzulässigkeit des von dem Antragsteller beschrittenen Verwaltungsrechtsweges ist die Beschwerde zurückzuweisen. Eine Verweisung an das zuständige Gericht des ordentlichen Rechtsweges in entsprechender Anwendung von § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG scheidet unter den gegebenen Umständen aus.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">In Betracht käme allein eine isolierte Verweisung (nur) des Prozesskostenhilfegesuchs, nachdem der Antragsteller gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 26.11.2018, der ihm am 28.11.2018 zugestellt worden ist, binnen der Zweiwochenfrist des § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO keine Beschwerde eingelegt hat. Ob eine solche isolierte Verweisung schon generell ausgeschlossen wäre,</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">vgl. für das isolierte Prozesskostenhilfeverfahren OVG NRW, Beschluss vom 16.3.2018 – 4 D 10/18 –, NWVBl. 2018, 351 = juris, Rn. 5 ff., m. w. N.,</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">kann auf sich beruhen. Denn ein die entsprechende Anwendung von § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG gegebenenfalls rechtfertigendes schutzwürdiges Bedürfnis nach einer Rechtswegverweisung im Prozesskostenhilfeverfahren besteht hier jedenfalls deshalb nicht, weil der Antragsteller bereits bei dem Landgericht Dortmund und also auf dem zulässigen Rechtsweg für das dort von ihm angestrengte Verfahren Prozesskostenhilfe beantragt hat. In diesem Verfahren kann er Einwendungen gegen die von ihm fälschlich auf dem Verwaltungsrechtsweg beanstandete richterliche Hinweisverfügung bzw. gegen die dieser Verfügung zugrundeliegenden rechtlichen und tatsächlichen Bewertungen des Landgerichts erheben. Ein Rechtsverlust infolge eines negativen Kompetenzkonflikts zwischen den Gerichten unterschiedlicher Rechtswege, der durch § 17a Abs. 2 Sätze 1 und 3 GVG verhindert werden soll, droht dem Antragsteller deshalb nicht.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).</p>
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"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
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} | 4 E 1124/18 | 2019-01-11T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:37 | 2019-02-12T13:44:31 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0111.4E1124.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen die Streitwertfestsetzung in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Minden vom 28.11.2018 wird zurückgewiesen.</p>
<p>Das Verfahren über die Beschwerde ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.</p><br style="clear:both">
<h1><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></h1>
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die angegriffene Streitwertfestsetzung entspricht den gesetzlichen Vorgaben. Gemäß § 52 Abs. 3 GKG ist für den Streitwert die Höhe einer bezifferten Geldleistung maßgebend, wenn der Antrag des Klägers eine solche oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt betrifft. Die streitgegenständliche Festsetzung eines Warnungsgelds nach § 21 Abs. 3 SchfHW gegen den Kläger ist ein derartiger Verwaltungsakt, so dass das Verwaltungsgericht den Streitwert zutreffend in Höhe des festgesetzten Warnungsgelds von 2.000,00 Euro festgesetzt hat.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 17.7.2017 – 22 ZB 17.631 –, juris, vor Rn. 1, Rn. 2 und 24; siehe bereits nach altem Recht OVG NRW, Beschluss vom 18.4.2011 ‒ 4 A 672/10 ‒, juris, vor Rn. 1, Rn. 9.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Für die Bestimmung des Streitwerts nach Ermessen gemäß § 52 Abs. 1 oder Abs. 2 GKG war danach kein Raum. Auch das Verwaltungsgericht München, auf dessen Rechtsprechung im Beschluss vom 19.10.2010 ‒ M 16 K 10.4400 ‒, juris, Rn. 27, sich die Beschwerde unter anderem stützt, hat den Streitwert in Höhe des Warnungsgelds festgesetzt. Es hat sich zur Begründung auf die analoge Anwendung der Empfehlung des Streitwertkatalogs für selbständige Vollstreckungsverfahren, insbesondere solche gegen die Festsetzung von Zwangsgeldern, bezogen, die ihrerseits der gesetzlichen Regelung des § 52 Abs. 3 GKG folgt. Hieraus ergibt sich keine Rechtfertigung dafür, den Streitwert bei Warnungsgeldern unabhängig von ihrer Höhe auf 4.000,00 Euro oder gar 5.000,00 Euro festzusetzen. Aus dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 1.7.2015 ‒ W 6 K 15.22 ‒, juris, Rn. 39, 41, in dem für einen ‒ nicht bezifferten ‒ Verweis nach § 21 Abs. 3 SchfHwG der Regelstreitwert nach § 52 Abs. 2 VwGO festgesetzt worden ist, ergibt sich nichts anderes.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Nebenentscheidungen folgen aus § 68 Abs. 3 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.</p>
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171,272 | ovgnrw-2019-01-11-18-a-475018 | {
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"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
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} | 18 A 4750/18 | 2019-01-11T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:37 | 2019-02-12T13:44:31 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0111.18A4750.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das zweitinstanzliche Verfahren wird abgelehnt.</p>
<p>Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.</p>
<p>Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Bewilligung von Prozessostenhilfe wird abgelehnt, weil die Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Zulassungsantrag ist unbegründet, weil die geltend gemachten  Zulassungsgründe nicht vorliegen.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Darlegungen in der Zulassungsbegründung führen nicht auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat tragend ausgeführt, die Klägerin erfülle das Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG. Sie habe einen nicht nur geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen. Sie habe sich nach der bestandskräftigen Ablehnung ihres Asylantrags im August 2014 bis mindestens Mai 2016 im Bundesgebiet aufgehalten, ohne im Besitz eines anerkannten oder gültigen Passes oder Passersatzes zu sein. Damit habe sie den Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfüllt. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin sich trotz Tatbestandsverwirklichung nicht strafbar gemacht habe. Sie habe sich mehr als 20 Monate ohne Pass im Bundesgebiet aufgehalten. Angesichts dieses Zeitraums könne sie sich nicht darauf berufen, dass es ihr nicht früher möglich gewesen sei, einen Pass zu beschaffen. Stelle der Rechtsverstoß eine Straftat dar, so sei es nicht erforderlich, dass der Ausländer deswegen verurteilt worden sei. Das dagegen gerichtete Zulassungsvorbringen greift nicht durch.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Ebenso wenig wie auf eine strafgerichtliche Verurteilung kommt es für das Vorliegen des Ausweisungsgrundes auf ein dementsprechendes staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren oder ein gerichtliches Strafverfahren an. Deren Fehlen als solches lässt auch nicht etwa den Schluss zu, es habe kein dahingehender hinreichender Tatverdacht bestanden. Zwar mag die Strafbarkeit gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG entfallen, wenn es dem Ausländer unmöglich oder unzumutbar ist, seiner Pass- und Ausweispflicht nachzukommen. Da die Klägerin dem Beklagten aber einen am 9. Mai 2016 ausgestellten Pass ihres Heimatlandes vorgelegt hat, ist – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat – nichts dafür greifbar, dass es ihr nicht rechtzeitig möglich gewesen wäre, einen Pass zu beschaffen. Das vorgelegte und auf den 23. Oktober 2017 datierte Schriftstück, das als Aussteller das Generalkonsulat von Bosnien und Herzegowina nennt und demzufolge möglicherweise u.a. die Klägerin keinen Passantrag stellen kann, da sie keinen Aufenthaltstitel besitzt, ist – sollte es sich überhaupt auf die Klägerin beziehen – mit Blick auf die oben genannte Passausstellung vom 9. Mai 2016 jedenfalls inhaltlich unzutreffend. Im Übrigen wird mit der Zulassungsbegründung nicht einmal behauptet, dass der Klägerin eine rechtzeitige Passerlangung unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre. Entgegen der Auffassung der Klägerin entfällt der Tatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG auch nicht in dem Fall, dass dem Ausländer eine Duldung ausgestellt worden ist. Dem Zulassungsvorbringen liegt insoweit eine Verwechselung mit § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zugrunde.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Unzutreffend ist die - im Wesentlichen auf Entscheidungen des VG Göttingen gestützte - Ansicht, der Anwendungsbereich des § 54 Abs. 2 Nr.9 AufenthG sei von vornherein nicht eröffnet, wenn das Strafmaß bei einem Verstoß gegen Strafvorschriften nicht das in § 54 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 AufenthG genannte Mindestmaß erreicht.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Vgl. Nds.OVG, Beschluss vom 20. Juni 2017 – 13 LA 134/17 –, juris Rn. 11; BayVGH, Beschluss vom 19. September 2017 – 10 C 17.1434 –, juris Rn. 8; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 10. Oktober 2016 – 2 O 26/16 –, juris Rn. 10 f.; Bauer/Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 54 AufenthG Rn. 76.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">§ 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG ist nach den Gesetzesmaterialien ausdrücklich eine Auffangfunktion zugedacht worden. Die Bestimmung setzt einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Rechtsverstoß voraus. In diesem Zusammenhang wird teilweise die Auffassung vertreten, dass bei der Bewertung der Geringfügigkeit die Wertentscheidung in § 54 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 AufenthG ohne Übernahme des dort genannten Strafmaßes berücksichtigt werden kann (angemerkt sei, dass angesichts der Dauer des Rechtsverstoßes der Klägerin die Annahme der Geringfügigkeit ausscheidet).</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 10. Oktober 2016 – 2 O 26/16 –, juris Rn. 10 f.; Bauer/Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 54 AufenthG Rn. 76.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Zudem ergibt – im Falle der Ausweisung - erst die nach § 53 Abs. 1 Halbsatz 2 AufenthG vorzunehmende Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, ob das Interesse an der Ausreise des Ausländers überwiegt. Im Rahmen dieser Abwägung ist auch ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG mit dem ihm im Einzelfall zukommenden Gewicht einzustellen.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. Nds.OVG, Beschluss vom 20. Juni 2017 – 13 LA 134/17 –, juris Rn. 11; BayVGH, Beschluss vom 19. September 2017 – 10 C 17.1434 –, juris Rn. 8;</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erfolgt eine ggf. erforderliche Abwägung mit den privaten Bleibeinteressen (erst) bei der Frage, ob eine Abweichung vom Regelfall i.S.d. § 5 Abs. 1 AufenthG vorliegt. Im Übrigen ist sie auch bei einer – wie hier in § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG – spezialgesetzlich vorgesehenen Ermessensentscheidung vorzunehmen.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2018 – 1 C 16.17 –, juris Rn. 15. Dabei sind die genannten Normen nebeneinander anwendbar: Vgl. Senatsbeschluss vom 11. Juli 2012- 18 B 562/12 –, juris Rn. 24; BayVGH, Beschluss vom 18. Dezember 2012 – 10 C 12.1789 –, juris Rn. 35; OVG Bremen, Urteil vom 10. November 2015 – 1 LB 10/15 –, juris Rn. 35 ff.; a.A. Nds.OVG, Urteil vom 27. April 2006 – 5 LC 110/05 –, juris Rn. 50; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 6. Februar 2017 – 2 L 119/15 –, juris Rn. 32 f.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Angemerkt sei, dass im vorliegenden Fall die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 und 2 AufenthG eingreift und ein danach erforderlicher Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nur dann vorläge, wenn alle zwingenden und regelhaften (z.B. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) Erteilungsvoraussetzungen gegeben wären. Eine Abweichung vom Regelfall bzw. eine etwaige Ermessensreduktion auf Null führte deshalb nicht auf einen Anspruch im vorgenannten Sinne. Im Übrigen ist ein Ausweisungsinteresse gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht nur dann gegeben, wenn es im Katalog des § 54 Abs. 1 oder 2 AufenthG als besonders schwerwiegend oder schwerwiegend aufgeführt ist. Vielmehr genügt grundsätzlich auch ein „einfaches“ Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG,</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2018 – 1 C 16.17 –, juris Rn. 15,</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">an jedenfalls dessen Vorliegen hier angesichts der besonderen ordnungsrechtlichen Bedeutung der Passpflicht,</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Juni 2013 – 10 B 1.13 –, juris Rn. 3 f.; Senatsbeschluss vom 9. Oktober 2012 – 18 E 777/12 –, juris Rn. 4,</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">keinerlei Zweifel bestehen können.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Es kann nach alledem offenbleiben, welche Folgen aus der von der Klägerin vertretenen Ansicht in einem Fall zu ziehen sind, in dem – wie hier – eine strafgerichtliche Verurteilung nicht erfolgt ist und es damit schon an einem Anknüpfungspunkt für einen Vergleich der jeweiligen konkreten Strafmaße fehlt.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen auch insoweit nicht, als das Verwaltungsgericht die Klage mit dem auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG gerichteten Hilfsantrag als unzulässig abgewiesen und zur Begründung ausgeführt hat, angesichts der in der mündlichen Verhandlung vom Beklagten abgegebenen Zusicherung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW fehle es am Rechtsschutzbedürfnis. Der sinngemäße Hinweis der Klägerin auf § 38 Abs. 3 VwVfG NRW begründet keine Richtigkeitszweifel, weil auch nach dem Vorbringen der Klägerin nicht ersichtlich ist, dass die Voraussetzungen des § 38 Abs. 3 VwVfG NRW im konkreten Fall vorliegen können oder der Beklagte sich ihrer berühmt.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung ist ebenfalls nicht gegeben (§ 123 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Fragen,</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">„Ist der Anwendungsbereich des § 54 Abs. 2 Nr. 9 Var. 1 AufenthG von vornherein nicht eröffnet, wenn wegen eines vom Gericht als strafbar erachteten Unterlassens einer Klägerin nie ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, und das Gericht auch keinerlei Feststellungen zum zumutbaren Tun isd § 13 StGB und zum strafrechtlichen Vorsatz getroffen hat?“</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">„Ist der Anwendungsbereich des § 54 Abs. 2 Nr. 9 Var. 1 AufenthG von vornherein nicht eröffnet, wenn das Strafmaß bei einem Verstoß gegen Strafvorschriften nicht das in § 54 Abs. 2 Nr. 1 bis 2 AufenthG genannte Mindestmaß erreicht?“</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">haben keine grundsätzliche Bedeutung. Die erstgenannte Frage stellt sich schon deshalb nicht, weil das Verwaltungsgericht den Tatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG bejaht und ausgeführt hat, es lägen keine Anhaltspunkte vor, die gegen eine Strafbarkeit der Klägerin sprächen.  Sollte die Frage dahin zu verstehen sein, ob es immer darüberhinausgehender ausdrücklicher Feststellungen zum zumutbaren Tun und zum Vorsatz bedarf, so wäre die Frage ohne weiteres zu verneinen. Der vom Gericht in diesem Zusammenhang zu leistende Prüfungs-  und Begründungsaufwand ist abhängig von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls. Hier liegt die Richtigkeit des vom Verwaltungsgericht gefundenen Ergebnisses auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin auf der Hand, so dass die Entscheidung keine Defizite aufweist. Dass kein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist, ist – wie oben ausgeführt – ohne Belang.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die zweite Frage ist nach den vorstehenden Ausführungen zum Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ebenfalls zu verneinen, ohne dass es der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar.</p>
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<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der vorläufigen Rechtsschutz gewährende Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 4. Kammer - vom 29. Mai 2018 geändert.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt der Antragsteller.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500 EUR festgesetzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>I.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der 1971 geborene Antragsteller, serbischer Staatsangehöriger aus dem Kosovo, begehrt vorläufigen Rechtsschutz im Wege der einstweiligen Anordnung des Inhalts, dem Antragsgegner vorläufig seine Abschiebung aus dem Bundesgebiet zu untersagen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Er reiste am 18. Februar 2014 mit Ehefrau und drei gemeinsamen Kindern in das Bundesgebiet ein. Nach im Jahre 2014 erfolgslos durchgeführtem Asylverfahren (vgl. den bestandskräftig gewordenen Ablehnungsbescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - v. 29.4.2014, Bl. 26 ff. der BA 001 Bd. I, aufgrund dessen die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht am 16. November 2014 eintrat) wurden der Antragsteller und seine Familie mit Rücksicht auf verschiedene gesundheitliche Probleme zunächst vom 16. Februar 2015 bis zum 31. März 2017 wiederholt geduldet. Bereits diesen - zunächst auf dem Trägervordruck mit Zusatzblatt Nr. Q 1434378 (vgl. Bl. 119 f. der BA 001 Bd. I) - dem Antragsteller erteilten bzw. verlängerten Duldungen wurde jeweils die Nebenbestimmung „Die Duldung erlischt mit Ankündigung des Abschiebungstermins.“ beigefügt. Eine im Jahre 2015 vom Antragsteller und seiner Familie eingereichte Eingabe an die Niedersächsische Härtefallkommission wurde nicht zur Beratung angenommen. Aufgrund einer am 6. Januar 2016 durchgeführten Untersuchung gelangte der Amtsarzt Dr. C. vom Gesundheitsamt für die Stadt Salzgitter und den Landkreis Goslar in seinem Gutachten vom 7. Januar 2016 (Bl. 166 ff. der BA 001 Bd. I) zu dem Ergebnis, die physischen Krankheiten des Antragstellers allein begründeten eine Reiseunfähigkeit nicht; in psychischer Hinsicht sei jedoch die beim Antragsteller gegebene depressive Erkrankung mit Selbstmordgefährdung als Risikofaktor im Falle einer erzwungenen Ausreise anzusehen. Nähere Vorgaben zur Gestaltung des Abschiebevorgangs im Interesse der Aufrechterhaltung oder Schaffung von Reisefähigkeit insoweit enthielt das amtsärztliche Gutachten nicht. Der Antragsgegner verstand diese Ausführungen dahin, dass der Antragsteller bei einer Betreuung durch Ärzte und Sicherheitspersonal während der Abschiebung reisefähig sei. Aufgrund sich anschließender wiederholter stationärer Aufenthalte des Antragstellers sowie eines am 17. Juni 2016 beim Bundesamt gestellten isolierten Folgeschutzgesuchs zu zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG wurde die Familie jedoch weiterhin geduldet. Nach mehrfachen häuslichen Übergriffen des Antragstellers gegenüber seiner Familie lebt er nach vorgeschalteter einstweiliger Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz des Amtsgerichts - Familiengerichts - Seesen vom 16. Juni 2017 - 2 F 78/17 EAGS - seit Juli 2017 dauerhaft von dieser getrennt. Seit dem 23. August 2017 ist für ihn ein rechtlicher Betreuer (ohne Einwilligungsvorbehalt) bestellt (Amtsgericht - Betreuungsgericht - Seesen - 5a XVII 8019 -, Bl. 332 der BA 001 Bd. II). Mit Bescheid vom 15. November 2017 lehnte das Bundesamt das isolierte Folgeschutzgesuch des Antragstellers ab und erweiterte die auf Kosovo bezogene Abschiebungsandrohung aus seinem Bescheid vom 29. April 2014 ausdrücklich um Serbien (vgl. Bl. 342 ff. der BA 001 Bd. II). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot für den Fall der Abschiebung nach Serbien oder Kosovo wurde für den Antragsteller durch Bescheid vom 20. November 2017 auf 30 Monate festgesetzt. Nachdem dem Antragsteller nochmals Gelegenheit zur freiwilligen Ausreise gegeben worden war, bereitete der Antragsgegner ab dem 15. Dezember 2017 dessen Abschiebung vor. Ein am 30. Januar 2018 unternommener Abschiebungsversuch scheiterte daran, dass der Antragsteller nicht zuhause angetroffen wurde. Ab Februar 2018 befand sich der Antragsteller erneut in stationärer psychiatrischer Behandlung. Die gegen den Bundesamtsbescheid vom 15. November 2017 gerichtete Klage wurde zwischenzeitlich durch rechtskräftig gewordenes Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 10. September 2018 - 8 A 695/17 - abgewiesen. Zuvor war ein am 13. Juni 2018 gestellter Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ebenfalls erfolglos geblieben (vgl. VG Braunschweig, Beschl. v. 26.6.2018 - 8 B 335/18 -).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Auch den seit dem 30. März 2017 (vgl. Kopie des neuen Trägervordrucks mit Zusatzblatt Nr. Q 1611017 auf Bl. 303 f. der BA 001 Bd. II) dem Antragsteller erteilten bzw. - zuletzt bis zum 31. Mai 2018 (Bl. 419 der BA 001 Bd. II) - verlängerten Duldungen war jeweils die Nebenbestimmung „Die Duldung erlischt mit Ankündigung des Abschiebungstermins.“ beigefügt worden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Mit per Fax an den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers gerichtetem Schreiben vom 29. Mai 2018 (vgl. Bl. 425 der BA 001 Bd. II) teilte der Antragsgegner mit, dass der Antragsteller am selben Tage in den Kosovo abgeschoben werde, und wies darauf hin, dass die erteilte Duldung durch diese Mitteilung der Abschiebung erloschen sei. Im Laufe dieses Tages betrieb der Antragsgegner sodann die Abschiebung des Antragstellers.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Auf den hiergegen noch am 29. Mai 2018 gerichteten Eilantrag hat das Verwaltungsgericht Braunschweig mit dem angegriffenen Beschluss vom selben Tage dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Sicherungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufgegeben, die Abschiebung des Antragstellers vorläufig zu unterlassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Duldungsgrund einer Reiseunfähigkeit des Antragstellers (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) liege zwar nicht vor, weil keine ärztlichen Bescheinigungen vorlägen, welche die Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG erfüllten, so dass es bei der Vermutung der Reisefähigkeit aus § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG verbleibe. Jedoch stehe einer Abschiebung derzeit das gesetzliche Hindernis aus § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG entgegen, wonach die Abschiebung dem zuvor länger als ein Jahr geduldeten Antragsteller im Falle eines - hier mit dem Schreiben des Antragsgegners vom 29. Mai 2018 gegebenen - Duldungswiderrufs mindestens einen Monat vorher angekündigt werden müsse, was offenbar nicht geschehen sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Gegen den am 1. Juni 2018 zugestellten vollständigen Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 29. Mai 2018 richtet sich die am 12. Juni 2018 eingelegte und am 29. Juni 2018 begründete Beschwerde des Antragsgegners.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>1. Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 29. Mai 2018 ist unter Berücksichtigung der hiergegen vom Antragsgegner dargelegten Gründe, auf die sich der Senat bei seiner Prüfung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, begründet und führt daher zur Abänderung des angefochtenen Beschlusses und Ablehnung des Eilrechtsschutzbegehrens des Antragstellers.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Sicherungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorläufig untersagt, den Antragsteller abzuschieben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>a) Der Einwand des Antragsgegners, das vom Verwaltungsgericht allein bejahte gesetzliche Abschiebungshindernis aus § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG (vgl. zur Reichweite VG Aachen, Beschl. v. 22.8.2005 - 3 L 538/05 -, juris) mit der Folge eines entsprechenden Anordnungsanspruchs des Antragstellers bestehe im vorliegenden Fall nicht, greift durch. Diese Norm ist hier weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>aa) Zunächst scheidet eine <em>unmittelbare</em> Anwendbarkeit dieser Norm aus, weil die Regelung nach ihrem Wortlaut nur die „durch Widerruf vorgesehene“ Abschiebung betrifft. Ein danach erforderlicher Widerruf der Duldung im Sinne des § 60a Abs. 5 Satz 2 AufenthG liegt hier, anders als es das Verwaltungsgericht in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit offenbar ohne Vorliegen vollständiger Verwaltungsvorgänge angenommen hat, nicht in dem Schreiben des Antragsgegners vom 29. Mai 2018 (Bl. 425 der BA 001 Bd. II), demzufolge die dem Antragsteller erteilte Duldung durch die darin enthaltene Mitteilung, der Antragsteller solle am 29. Mai 2018 abgeschoben werden, erloschen sei. Vielmehr ist mit dieser (bloßen) Ankündigung des Abschiebungstermins lediglich die spätestens den seit März 2017 erteilten Duldungen des Antragstellers jeweils beigefügte auflösende (Potestativ-)Bedingung eingetreten und hat deshalb die innere Wirksamkeit der letztmals bis zum 31. Mai 2018 (vgl. Bl. 419 der BA 001 Bd. II) verlängerten Duldung eo ipso geendet, ohne dass der Antragsgegner eine Entscheidung bzw. Regelung (einen gestaltenden Verwaltungsakt) getroffen hätte oder hätte treffen müssen. Ob die Beifügung der auflösenden Bedingung „Ankündigung des Abschiebungstermins“ gemessen an der Rechtsgrundlage (§ 61 Abs. 1e AufenthG n.F., früher § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG a.F.) und insbesondere unter Berücksichtigung der rechtsstaatlichen Anforderungen unter den Aspekten der Bestimmtheit und Rechtsschutzgarantie (vgl. hierzu Bayerischer VGH, Beschl. v. 19.1.2015 - 10 C 14.1182 -, juris Rn. 22; VG Oldenburg, Beschl. v. 23.1.2013 - 11 A 4635/12 -, juris Rn. 3 ff., 6, 9) sowie Verhältnismäßigkeit (insbesondere zur Vermeidung einer „reinen Vorratsbedingung“, bei der eine Abschiebung vor Ablauf der Geltungsdauer der Duldung überhaupt nicht beabsichtigt ist, vgl. hierzu OVG Bremen, Beschl. v. 29.3.2011 - 1 B 57/11 u. 1 B 67/11 -, juris Rn. 10) rechtmäßig gewesen ist, ist im vorliegenden Zusammenhang ohne Bedeutung. Als unselbständige Nebenbestimmung (vgl. § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 NVwVfG) und integraler Bestandteil des begünstigenden Hauptverwaltungsakts (Duldung) teilte sie dessen Rechtscharakter und wäre daher - abgesehen vom hier nicht einschlägigen Fall einer Nichtigkeit nach § 44 VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 NVwVfG - auch dann wirksam gewesen, wenn sie rechtswidrig gewesen sein sollte. Die Nebenbestimmung ist auch weder erfolgreich isoliert angefochten worden (§ 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO), noch hat der Antragsteller im Verpflichtungswege (§ 42 Abs. 1, 2. Alt. VwGO) ihre behördliche Aufhebung (§ 51 VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 NVwVfG) erzwungen. Im Übrigen spricht bei summarischer Prüfung vieles dafür, dass die betreffende auflösende Bedingung rechtmäßig, insbesondere weder unbestimmt noch unverhältnismäßig gewesen ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>bb) Das sich aus § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG ergebende gesetzliche Abschiebungshindernis (Wartezeit oder Vorlauffrist von einem Monat nach pflichtiger Ankündigung der Abschiebung) ist seiner Rechtsfolge nach auf die hier gegebene Konstellation des eo-ipso-Erlöschens der dem Antragsteller damals zuletzt bis zum 31. Mai 2018 befristet erteilten Aussetzung der Abschiebung (Duldung) nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG am 29. Mai 2018 durch Eintritt einer auflösenden Bedingung auch nicht <em>entsprechend</em> anwendbar.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Der Senat teilt nicht die zum Teil in der ober- und instanzgerichtlichen Rechtsprechung und der Kommentarliteratur (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 16.2.2015 - 10 C 14.1183 -, juris Rn. 24, und v. 19.1.2015, a.a.O., Rn. 23; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 17.8.2010 - 2 M 124/10 -, Rn. 4; VG Berlin, Beschl. v. 19.7.2005 - 25 A 90.05 -, juris Rn. 7; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: 95. EL Februar 2016, AufenthG § 60a Rn. 111 a.E.; Bauer, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, AufenthG § 60a Rn. 46, etwas weniger eindeutig indes Bauer/Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, AufenthG § 60a Rn. 41; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 22.9.2000 - 13 S 2260/99 -, juris Rn. 21, und Funke-Kaiser, in: GK-AuslR II, Stand: 58. EL Januar 2000, AuslG 1990 § 56 Rn. 35; Renner, Ausländerrecht in Deutschland, 1998, § 43 Rn. 748; die drei Letztgenannten jeweils für die Vorläufernorm in § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG 1990 in der seit dem 1.11.1997 geltenden Fassung) vertretene Auffassung, auf das Erlöschen einer Duldung durch Eintritt einer auflösenden Bedingung sei generell oder zumindest im Falle einer nur vom Willen der Behörde abhängigen Potestativbedingung § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG analog anzuwenden. Denn die Voraussetzungen einer Analogie sind bei Lichte besehen nicht erfüllt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>(1) Zwar liegt eine <em>Regelungslücke</em> vor, weil der allein auf den Duldungswiderruf bezogene Tatbestand dieser Norm diesen Fall seinem Wortlaut nach nicht erfasst.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>(2) Soweit die oben genannten Entscheidungen und Kommentierungen die <em>Vergleichbarkeit der Interessenlagen</em> der beiden Erlöschensgründe „Widerruf“ und „Eintritt einer auflösenden (Potestativ-)Bedingung“ betonen, ergeben sich nach Ansicht des Senats bereits hieran erhebliche Zweifel.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>(a) Zu konzedieren ist die Gemeinsamkeit, dass in beiden Fällen die innere Wirksamkeit der Aussetzung der Abschiebung (Duldungswirkung) jeweils <em>vor dem Ende</em> der durch Befristung (vgl. Überschrift zu § 60a AufenthG: „Vorübergehende“ Aussetzung der Abschiebung) geregelten und damit <em>noch nicht ausgeschöpften </em><em>Geltungsdauer</em> endet, und zwar durch ein <em>einseitiges Handeln der Behörde</em> (hierauf hebt vor allem OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 17.8.2010, a.a.O., Rn. 4, ab).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>(b) Allerdings weisen beide Erlöschensgründe auch eine Reihe von Unterschieden auf.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>(aa) Diese betreffen zum einen die <em>Handlungsform</em>. Während der Widerruf der Duldung nach § 60a Abs. 5 Satz 2 AufenthG eine behördliche <em>Entscheidung</em> (einen anfechtbaren belastenden gestaltenden Verwaltungsakt) darstellt, der rechtlich - dann und nur dann - erlassen werden darf und muss, sobald sämtliche Duldungsgründe entfallen sind (das heißt bisherige geendet haben und keine neuen an deren Stelle getreten sind), kann beim Konstrukt der auflösenden Bedingung wie hier eine einseitige <em>Mitteilung</em> der Ausländerbehörde ohne irgendwelche Anlässe genügen, das heißt kann es nur vom Willen der Behörde und nicht - wie bei § 60a Abs. 5 Satz 2 AufenthG - vom Gesetz abhängen, ob eine <em>bisher </em><em>bestehende</em> Duldung zum Erlöschen gebracht wird. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass auch in diesen Fällen in der nächsten „logischen“ Sekunde eine <em>neue</em> Duldung etwa nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG - pflichtig - zu erteilen sein kann, soweit alte Duldungsgründe fortbestehen oder neue an ihre Stelle oder neben sie getreten sind, oder dass gemäß § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG eine Duldung nach Ermessen in Betracht zu ziehen sein kann. Der damit verbleibende formale Unterschied ist nach alledem nicht besonders gravierend und stünde als solcher einer Vergleichbarkeit der Interessenlagen wohl nicht entgegen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>(bb) Eine erhebliche Differenz ergibt sich jedoch materiell im Hinblick auf die Stärke der teleologisch vorausgesetzten <em>Schutzwürdigkeit von Vertrauen</em>. Sinn und Zweck der Vorlaufzeit von einem Monat nach Ankündigung der Abschiebung aus § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG ist es, angesichts der besonderen Situation, die aus der längere Zeit andauernden Nichtvollziehung der Ausreisepflicht resultiert, das schutzwürdige Vertrauen der länger als ein Jahr (längerfristig) geduldet im Bundesgebiet aufhältigen Ausländer in zumindest den Fortbestand der Aussetzung der Abschiebung bis zum Ende der Geltungsdauer der aktuell befristeten Duldung zu respektieren und deshalb die Betroffenen nicht überraschend mit dem <em>vorzeitigen</em> Ende der Aussetzung der Abschiebung und der Durchführung derselben zu konfrontieren, sondern ihnen ausreichend Zeit zum Treffen von Vorkehrungen zur Regelung ihrer persönlichen Angelegenheiten einzuräumen, um sich auf die Abschiebung einzustellen (vgl. zur Vorläuferregelung in § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG 1990: Bericht des Innenausschusses des Deutschen Bundestages v. 24.4.1990, BT-Drs. 11/6960, S. 25, zu dessen Beschlussempfehlung v. selben Tage, BT-Drs. 11/6955, S. 40; BVerwG, Urt. v. 22.12.1997 - BVerwG 1 C 14.96 -, InfAuslR 1998, 217, 218; Funke-Kaiser, in: Fritz/Vormeier (Hrsg.), GK-AufenthG, Stand: 79. EL März 2015, § 60a Rn. 306).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>(aaa) Die Situation, in der sich der Geduldete befindet, ist in beiden Erlöschenskonstellationen im Hinblick darauf grundsätzlich durchaus unterschiedlich. Bei wie hier erfolgter Erteilung einer mit beigefügter auflösender Bedingung versehenen Duldung, die zusätzlich zur ohnehin nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG (wegen des „vorübergehenden“ Charakters der Duldungsgründe) auszusprechenden Befristung unter dem „Damoklesschwert“ der jederzeit möglichen Ankündigung eines Abschiebungstermins und damit eines „vorzeitigen“ Endes der Duldungswirkung steht, muss der Ausländer - anders als bei einer bedingungsfreien Duldung - aufgrund dieser ihm bewusst gewordenen „Signalwirkung“ jederzeit auch mit dem Eintritt dieser Bedingung und daher mit einem Erlöschen seiner Duldung vor deren eigentlichem Auslaufen rechnen (vgl. hierzu auch VG Berlin, Beschl. v. 19.7.2005, a.a.O., Rn. 8). Das rückt diesen Erlöschensgrund in die Nähe des Archetyps „(von vornherein) absehbares Auslaufen der Duldung“ (= zeitliches Ende der Geltungsdauer), nach welchem sich der Ausländer grundsätzlich auf eine Abschiebung einstellen muss (so auch Zühlcke, Abschiebung ohne Ankündigung, ZAR 2007, 361, 364).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>(bbb) Andererseits kann die beschriebene Situation (jederzeit mögliches „vorzeitiges“ Erlöschen) wegen § 60a Abs. 5 Satz 2 AufenthG, der eine <em>gebundene</em> Widerrufsentscheidung der Ausländerbehörde vorsieht, je nach Duldungsgrund der Sache nach auch bei einer bedingungsfrei erteilten Duldung jederzeit drohen; der Unterschied zwischen beiden Erlöschensgründen besteht dann letztlich in der Stärke und Aktualität des für diese „Gefahr“ bei dem Geduldeten erzeugten Bewusstseins. Weiter nivelliert sich dieser Unterschied dann, wenn Beifügung sowie behördliche „Eintretensbewirkensmöglichkeit“ in Bezug auf die auflösende Bedingung einerseits und Widerrufsgrund andererseits zusammentreffen und sich die Ausländerbehörde rechtlich zulässigerweise bewusst für einen Widerruf der Duldung entscheidet und deshalb nach § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG unmittelbar der Ankündigungsfrist und -pflicht unterliegt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>(c) Ob nach diesem Für und Wider tatsächlich noch eine Vergleichbarkeit der Interessenlagen gegeben ist, wie die eingangs genannten Ober- und Instanzgerichte sowie Kommentatoren angenommen haben, kann jedoch dahinstehen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>(3) Denn jedenfalls - und dies ist entscheidend - kann für die Fälle des Entfalls der Duldungswirkung wegen Eintritts einer allein vom Willen der Ausländerbehörde abhängigen auflösenden (Potestativ-)Bedingung (hier: „Ankündigung des Abschiebungstermins“) - ebenso wie für die Konstellation des bloßen Auslaufens (Endes der befristeten Geltungsdauer) der Duldung (vgl. hierzu Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 16.3.2010 - 8 ME 47/10 -, juris Rn. 4, m.w.N.) - aufgrund der Entstehungsgeschichte der aktuellen Fassung des § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG nicht von einer <em>Planwidrigkeit </em>der eingangs festgestellten Regelungslücke (Nichtstatuierung einer ausdrücklichen Ankündigungspflicht auch für diese Konstellation) ausgegangen werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Vielmehr muss insbesondere unter Berücksichtigung der im Jahre 1997 reformierten Vorläufernorm (§ 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG 1990) in ihrer am 31. Dezember 2004 geltenden letzten Fassung, deren Gehalt nahezu wortgleich in den ab dem 1. Januar 2005 zunächst geltenden § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG a.F. übernommen und bis zur Reform im Jahre 2007 beibehalten worden war, konstatiert werden, dass der Gesetzgeber die Ankündigungspflicht bewusst und gewollt bis dato schrittweise (in mehreren Stufen) auf diesen Erlöschensgrund (Widerruf) beschränkt und damit in der aktuellen Fassung des Aufenthaltsgesetzes eine nicht analogiefähige Ausnahmeregelung geschaffen hat. Versuche der rechtsanwendenden staatlichen Gewalten wie der Justiz und Verwaltung, deren Anwendungsbereich im Wege der Analogie wie hier etwa auf den Erlöschensgrund „Eintritt einer auflösenden (Potestativ-)Bedingung“ zu erweitern, liefen diesem ergründbaren klaren gesetzgeberischen Willen zuwider und verstießen daher gegen das rechtsstaatliche Gewaltenteilungsprinzip (Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 GG). Im Einzelnen:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>(a) Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte muss davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber des AuslG 1990 (geschaffen durch das Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts v. 9.7.1990, BGBl. I S. 1354) die dort in § 56 Abs. 6 Satz 2 geregelte, seit dem 1. Januar 1991 geltende Ankündigungspflicht mit einer Wartefrist von (damals noch) drei Monaten, die für eine nach „Erlöschen der Duldung“ im Sinne des § 56 Abs. 6 Satz 1 AuslG 1990 durchzuführende Abschiebung vorgesehen war, im Ausgangspunkt auf <em>sämtliche</em> denkbaren Gründe des Erlöschens einer Duldung bezogen hat; insbesondere auf den Ablauf der Geltungsdauer (§ 56 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990), den Widerruf (§ 56 Abs. 5 AuslG 1990) und den Eintritt einer auflösenden Bedingung (§ 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG 1990 in Verbindung mit § 36 Abs. 1, 1. Alt., Abs. 2 Nr. 2 VwVfG, § 1 Abs. 1 NVwVfG), die Rücknahme (§ 48 VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 NVwVfG) sowie die Ausreise (§ 56 Abs. 4 AuslG 1990) des Ausländers (so auch VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 22.9.2000, a.a.O., Rn. 21; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, a.a.O., Stand: 90. EL Oktober 2017, § 60a Rn. 86).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>(b) Eine erhebliche Einschränkung hat der Anwendungsbereich des § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG 1990 indes bereits durch das Gesetz zur Änderung ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 29. Oktober 1997 (BGBl. I S. 2584) mit Wirkung vom 1. November 1997 erfahren.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Aufgrund eines Prüfauftrags für das Vermittlungsverfahren nach Art. 77 Abs. 2 GG (vgl. Unterrichtung durch den Bundesrat v. 23.12.1996, BT-Drs. 13/6668, S. 6, unter Bezugnahme auf die Empfehlungen der Ausschüsse v. 10.12.1996 zur 707. Sitzung des Bundesrates am 19.12.1996, BR-Drs. 870/1/96 Nr. 9), der ursprünglich nur das Ziel einer Verkürzung der Wartefrist auf einen Monat verfolgt hatte, weil die vorgesehenen drei Monate sich als „unnötige Abschiebungsverzögerung“ (a.a.O.) erwiesen hätten, gelangte der Vermittlungsausschuss in seiner später von Deutschem Bundestag und Bundesrat angenommenen Beschlussempfehlung vom 12. Juni 1997 (BT-Drs. 13/7956, S. 3) zu einer Neufassung des § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG 1990 (n.F.) dergestalt, bei länger als ein Jahr geduldeten Ausländern nur noch eine Pflicht der Ausländerbehörde zu statuieren, die für den Fall des Erlöschens der Duldung durch <em>Ablauf der Geltungsdauer</em> oder durch <em>Widerruf</em> vorgesehene Abschiebung mit einer Wartefrist von mindestens einem Monat vorher anzukündigen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Auch ohne ausdrückliche Begründung dieses Punkts des Vermittlungsvorschlags (etwa in einem Schriftlichen Bericht) spricht - insbesondere weil der Gesetzgeber die gesamte „Palette“ der insbesondere in verschiedenen Absätzen des § 56 AuslG 1990 geregelten möglichen Gründe für ein Erlöschen von Duldungen gekannt hat - alles dafür, dass die im Ergebnis in § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG 1990 n.F. bewirkte Beschränkung der Ankündigungspflicht auf nur noch zwei dieser Erlöschensgründe vom Gesetzgeber ausdrücklich und abschließend gewollt war. Offenbar handelt es sich dabei um einen Teil der vom berichterstattenden damaligen Hessischen Staatsminister des Innern D. im Plenum des Bundesrates in dessen 714. Sitzung vom 4. Juli 1997 (PlProt. 714/97, S. 260 D) erwähnten „Reihe von rechtlichen Präzisierungen und Klarstellungen“, für die es „in der Vollzugspraxis ein erhebliches Bedürfnis“ gebe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Jedenfalls fehlen für die vom VGH Baden-Württemberg (Urt. v. 22.9.2000, a.a.O., Rn. 21 a.E.) zur Stützung seiner Auffassung, § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG 1990 n.F. sei (im Wege extensiver Auslegung oder Analogie) auch auf den Fall des Erlöschens der Duldung durch Eintritt einer auflösenden Bedingung anzuwenden gewesen, geäußerte Annahme, die Nichterwähnung <em>dieses</em> Erlöschensfalls in § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG 1990 n.F. beruhe offensichtlich auf einem <em>Versehen </em>(für diesen Reformschritt so allerdings auch Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, a.a.O., § 60a Rn. 86 a.E.), jegliche belastbaren Anhaltspunkte. Das Gericht hat zur Begründung dieser Annahme ausgeführt, dem ändernden Gesetzgeber sei es nur um die „Klarstellung“ gegangen, dass der Erlöschensgrund „Ausreise“ (mit anschließender illegaler Rückkehr in das Bundesgebiet) nicht von § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG 1990 erfasst sein solle und mithin in dem genannten Fall vor der Abschiebung keine Ankündigung erfolgen müsse, auch nicht im Falle etwaiger Alt-Duldungszeiträume von länger als einem Jahr vor der Erstausreise. Eine derartige - vermutete - Motivation des Gesetzgebers wird zwar auch in der Literatur wiedergegeben (vgl. etwa Renner, Ausländerrecht in Deutschland, a.a.O., § 43 Rn. 748). Die daraus von diesem und vom VGH Baden-Württemberg gezogene Schlussfolgerung überzeugt jedoch bereits aus logischen Gründen nicht. Unter Berücksichtigung der Gesetze der Mengenlehre kann nicht plausibel angenommen werden, die positive Erwähnung nur noch zweier Elemente (Widerruf und Ablauf der Geltungsdauer) einer zuvor nur unter einer Sammelbezeichnung (Erlöschensgründe) in Bezug genommenen Menge habe allein dem Ausschluss eines dritten Elements (Ausreise) gedient, nicht aber auch weitere, ebenfalls nicht genannte Elemente dieser Menge (z.B. Eintritt einer auflösenden Bedingung) ausgeschlossen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Auch das für eine Analogie ins Feld geführte Argument des Bayerischen VGH (Beschl. v. 16.2.2015, a.a.O., Rn. 24), durch eine auflösende Bedingung, deren Eintritt die Ausländerbehörde selbst beeinflussen könne, drohe andernfalls die Ankündigungspflicht aus (heute) § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG <em>umgangen</em> zu werden, ist bei Lichte besehen nicht stichhaltig, wenn und weil schon die Vorläufernorm § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG 1990 n.F. diesen Erlöschensgrund bewusst nicht mehr der Rechtsfolge einer Ankündigungspflicht mit Wartefrist unterworfen hat. Denn dieser alternative Weg, der im Einzelfall einen Duldungswiderruf rechtskonstruktiv entbehrlich erscheinen lässt, erweist sich vor diesem Hintergrund auch in der Gesamtschau - unter Einhaltung der Anforderungen insbesondere in Bezug auf Bestimmtheit, effektiven Rechtsschutz und Verhältnismäßigkeit (vgl. oben II.1.a)aa)) - als rechtlich zulässig, so dass eine „Umgehung“ in Wirklichkeit nicht vorliegt. Als rechtsstaatliches Korrektiv zu der damit im Vergleich zu einem Duldungswiderruf - zugestanden - schwächeren Rechtsposition des betroffenen Ausländers ist die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfbarkeit der Beifügung der auflösenden Bedingung zur Duldung zu nennen, sei es im Wege der isolierten Anfechtung und Aufhebbarkeit dieser Nebenbestimmung, sei es - nach fruchtlosem Ablauf der Anfechtungsfristen - durch ein mit Verpflichtungsrechtsbehelfen durchzusetzendes Wiederaufgreifensbegehren nach §§ 51, 48, 49 VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 NVwVfG.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>(c) Dem am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) lag im hier interessierenden Zusammenhang zunächst die Zielstellung zugrunde, die Duldung als Rechtsinstrument abzuschaffen und stattdessen eine auf eine Aufenthaltserlaubnis gerichtete Anspruchsgrundlage in § 25 Abs. 5 AufenthG einzuführen, um weitere langjährige Aufenthalte von Ausländern auf der Basis von „Kettenduldungen“ zu vermeiden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 7.2.2003, Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes, BT-Drs. 15/420, S. 64), wenngleich § 60 Abs. 11 Satz 3 AufenthG-E nach wie vor eine Grundlage für eine gebundene „Aussetzung der Abschiebung“ bei deren rechtlicher oder tatsächlicher Unmöglichkeit vorsah, die terminologisch nur nicht mehr als „Duldung“ bezeichnet wurde, in welcher allerdings eine § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG 1990 n.F. vergleichbare Regelung nicht enthalten war. Letztlich (vgl. die angenommene Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses v. 30.6.2004, BT-Drs. 15/3479, S. 10) kam jedoch eine Fassung des neuen Aufenthaltsgesetzes zustande, die in § 60a Abs. 2 AufenthG eine § 55 Abs. 2 AuslG 1990 entsprechende Regelung über die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) erhielt und in § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG - mit gewissen sprachlichen Anpassungen - den Regelungsgehalt von § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG 1990 tradierte, also weiterhin bei längerfristig Geduldeten nur noch für die beiden Erlöschensgründe „Ablauf der Geltungsdauer“ und „Widerruf“ der Duldung eine Ankündigungspflicht mit einer einmonatigen Wartefrist normierte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>(d) Hieran änderte sich erst durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union ((Erstes) Richtlinienumsetzungsgesetz) vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) etwas, das mit Wirkung vom 28. August 2007 in § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG den Anwendungsfall des <em>Ablaufs der Geltungsdauer</em> der Duldung <em>strich</em> (vgl. hierzu Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 16.3.2010, a.a.O., Rn. 4; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 19.4.2010 - 2 M 111/10 -, juris Rn. 8; BGH, Beschl. v. 10.11.2011 - V ZB 317/10 -, juris Rn. 10). Diese Streichung wurde mit den Vollzugsproblemen begründet, welche die normierte Ankündigungspflicht insbesondere bei nur kurzfristig gültigen Passersatzpapieren im Falle des durch deren Ausstellung weggefallenen Duldungsgrundes „Passlosigkeit“ bei einem Auslaufen der Duldung empirisch bereite (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 23.4.2007, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union, BT-Drs. 16/5065, S. 188). Jedenfalls seither bezieht sich diese Norm bewusst nur noch auf den Fall des Erlöschens der Duldung durch Widerruf. Unmissverständlich führt die Gesetzesbegründung nämlich weiter aus, mit der Beibehaltung der Ankündigungspflicht mit Wartefrist für die von einem <em>Duldungswiderruf</em> Betroffenen sollten gerade diese privilegiert werden, weil deren „Ausreisepflicht“ (gemeint: der Wegfall ihrer Verschonung vor einer Abschiebung bereits vor dem Ablauf der Geltungsdauer ihrer aktuellen Duldung) „nicht von vornherein ersichtlich“ gewesen sei (a.a.O.). Für die von Anfang an mit einer „unständig“, unter einer auflösenden (Potestativ-)Bedingung Geduldeten (vgl. oben II.1.a)bb)(2)) wurde ein gleichartiger Bedarf nicht gesehen. Nach alledem muss angenommen werden, dass der Gesetzgeber spätestens mit der Änderung durch das (Erste) Richtlinienumsetzungsgesetz im Jahre 2007 <em>nur noch</em> die Widerrufsfälle mit einer Ankündigungspflicht und einer Wartefrist von einem Monat privilegieren wollte (so auch Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 16.3.2010, a.a.O.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 19.4.2010, a.a.O.; BGH, Beschl. v. 10.11.2011, a.a.O.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>(e) Das Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2780) schließlich schränkte mit Wirkung vom 29. Juli 2017 innerhalb der in § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG verbliebenen Fallgruppe des Duldungswiderrufs deren Anwendungsbereich nochmals dadurch ein, dass die Ankündigungspflicht gemäß § 60a Abs. 5 Satz 5 AufenthG n.F.in bestimmten Konstellationen der (fortgesetzten oder fortwirkenden) Behinderung der Rückführung u.a. durch Identitäts- oder Staatsangehörigkeitstäuschung oder fehlende zumutbare Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen entfällt (vgl. hierzu Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses des Deutschen Bundestages v. 17.5.2017, BT-Drs. 18/12415, S. 14).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>Nach alledem ist nach Ansicht des Senats für eine Planwidrigkeit der Nichtregelung einer Ankündigungspflicht für den Fall des Erlöschens einer Duldung infolge des Eintritts einer dieser als Nebenbestimmung beigefügten auflösenden Bedingung kein Raum (so auch Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand: 79. EL März 2015, § 60a Rn. 87, 307; Zühlcke, a.a.O., S. 364).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p>b) Die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig. Denn auch ein Anordnungsanspruch des Antragstellers auf Aussetzung oder Unterlassung seiner Abschiebung aus anderen Gründen ist entgegen § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO nicht glaubhaft gemacht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht hat das Bestehen des alternativ in Betracht kommenden Duldungsgrundes <em>Reiseunfähigkeit</em> (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), wie der Antragsgegner im Einzelnen ausführt, zu Recht unter Bezugnahme auf die nicht entkräftete Vermutung aus § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG verneint.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><p>aa) Sämtliche bislang eingereichten Atteste und Entlassungsberichte sowie das amtsärztliche Gutachten vom 7. Januar 2016 zeigen Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung wegen der psychischen Erkrankung (Depression) des Antragstellers bei einer Abschiebung - das heißt bereits während des Abschiebevorgangs - voraussichtlich ergeben, in der von § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG regelhaft geforderten Weise (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 7.6.2017 - 13 ME 107/17 -, juris Rn. 6 f.) nicht auf. Die im Gutachten dem Grunde nach erwähnte Selbstmordgefährdung (Bl. 170 der BA 001 Bd. I) wird im Ergebnis nur vage als „Risikofaktor“ bei zwangsweiser Rückführung beschrieben. Konkrete Prognosen zu einem objektiv zu erwartenden Eigengefährdungsgeschehen im Falle einer Abschiebung gibt das Gutachten nicht ab. Anforderungen an bestimmte Vorkehrungen zur Herstellung und Aufrechterhaltung von Reisefähigkeit wegen der psychischen Probleme des Antragstellers formuliert es ebenfalls nicht. Auch aus sonstigen Umständen lassen sich für den Senat dahingehende Wahrscheinlichkeiten und Anforderungen nicht ableiten. Die Abschlussmeldung der Bundespolizeiinspektion IV Flughafen Frankfurt/Main vom 29. Mai 2018 (Bl. 438 der BA 001 Bd. II) über den erst aufgrund des angegriffenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts am 29. Mai 2018 kurz vor dem geplanten Abflug von Frankfurt am Main nach Tirana abgebrochenen Abschiebungsversuch verneint sowohl Widerstandshandlungen des rückzuführenden, medikamentös behandelten Antragstellers als auch Personen- und Sachschäden und dokumentiert sonstige besondere Vorkommnisse bis zum Abbruch der Abschiebung nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_37">37</a></dt>
<dd><p>bb) Der erstinstanzlich vom Prozessbevollmächtigten des Antragstellers betonte Umstand, dass für den Antragsteller in Deutschland im Jahre 2017 die <em>rechtliche Betreuung</em> (§§ 1896 ff. BGB) durch Herrn E. aus Einbeck angeordnet worden ist, reicht für sich allein nicht aus, um ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis einer rechtlichen Unmöglichkeit im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu begründen, weil damit - wie der Antragsgegner zu Recht betont - nicht zugleich per se Anhaltspunkte für bei einer Abschiebung zu befürchtende Gefahren einhergehen (vgl. Senatsbeschl. v. 9.3.2018 - 13 ME 27/18 -, V.n.b., S. 6 des Beschlussabdrucks).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_38">38</a></dt>
<dd><p>cc) Das im erstinstanzlichen Eilverfahren eingereichte ärztliche Attest der Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. F. aus Bad Sachsa vom 29. Mai 2018 (Bl. 10 der GA) bezieht sich ungeachtet der Verwendung des Terminus „Rückführung“ - wie diverse in der Beiakte 001 befindliche, von dieser Ärztin für den Antragsteller in den Jahren 2015 bis 2017 ausgestellte Atteste - erkennbar auf die Situation <em>nach</em> „Rückkehr“ des Antragstellers in das Herkunftsland unter dem Gesichtspunkt einer ärztlich prognostizierten Retraumatisierung wegen eines vom Antragsteller vorgetragenen dortigen Ereignisses, von fremden Dritten in ein Feuer geworfen worden zu sein, und macht damit allenfalls Ausführungen zu <em>zielstaatsbezogenen</em> Aspekten, die wegen der negativen Bindungswirkung der Ziffer 4. des Bundesamtsbescheides vom 29. April 2014 (vgl. Bl. 26 der BA 001 Bd. I) gemäß §§ 42 Satz 1, 24 Abs. 2 Asyl(Vf)G, welche aufgrund der Ablehnung des isolierten Folgeschutzgesuchs (§§ 51 Abs. 1 bis 3, Abs. 5, 48, 49 VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 NVwVfG) durch bestandkräftigen Bundesamtsbescheid vom 15. November 2017 (Bl. 342 der BA 001 Bd. II) fortdauert, im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen sind (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 13.7.2018 - 13 ME 373/17 -, juris Rn. 25). Sollte das Attest, das „Suizidhandlungen (als) hoch wahrscheinlich - im Zusammenhang mit Abschiebung, bei Rückführung unter der ständigen Angst, erneut getötet zu werden“ einstuft, sich dennoch auch bereits auf die Phase eines gedachten Abschiebevorgangs als solchen beziehen, wird diese Prognose nicht hinreichend konkret begründet; im Übrigen fehlte es dann an Ausführungen, weshalb der angenommenen Suizidgefahr unter keinen Umständen mit ärztlichen Begleitmaßnahmen begegnet werden könnte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_39">39</a></dt>
<dd><p>2. Die Entscheidung über die Verfahrenskosten des Eilrechtsstreits in beiden Rechtszügen beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_40">40</a></dt>
<dd><p>3. Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG und Nrn. 8.3, 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NordÖR 2014, 11).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_41">41</a></dt>
<dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
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<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
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<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Halle - 1. Kammer - vom 13. November 2018, deren Prüfung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkt ist, bleibt ohne Erfolg. Die von dem Antragsteller vorgebrachten Einwendungen rechtfertigen die begehrte Abänderung des angefochtenen Beschlusses nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller begehrt weiterhin die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruches vom 27. September 2018 gegen Ziffer 1. und 2. der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 20. September 2018, mit dem unter Anordnung des Sofortvollzuges dem Antragsteller das Halten und Betreuen von Schafen untersagt (Ziffer 1.) und die Auflösung des von ihm gehaltenen und/oder betreuten Schafbestandes bzw. die Untersagung der Neuanschaffung von Schafen (Ziffer 2.) verfügt wurden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Da der Antragsteller in Entsprechung der Verfügung seinen Schafbestand nach eigenem Vorbringen mittlerweile aufgelöst hat, kommt die insoweitige Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung aufgrund Erledigung nicht mehr in Betracht. Im Übrigen (Haltungs-/Betreuungsverbot, Untersagung der Neuanschaffung) teilt der Senat die Auffassung des Verwaltungsgerichtes, dass der Antragsteller bei seiner erwerbsmäßigen Schafhaltung der Vorschrift des § 2 Nr. 1 TierSchG und der auf der Grundlage von § 2a TierSchG erlassenen Tierschutz-Nutztierverordnung (TierSchNutztV) wiederholt und grob zuwider gehandelt, insbesondere die Tiere nicht angemessen ernährt und gepflegt hat. Hierdurch wurde den im Besitz des Antragstellers befindlichen Schafen erhebliche und länger anhaltende Schmerzen und Leiden sowie erhebliche Schäden zufügt, sodass die Untersagung des Haltens und Betreuens von Schafen (§ 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TierSchG) und ein damit verbundenes Anschaffungsverbot gerechtfertigt erscheint. Das Verwaltungsgericht hat dabei maßgeblich auf die Feststellungen des Antragsgegners in seiner Ordnungsverfügung vom 20. September 2018 abgestellt, die der Antragsteller mit seiner Beschwerdeschrift nicht schlüssig in Frage gestellt hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Soweit der Antragsteller zunächst einwendet, dass das Verwaltungsgericht im Wesentlichen die Ausführungen der Behörde übernommen habe, ohne sich mit seiner detaillierten Argumentation im Antragsvorbringen vom 30. Oktober 2018 bzw. im Widerspruchsvorbringen vom 27. September 2018 auseinanderzusetzen, ist diese pauschale Bezugnahme bereits unstatthaft. Die bloße Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens ohne Eingehen auf die jeweils tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichtes reicht grundsätzlich nicht aus. Zur Begründung einer Beschwerde im Sinne des § 146 Abs. 4 VwGO ist unter inhaltlicher Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung im Einzelnen darzulegen, weshalb die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Die bloße Wiederholung des Vortrages in erster Instanz gibt daher keine Veranlassung, sich damit obergerichtlich auseinanderzusetzen. Der Antragsteller zeigt weder auf, dass das Verwaltungsgericht ihr mehrseitiges (erstinstanzliches) Vorbringen unberücksichtigt gelassen hat, noch macht sie deutlich, weshalb die differenzierten tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtes nicht tragfähig sein sollen. Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichtes, sich aus einem das erstinstanzliche Vorbringen zitierende Beschwerdevorbringen das herauszusuchen, was als Erwiderung auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichtes aufgefasst werden könnte. Für die Beschwerdebegründung ist vielmehr ein substantiierter Vortrag erforderlich (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. Juli 2012 - 8 B 1401/11 -, juris Rn. 23; BayVGH, Beschluss vom 9. Mai 2014 - 22 CS 14.568 -, juris [m. w. N.]; OVG LSA, Beschluss vom 1. Oktober 2014 - 3 M 406/14 -, juris.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Der Einwand des Antragstellers, das Verwaltungsgericht habe im Beschluss auf eine im unbekannte „beigefügte CD“ Bezug genommen, verfängt nicht. Denn dieses, zahlreiche Fotografien umfassende Speichermedium ist Bestandteil des vom Antragsgegner mit Antragserwiderung vom 6. November 2018 übersandten Verwaltungsvorganges, der als Beiakten A und B im Verfahren geführt wird. Der Antragsteller hat von seinem nach § 100 Abs. 1 Satz 1 VwGO bestehenden Akteneinsichtsrecht weder im erstinstanzlichen Verfahren noch im Beschwerdeverfahren Gebrauch gemacht, so dass die bestehende Unkenntnis durch ihn zu verantworten ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Mit seiner Rüge, „die Entscheidung [gehe] schon bei der grundsätzlichen Bewertung als Weidetiere fehl“, zeigt der Antragsteller bereits nicht auf, inwieweit die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes fehlerbehaftet gewesen sein soll. Er beschränkt sich darauf, auszuführen, dass die Formulierungen des Verwaltungsgerichtes allgemein gehalten seien und zitiert unter Hinweis auf nur punktuelle Kontrollen des Antragsgegners, dessen Mitarbeiter im Gegensatz zu ihm weder über eine spezialisierte Ausbildung verfügten, noch Kenntnisse in der Schafhaltung hätten, einen Auszug aus der Entscheidung:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">„...alle Tiere täglich entsprechend ihrem Bedarf mit Futter und Wasser in ausreichender Menge und Qualität zu versorgen…. Zu einer angemessenen Ernährung gehört u. a. die Deckung des physiologischen Bedarfs an Nährstoffen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Gegen diese Vorgaben verstößt der Antragsteller seit mindestens einem Jahr“ (vgl. Beschlussabdruck, S. 3 [letzter Absatz], S. 4 [1. und 2. Absatz]).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Entgegen der Auffassung des Antragstellers konnte anhand der durchgeführten - punktuellen - (amts-)tierärztlichen Kontrollen (28. April 2017, 19. März 2018, 22. März 2018, 29. Juni 2018, 11. Juli 2018, 16. Juli 2018, 23. August 2018, 19. September 2018) die Weidehaltung des Antragstellers sehr wohl beurteilt werden. Denn bei diesen Kontrollen konnte bezogen auf den jeweiligen Kontrollzeitpunkt u. a. festgestellt werden, ob und inwieweit dem Schaftierbestand ausreichend Futter und Wasser zur Verfügung gestanden hat. Daneben gibt der jeweils feststellbare Ernährungszustand der Schafe Hinweise über deren Versorgungslage in der Vergangenheit. Dass die bei der jeweiligen Kontrolle getroffenen und im Beschluss des Verwaltungsgerichtes ausgeführten Feststellungen (bspw.: 28. April 2017: totes Schaf, vier tote Lämmer, Ernährungszustand der Kadaver als schlecht beurteilt, 19. März 2018: etwa 250 Schafe auf gefrorenem Boden, Wasserbehälter eingefroren, keinerlei Futter, 15 vorgefundene tote Schafe, Ernährungszustand der Kadaver stark abgemagert; 22. März 2018: schlechter Ernährungszustand der Schafe; 29. Juni 2018, 11. Juli 2018, 16. Juli 2018 und 23. August 2018: Wasser gar nicht oder nicht in ausreichender Menge vorhanden) unzutreffend sind, zeigt der Antragsteller nicht auf, sondern beschränkt sich selbst auf den Allgemeinplatz, dass seine Tiere „immer in einem guten Zustand“ gewesen seien.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Dass der Antragsteller anerkannter Tierwirt mit dem Schwerpunkt Schafhaltung sei und die Mitarbeiter des Antragsgegners über keine solche Ausbildung verfügten, widerspricht dieser Einschätzung schon nicht. Denn dass der Antragsteller das erforderliche Wissen und Können für die Schafhaltung, mithin -versorgung/-pflege aufweist, bedeutet nicht zwangsläufig, dass er sein Verhalten danach ausrichtet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Soweit der Antragsteller auf eine Bestätigung des normalen Zustandes seines Schaftierbestandes durch einen namentlich benannten Zeugen verweist, der für die M. GmbH und Co. KG den Schaftierbestand des Antragstellers am 19. November 2018 abgeholt habe, führt dies zu keiner anderen Bewertung. Denn diese Beurteilung des Schaftierbestandes des Antragstellers am 19. November 2018 steht schon nicht im Widerspruch zu der Feststellung, dass der Antragsteller im vorangegangenen Zeitraum die von ihm gehaltenen Tiere unzureichend ernährt habe. Denn der Antragsteller hatte die Herde, hinsichtlich der die Feststellungen vom 19. und 22. März 2018 getroffen worden waren, bereits am 25. März 2018 - wie er selbst ausführt - an Herrn (J. B.), den Inhaber eines Schafhandels in T-Stadt veräußert. Zwar trägt er insoweit auch vor, einen „normalen Händlerpreis von 65 € pro Schaf“ erzielt zu haben, Belege hierfür fügt er jedoch nicht bei. Abgesehen davon liegt es weder auf der Hand, noch wird durch den Antragsteller durch geeignete Unterlagen belegt, dass dieses Preisniveau für den Verkauf von durch den Antragsteller bevorzugt gehaltenen Merinoschafen durchschnittlich ist. Vielmehr behauptet er lediglich, dass ein solcher Preis bei einem schlechten Ernährungszustand wohl kaum gezahlt worden wäre. Dies genügt nicht den Anforderungen an eine Substantiierung, zumal die bei der Polizei erstattete Anzeige des Antragstellers vom (…). April 2018, wonach ihm 77 Schafe im Wert von 7.700,00 € gestohlen worden sein sollen, darauf hindeutet, dass ein deutlich höheres Preisniveau als 65 € pro Schaf üblich ist. Abgesehen davon werden die Schafe ausweislich eines im Verwaltungsvorgang befindlichen Gesprächsvermerkes über ein Telefonat mit dem Schafshändler (B.) am 22. März 2018 durch diesen als in einem schlechten Zustand befindlich beschrieben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Dass sich die am 19. November 2018 „weggenommenen“ Schafe ausweislich des Kontrollberichtes zur amtlichen Kontrolle nach Veterinärrecht vom 19. November 2018 in einem „normalen Pflegezustand“ befunden hätten, stellt die Feststellungen des Verwaltungsgerichtes hinsichtlich der nach dem 25. März 2018 erfolgten Versorgung der Schafe (vgl. Beschlussabdruck, S. 4 [letzter Absatz]) ebenfalls nicht in Frage. Der vom Antragsteller in Bezug genommene Kontrollbericht betrifft die vom Antragsteller am 11. Juni 2018 neu angeschaffte Schafherde (151/148 Schafe), die sich bei der Übernahme durch den Antragsteller bei guter Gesundheit sowie in einem guten Ernährungszustand befunden haben sollen (vgl. Kontrollbericht des Antragsgegners vom 29. Juni 2018). In der Folge fanden - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - mehrere Kontrolltermine (29. Juni 2018, 11. Juli 2018, 16. Juli 2018 und 23. August 2018) statt, bei denen im Wesentlichen die Feststellung im Vordergrund stand, dass kein oder unzureichend Wasser zu Verfügung gestanden habe bzw. im Zeitpunkt der Kontrolle (erst) aufgefüllt worden sei. Abgesehen davon können weitere - vom Verwaltungsgericht nicht ausdrücklich benannte - amtliche Kontrolltermine mit vergleichbaren Feststellungen dem Verwaltungsvorgang entnommen werden (19. September 2018, 25. September 2018 bzw. nach Erlass der Ordnungsverfügung: 11. Oktober 2018, 17. Oktober 2018). Über die Frage der unzureichenden Wasserversorgung hinaus wurde der Ernährungs- und Pflegezustand dieser Tiere weder durch das Verwaltungsgericht noch durch den Antragsgegner bewertet, insbesondere nicht als unzureichend eingeschätzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Soweit der Antragsteller unter Verweis auf sieben Fotografien behauptet, seine Schafe hätten sich im relevanten Zeitraum vom 15. bis 23. März 2018 in einem gesunden und tierschutzgerechten Zustand befunden, vermag der Senat dem nicht zu folgen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Voranzustellen ist, dass der Antragsteller die Fotografien - wie die übrigen Anlagen der Beschwerdebegründung - nicht innerhalb der nach § 146 Abs. 4 VwGO maßgebenden Frist vorgelegt hat. Er hat zwar seine Beschwerde fristgerecht begründet, indem er die Beschwerdebegründung per Fax vor Ablauf der am 14. Dezember 2018 endenden Frist rechtzeitig übermittelte. Dieser waren jedoch die in ihr bezeichneten Anlagen - so auch die Fotografien - nicht beigefügt. Erst mit Eingang der Beschwerdebegründung auf dem Postweg am 19. Dezember 2018 und damit verspätet wurden die in Bezug genommenen Anlagen zu Gericht gereicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Ungeachtet dessen steht die Einschätzung des Antragstellers, seine Schafe hätten sich in einem gesunden und tierschutzgerechten Zustand befunden offensichtlich im Widerspruch zu den am 19. und 22. März 2018 behördlich erstellten Lichtbildern (vgl. Speichermedium im Verwaltungsvorgang) und den amtstierärztlichen Feststellungen am 19. bzw. 22. März 2018, die im amtstierärztlichen Gutachten vom 16. April 2018 ihren Niederschlag finden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller nimmt bei seiner Einschätzung zu Unrecht eine Betrachtung seines Schaftierbestandes unter Abzug der am 19. März 2018 aufgefundenen 15 toten Schafe vor, weil er deren Tod - unzutreffend - auf Fremdeinwirkung zurückführt. Für die Annahme einer Schur durch Unberechtigte besteht angesichts der amtsärztlichen Feststellungen jedoch kein Anlass. Danach wird die - durch die Fotodokumentation des Antragsgegners belegte - Nacktheit der toten Schafe als auch der Wollausfall, der bei einigen toten bewollten und bei weiteren lebenden Schafen zu erkennen ist, auf die Unter- und Mangelernährung der Tiere zurückgeführt, wobei der Antragsteller mit Blick auf die Ausprägung des Wollausfalles bis hin zur Nacktheit bereits seit mehreren Wochen den unter- und mangelernährte Zustand der Schafe hingenommen haben muss. Dem Gutachten vom 16. April 2018 kann zudem entnommen werden, dass der Ernährungszustand der fast nackten Kadaver als hochgradig abgemagert bis kachektisch eingeschätzt wurde. Dies deckt sich mit dem vorhandenen Bildmaterial des Antragsgegners. Danach sind - wie es auch das amtstierärztliche Gutachten vom 16. April 2018 beschreibt - die Abdomen als stark eingesunken sowie alle Rippen bzw. Skelettteile wie Schulterblattgräte, Dorn- und Querfortsätze der Wirbelkörper und die Hüftbeinhöcker am Becken als deutlich hervortretend zu erkennen. Daneben wird der schlechte Ernährungszustand der (Rest-)Herde auch in dem Kontrollbericht des Antragsgegners vom 22. März 2018 bzw. der Gesprächsnotiz mit Herrn (B.) gleichen Datums (in einem schlechten Zustand) dokumentiert. Abgesehen davon ist dem Antragsteller ausweislich des vorbezeichneten Kontrollberichtes aufgegeben worden, den gesamten Schafbestand tierärztlich untersuchen und behandeln zu lassen und dies gegenüber dem Antragsgegner schriftlich bis zum 15. April 2018 nachzuweisen. Indem der Antragsteller die Herde nach eigenem Vortrag bereits am 25. März 2018 veräußerte, waren darüber hinausgehende - behördliche - Feststellungen schon nicht möglich und können dem Antragsteller auch nicht zum Vorteil gereichen. Insoweitige Aufklärungsdefizite sind durch den Antragsteller selbst zu verantworten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Im Übrigen sind die vom Antragsteller vorgelegten Fotografien auch nicht geeignet, den Ernährungszustand der gesamten Schafherde, mithin auch der verstorbenen Schafe abzubilden, da die Aufnahmen - mit einer Ausnahme - nach dem 19. März 2018 erstellt worden sein sollen und auch nur Ausschnitte wiedergeben. Soweit der Antragsteller eine Fotografie datierend auf den 15. März 2018 vorlegt, die den Umtrieb der Schafe über mehrere Kilometer wiedergeben soll, werden auch hierdurch die verwaltungsbehördlichen/-gerichtlichen Feststellung nicht in Frage gestellt, weil lediglich 18 von ca. 260 Tieren zu erkennen sind. Dass kranke und unterernährte Schafe den Umtrieb nicht überstanden hätten, rechtfertigt keine andere Bewertung. Vielmehr ist zu konstatieren, dass der Antragsteller auch kranken und unterernährten Schafen seiner Herde diesen Umtrieb zugemutet hat, obgleich der schlechte Ernährungszustand jedenfalls bei 15 Schafen angesichts der hochgradigen Abmagerung am 19. März 2018 nur vier Tage zuvor sichtbar gewesen sein muss.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Soweit der Antragsteller zur weiteren Begründung auf seine - durch seinen Prozessbevollmächtigen beglaubigte - Stellungnahme vom 19. März 2018 verweist, die erstmals zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wird und ebenfalls nicht innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist vorgelegt wurde (siehe Darstellung oben), erfüllt er auch nicht die Anforderungen an eine zureichende Substantiierung. Weder ist die Stellungnahme durch den Antragsteller unterzeichnet worden, noch hat er den Vortrag an Eides statt versichert. Ungeachtet dessen beschränkt sich die Stellungnahme vom 19. März 2018 im Wesentlichen darauf, die Schur der getöteten Schafe durch unberechtigte Dritte zu behaupten und den amtlich festgestellten und mit der Fotodokumentation belegten Wollausfall - auch bei überlebenden Schafen - zu bestreiten. Eine Auseinandersetzung mit den zeitlich nachfolgenden und darüber hinausgehenden amtstierärztlichen Feststellungen (u. a. „hochgradig abgemagert bis kachektisch“) im Gutachten vom 16. April 2018 konnte schon nicht stattfinden und stellt diese auch nicht ansatzweise in Frage. Insbesondere sind die vom Antragsteller behaupteten „Schurverletzungen“ auf dem umfangreich erstellten Bildmaterial des Antragsgegners nicht zu erkennen. Soweit der Antragsteller in seiner Stellungnahme selbst auf Bilder und Videosequenzen verweist, wonach es auch keine hinkenden Schafe gegeben habe, hat er solche zu keinem Zeitpunkt in das Verfahren eingeführt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Dass der Antragsgegner dem Antragsteller ausweislich eines Berichtes der (…) Zeitung vom (…). März 2018 eine beanstandungsfreie Schafhaltung im November 2017 und Januar 2018 attestiert haben soll, rechtfertigt die Abänderung des Beschlusses ebenfalls nicht. Inhalt des Zeitungsberichtes war allein, dass der Schafbestand im November 2017 und Januar 2018 ohne Beanstandungen kontrolliert worden sein soll. Gegenteiliges hat das Verwaltungsgericht schon nicht angenommen. Vielmehr hat es bezugnehmend auf andere Kontrolltermine (siehe Darstellung oben) Haltungs-/Betreuungsdefizite ab 28. April 2017 festgestellt (Sektionsbefund eines aufgefundenen toten Schafes: Todesursache Kachexie [vollständige Auszehrung]). Dass bei der im Verwaltungsvorgang dokumentierten Kontrolle am 17. November 2017 Ernährungsdefizite nicht feststellbar waren, schließt eine vorherige bzw. nachfolgende unzureichende Versorgung und Pflege nicht aus. Dagegen hat ein die Beanstandungsfreiheit der Schafhaltung belegender Kontrolltermin im Januar schon nicht stattgefunden. Für den Monat Januar 2018 ist lediglich eine - die Schafhaltung des Antragstellers betreffende - tierschutzrechtliche Beschwerde vom 22. Januar 2018 und eine Überprüfung der Pferde- und Hundehaltung des Antragstellers am 30. Januar 2018 im Verwaltungsvorgang dokumentiert. Die Beschwerde führte lediglich zu einer telefonischen Kontaktaufnahme mit dem Antragsteller, der die tägliche Fütterung der Schafe zusicherte. Daneben wurde dem Antragsteller aufgegeben, für seine Schafe einen Windschutz gegen die Hauptwindrichtungen zu errichten, was den Antragsteller veranlasst haben soll, eine Plane zwischen Bauzäunen zu spannen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Die Ausführungen des Antragstellers über den anlässlich des Verkaufes am 25. März 2018 festgestellten Verlust von Schafen führen zu keiner anderen Betrachtung. Vielmehr offenbaren diese, dass ihm der Verlust von 77 Schafen unbekannt geblieben wäre, obgleich er den regelmäßigen Umtrieb der Herde und deren gute Versorgung und Pflege behauptet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Die Rüge des Antragstellers, das Verwaltungsgericht habe (nur) allgemeine Ausführungen gemacht, die, wenn nicht auf die konkreten Umstände des einzelnen Falles sowie des Umfeldes eingegangen werde, ohne jede Bedeutung seien, verfängt nicht. Richtig ist, dass die Rasse der vom Antragsteller gehaltenen Schafe, durch den Antragsgegner von untergeordneter Bedeutung war. Dahinstehen kann jedoch hier, ob die Verschiedenheit der Rasse einen unterschiedlichen Wasser- und Futterbedarf bedingt, wenn - wie hier - festzustellen ist, dass eine unzureichende Versorgung mit Blick auf den Ernährungszustand der verendeten 15 Tiere vorlag. Das Gleiche gilt angesichts des andauernden hitzereichen und regenarmen Sommers 2018, der bei Weidehaltung rasseunabhängig eine zusätzliche Versorgung mit Tränkwasser voraussetzt, weil die Deckung des Wasserbedarfes aus Frischfutter angesichts der lang andauernden Trockenperiode offensichtlich eingeschränkt ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Der unter Bezugnahme auf sachverständige Dritte erfolgte Hinweis des Antragstellers darauf, dass Freilandhaltung im Winter bei richtiger Weideführung tierschutzgerecht und naturschutzkonform sei, rechtfertigt keine andere Bewertung. Denn der Antragsteller legt damit nicht dar, dass er die Regeln einer „richtigen Weideführung“ eingehalten hat. Die amtsärztlichen Feststellungen zum Zustand seines Schaftierbestandes am 19./22. März 2018 lassen vielmehr den Schluss zu, dass seine Weidehaltung nicht tierschutzkonform war, weil ein Verenden von Teilen der Herde (15 Tiere), Wollausfall bei verendeten bzw. lebenden Tieren, eine verkrümmte Stellung der Zehenenden der Gliedmaßen bei 1/3 der Herde bzw. ein Lahmgehen sonst nicht zu beobachten gewesen wäre.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Soweit der Antragsteller geltend macht, es hätte seine Glaubwürdigkeit erhöht, wenn er die behauptete Schafschur durch Dritte zur Anzeige gebracht hätte, kann dem nicht gefolgt werden. Zwar hat das Verwaltungsgericht zur Begründung auch ausgeführt, dass eine Strafanzeige nicht gestellt worden sei, jedoch zuvorderst die vorhandenen Lichtbilder und amtstierärztliche Einschätzung als tragend angeführt. Dementsprechend kann dahinstehen, dass der Antragsteller von einer Anzeige nur deshalb Abstand genommen habe will, weil vorangegangene Strafanzeigen nie zur Täterfeststellung geführt hätten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Dass der Antragsteller vom Amt für Landwirtschaft für seine Weidehaltung jährlich erhebliche finanzielle Mittel aufgrund der unbeanstandeten Pflege der beweideten Flächen erhalte, lässt nicht den Schluss zu, dass die hierfür eingesetzten Schafe tierschutzkonform gehalten wurden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Der unter Berufung auf Fachliteratur erhobene Einwand, bei reiner Weidefütterung - der vom Antragsteller betriebenen Haltungsform - <span style="text-decoration:underline">und</span> entsprechender nasser Witterung bestehe kein zusätzlicher Tränkbedarf, widerspricht der Bewertung durch das Verwaltungsgericht nicht. Denn Anlass der behördlichen Kontrollen einer ausreichenden Versorgung mit Tränkwasser war insbesondere der sehr heiße Sommer 2018. Soweit der Antragsteller in diesem Zusammenhang einwendet, dass der Pansen der Wiederkäuer ein effektives Wasserreservoir sei, so dass ein ein- bis zweimaliges Tränken pro Tag ausreichend sei, hat er weder substantiiert dargelegt noch den Nachweis darüber erbracht, seine Tiere in dieser Häufigkeit - insbesondere auch in den Sommermonaten - getränkt zu haben. Vielmehr beschränkt er sich unter Benennung eines nur mit Nachnamen bezeichneten Zeugen, hinsichtlich dessen schon nicht mitgeteilt wird, in welcher Beziehung dieser zur Betreuung der Herde des Antragstellers steht, darauf, zu behaupten, seinen Tieren mindestens einmal am Tag flüssiges Tränkwasser bereitgestellt zu haben, so z. B. am 20. März 2018 (600 l, wovon nur 300 l getrunken worden seien). Nach alledem verfängt auch der unter Berufung auf den Facharzt für kleine Wiederkäuer Dr. K. (2. Stellvertreter der Fachgruppe „Krankheiten kleiner Wiederkäuer“ der Deutschen V. Gesellschaft e. V.) geführte Einwand nicht, fehlende bzw. leere Wassertröge und heiße Temperaturen würden nicht den Nachweis erbringen, dass die Schafe unter Wassermangel litten. Aufgrund der feststellbaren Anhaltspunkte (fehlende, leere Wassertröge, heiße Temperaturen) liegt es in der Sphäre des Antragstellers, sein Tränkverhalten schlüssig aufzuzeigen. Hieran fehlt es.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Abgesehen davon hat das Verwaltungsgericht - ohne dass sich der Antragsteller hiergegen wendet - zudem festgestellt, dass der Antragsteller trotz ausdrücklicher Anordnung des Antragsgegners seinem in einer Halle vorläufig untergebrachten Tierbestand am Abend und in der Nacht zum 20. März 2018 nicht mit Tränkwasser versorgt hat. Auch die ausweislich des Bildmaterials vom 19. März 2018 und den behördlichen Feststellungen vollständig durchgefrorenen Tränkbottiche erlauben nicht den Schluss, dass der Antragsteller seine Schafe am 18. bzw. 19. März 2018 mit flüssigem Tränkwasser versorgt hat. Gegen die Annahme, dass die Wasserversorgung durch Schnee sichergestellt gewesen sei, spricht nach dem eigenen Vorbringen des Antragstellers überdies, dass diese Art der Wasserversorgung im Vergleich zum Tränkwasser nur dann keine Nachteile hat, wenn das Tier gesund, gut ernährt und nicht laktierend ist. Eis ist als Ersatz für Tränkwasser grundsätzlich ungeeignet (vgl. M. Ganter et. al., Tierärztliche Praxis 2/2012, S. 319).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Dass bei durchschnittlichen Witterungsbedingungen in Deutschland für Schafe ein künstlicher Witterungsschutz auf der Weide nur selten erforderlich sei, weil neben Unterständen auch natürliche Gegebenheiten, wie Hecken und Bäume nutzbar seien, rechtfertigt eine Abänderung des Beschlusses ebenfalls nicht. Der Antragsgegner verlangt ebenso wenig wie das Verwaltungsgericht, dass auf jeder Weide Unterstände zu errichten sind. Vielmehr wird (lediglich) ein Witterungsschutz gefordert. Dass dieser aus (für die Herde ausreichenden) natürlichen Gegebenheiten bestehen kann, stellt weder der Antragsgegner noch das Verwaltungsgericht in Frage. Es dürfte zwar grundsätzlich den Anforderungen an eine tierschutzgerechte Weidehaltung im Wesentlichen genüge getan worden sein, wenn ein Witterungsschutz aus Strohballen - wie bei der Unterbringung der Schafe nach dem behördlichen Einschreiten - zur Verfügung gestellt wird. Dies setzt jedoch einen gesunden Tierbestand voraus, wovon jedoch angesichts der amtsärztlichen Feststellungen nicht hinsichtlich der gesamten Herde ausgegangen werden kann (Wollausfall bei lebenden Schafen).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Abgesehen davon wird die Annahme des Verwaltungsgerichtes, der Antragsteller habe im März 2018 - nämlich am 19. März 2018 - bei winterlichen Witterungsbedingungen seine Herde ohne Witterungsschutz auf einem umzäunten Gelände gehalten, durch das Beschwerdevorbringen nicht erschüttert. Denn der Antragsteller behauptet schon nicht, dass die am Tag des Einschreitens des Antragsgegners (19. März 2018) genutzte Weide über einen Witterungsschutz verfügte, noch bestehen bei Sichtung des vorliegenden Fotomaterials vom 19. März 2018 hierfür Anhaltspunkte. Soweit der Antragsteller unter Benennung einer Zeugin erstmals behauptet, dass am 16. und 17. März 2018 ein zwischen Bäumen angebrachter Witterungsschutz (Höhe: 2,50 m, Länge 30 m) bestanden hätte, stellt dies weder die Feststellung des Verwaltungsgerichtes in Frage, noch erfüllt er die sich in einem Eilverfahren stellenden Anforderungen an die hinreichende Substantiierung. Zwar schließt das Darlegungserfordernis ergänzende Ermittlungen nach dem Ermessen des Gerichts nicht prinzipiell aus, so dass eine Beweisaufnahme grundsätzlich möglich ist. Eine Beweisaufnahme kommt jedoch wegen der Eilbedürftigkeit regelmäßig nicht Betracht (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 28. August 2009 - 7 MS 72/09 -, Rn. 26, juris). Ungeachtet dessen offenbart die Darstellung des Antragstellers, dass dieser trotz der festgestellten Witterungsbedingungen die Haltungsbedingungen seiner Schafherde am 18./19. März 2018 nicht kontrolliert hat, obgleich er an anderer Stelle (auch) behauptet, sie täglich getränkt zu haben. Dieses widersprüchliche Vorbringen lässt erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Antragstellers aufkommen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Auch die mit Fachliteratur unterlegten Ausführungen des Antragstellers zur Futterversorgung bei „Koppelschafhaltung“ bzw. „ganzjährigen Weidehaltung“ rechtfertigen keine andere Bewertung. Selbst wenn zu den „Vorwürfen“ des Antragsgegners das bei gefrorenem, stark verschmutztem Futter auftretende Krankheitsbild „nordischer Bradsot“, das bei keinem seiner Schaf festgestellt worden sei, passen sollte, führt der Antragsteller jedoch zum einen selbst aus, dass diese Erkrankung lediglich auftreten „kann“. Zum anderen zeigt er nicht auf, dass trotz der im Übrigen festzustellenden Anzeichen (Wollausfall, ausgezehrte Körper) ohne diese Erkrankung eine unzureichende Versorgung mit Futter auszuschließen ist. Der Antragsteller weist zudem darauf hin, dass bei ganzjähriger Weidehaltung (nur) dann zugefüttert werden müsse, wenn der Aufwuchs nicht bedarfsdeckend sei. Hiermit legt er jedoch nicht ansatzweise dar, dass der Aufwuchs auf den in der Zeit vor dem 19. März 2018 genutzten Weideflächen so bedarfsdeckend gewesen sei, dass es keiner Zufütterung bedurft hätte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Das Beschwerdevorbringen des Antragstellers zur Klauenpflege entkräftet die Bewertung durch das Verwaltungsgericht ebenfalls nicht. Das Gericht ist unter Bezugnahme auf das amtsärztliche Gutachten vom 16. April 2018 davon ausgegangen, dass der Antragsteller über einen längeren Zeitraum keine Klauenpflege durchgeführt habe, weil ein durch verlängerte Klauen bedingtes Lahmen bei ca. 30 bis 40 Tieren festgestellt worden sei. Soweit der Antragsteller zunächst unter Verweis auf einen Bericht in der Fachzeitschrift Tierärztliche Praxis für Großtiere ausführt, dass eine Inspektion der Klauen mit Pflegeschnitt bei allen erwachsenen Tieren (lediglich) einmal pro Jahr erforderlich sei (vgl. Ausgabe 6/2012, S. 392), verkürzt er das Zitat bereits in unzulässiger Weise. Denn in dem in Bezug genommenen Bericht wird ebenso ausgeführt, dass unter Berücksichtigung des rassespezifischen Hornwachstums und der haltungsbedingten Abnutzung des Klauenhorns eine Inspektion der Klauen mit Pflegeschnitt öfter erforderlich sei. Zwar hat der Antragsteller unter Vorlage von Rechnungen seine jährliche Klauenpflege belegt (Juli 2017). Diese ist jedoch unter Berücksichtigung des im amtsärztlichen Gutachten vom 16. April 2018 festgestellten „nach vorn verlängerte[n] und nach oben gekrümmte[n] Klauenhorn[s]“ bei Teilen der Herde, das angesichts der bereits eingetretenen Lahmheiten bereits seit längerer Zeit bestanden habe, offensichtlich unzureichend gewesen. Es bedurfte einer Verringerung des Pflegerhythmus. Soweit der Antragsteller eine Klauendurchsicht mit Klauenschnitt am 12. Februar 2018 belegt, betraf diese jedoch nur 30 Schafe der aus ca. 250 Tieren bestehenden Herde. Abgesehen davon behauptet der Antragsteller schon nicht, auch hinsichtlich der übrigen Schafe eine den Klauenschnitt ausschließende Klauendurchsicht vorgenommen zu haben, um zu überprüfen, ob es einer Verkürzung des Pflegeschnittrhythmus bedarf. Ungeachtet dessen offenbart das vom Antragsteller vorgelegte undatierte Schreiben des als Klauenpfleger für den Antragsteller tätigen Herrn D., der einen (wegen Veräußerung der Herde) abgesagten Termin zur Klauenpflege für den 30. März 2018 bestätigt, sowie der Termin am 12. Februar 2018, dass auch der Antragsteller von einem mehr als einmal jährlichen Bedarf der Klauendurchsicht und -pflege ausgegangen ist. Die im Übrigen vom Antragsteller vorgelegten Rechnungen und Belege betreffen den Klauenschnitt der im Juni 2018 erworbenen Schafherde, hinsichtlich derer dem Antragsteller eine unzureichende Klauenpflege schon nicht vorgeworfen wurde.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Soweit der Antragsteller dem Antragsgegner fehlende Erfahrung bei der Weidehaltung von Schafen vorhält und in den Bescheiden Ausführungen über die Anforderungen an eine Wechselweide, den entsprechenden Zyklus der Weidehaltung sowie das tägliche Zumaß der Weidefläche vermisst, zeigt er mit diesem Einwand nicht auf, dass die vom Antragsgegner vorgenommene und vom Verwaltungsgericht getragene Bewertung der Versorgungslage und des Pflegezustandes seines Schaftierbestandes unzutreffend ist. Das Gleiche gilt, soweit er darstellt, dass ihm als ausgewiesener Tierwirt mit „Eventualitäten, Wahrscheinlichkeiten und ,Kann‘ausführungen“ Unvermögen vorgehalten werde und die von ihm bevorzugt gehaltenen Merinoschafe sehr anspruchslos seien und deshalb der Landschaftspflege und nicht der Fleischerzeugung dienten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>Zudem ist der Einwand des Antragstellers nicht verständlich, dass Schafe keinen Mais äßen, in keinem Maisfeld gesehen worden seien, sondern dieses abgeerntet und vom Antragsteller behütet worden sei. Sollte der Antragsteller mit seinem Vortrag darauf abzielen, die Feststellung des Verwaltungsgerichtes in Zweifel zu ziehen, wonach am 20. September 2018 der Ausbruch der Herde und die Futtersuche im angrenzenden abgeernteten Maisfeld dokumentiert sei, steht dies bereits im Widerspruch zu seinem erstinstanzlichen Vorbringen. Dort hat der Antragsteller noch ausgeführt, dass „es sich bei den [im streitbefangenen Bescheid beschriebenen], Ausbrüchen‘ der Schafherde im Jahr 2018 um Fremdeingriffe“ und nicht etwa um gewillte Weidehaltung gehandelt habe. Der Antragsteller zeigt schon nicht auf, weshalb er im Beschwerdeverfahren sein Vorbringen ändert.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>Dass die vom Verwaltungsgericht übernommenen Ausführungen des Antragsgegners auf Seite 6, drittletzter Absatz (wohl S. 5, 3. Absatz) offenkundig widersprüchlich sein sollen, zeigt der Antragsteller ebenfalls nicht schlüssig auf. Richtig ist, dass der Antragsgegner bei seinem Einschreiten am 19. März 2018 von ca. 30 bis 40 lahmenden Tieren ausgegangen ist. Im Kontrollbericht der drei Tage später, am 22. März 2018 durchgeführten amtlichen Kontrolle ist hingegen vermerkt, „nicht wenige (ca. 10 Schafe gesehen) [würden] lahm[en]“. Dies erlaubt weder den Schluss, dass die festgestellte Anzahl der lahmgehenden Schafe am 19. März 2018 zu hoch war, noch dass es sich bei den 10 festgestellten Schafen um die einzigen (noch) lahmenden Tiere gehandelt hat bzw. keine nachhaltige tierschutzrechtlich relevante Beeinträchtigung der Schafe vorliegt. Denn der Kontrollbericht offenbart, dass eine Überprüfung des Laufbildes eines jeden Schafes der Herde durch die Amtstierärztin nicht erfolgt ist bzw. nicht erfolgen konnte (bspw. liegende Tiere), sondern diese Feststellungen bei Gelegenheit getroffen worden sind. Dies zugrunde gelegt kann entgegen der Annahme des Antragstellers nicht ausgeschlossen werden, dass weitere Tiere (noch) lahmten. Dies hat das Verwaltungsgericht durch die Wortwahl „mindestens 10 Schafe“ auch hinreichend zum Ausdruck gebracht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p>Der Vorwurf des Antragstellers, dem Amtstierarzt würde die fachlich erforderliche Qualifikation für den konkreten Tierbestand fehlen, greift nicht Platz. Nach der Rechtsprechung des Senates und anderer Obergerichte kommt dem beamteten Tierarzt - und nicht etwa dem beamteten Fachtierarzt - sowohl hinsichtlich der Frage, ob grobe oder wiederholte Zuwiderhandlungen gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen vorliegen, als auch hinsichtlich der Frage, ob den Tieren die in § 16a Abs. 1 TierSchG vorausgesetzten qualifizierten Folgen zugefügt worden sind, eine vorrangige Beurteilungskompetenz zu (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 10. Mai 2017 - 3 M 51/17 -, juris Rn. 17 [m. w. N.]). Grund hierfür ist, dass der fachlichen Beurteilung von Amtstierärzten in einem exakten Nachweisen nur begrenzt zugänglichen Bereich einzelfallbezogener Wertungen besonderes Gewicht zukommt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. April 2014 - BVerwG 3 B 62.13 -, juris Rn. 7; OVG BB, Beschluss vom 5. Februar 2014 - OVG 5 S 22.13 -, juris Rn. 7). Dies gilt gerade auch für die zuständige Tierschutzbehörde, bei der die Amtstierärzte beschäftigt sind. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass die von diesen Amtstierärzten getroffenen Feststellungen substantiiert durch fachliche Stellungnahmen von Amtstierärzten anderer Körperschaften und bei anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften beschäftigten Fachtierärzten erfolgreich in Frage gestellt werden (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 10. Mai 2017, a. a. O.). Es ist jedoch Aufgabe des Antragstellers, aufzuzeigen, dass das Gutachten Mängel aufweist, die es zur Sachverhaltsfeststellung als ungeeignet, zumindest aber als nicht ausreichend tragfähig erscheinen lässt. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn das Gutachten unvollständig oder widersprüchlich ist, es von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, sich erhebliche Zweifel an der Sachkunde des Gutachters ergeben oder ein anderer Gutachter über überlegene Forschungsmittel verfügt (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 10. Mai 2017 - 3 M 51/17 -, a. a. O.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p>Der Vortrag des Antragstellers ist nicht geeignet, die Begutachtung der Amtstierärztin zu entkräften. Insbesondere zeigt der Antragsteller - wie dargestellt - nicht schlüssig auf, dass die Amtstierärztin von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht bzw. das Gutachten unvollständig oder widersprüchlich ist. Fachliche Stellungnahmen anderer Amtstierärzte bzw. Fachtierärzte zur Einschätzung des Sachverhaltes legt der Antragsteller schon nicht vor. Er beschränkt sich darauf, auszugsweise Fachliteratur in Bezug zu nehmen, ohne sich mit den konkreten Sachverhaltsfeststellungen auseinanderzusetzen und seinerseits einen schlüssigen Sachverhalt zu schildern. Soweit der Antragsteller zum Zwecke der Glaubhaftmachung des Tränkwasserbedarfes bei Weidefütterung bzw. der Aussagekraft von „Bildern von Schafen im Winter auf einer verschneiten Schafkoppel“ die Anhörung des Fachtierarztes für kleine Wiederkäuer Dr. K. als Sachverständigen bzw. die Einholung eines Sachverständigengutachtens fordert, übersieht er erneut, dass ergänzende Ermittlungen nach dem Ermessen des Gerichts zwar nicht prinzipiell ausgeschlossen sind, jedoch wegen der vorliegenden Eilbedürftigkeit eine Beweisaufnahme regelmäßig ausscheidet (siehe Darstellung oben). Der Antragsteller zeigt überdies nicht schlüssig auf, hinsichtlich welcher konkreten Sachverhaltsfeststellungen die gutachterliche Bewertung unrichtig, widersprüchlich oder unvollständig sein soll (siehe Darstellung oben).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><p>Dass die tätige Amtstierärztin über keine Weiterbildung zum Fachtierarzt für kleine Wiederkäuer verfügt, lässt an ihrer Sachkunde angesichts zureichender Anhaltspunkte keine erkennbaren Zweifel aufkommen. Das Gleiche gilt, soweit der Antragsteller unter Bezugnahme auf eine im Internet abrufbare Power Point Präsentation des Fachtierarztes Dr. K. pauschal geltend macht, dass „Unkenntnis […] bei den sachlich zuständigen Behörden“ vorliege (http://www.tgdsachsenanhalt.de).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_37">37</a></dt>
<dd><p>Tritt die Beschwerde nach alledem den tragenden Erwägungen des angefochtenen Beschlusses nicht den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügend entgegen, bestand weder Anlass zu (weiterer) Sachverhaltserforschung noch zur Durchführung der vom Antragsteller erbetenen mündlichen Verhandlung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_38">38</a></dt>
<dd><p>Auf das weitere Vorbringen im Schriftsatz vom 19. Dezember 2018 war aufgrund Ablaufs der Beschwerdebegründungsfrist (vgl. Darstellung oben) nicht mehr einzugehen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_39">39</a></dt>
<dd><p>II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_40">40</a></dt>
<dd><p>III. Die Entscheidung über die Festsetzung der Höhe des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf den §§ 40, 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit den Empfehlungen der Ziffer 1.5, 35.2, 54.2.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, wobei der in Entsprechung der erstinstanzlichen Entscheidung ermittelte Streitwert (15.000,00 €) im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_41">41</a></dt>
<dd><p>IV. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd>
</dl>
</div></div>
<br>
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161,410 | vg-schleswig-holsteinisches-2019-01-11-1-b-14018 | {
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<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
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<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Streitwert wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.</p></dd>
</dl>
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<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
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<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Das Gericht legt das vorläufige Rechtsschutzbegehren des Antragstellers dahingehend aus, dass dieser einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Abschiebungsandrohung in demselben Bescheid stellen möchte. Der Antragsteller wendet sich im Wortlaut seines Antrages zwar gegen die ausgesprochene Ausreiseaufforderung, diese enthält jedoch im Gegensatz zur gleichzeitig ausgesprochenen Abschiebungsandrohung keine Regelung, also nicht die verbindliche Festsetzung einer Rechtsfolge durch die Behörde. Die Ausreiseaufforderung selbst ist deshalb kein Verwaltungsakt im Sinne des § 106 Abs. 1 LVwG. Sie erlegt hinsichtlich der Ausreisepflicht nicht zusätzlich etwas auf, sondern gibt lediglich wieder, was ohnehin kraft Gesetzes gilt. Als Bestandteil einer Abschiebungsandrohung unterstreicht sie die jeder Abschiebungsandrohung immanente Aufforderung, das Bundesgebiet zu verlassen (BVerwG, Beschluss vom 20. Januar 1993 - 1 zu B 149.92 -, juris, Rn. 6 zu § 12 AuslG 1965).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 2 des Bescheides vom 20. November 2018 wäre zwar grundsätzlich nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO statthaft, da der Widerspruch hiergegen nach §§ 248 Abs. 1 S. 2 LVwG, 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO als Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung hat. Es fehlt dem Antragsteller jedoch insoweit an dem allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag. Das allgemeine Rechtsschutzinteresse wird für jede gerichtliche Verfahrenshandlung verlangt, um den Missbrauch prozessualer Rechte zu verhindern. Damit sollen insbesondere solche Verfahren ausgeschlossen werden, in denen der Kläger mit der Klage eine Verbesserung seiner Rechtsstellung nicht erreichen kann, die Klage also zurzeit nutzlos ist (BVerwG, Urteil vom 08. Juli 2009 – 8 C 4/09 –, Rn. 24, juris). So liegt der Fall hier.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller könnte mit der erstrebten Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 2 des Bescheides vom 20. November 2018 seine Rechtsstellung nicht verbessern. Denn es liegt gegen den Antragsteller bereits mit dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. Februar 2016 eine bestandskräftige Abschiebungsandrohung vor, auf deren Grundlage grundsätzlich eine Abschiebung durchgeführt werden könnte. Diese Abschiebungsandrohung des Bundesamtes ist nicht unwirksam geworden. Nach § 43 Abs. 2 VwVfG des Bundes bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Eine Aufhebung der Abschiebungsandrohung des Bundesamtes ist nicht erfolgt, sie hat sich auch nicht auf andere Weise erledigt. Dem Antragsteller ist nach Bestandskraft der Abschiebungsandrohung des Bundesamtes durch den Antragsgegner lediglich eine Duldung, jedoch gerade keine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden, wodurch sich die Abschiebungsandrohung des Bundesamtes erledigt hätte. Die Aussetzung der Abschiebung durch Erteilung einer Duldung lässt die Ausreisepflicht gemäß § 60a Abs. 3 AufenthG grundsätzlich unberührt. Nach Erlöschen der Duldung wird gemäß § 60a Abs. 5 Satz 3 AufenthG der Ausländer unverzüglich <span style="text-decoration:underline">ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben</span>, es sei denn, die Aussetzung der Abschiebung wird erneuert. Es bedarf daher grundsätzlich nach Erlöschen einer Duldung keiner erneuten Abschiebungsandrohung und Fristsetzung, wie es in dem Bescheid vom 20. November 2018 geschehen ist. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf der Duldung vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für als ein Jahr erneuert wird (§ 60 a Abs. 5 Satz 4 AufenthG). Die Abschiebungsandrohung des Bundesamtes ist auch durch die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung durch Erteilung einer Duldung weiterhin vollziehbar; einer Abschiebungsandrohung stehen ohnehin nach § 59 Abs. 3 AufenthG Gründe für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Die Vollziehbarkeit des Bescheides des Bundesamtes ist auch nicht durch den zumindest im anwaltlichen Widerspruchsschreiben vom 14. Dezember 2018 gestellten Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG beeinträchtigt worden. Mit der Antragstellung auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis kann eine Erlaubnis- oder Duldungsfiktion nach § 81 Abs. 3 Satz 1 oder 2 AufenthG nur dann eintreten, wenn sich der Ausländer ohne Aufenthaltstitel rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die dem Antragsteller erteilten Duldungen begründeten jedoch keinen rechtmäßigen Aufenthalt. Duldungen lassen die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht vielmehr unberührt (§ 60a Abs. 3 AufenthG; vgl. BayVGH, Beschluss vom 26. September 2005 – 24 C 05.1851 –, Juris; OVG Hamburg, Beschluss vom 21. April 2005 – 3 Bs 40.05 –, InfAuslR 2005, 306; vgl. auch zur Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG: BVerwG, Urteil vom 25. September 1994 – 1 C 3.97 –, BVerwGE 105, 232 [235]). Von § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG erfasst werden andere Fälle, insbesondere die des § 81 Abs. 2 AufenthG sowie die Fälle, in denen gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zunächst eine Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels gegeben war (vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 07.02.2003, BT-Drucks. 15/420, S. 96). Eine Fortgeltungsfiktion nach § 81 Abs. 4 AufenthG konnte mit der Antragstellung nicht eintreten. Beantragt ein Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels, gilt nach dieser Vorschrift der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend. Dem Antragsteller ist jedoch zuvor noch keine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der Verpflichtung des Antragsgegners, dem Antragsteller weiterhin eine Duldung zu erteilen, ist bislang nicht gestellt worden; das Gericht hat darauf in der Zustellungsverfügung von 20. Dezember 2018 ausdrücklich hingewiesen. Dem Antragsteller wird gegenwärtig noch aufgrund der Passlosigkeit eine Duldung erteilt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Lediglich ergänzend im Hinblick auf das Vorbringen des Antragstellers sei erwähnt, dass der Antragsgegner in aufenthaltsrechtlichen Verfahren sog. zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote (z. B nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG), etwa eine mögliche drohende Gefährdung der Gesundheit oder des Lebens durch die im Zielstaat der Abschiebung (Albanien) bestehenden Verhältnisse nicht berücksichtigen darf. Nach § 42 AsylG ist die Ausländerbehörde an die Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes gebunden. Insoweit ist bestandskräftig festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen; ein weiterer Asylfolgeantrag oder ein Antrag auf Abänderung der Entscheidung des Bundesamtes zu den Voraussetzungen nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG ist nicht gestellt worden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Die Abschiebung des Antragstellers, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, wäre nach § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Eine akute Reiseunfähigkeit ist derzeit nicht erkennbar, im Gegensatz zum Jahre 2016 erfolgt gegenwärtig offenbar keine psychiatrische Behandlung. Die in den vorgelegten Bescheinigungen des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein vom 19. Oktober 2018 und 26. November 2018 beschriebenen Behandlungen begründen keine Reiseunfähigkeit Eine rechtliche Unmöglichkeit im Sinne von § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann sich daneben aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, die aus Verfassungsrecht etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG oder aus Art. 8 Abs. 1 EMRK herzuleiten sind. Nach Art. 6 Abs. 1 GG schutzwürdige Belange können einer Beendigung des Aufenthalts dann entgegenstehen, wenn es dem Ausländer nicht zuzumuten ist, seine familiären Bindungen durch Ausreise auch nur kurzfristig zu unterbrechen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1997 – 1 C 9.95 –, BVerwGE 105, 35, 39 f.; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 20. Mai 2009 – 11 ME 110/09 –, juris Rn. 10; jeweils m.w.N.). Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst das Recht auf ein familiäres Zusammenleben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.5.1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. -, BVerfGE 76, 1, 42). Er knüpft dabei nicht an bloße formal-rechtliche familiäre Bindungen an. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, mithin eine tatsächlich bestehende familiäre Lebensgemeinschaft (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 2. Februar 2011 – 8 ME 305/10 –, InfAuslR 2011, 151 m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Art. 6 Abs. 1 GG schützt die Familie zunächst als tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft der Kinder und ihrer Eltern. Der Schutz des Familiengrundrechts zielt darüber hinaus aber auch generell auf den Schutz spezifisch familiärer Bindungen, wie sie auch zwischen erwachsenen Familienmitgliedern, zwischen Enkeln und Großeltern oder zwischen nahen Verwandten in der Seitenlinie bestehen können. In den so beschriebenen Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG fallen – wie der Antragsteller zu Recht ausführt – auch die Beziehungen zwischen volljährigen Familienmitgliedern. Diesen kommt im Verhältnis zu den widerstreitenden einwanderungspolitischen Belangen aber in der Regel nur ein geringeres Gewicht zu. Allenfalls dann, wenn beispielsweise ein erwachsenes Familienmitglied zwingend auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds angewiesen ist und diese Hilfe sich nur in der Bundesrepublik Deutschland erbringen lässt, kann dies einwanderungspolitische Belange zurückdrängen (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 9. August 2017 – 13 ME 167/17 – juris); die tatsächlich geleistete Hilfe muss eine wesentliche sein (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 30. Mai 2018 – 8 ME 3/18 – juris). Eine solche Beziehung liegt zwischen dem volljährig gewordenen Antragsteller und den Eltern jedoch nicht vor. Im Übrigen hat der Antragsteller fast die Hälfte seines Lebens in Albanien verbracht, spricht die Sprache und ist mit den kulturellen Gegebenheiten dort vertraut. Eine Eingliederung in die dortige Gesellschaft ist deshalb nicht wegen einer Entwurzelung unzumutbar.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG.</p></dd>
</dl>
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<dd>
<p>Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 16. März 2017 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als seine Berufung wegen der Anträge zu Nr. 3 a) bis d) (betreffend die Beteiligung an der S.     GmbH & Co. KG) zurückgewiesen worden ist.</p>
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<p>Die weitergehende Revision des Klägers (bezüglich der Anträge zu Nr. 2 c), 4 c) und Nr. 5) und die Revision der Beklagten werden als unzulässig verworfen.</p>
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<p>Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.</p>
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<p>Von Rechts wegen</p>
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<h2>Tatbestand</h2>
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<a name="rd_1">1</a>
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<dd>
<p>Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung in Anspruch.</p>
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<p>Der Kläger beteiligte sich - jeweils nach Beratung durch den seinerzeit für die Beklagte tätigen Handelsvertreter Dr. T.   - über einen Treuhänder mit Beitrittserklärungen vom 2. Mai 2007 und 16. März 2010 mit einer Beteiligungssumme von jeweils 20.000 € zuzüglich 5 % Agio zum einen an der K.  & C.  MT "K.  Ed.   " Tankschifffahrts GmbH & Co. KG und der K.   & C.   MT "K.  Er.  " Tankschifffahrts GmbH & Co. KG (im Folgenden Tanker-Fonds) sowie zum anderen an der S.     GmbH & Co. KG (im Folgenden Solar-Fonds - erste Tranche). Eine später gezeichnete weitere Beteiligung an diesem Solar-Fonds (zweite Tranche) ist bis auf einen weiterhin geltend gemachten Zinsanspruch nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens.</p>
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<a name="rd_3">3</a>
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<p>In der Beitrittserklärung vom 16. März 2010 über den Solar-Fonds - erste Tranche - heißt es in einer gesondert vom Kläger unterschriebenen Rubrik mit der Überschrift "Empfangsbestätigung/weitere Erklärungen und Hinweise:" unter anderem wie folgt:</p>
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<p style="margin-left:36pt">"Ich habe den Beteiligungsprospekt nebst Anlagen (…) erhalten, den Inhalt insbesondere des Kapitels 05 (Risiken der Beteiligung) des Verkaufsprospekts vollinhaltlich zur Kenntnis genommen und stimme dem Inhalt der Verträge ausdrücklich zu."</p>
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<a name="rd_4">4</a>
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<p>Zugleich unterzeichnete der Kläger einen "persönlichen Beraterbogen", in dem das Datum der Prospektübergabe mit "12.03.10" vermerkt war.</p>
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<p>Der Kläger hat in Bezug auf den Solar-Fonds behauptet, er sei über die Risiken der Anlage nicht informiert worden. Den Emissionsprospekt habe er nicht rechtzeitig, sondern erst anlässlich der Zeichnung erhalten. Der Prospekt habe zudem Fehler enthalten. In Kenntnis der Risiken hätte er die Anlage nicht erworben.</p>
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<a name="rd_6">6</a>
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<p>Die Beklagte hat demgegenüber behauptet, Dr. T.   habe den Prospekt - seiner Praxis entsprechend - dem Kläger rechtzeitig vor Zeichnung ausgehändigt. Ferner hat sie sich auf den persönlichen Beraterbogen und die Beitrittserklärung vom 16. März 2010 bezogen. Hilfsweise hat sie die nicht rechtzeitige Übergabe mit Nichtwissen bestritten.</p>
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<a name="rd_7">7</a>
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<p>Das Landgericht hat die Schadensersatzklage nach Anhörung des Klägers und Vernehmung des Zeugen Dr. T.    abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und die Beklagte in Bezug auf den Tanker-Fonds und die zweite Tranche des Solar-Fonds zum Ersatz des Zeichnungsschadens Zug um Zug gegen Rückübertragung der Anteile des Klägers an den beiden Fondsgesellschaften verurteilt sowie die Feststellungen getroffen, die Beklagte befinde sich hinsichtlich der jeweiligen Rückübertragung der Anteile im Annahmeverzug und habe den Kläger von sämtlichen Schäden und Nachteilen - insbesondere in Bezug auf Rückforderungsansprüche nach § 172 Abs. 4 HGB - freizustellen. Im Übrigen hat das Berufungsgericht das Rechtsmittel des Klägers, soweit es auf Rückabwicklung der Zeichnung der ersten Tranche des Solar-Fonds nebst Feststellung des Annahmeverzugs sowie - insofern betreffend alle drei Investitionsentscheidungen - Erstattung entgangenen Gewinns (in Form nicht erzielter Anlagezinsen einer Alternativanlage) und Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtet war, zurückgewiesen. Hiergegen wenden sich beide Parteien mit der Revision.</p>
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<h2>Entscheidungsgründe</h2>
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<a name="rd_8">8</a>
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<p>Die Revision der Beklagten ist unzulässig. Auch die Revision des Klägers ist teilweise unzulässig. Soweit sie - betreffend die Abweisung des auf Schadensersatz wegen des Erwerbs von Anteilen an dem Solar-Fonds am 16. März 2010 (erste Tranche) nebst dazugehöriger Zins- und Feststellungsanträge gerichteten Anspruchs - zulässig ist, hat sie Erfolg und führt in diesem Umfang zur Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.</p>
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<a name="rd_9">9</a>
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<p>Das Berufungsgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - ausgeführt, in Bezug auf die erste Tranche des Solar-Fonds habe die Beklagte zu der vom Kläger behaupteten nicht rechtzeitigen Prospektübergabe unter zulässiger Bezugnahme auf den Vermerk über das Übergabedatum im Beratungsprotokoll substantiiert vorgetragen, dass der Kläger den Prospekt am 12. März 2010 erhalten habe. Zwar habe sie damit zu einer Prospektübergabe vorgetragen, die nur vier Tage vor der Zeichnung erfolgt sei. Dennoch habe sie ihrer sekundären Darlegungslast zu einer rechtzeitigen Prospektübergabe genügt, indem sie auf die von ihr vorgelegte Anlage B 15 (die Beitrittserklärung) Bezug genommen habe, in der der Kläger nicht nur den Empfang des Prospekts, sondern auch dessen Kenntnisnahme bestätigt habe. Dies lasse es zumindest als plausibel erscheinen, dass dem Kläger vier Tage für die Prospektlektüre ausgereicht hätten. Der Kläger habe dieses Vorbringen inhaltlich nicht in Abrede gestellt und insbesondere nicht bestritten, die Empfangs- und Kenntnisnahmebestätigung unterzeichnet zu haben. Er habe auch nicht erläutert, weshalb er den Prospekt entgegen seiner Bestätigung tatsächlich nicht habe zur Kenntnis nehmen können, oder dies unter Beweis gestellt. Die Behauptung des Klägers, er sei im März 2010 "derart beruflich eingespannt" gewesen, dass ihm "Zeit und Ruhe" gefehlt hätten, "sich mit einem 172 Seiten starken Emissionsprospekt zu befassen", beinhalte keine Darlegung zu der Frage, woran der Berater hätte erkennen können, dass dem Kläger der Zeitraum von vier Tagen entgegen seiner gegenteiligen Empfangs- und Kenntnisnahmebestätigung nicht ausgereicht habe. Der Vortrag der Beklagten sei daher als unstreitig anzusehen. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger den Prospekt rechtzeitig erhalten habe und durch ihn ordnungsgemäß aufgeklärt worden sei.</p>
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<a name="rd_10">10</a>
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<p>Das Berufungsurteil hält, soweit es zulässig angegriffen worden ist, rechtlicher Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.</p>
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<p>1. Revision der Beklagten:</p>
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<a name="rd_12">12</a>
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<p>Mangels Zulassung ist die Revision der Beklagten als selbständiges Rechtsmittel nicht zulässig. Sie ist auch als Anschlussrevision nicht statthaft.</p>
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<a name="rd_13">13</a>
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<p>a) Das Berufungsgericht hat die Revision nur zugunsten des Klägers zugelassen. Das ergibt sich zwar nicht aus dem Tenor des Berufungsurteils, jedoch aus der Auslegung der Urteilsgründe.</p>
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<a name="rd_14">14</a>
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<p>Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann sich eine Beschränkung der Revisionszulassung auch aus den Urteilsgründen ergeben (z.B. Senatsurteil vom 18. Oktober 2018 - III ZR 497/16, WM 2018, 2179, Rn. 11; Senatsbeschluss vom 27. März 2014 - III ZR 387/13, juris Rn. 4 m.zahlr.w.N.; Senatsurteile vom 19. Juli 2012 - III ZR 308/11, WM 2012, 1574 Rn. 8 und vom 5. Mai 2011 - III ZR 91/10, NJW-RR 2011, 1106 Rn. 22; BGH, Beschluss vom 8. Mai 2012 - XI ZR 261/10, WM 2012, 1211 Rn. 6 mwN; Urteil vom 27. September 2011 - II ZR 221/09, WM 2011, 2223 Rn. 18). Aufgrund der gebotenen Auslegung der Urteilsgründe kommt deshalb eine Beschränkung der Zulassung der Revision auf einzelne Prozessparteien in Betracht, sofern Grund der Revisionszulassung eine bestimmte Rechtsfrage war, die das Berufungsgericht zum Nachteil nur einer Prozesspartei entschieden hat und die lediglich für die Entscheidung über einen selbständigen Teil des Streitstoffs erheblich sein kann. Die Zulassung wirkt in diesem Fall nicht zugunsten der gegnerischen Partei, die das Urteil aus einem völlig anderen Grund angreift (Senatsurteil vom 5. Mai 2011; BGH, Beschluss vom 8. Mai 2012; jeweils aaO und mwN).</p>
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<a name="rd_15">15</a>
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<p>Das Berufungsgericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, soweit es um die Frage geht, ob das Beratungsunternehmen mit dem Hinweis auf eine vom Anleger unterzeichnete Bestätigung, in der er den Empfang und die Kenntnisnahme eines einige Tage vor der Zeichnung erhaltenen Prospekts quittiert, seiner - nach Ansicht des Oberlandesgerichts bestehenden - besonderen Darlegungslast im Hinblick auf eine rechtzeitige Prospektübergabe genügt. Dies bezieht sich allein auf die vom Kläger im Zusammenhang mit der Zeichnung der ersten Tranche des Solar-Fonds unterschriebene "Empfangsbestätigung/weitere Erklärungen und Hinweise" vom 16. März 2010. Auf diese Erklärung gestützt, hat das Berufungsgericht die Klageabweisung insoweit bestätigt.</p>
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<a name="rd_16">16</a>
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<p>Demgegenüber betrifft die Revision der Beklagten ihre Verurteilung zur Leistung von Schadensersatz im Zusammenhang mit der Zeichnung des Tanker-Fonds am 2. Mai 2007, bei dem das Berufungsgericht das Verteidigungsvorbringen der Beklagten gerade für unzureichend gehalten hat. Das dort abgegebene - isolierte - Empfangsbekenntnis des Klägers, das das Oberlandesgericht als nicht ausreichend erachtet hat, ist mit der aus Anlass der Zeichnung des Solar-Fonds unterzeichneten Empfangs- und Kenntnisnahmebestätigung nicht vergleichbar. Gegenstand des Begehrens des Klägers ist zudem ein ganz anderer Fonds, der fast drei Jahre vor dem Solar-Fonds gezeichnet worden ist. Bei dem mit Blick auf den Erwerb der Anteile an dem Tanker-Fonds geltend gemachten Schadensersatzanspruch handelt es sich dementsprechend um einen rechtlich selbständigen und abtrennbaren Teil des Streitstoffs. Im Fall einer Zurückverweisung hinsichtlich des Solar-Fonds kann daher kein Widerspruch zu dem den Tanker-Fonds betreffenden Streitstoff auftreten (vgl. etwa Senatsurteil vom 18. Oktober 2018 aaO Rn. 13; Senatsbeschluss vom 16. Dezember 2010 - III ZR 127/10, WM 2011, 526 Rn. 5 m.zahlr.w.N.; BGH, Urteile vom 23. September 2003 - XI ZR 135/02, WM 2003, 2232, 2233 und vom 29. Januar 2003 - XII ZR 92/01, BGHZ 153, 358, 362).</p>
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<a name="rd_17">17</a>
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<p>b) Das Rechtsmittel der Beklagten ist auch als Anschlussrevision nicht statthaft (§ 554 Abs. 2 Satz 1 ZPO).</p>
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<a name="rd_18">18</a>
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<p>Zwar stellen eine unstatthafte Revision und eine Anschlussrevision ein einheitliches Rechtsmittel dar (vgl. etwa: BGH, Urteil vom 27. Februar 2018 - XI ZR 224/17, WM 2018, 737 Rn. 27). Bei beschränkter Zulassung der Revision kann eine Anschlussrevision auch dann eingelegt werden, wenn sie nicht den Streitstoff betrifft, auf den die Revision sich bezieht (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2006 - VIII ZR 173/04, NJW-RR 2006, 1328 Rn. 17 mwN). Grundsätzlich spielt es nach der ausdrücklichen Regelung des § 554 Abs. 2 Satz 1 ZPO auch keine Rolle, ob die Revision nur zugunsten der anderen Partei zugelassen wurde (etwa Senatsurteil vom 5. Mai 2011 aaO Rn. 24).</p>
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<a name="rd_19">19</a>
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<p>Die Anschlussrevision ist als unselbständiges Rechtsmittel aber akzessorischer Natur. Dieser Abhängigkeit würde es widersprechen, wenn mit ihr Streitstoff eingeführt werden könnte, der mit dem Gegenstand der Hauptrevision weder in einem rechtlichen noch in einem wirtschaftlichen Zusammenhang steht (BGH, Urteil vom 22. November 2007 - I ZR 74/05, BGHZ 174, 244 Rn. 40). Als Anschlussrevision ist das Rechtsmittel daher nur dann statthaft, wenn es einen einheitlichen Lebenssachverhalt betrifft, der mit dem von der Revision erfassten Streitgegenstand in einem unmittelbaren rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang steht (Senat aaO; BGH, Urteile vom 27. Februar 2018 aaO Rn. 26; vom 12. Oktober 2017 - IX ZR 267/16, WM 2017, 2324 Rn. 27; vom 17. Dezember 2013 - VI ZR 211/12, NJW 2014, 2029 Rn. 76; vom 22. November 2007 - I ZR 74/05, aaO und Rn. 42; ähnlich schon BGH, Urteil vom 21. Juni 2001 - IX ZR 73/00, BGHZ 148, 156, 161 im Vorgriff auf die Rechtslage nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Zivilprozessrechts vom 27. Juli 2001, BGBl. I, S. 1887).</p>
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<p>Daran fehlt es vorliegend. Die Revision und die Anschlussrevision betreffen verschiedene Streitgegenstände, die weder rechtlich noch wirtschaftlich miteinander verbunden sind. Die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche beruhen auf zeitlich weit auseinanderliegenden, selbständigen Beratungssituationen; die Anlageentscheidungen beziehen sich auf unterschiedliche Kapitalanlagen. Auch die Erwägungen des Oberlandesgerichts zur Frage des der Beklagten obliegenden Vortrags sowie die jeweils berücksichtigten Tatsachen unterscheiden sich voneinander. Allein dass es in beiden Fällen um Zeichnungsschäden geht und dieselben Parteien involviert sind beziehungsweise derselbe Anlageberater im Abstand von einigen Jahren tätig geworden ist, begründet keinen unmittelbaren rechtlichen oder wirtschaftlichen, sondern allenfalls einen mittelbaren letztlich zufälligen Zusammenhang.</p>
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<p>2. Revision des Klägers:</p>
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<a name="rd_22">22</a>
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<p>a) Die Revision des Klägers ist mit Blick auf den Umfang der Zulassung des Rechtsmittels durch das Berufungsgericht aus den vorstehenden Gründen ebenfalls insoweit unzulässig, als sie sich gegen die Bestätigung der Abweisung der im Zusammenhang mit dem Tanker-Fonds und der zweiten Tranche des Solar-Fonds geltend gemachten Ansprüche auf Ersatz eines ihm mit einem Alternativ-Investment entgangenen Gewinns (§ 252 BGB) und Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten richtet. Auch insoweit handelt es sich um selbständige und abtrennbare Teile des Streitstoffs, hier in Form eines jeweils eigenen Streitgegenstands (zum entgangenen Gewinn: vgl. Senatsbeschluss vom 26. Februar 2015 - III ZR 53/14, BKR 2015, 216 Rn. 4 mwN), die unabhängig von dem übrigen Prozessstoff beurteilt werden können und bei denen auch im Falle der Zurückverweisung (ebenfalls) kein Widerspruch zum nicht anfechtbaren Teil des Streitstoffs auftreten kann. Die Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht bezieht sich auf diese Punkte ersichtlich nicht (vgl.o.). Einer Teilurteilsfähigkeit des betroffenen Streitstoffs auf der Ebene der Berufungsinstanz bedarf es nicht (Senatsbeschluss vom 16. Dezember 2010 aaO Rn. 5; vgl. auch BGH, Urteil vom 25. Januar 1995 - XII ZR 193/93, NJW-RR 1995, 449, 450).</p>
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<a name="rd_23">23</a>
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<p>b) Soweit sich die Revision auf die Abweisung des auf Rückabwicklung der ersten Tranche des Solar-Fonds im Gegenwert von 19.600 € gerichteten Schadensersatzanspruchs nebst Zinsen bezieht, ist sie hingegen vom Berufungsgericht zugelassen, auch im Übrigen zulässig und begründet. Die Klageabweisung lässt sich insoweit mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht rechtfertigen.</p>
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<a name="rd_24">24</a>
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<p>aa) Nach dem im Revisionsrechtszug zugrunde zu legenden Vorbringen des Klägers ist zwischen den Parteien ein Beratungsvertrag zustande gekommen. Dass der für die Beklagte als Anlageberater tätige Zeuge Dr. T.   im Zusammenhang mit der Empfehlung des vom Kläger am 16. März 2010 gezeichneten Solar-Fonds eine Pflichtverletzung begangen hat, ist nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Sach- und Streitstand entgegen der Ansicht der Vorinstanz nicht auszuschließen.</p>
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<a name="rd_25">25</a>
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<p>(1) Der Anlageberater schuldet eine anleger- und objektgerechte Beratung, wonach er unter Berücksichtigung des Wissenstands des Kunden und seiner persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse eine seinem Anlageziel und seiner Risikobereitschaft entsprechende Empfehlung auszusprechen und ihn in Bezug auf das Anlageobjekt rechtzeitig, richtig, sorgfältig sowie verständlich und vollständig zu beraten hat. Dabei muss er den Interessenten über die Eigenschaften und Risiken unterrichten, die für die Anlageentscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteile vom 23. März 2017 - III ZR 93/16, WM 2017, 799 Rn. 11, vom 18. Februar 2016 - III ZR 14/15, WM 2016, 504 Rn. 15; vom 4. Dezember 2014 - III ZR 82/14, WM 2015, 68 Rn. 9 und vom 24. April 2014 - III ZR 389/12, NJW-RR 2014, 1075 Rn. 9 und 12; jew. mwN).</p>
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<a name="rd_26">26</a>
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<p>Eine ordnungsgemäße Anlageberatung kann dabei nicht nur mündlich, sondern auch durch die Übergabe von Prospektmaterial erfolgen, sofern der Prospekt nach Form und Inhalt geeignet ist, die nötigen Informationen wahrheitsgemäß und verständlich zu vermitteln, und er dem Anlageinteressenten so rechtzeitig vor Vertragsschluss übergeben wird, dass sein Inhalt noch zur Kenntnis genommen werden kann (z.B. Senatsurteile vom 18. Februar 2016 aaO Rn. 16; 24. April 2014 aaO Rn. 9 mwN und vom 8. Juli 2010 - III ZR 249/09, BGHZ 186, 152 Rn. 32 m.umfangr.w.N.).</p>
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<a name="rd_27">27</a>
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<p>Die persönliche Aufklärungspflicht des Beraters entfällt, wenn die entsprechende Belehrung in einem Prospekt enthalten ist und der Berater davon ausgehen darf, dass der Kunde diesen gelesen und verstanden hat und gegebenenfalls von sich aus Nachfragen stellt (z.B. Senatsurteile vom 17. September 2015 - III ZR 384/14, BeckRS 2015, 16600 Rn. 16; vom 11. Dezember 2014 - III ZR 365/13, WM 2015, 128 Rn. 18 und vom 20. Juni 2013 - III ZR 293/12, BeckRS 2013, 11561 Rn. 7). Der Anleger muss sich mit dem Prospektinhalt vertraut machen können, weswegen er ausreichend Zeit für eine sinnvolle Auseinandersetzung damit haben muss (vgl. Senatsurteile vom 12. Juli 2007 - III ZR 145/06, NJW-RR 2007, 1692 Rn. 9 und vom 19. November 2009 - III ZR 169/08, BKR 2010, 118 Rn. 24; BGH, Beschluss vom 19. Juli 2011 - XI ZR 191/10, NJW 2011, 3229 Rn. 18). Sodann liegt es im Verantwortungsbereich des Anlegers zu entscheiden, ob er den Prospekt innerhalb der ihm zur Verfügung stehenden - ausreichenden - Zeit zur Kenntnis nehmen will oder nicht. Nimmt er die Informationen nicht zur Kenntnis, geht dies zu seinen Lasten (BGH, Urteile vom 4. Juni 2013 - XI ZR 188/11, BeckRS 2013, 10912 Rn. 30 und vom 26. Februar 2013 - XI ZR 345/10, BKR 2013, 283 Rn. 33).</p>
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<p>Die nicht rechtzeitige Übergabe des Emissionsprospekts hat der Anleger darzulegen und zu beweisen (z.B. Senatsurteile vom 19. Oktober 2017 - III ZR 565/16, WM 2017, 2191 Rn. 22 - vorgesehen für BGHZ; vom 6. Dezember 2012 - III ZR 66/12, WM 2013, 68 Rn. 16; vom 19. November 2009 aaO Rn. 25 und vom 11. Mai 2006 - III ZR 205/05, WM 2006, 1288 Rn. 6), wobei die Frage der "Rechtzeitigkeit" als solche eine rechtliche Bewertung darstellt (Senatsurteil vom 19. Oktober 2017 aaO Rn. 30). Welche Frist seit Empfang des Prospekts bis zum Abschluss des Anlagegeschäfts angemessen und erforderlich ist, damit der Anleger den Prospektinhalt hinreichend zur Kenntnis nehmen kann, hängt indessen maßgeblich von den Umständen des einzelnen Falls ab (BGH, Beschluss vom 19. Juli 2011 aaO). Eine Regelfrist, die nach Übergabe des Prospektes einzuhalten ist, gibt es nicht.</p>
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<p>(2) Die Ansicht des Berufungsgerichts, es sei davon auszugehen, dass der Kläger den Prospekt rechtzeitig erhalten habe und damit ordnungsgemäß aufgeklärt worden sei, beruht auf einem Rechtsfehler.</p>
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<p>(a) Die Vorinstanz hat ihre insoweit angestellte Überlegung, es sei plausibel, dass dem Kläger vier Tage zur Prospektlektüre ausgereicht hätten, damit begründet, dass er nicht nur den Empfang des laut Beraterbogen am 12. März 2010 ausgehändigten Prospekts, sondern auch dessen Kenntnisnahme einschließlich der Risikoaufklärung - "vollumfänglich", "insbesondere das Kapitel 05 (Risiken der Beteiligung)" - bestätigt habe. Damit im Zusammenhang stehen die weiteren Ausführungen, der Kläger habe nicht erläutert und unter Beweis gestellt, weshalb er die Bestätigung unterzeichnet habe, wenn er den Prospekt tatsächlich nicht habe zur Kenntnis nehmen können, und ferner nicht dargelegt, woran der Berater hätte erkennen sollen, dass entgegen seiner anderslautenden Bestätigung ein Zeitraum von vier Tagen wegen seiner damaligen beruflichen Belastung nicht ausgereicht habe und ihm "Zeit und Ruhe" gefehlt hätten, "sich mit dem 172 Seiten starken Emissionsprospekt zu befassen".</p>
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<p>Der Kläger rügt mit seiner Revision demgegenüber zu Recht, dass die - in dem Beitrittsformular der Fondsgesellschaft enthaltene, für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte (§ 305 Abs. 1 Satz 1 BGB) - Kenntnisnahmebestätigung als Tatsachenbestätigung gemäß § 309 Nr. 12 Halbsatz 1 Buchstabe b BGB unwirksam ist. Dies gilt ebenfalls für das zugleich mit dieser und weiteren anderen Erklärungen - mithin nicht isoliert - abgegebene Empfangsbekenntnis, auf das § 309 Nr. 12 Halbsatz 2 BGB folglich keine Anwendung findet.</p>
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<a name="rd_32">32</a>
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<p>(aa) Dem Schutzzweck der Regelung zur Gestaltung rechtsgeschäftlicher Schuldverhältnisse durch allgemeine Geschäftsbedingungen entspricht es, auch die vom Verwender vorformulierten einseitigen rechtsgeschäftlichen Erklärungen der anderen Vertragspartei einer AGB-rechtlichen Kontrolle zu unterwerfen (Senatsurteil vom 15. Mai 2014 - III ZR 368/13, WM 2014, 1146 Rn. 30 mwN). Dabei ist der Beklagten die ersichtlich (auch) in ihrem Interesse abgefasste Bestätigung als Verwenderin zuzurechnen, welche sie dem Kläger als Vermittlerin der Fondsgesellschaft mit der gleichermaßen unterzeichneten Beitrittserklärung vorgelegt hat (§ 305 Abs. 1 Satz 1, § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB; vgl. auch BGH, Urteile vom 5. April 1979 - VII ZR 308/77, BGHZ 74, 204, 211 und vom 6. Mai 1982 - VII ZR 74/81, NJW 1982, 2243, 2244).</p>
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<a name="rd_33">33</a>
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<p>(bb) Gemäß § 309 Nr. 12 Halbsatz 1 Buchstabe b BGB ist eine Bestimmung unwirksam, durch die der Verwender die Beweislast zum Nachteil des anderen Vertragsteils ändert, indem er diesen bestimmte Tatsachen bestätigen lässt. Die Ausnahme des Halbsatzes 2 greift nicht ein. Sie gilt nur für das gesondert unterschriebene, einer Quittung gemäß § 368 BGB entsprechende (reine) Empfangsbekenntnis. Die Erklärung, den Inhalt des Prospekts einschließlich der Risikohinweise zur Kenntnis genommen zu haben, geht hierüber hinaus. Bei einer Kenntnisnahmeklausel handelt es sich um eine Tatsachenbestätigung in Form der Wissenserklärung, die in den Anwendungsbereich des § 309 Nr. 12 Halbsatz 1 Buchstabe b BGB fällt, soweit sie sich zum Nachteil der Vertragspartei des Verwenders auswirken kann (Habersack, in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 12. Aufl., § 309 Nr. 12 Rn. 21).</p>
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<a name="rd_34">34</a>
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<p>Die von § 309 Nr. 12 BGB erfasste Bestimmung, durch die der Verwender "die Beweislast zum Nachteil des anderen Vertragsteils ändert", erschöpft sich nicht in der Umkehr der Beweislast. Die Vorschrift ist ebenfalls einschlägig, wenn die vom Verwender zu erbringende Beweisführung erleichtert oder ein vom Vertragspartner zu erbringender Beweis erschwert wird. Sie erfasst jeden Versuch, die Beweisposition des Kunden zu verschlechtern, auch wenn die Beweislast nicht umgekehrt wird (BGH, Urteil vom 28. Januar 1987- IVa ZR 173/85, BGHZ 99, 374, 380 f; OLG Stuttgart NJW-RR 1986, 275 und NJW-RR 1988, 1082, 1083; jeweils noch zu § 11 Nr. 15 AGBG; BeckOGK/Weiler, BGB, Stand: 1. Mai 2018, § 309 Nr. 12 Rn. 44 ff, 88; MüKoBGB/Wurmnest, 7. Aufl., § 309 Nr. 12 Rn. 16; Habersack aaO § 309 Nr. 12 Rn. 8; anderer Ansicht, im Ergebnis aber wohl gleich: Staudinger/Coester-Waltjen, BGB, Neubearbeitung 2013, § 309 Nr. 12 Rn. 8, wonach § 307 BGB Anwendung finden soll). Entscheidend ist allein, ob die Klausel im Streitfall mögliche Beweiswirkung zu Ungunsten des Kunden entfaltet (Habersack aaO Rn. 10).</p>
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<a name="rd_35">35</a>
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<p>Eine solche Wirkung ist - ungeachtet dessen, dass der Kläger ohnehin die Beweislast für seine Behauptung trägt, die Beklagte habe in Gestalt des für sie tätigen Zeugen Dr. T.   ihre ihm gegenüber obliegenden Aufklärungspflichten verletzt - erkennbarer Zweck der vom Kläger unterzeichneten Kenntnisnahmebestätigung. Mit der abgegebenen Erklärung wird der vom Kläger zu führende Beweis der Tatsache, nicht über die Risiken des Investments aufgeklärt worden zu sein, wie gerade die angefochtene Entscheidung zeigt, erschwert und seine Beweisposition durch die gegen sich gerichtete Bestätigung, deren Unrichtigkeit er zu widerlegen hat, verschlechtert (ähnlich: BGH, Urteile vom 9. November 1989 - IX ZR 269/87, NJW 1990, 761, 766 und vom 20. April 1989 - IX ZR 214/88, NJW-RR 1989, 817 f). Um eine Tatsachenbestätigung, die lediglich die geltende Beweislastverteilung wiedergibt, handelt es sich vorliegend mithin gerade nicht (vgl. dazu Senatsurteil vom 14. Oktober 1999 - III ZR 203/98, NJW 2000, 207 f). Damit verbietet es sich entgegen der in der mündlichen Verhandlung des Senats geäußerten Ansicht des Prozessbevollmächtigten der Beklagten zugleich, der abgegebenen Erklärung ungeachtet der Unwirksamkeit der Klausel eine wie auch immer geartete tatsächliche Wirkung zu Lasten des Klägers beizumessen, denn dadurch würde der durch § 309 Nr. 12 BGB bezweckte Schutz unterminiert.</p>
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<a name="rd_36">36</a>
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<p>Hinzu kommt, dass die Klausel auch eine die Beweislast der Beklagten zumindest erleichternde, wenn nicht gar zu ihren Gunsten umkehrende Wirkung für den Fall haben kann, dass der Kunde darlegen und beweisen kann, den eine zutreffende Risikoaufklärung enthaltenden Prospekt nicht rechtzeitig erhalten zu haben, und sie als Verwender gezwungen ist, die gegen sie streitende tatsächliche Vermutung der Kausalität der Pflichtverletzung zu entkräften (vgl. dazu Senatsurteil vom 16. März 2017 - III ZR 489/16, WM 2017, 708 Rn. 32).</p>
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<a name="rd_37">37</a>
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<p>(cc) Auch das eine bloße Quittungsfunktion erfüllende Empfangsbekenntnis ist nur dann gemäß § 309 Nr. 12 Halbsatz 2 BGB wirksam, wenn es gesondert unterschrieben oder mit einer gesonderten qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist. Dies bedeutet in Entsprechung mit Nr. 11 Buchstabe a der Vorschrift, dass es getrennt vom sonstigen Vertragstext erteilt werden, mithin räumlich und drucktechnisch deutlich abgehoben sein muss, wobei sich die Unterschrift allein auf das Empfangsbekenntnis als rein tatsächlichen Vorgang der körperlichen Übergabe und Entgegennahme einer Sache beziehen und keine weitere Erklärung umfassen darf (vgl. etwa Senatsurteil vom 24. März 1988 - III ZR 21/87, NJW 1988, 2106, 2108 - zu § 11 Nr. 15 Buchstabe b AGBG; Habersack aaO Rn. 24; Coester-Waltjen aaO Rn. 13). Das ist bei der vom Kläger unterschriebenen, ausdrücklich weitere Erklärungen und Hinweise enthaltenden Empfangsbestätigung gerade nicht der Fall.</p>
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<a name="rd_38">38</a>
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<p>(b) Das Berufungsgericht wird daher im neuen Verfahren die schriftliche Erklärung des Klägers, er habe den Prospekt vollinhaltlich zur Kenntnis genommen, außer Acht zu lassen und sich nur unter Berücksichtigung des sonstigen Parteivortrags mit der Frage zu befassen haben, ob der Kläger den Prospekt rechtzeitig erhalten hat, um sich mit dessen Inhalt auseinandersetzen zu können.</p>
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<a name="rd_39">39</a>
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<p>Dabei ist - wie eingangs ausgeführt - nicht auf die Einhaltung bestimmter Fristen, sondern auf die Würdigung der konkreten Einzelfallumstände abzustellen, die insbesondere von der Person des Anlegers (seiner Vorerfahrung, Auffassungsgabe und Bildung) und der ihm effektiv zur Verfügung stehenden Zeit beeinflusst sein können. Hatte unter Berücksichtigung dieser Umstände der Anleger genügend Gelegenheit, um sich anhand des Emissionsprospekts zu informieren, oder durfte der Anlageberater hiervon ausgehen, ist dieser nicht gehalten, sich davon zu vergewissern, dass der Anleger von der Möglichkeit zur Information tatsächlich auch Gebrauch gemacht hat.</p>
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<p>III.</p>
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<a name="rd_40">40</a>
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<p>Nach alledem ist das Berufungsurteil gemäß § 562 Abs. 1 ZPO teilweise aufzuheben und die Sache in diesem Umfang zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Entscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO). Im neuen Verfahren wird sich das Berufungsgericht gegebenenfalls auch mit den weiteren im Revisionsverfahren erhobenen Rügen und den Entgegnungen auf diese zu befassen haben, auf die einzugehen der Senat im vorliegenden Verfahrensstadium keine Veranlassung hat.</p>
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<table class="Rsp">
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Herrmann     </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Tombrink     </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Remmert</p>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Arend     </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Böttcher     </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">      </p>
</td>
</tr>
</table>
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180,264 | olgkarl-2019-01-10-2-vas-6018 | {
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<p>1. Auf den Antrag des Verurteilten B auf gerichtliche Entscheidung vom 19. Oktober 2018 werden der Bescheid der Staatsanwaltschaft Karlsruhe vom 29. August 2018 - 807 VRs 160 Js 17494/12 - und der Beschwerdebescheid der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 9. Oktober 2018 - 7 Zs 1675/18 KA - aufgehoben.</p>
<p/>
<p>2. Die Staatsanwaltschaft wird verpflichtet, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.</p>
<p/>
<p>3. Der weitergehende Antrag wird als unbegründet verworfen.</p>
<p/>
<p>4. Das Verfahren ist gebührenfrei. Dem Antragsteller sind zwei Drittel seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten aus der Staatskasse zu erstatten.</p>
<p/>
<p>5. Der Geschäftswert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.</p>
<p/>
<p>6. Die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof wird nicht zugelassen.</p>
<h2>Gründe</h2>
<table><tr><td> </td><td> <table width="100%"><tr><td style="text-align:center"><strong>I.</strong></td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Der Antragsteller erstrebt eine von der Vollstreckungsbehörde abgelehnte Änderung der Vollstreckungsreihenfolge, hilfsweise deren Verpflichtung zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats. Hierdurch soll zu einem früheren Zeitpunkt die Möglichkeit der Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 Abs. 1 BtMG eröffnet werden.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Soweit für das vorliegende Verfahren relevant, sind gegen den Antragsteller nachfolgende rechtskräftige Verurteilungen ergangen.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>1. Ausgangsentscheidung der gegenwärtigen Vollstreckungslage ist ein Urteil des <em>Amtsgerichts Br vom 18.12.2017 </em>- 6 Ls 160 Js 20687/17 - in Verbindung mit dem nachträglichen Gesamtstrafenbeschluss dieses Gerichts vom 03.05.2018. Er wurde wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln u.a. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten verurteilt. Ausweislich der Urteilsgründe ist diese Vollstreckung zurückstellungsfähig. Die Strafe wurde zunächst vom 30.11.2017 bis zum 30.04.2018 vollstreckt; seither ist die Vollstreckung unterbrochen. Demzufolge stehen noch mehr als zwei Jahre zur Vollstreckung an. Die restliche Strafe soll ab dem 04.02.2020 vollstreckt werden. Zweidritteltermin ist der 29.05.2021; als Strafende ist der 20.05.2022 vorgemerkt.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>2. Die vorgenannte Unterbrechung nach dem 30.04.2018 erfolgte vor dem Hintergrund nachfolgender Entscheidungen:</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>a) Durch Urteil des <em>Amtsgerichts Br vom 08.05.2008</em> - 6 Ls 650 Js 39794/07 - wurde der Antragsteller wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Vollstreckung des Restes der Strafe wurde zurückgestellt und die restliche Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Nach dem Widerruf der Strafaussetzung erfolgte schließlich eine erneute Strafaussetzung zur Bewährung; die Reststrafe beträgt 337 Tage (zum erneuten Widerruf vgl. nachfolgend Ziffer 2 e).</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>b) Durch Urteil des <em>Amtsgerichts H vom 28.03.2011</em> - 41 Ds 24 Js 1453/11 - wurde er wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zunächst zur Bewährung ausgesetzt worden war. Die Strafe war nicht zurückstellungsfähig. Nach dem Widerruf der Strafaussetzung erfolgte schließlich eine erneute Strafaussetzung zur Bewährung; die - zwischenzeitlich vom 01.05.2018 bis zum 20.06.2018 vollstreckte - Reststrafe betrug 51 Tage (zum erneuten Widerruf vgl. nachfolgend Ziffer 2 e).</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>c) Durch Urteil des <em>Amtsgerichts P vom 09.01.2012</em> - 7 Ds 81 Js 10872/11 - in Verbindung mit dem Berufungsurteil des Landgerichts K - Auswärtige Strafkammer P - vom 19.12.2012 - 18 Ns 81 Js 10872/11 - wurde er wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs u.a. unter Einbeziehung einer weiteren Strafe zu einer Gesamtfreiheitstrafe von einem Jahr und fünf Monaten verurteilt. Die Vollstreckung ist zurückstellungsfähig. Die restliche Strafe wurde zunächst zur Bewährung ausgesetzt; die Reststrafe beträgt 174 Tage (zum Widerruf vgl. nachfolgend Ziffer 2 e).</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>d) Durch nachträglichen Gesamtstrafenbeschluss des <em>Amtsgerichts Bt vom 27.08.2014</em> - 2 Ds 160 Js 17494/12 - wurden die Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Bt vom 08.10.2013 - 2 Ds 160 Js 17494/12 - und dem Strafbefehl des Amtsgerichts Ö vom 19.04.2013 - 3 Cs 11 Js 19283/12 - auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten zurückgeführt. Die erstgenannte Verurteilung erfolgte wegen gefährlicher Körperverletzung, die zweite wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte u.a.. Ob die Strafe zurückstellungsfähig ist, bedarf derzeit keiner abschließenden Entscheidung durch den Senat. Der Strafrest wurde zur Bewährung ausgesetzt; die - zwischenzeitlich vom 21.06.2018 bis zum 10.09.2018 vollstreckte - Reststrafe betrug 82 Tage (zum Widerruf vgl. nachfolgend Ziffer 2 e).</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>e) Mit Beschluss des Landgerichts O - Strafvollstreckungskammer - vom 16.02.2018 - 7 StVK 550-553/14 -, rechtskräftig seit 06.03.2018, wurden die Strafaussetzungen der restlichen Freiheitsstrafen aus den vorgenannten Straferkenntnissen Ziffer 2 a) bis d) im Hinblick auf die Verurteilung Ziffer 1 widerrufen.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>3. Die erfolgten Widerrufe der zur Bewährung ausgesetzten restlichen Freiheitsstrafen veranlassten die Staatsanwaltschaft Karlsruhe mit Verfügung vom 05.04.2018, die Vollstreckung aus dem Straferkenntnis Ziffer 1 mit Ablauf des 30.04.2018 gem. § 43 Abs. 4 StVollstrO zu unterbrechen und die vier widerrufenen Strafreste vorweg zu vollstrecken. Gegenwärtig wird seit dem 11.09.2018 noch bis zum 03.03.2019 die Strafe aus dem Straferkenntnis Ziffer 2 c) vollstreckt; anschließend soll bis zum 03.02.2020 diejenige aus dem Straferkenntnis Ziffer 2 a) erfolgen. Sodann ist - wie bereits ausgeführt - die Fortsetzung der Vollstreckung der Strafe aus dem Straferkenntnis Ziffer 1 vorgemerkt.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>4. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 04.07.2018 beantragte der Verurteilte, die Vollstreckungsreihenfolge gem. § 43 Abs. 4 StVollstrO „aus wichtigem Grund“ dahingehend abzuändern, dass im Anschluss an vollständige Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts H vom 28.03.2011 die Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Br vom 18.12.2017 vollstreckt wird. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die verbleibenden Strafen nach §§ 35, 36 BtMG zurückstellungsfähig seien und der Verurteilte nach Verbüßung bis zur Zweijahresgrenze aus dem Urteil des Amtsgerichts Br vom 18.12.2017 die Möglichkeit habe, eine Drogenentwöhnungstherapie zu durchlaufen. Zugleich wurde eine Bescheinigung vorgelegt, wonach der Verurteilte in regelmäßigem Kontakt zur externen Suchtberatungsstelle innerhalb der Justizvollzugsanstalt Br stehe, insbesondere an Einzelgesprächen und einer Motivations- und Vorbereitungsgruppe teilnehme. Ferner sei ein Antrag auf eine stationäre Rehabilitation bei der Deutschen Rentenversicherung gestellt worden. Bewilligende Bescheide erfolgten sodann unter dem 22.06.2018 (insgesamt 40 Wochen medizinische Rehabilitation im Therapiezentrum B in Bu). Mit Bescheiden vom 23.07.2018 wurde die Rehabilitationseinrichtung dahin geändert, dass die Behandlung in der Fachklinik „V“ in F erfolgen soll.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Mit Verfügung vom 29.08.2018 lehnte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe den Antrag ab. Zur Begründung berief sie sich insbesondere auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 09.02.2012 - 5 AR (VS) 40/11 -, BGHSt 57, 155, wonach Strafreste regelmäßig der Vorwegvollstreckung überantwortet seien. Ergänzend wurden Ausführungen zu den bislang fehlgeschlagenen stationären und ambulanten Therapien gemacht.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe gab der Beschwerde des Verurteilten mit Bescheid vom 09.10.2018 - 7 Zs 1675/18 KA -, der dem Verteidiger am 19.10.2018 zugestellt wurde, keine Folge. Zur Begründung führte sie Folgendes aus:</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Eine Änderung der Vollstreckungsreihenfolge in dem vorliegenden Vollstreckungsverfahren scheidet bereits deshalb aus, da die zu vollstreckende Reststrafe, für die die bereits begonnene Vollstreckung der Gesamtstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Br 6 Ls 160 Js 20687/17 i.V.m. mit dem Gesamtstrafenbeschluss vom 03.05.2018 unterbrochen wurde, zwischenzeitlich vollständig vollstreckt ist. Der widerrufene Strafrest vom 82 Tagen im vorliegenden Vollstreckungsverfahren war mit Ablauf des 10.09.2018 vollständig verbüßt. Ein rückwirkender Eingriff in die Vollstreckungsreihenfolge kommt nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 454b Abs. 1 Satz 3 StPO in Betracht, oder um Benachteiligungen bei der Anwendung der §§ 57, 57a StGB durch Fehler oder Versäumnisse der Vollstreckungsbehörde zu beseitigen (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 22. September 1992 - 1 Ws 450 - 457/92 -, juris). Dies ist vorliegend nicht der Fall, da vorliegend keine Unterbrechung der begonnenen Vollstreckung der Gesamtstrafe aus dem Beschluss des Amtsgerichts Br vom 03.05.2018 zur Ermöglichung eines gemeinsamen Zwei-Drittel-Prüfungs-Termins nach § 57 Abs. 1 StGB unterblieb, sondern eine Unterbrechung der laufenden Vollstreckung aus dem Gesamtstrafenbeschluss zum Zwischenvollzug eines widerrufenen Strafrests erfolgt ist.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Die Staatsanwaltschaft hat zu Recht diese Unterbrechung zum Zwischenvollzug des widerrufenen Rests der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Bt vom 04.10.2013 angeordnet und die beantragte Änderung der Vollstreckungsreihenfolge im Wege der Rücknahme dieser Unterbrechung abgelehnt. Gemäß § 43 Abs. 4 StVollstrO bildet insbesondere das Hinzutreten von Strafresten nach Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung einen wichtigen Grund, die Reihenfolge der zu vollstreckenden Strafen zu ändern. Dies deckt sich mit der Wertung des Gesetzgebers in § 454b Abs. 2 Satz 2 StPO, wonach widerrufene Strafreste an der Unterbrechungsregelung des § 454b Abs. 1 StPO nicht teilnehmen. Sie sind deshalb regelmäßig der Vorwegvollstreckung überantwortet (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2012 - 5 AR (VS) 40/11 -, BGHSt 57, 155-159). Hierauf beruht die von der Staatsanwaltschaft angeordnete Änderung der Reihenfolge der Vollstreckung. Ein Ausnahmetatbestand von dieser Regel, welcher vorliegend die Wiederherstellung der Vollstreckungsreihenfolge vor der Unterbrechung zum Zwischenvollzug des widerrufenen Strafrests rechtfertigen könnte, ist vorliegend nicht zu bejahen. Ein solcher ergibt sich auch nicht aus dem beabsichtigten Antrag auf Zurückstellung nach § 35 BtMG. Das Gesetz sieht in § 454b Abs. 3 StPO eine Abänderung der gesetzlich vorgesehenen Vollstreckungsreihenfolge im Hinblick auf einen beabsichtigten Antrag gemäß § 35 BtMG nur für eine weitere zu vollstreckende Freiheitsstrafe und nur für den Fall vor, dass ein nicht zurückstellungsfähiger Strafrest entgegen der Unterbrechungsregelung des § 454b Abs. 2 StPO zu Ende vollstreckt werden kann, um die Sperrwirkung des § 35 Abs. 6 Nr. 2 BtMG zu beseitigen. Diese Voraussetzungen liegen vorliegend nicht vor, da durch die begehrte Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge nicht die Voraussetzungen des § 35 BtMG für eine weitere zu vollstreckende Freiheitsstrafe geschaffen werden sollen, sondern für die dann weiter vollstreckte Strafe selbst.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>5. Mit Schriftsatz des Verteidigers vom 29.10.2018, beim Oberlandesgericht Karlsruhe eingegangen am 31.10.2018, stellte der Verurteilte Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Er beantragt, die Staatsanwaltschaft entsprechend seinem ursprünglichen Antrag - nunmehr rückwirkend - zu verpflichten, die Vollstreckungsreihenfolge entsprechend abzuändern, hilfsweise, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu verbescheiden. In dem Antrag wird die Ansicht vertreten, der angefochtene Bescheid sei ermessensfehlerhaft. Insbesondere könne nicht darauf abgestellt werden, dass bisherige Therapien keinen Erfolg gehabt hätten. Ergänzend wurde ein Schreiben der Fachklinik „V“ vom 24.10.2018 beigefügt, wonach der Antragsteller 11.12.2018 grundsätzlich am 11.12.2018 zur stationären Drogenentwöhnungstherapie aufgenommen werden könne.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat mit Zuschrift vom 23.11.2018 auf Verwerfung des Antrages als unbegründet angetragen. Mit Schriftsatz vom 05.12.2018 erwiderte der Verteidiger hierauf.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
<table width="100%"><tr><td style="text-align:center"><strong>II.</strong></td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Der Antrag hat mit dem Hilfsantrag - jedenfalls vorläufigen - Erfolg.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist statthaft (§ 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG) und auch im Übrigen zulässig (§§ 24 Abs. 2, 26 Abs. 1 EGGVG).</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>2. Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, die Vollstreckung nicht gemäß § 43 Abs. 3 StVollstrO fortzusetzen und stattdessen nach § 43 Abs. 4 StVollstrO zu verfahren, unterliegt nicht in vollem Umfang der Überprüfung durch den Senat. Der Antragsteller hat lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Überprüfung seines Begehrens (§ 28 Abs. 3 EGGVG); hinsichtlich der Annahme eines wichtigen Grundes steht der Vollstreckungsbehörde ein Beurteilungsspielraum zu (Senat, Beschlüsse vom 20.12.2016 - 2 VAs 139/16 - [n.v.] und StV 2003, 287).</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Die Bescheide sind aufzuheben, da in dem - maßgeblichen - Beschwerdebescheid das Ansinnen des Antragstellers nicht ausreichend erfasst wird. Dabei dürften bereits zu hohe Anforderungen an das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des § 43 Abs. 4 StVollstrO gestellt worden sein; jedenfalls werden die Ermessenserwägungen den umfassenden Anforderungen der vorliegenden besonderen Fallkonstellation nicht hinreichend gerecht.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Die Unterbrechung der Vollstreckung der Strafe aus dem nachträglichen Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Br vom 03.05.2018, deren Vollstreckung bereits begonnen hatte (§ 43 Abs. 3 StVollstrO), entsprach zunächst - eine <em>gesetzliche</em> Normierung ist nicht vorhanden - grundsätzlich der Regelung des § 43 Abs. 4 StVollstrO; danach <em>kann</em> die Vollstreckungsbehörde aus wichtigem Grund, insbesondere dem Hinzutreten von Strafresten nach Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung, eine von § 43 Abs. 3 StVollstrO abweichende Reihenfolge der Vollstreckung bestimmen. Diese Regelung, eine bloße Verwaltungsvorschrift, welche die Gerichte nicht bindet (vgl. hierzu nachdrücklich Groß, jurisPR-StrafR 7/2012 Anm. 4), entspricht der Auffassung des Bundesgerichtshofes (BGHSt 57, 155 mit Anm. Laubenthal/Nestler NStZ 2012, 467 und krit. Anm. Groß aaO) und auch derjenigen des Senats (Beschluss vom 20.05.2011 - 2 VAs 2/11 [BeckRS 2011, 14497]), dessen Entscheidung dem Beschluss des Bundesgerichtshofs zugrunde liegt. Durch die ab dem 01.10.2017 erfolgte Ergänzung des § 43 Abs. 4 StVollstrO - es wurde der Widerruf eines Strafrestes als konkretes Beispiel für einen wichtigen Grund eingefügt - lässt sich auch ein erhöhtes Vollstreckungsinteresse ableiten (BeckOK StVollstrO/Weide, 2. Edition 15.06.2018, § 36 Rn. 20; BeckOK StVollstrO/Wittmann, 2. Edition 15.06.2018, § 43 Rn. 10).</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Ungeachtet dieses grundsätzlich gebotenen „Zwischenvorwegvollzugs von Strafresten“ hat die Vollstreckungsbehörde ein Ermessen auszuüben, wenn im konkreten Fall gewichtige Umstände in Betracht kommen, die eine andere Vollstreckungsreihenfolge gebieten können; vorliegend entsprach die zunächst begonnene Vollstreckung ohnehin bereits § 43 Abs. 3 StVollstrO. Daher muss die Vollstreckungsbehörde auch hier immer eine konkrete Prüfung des Einzelfalls vornehmen. Ein Absehen von der Unterbrechung zum Zwecke des Vollzugs eines widerrufenen Strafrestes kann insbesondere dann angebracht sein, wenn konkrete Umstände vorliegen, hinter denen auch das erhöhte Vollstreckungsinteresse zurückzustehen hat (BeckOK StVollstrO/Wittmann aaO § 43 Rn. 10).</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Durch die Unterbrechung des „Erstvollzugs“ wird dem Antragsteller mangels noch nicht erreichter Restvollstreckungszeit von höchstens zwei Jahren letztlich aller Voraussicht nach erst nach der am 04.02.2020 beginnenden weiteren ergänzenden Vollstreckung bis zur Zweijahresgrenze ermöglicht, eine Zurückstellung der Strafvollstreckung - falls die weiteren Voraussetzungen gegeben sind - in Anspruch nehmen zu können. Soweit es die Strafreste betrifft, stünde jene Strafe demzufolge zuvor einer Zurückstellung der Strafvollstreckung entgegen (§ 35 Abs. 6 Nr. 2 BtMG).</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Der vom Antragsteller beantragten Änderung der Vollstreckungsreihenfolge steht zunächst - sowohl die Auffassung in dem Beschwerdebescheid - die Regelung des § 454b Abs. 3 StPO n.F. nicht entgegen. Die Vorschrift wurde durch Art. 3 Nr. 36 Buchst. a des Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17.08.2017 (BGBl. I S. 3202), in Kraft getreten am 24.08.2017, eingeführt. Hierdurch sollte (lediglich) nunmehr eine <em>gesetzliche</em> Möglichkeit geschaffen werden, von der Unterbrechung der Strafvollstreckung zum Halbstrafen- beziehungsweise Zweidrittelstrafzeitpunkt abzusehen, wenn weitere, im Unterschied zur zunächst vollstreckten Strafe nach § 35 BtMG zurückstellungsfähige, Strafen zu vollstrecken sind (BT-Drs. 18/11272 S. 34). Zuvor wurde in der Praxis Abhilfe durch eine Anwendung des § 43 Abs. 4 StVollstrO gesucht, bei der nicht zurückstellungsfähige Strafen vorweg vollstreckt wurden (Senat, NStZ-RR 2006, 287; BeckOK StPO/Coen, 31. Edition 15.10.2018, § 454b Rn. 8.1). Demgegenüber hat der Fall, dass <em>alle</em> Strafen (gegebenenfalls einschließlich widerrufener Reststrafen) zurückstellungsfähig sind, weiterhin keine gesetzliche Regelung erfahren. Ebenso wenig ist das Ansinnen des Antragstellers mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 09.02.2012 (BGHSt 57, 155) unvereinbar. Abgesehen davon, dass gemäß § 454b Abs. 2 Satz 2 StPO auch nach dessen Auffassung Strafreste (nur) <em>jedenfalls grundsätzlich</em> [Hervorhebung durch den Senat] der Vorwegvollstreckung überantwortet werden (aaO Rn. 9), lässt auch jene Entscheidung ein Abweichen hiervon bei besonderen Umständen ausdrücklich zu (aaO Rn. 11). Schließlich war im dortigen Verfahren die Frage einer Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG ohne Belang, sodass es auch aus diesem Grund an einer unmittelbaren Vergleichbarkeit mit der vorliegenden Konstellation fehlt. Auch in der Literatur ist das ausnahmsweise Absehen von einer Unterbrechung trotz zu vollstreckender Strafreste einhellig anerkannt; dies kann der Fall sein, wenn Anhaltspunkte für eine (erneute) Aussetzung sprechen und durch den Zwischenvollzug des Strafrestes die Resozialisierung vereitelt oder unangemessen gefährdet würde (BeckOK StVollstrO/Wittmann aaO § 43 Rn. 10 a.E.; LK-StPO/Graalmann-Scheerer, 26. Aufl. 2010, § 454b Rn. 33 a.E.; SK-StPO/Paeffgen, 4. Aufl. 2013, § 454b Rn. 12; HK-StPO/Pollähne, 6. Aufl. 2019, § 454b Rn. 5; Groß, jurisPR-StrafR aaO).</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>3. Im Allgemeinen ist die Bestimmung einer Vollstreckungsreihenfolge für mehrere Freiheitsstrafen für den Verurteilten ohne Relevanz. Sie erweist sich dann aber als mehr als nur eine Formalität, wenn sie sich auf die Rechtsmöglichkeiten des Verurteilten auswirkt, sei auf § 57 StGB oder - wie vorliegend - auf § 35 BtMG. So ist die Vollstreckungsbehörde beispielsweise bei einer Anschlussvollstreckung bereits dann verpflichtet, die weitere Vollstreckung zum Halbstraftermin zu unterbrechen, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine bedingte Entlassung besteht, wobei ein großzügiger Maßstab anzulegen ist (Senat, Beschluss vom 15.08.2018 - 2 VAs 37/18 -, juris).</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Die Erwägungen der Vollstreckungsbehörde werden vor dem Hintergrund der aufgezeigten differenzierten Sach- und Rechtslage den Anforderungen nicht umfassend gerecht. Das Anliegen, dem Verurteilten wenigstens zu einem späteren Zeitpunkt die Teilnahme an einer Therapie zu ermöglichen, stellt regelmäßig einen wichtigen Grund für eine Änderung der Vollstreckungsreihenfolge dar (MüKoStGB/Kornprobst, 3. Aufl. 2018, § 35 BtMG Rn. 128 [zu § 43 Abs. 4 StVollstrO]; vgl. auch Senat, StV 2003, 287). Die gesetzgeberische Entscheidung, § 454b Abs. 3 StPO (n.F.) einzuführen, zeigt darüber hinaus, dass auch im Rahmen der Vollstreckungsreihenfolge der in § 35 BtMG zum Ausdruck kommende Grundsatz „Therapie vor Strafe“ Anerkennung gefunden hat (zur Ausübung des Ermessens vgl. Graf/Coen, StPO, 3. Aufl. 2018, § 454b Rn. 9f). Auch ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung beim Zusammentreffen von Maßregelvollzug und zu vollstreckender Strafreste anerkannt, dass der Maßregeltherapie grundsätzlich der Vorrang gebührt; die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 09.02.2012 (BGHSt 57, 155) steht hierzu nicht entgegen (OLG Dresden NStZ 2013, 173; SaarlOLG StV 2015, 375). Letztere Vollstreckungssituation weist eine unmittelbare Vergleichbarkeit zum vorliegenden Fall auf.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Nach vorläufiger Würdigung dürften sowohl die Strafe der Ausgangsvollstreckung (Ziffer I.1.) - nach Erreichen der Zweijahresgrenze - als auch - mit einer noch nicht abschließend geklärten Ausnahme - die weiteren Reststrafen außer derjenigen aus dem Urteil des Amtsgerichts H (Ziffer I.2.b), was in dem Antrag berücksichtigt wurde, zurückstellungsfähig sein. Wenngleich das undifferenzierte Heranziehen von „Alkoholmissbrauch oder Betäubungsmittelabhängigkeit“ nicht unbedenklich erscheint, wurde in dem Urteil des Amtsgerichts Br vom 18.12.2017 „eine Zurückstellung der Strafvollstreckung für eine der Rehabilitation dienende Behandlung im Sinne des § 35 BtMG seitens des Gerichts ausdrücklich begrüßt“. Unter dem 13.07.2018 und dem 20.07.2018 teilten die jeweiligen Vollstreckungsrechtspflegerinnen mit, dass die Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Br vom 08.05.2008 (Ziffer I.2.a) - insoweit war ohnehin bereits einmal eine Zurückstellung nach § 35 BtMG erfolgt gewesen - und dem Urteil des Amtsgerichts P vom 09.01.2012 (Ziffer I.2.c) zurückstellungsfähig seien. Wie es sich mit der Strafe aus dem nachträglichen Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Bt vom 27.08.2014 (Ziffer I.2.d) verhält, wird die Vollstreckungsbehörde zunächst in eigener Zuständigkeit zu entscheiden haben. Die dem Urteil des Amtsgerichts Bt vom 08.10.2013 zugrundeliegende Tat wurde in betrunkenem Zustand unter dem Einfluss von Cannabis begangen. § 17 Abs. 2 BZRG (in Verbindung mit § 260 Abs. 5 Satz 2 StPO) wurde als angewendete Vorschrift allerdings nicht aufgenommen. Nach den Erfahrungen des Senats steht dies einer Zurückstellung der Strafvollstreckung nicht zwingend entgegen, da die Vorschrift häufig unbekannt zu sein scheint; im Übrigen finden sich in der Entscheidung entgegen § 260 Abs. 5 Satz 1 StPO ohnehin überhaupt keine angewendeten Vorschriften.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Nach derzeitiger Bewertung, worauf es allein ankommt, könnte beim Antragsteller eine ernsthafte (erneute) Therapiemotivation vorliegen. Ausweislich der vorgelegten Unterlagen nimmt er an Terminen der Suchtberatungsstelle teil und hat eine Kostenzusage der Deutschen Rentenversicherung erhalten; Letztere entfaltet allerdings für eine Entscheidung nach § 35 BtMG keine Bindungswirkung (OLG Koblenz NStZ-RR 2014, 375). Im Hinblick darauf wurde ihm ab dem 11.12.2018 ein stationärer Therapieplatz zur Verfügung gestellt.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>4. Bei der neuen Entscheidung wird die Vollstreckungsbehörde angesichts bislang gescheiterter Therapien zu berücksichtigen haben, dass hinsichtlich der Erfolgsprognose die Zurückstellung keine positive Feststellung voraussetzt, wonach ein Erfolg der Therapie zu erwarten ist, weshalb in der Regel von einer Prüfung der Erfolgsaussicht abzusehen ist (Senat, NStZ-RR 2008, 576; Beschluss vom 03.06.2015 - 2 VAs 8/15 -, juris; Weber, BtMG, 5. Aufl. 2017, § 35 Rn. 35 Rn. 158; MüKoStGB/Kornprobst aaO § 35 BtMG Rn. 140). Eine Zurückstellung kann allerdings dann nicht verantwortet werden, wenn im Einzelfall Erkenntnisse vorliegen, welche die Therapie von vornherein als völlig oder nahezu aussichtslos erscheinen lassen (Senat, NStZ-RR 2009, 122; Weber aaO § 35 Rn. 160; MüKoStGB/Kornprobst aaO § 35 BtMG Rn. 141). Ebenso wird in die Erwägungen einfließen müssen, dass der Weg aus der Sucht ein langes, prozesshaftes Geschehen darstellt, sodass zu einem Behandlungserfolg in der Regel zahlreiche Therapieversuche gehören; selbst mehrfache Therapieabbrüche vermögen daher nicht ohne weiteres zwangsläufig eine Therapiebereitschaft in Zweifel zu ziehen (Senat, StV 2002, 263; NStZ 1999, 253). Ebenso wenig dürfen weder Anzahl noch Höhe der noch zu vollstreckenden Strafen beziehungsweise Strafreste als eigenständige Gesichtspunkte in die Ermessensentscheidung einfließen, weil diese Erwägungen an das Ausmaß der Tatschuld anknüpfen und daher als Kriterium der Strafzumessung bei der Entscheidung nach § 35 Abs. 1 BtMG gerade nicht zu berücksichtigen sind (Senat, StV 2003, 287).</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>Schließlich kommt hinzu, dass § 454b Abs. 2 Satz 2 StPO bei prognostischer Rechtfertigung einer <em>erneuten</em> Aussetzung widerrufener Strafreste gem. § 57 StGB - oder vorliegend gegebenenfalls gem. § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG - nicht entgegensteht (Senat, StV 2003, 348; OLG Celle NStZ-RR 2014, 61; Fischer, StGB, 66. Aufl. 2019, § 57 Rn. 2 und 8; HK-StPO/Pollähne aaO § 454b Rn. 5).</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>5. Sollte die Vollstreckungsbehörde in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens eine Änderung der Vollstreckungsreihenfolge dem Antrag entsprechend auch bezüglich bereits vollständig vollstreckter Strafen (nach dem 20.06.2018) vornehmen, darf die zunächst getroffene, vom Senat aufgehobene Entscheidung dem Antragsteller nicht zum Nachteil gereichen (BVerfG NStZ 1988, 474; LR-StPO/Graalmann-Scheerer aaO § 454b Rn. 25; SK-StPO/Paeffgen aaO § 454b Rn. 19 [jeweils betreffend Verstoß gegen § 454b Abs. 2 StPO]). Als Lösungswege werden das materiell-rechtliche „Anrechnungsmodell“ und das vollstreckungsrechtliche „Rückwirkungsmodell“ vertreten. Nach Ansicht des Senats dürfte jedenfalls bei vorliegender Vollstreckungslage das Rückwirkungsmodell zur Anwendung kommen, da bei bereits vollständiger Vollstreckung nur hierdurch dem Verurteilten kein Nachteil entstehen kann (so auch OLG Frankfurt NStZ 1990, 254; OLG Naumburg NStZ 1997, 56 [als Alternativmöglichkeit]; LR-StPO/Graalmann-Scheerer aaO § 454b Rn. 29; SK-StPO/Paeffgen aaO § 454b Rn. 22, 22a; KK-StPO/Appl, 7. Aufl. 2013, § 454b Rn. 8; vgl. allerdings OLG Karlsruhe - 3. Strafsenat - NStZ-RR 1996, 60 [keine vollständige Vollstreckung]; Pohlmann/Jabel/Wolf, StVollstrO, 9. Aufl. 2016, § 43 Rn. 33, weisen auf die fehlende Bedeutung des „sehr feinsinnigen“ Streits für die Praxis hin). Für diese Weise des Nachteilsausgleichs spricht insbesondere, dass der Gesetzgeber durch die Einführung von § 454b Abs. 2 Satz 3 StPO durch das 2. Justizmodernisierungsgesetz vom 22.12.2006 ebenfalls dem Rückwirkungsmodell den Vorzug gegeben hat.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Sollte es daher unter der Vorgabe, dass <em>alle</em> Strafreste als zurückstellungsfähig erachtet werden, zu einer Änderung der Vollstreckungsreihenfolge kommen, wäre bei Heranziehung des Rückwirkungsmodells der Vollstreckungszeitraum ab dem 21.06.2018 auf die Strafe aus dem Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Br vom 03.05.2018 nachträglich anzurechnen. Andernfalls schlösse sich zunächst erst noch die Vollstreckung eines nicht zurückstellungsfähigen Strafrestes an.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>6. Da es noch ergänzender Bewertungen der Vollstreckungsbehörde bedarf und im Übrigen auch eine Ermessensreduzierung auf null nicht zwingend vorliegen dürfte, ist die Sache noch nicht spruchreif (§ 28 Abs. 2 Satz 1 EGGVG); daher ist dem Senat eine abschließende Entscheidung verwehrt. Die Vollstreckungsbehörde hat den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden (§ 28 Abs. 2 Satz 2 EGGVG).</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
<table width="100%"><tr><td style="text-align:center"><strong>III.</strong></td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Eine Kostengrundentscheidung nach §§ 1 Abs. 2 Nr. 19, 22 Abs. 1 GNotKG i.V.m. Teil 1 Hauptabschnitt 5, Abschnitt 3, Nr. 14300 bzw. 15301 KV GNotKG ist nicht veranlasst, da der Antrag weder zurückgenommen noch (insgesamt) zurückgewiesen wurde. Unter Berücksichtigung des Teilerfolges des Antrages wurde dieser bei der Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers mit zwei Drittel bemessen (§ 30 Satz 1 EGGVG).</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Die Bemessung des Geschäftswertes ergibt sich aus §§ 36 Abs. 3, 79 Abs. 1 Satz 1 GNotKG. Danach ist in Ermangelung genügender Anhaltspunkte für eine Bestimmung des Wertes ein Geschäftswert von 5.000,- EUR anzusetzen (OLG Celle NStZ-RR 2014, 64).</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht geboten, da die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Satz 1 EGGVG nicht vorliegen. Die Entscheidung lässt sich mit der Ansicht des Bundesgerichtshofs (BGHSt 57, 155) in Einklang bringen. Ferner ist in ständiger Rechtsprechung anerkannt, dass die Ermöglichung einer Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG die Vollstreckungsreihenfolge als „wichtiger Grund“ im Sinne des § 43 Abs. 4 StVollstrO beeinflussen kann.</td></tr></table>
</td></tr></table> |
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<p>Die Revision der Beklagten gegen das Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 24. Januar 2018 wird zurückgewiesen.</p>
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<p>Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsrechtszugs zu tragen.</p>
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<p>Von Rechts wegen</p>
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<h2>Tatbestand</h2>
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<p>Der Rechtsnachfolger des am 9. Februar 2017 verstorbenen vormaligen Klägers A.   W.   (im Folgenden auch: Kläger) macht gegen die Beklagte Rückzahlungsansprüche aus einem Betreuervertrag geltend.</p>
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<p>A.    W.   war Eigentümer einer Wohnung in einer Anlage, die nach dem Wohnungseigentumsgesetz aufgeteilt wurde und nach der Teilungserklärung vom 9. Juli 1996 dem betreuten Wohnen dient. § 16 der Teilungserklärung enthält unter anderem folgende Bestimmungen:</p>
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<p style="margin-left:36pt">"Zur weiteren Regelung des Gebrauchs des Wohnungseigentums sowie zur weiteren Regelung von Gebrauch, Lastentragung und Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums sind alle Wohnungseigentümer verpflichtet, mit der W.          H.                         Betriebs-GmbH [Beklagte] … als Betreuer einen Vertrag über Betreuerleistungen für die Bewohner der altengerechten Wohnanlage abzuschließen, soweit sie die in ihrem Eigentum stehende Wohnung selbst nutzen …</p>
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<p style="margin-left:36pt">Die Verpflichtung zum Abschluss eines Betreuungsvertrages entfällt, solange die Wohnung nicht benutzt wird oder vermietet ist …"</p>
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<p>Unter dem 10. Dezember 2012 schloss der Kläger mit der Beklagten einen formularmäßigen Betreuervertrag ab, der für "Betreuung und Organisation" einen monatlichen Grundbetrag von 250 € sowie für "Betreuung PLUS" monatlich weitere 100 € vorsah. § 4 des Vertrags regelt die Dauer des Vertragsverhältnisses:</p>
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<p style="margin-left:36pt">"Dieser Vertrag wird auf unbestimmte Zeit geschlossen.</p>
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<p style="margin-left:36pt">Der Bewohner/die Bewohnerin kann den Betreuervertrag während der ersten zwei Jahre ab Abschluss des Betreuervertrages nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes schriftlich und unter Angabe des Grundes kündigen, wenn:</p>
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<p style="margin-left:54pt">- der Bewohner/die Bewohnerin als Eigentümer der Wohnung deren Selbstnutzung dauerhaft aufgibt; in diesem Fall kann die Kündigung zum 15. eines Monats zum Monatsende ausgesprochen werden;</p>
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<p style="margin-left:54pt">- wenn ein sonstiger wichtiger Grund im Sinne des § 314 BGB vorliegt.</p>
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<p style="margin-left:36pt">Nach Ablauf der Zwei-Jahres-Frist kann der Bewohner/die Bewohnerin den Vertrag mit gesetzlicher Frist kündigen."</p>
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<p>Da A.   W.   in der Folgezeit (vorübergehend) schwer pflegebedürftig wurde, erfolgte seine Verlegung in eine vollstationäre Pflegeeinrichtung, wo er sich in dem Zeitraum vom 2. Oktober 2015 bis zum 1. Februar 2016 aufhielt. Mit Schreiben vom 16. Oktober 2015 kündigte er den Betreuervertrag unter Berufung auf dessen § 4 Abs. 2 mit sofortiger Wirkung und gab an, die Wohnung seit fünf Monaten nicht mehr zu bewohnen. Es stehe nicht fest, wann sich daran etwas ändere. Die Beklagte buchte dennoch vom Konto des Klägers unter dem 30. Oktober 2015 350 € sowie unter dem 1. Dezember 2015, dem 1. Januar 2016 und dem 1. Februar 2016 jeweils 250 € ab. Nach Besserung seines Gesundheitszustands kehrte der Kläger im Verlauf des Jahres 2016 in seine Wohnung zurück, wobei er die in dem Betreuervertrag vorgesehene monatliche Betreuungspauschale regelmäßig bezahlte.</p>
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<p>Der Kläger hat die Rückzahlung der in dem Zeitraum von Oktober 2015 bis Februar 2016 abgebuchten Beträge begehrt und geltend gemacht, auf Grund der Kündigung habe er keine Zahlungen geschuldet. Seitens der Beklagten seien auch keine Betreuungsleistungen erbracht worden.</p>
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<p>Das Amtsgericht hat die Beklagte - unter Klageabweisung im Übrigen - zur Zahlung von 750 € nebst Zinsen verurteilt. Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt sie ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.</p>
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<h2>Entscheidungsgründe</h2>
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<p>Die zulässige Revision ist unbegründet.</p>
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<a name="rd_8">8</a>
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<p>Nach Auffassung des Berufungsgerichts kann der Kläger von der Beklagten die Rückzahlung der in den Monaten Dezember 2015 bis Januar 2016 abgebuchten Beträge in Höhe von insgesamt 750 € aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB verlangen.</p>
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<a name="rd_9">9</a>
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<p>Die Beendigung des Betreuervertrags sei nach dem Recht des Dienstvertrags zu beurteilen, da dort der Schwerpunkt des Rechtsgeschäfts liege. Die Kündigungsfrist richte sich nach § 620 Abs. 2, § 621 Nr. 3 BGB, so dass die Kündigung vom 26. Oktober 2015 das Vertragsverhältnis zum 30. November 2015 beendet habe.</p>
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<a name="rd_10">10</a>
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<p>Der in § 16 der Teilungserklärung enthaltene Kontrahierungszwang stehe der Wirksamkeit der Kündigung nicht entgegen. Diese Verpflichtung sei so zu verstehen, dass ein Betreuungsverhältnis während der gesamten Wohnungsnutzung aufrechterhalten werden müsse. Eine in einer Teilungserklärung enthaltene Verpflichtung der Wohnungseigentümer, einen Betreuungsvertrag mit einer zeitlichen Bindung von mehr als zwei Jahren abzuschließen, sei jedoch nach § 309 Nr. 9 Buchst. a BGB unwirksam (Hinweis auf BGH, Urteil vom 13. Oktober 2006 - V ZR 289/05, NJW 2007, 213).</p>
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<a name="rd_11">11</a>
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<p>Die Unwirksamkeit einer über zwei Jahre hinausgehenden Bindung ergebe sich unabhängig von einer AGB-Inhaltskontrolle zudem aus § 242 BGB. Ein Kontrahierungszwang begegne durchgreifenden Bedenken, wenn die Wohnungseigentümer zum Abschluss von Verträgen mit mehr als zweijähriger Bindung verpflichtet werden sollten und weder den einzelnen Wohnungseigentümern noch der Wohnungseigentümergemeinschaft wirkliche Spielräume für die Ausgestaltung der Verträge verblieben.</p>
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<a name="rd_12">12</a>
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<p>Die Beklagte habe keine Gründe dargetan, die einer Kündigung nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB entgegenstünden ungeachtet dessen, dass eine solche Wertung im Anwendungsbereich des § 309 Nr. 9 Buchst. a BGB (Klauselverbot ohne Wertungsmöglichkeit) ohnehin nicht zulässig sei.</p>
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<a name="rd_13">13</a>
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<p>Soweit die Beklagte einwende, ein bloß "kurzfristiges Ausziehen" aus der Wohnung lasse eine Kündigung nicht zu, werde diesem berechtigten Interesse dadurch Rechnung getragen, dass in § 4 des Betreuervertrags auf die gesetzlichen Kündigungsfristen verwiesen werde und zudem die Möglichkeit bestehe, den Betreuervertrag nach ordnungsgemäßer Kündigung weiterzuführen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach im Rahmen des betreuten Wohnens Miet- und Betreuungsvertrag rechtmäßig aneinander gekoppelt werden könnten (Hinweis auf Senat, Urteil vom 23. Februar 2006 - III ZR 167/05, NJW 2006, 1276), sei nicht einschlägig, da § 4 des Betreuervertrags eine Kündigung ohne Aufgabe des Wohnungseigentums vorsehe, an dessen Erhalt ein schutzwürdiges Interesse des Eigentümers bestehe.</p>
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<a name="rd_14">14</a>
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<p>Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand.</p>
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<a name="rd_15">15</a>
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<p>1. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB auf Rückzahlung der im Dezember 2015 sowie im Januar und Februar 2016 abgebuchten Beträge in Höhe von insgesamt 750 €. Da der Betreuervertrag durch die Kündigung vom 26. Oktober 2015 jedenfalls gemäß § 620 Abs. 2, § 621 Nr. 3 BGB mit Ablauf des 30. November 2015 beendet wurde, kann dahinstehen, ob der Kläger, der die Erstattung der Betreuungspauschale für November 2015 nicht weiterverfolgt, darüber hinaus berechtigt war, das Vertragsverhältnis aus wichtigem Grund (§ 4 Abs. 2 des Betreuervertrags) mit sofortiger Wirkung zu beenden.</p>
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<a name="rd_16">16</a>
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<p>a) Für die Beendigung des Betreuervertrags ist das Recht des Dienstvertrags maßgeblich. Zwar sind die durch den Betreuervertrag begründeten Vertragspflichten der Beklagten nicht ausschließlich dienstvertraglicher Natur (§ 611 BGB). Vielmehr liegt ein gemischter Vertrag vor, der auch werk- und mietvertragliche Elemente enthält (z.B. Bereitstellung eines Pflegestützpunktes, eines Fitnessraumes, einer Rezeption sowie einer Telefonanlage mit Notrufsystem, Durchführung von Hausmeisterdiensten und Reparaturen). Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bildet ein gemischter Vertrag ein einheitliches Ganzes und kann deshalb bei der rechtlichen Beurteilung nicht in seine verschiedenen Bestandteile zerlegt werden. Der Eigenart des Vertrags wird grundsätzlich nur die Unterstellung unter ein einziges Vertragsrecht gerecht, nämlich dasjenige, in dessen Bereich der Schwerpunkt des Vertrags liegt (z.B. Senat, Beschluss vom 21. April 2005 - III ZR 293/04, NJW 2005, 2008, 2010; Urteile vom 8. Oktober 2009 - III ZR 93/09, NJW 2010, 150 Rn. 16; vom 12. Januar 2017 - III ZR 4/16, NJW-RR 2017, 622 Rn. 10 und vom 15. März 2018 - III ZR 126/17, NJW-RR 2018, 683 Rn. 11; BGH, Urteil vom 13. Oktober 2006 - V ZR 289/05, NJW 2007, 213 Rn. 7). Diesen Schwerpunkt hat das Berufungsgericht zutreffend und von der Revision unbeanstandet im Dienstvertragsrecht gesehen.</p>
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<a name="rd_17">17</a>
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<p>b) Ein Dienstvertrag ist ordentlich kündbar, wenn seine Dauer weder bestimmt noch aus der Beschaffenheit oder dem Zweck der Dienste zu entnehmen ist (§ 620 Abs. 2 BGB) und die Vertragsparteien das Recht auf ordentliche Kündigung nicht wirksam abbedungen haben (BGH, Urteil vom 13. Oktober 2006 aaO Rn. 8; siehe auch BeckOGK/Sutschet, BGB, § 620 Rn. 4 f, 75 [Stand: 1. August 2018]). So liegt es hier.</p>
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<a name="rd_18">18</a>
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<p>aa) Eine im Sinne von § 620 Abs. 2 Fall 1 BGB kalendermäßig bestimmte Vertragsdauer haben die Parteien nicht vereinbart. Vielmehr legt § 4 Abs. 1 des Betreuervertrags fest, dass das Vertragsverhältnis auf unbestimmte Zeit geschlossen wird.</p>
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<a name="rd_19">19</a>
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<p>bb) (1) Ist die Dauer des Dienstverhältnisses nicht nach dem Kalender bestimmt oder bestimmbar, kann sich die Vertragsdauer jedoch auch aus der Beschaffenheit oder dem Zweck der Dienste ergeben (§ 620 Abs. 2 Fall 2 und 3 BGB). So wie die kalendermäßige Bestimmung der Dauer des Dienstvertrags stets durch Vereinbarung der Parteien erfolgt, kann der Beschaffenheit oder dem Zweck der Dienste eine Bestimmung der Dauer des Dienstverhältnisses nur insoweit entnommen werden, als - gegebenenfalls nach Auslegung des Vertrags gemäß §§ 133, 157 BGB - anzunehmen ist, dass die Parteien diese Dauer vereinbaren wollten. Dabei können sie zur Umsetzung des Konzepts des betreuten Wohnens grundsätzlich festlegen, dass die Dauer des Betreuungsvertrags daran geknüpft ist, dass der jeweilige Wohnungseigentümer die Wohnung selbst nutzt (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 2006 aaO Rn. 9 f; BeckOGK/Sutschet aaO § 620 Rn. 13, 75.1).</p>
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<a name="rd_20">20</a>
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<p>(2) Für eine derartige Vereinbarung fehlen - abgesehen davon, dass eine solche im Widerspruch zu der ausdrücklichen Bestimmung in § 4 Abs. 1 des Betreuungsvertrags stünde - im vorliegenden Fall zureichende Anhaltspunkte. Der Betreuervertrag nimmt die in der Teilungserklärung festgeschriebene Verpflichtung der Wohnungseigentümer, zur Realisierung eines betreuten Wohnens im Falle der Selbstnutzung der Wohnung einen Betreuervertrag mit der Beklagten abzuschließen, nicht in Bezug. Vielmehr wird die Vertragsbeendigung autonom geregelt, indem nach Ablauf einer zweijährigen Vertragsbindung auf die gesetzlichen Kündigungsfristen verwiesen wird, ohne dass an die Aufgabe des Wohnungseigentums oder das Ende der Selbstnutzung angeknüpft wird (siehe überdies unten dd [1]).</p>
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<a name="rd_21">21</a>
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<p>(3) Unabhängig davon würde ein formularmäßiger Ausschluss der Kündigungsmöglichkeit, solange der Eigentümer die Wohnung selbst nutzt, einer Inhaltskontrolle nach § 309 Nr. 9 Buchst. a BGB nicht standhalten. Danach kann der Dienstberechtigte höchstens für einen Zeitraum von zwei Jahren vertraglich gebunden werden. Dieses Klauselverbot (ohne Wertungsmöglichkeit) erfasst nach seinem Sinn und Zweck nicht nur kalendarische Befristungen für mehr als zwei Jahre, sondern auch Verträge, deren Beendigung von einem bestimmten Ereignis abhängt (z.B. Wegfall des Vertragspartners als Wohnungseigentümer oder Aufgabe der Selbstnutzung durch den Wohnungseigentümer), sofern die Parteien nicht den Eintritt dieses Ereignisses innerhalb von zwei Jahren als sicher vorausgesetzt haben (BGH, Urteil vom 13. Oktober 2006 aaO Rn. 11; BeckOGK/Weiler, BGB, § 309 Nr. 9 Rn. 77 [Stand: 15. September 2018]). Dafür, dass die Parteien im vorliegenden Fall bei Vertragsschluss von der Aufgabe der Eigentümerstellung beziehungsweise der Selbstnutzung durch den Eigentümer innerhalb von zwei Jahren ausgegangen sind, ist nichts ersichtlich. Die Vorstellung der Parteien war vielmehr - wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat - von der Vorstellung geprägt, dass das Betreuungsverhältnis während der gesamten mehrjährigen Wohnungsnutzung durch den Eigentümer aufrechterhalten werden sollte.</p>
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<a name="rd_22">22</a>
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<p>cc) Soweit § 4 Abs. 2 des Betreuervertrags vorsieht, dass der Bewohner das Vertragsverhältnis während der ersten zwei Jahre ab Vertragsschluss nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes kündigen kann, spielt der damit angeordnete Ausschluss einer ordentlichen Kündigung nach § 620 Abs. 2, § 621 Nr. 3 BGB vorliegend keine Rolle, da diese Frist zum Zeitpunkt der Kündigung vom 26. Oktober 2015 bereits verstrichen war.</p>
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<a name="rd_23">23</a>
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<p>dd) Die Kündigung vom 26. Oktober 2015 stellt, anders als die Beklagte meint, auch keine unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) dar. Die ordentliche Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses ist zwar regelmäßig treuwidrig, wenn der Gekündigte, hier also die Beklagte, bei Beendigung des Vertrags einen Anspruch auf Neuabschluss hätte (BGH, Urteil vom 13. Oktober 2006 aaO Rn. 14 mwN). So liegt der Fall hier aber nicht.</p>
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<a name="rd_24">24</a>
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<p>(1) Nach § 16 Abs. 1 Satz 2 der Teilungserklärung besteht die Verpflichtung zum Abschluss eines Betreuungsvertrags nur, wenn der Eigentümer die Wohnung selbst nutzt. Dementsprechend entfällt gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 der Teilungserklärung die Verpflichtung zum Abschluss eines Betreuungsvertrags, solange die Wohnung von dem Eigentümer nicht benutzt wird oder vermietet ist. Der Eigentümer, der seine Wohnung - möglicherweise auch nur vorübergehend - nicht selbst nutzt, unterliegt somit keinem Kontrahierungszwang. Dies traf auf den Kläger zu, da er ab dem 2. Oktober 2015 auf Grund gesonderten Heimvertrags in einer anderen Pflegeeinrichtung vollstationär untergebracht und ihm eine Benutzung seiner Wohnung aus gesundheitlichen Gründen überhaupt nicht möglich war. Entgegen der in der mündlichen Verhandlung des Senats vorgetragenen Auffassung der Revision wird die Aufgabe der Selbstnutzung der Wohnung durch den Kläger nicht dadurch in Frage gestellt, dass er diese während seiner Abwesenheit nicht von seinen Möbeln räumte. Die an die Nutzung der Wohnung gekoppelte Verpflichtung in der Teilungserklärung zum Abschluss eines Vertrags über Betreuerleistungen ergibt nur Sinn, wenn diese dem Bewohner gegenüber - von kurzen, etwa urlaubsbedingten Unterbrechungen abgesehen - persönlich erbracht werden können.</p>
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<a name="rd_25">25</a>
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<p>(2) § 242 BGB greift aber auch deshalb nicht ein, weil ein Kontrahierungszwang der Wohnungseigentümer zum Abschluss eines Betreuungsvertrags mit einer Laufzeit von mehr als zwei Jahren einseitig von dem teilenden Eigentümer in der Teilungserklärung nicht wirksam angeordnet werden kann.</p>
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<a name="rd_26">26</a>
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<p>(a) Nach § 309 Nr. 9 Buchst. a BGB kann der Dienstberechtigte durch vorformulierte Verträge höchstens für zwei Jahre gebunden werden. Daran anknüpfend hat der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entschieden, dass sich daraus auch eine zeitliche Höchstdauer für die in einer Teilungserklärung begründeten Gebrauchsregelungen nach § 10 Abs. 2 Satz 2 WEG ergibt, mit denen eine Verpflichtung sämtlicher Wohnungseigentümer festgeschrieben wird, einen Betreuungsvertrag abzuschließen (Urteile vom 13. Oktober 2006 aaO Rn. 15, 17 und vom 21. Dezember 2012 - V ZR 221/11, NJW 2013, 1963 Rn. 29). Die einseitige Vorgabe einer dauerhaften, mehr als zweijährigen Bindung an ein bestimmtes Betreuungsunternehmen ohne die Möglichkeit, Einzelheiten auszuhandeln, beschneide in nicht hinnehmbarer Weise die rechtliche Stellung der Wohnungseigentümer sowie ihre Entscheidungsfreiheit und stelle eine unangemessene Benachteiligung dar (Urteil vom 13. Oktober aaO Rn. 17). Dies gelte auch dann, wenn die Wohnungen in der Anlage nur zum Zwecke des betreuten Wohnens genutzt werden dürften. Da das Gesetz für den Bereich des betreuten Wohnens keine Sonderregelung enthalte, sei das zeitliche Höchstmaß jedenfalls für vorformulierte, von den Wohnungseigentümern abzuschließende Betreuungsverträge nach der für Dienstverträge geltenden Vorschrift in § 309 Nr. 9 Buchst. a BGB zu bestimmen (Urteile vom 13. Oktober 2006 aaO und vom 21. Dezember 2012 aaO). Dabei könne offenbleiben, ob von dem teilenden Eigentümer einseitig gesetzte Bestimmungen in der Teilungserklärung der Inhaltskontrolle in entsprechender Anwendung der §§ 307 ff BGB oder - unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls - anhand des Maßstabs von Treu und Glauben (§ 242 BGB) unterlägen. Beide Standpunkte führten regelmäßig zu demselben Ergebnis (Urteil vom 13. Oktober 2006 aaO Rn. 15-17).</p>
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<a name="rd_27">27</a>
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<p>(b) Auch nach Auffassung des erkennenden Senats hält ein Kontrahierungszwang, durch den die Wohnungseigentümer - wie hier - zum Abschluss von Betreuungsverträgen mit einer Bindung von mehr als zwei Jahren verpflichtet werden sollen, wenn sie die Wohnung selbst nutzen, und der den einzelnen Wohnungseigentümern beziehungsweise der Wohnungseigentümergemeinschaft keine angemessenen Spielräume für eine interessengerechte Ausgestaltung der Verträge einräumt, einer Inhaltskontrolle weder am Maßstab des § 309 Nr. 9 Buchst. a BGB noch unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) stand.</p>
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<a name="rd_28">28</a>
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<p>(aa) Dass die entsprechende Anwendung von § 309 Nr. 9 Buchst. a BGB die Unwirksamkeit eines derartigen Kontrahierungszwangs zur Folge hat, liegt auf der Hand (siehe oben 1 b bb [3]) und bedarf an dieser Stelle keiner weiteren Ausführungen mehr. Das Klauselverbot sieht keine Wertungsmöglichkeit vor, so dass es nicht darauf ankommt, ob eine über zwei Jahre hinausreichende Vertragsbindung bei einem anerkennenswerten Interesse an einer längeren Vertragsdauer ausnahmsweise gebilligt werden könnte (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 2006 aaO Rn. 12,16).</p>
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<a name="rd_29">29</a>
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<p>(bb) Könnte der teilende Eigentümer (Bauträger) diejenigen Wohnungseigentümer, die die Wohnung selbst nutzen, über viele Jahre hinweg an ein bestimmtes Betreuungsunternehmen binden, wäre dies eine unangemessene Benachteiligung, die der einzelne Eigentümer auch nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht hinnehmen muss. Hierin läge eine erhebliche Verschlechterung seiner Rechtsstellung. Der einzelne Eigentümer könnte sich von dem Betreuungsvertrag durch ordentliche Kündigung nur bei Veräußerung seines Eigentums oder wenigstens Aufgabe der Selbstnutzung der Wohnung lösen. Im Übrigen stünde ihm nur die Kündigung aus wichtigem Grund (§§ 314, 626 BGB) zur Verfügung. Diese ist jedoch von besonderen Voraussetzungen abhängig und erfordert, dass dem Kündigenden die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht zugemutet werden kann (§ 314 Abs. 1 Satz 2, § 626 Abs. 1 BGB; siehe auch Senat, Urteile vom 11. November 2010 - III ZR 57/10, NJW-RR 2011, 916 Rn. 9 und vom 7. März 2013 - III ZR 231/12, NJW 2013, 2021 Rn. 17; jeweils mwN). Damit wird die überlange Vertragsbindung gerade nicht beseitigt (BeckOGK/Weiler aaO Rn. 69). Dem Dienstberechtigten (Eigentümer) bliebe nur, für vom Dienstverpflichteten (Betreuungsunternehmen) nicht oder in unbrauchbarer Form geleistete (nicht nachholbare) Dienste keine Vergütung zu zahlen (§§ 614, 320, 326 Abs. 1 BGB) oder, sofern der Dienstverpflichtete die Unmöglichkeit der Dienstleistung zu vertreten hat, Schadensersatzansprüche nach § 280 Abs. 1 BGB gegebenenfalls in Verbindung mit § 283 BGB geltend zu machen (vgl. Senat, Urteil vom 23. Februar 2006 - III ZR 167/05, NJW 2006, 1276 Rn. 18). Unberücksichtigt bliebe dabei jedoch sein wegen des personalen Bezugs der Betreuungsleistungen gesteigertes Bedürfnis, sich von dem Betreuungsunternehmen trennen zu können, wenn dessen Leistungen zwar möglicherweise nicht mangelhaft beziehungsweise unbrauchbar sind, aber seinen Erwartungen nicht entsprechen oder die persönliche Vertrauensgrundlage gestört ist (vgl. BGH, Urteile vom 13. Oktober 2006 - V ZR 289/05, NJW 2007, 213 Rn. 17 und vom 21. Dezember 2012 - V ZR 221/11, NJW 2013, 1963 Rn. 30).</p>
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<p>(cc) Diesen erheblichen Beeinträchtigungen der Belange des Dienstberechtigten stehen für das beklagte Pflegeunternehmen von vornherein kalkulierbare Risiken gegenüber. Dem anerkennenswerten Interesse, eine stetige Grundbetreuung und angemessene Finanzierbarkeit des Gesamtkonzepts zu gewährleisten (siehe dazu Senat, Urteil vom 23. Februar 2006 aaO Rn. 15; BGH, Urteil vom 13. Oktober 2006 aaO Rn. 17), wird durch eine zweijährige Vertragsbindung unter Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung hinreichend Rechnung getragen (§ 4 Abs. 2, 3 des Betreuervertrags). Damit wird für neu abgeschlossene Betreuungsverträge eine gewisse Kontinuität sichergestellt. Finanzielle Risiken, die sich durch Kündigungen und damit einhergehende Leerstände ergeben, können bei der Berechnung der Betreuungsentgelte von vornherein kalkulatorisch berücksichtigt werden. Es verbleibt auch die Möglichkeit der Anpassung der Betreuungspauschalen (vgl. Pauly, ZMR 2008, 864, 866).</p>
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<p>c) Soweit die Revision geltend macht, im Hinblick auf die Inanspruchnahme des Gemeinschaftseigentums durch das Pflegeunternehmen und zur wirtschaftlichen Sicherstellung des Konzepts des betreuten Wohnens seien die Teilungserklärung und der Betreuervertrag dahin auszulegen, dass allein die Eigentümergemeinschaft (beziehungsweise die Gesamtheit der Eigentümer) die Bindung an das Betreuungsunternehmen durch Kündigung lösen könne, vermag der Senat sich dem nicht anzuschließen. Dies käme allenfalls dann in Betracht, wenn nicht der einzelne Wohnungseigentümer, sondern die Wohnungseigentümergemeinschaft als solche den Betreuungsvertrag abgeschlossen hätte. Daran fehlt es hier. Dem streitigen Betreuervertrag beziehungsweise der Teilungserklärung können auch keine Anhaltspunkte dafür entnommen werden, dass die Betreuungsverträge der einzelnen Wohnungseigentümer im Sinne eines einheitlichen Geschäfts rechtlich verbunden sind (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 2006 aaO Rn. 20; siehe auch Senat, Urteil vom 23. Februar 2006 - III ZR 167/05, NJW 2006, 1276 Rn. 15; BGH, Urteil vom 30. Oktober 2013 - XII ZR 113/12, BGHZ 198, 337 Rn. 29; Beschluss vom 16. September 2003 - VIII ZR 186/03, NJW-RR 2004, 160 zur "Koppelung" von Mietvertrag und Betreuungsleistungen). Vielmehr bestimmt § 4 Abs. 3 des Vertrags ausdrücklich, dass dem Bewohner nach Ablauf der zweijährigen Vertragsbindung ein individuelles Kündigungsrecht unter Wahrung der gesetzlichen Kündigungsfristen zusteht.</p>
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<p>2. Die Rüge der Beklagten, die Vorinstanzen seien zu Unrecht von einem Anspruch des Klägers auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 € ausgegangen, ist unbegründet. Dabei wird übersehen, dass die Beklagte der geltend gemachten 1,3-Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG für die vorgerichtliche Beauftragung eines Rechtsanwalts zur Anspruchsdurchsetzung weder in der Klageerwiderung noch in der Berufungsbegründung entgegengetreten ist. In der Klageerwiderung nimmt sie sogar - worauf die Revisionserwiderung zu Recht hinweist - ausdrücklich auf im Dezember 2015 mit dem klägerischen Anwalt geführte Korrespondenz Bezug, aus der sich ergibt, dass die Beklagte zu keinem Zeitpunkt zu Rückzahlungen bereit war und lediglich die Vertragsauflösung für die Zukunft anbot. Bei dieser Sachlage hat das Berufungsgericht den Freistellungsanspruch hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren zu Recht auf § 280 Abs. 1, 2 BGB gestützt. Angesichts der Leistungsverweigerung der Beklagten (§ 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB) war die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts zur Durchsetzung und Wahrnehmung der Rechte des Klägers erforderlich und zweckmäßig.</p>
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<p style="text-align:left">      </p>
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<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Tombrink     </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Remmert</p>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Reiter     </p>
</td>
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<p style="text-align:left">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Pohl      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">      </p>
</td>
</tr>
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178,097 | bgh-2019-01-10-iii-zr-32517 | {
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} | III ZR 325/17 | 2019-01-10T00:00:00 | 2019-02-01T13:09:21 | 2019-02-01T13:09:21 | Urteil | ECLI:DE:BGH:2019:100119UIIIZR325.17.0 | <h2>Tenor</h2>
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<p>Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth - 11. Zivilkammer - vom 19. Oktober 2017 wird zurückgewiesen.</p>
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<p>Der Beklagte hat die Kosten des Revisionsrechtszugs zu tragen.</p>
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<p>Von Rechts wegen</p>
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<h2>Tatbestand</h2>
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<p>Die Klägerin, ein privates Krankenversicherungsunternehmen, nimmt den beklagten Arzt aus abgetretenem Recht auf Honorarrückzahlung in Anspruch.</p>
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<p>Der Beklagte betreibt als niedergelassener Arzt eine Praxis für Neurochirurgie. Zugleich war er im Jahr 2013 als Honorararzt im St. Th.     -Krankenhaus in N.      tätig, ohne dass eine Anstellung oder Verbeamtung als Krankenhausarzt erfolgte. Dort operierte er die bei der Klägerin privat krankenversicherten Patienten H.   P.    (stationärer Aufenthalt vom 13. bis 17. Mai 2013) und A.   B.    (stationärer Aufenthalt vom 13. bis 20. Dezember 2013) jeweils an der Wirbelsäule.</p>
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<p>Unter dem 13. Mai 2013 schlossen der Patient P.    und die St. Th.    -Krankenhaus N.     , Gemeinnützige GmbH als Krankenhausträgerin eine schriftliche Vereinbarung über die Erbringung ärztlicher Wahlleistungen. Für den Fachbereich Neurochirurgie wurde der Beklagte handschriftlich als Wahlarzt eingetragen. Die Patientin B.   unterschrieb am 15. Dezember 2013 eine entsprechende Wahlleistungsvereinbarung. Allerdings erfolgte hinsichtlich des Fachbereichs Neurochirurgie keine Eintragung eines Wahlarztes. In beiden Fällen kreuzten die Patienten hinsichtlich des Gegenstands der gesondert berechenbaren Wahlleistungen folgenden Formulartext an:</p>
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<p style="margin-left:36pt">"die ärztlichen Leistungen aller an der Behandlung beteiligten Ärzte des Krankenhauses, soweit diese zur gesonderten Berechnung ihrer Leistungen berechtigt sind, einschließlich der von diesen Ärzten veranlassten Leistungen von Ärzten oder ärztlich geleiteten Einrichtungen außerhalb des Krankenhauses (hierzu gehören auch die unter Punkt 3 der Hinweise genannten Einrichtungen), …"</p>
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<a name="rd_4">4</a>
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<p>Das vom St.-Th.     -Krankenhaus verwendete Textformular enthält auf der Vorderseite ferner folgende "Hinweise":</p>
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<p style="margin-left:36pt">"Bei der Inanspruchnahme der Wahlleistung ‚ärztliche Leistungen‘ kann die Wahl nicht auf einzelne Ärzte des Krankenhauses beschränkt werden (§ 22 Abs. 3 BPflV, § 17 KHEntgG). Eine Vereinbarung über wahlärztliche Leistungen erstreckt sich auf alle an der Behandlung des Patienten beteiligten Ärzte des Krankenhauses, soweit diese zur gesonderten Berechnung ihrer Leistungen im Rahmen der stationären sowie einer vor- und nachstationären Behandlung (§ 115a SGB V) berechtigt sind, einschließlich der von diesen Ärzten veranlassten Leistungen von Ärzten und ärztlich geleiteten Einrichtungen außerhalb des Krankenhauses (hierzu gehören auch die unter Punkt 3 der Hinweise genannten Einrichtungen) …</p>
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<p style="margin-left:36pt">…</p>
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<p style="margin-left:36pt">Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Kardiologische Gemeinschaftspraxis Dres. …, das Radiologisch-Nuklearmedizinische Zentrum und die Strahlentherapiepraxis Dr. … selbständige Apparategemeinschaften und Gemeinschaftspraxen in den Räumen bzw. auf dem Gelände des Krankenhauses nach einer Sonderstellung des Modells Bayern III betreiben. Dennoch handelt es sich um örtlich getrennte, wirtschaftlich selbständige Einrichtungen mit eigenen Gerätschaften und eigenem Personal. Die Praxen bzw. Apparategemeinschaften sind kein Bestandteil unseres Krankenhauses. Gleiches gilt für sonstige fremde Einrichtungen außerhalb des St.-Th.      -Krankenhauses, wie z.B. auch die Neurochirurgiepraxis Dr. B.        [Beklagter], Laborgemeinschaften, andere Kliniken, Fachärzte und andere."</p>
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<p>Der Beklagte rechnete gegenüber dem Patienten P.     einen Betrag von 1.296,39 € ab. Der Patientin B.   stellte er 1.359,80 € in Rechnung. Die Patienten beglichen die Rechnungen. Die Klägerin erstattete daraufhin den Patienten den jeweiligen Rechnungsbetrag gegen Abtretung etwaiger Rückforderungsansprüche gegen den Beklagten.</p>
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<p>Die Klägerin hat geltend gemacht, der Beklagte habe Wahlleistungen nicht abrechnen dürfen, weil er am St.-Th.     -Krankenhaus weder angestellt noch verbeamtet gewesen sei. In beiden Fällen sei der Kreis der nach § 17 Abs. 3 Satz 1 des Krankenhausentgeltgesetzes (KHEntgG) liquidationsberechtigten Wahlärzte unzulässig erweitert worden. § 17 Abs. 3 Satz 1 KHEntgG lege den Kreis der liquidationsberechtigten Wahlärzte abschließend fest.</p>
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<p>Das Amtsgericht hat den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von 2.656,19 € nebst Zinsen verurteilt. Seine Berufung hat keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision erstrebt er die Abweisung der Klage.</p>
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<h2>Entscheidungsgründe</h2>
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<a name="rd_8">8</a>
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<p>Die Revision des Beklagten hat keinen Erfolg.</p>
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<p>Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:</p>
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<p>Das Amtsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass der Klägerin ein Honorarrückforderungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, § 398 BGB gegen den Beklagten zustehe. Beide Wahlleistungsvereinbarungen seien gemäß § 134 BGB nichtig, da sie den Kreis der in Betracht kommenden Wahlärzte unzulässig erweiterten. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs lege § 17 Abs. 3 Satz 1 KHEntgG den Kreis der liquidationsberechtigten Wahlärzte abschließend fest. Es handele sich um eine dem Schutz des Privatpatienten dienende preisrechtliche Norm. Indem der Kreis der liquidationsberechtigten Ärzte positiv beschrieben werde, werde zugleich negativ geregelt, dass anderen Ärzten, insbesondere selbständigen Honorarärzten, ein Liquidationsrecht nicht zustehe (Hinweis auf Senatsurteil vom 16. Oktober 2014 - III ZR 85/14, BGHZ 202, 365). Dies gelte auch dann, wenn der Honorararzt in der Wahlleistungsvereinbarung ausdrücklich als Wahlarzt benannt werde. Auch mit Blick auf das Grundrecht aus Art. 12 GG sei keine andere Auslegung geboten. Denn der Honorararzt erhalte für seine Leistung eine Honorierung vom Krankenhausträger, deren Höhe das Ergebnis freier Vertragsverhandlungen sei (Hinweis auf BVerfG, MedR 2015, 591 = NZS 2015, 502).</p>
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<p>Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision stand.</p>
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<a name="rd_12">12</a>
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<p>Die Versicherungsnehmer der Klägerin schuldeten keine gesonderte Vergütung für die erbrachten ärztlichen Leistungen. Der Beklagte ist deshalb gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 in Verbindung mit § 398 BGB zur Rückzahlung des ohne Rechtsgrund erhaltenen Honorars verpflichtet.</p>
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<a name="rd_13">13</a>
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<p>1. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen, die von der Revision nicht in Frage gestellt werden, hat der Beklagte seine ärztlichen Leistungen im St.-Th.      -Krankenhaus als so genannter Honorararzt erbracht. Darunter ist ein (Fach-)Arzt zu verstehen, der auf Grund eines Dienstvertrags im stationären und/oder ambulanten Bereich des Krankenhauses ärztliche Leistungen für den Krankenhausträger erbringt, ohne bei diesem angestellt oder als Beleg- oder Konsiliararzt tätig zu sein. Für diese Leistung erhält er eine Honorierung vom Krankenhausträger, deren Höhe das Ergebnis freier Vertragsverhandlungen ist, unabhängig von den Vorgaben der Gebührenordnung für Ärzte vereinbart wird und mangels Anstellung des Honorararztes keinen tarifvertraglichen Bindungen unterliegt (Senat, Urteile vom 12. November 2009 - III ZR 110/09, BGHZ 183, 143 Rn. 8 ff und vom 16. Oktober 2014 - III ZR 85/14, BGHZ 202, 365 Rn. 14; BVerfG, NZS 2015, 502 Rn. 14; jeweils mwN).</p>
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<a name="rd_14">14</a>
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<p>2. Durch die Wahlleistungsvereinbarung vom 13. Mai 2013 zwischen dem Patienten P.   und der Krankenhausträgerin wurde kein eigenes Liquidationsrecht des Beklagten begründet. Seine Benennung als Wahlarzt ist mit § 17 Abs. 3 Satz 1 KHEntgG unvereinbar und deshalb gemäß § 134 BGB nichtig.</p>
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<a name="rd_15">15</a>
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<p>a) Gemäß § 1 Abs. 1 KHEntgG werden die voll- und teilstationären Leistungen der so genannten DRG-Krankenhäuser (Abrechnung der allgemeinen Krankenhausleistungen hauptsächlich nach Fallpauschalen, siehe § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG) nach dem Krankenhausentgeltgesetz und dem Krankenhausfinanzierungsgesetz vergütet. Unter den Oberbegriff der Krankenhausleistungen fallen allgemeine Krankenhausleistungen und Wahlleistungen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 KHEntgG). Detailregelungen zu den ärztlichen und nichtärztlichen Wahlleistungen enthält § 17 KHEntgG. Danach kann ein Patient unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 bis 3 KHEntgG eine Vereinbarung über die Inanspruchnahme wahlärztlicher Leistungen mit dem Krankenhausträger treffen. Die "Wahlleistung Arzt" hat zum Gegenstand, dass dem Patienten - gegen Zahlung eines zusätzlichen Honorars - die Behandlung durch bestimmte leitende oder besonders qualifizierte Ärzte ("Chefarztbehandlung") in jedem Fall zuteil wird, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen notwendig oder zweckmäßig ist (Senat, Urteile vom 19. Februar 1998 – III ZR 169/97, BGHZ 138, 91, 96; vom 20. Dezember 2007 - III ZR 144/07, BGHZ 175, 76 Rn. 7; vom 16. Oktober 2014 aaO Rn. 16; vom 14. Januar 2016 - III ZR 107/15, NJW 2016, 3027 Rn. 20 und vom 19. April 2018 - III ZR 255/17, NJW 2018, 2117 Rn. 25). Die Begrenzung von ärztlichen Wahlleistungen auf einen bestimmten Wahlarzt ist rechtlich nicht möglich. Gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 KHEntgG erstreckt sich eine Vereinbarung über wahlärztliche Leistungen auf alle an der Behandlung des Patienten beteiligten angestellten oder beamteten Ärzte des Krankenhauses, soweit diese zur gesonderten Berechnung ihrer Leistungen im Rahmen der voll- und teilstationären Behandlung sowie einer vor- und nachstationären Behandlung (§ 115a SGB V) berechtigt sind (sog. interne Wahlarzt- oder Liquidationskette). Einbezogen werden ferner von diesen Ärzten veranlasste Leistungen von Ärzten und ärztlich geleiteten Einrichtungen außerhalb des Krankenhauses (§ 17 Abs. 3 Satz 1 letzter Halbsatz KHEntgG; sog. externe Wahlarzt- oder Liquidationskette; vgl. Spickhoff/Starzer, Medizinrecht, 3. Aufl., § 17 KHEntgG Rn. 11; Bender, GesR 2013, 449, 450; Jenschke, GesR 2015, 136, 137).</p>
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<p>b) Von der in § 17 Abs. 3 Satz 1 KHEntgG normierten Wahlarztkette werden somit nicht alle an der Behandlung beteiligten Ärzte, sondern nur bestimmte Ärzte erfasst. Der Beklagte fällt als Honorararzt nicht darunter.</p>
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<a name="rd_17">17</a>
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<p>Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 17 Abs. 3 Satz 1 KHEntgG erstreckt sich eine Wahlleistungsvereinbarung, deren wirksamer Abschluss Grundlage für die Abrechnung wahlärztlicher Leistungen ist (dazu Senatsurteil vom 19. Februar 1998 aaO S. 97 f), auf angestellte und beamtete Krankenhausärzte, denen der Krankenhausträger das Liquidationsrecht eingeräumt hat. Zu dieser Gruppe von Ärzten zählt der Beklagte nicht, weil er als Inhaber einer Praxis für Neurochirurgie eine selbständige Tätigkeit ausübt und die Leistungserbringung im St. Th.    -Krankenhaus weder im Rahmen eines Anstellungs- noch eines Beamtenverhältnisses erfolgte (vgl. Senat, Urteil vom 16. Oktober 2014 aaO Rn. 19; BVerfG, NZS 2015, 502 Rn. 23). Darüber hinaus war der Beklagte zum Zeitpunkt der hier maßgeblichen stationären Behandlungen auch nicht Teil der externen Wahlarztkette (§ 17 Abs. 3 Satz 1 letzter Halbsatz KHEntgG). Mit Durchführung der Operationen im St. Th.     -Krankenhaus hat er planmäßig die Hauptbehandlungsleistung als Erfüllungsgehilfe des Krankenhausträgers mit den von diesem bereitgestellten Ressourcen erbracht. Zudem hat er seine ärztlichen Leistungen nicht "auf Veranlassung" eines angestellten oder beamteten Krankenhausarztes mit eigener Liquidationsberechtigung (interner Wahlarzt) ausgeführt (vgl. Senat aaO Rn. 20; Bender aaO S. 450).</p>
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<p>c) Die Zulässigkeit der Erbringung von Wahlleistungen durch Honorarärzte ergibt sich auch nicht aus der Regelung des § 17 Abs. 1 Satz 2 KHEntgG. Diagnostische und therapeutische Leistungen dürfen danach als Wahlleistungen gesondert berechnet werden, wenn die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG vorliegen und die Leistungen von "einem Arzt" erbracht werden, ohne dass dieser beim Krankenhaus angestellt oder verbeamtet sein muss. Die Vorschrift hat jedoch nur den Ausschluss von Leistungen nichtärztlichen Personals, wie von Chemikern oder Biologen, zum Gegenstand (BVerfG, aaO). Die Frage, auf welche Ärzte sich die Wahlleistungsvereinbarung erstrecken kann, ist in § 17 Abs. 3 Satz 1 KHEntgG spezialgesetzlich geregelt (Senat aaO Rn. 21; BVerfG aaO; Bender aaO).</p>
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<p>d) Durch die Benennung als Wahlarzt für den Fachbereich Neurochirurgie in der Wahlleistungsvereinbarung vom 13. Mai 2013 wurde kein eigenes Liquidationsrecht des Beklagten begründet. § 17 Abs. 3 Satz 1 KHEntgG legt den Kreis der liquidationsberechtigten Wahlärzte abschließend fest und schließt die Abrechnung wahlärztlicher Leistungen durch Honorarärzte aus (Senat, Urteile vom 16. Oktober 2014 aaO Rn. 23 und vom 19. April 2018 - III ZR 255/17, NJW 2018, 2117 Rn. 24; BVerfG aaO Rn. 23 f). Eine dagegen verstoßende Wahlleistungsvereinbarung ist gemäß § 134 BGB nichtig.</p>
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<p>aa) Die hier gegebene Konstellation ist allerdings bislang höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt.</p>
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<p>(1) Zwar hat der Senat mit Grundsatzurteil vom 16. Oktober 2014 (III ZR 85/14, BGHZ 202, 365; siehe dazu BVerfG, NZS 2015, 502) entschieden, dass § 17 Abs. 3 Satz 1 KHEntgG den Kreis der liquidationsberechtigten Wahlärzte abschließend festlegt und eine Wahlleistungsvereinbarung mit dem Krankenhausträger beziehungsweise eine gesonderte Vergütungsvereinbarung mit dem behandelnden Honorararzt, die davon abweichen, gemäß § 134 BGB nichtig sind. Begründet wurde dies nicht nur mit dem eindeutigen Wortlaut des § 17 Abs. 3 Satz 1 KHEntgG, der die Abrechnung wahlärztlicher Leistungen durch selbständige Honorarärzte nicht vorsieht, sondern auch im Hinblick auf den Sinn und Zweck einer Wahlleistungsvereinbarung, die Gesetzessystematik sowie die Entstehungsgeschichte der Norm (Senat aaO Rn. 24-30). Dem Urteil lag jedoch ein Fall zugrunde, in dem die Patientin neben einer Wahlleistungsvereinbarung mit dem Krankenhausträger einen gesonderten Privatbehandlungsvertrag mit dem Honorararzt abgeschlossen hatte, ohne dass dieser in der Wahlleistungsvereinbarung als Wahlarzt oder "gewünschter" Stellvertreter namentlich benannt wurde (aaO Rn. 3 f, 18). Der Senat hat sich deshalb folgerichtig nicht mit der hier streitigen Frage befasst, ob ein Honorararzt in der Wahlleistungsvereinbarung zwischen Krankenhausträger und Patienten als Wahlarzt bestimmt werden und in dieser Eigenschaft Leistungen abrechnen kann. Tragend entschieden wurde lediglich, dass der Honorararzt nicht in die Gruppe von Ärzten fällt, die zwar nicht in der Wahlleistungsvereinbarung genannt werden, auf die sich die Vereinbarung aber nach § 17 Abs. 3 Satz 1 KHEntgG "erstreckt", und dass die Abrechnung wahlärztlicher Leistungen nicht in Umgehung des § 17 KHEntgG durch privatärztlichen Vertrag zwischen Honorararzt und Patienten vereinbart werden kann (siehe auch BVerfG aaO Rn. 20).</p>
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<p>(2) Zu der offen gebliebenen Frage der ausdrücklichen Bestimmung eines Honorararztes als Wahlarzt in der der Behandlung zugrunde liegenden Wahlleistungsvereinbarung werden im Schrifttum unterschiedliche Auffassungen vertreten.</p>
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<p>(a) Zum Teil wird der Anwendungsbereich des § 17 Abs. 3 Satz 1 KHEntgG dahingehend eingeschränkt, die Vorschrift regele nur die Erstreckungswirkung der Wahlleistungsvereinbarung auf angestellte oder beamtete Ärzte des Krankenhauses, enthalte aber keine Aussage darüber, wer in der Vereinbarung als Wahlarzt benannt werden könne. Maßgeblich für diese Frage sei allein § 17 Abs. 1 und 2 KHEntgG. Darin finde sich die Beschränkung auf "angestellte oder beamtete Ärzte des Krankenhauses" nicht. Solange die allgemeinen Krankenhausleistungen nicht beeinträchtigt würden und der Patient mit einem konkreten Angebot einverstanden sei, könnten die vereinbarten Wahlleistungen gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG gesondert berechnet werden. Eine weitere, konkretere "Ermächtigungsgrundlage" sei nicht erforderlich (z.B. Penner/Nolden, ZGMR 2012, 417; Theodoridis, ZMGR 2015, 125, 126). Letztlich müsse das Patienteninteresse den Ausschlag geben und nicht die dienst(vertrags)rechtliche Bindung des die Leistung erbringenden Arztes zum Krankenhaus. Könne dieses auf einen Honorararzt zurückgreifen, der noch höher spezialisiert und besser qualifiziert als beispielsweise der Chefarzt sei, so liege es im besonderen Patienteninteresse, dass die Leistung durch diesen Arzt erbracht werde (Jenschke aaO S. 139).</p>
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<p>(b) Diesen Ansätzen wird entgegengehalten, es handele sich um bloße "Umgehungsstrategien", die mit der Senatsrechtsprechung zum abschließenden Charakter des § 17 Abs. 3 Satz 1 KHEntgG unvereinbar seien. Der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei die strikte Tendenz zu entnehmen, dass die namentliche Benennung eines Honorararztes als Wahlarzt zur Nichtigkeit der Wahlleistungsvereinbarung gemäß § 134 BGB führe (z.B. Rehborn in Huster/Kaltenborn, Krankenhausrecht, 2. Aufl., § 14 Rn. 117c; Makoski, GuP 2015, 103, 105 und JR 2016, 137, 142). Die Regelungen in § 17 Abs. 1 und 3 KHEntgG könnten nicht isoliert voneinander betrachtet werden, sondern müssten stets im Verbund erfüllt sein (Göbel, VersR 2015, 809, 810).</p>
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<p>bb) Der Senat entscheidet die Streitfrage nunmehr in dem Sinne, dass § 17 Abs. 3 Satz 1 KHEntgG als zwingende preisrechtliche Schutzvorschrift zugunsten des Patienten nicht nur einer Honorarvereinbarung entgegensteht, die der Honorararzt unmittelbar mit dem Patienten abschließt (Senat, Urteil vom 16. Oktober 2014 aaO Rn. 23), sondern auch verbietet, den Honorararzt in der Wahlleistungsvereinbarung als "originären" Wahlarzt zu benennen. Derartige Vereinbarungen sind gemäß § 134 BGB nichtig.</p>
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<p>(1) § 17 Abs. 3 Satz 1 KHEntgG ist seinem Wortlaut nach eindeutig nur auf (liquidationsberechtigte) angestellte oder verbeamtete Krankenhausärzte sowie Ärzte, die auf Veranlassung eines angestellten oder verbeamteten Krankenhausarztes (mit eigenem Liquidationsrecht) Leistungen erbringen, anwendbar. Die Möglichkeit der Erweiterung des Anwendungsbereichs auf Honorarärzte, die auf Veranlassung des Krankenhausträgers die ärztliche Hauptleistung im Krankenhaus erbringen, ergibt sich aus dem Wortlaut nicht (BVerfG, NZS 2015, 502 Rn. 23). Die Vorschrift beschreibt einerseits den Kreis der liquidationsberechtigten Ärzte positiv, indem sie anordnet, dass sich eine mit dem Krankenhausträger getroffene Vereinbarung über wahlärztliche Leistungen auf den gesetzlich bestimmten Personenkreis erstreckt. Andererseits werden dadurch zugleich in negativer Hinsicht andere Ärzte - darunter auch Honorarärzte - von der Wahlarztkette ausgeschlossen (Senat, Urteil vom 16. Oktober 2014 aaO Rn. 24). Damit ist der Kreis der liquidationsberechtigten Wahlärzte abschließend bestimmt. Der dem Schutz des Privatpatienten dienende preisrechtliche Regelungsgehalt der Vorschrift wäre in Frage gestellt, wenn die Liquidationsberechtigung durch die Aufnahme von im Krankenhaus tätigen Honorarärzten in die Wahlleistungsvereinbarung frei geregelt werden könnte.</p>
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<p>(2) Entgegen der Auffassung der Revision kann die Erbringung und Abrechnung von ärztlichen Wahlleistungen durch Honorarärzte nicht auf den Wortlaut des § 17 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG gestützt werden. Aus dieser Norm folgt lediglich zum einen, dass (ärztliche und nichtärztliche) Wahlleistungen sich von den allgemeinen Krankenhausleistungen im Sinne des § 2 Abs. 2 KHEntgG unterscheiden müssen und diese nicht beeinträchtigen dürfen. Darüber hinaus bestimmt § 17 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG nur das Erfordernis einer wirksamen Wahlleistungsvereinbarung zwischen dem Krankenhausträger und dem Patienten. Demgegenüber werden die Modalitäten und die Abrechnung der "Wahlleistung Arzt" ausschließlich in § 17 Abs. 3 KHEntgG geregelt. Dies gilt namentlich für die Frage, welche Ärzte als Wahlarzt benannt werden können beziehungsweise auf welchen Personenkreis sich die Vereinbarung wahlärztlicher Leistungen erstreckt (vgl. Senat, Urteile vom 16. Oktober 2014 aaO Rn. 16, 23 und vom 19. April 2018 aaO Rn. 24; siehe auch Spickhoff/Starzer aaO Rn. 11 ff; Bender aaO S. 450).</p>
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<a name="rd_28">28</a>
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<p>(3) Wie der Senat in dem Urteil vom 16. Oktober 2014 näher ausgeführt hat (aaO Rn. 29-31), lässt sich auch aus der Entstehungsgeschichte des § 17 Abs. 3 Satz 1 KHEntgG sowie seiner Vorläuferregelungen in den verschiedenen Fassungen der Bundespflegesatzverordnung (§ 6 Satz 4 BPflV 1973, § 7 Abs. 3 Satz 1 BPflV 1986, § 22 Abs. 3 Satz 1 BPflV 1995) ableiten, dass der Gesetzgeber den Kreis der liquidationsberechtigten Wahlärzte durch die Beschränkung auf angestellte oder beamtete Krankenhausärzte (mit eigenem Liquidationsrecht) beziehungsweise auf von diesen veranlasste Leistungen externer Ärzte abschließend festlegen und zu keinem Zeitpunkt Drittärzten - ohne Veranlassung durch einen internen Wahlarzt - ein eigenes Liquidationsrecht einräumen wollte. Die Gesetzgebungsgeschichte belegt, dass der Gesetzgeber den Kreis der liquidationsberechtigten Wahlärzte kontinuierlich eingeengt hat (vgl. auch BR-Drucks. 596/72 S. 11, BR-Drucks. 269/84 S. 12, BR-Drucks. 381/94 S. 39, BT-Drucks. 14/6893, S. 46).</p>
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<a name="rd_29">29</a>
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<p>Soweit § 2 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG in der Fassung des Gesetzes zur Einführung eines pauschalierenden Entgeltsystems für psychiatrische und psychosomatische Einrichtungen vom 21. Juli 2012 (Psych-Entgeltgesetz; BGBl. I S. 1613) mit Wirkung zum 1. Januar 2013 bestimmt, dass eine ärztliche Krankenhausbehandlung auch durch "nicht fest angestellte Ärztinnen und Ärzte" erfolgen kann, bezieht sich diese Regelung nach der Gesetzesbegründung nur auf die allgemeinen Krankenhausleistungen. Wahlärztliche Leistungen werden nicht erwähnt (BT-Drucks. 17/9992 S. 26; s. auch BVerfG, NZS 2015, 502 Rn. 25). Dementsprechend verpflichtet § 2 Abs. 3 KHEntgG in der Fassung des Psych-Entgeltgesetzes die Krankenhäuser, bei der Erbringung allgemeiner Krankenhausleistungen durch nicht im Krankenhaus fest angestellte Ärzte sicherzustellen, dass diese für ihre Tätigkeit im Krankenhaus die gleichen Anforderungen wie fest im Krankenhaus angestellte Ärzte erfüllen. § 17 Abs. 3 Satz 1 KHEntgG ist im Zuge der vorgenannten Reform hingegen unverändert geblieben, obwohl im Gesetzgebungsverfahren die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung Stellungnahmen abgegeben haben, die darauf abzielten, dass auch nicht angestellte Ärzte berechtigt sein sollten, Wahlleistungen zu erbringen. Dies rechtfertigt den Schluss, dass der Gesetzgeber an der sich aus § 17 Abs. 3 Satz 1 ergebenden Gesetzeslage, im Krankenhaus nicht fest angestellten Ärzten eine gesonderte Berechnung von Wahlleistungen zu versagen, nichts ändern wollte (Senat, Urteile vom 16. Oktober 2014 aaO Rn. 31 und vom 19. April 2018 aaO Rn. 24; Bender aaO S. 451 f; Clausen, ZMGR 2012, 248, 250 f; Jenschke aaO S. 137 f).</p>
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<a name="rd_30">30</a>
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<p>(4) Das Patienteninteresse zwingt ebenfalls nicht dazu, selbständigen Honorarärzten (zusätzlich) die Möglichkeit einzuräumen, wahlärztliche Leistungen zu erbringen und abzurechnen. Der Patient vereinbart mit dem Krankenhausträger wahlärztliche Leistungen im Vertrauen auf die besonderen Erfahrungen und die herausgehobene Kompetenz des von ihm ausgewählten Arztes, die (auch) darin zum Ausdruck kommen, dass der Arzt in dem Krankenhaus eine leitende Position innehat ("Chefarztbehandlung"). Dem Patienten geht es somit in erster Linie darum, sich über den Facharztstandard hinaus, der bei der Erbringung allgemeiner Krankenhausleistungen ohnehin geschuldet ist, die Leistungen hochqualifizierter Spezialisten des Krankenhauses gegen ein zusätzliches Entgelt "hinzuzukaufen" (vgl. Senatsurteile vom 19. Februar 1998 - III ZR 169/97, BGHZ 138, 91, 96; vom 20. Dezember 2007 - III ZR 144/07, BGHZ 175, 76 Rn. 7; vom 16. Oktober 2014 aaO Rn. 25 und vom 19. April 2018 aaO Rn. 25). Diese ein zusätzliches Entgelt erst rechtfertigende herausgehobene ärztliche Qualifikation ("Chefarztstandard" in Abgrenzung zum "Facharztstandard" bei allgemeinen Krankenhausleistungen), kann nicht bei allen Honorarärzten von vornherein angenommen werden (Senat, Urteil vom 16. Oktober 2014; Clausen, ZMGR 2012, 248, 255 und ZMGR 2016, 82, 83). Ebenso wenig kann davon ausgegangen werden, dass Honorarärzte regelmäßig eine Versorgungslücke in der Klinik des Chefarztes abdecken sollen (Clausen, ZMGR 2012 aaO S. 256). Die Berechtigung eines gesonderten Entgelts für wahlärztliche Leistungen würde grundsätzlich in Frage gestellt, wenn auch derjenige Honorararzt, der "nur" den bei allgemeinen Krankenhausleistungen geforderten Facharztstandard oder gar weniger bietet, seine Leistungen als Wahlarzt liquidieren könnte (Senat, Urteil vom 16. Oktober 2014 aaO; Clausen, ZMGR 2012 aaO S. 255; s. auch Jenschke aaO S. 140). Der Patient liefe dann nämlich Gefahr, von einem Honorararzt behandelt zu werden, der hinter dem Chefarztstandard zurückbleibt, aber seine Leistungen wie ein Chefarzt liquidiert.</p>
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<a name="rd_31">31</a>
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<p>(5) Es ist auch von Verfassungs wegen (Art. 12 Abs. 1 GG) nicht geboten, selbständigen Honorarärzten die Erbringung und Abrechnung von wahlärztlichen Leistungen zu gestatten. Der Honorararzt erhält für seine ärztliche Leistung vom Krankenhausträger eine Honorierung, deren Höhe frei und unabhängig von den Vorgaben der Gebührenordnung für Ärzte oder etwaiger Tarifbindungen des Krankenhauses vereinbart werden kann (Senat, Urteile vom 12. November 2009 - III ZR 110/09, BGHZ 183, 143 Rn. 8 ff und vom 16. Oktober 2014 aaO Rn. 14). Er ist nicht gezwungen, ärztliche Leistungen gegenüber dem Krankenhaus zu erbringen, wenn er der Auffassung ist, ein nicht angemessenes Honorar zu erzielen (BVerfG, NZS 2015, 502 Rn. 14). Es ist daher auch mit Blick auf das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit nicht erforderlich, dem Honorararzt, der als Erfüllungsgehilfe des Krankenhausträgers in keinem unmittelbaren vertraglichen Verhältnis zu dem Patienten steht, einen eigenen Vergütungsanspruch gegen diesen einzuräumen. § 17 Abs. 3 Satz 1 KHEntgG dient als zwingende preisrechtliche Vorschrift dem Schutz der Patienten und nicht den Erwerbschancen von Honorarärzten (Clausen in Ratzel/Luxenburger aaO Rn. 54).</p>
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<a name="rd_32">32</a>
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<p>3. a) Die mit der Patientin B.   geschlossene Wahlleistungsvereinbarung vom 15. Dezember 2013 scheidet als Rechtsgrundlage für die Abrechnung von wahlärztlichen Leistungen schon deshalb aus, weil der Beklagte darin nicht als Wahlarzt benannt ist und eine Erstreckung der Wahlleistungsvereinbarung gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 KHEntgG nach den Grundsätzen des Senatsurteils vom 16. Oktober 2014 ausscheidet.</p>
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<a name="rd_33">33</a>
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<p>b) Die Einbeziehung des Beklagten in die Wahlleistungsvereinbarung lässt sich entgegen der Auffassung der Revision nicht mit der Erwähnung seiner Neurochirurgiepraxis im Absatz 3 der "Hinweise" auf der Vorderseite des Textformulars begründen. Dadurch wird, wie sich aus dem Gesamtzusammenhang mit dem angekreuzten Formulartext zum Gegenstand der gesondert berechenbaren Wahlleistungen und dem Absatz 1 der "Hinweise" ergibt, lediglich klargestellt, dass es sich bei der Praxis um eine fremde ärztlich geleitete Einrichtung außerhalb des Krankenhauses handelt, deren Einbeziehung in die (externe) Liquidationskette nur in Betracht kommt, soweit sie - was vorliegend nicht zutrifft - im Rahmen der Behandlung des Patienten Leistungen erbringt, die von angestellten oder beamteten Krankenhausärzten (mit eigenem Liquidationsrecht) veranlasst werden. Der Senat kann diese Auslegung selbst vornehmen, da es sich bei der von dem Krankenhaus verwendeten formularmäßigen Wahlleistungsvereinbarung, deren Text für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert ist, um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 BGB handelt (vgl. Senat, Urteil vom 19. April 2018 - III ZR 255/17, NJW 2018, 2117 Rn. 17).</p>
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<a name="rd_34">34</a>
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<p>c) Wie oben unter 2. ausgeführt, stünde einer wirksamen Benennung des Beklagten als Wahlarzt darüber hinaus in jedem Fall die Regelung des § 17 Abs. 3 Satz 1 KHEntgG entgegen, die die Abrechnung wahlärztlicher Leistungen durch Honorarärzte ausschließt und gemäß § 134 BGB zur Nichtigkeit einer davon abweichenden Vereinbarung führt.</p>
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<table class="Rsp">
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Herrmann     </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Seiters     </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Tombrink</p>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Remmert     </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Reiter     </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">      </p>
</td>
</tr>
</table>
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|
175,058 | eugh-2019-01-10-c-64717 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
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"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-647/17 | 2019-01-10T00:00:00 | 2019-01-31T19:21:08 | 2019-01-31T19:21:08 | Schlussantrag des Generalanwalts | ECLI:EU:C:2019:13 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C36Centre">SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN</p>
<p class="C36Centre">ELEANOR SHARPSTON</p>
<p class="C36Centre">vom 10. Januar 2019(<a href="#Footnote1" name="Footref1">1</a>)</p>
<p class="C38Centregrasgrandespacement">
<b>Rechtssache C</b>‑<b>647/17</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Skatteverket</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>gegen</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Srf konsulterna AB</b>
</p>
<p class="C39Centreespacement">(Vorabentscheidungsersuchen des Högsta förvaltningsdomstol [Oberster Verwaltungsgerichtshof, Schweden])</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorabentscheidungsersuchen – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Ort der steuerbaren Umsätze – Steuerpflichtigen angebotene Dienstleistungen – Erbringung von Dienstleistungen betreffend die Eintrittsberechtigung zu Veranstaltungen auf dem Gebiet des Unterrichts – Lehrgang in einem Mitgliedstaat, in dem weder der Dienstleistende noch die Teilnehmer ansässig sind – Lehrgang, der Anmeldung und Bezahlung im Voraus voraussetzt“</p>
<br/>
<br/>
<br/>
<br/>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point1">1.</a>        Mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen bittet der Högsta förvaltningsdomstol (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Schweden) den Gerichtshof um Klärung der Frage, ob ein Lehrgang, der von einem in Schweden ansässigen Steuerpflichtigen für Teilnehmer veranstaltet wird, die ebenfalls in Schweden ansässige Steuerpflichtige sind, der aber in einem anderen Mitgliedstaat stattfindet, in Schweden oder in diesem anderen Mitgliedstaat der Mehrwertsteuer unterliegt. Ist der Ort der Dienstleistung bei einem solchen Lehrgang nach Art. 44 oder nach Art. 53 der Richtlinie 2006/112/EG(<a href="#Footnote2" name="Footref2">2</a>) zu bestimmen?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point2">2.</a>        Damit ist der Gerichtshof zum ersten Mal aufgerufen, den sachlichen Anwendungsbereich von Art. 53 in Bezug auf Dienstleistungen an Steuerpflichtige in Gestalt der Eintrittsberechtigung zu Veranstaltungen auf dem Gebiet des Unterrichts im Sinne dieser Vorschrift zu prüfen und zu definieren. Die Antwort des Gerichtshofs wird voraussichtlich entscheidenden Einfluss auf die Bestimmung des Ortes der Erbringung von Dienstleistungen (einschließlich mit der Eintrittsberechtigung zusammenhängender Dienstleistungen) in Bezug auf andere in Art. 53 genannte Kategorien von Veranstaltungen haben, also „Veranstaltungen auf dem Gebiet der Kultur, der Künste, des Sports, der Wissenschaft, des Unterrichts, der Unterhaltung und ähnliche Veranstaltungen“ (vom Tennisturnier über Handelsmessen und Kunstausstellungen bis hin zu Musikkonzerten). Um ein sehr konkretes Beispiel zu nehmen, könnten sich aus der Antwort Hinweise zur Bestimmung des Ortes der Dienstleistung bei einer großen internationalen Veranstaltung wie der anstehenden Fußballeuropameisterschaft 2020 ergeben(<a href="#Footnote3" name="Footref3">3</a>). </p>
<p class="C04Titre1"> <b>Unionsrecht</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Richtlinie 2006/112</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point3">3.</a>        Art. 44 der Richtlinie 2006/112 sieht vor: „Als Ort einer Dienstleistung an einen Steuerpflichtigen, der als solcher handelt, gilt der Ort, an dem dieser Steuerpflichtige den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat.“(<a href="#Footnote4" name="Footref4">4</a>)</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point4">4.</a>        Art. 53 bestimmt, dass bei Lieferungen an einen Steuerpflichtigen „[a]ls Ort einer Dienstleistung … betreffend die Eintrittsberechtigung sowie die damit zusammenhängenden Dienstleistungen für Veranstaltungen auf dem Gebiet der Kultur, der Künste, des Sports, der Wissenschaft, des Unterrichts, der Unterhaltung oder für ähnliche Veranstaltungen wie Messen und Ausstellungen der Ort [gilt], an dem diese Veranstaltungen tatsächlich stattfinden“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point5">5.</a>        Art. 54 Abs. 1 sieht für Lieferungen an einen Nicht-Steuerpflichtigen vor, dass „[a]ls Ort einer Dienstleistung sowie der damit zusammenhängenden Dienstleistungen … betreffend Tätigkeiten auf dem Gebiet der Kultur, der Künste, des Sports, der Wissenschaft, des Unterrichts, der Unterhaltung oder ähnliche Veranstaltungen wie Messen und Ausstellungen, einschließlich der Erbringung von Dienstleistungen der Veranstalter solcher Tätigkeiten, … der Ort [gilt], an dem diese Tätigkeiten tatsächlich ausgeübt werden“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point6">6.</a>        Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i befreien die Mitgliedstaaten die „Aus- und Fortbildung sowie berufliche Umschulung und damit eng verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung“ von der Mehrwertsteuer.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Verordnung Nr. 282/2011</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point7">7.</a>        Art. 32 Abs. 1 der Verordnung Nr. 282/2011(<a href="#Footnote5" name="Footref5">5</a>) bestimmt, dass Art. 53 der Richtlinie 2006/112 insbesondere gelten soll für „Dienstleistungen, deren wesentliche Merkmale darin bestehen, gegen eine Eintrittskarte oder eine Vergütung, auch in Form eines Abonnements, einer Zeitkarte oder einer regelmäßigen Gebühr, das Recht auf Eintritt zu einer Veranstaltung zu gewähren“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point8">8.</a>        Nach Art. 32 Abs. 2 umfassen solche Dienstleistungen insbesondere „a) das Recht auf Eintritt zu Darbietungen, Theateraufführungen, Zirkusvorstellungen, Freizeitparks, Konzerten, Ausstellungen sowie anderen ähnlichen kulturellen Veranstaltungen; b) das Recht auf Eintritt zu Sportveranstaltungen wie Spielen oder Wettkämpfen; c) das Recht auf Eintritt zu Veranstaltungen auf dem Gebiet des Unterrichts und der Wissenschaft, wie beispielsweise Konferenzen und Seminare“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point9">9.</a>        Gemäß Art. 32 Abs. 3 fällt die Nutzung von Räumlichkeiten, wie beispielsweise Turnhallen oder anderen, gegen Zahlung einer Gebühr nicht unter Art. 32 Abs. 1.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point10">10.</a>      Art. 33 sieht vor, dass „[z]u den mit der Eintrittsberechtigung zu Veranstaltungen auf dem Gebiet der Kultur, der Künste, des Sports, der Wissenschaft, des Unterrichts, der Unterhaltung oder ähnlichen Veranstaltungen zusammenhängenden Dienstleistungen nach Artikel 53 der Richtlinie 2006/112/EG … die Dienstleistungen [gehören], die direkt mit der Eintrittsberechtigung zu diesen Veranstaltungen in Verbindung stehen und an die Person, die einer Veranstaltung beiwohnt, gegen eine Gegenleistung gesondert erbracht werden“. Des Weiteren sieht dieser Artikel vor, dass „[z]u diesen zusammenhängenden Dienstleistungen … insbesondere die Nutzung von Garderoben oder von sanitären Einrichtungen, nicht aber bloße Vermittlungsleistungen im Zusammenhang mit dem Verkauf von Eintrittskarten [gehören]“.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Nationales Recht</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point11">11.</a>      Gemäß Kapitel 5 § 5 des Mervärdesskattelag 1994:200 (Gesetz Nr. 1994:200 über die Mehrwertsteuer)(<a href="#Footnote6" name="Footref6">6</a>) gilt eine Dienstleistung an einen Steuerpflichtigen als in Schweden verkauft, wenn der Steuerpflichtige entweder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit in Schweden hat oder wenn er in Schweden eine feste Niederlassung hat, an die die Dienstleistung erbracht wird.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point12">12.</a>      Nach Kapitel 5 § 11a des Mehrwertsteuergesetzes gilt eine Dienstleistung in Form der Gewährung des Eintritts zu Veranstaltungen der Kultur, der Künste, des Sports, der Wissenschaft, des Unterrichts, der Unterhaltung oder ähnlichen Veranstaltungen wie Messen und Ausstellungen, die an einen Steuerpflichtigen erbracht wird, als in Schweden verkauft, wenn die Veranstaltung tatsächlich in Schweden stattfindet. Das Gleiche gilt für mit der Eintrittsberechtigung zusammenhängende Dienstleistungen.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefrage</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point13">13.</a>      Die Srf konsulterna AB (im Folgenden: Srf konsulterna) ist eine in Schweden ansässige Gesellschaft, die vollständig im Eigentum eines Berufsverbands für Buchhaltungs-, Management- und Lohnbuchhaltungsberater steht. Sie bietet dieser Berufsgruppe gegen eine Gebühr Aus- und Fortbildungsmaßnahmen an.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point14">14.</a>      Nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts bietet Srf konsulterna neben anderen Aktivitäten fünftägige Lehrgänge mit einer eintägigen Pause in der Mitte des Lehrgangs an, die 30 Stunden umfassen. Diese Lehrgänge werden nur Angehörigen der betreffenden Berufsgruppe angeboten, die in Schweden ansässig sind oder dort über eine feste Niederlassung verfügen, unabhängig davon, ob sie Mitglieder des Berufsverbands sind, dessen Tochterunternehmen Srf konsulterna ist. Der Lehrplan wird im Voraus festgelegt, wobei davon ausgegangen wird, dass die Teilnehmer über Vorkenntnisse und Erfahrung in Buchhaltungsfragen verfügen, er kann jedoch je nach Kenntnisstand der tatsächlich teilnehmenden Personen angepasst werden. Die Lehrgänge finden in einem Konferenzgebäude statt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point15">15.</a>      Die Anmeldung und Zulassung der Teilnehmer muss vor dem Beginn des Lehrgangs erfolgen. Daher hat Srf konsulterna Zugang zu Informationen über die Identität der Teilnehmer wie z. B. deren Namen, Anschriften, Personennummern oder Organisationsnummern(<a href="#Footnote7" name="Footref7">7</a>). Die Bezahlung erfolgt im Voraus.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point16">16.</a>      Einige Lehrgänge der Srf konsulterna finden an verschiedenen Orten in Schweden statt, andere hingegen in anderen Mitgliedstaaten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point17">17.</a>      Im Hinblick auf die letztgenannten Lehrgänge (im Folgenden: streitgegenständliche Lehrgänge) beantragte Srf konsulterna beim Skatterättsnämnd (Steuerrechtsausschuss, Schweden) eine Entscheidung über die Frage, ob als Ort der Dienstleistung Schweden oder der Mitgliedstaat, in dem der Lehrgang stattfand, anzusehen sei.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point18">18.</a>      Das Skatterättsnämnd entschied, dass solche Lehrgänge als in Schweden erbracht anzusehen seien, auch wenn sie tatsächlich im Ausland stattfänden. Dementsprechend sei Art. 44 und nicht Art. 53 anzuwenden, mit der Folge, dass die Mehrwertsteuer in Schweden geschuldet werde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point19">19.</a>      Das Skatteverk (örtliche schwedische Steuerverwaltung) vermochte der Begründung dieser Entscheidung nicht zu folgen und focht die Entscheidung beim Högsta förvaltningsdomstol (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Schweden) an.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point20">20.</a>      Da nach Ansicht des vorlegenden Gerichts der Inhalt von Art. 53 der Richtlinie 2006/112 und dessen Verhältnis zu Art. 44 dieser Richtlinie nicht ganz klar sind, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage vorgelegt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">Ist der Ausdruck „Eintrittsberechtigung für eine Veranstaltung“ in Art. 53 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen, dass er eine Dienstleistung in Form eines fünftägigen Buchhaltungslehrgangs erfasst, der ausschließlich an Steuerpflichtige erbracht wird und voraussetzt, dass Anmeldung und Bezahlung im Voraus erfolgen?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point21">21.</a>      Das Skatteverk, Frankreich, das Vereinigte Königreich und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. In der Sitzung vom 18. Oktober 2018 haben Schweden und die Kommission mündlich vorgetragen.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Würdigung</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Vorbemerkungen</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point22">22.</a>      Das vorlegende Gericht möchte klären, ob die Erbringung solcher Dienstleistungen wie der, um die es im Ausgangsverfahren geht, in den Anwendungsbereich von Art. 53 der Richtlinie 2006/112 fällt. Die Antwort auf die vorgelegte Frage hängt also davon ab, ob die von Srf konsulterna in anderen Mitgliedstaaten als Schweden veranstalteten Lehrgänge als Erbringung von Dienstleistungen „betreffend die Eintrittsberechtigung … für Veranstaltungen auf dem Gebiet … des Unterrichts“ im Sinne von Art. 53 der Richtlinie 2006/112 einzuordnen sind.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point23">23.</a>      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei den im Ausgangsverfahren streitgegenständlichen Leistungen unstreitig um Dienstleistungen und nicht um Gegenstände handelt. Weiterhin ist unstreitig, dass diese Dienstleistungen nur an Steuerpflichtige erbracht werden. Dem Vorlagebeschluss ist ebenso klar zu entnehmen, dass die Dienstleistungen von Srf konsulterna ihrem Wesen nach als Unterricht anzusehen sind. Daher kommen in der Tat die Art. 44 und 53 als für die Bestimmung des Ortes der Dienstleistung relevante Vorschriften in Betracht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point24">24.</a>      Wenn die Antwort auf die vorgelegte Frage lautet, dass die erbrachte Leistung eine „Eintrittsberechtigung für Veranstaltungen“ im Sinne von Art. 53 der Richtlinie 2006/112 darstellt, wäre als Ort der Dienstleistung, da die streitgegenständlichen Lehrgänge in einem anderen Mitgliedstaat als Schweden stattfinden, dieser andere Mitgliedstaat anzusehen(<a href="#Footnote8" name="Footref8">8</a>). Fällt die Erbringung dieser Dienstleistungen nicht unter Art. 53, so wäre der Ort der Dienstleistung, da die Teilnehmer der streitgegenständlichen Lehrgänge alle in Schweden ansässig sind, gemäß Art. 44 der Richtlinie Schweden(<a href="#Footnote9" name="Footref9">9</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point25">25.</a>      Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung festgestellt, dass das Ziel der Vorschriften der Mehrwertsteuerrichtlinie, nach denen der Ort der Besteuerung von Dienstleistungen zu bestimmen ist, darin besteht, einerseits Kompetenzkonflikte, die zu einer Doppelbesteuerung führen könnten, und andererseits die Nichtbesteuerung der fraglichen Dienstleistungen zu verhindern(<a href="#Footnote10" name="Footref10">10</a>). Nach der Antwort des Gerichtshofs wird sich daher bestimmen, welcher der betreffenden Mitgliedstaaten berechtigt ist, von den Steuerpflichtigen die Entrichtung der Mehrwertsteuer für die streitgegenständlichen Lehrgänge nach den in diesem Mitgliedstaat anwendbaren Steuersätzen und Verfahren zu verlangen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point26">26.</a>      Da Ziel dieser Lehrgänge offenbar ist, den Beratern zu helfen, ihre Buchhaltungskenntnisse auf dem neuesten Stand zu halten(<a href="#Footnote11" name="Footref11">11</a>), dürften sie als „Aus- und Fortbildung sowie berufliche Umschulung“ im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2006/112 anzusehen sein. Daher könnten sie unter die in dieser Bestimmung vorgesehene obligatorische Mehrwertsteuerbefreiung fallen. Die Kommission hat in der Sitzung vorgetragen, diese Bestimmung sei nicht einschlägig. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass Srf konsulterna offenbar keine Einrichtung des öffentlichen Rechts, die mit Aus- und Fortbildung betraut ist, im Sinne von Art. 132 Abs. 1 ist. Allerdings wäre die Bestimmung nur dann nicht einschlägig, wenn Srf konsulterna – abgesehen davon, dass sie keine solche Einrichtung des öffentlichen Rechts ist –<i> auch nicht</i> in einem der Mitgliedstaaten, in dem die streitgegenständlichen Lehrgänge erbracht werden, als eine Einrichtung „mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung“ im Sinne dieser Bestimmung anzusehen wäre(<a href="#Footnote12" name="Footref12">12</a>). Da die dem Gerichtshof vorliegenden Unterlagen hierzu keine weiteren Angaben enthalten, werde ich nicht weiter darauf eingehen.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur materiellen Prüfung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point27">27.</a>      Während Art. 44 der Richtlinie 2006/112 eine allgemeine Regel zur Bestimmung des Ortes enthält, an dem Dienstleistungen an Steuerpflichtige für steuerliche Zwecke erbracht werden, sieht Art. 53 eine davon abweichende Sonderregelung u. a. für Unterrichtsdienstleistungen vor.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point28">28.</a>      Nach ständiger Rechtsprechung kann die allgemeine Regel zur Bestimmung des Leistungsorts keinen Vorrang vor Sonderregelungen haben. In jedem Fall ist zu prüfen, ob der Sachverhalt einem der in der Richtlinie 2006/112 aufgeführten besonderen Fälle (z. B. Art. 53) entspricht; falls nicht, fällt er unter Art. 44. Die fraglichen Sonderregelungen sind nicht als Ausnahmen von einer allgemeinen Regel anzusehen, die daher eng auszulegen wären(<a href="#Footnote13" name="Footref13">13</a>). Vielmehr ist Art. 44 als eine Generalklausel oder Auffangregelung anzusehen, die greift, wenn keine Sonderregelung Anwendung findet.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point29">29.</a>      Der Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass nach den Überlegungen, die den Bestimmungen über den Ort der Dienstleistung für Mehrwertsteuerzwecke zugrunde liegen, die Besteuerung nach Möglichkeit an dem Ort erfolgen soll, an dem die Gegenstände verbraucht oder die Dienstleistungen in Anspruch genommen werden(<a href="#Footnote14" name="Footref14">14</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point30">30.</a>      Diese Rechtsprechung bestätigt den Ansatz im Vorschlag der Kommission betreffend den Ort der Dienstleistung, der zum Erlass der Regelungen in ihrer derzeitigen Form geführt hat. Die Kommission führte in dem fraglichen Vorschlag aus, bei jeglicher Änderung der Regeln zum Ort der Besteuerung von Dienstleistungen sei so weit wie möglich zu berücksichtigen, dass die Besteuerung am Ort des tatsächlichen Verbrauchs erfolge(<a href="#Footnote15" name="Footref15">15</a>). Um dies zu erreichen, schlug die Kommission vor, die Regeln über den Ort der Dienstleistung an einen Steuerpflichtigen dahin zu ändern, dass derartige Dienstleistungen generell in dem Mitgliedstaat steuerpflichtig sein sollten, in dem der <i>Kunde</i> ansässig sei(<a href="#Footnote16" name="Footref16">16</a>), statt in dem Mitgliedstaat, in dem der <i>Dienstleistende</i> ansässig sei(<a href="#Footnote17" name="Footref17">17</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point31">31.</a>      Unterrichtsdienstleistungen sind per Definition im Wesentlichen geistiger und somit immaterieller Natur. Es wäre daher vorstellbar, solche Dienstleistungen als vom Steuerpflichtigen im Moment der Leistungserbringung (Output) an den Kunden und somit als in dem Mitgliedstaat, in dem der Steuerpflichtige ansässig ist, wirtschaftlich „in Anspruch genommen“ anzusehen. Eine solche Auslegung spräche für die Anwendung von Art. 44.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point32">32.</a>      Allerdings stellt eine Dienstleistung betreffend <i>Veranstaltungen </i>auf dem Gebiet des Unterrichts eine einheitliche, wenn auch zusammengesetzte Leistung dar, deren wesentliche Elemente – wie etwa der Beitrag eines Lehrers oder Dozenten, die Veranstaltungsstätte und all ihre Einrichtungen sowie die damit zusammenhängenden vor Ort „verbrauchten“ Dienstleistungen – einen engen physischen Zusammenhang mit dem Ort aufweisen, an dem die Veranstaltung tatsächlich stattfindet(<a href="#Footnote18" name="Footref18">18</a>). Das dürfte für eine Besteuerung dieser Leistungen in ihrer Gesamtheit am Ort der Inanspruchnahme im physischen Sinne sprechen, also für eine Anwendung von Art. 53.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point33">33.</a>      Daraus folgt meines Erachtens, dass sich aus dem allgemeinen Ziel, an Steuerpflichtige erbrachte Dienstleistungen am Ort der Inanspruchnahme zu besteuern, keine offensichtliche „Faustregel“ im Hinblick auf den jeweiligen Anwendungsbereich der Art. 44 und 53 ableiten lässt. Insbesondere deutet dieses Ziel, so wie es im sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/8/EG(<a href="#Footnote19" name="Footref19">19</a>) Ausdruck gefunden hat, weder klar auf eine besonders weite noch auf eine besonders enge Auslegung des einen oder des anderen Artikels hin.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point34">34.</a>      Ich werde daher im Folgenden zunächst den Anwendungsbereich der in Art. 53 der Richtlinie 2006/112 enthaltenen Sonderregelung prüfen und dann versuchen, dem vorlegenden Gericht Hinweise zu der Frage zu geben, ob die streitgegenständlichen Dienstleistungen unter diese Bestimmung fallen. Ist dies nicht der Fall, so unterliegen sie der allgemeinen Regel in Art. 44 der Richtlinie.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Art. 53 der Richtlinie 2006/112</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point35">35.</a>      Der Dreh- und Angelpunkt dieses Falls ist der Ausdruck „Dienstleistung … betreffend die Eintrittsberechtigung … für Veranstaltungen … des Unterrichts“ im Sinne von Art. 53 der Richtlinie 2006/112. Da unstreitig ist, dass die streitgegenständlichen Lehrgänge in den Bereich des „Unterrichts“ fallen, werde ich die weiteren Schlüsselbegriffe „Veranstaltung“ und „Eintritt“ untersuchen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point36">36.</a>      Was ist eine „<i>Veranstaltung</i>“ des Unterrichts im Sinne dieser Bestimmung?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point37">37.</a>      Der Begriff ist in der Richtlinie nicht definiert. Allerdings werden in Art. 32 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 282/2011(<a href="#Footnote20" name="Footref20">20</a>) allgemein „Konferenzen und Seminare auf dem Gebiet des Unterrichts und der Wissenschaft“ als Beispiele für Veranstaltungen genannt, die unter Art. 53 der Richtlinie 2006/112 fallen, was darauf schließen lässt, dass dieser Begriff nach dem Willen des Gesetzgebers relativ weit auszulegen ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point38">38.</a>      Im Oxford Dictionary(<a href="#Footnote21" name="Footref21">21</a>) wird „Veranstaltung“ definiert als „etwas, insbesondere etwas von Bedeutung, das geschieht oder stattfindet“, und noch konkreter als „ein geplantes öffentliches oder gesellschaftliches Ereignis“. In den Sprachfassungen der Richtlinie 2006/112, die ich prüfen konnte, werden vergleichbare Worte mit einer ähnlich weiten, funktionalen Bedeutung verwendet(<a href="#Footnote22" name="Footref22">22</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point39">39.</a>      Eine Veranstaltung im Sinne von Art. 53 muss daher im Voraus geplant werden. Konzeptionell sehe ich sie als ein untrennbares Ganzes im Hinblick auf Inhalt, Ort und Zeit. Natürlich wird eine Tätigkeit, die einen im Voraus festgelegten Ablauf und einen spezifischen Gegenstand aufweist, eher als eine Veranstaltung anzusehen sein als eine zeitlich unbegrenzte Tätigkeit, die nur einen allgemeinen Rahmen für eine Unterrichtsdienstleistung bereitstellt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point40">40.</a>      Darüber hinaus sollte der Begriff „Veranstaltung“ als eine Versammlung von Personen, die über einen gewissen Zeitraum an einer Tätigkeit teilnehmen oder diese beobachten, ausgelegt werden. Ich stimme dem Vereinigten Königreich zu, dass Art. 53 deshalb nur Tätigkeiten erfasst, die die körperliche Anwesenheit des Kunden erfordern. Diese Schlussfolgerung wird durch Art. 33 der Verordnung Nr. 282/2011 bestätigt, der sich auf „die <i>Person</i>, die einer Veranstaltung <i>beiwohnt</i>“ (Hervorhebung nur hier) bezieht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point41">41.</a>      Zeit ist ebenfalls ein wesentlicher Faktor. Die Dauer der Dienstleistung dürfte normalerweise eine Unterscheidung zwischen Unterrichtsveranstaltungen und sonstigen Unterrichtstätigkeiten ermöglichen. Eine Konferenz oder ein Seminar dauert in der Regel einige Stunden bis mehrere Tage, während ein Hochschulkurs wahrscheinlich über einen erheblich längeren Zeitraum (z. B. drei Wochen, einen Monat, ein Semester, ein Schuljahr) stattfinden wird. Erstere dürften unter Art. 53 fallen, Letzterer hingegen nicht. Die Erwähnung der „Vergütung … auch in Form eines Abonnements, einer Zeitkarte oder einer regelmäßigen Gebühr“ in Art. 32 Abs. 1 der Verordnung Nr. 282/2011 legt den Schluss nahe, dass auch eine Reihe selbstständiger Veranstaltungen eine Veranstaltung im Sinne von Art. 53 der Richtlinie 2006/112 darstellen kann. Im Gegensatz dazu scheinen mir Übungsstunden, die über mehrere Wochen hinweg stattfinden und ein Ganzes bilden, oder ein Sprachkurs, der sich über ein Quartal erstreckt, nicht unter den natürlichen Sprachgebrauch des Wortes „Veranstaltung“ zu fallen. Vielmehr sollten sie als fortlaufender Unterricht eingeordnet werden, d. h. als eine Art der Unterrichtstätigkeit, die unter Art. 44 fällt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point42">42.</a>      Ob eine Tätigkeit fortlaufend stattfindet oder in mehrere Teile oder Stunden unterteilt ist, kann auch einen Anhaltspunkt für ihre Einstufung für steuerliche Zwecke bieten. Für mich ist eine Veranstaltung grundsätzlich eine ununterbrochene Tätigkeit. Dauert ein Lehrgang oder ein Ausbildungszeitraum mehr als einen Tag, so wird er eher unter Art. 53 fallen, wenn er an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen stattfindet. Allerdings führt ein Tag Pause in der Mitte meines Erachtens nicht automatisch dazu, dass eine solche Tätigkeit nicht mehr als Veranstaltung angesehen werden kann. Im Gegensatz dazu wird ein mehrwöchiger oder noch länger dauernder Kurs, der in mehrere Teile einschließlich mehrerer Pausen unterteilt ist, eher nicht als eine Veranstaltung einzuordnen sein. Erfordert ein solcher Kurs darüber hinaus von den Teilnehmern vor oder zwischen den einzelnen Stunden erhebliche Vorbereitung – insbesondere wenn am Ende jeder Stunde eine Prüfung oder eine andere Form der Leistungsbeurteilung stattfindet –, dürfte dies ohne Weiteres unter den Begriff einer umfassenden oder fortlaufenden Ausbildungstätigkeit fallen und somit erst recht nicht als Veranstaltung einzuordnen sein.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point43">43.</a>      Daraus folgt als logische Konsequenz, dass es nicht möglich ist, ein einziges Kriterium mit einer konkreten Höchstdauer für eine Veranstaltung im Sinne von Art. 53 festzulegen. Vielmehr sind für jeden Einzelfall eine Reihe von Merkmalen im Zusammenhang zu untersuchen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point44">44.</a>      Ich bin daher der Auffassung, dass Art. 53 der Richtlinie 2006/112 im Voraus geplante nicht teilbare Unterrichtstätigkeiten erfasst, die an einem bestimmten Ort und über einen kurzen Zeitraum stattfinden und einen im Voraus festgelegten Gegenstand betreffen. Umgekehrt fallen Unterrichtstätigkeiten, denen eines oder mehrere dieser Merkmale fehlen, wie z. B. eine Reihe einzelner Sitzungen oder Workshops, die an unterschiedlichen Tagen oder Orten stattfinden, Kurse über einen längeren Zeitraum oder zeitlich unbegrenzte Sitzungszyklen, insbesondere wenn ihr Programm oder Ablauf nicht im Voraus festgelegt ist, nicht unter diesen Begriff.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point45">45.</a>      Im Rahmen der Auslegung von Art. 53 ist es außerdem erforderlich, die Bedeutung des Begriffs „<i>Eintritt</i>“ zu bestimmen. Art. 32 Abs. 1 der Verordnung Nr. 282/2011 hält fest, dass nur Dienstleistungen, „deren wesentliche Merkmale darin bestehen, … das Recht auf Eintritt zu einer Veranstaltung zu gewähren“, in den Anwendungsbereich von Art. 53 der Richtlinie 2006/112 fallen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point46">46.</a>      Eine sprachliche Analyse des Begriffs „Eintritt“ liefert keine stichhaltigen Anhaltspunkte für dessen Auslegung. Das Oxford Dictionary(<a href="#Footnote23" name="Footref23">23</a>) bestimmt den Begriff „Eintritt“ als „den Vorgang oder die Tatsache des Eintretens oder der Erlaubnis zum Eintreten in einen Ort oder eine Organisation“. In den Sprachfassungen der Richtlinie, die ich prüfen konnte, werden Begriffe mit einer ähnlich weiten Bedeutung verwendet(<a href="#Footnote24" name="Footref24">24</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point47">47.</a>      Die Entstehungsgeschichte zeigt, dass der Unionsgesetzgeber beabsichtigte, die allgemeine Regel zur Bestimmung des Ortes einer Dienstleistung an einen Steuerpflichtigen schrittweise mit Wirkung ab dem 1. Januar 2010 von dem Mitgliedstaat, in dem der Dienstleistende ansässig ist(<a href="#Footnote25" name="Footref25">25</a>), hin zu dem Mitgliedstaat, in dem der Kunde ansässig ist(<a href="#Footnote26" name="Footref26">26</a>), zu verlagern. Parallel dazu wurde der Anwendungsbereich der Sonderregelung – die bei Unterrichtsdienstleistungen an Steuerpflichtige die Besteuerung in dem Mitgliedstaat vorsah, in dem die Dienstleistungen tatsächlich bewirkt werden – mit Wirkung ab dem 1. Januar 2011 ebenfalls zugunsten dieser neu eingeführten allgemeinen Regel beschränkt(<a href="#Footnote27" name="Footref27">27</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point48">48.</a>      Aus den vorbereitenden Gesetzesmaterialien, die zur Verabschiedung der Richtlinie 2008/8 geführt haben, ergibt sich, dass die Verwendung der Begriffe „Eintritt“ und „Veranstaltung“ alles andere als zufällig oder willkürlich gewesen ist. Im Gegenteil: Die Einführung dieser Begriffe war beabsichtigt und Gegenstand langwieriger Diskussionen(<a href="#Footnote28" name="Footref28">28</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point49">49.</a>      Da der Unionsgesetzgeber die Sonderregelung in Bezug auf bestimmte Unterrichtsdienstleistungen, wenn auch in begrenzter Form, bewusst beibehalten hat, kann diese Vorschrift nicht in einer Weise ausgelegt werden, die ihren Anwendungsbereich aushöhlen würde, ohne diesen Zweck zu gefährden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point50">50.</a>      Weitere Hinweise dazu, wie „Eintritt“ verstanden werden sollte, ergeben sich aus dem Kontext. Zusammen betrachtet enthalten die Art. 44 und 53 der Richtlinie 2006/112 eine allgemeine Regel und eine Sonderregelung für Dienstleistungen an Steuerpflichtige, während die Art. 45 und 54 eine ähnliche Rolle im Zusammenhang mit Unterrichtsdienstleistungen an Endverbraucher einnehmen. Hier enden die Ähnlichkeiten. Während Art. 53 sich auf Dienstleistungen betreffend die Eintrittsberechtigung für <i>Veranstaltungen</i> des Unterrichts bezieht, ist Art. 54 auf „Dienstleistungen …. betreffend … <i>Tätigkeiten</i> … des Unterrichts“ (Hervorhebung nur hier) anzuwenden. Der Anwendungsbereich der letztgenannten Bestimmung ist daher in zweierlei Hinsicht weiter. Erstens ist er nicht auf „Unterrichtsveranstaltungen“ begrenzt, sondern erfasst verschiedene Arten von „Tätigkeiten … des Unterrichts“. Zweitens – was noch wichtiger ist – ist er nicht auf Dienstleistungen betreffend den „Eintritt“ beschränkt. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point51">51.</a>      Der Umstand, dass der Unionsgesetzgeber in diesen benachbarten Bestimmungen unterschiedliche Begriffe verwendet hat, legt nahe, dass er die Absicht hatte, zwischen drei verschiedenen Kategorien von Unterrichtsdienstleistungen zu unterscheiden. Nur einige Unterrichts<i>tätigkeiten</i> (die erste und weiteste Kategorie von Dienstleistungen) stellen Unterrichts<i>veranstaltungen</i> (die zweite, mittlere Kategorie) dar, und nur einige Dienstleistungen im Zusammenhang mit solchen Veranstaltungen kann man im Wesentlichen als „betreffend die <i>Eintrittsberechtigung</i>“ (die dritte, engste Kategorie; Hervorhebung nur hier) einordnen(<a href="#Footnote29" name="Footref29">29</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point52">52.</a>      Der Kontext von Art. 53 spricht somit gegen die vom Skatteverk und der Kommission vertretene enge Auslegung des Begriffs „Eintritt“. Zum einen würde diese Auslegung den Ausdruck „Eintrittsberechtigung für Veranstaltungen“ und somit Art. 53 größtenteils seines Inhalts berauben. Zum anderen sind Dienstleistungen betreffend „die Eintrittsberechtigung für eine Veranstaltung des Unterrichts“ nicht mit der Durchführung einer „Veranstaltung des Unterrichts“ gleichzusetzen. Vielmehr sollten diese beiden Kategorien von Dienstleistungen auf der Grundlage eines objektiven, eindeutigen und praktikablen Kriteriums voneinander unterschieden werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point53">53.</a>      Meiner Ansicht nach liegt der Schlüssel zur Auslegung von Art. 53 darin, dass diese Bestimmung die individuellen Teilnehmer hervorhebt. Diese Auffassung wird indirekt durch Art. 33 der Verordnung Nr. 282/2011 bestätigt, der sich auf Dienstleistungen an „die Person, die einer Veranstaltung <i>beiwohnt</i>“, bezieht (Hervorhebung nur hier). Somit besteht das wesentliche Merkmal der Dienstleistungen, die in den Anwendungsbereich von Art. 53 fallen, darin, dass einer oder mehreren Personen das Recht auf Zugang zu den Räumlichkeiten, in denen eine Unterrichtsveranstaltung stattfindet, gewährt wird. Man kann sagen, dass der Preis als Gegenleistung dafür in Rechnung gestellt wird, dass einer bestimmten Anzahl Personen das Recht auf Zugang zu einer bestimmten Veranstaltung gewährt wird. Praktisch bedeutet dies, dass eine Veranstaltung, sobald der Dienstleistende die Anzahl der eintrittsberechtigten Personen kontrolliert und von den Steuerpflichtigen eine Gebühr für den Eintritt verlangt, unter Art. 53 der Richtlinie 2006/112 fallen dürfte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point54">54.</a>      Im Gegensatz dazu fällt das Durchführen einer Veranstaltung <i>als solches</i>, d. h. eine Dienstleistung, die das Veranstalten oder Ausrichten einer Unterrichtsveranstaltung und ihre Vermarktung <i>insgesamt</i> umfasst, nicht unter Art. 53. So könnte der Fall z. B. liegen, wenn die Dienstleistung im Verkauf eines vorgefertigten Unterrichts oder Lehrgangs an einen Steuerpflichtigen im Hinblick auf den späteren Weiterverkauf an andere Steuerpflichtige oder mit dem Ziel, sie einer mehr oder weniger genau bestimmten Personengruppe anzubieten (z. B. Mitarbeitern und begleitenden Familienangehörigen)(<a href="#Footnote30" name="Footref30">30</a>), besteht, selbst wenn die Gesamtkapazität festgelegt ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point55">55.</a>      Meines Erachtens ist es nicht von Bedeutung, ob die Person sich an der Veranstaltung aktiv oder passiv beteiligt. Das hängt von der Art der fraglichen Veranstaltung ab: Die Teilnahme an einer Vorlesung wird in der Regel keine aktive Beteiligung erfordern. Die Teilnahme an einem Lehrgang wird meistens ein etwas aktiveres Verhalten der Teilnehmer voraussetzen. Das Teilnahmerecht ist sekundär und untrennbar mit dem primären Recht auf Eintritt verbunden und fällt naturgemäß ebenfalls unter Art. 53.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point56">56.</a>      Stellt der „Eintritt“ zu einer Veranstaltung nur einen von mehreren Bestandteilen einer zusammengesetzten Dienstleistung dar (und kann folglich nicht als deren wesentliches Element angesehen werden), so sollte diese Dienstleistung insgesamt unter die allgemeine Regel gemäß Art. 44 fallen. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn eine Dienstleistung im Organisieren einer Geschäftsreise für den leitenden Buchhalter einer Gesellschaft besteht, die nicht lediglich die Teilnahme an einer Fortbildungskonferenz umfasst, sondern auch Verpflegung, Unterbringung und Besichtigung verschiedener Sehenswürdigkeiten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point57">57.</a>      Der Umstand, dass gemäß Art. 33 der Verordnung Nr. 282/2011 die Nutzung von Garderoben oder von sanitären Einrichtungen durch die Teilnehmer der Unterrichtsveranstaltung als „zusammenhängende Dienstleistungen“ anzusehen sind, stellt weder diese Schlussfolgerungen in Frage noch spricht er für eine engere Auslegung des Begriffs „Eintritt“. Solche zusammenhängenden Dienstleistungen stehen ebenso direkt mit der Eintrittsberechtigung in Verbindung wie mit der Anwesenheit oder Teilnahme. Sie stellen für sich genommen keinen vom Kunden gewünschten Vorteil dar. Sie tragen lediglich dazu bei, dass die Kunden die Hauptleistung besser nutzen können. Dementsprechend sollten sie für steuerliche Zwecke ebenso behandelt werden wie die Hauptleistung, also der Eintritt zu der Veranstaltung(<a href="#Footnote31" name="Footref31">31</a>). Der Umstand, dass nach Art. 33 reine Vermittlungsleistungen im Zusammenhang mit dem Verkauf von Eintrittskarten vom Anwendungsbereich der „zusammenhängenden Dienstleistungen“ ausgenommen sind, bedeutet meines Erachtens nicht zwingend, dass der Begriff „Eintritt“ besonders eng auszulegen ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point58">58.</a>      Darüber hinaus erfasst Art. 53 im Gegensatz zu Art. 54 (Leistungen an Nicht-Steuerpflichtige) keine sonstigen, nicht mit der Eintrittsberechtigung zusammenhängenden Dienstleistungen oder die „Erbringung von Dienstleistungen der Veranstalter von Tätigkeiten [des Unterrichts]“. Werden solche sonstigen Dienstleistungen an Steuerpflichtige erbracht, so ist der Ort der Dienstleistung im Einklang mit der allgemeinen Regel in Art. 44 zu bestimmen. Dies spricht ebenfalls für die Auffassung, dass Art. 53 konkret auf die Dienstleistung der Gewährung eines Rechts auf Eintritt an Teilnehmer gegen Entgelt angewendet werden soll, während Dienstleistungen anderer Art aus dem Anwendungsbereich dieser Bestimmung herausfallen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point59">59.</a>      Schließlich sollten die Dienstleistungen im Zusammenhang mit den verschiedenen Schritten, die erforderlich sind, um eine Veranstaltung zu organisieren, auszurichten und einzelnen Teilnehmern anzubieten, jeweils einzeln geprüft werden. In der Praxis bedeutet dies nach der oben von mir vorgeschlagenen Auslegung, dass die entgeltliche Durchführung einer Unterrichtsveranstaltung, bei der der Preis nicht von der Teilnehmerzahl, sondern im Wesentlichen von der Dauer (Anzahl der Stunden) der fraglichen Veranstaltung, ihren Bestandteilen oder von anderen technischen Parametern abhängt, unabhängig von der Teilnehmerzahl nicht unter Art. 53 der Richtlinie 2006/112 fällt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point60">60.</a>      Daraus folgt, dass in Fällen, in denen der Veranstalter einer Unterrichtsveranstaltung die Dienstleistung der Durchführung einer solchen Veranstaltung als Ganzes einem Dritten verkauft(<a href="#Footnote32" name="Footref32">32</a>), z. B. einem Arbeitgeber, der seinen Mitarbeitern interne Fortbildungen anbieten möchte, oder dem Eigentümer eines Konferenzzentrums, der die Veranstaltung selbst vermarkten möchte, dieser Umsatz nicht in den Anwendungsbereich von Art. 53 fällt, sondern nach Art. 44 zu besteuern ist. Demgegenüber ist in Fällen, in denen der Steuerpflichtige, der eine solche „schlüsselfertige“ Veranstaltung gekauft hat, die verfügbaren Plätze an einen anderen Steuerpflichtigen gegen ein Entgelt (weiter‑)verkauft, das im Wesentlichen von der Anzahl der Teilnehmer abhängt, der „Eintritt“ zu dieser Veranstaltung das wesentliche Merkmal der fraglichen Dienstleistung und folglich Art. 53 anzuwenden. Ähnlich ist die Situation, wenn ein Arbeitgeber, der Dienstleistungen bezüglich einer Veranstaltung gekauft hat, feststellt, dass der Konferenzsaal, in dem die Veranstaltung stattfindet, mehr Personen Platz bietet, als er Arbeitnehmer hat, und sich für einen Verkauf der restlichen Plätze an einen oder mehrere Steuerpflichtige(n) entscheidet und dabei (natürlich) einen Preis pro Teilnehmer verlangt; auf diesen Umsatz oder diese Umsätze findet ebenfalls Art. 53 Anwendung.</p>
<p class="C06Titre3"> <i>Zusätzliche Kriterien</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point61">61.</a>      Das Skatteverk, Schweden und die Kommission machen mit unterschiedlichen Argumenten geltend, der Gerichtshof solle im Zusammenhang mit der Anwendung von Art. 53 der Richtlinie 2006/112 zusätzliche Kriterien berücksichtigen. Diesem Ansatz stimme ich nicht zu. Der guten Ordnung halber werde ich nachstehend auf ihre wichtigsten Vorschläge eingehen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point62">62.</a>      Erstens sind die verschiedenen technischen oder praktischen Aspekte im Zusammenhang mit der Anmeldung und der Bezahlung, insbesondere die Frage, ob diese im Voraus erfolgen, unerheblich, weil sie nicht geeignet sind, das Wesen der betreffenden Dienstleistung zu verändern. Art. 32 Abs. 1 der Verordnung Nr. 282/2011 bestimmt in einer recht weit gefassten Formulierung, dass die Rechte „gegen eine Eintrittskarte oder eine Vergütung, auch in Form eines Abonnements, einer Zeitkarte oder einer regelmäßigen Gebühr“ zu gewähren sind. Dasselbe muss für die Form gelten, in der die Eintrittsberechtigungen auf ihren Empfänger übertragen werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point63">63.</a>      Zweitens vermag ich dem Vorbringen der Kommission nicht zu folgen, dass Art. 53 lediglich auf Veranstaltungen anzuwenden sei, bei denen dem Veranstalter wenigstens einige der Teilnehmer im Voraus <i>nicht</i> bekannt seien. Die Kommission macht geltend, dass Veranstaltungen, für die eine vorherige Anmeldung erforderlich sei, wodurch dem Dienstleistenden im Voraus der steuerliche Status aller Teilnehmer ebenso wie deren Steueridentifikationsdaten bekannt seien, unter Art. 44 fielen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point64">64.</a>      Ich sehe in den einschlägigen Bestimmungen keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Begriff „Eintritt“ voraussetzt, dass die Veranstaltungen zumindest teilweise der Allgemeinheit oder einer Gruppe unbekannter, anonymer Kunden zugänglich sein müssten. Ich vermag auch nicht zu erkennen, auf welcher Grundlage sich das Wesen der fraglichen Dienstleistung dadurch in die Gewährung einer „Eintrittsberechtigung“ verwandeln sollte, dass einem unbekannten Kunden die Teilnahme an einem Lehrgang ermöglicht wird, der Verkauf derselben Dienstleistung an einen im Voraus bekannten Kunden aber nicht unter diesen Begriff fallen soll.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point65">65.</a>      Ein solches Kriterium erscheint mir willkürlich und anfällig für Manipulationen. Es würde dem Veranstalter einer grenzüberschreitenden Veranstaltung die Möglichkeit geben, den Mitgliedstaat zu wählen, in dem die Veranstaltung besteuert wird, indem er lediglich ein vollkommen unbedeutendes Element der angebotenen Dienstleistung ändert – z. B. indem er es bewusst unterlässt, einige der Teilnehmer der Veranstaltung im Voraus zur Angabe ihrer Umsatzsteuer‑Identifikationsnummern aufzufordern, oder indem er einigen steuerpflichtigen Kunden den Eintritt erst in letzter Minute durch den Verkauf von Eintrittskarten am Eingang ermöglicht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point66">66.</a>      Der Umstand, dass die Kommission in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, der Eintritt zu einer Veranstaltung auf der Grundlage einer <i>personengebundenen</i> Zeitkarte falle <i>in</i> den Anwendungsbereich von Art. 53, trägt nur noch weiter zur Verwirrung bei und zeigt, dass sie Schwierigkeiten hat, das von ihr selbst ins Feld geführte Kriterium genau abzugrenzen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point67">67.</a>      Aus den gleichen Gründen kann ich der Auffassung nicht folgen, dass die Anwendbarkeit von Art. 53 davon abhängen soll, ob die Beschaffung der steuerlichen Identifikationsdaten im Vorfeld einer Veranstaltung dem Dienstleistenden (subjektiv) „unmöglich“ ist. Es erscheint mir nicht plausibel, dass es in der Praxis unmöglich oder übermäßig schwierig sein soll, von steuerpflichtigen Teilnehmern einer Veranstaltung ein Minimum an erforderlichen Daten zu erheben, bevor ihnen ihre Rechnung ausgehändigt wird (die sie sicherlich für steuerliche Zwecke wünschen werden), selbst wenn die Eintrittskarten erst unmittelbar vor der Veranstaltung am Veranstaltungsort ausgestellt werden(<a href="#Footnote33" name="Footref33">33</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point68">68.</a>      Ebenso scheint mir die vom Skatteverk vertretene Auffassung nur schwer nachvollziehbar, Art. 53 sei nicht anzuwenden, wenn eine Veranstaltung der Allgemeinheit – und nicht einem, mehreren oder einer konkret vorbestimmten Gruppe von Steuerpflichtigen – angeboten werde. Meiner Ansicht nach vermag dieser Umstand am eigentlichen Wesen der Eintrittsberechtigung für die fragliche Dienstleistung nichts zu ändern.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point69">69.</a>      Dieses Kriterium erscheint mir genauso willkürlich und anfällig für Manipulationen wie das von der Kommission vorgeschlagene Kriterium. Der Dienstleistende könnte bei grenzüberschreitenden Unterrichtsveranstaltungen leicht den Ort der Dienstleistung beeinflussen, indem er den Kreis der potenziellen Kunden, an die er sein Angebot richtet, entweder beschränkt oder aber erweitert, z. B. indem er auf einer öffentlich zugänglichen Website für die Veranstaltung wirbt oder die verbliebenen Plätze am Eingang an zufällige Kunden verkauft. Ich möchte ergänzen, dass dieses Kriterium, da die Lehrgänge von Srf konsulterna sowohl Mitgliedern als auch Nichtmitgliedern des schwedischen Berufsverbands der Buchhalter offenstehen, bei der Bestimmung des Ortes der streitgegenständlichen Dienstleistungen wohl auch nicht helfen würde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point70">70.</a>      Drittens tragen Schweden und die Kommission vor, Art. 53 sei nur anzuwenden, wenn die Besteuerung am Ort der Erbringung der Dienstleistung nicht mit „<i>unverhältnismäßigen</i> Verwaltungslasten“ für die betroffenen Steuerpflichtigen verbunden sei. Dieses Vorbringen stützen sie auf den Wortlaut des sechsten Erwägungsgrunds der Richtlinie 2008/8(<a href="#Footnote34" name="Footref34">34</a>) und machen – gemeinsam mit dem Skatteverk – geltend, im konkreten Fall der streitgegenständlichen Lehrgänge seien die sich aus der Anwendung von Art. 53 ergebenden Verwaltungslasten unverhältnismäßig(<a href="#Footnote35" name="Footref35">35</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point71">71.</a>      Es ist vollkommen zutreffend, dass die Vermeidung zusätzlicher Verwaltungslasten zu den Zielen gehörte, die die Kommission mit ihrem Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 2006/112 verfolgt hat(<a href="#Footnote36" name="Footref36">36</a>). Im sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/8 kommt dieses Ziel angemessen zum Ausdruck. Für mich ist jedoch klar, dass ein Steuerpflichtiger sich nicht auf Verwaltungslasten, die potenziell durch den Umstand entstehen, dass eine Dienstleistung in dem einen Mitgliedstaat statt in dem anderen besteuert wird, berufen kann, um eine ansonsten anwendbare Bestimmung des Unionsrechts auszuhebeln. Selbst wenn der sechste Erwägungsgrund als Auslegungsgrundsatz anzusehen wäre – was nicht zutrifft –, könnte der eindeutige Wortlaut von Art. 53 nicht übergangen werden, da ein Erwägungsgrund niemals Vorrang vor dem Gesetzestext beanspruchen kann(<a href="#Footnote37" name="Footref37">37</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point72">72.</a>      Auf ein solches Kriterium abzustellen, würde die Anwendbarkeit von Art. 53 von der jeweiligen Konstellation der konkreten Umstände des Einzelfalls abhängig machen. Es ist nicht vorstellbar, dass ein unionsweites Steuersystem auf der Grundlage derartig unbeständiger und zufälliger Erwägungen funktionieren könnte. Darüber hinaus ist mir völlig unklar, wie die Fälle zu bestimmen wären, in denen die Verwaltungslasten die Schwelle zur Unverhältnismäßigkeit erreichen. Es liegt auf der Hand, dass ein solches Kriterium nicht praktikabel ist. Die betroffenen Steuerpflichtigen müssten in jedem Einzelfall prüfen, ob diese unbestimmte Schwelle erreicht worden ist. Das würde sie häufig auf Kollisionskurs mit den zuständigen Behörden bringen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point73">73.</a>      Allgemeiner gesagt können meiner Ansicht nach Verwaltungslasten, die in einigen Fällen infolge allgemein anwendbarer Bestimmungen des nationalen Rechts zur Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Union entstehen können, nie als unverhältnismäßig angesehen werden, sofern und solange der Gerichtshof diese Bestimmungen nicht mit der Begründung für nichtig erklärt hat, dass sie nicht verhältnismäßig sind. Diese Frage ist jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens und ich werde sie nicht weiter erörtern. Ich möchte lediglich hinzufügen, dass, da die Richtlinien 2008/8 und 2008/9/EG(<a href="#Footnote38" name="Footref38">38</a>) eine Reihe von Regeln und Verfahren festlegen, die gerade der Verringerung möglicher Verwaltungslasten für Steuerpflichtige im Hinblick auf Dienstleistungen dienen sollen, die in anderen Mitgliedstaaten als dem erbracht werden, in dem die Steuerpflichtigen ansässig sind(<a href="#Footnote39" name="Footref39">39</a>), schwer nachvollziehbar ist, wie Art. 53 der Richtlinie 2006/112 für die betroffenen Steuerpflichtigen zu unverhältnismäßigen Verwaltungslasten führen soll.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point74">74.</a>      Zudem ergibt sich aus der Rechtsprechung eindeutig, dass die Erwägungsgründe eines Unionsrechtsakts rechtlich nicht verbindlich sind und weder herangezogen werden können, um von den Bestimmungen des betreffenden Rechtsakts abzuweichen, noch, um diese Bestimmungen in einem Sinne auszulegen, der ihrem Wortlaut offensichtlich widerspricht(<a href="#Footnote40" name="Footref40">40</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point75">75.</a>      Zusammengefasst liefe die Anwendung jedes der skizzierten Kriterien auf eine besonders enge Auslegung von Art. 53 der Richtlinie 2006/112 hinaus. Meines Erachtens spricht nichts im Wortlaut oder Zweck dieser Bestimmung für eine derart enge Auslegung. Außerdem müssten die betreffenden Steuerpflichtigen bei Anwendung dieser Kriterien in jedem Einzelfall nachweisen, dass ihre Dienstleistungen diese unbeständigen Kriterien erfüllten, und die zuständigen Behörden müssten dies dann überprüfen. Das bietet großes Potenzial für Rechtsstreitigkeiten und führt insgesamt eher zu einer Zunahme der Verwaltungslasten, was dem im sechsten Erwägungsgrund genannten Zweck völlig zuwiderläuft.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point76">76.</a>      Diese Kriterien könnten auch zu der paradoxen Situation führen, dass ähnliche Unterrichtsveranstaltungen, die parallel am selben Ort stattfinden, in verschiedenen Mitgliedstaaten besteuert werden, je nachdem, wo die Kunden ansässig sind. Aus dem Blickwinkel des Funktionierens des Binnenmarkts und der Wettbewerbsregeln betrachtet, scheint mir das keine besonders wünschenswerte Situation zu sein(<a href="#Footnote41" name="Footref41">41</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point77">77.</a>      Schließlich würde, wenn die Anwendung von Art. 53 an eines der oben erörterten Kriterien geknüpft würde, die Bestimmung des Ortes der Dienstleistung von einer unsicheren und bis zu einem gewissen Grad subjektiven Prüfung abhängig gemacht(<a href="#Footnote42" name="Footref42">42</a>). Dies stünde in Widerspruch zu dem Grundsatz der Rechtssicherheit, der verlangt, dass die Bestimmungen des Unionsrechts insbesondere in Fragen, die – wie bei der Mehrwertsteuer – finanzielle Auswirkungen haben, klar und deutlich sowie vorhersehbar sind, damit die Betroffenen deren Auswirkungen eindeutig erkennen und somit ihre Vorkehrungen treffen können(<a href="#Footnote43" name="Footref43">43</a>). Da die genannten Kriterien die einheitliche Anwendung von Art. 53 und damit die Wirksamkeit der Richtlinie 2006/112 gefährden könnten, kann keines davon akzeptiert werden(<a href="#Footnote44" name="Footref44">44</a>). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point78">78.</a>      Die Anwendung von Art. 53 auf die streitgegenständlichen Dienstleistungen scheint keine praktischen Schwierigkeiten aufzuwerfen. Der Ort, an dem die fraglichen Tätigkeiten bewirkt werden, lässt sich nämlich ohne Weiteres bestimmen(<a href="#Footnote45" name="Footref45">45</a>). Da die betreffenden Dienstleistungen der Mehrwertsteuer in dem Mitgliedstaat unterliegen, in dem sie tatsächlich bewirkt werden, stellt dieses Ergebnis eine steuerlich sinnvolle Lösung dar(<a href="#Footnote46" name="Footref46">46</a>). Gleichfalls erscheint die Anwendung von Art. 53 nicht außerordentlich schwierig oder geeignet, die zuverlässige und ordnungsgemäße Erhebung der Mehrwertsteuer in Frage zu stellen(<a href="#Footnote47" name="Footref47">47</a>). </p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur Frage, ob die streitgegenständlichen Lehrgänge unter Art. 53 der Richtlinie 2006/112 fallen</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point79">79.</a>      Die Aufgabe des Gerichtshofs im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens besteht darin, dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die von Nutzen sein können(<a href="#Footnote48" name="Footref48">48</a>). Daher möchte ich zum Schluss einige Aspekte skizzieren, die das vorlegende Gericht bei der Beurteilung, ob Art. 53 der Richtlinie 2006/112 auf den Sachverhalt im Ausgangsverfahren anzuwenden ist, gegebenenfalls berücksichtigen muss.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point80">80.</a>      Wie bereits festgestellt(<a href="#Footnote49" name="Footref49">49</a>), ist unstreitig, dass es sich bei den streitgegenständlichen Lehrgängen um Unterrichtsdienstleistungen handelt, die an Steuerpflichtige erbracht werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point81">81.</a>      Nichts in den dem Gerichtshof vorliegenden Akten deutet darauf hin, dass diese Lehrgänge nicht unter den im Licht meiner Ausführungen oben in Nr. 44 ausgelegten Begriff „Veranstaltung“ fallen. Es handelt sich um fünftägige Buchhaltungslehrgänge mit einem freien Tag in der Mitte; sie finden an einem bestimmten Ort statt und das Programm ist im Voraus festgelegt. Grundsätzlich dürften solche Dienstleistungen ohne Weiteres unter den Begriff der „Veranstaltung des Unterrichts“ im Sinne von Art. 53 zu fassen sein. In der mündlichen Verhandlung haben Schweden und die Kommission vorgetragen, dass dies tatsächlich der Fall sei. Ich sehe keinen Grund, dem zu widersprechen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point82">82.</a>      Noch zu prüfen ist die Frage, ob die von Srf konsulterna gegen eine Vergütung erbrachte Dienstleistung in der Gewährung des Eintrittsrechts und nicht in anderen Arten von Dienstleistungen im Zusammenhang mit den im Ausgangsverfahren streitgegenständlichen Lehrgängen besteht. Kurz gesagt hängt dies davon ab, ob das wesentliche Element darin besteht, dass Srf konsulterna ihren Kunden individuelle Eintrittsberechtigungen für die von ihr veranstalteten Lehrgänge verkauft und von ihnen einen Preis „pro Person“ verlangt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point83">83.</a>      Dagegen ist unerheblich, ob Srf konsulterna ihre Dienstleistungen an bestimmte Kunden oder die Allgemeinheit – auch durch Bereitstellung von der Allgemeinheit zugänglichen Informationen über die Lehrgänge im Internet – richtet. Es ist auch unerheblich, ob Srf konsulterna zum Zeitpunkt der Veranstaltung über die Steueridentifikationsdaten jedes einzelnen Kunden verfügt, der das Recht auf Eintritt erworben hat. Schließlich ist unerheblich, ob es infolge der Anwendung von Art. 53 statt Art. 44 erforderlich wäre, dass sich Srf konsulterna oder ihre Kunden im Zusammenhang mit diesen Lehrgängen in einem anderen Mitgliedstaat mehrwertsteuerlich registrieren, und dass sie Mehrwertsteuer entrichten und anschließend die Erstattung der in dem anderen Mitgliedstaat angefallenen Vorsteuer beantragen müssten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point84">84.</a>      Ausgehend von den dem Gerichtshof vorliegenden Angaben besteht das Wesen der Dienstleistungen von Srf konsulterna offenbar darin, ihren steuerpflichtigen Kunden das Recht auf den Eintritt einzelner Personen in die Räumlichkeiten zu verkaufen, in denen ein bestimmter Lehrgang tatsächlich stattfindet, wodurch diesen Personen die Teilnahme an den fraglichen Lehrgängen ermöglicht wird. Die Feststellung, ob die Dienstleistung der streitgegenständlichen Lehrgänge unter den Begriff „Eintritt“ im Sinne von Art. 53 der Richtlinie 2006/112 fällt, ist jedoch allein Sache des vorlegenden Gerichts, das dabei alle relevanten Umstände im Rahmen einer umfassenden Beurteilung zu berücksichtigen hat.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Ergebnis</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point85">85.</a>      Im Licht der vorstehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die vom Högsta förvaltningsdomstol (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Schweden) vorgelegte Frage wie folgt zu antworten:</p>
<p class="C02AlineaAltA">Der Ausdruck „Dienstleistungen … betreffend die Eintrittsberechtigung … für Veranstaltungen … des Unterrichts“ in Art. 53 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass er eine ausschließlich an Steuerpflichtige erbrachte Dienstleistung erfasst, deren wesentliches Element im Verkauf des Rechts auf den Eintritt einzelner Personen zu einem ein- oder mehrtägigen Berufsfortbildungslehrgang besteht, wenn dieser Lehrgang an einem bestimmten Ort stattfindet und sein Inhalt im Voraus festgelegt ist, was das nationale Gericht zu prüfen hat. Es ist unerheblich, ob (1) alle Kunden dem Dienstleistenden Daten wie z. B. ihre Steueridentifikationsdaten zur Verfügung stellen, (2) die fragliche Dienstleistung die Anmeldung und Bezahlung im Voraus erfordert, (3) die Dienstleistung nur einer bestimmten Gruppe oder der Allgemeinheit angeboten wird und (4) der Umstand, dass die Dienstleistung in dem Mitgliedstaat besteuert wird, in dem die fragliche Veranstaltung stattfindet, zu zusätzlichen Verwaltungslasten für den Dienstleistenden oder seine Kunden führt.</p>
<hr/>
<p class="C40FootnoteLangue">
<a href="#Footref1" name="Footnote1">1</a><sup/>      Originalsprache: Englisch.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref2" name="Footnote2">2</a><sup/>      Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref3" name="Footnote3">3</a><sup/>      Die relevanten Merkmale dieser Veranstaltung dürften folgendermaßen aussehen: Sie setzt sich zusammen aus einer Reihe selbstständiger Veranstaltungen (Fußballspiele), die in verschiedenen Mitgliedstaaten oder außerhalb der Europäischen Union stattfinden, für die personengebundene Eintrittskarten von verschiedenen Steuerpflichtigen über ein komplexes Vertriebssystem verkauft werden.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref4" name="Footnote4">4</a><sup/>      Zum maßgeblichen Zeitpunkt war die Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 zur Änderung der Mehrwertsteuerrichtlinie bezüglich des Ortes der Dienstleistung (ABl. 2008, L 44, S. 11) geänderten Fassung anwendbar.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref5" name="Footnote5">5</a><sup/>      Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom 15. März 2011 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112 (ABl. 2011, L 77, S. 1).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref6" name="Footnote6">6</a><sup/>      Im Folgenden: Mehrwertsteuergesetz.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref7" name="Footnote7">7</a><sup/>      Im Folgenden: Steueridentifikationsdaten.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref8" name="Footnote8">8</a><sup/>      Siehe oben, Nrn. 16 und 17.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref9" name="Footnote9">9</a><sup/>      Siehe oben, Nrn. 13 und 14.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref10" name="Footnote10">10</a><sup/>      Urteil vom 8. Dezember 2016, A und B, C‑453/15, EU:C:2016:933, Rn. 24.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref11" name="Footnote11">11</a><sup/>      Siehe oben, Nr. 14.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref12" name="Footnote12">12</a><sup/>      Urteil vom 28. November 2013, MDDP, C‑319/12, EU:C:2013:778, Rn. 35 bis 39.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref13" name="Footnote13">13</a><sup/>      Urteil vom 8. Dezember 2016, A und B, C‑453/15, EU:C:2016:933, Rn. 18 und 19.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref14" name="Footnote14">14</a><sup/>      Urteil vom 8. Dezember 2016, A und B, C‑453/15, EU:C:2016:933, Rn. 25.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref15" name="Footnote15">15</a><sup/>      Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG bezüglich des Ortes der Dienstleistung, KOM(2003) 822, Abschnitt 3.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref16" name="Footnote16">16</a><sup/>      Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG bezüglich des Ortes der Dienstleistung, KOM(2005) 334, Abschnitt 1, S. 2. Dieses Ziel findet sich im vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/8 wieder, in dem es heißt, dass die Grundregel insoweit „auf den Ort abstellen [sollte], an dem der Empfänger ansässig ist, und nicht auf den, an dem der Dienstleistungserbringer ansässig ist“.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref17" name="Footnote17">17</a><sup/>      So lautete die Grundregel zunächst gemäß Art. 9 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1) und später gemäß Art. 43 der Richtlinie 2006/112 in ihrer ursprünglichen Fassung. Diese Regelung blieb bis zum 31. Dezember 2009 in Kraft.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref18" name="Footnote18">18</a><sup/>      Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung festgestellt, dass ein einheitlicher Umsatz insbesondere vorliegt, wenn zwei oder mehr vom Steuerpflichtigen erbrachte Elemente oder Handlungen so eng verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre (vgl. z. B. das Urteil vom 10. November 2016, Baštová, <br/>C‑432/15, EU:C:2016:855, Rn. 70). Ein Überblick über die Rechtsprechung zu den „zusammengesetzten Leistungen“ und ihre steuerliche Behandlung im Rahmen der Richtlinie 2006/112 findet sich in den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Talacre Beach Caravan Sales, C‑251/05, EU:C:2006:295, Nrn. 27 ff.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref19" name="Footnote19">19</a><sup/>      In diesem Erwägungsgrund heißt es, dass die Regeln zur Bestimmung des Ortes der Dienstleistung an einen Steuerpflichtigen „dem Grundsatz der Besteuerung am Ort des Verbrauchs folgen“ sollten.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref20" name="Footnote20">20</a><sup/>      Diese Verordnung wurde auf der Grundlage von Art. 397 der Richtlinie 2006/112 erlassen. Sie soll die einheitliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems durch den Erlass von Vorschriften zur Durchführung der Bestimmungen der Richtlinie 2006/112 in Fällen sicherstellen, in denen es zu Divergenzen bei der Anwendung kommt oder kommen könnte, die nicht mit dem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts zu vereinbaren sind (Erwägungsgründe 2 und 4).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref21" name="Footnote21">21</a><sup/>      Vgl. im Internet https://en.oxforddictionaries.com/.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref22" name="Footnote22">22</a><sup/>      Vgl. die folgenden Sprachfassungen: CZ: akce; DE: Veranstaltung; ES: manifestación; FR: manifestation; IT: manifestazione; NL: evenement; PL: impreza; und PT: manifestaçõe. Die schwedische Sprachfassung von Art. 53 umfasst zwei Begriffe von sehr ähnlicher Bedeutung. Dabei handelt es sich um „arrangemang“ und „evenemang“.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref23" name="Footnote23">23</a><sup/>      Vgl. im Internet https://en.oxforddictionaries.com/.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref24" name="Footnote24">24</a><sup/>      Vgl. die folgenden Sprachfassungen: CZ: vstup; DE: Eintrittsberechtigung; ES: acceso; FR: accès; IT: accesso; NL: toegang, PL: wstęp; PT: acesso; und SV: tillträde.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref25" name="Footnote25">25</a><sup/>      So lautete die allgemeine Regel, die bis zum 31. Dezember 2009 galt. Siehe oben, Fn. 17.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref26" name="Footnote26">26</a><sup/>      So lautete die allgemeine Regel ab dem 1. Januar 2010 gemäß Art. 44 der Richtlinie 2006/112 in der durch Art. 2 der Richtlinie 2008/8 geänderten Fassung.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref27" name="Footnote27">27</a><sup/>      Bis zum 31. Dezember 2010 galt diese Sonderregelung für Dienstleistungen betreffend Unterrichtstätigkeiten (bis zum 31. Dezember 2009 nach Art. 52 der Richtlinie 2006/112 in ihrer ursprünglichen Fassung und vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2010 nach Art. 53 der Richtlinie 2006/112 in der durch Art. 2 der Richtlinie 2008/8 geänderten Fassung). Ab dem 1. Januar 2011 wurde der Anwendungsbereich dieser Regelung gemäß Art. 53 der Richtlinie 2006/112 in der durch Art. 3 der Richtlinie 2008/8 geänderten Fassung auf den Eintritt zu <i>Veranstaltungen</i> des Unterrichts beschränkt.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref28" name="Footnote28">28</a><sup/>      Im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens wurden verschiedene Möglichkeiten erörtert, nämlich (1) die Sonderregelung in Art. 9 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 77/388, die die Besteuerung von Unterrichtsdienstleistungen in dem Mitgliedstaat, in dem sie „tatsächlich erbracht werden“, vorsah, abzuschaffen und diese Dienstleistungen unter die allgemeine Regel fallen zu lassen (vgl. die Dokumente KOM(2003) 822 vom 23. Dezember 2003 und KOM(2005) 334 vom 20. Juli 2005 der Kommission sowie das Dokument 11857/04 des Rates vom 4. August 2004); (2) diese Sonderregelung beizubehalten (vgl. Dokumente 11162/04 vom 8. Juli 2004 und 16112/05 vom 23. Dezember 2005 des Rates); (3) den Anwendungsbereich dieser Sonderregelung auf den „Zugang“ zu Unterrichtstätigkeiten zu beschränken (vgl. Dokumente 11162/04 vom 8. Juli 2004 und 15420/04 vom 29. November 2004 des Rates) und schließlich (4) einen Übergangszeitraum vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2010 vorzusehen (vgl. jetzt die Art. 2 und 3 der Richtlinie 2008/8), in dem der Anwendungsbereich der Sonderregelung für Unterrichtstätigkeiten trotz der Änderung der allgemeinen Regel unberührt blieb und nach dem diese Sonderregelung auf Dienstleistungen betreffend die „Eintrittsberechtigung für Veranstaltungen des Unterrichts“ beschränkt wurde (Dokument 9913/2/06 des Rates vom 2. Juni 2006).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref29" name="Footnote29">29</a><sup/>      Diese Schlussfolgerung dürfte mit der im Mehrwertsteuerausschuss in der Sitzung vom 10. bis 12. Mai 2010 nahezu einstimmig befürworteten Auslegung übereinstimmen, nach der „der Begriff ‚Tätigkeiten‘ in Artikel 54 der MwSt-Richtlinie (in ihrer Fassung ab 1. Januar 2011) auch <i>Veranstaltungen</i> einschließt, wie sie von Artikel 53 dieser Richtlinie (in ihrer Fassung ab 1. Januar 2011) abgedeckt werden“. (Hervorhebung nur hier). Vgl. Leitlinien des Mehrwertsteuerausschusses aus der 91. Sitzung, Dokument A – taxud.c.1(2010)426874 – 668, Nr. 2. Ich möchte daran erinnern, dass der Mehrwertsteuerausschuss auf der Grundlage von Art. 398 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112 eingerichtet wurde und aus Vertretern der Kommission und der Mitgliedstaaten besteht. Auch wenn die Leitlinien dieses Ausschusses lediglich Stellungnahmen eines beratenden Ausschusses und keine offizielle Auslegung des Unionsrechts darstellen und somit nicht bindend sind, können sie gleichwohl eine nützliche Hilfe bei der Auslegung der Richtlinie 2006/112 sein. Vgl. in diesem Sinne die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache RR Donnelley Global Turnkey Solutions Poland, <br/>C‑155/12, EU:C:2013:57, Nrn. 46 bis 50.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref30" name="Footnote30">30</a><sup/>      Zum Beispiel Unterhaltungsveranstaltungen oder kulturelle Exkursionen, die Unternehmer ihren Mitarbeitern und deren Familien anbieten.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref31" name="Footnote31">31</a><sup/>      Urteil vom 21. Juni 2007, Ludwig, C‑453/05, EU:C:2007:369, Rn. 18.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref32" name="Footnote32">32</a><sup/>      Diverse weitere Szenarien einschließlich der Erbringung verschiedener Arten von Dienstleistungen durch Vermittler sind möglich. Sie gehen über den Rahmen der vorliegenden Schlussanträge hinaus und ich werde nicht weiter auf sie eingehen. Eine Erörterung dieser Aspekte findet sich in den Leitlinien des Mehrwertsteuerausschusses aus der 97. Sitzung vom 7. September 2012, Dokument A – taxud.c.1(2012)1453230 – 743. Vgl. auch Amand, Ch., „The place of supply of admission to scientific and educational events within the European Union“, <i>International VAT Monitor</i>, Juli–August 2015, S. 213.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref33" name="Footnote33">33</a><sup/>      Diese Auffassung bestätigt lediglich meine Schlussfolgerung oben in Nr. 62, dass es für die Anwendbarkeit von Art. 53 unerheblich ist, ob eine Anmeldung oder Bezahlung im Voraus erfolgt.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref34" name="Footnote34">34</a><sup/>      „Unter bestimmten Umständen sind die Grundregeln für die Bestimmung des Ortes der Dienstleistung … nicht anwendbar, weshalb stattdessen spezifische Ausnahmen gelten sollten. [Sie] sollten weitgehend auf bestehenden Kriterien beruhen und dem Grundsatz der Besteuerung am Ort des Verbrauchs folgen, bestimmten Wirtschaftsteilnehmern jedoch keine unangemessenen Verwaltungslasten auferlegen.“</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref35" name="Footnote35">35</a><sup/>      Es wird vorgetragen, dass die behaupteten zusätzlichen Verwaltungslasten darin bestünden, dass es erforderlich sei, (1) sich in dem Mitgliedstaat, in dem die Veranstaltung tatsächlich stattfindet, mehrwertsteuerlich zu registrieren, (2) die Mehrwertsteuer dort zu entrichten, und (3) insbesondere für die Kunden, das Verfahren zur Erstattung der insoweit angefallenen Vorsteuer durchzuführen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref36" name="Footnote36">36</a><sup/>      Siehe oben, Nr. 30 und die Verweise auf die dort angeführten Vorschläge der Kommission.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref37" name="Footnote37">37</a><sup/>      Vgl. entsprechend meine Schlussanträge in der Rechtssache Klinikum Dortmund, C‑366/12, EU:C:2013:618, Nr. 55.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref38" name="Footnote38">38</a><sup/>      Richtlinie des Rates vom 12. Februar 2008 zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß der [Richtlinie 2006/112/EG] an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige (ABl. 2008, L 44, S. 23).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref39" name="Footnote39">39</a><sup/>      So bestimmt der achte Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/8: „Zur Vereinfachung der Pflichten für Unternehmen, die in Mitgliedstaaten, in denen sie nicht ansässig sind, Tätigkeiten nachgehen, sollte eine Regelung eingeführt werden, nach der sie über eine einzige elektronische Anlaufstelle für Zwecke der Mehrwertsteuererfassung und ‑erklärung verfügen.“ Im zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/9 heißt es, dass das Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer „vereinfacht und durch den Einsatz fortschrittlicher Technologien modernisiert werden [sollte]“, und im dritten Erwägungsgrund wird erläutert, dass dieses Verfahren „die Stellung der Unternehmen stärken [sollte]“. Diesen Zielen tragen die wesentlichen Bestimmungen dieser Richtlinien Rechnung. Ich werde diese Argumentation nicht weiter ausführen, da sie über den Rahmen der vorliegenden Schlussanträge hinausgeht.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref40" name="Footnote40">40</a><sup/>      Urteil vom 24. November 2005, Deutsches Milch-Kontor, C‑136/04, EU:C:2005:716, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref41" name="Footnote41">41</a><sup/>      Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung festgestellt, dass es nach dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität unzulässig ist, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Waren hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln. Dieser Grundsatz schließt auch die Grundsätze der Einheitlichkeit der Mehrwertsteuer und der Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen ein (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Mai 2001, Kommission/Frankreich, C‑481/98, EU:C:2001:237, Rn. 22).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref42" name="Footnote42">42</a><sup/>      Vgl. entsprechend Schlussanträge des Generalanwalts Léger in der Rechtssache MyTravel, C‑291/03, EU:C:2005:283, Nr. 52.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref43" name="Footnote43">43</a><sup/>      Urteil vom 12. Februar 2004, Slob, C‑236/02, EU:C:2004:94, Rn. 37.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref44" name="Footnote44">44</a><sup/>      Nach gefestigter Rechtsprechung ist, wenn wie im vorliegenden Fall verschiedene Auslegungen einer Unionsvorschrift möglich sind, die Auslegung zu wählen, die die praktische Wirksamkeit der Vorschrift zu wahren geeignet ist, indem sie im Licht des Zwecks der Regelung ausgelegt wird, zu der sie gehört. Vgl. Urteil vom 6. September 2018, Tschechische Republik/Kommission, C‑4/17 P, EU:C:2018:678, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref45" name="Footnote45">45</a><sup/>      Vgl. entsprechend Urteil vom 12. Mai 2005, RAL (Channel Islands) u. a., C‑452/03, EU:C:2005:289, Rn. 33.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref46" name="Footnote46">46</a><sup/>      Zum Kriterium der „steuerlich sinnvollen Lösung“ vgl. Urteil vom 12. Mai 2005, RAL (Channel Islands) u. a., C‑452/03, EU:C:2005:289, Rn. 33.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref47" name="Footnote47">47</a><sup/>      Zu diesem Kriterium vgl. Urteil vom 27. Oktober 2011, Inter-Mark Group, C‑530/09, EU:C:2011:697, Rn. 26.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref48" name="Footnote48">48</a><sup/>      Urteil vom 10. November 2016, Baštová, C‑432/15, EU:C:2016:855, Rn. 73.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref49" name="Footnote49">49</a><sup/>      Siehe oben, Nr. 23.</p>
|
175,057 | eugh-2019-01-10-c-60717 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-607/17 | 2019-01-10T00:00:00 | 2019-01-31T19:21:07 | 2019-01-31T19:21:07 | Schlussantrag des Generalanwalts | ECLI:EU:C:2019:8 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C36Centre">SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN</p>
<p class="C36Centre">JULIANE KOKOTT</p>
<p class="C36Centre">vom 10. Januar 2019(<a href="#Footnote1" name="Footref1">1</a>)</p>
<p class="C38Centregrasgrandespacement">
<b>Rechtssache C</b>‑<b>607/17</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Skatteverket</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>gegen</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Memira Holding AB</b>
</p>
<p class="C39Centreespacement">(Vorabentscheidungsersuchen des Högsta förvaltningsdomstol [Oberster Verwaltungsgerichtshof, Schweden])</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorabentscheidungsersuchen – Nationale Steuergesetzgebung – Niederlassungsfreiheit – Abzug von Verlusten einer ausländischen Tochtergesellschaft im Sitzstaat der Muttergesellschaft im Rahmen einer Fusion– Rechtfertigung der Nichtabzugsfähigkeit von sogenannten finalen Verlusten – Verhältnismäßigkeit eines fehlenden grenzüberschreitenden Verlustausgleichs – Begriff der sogenannten finalen Verluste“</p>
<br/>
<br/>
<br/>
<br/>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C21Titrenumerote1">I.      <b>Einleitung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point1">1.</a>        In diesem Verfahren(<a href="#Footnote2" name="Footref2">2</a>) geht es um die Frage, ob eine schwedische Muttergesellschaft aufgrund des Art. 49 in Verbindung mit Art. 54 AEUV berechtigt ist, die Verluste einer 100%igen Tochtergesellschaft mit Sitz in Deutschland von ihren Gewinnen abzuziehen, wenn diese im Wege einer Fusion auf die Muttergesellschaft abgewickelt wird und ihre in Deutschland erwirtschafteten Verluste dort nicht vollständig „nutzen“ konnte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point2">2.</a>        Die Grundfreiheiten gebieten grundsätzlich keine grenzüberschreitende Verlustnutzung im Konzern. Damit würden die im Ausland entstandenen Verluste untergehen. Lediglich für den Fall der sogenannten <i>finalen Verluste</i> kann aufgrund des Urteils Marks & Spencer der Großen Kammer des Gerichtshofs(<a href="#Footnote3" name="Footref3">3</a>) im Jahr 2005 eine grenzüberschreitende Verlustnutzung unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten geboten sein.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point3">3.</a>        Um diese „finalen Verluste“ ranken sich zahlreiche Probleme, die schon zu mehreren Entscheidungen des Gerichtshofs(<a href="#Footnote4" name="Footref4">4</a>) geführt haben. Diese konnten aber bislang nicht endgültig klären, was die Voraussetzungen für finale Verluste sind, wie auch diese erneute Vorlage zeigt. Insofern wird der Gerichtshof – will er an der Ausnahme der sogenannten finalen Verluste weiterhin festhalten(<a href="#Footnote5" name="Footref5">5</a>) – vermutlich immer wieder Gelegenheit erhalten, dieser Fallgruppe Konturen zu verleihen. </p>
<p class="C21Titrenumerote1">II.    <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      <b>Unionsrecht</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point4">4.</a>        Den unionsrechtlichen Rahmen des Falles bilden die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften nach Art. 49 in Verbindung mit Art 54 AEUV und die Richtlinie 2009/133/EG(<a href="#Footnote6" name="Footref6">6</a>) (im Folgenden: Fusionsrichtlinie). </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point5">5.</a>        In Bezug auf Verluste der einbringenden Gesellschaft trifft die Fusionsrichtlinie nur in ihrem Art. 6 eine Regelung:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Wenden die Mitgliedstaaten für den Fall, dass die in Artikel 1 Buchstabe a genannten Vorgänge zwischen Gesellschaften des Mitgliedstaats der einbringenden Gesellschaft erfolgen, Vorschriften an, die die Übernahme der bei der einbringenden Gesellschaft steuerlich noch nicht berücksichtigten Verluste durch die übernehmende Gesellschaft gestatten, so dehnen sie diese Vorschriften auf die Übernahme der bei der einbringenden Gesellschaft steuerlich noch nicht berücksichtigten Verluste durch die in ihrem Hoheitsgebiet gelegenen Betriebsstätten der übernehmenden Gesellschaft aus.“</p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      <b>Schwedisches Recht</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point6">6.</a>        Im schwedischen Recht wurde die Fusionsrichtlinie in Kapitel 37 des Inkomstskattelag (1999:1229)(<a href="#Footnote7" name="Footref7">7</a>) umgesetzt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point7">7.</a>        Eine Fusion wird in § 3 als Umbildung definiert. Sie muss zwei Voraussetzungen gleichzeitig erfüllen. Zum einen muss das gesamte Aktiv- und Passivvermögen zuzüglich sonstiger Verpflichtungen einer Gesellschaft (der einbringenden Gesellschaft) von einer anderen Gesellschaft (der übernehmenden Gesellschaft) übernommen werden. Zum anderen wird die einbringende Gesellschaft ohne Abwicklung aufgelöst. Für die Anwendbarkeit der in den §§ 16 bis 29 enthaltenen speziellen Steuerregelungen für Fusionen muss es sich darüber hinaus um eine qualifizierte Fusion handeln. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point8">8.</a>        Für eine qualifizierte Fusion muss gemäß § 11 die einbringende Gesellschaft unmittelbar vor dem Zusammenschluss mit den Einkünften mindestens eines Teils ihrer unternehmerischen Tätigkeit in Schweden steuerpflichtig sein. Darüber hinaus sieht § 12 vor, dass die übernehmende Gesellschaft unmittelbar nach dem Zusammenschluss mit den Einkünften aus einer unternehmerischen Tätigkeit, für die die einbringende Gesellschaft besteuert wurde, in Schweden steuerpflichtig sein muss. Die Einkünfte dürfen in Schweden nicht aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens ganz oder teilweise von der Steuer befreit sein.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point9">9.</a>        Eine qualifizierte Fusion hat gemäß § 17 Abs. 1 zur Folge, dass die einbringende Gesellschaft aus unternehmerischen Tätigkeiten im Sinne von § 11 keine auf die Fusion zurückzuführenden Einkünfte erzielen oder Verlustabzüge vornehmen darf. Für diese unternehmerischen Tätigkeiten tritt stattdessen gemäß § 18 Abs. 1 die übernehmende Gesellschaft in die steuerliche Situation der einbringenden Gesellschaft ein. Dies bedeutet u. a., dass die übernehmende Gesellschaft unter bestimmten, in den §§ 21 bis 26 genannten Einschränkungen negative Einkünfte der einbringenden Gesellschaft aus früheren Steuerjahren zum Abzug bringen darf.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point10">10.</a>      Um Einkünfte innerhalb einer grenzüberschreitenden Unternehmensgruppe durch Gewinnverlagerung auszugleichen, wird im schwedischen Recht normalerweise auf den Konzernabzug zurückgegriffen. Der Konzernabzug ist in Kapitel 35 a des Inkomstskattelag (1999:1229) geregelt. Gemäß den §§ 2 und 5 ist eine schwedische Muttergesellschaft in Bezug auf einen endgültigen Verlust einer im EWR ansässigen hundertprozentigen ausländischen Tochtergesellschaft unter der Voraussetzung zum Konzernabzug berechtigt, dass u. a. die Tochtergesellschaft abgewickelt wird und die Abwicklung abgeschlossen ist. Allerdings findet die Regelung laut vorlegendem Gericht keine Anwendung auf Fusionen.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">III. <b>Ausgangsrechtsstreit</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point11">11.</a>      Die Rechtssache betrifft einen Vorbescheid des Skatterättsnämnd (Steuerrechtsausschuss). Der Vorbescheid geht von folgendem Sachverhalt aus:</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point12">12.</a>      Die Memira Holding AB (im Folgenden: Memira) ist die Muttergesellschaft in einem Konzern mit Tochtergesellschaften in mehreren Ländern, u. a. in Deutschland. Die Geschäftsergebnisse der deutschen Tochtergesellschaft sind negativ gewesen. Inzwischen ist die wirtschaftliche Tätigkeit dieser Tochtergesellschaft abgewickelt worden. Von der Tochtergesellschaft seien nur noch Schulden und bestimmte liquide Vermögenswerte übrig. Der Konzern denkt nun darüber nach, die deutsche Tochtergesellschaft durch eine grenzüberschreitende Fusion in der schwedischen Muttergesellschaft aufgehen zu lassen. Für die Fusion soll die Tochtergesellschaft ohne Abwicklung aufgelöst werden. Nach der Fusion hat der Konzern keine Gesellschaft mehr in Deutschland. Der Konzern betreibt dann auch keine Geschäfte mehr in Deutschland, weder durch die Muttergesellschaft noch durch eine andere Konzerngesellschaft.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point13">13.</a>      Bei der deutschen Tochtergesellschaft sind aus früheren Jahren Verluste von insgesamt rund 7,6 Mio. Euro aufgelaufen. Dabei handelt es sich um auf nicht rentable Geschäfte in Deutschland zurückzuführende Verluste. Diese Verluste dürften bei der Besteuerung der Tochtergesellschaft in Deutschland abgezogen werden, und nicht geltend gemachte Verluste könnten ohne zeitliche Begrenzung vorgetragen und mit etwaigen Gewinnen der Tochtergesellschaft in den kommenden Jahren verrechnet werden. Dagegen sei es nach deutschem Recht nicht möglich, Verluste durch eine Fusion auf ein anderes in Deutschland steuerpflichtiges Unternehmen zu übertragen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point14">14.</a>      Nach Auffassung des Steuerrechtsausschusses sind bei einer Fusion mit der deutschen Tochtergesellschaft nicht die für die Gesellschaft nach Unionsrecht geltenden Voraussetzungen für den Abzug negativer Einkünfte erfüllt. Bei der Beurteilung der Frage, ob es sich um einen endgültigen Verlust handele, sei nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs darauf abzustellen, wie die Verluste nach dem Recht im Sitzstaat der Tochtergesellschaft behandelt würden. Da nach deutschem Recht keine Möglichkeit bestehe, die Verluste bei einer Fusion mit einem anderen in Deutschland steuerpflichtigen Unternehmen geltend zu machen, seien diese nicht als endgültig im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs anzusehen. Folglich liege insoweit auch kein Verstoß gegen Unionsrecht vor. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point15">15.</a>      Gegen den Vorbescheid haben sowohl das Skatteverk (Steuerbehörde) als auch die Antragstellerin Memira beim Högsta förvaltningsdomstol (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Schweden) Rechtsmittel eingelegt.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">IV.    <b>Vorabentscheidungsersuchen und Verfahren vor dem Gerichtshof</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point16">16.</a>      Der mit dem Rechtsstreit befasste Högsta förvaltningsdomstol (Oberster Verwaltungsgerichtshof) hat dem Gerichtshof folgende Fragen vorgelegt:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Ist bei der Beurteilung der Frage, ob ein Verlust einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft endgültig im Sinne etwa der Rechtssache A ist und die Muttergesellschaft somit nach Art. 49 AEUV diesen Verlust abziehen darf, relevant, dass gemäß den im Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft geltenden Regelungen für andere Rechtssubjekte, die mit der Gesellschaft, bei der die Verluste entstanden sind, nicht identisch sind, die Möglichkeit zum Verlustabzug beschränkt ist?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Sollte eine Beschränkung im Sinne von Frage 1 relevant sein, ist dann zu berücksichtigen, ob es im konkreten Fall im Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft tatsächlich noch ein anderes Rechtssubjekt gibt, das einen Verlustabzug hätte vornehmen können, wenn dies dort zulässig wäre?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point17">17.</a>      Zu diesen Fragen haben im Verfahren vor dem Gerichtshof Memira, das Königreich Schweden, die Bundesrepublik Deutschland, das Vereinigte Königreich, die Republik Finnland, die Italienische Republik und die Europäische Kommission schriftlich Stellung genommen. An der mündlichen Verhandlung vom 24. Oktober 2018 haben sich die schwedische Steuerbehörde, das Königreich Schweden, die Bundesrepublik Deutschland, die Republik Finnland und die Europäische Kommission beteiligt.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">V.      <b>Rechtliche Würdigung</b>
</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      <b>Zu den Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point18">18.</a>      Beide Vorlagefragen beziehen sich auf finale Verluste einer im Wege der Fusion untergehenden Tochtergesellschaft.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point19">19.</a>      Mit seiner ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht ausdrücklich wissen, ob für die Frage, ob der „Verlust einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft endgültig im Sinne etwa der Rechtssache A ist“, relevant ist, dass im Sitzstaat der Tochtergesellschaft eine Verlustnutzung durch Dritte eingeschränkt ist. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point20">20.</a>      Konkret stellt sich dabei die Frage, ob die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 in Verbindung mit Art 54 AEUV) Schweden verpflichtet, die über die Jahre aufgelaufenen (genauer: vorgetragenen) Verluste einer in Deutschland ansässigen Tochtergesellschaft zu berücksichtigen, wenn diese mit der Muttergesellschaft fusioniert und dadurch liquidiert wird. Die Verluste könnten aufgrund des deutschen Steuerrechts nicht im Rahmen einer Fusion genutzt werden und würden daher aufgrund der Liquidation in Deutschland untergehen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point21">21.</a>      Sollte die erste Frage zu bejahen sein, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob sich daran etwas ändert, wenn im konkreten Fall kein anderes Rechtssubjekt vorhanden ist, das einen Verlustvortrag hätte vornehmen können. Gemeint ist damit offenbar, dass keine andere Konzerngesellschaft in dem Sitzstaat der Tochtergesellschaft vorhanden ist. Dieser Aspekt kann zusammen mit der ersten Frage beantwortet werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point22">22.</a>      Auch wenn beide Fragen sich auf die Auslegung der Rechtsprechung des Gerichtshofs beziehen – das Gericht stellt primär auf die Rechtssache A(<a href="#Footnote8" name="Footref8">8</a>) ab, die die Aussagen der Rechtssache Marks & Spencer(<a href="#Footnote9" name="Footref9">9</a>) auf eine grenzüberschreitende Fusion übertragen hat –, setzen sie voraus, dass eine Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit vorliegt. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point23">23.</a>      Da aber das Unionsrecht mit der Fusionsrichtlinie eine eigene Rechtsnorm für die steuerlichen Konsequenzen grenzüberschreitender Zusammenschlüsse von Gesellschaften enthält, ist zunächst diese speziellere Vorschrift zu prüfen (dazu unter Nrn. 25 ff.). Denn der Gerichtshof hat mehrfach entschieden, dass „jede nationale Regelung in einem Bereich, der auf Unionsebene abschließend harmonisiert wurde, anhand der fraglichen Harmonisierungsmaßnahme und nicht anhand des Primärrechts zu beurteilen“ ist.(<a href="#Footnote10" name="Footref10">10</a>)</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point24">24.</a>      Selbst wenn die Fusionsrichtlinie eine solch abschließende Harmonisierung darstellen würde, könnte dies aber nicht verhindern, dass die Richtlinie primärrechtskonform auszulegen und gegebenenfalls inzident auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten zu prüfen wäre. Denn der Gerichtshof hat schon früh entschieden, dass das Verbot von Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs nicht nur für nationale Maßnahmen, sondern auch für Maßnahmen der Unionsorgane gilt.(<a href="#Footnote11" name="Footref11">11</a>) Die Verträge als Primärrecht bleiben „Grundlage, Rahmen und Grenze“(<a href="#Footnote12" name="Footref12">12</a>) aller Rechtsakte der Union. Daher wird, sollte sich aus der Fusionsrichtlinie keine Verlustverrechnung ergeben, anschließend eine Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit zu prüfen sein (dazu unter Nrn. 28 ff.).</p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      <b>Verlustnutzung nach Maßgabe der Fusionsrichtlinie</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point25">25.</a>      Ein Sachverhalt wie der des Ausgangsverfahrens fällt unstreitig in den Anwendungsbereich der Fusionsrichtlinie. Diese Richtlinie soll nach ihren Erwägungsgründen 2 und 3 eine gemeinsame Regelung treffen, um zum Wohle des Binnenmarkts eine steuerliche Benachteiligung grenzüberschreitender gegenüber innerstaatlichen Fusionen zu beseitigen. Der neunte Erwägungsgrund bezieht in dieses Ziel ausdrücklich die steuerliche Berücksichtigung von Verlusten mit ein.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point26">26.</a>      Dementsprechend enthält die Richtlinie in ihrem Art. 6 auch eine Regelung zur Übernahme steuerlich noch nicht berücksichtigter Verluste der einbringenden Gesellschaft durch die übernehmende Gesellschaft. Danach kann die übernehmende Gesellschaft Verluste einer in einem anderen Mitgliedstaat (hier Deutschland) ansässigen einbringenden Gesellschaft auf eine Betriebsstätte der übernehmenden Gesellschaft in diesem Mitgliedstaat (Deutschland) übertragen, sofern eine solche Übertragung auch zwischen Gesellschaften dieses Mitgliedstaats möglich ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point27">27.</a>      Art. 6 der Fusionsrichtlinie geht damit allenfalls von einer Berücksichtigung eines Verlustvortrags der einbringenden Gesellschaft in ihrem Sitzstaat (hier Deutschland) aus. Eine Berücksichtigung des Verlustvortrags im Mitgliedstaat der übernehmenden Gesellschaft (hier Schweden) wird nicht erwähnt. Daraus kann durchaus der Schluss gezogen werden, dass eine solche Verlustberücksichtigung unionsrechtlich auch nicht geboten ist. Dies gilt insbesondere, wenn im neunten Erwägungsgrund der Richtlinie das Problem der (ausländischen) Verluste der einbringenden Gesellschaft gesehen wurde und speziell durch Art. 6 der Fusionsrichtlinie in einer ganz bestimmten Art geregelt wurde. Eine Nutzung des in Deutschland vorgetragenen Verlustes für die Zwecke der schwedischen Besteuerung ergibt sich aus der Fusionsrichtlinie jedenfalls nicht.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">C.      <b>Beschränkung der Niederlassungsfreiheit</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point28">28.</a>      Jedoch könnte aus der durch die Art. 49 und 54 AEUV gewährten Niederlassungsfreiheit der übernehmenden Gesellschaft ein Gebot der Verlustberücksichtigung folgen. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point29">29.</a>      Mit der Niederlassungsfreiheit, die Art. 49 AEUV den Unionsbürgern gewährt, ist gemäß Art. 54 AEUV für die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben, das Recht verbunden, ihre Tätigkeit in anderen Mitgliedstaaten durch eine Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point30">30.</a>      Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit sind nach ständiger Rechtsprechung alle Maßnahmen, die die Ausübung dieser Freiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen.(<a href="#Footnote13" name="Footref13">13</a>)</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point31">31.</a>      Eine steuerrechtliche Regelung eines Mitgliedstaats verstößt gegen die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften, wenn sich daraus eine ungleiche Behandlung zum Nachteil der Gesellschaften, die von dieser Freiheit Gebrauch machen, ergibt, wenn die ungleiche Behandlung Situationen betrifft, die objektiv miteinander vergleichbar sind, und wenn sie nicht durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt oder im Hinblick auf das entsprechende Ziel nicht verhältnismäßig ist.(<a href="#Footnote14" name="Footref14">14</a>)</p>
<p class="C23Titrenumerote3">1.      <b>Ungleichbehandlung </b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point32">32.</a>      An einer Ungleichbehandlung bestehen hier aber Zweifel. Das schwedische Recht erlaubt einen Verlustausgleich im Rahmen einer Fusion laut dem vorlegenden Gericht nur bei einer qualifizierten Fusion. Diese setzt voraus, dass die untergehende Gesellschaft (deren Verluste genutzt werden sollen) in Schweden steuerpflichtige Einkünfte haben muss. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point33">33.</a>      Damit knüpft die schwedische Regelung nicht an einen grenzüberschreitenden Sachverhalt, sondern allein an die Steuerpflicht der Einkünfte an. Mittels einer Fusion mit einer in Schweden ansässigen Tochtergesellschaft, die dort nur steuerfreie Einkünfte erzielt, könnten aufgelaufene Verluste auch nicht im Wege einer Fusion auf die Muttergesellschaft übertragen werden. Insoweit differenziert die schwedische Regelung ihrem Wortlaut nach nicht zwischen einem inländischen und einem ausländischen Sachverhalt. Es fehlt an einem unmittelbaren diskriminierenden Charakter der fraglichen Regelung. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point34">34.</a>      Verboten sind aber auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen(<a href="#Footnote15" name="Footref15">15</a>) (sogenannte versteckte bzw. mittelbare Diskriminierung).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point35">35.</a>      In der Rechtssache Hervis Sport entschied der Gerichtshof, dass eine mittelbare Diskriminierung vorliegen kann, wenn <i>die meisten</i> Unternehmen, die aufgrund ihres hohen Umsatzes unter der starken Progression der Steuer leiden, Teil einer Gruppe mit Verbindung in einen anderen Mitgliedstaat sind.(<a href="#Footnote16" name="Footref16">16</a>) Wie ich jedoch an anderer Stelle bereits ausgeführt habe, kann allein eine <i>überwiegende </i>Betroffenheit ausländischer Unternehmen nicht ausreichen.(<a href="#Footnote17" name="Footref17">17</a>)</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point36">36.</a>      Vielmehr sind engere Voraussetzungen nötig. So sollen lediglich solche Fälle erfasst werden, die rein formal betrachtet keine Diskriminierung darstellen, aber wie eine solche wirken.(<a href="#Footnote18" name="Footref18">18</a>) Eine versteckt diskriminierende Regelung muss daher ihrem Wesen nach(<a href="#Footnote19" name="Footref19">19</a>) insbesondere ausländische Unternehmen betreffen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point37">37.</a>      Bei der Anknüpfung an die Steuerpflicht der Einkünfte ist dies zu bejahen. Zwar mag es auch steuerbefreite (d. h. nicht steuerpflichtige) inländische Einkünfte geben, bei denen dann keine Fusion unter Verlustnutzung möglich wäre. Es mag darüber hinaus auch im Ausland ansässige Unternehmen mit inländischen Einkünften (insbesondere bei Betriebsstätteneinkünften) geben, bei denen eine grenzüberschreitende Fusion mit einer gewissen Verlustnutzung möglich wäre. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point38">38.</a>      Allerdings ist das Unternehmensteuerrecht seinem Wesen nach durch den Dualismus von im Inland steuerpflichtigen und im Ausland nicht steuerpflichtigen Einkünften geprägt. Damit beinhaltet das Merkmal der steuerpflichtigen Einkünfte seinem Wesen nach einen territorialen Bezug. Insofern führt die Anknüpfung der Verlustberücksichtigung im Rahmen einer Fusion an die Steuerpflicht der Einkünfte der einbringenden Gesellschaft strukturell zu einer Benachteiligung einer Fusion mit ausländischen Gesellschaften.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point39">39.</a>      Diese Ungleichbehandlung ist geeignet, die Ausübung der Niederlassungsfreiheit durch die Gründung von Tochtergesellschaften in anderen Mitgliedstaaten weniger attraktiv zu machen, da im Falle einer Fusion keine Verlustnutzung bei der Muttergesellschaft möglich wäre. Sie ist jedoch nur dann mit den Bestimmungen des Vertrags unvereinbar, wenn sie objektiv miteinander vergleichbare Situationen betrifft.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">2.      <b>Vergleichbarkeit</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point40">40.</a>      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist die Vergleichbarkeit eines grenzüberschreitenden Sachverhalts mit einem innerstaatlichen Sachverhalt unter Berücksichtigung des mit den fraglichen nationalen Bestimmungen verfolgten Ziels zu prüfen.(<a href="#Footnote20" name="Footref20">20</a>) Welches (subjektive) Ziel der schwedische Gesetzgeber mit seinen steuerrechtlichen Regelungen im Rahmen einer Fusion verfolgt, lässt sich dem Vorabentscheidungsersuchen nicht explizit entnehmen. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point41">41.</a>      Das Ziel aller Steuerregelungen ist aber grundsätzlich die Erzielung von Einnahmen für den Staat. Insofern kann durchaus davon gesprochen werden, dass die Beschränkung der Verrechnung von Verlusten, denen keine steuerpflichtigen Einkünfte gegenübergestanden haben, der Sicherung des Steueraufkommens dient. Diesen Konnex sieht die schwedische Regelung ausdrücklich vor, wenn eine Verlustübertragung im Wege einer Fusion an das Vorliegen steuerpflichtiger Einkünfte anknüpft. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point42">42.</a>      Deutschland ist der Ansicht, dass es insoweit an einer Vergleichbarkeit fehle. Dies wird mit einem Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Timac Agro Deutschland(<a href="#Footnote21" name="Footref21">21</a>) und meine Schlussanträge in der Rechtssache Kommission/Vereinigtes Königreich(<a href="#Footnote22" name="Footref22">22</a>) begründet.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point43">43.</a>      Bislang hat der Gerichtshof für die Frage der Vergleichbarkeit von in- und ausländischen Betriebsstätten darauf abgestellt, ob der betreffende Mitgliedstaat auch die Steuerhoheit über die ausländische Betriebsstätte ausübt. So entschied er ausdrücklich(<a href="#Footnote23" name="Footref23">23</a>): „Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Situation einer in Österreich belegenen Betriebsstätte, über deren Ergebnisse die Bundesrepublik Deutschland keine Steuerhoheit ausübt und deren Verluste in Deutschland nicht mehr abzugsfähig sind, in Bezug auf Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung oder Abschwächung einer Doppelbesteuerung der Gewinne einer gebietsansässigen Gesellschaft nicht mit der Situation einer in Deutschland belegenen Betriebsstätte vergleichbar ist.“ Dieser Gedanke könnte ebenfalls für im Ausland ansässige und nicht im Inland besteuerte Tochtergesellschaften gelten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point44">44.</a>      Allerdings existiert eine ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs zur grenzüberschreitenden Verlustnutzung zwischen Tochter- und Muttergesellschaften, bei denen eine Vergleichbarkeit stillschweigend oder ausdrücklich bejaht wurde.(<a href="#Footnote24" name="Footref24">24</a>)</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point45">45.</a>      Zudem hat der Gerichtshof unlängst in der Rechtssache A/S Bevola in Bezug auf finale Verluste einer gebietsfremden Betriebsstätte eine Vergleichbarkeit von besteuerten inländischen und nicht besteuerten ausländischen Betriebsstätten wiederum ausdrücklich bejaht.(<a href="#Footnote25" name="Footref25">25</a>) Dies muss dann wohl erst recht für besteuerte inländische und nicht besteuerte ausländische beherrschte Tochtergesellschaften gelten. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point46">46.</a>      Schließlich ist das Kriterium der Vergleichbarkeit unscharf. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass alle Sachverhalte in irgendeinem Aspekt vergleichbar sind, wenn sie nicht identisch sind,(<a href="#Footnote26" name="Footref26">26</a>) sollte dieser Prüfungspunkt ohnehin aufgegeben werden.(<a href="#Footnote27" name="Footref27">27</a>)</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point47">47.</a>      Angesichts dessen ist also eine Vergleichbarkeit anzunehmen. Bestehende Unterschiede – hier die fehlende Symmetrie zwischen der Besteuerung der Gewinne und der Berücksichtigung der Verluste(<a href="#Footnote28" name="Footref28">28</a>) – bei einer ausländischen einbringenden Gesellschaft und einer inländischen einbringenden Gesellschaft sind erst auf der Ebene der Rechtfertigung zu berücksichtigen. Folglich ist eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gegeben.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">3.      <b>Rechtfertigung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point48">48.</a>      Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit kann durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein. Rechtfertigungsgründe können hier die Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten und die Vermeidung einer doppelten Verlustberücksichtigung (obwohl nur einmal besteuert wurde) sein.(<a href="#Footnote29" name="Footref29">29</a>) Darüber hinaus muss die Maßnahme geeignet sein, die Erreichung ihres Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was dafür erforderlich ist.(<a href="#Footnote30" name="Footref30">30</a>)</p>
<p class="C24Titrenumerote4">a)      <b>Erste Frage: Relevanz der fehlenden Verlustübertragung im Wege einer Fusion nach den Regeln des Staates der einbringenden Gesellschaft</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point49">49.</a>      Mit der ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es für die Rechtfertigung der schwedischen Verlustabzugsbeschränkung relevant ist, dass nach dem Recht der übertragenden Gesellschaft (hier nach deutschem Recht) keine Möglichkeit besteht, die Verluste bei einer Fusion mit einem anderen in Deutschland steuerpflichtigen Rechtssubjekt geltend zu machen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point50">50.</a>      Der Gerichtshof(<a href="#Footnote31" name="Footref31">31</a>) hat entschieden, dass die Grundfreiheiten grundsätzlich keine grenzüberschreitende Verlustnutzung im Konzern gebieten. Lediglich für den Fall der sogenannten <i>finalen Verluste</i> sei es unverhältnismäßig, wenn der Mitgliedstaat der Muttergesellschaft eine Verlustberücksichtigung verweigert, obwohl die ausländische Tochtergesellschaft alle Möglichkeiten zur Berücksichtigung der Verlustberücksichtigung ausgeschöpft hat und keine Möglichkeit mehr besteht, dass diese Verluste irgendwie noch berücksichtigt werden können. Dies muss der Steuerpflichtige nachweisen.(<a href="#Footnote32" name="Footref32">32</a>) Allein durch eine Liquidation nach einer Fusion könne jedoch nicht nachgewiesen werden, dass es keine Möglichkeit gäbe, die Verluste im Sitzstaat der Tochtergesellschaft zu berücksichtigen.(<a href="#Footnote33" name="Footref33">33</a>)</p>
<p class="C25Titrenumerote5">1)      <i>Zum Rechtfertigungsgrund der Vermeidung einer doppelten Verlustberücksichtigung</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point51">51.</a>      Hier könnte der Rechtfertigungsrund der Vermeidung einer doppelten Verlustberücksichtigung eingreifen. Eine doppelte Verlustberücksichtigung scheint im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen zu sein. Laut Angaben des vorlegenden Gerichts verfügt Memira noch über bestimmte liquide Vermögenswerte. Hinsichtlich dieses Rechtfertigungsgrundes ist es Sache des nationalen Gerichts, festzustellen, ob Memira tatsächlich nachgewiesen hat, dass die deutsche Tochtergesellschaft insoweit wirklich alle in Deutschland vorgesehenen Möglichkeiten der Berücksichtigung von Verlusten ausgeschöpft hat.(<a href="#Footnote34" name="Footref34">34</a>) Wenn nicht, dann liegen auch keine finalen Verluste vor.</p>
<p class="C25Titrenumerote5">2)      <i>Zum Rechtfertigungsgrund der Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point52">52.</a>      Was die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten angeht, ist darauf hinzuweisen, dass es sich um ein vom Gerichtshof anerkanntes legitimes Ziel handelt,(<a href="#Footnote35" name="Footref35">35</a>) aufgrund dessen es erforderlich sein kann, auf die wirtschaftlichen Tätigkeiten der in einem dieser Mitgliedstaaten ansässigen Steuerpflichtigen, sowohl was Gewinne als auch was Verluste betrifft, nur dessen Steuerrecht anzuwenden.(<a href="#Footnote36" name="Footref36">36</a>)</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point53">53.</a>      Im vorliegenden Fall scheidet aufgrund dieses Rechtfertigungsgrundes die Annahme von zu berücksichtigenden finalen Verlusten jedoch aus zwei Gründen aus. Zum einen würde eine Berücksichtigung der in Deutschland über die Jahre erwirtschafteten Verluste der Tochtergesellschaft die Steuerautonomie der Mitgliedstaaten verletzen (unter i). Zum anderen liegt die Voraussetzung von rechtlich zwar nutzbaren, jedoch faktisch nicht nutzbaren Verlusten im vorliegenden Fall nicht vor (unter ii). </p>
<p class="C26Titrenumerote6">i)      <i>Berücksichtigung der Steuerautonomie der Mitgliedstaaten</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point54">54.</a>      Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, können die Grundfreiheiten nicht zur Folge haben, den Mitgliedstaat des Sitzes dieser Muttergesellschaft zu verpflichten, eine Verlustberücksichtigung zu deren Gunsten mit einem Betrag vorzusehen, der seinen Ursprung allein im Steuersystem eines anderen Mitgliedstaats hat, da sonst die Steuerautonomie des erstgenannten Mitgliedstaats durch die Ausübung der Steuerhoheit des anderen Mitgliedstaats beschränkt würde.(<a href="#Footnote37" name="Footref37">37</a>)</p>
<p class="C27Titrenumerote7">–       <i>Ausschluss der Verlustübertragung im Rahmen einer Fusion im Staat der Tochtergesellschaft</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point55">55.</a>      Insofern kann – so der Gerichtshof ausdrücklich(<a href="#Footnote38" name="Footref38">38</a>) – „die Endgültigkeit der Verluste einer gebietsfremden Tochtergesellschaft im Sinne der Rn. 55 des Urteils Marks & Spencer[(<a href="#Footnote39" name="Footref39">39</a>)] nicht von dem Umstand herrühren, dass der Mitgliedstaat, in dem diese Tochtergesellschaft ihren Sitz hat, jegliche Möglichkeit des Verlustvortrags ausschließt“.(<a href="#Footnote40" name="Footref40">40</a>) Denn dann müsste ein Mitgliedstaat sein Steuerrecht an dasjenige eines anderen anpassen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point56">56.</a>      Wenn nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs(<a href="#Footnote41" name="Footref41">41</a>) die Endgültigkeit der Verluste nicht von dem Umstand herrühren kann, dass der Mitgliedstaat, in dem die Tochtergesellschaft ihren Sitz hat, jegliche Möglichkeit des Verlustvortrags ausschließt, dann muss dies auch für einen Ausschluss einer Verlustübertragung auf einen Dritten (hier im Rahmen einer Fusion) gelten. Schon deshalb ist die schwedische Regelung nicht unverhältnismäßig.</p>
<p class="C27Titrenumerote7">–       <i>Zur Finalität vorgetragener Verluste</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point57">57.</a>      Ohnehin hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Grundfreiheiten dem nicht entgegenstehen, wenn ein grenzüberschreitend verrechenbarer Verlust immer am Ende des Veranlagungszeitraums als finaler Verlust festzustellen ist.(<a href="#Footnote42" name="Footref42">42</a>) Damit ist jeder vortragsfähige Verlust – jedenfalls zunächst(<a href="#Footnote43" name="Footref43">43</a>) – nicht final. Dies ist im vorliegenden Fall von Bedeutung, da eine Verlustverrechnung der über die Jahre in Deutschland vorgetragenen Verluste begehrt wird.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point58">58.</a>      Diese angesammelten (vorgetragenen) Verluste, die in einem Jahr als nicht final gelten (weil sie vortragsfähig sind oder ihre Verlustverrechnung nach nationalem Recht ausgeschlossen war), können aber nicht später zu finalen Verlusten werden, weil aufgrund der Liquidation ein weiterer Verlustvortrag ausscheidet.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point59">59.</a>      Andernfalls würden die zunächst erfolgreichen Tätigkeiten in Deutschland allein in Deutschland besteuert, die anschließend verlustbringenden Tätigkeiten hingegen durch das Steueraufkommen anderer Staaten finanziert. Dies widerspräche der Wahrung einer angemessenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point60">60.</a>      Ähnlich geht der Gerichtshof in dem Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich davon aus, dass sich an der einmal fehlenden Finalität nichts mehr ändert.(<a href="#Footnote44" name="Footref44">44</a>) Jedenfalls deuten die Aussagen dort darauf hin, dass allenfalls der in dem letzten Jahr der Abwicklung erwirtschaftete Verlust der Tochtergesellschaft noch irgendwie (grenzüberschreitend) verrechnet werden können muss, nicht aber die bis dahin aufgelaufenen und nach nationalem (hier deutschen) Recht vorgetragenen Verluste.(<a href="#Footnote45" name="Footref45">45</a>) Daher gebietet die Niederlassungsfreiheit keine grenzüberschreitende Verrechnung dieser vorgetragenen Verluste.</p>
<p class="C27Titrenumerote7">–       <i>Wahlrecht des Steuerpflichtigen</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point61">61.</a>      Darüber hinaus steht das Prinzip der Autonomie der Steuerrechtsordnungen einem Wahlrecht der Steuerpflichtigen entgegen. Würde nämlich den Gesellschaften – so der Gerichtshof ausdrücklich(<a href="#Footnote46" name="Footref46">46</a>) – die Möglichkeit eingeräumt, für die Berücksichtigung ihrer Verluste im Mitgliedstaat ihrer Niederlassung oder für deren Berücksichtigung in einem anderen Mitgliedstaat zu optieren, so würde dadurch die Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten erheblich beeinträchtigt, da die Steuerbemessungsgrundlage im ersten Staat um die übertragenen Verluste erweitert und im zweiten Staat entsprechend verringert würde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point62">62.</a>      Die Beschränkung der Verlustberücksichtigung auf Gesellschaften mit steuerpflichtigen Einkünften in Schweden im Rahmen einer Fusion erklärt sich aber gerade vor dem Hintergrund, dass andernfalls ein Wahlrecht innerhalb eines Konzerns entstünde, wie auch die Kommission hervorhebt. Der Konzern könnte frei wählen, in welchem Mitgliedstaat (Sitzstaat irgendeiner aufnehmenden Konzerngesellschaft) er im Fall der Erfolglosigkeit die Verluste seiner Gesellschaften verwerten möchte. Dieser Gesichtspunkt ist im Hinblick auf die Annahme und Definition „finaler Verluste“ zu berücksichtigen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point63">63.</a>      Fusionen mit Tochtergesellschaften mit hohen Verlustvorträgen könnten in solche Länder verlagert werden, die – wie in Schweden der Fall – einen Verlustübergang im Wege einer Fusion erlauben, wenn eine Fusion im Staat der Tochtergesellschaft nicht verlustwahrend möglich ist. Je nachdem in welchem Mitgliedstaat der Konzern über entsprechende Gewinne verfügt und die höchste Steuer zahlen müsste, wäre eine entsprechende Fusion am effektivsten. Dies gilt umso mehr, als die schwedischen Fusionsvorschriften nicht voraussetzen, dass beide Gesellschaften einem Konzern zugehörig sind, wie dies in dem dem Urteil Marks & Spencer(<a href="#Footnote47" name="Footref47">47</a>) zugrunde liegenden Sachverhalt der Fall war.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point64">64.</a>      Aus diesem Urteil folgt im Übrigen – im Einklang mit dem Territorialitätsprinzip – ein Vorrang einer Verlustnutzung im Sitzstaat, hier in Deutschland. Auch wenn das deutsche Steuerrecht keine Verlustübertragung im Wege einer Fusion erlaubt, so erlaubt es doch bei einer Anteilsübertragung zum Zweck der Sanierung der angeschlagenen Gesellschaft einen Erhalt der Verluste und im Ergebnis eine Verlustnutzung durch die neuen Anteilseigner.(<a href="#Footnote48" name="Footref48">48</a>) Auch deshalb kann Memira nicht für eine Verlustberücksichtigung in Schweden optieren.</p>
<p class="C26Titrenumerote6">ii)    <i>Differenzierung zwischen faktischer und rechtlicher Finalität?</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point65">65.</a>      Fast alle Verfahrensbeteiligten trennen vor diesem Hintergrund für die Beurteilung der Finalität eines Verlustes zwischen rechtlich und faktisch nicht verwertbaren (d. h. finalen) Verlusten. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point66">66.</a>      Verluste, die deshalb nicht nutzbar sind, weil sie im Mitgliedstaat der Entstehung rechtlich nicht anerkannt oder aufgrund rechtlicher Beschränkungen nicht verwertbar (z. B. nicht vor- oder rücktragbar) sind, sollen keine finalen Verluste im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs darstellen. Lediglich solche Verluste, die rechtlich zwar verwertbar wären, faktisch in der Zukunft aber nicht verwertet werden können, könnten als finale Verluste betrachtet werden. Das überzeugt aufgrund der Autonomie der Steuerrechtsordnungen (Nrn. 54 ff.).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point67">67.</a>      Zweifelhaft erscheint mir aber, ob es rechtlich verwertbare, aber faktisch nicht verwertbare Verluste überhaupt geben kann. Ich möchte dies an einem Beispiel veranschaulichen. Der einzige Fall, bei dem trotz unbeschränkter Verlustvortrags- und Verlustrücktragsmöglichkeit ein Verlust verbliebe, wäre der Fall eines insgesamt defizitären Unternehmens, welches nie ausreichend Gewinn erwirtschaftet hat, auch nachdem alle Wirtschaftsgüter veräußert wurden. In diesem Fall würde sich auch der Verlust des letzten Jahres trotz Verlustrücktragsmöglichkeit (faktisch) nicht auswirken können.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point68">68.</a>      Aber auch in diesem Fall bestünde immer noch die Möglichkeit, diese Verluste mit der Veräußerung des Unternehmens im Ergebnis auf einen Käufer zu übertragen,(<a href="#Footnote49" name="Footref49">49</a>) sofern der Sitzmitgliedstaat dies zulässt. Der Käufer wird den Wert der bestehenden Verluste über den Kaufpreis des Unternehmens berücksichtigen, so dass der Verkäufer insoweit diese Verluste „realisiert“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point69">69.</a>      Wenn die jeweilige Rechtsordnung eine Übertragung der Verluste auf andere Personen ermöglicht, dann ist eine Verwertung dieser Verluste immer auch faktisch möglich. Sie ist vielleicht im Einzelfall nicht von besonderem Erfolg gekrönt, weil der Erwerber eines defizitären Unternehmens nicht unbedingt viel Geld für ein solches ausgeben wird. Dies ändert aber nichts an einer faktischen Verwertbarkeit der Verluste.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point70">70.</a>      Damit basiert die Endgültigkeit der Verluste auch in diesem Fall entweder auf der Rechtsordnung des Mitgliedstaats (Ausschluss jeder Verlustübertragungsmöglichkeit) oder auf der Entscheidung des Steuerpflichtigen, die Gesellschaft nicht zu veräußern, sondern im Wege einer Fusion zu liquidieren. In beiden Fällen ist aber nicht einleuchtend, warum eine fehlende Verlustberücksichtigung in einem anderen Mitgliedstaat dann unverhältnismäßig sein sollte. Nicht ohne Grund verlangt der Gerichtshof, dass alle Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Verlusten ausgeschöpft wurden. Dazu gehört auch eine Übertragung der Verluste auf einen Dritten im Wege eines Verkaufs. </p>
<p class="C26Titrenumerote6">iii) <i>Finale Verluste im Sinne von Bevola?</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point71">71.</a>      Dem steht auch nicht das jüngere Urteil Bevola(<a href="#Footnote50" name="Footref50">50</a>) entgegen. Zum einen hat der Gerichtshof dort „lediglich“ die Marks & Spencer-Ausnahme auf „finale“ Verluste von Betriebsstätten übertragen und nicht die oben vorgenommenen Einschränkungen in Frage gestellt.(<a href="#Footnote51" name="Footref51">51</a>) Insbesondere hat er sich nicht näher zu der Frage geäußert, wann finale Verluste vorliegen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point72">72.</a>      Zum anderen wird in diesem neueren Urteil schwerpunktmäßig(<a href="#Footnote52" name="Footref52">52</a>) mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip argumentiert. Dies mag in einer Betriebsstättenkonstellation noch verständlich sein, da Betriebsstätten rechtlich einen unselbständigen Teil des Unternehmens eines Steuerpflichtigen darstellen. Bei Tochter- und Enkelgesellschaften würde diese Argumentation jedoch nicht greifen. Diese sind selbständige Rechtspersonen, die auch eine eigenständige finanzielle Leistungsfähigkeit (wenn man darunter die Fähigkeit, aufgrund ihrer Einkünfte Steuern zu zahlen, versteht) aufweisen.(<a href="#Footnote53" name="Footref53">53</a>) Dass es für die zutreffende Besteuerung der Leistungsfähigkeit der Muttergesellschaft notwendig sei, die Verluste der Tochtergesellschaft zu berücksichtigen, hat der Gerichtshof – und dies zu Recht – nicht entschieden. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point73">73.</a>      Der Konzernausgleich stellt steuerrechtlich betrachtet vielmehr eine Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips dar, weil die Leistungsfähigkeit mehrerer Rechtssubjekte zusammengerechnet wird. Die Einbeziehung weiterer Rechtssubjekte kann daher jedenfalls nicht mit dem Grundsatz einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit begründet werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point74">74.</a>      Im Gegenteil widerspricht es sogar vielmehr dem Grundsatz einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, wenn ein Mitgliedstaat nur eine Seite (d. h. nur die Einkünfte oder nur die Ausgaben) berücksichtigt. Meines Wissens gibt es zudem weder einen allgemeinen steuerrechtlichen noch einen allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz, dass am Ende eines Lebenszyklus einer Rechtsperson alle Verluste irgendwie ausgeglichen werden müssten. Insbesondere gebietet das Leistungsfähigkeitsprinzip hier keinen Verlustexport in andere Mitgliedstaaten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point75">75.</a>      Auch nach Maßgabe des Urteils Bevola liegen hier also keine abzugsfähigen finalen Verluste vor, die von Deutschland nach Schweden exportiert werden können.</p>
<p class="C26Titrenumerote6">iv)    <i>Zwischenergebnis unter Berücksichtigung eines „fairen Binnenmarktes“</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point76">76.</a>      Dieses aus der Rechtsprechung abgeleitete Ergebnis überzeugt auch im Hinblick auf einen „fairen“ Binnenmarkt, der angesichts der sogenannten BEPS-Debatte(<a href="#Footnote54" name="Footref54">54</a>) wieder etwas mehr in den Fokus gerückt ist. Denn eine grenzüberschreitende Verlustverrechnungsmöglichkeit finaler Verluste würde gerade in der vorliegenden besonderen Konstellation vor allem große grenzüberschreitend agierende Konzerne gegenüber kleineren (in der Regel nicht grenzüberschreitend tätigen) Unternehmen begünstigen. Wenn z. B. Memira weiß, dass letztendlich alle aufgelaufenen Verluste aus dem deutschen Geschäftsmodell mit den Gewinnen anderer Konzerngesellschaften in anderen Mitgliedstaaten verrechnet werden können, dann kann Memira bei dem Versuch, sich auf dem deutschen Markt zu positionieren, ganz anders im Wettbewerb auftreten als ein deutscher Mitbewerber, der davon ausgehen muss, dass seine Verluste untergehen werden, wenn er seine Geschäftstätigkeit in Deutschland einstellt. Für Memira wären die „deutschen Verluste“ eine viel geringere Belastung als für einen inländischen Konkurrenten ohne eine entsprechende Konzernstruktur. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point77">77.</a>      Unter Berücksichtigung dessen und bei konsequenter Anwendung der Rechtsprechung des Gerichtshofs (vgl. dazu Nrn. 51 ff. und die dort angeführte Rechtsprechung) gelangt man also zu folgendem Ergebnis: Ist die Verlustnutzung im Sitzstaat der Tochtergesellschaft rechtlich ausgeschlossen, liegen keine finalen Verluste vor. Wenn eine Verlustnutzung durch den Sitzstaat möglich ist, dann muss der Steuerpflichtige diese Möglichkeiten ausgeschöpft haben. Darunter fällt ausweislich des Urteil Marks & Spencer(<a href="#Footnote55" name="Footref55">55</a>) auch eine Realisierung der Verluste durch Übertragung auf einen Dritten, an der es hier fehlt. Insofern kann auch deshalb konstatiert werden, dass bei Memira keine finalen Verluste vorliegen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point78">78.</a>      Damit ist hier der Ausschluss der Verrechnung der Verluste einer im Ausland ansässigen und im Inland nicht besteuerten Tochtergesellschaft im Rahmen einer Fusion durch Schweden nicht unverhältnismäßig.</p>
<p class="C25Titrenumerote5">3)      <i>Antwort auf die erste Frage</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point79">79.</a>      Damit ist die erste Frage wie folgt zu beantworten: Art. 49 in Verbindung mit Art. 54 AEUV setzt für eine grenzüberschreitende Verlustverrechnung voraus, dass es rechtlich möglich ist, die Verluste im Sitzstaat der Tochtergesellschaft zu berücksichtigen, und diese Möglichkeit durch den Steuerpflichtigen wahrgenommen wurde. Unter eine solche Berücksichtigungsmöglichkeit fällt auch eine Realisierung der Verluste im Wege einer Fusion mit einem Dritten oder eine Realisierung im Wege eines Verkaufs der Gesellschaft an einen Dritten. Ersteres ist in Deutschland nicht möglich, Letzteres in eingeschränktem Maße schon, wurde aber von Memira nicht wahrgenommen. Damit fehlt es auf jeden Fall an den Voraussetzungen für die Annahme eines finalen Verlustes. </p>
<p class="C24Titrenumerote4">b)      <b>Zweite Frage: Relevanz der konkreten Fusionsmöglichkeit im Konzern</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point80">80.</a>      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob in dem Fall, dass eine verlustwahrende Fusion in dem Sitzstaat ausgeschlossen ist, sich an der Beurteilung der Finalität etwas ändert, wenn es im konkreten Fall tatsächlich „kein anderes Rechtssubjekt gibt, dass einen Verlustabzug hätte vornehmen können, wenn dieser zulässig gewesen wäre“. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point81">81.</a>      Diese Frage ist etwas schwer verständlich, da kaum denkbar ist, dass kein anderes Rechtssubjekt in ganz Deutschland existieren würde, das einen Verlustabzug hätte vornehmen können. Gemeint ist wohl, ob finale Verluste auch dann vorliegen, wenn Memira – wie dies Italien in seiner Stellungnahme herausgearbeitet hat – konkret noch über eine andere Konzerngesellschaft in Deutschland verfügt, mit der eine Fusion möglich gewesen wäre, oder ob es für die Verneinung der Finalität ausreicht, dass abstrakt bei einer Fusion mit einer Konzerngesellschaft in Deutschland die Verluste untergegangen wären.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point82">82.</a>      Die Antwort folgt bereits aus der Tatsache, dass es rechtlich verwertbare, aber faktisch nicht verwertbare Verluste nicht geben kann (dazu oben, Nrn. 67 ff.). Insofern macht es keinen Unterschied, ob Memira im konkreten Fall noch über eine weitere Konzerngesellschaft in Deutschland verfügt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point83">83.</a>      Darüber hinaus ergibt sich die Antwort auf die zweite Frage auch bereits aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs. Danach kommt eine grenzüberschreitende Berücksichtigung „ausländischer“ Verluste nur in Betracht, wenn die gebietsfremde Tochtergesellschaft die im Staat ihres Sitzes vorgesehenen Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Verlusten gegebenenfalls durch Übertragung auf einen Dritten ausgeschöpft hat und keine Möglichkeit besteht, dass diese Verluste von einem Dritten (im Sitzstaat) berücksichtigt werden.(<a href="#Footnote56" name="Footref56">56</a>) Der Gerichtshof spricht ausdrücklich von einem Dritten und nicht von einer weiteren konzernzugehörigen Person, wie im Ergebnis mehr oder weniger alle beteiligten Mitgliedstaaten betonen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point84">84.</a>      Insofern ist entweder eine Übertragung auf irgendeinen Dritten möglich (dazu zählt auch der wirtschaftliche Verlustübergang bei einem Verkauf der Gesellschaft auf die neuen Anteilseigner), so dass finale Verluste im Sinne der Marks & Spencer-Rechtsprechung ausscheiden. Oder der Mitgliedstaat hat einen Verlustübergang rechtlich (wie in Deutschland z. B. hinsichtlich einer Fusion) ausgeschlossen. Dann ist es auch nicht unverhältnismäßig, wenn ein solcher Ausschluss auch im Staat der Muttergesellschaft berücksichtigt wird.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">VI.    <b>Entscheidungsvorschlag</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point85">85.</a>      Aus diesen Gründen schlage ich vor, die Vorlagefragen des Högsta förvaltningsdomstol (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Schweden) wie folgt zu beantworten:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Art. 49 in Verbindung mit Art. 54 AEUV setzt für eine grenzüberschreitende Verlustverrechnung voraus, dass es rechtlich möglich ist, die Verluste im Sitzstaat der Tochtergesellschaft zu berücksichtigen, und diese Möglichkeit durch den Steuerpflichtigen wahrgenommen wurde. Unter eine solche Berücksichtigungsmöglichkeit fällt auch eine Realisierung der Verluste im Wege einer Fusion mit einem Dritten oder eine Realisierung im Wege eines Verkaufs der Gesellschaft an einen Dritten.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Für dieses Ergebnis ist es irrelevant, ob der Konzern im konkreten Fall noch über weitere Gesellschaften im Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft verfügt, auf die ein Verlustübertrag möglich gewesen wäre.</p>
<hr/>
<p class="C40FootnoteLangue">
<a href="#Footref1" name="Footnote1">1</a>      Originalsprache: Deutsch.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref2" name="Footnote2">2</a>      Siehe auch C‑608/17 und meine Schlussanträge vom gleichen Tag.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref3" name="Footnote3">3</a>      Urteil vom 13. Dezember 2005 (C‑446/03, EU:C:2005:763).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref4" name="Footnote4">4</a>      Ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Urteile vom 4. Juli 2018, NN (C‑28/17, EU:C:2018:526), vom 12. Juni 2018, Bevola und Jens W. Trock (C‑650/16, EU:C:2018:424), vom 17. Dezember 2015, Timac Agro Deutschland (C‑388/14, EU:C:2015:829), vom 3. Februar 2015, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑172/13, EU:C:2015:50), vom 7. November 2013, K (C‑322/11, EU:C:2013:716), vom 21. Februar 2013, A (C‑123/11, EU:C:2013:84), sowie vom 15. Mai 2008, Lidl Belgium (C‑414/06, EU:C:2008:278).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref5" name="Footnote5">5</a>      Darauf deutet die ausdrückliche Übertragung der Marks & Spencer-Rechtsprechung in der Rechtssache Bevola (Urteil vom 12. Juni 2018, Bevola und Jens W. Trock, C‑650/16, EU:C:2018:424, Rn. 63 und 64) auf ausländische Betriebsstättenverluste wohl hin. Andererseits wird die Rechtsfigur der finalen Verluste von mehreren Stimmen im Gerichtshof auch für entbehrlich gehalten: vgl. nur Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache K (C‑322/11, EU:C:2013:183, Nrn. 66 ff. und 87) sowie meine Schlussanträge in der Rechtssache Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑172/13, EU:C:2014:2321, Nrn. 41 ff.) und in der Rechtssache A (C‑123/11, EU:C:2012:488, Nrn. 50 ff.).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref6" name="Footnote6">6</a>      Richtlinie des Rates vom 19. Oktober 2009 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, Abspaltungen, die Einbringung von Unternehmensanteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, sowie für die Verlegung des Sitzes einer Europäischen Gesellschaft oder einer Europäischen Genossenschaft von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat (ABl. 2009, L 310, S. 34), durch die die Richtlinie 90/434/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 mit gleichlautendem Titel (ABl. 1990, L 225, S. 1) neu gefasst wurde. Diese Richtlinie wurde geändert durch die Richtlinie 2013/13/EU des Rates vom 13. Mai 2013 zur Anpassung bestimmter Richtlinien im Bereich Steuern anlässlich des Beitritts der Republik Kroatien (ABl. 2013, L 141, S. 30) und ist nicht zu verwechseln mit der Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten (ABl. 2005, L 310, S. 1), die sich mit den gesellschaftsrechtlichen Aspekten bestimmter grenzüberschreitender Zusammenschlüsse befasst.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref7" name="Footnote7">7</a>      Gesetz Nr. 1229 aus dem Jahr 1999 über die Körperschaft- und Einkommensteuer.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref8" name="Footnote8">8</a>      Urteil vom 21. Februar 2013 (C‑123/11, EU:C:2013:84).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref9" name="Footnote9">9</a>      Urteil vom 13. Dezember 2005 (C‑446/03, EU:C:2005:763).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref10" name="Footnote10">10</a>      So zuletzt erst wieder Urteile vom 8. März 2017, Euro Park Service (C‑14/16, EU:C:2017:177, Rn. 19), vom 12. November 2015, Visnapuu (C‑198/14, EU:C:2015:751, Rn. 40), vom 11. Dezember 2003, Deutscher Apothekerverband (C‑322/01, EU:C:2003:664, Rn. 64), sowie vom 16. Dezember 2008, Gysbrechts und Santurel Inter (C‑205/07, EU:C:2008:730, Rn. 33) – wenngleich im konkreten Fall immer eine fehlende Bindung an das Primärrecht ablehnend. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref11" name="Footnote11">11</a>      Urteile vom 2. September 2015, Groupe Steria (C‑386/14, EU:C:2015:524, Rn. 39), vom 18. September 2003, Bosal (C‑168/01, EU:C:2003:479, Rn. 25 und 26), vom 23. Februar 2006, Keller Holding (C‑471/04, EU:C:2006:143, Rn. 45), vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in the FII Group Litigation (C‑446/04, EU:C:2006:774, Rn. 46), vom 29. Februar 1984, REWE-Zentrale (37/83, EU:C:1984:89, Rn. 18), und vom 26. Oktober 2010, Schmelz (C‑97/09, EU:C:2010:632, Rn. 50).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref12" name="Footnote12">12</a>      Urteil vom 5. Oktober 1978, Viola (26/78, EU:C:1978:172, Rn. 9/14).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref13" name="Footnote13">13</a>      Urteile vom 29. November 2011, National Grid Indus (C‑371/10, EU:C:2011:785, Rn. 36), vom 21. Mai 2015, Verder LabTec (C‑657/13, EU:C:2015:331, Rn. 34), und vom 16. April 2015, Kommission/Deutschland (C‑591/13, EU:C:2015:230, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref14" name="Footnote14">14</a>      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. Juli 2018, NN (C‑28/17, EU:C:2018:526, Rn. 18), vom 25. Februar 2010, X Holding (C‑337/08, EU:C:2010:89, Rn. 20), sowie vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in the FII Group Litigation (C‑446/04, EU:C:2006:774, Rn. 167).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref15" name="Footnote15">15</a>      Vgl. u. a. Urteile vom 5. Dezember 1989, Kommission/Italien (C‑3/88, EU:C:1989:606, Rn. 8), vom 13. Juli 1993, Commerzbank (C‑330/91, EU:C:1993:303, Rn. 14), vom 14. Februar 1995, Schumacker (C‑279/93, EU:C:1995:31, Rn. 26), vom 8. Juli 1999, Baxter u. a. (C‑254/97, EU:C:1999:368, Rn. 10), vom 25. Januar 2007, Meindl (C‑329/05, EU:C:2007:57, Rn. 21), vom 18. März 2010, Gielen (C‑440/08, EU:C:2010:148, Rn. 37), vom 1. Juni 2010, Blanco Pérez und Chao Gómez (C‑570/07 und C‑571/07, EU:C:2010:300, Rn. 117 und 118), vom 5. Februar 2014, Hervis Sport- és Divatkereskedelmi (C‑385/12, EU:C:2014:47, Rn. 30), und vom 8. Juni 2017, Van der Weegen u. a. (C‑580/15, EU:C:2017:429, Rn. 33); siehe auch meine Schlussanträge in der Rechtssache Hervis Sport- és Divatkereskedelmi (C‑385/12, EU:C:2013:531, Nr. 34).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref16" name="Footnote16">16</a>      Urteil vom 5. Februar 2014, Hervis Sport- és Divatkereskedelmi (C‑385/12, EU:C:2014:47, Rn. 39 ff.).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref17" name="Footnote17">17</a>      Vgl. dazu meine Schlussanträge in der Rechtssache ANGED (C‑233/16, EU:C:2017:852, Nrn. 34 ff.) und in der Rechtssache Hervis Sport- és Divatkereskedelmi (C‑385/12, EU:C:2013:531, Nr. 41).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref18" name="Footnote18">18</a>      Siehe dazu bereits meine Schlussanträge in der Rechtssache ANGED (C‑233/16, EU:C:2017:852, Nr. 38) und in der Rechtssache Hervis Sport- és Divatkereskedelmi (C‑385/12, EU:C:2013:531, Nr. 40).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref19" name="Footnote19">19</a>      So auch im Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit Urteil vom 1. Juni 2010, Blanco Pérez und Chao Gómez (C‑570/07 und C‑571/07, EU:C:2010:300, Rn. 119).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref20" name="Footnote20">20</a>      Urteile vom 4. Juli 2018, NN (C‑28/17, EU:C:2018:526, Rn. 31), vom 12. Juni 2018, Bevola und Jens W. Trock (C‑650/16, EU:C:2018:424, Rn. 32), vom 22. Juni 2017, Bechtel (C‑20/16, EU:C:2017:488, Rn. 53), vom 12. Juni 2014, SCA Group Holding u. a. (C‑39/13 bis C‑41/13, EU:C:2014:1758, Rn. 28), und vom 25. Februar 2010, X Holding (C‑337/08, EU:C:2010:89, Rn. 22).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref21" name="Footnote21">21</a>      Urteil vom 17. Dezember 2015 (C‑388/14, EU:C:2015:829, Rn. 65), welches auf das Urteil vom 17. Juli 2014, Nordea Bank (C‑48/13, EU:C:2014:2087, Rn. 24), und das Urteil vom 14. Dezember 2006, Denkavit Internationaal und Denkavit France (C‑170/05, EU:C:2006:783, Rn. 34 und 35), Bezug nimmt.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref22" name="Footnote22">22</a>      C‑172/13, EU:C:2014:2321, Nr. 26 – allerdings habe ich dort im konkreten Fall eine Vergleichbarkeit bejaht (siehe Nr. 29).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref23" name="Footnote23">23</a>      Urteil vom 17. Dezember 2015, Timac Agro Deutschland (C‑388/14, EU:C:2015:829, Rn. 65), unter Hinweis auf das Urteil vom 17. Juli 2014, Nordea Bank (C‑48/13, EU:C:2014:2087, Rn. 24), und das Urteil vom 14. Dezember 2006, Denkavit Internationaal und Denkavit France (C‑170/05, EU:C:2006:783, Rn. 34 und 35).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref24" name="Footnote24">24</a>      Urteile vom 4. Juli 2018, NN (C‑28/17, EU:C:2018:526, Rn. 35), vom 3. Februar 2015, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑172/13, EU:C:2015:50, Rn. 22 ff.), vom 21. Februar 2013, A (C‑123/11, EU:C:2013:84, Rn. 35), sowie vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C‑446/03, EU:C:2005:763, Rn. 27 ff.).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref25" name="Footnote25">25</a>      Urteil vom 12. Juni 2018, Bevola und Jens W. Trock (C‑650/16, EU:C:2018:424, Rn. 38 und 39).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref26" name="Footnote26">26</a>      Zwar sagt ein deutsches Sprichwort, dass man Äpfel nicht mit Birnen vergleichen könne. Aber auch Äpfel und Birnen haben Gemeinsamkeiten (so sind beide Kernobst) und sind damit insofern auch vergleichbar.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref27" name="Footnote27">27</a>      Dies hatte ich dem Gerichtshof schon in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Nordea Bank (C‑48/13, EU:C:2014:153, Nrn. 21 bis 28) vorgeschlagen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref28" name="Footnote28">28</a>      Vgl. dazu ausdrücklich Urteile vom 6. September 2012, Philips Electronics (C‑18/11, EU:C:2012:532), und vom 15. Mai 2008, Lidl Belgium (C‑414/06, EU:C:2008:278, Rn. 33).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref29" name="Footnote29">29</a>      Urteil vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C‑446/03, EU:C:2005:763, Rn. 43 ff.).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref30" name="Footnote30">30</a>      Urteile vom 29. November 2011, National Grid Indus (C‑371/10, EU:C:2011:785, Rn. 42), vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (C‑196/04, EU:C:2006:544, Rn. 47), und vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C‑446/03, EU:C:2005:763, Rn. 35).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref31" name="Footnote31">31</a>      Urteil vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C‑446/03, EU:C:2005:763).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref32" name="Footnote32">32</a>      Urteil vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C‑446/03, EU:C:2005:763, Rn. 55 und 56).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref33" name="Footnote33">33</a>      Urteil vom 21. Februar 2013, A (C‑123/11, EU:C:2013:84, Rn. 51 und 52).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref34" name="Footnote34">34</a>      In diesem Sinne auch Urteil vom 21. Februar 2013, A (C‑123/11, EU:C:2013:84, Rn. 54).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref35" name="Footnote35">35</a>      Urteile vom 7. November 2013, K (C‑322/11, EU:C:2013:716, Rn. 50), vom 29. November 2011, National Grid Indus (C‑371/10, EU:C:2011:785, Rn. 45), und vom 6. September 2012, Philips Electronics (C‑18/11, EU:C:2012:532, Rn. 23); Urteil vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C‑446/03, EU:C:2005:763, Rn. 45 und 46).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref36" name="Footnote36">36</a>      Urteile vom 7. November 2013, K (C‑322/11, EU:C:2013:716, Rn. 50), vom 15. Mai 2008, Lidl Belgium (C‑414/06, EU:C:2008:278, Rn. 31), vom 18. Juli 2007, Oy AA (C‑231/05, EU:C:2007:439, Rn. 54), und vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C‑446/03, EU:C:2005:763, Rn. 45).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref37" name="Footnote37">37</a>      In diesem Sinne bereits die Urteile vom 21. Dezember 2016, Masco Denmark und Damixa (C‑593/14, EU:C:2016:984, Rn. 41), und vom 30. Juni 2011, Meilicke u. a. (C‑262/09, EU:C:2011:438, Rn. 33).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref38" name="Footnote38">38</a>      Urteil vom 3. Februar 2015, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑172/13, EU:C:2015:50, Rn. 33).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref39" name="Footnote39">39</a>      Urteil vom 13. Dezember 2005 (C‑446/03, EU:C:2005:763).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref40" name="Footnote40">40</a>      Vgl. Urteil vom 7. November 2013, K (C‑322/11, EU:C:2013:716, Rn. 75 bis 79 und die dort angeführte Rechtsprechung)</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref41" name="Footnote41">41</a>      Urteile vom 3. Februar 2015, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑172/13, EU:C:2015:50, Rn. 33), vom 17. Dezember 2015, Timac Agro Deutschland (C‑388/14, EU:C:2015:829, Rn. 54).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref42" name="Footnote42">42</a>      Urteil vom 3. Februar 2015, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑172/13, EU:C:2015:50, Rn. 31 und 36).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref43" name="Footnote43">43</a>      Die Bundesrepublik Deutschland vertritt daher die Ansicht, dass nur der im letzten Jahr entstehende Verlust aufgrund der faktisch fehlenden Vortragsfähigkeit als sogenannter finaler Verlust zu betrachten ist, während die vorgetragenen Verluste ihren Charakter als nicht finale Verluste nicht mehr verlieren. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref44" name="Footnote44">44</a>      Vgl. Urteil vom 3. Februar 2015 (C‑172/13, EU:C:2015:50, Rn. 37).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref45" name="Footnote45">45</a>      So wird der EuGH zum Teil auch verstanden – vgl. die Stellungnahme von Deutschland in diesem Verfahren und z. B. David Eisendle, „Grenzüberschreitende Verlustverrechnung im Jahre 11 nach Marks & Spencer“, <i>ISR</i> 2016, 37 (42).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref46" name="Footnote46">46</a>      Urteile vom 15. Mai 2008, Lidl Belgium (C‑414/06, EU:C:2008:278, Rn. 32), vom 18. Juli 2007, Oy AA (C‑231/05, EU:C:2007:439, Rn. 55), und vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C‑446/03, EU:C:2005:763, Rn. 46).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref47" name="Footnote47">47</a>      Urteil vom 13. Dezember 2005 (C‑446/03, EU:C:2005:763).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref48" name="Footnote48">48</a>      Die entsprechende Vorschrift in § 8c KStG war als sogenannte Sanierungsklausel erst unlängst Gegenstand eines Verfahrens vor dem Gerichtshof (Urteil vom 28. Juni 2018, Andres [Insolvenz Heitkamp BauHolding]/Kommission (C‑203/16 P, EU:C:2018:505).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref49" name="Footnote49">49</a>      Diesen Punkt spricht z. B. der EuGH, Urteil vom 21. Februar 2013, A (C‑123/11, EU:C:2013:84, Rn. 52 ff.), ausdrücklich an.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref50" name="Footnote50">50</a>      Urteil vom 12. Juni 2018, Bevola und Jens W. Trock (C‑650/16, EU:C:2018:424, Rn. 61 ff.).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref51" name="Footnote51">51</a>      Im Gegenteil – der Gerichtshof hat ausdrücklich das nationale Gericht damit beauftragt, festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Annahme eines finalen Verlusts überhaupt vorliegen – vgl. Urteil vom 12. Juni 2018, Bevola und Jens W. Trock (C‑650/16, EU:C:2018:424, Rn. 65).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref52" name="Footnote52">52</a>      Urteil vom 12. Juni 2018, Bevola und Jens W. Trock (C‑650/16, EU:C:2018:424, Rn. 39 und 59); siehe auch Urteil vom 4. Juli 2018, NN (C‑28/17, EU:C:2018:526, Rn. 35).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref53" name="Footnote53">53</a>      Die Annahme einer zu rechtlich relevanten grenzüberschreitenden Leistungsfähigkeit von Konzernen würde wohl nur neue Gestaltungsperspektiven für große internationale Konzerne eröffnen. Bedenklich daher das Urteil vom 4. Juli 2018, NN (C‑28/17, EU:C:2018:526, Rn. 35).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref54" name="Footnote54">54</a>      Darunter wird vereinfacht ausgedrückt die Steuergestaltung sogenannter multinationaler Konzerne verstanden, die innerhalb der bisherigen Steuersysteme über (rechtlich legale) Möglichkeiten verfügen, ihre Bemessungsgrundlagen in Hochsteuerländern zu minimieren und die Gewinne in Niedrigsteuerländer (Base Erosion and Profit Shifting) zu verlagern.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref55" name="Footnote55">55</a>      Urteil vom 13. Dezember 2005 (C‑446/03, EU:C:2005:763, Rn. 55).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref56" name="Footnote56">56</a>      Urteile vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C‑446/03, EU:C:2005:763, Rn. 55), und vom 21. Februar 2013, A (C‑123/11, EU:C:2013:84, Rn. 56 a. E.).</p>
|
175,056 | eugh-2019-01-10-c-51617 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-516/17 | 2019-01-10T00:00:00 | 2019-01-31T19:21:07 | 2019-01-31T19:21:07 | Schlussantrag des Generalanwalts | ECLI:EU:C:2019:16 | <p class="C36Centre">SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS</p>
<p class="C36Centre">MACIEJ SZPUNAR</p>
<p class="C36Centre">vom 10. Januar 2019(<a href="#Footnote1" name="Footref1">1</a>)</p>
<p class="C38Centregrasgrandespacement">
<b>Rechtssache C</b>‑<b>516/17</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Spiegel Online GmbH</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>gegen</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Volker Beck</b>
</p>
<p class="C39Centreespacement">(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs [Deutschland])</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Ausschließliche Rechte der Vervielfältigung und der öffentlichen Wiedergabe – Spielraum bei der Umsetzung in nationales Recht – Mit dem Ziel der Berichterstattung über Tagesereignisse verbundene Ausnahme – Angemessene Möglichkeit, vor der Veröffentlichung eine Erlaubnis einzuholen – Durch einen neben dem Text bereitgestellten Hyperlink zugängliche Referenztexte – In seiner spezifischen Form mit Zustimmung des Urhebers veröffentlichtes Werk“</p>
<br/>
<br/>
<br/>
<br/>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Einleitung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point1">1.</a>        Die Rolle, die die Freiheit der Meinungsäußerung im Allgemeinen und die Freiheit der Medien im Besonderen in einer demokratischen Gesellschaft spielen, kann nicht hoch genug veranschlagt werden. Der freie Gedankenaustausch und die Kontrolle der Macht durch die Gesellschaft – Vorgänge, für die die Medien unerlässliche Mittler sind – bilden das Fundament einer solchen Gesellschaft.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point2">2.</a>        Die Freiheit der Meinungsäußerung ist seit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 (Art. 11) als Grundrecht anerkannt. Die Verfasser dieser Erklärung waren sich jedoch bewusst, dass der Gebrauch, den die einen von ihrer Freiheit machen, die Freiheit der anderen beschränken kann. In Art. 4 haben sie daher den Grundsatz aufgestellt, dass „die Ausübung der natürlichen Rechte eines jeden Menschen … nur die Grenzen [hat], die den anderen Mitgliedern der Gesellschaft den Genuss ebendieser Rechte sichern“. Zu der Frage, wer die Regeln für den Ausgleich zwischen diesen Freiheiten festzulegen hat, präzisiert Art. 4 Satz 2: „Diese Grenzen können nur durch das Gesetz bestimmt werden.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point3">3.</a>        Diese einfachen und natürlichen Grundsätze gelten nach wie vor. Das Gesetz als Ausdruck des allgemeinen Willens(<a href="#Footnote2" name="Footref2">2</a>) soll die verschiedenen Grundrechte zum größtmöglichen Nutzen aller miteinander in Einklang bringen. Nichts anderes gilt für den Bereich des Urheberrechts, wie die vorliegende Rechtssache sehr gut veranschaulicht.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Internationales Recht</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point4">4.</a>        In Art. 9 Abs. 1 der am 9. September 1886 in Bern unterzeichneten Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst (Pariser Fassung vom 24. Juli 1971) in ihrer am 28. September 1979 geänderten Fassung (im Folgenden: Berner Übereinkunft) ist das Recht der Urheber verankert, jede Vervielfältigung ihrer Werke zu erlauben. In Art. 9 Abs. 2, Art. 10 Abs. 1 und Art. 10a Abs. 2 der Berner Übereinkunft heißt es:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Der Gesetzgebung der Verbandsländer [der Berner Übereinkunft] bleibt vorbehalten, die Vervielfältigung in gewissen Sonderfällen unter der Voraussetzung zu gestatten, dass eine solche Vervielfältigung weder die normale Auswertung des Werkes beeinträchtigt noch die berechtigten Interessen des Urhebers unzumutbar verletzt.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">Zitate aus einem der Öffentlichkeit bereits erlaubterweise zugänglich gemachten Werk sind zulässig, sofern sie anständigen Gepflogenheiten entsprechen und in ihrem Umfang durch den Zweck gerechtfertigt sind, einschließlich der Zitate aus Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln in Form von Presseübersichten.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">Ebenso bleibt der Gesetzgebung der Verbandsländer vorbehalten zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen anlässlich der Berichterstattung über Tagesereignisse durch Photographie oder Film oder im Weg der Rundfunksendung oder Übertragung mittels Draht an die Öffentlichkeit Werke der Literatur oder Kunst, die im Verlauf des Ereignisses sichtbar oder hörbar werden, in dem durch den Informationszweck gerechtfertigten Umfang vervielfältigt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden dürfen.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point5">5.</a>        Nach Art. 1 Abs. 4 des WIPO-Urheberrechtsvertrags(<a href="#Footnote3" name="Footref3">3</a>) kommen „[d]ie Vertragsparteien … den Artikeln 1 bis 21 und dem Anhang der Berner Übereinkunft nach“. Die Gemeinsame Erklärung zu Art. 1 Abs. 4 des WIPO-Urheberrechtsvertrags lautet: „Das Vervielfältigungsrecht nach Artikel 9 der Berner Übereinkunft und die darunter fallenden Ausnahmen finden in vollem Umfang im digitalen Bereich Anwendung, insbesondere auf die Verwendung von Werken in digitaler Form. Die elektronische Speicherung eines geschützten Werks in digitaler Form gilt als Vervielfältigung im Sinne von Artikel 9 der Berner Übereinkunft.“(<a href="#Footnote4" name="Footref4">4</a>)</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Unionsrecht</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point6">6.</a>        Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft(<a href="#Footnote5" name="Footref5">5</a>) bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Mitgliedstaaten sehen für folgende Personen das ausschließliche Recht vor, die unmittelbare oder mittelbare, vorübergehende oder dauerhafte Vervielfältigung auf jede Art und Weise und in jeder Form ganz oder teilweise zu erlauben oder zu verbieten:</p>
<p class="C02AlineaAltA">a)      für die Urheber in Bezug auf ihre Werke,</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point7">7.</a>        Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung der Werke in der Weise, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind, zu erlauben oder zu verbieten.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point8">8.</a>        Art. 5 Abs. 3 Buchst. c und d dieser Richtlinie lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Mitgliedstaaten können in den folgenden Fällen Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf die in den Artikeln 2 und 3 vorgesehenen Rechte vorsehen:</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">c)      für die Vervielfältigung durch die Presse, die öffentliche Wiedergabe oder die Zugänglichmachung von veröffentlichten Artikeln zu Tagesfragen wirtschaftlicher, politischer oder religiöser Natur oder von gesendeten Werken oder sonstigen Schutzgegenständen dieser Art, sofern eine solche Nutzung nicht ausdrücklich vorbehalten ist und sofern die Quelle, einschließlich des Namens des Urhebers, angegeben wird, oder die Nutzung von Werken oder sonstigen Schutzgegenständen in Verbindung mit der Berichterstattung über Tagesereignisse, soweit es der Informationszweck rechtfertigt und sofern – außer in Fällen, in denen sich dies als unmöglich erweist – die Quelle, einschließlich des Namens des Urhebers, angegeben wird;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">d)      für Zitate zu Zwecken wie Kritik oder Rezensionen, sofern sie ein Werk oder einen sonstigen Schutzgegenstand betreffen, das bzw. der der Öffentlichkeit bereits rechtmäßig zugänglich gemacht wurde, sofern – außer in Fällen, in denen sich dies als unmöglich erweist – die Quelle, einschließlich des Namens des Urhebers, angegeben wird und sofern die Nutzung den anständigen Gepflogenheiten entspricht und in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist;</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point9">9.</a>        Schließlich heißt es in Art. 5 Abs. 5 dieser Richtlinie:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die in den Absätzen 1, 2, 3 und 4 genannten Ausnahmen und Beschränkungen dürfen nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden, in denen die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt wird und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden.“</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Deutsches Recht</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point10">10.</a>      Die Richtlinie 2001/29 ist durch das Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Urheberrechtsgesetz vom 9. September 1965 (im Folgenden: UrhG) in deutsches Recht umgesetzt worden. § 50 UrhG bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Zur Berichterstattung über Tagesereignisse durch Funk oder durch ähnliche technische Mittel, in Zeitungen, Zeitschriften und in anderen Druckschriften oder sonstigen Datenträgern, die im Wesentlichen Tagesinteressen Rechnung tragen, sowie im Film, ist die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe von Werken, die im Verlauf dieser Ereignisse wahrnehmbar werden, in einem durch den Zweck gebotenen Umfang zulässig.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point11">11.</a>      § 51 UrhG lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Zulässig ist die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes zum Zweck des Zitats, sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist. Zulässig ist dies insbesondere, wenn</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      einzelne Werke nach der Veröffentlichung in ein selbständiges wissenschaftliches Werk zur Erläuterung des Inhalts aufgenommen werden,</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Stellen eines Werkes nach der Veröffentlichung in einem selbständigen Sprachwerk angeführt werden,</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.      einzelne Stellen eines erschienenen Werkes der Musik in einem selbständigen Werk der Musik angeführt werden.“</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point12">12.</a>      Herr Volker Beck, der Kläger und Revisionsbeklagte im Ausgangsrechtsstreit (im Folgenden: Revisionsbeklagter), war von 1994 bis 2017 Mitglied des Deutschen Bundestags. Er ist Verfasser eines Artikels, der sich mit heiklen und umstrittenen strafrechtspolitischen Fragen befasst. Dieser Artikel wurde 1988 in einer Textsammlung veröffentlicht. Bei dieser Veröffentlichung veränderte der Herausgeber den Titel des Manuskripts und kürzte im Text einen Satz. Der Revisionsbeklagte beanstandete das gegenüber dem Herausgeber und forderte ihn vergeblich auf, dies bei der Veröffentlichung der Textsammlung durch einen Herausgebervermerk kenntlich zu machen. Spätestens seit dem Jahr 1993 distanzierte sich der Revisionsbeklagte vollständig vom Inhalt dieses Artikels.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point13">13.</a>      Im Jahr 2013 wurde das Manuskript des in Rede stehenden Artikels in einem Archiv aufgefunden und dem Revisionsbeklagten vorgelegt, der zu diesem Zeitpunkt für die einige Tage später anstehende Bundestagswahl kandidierte. Der Revisionsbeklagte stellte das Dokument verschiedenen Zeitungsredaktionen als Nachweis zur Verfügung, dass sein Manuskript in dem im Sammelband veröffentlichten Artikel verändert worden war. Einer Veröffentlichung der Texte in den Medien stimmte er hingegen nicht zu. Er veröffentlichte jedoch die beiden Versionen des Artikels auf seiner eigenen Website, indem er jede Seite mit folgender Aufschrift versah: „Ich distanziere mich von diesem Beitrag. Volker Beck“. Auf den Seiten des in der Textsammlung veröffentlichten Artikels war zusätzlich folgende Aufschrift angebracht: „[Die Veröffentlichung dieses Textes] ist nicht autorisiert und durch freie Redigierung in Überschrift und Textteilen durch [den Herausgeber] verfälscht.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point14">14.</a>      Die Spiegel Online GmbH, die Beklagte und Revisionsklägerin im Ausgangsrechtsstreit (im Folgenden: Revisionsklägerin), betreibt das Internet-Nachrichtenportal <i>Spiegel Online</i>. Am 20. September 2013 veröffentlichte sie einen Presseartikel, in dem sie behauptete, der Revisionsbeklagte habe die Öffentlichkeit jahrelang getäuscht, weil der wesentliche Inhalt seines Manuskripts in der Ausgabe von 1988 nicht verfälscht worden sei. Zusätzlich zu diesem Presseartikel der Revisionsklägerin konnten die Originalfassungen des Manuskripts und des im Sammelband veröffentlichten Artikels des Revisionsbeklagten über einen Hyperlink abgerufen werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point15">15.</a>      Der Revisionsbeklagte wehrte sich dagegen, dass die Revisionsklägerin den vollständigen Text seines Artikels auf ihrer Website zugänglich machte, was er als Verletzung seines Urheberrechts ansah. Das Landgericht (Deutschland) gab der Klage des Revisionsbeklagten statt. Die Berufung der Revisionsklägerin hatte keinen Erfolg. Sie legte daher Revision zum vorlegenden Gericht ein.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point16">16.</a>      Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof (Deutschland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Lassen die Vorschriften des Unionsrechts zu den Ausnahmen oder Beschränkungen des Urheberrechts gemäß Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 Umsetzungsspielräume im nationalen Recht?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      In welcher Weise sind bei der Bestimmung der Reichweite der in Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 vorgesehenen Ausnahmen oder Beschränkungen des ausschließlichen Rechts der Urheber zur Vervielfältigung (Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29) und zur öffentlichen Wiedergabe einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung (Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29) ihrer Werke die Grundrechte der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) zu berücksichtigen?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.      Können die Grundrechte der Informationsfreiheit (Art. 11 Abs. 1 Satz 2 der Charta) oder der Pressefreiheit (Art. 11 Abs. 2 der Charta) Ausnahmen oder Beschränkungen des ausschließlichen Rechts der Urheber zur Vervielfältigung (Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29) und zur öffentlichen Wiedergabe einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung (Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29) ihrer Werke außerhalb der in Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 vorgesehenen Ausnahmen oder Beschränkungen rechtfertigen?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">4.      Ist die öffentliche Zugänglichmachung von urheberrechtlich geschützten Werken im Internetportal eines Presseunternehmens bereits deshalb nicht als erlaubnisfreie Berichterstattung über Tagesereignisse gemäß Art. 5 Abs. 3 Buchst. c Fall 2 der Richtlinie 2001/29 anzusehen, weil es dem Presseunternehmen möglich und zumutbar war, vor der öffentlichen Zugänglichmachung der Werke des Urhebers seine Zustimmung einzuholen?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">5.      Fehlt es an einer Veröffentlichung zum Zwecke des Zitats gemäß Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29, wenn zitierte Textwerke oder Teile davon nicht – beispielsweise durch Einrückungen oder Fußnoten – untrennbar in den neuen Text eingebunden werden, sondern im Internet im Wege der Verlinkung als neben dem neuen Text selbständig abrufbare PDF‑Dateien öffentlich zugänglich gemacht werden?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">6.      Ist bei der Frage, wann ein Werk im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29 der Öffentlichkeit bereits rechtmäßig zugänglich gemacht wurde, darauf abzustellen, ob dieses Werk in seiner konkreten Gestalt bereits zuvor mit Zustimmung des Urhebers veröffentlicht war?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point17">17.</a>      Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 25. August 2017 beim Gerichtshof eingegangen. Die Parteien des Ausgangsrechtsstreits, die französische und die portugiesische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Mit Ausnahme der portugiesischen Regierung haben diese Beteiligten an der mündlichen Verhandlung vom 3. Juli 2018 teilgenommen.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Würdigung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point18">18.</a>      Das vorlegende Gericht hat sechs Fragen gestellt, die sowohl die Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie 2001/29 als auch allgemein den Spielraum, über den die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung und Anwendung dieser Bestimmungen verfügen, und deren Verhältnis zu den Grundrechten, insbesondere der Freiheit der Meinungsäußerung und der Medien, betreffen. In meinen Schlussanträgen werde ich diese Fragen untersuchen, dabei aber die Reihenfolge, in der sie vom vorlegenden Gericht gestellt worden sind, ändern. Ich werde zunächst die Auslegung der Bestimmungen des Sekundärrechts und dann die allgemeineren, die Grundrechte betreffenden Fragen prüfen.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur ersten Vorlagefrage</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point19">19.</a>      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, über welchen Spielraum die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Bestimmungen des Unionsrechts über die Ausnahmen und Beschränkungen des Urheberrechts in ihr innerstaatliches Recht verfügen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point20">20.</a>      Diese Frage gleicht der fünften Frage, die dasselbe vorlegende Gericht in der Rechtssache Pelham u. a.(<a href="#Footnote6" name="Footref6">6</a>) gestellt hat. In meinen Schlussanträgen in jener Rechtssache schlage ich vor, zu antworten, dass die Mitgliedstaaten, auch wenn ihnen die Wahl der Mittel überlassen bleibt, verpflichtet sind, in ihrem innerstaatlichen Recht den Schutz der in den Art. 2 bis 4 der Richtlinie 2001/29 aufgeführten ausschließlichen Rechte sicherzustellen, wobei eine Einschränkung dieser Rechte nur im Rahmen der Anwendung der Ausnahmen und Beschränkungen zulässig ist, die in Art. 5 dieser Richtlinie abschließend aufgeführt sind. Deshalb werde ich mich hier der Kürze halber darauf beschränken, auf meine Ausführungen zu dieser Frage im Rahmen jener Schlussanträge zu verweisen(<a href="#Footnote7" name="Footref7">7</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point21">21.</a>      Zu den Argumenten, die die Revisionsklägerin in ihren zu der vorliegenden Rechtssache eingereichten Erklärungen vorgebracht hat, möchte ich jedoch die folgenden Anmerkungen hinzufügen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point22">22.</a>      Erstens trägt die Revisionsklägerin vor, dass sich der Spielraum der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung des Urheberrechts der Union aus Art. 167 Abs. 4 AEUV ergebe. Nach dieser Vorschrift trägt die Europäische Union „bei ihrer Tätigkeit aufgrund anderer Bestimmungen der Verträge den kulturellen Aspekten Rechnung, insbesondere zur Wahrung und Förderung der Vielfalt ihrer Kulturen“. Die Revisionsklägerin macht geltend, weil das Urheberrecht kulturelle Angelegenheiten regele, müssten die Mitgliedstaaten bei seiner Anwendung über einen weiten Gestaltungsspielraum verfügen, um der Vielfalt ihrer Kulturen Rechnung tragen zu können.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point23">23.</a>      Art. 167 AEUV ist jedoch eine allgemeingültige Vorschrift mit Leitcharakter, die die Handlungen der Unionsorgane in Bereichen regelt, die Bezug zur Kultur haben. Der Richtliniengeber erwähnt diese Vorschrift(<a href="#Footnote8" name="Footref8">8</a>) sogar ausdrücklich im zwölften Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29, leitet daraus aber Folgerungen ab, die meines Erachtens denen der Revisionsklägerin zuwiderlaufen, nämlich dass es erforderlich sei, einen angemessenen Schutz urheberrechtlich geschützter Werke zu gewährleisten. Aber selbst wenn davon auszugehen wäre, dass die Veröffentlichung von Artikeln, die das politische Leben betreffen, unter den Begriff der „Kultur“ im Sinne von Art. 167 AEUV fallen, könnte diese Bestimmung nicht dahin ausgelegt werden, dass sie den Mitgliedstaaten erlaubt, von den unbedingten Verpflichtungen abzuweichen, die sich aus den Bestimmungen des Sekundärrechts der Union ergeben. Jede andere Auslegung würde darauf hinauslaufen, der Union die Befugnis zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften in sämtlichen Bereichen abzusprechen, die mit der Kultur zusammenhängen, wie etwa dem Urheberrecht, den audiovisuellen Dienstleistungen, dem Markt für Kunstwerke usw. Das Gleiche gilt auch für das Argument der Revisionsklägerin, die Bedeutung, die das deutsche Recht der Freiheit der Meinungsäußerung und der Medien beimesse, stelle eine kulturelle Eigenart dieses Mitgliedstaats dar.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point24">24.</a>      Somit besteht für die Mitgliedstaaten zwar ein Spielraum bei der Umsetzung der Richtlinie 2001/29, der aber durch die Verpflichtungen begrenzt wird, die sich aus den zwingenden Bestimmungen dieser Richtlinie ergeben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point25">25.</a>      Zweitens macht die Revisionsklägerin geltend, dem Revisionsbeklagten gehe es bei seiner im Ausgangsrechtsstreit erhobenen Klage nicht um den Schutz seiner vermögenswerten Urheberrechte, sondern um den Schutz seiner Urheberpersönlichkeitsrechte, wenn nicht gar seiner allgemeinen Persönlichkeitsrechte. Insoweit genügt die Feststellung, dass das vorliegende Verfahren die Handlungen betrifft, mit denen die Revisionsklägerin das Werk, dessen Urheber der Revisionsbeklagte ist, vervielfältigt und öffentlich wiedergegeben hat und die unbestreitbar unter die Richtlinie 2001/29 fallen. Was die Ähnlichkeiten zwischen der vorliegenden Rechtssache und der Rechtssache Funke Medien NRW(<a href="#Footnote9" name="Footref9">9</a>) betrifft, werde ich diesen Punkt nachstehend in dem Abschnitt behandeln, der sich mit dem Verhältnis zwischen dem Urheberrecht und den Grundrechten befasst(<a href="#Footnote10" name="Footref10">10</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point26">26.</a>      Daher berührt das Vorbringen der Revisionsbeklagten meine Feststellungen zum Spielraum der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie 2001/29 nicht.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur vierten Vorlagefrage</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point27">27.</a>      Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die in Art. 5 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2001/29 vorgesehene Ausnahme der Berichterstattung über Tagesereignisse im innerstaatlichen Recht auf die Fälle beschränkt werden kann, in denen es dem Benutzer eines Werks bei verständiger Betrachtung nicht zugemutet werden kann, die Zustimmung des Urhebers dieses Werks einzuholen. Nach den Angaben im Vorabentscheidungsersuchen ergibt sich eine solche Beschränkung der Ausnahme aus der Rechtsprechung des vorlegenden Gerichts.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point28">28.</a>      Meines Erachtens ist die Vereinbarkeit dieser Beschränkung der Ausnahme mit der vorgenannten Bestimmung der Richtlinie 2001/29 unproblematisch. Der Normzweck dieser Ausnahme ergibt sich nämlich daraus, dass es manchmal äußerst schwer oder gar unmöglich ist, über Tagesereignisse zu berichten, ohne ein urheberrechtlich geschütztes Werk zu vervielfältigen und öffentlich wiederzugeben. Das trifft vor allem auf zwei Fallgestaltungen zu. Im ersten Fall ist das in Rede stehende Werk selbst Gegenstand des Ereignisses, z. B., wenn es sich bei diesem Ereignis um die Eröffnung einer Kunstausstellung oder um ein Konzert handelt. Die Berichterstattung über ein solches Ereignis und damit die der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellte Information über dieses Ereignis wären sehr dürftig, wenn es nicht möglich wäre, zumindest Ausschnitte der Werke wiederzugeben, die im Zentrum des beschriebenen Ereignisses stehen. Im zweiten Fall ist das Werk während des Ereignisses beiläufig zu sehen oder zu hören. Ein häufig angeführtes Beispiel ist die Begleitmusik zu einer öffentlichen Feier. In solchen Fällen ist es daher gerechtfertigt, dem Verfasser eines Berichts das Recht einzuräumen, das Werk frei zu vervielfältigen und wiederzugeben, weil es ihm, wenn es sich um ein Tagesereignis handelt, allein schon aus Zeitmangel nicht zuzumuten ist, die Zustimmung des Urhebers des betreffenden Werks einzuholen. Vor allem könnte dieser Urheber in Ausübung seines ausschließlichen Rechts seine Zustimmung verweigern, was das Recht der Öffentlichkeit, über das betreffende Ereignis informiert zu werden, in Frage stellen würde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point29">29.</a>      Die für die Berichterstattung geltende Ausnahme findet jedoch, wie Art. 5 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2001/29 ausdrücklich erfordert, nur Anwendung, „soweit es der Informationszweck rechtfertigt“. Diese Einschränkung betrifft meines Erachtens nicht nur den Umfang der zulässigen Vervielfältigung und Wiedergabe, sondern auch die Fallgestaltungen, in denen die Ausnahme anwendbar ist, nämlich diejenigen, in denen vom Verfasser des Berichts bei verständiger Betrachtung nicht verlangt werden kann, die Zustimmung des Urhebers des im Rahmen dieses Berichts vervielfältigten und wiedergegebenen Werks einzuholen. Folglich steht eine Einschränkung der betreffenden Ausnahme, wie das deutsche Recht sie vorsieht, nicht nur in keinem Widerspruch zur einschlägigen Bestimmung der Richtlinie 2001/29, sondern ist dem Wesen und dem Ziel dieser Ausnahme immanent.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point30">30.</a>      Der Grund, warum diese Ausnahme nach meiner Ansicht in Fällen wie dem vorliegenden keine Anwendung findet, ist vielmehr ein anderer.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point31">31.</a>      Art. 5 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2001/29 übernimmt den Inhalt von Art. 10a der Berner Übereinkunft(<a href="#Footnote11" name="Footref11">11</a>). Der zweite Teil von Art. 5 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2001/29 übernimmt den Inhalt von Art. 10a Abs. 2 der Berner Übereinkunft(<a href="#Footnote12" name="Footref12">12</a>). Er ist daher im Einklang mit dieser Bestimmung der Berner Übereinkunft auszulegen, weil die Europäische Union verpflichtet ist, sich an diese Übereinkunft zu halten, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat(<a href="#Footnote13" name="Footref13">13</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point32">32.</a>      Art. 10a Abs. 2 der Berner Übereinkunft ist weit präziser formuliert als die hier untersuchte Bestimmung der Richtlinie 2001/29.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point33">33.</a>      Die Bestimmung der Übereinkunft stellt nämlich nur auf die Fälle der Berichterstattung über Tagesereignisse ab, die akustisch oder visuell (mittels Fotografie, Rundfunk, Fernsehen, Film) verbreitet wird. Soweit es die Informationsbedürfnisse rechtfertigten, ist es daher erlaubt, Werke zu vervielfältigen, die im Verlauf des Ereignisses, das Gegenstand dieser Berichterstattung ist, <i>sichtbar oder hörbar</i> werden(<a href="#Footnote14" name="Footref14">14</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point34">34.</a>      Entgegen den Ausführungen des vorlegenden Gerichts bin ich der Auffassung, dass diese Ausnahme bei einer Auslegung im Licht der Berner Übereinkunft nicht auf einen Sachverhalt wie den des Ausgangsrechtsstreits anwendbar ist. Nach Ansicht dieses Gerichts besteht das im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehende Ereignis in der Konfrontation des Revisionsbeklagten mit seinem in einem Archiv aufgefundenen Manuskript sowie seiner Reaktion darauf. Dieses Manuskript sei daher im Verlauf dieses Ereignisses dadurch sichtbar gemacht worden, dass sowohl die Revisionsklägerin als auch der Revisionsbeklagte selbst es auf ihrer jeweiligen Website veröffentlicht hätten. Diese Auffassung teile ich nicht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point35">35.</a>      Der Bericht, um den es im vorliegenden Fall geht, ist in der Form eines schriftlichen Textes erschienen, d. h. einer Transkription von Sprache mittels grafischer Symbole. Auch wenn ein Text – wie zumeist – visuell wahrgenommen wird, setzt das aber einen mentalen Prozess der Entschlüsselung dieser Symbole voraus, um die in dieser Form übermittelte Information wahrzunehmen. Im Gegensatz zur rein visuellen Information genügt es daher nicht, den Text zu sehen: Man muss ihn lesen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point36">36.</a>      Dasselbe gilt für das im Rahmen dieses Berichts wiedergegebene Werk, nämlich den Artikel des Revisionsbeklagten. Ziel der Vervielfältigung und Wiedergabe dieses Artikels durch die Revisionsklägerin war es nicht, die Äußerungen ihres Berichts lediglich zu illustrieren, sondern nachzuweisen, dass die beiden Versionen des betreffenden Artikels – das Manuskript und die im Sammelband veröffentlichte Fassung – im Wesentlichen identisch und die Äußerungen des Revisionsbeklagten somit in der im Sammelband veröffentlichten Version nicht verfälscht worden seien. Für einen solchen Nachweis genügte es nicht, dass der Leser des Berichts den Artikel sehen konnte: Er musste ihn in beiden Versionen lesen, weil der Zweck der Vervielfältigung(<a href="#Footnote15" name="Footref15">15</a>) andernfalls nicht erreicht worden wäre. Es reichte daher nicht aus, dass das benutzte Werk im Verlauf des Tagesereignisses, das Gegenstand des hier in Rede stehenden Berichts war, zu sehen oder zu hören war. Im vorliegenden Fall war eine zusätzliche Analyse durch den Leser dieses Berichts erforderlich. Eine solche zusätzliche Analyse geht aber über den Rahmen der in Art. 5 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2001/29 in seiner Auslegung im Licht von Art. 10a Abs. 2 der Berner Übereinkunft vorgesehenen Ausnahme für die Berichterstattung über Tagesereignisse hinaus.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point37">37.</a>      Ich schlage daher vor, auf die vierte Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen ist, dass die Benutzung eines literarischen Werks im Rahmen eines Berichts über Tagesereignisse nicht unter die in diesem Artikel vorgesehene Ausnahme fällt, wenn das mit dieser Benutzung verfolgte Ziel die Lektüre des gesamten Werks oder eines Teils dieses Werks erfordert.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point38">38.</a>      Ich muss vorab darauf hinweisen, dass diese Auslegung das Recht der Öffentlichkeit, die in dem in Rede stehenden Bericht enthaltene Information zu erhalten, nicht berührt. Auch wenn eine solche Benutzung nicht als eine nach der vorgenannten Bestimmung zulässige Benutzung anzusehen ist, könnte sie nämlich als ein Zitat einzustufen sein, für das Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29 eine Ausnahme vom ausschließlichen Recht des Urhebers vorsieht. Diese Erwägung führt uns zur fünften und zur sechsten Vorlagefrage.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur fünften Vorlagefrage</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point39">39.</a>      Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen ist, dass die öffentliche Zugänglichmachung eines urheberrechtlich geschützten Werks im Internet in Gestalt einer durch einen Hyperlink mit einem Presseartikel verbundenen, aber selbständig abrufbaren PDF‑Datei unter die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme für Zitate fällt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point40">40.</a>      Im vorliegenden Fall ist der Artikel des Revisionsbeklagten nämlich nicht untrennbar in den Bericht eingebunden worden, den die Revisionsklägerin auf ihrer Website veröffentlicht hat, sondern wurde auf dieser Website als selbständige Datei zur Verfügung gestellt, deren Verbindung mit dem Presseartikel der Revisionsklägerin durch Hyperlinks hergestellt wurde. Diese eher ungewöhnliche Art zu zitieren hat die Zweifel des vorlegenden Gerichts ausgelöst.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point41">41.</a>      Die Ausnahme für Zitate ist eine der klassischsten Ausnahmen des Urheberrechts(<a href="#Footnote16" name="Footref16">16</a>). Lange ging man davon aus, sie gelte nur für literarische Werke(<a href="#Footnote17" name="Footref17">17</a>). Bei dieser Art von Werken werden die Zitate üblicherweise mit typografischen Mitteln gekennzeichnet: Anführungszeichen, Kursivschrift, andere Schriftart als der Haupttext, Fußnoten usw.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point42">42.</a>      Gegenwärtig erscheint es nicht ausgeschlossen, dass das Zitat auch andere Kategorien von Werken betreffen kann, insbesondere Musik- und Filmwerke, aber auch Werke der bildenden Kunst(<a href="#Footnote18" name="Footref18">18</a>). In diesen Fällen müssen die Methoden der Aufnahme von Zitaten in das zitierende Werk natürlich angepasst werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point43">43.</a>      Gleiches gilt meines Erachtens für die Aufnahme von Zitaten in literarische Werke. Die modernen Technologien, insbesondere das Internet, machen es möglich, Texte auf unterschiedliche Weise miteinander zu verknüpfen, z. B. durch Hyperlinks. Natürlich muss eine enge Verknüpfung zwischen dem Zitat und dem zitierenden Werk erhalten bleiben. Da die Architektur von Internetseiten sehr unterschiedlich sein kann, dürfte eine Einzelfallprüfung erforderlich sein. Beispielsweise können Inhalte dank der sogenannten Framing-Technik so in eine Internetseite eingebunden werden, dass der Betrachter den Eindruck hat, sie befänden sich unmittelbar auf dieser Seite, obwohl es sich technisch um einen Hyperlink handelt. Nach meiner Auffassung dürfen Zitate, die durch Hyperlinks eingebunden werden, aber nicht <i>a priori</i> ausgeschlossen werden(<a href="#Footnote19" name="Footref19">19</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point44">44.</a>      In der vorliegenden Rechtssache liegt das Problem jedoch meines Erachtens in der konkreten Art und Weise, in der die Revisionsklägerin den Artikel des Revisionsbeklagten vervielfältigt und zugänglich gemacht hat. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts ist dieser Artikel auf der Website der Revisionsklägerin als Ganzes in Gestalt von PDF‑Dateien veröffentlicht worden, die unabhängig vom Haupttext, der das in Rede stehende Ereignis beschrieb, abgerufen und heruntergeladen werden konnten. Die Hyperlinks zu diesen Dateien befanden sich nicht nur auf der Seite mit dem Haupttext, sondern auch auf der Hauptseite der Website der Revisionsklägerin. Nach meiner Auffassung geht eine solche Zugänglichmachung (und die ihr notwendigerweise vorausgegangene Vervielfältigung) über das hinaus, was im Rahmen der Ausnahme für Zitate gestattet ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point45">45.</a>      Die Möglichkeit, ein ganzes Werk zu zitieren, ist in der Rechtslehre offenbar umstritten(<a href="#Footnote20" name="Footref20">20</a>). Der Wortlaut von Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29 präzisiert den zulässigen Umfang eines Zitats nicht. Der Gerichtshof hat das vollständige Zitat eines fotografischen Werks offenbar zugelassen(<a href="#Footnote21" name="Footref21">21</a>), auch wenn er das Zitat als „Vervielfältigung von Auszügen“ aus einem Werk bezeichnet hat(<a href="#Footnote22" name="Footref22">22</a>). In der Berner Übereinkunft ist die einschränkende ursprüngliche Formulierung „kurze Zitate“(<a href="#Footnote23" name="Footref23">23</a>) aufgegeben und durch das allgemeine Erfordernis ersetzt worden, dass die Zitate „in ihrem Umfang durch den Zweck gerechtfertigt“ sein müssen. In Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29 wurde eine ähnliche Formulierung gewählt. Grundsätzlich dürfte es daher erlaubt sein, ein Werk im Ganzen zu zitieren, wenn der verfolgte Zweck das rechtfertigt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point46">46.</a>      Hingegen ist sich die Rechtslehre einig, dass das Zitat nicht in Konkurrenz zum Originalwerk treten darf, indem es dem Leser erspart, dieses heranzuziehen(<a href="#Footnote24" name="Footref24">24</a>). Ein solches Zitat, das an die Stelle des Originalwerks tritt, würde nämlich eine Umgehung der ausschließlichen Vorrechte des Urhebers ermöglichen, indem es sie jeden Inhalts entleert. Dem Urheber des auf diese Weise zitierten Werks würde damit der Kernbestand der Rechte genommen, die ihm als solchem zustehen, während an seiner Stelle der Urheber des zitierenden Werks diese Rechte aufgrund dieses Werks ausüben könnte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point47">47.</a>      Meines Erachtens liegt aber genau dieser Fall vor, wenn ein literarisches Werk, das zu einer Gattung gehört, bei der es für die Wahrnehmung des Werks nicht auf dessen Form, sondern auf dessen Inhalt ankommt, auf einer Internetseite in Gestalt einer Datei, die selbständig abgerufen und heruntergeladen werden kann, öffentlich zugänglich gemacht wird. Formal kann eine solche Datei als Zitat dargestellt und mit dem Text des zitierenden Verfassers verbunden werden, z. B. durch einen Hyperlink. Gleichwohl wird diese Datei <i>de facto</i> unabhängig von diesem Text verwertet und kann von den Besuchern der Website des zitierenden Verfassers selbständig benutzt werden, weil sie ihnen einen nicht erlaubten Zugang zum Originalwerk ermöglicht und ihnen damit erspart, auf dieses zurückgreifen zu müssen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point48">48.</a>      Ich bin daher der Ansicht, dass die Ausnahme für Zitate die Benutzung fremder Werke in unterschiedlichem Umfang und mittels verschiedener technischer Methoden rechtfertigen kann. Das Zusammenspiel des Umfangs der Benutzung und der verwendeten Techniken kann jedoch dazu führen, dass die Grenzen dieser Ausnahme überschritten werden. Insbesondere kann die Ausnahme für Zitate nicht diejenigen Fälle umfassen, in denen ein ganzes Werk ohne die Zustimmung seines Urhebers auf einer Internetseite in Gestalt einer Datei, die selbständig abgerufen und heruntergeladen werden kann, öffentlich zugänglich gemacht wird.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point49">49.</a>      Entgegen den Ausführungen des vorlegenden Gerichts im Vorabentscheidungsersuchen geht es hier meines Erachtens nicht um die Beurteilung der tatsächlichen Gefahr einer selbständigen Verwertung des zitierten Werks, sondern um die Definition des Begriffs des Zitats selbst(<a href="#Footnote25" name="Footref25">25</a>). Zumindest im Fall literarischer Werke erspart jede Bereitstellung des gesamten Werks in Gestalt einer im Internet selbständig abrufbaren Datei dem Leser, auf das Originalwerk zurückzugreifen, und überschreitet somit die Grenzen dieser Ausnahme, ohne dass die tatsächliche Gefahr seiner nachfolgenden Verwertung geprüft zu werden braucht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point50">50.</a>      Ließe man zu, dass ein Zitat an die Stelle des Originalwerks treten darf, würde das auch den Anforderungen des „Dreistufentests“ zuwiderlaufen, der sowohl in Art. 9 Abs. 2 der Berner Übereinkunft(<a href="#Footnote26" name="Footref26">26</a>) als auch in Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29 vorgesehen ist und dem zufolge die Ausnahmen vom Urheberrecht weder die normale Verwertung des Werks noch die berechtigten Interessen des Urhebers verletzen dürfen; diese Bedingungen müssen kumulativ erfüllt sein. Ein Zitat, das dem Benutzer erspart, auf das Originalwerk zurückzugreifen, indem es an dessen Stelle tritt, verletzt aber notwendigerweise dessen normale Verwertung.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point51">51.</a>      Diese Schlussfolgerung wird nicht durch die Behauptung der Revisionsklägerin in Frage gestellt, dass der Revisionsbeklagte keine wirtschaftliche Verwertung des in Rede stehenden Artikels beabsichtigt habe und sein Widerspruch gegen dessen Wiedergabe ausschließlich dazu habe dienen sollen, seine persönlichen Interessen zu schützen. Diese Schlussfolgerung betrifft nämlich nicht nur die Anwendung der Ausnahme für Zitate im Ausgangsrechtsstreit, sondern auch die normativen Grenzen dieser Ausnahme im Unionsrecht. Diese Grenzen sind aber unabhängig von der Frage, ob der Urheber sein Werk in einem konkreten Fall verwertet oder zu verwerten beabsichtigt. Es genügt nämlich, dass die Benutzung des Werks im Rahmen der Ausnahme dessen Verwertung potenziell beeinträchtigt, um die in Rede stehende Auslegung der Ausnahme an dem in Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29 vorgesehenen Dreistufentest scheitern zu lassen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point52">52.</a>      Daher schlage ich vor, auf die fünfte Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen ist, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme für Zitate nicht die Fälle umfasst, in denen ein ganzes Werk ohne die Zustimmung seines Urhebers auf einer Internetseite in Gestalt einer Datei, die selbständig abgerufen und heruntergeladen werden kann, öffentlich zugänglich gemacht wird, so dass der Leser nicht auf das Originalwerk zurückzugreifen braucht.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur sechsten Vorlagefrage</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point53">53.</a>      Mit seiner sechsten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, wie unter den Umständen des vorliegenden Falls die in Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29 enthaltene Bedingung auszulegen ist, nach der die Ausnahme nur für ein Werk gilt, das der Öffentlichkeit bereits rechtmäßig zugänglich gemacht wurde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point54">54.</a>      Da die von mir vorgeschlagene Antwort auf die fünfte Vorlagefrage zur Folge hat, die Anwendung dieser Ausnahme auf den vorliegenden Fall auszuschließen, erweist sich die sechste Frage als hypothetisch. Zu dieser Frage werde ich jedoch für den Fall, dass der Gerichtshof meine Würdigung der fünften Vorlagefrage nicht teilen sollte, einige Anmerkungen machen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point55">55.</a>      Das Erfordernis, dass das Zitat nur Werke betreffen darf, die der Öffentlichkeit bereits rechtmäßig zugänglich gemacht wurden, ist auf dem Gebiet des Urheberrechts traditionell anerkannt und findet sich insbesondere in Art. 10 Abs. 1 der Berner Übereinkunft. Zweck dieses Erfordernisses ist es, die Persönlichkeitsrechte des Urhebers zu schützen, insbesondere das Verbreitungsrecht, aufgrund dessen allein der Urheber über die erstmalige öffentliche Wiedergabe oder öffentliche Zugänglichmachung seines Werks entscheidet. Diese erste öffentliche Zugänglichmachung kann mit Zustimmung des Urhebers oder aufgrund einer rechtmäßigen Lizenz erfolgen. Der Gerichtshof hat offenbar auch die Verbreitung im Rahmen einer Ausnahme, nämlich der des Art. 5 Abs. 3 Buchst. e der Richtlinie 2001/29(<a href="#Footnote27" name="Footref27">27</a>), stillschweigend zugelassen. Ich halte diese Lösung nicht für selbstverständlich, denn die in Art. 5 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie 2001/29 vorgesehenen Ausnahmen weichen lediglich von den Vermögensrechten der Urheber ab und sollten deren Persönlichkeitsrechte grundsätzlich nicht verletzen. Jedenfalls liegt auf der Hand, dass diese erste öffentliche Zugänglichmachung nicht das Ergebnis des Zitats selbst sein kann.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point56">56.</a>      Wie aus den Angaben im Vorabentscheidungsersuchen hervorgeht, wurde der in Rede stehende Artikel des Revisionsbeklagten in dem 1988 erschienenen Sammelband in einer Version und sodann nach der Entdeckung des Manuskripts in den Archiven in beiden Versionen auf der Website des Revisionsbeklagten veröffentlicht. Somit dürfte dieser Artikel zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung auf der Website der Revisionsklägerin bereits rechtmäßig öffentlich zugänglich gemacht worden sein, was das vorlegende Gericht zu überprüfen haben wird.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point57">57.</a>      Das einzige Problem könnte sich aus dem Umstand ergeben, dass die Veröffentlichung im Sammelband die Gedanken des Revisionsbeklagten verfälscht haben soll, während die Veröffentlichung auf dessen eigener Website durch eine Distanzierung des Verfassers von seinem Artikel ergänzt wurde, die die Revisionsklägerin nicht wiedergegeben hat. Daher könnte es sich hier um eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Urhebers handeln, insbesondere seines Rechts auf Achtung des Werks. Da die Persönlichkeitsrechte aber von den Bestimmungen der Richtlinie 2001/29 nicht erfasst werden, fällt die Beurteilung dieser Frage voll und ganz unter die Zuständigkeit der nationalen Gerichte und richtet sich nach dem innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point58">58.</a>      Für den Fall, dass sich der Gerichtshof der von mir vorgeschlagenen Antwort auf die fünfte Vorlagefrage nicht anschließt, schlage ich vor, auf die sechste Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen ist, dass das Werk, das Gegenstand des Zitats ist, der Öffentlichkeit bereits mit Zustimmung des Urhebers oder aufgrund einer rechtmäßigen Lizenz zugänglich gemacht worden sein muss, was zu prüfen Aufgabe der nationalen Gerichte ist.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur zweiten und zur dritten Vorlagefrage</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point59">59.</a>      Aus den von mir vorgeschlagenen Antworten auf die vierte und die fünfte Vorlagefrage ergibt sich, dass die Nutzung eines Werks – wie die des im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehenden Artikels des Revisionsbeklagten durch die Revisionsklägerin – nicht unter die Ausnahmen von den ausschließlichen Rechten des Urhebers fällt, die das vorlegende Gericht in Betracht gezogen hat, nämlich unter die in Art. 5 Abs. 3 Buchst. c und d der Richtlinie 2001/29 vorgesehenen Ausnahmen. Das vorlegende Gericht möchte allerdings auch wissen, ob diese Nutzung durch Erwägungen gerechtfertigt sein kann, die die Beachtung der Grundrechte der Revisionsklägerin betreffen, insbesondere ihres in Art. 11 Abs. 1 der Charta garantierten Rechts auf freie Meinungsäußerung und der im Abs. 2 dieses Artikels erwähnten Freiheit der Medien. Dies ist Gegenstand der zweiten und der dritten Vorlagefrage, die ich zusammen zu prüfen vorschlage.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point60">60.</a>      Mit seiner zweiten und seiner dritten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Freiheit der Meinungsäußerung und die Freiheit der Medien die ausschließlichen Rechte des Urhebers, die Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe seines Werks zu erlauben oder zu verbieten, im Fall seiner Veröffentlichung durch ein Presseorgan im Rahmen einer Debatte über Fragen von allgemeinem Interesse einschränken oder eine Ausnahme von diesen Rechten oder deren Verletzung rechtfertigen können.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point61">61.</a>      Diese Fragen sind mit der zweiten und der dritten Vorlagefrage identisch, die dasselbe vorlegende Gericht in der Rechtssache Funke Medien NRW(<a href="#Footnote28" name="Footref28">28</a>) gestellt hat, und gleichen im Wesentlichen der sechsten Vorlagefrage dieses Gerichts in der Rechtssache Pelham u. a.(<a href="#Footnote29" name="Footref29">29</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point62">62.</a>      In meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Pelham u. a. habe ich vorgeschlagen, im Wesentlichen zu antworten, dass das Urheberrecht bereits Beschränkungen und Ausnahmen enthält, die dazu bestimmt sind, die ausschließlichen Rechte der Urheber mit den Grundrechten, insbesondere mit der Freiheit der Meinungsäußerung, in Einklang zu bringen, und deshalb im Regelfall die vom Gesetzgeber getroffenen Entscheidungen zu respektieren sind. Diese Entscheidungen ergeben sich nämlich aus einer Abwägung zwischen den Grundrechten der Benutzer von Werken und den Rechten der Urheber und anderer Rechteinhaber, die ebenfalls als Grundrecht geschützt sind, nämlich durch das Eigentumsrecht, das in Art. 17 der Charta verankert ist, der in seinem Abs. 2 das geistige Eigentum ausdrücklich erwähnt. Diese Abwägung fällt in den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers; das Gericht darf nur ausnahmsweise im Fall eines Verstoßes gegen den Wesensgehalt eines Grundrechts eingreifen(<a href="#Footnote30" name="Footref30">30</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point63">63.</a>      Ich möchte hinzufügen, dass der in der dritten Vorlagefrage erwogene Gedanke, das Urheberrecht der Union im Wege der Rechtsprechung durch Ausnahmen zu ergänzen, die in Art. 5 der Richtlinie 2001/29 nicht vorgesehen sind und mit Erwägungen zur Freiheit der Meinungsäußerung begründet werden, nach meiner Auffassung die Gefahr mit sich bringen würde, die Wirksamkeit dieses Rechts und die mit ihm bezweckte Harmonisierung in Frage zu stellen. Eine solche Möglichkeit liefe nämlich darauf hinaus, in das Unionsrecht eine Art „Fair‑use‑Klausel“ einzuführen, denn praktisch jede das Urheberrecht verletzende Benutzung von Werken kann sich in der einen oder anderen Hinsicht auf die Freiheit der Meinungsäußerung berufen(<a href="#Footnote31" name="Footref31">31</a>). Somit würde der den Rechten der Urheber tatsächlich eingeräumte Schutz von der Sensibilität der Gerichte eines jeden Mitgliedstaats für die Freiheit der Meinungsäußerung abhängen und alle Harmonisierungsbemühungen zu einem frommen Wunsch(<a href="#Footnote32" name="Footref32">32</a>) degradieren.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point64">64.</a>      Diese Überlegung lässt sich meines Erachtens in vollem Umfang auf den vorliegenden Fall anwenden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point65">65.</a>      Ich habe bereits in der Einleitung zu diesen Schlussanträgen hervorgehoben, wie wichtig die Freiheit der Meinungsäußerung und die Freiheit der Medien in einer demokratischen Gesellschaft sind, so dass ich mich hier nicht zu wiederholen brauche. Wie alle Grundrechte sind diese Freiheiten aber weder absolut noch unbegrenzt, wie sich eindeutig aus Art. 52 Abs. 1 der Charta und aus Art. 10 Abs. 2 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, die Einschränkungen der Grundrechte und die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Einschränkungen vorsehen. Das Urheberrecht kann eine der rechtmäßigen Einschränkungen der Freiheit der Meinungsäußerung sein(<a href="#Footnote33" name="Footref33">33</a>), und von den Beschränkungen und Ausnahmen abgesehen, die das Urheberrecht selbst vorsieht, kommt dieser Freiheit grundsätzlich kein Vorrang zu.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point66">66.</a>      Auf das Vorbringen der Revisionsklägerin, für die Freiheit der Meinungsäußerung und der Medien komme es darauf an, wer die Kontrolle über die Information ausübe, ist somit zu antworten, dass in einem Fall, in dem die in Rede stehende Information in einem urheberrechtlich geschützten Werk besteht, der Urheber derjenige ist, der – vorbehaltlich der oben angeführten Beschränkungen und Ausnahmen – die Verbreitung und Wiedergabe kontrolliert.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point67">67.</a>      Die Situation im Ausgangsrechtsstreit stellt zwar insoweit einen Sonderfall dar, als der Urheber des in Rede stehenden Werks ein Politiker ist, das Werk selbst dessen Ansichten zu einem Thema von allgemeinem Interesse zum Ausdruck bringt und die streitige öffentliche Zugänglichmachung dieses Werks durch die Revisionsklägerin im Rahmen der Debatte stattgefunden hat, die den Parlamentswahlen vorausging. Man könnte sich daher fragen, ob der vorliegende Fall nicht eine ähnliche Situation betrifft, wie sie der Rechtssache Funke Medien NRW(<a href="#Footnote34" name="Footref34">34</a>) zugrunde liegt, in der ich vorgeschlagen habe, die Auffassung zu vertreten, dass die der Bundesrepublik Deutschland zustehenden Urheberrechte den daraus resultierenden Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung nicht rechtfertigten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point68">68.</a>      Ich bin jedoch der Ansicht, dass die Umstände der vorliegenden Rechtssache nicht dazu führen können, eine ähnliche Lösung zu wählen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point69">69.</a>      Erstens beruht die Besonderheit der Rechtssache Funke Medien NRW(<a href="#Footnote35" name="Footref35">35</a>) darauf, dass das fragliche Werk aus periodisch erstellten und vertraulichen militärischen Berichten rein faktischer Art(<a href="#Footnote36" name="Footref36">36</a>) bestand und die Bundesrepublik Deutschland sich als Inhaberin des Urheberrechts an diesen Berichten entschieden hat, den Schutz, den diese Dokumente als vertrauliche Informationen genießen, durch den sich aus dem Urheberrecht ergebenden Schutz zu ersetzen. Da es sich um einen Staat handelt, kann dieser sich zur Stützung seines Urheberrechts nicht auf ein Grundrecht berufen, weil die Grundrechte nur Einzelpersonen zustehen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point70">70.</a>      In der vorliegenden Rechtssache steht außer Frage, dass es sich bei dem in Rede stehenden Artikel um ein Werk im Sinne des Urheberrechts handelt, und der Inhaber des Urheberrechts ist eine natürliche Person. Anders als ein Staat verfügt eine solche Person aber nicht über Instrumente wie die Möglichkeit, ein Dokument als geheim zu klassifizieren und so den rechtmäßigen Zugang zu ihm zu beschränken. Für eine natürliche Person ist das wichtigste, wenn nicht gar das einzige Mittel zum Schutz ihrer geistigen Schöpfung das Urheberrecht. Außerdem stehen diesem Urheber als natürlicher Person das Grundrecht auf Eigentum sowie weitere Grundrechte zu, die ebenso geschützt sind wie die freie Meinungsäußerung potenzieller Benutzer seines Werks. Die Einschränkung dieser Freiheit der Meinungsäußerung, die sich aus den ausschließlichen Vorrechten des betreffenden Urhebers ergibt, ist daher insofern rechtmäßig, als sie sich aus dem Schutz eines anderen Grundrechts ergibt. Daher bedarf es einer Abwägung dieser verschiedenen Grundrechte, wie sie der Gesetzgeber im Grundsatz schon im Rahmen der Bestimmungen vorgenommen hat, die das Urheberrecht regeln.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point71">71.</a>      Zweitens trifft es zwar zu, dass der Revisionsbeklagte, der ein Wahlamt ausübt, besonders strengen Anforderungen hinsichtlich der Kontrolle seiner öffentlichen Tätigkeit unterliegt, insbesondere der Kontrolle durch die Medien. Unter bestimmten Umständen könnte diese Kontrolle es möglicherweise rechtfertigen, den Artikel des Revisionsbeklagten ohne dessen Zustimmung öffentlich wiederzugeben, beispielsweise wenn der Revisionsbeklagte versucht hätte, den Inhalt dieses Artikels zu verschleiern(<a href="#Footnote37" name="Footref37">37</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point72">72.</a>      Im vorliegenden Fall hat sich der Revisionsbeklagte jedoch völlig transparent verhalten, indem er selbst auf seiner Website die beiden Versionen seines Artikels veröffentlichte und so jedermann Gelegenheit gab, sich über das Ausmaß der Abweichungen zwischen den beiden Versionen eine eigene Meinung zu bilden. Außerdem erleichterte diese Veröffentlichung auf der Website des Revisionsbeklagten die Aufgabe der Revisionsklägerin, die ihr Informationsziel mit Mitteln hätte erreichen können, die weniger stark in das Urheberrecht eingegriffen hätten, indem sie insbesondere die maßgeblichen Passagen der beiden Versionen des Artikels des Revisionsbeklagten zitierte oder einen Link zu dessen Website setzte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point73">73.</a>      Was das Argument der Revisionsklägerin betrifft, der über den beiden auf seiner Website veröffentlichten Texten angebrachte Hinweis des Revisionsbeklagten, dass er sich von seinem Artikel distanziere, verhindere die objektive Wahrnehmung durch den Leser, genügt der Hinweis, dass es dem Urheber freisteht, sich von seinem Werk zu distanzieren. Ich glaube nicht, dass diese Distanzierung, die lediglich eine zusätzliche Information darstellt, den Leser daran gehindert hat, die beiden Versionen des in Rede stehenden Artikels objektiv zu analysieren. Wenn der Leser fähig ist, die beiden Versionen des Textes zu vergleichen, ist er auch in der Lage, die Aufrichtigkeit einer solchen Distanzierung zu beurteilen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point74">74.</a>      Ebenso wenig überzeugt mich das Argument der Revisionsklägerin, ein Hyperlink zur Website des Revisionsbeklagten hätte nicht genügt, weil ein solcher Link zwangsläufig vom Inhalt der Zielseite abhängig sei. Immerhin lag der Artikel des Revisionsbeklagten der Revisionsklägerin vor, so dass sie ohne Weiteres hätte reagieren können, falls der Revisionsbeklagte den in Rede stehenden Artikel von seiner Website entfernt hätte. Dann wäre die Situation unter dem Gesichtspunkt der Freiheit der Meinungsäußerung eine andere gewesen. Dieser Fall ist aber nicht eingetreten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point75">75.</a>      Drittens schließlich wird meine Schlussfolgerung auch nicht durch das Vorbringen der Revisionsklägerin in Frage gestellt, dass der Revisionsbeklagte seine Rechte auf Vervielfältigung und öffentliche Wiedergabe seines Artikels in Wirklichkeit nicht geltend gemacht habe, um seine vermögensrechtlichen Urheberrechte zu verteidigen, sondern um seine Persönlichkeitsrechte zu schützen, einschließlich derjenigen, die sich nicht aus seiner Eigenschaft als Urheber dieses Artikels ergäben. Diese Persönlichkeitsrechte fielen aber weder in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/29 noch in den des Unionsrechts im Allgemeinen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point76">76.</a>      Soweit die Revisionsklägerin sich auf eine Ausnahme von den Rechten des Urhebers beruft, ist darauf hinzuweisen, dass die Ausübung dieser Rechte nicht davon abhängig ist, dass der Urheber sein Werk tatsächlich verwertet. Das Urheberrecht und insbesondere die Vermögensrechte garantieren dem Urheber nicht nur die ungehinderte Verwertung seines Werks, sondern auch den Schutz vor dessen Verwertung durch Dritte, wenn er dieser Verwertung nicht zugestimmt hat. Indem die Revisionsklägerin den Artikel des Revisionsbeklagten auf ihrer Website öffentlich zugänglich gemacht hat, hat sie aber eine Verwertung dieses Artikels im Sinne des Urheberrechts vorgenommen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point77">77.</a>      Außerdem müssen die Urheberpersönlichkeitsrechte, auch wenn sie nicht in den Bereich der Harmonisierung durch die Richtlinie 2001/29 fallen(<a href="#Footnote38" name="Footref38">38</a>), bei der Auslegung der Bestimmungen dieser Richtlinie berücksichtigt werden, wenn die Anwendung dieser Bestimmungen diese Rechte verletzen kann. Die Richtlinie 2001/29 harmonisiert das Urheberrecht nur teilweise. Das bedeutet, dass sie weder außerhalb ihres Kontexts noch – wie bereits aus dem Wesen einer Richtlinie folgt – unmittelbar anwendbar ist. Ihre Bestimmungen müssen in das innerstaatliche Recht der Mitgliedstaaten umgesetzt werden, wo sie mit anderen Bestimmungen dieses Rechts interagieren, insbesondere denen, die die Persönlichkeitsrechte des Urhebers regeln. Somit darf die Auslegung einer Ausnahme von einem Vermögensrecht des Urhebers dessen Persönlichkeitsrechte nicht außer Acht lassen, indem sie eine freie Benutzung des Werks allein deshalb gestattet, weil der betreffende Urheber keine wirtschaftliche Verwertung dieses Werks beabsichtigt, sondern allein seine Persönlichkeitsrechte zu schützen sucht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point78">78.</a>      Sofern das Vorbringen der Revisionsklägerin dahin zu verstehen sein sollte, dass das Urheberrecht des Revisionsbeklagten, das Ausfluss seines nach Art. 17 der Charta geschützten Eigentumsrechts ist, die sich daraus ergebende Einschränkung der Freiheit der Meinungsäußerung im Fall fehlender wirtschaftlicher Verwertung des Werks nicht rechtfertige, ist ferner darauf hinzuweisen, dass der Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache nicht mit dem der Rechtssache Funke Medien NRW vergleichbar ist, in der ich eine ähnliche Überlegung vorgeschlagen habe(<a href="#Footnote39" name="Footref39">39</a>), und zwar aus den in den Nrn. 69 und 70 der vorliegenden Schlussanträge dargelegten Gründen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point79">79.</a>      Zudem sind bei der Abwägung der Grundrechte der Parteien des Ausgangsrechtsstreits nicht nur das Eigentumsrecht des Revisionsbeklagten, sondern auch seine anderen möglicherweise in Betracht kommenden Grundrechte zu berücksichtigen. Das Ereignis, das dem Ausgangsrechtsstreit zugrunde liegt, ist die Konfrontation des Revisionsbeklagten mit den Überzeugungen, die er in der Vergangenheit in dem in Rede stehenden Werk zum Ausdruck gebracht hatte. Mit seiner Klage wollte der Revisionsbeklagte sein an der öffentlichen Wiedergabe dieses Werks bestehendes Monopol verteidigen, um dieser Wiedergabe den Hinweis beifügen zu können, dass er sich von den in diesem Werk zum Ausdruck gebrachten Überzeugungen distanziere. Die in Art. 10 der Charta verankerte Gedankenfreiheit umfasst nach dessen Wortlaut ausdrücklich „die Freiheit, seine … Weltanschauung zu wechseln“(<a href="#Footnote40" name="Footref40">40</a>). Ich sehe keinen Grund, Politikern dieses Recht nicht zuzugestehen. Wie könnte der Revisionsbeklagte von der Freiheit, seine Überzeugungen zu ändern, wirksam Gebrauch machen, wenn der Artikel, der seine früheren Überzeugungen enthält, unter seinem Namen und ohne den Hinweis auf seine Distanzierung frei veröffentlicht werden dürfte, so dass der Öffentlichkeit gegenüber der Eindruck erweckt wird, es handele sich um seine aktuellen Überzeugungen?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point80">80.</a>      Der Revisionsbeklagte ist daher sehr wohl berechtigt, seine sich aus der Charta ergebenden Rechte(<a href="#Footnote41" name="Footref41">41</a>) mit den juristischen Instrumenten zu schützen, die ihm zur Verfügung stehen, hier dem Urheberrecht. Sofern er dies innerhalb des gesetzlichen Rahmens tut, liegt kein Missbrauch vor und die sich daraus für die Revisionsklägerin ergebende Einschränkung ihrer Freiheit der Meinungsäußerung kann nicht als ungerechtfertigt angesehen werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point81">81.</a>      Ich schlage daher vor, auf die zweite und die dritte Vorlagefrage zu antworten, dass die Freiheit der Meinungsäußerung und der Medien die ausschließlichen Rechte des Urhebers, die Vervielfältigung und die öffentliche Wiedergabe seines Werks außerhalb der in Art. 5 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2001/29 vorgesehenen Beschränkungen und Ausnahmen zu erlauben oder zu verbieten, weder einschränkt noch eine Ausnahme von diesen Rechten oder deren Verletzung rechtfertigt. Dies gilt auch, wenn der Urheber des in Rede stehenden Werks ein öffentliches Amt ausübt und wenn dieses Werk seine Überzeugungen in Bezug auf Fragen von allgemeinem Interesse offenbart, sofern dieses Werk der Öffentlichkeit bereits zugänglich ist.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Ergebnis</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point82">82.</a>      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die vom Bundesgerichtshof (Deutschland) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu antworten:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, in ihrem innerstaatlichen Recht den Schutz der in den Art. 2 bis 4 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft aufgeführten ausschließlichen Rechte sicherzustellen, wobei eine Einschränkung dieser Rechte nur im Rahmen der Anwendung der Ausnahmen und Beschränkungen zulässig ist, die in Art. 5 dieser Richtlinie abschließend aufgeführt sind. Den Mitgliedstaaten bleibt jedoch die Wahl der Mittel überlassen, die zu ergreifen sie für zweckmäßig erachten, um dieser Verpflichtung nachzukommen.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Art. 5 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2001/29 ist dahin auszulegen, dass die Benutzung eines literarischen Werks im Rahmen eines Berichts über Tagesereignisse nicht unter die in diesem Artikel vorgesehene Ausnahme fällt, wenn der mit dieser Benutzung verfolgte Zweck die Lektüre der Gesamtheit oder eines Teils dieses Werks erfordert.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.      Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29 ist dahin auszulegen, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme für Zitate nicht die Fälle umfasst, in denen ein ganzes Werk ohne die Zustimmung seines Urhebers auf einer Internetseite in Gestalt einer Datei, die selbständig abgerufen und heruntergeladen werden kann, öffentlich zugänglich gemacht wird, so dass der Leser nicht auf das Originalwerk zurückzugreifen braucht.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">4.      Die in Art. 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerte Freiheit der Meinungsäußerung und der Medien schränkt die ausschließlichen Rechte des Urhebers, die Vervielfältigung und die öffentliche Wiedergabe seines Werks außerhalb der in Art. 5 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2001/29 vorgesehenen Beschränkungen und Ausnahmen zu erlauben oder zu verbieten, weder ein, noch rechtfertigt sie eine Ausnahme von diesen Rechten oder deren Verletzung. Dies gilt auch, wenn der Urheber des in Rede stehenden Werks ein öffentliches Amt ausübt und wenn dieses Werk seine Überzeugungen in Bezug auf Fragen von allgemeinem Interesse offenbart, sofern dieses Werk der Öffentlichkeit bereits zugänglich ist.</p>
<hr/>
<p class="C40FootnoteLangue">
<a href="#Footref1" name="Footnote1">1</a>      Originalsprache: Französisch.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref2" name="Footnote2">2</a>      Auch das ist ein Beitrag der Erklärung von 1789 (Art. 6).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref3" name="Footnote3">3</a>      Urheberrechtsvertrag der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO), angenommen in Genf am 20. Dezember 1996 und in Kraft getreten am 6. März 2002 (im Folgenden: WIPO-Urheberrechtsvertrag), dem die Union aufgrund des Beschlusses 2000/278/EG des Rates vom 16. März 2000 über die Zustimmung – im Namen der Europäischen Gemeinschaft – zum WIPO-Urheberrechtsvertrag und zum WIPO-Vertrag über Darbietungen und Tonträger (ABl. 2000, L 89, S. 6) beigetreten ist.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref4" name="Footnote4">4</a>      Dem WIPO-Urheberrechtsvertrag beigefügte Erklärung der diplomatischen Konferenz, die diesen Vertrag angenommen hat.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref5" name="Footnote5">5</a>      ABl. 2001, L 167, S. 10.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref6" name="Footnote6">6</a>      C‑476/17, derzeit beim Gerichtshof anhängig.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref7" name="Footnote7">7</a>      Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Pelham (C‑476/17, [ECLI noch einzufügen], Nrn. 71 bis 79).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref8" name="Footnote8">8</a>      Genauer gesagt die Vorschrift, die ihr vorausgegangen ist, nämlich Art. 151 EG.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref9" name="Footnote9">9</a>      C‑469/17, derzeit beim Gerichtshof anhängig.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref10" name="Footnote10">10</a>      Siehe im Einzelnen Nrn. 69 und 70 der vorliegenden Schlussanträge.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref11" name="Footnote11">11</a>      Aus der Begründung des von der Kommission am 21. Januar 1998 vorgelegten Vorschlags für die Richtlinie 2001/29 (KOM[97] 628 endg.) geht implizit hervor, dass dies der Wille des Richtliniengebers war. In dieser Begründung wird insbesondere darauf hingewiesen, dass die Berner Übereinkunft den Urhebern das Vervielfältigungsrecht garantiert, dass dieses Recht gemäß der Gemeinsamen Erklärung zu Art. 1 Abs. 4 des WIPO-Urheberrechtsvertrags in vollem Umfang im digitalen Bereich Anwendung findet und dass die Ausnahmen und Beschränkungen dieses Vervielfältigungsrechts mit dem durch diese Übereinkunft geschaffenen Schutzstandard in Einklang stehen müssen (vgl. die Begründung des Vorschlags der Kommission, S. 14 und 15). Vgl. auch Satz 1 des 44. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2001/29.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref12" name="Footnote12">12</a>      Der erste Teil von Art. 5 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2001/29 übernimmt den Inhalt von Art. 10a Abs. 1 der Berner Übereinkunft, der die Vervielfältigung von Artikeln über Tagesfragen und Rundfunksendungen gleicher Art betrifft. Um diese Ausnahme geht es in der vorliegenden Rechtssache nicht.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref13" name="Footnote13">13</a>      Vgl. zuletzt Urteil vom 13. November 2018, Levola Hengelo (C‑310/17, EU:C:2018:899, Rn. 38). </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref14" name="Footnote14">14</a>      Diese Klarstellung, dass es sich um Werke handeln muss, die im Verlauf des Ereignisses sichtbar oder hörbar werden, findet sich auch in § 50 UrhG, der die Ausnahme der Berichterstattung über Tagesereignisse in das deutsche Recht einführt.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref15" name="Footnote15">15</a>      D. h. der verfolgte Informationszweck, um den Wortlaut von Art. 5 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2001/29 und von Art. 10a Abs. 2 der Berner Übereinkunft zu übernehmen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref16" name="Footnote16">16</a>      Schon 1812 bemerkte Charles Nodier in seinen <i>Questions de littérature légale</i>: „Von allen Anleihen, die man bei einem Autor machen kann, ist das Zitat gewiss die verzeihlichste …“ (zitiert nach: Pollaud-Dulian, F., <i>Le Droit d’auteur</i>, Economica, Paris, 2014, S. 852).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref17" name="Footnote17">17</a>      Art. 10 der Berner Übereinkunft in der in Brüssel im Jahr 1948 geänderten Fassung lautete: „In allen Verbandsländern sind kurze Zitate aus Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln, auch in Form von Presseübersichten, erlaubt.“</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref18" name="Footnote18">18</a>      Der Gerichtshof hat dies offenbar in Bezug auf fotografische Werke stillschweigend anerkannt (vgl. Urteil vom 1. Dezember 2011, Painer, C‑145/10, EU:C:2011:798, Rn. 122 und 123).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref19" name="Footnote19">19</a>      Ich spreche hier wohlgemerkt von Links zu Inhalten, die von demjenigen, der sich auf die Ausnahme für Zitate beruft, selbst bereitgestellt werden. Links zu Internetseiten Dritter, auf denen urheberrechtlich geschützte Inhalte rechtmäßig zugänglich gemacht werden, stellen weder Vervielfältigungshandlungen noch Handlungen der öffentlichen Wiedergabe dar und bedürfen daher keiner Ausnahme von den ausschließlichen Rechten (vgl. Urteil vom 13. Februar 2014, Svensson u. a., C‑466/12, EU:C:2014:76, Tenor).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref20" name="Footnote20">20</a>      Vgl. als Beispiele u. a.: Barta, J., Markiewicz, R., <i>Prawo autorskie</i>, Wolters Kluwer, Warschau, 2016, S. 236 und 237, Pollaud-Dulian, F., <i>Le Droit d’auteur</i>, Economica, Paris, 2014, S. 855, sowie Stanisławska-Kloc, S., „Zasady wykorzystywania cudzych utworów: prawo autorskie i dobre obyczaje (etyka cytatu)“, <i>Diametros</i>, Nr. 19/2009, S. 160 bis 184, insbesondere S. 168.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref21" name="Footnote21">21</a>      Urteil vom 1. Dezember 2011, Painer (C‑145/10, EU:C:2011:798, Rn. 122 und 123). Vgl. auch Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak in jener Rechtssache (C‑145/10, EU:C:2011:239, Nr. 212).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref22" name="Footnote22">22</a>      Urteil vom 1. Dezember 2011, Painer (C‑145/10, EU:C:2011:798, Rn. 135).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref23" name="Footnote23">23</a>      Siehe Fn. 17 der vorliegenden Schlussanträge.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref24" name="Footnote24">24</a>      Vgl. u. a. Barta, J., Markiewicz, R., <i>Prawo autorskie</i>, Wolters Kluwer, Warschau, 2016, S. 239, Pollaud-Dulian, F., <i>Le Droit d’auteur</i>, Economica, Paris, 2014, S. 851, Preussner-Zamorska, J., Marcinkowska, J., in: Barta, J. (Hrsg.), <i>Prawo autorskie</i>, C. H. Beck, Warschau, 2013, S. 565, sowie Vivant, M., Bruguière, J.‑M., <i>Droit d’auteur et droits voisins</i>, Dalloz, Paris, 2016, S. 572.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref25" name="Footnote25">25</a>      Dieser Begriff ist als autonomer Begriff des Unionsrechts auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. September 2014, Deckmyn und Vrijheidsfonds, C‑201/13, EU:C:2014:2132, Rn. 14 bis 17).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref26" name="Footnote26">26</a>      Und in Art. 10 des WIPO-Urheberrechtsvertrags übernommen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref27" name="Footnote27">27</a>      Nutzung zu Zwecken der öffentlichen Sicherheit oder zur Sicherstellung des ordnungsgemäßen Ablaufs von Verwaltungsverfahren, parlamentarischen Verfahren oder Gerichtsverfahren. Vgl. Urteil vom 1. Dezember 2011, Painer (C‑145/10, EU:C:2011:798, Rn. 143 und 144).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref28" name="Footnote28">28</a>      C‑469/17, derzeit beim Gerichtshof anhängig.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref29" name="Footnote29">29</a>      C‑476/17, derzeit beim Gerichtshof anhängig. Diese Rechtssache betrifft zwar die in Art. 13 der Charta verankerte Freiheit der Kunst. Diese Freiheit ist jedoch lediglich ein Ausfluss der Freiheit der Meinungsäußerung.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref30" name="Footnote30">30</a>      Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Pelham u. a. ([ECLI noch einzufügen], Nrn. 90 bis 99).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref31" name="Footnote31">31</a>      Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte fällt z. B. das Filesharing im Rahmen eines Peer-to-peer‑Netzwerks unter die Freiheit der Meinungsäußerung (vgl. EGMR, 19. Februar 2013, Neij und Sunde Kolmisoppi/Schweden, CE:ECHR:2013:0219DEC004039712).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref32" name="Footnote32">32</a>      Der Ausdruck stammt von A. Lucas in: Lucas, A., Ginsburg, J. C., „Droit d’auteur, liberté d’expression et libre accès à l’information (étude comparée de droit américain et européen)“, <i>Revue internationale du droit d’auteur</i>, Bd. 249 (2016), S. 4 bis 153, auf S. 25.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref33" name="Footnote33">33</a>      Vgl. EGMR, 10. Januar 2013, Ashby Donald u. a./Frankreich (CE:ECHR:2013:0110JUD003676908, § 36).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref34" name="Footnote34">34</a>      C‑469/17, derzeit beim Gerichtshof anhängig.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref35" name="Footnote35">35</a>      C‑469/17, derzeit beim Gerichtshof anhängig.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref36" name="Footnote36">36</a>      Bei denen nicht geklärt ist, ob sie unter den Schutz des Urheberrechts fielen (vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Funke Medien NRW, C‑469/17, EU:C:2018:870, Nr. 20).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref37" name="Footnote37">37</a>      Als Beispiel für eine Situation, in der die Erfordernisse der öffentlichen Debatte Vorrang vor dem Urheberrecht haben müssen, wird häufig die Entscheidung des Gerechtshof Den Haag (Berufungsgericht Den Haag, Niederlande) vom 4. September 2003 in der Rechtssache angeführt, die eine Veröffentlichung von Dokumenten der Scientology-Kirche betraf (vgl. die Anmerkung zu diesem Urteil von Vivant, M., <i>Propriétés intellectuelles</i>, Nr. 12, S. 834).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref38" name="Footnote38">38</a>      Vgl. 19. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref39" name="Footnote39">39</a>      Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Funke Medien NRW (C‑469/17, EU:C:2018:870, Nrn. 58 bis 61).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref40" name="Footnote40">40</a>      Dasselbe Recht findet sich in Art. 9 Abs. 1 EMRK, dessen Wortlaut im Wesentlichen mit dem von Art. 10 Abs. 1 der Charta identisch ist.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref41" name="Footnote41">41</a>      Ich lasse hier die Debatte über die Frage beiseite, ob die öffentliche Bekanntmachung der Änderung der Überzeugungen noch in den Anwendungsbereich von Art. 10 der Charta oder aber in den ihres Art. 11 fällt.</p>
|
175,055 | eugh-2019-01-10-c-60817 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-608/17 | 2019-01-10T00:00:00 | 2019-01-31T19:21:05 | 2019-01-31T19:21:05 | Schlussantrag des Generalanwalts | ECLI:EU:C:2019:9 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C36Centre">SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN</p>
<p class="C36Centre">JULIANE KOKOTT</p>
<p class="C36Centre">vom 10. Januar 2019(<a href="#Footnote1" name="Footref1">1</a>)</p>
<p class="C38Centregrasgrandespacement">
<b>Rechtssache C</b>‑<b>608/17</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Skatteverket</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>gegen</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Holmen AB</b>
</p>
<p class="C39Centreespacement">(Vorabentscheidungsersuchen des Högsta förvaltningsdomstol [Oberster Verwaltungsgerichtshof, Schweden])</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorabentscheidungsersuchen – Nationale Steuergesetzgebung – Niederlassungsfreiheit – Abzug von Verlusten einer ausländischen Tochtergesellschaft im Sitzstaat der Muttergesellschaft – Rechtfertigung der Nichtabzugsfähigkeit von sogenannten finalen Verlusten – Verhältnismäßigkeit eines fehlenden grenzüberschreitenden Verlustausgleichs – Begriff der sogenannten finalen Verluste – Erfordernis einer unmittelbaren Beteiligung der Muttergesellschaft für die Annahme eines finalen Verlustes – Berücksichtigung von Verlusten aufgrund einer Verlustausgleichsbeschränkung im Sitzstaat der Enkelgesellschaft – Berücksichtigung von Verlusten aufgrund eines fehlenden Konzernausgleichs im Jahr der Liquidation im Sitzstaat der Enkelgesellschaft “</p>
<br/>
<br/>
<br/>
<br/>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C21Titrenumerote1">I.      <b>Einleitung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point1">1.</a>        In diesem und einem weiteren(<a href="#Footnote2" name="Footref2">2</a>) Verfahren ist der Gerichtshof mit der Umsetzung und Auslegung seiner Rechtsprechung durch die Mitgliedstaaten – hier durch das Königreich Schweden – befasst. Es geht um die Frage, ob eine schwedische Muttergesellschaft aufgrund des Art. 49 in Verbindung mit Art. 54 AEUV berechtigt ist, Verluste einer indirekt gehaltenen zu 100 % spanischen Tochtergesellschaft (d.h. Enkelgesellschaft) von ihren in Schweden erwirtschafteten Gewinnen abzuziehen, wenn die Enkelgesellschaft abgewickelt worden ist und nicht alle ihrer Verluste in Spanien nutzen (d. h. mit eigenen bzw. anderen Gewinnen des spanischen Konzerns verrechnen) konnte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point2">2.</a>        Die Große Kammer des Gerichtshofs(<a href="#Footnote3" name="Footref3">3</a>) hat 2005 entschieden, dass eine grenzüberschreitende Verlustnutzung im Konzern durch die Grundfreiheiten grundsätzlich nicht geboten ist. Damit würden die im Ausland entstandenen Verluste untergehen, könnten mithin von anderen Mitgliedern des Konzerns im Inland nicht genutzt werden. Lediglich für den Fall der sogenannten <i>finalen Verluste</i> sei aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine grenzüberschreitende Verlustnutzung vorzusehen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point3">3.</a>        Um diese vom Gerichtshof kreierte Fallgruppe der „finalen Verluste“ ranken sich zahlreiche Probleme, die schon zu mehreren Entscheidungen des Gerichtshofs(<a href="#Footnote4" name="Footref4">4</a>) (darunter zwei weitere der Großen Kammer) geführt haben. Alle diese Entscheidungen konnten aber bislang nicht endgültig klären, was die Voraussetzungen für finale Verluste sind.(<a href="#Footnote5" name="Footref5">5</a>)</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point4">4.</a>        Insofern erhält der Gerichtshof – will er an der Ausnahme der finalen Verluste weiterhin festhalten(<a href="#Footnote6" name="Footref6">6</a>) – erneut Gelegenheit, dieser Fallgruppe Konturen zu verleihen. </p>
<p class="C21Titrenumerote1">II.    <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      <b>Unionsrecht</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point5">5.</a>        Den unionsrechtlichen Rahmen des Falles bildet die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften nach Art. 49 in Verbindung mit Art 54 AEUV.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      <b>Schwedisches Recht</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point6">6.</a>        Im schwedischen Recht gibt es den sogenannten Konzern<i>beitrag</i> zum Zweck des Ergebnisausgleichs innerhalb eines Konzerns. Dieser wird bei der Gesellschaft, die ihn zahlt, abgezogen und bei der Gesellschaft, die ihn empfängt, steuerlich geltend gemacht. Durch Zahlung eines Konzernbeitrags an eine (auch indirekt gehaltene) Tochtergesellschaft, die Verluste erwirtschaftet, kann eine Muttergesellschaft diese Verluste wirtschaftlich auf sich „übertragen“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point7">7.</a>        Die Vorschriften über den Konzernbeitrag(<a href="#Footnote7" name="Footref7">7</a>) gelten jedoch nicht, wenn die Tochtergesellschaft in Schweden nicht steuerpflichtig ist. Insoweit erlauben nur die aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben eingeführten Regelungen zum Konzern<i>abzug</i> eine grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung. Danach kann eine schwedische Muttergesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen für endgültige Verluste einer hundertprozentigen ausländischen Tochtergesellschaft einen Konzernabzug geltend machen.(<a href="#Footnote8" name="Footref8">8</a>) Nach dieser Bestimmung muss die Tochtergesellschaft ihren Sitz in einem Staat innerhalb des EWR haben und muss u. a. einer schwedischen Aktiengesellschaft entsprechen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point8">8.</a>        Ein Verlust ist endgültig, wenn es der Tochtergesellschaft oder einer anderen Person in dem Staat, in dem die Tochtergesellschaft ansässig ist, nicht möglich war und nicht möglich sein wird, ihn zu nutzen. Weitere Voraussetzung ist, dass der Grund, warum der Verlust durch die Tochtergesellschaft nicht genutzt werden kann, nicht darin besteht, dass es an einer rechtlichen Möglichkeit dafür fehlt oder dass diese Möglichkeit zeitlich begrenzt ist. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point9">9.</a>        Nach § 5 ist die Anwendung des Konzernabzugs u. a. davon abhängig, dass die Tochtergesellschaft abgewickelt wurde und die Abwicklung abgeschlossen ist (Nr. 1). Voraussetzung ist nach dem Vorabentscheidungsersuchen außerdem, dass die Tochtergesellschaft während der gesamten Steuerjahre von Mutter- und Tochtergesellschaft bis zum Abschluss der Abwicklung zu 100 % im Besitz der Muttergesellschaft oder dass sie seit Beginn ihrer Tätigkeit bis zum Abschluss der Abwicklung in deren 100%igem Besitz gewesen war (Nr. 2). Zudem darf es keine mit der Muttergesellschaft verbundenen Gesellschaften geben, die nach Abschluss der Abwicklung die Geschäftstätigkeit im Sitzstaat der Tochtergesellschaft fortführen (Nr. 5).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point10">10.</a>      Bei der Ausarbeitung des Gesetzesentwurfs gab es laut Angaben des vorlegenden Gerichts Vorbehalte dagegen, dass die Vorschriften lediglich auf den Verlust direkt gehaltener hundertprozentiger Tochtergesellschaften anwendbar sein sollen. Man war jedoch der Ansicht, dass, wenn die Verluste indirekt gehaltener Tochtergesellschaften ebenfalls erfasst werden würden, die Gesellschaften wählen könnten, in welchem Staat sie die Verluste nutzen.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">III. <b>Ausgangsrechtsstreit</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point11">11.</a>      Die Rechtssache betrifft einen Vorbescheid des Skatterättsnämnd (Steuerrechtsausschuss, Schweden). Der Vorbescheid geht von folgendem Sachverhalt aus:</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point12">12.</a>      Die Holmen AB (im Folgenden: Holmen) ist die Muttergesellschaft in einem Konzern mit Tochtergesellschaften in verschiedenen Ländern, darunter Spanien. Der spanische Teil des Konzerns ist – soweit hier relevant – wie folgt gegliedert: Holmen besitzt sämtliche Anteile der Tochtergesellschaft Holmen Suecia Holding S.L. (im Folgenden: HSH). Diese besitzt alle Anteile an den beiden Enkelgesellschaften Holmen Paper Madrid S.L. (im Folgenden: HPM) und Holmen Paper Iberica S.L. (im Folgenden: HPI).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point13">13.</a>      Die spanischen Gesellschaften bilden seit 2003 eine Steuergruppe und werden nach dem spanischen Steuerkonsolidierungssystem besteuert. Danach können Gewinne und Verluste der Gruppeneinheiten ohne Begrenzung miteinander verrechnet werden. Dies geschieht dadurch, dass die Gruppe eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuererklärung erstellt. Nicht genutzte Verluste können ohne zeitliche Begrenzung vorgetragen und in den kommenden Jahren von etwaigen Gewinnen abgezogen werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point14">14.</a>      Seit 2011 kann jedoch in Spanien nur noch ein Teil der in einem bestimmten Jahr erzielten Gewinne mit Verlusten aus früheren Jahren verrechnet werden. Die Verluste, die aufgrund dieser Änderung nicht abgezogen werden können, werden wie andere nicht genutzte Verluste auf das folgende Jahr übertragen. Wird die Steuergruppe aufgrund der Auflösung einer Gruppeneinheit aufgelöst, werden etwa verbleibende Verluste den Gesellschaften zugeteilt, in denen sie entstanden sind. Diese können im Jahr der Abwicklung nur in der Einheit genutzt werden, in der sie entstanden sind.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point15">15.</a>      Der spanische Teil des Holmen-Konzerns erwirtschaftete Verluste. Der größte Teil der Verluste entstand bei der Enkelgesellschaft HPM. Seit 2003 hat diese Gesellschaft Betriebsverluste, die dem operativen Geschäft in Spanien zuzurechnen sind, in Höhe von rund 140 Mio. Euro angesammelt. Die Gewinne, die im spanischen Teil des Konzerns während des Antragszeitraums (ab 2003) entstanden, sind nicht erheblich. Holmen beabsichtigt nun, ihre spanischen Tätigkeiten abzuwickeln. Die Abwicklung hat im Jahr 2016 begonnen, indem der Großteil der Vermögenswerte der HPM an einen externen Käufer verkauft wurde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point16">16.</a>      In dem beantragten Vorbescheid geht es nun um die Frage, ob Holmen nach Abschluss der Abwicklung hinsichtlich der Verluste bei HPM (d. h. der Enkelgesellschaft von Holmen) zum Konzernabzug berechtigt ist. Für die Abwicklung werden in dem beantragten Vorbescheid zwei Alternativen untersucht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point17">17.</a>      Nach der ersten Alternative werden die Enkelgesellschaft HPI, die Enkelgesellschaft HPM und die Tochtergesellschaft HSH im gleichen Steuerjahr und in der genannten Reihenfolge abgewickelt. Die zweite Alternative besteht darin, dass die Tochtergesellschaft HSH in einer umgekehrten Verschmelzung in die bisherige Enkelgesellschaft HPM eingegliedert und die HPM danach (dann als Tochtergesellschaft) abgewickelt wird.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point18">18.</a>      Der Konzern wird nach beiden Alternativen während der Abwicklung keine Geschäftstätigkeit mehr ausüben und nach Durchführung der Maßnahmen keine Gesellschaft mehr in Spanien behalten. Er plant auch, dort in Zukunft nicht mehr tätig zu sein.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point19">19.</a>      Der Skatterättsnämnd (Steuerrechtsauschuss) entschied, dass Holmen im Fall der Abwicklung nach der ersten Alternative nicht zum Konzernabzug der Verluste der Enkelgesellschaft HPM berechtigt sei. Im Fall der Abwicklung nach der zweiten Alternative sei Holmen hingegen in Bezug auf die endgültigen Verluste bei HPM – dann als Tochtergesellschaft – zum Konzernabzug berechtigt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point20">20.</a>      Der Skatterättsnämnd (Steuerrechtsausschuss) begründete den Vorbescheid in Bezug auf die erste Alternative im Wesentlichen damit, dass HSH (als die Tochtergesellschaft) in Spanien keine <i>rechtliche</i> Möglichkeit hat, die Verluste der Enkelgesellschaft (HPM) zu nutzen. Damit könnten die Verluste nicht als endgültig im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs angesehen werden. Die Versagung des Konzernabzugs für Verluste gegenüber der schwedischen Muttergesellschaft Holmen könne daher nicht als unverhältnismäßig angesehen werden und stehe daher auch nicht in Widerspruch zum Unionsrecht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point21">21.</a>      Bezüglich der zweiten Alternative begründet der Skatterättsnämnd (Steuerrechtsaussuss) sein Ergebnis im Wesentlichen damit, dass HPM (dann als direkt gehaltene Tochtergesellschaft) im Rahmen der Veranlagung in Spanien die rechtliche Möglichkeit habe, zumindest einen Teil der in Rede stehenden Verluste selbst zu nutzen. Dass es nach der Auflösung der Steuergruppe für spanische Einheiten, mit Ausnahme der HPM, keine Möglichkeit mehr gebe, die Verluste zu nutzen, führe dazu, dass die Verluste endgültig seien. Zumindest einige der in Rede stehenden Verluste könnten somit als final im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs angesehen werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point22">22.</a>      Gegen den Vorbescheid haben sowohl das Skatteverk (Steuerbehörde) als auch die Antragstellerin Holmen beim Högsta förvaltningsdomstol (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Schweden) Klage erhoben.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">IV.    <b>Vorabentscheidungsersuchen und Verfahren vor dem Gerichtshof</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point23">23.</a>      Der mit dem Rechtsstreit befasste Högsta förvaltningsdomstol (Oberster Verwaltungsgerichtshof) hat dem Gerichtshof folgende Fragen vorgelegt:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Setzt die Berechtigung einer Muttergesellschaft in einem Mitgliedstaat – wie sie sich u. a. aus der Rechtssache Marks & Spencer ergibt –, aufgrund von Art. 49 AEUV endgültige Verluste einer Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat in Abzug zu bringen, voraus, dass die Tochtergesellschaft von der Muttergesellschaft direkt gehalten wird?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Ist ein Verlust auch insoweit als ein endgültiger Verlust anzusehen, als er aufgrund der Rechtsvorschriften im Sitzstaat der Tochtergesellschaft nicht mit den in einem bestimmten Jahr dort erzielten Gewinnen verrechnet werden konnte, sondern stattdessen vorgetragen wurde, um möglicherweise in einem kommenden Jahr abgezogen werden zu können?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.      Ist bei der Beurteilung, ob ein Verlust endgültig ist, die Tatsache zu berücksichtigen, dass die Abzugsmöglichkeit anderer Beteiligter als desjenigen, bei dem der Verlust entstanden ist, aufgrund der Rechtsvorschriften im Sitzstaat der Tochtergesellschaft beschränkt ist?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">4.      Wenn eine Beschränkung wie die in Frage 3 genannte zu berücksichtigen ist: Muss berücksichtigt werden, inwieweit die Beschränkung faktisch dazu geführt hat, dass ein Teil der Verluste nicht mit den Gewinnen eines anderen Beteiligten verrechnet werden konnte?</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point24">24.</a>      Zu diesen Fragen haben im Verfahren vor dem Gerichtshof Holmen, das Königreich Schweden, die Bundesrepublik Deutschland, das Königreich der Niederlande, die Republik Finnland und die Europäische Kommission schriftlich Stellung genommen. An der mündlichen Verhandlung vom 24. Oktober 2018 haben sich die Steuerbehörde, Holmen, das Königreich Schweden, die Bundesrepublik Deutschland, die Republik Finnland und die Europäische Kommission beteiligt.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">V.      <b>Rechtliche Würdigung</b>
</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      <b>Niederlassungsfreiheit und finale Verluste einer Enkelgesellschaft</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point25">25.</a>      Mit seiner ersten Vorlagefrage – die sich auf die Auslegung des Urteils Marks & Spencer bezieht – möchte das vorlegende Gericht im Ergebnis wissen, ob die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 in Verbindung mit Art 54 AEUV) Schweden verpflichtet, die Verluste einer in Spanien ansässigen und dort zu liquidierenden Enkelgesellschaft zu berücksichtigen. Diese Frage stellt sich vor dem Hintergrund, dass einerseits die Verluste aufgrund des spanischen Steuerrechts nur begrenzt verrechnet werden konnten und aufgrund der Liquidation nun bei der spanischen Enkelgesellschaft untergehen würden. Andererseits konnte Schweden eventuelle Gewinne der Enkelgesellschaft nie besteuern.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point26">26.</a>      Damit geht es um die Frage, ob im vorliegenden Fall finale Verluste der Enkelgesellschaft von Holmen angenommen werden können. Auch die Fragen 2 bis 4 beziehen sich auf die Finalität dieser Verluste, so dass alle Fragen weitgehend zusammen beantwortet werden können.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point27">27.</a>      Zu prüfen ist zunächst, ob die Nichtberücksichtigung der Verluste im Ausland ansässiger Enkelgesellschaften eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point28">28.</a>      Mit der Niederlassungsfreiheit, die Art. 49 AEUV den Unionsbürgern gewährt, ist gemäß Art. 54 AEUV für die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben, das Recht verbunden, ihre Tätigkeit in anderen Mitgliedstaaten durch eine Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point29">29.</a>      Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit sind nach ständiger Rechtsprechung alle Maßnahmen, die die Ausübung dieser Freiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen.(<a href="#Footnote9" name="Footref9">9</a>)</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point30">30.</a>      Eine steuerrechtliche Regelung eines Mitgliedstaats verstößt gegen die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften, wenn sich daraus eine ungleiche Behandlung zum Nachteil der Gesellschaften, die von dieser Freiheit Gebrauch machen, ergibt, wenn die ungleiche Behandlung Situationen betrifft, die objektiv miteinander vergleichbar sind, und wenn sie nicht durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt oder im Hinblick auf das entsprechende Ziel nicht verhältnismäßig ist.(<a href="#Footnote10" name="Footref10">10</a>)</p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      <b>Vergleichbarkeit und Ungleichbehandlung gebietsfremder und gebietsansässiger Enkelgesellschaften</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point31">31.</a>      Das schwedische Recht erlaubt einen vollständigen Verlustausgleich zwischen konzernzugehörigen Gesellschaften, die in Schweden besteuert werden, im Wege des Konzernbeitrags. Bei konzernzugehörigen Gesellschaften mit Sitz im Ausland, deren Einkünfte nicht in Schweden besteuert werden, ist der Verlustausgleich davon abhängig, dass die Tochtergesellschaft unmittelbar von einer schwedischen Muttergesellschaft gehalten wird. Dies schließt im Ausland ansässige (und in Schweden nicht besteuerte) Enkelgesellschaften von einem Verlustausgleich aus. Damit liegt eine Ungleichbehandlung vor.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point32">32.</a>      Diese Ungleichbehandlung ist geeignet, die Ausübung der Niederlassungsfreiheit durch die Gründung von Enkelgesellschaften in anderen Mitgliedstaaten weniger attraktiv zu machen. Sie ist jedoch nur dann mit den Bestimmungen des Vertrags unvereinbar, wenn sie objektiv miteinander vergleichbare Situationen betrifft.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point33">33.</a>      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist die Vergleichbarkeit eines grenzüberschreitenden Sachverhalts mit einem innerstaatlichen Sachverhalt unter Berücksichtigung des mit den fraglichen nationalen Bestimmungen verfolgten Ziels zu prüfen.(<a href="#Footnote11" name="Footref11">11</a>) Der Ausschluss von ausländischen Enkelgesellschaften basiert nach Angaben des vorlegenden Gerichts auf der Überlegung, dass andernfalls ein Wahlrecht der Konzernleitung entstünde, wo die Verluste der Enkelgesellschaft geltend gemacht werden. In Betracht kommt hier z. B. der Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft oder derjenige der Muttergesellschaft.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point34">34.</a>      Deutschland ist der Ansicht, dass es insoweit an einer Vergleichbarkeit fehle. Dies wird mit einem Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Timac Agro Deutschland(<a href="#Footnote12" name="Footref12">12</a>) und meine Schlussanträge in der Rechtssache Kommission/Vereinigtes Königreich(<a href="#Footnote13" name="Footref13">13</a>) begründet.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point35">35.</a>      Bislang hat der Gerichtshof für die Frage der Vergleichbarkeit von in- und ausländischen Betriebsstätten darauf abgestellt, ob der betreffende Mitgliedstaat auch die Steuerhoheit über die ausländische Betriebsstätte ausübt. So entschied er ausdrücklich(<a href="#Footnote14" name="Footref14">14</a>): „Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Situation einer in Österreich belegenen Betriebsstätte, über deren Ergebnisse die Bundesrepublik Deutschland keine Steuerhoheit ausübt und deren Verluste in Deutschland nicht mehr abzugsfähig sind, in Bezug auf Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung oder Abschwächung einer Doppelbesteuerung der Gewinne einer gebietsansässigen Gesellschaft nicht mit der Situation einer in Deutschland belegenen Betriebsstätte vergleichbar ist.“ Dieser Gedanke könnte ebenfalls für im Ausland ansässige und nicht im Inland besteuerte Enkelgesellschaften gelten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point36">36.</a>      Allerdings existiert eine ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs zur grenzüberschreitenden Verlustnutzung zwischen Tochter- und Muttergesellschaften, bei denen eine Vergleichbarkeit stillschweigend oder ausdrücklich bejaht wurde.(<a href="#Footnote15" name="Footref15">15</a>)</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point37">37.</a>      Zudem hat der Gerichtshof unlängst in der Rechtssache Bevola in Bezug auf finale Verluste einer gebietsfremden Betriebsstätte eine Vergleichbarkeit von besteuerten inländischen und nicht besteuerten ausländischen Betriebsstätten wiederum ausdrücklich bejaht.(<a href="#Footnote16" name="Footref16">16</a>) Dies muss dann wohl erst recht für besteuerte inländische und nicht besteuerte ausländische beherrschte Enkelgesellschaften gelten. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point38">38.</a>      Schließlich ist das Kriterium der Vergleichbarkeit unscharf. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass alle Sachverhalte in irgendeinem Aspekt vergleichbar sind, wenn sie nicht identisch sind,(<a href="#Footnote17" name="Footref17">17</a>) sollte dieser Prüfungspunkt ohnehin aufgegeben werden.(<a href="#Footnote18" name="Footref18">18</a>)</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point39">39.</a>      Angesichts dessen ist also eine Vergleichbarkeit anzunehmen. Bestehende Unterschiede – hier die fehlende Symmetrie zwischen der Besteuerung der Gewinne und der Berücksichtigung der Verluste(<a href="#Footnote19" name="Footref19">19</a>) – bei einer ausländischen im Gegensatz zu einer inländischen Enkelgesellschaft sind erst auf der Ebene der Rechtfertigung zu berücksichtigen. Folglich liegt eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit vor.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">C.      <b>Rechtfertigung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point40">40.</a>      Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit kann durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein. Rechtfertigungsgründe können hier die Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten und die Vermeidung einer doppelten Verlustberücksichtigung (obwohl nur einmal besteuert wurde) sein.(<a href="#Footnote20" name="Footref20">20</a>) Darüber hinaus muss die Maßnahme geeignet sein, die Erreichung ihres Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was dafür erforderlich ist.(<a href="#Footnote21" name="Footref21">21</a>)</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point41">41.</a>      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den „finalen“ Verlusten ist es unverhältnismäßig, wenn der Mitgliedstaat der Muttergesellschaft eine Verlustberücksichtigung verweigert, obwohl die ausländische Tochtergesellschaft alle Möglichkeiten zur Berücksichtigung der Verlustberücksichtigung ausgeschöpft hat und keine Möglichkeit mehr besteht, dass diese Verluste irgendwie noch berücksichtigt werden können. Dies muss der Steuerpflichtige nachweisen.(<a href="#Footnote22" name="Footref22">22</a>) Allein durch eine Liquidation nach einer Fusion könne jedoch nicht nachgewiesen werden, dass es keine Möglichkeit gäbe, die Verluste im Sitzstaat der Tochtergesellschaft zu berücksichtigen.(<a href="#Footnote23" name="Footref23">23</a>)</p>
<p class="C23Titrenumerote3">1.      <b>Zum Rechtfertigungsgrund der Vermeidung einer doppelten Verlustberücksichtigung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point42">42.</a>      Eine doppelte Verlustberücksichtigung scheint im vorliegenden Fall ausgeschlossen. Holmen hat ausweislich des Vorbescheids sämtliche wirtschaftliche Tätigkeiten eingestellt und auch keine verwertbaren Wirtschaftsgüter mehr. Einzig die aus den vorherigen Wirtschaftsjahren stammenden Verluste sind noch übrig und die Gesellschaft soll liquidiert werden. Da sowohl die Tochter- als auch die Enkelgesellschaft im gleichen Mitgliedstaat ansässig sind und eine Verlustberücksichtigung bei der Tochtergesellschaft nach spanischem Steuerrecht ausscheidet, besteht auch keine Gefahr, dass die Verluste der Enkelgesellschaft doppelt bei der Mutter- und der Tochtergesellschaft geltend gemacht werden können.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point43">43.</a>      Wenn aber keine Gefahr der doppelten Verlustnutzung besteht, greift dieser Rechtfertigungsgrund nicht ein.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">2.      <b>Zum Rechtfertigungsgrund der Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point44">44.</a>      Was die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten angeht, ist darauf hinzuweisen, dass es sich um ein vom Gerichtshof anerkanntes legitimes Ziel handelt,(<a href="#Footnote24" name="Footref24">24</a>) aufgrund dessen es erforderlich sein kann, auf die wirtschaftlichen Tätigkeiten der in einem dieser Mitgliedstaaten ansässigen Steuerpflichtigen, sowohl was Gewinne als auch was Verluste betrifft, nur dessen Steuerrecht anzuwenden.(<a href="#Footnote25" name="Footref25">25</a>)</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point45">45.</a>      Im vorliegenden Fall scheidet aufgrund dieses Rechtfertigungsgrundes die Annahme von zu berücksichtigenden finalen Verlusten jedoch aus drei Gründen aus: Erstens würde eine Berücksichtigung der in Spanien über die Jahre erwirtschafteten Verluste der Enkelgesellschaft die Steuerautonomie der Mitgliedstaaten verletzen (unter Nrn. 46 ff.). Zweitens liegt die Voraussetzung von rechtlich zwar nutzbaren, jedoch faktisch nicht nutzbaren Verlusten hier nicht vor (unter Nrn. 57 ff.). Drittens sind finale Verluste im Verhältnis zur Muttergesellschaft im Rahmen einer mittelbaren Beteiligung (d. h. bei einer Enkelgesellschaft) grundsätzlich ausgeschlossen (dazu unter Nrn. 73 ff.).</p>
<p class="C24Titrenumerote4">a)      <b>Berücksichtigung der Steuerautonomie der Mitgliedstaaten</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point46">46.</a>      Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, können die Grundfreiheiten nicht zur Folge haben, den Mitgliedstaat des Sitzes dieser Muttergesellschaft zu verpflichten, eine Verlustberücksichtigung zu deren Gunsten mit einem Betrag vorzusehen, der seinen Ursprung allein im Steuersystem eines anderen Mitgliedstaats hat, da sonst die Steuerautonomie des erstgenannten Mitgliedstaats durch die Ausübung der Steuerhoheit des anderen Mitgliedstaats beschränkt würde.(<a href="#Footnote26" name="Footref26">26</a>)</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point47">47.</a>      Insofern kann – so der Gerichtshof ausdrücklich(<a href="#Footnote27" name="Footref27">27</a>) – „die Endgültigkeit der Verluste einer gebietsfremden Tochtergesellschaft im Sinne der Rn. 55 des Urteils Marks & Spencer[(<a href="#Footnote28" name="Footref28">28</a>)] nicht von dem Umstand herrühren, dass der Mitgliedstaat, in dem diese Tochtergesellschaft ihren Sitz hat, jegliche Möglichkeit des Verlustvortrags ausschließt“.(<a href="#Footnote29" name="Footref29">29</a>) Denn dann müsste ein Mitgliedstaat sein Steuerrecht an dasjenige eines anderen anpassen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point48">48.</a>      Wenn nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs(<a href="#Footnote30" name="Footref30">30</a>) die Endgültigkeit der Verluste nicht von dem Umstand herrühren kann, dass der Mitgliedstaat, in dem die Tochtergesellschaft ihren Sitz hat, jegliche Möglichkeit des Verlustvortrags ausschließt, dann muss dies auch für einen Ausschluss einer Verlustübertragung auf einen Dritten gelten. Gleiches gilt für die Beendigung einer Verlustübertragung. In beiden Fällen wird eine zukünftige Verlustnutzung – einmal durch den Steuerpflichtigen selbst, einmal durch einen Dritten – unterbunden. Die Situationen sind daher auch gleich zu behandeln. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point49">49.</a>      Wie bereits oben unter den Nrn. 41 ff. ausgeführt, ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs vor der Bejahung von sogenannten finalen Verlusten also zu prüfen, ob diese nicht zuvor durch eine Übertragung auf Dritte hätten berücksichtigt werden können. Damit können nur fremde Erwerber oder andere Konzerngesellschaften gemeint sein. Ist dies jedoch nicht möglich, weil das spanische Steuerrecht dies – hier aufgrund der Liquidation, die zu einer Beendigung der spanischen Konzernkonsolidierung führt – ausschließt, dann führt dieser <i>rechtliche</i> Verlustverrechnungsausschluss nicht dazu, dass nunmehr finale Verluste vorliegen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point50">50.</a>      Ohnehin hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Grundfreiheiten dem nicht entgegenstehen, wenn ein grenzüberschreitend verrechenbarer Verlust immer am Ende des Veranlagungszeitraums als finaler Verlust festzustellen ist.(<a href="#Footnote31" name="Footref31">31</a>) Damit ist jeder vortragsfähige Verlust – jedenfalls zunächst(<a href="#Footnote32" name="Footref32">32</a>) – nicht final.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point51">51.</a>      Diese angesammelten (vorgetragenen) Verluste, die in einem Jahr als nicht final gelten (weil sie vortragsfähig sind oder ihre Verlustverrechnung nach nationalem Recht ausgeschlossen war), können nicht später zu finalen Verlusten werden, weil aufgrund der Liquidation ein weiterer Verlustvortrag ausscheidet.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point52">52.</a>      Andernfalls würden die zunächst erfolgreichen Tätigkeiten in Spanien allein in Spanien besteuert, die anschließend verlustbringenden Tätigkeiten hingegen durch das Steueraufkommen der Staaten, in denen die Konzernmütter ansässig sind, finanziert. Dies widerspräche der Wahrung einer angemessenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point53">53.</a>      Besonders deutlich wird dies durch die hier relevante spanische Regelung, die vorgetragene Verluste seit 2011 nur eingeschränkt berücksichtigt, selbst wenn ausreichende Gewinne in diesem Jahr vorliegen sollten, die Spanien auch besteuert hat. Dass diese Verluste noch existieren, ergibt sich primär aus der rechtlichen Beschränkung der Verlustverrechnung durch Spanien im Jahr 2011. Daran muss sich die schwedische Steuerrechtsordnung nicht anpassen (Autonomieprinzip).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point54">54.</a>      Ebenfalls ändert sich die Eigenschaft des nicht finalen Verlustes bei Übertragung auf den Dritten (hier die Konzernmutter in Spanien) nicht später, nur weil der Mitgliedstaat die Übertragung der Verluste beendet. Vielmehr steht das Autonomieprinzip dem entgegen, dass in einem Veranlagungszeitraum nicht finale Verluste in einen späteren Veranlagungszeitraum aufgrund der Besonderheiten des nationalen Rechts in einem anderen Mitgliedstaat wieder zu finalen Verlusten werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point55">55.</a>      Ähnlich geht der Gerichtshof in dem Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich davon aus, dass sich an der einmal fehlenden Finalität nachträglich nichts mehr ändert.(<a href="#Footnote33" name="Footref33">33</a>) Jedenfalls deuten die Aussagen dort darauf hin, dass allenfalls der in dem letzten Jahr der Abwicklung erwirtschaftete Verlust der Tochtergesellschaft noch irgendwie (grenzüberschreitend) verrechnet werden können muss, nicht aber die bis dahin aufgelaufenen und nach nationalem (hier spanischem) Recht vorgetragenen Verluste.(<a href="#Footnote34" name="Footref34">34</a>)</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point56">56.</a>      Da sich die Existenz der vorliegenden fraglichen Verluste allein aus dem spanischen Recht ergibt, sind sie keine finalen Verluste der Enkelgesellschaft.</p>
<p class="C24Titrenumerote4">b)      <b>Differenzierung zwischen faktischer und rechtlicher Finalität?</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point57">57.</a>      Fast alle Verfahrensbeteiligten trennen vor diesem Hintergrund für die Beurteilung der Finalität eines Verlustes zwischen rechtlich und faktisch nicht verwertbaren (d.h. finalen) Verlusten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point58">58.</a>      Verluste, die deshalb nicht nutzbar sind, weil sie im Mitgliedstaat der Entstehung rechtlich nicht anerkannt oder aufgrund rechtlicher Beschränkungen nicht verwertbar (z.B. nicht vor- oder rücktragbar) sind, sollen keine finalen Verluste im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs darstellen. Lediglich solche Verluste, die rechtlich zwar verwertbar wären, faktisch in der Zukunft aber nicht verwertet werden können, könnten als finale Verluste betrachtet werden. Dies überzeugt aufgrund der Autonomie der Steuerrechtsordnungen (Nr. 46 ff.).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point59">59.</a>      Zweifelhaft erscheint mir aber, ob es rechtlich verwertbare, aber faktisch nicht verwertbare Verluste überhaupt geben kann. Ich möchte dies an einem Beispiel veranschaulichen. Der einzige Fall, bei dem trotz unbeschränkter Verlustvortrags- und Verlustrücktragsmöglichkeit ein Verlust verbliebe, wäre der Fall eines insgesamt defizitären Unternehmens, welches nie ausreichend Gewinn erwirtschaftet hat, auch nachdem alle Wirtschaftsgüter veräußert wurden. In diesem Fall würde sich auch der Verlust des letzten Jahres trotz Verlustrücktragsmöglichkeit (faktisch) nicht auswirken können.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point60">60.</a>      Aber auch in diesem Fall bestünde immer noch die Möglichkeit, diese Verluste mit der Veräußerung des Unternehmens im Ergebnis auf einen Käufer zu übertragen,(<a href="#Footnote35" name="Footref35">35</a>) sofern der Sitzmitgliedstaat dies zulässt. Der Käufer wird den Wert der bestehenden Verluste über den Kaufpreis des Unternehmens berücksichtigen, so dass der Verkäufer insoweit diese Verluste „realisiert“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point61">61.</a>      Wenn die jeweilige Rechtsordnung eine Übertragung der Verluste auf andere Personen ermöglicht, dann ist eine Verwertung dieser Verluste immer auch faktisch möglich. Sie ist vielleicht im Einzelfall nicht von besonderem Erfolg gekrönt, weil der Erwerber eines defizitären Unternehmens nicht unbedingt viel Geld für ein solches ausgeben wird. Dies ändert aber nichts an einer faktischen Verwertbarkeit der Verluste.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point62">62.</a>      Damit basiert die Endgültigkeit der Verluste auch in diesem Fall entweder auf der Rechtsordnung des Mitgliedstaats (Ausschluss jeder Verlustübertragungsmöglichkeit) oder auf der Entscheidung des Steuerpflichtigen, die Gesellschaft nicht zu veräußern, sondern zu liquidieren. In beiden Fällen ist aber nicht einleuchtend, warum eine fehlende Verlustberücksichtigung in einem anderen Mitgliedstaat dann unverhältnismäßig sein sollte. Nicht ohne Grund verlangt auch der Gerichtshof, dass alle Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Verlusten ausgeschöpft wurden. Dazu gehört auch eine Übertragung der Verluste auf einen Dritten im Wege eines Verkaufs.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point63">63.</a>      Holmen hat in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass es derartige Überlegungen gab, sich jedoch dann für eine Liquidation entschieden wurde. Insofern kann auch deshalb konstatiert werden, dass bei Holmen keine finalen Verluste vorliegen.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">D.      <b>Finale Verluste im Sinne von Bevola?</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point64">64.</a>      Dem steht auch nicht das jüngere Urteil Bevola(<a href="#Footnote36" name="Footref36">36</a>) entgegen. Zum einen hat der Gerichtshof dort „lediglich“ die Marks & Spencer-Ausnahme auf „finale“ Verluste von Betriebsstätten übertragen und nicht die oben vorgenommenen Einschränkungen in Frage gestellt.(<a href="#Footnote37" name="Footref37">37</a>) Insbesondere hat er sich nicht näher zu der Frage geäußert, wann finale Verluste vorliegen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point65">65.</a>      Zum anderen wird in diesem neueren Urteil schwerpunktmäßig(<a href="#Footnote38" name="Footref38">38</a>) mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip argumentiert. Dies mag in einer Betriebsstättenkonstellation noch verständlich sein, da Betriebsstätten rechtlich einen unselbständigen Teil des Unternehmens eines Steuerpflichtigen darstellen. Bei Tochter- und Enkelgesellschaften würde diese Argumentation jedoch nicht greifen. Diese sind selbständige Rechtspersonen, die auch eine eigenständige finanzielle Leistungsfähigkeit (wenn man darunter die Fähigkeit, aufgrund ihrer Einkünfte Steuern zu zahlen, versteht) aufweisen.(<a href="#Footnote39" name="Footref39">39</a>) Dass es für die zutreffende Besteuerung der Leistungsfähigkeit der Muttergesellschaft notwendig sei, die Verluste der Tochtergesellschaft zu berücksichtigen, hat der Gerichtshof – und dies zu Recht – nicht entschieden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point66">66.</a>      Der Konzernausgleich stellt steuerrechtlich betrachtet vielmehr eine Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips dar, weil die Leistungsfähigkeit mehrerer Rechtssubjekte zusammengerechnet wird. Die Einbeziehung weiterer Rechtssubjekte kann daher jedenfalls nicht mit dem Grundsatz einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit begründet werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point67">67.</a>      Im Gegenteil widerspricht es sogar vielmehr dem Grundsatz einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, wenn ein Mitgliedstaat nur eine Seite (d. h. nur die Einkünfte oder nur die Ausgaben) berücksichtigt. Meines Wissens gibt es zudem weder einen allgemeinen steuerrechtlichen noch einen allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz, dass am Ende eines Lebenszyklus einer Rechtsperson alle Verluste irgendwie ausgeglichen werden müssten. Insbesondere gebietet das Leistungsfähigkeitsprinzip hier keinen Verlustexport in andere Mitgliedstaaten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point68">68.</a>      Auch nach Maßgabe des Urteils Bevola liegen hier also keine abzugsfähigen finalen Verluste vor, die von Spanien nach Schweden exportiert werden können.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">E.      <b>Zwischenergebnis unter Berücksichtigung eines „fairen Binnenmarktes“</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point69">69.</a>      Dieses aus der Rechtsprechung abgeleitete Ergebnis überzeugt auch im Hinblick auf einen „fairen“ Binnenmarkt, der angesichts der sogenannten BEPS-Debatte(<a href="#Footnote40" name="Footref40">40</a>) wieder etwas mehr in den Fokus gerückt ist. Denn eine grenzüberschreitende Verlustverrechnungsmöglichkeit finaler Verluste würde gerade in der vorliegenden besonderen Konstellation vor allem große grenzüberschreitend agierende Konzerne gegenüber kleineren (in der Regel nicht grenzüberschreitend tätigen) Unternehmen begünstigen. Wenn z. B. Holmen weiß, dass letztendlich alle aufgelaufenen Verluste aus dem spanischen Geschäftsmodell mit den Gewinnen in Schweden verrechnet werden können, dann kann Holmen bei dem Versuch, sich auf dem spanischen Markt zu positionieren, ganz anders im Wettbewerb auftreten als ein spanischer Mitbewerber, der davon ausgehen muss, dass seine Verluste untergehen werden, wenn er seine Geschäftstätigkeit in Spanien einstellt. Für Holmen wären die „spanischen Verluste“ eine viel geringere Belastung als für einen inländischen Konkurrenten ohne eine entsprechende Konzernstruktur.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point70">70.</a>      Unter Berücksichtigung dessen und bei konsequenter Anwendung der Rechtsprechung des Gerichtshofs (vgl. Nrn. 41 ff. und die dort angeführte Rechtsprechung) gelangt man also zu folgendem Ergebnis: Ist die Verlustnutzung im Sitzstaat der Enkelgesellschaft rechtlich ausgeschlossen, liegen keine finalen Verluste vor. Wenn eine Verlustnutzung durch den Sitzstaat möglich ist, dann muss der Steuerpflichtige diese Möglichkeiten ausgeschöpft haben. Darunter fällt ausweislich des Urteils Marks & Spencer(<a href="#Footnote41" name="Footref41">41</a>) auch eine Realisierung der Verluste durch Übertragung auf einen Dritten, an der es hier fehlt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point71">71.</a>      Damit ist hier der Ausschluss der Verrechnung der Verluste einer im Ausland ansässigen und im Inland nicht besteuerten Enkelgesellschaft durch Schweden nicht unverhältnismäßig.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">F.      <b>Beantwortung der einzelnen Fragen</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point72">72.</a>      Damit komme ich zur konkreten Beantwortung der einzelnen Fragen.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">1.      <b>Zur ersten Frage: Erfordernis einer unmittelbaren Beteiligung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point73">73.</a>      Mit seiner ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Ergebnis wissen, ob die Verluste einer in Spanien ansässigen und dort zu liquidierenden Enkelgesellschaft als finale Verluste zu betrachten sind. Dies ist zu verneinen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point74">74.</a>      Die Marks & Spencer-Ausnahme für finale Verluste differenziert im Hinblick auf finale Verluste zwar nicht zwischen Tochter- und Enkelgesellschaften. Damit würde sie auf den ersten Blick sowohl der Konzernmuttergesellschaft als auch der dazwischenstehenden Tochtergesellschaft eine Verlustverrechnung mit den finalen Verlusten der Enkelgesellschaft erlauben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point75">75.</a>      Zwar war auch die dem Marks & Spencer-Urteil zugrunde liegende Konstellation eine mittelbare Beteiligungskette, worauf Holmen und die Kommission zu Recht hinweisen. Die Enkelgesellschaft, die Muttergesellschaft (eine Holding) und die Großmuttergesellschaft (Konzernmutter) waren dort sogar in drei verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig. Das ergibt sich aber nur aus dem Vorabentscheidungsersuchen und den Schlussanträgen des Generalanwalts.(<a href="#Footnote42" name="Footref42">42</a>) Im Urteil findet sich dies weder im Tatbestand, noch geht der Gerichtshof in seinem Urteil darauf ein.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point76">76.</a>      Daraus abzuleiten, dass der Gerichtshof stillschweigend entschieden habe, dass die Konzernmutter auch die (finalen) Verluste einer Enkelgesellschaft berücksichtigen können müsse, erscheint mir aber im Gegensatz zur Kommission und in Übereinstimmung mit den Niederlanden und Schweden zu weitgehend. Der Gerichtshof musste sich dort nämlich nicht mit dieser Frage näher auseinandersetzen, da er dazu auch nicht befragt worden ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point77">77.</a>      Vor allem aber hätte eine solche Betrachtungsweise ein Wahlrecht innerhalb eines Konzerns zur Folge, der entscheiden könnte, in welchem Mitgliedstaat welcher Tochter- oder der Muttergesellschaft die „finalen“ Verluste der Enkelgesellschaften geltend gemacht werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point78">78.</a>      Insbesondere wenn alle drei Gesellschaften in unterschiedlichen Mitgliedstaaten ansässig wären und entsprechende verrechenbare Gewinne existierten, wäre dieses Wahlrecht im Hinblick auf die Optimierung der Konzernsteuerquote bedeutsam. Ein solches Wahlrecht kann aber nach zutreffender Ansicht der beteiligten Mitgliedstaaten nicht bestehen. Es würde auch die Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten in Frage stellen. Hinzu kommt die Gefahr, dass die Verluste möglicherweise in mehreren Mitgliedstaaten geltend gemacht werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point79">79.</a>      Da grundsätzlich noch eine Verlustverrechnung bei der unmittelbaren Muttergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat möglich ist, ergibt sich vielmehr ein grundsätzlicher Vorrang einer Verlustverrechnung mit der unmittelbaren Muttergesellschaft vor einer Verlustverrechnung mit der mittelbaren Muttergesellschaft (hier der Konzernmutter in Schweden). Dieser Vorrang vermeidet dann auch die oben genannten Risiken eines Wahlrechts des Steuerpflichtigen ebenso wie die Möglichkeit einer doppelten Verlustberücksichtigung in den Drei-Staaten-Verhältnissen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point80">80.</a>      Dieser Vorrang gilt auch, wenn – wie hier – Enkel- und Tochtergesellschaft im gleichen Mitgliedstaat ansässig sind. Zwar besteht hier keine Gefahr einer Optimierung der Konzernsteuerquote durch Auswahl des Mitgliedstaats der Verlustverrechnung, wie Holmen zutreffend vorträgt. Ebenso ist eine gesteigerte Gefahr der mehrfachen Verlustberücksichtigung ausgeschlossen. Die entscheidende Frage ist aber auch hier nicht, ob Tochter- und Enkelgesellschaft im gleichen Land ansässig sind, sondern ob bei der Enkelgesellschaft finale Verluste im Verhältnis zur Muttergesellschaft im anderen Mitgliedstaat vorliegen. Wie oben ausgeführt, ist dies aber zu verneinen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point81">81.</a>      Auf die erste Frage ist damit zu antworten, dass die Verluste einer mittelbar gehaltenen Gesellschaft (d. h. einer Enkelgesellschaft) grundsätzlich keine finalen Verluste im Verhältnis zur „Großmuttergesellschaft“ (d. h. zur Muttergesellschaft der Tochtergesellschaft) darstellen.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">2.      <b>Zur zweiten Frage: spanische Verlustverrechnungsbeschränkung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point82">82.</a>      Mit der zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein Verlust auch insoweit als ein endgültiger Verlust anzusehen ist, wenn er aufgrund einer Beschränkung der Verlustverrechnung vorgetragen werden musste.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point83">83.</a>      Auf diese Frage ist nach Maßgabe der obigen Ausführungen zu antworten, dass der „lediglich“ vorgetragene Verlust nicht als sogenannten finaler Verlust zu betrachten ist, auch wenn er aufgrund einer Verlustausgleichsbeschränkung im Staat der Tochtergesellschaft nicht mit früheren Gewinnen verrechnet werden konnte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point84">84.</a>      Die Existenz dieses Verlustes hängt allein von der Ausgestaltung des spanischen Steuerrechts ab und kann Schweden nicht dazu zwingen, diesen Verlust steuermindernd zu berücksichtigen.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">3.      <b>Zur dritten und zur vierten Frage:</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point85">85.</a>      Mit seiner dritten und seiner vierten Frage möchte das Gericht wissen, ob für die Beurteilung der Finalität eines Verlustes die Tatsache zu berücksichtigen ist, dass die Abzugsmöglichkeiten anderer Beteiligter als desjenigen, bei dem der Verlust entstanden ist, aufgrund der Rechtsvorschriften im Sitzstaat der Tochtergesellschaft beschränkt sind, und wenn ja, ob zu berücksichtigen ist, inwieweit die Beschränkungen tatsächlich dazu geführt haben, dass ein Teil der Verluste nicht verrechnet werden konnte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point86">86.</a>      Hinsichtlich dieser beiden Fragen ist aufgrund der obigen Ausführungen zu antworten, dass bei der Betrachtung, ob finale Verluste der Enkelgesellschaft vorliegen, immer nur die Beschränkungen bei der Enkelgesellschaft entscheidend sind. Wenn für die Enkelgesellschaft die Möglichkeit besteht, die Verluste auf einen Dritten (z. B. eine Tochtergesellschaft) zu übertragen, dann scheiden finale Verluste der Enkelgesellschaft aus. Daher kommt es nicht darauf an, ob Dritte den Verlust im konkreten Fall auch effektiv verwenden konnten. Dies ist allenfalls für die Frage relevant, ob bei diesen Dritten finale Verluste im Verhältnis zu deren Muttergesellschaften vorliegen.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">VI.    <b>Entscheidungsvorschlag</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point87">87.</a>      Aus diesen Gründen schlage ich vor, die Vorlagefragen des Högsta förvaltningsdomtol (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Schweden) wie folgt zu beantworten:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Art. 49 in Verbindung mit Art. 54 AEUV setzt für eine grenzüberschreitende Verlustverrechnung bei der Muttergesellschaft voraus, dass die defizitäre Tochtergesellschaft direkt gehalten wird.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Der „lediglich“ vorgetragene Verlust ist nicht als sogenannter finaler Verlust zu betrachten, auch wenn er aufgrund einer Verlustausgleichsbeschränkung im Staat der Tochtergesellschaft nicht mit früheren Gewinnen verrechnet werden konnte.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.      Für die Betrachtung der Finalität von Verlusten einer Enkelgesellschaft ist auch die Möglichkeit der Übertragung und Verrechnung von Verlusten auf Dritte und damit auch auf ihre Muttergesellschaft (bzw. weitere konzernzugehörige Gesellschaften) in diesem Mitgliedstaat mit einzubeziehen. Ob deren Abzugsmöglichkeiten beschränkt sind, ist allein für die Frage nach deren „finalen“ Verlusten entscheidend.</p>
<hr/>
<p class="C40FootnoteLangue">
<a href="#Footref1" name="Footnote1">1</a>      Originalsprache: Deutsch.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref2" name="Footnote2">2</a>      Anhängig unter C‑607/17, vgl. dazu auch meine Schlussanträge vom gleichen Tag.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref3" name="Footnote3">3</a>      Urteil vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C‑446/03, EU:C:2005:763).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref4" name="Footnote4">4</a>      Ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Urteile vom 4. Juli 2018, NN (C‑28/17, EU:C:2018:526), vom 12. Juni 2018, Bevola und Jens W. Trock (C‑650/16, EU:C:2018:424), vom 17. Dezember 2015, Timac Agro Deutschland (C‑388/14, EU:C:2015:829), vom 3. Februar 2015, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑172/13, EU:C:2015:50), vom 7. November 2013, K (C‑322/11, EU:C:2013:716), vom 21. Februar 2013, A (C‑123/11, EU:C:2013:84), sowie vom 15. Mai 2008, Lidl Belgium (C‑414/06, EU:C:2008:278).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref5" name="Footnote5">5</a>      Der Bundesfinanzhof in Deutschland ist sogar der Ansicht, dass mittlerweile „die Prüfungsebene der Rechtfertigungsgründe (als ‚Standort‘ der Verhältnismäßigkeitsprüfung und der Rechtsfigur der finalen Verluste) entfallen ist“. – vgl. BFH, Urteil vom 22. Februar 2017, I R 2/15, BStBl. II 2017, 709, Rn. 38).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref6" name="Footnote6">6</a>      Die Rechtsfigur der finalen Verluste wird von mehreren Stimmen im Gerichtshof für entbehrlich gehalten: vgl. nur Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache K (C‑322/11, EU:C:2013:183, Nrn. 66 ff. und 87) sowie meine Schlussanträge in der Rechtssache Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑172/13, EU:C:2014:2321, Nrn. 41 ff.) und in der Rechtssache A (C‑123/11, EU:C:2012:488, Nrn. 50 ff.).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref7" name="Footnote7">7</a>      Kapitel 35 des Inkomstskattelag (1999:1229) – Gesetz Nr. 1229 aus dem Jahr 1999 über die Körperschaft- und Einkommensteuer.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref8" name="Footnote8">8</a>      Kapitel 35 a des Inkomstskattelag (1999:1229).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref9" name="Footnote9">9</a>      Urteile vom 29. November 2011, National Grid Indus (C‑371/10, EU:C:2011:785, Rn. 36), vom 21. Mai 2015, Verder LabTec (C‑657/13, EU:C:2015:331, Rn. 34), und vom 16. April 2015, Kommission/Deutschland (C‑591/13, EU:C:2015:230, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref10" name="Footnote10">10</a>      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. Juli 2018, NN (C‑28/17, EU:C:2018:526, Rn. 18), vom 25. Februar 2010 (X Holding, C‑337/08, EU:C:2010:89, Rn. 20), sowie vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in the FII Group Litigation (C‑446/04, EU:C:2006:774, Rn. 167).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref11" name="Footnote11">11</a>      Urteile vom 4. Juli 2018, NN (C‑28/17, EU:C:2018:526, Rn. 31), vom 12. Juni 2018, Bevola und Jens W. Trock (C‑650/16, EU:C:2018:424, Rn. 32), vom 22. Juni 2017, Bechtel (C‑20/16, EU:C:2017:488, Rn. 53), vom 12. Juni 2014, SCA Group Holding u. a. (C‑39/13 bis C‑41/13, EU:C:2014:1758, Rn. 28), und vom 25. Februar 2010, X Holding (C‑337/08, EU:C:2010:89, Rn. 22).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref12" name="Footnote12">12</a>      Urteil vom 17. Dezember 2015 (C‑388/14, EU:C:2015:829, Rn. 65), welches auf das Urteil vom 17. Juli 2014, Nordea Bank (C‑48/13, EU:C:2014:2087, Rn. 24), und das Urteil vom 14. Dezember 2006, Denkavit Internationaal und Denkavit France (C‑170/05, EU:C:2006:783, Rn. 34 und 35), Bezug nimmt.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref13" name="Footnote13">13</a>      C‑172/13, EU:C:2014:2321, Nr. 26 – allerdings habe ich dort im konkreten Fall eine Vergleichbarkeit bejaht (siehe Nr. 29).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref14" name="Footnote14">14</a>      Urteil vom 17. Dezember 2015, Timac Agro Deutschland (C‑388/14, EU:C:2015:829, Rn. 65), unter Hinweis auf das Urteil vom 17. Juli 2014, Nordea Bank (C‑48/13, EU:C:2014:2087, Rn. 24), und das Urteil vom 14. Dezember 2006, Denkavit Internationaal und Denkavit France (C‑170/05, EU:C:2006:783, Rn. 34 und 35).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref15" name="Footnote15">15</a>      Urteile vom 4. Juli 2018, NN (C‑28/17, EU:C:2018:526, Rn. 35), vom 3. Februar 2015, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑172/13, EU:C:2015:50, Rn. 22 ff.), vom 21. Februar 2013, A (C‑123/11, EU:C:2013:84, Rn. 35), sowie vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C‑446/03, EU:C:2005:763, Rn. 27 ff.).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref16" name="Footnote16">16</a>      Urteil vom 12. Juni 2018, Bevola und Jens W. Trock (C‑650/16, EU:C:2018:424, Rn. 38 und 39).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref17" name="Footnote17">17</a>      Zwar sagt ein deutsches Sprichwort, dass man Äpfel nicht mit Birnen vergleichen könne. Aber auch Äpfel und Birnen haben Gemeinsamkeiten (so sind beide Kernobst) und sind damit insofern auch vergleichbar.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref18" name="Footnote18">18</a>      Dies hatte ich dem Gerichtshof schon in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Nordea Bank (C‑48/13, EU:C:2014:153, Nrn. 21 bis 28) vorgeschlagen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref19" name="Footnote19">19</a>      Vgl. dazu ausdrücklich Urteile vom 6. September 2012, Philips Electronics (C‑18/11, EU:C:2012:532), und vom 15. Mai 2008, Lidl Belgium (C‑414/06, EU:C:2008:278, Rn. 33).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref20" name="Footnote20">20</a>      Urteil vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C‑446/03, EU:C:2005:763, Rn. 43 ff.).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref21" name="Footnote21">21</a>      Urteile vom 29. November 2011, National Grid Indus (C‑371/10, EU:C:2011:785, Rn. 42), vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (C‑196/04, EU:C:2006:544, Rn. 47), und vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C‑446/03, EU:C:2005:763, Rn. 35).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref22" name="Footnote22">22</a>      Urteil vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C‑446/03, EU:C:2005:763, Rn. 55 und 56).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref23" name="Footnote23">23</a>      Urteil vom 21. Februar 2013, A (C‑123/11, EU:C:2013:84, Rn. 51 und 52).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref24" name="Footnote24">24</a>      Urteile vom 7. November 2013, K (C‑322/11, EU:C:2013:716, Rn. 50), vom 29. November 2011, National Grid Indus (C‑371/10, EU:C:2011:785, Rn. 45), und vom 6. September 2012, Philips Electronics (C‑18/11, EU:C:2012:532, Rn. 23); Urteil vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C‑446/03, EU:C:2005:763, Rn. 45 und 46).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref25" name="Footnote25">25</a>      Urteile vom 7. November 2013, K (C‑322/11, EU:C:2013:716, Rn. 50), vom 15. Mai 2008, Lidl Belgium (C‑414/06, EU:C:2008:278, Rn. 31), vom 18. Juli 2007, Oy AA (C‑231/05, EU:C:2007:439, Rn. 54), und vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C‑446/03, EU:C:2005:763, Rn. 45).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref26" name="Footnote26">26</a>      In diesem Sinne bereits die Urteile vom 21. Dezember 2016, Masco Denmark und Damixa (C‑593/14, EU:C:2016:984, Rn. 41), und vom 30. Juni 2011, Meilicke u. a. (C‑262/09, EU:C:2011:438, Rn. 33).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref27" name="Footnote27">27</a>      Urteil vom 3. Februar 2015, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑172/13, EU:C:2015:50, Rn. 33).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref28" name="Footnote28">28</a>      Urteil vom 13. Dezember 2005 (C‑446/03, EU:C:2005:763).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref29" name="Footnote29">29</a>      Vgl. Urteil vom 7. November 2013, K (C‑322/11, EU:C:2013:716, Rn. 75 bis 79 und die dort angeführte Rechtsprechung)</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref30" name="Footnote30">30</a>      Urteile vom 3. Februar 2015, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑172/13, EU:C:2015:50, Rn. 33), und vom 17. Dezember 2015, Timac Agro Deutschland (C‑388/14, EU:C:2015:829, Rn. 54).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref31" name="Footnote31">31</a>      Urteil vom 3. Februar 2015, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑172/13, EU:C:2015:50, Rn. 31 und 36).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref32" name="Footnote32">32</a>      Die Bundesrepublik Deutschland vertritt daher die Ansicht, dass nur der im letzten Jahr entstehende Verlust aufgrund der faktisch fehlenden Vortragsfähigkeit als sogenannter finaler Verlust zu betrachten ist, während die vorgetragenen Verluste ihren Charakter als nicht finale Verluste nicht mehr verlieren. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref33" name="Footnote33">33</a>      Vgl. Urteil vom 3. Februar 2015 (C‑172/13, EU:C:2015:50, Rn. 37).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref34" name="Footnote34">34</a>      So wird der EuGH zum Teil auch verstanden – vgl. die Stellungnahme von Deutschland in diesem Verfahren und z. B. David Eisendle, „Grenzüberschreitende Verlustverrechnung im Jahre 11 nach Marks & Spencer“, <i>ISR</i> 2016, 37 (42).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref35" name="Footnote35">35</a>      Diesen Punkt spricht z. B. der EuGH, Urteil vom 21. Februar 2013, A (C‑123/11, EU:C:2013:84, Rn. 52 ff.), ausdrücklich an.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref36" name="Footnote36">36</a>      Urteil vom 12. Juni 2018, Bevola und Jens W. Trock (C‑650/16, EU:C:2018:424, Rn. 61 ff.).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref37" name="Footnote37">37</a>      Im Gegenteil – der Gerichtshof hat ausdrücklich das nationale Gericht damit beauftragt, festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Annahme eines finalen Verlustes überhaupt vorliegen – vgl. Urteil vom 12. Juni 2018, Bevola und Jens W. Trock (C‑650/16, EU:C:2018:424, Rn. 65).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref38" name="Footnote38">38</a>      Urteil vom 12. Juni 2018, Bevola und Jens W. Trock (C‑650/16, EU:C:2018:424, Rn. 39 und 59); siehe auch Urteil vom 4. Juli 2018, NN (C‑28/17, EU:C:2018:526, Rn. 35).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref39" name="Footnote39">39</a>      Die Annahme einer rechtlich relevanten grenzüberschreitenden Leistungsfähigkeit von Konzernen würde wohl vor allem neue Gestaltungsperspektiven für große internationale Konzerne eröffnen. Bedenklich daher das Urteil vom 4. Juli 2018, NN (C‑28/17, EU:C:2018:526, Rn. 35).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref40" name="Footnote40">40</a>      Darunter wird vereinfacht ausgedrückt die Steuergestaltung sogenannter multinationaler Konzerne verstanden, die innerhalb der bisherigen Steuersysteme über (rechtlich legale) Möglichkeiten verfügen, ihre Bemessungsgrundlagen in Hochsteuerländern zu minimieren und die Gewinne in Niedrigsteuerländer (Base Erosion and Profit Shifting) zu verlagern.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref41" name="Footnote41">41</a>      Urteil vom 13. Dezember 2005 (C‑446/03, EU:C:2005:763, Rn. 55).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref42" name="Footnote42">42</a>      Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro in der Rechtssache Marks & Spencer (C‑446/03, EU:C:2005:201, Nr. 8).</p>
|
175,054 | eugh-2019-01-10-c-9718 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
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"level_of_appeal": null
} | C-97/18 | 2019-01-10T00:00:00 | 2019-01-31T19:21:04 | 2019-01-31T19:21:04 | Urteil | ECLI:EU:C:2019:7 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C19Centre">URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)</p>
<p class="C19Centre">10. Januar 2019(<a href="#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Einziehungsentscheidungen – Rahmenbeschluss 2006/783/JI – Art. 12 Abs. 1 und 4 – Für die Vollstreckung maßgebendes Recht – Recht des Vollstreckungsstaats, wonach bei unterbliebener Vollstreckung der Einziehungsentscheidung Ordnungshaft verhängt werden darf – Konformität – Recht des Entscheidungsstaats, wonach ebenfalls Ordnungshaft verhängt werden darf – Keine Auswirkung“</p>
<p class="C02AlineaAltA">In der Rechtssache C‑97/18</p>
<p class="C02AlineaAltA">betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Rechtbank Noord-Nederland (Bezirksgericht Nordniederlande, Niederlande) mit Entscheidung vom 1. Februar 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Februar 2018, in dem Strafverfahren gegen</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>ET</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">erlässt</p>
<p class="C19Centre">DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin), der Richterin C. Toader sowie der Richter A. Rosas und L. Bay Larsen,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Generalanwalt: M. Bobek,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kanzler: A. Calot Escobar,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des schriftlichen Verfahrens,</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Berücksichtigung der Erklärungen</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der niederländischen Regierung, vertreten durch J. M. Hoogveld und M. Bulterman als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze, M. Hellmann und E. Lankenau als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Hesse als Bevollmächtigten,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Troosters und S. Grünheid als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,</p>
<p class="C02AlineaAltA">folgendes</p>
<p class="C75Debutdesmotifs">
<b>Urteil</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point1">1</a>        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 12 des Rahmenbeschlusses 2006/783/JI des Rates vom 6. Oktober 2006 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen (ABl. 2006, L 328, S. 59).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point2">2</a>        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Verfahrens betreffend einen Antrag des Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaft, Niederlande) auf Erteilung der Erlaubnis zur Verhängung von Ordnungshaft, durch die sichergestellt werden soll, dass eine in Belgien gegen ET ergangene Einziehungsentscheidung in den Niederlanden vollstreckt werden kann.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Unionsrecht</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point3">3</a>        In den Erwägungsgründen 1, 7, 8 und 13 des Rahmenbeschlusses 2006/783 heißt es:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">„(1)      Der Europäische Rat hat auf seiner Tagung vom 15. und 16. Oktober 1999 in Tampere betont, dass der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung zum Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit sowohl in Zivil- als auch in Strafsachen innerhalb der Union werden sollte.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(7)      Das Hauptmotiv für organisierte Kriminalität ist wirtschaftlicher Gewinn. Im Rahmen einer effizienten Verhütung und Bekämpfung der organisierten Kriminalität muss der Schwerpunkt daher auf die Ermittlung, das Einfrieren, die Beschlagnahme und die Einziehung von Erträgen aus Straftaten gelegt werden. Jedoch reicht es nicht aus, nur die gegenseitige Anerkennung vorläufiger rechtlicher Maßnahmen wie Einfrieren oder Beschlagnahme in der Europäischen Union sicherzustellen; für eine effiziente Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität ist auch eine gegenseitige Anerkennung der Entscheidungen zur Einziehung der Erträge aus Straftaten erforderlich.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(8)      Zweck dieses Rahmenbeschlusses ist es, die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten bei der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen zur Einziehung von Vermögensgegenständen zu erleichtern, so dass ein Mitgliedstaat verpflichtet wird, Einziehungsentscheidungen, die von einem in Strafsachen zuständigen Gericht eines anderen Mitgliedstaats erlassen wurden, anzuerkennen und in seinem Hoheitsgebiet zu vollstrecken. Dieser Rahmenbeschluss steht im Zusammenhang mit dem Rahmenbeschluss 2005/212/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Einziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen und Vermögensgegenständen aus Straftaten [(ABl. 2005, L 68, S. 49)]. Ziel jenes Rahmenbeschlusses ist es, sicherzustellen, dass alle Mitgliedstaaten über wirksame Vorschriften für die Einziehung von Erträgen aus Straftaten verfügen, unter anderem über die Beweislast für die Herkunft der Vermögenswerte einer Person, die wegen einer Straftat im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität verurteilt wurde.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">(13)      Der vorliegende Rahmenbeschluss achtet die Grundrechte und wahrt die in Artikel 6 [EUV] anerkannten Grundsätze, die auch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, insbesondere in deren Kapitel VI, zum Ausdruck kommen. …“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point4">4</a>        Art. 1 des Rahmenbeschlusses lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Zweck dieses Rahmenbeschlusses ist es, die Regeln festzulegen, nach denen ein Mitgliedstaat eine von einem in Strafsachen zuständigen Gericht eines anderen Mitgliedstaats erlassene Einziehungsentscheidung anerkennt und in seinem Hoheitsgebiet vollstreckt.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Dieser Rahmenbeschluss berührt nicht die Verpflichtung zur Achtung der Grundrechte und der allgemeinen Rechtsgrundsätze gemäß Artikel 6 [EUV]; die Verpflichtungen der Justizbehörden in dieser Hinsicht bleiben unberührt.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point5">5</a>        Art. 2 des Rahmenbeschlusses enthält folgende Definitionen:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Im Sinne dieses Rahmenbeschlusses bezeichnet der Ausdruck</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      ‚Entscheidungsstaat‘ den Mitgliedstaat, in dem ein Gericht eine Einziehungsentscheidung im Rahmen eines Strafverfahrens erlassen hat;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">b)      ‚Vollstreckungsstaat‘ den Mitgliedstaat, dem die Einziehungsentscheidung zum Zwecke der Vollstreckung übermittelt wurde;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">c)      ‚Einziehungsentscheidung‘ eine Strafe oder Maßnahme, die von einem Gericht im Anschluss an ein – eine oder mehrere Straftaten betreffendes – Verfahren verhängt wird und die zum endgültigen Entzug von Vermögensgegenständen führt;</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point6">6</a>        Art. 7 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats erkennen jede gemäß den Artikeln 4 und 5 übermittelte Einziehungsentscheidung ohne jede weitere Formalität an und treffen unverzüglich alle erforderlichen Maßnahmen zu deren Vollstreckung, es sei denn, die zuständigen Behörden beschließen, einen der Gründe für die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung nach Artikel 8 geltend zu machen oder einen der Gründe für den Aufschub der Vollstreckung nach Artikel 10 geltend zu machen.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point7">7</a>        Art. 12 („Für die Vollstreckung maßgebendes Recht“) des Rahmenbeschlusses 2006/783 bestimmt in seinen Abs. 1 und 4:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Unbeschadet des Absatzes 3 ist für die Vollstreckung einer Einziehungsentscheidung das Recht des Vollstreckungsstaats maßgebend; nur dessen Behörden können über die Vollstreckungsverfahren entscheiden und die damit zusammenhängenden Maßnahmen bestimmen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(4)      Der Vollstreckungsstaat kann keine Maßnahmen als Alternative zur Einziehungsentscheidung, auch keine Ersatzfreiheitsstrafe oder andere Maßnahmen, die die Freiheit der Person beschränken, infolge einer Übermittlung nach den Artikeln 4 und 5 verhängen, es sei denn, der Entscheidungsstaat hat dem zugestimmt.“</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Niederländisches Recht</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point8">8</a>        Art. 22 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 3 der Wet wederzijdse erkenning en tenuitvoerlegging geldelijke sancties en beslissingen tot confiscatie (Gesetz über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Geldstrafen oder Geldbußen und Einziehungsentscheidungen) vom 27. September 2007 (Stb. 2007, Nr. 354, im Folgenden: WWETGC) sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Eine für die Anerkennung in Betracht kommende Einziehungsentscheidung wird nach niederländischem Recht anerkannt und vollstreckt. Soweit die Einziehungsentscheidung</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      die Zahlung eines Geldbetrags an den Staat zur Entziehung eines rechtswidrig erlangten Vorteils betrifft, wird die Entscheidung im Einklang mit Art. 577b Abs. 1 und Art. 577c des Wetboek van Strafvordering [Strafprozessgesetzbuch] vollstreckt, mit der Maßgabe, dass die Raadkamer van de rechtbank Noord-Nederland [Kollegialbesetzung des Bezirksgerichts Nordniederlande, Niederlande] für die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung der Erlaubnis zur Vollstreckung von Ordnungshaft zuständig ist;</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      Eine Ersatzstrafe oder ‑maßnahme wird erst vollstreckt, nachdem die zuständige Behörde des Entscheidungsmitgliedstaats die Zustimmung dazu erteilt hat. …“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point9">9</a>        Art. 577c Abs. 1 des Wetboek van Strafvordering bestimmt in Bezug auf die Ordnungshaft: </p>
<p class="C02AlineaAltA">„Wenn der Verurteilte dem Beschluss oder Urteil, mit dem zur Entziehung eines rechtswidrig erlangten Vorteils die Verpflichtung zur Zahlung eines Geldbetrags an den Staat auferlegt wird, nicht nachkommt und sich eine vollständige Befriedigung aus seinem Vermögen aufgrund der Artikel 574 bis 576 als nicht möglich erwiesen hat, kann das Gericht auf Antrag des Staatsanwalts die Erlaubnis zur Vollstreckung von Ordnungshaft bis zu drei Jahren erteilen.“</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Ausgangsverfahren und Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point10">10</a>      Mit Urteil des Hof van Beroep Antwerpen (Appellationshof Antwerpen, Belgien) vom 20. Dezember 2012 erging gegen ET eine Einziehungsentscheidung über einen Betrag von 800 000 Euro. Dieses Urteil erlangte Rechtskraft, und das Königreich der Niederlande übernahm als Vollstreckungsmitgliedstaat im Sinne von Art. 2 Buchst. b des Rahmenbeschlusses 2006/783 die Vollstreckung der Einziehungsentscheidung.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point11">11</a>      In diesem Zusammenhang stellte die Staatsanwaltschaft beim vorlegenden Gericht, der Rechtbank Noord-Nederland (Bezirksgericht Nordniederlande), einen Antrag nach Art. 22 WWETGC auf Erteilung der Erlaubnis zur Verhängung von Ordnungshaft gegen ET, weil er eine Forderung in Höhe von 652 119,19 Euro nicht beglichen habe und der Verdacht auf verborgene Geldströme bestehe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point12">12</a>      ET hält den Antrag der Staatsanwaltschaft für unzulässig und, hilfsweise, für unbegründet. Er macht insoweit geltend, bei der Ordnungshaft handele es sich nicht nur um eine „Maßnahme“ im Sinne des niederländischen Strafrechts, sondern auch um eine Strafe im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) und von Art. 49 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Außerdem sei die Verhängung der Ordnungshaft rechtswidrig, weil sie die Einziehungsentscheidung, deren Vollstreckung begehrt werde, verschärfe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point13">13</a>      Das vorlegende Gericht hegt angesichts der Rechtsprechung des Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande), wonach die in Art. 577c des Wetboek van Strafvordering vorgesehene Ordnungshaft als „Strafe“ im Sinne von Art. 7 EMRK anzusehen sei, Zweifel an ihrer Vereinbarkeit mit dem Rahmenbeschluss 2006/783.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point14">14</a>      Unter diesen Umständen hat die Rechtbank Noord-Nederland (Bezirksgericht Nordniederlande) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Kann Art. 12 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2006/783 so ausgelegt werden, dass bei der Vollstreckung einer von einem Entscheidungsstaat übersandten Einziehungsentscheidung in den Niederlanden Ordnungshaft im Sinne von Art. 577c des Wetboek van Strafvordering verhängt werden darf, auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) vom 20. Dezember 2011, wonach Ordnungshaft als Strafe im Sinne von Art. 7 Abs. 1 EMRK zu gelten hat? </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Ist es für die Möglichkeit der Verhängung von Ordnungshaft von Bedeutung, ob auch das Recht des Entscheidungsstaats die Möglichkeit der Verhängung von Ordnungshaft kennt?</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zu den Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur ersten Frage</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point15">15</a>      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 12 Abs. 1 und 4 des Rahmenbeschlusses 2006/783 dahin auszulegen ist, dass er der Anwendung von Rechtsvorschriften eines Vollstreckungsmitgliedstaats wie den im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, wonach zur Vollstreckung einer im Entscheidungsstaat ergangenen Einziehungsentscheidung gegebenenfalls Ordnungshaft verhängt werden darf.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point16">16</a>      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Rahmenbeschluss 2006/783 nach seinem Art. 1 im Licht seiner Erwägungsgründe 1 und 8 auf der Grundlage des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung – des Ecksteins der justiziellen Zusammenarbeit sowohl in Zivil- als auch in Strafsachen – zur Erleichterung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten bei der gegenseitigen Anerkennung die Festlegung der Regeln bezweckt, nach denen ein Mitgliedstaat eine von einem zuständigen Gericht eines anderen Mitgliedstaats in Strafsachen erlassene Einziehungsentscheidung anerkennt und in seinem Hoheitsgebiet vollstreckt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point17">17</a>      Der Gerichtshof hat insoweit anerkannt, dass sowohl der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten als auch der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, der seinerseits auf dem gegenseitigen Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten beruht, im Unionsrecht fundamentale Bedeutung haben, da sie die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Raums ohne Binnengrenzen ermöglichen (Urteil vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality [Mängel des Justizsystems], C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586‚ Rn. 36).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point18">18</a>      Sodann ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 7 des Rahmenbeschlusses 2006/783 die zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats jede gemäß den Bestimmungen des Rahmenbeschlusses übermittelte Einziehungsentscheidung ohne jede weitere Formalität anerkennen und unverzüglich alle erforderlichen Maßnahmen zu deren Vollstreckung treffen müssen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point19">19</a>      Somit ist der Vollstreckungsstaat nur aus den im Rahmenbeschluss ausdrücklich vorgesehenen Gründen befugt, gegebenenfalls die Anerkennung oder die Vollstreckung der Einziehungsentscheidung gemäß Art. 8 zu versagen oder ihre Vollstreckung gemäß Art. 10 aufzuschieben.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point20">20</a>      Schließlich ist nach Art. 12 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2006/783 für die Vollstreckung einer Einziehungsentscheidung das Recht des Vollstreckungsstaats maßgebend, und nur dessen Behörden können über die Vollstreckungsverfahren entscheiden und die damit zusammenhängenden Maßnahmen bestimmen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point21">21</a>      Nach Art. 12 Abs. 4 bedarf die Verhängung einer Maßnahme als Alternative zur Einziehungsentscheidung der vorherigen Zustimmung des Entscheidungsstaats.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point22">22</a>      Zusammengenommen geht aus diesen beiden Absätzen von Art. 12 des Rahmenbeschlusses 2006/783 mithin hervor, dass grundsätzlich die zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats im Einklang mit ihrem Recht über das Verfahren zur Vollstreckung der Einziehungsentscheidung und die dafür geeignetsten Maßnahmen befinden. Art. 12 Abs. 4 enthält jedoch die Sonderregel, dass eine vom Vollstreckungsstaat als Alternative zur Einziehungsentscheidung beabsichtigte Maßnahme der vorherigen Zustimmung des Entscheidungsstaats bedarf.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point23">23</a>      Im Licht dieser Erwägungen ist zu prüfen, ob der Rahmenbeschluss 2006/783 einer Vollstreckungsmaßnahme in Form der Ordnungshaft entgegensteht, wie sie das niederländische Recht in seiner Auslegung durch den Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) vorsieht. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point24">24</a>      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bei der Auslegung von Bestimmungen des nationalen Rechts grundsätzlich gehalten ist, die der Vorlageentscheidung zu entnehmenden Qualifizierungen zugrunde zu legen. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Gerichtshof nämlich nicht befugt, das innerstaatliche Recht eines Mitgliedstaats auszulegen (Urteil vom 16. Februar 2017, Agro Foreign Trade & Agency, C‑507/15, EU:C:2017:129, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point25">25</a>      Die Ordnungshaft kann, wie sich aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten ergibt, auf Antrag der Staatsanwaltschaft gegen eine von einer Einziehungsentscheidung betroffene Person verhängt werden, die, ohne zahlungsunfähig zu sein, nicht freiwillig den Betrag begleicht, zu dessen Zahlung sie verurteilt wurde. Bei dieser Vollstreckungsmaßnahme bleibt die Zahlungspflicht bestehen, so dass die Person, gegen die die Ordnungshaft verhängt wurde, jederzeit dadurch auf freien Fuß gelangen kann, dass sie die Schuld begleicht. Die Ordnungshaft ist zeitlich auf drei Jahre begrenzt, wobei ihre Dauer u. a. von etwaigen Teilzahlungen abhängt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point26">26</a>      Insoweit geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass es sich nach Art. 22 Abs. 1 Buchst. a WWETGC bei der Ordnungshaft um ein Zwangsmittel des niederländischen Rechts zur Vollstreckung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen und die Zahlung eines rechtswidrig erlangten Geldbetrags betreffenden Einziehungsentscheidung handelt, wenn der Verurteilte dem Beschluss oder Urteil, mit dem er zu einer solchen Zahlung verpflichtet wird, nicht nachkommt. Nach Art. 22 Abs. 3 wird eine Ersatzstrafe oder ‑maßnahme erst vollstreckt, nachdem die zuständige Behörde des Entscheidungsmitgliedstaats die Zustimmung dazu erteilt hat.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point27">27</a>      In diesem Zusammenhang kann die zur Vollstreckung einer Einziehungsentscheidung dienende Ordnungshaft nicht als Alternative zu dieser Entscheidung im Sinne von Art. 12 Abs. 4 des Rahmenbeschlusses 2006/783 angesehen werden, und sie stellt auch keine zusätzliche Sanktion oder eine Änderung einer solchen im Entscheidungsstaat ergangenen Entscheidung dar. Folglich bedarf die Verhängung von Ordnungshaft nicht der vorherigen Zustimmung des Entscheidungsstaats.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point28">28</a>      Nach einhelliger Ansicht aller Parteien, die Erklärungen abgegeben haben, dient die Verhängung von Ordnungshaft nämlich zur Erreichung des mit dem Rahmenbeschluss 2006/783 verfolgten Ziels, das nach den Ausführungen in Rn. 16 des vorliegenden Urteils darin besteht, die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten insbesondere im Bereich der Vollstreckung von Entscheidungen zur Einziehung von Vermögensgegenständen zu erleichtern, indem auf den Betroffenen, der sich weigert, den geschuldeten Betrag zu zahlen, obwohl er dazu in der Lage wäre, Druck ausgeübt wird.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point29">29</a>      Diese Feststellung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) nach den Angaben des vorlegenden Gerichts die Ordnungshaft als „Strafe“ im Sinne von Art. 7 EMRK eingestuft hat. Eine solche Einstufung hat keinen Einfluss auf die in Art. 12 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2006/783 vorgesehene Befugnis der zuständigen Behörde, über das Verfahren zur Vollstreckung der Einziehungsentscheidung zu bestimmen und alle ihr für eine erfolgreiche Vollstreckung am geeignetsten erscheinenden Maßnahmen zu ergreifen, um den Zweck des Rahmenbeschlusses 2006/783 zu erreichen, wobei nach dessen 13. Erwägungsgrund die Grundrechte des Betroffenen zu wahren sind.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point30">30</a>      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 12 Abs. 1 und 4 des Rahmenbeschlusses 2006/783 dahin auszulegen ist, dass er der Anwendung von Rechtsvorschriften eines Vollstreckungsmitgliedstaats wie den im Ausgangsverfahren fraglichen, wonach zur Vollstreckung einer im Entscheidungsstaat ergangenen Einziehungsentscheidung gegebenenfalls Ordnungshaft verhängt werden darf, nicht entgegensteht.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur zweiten Frage</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point31">31</a>      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Tatsache, dass auch nach dem Recht des Entscheidungsstaats gegebenenfalls Ordnungshaft verhängt werden darf, für die Möglichkeit der Verhängung einer solchen Maßnahme im Vollstreckungsstaat von Bedeutung ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point32">32</a>      Wie in Rn. 17 des vorliegenden Urteils ausgeführt, sieht Art. 12 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2006/783 vor, dass für die Vollstreckung einer Einziehungsentscheidung das Recht des Vollstreckungsstaats maßgebend ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point33">33</a>      Diese Bestimmung beruht auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, der impliziert, dass ein gegenseitiges Vertrauen darauf besteht, dass jeder der Mitgliedstaaten die Anwendung des in den übrigen Mitgliedstaaten geltenden Strafrechts anerkennt, auch wenn die Anwendung seines eigenen nationalen Rechts zu einem anderen Ergebnis führen würde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. Januar 2018, Piotrowski, C‑367/16, EU:C:2018:27, Rn. 52).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point34">34</a>      Dem in Rn. 16 des vorliegenden Urteils dargestellten Ziel des Rahmenbeschlusses 2006/783 liefe es zuwider, wenn die Anwendung einer Vollstreckungsmaßnahme im Vollstreckungsmitgliedstaat durch das nationale Recht des Entscheidungsstaats geregelt würde oder den nach diesem Recht bestehenden Voraussetzungen unterläge.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point35">35</a>      Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass die Tatsache, dass auch nach dem Recht des Entscheidungsstaats gegebenenfalls Ordnungshaft verhängt werden darf, für die Möglichkeit der Verhängung einer solchen Maßnahme im Vollstreckungsstaat ohne Bedeutung ist.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Kosten</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point36">36</a>      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.</p>
<p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:</p>
<p class="C08Dispositif">1.      <b>Art. 12 Abs. 1 und 4 des Rahmenbeschlusses 2006/783/JI des Rates vom 6. Oktober 2006 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen ist dahin auszulegen, dass er der Anwendung von Rechtsvorschriften eines Vollstreckungsmitgliedstaats wie den im Ausgangsverfahren fraglichen, wonach zur Vollstreckung einer im Entscheidungsstaat ergangenen Einziehungsentscheidung gegebenenfalls Ordnungshaft verhängt werden darf, nicht entgegensteht.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">2.      <b>Die Tatsache, dass auch nach dem Recht des Entscheidungsstaats gegebenenfalls Ordnungshaft verhängt werden darf, ist für die Möglichkeit der Verhängung einer solchen Maßnahme im Vollstreckungsstaat ohne Bedeutung.</b>
</p>
<p class="C77Signatures">Unterschriften</p>
<hr/>
<p class="C42FootnoteLangue">
<a href="#Footref*" name="Footnote*">*</a>      Verfahrenssprache: Niederländisch.</p>
|
175,053 | eugh-2019-01-10-c-41518 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
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} | C-415/18 | 2019-01-10T00:00:00 | 2019-01-31T19:21:04 | 2019-01-31T19:21:04 | Beschluss | ECLI:EU:C:2019:6 | <p class="C19Centre">BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)</p>
<p class="C19Centre">10. Januar 2019(<a href="#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p>
<p class="C71Indicateur">„Rechtsmittel – Art. 181 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs – Schadensersatzklage – Keine Erhebung einer Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV gegen die Republik Österreich durch die Europäische Kommission – Keine Vorlage eines Vorabentscheidungsersuchens an den Gerichtshof durch die nationalen Gerichte – Offensichtliche Unzuständigkeit der Unionsgerichte – Offensichtlich unzulässige Klage“</p>
<p class="C02AlineaAltA">In der Rechtssache C‑415/18 P</p>
<p class="C02AlineaAltA">betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 22. Juni 2018,</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>CBA Spielapparate- und Restaurantbetriebs GmbH</b> mit Sitz in Wien (Österreich), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt A. Schuster,</p>
<p class="C72Alineadroite">Rechtsmittelführerin,</p>
<p class="C02AlineaAltA">andere Partei des Verfahrens:</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Europäische Kommission,</b>
</p>
<p class="C72Alineadroite">Beklagte im ersten Rechtszug,</p>
<p class="C02AlineaAltA">erlässt</p>
<p class="C19Centre">DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten F. Biltgen (Berichterstatter) sowie des Richters J. Malenovský und der Richterin L. S. Rossi,</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kanzler: A. Calot Escobar,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 181 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,</p>
<p class="C02AlineaAltA">folgenden</p>
<p class="C75Debutdesmotifs">
<b>Beschluss</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point1">1</a>        Mit ihrem Rechtsmittel begehrt die CBA Spielapparate- und Restaurantbetriebs GmbH die Aufhebung des Beschlusses des Gerichts der Europäischen Union vom 19. April 2018, CBA Spielapparate- und Restaurantbetriebs/Kommission (T‑606/17, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtener Beschluss, EU:T:2018:203), mit dem dieses ihre Klage auf Ersatz des Schadens abgewiesen hat, der ihr zum einen aufgrund der Weigerung der Europäischen Kommission, ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV gegen die Republik Österreich wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht einzuleiten, und zum anderen aufgrund eines angeblichen schuldhaften Verhaltens der österreichischen Gerichte entstanden sein soll.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Verfahren vor dem Gericht und angefochtener Beschluss </b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point2">2</a>        Mit Klageschrift, die am 6. September 2017 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob die Rechtsmittelführerin eine Schadensersatzklage gegen die Kommission nach Art. 268 AEUV.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point3">3</a>        Das Gericht wies die Klage mit dem angefochtenen Beschluss gemäß Art. 126 seiner Verfahrensordnung zum Teil als offensichtlich unzulässig und zum Teil wegen offensichtlicher Unzuständigkeit ab.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point4">4</a>        Es wies insoweit in Rn. 11 des angefochtenen Beschlusses darauf hin, dass nach gefestigter Rechtsprechung eine Entscheidung der Kommission, kein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV einzuleiten, mangels einer dahin gehenden Verpflichtung jedenfalls nicht rechtswidrig sei, so dass die außervertragliche Haftung der Europäischen Union nicht ausgelöst werde.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point5">5</a>        In Rn. 12 des angefochtenen Beschlusses schloss das Gericht daraus auf die offensichtliche Unzulässigkeit der Klage, soweit sie auf den Ersatz des Schadens gerichtet war, der infolge der Weigerung der Kommission, ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV gegen die Republik Österreich einzuleiten, entstanden sein soll. Das Gericht fügte hinzu, dass jedenfalls das Schreiben der Kommission an die Rechtsmittelführerin vom 16. November 2015, mit dem sie deren Beschwerde abgelegt hatte, ordnungsgemäß begründet sein dürfte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point6">6</a>        Außerdem wies es, soweit mit der Klage die Union für das angeblich „schuldhafte Verhalten“ der nationalen Gerichte in Form des Unterlassens der Vorlage eines Vorabentscheidungsersuchens an den Gerichtshof haftbar gemacht werden sollte, in Rn. 13 des angefochtenen Beschlusses darauf hin, dass seine Zuständigkeit im Bereich der außervertraglichen Haftung in Art. 268 AEUV und in Art. 340 Abs. 2 und 3 AEUV geregelt sei und dass es nach diesen Bestimmungen nur für Klagen auf den Ersatz von Schäden zuständig sei, die von den Einrichtungen, Organen und sonstigen Stellen der Union oder ihren Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursacht worden seien. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point7">7</a>        In Rn. 14 des angefochtenen Beschlusses stellte es sodann fest, dass aber die nationalen Gerichte keine Einrichtungen, Organe oder sonstigen Stellen der Union seien.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point8">8</a>        Schließlich befand das Gericht die Klage aus den in Rn. 11 des angefochtenen Beschlusses dargelegten und oben in Rn. 4 wiedergegebenen Gründen für offensichtlich unzulässig, soweit sie auf den Ersatz des Schadens gerichtet war, den die Rechtsmittelführerin aufgrund der Weigerung der Kommission erlitten haben will, gegen die Republik Österreich ein Vertragsverletzungsverfahren wegen der seitens der nationalen Gerichte unterbliebenen Befassung des Gerichtshofs mit einem Vorabentscheidungsersuchen einzuleiten.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Anträge der Rechtsmittelführerin</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point9">9</a>        Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Rechtsmittelführerin,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        den angefochtenen Beschluss aufzuheben;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        die Zulässigkeit der Klage und die Zuständigkeit des Gerichts auszusprechen sowie die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        <i>in eventu</i> auszusprechen, dass diese Rechtssache eine Grundsatzentscheidung erfordert, die die Einheit oder die Kohärenz des Unionsrechts berühren könnte, und die Zuständigkeit des Gerichtshofs gemäß Art. 256 Abs. 3 AEUV auszusprechen, damit er in der Sache selbst entscheidet;</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zum Rechtsmittel</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point10">10</a>      Nach Art. 181 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof ein Rechtsmittel, wenn es ganz oder teilweise offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist, jederzeit auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts ganz oder teilweise durch mit Gründen versehenen Beschluss zurückweisen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point11">11</a>      Diese Bestimmung ist in der vorliegenden Rechtssache anzuwenden.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Vorbringen der Rechtsmittelführerin</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point12">12</a>      Die Rechtsmittelführerin bringt für ihr Rechtsmittel, das ausdrücklich gegen die Rn. 11 und 12 des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist, vor, das Gericht habe zu Unrecht seine Zuständigkeit für die Entscheidung über die Klage aus außervertraglicher Haftung nach Art. 268 und Art. 340 Abs. 2 und 3 AEUV verneint.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point13">13</a>      Dem Gericht sei ein Rechtsfehler unterlaufen, als es nicht anerkannt habe, dass die Kommission bei der Ausübung ihres gemäß Art. 258 AEUV eingeräumten Ermessens im Hinblick auf die Zweckmäßigkeit der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens die subjektiven Rechte der Rechtsmittelführerin verletzt habe, der außer der Beschwerde bei der Kommission kein anderer Rechtsweg offenstehe, um die im Widerspruch zum Unionsrecht stehenden fraglichen nationalen Rechtsvorschriften zu beseitigen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point14">14</a>      Der angefochtene Beschluss leide auch an einem Verfahrensmangel, da das Gericht den Inhalt des Schreibens der Kommission vom 16. November 2015 nicht geprüft habe, der aber für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung durch die Kommission maßgeblich sei. In diesem Zusammenhang teilt die Rechtsmittelführerin nach eigener Aussage nicht die Ansicht der Kommission, wonach eine Befassung des Gerichtshofs wenig Aussicht auf Erfolg hätte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point15">15</a>      Die Rechtsmittelführerin macht geltend, das Gericht habe die Abweisung der Klage als unzulässig nicht auf das Urteil vom 18. Dezember 2009, Arizmendi u. a./Rat und Kommission (T‑440/03, T‑121/04, T‑171/04, T‑208/04, T‑365/04 und T‑484/04, EU:T:2009:530), stützen dürfen, über dessen Rechtmäßigkeit der Gerichtshof nicht entschieden habe. Jedenfalls habe in jenem Fall die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 258 AEUV durch die Kommission dazu geführt, dass der betroffene Mitgliedstaat eine unionsrechtskonforme Regelung erlassen habe. Die gleiche Erwartung sei somit auch im vorliegenden Fall berechtigt gewesen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point16">16</a>      Unter Bezugnahme auf Rn. 63 des Urteils vom 18. Dezember 2009, Arizmendi u. a./Rat und Kommission (T‑440/03, T‑121/04, T‑171/04, T‑208/04, T‑365/04 und T‑484/04, EU:T:2009:530), betont die Rechtsmittelführerin, das Gericht habe entschieden, dass aus dem Umstand, dass die Nichteinleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens keine Haftung auslöse, nicht gefolgert werden könne, dass die Einleitung eines solchen Verfahrens durch die Kommission ebenfalls jegliche Haftung der Union ausschließe. Diese Schlussfolgerung muss ihrer Ansicht nach auch umgekehrt gelten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point17">17</a>      Die Schadensersatzklage sei insoweit ein selbständiger Rechtsbehelf, und jede Handlung eines Organs in Ausübung eines Ermessens könne Gegenstand einer Schadensersatzklage sein. Im Übrigen könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Ermessensausübung rechtswidrig sei und einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift darstelle.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point18">18</a>      Daraus folge, dass die Klärung der Frage der Rechtswidrigkeit einer Ermessensausübung, die die Haftung der Union auslösen könne, eine Frage des materiellen Unionsrechts sei und somit keine Frage der Zulässigkeit darstelle, sondern im Gegenteil eine Frage der Begründetheit der Klage.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Würdigung durch den Gerichtshof</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point19">19</a>      Nach ständiger Rechtsprechung auf dem Gebiet der Haftung der Union für Schäden, die Einzelne durch eine einem Organ oder einer Einrichtung der Union zuzurechnende Verletzung des Unionsrechts erlitten haben, besteht ein unionsrechtlicher Ersatzanspruch, wenn die drei Voraussetzungen erfüllt sind, dass die Rechtsnorm, gegen die verstoßen worden ist, bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, dass der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und dass zwischen dem Verstoß gegen die dem Zuwiderhandelnden obliegende Verpflichtung und dem den geschädigten Personen entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Juli 2003, Kommission/Fresh Marine, C‑472/00 P, EU:C:2003:399, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 23. März 2004, Bürgerbeauftragter/Lamberts, C‑234/02 P, EU:C:2004:174, Rn. 49).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point20">20</a>      In Bezug auf die zweite Voraussetzung besteht das entscheidende Kriterium für die Annahme, dass ein Verstoß gegen das Unionsrecht hinreichend qualifiziert ist, unter Umständen wie denen des vorliegenden Falles darin, dass das betreffende Organ oder die betreffende Einrichtung der Union die Grenzen, die seinem oder ihrem Ermessen gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Juli 2003, Kommission/Fresh Marine, C‑472/00 P, EU:C:2003:399, Rn. 26, und vom 23. März 2004, Bürgerbeauftragter/Lamberts, C‑234/02 P, EU:C:2004:174, Rn. 49).</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point21">21</a>      Dabei ist den Aufgaben Rechnung zu tragen, die von dem betreffenden Organ oder der betreffenden Einrichtung wahrgenommen werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass das Organ oder die Einrichtung eine Handlungs- oder eine Erfolgspflicht haben kann und einen mehr oder weniger großen Ermessensspielraum hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. März 2004, Bürgerbeauftragter/Lamberts, C‑234/02 P, EU:C:2004:174, Rn. 50).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point22">22</a>      So verfügt die Kommission nach ständiger Rechtsprechung bei der Prüfung, ob ein Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen verstoßen hat, über ein Ermessen, das ein Recht Einzelner, von ihr eine Stellungnahme in einem bestimmten Sinn zu verlangen, ausschließt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Februar 1989, Star Fruit/Kommission, 247/87, EU:C:1989:58, Rn. 11).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point23">23</a>      Demnach hat das Gericht in Rn. 11 des angefochtenen Beschlusses zu Recht befunden, dass eine Entscheidung der Kommission, kein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV einzuleiten, mangels einer dahin gehenden Verpflichtung ihrerseits jedenfalls nicht rechtswidrig sei, so dass die außervertragliche Haftung der Union nicht ausgelöst werde. Folglich ist die Rüge des Fehlers, den das Gericht im Zusammenhang mit dem Ermessen der Kommission begangen haben soll, als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point24">24</a>      Zwar hat sich das Gericht in seiner Begründung auf Rn. 62 des Urteils vom 18. Dezember 2009, Arizmendi u. a./Rat und Kommission (T‑440/03, T‑121/04, T‑171/04, T‑208/04, T‑365/04 und T‑484/04, EU:T:2009:530), gestützt, das nicht Gegenstand eines Rechtsmittels vor dem Gerichtshof war, doch bezieht sich jene Randnummer auf die einschlägige ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere auf den Beschluss vom 23. Mai 1990, Asia Motor France/Kommission (C‑72/90, EU:C:1990:230).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point25">25</a>      Außerdem kann dem Gericht entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin kein Rechtsfehler aufgrund dessen vorgeworfen werden, dass es im Urteil vom 18. Dezember 2009, Arizmendi u. a./Rat und Kommission (T‑440/03, T‑121/04, T‑171/04, T‑208/04, T‑365/04 und T‑484/04, EU:T:2009:530), zu einem anderen Ergebnis gelangt ist als in dem angefochtenen Beschluss.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point26">26</a>      Auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Bürger unter ganz außerordentlichen Umständen nachweisen können mag, dass das betreffende Organ bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Unionsrecht begangen hat, der geeignet ist, dem betroffenen Bürger einen Schaden zu verursachen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. März 2004, Bürgerbeauftragter/Lamberts, C‑234/02 P, EU:C:2004:174, Rn. 52), klagt die Rechtsmittelführerin im vorliegenden Fall mit der Behauptung einer Verletzung ihrer subjektiven Rechte durch die angebliche pflichtwidrige Untätigkeit der Kommission doch ersichtlich über einen Schaden, der in Wirklichkeit in der Untätigkeit und in fehlerhaften Auslegungen der österreichischen Gerichte begründet läge.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point27">27</a>      Wenn aber Rechte eines Einzelnen durch einen Verstoß gegen das Unionsrecht verletzt werden, der einer Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts eines Mitgliedstaats zuzurechnen ist, hat dieser Einzelne die Möglichkeit, den betreffenden Mitgliedstaat vor dessen nationalen Gerichten haftbar zu machen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. September 2003, Köbler, C‑224/01, EU:C:2003:513, Rn. 33 und 34, und vom 9. September 2015, Ferreira da Silva e Brito u. a., C‑160/14, EU:C:2015:565, Rn. 47; Beschlüsse vom 5. Juli 2017, CBA Spielapparate- und Restaurantbetrieb/Gerichtshof der Europäischen Union, C‑87/17 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:512, Rn. 18, vom 13. Juli 2017, Ccc Event Management/Gerichtshof der Europäischen Union, C‑261/17 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:558, Rn. 18, und vom 13. September 2018, Ccc Event Management/Gerichtshof der Europäischen Union, C‑23/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:761, Rn. 38).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point28">28</a>      Zu dem Vorbringen, das Gericht habe es unterlassen, den Inhalt des Schreibens der Kommission vom 16. November 2015 zu prüfen, genügt die Feststellung, dass es sich gegen einen nicht tragenden Grund richtet, der vom Gericht in Rn. 12 a. E. des angefochtenen Beschlusses angeführt wurde, wo es heißt, dass „[i]m Übrigen … das Schreiben … jedenfalls ordnungsgemäß begründet sein [dürfte]“.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point29">29</a>      Rügen, die gegen nicht tragende Gründe einer Entscheidung des Gerichts gerichtet sind, sind aber von vornherein zurückzuweisen, da sie nicht zur Aufhebung der Entscheidung führen können (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, EU:C:2005:408, Rn. 148). Das fragliche Vorbringen ist daher als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point30">30</a>      Schließlich ist zu dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin, dass sie die Ansicht der Kommission nicht teilen könne, wonach eine Befassung des Gerichtshofs wenig Aussicht auf Erfolg hätte, festzustellen, dass ein solches Vorbringen, da es sich auf die Feststellung und Würdigung tatsächlicher Umstände bezieht, nicht in die Zuständigkeit des Gerichtshofs im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens fällt. Es ist deshalb als offensichtlich unzulässig zu verwerfen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point31">31</a>      Nach alledem ist das Rechtsmittel insgesamt als teils offensichtlich unzulässig und teils offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Kosten</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point32">32</a>      Nach Art. 137 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, wird in dem das Verfahren beendenden Beschluss über die Kosten entschieden. Da der vorliegende Beschluss ergeht, ohne dass die Rechtsmittelschrift der Beklagten im ersten Rechtszug zugestellt worden ist, ist zu entscheiden, dass die Rechtsmittelführerin ihre eigenen Kosten trägt.</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) beschlossen:</p>
<p class="C08Dispositif">1.      <b>Das Rechtsmittel wird als teils offensichtlich unzulässig und teils offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">2.      <b>Die CBA Spielapparate- und Restaurantbetriebs GmbH trägt ihre eigenen Kosten. </b>
</p>
<p class="C77SignaturesAlinea">Luxemburg, den 10. Januar 2018</p>
<table width="100%">
<tr>
<td width="33%">
<p class="C77Signatures" style="text-align:left">Der Kanzler</p>
</td><td width="33%"> </td><td width="33%">
<p class="C77Signatures" style="text-align:right">Der Präsident der Achten Kammer</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%">
<tr>
<td width="33%">
<p class="C77SignaturesAlinea" style="text-align:left">A. Calot Escobar</p>
</td><td width="33%"> </td><td width="33%">
<p class="C77SignaturesAlinea" style="text-align:right">F. Biltgen</p>
</td>
</tr>
</table>
<hr/>
<p class="C42FootnoteLangue">
<a href="#Footref*" name="Footnote*">*</a>      Verfahrenssprache: Deutsch.</p>
|
175,052 | eugh-2019-01-10-c-41017 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-410/17 | 2019-01-10T00:00:00 | 2019-01-31T19:21:03 | 2019-01-31T19:21:03 | Urteil | ECLI:EU:C:2019:12 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C19Centre">URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)</p>
<p class="C19Centre">10. Januar 2019(<a href="#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c – Art. 14 Abs. 1 – Art. 24 Abs. 1 – Entgeltliche Umsätze – Umsätze, bei denen die Gegenleistung zum Teil aus Dienstleistungen oder Gegenständen besteht – Abbruchvertrag – Vertrag über einen Kauf zur Demontage“</p>
<p class="C02AlineaAltA">In der Rechtssache C‑410/17</p>
<p class="C02AlineaAltA">betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht, Finnland) mit Entscheidung vom 30. Juni 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Juli 2017, in dem Verfahren auf Betreiben der</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>A Oy,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">Beteiligte:</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Veronsaajien oikeudenvalvontayksikkö,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">erlässt</p>
<p class="C19Centre">DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter E. Juhász und C. Vajda (Berichterstatter),</p>
<p class="C02AlineaAltA">Generalanwalt: N. Wahl,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Juli 2018,</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Berücksichtigung der Erklärungen</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der A Oy, vertreten durch M. Kallio und H. Huhtala, </p>
<p class="C03Tiretlong">–        der finnischen Regierung, vertreten durch J. Heliskoski als Bevollmächtigten,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Jokubauskaitė und I. Koskinen als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,</p>
<p class="C02AlineaAltA">folgendes</p>
<p class="C75Debutdesmotifs">
<b>Urteil</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point1">1</a>        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c, Art. 14 Abs. 1 sowie Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point2">2</a>        Es ergeht im Rahmen eine Verfahrens auf Betreiben der A Oy, in dem es um die mehrwertsteuerliche Behandlung von Umsätzen geht, die zum einen gemäß einem Abbruchvertrag, nach dem der Dienstleistungserbringer verpflichtet ist, den Abbruchabfall zu entsorgen, und dieser Abfall, soweit er Metallschrott enthält, von dem Dienstleistungserbringer weiterverkauft werden kann, und zum anderen gemäß einem Vertrag über den Kauf von Gegenständen zur Demontage, nach dem der Käufer zum Abbruch oder zur Demontage (im Folgenden zusammen: Demontage) und zum Abtransport dieser Gegenstände sowie zur Entsorgung des dabei anfallenden Abfalls verpflichtet ist, bewirkt werden.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Unionsrecht</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point3">3</a>        Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c der Richtlinie 2006/112 bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">c)      Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt“.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point4">4</a>        Art. 14 Abs. 1 dieser Richtlinie lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Als ‚Lieferung von Gegenständen‘ gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point5">5</a>        Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Als Dienstleistung gilt jeder Umsatz, der keine Lieferung von Gegenständen ist.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point6">6</a>        Art. 73 dieser Richtlinie lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point7">7</a>        Art. 199 Abs. 1 Buchst. a und d der Richtlinie 2006/112 sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass der steuerpflichtige Empfänger die Mehrwertsteuer schuldet, an den folgende Umsätze bewirkt werden:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      Bauleistungen, einschließlich Reparatur-, Reinigungs-, Wartungs-, Umbau- und Abbruchleistungen im Zusammenhang mit Grundstücken sowie die auf Grund des Artikels 14 Absatz 3 als Lieferung von Gegenständen betrachtete Erbringung bestimmter Bauleistungen;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">d)      Lieferung von Gebrauchtmaterial, auch solchem, das in seinem unveränderten Zustand nicht zur Wiederverwendung geeignet ist, Schrott, von gewerblichen und nichtgewerblichen Abfallstoffen, recyclingfähigen Abfallstoffen und teilweise verarbeiteten Abfallstoffen, und gewissen in Anhang VI aufgeführten Gegenständen und Dienstleistungen.“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point8">8</a>        Die Nrn. 1 und 4 des Anhangs VI („Verzeichnis der in Artikel 199 Absatz 1 Buchstabe d genannten Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen“) dieser Richtlinie lauten:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">„1.      Lieferung von Alteisen und Nichteisenabfällen, Schrott und Gebrauchtmaterial einschließlich Halberzeugnissen aus Verarbeitung, Herstellung oder Schmelzen von Eisen oder Nichteisenmetallen oder deren Legierungen;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">4.      Lieferung von Alteisen und Altmetallen, sowie von Abfällen, Schnitzeln und Bruch sowie gebrauchtem und recyclingfähigem Material in Form von Scherben, Glas, Papier, Pappe und Karton, Lumpen, Knochen, Häuten, Kunstleder, Pergament, rohen Häuten und Fellen, Sehnen und Bändern, Schnur, Tauwerk, Leinen, Tauen, Seilen, Kautschuk und Plastik und Erbringung bestimmter Verarbeitungsleistungen in Zusammenhang damit“.</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Finnisches Recht</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point9">9</a>        Das Arvonlisäverolaki (1501/1993) (Gesetz über die Mehrwertsteuer [1501/1993]) vom 30. Dezember 1993 in der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung (im Folgenden: AVL), durch das die Richtlinie 2006/112 im finnischen Recht umgesetzt worden ist, bestimmt in § 1 Abs. 1 Nr. 1:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Mehrwertsteuer ist gemäß den Bestimmungen dieses Gesetzes an den Staat zu entrichten</p>
<p class="C02AlineaAltA">auf den Verkauf von Gegenständen und die Erbringung von Dienstleistungen in Finnland im Rahmen einer geschäftlichen Tätigkeit“.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point10">10</a>      Nach § 2 Abs. 1 AVL ist bei einem Verkauf von Gegenständen und der Erbringung von Dienstleistungen im Sinne von § 1 AVL der Verkäufer der Ware oder der Erbringer der Dienstleistung zur Entrichtung von Mehrwertsteuer verpflichtet (Steuerpflichtiger), sofern nichts Abweichendes geregelt ist. Eine abweichende Regelung enthält u. a. § 8d AVL.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point11">11</a>      Dieser sieht vor, dass auf Käufer von Metallschrott und ‑abfall die umgekehrte Steuerpflicht Anwendung findet, wenn es sich um einen Unternehmer handelt, der im Mehrwertsteuerregister eingetragen ist. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point12">12</a>      Nach § 17 AVL bezeichnet „Gegenstand“ körperliche Gegenstände sowie Elektrizität, Gas, Wärme- und Kühlenergie und sonstige damit vergleichbare Energiegüter. Unter „Dienstleistungen“ fällt alles, was kein Gegenstand ist, und im Rahmen einer geschäftlichen Tätigkeit verkauft werden kann.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point13">13</a>      Nach § 18 AVL bezeichnet „Verkauf von Gegenständen“ die entgeltliche Übertragung des Eigentums an einem Gegenstand und „Verkauf einer Dienstleistung“ die entgeltliche Erbringung einer Dienstleistung oder einer sonstigen Leistung.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Ausgangsverfahren und Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point14">14</a>      A ist eine auf Umweltdienstleistungen für die Industrie und das Baugewerbe spezialisierte Gesellschaft. A ist für verschiedene Industriezweige, das Immobilien- und das Baugewerbe tätig und erbringt Umweltdienstleistungen in Finnland und Schweden. Zu ihren Tätigkeitsgebieten gehören Industrie-, Grundstücks- und Gebäudedienstleistungen, Abbruchdienstleistungen sowie Recycling- und Abfallverarbeitungsdienstleistungen. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point15">15</a>      Im Rahmen ihrer Tätigkeit erbringt A gemäß einem Abbruchvertrag Abbrucharbeiten an ihre Kunden. Die Bedingungen dieses Vertrags beruhen auf den von den Unternehmen des Baugewerbes gemeinsam festgelegten allgemeinen Vertragsbedingungen für Bauleistungen. Im Rahmen eines Vertrags dieses Typs verpflichtet sich A, die Gebäude einer alten Fabrik ihres Kunden abzureißen sowie die Aufgaben des Hauptunternehmers und des für die Baustellendienstleistungen und die Bauleitung verantwortlichen Unternehmers zu übernehmen. Nach den allgemeinen Vertragsbedingungen für Bauleistungen gehören zu den Pflichten des Unternehmens auch der sachgemäße Abtransport und die sachgemäße Verwertung des abzutragenden Materials und des Abfalls.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point16">16</a>      Bei einem Teil des Materials und der Abfälle handelt es sich um Metallschrott und Abfälle im Sinne von § 8d AVL, bei deren Verkauf die Steuerpflicht den Käufer trifft. Zum Teil handelt es sich um Gegenstände, die A an Unternehmen, die Rücklaufschrott aufkaufen, weiterverkaufen kann. A ist bestrebt, die Menge dieser Gegenstände und den für sie voraussichtlich zu erzielenden Preis im Voraus zu schätzen, und berücksichtigt diese bei der Festlegung des Preises im Rahmen der Erstellung des Angebots für die Abbrucharbeiten, damit der Preis der dem Kunden angebotenen Abbrucharbeiten möglichst wettbewerbsfähig ist. Der geschätzte Preis dieser Gegenstände wird jedoch nicht mit dem Kunden im Rahmen des Abbruchvertrags verhandelt oder festgelegt, sondern dem Kunden werden die Abbrucharbeiten immer zu einem Gesamtpreis angeboten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point17">17</a>      Außerdem kauft A im Rahmen ihrer Tätigkeit von ihren Kunden alte Maschinen und Geräte und verpflichtet sich nach einem Vertrag über den Kauf zur Demontage, diese zu den im Vertrag näher geregelten Bedingungen zu demontieren und aus den Betriebsräumen oder vom Betriebsgelände des betreffenden Kunden abzutransportieren sowie den dabei anfallenden Abfall zu entsorgen. Ein typischer Vertrag dieser Art ist ein Vertrag über den Kauf bestimmter Gebäude, die sich auf einem Fabrikgelände befinden. Der Vertrag sieht vor, dass A die auf dem Gelände befindlichen Gebäude und Bauwerke bis zum Erdboden sowie die Maschinen, Geräte und das übrige Mobiliar kauft und die von ihr gekauften Gegenstände selbst demontiert und entfernt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point18">18</a>      In Anbetracht der Art der gekauften Gegenstände entstehen A durch die Demontage, den Abtransport und die sachgerechte Verwertung dieser Gegenstände sowie die Entsorgung des dabei anfallenden Abfalls Kosten, die sie bestrebt ist, im Voraus zu schätzen und in dem von ihr angebotenen Preis als den Kaufpreis mindernden Faktor zu berücksichtigen. Die Vertragsparteien erörtern diese Kosten jedoch nicht in ihren Verhandlungen und legen ihre Höhe nicht in diesem Vertrag fest, da zu keiner Zeit beabsichtigt ist, dem Verkäufer diesen Betrag mitzuteilen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point19">19</a>      A beantragte bei der Steuerverwaltung einen Vorbescheid in Bezug auf die Berechnung der Mehrwertsteuer, die im Rahmen des Abbruchvertrags auf die Erbringung der Abbrucharbeiten und im Rahmen des Vertrags über den Kauf zur Demontage auf den Kauf von Metallschrott und ‑abfall anfällt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point20">20</a>      Mit Vorbescheid vom 11. Juni 2015 für den Zeitraum 11. Juni 2015 bis 31. Dezember 2016 stellte die Steuerverwaltung zum einen fest, dass A im Rahmen eines Abbruchvertrags eine Abbruchdienstleistung an ihren Kunden verkaufe und Metallschrott von ihm kaufe. Folglich müsse A auf die Dienstleistung, die sie an ihren Kunden erbringe, sowie im Rahmen der umgekehrten Steuerschuld auf den Metallschrott, den sie von diesem kaufe, Mehrwertsteuer entrichten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point21">21</a>      Zum anderen stellte die Steuerverwaltung hinsichtlich des Vertrags über den Kauf zur Demontage mit diesem Vorbescheid fest, dass A eine Abbruchdienstleistung an ihren Kunden erbringe und Metallschrott von ihm kaufe. Folglich müsse A auf die Dienstleistungen, die sie an ihren Kunden erbringe, sowie im Rahmen der umgekehrten Steuerschuld auf den Metallschrott, den sie von diesem kaufe, Mehrwertsteuer entrichten.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point22">22</a>      In keinem der beiden Fälle, die Gegenstand des Vorbescheids waren, nahm die Steuerverwaltung zur Bildung des Preises der Gegenleistung Stellung.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point23">23</a>      A erhob gegen den Vorbescheid vom 11. Juni 2015 Klage beim Helsingin hallinto-oikeus (Verwaltungsgericht Helsinki, Finnland).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point24">24</a>      Mit Urteil vom 16. Dezember 2015 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts schließt A sowohl im Fall des Abbruchvertrags als auch im Fall des Vertrags über den Kauf zur Demontage mit ihrem Kunden einen Tauschvertrag, in dessen Rahmen A Abbruchdienstleistungen erbringe und Metallschrott kaufe. Folglich müsse A sowohl auf die Dienstleistung, die sie an ihren Kunden erbracht habe, als auch auf den Metallschrott, den sie von ihm gekauft habe, Mehrwertsteuer entrichten. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point25">25</a>      A legte gegen das Urteil des Helsingin hallinto-oikeus (Verwaltungsgericht Helsinki) ein Rechtsmittel beim Korkein hallinto‑oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht, Finnland) ein.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point26">26</a>      Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass A im Rahmen des Abbruchvertrags eine Leistung gegen Entgelt erbringt und im Rahmen des Vertrags über den Kauf zur Demontage einen Gegenstand gegen Entgelt erwirbt. Im Ausgangsrechtsstreit gehe es somit um die Frage, ob A im ersten Fall auch einen Gegenstand gegen Entgelt erwirbt und im zweiten Fall auch eine Dienstleistung gegen Entgelt erbringt. A wende sich gegen die Einstufung dieser Verträge als Tauschverträge, da es sich nach ihrer Ansicht bei dem Metallschrott im Fall des Abbruchvertrags nicht um eine Gegenleistung für die Abbruchdienstleistung und bei der Abbruchdienstleistung im Fall des Vertrags über den Kauf zur Demontage nicht um eine Gegenleistung für den Kauf des Metallschrotts handele, weil zwischen der betreffenden Dienstleistung bzw. Lieferung von Gegenständen und der empfangenen Gegenleistung kein unmittelbarer Zusammenhang bestehe.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point27">27</a>      Vor diesem Hintergrund hat das Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Ist Art. 2 Abs. 1 Buchst. c in Verbindung mit Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen, dass Abbrucharbeiten, die von einem Unternehmen, zu dessen Geschäftstätigkeit die Ausführung von Abbrucharbeiten gehört, ausgeführt werden, nur einen Umsatz umfassen, wenn das Abbruchunternehmen nach den Bedingungen des Vertrags zwischen ihm und dem Besteller verpflichtet ist, den Abbruchabfall abzutransportieren, und – soweit der Abbruchabfall Metallschrott enthält – den Metallschrott an Unternehmen, die Rücklaufschrott aufkaufen, weiterverkaufen kann?</p>
<p class="C10Marge1">Oder ist ein derartiger Vertrag über Abbrucharbeiten unter Berücksichtigung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen, dass er zwei Umsätze umfasst, nämlich zum einen die Erbringung der Dienstleistung des Abbruchunternehmens an den Besteller der Abbrucharbeiten und zum anderen den Kauf des weiterzuverkaufenden Metallschrotts durch das Abbruchunternehmen von dem Besteller der Abbrucharbeiten?</p>
<p class="C10Marge1">Ist hier von Bedeutung, dass das Abbruchunternehmen bei der Festlegung des Preises für die Abbrucharbeiten als preismindernden Faktor berücksichtigt, dass es die Möglichkeit hat, auch durch die Verwertung von Abbruchabfällen Einnahmen zu erzielen?</p>
<p class="C10Marge1">Ist hier von Bedeutung, dass die Menge und der Wert des verwertbaren Abbruchabfalls nicht in dem Vertrag über die Abbrucharbeiten vereinbart sind und auch nicht vereinbart ist, dass sie später dem Besteller der Abbrucharbeiten mitgeteilt werden, und dass sich die Menge und der Wert des Abbruchabfalls erst herausstellen, wenn das Abbruchunternehmen ihn weiterverkauft?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Ist Art. 2 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 in einem Fall, in dem ein Unternehmen, zu dessen Geschäftstätigkeit die Ausführung von Abbrucharbeiten gehört, mit dem Eigentümer eines Abbruchobjekts in einem Vertrag vereinbart, dass das Abbruchunternehmen das Abbruchobjekt kauft, und sich unter Vereinbarung einer Vertragsstrafe verpflichtet, das Objekt innerhalb eines im Vertrag festgelegten Zeitraums abzureißen und den Abbruchabfall abzutransportieren, dahin auszulegen, dass es sich um nur einen Umsatz handelt, der den Verkauf von Gegenständen durch den Eigentümer des Abbruchobjekts an das Abbruchunternehmen umfasst?</p>
<p class="C10Marge1">Oder ist ein derartiger Vertrag unter Berücksichtigung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c in Verbindung mit Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen, dass er zwei Umsätze umfasst, nämlich zum einen den Verkauf von Gegenständen durch den Eigentümer des Abbruchobjekts an das Abbruchunternehmen und zum anderen die von dem Abbruchunternehmen an den Verkäufer der Gegenstände erbrachte Abbruchdienstleistung?</p>
<p class="C10Marge1">Ist hier von Bedeutung, dass das Abbruchunternehmen bei der Festlegung des Preises in seinem Kaufangebot für die Gegenstände als preismindernden Faktor die Kosten berücksichtigt, die ihm durch die Demontage und den Abtransport der Gegenstände entstehen?</p>
<p class="C10Marge1">Ist es von Bedeutung, dass dem Verkäufer der Gegenstände bewusst ist, dass die Kosten, die dem Abbruchunternehmen durch die Demontage und den Abtransport der Gegenstände entstehen, als den Preis dieser Gegenstände mindernder Faktor berücksichtigt werden, in Anbetracht des Umstands, dass zwischen den Parteien keine Vereinbarung über diese Kosten getroffen wird und die geschätzte oder tatsächlich angefallene Höhe dieser Kosten zu keiner Zeit in die Kenntnis des Verkäufers der Gegenstände gelangen soll?</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zu den Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur ersten Frage</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point28">28</a>      Mit der ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c der Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 und Art. 24 Abs. 1 dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass ein Abbruchvertrag, wenn der Dienstleistungserbringer – ein Abbruchunternehmen – nach diesem Vertrag verpflichtet ist, Abbrucharbeiten durchzuführen, und, soweit der Abbruchabfall Metallschrott enthält, diesen weiterverkaufen darf, in mehrwertsteuerlicher Hinsicht nur einen oder zwei Umsätze umfasst. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point29">29</a>      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c der Richtlinie 2006/112 „Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt“, sowie „Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt“ der Mehrwertsteuer unterliegen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point30">30</a>      Insoweit wird die Lieferung eines Gegenstands in Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 definiert als „die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen“, während die Dienstleistung in Art. 24 Abs. 1 dieser Richtlinie als „jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstands … ist“, definiert wird.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point31">31</a>      Außerdem setzt eine Lieferung von Gegenständen oder eine Erbringung von Dienstleistungen „gegen Entgelt“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c der Richtlinie 2006/112 nur das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Lieferung von Gegenständen oder der Erbringung von Dienstleistungen und einer tatsächlich vom Steuerpflichtigen empfangenen Gegenleistung voraus. Ein solcher unmittelbarer Zusammenhang besteht, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte Dienstleistung bildet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. September 2013, Serebryannay vek, C‑283/12, EU:C:2013:599, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point32">32</a>      Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass sich der Dienstleistungserbringer – ein Abbruchunternehmen – nach dem Abbruchvertrag verpflichtet, Abbrucharbeiten zu erbringen, die auch den sachgemäßen Abtransport und die sachgemäße Verwertung des zu entfernenden Materials und des Abfalls gegen die Zahlung eines Preises durch den Kunden umfassen. Zudem ist der Vorlageentscheidung zu entnehmen, dass dieser Dienstleistungserbringer bestrebt ist, die Menge des zu entsorgenden Materials und Abfalls sowie deren Wiederverkaufspreis im Voraus zu schätzen, um sie bei der Festlegung des Preises der Abbrucharbeiten zu berücksichtigen. Außerdem ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass der genannte Dienstleistungserbringer, soweit der Abbruchabfall Metallschrott enthält, diesen Metallschrott nach dem Abbruchvertrag an Unternehmen, die Rücklaufschrott aufkaufen, weiterverkaufen darf.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point33">33</a>      Im Ausgangsverfahren ist unstreitig, dass das Abbruchunternehmen für seine Kunden gegen Vergütung Abbrucharbeiten in einem Mitgliedstaat durchführt und damit eine Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 erbringt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point34">34</a>      Die Fragen des vorlegenden Gerichts beziehen sich im Wesentlichen darauf, ob diese Leistung darüber hinaus gegen eine Lieferung von Gegenständen, nämlich die Lieferung von in dem Abfall und dem Gebrauchtmaterial enthaltenem Rücklaufschrott erbracht wird, so dass sowohl der von dem Kunden gezahlte Preis als auch diese Lieferung die Steuerbemessungsgrundlage der genannten Leistung bilden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point35">35</a>      Hierzu ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die Gegenleistung für die Erbringung von Dienstleistungen in einer Lieferung von Gegenständen bestehen und deren Steuerbemessungsgrundlage im Sinne von Art. 73 der Richtlinie 2006/112 sein kann, vorausgesetzt jedoch, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Erbringung von Dienstleistungen und der Lieferung von Gegenständen besteht und der Wert der Lieferung in Geld ausgedrückt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2012, Orfey, C‑549/11, EU:C:2012:832, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung). Gleiches gilt, wenn eine Lieferung von Gegenständen gegen eine Dienstleistung getauscht wird, sofern diese Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. September 2013, Serebryannay vek, C‑283/12, EU:C:2013:599, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point36">36</a>      Nach dieser Rechtsprechung handelt es sich bei Tauschverträgen, bei denen die Gegenleistung <i>per definitionem</i> in einer Sachleistung besteht, und Umsätzen, bei denen die Gegenleistung in Geld erbracht wird, unter wirtschaftlichen und geschäftlichen Gesichtspunkten um zwei gleichartige Situationen (Urteil vom 26. September 2013, Serebryannay vek, C‑283/12, EU:C:2013:599, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point37">37</a>      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Schilderung des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens in Rn. 32 des vorliegenden Urteils, dass der Dienstleistungserbringer – ein Abbruchunternehmen – für die Erbringung von Abbrucharbeiten von seinem Kunden gemäß dem Abbruchvertrag zusätzlich zu einer Vergütung in Geld den Rücklaufschrott erwirbt, den er anschließend weiterverkaufen kann. Somit liegt in diesem Fall eine Lieferung von Gegenständen im Sinne von Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 vor.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point38">38</a>      Zu der Frage, ob diese Lieferung „gegen Entgelt“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie erfolgt, ergibt sich aus ständiger Rechtsprechung, dass die Gegenleistung, die als Steuerbemessungsgrundlage eines Umsatzes dient, ein subjektiver Wert ist. Da dieser Wert nicht aus einem zwischen den Beteiligten vereinbarten Geldbetrag besteht, muss er als subjektiver Wert derjenige Wert sein, den der Empfänger einer Dienstleistung, die die Gegenleistung für die Lieferung von Gegenständen darstellt, den Dienstleistungen beimisst, die er sich verschaffen will, und dem Betrag entsprechen, den er zu diesem Zweck aufzuwenden bereit ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2012, Orfey, C‑549/11, EU:C:2012:832, Rn. 44 und 45 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point39">39</a>      Daraus folgt, dass in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens die Lieferung des Rücklaufschrotts als Gegenleistung bewirkt wird, wenn der Erwerber – ein Abbruchunternehmen – dieser Lieferung einen Wert beimisst, den er bei der Festlegung des Preises, zu dem er die Erbringung der Abbrucharbeiten anbietet, berücksichtigt, was zu prüfen Aufgabe des vorlegenden Gerichts ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point40">40</a>      Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass die Menge und der Wert des in dem Abbruchabfall möglicherweise enthaltenen Metallschrotts im Abbruchvertrag nicht vereinbart wurden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point41">41</a>      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs lassen nämlich etwaige technische Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Betrags der Gegenleistung noch nicht den Schluss zu, dass eine Gegenleistung nicht existiert (vgl. entsprechend Urteil vom 14. Juli 1998, First National Bank of Chicago, C‑172/96, EU:C:1998:354, Rn. 31).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point42">42</a>      Jedenfalls ist es in der in Rn. 39 des vorliegenden Urteils genannten Fallkonstellation möglich, den Wert der Lieferung des Rücklaufschrotts zu bestimmen. In Anbetracht der in Rn. 38 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ist dieser Wert mit dem Betrag gleichzusetzen, um den der Dienstleistungserbringer den Preis für die Abbrucharbeiten herabsetzt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point43">43</a>      Der Schlussfolgerung in Rn. 39 des vorliegenden Urteils steht auch nicht entgegen, dass der Empfänger der Abbruchdienstleistung den genauen Wert, auf den der Erbringer der Dienstleistung den Rücklaufschrott geschätzt hat, nicht kennt (vgl. entsprechend Urteil vom 14. Juli 1998, First National Bank of Chicago, C‑172/96, EU:C:1998:354, Rn. 49).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point44">44</a>      Somit werden in einem solchen Fall gegenseitige Leistungen im Rahmen ein und desselben Vertrags zwischen dem Dienstleistungserbringer und seinem Kunden ausgetauscht, so dass zwischen der Erbringung der Abbrucharbeiten und der Lieferung des Rücklaufschrotts ein unmittelbarer Zusammenhang im Sinne der in Rn. 35 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung besteht.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point45">45</a>      Zu der Frage, ob die Lieferung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rücklaufschrotts einen steuerbaren Umsatz darstellt, ist darauf hinzuweisen, dass gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 eine Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt nur dann der Mehrwertsteuer unterliegt, wenn „ein Steuerpflichtiger als solcher“ sie tätigt, was zu prüfen Aufgabe des vorlegenden Gerichts ist. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point46">46</a>      In einem solchen Fall ist Steuerbemessungsgrundlage der Dienstleistung, die Gegenstand eines Abbruchvertrags wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ist, der von dem Kunden tatsächlich gezahlte Preis sowie der Wert, den der Dienstleistungserbringer dem Rücklaufschrott beimisst, wie er in dem Betrag zum Ausdruck kommt, um den der in Rechnung gestellte Preis der Dienstleistung herabgesetzt wird. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point47">47</a>      Es kann jedoch vorkommen, dass dieser Wert nicht die wirtschaftliche und geschäftliche Realität widerspiegelt, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs aber ein grundlegendes Kriterium für die Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist. In einem solchen Fall ist es Sache des nationalen Gerichts, sich unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände zu vergewissern, dass kein Missbrauch vorliegt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Juni 2013, Newey, C‑653/11, EU:C:2013:409, Rn. 39, 46 und 52).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point48">48</a>      Folglich ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c der Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 und Art. 24 Abs. 1 dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass ein Abbruchvertrag, wenn der Dienstleistungserbringer – ein Abbruchunternehmen – nach diesem Vertrag verpflichtet ist, Abbrucharbeiten durchzuführen, und, soweit der Abbruchabfall Metallschrott enthält, diesen weiterverkaufen darf, eine Dienstleistung, die gegen Entgelt erbracht wird, nämlich die Abbrucharbeiten, und darüber hinaus eine Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt, nämlich die Lieferung des Metallschrotts, umfasst, wenn der Erwerber, d. h. dieses Unternehmen, dieser Lieferung einen Wert beimisst, den er bei der Festlegung des Preises, zu dem er die Abbrucharbeiten anbietet, berücksichtigt, wobei diese Lieferung allerdings nur dann der Mehrwertsteuer unterliegt, wenn sie von einem Steuerpflichtigen als solchem erbracht wird. </p>
<p class="C05Titre2"> <b>Zur zweiten Frage</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point49">49</a>      Mit der zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c der Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 und Art. 24 Abs. 1 dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass ein Vertrag über den Kauf zur Demontage, wenn der Erwerber – ein Abbruchunternehmen – im Rahmen dieses Vertrags ein Objekt zur Demontage kauft und sich bei Vertragsstrafe verpflichtet, dieses Objekt innerhalb einer in dem Vertrag festgelegten Frist zu demontieren und abzutransportieren sowie den dabei anfallenden Abfall zu entsorgen, in mehrwertsteuerlicher Hinsicht einen oder zwei Umsätze umfasst.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point50">50</a>      Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass der Erwerber – ein Abbruchunternehmen – im Rahmen des Vertrags über den Kauf zur Demontage alte Gebäude, Bauwerke über dem Erdboden sowie Maschinen, Geräte und sonstiges Mobiliar, die sich auf einem Fabrikgelände befinden, kauft und bei Vertragsstrafe verpflichtet ist, diese innerhalb einer bestimmten Frist zu demontieren und abzutransportieren, sowie den dabei anfallenden Abfall aus den Räumen und vom Gelände der Fabrik zu entsorgen. Außerdem ist der Vorlageentscheidung zu entnehmen, dass der Erwerber bestrebt ist, die durch die Demontage, den Abtransport und die sachgemäße Verwertung der zu demontierenden Gegenstände entstehenden Kosten im Voraus zu schätzen, um sie in dem Kaufpreisangebot zu berücksichtigen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point51">51</a>      Feststeht, dass ein solcher Vertrag im Ausgangsverfahren die Lieferung eines Gegenstands gegen Entgelt im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 im Gebiet eines Mitgliedstaats umfasst, nämlich die Lieferung eines zu demontierenden Gegenstands gegen Zahlung eines Kaufpreises. Unter der Voraussetzung, dass „ein Steuerpflichtiger als solcher“ im Sinne dieser Bestimmung diese Lieferung tätigt, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat, handelt es sich dabei um einen steuerbaren Umsatz. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point52">52</a>      Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob diese Lieferung darüber hinaus im Austausch gegen eine Erbringung von Dienstleistungen, nämlich Demontage- und Entsorgungsarbeiten, erbracht wird, so dass sowohl der in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils genannte Kaufpreis als auch diese Dienstleistung die Steuerbemessungsgrundlage dieser Lieferung bilden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point53">53</a>      Hierzu dürfte der Sachverhaltsschilderung, die in Rn. 50 des vorliegenden Urteils wiedergegeben ist, zu entnehmen sein, dass der Erwerber – ein Abbruchunternehmen – zusätzlich zur Entrichtung des in dem Vertrag vereinbarten Kaufpreises für die Lieferung des zu demontierenden Gegenstands nach diesem Vertrag bei Vertragsstrafe verpflichtet ist, diesen Gegenstand innerhalb einer bestimmten Frist zu demontieren und abzutransportieren sowie den dabei anfallenden Abfall zu entsorgen. Soweit der Erwerber verpflichtet ist, diesen Gegenstand zu demontieren und abzutransportieren sowie den dabei anfallenden Abfall zu entsorgen, und damit spezifisch den Bedürfnissen des Verkäufers Rechnung trägt, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat, liegt in diesem Fall eine Dienstleistung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 vor. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point54">54</a>      Gemäß der in Rn. 38 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung werden in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens die Demontage- und Entsorgungsarbeiten gegen eine Gegenleistung erbracht, wenn der Erwerber – ein Abbruchunternehmen – diesen Arbeiten einen Wert beimisst, den er im Rahmen des von ihm angebotenen Kaufpreises als diesen mindernden Faktor berücksichtigt, was zu prüfen Aufgabe des vorlegenden Gerichts ist. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point55">55</a>      Unter Berücksichtigung der Erwägungen in den Rn. 40, 41 und 43 des vorliegenden Urteils ist darauf hinzuweisen, dass diesem Ergebnis weder der Umstand, dass die Kosten der Demontage- und Entsorgungsarbeiten nicht zwischen den Parteien vereinbart werden, noch der Umstand, dass der Verkäufer den Betrag der Kosten, die bei der Festlegung des angebotenen Kaufpreises berücksichtigt werden, nicht kennt, entgegenstehen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point56">56</a>      Jedenfalls ist es in dem in Rn. 54 des vorliegenden Urteils genannten Fall möglich, den Wert der Demontage- und Entsorgungsarbeiten zu bestimmen. In Anbetracht der in Rn. 38 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ist dieser Wert nämlich mit dem Betrag gleichzusetzen, den der Erwerber – ein Abbruchunternehmen – als den Kaufpreis des Demontageobjekts mindernden Faktor berücksichtigt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point57">57</a>      Somit werden in einem solchen Fall gegenseitige Leistungen im Rahmen ein und desselben Vertrags zwischen dem Erwerber – einem Abbruchunternehmen – und dem Empfänger – dem Lieferer des Demontageobjekts – ausgetauscht, so dass zwischen der Lieferung des Demontageobjekts und der Erbringung der Abbruch- und Entsorgungsarbeiten ein unmittelbarer Zusammenhang im Sinne der in Rn. 35 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung besteht.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point58">58</a>      In einem solchen Fall bestünde die Steuerbemessungsgrundlage der Lieferung des Demontageobjekts daher in dem für dieses Objekt tatsächlich gezahlten Kaufpreis und dem Betrag, der dem Faktor entspricht, um den der Erwerber den angebotenen Kaufpreis herabsetzt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point59">59</a>      Es kann jedoch vorkommen, dass dieser Wert nicht die wirtschaftliche und geschäftliche Realität widerspiegelt, die nach der in Rn. 47 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung aber ein grundlegendes Kriterium für die Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist; in einem solchen Fall ist es nach dieser Rechtsprechung Sache des nationalen Gerichts, sich unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände zu vergewissern, dass kein Missbrauch vorliegt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point60">60</a>      Folglich ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c der Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 und Art. 24 Abs. 1 dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass ein Vertrag über den Kauf zur Demontage, wenn der Erwerber – ein Abbruchunternehmen – im Rahmen dieses Vertrags ein zu demontierendes Objekt kauft und sich bei Vertragsstrafe verpflichtet, dieses Objekt innerhalb einer in dem Vertrag festgelegten Frist zu demontieren und abzutransportieren sowie den dabei anfallenden Abfall zu entsorgen, eine Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt umfasst, nämlich die Lieferung eines zu demontierenden Gegenstands, die der Mehrwertsteuer nur unterliegt, wenn ein Steuerpflichtiger als solcher diese Lieferung tätigt, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat. Soweit der Erwerber verpflichtet ist, diesen Gegenstand zu demontieren und abzutransportieren sowie den dabei anfallenden Abfall zu entsorgen, und damit spezifisch den Bedürfnissen des Verkäufers Rechnung trägt, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat, umfasst dieser Vertrag darüber hinaus eine Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt, nämlich die Durchführung von Demontage- und Entsorgungsarbeiten, wenn der Erwerber diesen Arbeiten einen Wert beimisst, den er in dem von ihm angebotenen Preis als Faktor berücksichtigt, der den Kaufpreis des zu demontierenden Gegenstands mindert, was zu prüfen Aufgabe des vorlegenden Gerichts ist. </p>
<p class="C04Titre1"> <b>Kosten</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point61">61</a>      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.</p>
<p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:</p>
<p class="C08Dispositif">1.      <b>Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 und Art. 24 Abs. 1 dieser Richtlinie ist dahin auszulegen, dass ein Abbruchvertrag, wenn der Dienstleistungserbringer – ein Abbruchunternehmen – nach diesem Vertrag verpflichtet ist, Abbrucharbeiten durchzuführen, und, soweit der Abbruchabfall Metallschrott enthält, diesen weiterverkaufen darf, eine Dienstleistung, die gegen Entgelt erbracht wird, nämlich die Abbrucharbeiten, und darüber hinaus eine Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt, nämlich die Lieferung des Metallschrotts, umfasst, wenn der Erwerber, d. h. dieses Unternehmen, dieser Lieferung einen Wert beimisst, den er bei der Festlegung des Preises, zu dem er die Abbrucharbeiten anbietet, berücksichtigt, wobei diese Lieferung allerdings nur dann der Mehrwertsteuer unterliegt, wenn sie von einem Steuerpflichtigen als solchem erbracht wird.</b>
</p>
<p class="C08Dispositif">2.      <b>Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c der Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 und Art. 24 Abs. 1 dieser Richtlinie ist dahin auszulegen, dass ein Vertrag über den Kauf zur Demontage, wenn der Erwerber – ein Abbruchunternehmen – im Rahmen dieses Vertrags ein Objekt zur Demontage kauft und sich bei Vertragsstrafe verpflichtet, dieses Objekt innerhalb einer in dem Vertrag festgelegten Frist abzureißen oder zu demontieren und abzutransportieren sowie den dabei anfallenden Abfall zu entsorgen, eine Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt umfasst, nämlich die Lieferung eines zu demontierenden Gegenstands, die der Mehrwertsteuer nur unterliegt, wenn ein Steuerpflichtiger als solcher diese Lieferung tätigt, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat. Soweit der Erwerber verpflichtet ist, diesen Gegenstand abzureißen oder zu demontieren und abzutransportieren sowie den dabei anfallenden Abfall zu entsorgen, und damit spezifisch den Bedürfnissen des Verkäufers Rechnung trägt, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat, umfasst dieser Vertrag darüber hinaus eine Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt, nämlich die Durchführung von Abbruch- oder Demontage- und Entsorgungsarbeiten, wenn der Erwerber diesen Arbeiten einen Wert beimisst, den er in dem von ihm angebotenen Preis als Faktor berücksichtigt, der den Kaufpreis des zu demontierenden Gegenstands mindert, was zu prüfen Aufgabe des vorlegenden Gerichts ist.</b>
</p>
<p class="C77Signatures">Unterschriften</p>
<hr/>
<p class="C42FootnoteLangue">
<a href="#Footref*" name="Footnote*">*</a>      Verfahrenssprache: Finnisch.</p>
|
175,051 | eugh-2019-01-10-c-16918 | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-169/18 | 2019-01-10T00:00:00 | 2019-01-31T19:21:03 | 2019-01-31T19:21:03 | Beschluss | ECLI:EU:C:2019:5 | <p>Vorläufige Fassung</p>
<p class="C19Centre">BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)</p>
<p class="C19Centre">10. Januar 2019(<a href="#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Erledigung“</p>
<p class="C02AlineaAltA">In der Rechtssache C‑169/18</p>
<p class="C02AlineaAltA">betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Court of Appeal (Berufungsgericht, Irland) mit Entscheidung vom 23. Februar 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 2. März 2018, in dem Verfahren</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Atif Mahmood,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Shabina Atif,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Mohammed Ahsan,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Mohammed Haroon,</b>      </p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Nik Bibi Haroon,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Noor Habib u. a.</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">gegen</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Minister for Justice, Equality and Law Reform</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">erlässt</p>
<p class="C19Centre">DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter A. Rosas, L. Bay Larsen und M. Safjan,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Generalanwalt: M. Szpunar,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kanzler: A. Calot Escobar,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund des schriftlichen Verfahrens,</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Berücksichtigung der Erklärungen</p>
<p class="C03Tiretlong">–        von Herrn Mahmood und Frau Atif, vertreten durch U. O’Brien und C. Sinnott, Solicitors, C. O’Dwyer, SC, und D. Leonard, BL,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        von Herrn Ahsan, vertreten durch U. O’Brien und C. Sinnott, Solicitors, C. O’Dwyer, SC, und S. Michael Haynes, Barrister,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        von Herrn und Frau Haroon, vertreten durch S. Kirwan, Solicitor, M. Lynn, SC, und A. Lowry, BL,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        von Herrn Habib, vertreten durch E. Larney, Solicitor, M. Lynn, SC, und A. Lowry, BL,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        von Irland, vertreten durch M. Browne, G. Hodge und A. Joyce als Bevollmächtigte im Beistand von M. Collins, SC, und S. Kingston, BL,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und R. Kanitz als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Brandon und R. Fadoju als Bevollmächtigte im Beistand von D. Blundell, Barrister,</p>
<p class="C03Tiretlong">–        der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Tomkin und E. Montaguti als Bevollmächtigte,</p>
<p class="C02AlineaAltA">nach Anhörung des Generalanwalts</p>
<p class="C02AlineaAltA">folgenden</p>
<p class="C75Debutdesmotifs">
<b>Beschluss</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point1">1</a>        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77, und Berichtigung im ABl. 2004, L 229, S. 35).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point2">2</a>        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Atif Mahmood, Frau Shabina Atif,<b/>Herrn Mohammed Ahsan, Herrn<b/>Mohammed Haroon, Frau<b/>Nik Bibi Haroon und Herrn Noor Habib u. a. auf der einen und dem Minister for Justice, Equality and Law Reform (Minister für Justiz, Gleichberechtigung und Rechtsreform, Irland, im Folgenden: Minister) auf der anderen Seite wegen des Zeitraums für die Bearbeitung der von den Mitgliedern der Familien von Herrn Mahmood, Herrn Ahsan, Herrn Haroon und Herrn Habib gestellten Visumanträge.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point3">3</a>        Herr Mahmood, Herr Ahsan, Herr Haroon und Herr Habib, britische Staatsangehörige, reichten am 16. November 2015, am 18. März 2016, am 21. Dezember 2015 und am 16. Dezember 2015 beim High Court (Hoher Gerichtshof, Irland) eine Klage gegen den Minister ein, weil die Anträge auf Visa für die Einreise nach Irland für die Mitglieder ihrer Familien, Staatsangehörige von Drittstaaten, nämlich die Islamische Republik Pakistan und die Islamische Republik Afghanistan, mit Verzögerung bearbeitet worden seien.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point4">4</a>        Da der High Court (Hoher Gerichtshof) diesen Klagen stattgegeben hatte, legte der Minister Rechtsmittel beim Court of Appeal (Berufungsgericht, Irland) ein, der beschloss, sie zusammenzuführen, um sie gemeinsam zu behandeln.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point5">5</a>        Herr Mahmood ist ein britischer Staatsangehöriger, der seinen gewöhnlichen Wohnsitz im Vereinigten Königreich hat und seit 2013 mit einer pakistanischen Staatsangehörigen, Frau Atif, verheiratet ist. Da er beabsichtigte, sich mit seiner Ehefrau nach Irland zu begeben, beantragte er am 9. Juli 2015 beim irischen Konsulat in Karachi (Pakistan) für sie ein Visum für die Einreise. Seitdem wohnen beide in Erwartung der Entscheidung über diesen Antrag in Pakistan.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point6">6</a>        Herr Ahsan ist ein britischer Staatsangehöriger, der seit Mai 2015 in Irland arbeitet. Im Juni 2012 heiratete er in Pakistan Frau Malaika Gulshan, eine pakistanische Staatsangehörige, mit der er einen Sohn hat. Am 7. August 2015 stellte Frau Gulshan bei einem Prüfungszentrum in Lahore (Pakistan) für sich selbst und für ihren Sohn einen Antrag auf ein Visum für die Einreise nach Irland.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point7">7</a>        Herr Haroon ist ein britischer Staatsangehöriger, der ein Fast‑Food‑Unternehmen in Irland betreibt und seit 2013 mit Frau Haroon, einer afghanischen Staatsangehörigen, verheiratet ist. Am 4. Juni 2015 stellte diese über einen ihrer Anwälte in Irland einen Antrag auf ein Visum für die Einreise in diesen Mitgliedstaat, um ihrem Ehegatten nachzuziehen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point8">8</a>        Herr Habib ist ein britischer Staatsangehöriger, der seit Februar 2015 als selbständig Erwerbstätiger in Irland niedergelassen ist. Er wurde 1968 in Afghanistan geboren und hat seine erste Frau im Jahr 1990 geheiratet; aus dieser Ehe sind drei Kinder hervorgegangen. Im Juni 2015 wurde beim Visabüro von Irland in Abu Dhabi (Vereinigte Arabische Emirate) für seine Mutter ein Antrag auf ein Einreisevisum und wurden in Irland Anträge auf Einreisevisa für zwei seiner Söhne und für vier seiner Enkelkinder von ihrem gesetzlichen Vertreter gestellt.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point9">9</a>        Die Kläger des Ausgangsverfahrens machen geltend, dass der Zeitraum für die Bearbeitung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Visumanträge gegen die Anforderungen nach Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 verstoße.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point10">10</a>      Der Minister hingegen ist der Ansicht, dass erstens der Zeitraum für die Bearbeitung dieser Visumanträge nicht unverhältnismäßig sei, weil er durch die Notwendigkeit gerechtfertigt werde, Nachprüfungen und Kontrollen durchzuführen, um Betrug, Rechtsmissbrauch oder Scheinehen aufzudecken. In Irland und im Vereinigten Königreich gebe es um die Vereinfachung der Eingehung von Scheinehen bemühte kriminelle Netzwerke sowie lukrative Unternehmen, die die Einreise von Unionsbürgern nach Irland einzig zu dem künstlichen Zweck erleichterten, eine unionsrechtliche Verpflichtung zu begründen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point11">11</a>      Der Zeitraum für die Bearbeitung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Visumanträge sei zweitens nicht unverhältnismäßig, weil er durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sei, umfassende Sicherheitskontrollen durchzuführen, um das Risiko eines drohenden Terroranschlags auszuschließen, wenn die betroffenen Personen aus Drittstaaten kämen, die, wie hier, Anlass zu konkreten Bedenken gäben.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point12">12</a>      Drittens lenkt der Minister die Aufmerksamkeit auf den sehr starken Anstieg der Zahl von Visumanträgen, die von Ehegatten von Unionsangehörigen mit Wohnsitz in solchen Drittstaaten gestellt würden. Die Zahl der Anträge habe im Zeitraum 2013 bis 2015 um 1 417 % zugenommen und sei von 663 im Jahr 2013 auf 10 062 im Jahr 2015 angestiegen. Dieser unvorhergesehene Anstieg rechtfertige eine Verlängerung des Zeitraums für die Bearbeitung der Visumanträge.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point13">13</a>      Im Übrigen könnten sich die Kläger des Ausgangsverfahrens nicht auf Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 berufen, solange die Nachprüfungen und die Kontrollen noch nicht durchgeführt worden seien. Es obliege demjenigen, der für einen Familienangehörigen eines Unionsbürgers einen Visumantrag stelle, den Nachweis dafür zu erbringen, dass eine echte Beziehung bestehe, aufgrund deren das einem Drittstaat angehörende Familienmitglied ein Aufenthaltsrecht erlangen könne, bevor er sich auf diese Bestimmung berufen könne.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point14">14</a>      Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass dieses Verteidigungsvorbringen zurückzuweisen sei, da die eigentliche Frage die sei, ob die Verzögerungen bei der Bearbeitung von Anträgen auf Visa für die Einreise wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden einen Verstoß gegen diese Bestimmung darstellten, und ob sie durch die geltend gemachten Umstände gerechtfertigt werden könnten. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point15">15</a>      Grundsätzlich stelle eine bis zu zweijährige Bearbeitungszeit für einen Antrag auf ein Einreisevisum einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 dar. Zudem sei zweifelhaft, ob eine solche Verzögerung durch die vom Minister angeführten Gründe gerechtfertigt sein könne, da der Unionsgesetzgeber dies, wenn es so gewesen wäre, ausdrücklich in dieser Richtlinie vorgesehen hätte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point16">16</a>      Im Übrigen seien derzeit etwa 7 300 Anträge auf Visa für die Einreise beim Minister in Bearbeitung, und die Entscheidung in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit werde Auswirkungen auf jeden einzelnen dieser Anträge haben.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point17">17</a>      Unter diesen Umständen hat der Court of Appeal (Berufungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Verstößt ein Mitgliedstaat – vorbehaltlich der in den Fragen 2, 3 und 4 aufgeführten potenziellen Rechtfertigungsgründe – gegen die Anforderung nach Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38, dem Ehegatten und den Familienangehörigen eines Unionsbürgers, der sein Freizügigkeitsrecht in dem betreffenden Mitgliedstaat ausübt oder ausüben möchte, so bald wie möglich ein Visum zu erteilen, wenn die Bearbeitungszeit mehr als zwölf Monate beträgt?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Sind – unbeschadet der ersten Frage – Verzögerungen bei der Bearbeitung oder anderweitigen Bescheidung eines Visumantrags nach Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38, die dadurch entstehen, dass insbesondere durch Hintergrundüberprüfungen geklärt werden muss, ob der Antrag betrügerisch oder rechtsmissbräuchlich ist, ob etwa eine Scheinehe vorliegt, nach Art. 35 dieser Richtlinie oder aus anderem Grund gerechtfertigt und verstoßen damit nicht gegen deren Art. 5 Abs. 2?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.      Sind – unbeschadet der ersten Frage – Verzögerungen bei der Bearbeitung oder Bescheidung eines Visumantrags nach Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38, die dadurch entstehen, dass bei Personen aus bestimmten Drittstaaten wegen konkreter Sicherheitsbedenken im Zusammenhang mit Reisenden aus diesen Drittstaaten umfangreiche Hintergrund- und Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt werden müssen, nach Art. 27 oder Art. 35 dieser Richtlinie oder aus anderem Grund gerechtfertigt und verstoßen damit nicht gegen deren Art. 5 Abs. 2?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">4.      Sind – unbeschadet der ersten Frage – Verzögerungen bei der Bearbeitung oder Bescheidung eines Visumantrags nach Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38, die dadurch entstehen, dass die Zahl der Anträge aus bestimmten Drittstaaten, bei denen ernsthafte Sicherheitsbedenken bestehen, plötzlich und unerwartet ansteigt, gerechtfertigt und verstoßen damit nicht gegen Art. 5 Abs. 2 dieser Richtlinie? </p>
<p class="C04Titre1"> <b>Verfahren vor dem Gerichtshof</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point18">18</a>      Im schriftlichen Verfahren hat Irland erklärt, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Visumanträge im März 2017 abschlägig beschieden worden seien. Die gegen diese Entscheidungen eingelegten Rechtsbehelfe seien im Juli 2017 in Bezug auf die Ehefrau von Herrn Mahmood, im Dezember 2017 in Bezug auf die Ehefrau und den Sohn von Herrn Ahsan, im Februar 2018 in Bezug auf die Ehefrau von Herrn Haroon und im Januar 2018 in Bezug auf die Mutter, die beiden Söhne und die vier Enkelkinder von Herrn Habib zurückgewiesen worden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point19">19</a>      Infolge dieser Information hat die Kanzlei des Gerichtshofs das vorlegende Gericht gemäß Art. 101 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs mit Schreiben vom 18. Oktober 2018 gebeten, dem Gerichtshof mitzuteilen, ob das Ausgangsverfahren gegenstandslos geworden oder ob die Antwort des Gerichtshofs weiterhin für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits erforderlich sei. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point20">20</a>      Mit Schreiben vom 31. Oktober 2018 hat das vorlegende Gericht geantwortet, dass es, auch wenn die Antwort des Gerichtshofs für die Kläger des Ausgangsverfahrens nicht mehr erforderlich sei, das Vorabentscheidungsersuchen aufrechterhalten möchte, weil eine solche Antwort Auswirkungen auf mehrere Tausend in Bearbeitung befindliche Akten habe.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zum Vorabentscheidungsersuchen</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point21">21</a>      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist das in Art. 267 AEUV vorgesehene Verfahren ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten, mit dem der Gerichtshof diesen Gerichten Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts gibt, die sie zur Entscheidung des bei ihnen anhängigen Rechtsstreits benötigen (Beschluss vom 15. November 2017, Aranyosi, C‑496/16, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:866, Rn. 22). </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point22">22</a>      Sowohl aus dem Wortlaut als auch aus dem Aufbau von Art. 267 AEUV folgt, dass das Vorabentscheidungsverfahren voraussetzt, dass bei den nationalen Gerichten tatsächlich ein Rechtsstreit anhängig ist, in dessen Rahmen sie eine Entscheidung erlassen müssen, bei der das Vorabentscheidungsurteil des Gerichtshofs berücksichtigt werden kann (Beschluss vom 3. März 2016, Euro Bank, C‑537/15, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:143, Rn. 32).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point23">23</a>      Die Rechtfertigung des Vorabentscheidungsersuchens liegt nämlich nicht in der Abgabe von Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen, sondern darin, dass das Ersuchen für die tatsächliche Entscheidung eines Rechtsstreits erforderlich ist (Beschluss vom 3. März 2016, Euro Bank, C‑537/15, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:143, Rn. 33).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point24">24</a>      Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass der Ausgangsrechtsstreit die angebliche Verzögerung bei der Bearbeitung der in Rede stehenden Visumanträge durch den Minister betraf und diesem aufgegeben werden sollte, über diese Anträge zu entscheiden. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point25">25</a>      Da, wie sich aus den Rn. 18 und 20 des vorliegenden Beschlusses ergibt, die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Visumanträge alle Gegenstand ablehnender Entscheidungen waren, die mit gerichtlichen Rechtsbehelfen angefochten wurden, denen nicht stattgegeben wurde, und da das vorlegende Gericht klargestellt hat, dass die Antwort des Gerichtshofs den Klägern des Ausgangsverfahrens nicht mehr dienlich sein kann, ist der Ausgangsrechtsstreit gegenstandslos geworden, weshalb eine Antwort auf die Vorlagefragen ersichtlich nicht mehr benötigt wird.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point26">26</a>      Trotz fehlender Rücknahme des Vorabentscheidungsersuchens durch das vorlegende Gericht, dessen Sache es grundsätzlich ist, die Konsequenzen aus der ablehnenden Bescheidung der Visumanträge zu ziehen und insbesondere zu entscheiden, ob sein Vorabentscheidungsersuchen aufrechtzuerhalten, abzuändern oder zurückzuziehen ist, ist daher im vorliegenden Fall festzustellen, dass das Vorabentscheidungsersuchen nicht zu beantworten ist (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 24. März 2009, Nationale Loterij, C‑525/06, EU:C:2009:179, Rn. 11).</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Kosten</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point27">27</a>      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.</p>
<p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) beschlossen:</p>
<p class="C30Dispositifalinea">
<b>Über das vom Court of Appeal (Berufungsgericht, Irland) mit Beschluss vom 23. Februar 2018 in der Rechtssache C</b>‑<b>169/18 vorgelegte Vorabentscheidungsersuchen ist nicht zu entscheiden. </b>
</p>
<p class="C77Signatures">Unterschriften</p>
<hr/>
<p class="C42FootnoteLangue">
<a href="#Footref*" name="Footnote*">*</a>      Verfahrenssprache: Englisch.</p>
|
171,288 | vg-aachen-2019-01-10-5-k-186317a | {
"id": 840,
"name": "Verwaltungsgericht Aachen",
"slug": "vg-aachen",
"city": 380,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 5 K 1863/17.A | 2019-01-10T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:42 | 2019-02-12T13:44:34 | Urteil | ECLI:DE:VGAC:2019:0110.5K1863.17A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beklagte wird unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. März 2017 verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.</p>
<p>Die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Beklagte.</p>
<p>Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Tatbestand:</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die am     00.00.0000 in Daraa/Syrien geborene Klägerin, ausgewiesen durch einen syrischen Reiseausweis, ausgestellt am 26. Oktober 2015 von der syrischen Botschaft in Beirut, ist syrische Staatsangehörige arabischer Volkszugehörigkeit und sunnitischer Religionszugehörigkeit.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Nach eigenen Angaben floh sie mit ihrem damaligen Ehemann und den drei gemeinsamen Kindern am 18. November 2015 in die Türkei und reiste am 28. November 2015 auf dem Landweg in das Bundesgebiet ein. Die Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender (BüMA) datiert vom 8. Dezember 2015. Am 2. September 2016 stellte die Klägerin einen Asylantrag und wurde zugleich zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates angehört.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt am 6. Januar 2017 gab die Klägerin zu ihren Asylgründen im Wesentlichen an:</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Sie habe mit ihrer Familie in Daraa, Almahata gelebt und in einem Salon als Visagistin gearbeitet. Ihre Mutter lebe im Libanon; zwei Brüder hielten sich noch im Heimatland auf. Erstmals habe sie Syrien mit ihrem Mann und den Kindern bereits 2012 verlassen; sie hätten bis 2015 in Beirut/Libanon im Flüchtlingslager Burj Albarajna gelebt. Da ihr Mann Palästinenser und der Aufenthalt der Palästinenser im Libanon nicht mehr verlängert worden sei, seien sie nach Syrien zurückgereist, um von dort aus nach Deutschland zu fliehen. 2012 hätten sie sehr viele Probleme in Syrien gehabt. Die FSA habe sich in der Nähe des Dorfes aufgehalten und sich in den Häusern versteckt. Die syrische Armee habe deshalb Häuser durchsucht und den Stadtteil auch bombardiert. Damals seien ihr Cousin und dessen Frau ums Leben gekommen. Ihre Kinder hätten Panik und Albträume gehabt.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 17. März 2017, zugestellt am 29. März 2017 erkannte das Bundesamt der Klägerin den subsidiären Schutzstatus zu (Ziffer 1.) und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab (Ziffer 2.).</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin hat am 7. April 2017 Klage erhoben. Zur Begründung nimmt sie im Wesentlichen Bezug auf ihre im Rahmen der Bundesamtsanhörung vorgetragenen Asylgründe.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. März 2017 zu verpflichten, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung bezieht sie sich auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 24. Mai 2017 erkannte das Bundesamt den 2009, 2010 und 2014 geborenen Kindern sowie dem damaligen Ehemann der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zu. Die Ehe der Klägerin wurde mit Beschluss des Amtsgerichts E.       vom 26. Oktober 2018 geschieden. Auf gerichtliche Nachfrage hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mitgeteilt, dass keine Sorgerechtsregelung getroffen wurde.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Mit Beschluss vom 25. April 2017 hat die Kammer das Verfahren auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen. Diese hat mit Beschluss vom 4. Oktober 2017 der Klägerin Prozesskostenhilfe bewilligt.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte, der elektronischen Akten des Bundesamtes betreffend die Klägerin (E1 und E2) sowie betreffend den geschiedenen Ehemann der Klägerin und die drei gemeinsamen Kinder (E3 und E4) und die beigezogenen Ausländerakten betreffend alle Familienmitglieder (P1 bis P5).</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Entscheidungsgründe:</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Klage, über die die Einzelrichterin ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO ‑), ist begründet.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Ziffer 2 des Bundesamtsbescheides vom 17. März 2017 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Denn die Klägerin hat in dem für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 des Asylgesetzes - AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 26 Abs. 3 und 5 AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die Gewährung von Familienasyl (bzw. Flüchtlingszuerkennung) nach § 26 AsylG setzt neben dem Asylantrag keinen weiteren Antrag („Familienasylantrag“) voraus.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (BayVGH), Urteil vom 16. Oktober 2018 - 21 B 18.31010 -, juris, Rn 17.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Aus den Gründen des Bundesamtsbescheides vom 24. Mai 2017 folgt, dass den 2009, 2010 und 2014 geborenen und damit allesamt minderjährigen Kindern der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft aus eigenen Gründen - und nicht etwa abgeleitet vom Vater - zuerkannt wurde, weil es sich um bei der U.N.R.W.A registrierte palästinensische Flüchtlinge handelt.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum Erfordernis einer originären Schutzberechtigung des Stammberechtigen: BayVGH, Urteil vom 26. April 2018 - 20 B 18.30332 -, juris, Rn 27.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Nach § 26 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 26 Abs. 5 AsylG wird den Eltern eines minderjährigen ledigen Kindes, dem Flüchtlingsschutz zuerkannt wurde, auf Antrag ebenfalls die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">1. die Anerkennung des Stammberechtigten ist unanfechtbar,</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">2. die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU hat schon in dem Staat bestanden, in dem der Stammberechtigte politisch verfolgt wird,</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">3. die Eltern sind vor der Anerkennung des Stammberechtigten eingereist oder haben den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt,</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">4. die Anerkennung des Stammberechtigten ist nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen und</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">5. die Eltern haben die Personensorge für den Stammberechtigten inne.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Voraussetzungen der Ziffern 1 bis 4 liegen unzweifelhaft vor. Die Zuerkennungen der Flüchtlingseigenschaft für die minderjährigen Kinder der Klägerin mit Bundesamtsbescheid vom 24. Mai 2017 sind unanfechtbar und die Familie bestand bereits in Syrien (vgl. Heiratsurkunde über Eheschließung am 22. April 2008). Die Klägerin hat ihren Asylantrag auch unverzüglich nach der Einreise gestellt. Sie ist am 28. November 2015 in das Bundesgebiet eingereist und hat am 8. Dezember 2015 um Asyl nachgesucht (vgl. die Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender). Der Umstand, dass die Klägerin aufgrund der Überlastung des Bundesamtes erst am 2. September 2016 den förmlichen Asylantrag stellen konnte, kann nicht zu ihren Lasten gehen.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Anhaltspunkte dafür, dass der Leiter des Bundesamtes oder ein von ihm beauftragter Bediensteter gemäß § 73 Abs. 4 AsylG ein Widerrufsverfahren eingeleitet hat, bestehen nicht. Das Vorliegen von Widerrufsgründen hinsichtlich des Stammberechtigten ist im Familienasylverfahren nach § 26 AsylG nicht inzident zu prüfen.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2006 - 1 C 8/05 -, juris, Rn. 15ff.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Schließlich ist die Klägerin auch im Besitz der Personensorge für die minderjährigen Kinder (Ziffer 5). Unabhängig davon, ob nach dem syrischen Personenstandsgesetz dem Vater der Kinder das alleinige Sorgerecht zusteht und die Rechte der Mutter de facto auf die Alltagssorge nach § 1687 Absatz 1 Satz 2 bis 4 BGB beschränkt sind, da sie "nur" - bis zu einem gewissen Alter der Kinder, das nach deren Geschlecht differiert - dazu verpflichtet ist, die Kinder großzuziehen (sog. Hadana),</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">vgl. zusammenfassend und ausführlich zum syrischen Personenstandsrecht: ACCORD, Anfragebeantwortung zu Syrien: Obsorgeregelung nach Scheidung, Einverständniserklärung des Vaters für die Ausreise des Kindes, 12. Januar 2017; AG Hameln, Beschluss vom 27. Februar 2017 - 31 F 34/17 EASO -, juris, Rn 24ff</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">beurteilt sich die Frage, wie sich das Sorgerecht im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung darstellt, nach Art. 15 bis 22 des Haager Übereinkommens über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19.10.1996 (KSÜ), das für die Bundesrepublik Deutschland am 1. Januar 2011 in Kraft getreten ist; dies gilt auch dann, wenn das danach anzuwendende Recht, das eines Nichtvertragsstaates wie z.B. Syrien ist (vgl. Art. 20 KSÜ). Im Grundsatz (vgl. Art. 16 Abs. 1 KSÜ) werden nach diesen Vorschriften die Wirkungen des Eltern-Kind-Verhältnisses an das Recht des Staates angeknüpft, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, weil in diesem Rechtskreis auch vorrangig das praktische Bedürfnis zum Handeln besteht. Dementsprechend ist das Sorgerechtsstatut also durch die Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts ex nunc wandelbar und die Zuweisung oder das Erlöschen der elterlichen Verantwortung bestimmt sich kraft Gesetzes ohne Einschreiten eines Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde nach dem Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Vgl. z.B. Staudinger/Dieter Henrich (2014) EGBGB Art 21, Rn 25, wonach im Falle iranischer Eheleute, die mit ihren Kindern in Deutschland leben, nach Einbürgerung eines Ehegatten an die Stelle von walayat und hazanat die gleichberechtigte Sorge beider Eltern tritt; vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2013 - 18 UF 298/12 - NJW-RR 2013, 1157 Rn 17 m.w.N. zum Sorgerechtsstatut bei Wechsel von Russland nach Deutschland.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Vorliegend steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die minderjährigen Kinder der Klägerin bereits vor der Ehescheidung durch Beschluss des Amtsgerichts E.       vom 26. Oktober 2018 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland begründet hatten. Als gewöhnlicher Aufenthalt gilt grundsätzlich der Ort oder das Land, in dem der Minderjährige seinen tatsächlichen Daseinsmittelpunkt hat. Dies erfordert nicht nur einen Aufenthalt von gewisser Dauer, sondern auch das Vorhandensein weiterer sozialer Bindungen zu diesem Ort. Die Eingliederung in das soziale Umfeld muss also dazu geführt haben, dass die Bindung zu diesem Ort stärker ist als zu jedem anderen Ort. Hinsichtlich der Dauer des Aufenthalts wird in der Regel eine Zeitspanne von sechs Monaten als erforderlich angesehen, was aber nicht bedeutet, dass im Fall eines Aufenthaltswechsels ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt immer erst nach Ablauf einer entsprechenden Zeitspanne begründet werden könnte und bis dahin der frühere gewöhnliche Aufenthalt fortbestünde. Der gewöhnliche Aufenthalt kann auch schon dann begründet sein, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass der Aufenthalt auf längere Zeitdauer angelegt ist und der neue Aufenthaltsort künftig anstelle des bisherigen Daseinsmittelpunkt sein soll.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Vgl. Staudinger/Dieter Henrich (2014) EGBGB Art 21 Rn 16ff</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Die Familie der Klägerin ist am 28. November 2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist; die Kinder befanden sich also zum Zeitpunkt der Scheidung seit nahezu drei Jahren in Deutschland. Bereits am 2. September 2016 führte der Vater der Kinder in der Bundesamtsanhörung aus, dass keine Rückkehr nach Syrien beabsichtigt sei; sie hätten sich hier eingelebt und seine Kinder gingen hier zur Schule. Seit 24. Mai 2017 ist den Kindern die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Somit ist davon auszugehen, dass aufgrund der Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland gemäß § 1626 BGB die elterliche Sorge den Eltern jedenfalls im Zeitpunkt der Scheidung gemeinsam zustand (vgl. Art. 16 Abs. 4 KSÜ: Wechselt der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes, so bestimmt sich die Zuweisung der elterlichen Verantwortung kraft Gesetzes an eine Person, die diese Verantwortung nicht bereits hat, nach dem Recht des Staates des neuen gewöhnlichen Aufenthalts.); wann genau sich das Sorgerechtsstatut gewandelt hat, kann offen bleiben. Da im Zuge der - nach deutschem Recht erfolgten - Scheidung keine Regelung der elterlichen Sorge getroffen wurde, bleibt es beim gemeinsamen elterlichen Sorgerecht, so dass mithin im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung - auch - der Klägerin die elterliche Sorge zusteht.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Ob die Klägerin die begehrte Flüchtlingsanerkennung auch aufgrund von § 3 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 AsylG hätte beanspruchen können, kann offen bleiben, da die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 26 AsylG dem begünstigten Familienangehörigen dieselbe Rechtsstellung wie die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 AsylG vermittelt.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Vgl. BayVGH, Beschluss vom 24. Juli 2017 - 21 ZB 17.30451 -, juris, Rn. 8.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.</p>
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} | 9 A 4590/18.A | 2019-01-10T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:41 | 2019-02-12T13:44:34 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0110.9A4590.18A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Berufung der Beklagten gegen die durch das angefochtene Urteil unter Aufhebung der Ziffern 2 bis 5 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. Mai 2017 ausgesprochene Verpflichtung, der Klägerin den subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG zuzuerkennen, wird zugelassen.</p>
<p>Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.</p><br style="clear:both">
<h1><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></h1>
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG wegen Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zuzulassen.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte hat den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt, dass das Verwaltungsgericht bei der Feststellung der für die Annahme des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG erforderlichen Gefahrendichte von den Grundsätzen abgewichen ist, die das Bundesverwaltungsgericht in den Urteilen vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 - (BVerwGE 136, 360, und juris) sowie vom 13. Februar 2014 - 10 C 6.13 – (InfAuslR 2014, 233, und juris) aufgestellt hat, indem es entscheidungstragend die Auffassung vertreten hat, dass es im Rahmen der gebotenen wertenden Gesamtbetrachtung keiner Feststellung der Gefahrendichte bedürfe, weil zum Einen derzeit nicht auf verlässliche Zahlen zurückgegriffen werden könne, und zum Anderen die Ermittlung der konkreten Gefahrendichte aufgrund der besonderen Anschlagssituation in der Stadt Bagdad nicht geeignet sei, die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer erheblichen individuellen Gefahr darzustellen.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Beide Begründungselemente stehen in Widerspruch zu den in den o.g. Urteilen vom Bundesverwaltungsgericht formulierten Anforderungen an die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte. Danach bedarf es keines exakten Zahlenmaterials, sondern lediglich einer annäherungsweisen quantitativen Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits. Diesbezüglicher Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bedarf es entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts „in jedem Fall“.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist für die Annahme einer ernsthaften individuellen Bedrohung ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die - vom Verwaltungsgericht hier nicht geprüfte - Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Ausländers würden dafür nicht ausreichen.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteile vom 27. April 2010   - 10 C 4.09 -, juris Rn. 33 (zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F.) und vom 13. Februar 2014 - 10 C 6.13 -, juris Rn. 24 (zu § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG).</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen setzt eine quantitative Ermittlung des Gefährdungsniveaus voraus; sie macht die Feststellungen bezüglich der Gefahrendichte nicht entbehrlich.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte hat auch dargelegt, dass das Urteil auf der Abweichung beruht, weil bei Auswertung des Zahlenmaterials - zu ergänzen wäre: auch unter Berücksichtigung einer gewissen Dunkelziffer - Erhebliches dafür spricht, dass die erforderliche Gefahrenschwelle nicht erreicht ist.</p>
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<p>Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.</p>
<p>Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both">
<h1><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></h1>
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. In Verfahren, auf die - wie hier - das Asylgesetz (AsylG) Anwendung findet, ist die Berufung nur zuzulassen, wenn einer der in § 78 Abs. 3 AsylG aufgeführten Zulassungsgründe geltend gemacht und den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt wird.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Daran fehlt es hier. Die Berufung ist nicht wegen der allein geltend gemachten Abweichung von der übergeordneten Rechtsprechung (Zulassungsgrund gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) zuzulassen.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Eine die Berufung nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG eröffnende Divergenz ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn der Zulassungsantrag einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechts- oder verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der übergeordneten Rechtsprechung aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechts- oder Tatsachensatz widersprochen hat. Eine Divergenz liegt aber nicht schon dann vor, wenn in der angefochtenen Entscheidung ein in der übergeordneten Rechtsprechung aufgestellter Rechts- oder Tatsachensatz lediglich übersehen, übergangen oder sonst wie nicht richtig angewandt worden sein sollte.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Vgl. zu § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO: BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 2017 - 8 B 4.16 -, juris Rn. 3, m.w.N.; zu § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG: OVG NRW, Beschluss vom 8. Mai 2018 - 9 A 1434/18.A -, juris Rn. 23 ff.; zu § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO: Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 158 f., m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Ausgehend von diesen Maßstäben zeigt die Antragsbegründung nicht auf, dass das angefochtene Urteil von einem Grundsatz abweicht, den das Bundesverwaltungsgericht in den Urteilen vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360, und juris, sowie vom 13. Februar 2014 - 10 C 6.13 -, InfAuslR 2014, 233, und juris, aufgestellt hat.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte durch das angefochtene Urteil vom 19. September 2018 unter Aufhebung der Ziffern 2 bis 5 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. April 2017 verpflichtet, dem Kläger, einem Shabak aus Telkef/Provinz Ninive, den subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG zuzuerkennen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt bestehe nach den der Kammer vorliegenden Erkenntnissen in der Provinz Ninive ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (Seite 6 ff. des Urteilsabdrucks), der ungeachtet etwaiger gefahrerhöhender Umstände zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens bzw. der Unversehrtheit des Klägers als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt führe (Seite 9 ff. des Urteilsabdrucks). Die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 13. Februar 2014 - 10 C 6.13 -, juris, Rn. 24) erforderliche Feststellung zur Gefahrendichte, die jedenfalls auch eine annäherungsweise quantitative Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos umfasse, sei aber nicht möglich. Die wesentlichen Quellen, die Statistiken über Opferzahlen veröffentlichten, erhöben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, das empirische Material sei auch nach den Aussagen des Auswärtigen Amtes im Lagebericht vom 12. Februar 2018 nur eingeschränkt verwendbar; Iraqbodycount enthalte für die Provinz Ninive keine aktuellen Daten. Dass eine auch nur ansatzweise realistische Einschätzung des Gefährdungsrisikos bei dieser Ausgangslage nicht möglich sei, könne nicht zu Lasten des Klägers gehen (Seite 11 des Urteilsabdrucks). Im Rahmen der wertenden Gesamtbetrachtung hat das Verwaltungsgericht sodann maßgebend darauf abgestellt, dass es – wie zuvor bei Feststellung der Voraussetzungen des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgeführt – bereits zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen zu Lasten der Zivilbevölkerung gekommen sei.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte meint, das Verwaltungsgericht habe – abweichend von den Rechtsgrundsätzen, die das Bundesverwaltungsgericht aufgestellt habe – abstrakt den Satz zugrunde gelegt, dass im Fall einer (vermeintlichen) Nicht-Feststellbarkeit der Gefahrendichte allein darauf abzustellen sei, dass es bereits zu schweren Menschenrechtsverletzungen gegen die in der Herkunftsregion des Antragstellers lebende Zivilbevölkerung gekommen sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seien Feststellungen zur Gefahrendichte aber stets erforderlich. Im Übrigen teile die Beklagte die Bewertung der Tatsachenlage hinsichtlich einer Bedrohung im Rahmen eines bewaffneten Konflikts nicht. Es lägen bezogen auf das Jahr 2018 Opferzahlen von UNAMI und Joel Wing vor, wonach die Zahl der Vorfälle ein neues Tief erreicht habe. Auch die Einwohnerzahl der Provinz Ninive von 2.820.000 sei bekannt. Nach den vorliegenden Daten sei das Risiko, in der Provinz Ninive Opfer willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu werden, weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt. Das Verwaltungsgericht lege einen unzutreffenden materiell-rechtlichen Maßstab (§ 108 Abs. 1 VwGO) zugrunde. Ferner sei darauf hinzuweisen, dass die Unerweislichkeit einer Tatsache zu Lasten des Beteiligten gehe, der aus ihr eine günstige Rechtsposition herleite.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Diese Ausführungen mögen geeignet sein, Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung zu begründen, die in asylrechtlichen Verfahren indessen für sich genommen nicht zur Zulassung der Berufung führen. Eine Divergenz ergibt sich aus der Antragsbegründung nicht.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG (nunmehr: AsylG) setzt neben dem Vorliegen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt voraus. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bedarf es dazu in jedem Fall einer annäherungsweisen quantitativen Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist für die Annahme einer ernsthaften individuellen Bedrohung ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die - vom Verwaltungsgericht hier offen gelassene - Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Ausländers würden dafür nicht ausreichen.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteile vom 27. April 2010    - 10 C 4.09 -, juris Rn. 33 und vom 13. Februar 2014 - 10 C 6.13 -, juris Rn. 24.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen setzt eine quantitative Ermittlung des Gefährdungsniveaus voraus; sie macht die Feststellungen bezüglich der Gefahrendichte nicht entbehrlich.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bzw. der gleichlautenden Regelung in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG (nunmehr: AsylG) formulierten Rechtsgrundsätze, insbesondere in Bezug auf die Erforderlichkeit einer quantitativen Ermittlung des Gefährdungsniveaus, nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Es erscheint auch zweifelhaft, ob den Ausführungen des Verwaltungsgerichts der abstrakte Satz zu entnehmen ist, dass im Fall einer Nicht-Feststellbarkeit der Gefahrendichte „allein“ darauf abzustellen sei, dass es bereits zu schweren Menschenrechtsverletzungen gegen die in der Herkunftsregion des Ausländers lebende Zivilbevölkerung gekommen sei. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht auf diesen Gesichtspunkt lediglich „im Rahmen der wertenden Gesamtbetrachtung ... maßgebend“ abgestellt. Ungeachtet dessen verhalten sich die von der Beklagten angeführten Urteile des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls nicht zu der für das Verwaltungsgericht letztlich entscheidungserheblichen Frage, wie in dem Fall, dass schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen bekannt sind, die annäherungsweise quantitative Einschätzung des Gefährdungsrisikos aber tatsächlich nicht möglich ist, zu entscheiden ist bzw. wer das Risiko der Unaufklärbarkeit der entscheidungserheblichen Tatsachen trägt.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Antragsbegründung legt danach allenfalls dar, dass das Verwaltungsgericht die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Rechtsgrundsätze fehlerhaft angewendet hat, indem es keine hinreichenden Feststellungen zur individuellen Betroffenheit des Klägers getroffen und sowohl die Anforderungen an die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr als auch die Bedeutung der vom Bundesverwaltungsgericht geforderten wertenden Gesamtbetrachtung verkannt hat.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Der Sache nach rügt die Beklagte zum Einen eine unzureichende Sachverhaltsermittlung und Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichts und zum Anderen eine materiell-rechtlich fehlerhafte Beweislastentscheidung. Beides ist jedoch nach dem in § 78 Abs. 3 AsylG zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers einer Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht im Zulassungsverfahren entzogen.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Ungeachtet dessen, dass ein Verfahrensmangel mit der Antragsbegründung nicht ausdrücklich gerügt wird, führt der diesbezügliche Vortrag der Beklagten auch inhaltlich nicht auf einen beachtlichen Verfahrensmangel. Fehler bei der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sowie Aufklärungsmängel gehören nicht zu den in § 138 VwGO genannten und in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG in Bezug genommenen Verfahrensfehlern.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. November 1995 ‑ 9 B 710.94 -, DVBl. 1996, 108; Beschluss vom 19. Oktober 1999 - 9 B 407.99 -, Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 11; Beschluss vom 12. Januar 2009 - 5 B 48.08 -, juris.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Ergänzend sei angemerkt, dass hier ersichtlich auch keine Überraschungsentscheidung (Gehörsverstoß i.S.d. § 138 Nr. 3 VwGO) vorliegt. Das Verwaltungsgericht hat die Beteiligten mit Verfügung vom 31. Juli 2018 auf seine Bewertung der Sachlage, d.h. sowohl auf die seiner Einschätzung nach bestehende Nichtaufklärbarkeit der Gefahrendichte als auch auf die beabsichtigte Bewertung, dass diese Nichtaufklärbarkeit nicht zu Lasten des Klägers gehen dürfe, hingewiesen. Die Beklagte hat dies aber nicht zum Anlass genommen, zu dem ihr vorliegenden Datenmaterial und der materiellen Beweislastverteilung vorzutragen, sondern hat vielmehr an ihrem Verzicht auf mündliche Verhandlung festgehalten.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 83b AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</p>
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171,285 | ovgnrw-2019-01-10-6-a-225618a | {
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} | 6 A 2256/18.A | 2019-01-10T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:41 | 2019-02-12T13:44:34 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0110.6A2256.18A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung gewährt.</p>
<p>Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 21. März 2018 wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both">
<h1><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></h1>
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Dem Kläger ist gemäß § 60 Abs. 1 VwGO auf seinen innerhalb der Frist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO gestellten Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Antragsbegründungsfrist zu gewähren. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers war ohne Verschulden gehindert, den Antrag auf Zulassung der Berufung vor Fristablauf zu begründen, weil er bis dahin trotz rechtzeitigen Antrags ohne sein Verschulden keine Akteneinsicht erhalten hat.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Vgl. zur Frage der Wiedereinsetzung bei nicht gewährter Akteneinsicht BGH, Beschluss vom 11. Januar 2018 - III ZB 81/17 -, NJW 2018, 952 = juris Rn. 8 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 22. Februar 2016 ‑ 6 B 1357/15 -, juris Rn. 3, jeweils m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Mit der Stellung des Antrags auf Zulassung der Berufung am 12. Juni 2018 hatte er kurzfristige Akteneinsicht beantragt. Diese hätte auch noch bis Fristablauf am 18. Juni 2018 erfolgen und ihm eine rechtzeitige Begründung ermöglichen können. Aus Gründen, die allein der Sphäre des Gerichts zuzuordnen sind, hat er die Akten aber erst einen Monat später, am 13. Juli 2018, erhalten. Der Prozessbevollmächtigte, der erst nach Ergehen des erstinstanzlichen Urteils mandatiert worden ist, war auch nicht gehalten, vor der Gewährung der Einsicht in die Gerichtsakten eine Begründung innerhalb der dafür laufenden Frist einzureichen. Vielmehr konnte er erst nach Vorliegen der Gerichtsakte, aus der sich etwa eventuelle Verfahrensfehler ergeben können, darüber entscheiden, welche Zulassungsgründe vorgetragen werden sollen.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2018 - III ZB 81/17 -, a. a. O., Rn. 9 ff.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) wird nicht dargelegt. Der Kläger formuliert schon keine konkrete, klärungsbedürftige Rechtsfrage. Diese kann der Antragsbegründung auch nicht im Wege der Auslegung entnommen werden. Diese wendet sich vielmehr im Stile einer Berufungsschrift gegen die Würdigung des Verwaltungsgerichts, es stehe nicht fest, dass der Kläger sich auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel beruhend vom Islam abgekehrt und zum Christentum hingewendet habe. Auch mit der allenfalls verallgemeinerungsfähigen Rüge, das Gericht habe sich nicht lediglich an formalen Gesichtspunkten des Christentums orientieren dürfen und unter Hinzuziehung eines Sachverständigen prüfen müssen, ob wahrhaftig Glaube vorliege, wird kein grundsätzlicher Klärungsbedarf aufgezeigt. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, wann im Falle einer Konversion zum Christentum von politischer Verfolgung im Iran auszugehen ist und welchen Grundsätzen die gerichtliche Prüfung hierbei folgen muss.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Vgl. nur EuGH, Urteil vom 5. September 2012 - verb. Rs. C 71/11 und C-99/11 -, NVwZ 2012, 1612 = juris Rn. 65 ff.; BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 24 ff.; OVG NRW, Urteil vom 7. November 2012 - 13 A 1999/07.A -, juris Rn. 29 ff., sowie Beschluss vom 10. Februar 2017 - 13 A 2648/16.A -, juris Rn. 9 ff.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</p>
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171,284 | ovgnrw-2019-01-10-6-a-106918a | {
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} | 6 A 1069/18.A | 2019-01-10T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:41 | 2019-02-12T13:44:34 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0110.6A1069.18A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>1. Der Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin O.        aus I.        wird abgelehnt.</p>
<p>2. Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 26. Januar 2018 wird abgelehnt.</p>
<p>Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both">
<h1><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></h1>
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">I. Der Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin O.   aus I.   bleibt erfolglos, weil die Voraussetzungen der §§ 166 VwGO, 114 Satz 1 ZPO nicht vorliegen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet aus den nachfolgenden Gründen nicht die erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">II. Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Sie berufen sich auf die Zulassungsgründe gemäß § 78 Abs. 3 Nrn. 3 und 1 AsylG. Keiner dieser Zulassungsgründe ist gegeben.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">1. a. Die Beanstandung der Kläger unter Abschnitt I. der Antragsschrift, es liege der Berufungszulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG wegen Versagung rechtlichen Gehörs vor, greift nicht durch.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es gebietet nicht, dass sich das Gericht in seinen schriftlichen Entscheidungsgründen mit jeder Einzelheit ausdrücklich und in ausführlicher Breite auseinander setzt. Deshalb müssen, um eine Versagung rechtlichen Gehörs festzustellen, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember 2011 - 10 B 38.11 -, juris Rn. 2.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung aufgestellte Behauptung, das Gericht habe bei seiner Urteilsfindung die eingereichten Bescheinigungen zum psychischen Gesundheitszustand der Klägerin zu 2. außer Acht gelassen, ist unzutreffend. Das Verwaltungsgericht hat die Unterlagen vielmehr im Tatbestand seiner Entscheidung erwähnt und in den Entscheidungsgründen (S. 21 UA) auch im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG gewürdigt. Die noch eingereichte Bescheinigung vom 1. Februar 2018 konnte das Gericht bei seinem Urteil vom 26. Januar 2018 naturgemäß nicht zur Kenntnis nehmen.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">b. Entgegen der Auffassung der Kläger liegt auch keine Überraschungsentscheidung vor. Dies wäre der Fall, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hätte, mit welcher der unterlegene Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 29. Januar 2010 - 5 B 21.09 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 61 = juris Rn. 18.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Frage der Glaubhaftigkeit der Konversion der Kläger stand vielmehr inmitten des erstinstanzlichen Verfahrens. Dass das Gericht das Vorbringen der Kläger anders gewürdigt hat, als diese es für richtig halten, begründet keine Überraschungsentscheidung.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">2. Die Berufung ist nicht wegen der ferner geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) zuzulassen.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn für die Entscheidung der</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Vorinstanz eine grundsätzliche, bisher in der Rechtsprechung noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung war, die auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre und deren Klärung im Interesse der einheitlichen Rechtsanwendung oder der Fortbildung des Rechts geboten erscheint. Die Darlegung der Grundsatzbedeutung gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG setzt voraus, dass eine bestimmte, obergerichtlich oder höchstgerichtlich noch nicht hinreichend geklärte und (auch) für die Berufungsentscheidung erhebliche Frage rechtlicher oder tatsächlicher Art herausgearbeitet und formuliert wird; zudem muss angegeben werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll. Darzulegen sind die konkrete Frage, ihre Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit und allgemeine Bedeutung.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 8. Juni 2016 ‑ 13 A 1222/16.A -, juris Rn. 2 ff.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Diesen Anforderungen entspricht der Zulassungsantrag nicht. Der Hinweis darauf, die von ihm aufgeworfenen Fragen beträfen viele konvertierte Kläger und hätten für künftige Entscheidungen der Verwaltungsgerichts grundsätzliche Bedeutung, ist unzureichend.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen ist in der Rechtsprechung geklärt, dass ein Schutzsuchender, der sich auf eine Verfolgungsgefährdung mit der Begründung beruft, er sei zu einer in seinem Herkunftsland bekämpften Religion übergetreten, die inneren Beweggründe glaubhaft machen muss, die ihn zur Konversion veranlasst haben. Es muss festgestellt werden können, dass die Hinwendung zu der angenommenen Religion auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel und nicht auf Opportunitätserwägungen beruht, und der Glaubenswechsel nunmehr die religiöse Identität des Schutzsuchenden prägt. Wann eine solche Prägung anzuerkennen ist, lässt sich nicht allgemein beschreiben. Nach dem aus der Gesamtheit des Verwaltungs- und gerichtlichen Verfahrens gewonnenen Eindruck muss sich der Schutzsuchende aus voller innerer Überzeugung von seinem bisherigen Bekenntnis gelöst und dem anderen Glauben zugewandt haben. Für die Frage, ob ein ernsthafter Glaubenswechsel vorliegt, kommt es entscheidend auf die Glaubhaftigkeit der Schilderung und die Glaubwürdigkeit der Person des Asylbewerbers an, die das Gericht - wie hier geschehen - im Rahmen einer persönlichen Anhörung des Asylbewerbers zu überprüfen und tatrichterlich zu würdigen hat. Da maßgeblich ist, ob sich der Betroffene nach Rückkehr in sein Herkunftsland in einer Art und Weise religiös betätigen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen wird, genügt der Formalakt der Taufe regelmäßig nicht. Von einem Erwachsenen, der sich zum Bekenntniswechsel entschlossen hat, darf im Regelfall erwartet werden, dass er mit den wesentlichen Grundzügen seiner neuen Religion vertraut ist. Welche Anforderungen im Einzelnen zu stellen sind, richtet sich vorwiegend nach seiner Persönlichkeit und seiner intellektuellen Disposition. Überdies wird regelmäßig nur dann anzunehmen sein, dass der Konvertit ernstlich gewillt ist, seine christliche Religion auch im Herkunftsland auszuüben, wenn er seine Lebensführung bereits in Deutschland dauerhaft an den grundlegenden Geboten der neu angenommenen Konfession ausgerichtet hat.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 20. Januar 2016 - 13 A 1868/15.A -, juris Rn. 22 m.w.N.; Bay. VGH, Beschluss vom 16. November 2015 ‑ 14 ZB 13.30207 -, juris Rn. 15; s. auch BVerwG, Beschluss vom 25. August 2015 - 1 B 40.15 -, NVwZ 2015, 1678 = juris Rn. 13 f.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.</p>
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171,283 | ovgnrw-2019-01-10-4-e-111818 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 4 E 1118/18 | 2019-01-10T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:41 | 2019-02-12T13:44:33 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0110.4E1118.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Auf die Beschwerde des Klägers wird die Streitwertfestsetzung in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Aachen vom 24.10.2018 geändert.</p>
<p>Der Streitwert wird für das erstinstanzliche Verfahren auf 500,00 Euro festgesetzt.</p>
<p>Das Verfahren über die Beschwerde ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde, über die gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 6 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) der Berichterstatter als Einzelrichter entscheidet, ist unzulässig.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der nach § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG maßgebliche Beschwerdewert von 200,00 Euro wird nicht erreicht. Bei dem angegriffenen Streitwert in Höhe von 1.000,00 Euro belaufen sich die angefallenen Gerichtsgebühren unter Ansatz einer dreifachen Verfahrensgebühr auf lediglich 159,00 Euro (vgl. Nr. 5110 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG, Anlage 2 zu § 34 GKG).</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Davon unberührt bleibt die Befugnis des Senats nach § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG, die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung von Amts wegen zu ändern. Dementsprechend ändert der Senat den Wert des Streitgegenstandes auf 500,00 Euro ab.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Dieser Streitwert (die Hälfte des Streitwertes der Hauptsache) ergibt sich in diesem ein selbstständiges Vollstreckungsverfahren betreffenden Streitfall – in dem es um die Androhung eines Zwangsgeldes von 1.000,00 Euro geht – auf der Grundlage von Nummer 1.7.1, Satz 2. des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit [NVwZ-Beilage 2013, 58 (68)].</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Nebenentscheidungen folgen aus § 68 Abs. 3 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.</p>
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171,282 | ovgnrw-2019-01-10-4-b-133318 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
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} | 4 B 1333/18 | 2019-01-10T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:40 | 2019-02-12T13:44:33 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0110.4B1333.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 31.8.2018 wird zurückgewiesen.</p>
<p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 7.500,00 EUR festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<h1><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e:</span></h1>
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den sinngemäßen Antrag,</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">die aufschiebende Wirkung der Klage 19 K 1261/18 (VG Gelsenkirchen) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 15.2.2018 hinsichtlich der Schließungsverfügung unter II. wiederherzustellen,</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">zu Recht abgelehnt. Es hat angenommen, die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung falle zu Lasten des Antragstellers aus. Die Schließungsverfügung, die sich auf die „I.     2“ am X.        I1.---weg 118 in E.        bezieht, sei auf der Grundlage von § 15 Abs. 2 GewO offensichtlich rechtmäßig. Die Antragstellerin verfüge für die streitbetroffene Spielhalle nicht über die nach §§ 24 Abs. 1 GlüStV, 16 Abs. 2 AG GlüStV NRW erforderliche glücksspielrechtliche Erlaubnis. Die Verfügung sei nicht ermessensfehlerhaft. Insbesondere sei die Erteilung einer Erlaubnis für die Spielhalle, die in einem baulichen Verbund mit einer weiteren Spielhalle stehe, wegen Verstoßes gegen das Verbundverbot nach § 16 Abs. 3 Satz 1 AG GlüStV NRW i. V. m. § 25 Abs. 2 GlüStV ausgeschlossen. Für eine unbillige Härte im Sinne des § 29 Abs. 4 GlüStV fehle es an jeglichem Anhalt. Die Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin sei auch mit Blick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes unbedenklich, weil sich der Antragsteller, der beide Spielhallen selbst betreibe, nicht gegen eine zugunsten eines Konkurrenten ausgefallene Auswahlentscheidung wende.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Diese Einschätzung wird durch das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, nicht durchgreifend in Frage gestellt. Sie ist offensichtlich zutreffend.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Ohne Erfolg wendet sich der Antragsteller dagegen, dass die Schließungsverfügung auf § 15 Abs. 2 GewO gestützt worden ist. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO kann die zuständige Behörde die Fortsetzung des Betriebs verhindern, wenn ein Gewerbe, zu dessen Ausübung eine Erlaubnis, Genehmigung, Konzession oder Bewilligung (Zulassung) erforderlich ist, ohne Zulassung betrieben wird. Die Bestimmung setzt voraus, dass ein grundsätzlich nach Gewerberecht oder gewerberechtlichem Nebenrecht zulassungsbedürftiges Gewerbe betrieben wird, eine derartige Zulassung aber fehlt. Das auf das in Rede stehende Gewerbe bezogene Zulassungserfordernis kann sich auch aus landesrechtlichen Vorschriften ergeben.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 21.6.2006 ‒ 6 C 19.06 ‒, BVerwGE 126, 149 = juris, Rn. 39.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Das Erfordernis einer Erlaubnis nach §§ 24 Abs. 1 GlüStV, 16 Abs. 2 AG GlüStV NRW, deren Fehlen die Antragsgegnerin der Antragstellerin vorhält, gehört zum Gewerberecht oder zum gewerberechtlichen Nebenrecht, auf das § 15 Abs. 2 GewO abstellt, obwohl es landesrechtlich begründet ist. Es fällt unter das in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fallende Recht der Spielhallen nach Art. 70, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, das den Landesgesetzgeber zur Regelung sämtlicher gewerberechtlicher Voraussetzungen für die Erlaubnis von Spielhallen und die Art und Weise ihres Betriebs einschließlich der räumlichen Bezüge in ihrem Umfeld ermächtigt.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.3.2017 ‒ 1 BvR 1314/12 u. a. ‒, BVerfGE 145, 20 = juris, Rn. 100 ff., 105, 108; OVG NRW, Urteil vom 16.4.2018 – 4 A 589/17 –, NWVBl. 2018, 379 = juris, Rn. 53 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">§ 15 Abs. 2 GewO gilt im Bereich des in die Gesetzgebungskompetenz der Länder übergegangenen Rechts der Spielhallen gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG als Bundesrecht fort. Es ist in Nordrhein-Westfalen nicht gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG durch Landesrecht ersetzt worden, weil die insoweit allein in Betracht kommende neue Ermächtigung in § 9 Abs. 1 Sätze 2 und 3 GlüStV gemäß § 2 Abs. 3 GlüStV für Spielhallen nicht gilt. Deshalb hat der Senat bereits entschieden, dass § 15 Abs. 2 GewO taugliche Grundlage dafür sein kann, gegen Spielhallen vorzugehen, die ohne die nach §§ 24 Abs. 1 GlüStV, 16 Abs. 2 AG GlüStV NRW erforderliche Erlaubnis betrieben werden.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18.7.2018 – 4 B 179/18 –, NWVBl. 2018, 529 = juris, Rn. 9 ff.; so für Hessen auch Hess. VGH, Beschluss vom 26.10.2018 ‒ 8 B 1558/18 ‒, juris, Rn. 13 ff.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Das Vorbringen des Antragstellers bietet keinen Anlass, dies anders zu beurteilen.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Nichts anderes folgt insbesondere aus der vom Antragsteller angeführten ‒ höchstrichterlich bestätigten ‒ Rechtsprechung, wonach die Übergangsvorschrift des § 29 Abs. 4 Satz 2 GlüStV Vertrauensschutz nicht betreiber-, sondern spielhallenbezogen gewährt.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 8.11.2013 ‒ 7 ME 82/13 ‒, GewArch 2014, 30 = juris, Rn. 5 ff.; BVerwG, Urteil vom 5.4.2017 – 8 C 16.16 –, ZfWG 2017, 394 = juris, Rn. 42 ff.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Hieraus ergibt sich zwar, dass auch zu Gunsten eines Neubetreibers einer unter § 29 Abs. 4 Satz 2 GlüStV fallenden Altspielhalle, für die bis zum 28.10.2011 eine Erlaubnis nach § 33i GewO erteilt worden war, nach Ablauf der fünfjährigen Übergangsfrist bei Vorliegen eines Härtefalls für einen angemessenen Zeitraum eine Befreiung von der Erfüllung einzelner Anforderungen der §§ 24 Abs. 2, 25 GlüStV nach § 29 Abs. 4 Satz 4 GlüStV zugelassen werden kann.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29.2.2016 ‒ 4 A 809/15 ‒, ZfWG 2016, 238 = juris, Rn. 6 ff.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die fünfjährige Übergangsfrist des § 29 Abs. 4 Satz 2 GlüStV soll aber nur dem Interesse der Betreiber Rechnung tragen, eine Amortisierung der im Vertrauen auf den Fortbestand der Rechtslage in die Spielhalle getätigten Investitionen zu erreichen und dabei einen angemessenen Gewinn zu erwirtschaften, wobei dieser Investitionsschutz bei einem Betreiberwechsel nicht entfallen soll.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 5.4.2017 – 8 C 16.16 –, ZfWG 2017, 394 = juris, Rn. 48.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Dass die Übergangsfrist aus Bestandsschutzgesichtspunkten standortbezogen zu verstehen ist, rechtfertigt kein entsprechendes Verständnis des Erlaubniserfordernisses nach § 24 GlüStV. Dieses hat das Erlaubniserfordernis gemäß § 33i GewO in Nordrhein-Westfalen mit Ablauf der Überleitungsfristen zeitlich gestuft ersetzt und ist ‒ wie das frühere Erlaubniserfordernis nach § 33i GewO ‒,</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 5.4.2017 – 8 C 16.16 –, ZfWG 2017, 394 = juris, Rn. 45,</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">betreiber- und betriebsbezogen zu verstehen. Jedenfalls für das nordrhein-westfälische Landesrecht ist bereits letztinstanzlich und rechtskräftig geklärt, dass zu den Erlaubnisvoraussetzungen neben standortbezogenen Erfordernissen nach § 16 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 und 2 lit. a AG GlüStV NRW i. V. m. §§ 1 Satz 1 Nr. 3, 4 Abs. 3, 24 Abs. 2 Satz 1 GlüStV auch die Einhaltung der Erfordernisse des Jugendschutzes bzw. die Gewährleistung des Jugend- und Spielerschutzes sowie nach §§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, 16 Abs. 2 Satz 1 AG GlüStV NRW i. V. m. §§ 2 Abs. 3, 4 Abs. 1, 24 GlüStV das Erfordernis der persönlichen Zuverlässigkeit gehören,</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">vgl. OVG NRW, Urteil vom 16.4.2018 – 4 A 589/17 –, NWVBl. 2018, 379 = juris, Rn. 46 ff., 60 ff., 68 ff., rechtskräftig nach Zurückweisung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch BVerwG, Beschluss vom 2.10.2018 ‒ 8 B 31.18 ‒, juris,</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">mithin betreiberbezogene Anforderungen.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Vgl. im Ausgangspunkt ähnlich zum niedersächsischen Recht VG Osnabrück, Urteil vom 17.5.2017 ‒ 1 A 294/16 ‒, juris, Rn. 20.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Ohne Erfolg wendet der Antragsteller auch ein, nach § 15 Abs. 2 GewO hätte der Betrieb nicht untersagt werden dürfen, sondern allenfalls die Fortsetzung des Betriebs so lange verhindert werden dürfen, bis der im Fehlen der Zulassung liegende Mangel behoben ist. Die Antragsgegnerin hat die Schließung der Spielhalle angeordnet, also entsprechend der Ermächtigung die Fortsetzung des Betriebs verhindert. Hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen für ein Einschreiten nach § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO ist unerheblich, ob die Voraussetzungen der erforderlichen, aber fehlenden Erlaubnis in absehbarer Zukunft vorliegen können. Denn Zweck der Ermächtigung ist es, den Erlaubnisvorbehalt zur Sicherung des Geschäftsverkehrs durchzusetzen, also die vorherige behördliche Prüfung der Erlaubnisfähigkeit der beabsichtigten Gewerbetätigkeit zu sichern und damit die mit einer unerlaubten Tätigkeit verbundenen Gefahren abzuwehren.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18.7.2018 – 4 B 179/18 –, NWVBl. 2018, 529 = juris, Rn. 18 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die Ermächtigung greift erst recht, wenn die Erlaubnisvoraussetzungen auch künftig voraussichtlich nicht vorliegen werden, auch wenn Grund für das Einschreiten hierbei das bloße Fehlen der Erlaubnis bleibt, nicht aber eine hierfür nicht erforderliche Gewerbeuntersagung. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit hat die Behörde bei Entscheidungen nach § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO zu berücksichtigen, ob es sich um eine nur formell oder auch ‒ möglicherweise dauerhaft ‒ materiell rechtswidrige Betriebsführung handelt. Unabhängig davon hat sie von ihrem Ermessen, wo dies sachgerecht erscheint, etwa durch Gewähren angemessener Fristen so Gebrauch zu machen, dass durch die Betriebseinstellung weder dem Betriebsinhaber noch den Betriebsangehörigen vermeidbarer Schaden entsteht.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18.7.2018 – 4 B 179/18 –, NWVBl. 2018, 529 = juris, Rn. 36 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Das Vorgehen gegen dauerhaft materiell rechtswidrige unerlaubte Spielhallen ist nicht deshalb generell unzulässig oder nur eingeschränkt möglich, weil Spielhallen nicht den Regelungen der Glücksspielaufsicht nach § 9 GlüStV unterfallen. Der nordrhein-westfälische Gesetzgeber hat anders als einige andere Landesgesetzgeber das Recht der Spielhallen nicht vollständig neu regeln wollen, sondern anlässlich der Umsetzung des Glücksspielstaatsvertrags in Landesrecht nur einen abgrenzbaren Teilbereich.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 16.4.2018 – 4 A 589/17 –, NWVBl. 2018, 379 = juris, Rn. 49 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Da der Glücksspielstaatsvertrag und das Landesausführungsgesetz keine § 15 Abs. 2 GewO ersetzende Eingriffsermächtigungsnorm enthalten, gilt diese Vorschrift ‒ wie ausgeführt ‒ nach Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG als Bundesrecht fort. Vor dem 28.10.2011 genehmigte und schon bei Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrags bestehende Mehrfachspielhallen hat der Gesetzgeber ausschließlich durch die Übergangsvorschriften in § 29 Abs. 4 GlüStV i. V. m. § 18 AG GlüStV NRW geschützt, nicht aber dadurch, dass er bewusst auf eine Eingriffsermächtigung verzichtet hat, wie der Antragsteller meint. Eine restriktive Auslegung des § 15 Abs. 2 GewO ist nicht geboten.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Zutreffend ist das Verwaltungsgericht schließlich davon ausgegangen, dass der Spielhallenbetrieb der „I.     2“ neben der „I.     1“ materiell rechtswidrig ist, weil es für eine unbillige Härte im Sinne des § 29 Abs. 4 GlüStV an jeglichem Anhalt fehle.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der unbilligen Härte sollen (nur) atypische, vom Gesetzgeber nicht ausreichend berücksichtigte, besonders gelagerte Fallkonstellationen, in denen die Anwendung der gesetzlichen Vorgaben zu einer nicht intendierten Härte führen würden, einer die widerstreitenden Interessen abwägenden Einzelfallentscheidung zugeführt werden können. Härten, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Tatbestands bewusst in Kauf genommen hat und die dem Gesetzeszweck entsprechen, können keinen Härtefall begründen, weil sonst die vom Gesetzgeber beabsichtigte Folge ‒ hier eine Verringerung von Anzahl und Dichte der Spielhallen ‒ in der Regel nicht eintreten würde. Deshalb sind an die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzung der „unbilligen Härte“ hohe Anforderungen zu stellen. Diese sind regelmäßig nicht bereits dann erfüllt, wenn mit der Schließung von Spielhallen wirtschaftliche Einbußen und sonstige Belastungen verbunden sind. Insbesondere können die Spielhallenbetreiber nicht die verlustfreie Abwicklung ihrer zu schließenden Spielhallen verlangen. Der Gesetzgeber wollte mit der fünfjährigen Übergangsfrist des § 29 Abs. 4 Satz 2 GlüStV die regelmäßig eintretenden wirtschaftlichen Nachteile bei den Betreibern von Spielhallen erfassen und diesen innerhalb der großzügig bemessenen Übergangsfrist einen schonenden Übergang zu den strengeren Reglungen des Staatsvertrags und die Entwicklung alternativer Geschäftsmodelle ermöglichen. Die Annahme einer unbilligen Härte muss daher auf wenige Ausnahmen in besonders atypischen Einzelfällen beschränkt bleiben.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 12.6.2018 – 8 B 1903/17 –, ZfWG 2018, 419 = juris, Rn. 36 ff., m. w. N.; siehe dazu auch Ministerium für Inneres und Kommunales NRW, Erlass vom 10.5.2016, S. 6 f., https://www.im.nrw/sites/default/files/media/document/file/Spielhallenerlass%202016.pdf.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Ein solcher atypischer Einzelfall ist nicht ansatzweise ersichtlich. Während die fünfjährige Übergangsfrist des § 29 Abs. 4 Satz 2 GlüStV dem Interesse der Betreiber Rechnung tragen soll, eine Amortisierung der im Vertrauen auf den Fortbestand der Rechtslage in die Spielhalle getätigten Investitionen zu erreichen und dabei einen angemessenen Gewinn zu erwirtschaften, wobei dieser Investitionsschutz bei einem Betreiberwechsel nicht entfallen soll,</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 5.4.2017 – 8 C 16.16 –, ZfWG 2017, 394 = juris, Rn. 48,</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">wirkt dieser dem Bestandsschutz dienende Zweck im Rahmen der Härtefallregelung nur insoweit und solange nach, wie dies erforderlich ist, um ‒ im Einzelfall ‒ unzumutbaren Belastungen Rechnung zu tragen, ohne aber die mit §§ 24 und 25 GlüStV verfolgten Allgemeinwohlinteressen auf Dauer hintanzustellen.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Vgl. Begründung zu § 29 GlüStV, abgedruckt etwa in Bay. LT-Drs. 16/11995, S. 32, sowie in Nds. LT-Drs. 16/4795, S. 94.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Nach diesem Regelungszweck kommt es auf städtebauliche Aspekte nicht an. Sofern bei Härtefallentscheidungen nach § 29 Abs. 4 Satz 4 Hs. 2 GlüStV der Zeitpunkt der Erteilung der Erlaubnis gemäß § 33i GewO sowie die Ziele des § 1 GlüStV zu berücksichtigen sind, wird dadurch gerade zum Ausdruck gebracht, dass die für atypische Einzelfälle vorgesehene Berücksichtigung grundrechtlich geschützter Positionen der Spielhallenbetreiber für einen angemessenen Zeitraum über die fünfjährige Übergangsfrist hinaus im Rahmen von Härtefallentscheidungen nur unter Berücksichtigung der Ziele des § 1 GlüStV in Betracht kommt. Dies ändert nichts daran, dass eine Härte einen atypischen Einzelfall voraussetzt, in dem auf Grund des Vertrauens in die frühere Rechtslage für den Betrieb und somit auch für den jeweiligen Betreiber besondere unvermeidbare Belastungen gegeben sind, denen andere Betriebe von Bestandsspielhallen, die nach Ablauf von fünf Jahren geschlossen werden müssen, grundsätzlich nicht ausgesetzt sind. Die Vorstellung des Antragstellers, ein Härtefall sei gegeben bei mit den Zielen des Glücksspielstaatsvertrags vereinbaren Bestandsspielhallen, die nach Ablauf der Übergangsfrist nach § 29 Abs. 4 Satz 2 gegen das Verbot von Mehrfachkonzessionen nach § 25 Abs. 1 und 2 GlüStV verstoßen, findet im Gesetz keinen Niederschlag. Im Gegenteil ging es dem Gesetzgeber maßgeblich darum, nach Ablauf der Übergangsfrist die Voraussetzungen für eine wirksame Suchtbekämpfung sowie den Jugend- und Spielerschutz (§ 1 GlüStV) im Bereich der Spielhallen insbesondere durch das ‒ nur noch in atypischen Einzelfällen ausnahmsweise mit Blick auf frühere Investitionen vereinzelt zu durchbrechende ‒ Verbot von Mehrfachkonzessionen und die Regelung von Mindestabständen zu erreichen.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Vgl. LT-Drs. 16/17, S. 43.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Er reagierte damit gerade auf das in der Vergangenheit gestiegene Angebot an Spielgeräten in Spielhallen, weshalb der Antragsteller mit seinen Hinweisen auf in der Vergangenheit legal betriebene Mehrfachspielhallen, auf die Außenwirkung seines Betriebs, auf die Verantwortlichkeit des Gesetzgebers für die Neuregelung sowie auf seine bisher rechtskonforme Betriebsführung keine unbillige atypische Härte aufzeigt.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Auch die mit der Neuregelung beabsichtigte Kanalisierung des natürlichen Spieltriebs der Bevölkerung durch ein begrenztes, eine geeignete Alternative zum nicht erlaubten Glücksspiel darstellendes Glücksspielangebot (§ 1 Satz 1 Nr. 2 GlüStV) sollte gerade im Bereich der Spielhallen dadurch geschaffen werden, dass Mehrfachspielhallen verboten und Mindestabstände eingeführt wurden. Es ist keine Frage einer unbilligen Härte, ob der Kanalisierungseffekt durch großzügigere Spielhallenzulassungen besser erfüllt werden könnte. Härten, die der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen hat und die dem Gesetzeszweck entsprechen, können nämlich keinen Härtefall begründen. Davon, dass keine hinreichende Alternative legalen Glücksspiels verbliebe, kann im Übrigen schon mit Blick auf den dem Antragsteller gestatteten Betrieb der „I.     1“ am selben Standort keine Rede sein, selbst wenn die nächstgelegene Spielhalle etwa 1,85 km entfernt läge. Insofern kann nach der gesetzlichen Konzeption lediglich Raum sein für die Eröffnung einer weiteren Spielhalle, die den Mindestabstand einhält; eine Härte, die die vorübergehende Fortführung einer unzulässig gewordenen Mehrfachspielhalle gebieten könnte, folgt daraus nach den hierfür maßgeblichen rechtlichen Maßstäben keinesfalls.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Innerhalb der fünfjährigen Übergangsfrist des § 18 AG GlüStV NRW i. V. m. § 29 Abs. 4 Satz 2 GlüStV musste sich der Antragsteller ebenso wie der frühere Betreiber zur Zeit seiner Betriebsführung darauf einstellen, dass künftig von mehreren Spielhallen an einem Standort nur noch eine Spielhalle betrieben werden darf.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.12.2016 – 8 C 6.15 –, BVerwGE 157, 126 = juris, Rn. 55.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">In Nordrhein-Westfalen bestand zudem für Spielhallen, die der am 30.6.2017 abgelaufenen fünfjährigen Übergangsfrist nach § 29 Abs. 4 Satz 2 GlüStV unterfielen, grundsätzlich jedenfalls bis zum 30.11.2017 zumindest ein Anspruch auf eine Härtefallerlaubnis nach § 29 Abs. 4 Satz 4 GlüStV, nachdem die Spielhallenbetreiber durch Ministerialerlass und auch von der Antragsgegnerin auf einen Lauf der Übergangsfrist bis zum 30.11.2017 hingewiesen worden waren und sich deshalb hierauf einstellen durften.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8.6.2017 – 4 B 307/17 –, NWVBl. 2017, 431 = juris, Rn. 71 ff.</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Da der Antragsteller selbst entscheiden konnte, welche seiner beiden Spielhallen nach tatsächlichem oder angenommenem Ablauf der Übergangsfrist fortbestehen sollte, stand auch nicht erst mit der Härtefallentscheidung fest, dass er einen Betrieb tatsächlich aufgeben musste. Schon innerhalb der fünfjährigen Übergangsfrist konnte der Antragsteller verlässliche Planungen dazu anstellen, welche seiner beiden Spielhallen er künftig aufgeben wolle, so dass sich eine Härte aufgrund von Unsicherheiten, ob eine Spielhalle fortbestehen kann, allenfalls für eine verbleibende Spielhalle ergeben kann, die mit weiteren Spielhallen anderer Anbieter in einem Konkurrenzverhältnis steht.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 8.6.2017 – 4 B 307/17 –, NWVBl. 2017, 431 = juris, Rn. 75; OVG Saarl., Beschluss vom 20.12.2018 ‒ 1 B 231/18 ‒, juris, Rn. 77.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Ermessensfehler sind vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Bei der Ermessensentscheidung nicht berücksichtigte Besonderheiten, denen die Antragsgegnerin im Rahmen ihres Ermessens hätte Rechnung tragen müssen, ergeben sich insbesondere nicht daraus, dass das „Auswahlverfahren“ zwischen den beiden Hallen des Antragstellers rechtlich zu beanstanden wäre.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Der geltend gemachte Verstoß gegen das Transparenzgebot ist nicht ansatzweise ersichtlich. Die aus dem allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung folgende Pflicht zur Transparenz ist bei Auswahlentscheidungen heranzuziehen, bei denen angesichts bestimmter objektiver Kriterien ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht. Hier ist den Mitgliedstaaten ein gewisses Ermessen zuzuerkennen, um zur Einhaltung dieser Grundsätze bestimmte Maßnahmen zu erlassen. Die Verpflichtung zur Transparenz soll u. a. die Gefahr willkürlicher Entscheidungen ausschließen.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 16.4.2015 ‒ C-278/14 ‒, VergabeR 2015, 555 = juris, Rn. 16 und 25 ff., m. w. N.; hierzu auch OVG NRW, Beschlüsse vom 8.6.2017 – 4 B 307/17 –, NWVBl. 2017, 431 = juris, Rn. 55 ff., und vom 15.5.2017 ‒ 4 A 1504/15 ‒, NVwZ-RR 2017, 690 = juris, Rn. 26 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit waren hier schon deshalb nicht einschlägig, weil die Antragsgegnerin eine Auswahl nur zwischen zwei Hallen zu treffen hatte, die beide vom Antragsteller betrieben werden. Zudem hatte die Antragsgegnerin dem Antragsteller bereits mit Schreiben vom 23.10.2017 Gelegenheit gegeben mitzuteilen, für welche seiner beiden Spielhallen die Erlaubnis nach § 24 GlüStV erteilt werden sollte. Nachdem der Antragsteller von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hatte, war es gemessen am Zweck der Ermächtigung zur Auswahl nicht ermessensfehlerhaft und rechtsstaatlich unbedenklich, mit Blick auf die räumlichen Gegebenheiten die von der Straße aus besser erkennbare „I.     1“ statt der wirtschaftlich und hinsichtlich der Betriebsabläufe im Wesentlichen vergleichbaren „I.     2“ auszuwählen. Dies gilt umso mehr, nachdem der Antragsteller gegen die ihm hierfür erteilte Erlaubnis nicht mit dem Ziel vorgegangen ist, stattdessen eine Erlaubnis für „I.     2“ zu erhalten.</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Ein Ermessensfehler liegt auch nicht darin, dass die Antragsgegnerin davon ausgegangen ist, sie müsse <span style="text-decoration:underline">vor</span> der Durchführung des Auswahlverfahrens über die Härtefallbefreiung entscheiden. Die Antragsgegnerin hat mit der streitgegenständlichen Verfügung vom 15.2.2018 rechtsfehlerfrei <span style="text-decoration:underline">zugleich</span> über die vom Antragsteller nicht selbst vorgenommene Auswahl und über die von ihm erst am 9.2.2018 erstmals geltend gemachten Härtegründe entschieden sowie eine unbillige Härte zutreffend verneint. Da der Antragsteller nicht über die spätestens nach dem 30.11.2017 erforderlichen glücksspielrechtlichen Erlaubnisse verfügte, hätte er schon zu diesem Zeitpunkt eine jedenfalls materiell-rechtswidrige Spielhalle bereits von sich aus schließen müssen, zumal er insoweit bis zu diesem Zeitpunkt nicht einmal Gründe für eine unbillige Härte benannt hatte. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, weshalb die Antragsgegnerin, die der mehrfachen Bitte des Bevollmächtigten des Antragstellers um Fristverlängerung entsprochen und deshalb erst im Februar 2018 die Auswahl für den Antragsteller vorgenommen hatte, rechtlich daran gehindert gewesen sein könnte, zugleich über den Härteantrag zu entscheiden. Ob im Fall einer (echten) Konkurrenz zu Spielhallen anderer Betreiber etwas anderes gelten könnte, bedarf hier keiner Klärung. Die Auswahl hätte jedenfalls seit dem Erhalt des Schreibens vom 23.10.2017 bis Mitte Februar 2018 vom Antragsteller selbst vorgenommen werden können, weshalb er hinreichend Gelegenheit hatte, sich für den Erhalt der einen oder der anderen I.     einzusetzen. Selbst im Laufe der mit der Rechtsmittelfrist übereinstimmenden Frist für die Schließung der „I.     2“ von einem Monat nach Bekanntgabe hätte der Antragsteller noch geltend machen können, anstelle der Erlaubnis für „I.     1“ eine solche für „I.     2“ erhalten zu wollen. Da ohnehin keine Gründe für eine unbillige Härte gegeben waren, durfte die Antragsgegnerin auch rechtsfehlerfrei zugleich hierüber entscheiden.</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Schon mit Blick auf die großzügige Übergangsfrist von fünf Jahren und die insoweit bestehende Rechtsklarheit, nach ihrem Ablauf bei Fehlen unbilliger Härten jedenfalls eine I.     schließen zu müssen, war auch die dem Antragsteller im Februar 2018 eingeräumte Frist von einem Monat zur Abwicklung der Geschäfte ausreichend, auch wenn er seinen Betrieb nicht ohne erforderliche Erlaubnis neu begonnen hat. Insoweit sind die Erwägungen des Senats, auf die sich der Antragsteller beruft, hier schon deshalb nicht einschlägig, weil die Antragsgegnerin ihr Ermessen ‒ anders als im vom Senat entschiedenen Fall ‒ ordnungsgemäß auch insoweit ausgeübt hat, als sie erwogen hat, durch Gewähren angemessener Fristen keinen vermeidbaren Schaden entstehen zu lassen.</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18.7.2018 – 4 B 179/18 –, NWVBl. 2018, 529 = juris, Rn. 32 ff., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Schließlich ergibt sich nicht schon dadurch eine rechtserhebliche Ungleichbehandlung des Antragstellers, weil die Antragsgegnerin in anderen, weniger klar liegenden, Fällen möglicherweise von der Anordnung der sofortigen Vollziehung absieht. Trotz des umfangreichen Beschwerdevorbringens kann bereits im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes sicher beurteilt werden, dass der Antragsteller den Betrieb einer seiner beiden Spielhallen schon im vergangenen Jahr einzustellen hatte und Gründe für einen weiteren Betrieb ohne Erlaubnis, die er nicht besitzt und die materiell-rechtlich nicht erteilt werden kann, nicht vorliegen. In dem gleichwohl beabsichtigten verbotenen Weiterbetrieb entgegen der gesetzlichen Zielrichtung deutlich über die großzügig gewährten Übergangsfristen und Zeiträume für rechtlich erforderliche Klärungen hinaus, liegt ‒ im Interesse des vom Gesetzgeber angestrebten verbesserten Spielerschutzes ‒ die von der Antragsgegnerin zu verhindernde Gefahr.</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Danach überwiegt das öffentliche Interesse an der Verhinderung der Betriebsführung gegenüber den rechtlich nicht schutzwürdigen gegenläufigen Interessen des Antragstellers an einer vorläufig weiteren Nutzung. Dies gilt umso mehr, nachdem die Antragsgegnerin kürzlich unwidersprochen vorgetragen hat, der Antragsteller betreibe nunmehr beide Spielhallen nicht einmal mehr voneinander getrennt, sondern als Großspielhalle, wobei die höchstzulässige Zahl an Geldspielgeräten überschritten werde.</p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.</p>
|
171,281 | ovgnrw-2019-01-10-1-b-160218 | {
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<p>Die Beschwerde wird zurückgewiesen.</p>
<p>Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme etwaiger außergerichtlicher Kosten des Beigeladenen, der dieser selbst trägt.</p>
<p>Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 12.612,84 Euro und – unter entsprechender Änderung der erstinstanzlichen Festsetzung von Amts wegen – für das erstinstanzliche Verfahren auf 12.588,71 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der Senat ist bei der Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung auf die Prüfung der von dem Rechtmittelführer fristgerecht dargelegten Gründe beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 i. V. m. Satz 1 und 3 VwGO). Die Gründe, die die Antragsgegnerin mit den innerhalb der Begründungsfrist vorgelegten Schriftsätzen vom 25. Oktober 2018 und 14. November 2018 geltend macht, rechtfertigen es nicht, den angefochtenen Beschluss abzuändern und den sinngemäß gestellten Antrag des Antragstellers abzulehnen,</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, die durch Stellenausschreibung Nr. 2017_0486_01 ausgeschriebene, nach A 12 BBesO bewertete Stelle „Sachbearbeiterin/Sachbearbeiter in der Gruppe 'Wertpapierverwaltung (E.          )' (Z 503)“ mit dem Beigeladenen oder einem/einer anderen Bewerber/in zu besetzen und diese/n zu befördern, bis über die Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat seine stattgebende Entscheidung, soweit es um die von der Beschwerde allein thematisierte Frage des Anordnungsanspruchs geht, im Kern wie folgt begründet: Der Antragsteller habe einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Sein Bewerbungsverfahrensanspruch sei durch die getroffene Auswahlentscheidung verletzt. Die Antragsgegnerin sei fehlerhaft von einem Beurteilungsgleichstand der beiden Bewerber ausgegangen und habe ihre Entscheidung auf der Grundlage dieser Annahme zu Unrecht am konkreten Dienstposten orientiert. Ein Beurteilungsgleichstand der Bewerber könne zwar bei Auswertung der aktuellen dienstlichen Beurteilungen angenommen werden, die den Zeitraum vom 1. April 2016 bis zum 31. März 2017 (Regelbeurteilung des Beigeladenen) bzw. bis zum 18. April 2017 (anlassbezogene fiktive Fortschreibung für den Antragsteller) abdeckten. Denn die um einen Punktwert besser ausgefallene Beurteilung des Beigeladenen im rangniedrigeren Amt A 10 BBesO (Gesamtnote „C“, „Die Normalanforderungen werden teilweise übertroffen“) dürfe der im ranghöheren Amt A 11 BBesO erteilten Beurteilung des Antragstellers (Gesamtnote „D“, „Die Normalanforderungen werden voll erfüllt“) ohne Rechtsfehler gleichgestellt werden. Eine Binnendifferenzierung sei beanstandungsfrei unterblieben, da die fiktive Fortschreibung nur eine Gesamtnote ausweise. Bei der anschließenden Berücksichtigung der jeweils den Zeitraum vom 1. April 2015 bis zum 31. März 2016 betreffenden Vorbeurteilungen der Bewerber habe die Antragsgegnerin aber verkannt, dass der Antragsteller grundsätzlich besser beurteilt sei als der Beigeladene. Beide hätten die Gesamtnote „D“ erreicht; der Antragsteller habe aber ein höheres Amt bekleidet (A 11 BBesO) als der Beigeladene (A 10 BBesO). Unabhängig davon sei die Auswahlentscheidung auch deshalb rechtwidrig, weil die beiden dienstlichen Beurteilungen des Antragstellers, die dieser jeweils angefochten habe, fehlerhaft und deswegen neu zu erstellen seien. Die Begründung des Gesamturteils in der Vorbeurteilung genüge nicht den an sie zu stellenden Anforderungen. Denn es werde nicht erläutert, wie sich die hier nach den Beurteilungsrichtlinien unterschiedlichen Bewertungsskalen für die zehn Einzelbewertungen (fünfstufig) und für das Gesamturteil (siebenstufig) zueinander verhielten und wie das Gesamturteil aus den Einzelbewertungen gebildet worden sei. Vor diesem Hintergrund sei auch die fiktive Fortschreibung der Vorbeurteilung rechtswidrig. Die Antragsgegnerin habe ihre Auswahlentscheidung auch nicht auf einen weiteren, auf den konkreten Dienstposten bezogenen Qualifikationsvergleich stützen und maßgeblich auf die Ergebnisse der im Auswahlverfahren bearbeiteten schriftlichen Aufgaben und der durchgeführten strukturierten Interviews abstellen dürfen. Es sei nicht nachvollziehbar dargelegt, dass die Wahrnehmung der Aufgaben des streitigen Dienstpostens zwingend besondere Kenntnisse oder Fähigkeiten voraussetze, die ein Laufbahnbewerber regelmäßig nicht mitbringe und sich in angemessener Zeit und ohne unzumutbare Beeinträchtigung der Aufgabenerledigung auch nicht verschaffen könne. Einziges eindeutig und unschwer feststellbares und damit konstitutives Element in der Stellenausschreibung sei die Eingrenzung des Bewerberkreises auf Beamte des gehobenen Dienstes der Besoldungsgruppen A 10 bis A 12. Bei den übrigen Anforderungen handele es sich demnach allenfalls um Kriterien, die bei gleicher Eignung der Bewerber maßgeblich berücksichtigt werden sollen. Dieses Verständnis liege auch der Auswahlentscheidung zugrunde, weil die Antragsgegnerin auf der Grundlage ihrer fehlerhaften Annahme eines Leistungsgleichstands in Auswertung der im Auswahlverfahren gezeigten Leistungen nur „weniger gute“ fachliche Kenntnisse und Führungskompetenzen des Antragstellers angenommen habe. Auch mit den insoweit behaupteten Defiziten des Antragstellers sei die Zulässigkeit einer an den Anforderungen des Dienstpostens orientierten Auswahlentscheidung nicht dargetan. Da im Ergebnis beide Bewerber den Anforderungskriterien gerecht würden, müsse es hier maßgeblich auf die durch die dienstlichen Beurteilungen ausgewiesenen Abstufungen in der Qualifikation ankommen. Im Falle einer erneuten, rechtsfehlerfreien Auswahlentscheidung sei der Antragsteller auch nicht chancenlos.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Hiergegen macht die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde im Wesentlichen geltend: Ein Anordnungsanspruch sei nicht gegeben. Ihre Auswahlentscheidung sei rechtmäßig. Indem das Verwaltungsgericht implizit einen Beurteilungsvorsprung des Antragstellers (wegen der Vorbeurteilungen) angenommen habe, habe es unzulässig in ihren Beurteilungsspielraum eingegriffen, der ihr bei der Gewichtung der in unterschiedlichen Statusämtern erteilten Beurteilungen zustehe. Sie habe auch in Ansehung der Vorbeurteilungen von einer in etwa vergleichbaren Beurteilungslage ausgehen dürfen, zumal die Vorbeurteilungen nicht mehr aktuell seien und daher ohnehin nur ergänzend herangezogen werden könnten. Es liege im Ermessen bzw. im Beurteilungsspielraum des Dienstherrn, bei einem nach den aktuellen dienstlichen Beurteilungen gegebenen Leistungsgleichstand nicht auf die nicht mehr aktuellen Vorbeurteilungen, sondern sogleich auf das leistungsbezogene, prognostisch wertvolle Erkenntnismittel eines sog. strukturierten Auswahlgesprächs zurückzugreifen, das grundsätzlich die gleiche Aussagekraft habe wie Vorbeurteilungen. Dieser Weg sei im Auswahlvermerk beschritten worden. Die dortige Aussage zu den Vorbeurteilungen, bei der in Bezug auf den Beigeladenen irrtümlich von der Gesamtnote „C“ ausgegangen worden sei, habe die Darstellung nur abrunden sollen und sei nicht in die Bewertung der Beurteilungslage bzw. in den Leistungsvergleich eingeflossen. Das werde durch entsprechende Textpassagen auf Seite 2 des Auswahlvermerks belegt. Die Vorbeurteilung des Antragstellers sei mithin für die Auswahlentscheidung nicht unmittelbar von Belang. Sie sei aber auch nicht wegen ihres Charakters als „Ausgangsbeurteilung“ für die fiktive Fortschreibung – mittelbar – relevant. Denn sie weise keine Fehler auf, die sich auf die fiktive Fortschreibung auswirken könnten. Zum einen (Schriftsatz vom 25. Oktober 2018, Seite 5 f., (1), und Seite 6 f., b)) liege der vom Verwaltungsgericht angenommene Begründungsmangel schon nicht vor. Die Bewertung der Leistungen des Antragstellers mit der mittleren von sieben Rangstufen („D“) sei schon deshalb plausibel und dränge sich auf, weil acht der zehn Einzelmerkmale mit der mittleren Ausprägung benotet worden seien und nur bei zwei Einzelmerkmalen eine lediglich um eine Stufe bessere Note vergeben worden sei. Das gelte, obwohl die Notenskalen unterschiedlich seien, da die damit zu 80 Prozent vergebene Einzelnote „entspricht den Anforderungen in vollem Umfang“ wörtlich der Definition der Gesamtnote „D“ („Die Normalanforderungen werden voll erfüllt“) entspreche. Zudem liege eine kurze, aber ausreichende Begründung vor. Zum anderen (Schriftsatz vom 25. Oktober 2018, Seite 6, (2)) sei der mit dem Begründungserfordernis auch verfolgte Zweck, bei einem späteren Leistungsvergleich eine Ausschärfung vornehmen zu können, hier nicht betroffen. Es sei nicht ersichtlich, dass sich durch eine (nähere) Begründung des Gesamturteils die fiktive Fortschreibung ändern würde, da bei ihr allein auf die Rangstufe (und nicht auf die Bewertung der Einzelkriterien) abgestellt werde. Die prognostische Einschätzung, der Beigeladene sei im Vergleich zum Antragsteller der besser geeignete Bewerber, weil er sich im streng an den Anforderungen der zu besetzenden Stelle orientierten Auswahlverfahren (schriftliche Arbeit, strukturiertes Interview) fachlich besser präsentiert habe, falle in den weiten Beurteilungsspielraum der Antragsgegnerin und sei nicht zu beanstanden.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Auch in Ansehung dieses Beschwerdevorbringens erweist sich die angefochtene Entscheidung nicht als fehlerhaft. Dem Antragsteller steht ein Anordnungsanspruch (vgl. § 123 Abs. 1 und 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO) zu. Die zu seinen Lasten getroffene Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin verletzt seinen aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Anspruch auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Entscheidung über seine Bewerbung (Bewerbungsverfahrensanspruch) (dazu 1.), und seine Auswahl in einem erneuten, rechtsfehlerfreien Auswahlverfahren erscheint zumindest möglich (dazu 2.).</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">1. Der Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragsstellers wird, wie das Verwaltungsgericht selbständig entscheidungstragend angenommen hat, durch die Annahme verletzt, nach den aktuellen dienstlichen Beurteilungen des Antragstellers und des Beigeladenen bestehe ein Leistungsgleichstand. Von einem solchen Gleichstand kann nicht ausgegangen werden, weil (jedenfalls) die insoweit für den Antragsteller in den Vergleich eingestellte „fiktive Beurteilung“ rechtswidrig ist (dazu b)). Diese beruht auf dem nicht hinreichend begründeten Gesamtergebnis der – damit rechtswidrigen – Vorbeurteilung (dazu a)). Vor diesem Hintergrund erweist sich das sonstige Beschwerdevorbringen als nicht erheblich (dazu c)).</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">a) Die dem Antragsteller erteilte Regelbeurteilung vom 17. Mai 2016 (Vorbeurteilung) erweist sich gemessen an den Anforderungen, die an eine hinreichende Begründung solcher dienstlicher Beurteilungen zu stellen sind (dazu aa)), als fehlerhaft. Das in dieser Regelbeurteilung ausgeworfene Gesamturteil ist unzureichend begründet (dazu bb)). Ferner wird ergänzend darauf hingewiesen, dass die Regelbeurteilung auch deshalb fehlerhaft ist, weil das Gesamturteils unter Verstoß gegen Art. 33 Abs. 2 GG anhand eines auch von den Anforderungen des Dienstpostens abhängigen Gewichtungsmaßstabes gebildet worden ist (dazu cc)).</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">aa) Gesamturteil und Einzelbewertungen einer dienstlichen Beurteilung müssen in dem Sinne miteinander übereinstimmen, dass sich das Gesamturteil nachvollziehbar und plausibel aus den Einzelbewertungen herleiten lässt. Dabei steht es im Ermessen des Dienstherrn, festzulegen, welches Gewicht er den einzelnen Merkmalen beimessen will. Das abschließende Gesamturteil darf sich nicht auf die Bildung des arithmetischen Mittels aus den einzelnen Leistungsmerkmalen beschränken. Vielmehr kommt im Gesamturteil die unterschiedliche Bedeutung der Einzelbewertungen durch ihre entsprechende Gewichtung zum Ausdruck. Das abschließende Gesamturteil ist danach durch eine Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen, auf die Bestenauswahl bezogenen Gesichtspunkte zu bilden. Diese Gewichtung bedarf bei sog. Ankreuzbeurteilungen schon deshalb einer Begründung, weil nur so die Einhaltung gleicher Maßstäbe gewährleistet und das Gesamturteil nachvollzogen und einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden kann. Einer – ggf. kurzen – Begründung bedarf es insbesondere dann, wenn die Beurteilungsrichtlinien für die Einzelbewertungen einerseits und für das Gesamturteil andererseits unterschiedliche Bewertungsskalen vorsehen. Denn hier muss erläutert werden, wie sich die unterschiedlichen Bewertungsskalen zueinander verhalten und wie das Gesamturteil aus den Einzelbewertungen gebildet wurde. Im Übrigen sind die Anforderungen an die Begründung für das Gesamturteil umso geringer, je einheitlicher das Leistungsbild bei den Einzelbewertungen ist. Gänzlich entbehrlich ist eine Begründung für das Gesamturteil jedoch nur dann, wenn im konkreten Fall eine andere Note nicht in Betracht kommt, weil sich die vergebene Note – vergleichbar einer Ermessensreduzierung auf Null – geradezu aufdrängt.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 1. März 2018– 2 A 10.17 –, juris, Rn. 42 f., m. w. N., Beschluss vom 21. Dezember 2016 – 2 VR 1.16 –, juris, Rn. 39, und Urteil vom 17. September 2015 – 2 C 13.14 –, juris, Rn. 26 bis 31, sowie OVG NRW, Urteil vom 17. August 2018 – 1 A 379/17 –, juris, Rn. 79, und Beschluss vom 5. September 2017 – 1 B 498/17 –, juris, Rn. 33 bis 42.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">bb) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist das in der Vorbeurteilung des Antragstellers ausgeworfene Gesamturteil unzureichend begründet.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Diese Bewertung beruht nicht schon darauf, dass die Vorgaben fehlerhaft wären, die die seit dem 1. Mai 2010 geltenden „Richtlinien für die Beurteilung der Angehörigen der Deutschen Bundesbank“ (im Folgenden: BRL) zur „Gesamtbeurteilung“ (Nr. 7.3 BRL) machen. Diese Vorgaben erlauben es vielmehr, den o. g. Anforderungen zu entsprechen. Nach Nr. 7.3 Satz 1 BRL ist die Beurteilung mit einer (schriftlichen, vgl. insbesondere den Beurteilungsvordruck nach Nr. 7.1 BRL) zusammenfassenden Würdigung von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung abzuschließen, der sich ausweislich des Beurteilungsvordrucks das nach Nr. 7.3 Satz 3 BRL einer der sieben Rangstufen („A“ bis „“G“) zuzuordnende Gesamturteil anschließt. Grundlage der zusammenfassenden Würdigung (und des vergebenen Gesamturteils) sind die Bewertungen der einzelnen, im Ankreuzverfahren nach einer fünfstufigen Bewertungsskala benoteten Merkmale aus der Leistungs- und Potenzialbeurteilung, ihre Gewichtung und ergänzend das Gesamtbild von Leistung und Verhalten (vgl. Nr. 7.1, 7.2 und 7.3 Satz 2 BRL). Die Beurteilungsrichtlinien bestimmen allerdings nicht, nach welchem Maßstab die Einzelbewertungen in ein Gesamturteil „übersetzt“ werden.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die in der Vorbeurteilung des Antragstellers erfolgte schriftliche zusammenfassende Würdigung, die die Vergabe eines Gesamturteils der mittleren Rangstufe „D – Die Normalanforderungen werden voll erfüllt“ plausibel aus der Bewertung der einzelnen Leistungs- und Potenzialmerkmale ableiten soll, stellt nur eine Scheinbegründung dar und genügt daher den o. g. Begründungsanforderungen ersichtlich nicht. Sie lautet:</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">„Herr X.    ist fachlich ein zentraler Keyplayer in der Arbeitseinheit. In seiner strukturierten, analytischen und zielgerichteten Arbeitsweise ist er in der Lage auch komplexe Aufgabenstellungen zu bearbeiten. Neuen Aufgaben gegenüber ist er jederzeit aufgeschlossen. Sein sehr gutes Querschnittswissen in der IT setzt er nutzbringend zur Unterstützung der Aufgabenerfüllung des Teams ein. Herr X.    erfüllt damit insgesamt die mit der Beförderung nach A 11 gestiegenen Anforderungen in vollem Umfang.“</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Der letzte Satz enthält lediglich eine zum vergebenen Gesamturteil passende Behauptung. Aus welchen Gründen die vergebenen Einzelbewertungen und ergänzend das Gesamtbild von Leistung und Verhalten zu dem zuerkannten Gesamturteil geführt haben, wird dagegen nicht erläutert. Die vorangehenden Sätze stellen nur die gesehenen Leistungen bzw. das erkannte Potenzial des Antragstellers auszugsweise dar; eine Gewichtung findet auch hier nicht statt.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Eine Begründung des Gesamturteils war entgegen dem Beschwerdevorbringen auch nicht deshalb ausnahmsweise entbehrlich, weil sich die Vergabe der zuerkannten Gesamtnote – vergleichbar einer Ermessensreduzierung auf Null – geradezu aufdrängt. Letzteres kann hier nicht zugrunde gelegt werden. Der Antragsteller hat in Bezug auf die für ihn bewerteten 10 Leistungsmerkmale achtmal die mittlere Note „entspricht den Anforderungen in vollem Umfang“ und zweimal die zweitbeste Note „übertrifft die Anforderungen“ erhalten. Vier der fünf Potenzialmerkmale sind mit der mittleren Note „erkennbar ausgeprägt“ benotet worden, und das Merkmal „analytische und konzeptionelle Fähigkeiten“ ist mit der zweitbesten Note „deutlich ausgeprägt“ bewertet worden. Vor diesem Hintergrund mag es sein, dass die Einzelbewertungen ungeachtet der Unzulässigkeit einer rein arithmetischen Betrachtung in ihrer Summe eine deutliche Tendenz zu der jeweiligen mittleren <span style="text-decoration:underline">Einzel</span>notenstufe aufweisen. Daraus ergibt sich jedoch keinesfalls zwingend (im Sinne einer Ermessensreduzierung auf Null) die Vergabe der mittleren <span style="text-decoration:underline">Gesamt</span>note „D“. Zwar entspricht deren textliche Definition („Die Normalanforderungen werden voll erfüllt“) in etwa der für die Bewertung der Einzelleistungen geltenden mittleren Note („entspricht den Anforderungen in vollem Umfang“). Zu berücksichtigen ist aber, dass die Antragsgegnerin insoweit unterschiedliche Bewertungsskalen verwendet. Es bedarf daher schon generell der Erläuterung, in welchem Verhältnis die Noten für die Einzelmerkmale zu den Noten für das Gesamturteil stehen. Insoweit sind verschiedene „Übersetzungs“-Modelle denkbar. Folgt man etwa dem an der textlichen Beschreibung haftenden Modell der Antragsgegnerin, können die Noten “C“ bis „A“, die sämtlich ein bestimmtes Übertreffen der Normalanforderungen verlangen, nur vergeben werden, wenn der Beamte bei den Einzelmerkmalen überwiegend oder immer eine der beiden textlich korrespondieren besten Noten („übertrifft die Anforderungen“ bzw. „übertrifft die Anforderungen in besonderem Maße“) erhalten hat. Ohne weiteres möglich (und grundsätzlich näherliegend) ist aber auch ein Modell mit einer von der mittleren Notenstufe „D“ ausgehenden symmetrischen, fächerartigen Spreizung, bei der (idealtypisch) z. B. eine Bewertung der Einzelmerkmale ausschließlich mit der zweitbesten Note zu einer Benotung führt, die bereits zwischen den Gesamtnoten „C“ und „B“ liegt. Hier würden Einzelbewertungen, wie sie der Antragsteller erhalten hat (mittlere Note zu 80 Prozent, zweitbeste Note zu 20 Prozent), zwar im Gesamturteil noch etwas näher an der Note „D“ als an der Note „C“ liegen. Fällt jedoch die von den Beurteilungsrichtlinien vorgeschriebene ergänzende Betrachtung des Gesamtbildes von Leistung und Verhalten besser als das Notenbild aus, könnten die Beurteilenden (Berichtsverfasser und Schlusszeichner) durchaus schon die Gesamtnote „C“ vergeben.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">cc) Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Regelbeurteilung auch deshalb fehlerhaft ist, weil der Bildung des Gesamturteils unter Verstoß gegen Art. 33 Abs. 2 GG ein auch von den Anforderungen des Dienstpostens abhängiger Gewichtungsmaßstab zugrunde gelegt worden ist. In der Leistungsbeurteilung sind – richtlinienkonform (vgl. Nr. 7.2.4 BRL) – vier der insgesamt zehn Einzelkriterien durch Ankreuzen als für den Arbeitsplatz bzw. als – so die Formulierung in Nr. 7.2.4 BRL – für die Erfüllung der übertragenen Aufgaben besonders wichtig gekennzeichnet worden. Eine solche einzelfall- und dienstpostenbezogene Gewichtung der Einzelmerkmale verstößt gegen die aus Art. 33 Abs. 2 GG abzuleitende Verpflichtung des Dienstherrn, bei der dienstlichen Beurteilung die gezeigten Leistungen einheitlich allein am Maßstab des jeweiligen Statusamtes des zu beurteilenden Beamten zu messen.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Näher hierzu und m. w. N.: Senatsurteil vom 17. August 2018 – 1 A 379/17 –, juris, Rn. 95, 101 ff.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">b) Die Rechtswidrigkeit der Vorbeurteilung des Antragstellers hat die Rechtswidrigkeit der „fiktiven Beurteilung“ vom 18. Mai 2017 zur Folge. Letzterer liegt die Bildung einer Vergleichsgruppe aus Beamten zugrunde, die zum Beurteilungsstichtag 1. April 2016 mit der Rangstufe „D“ beurteilt worden waren (vgl. die entsprechenden Erläuterungen der Antragstellerin im Schriftsatz vom 26. Oktober 2017, S. 3 bis 5). Ob dies die zutreffende Vergleichsgruppe ist, ist offen, weil es – wie bereits ausgeführt – möglich ist, dass die Beurteilenden im Falle rechtsfehlerfreier Neuerstellung der Vorbeurteilung des Antragstellers die Gesamtnote „C“ vergeben.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">c) Mit Blick auf das Vorstehende kommt es nicht mehr auf das Beschwerdevorbringen zu der – in Auswertung des (allerdings wenig klaren) Auswahlvermerks im Ergebnis wohl zu bejahenden – Frage an, ob die Antragsgegnerin ihre Auswahlentscheidung in der (hier nicht zugrunde zu legenden, s. o.) Annahme eines nach den aktuellen Beurteilungen gegebenen Leistungsgleichstandes unter Auslassung eines Vergleichs anhand der Vorbeurteilungen sogleich auf die Ergebnisse der schriftlichen Ausarbeitungen und der strukturierten Interviews gestützt hat. Ebenso ist hier die sich anschließende, vom Senat bislang nicht entschiedene rechtliche Frage ohne Bedeutung, ob ein solches Vorgehen grundsätzlich zulässig ist.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Bejahend OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 29. Mai 2018 – OVG 10 S 66.16 –, juris, Rn. 17 bis 19, m. w. N., und Nds. OVG, Beschluss vom 21. Februar 2007 – 5 LA 171/06 –, juris, Rn. 15 f. und 18 (Gleichrangigkeit der im Falle eines nach Auswertung der aktuellen dienstlichen Beurteilungen gegebenen Leistungsgleichstands in Betracht kommenden ergänzenden, jeweils leistungsbezogenen Kriterien der Ergebnisse früherer dienstlicher Beurteilungen einerseits und der Resultate von Vorstellungsgesprächen oder Auswahlverfahren mit Elementen eines Assessment-Centers andererseits); a. A. Hoffmann, A., in: Schütz/Maiwald, Stand: Dezember 2018, LBG NRW 2016 § 19 Rn. 40 a. E. und Rn. 67 f., wonach das Ergebnis von Assessment-Centern o. ä. als Hilfskriterium (Rn. 40) bzw. als leistungsbezogene, aber nachrangige Erkenntnisquelle (Rn. 67 f.) erst nach einer Auswertung früherer dienstlicher Beurteilungen herangezogen werden darf.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">2. Die Auswahl des Antragstellers bei einer erneuten, rechtsfehlerfreien Auswahlentscheidung erscheint bei der gebotenen wertenden Betrachtung der Umstände des Einzelfalls zumindest möglich.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Zu diesem Erfordernis näher: Senatsbeschluss vom 23. Mai 2017 – 1 B 99/17 –, juris, Rn. 9 bis 13, m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller kann im Konkurrenzverhältnis zu dem Beigeladenen nicht als chancenlos eingestuft werden. Nach dem Vorstehenden kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Antragsteller bei rechtsfehlerfreier fiktiver Fortschreibung der Vorbeurteilung die Gesamtnote „C“ erhält. Der Antragsteller wäre dann, obwohl die zu vergleichenden Gesamturteile beide auf „C“ lauten würden, aktuell besser beurteilt als der im Statusamt A 10 BBesO beurteilte Beigeladene, weil seine Leistungen an den höheren Anforderungen des Statusamtes A 11 BBesO gemessen werden. Bei– wie hier – formal gleichlautenden Gesamturteilen ist die Beurteilung des Beamten im höheren Statusamt grundsätzlich besser als die Beurteilung eines Konkurrenten im niedrigeren Statusamt.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Hierzu und zu möglichen Ausnahmen von diesem Grundsatz vgl. zuletzt den Senatsbeschluss vom 7. Januar 2019 – 1 B 1792/18 –, BA S. 4 bis 6, demnächst in juris.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit, die etwaigen außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, weil dieser im Beschwerdeverfahren keinen Antrag gestellt hat und damit kein Kostenrisiko eingegangen ist. Im Übrigen steht der Beigeladene auf der Seite der unterlegenen Antragsgegnerin.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Die Festsetzung des Streitwerts für das erstinstanzliche Verfahren, welche der Senat in Anwendung der Regelung des § 63 Abs. 3 GKG unter Änderung der erstinstanzlichen Festsetzung (Wertstufe bis 16.000,00 Euro) vornimmt, beruht auf den §§ 40, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG sowie § 52 Abs. 1 i. V. m. Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 bis 4 GKG. Auszugehen ist nach diesen Vorschriften von dem Jahresbetrag (§ 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 GKG) der Bezüge, die dem jeweiligen Antragsteller nach Maßgabe des im Zeitpunkt der Antragstellung bekanntgemachten, für Bundesbeamte geltenden Besoldungsrechts unter Zugrundelegung der jeweiligen Erfahrungsstufe fiktiv für das angestrebte Amt im Kalenderjahr der Antragstellung zu zahlen sind. Nicht zu berücksichtigen sind dabei die nach § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 und Satz 3 GKG ausgenommenen Besoldungsbestandteile. Der nach diesen Maßgaben zu bestimmende Jahresbetrag ist wegen § 52 Abs. 6 Satz 4 GKG und wegen der im Eilverfahren nur begehrten vorläufigen Sicherung auf ein Viertel zu reduzieren. Der nach den vorstehenden Grundsätzen zu ermittelnde Jahresbetrag beläuft sich hier angesichts des angestrebten Amtes der Besoldungsgruppe A 12 BBesO und bei Zugrundelegung der Erfahrungsstufe 4 (vgl. den Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 13. November 2018) für das maßgebliche Jahr 2017 auf 50.354,83 Euro (Januar 2017: 4.107,75 Euro, für die übrigen 11 Monate jeweils 4.204,28 Euro = 46.247,08 Euro). Nicht einzustellen in die Berechnung dieses Betrages ist eine „Jahressonderzahlung“ von 3.286,20 Euro, die der Antragsteller nach der Mitteilung der Antragsgegnerin in dem vor dem Senat geführten Verfahren 1 E 432/17 im Jahre 2016 erhalten haben soll (dortiger Schriftsatz vom 8. Juni 2017) und die das Verwaltungsgericht bei seiner Streitwertfestsetzung berücksichtigt hat. Denn eine solche oder eine vergleichbare Zahlung außerhalb der monatlichen Tabellenbezüge sehen die auf den Antragsteller anzuwendenden besoldungsrechtlichen Regelungen schon seit 2009 nicht mehr vor (vgl. insoweit auch den Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 13. November 2018). Die angesprochene „Jahressonderzahlung“ dürfte tatsächlich vielmehr die Jahressumme der nicht ruhegehaltfähigen, monatlich gezahlten Bankzulage (gewesen) sein. Die Division des o. g. Jahresbetrages mit dem Faktor 4 führt auf den im Tenor festgesetzten Streitwert von 12.588,71 Euro.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf den vorzitierten, die erstinstanzliche Festsetzung betreffenden Vorschriften sowie zusätzlich auf § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG. Der danach zu ermittelnde, auf das Jahr der Beschwerdeerhebung (2018) zu beziehende Vierteljahresbetrag der fiktiv zu zahlenden Bezüge nach A 12 BBesO, Erfahrungsstufe 4, beläuft sich auf den im Tenor festgesetzten Betrag von 12.612,84 Euro (4.204,28 Euro x 3). Bei der Berechnung der Jahresbezüge kann noch nicht auf das Monatsgehalt abgestellt werden, das nach dem Bundesbesoldungs- und ‑versorgungsanpassungsgesetz 2018/2019/2020 vom 8. November 2018 rückwirkend ab dem 1. März 2018 gilt. Denn dieses Gesetz war zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung am 29. Oktober 2018 noch nicht im Bundesgesetzblatt veröffentlicht; dies ist erst am 13. November 2018 geschehen (BGBl. I S. 1810).</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung nach den §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG und im Übrigen gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.</p>
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<p>Der Antrag wird auf Kosten des Klägers abgelehnt.</p>
<p>Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 3.619,42 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der auf die Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 5 VwGO gestützte Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO innerhalb der Begründungsfrist dargelegt ist und vorliegt. „Darlegen“ i. S. v. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO bedeutet, unter konkreter Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil fallbezogen zu erläutern, weshalb die Voraussetzungen des jeweils geltend gemachten Zulassungsgrundes im Streitfall vorliegen sollen. Die Zulassungsbegründung soll es dem Oberverwaltungsgericht ermöglichen, die Zulassungsfrage allein auf ihrer Grundlage zu beurteilen, also ohne weitere aufwändige Ermittlungen.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Hiervon ausgehend rechtfertigt das Zulassungsvorbringen die begehrte Zulassung der Berufung aus keinem der geltend gemachten Zulassungsgründe. Soweit es den Anforderungen an eine hinreichende Darlegung genügt, greift es in der Sache nicht durch.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">1. Die Berufung kann zunächst nicht wegen der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen werden. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner die Klage abweisenden Entscheidung ausgeführt: Die Klage gegen den Widerruf der Bankzulage, die nach deren (rückwirkender) Wiedergewährung ab dem 1. Februar 2018 noch den Widerrufszeitraum vom 24. November 2016 bis zum 31. Januar 2018 betreffe, sei unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 22. November 2016 in der Gestalt deren Widerspruchsbescheides vom 4. April 2017 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Zutreffend habe die Beklagte den Widerruf auf § 31 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 Buchstabe b) BBankG i. V. m § 2 Abs. 2 Satz 2 BBankPersV gestützt. Wegen der weiteren Begründung nehme das Gericht auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid Bezug und sehe von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Die Einwendungen des Klägers im Klageverfahren führten zu keiner anderen rechtlichen Bewertung. Insbesondere sei der Widerruf nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil die längerfristige Erkrankung des Klägers ab dem 4. Januar 2016 kausal auf ein Fehlverhalten der Beklagten zurückzuführen wäre. Zweifelhaft sei schon, ob im Zusammenhang mit der Einleitung und Durchführung des gegen den Kläger gerichteten Beschwerdeverfahrens nach dem AGG überhaupt ein Fehlverhalten bzw. eine Verletzung der Fürsorgepflicht vorliege. Ungeachtet dessen sei jedenfalls eine solche (psychische) Erkrankung des Klägers, die zu den für die Widerrufsentscheidung maßgeblichen erheblichen Fehlzeiten geführt hätte und auf ein Verhalten der Beklagten zurückzuführen wäre, nicht dargetan. Den vom Kläger herangezogenen ärztlichen Stellungnahmen bzw. Attesten vom 21. bzw. 28. Juni 2017 fehle schon jegliche bzw. hinreichende Aussagekraft. Auch aus den amtsärztlichen Mitteilungen vom 9. September 2016 und vom 9. Dezember 2016 ergebe sich keine psychische Erkrankung, die für die langen Fehlzeiten ursächlich gewesen bzw. auf ein Fehlverhalten der Beklagten zurückzuführen wäre. Auch sonst seien keine Ermessensfehler ersichtlich.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die insoweit (auch unter Zuordnung zu den anderen geltend gemachten Zulassungsgründen) geäußerten Zweifel im o. g. Sinne liegen nicht vor.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">a) Der Kläger wendet sich zunächst gegen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, es sei bereits zweifelhaft, dass sich die im anwaltlichen Schreiben vom 5. Mai 2016 dargelegten, das Verhalten der Beklagten im Zusammenhang mit dem AGG-Verfahren betreffenden Vorwürfe gegenüber der Beklagten überhaupt verifizieren lassen (Schriftsatz vom 19. November 2018, S. 2 bis 5 sowie die weiteren Ausführungen unter dem Gliederungspunkt 4.). Er trägt vor: Das Verwaltungsgericht habe insoweit den einschlägigen Schriftverkehr und namentlich das erwähnte anwaltliche Schreiben unzureichend und einseitig gewürdigt. Das werde schon durch die Formulierung „es erscheint bereits zweifelhaft“ belegt, die eine Beweisaufnahme nicht beenden könne und (auch) das Vorliegen eines Verfahrensmangels begründe. Das die Vorwürfe der Frau L.         (jetzt: C.     ) gegen den Kläger betreffende AGG-Verfahren habe mangels Beschwerdeberechtigung schon nicht eingeleitet werden dürfen und sei intransparent und unfair geführt worden. Die Beklagte habe auch auf Beschwerden des Klägers keine Abhilfe geschaffen.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Dieses Vorbringen kann das Vorliegen ernstlicher Zweifel i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO oder eines „Verfahrensfehlers“ schon deshalb nicht aufzeigen, weil die insoweit gerügten Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht entscheidungstragend sind. Sie betreffen, nachdem das Gericht durch Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid das Vorliegen eines Widerrufstatbestandes bejaht und die dortige Ermessensausübung unbeanstandet gelassen hat, den im Klageverfahren erhobenen Einwand des Klägers, seine monatelange Erkrankung sei auf ein Fehlverhalten der Beklagten im Zusammenhang mit der AGG-Beschwerde zurückzuführen (UA S. 5, vorletzter Absatz). Diesen Einwand hat das Verwaltungsgericht nicht mit seinen gerügten Erwägungen zur Frage eines Fehlverhaltens der Beklagten zurückgewiesen. Diese Bewertung ergibt sich schon aus dem Umstand, dass das Gericht das Vorliegen eines Fehlverhaltens der Beklagten im Zusammenhang mit der Sachbehandlung des AGG-Verfahrens nur bezweifelt, sich insoweit aber gerade nicht festgelegt hat (UA S. 5 f.). Klar bestätigt wird sie durch die sich im Urteil unmittelbar anschließenden Ausführungen, dass „ungeachtet der vorangegangenen Frage einer fehlerhaften Sachbehandlung durch die Beklagte (…) <strong>jedenfalls</strong>“ (Hervorhebung durch den Senat) eine für die erheblichen Fehlzeiten ursächliche und auf ein Verhalten der Beklagten zurückzuführende (psychische) Erkrankung nicht dargetan sei.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">b) Gegen die vorgenannte, die Zurückweisung des fraglichen Einwands des Klägers allein tragende Erwägung macht dieser im Zulassungsverfahren das Folgende geltend: Auch diese Würdigung sei nicht zutreffend. Mit den eingereichten beiden ärztlichen Stellungnahmen seien seine schwere Erkrankung und die Mitursächlichkeit des Verhaltens der Beklagte für diese Erkrankung nachgewiesen, zumal seine Ärzte wegen seiner langjährigen Behandlung insoweit über bessere Erkenntnisse verfügten als die Amtsärztin. Beide Stellungnahmen hätten knapp ausfallen dürfen, da die Ärzte durch das jeweilige Anschreiben instruiert worden seien. Die Bewertung, der Stellungnahme des Dr. H.          komme keine Aussagekraft zu, sei unverständlich. Zudem habe das Verwaltungsgericht die im amtsärztlichen Gutachten vom 9. September 2016 auf dessen Seite 2 fettgedruckte Äußerung übergangen. Die weiteren Aussagen des Gutachtens (zur sofortigen Dienstfähigkeit des Klägers) seien durch die besonders gewichtigen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen widerlegt. Mit Schriftsatz vom 6. Januar 2018 macht der Kläger außerhalb der Zulassungsbegründungsfrist insoweit „ergänzend“ noch geltend, dass ein Arzt zwar nicht „Mobbing“ bescheinigen, wohl aber fachlich die Glaubhaftigkeit von Konfliktschilderungen bewerten und die (Mit-) Ursächlichkeit des Konflikts für die bestehende Erkrankung feststellen könne.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Das alles greift nicht durch.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Soweit das Zulassungsvorbringen die Stellungnahme eines Arztes/einer Ärztin der „Hausarztpraxis T.      “ vom 28. Juni 2017 betrifft, fehlt es bereits an einer hinreichenden Darlegung im o. g. Sinne. Der Kläger setzt sich nämlich nicht einmal ansatzweise mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts auseinander, dass– erstens – schon keine konkrete Erkrankung diagnostiziert werde und dass– zweitens – die gemachten Angaben auch unter Berücksichtigung des zugrunde liegenden Fragenkatalogs viel zu allgemein seien, um den behaupteten Kausalzusammenhang zwischen dem der Beklagten vorgeworfenen Verhalten und der geltend gemachten Erkrankung zu belegen. Unabhängig davon erweisen sich diese Erwägungen auch im Lichte des Zulassungsvorbringens als zutreffend. Auf die Frage nach den Feststellungen und Diagnosen (Frage 3.1) ist lediglich ausgeführt: „Konfliktsituationen am Arbeitsplatz. Der Patient leidet an Magenschmerzen, Übelkeit, innerliche Unruhe und Schlafstörungen“. Aus dieser Äußerung ergibt sich nicht die Diagnose einer (im Übrigen auch mit der Zulassungsbegründung, in der nur von„einer manifesten psychischen Erkrankung“ die Rede ist, nicht benannten) konkreten Erkrankung. Die Äußerung differenziert schon nicht nach Feststellungen und Diagnosen, führt keine bestimmte (psychische) Krankheit an, enthält keine Codierung nach ICD-10 und gibt daher in der Summe nur ein beschriebenes komplexes Beschwerdebild wieder. Ist schon keine bestimmte Diagnose gestellt, so fehlt es für den in der Stellungnahme behaupteten ursächlichen Zusammenhang „mit den Vorgängen am Arbeitsplatz“ an einem klaren Bezugsobjekt. Vor diesem Hintergrund ist es ohne Bedeutung, dass der Hausarzt/die Hausärztin die Schilderung des Klägers „zum Arbeitsplatzkonflikt für stimmig und plausibel“ gehalten hat. Aus demselben Grund ist auch das als „ergänzend“ bezeichnete, in Wirklichkeit aber neue, nicht fristgerecht vorgelegte und daher ohnehin nicht berücksichtigungsfähige Zulassungsvorbringen nicht erheblich, nach dem eine solche Einschätzung der Glaubhaftigkeit fachlich möglich sein soll. Dieses Zulassungsvorbringen krankt im Übrigen auch daran, dass nicht dargelegt ist, dass und warum eine solche fachliche Befähigung auch bei einem (hier in Rede stehenden) Facharzt für Allgemeinmedizin angenommen werden können soll.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Die Bewertung des Verwaltungsgerichts, die ärztliche Bescheinigung des Dr. H.          (Arzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Psychotherapie, Homöopathie, Akupunktur, Naturheilverfahren) besitze für die in Rede stehende Frage keinerlei Aussagekraft, ist keinen ernstlichen Zweifeln i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ausgesetzt. Dr. H.          hat auf die Anfrage des Klägers lediglich einen Ausdruck der Ergebnisse seiner (offenbar einmaligen) Untersuchung vom 10. Februar 2016 übersandt. Danach hat er neben einigen weiteren HNO-Befunden nur ein Tinnitusleiden diagnostiziert, unter dem der Kläger allerdings nach eigenen Angaben bereits seit einigen Jahren (!) ab und an leide, und die Klagen des Klägers über ein Mobbing am Arbeitsplatz ohne eigene ärztliche Bewertung wiedergegeben. In psychischer Hinsicht hat er – als Arzt für Psychotherapie fachlich kompetent – nur einen Verdacht auf eine psychosomatische Belastungsreaktion geäußert und ferner ausdrücklich festgehalten, dass kein Hinweis auf eine akute psychische Dekompensation vorliege.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Annahme des Verwaltungsgerichts, eine für die erheblichen Fehlzeiten ursächliche und auf ein Verhalten der Beklagten zurückzuführende (psychische) Erkrankung sei nicht dargetan, wird auch nicht durch den Hinweis auf die fettgedruckte Passage in der amtsärztlichen Mitteilung vom 9. September 2016 schlüssig in Frage gestellt. Danach litt der Kläger „vorwiegend an einem komplexen psychosomatischen Beschwerdebild“ und war es „zu einem depressiven Erleben mit Nervosität und innerer Anspannung“ gekommen. Die Symptomatik sei „nach Aussage des Betroffenen ausschließlich im Zusammenhang mit einer beruflichen Belastungssituation zu sehen, die massiv kränkend und entwertend erlebt“ worden sei und sich seit zwei Jahren entwickelt habe. Die die Frage der Ursachen betreffende Äußerung enthält sich einer eigenen Bewertung und gibt nur die Meinung des Klägers wieder („nach Aussage des Betroffenen“). Die Darstellung der Beschwerden bleibt unterhalb der Schwelle der Diagnose einer konkreten (psychischen) Erkrankung. Bekräftigt wird dieser Befund durch die weitere – schon vom Verwaltungsgericht hervorgehobene – Äußerung der Amtsärztin, der Kläger sei „derzeit in der Lage, in dem jetzigen Aufgabenbereich uneingeschränkt Dienst zu verrichten“. Dieser Äußerung, die die Amtsärztin im Gefolge ihrer weiteren Mitteilung vom 9. Dezember 2016 gegenüber der Beklagten (nicht: gegenüber dem Verwaltungsgericht) telefonisch noch einmal bekräftigt hat (vgl. UA S. 7, Ende des zweiten Absatzes), wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Kläger auch nach den amtsärztlichen Untersuchungen weiter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt hat und dem Dienst ferngeblieben ist. Denn solche nicht mit einer Begründung zu versehenden privatärztlichen Bescheinigungen geben von vornherein keinen Anlass, von einer nicht in sonstiger Weise in Frage gestellten medizinischen Beurteilung eines Amtsarztes abzuweichen bzw. diese auch nur zu überprüfen.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Zu den Voraussetzungen, unter denen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren der medizinischen Beurteilung eines Amtsarztes Vorrang vor der abweichenden Beurteilung des behandelnden Privatarztes zukommt, vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 – 2 C 22.13 –, juris, Rn. 20, sowie Beschlüsse vom 11. Juni 2014 – 2 B 3.13 –, juris, Rn. 18 f., und vom 28. Dezember 2012 – 2 B 105.11 –, juris, Rn. 8.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">2. Die Berufung kann auch nicht nach §124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zugelassen werden. Danach ist die Berufung zuzulassen, wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Damit sind Verstöße gegen Vorschriften gemeint, die den Verfahrensablauf bzw. den Weg zu dem Urteil und die Art und Weise des Urteilserlasses regeln. Nicht erfasst sind hingegen Verstöße gegen Vorschriften, die den Urteilsinhalt betreffen und deren Verletzung sich als Mangel der sachlichen Entscheidung darstellt. Ein Verfahrensmangel ist nur dann ausreichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2017 – 5 B 10.17 –, juris, Rn. 19, m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Daran gemessen kommt die Zulassung der Berufung nicht in Betracht.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">a) Der Kläger macht zunächst geltend, das Verwaltungsgericht habe den hier bereits weiter oben angeführten fettgedruckten Passus aus der amtsärztlichen Mitteilung vom 9. September 2016 „übergangen“. Hiermit ist schon deshalb kein Verfahrensfehler dargelegt, weil keine Vorschrift des Prozessrechts bezeichnet wird, gegen die ein Verstoß vorliegen soll. Der Sache nach will der Kläger insoweit wohl einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) rügen, nach dem es Sache des Tatsachengerichts ist, sich im Wege der freien Beweiswürdigung eine Überzeugung von dem entscheidungserheblichen Sachverhalt zu bilden.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Die Grundsätze der Beweiswürdigung sind rechtsmittelrechtlich grundsätzlich dem sachlichen Recht zuzuordnen. Deshalb ist die Einhaltung der aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO folgenden Verpflichtung nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter eine aus seiner Sicht fehlerhafte Verwertung des vorliegenden Tatsachenmaterials rügt, aus dem er andere Schlüsse ziehen will als die angefochtene Entscheidung. Denn damit wird ein – angeblicher – Mangel in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung angesprochen, der die Annahme eines Verfahrensmangels im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO grundsätzlich nicht rechtfertigen kann.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 20. Dezember 2017 – 5 B 10.17 –, juris, Rn. 22, und vom 12. Januar 2009 – 5 B 48.08 –, juris, Rn. 6, jeweils m. w. N.; ferner etwa Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 189 f.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann aber insbesondere dann einen Verfahrensfehler begründen, wenn das angegriffene Urteil von einem falschen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, also etwa entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder auf einer aktenwidrigen Tatsachengrundlage basiert. Das Gericht darf nicht in der Weise verfahren, dass es einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen oder Beweisergebnisse nicht in die rechtliche Würdigung einbezieht, insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen. In solchen Fällen fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts, auch wenn die darauf basierende rechtliche Würdigung als solche nicht zu beanstanden ist. In Bezug auf das Ergebnis der tatrichterlichen Beweiswürdigung selbst ist nur zu prüfen, ob es gegen allgemeine Grundsätze der Sachverhalts- und Beweiswürdigung (insbesondere gegen gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze) verstößt oder gedankliche Brüche und Widersprüche enthält.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 20. Dezember 2017 – 5 B 10.17 –, juris, Rn. 22, und vom 23. Dezember 2015 – 2 B 40.14 –, juris, Rn. 53, jeweils m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Ein solcher verfahrensrechtlich relevanter Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist hier nicht gegeben. Der Kläger hat schon nicht hinreichend dargelegt, dass das Verwaltungsgericht – insoweit allein in Betracht kommend – entscheidungserheblichen Akteninhalt übergangen hat oder diesen unter Verstoß gegen allgemeine Grundsätze der Sachverhalts- und Beweiswürdigung bewertet hat. Unabhängig davon ist ein solches Verhalten des Verwaltungsgerichts aber auch nicht erkennbar. Zur Begründung wird auf die obigen Ausführungen (Gliederungspunkt 1. b)) Bezug genommen, nach denen die erfolgte Würdigung des fraglichen Passus durch das Verwaltungsgericht nicht auf die Annahme ernstlicher Zweifel i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO führt.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">b) Der Kläger rügt ferner, das Verwaltungsgericht hätte Beweis erheben bzw. weitere Nachforschungen anstellen müssen (Schriftsatz vom 19. November 2018, Seite 5 und 6). Angesichts seiner Zweifel an den Äußerungen der beiden Privatärzte, die einen deutlich weiteren Zeitraum beleuchteten und eine deutlich bessere Übersicht als die Amtsärztin hätten, hätte es diese Ärzte zu der Behauptung des Klägers befragen müssen, die manifeste psychische Erkrankung sei durch die „wahrheitswidrigen Behauptungen der Frau C.     und die unterlassene Hilfeleistung der Beklagten“ herbeigeführt worden.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Mit diesem Vortrag rügt der Kläger der Sache nach, das Verwaltungsgericht sei gehalten gewesen, vor der erfolgten Entscheidung ohne mündliche Verhandlung über die entsprechenden Beweisantritte im Schriftsatz des Klägers vom 13. Juli 2017 durch Beschluss zu entscheiden. Diese Rüge greift ungeachtet der Frage ihrer hinreichenden Darlegung der Sache nach nicht durch. Die Pflicht zur Vorabentscheidung gemäß § 86 Abs. 2 VwGO gilt im Grundsatz nur für in der mündlichen Verhandlung gestellte unbedingte Beweisanträge, nicht dagegen für (nur) in vorbereitenden Schriftsätzen angekündigte Beweisanträge. Verzichtet ein Beteiligter nach schriftsätzlicher Ankündigung eines Beweisantrages auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO), so hat er sich der Möglichkeit begeben, den Anspruch auf Vorabentscheidung aus § 86 Abs. 2 VwGO geltend zu machen.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10. August 2016– 1 A 429/15 –, juris, Rn. 3 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">So liegt der Fall hier. Der Kläger hat auf die Anfrage des Verwaltungsgerichts vom 20. März 2018 hin mit Schriftsatz vom 8. Juni 2018 sein Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt, also nach Formulierung der Beweisantritte im Schriftsatz vom 13. Juli 2017.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Unabhängig davon war eine entsprechende Beweiserhebung zur Kausalitätsfrage auch nicht geboten. Nach den obigen Ausführungen zum Gliederungspunkt 1. b) hat das Verwaltungsgericht nämlich beanstandungsfrei angenommen, dass eine solche (psychische) Erkrankung, die für die langen Fehlzeiten ursächlich gewesen bzw. auf ein Fehlverhalten der Beklagten zurückzuführen wäre, schon nicht dargetan sei.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Auch der weiter geltend gemachte Verstoß gegen die Pflicht zur Amtsermittlung (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegt ungeachtet der Frage hinreichender Darlegung jedenfalls der Sache nach nicht vor. Ein solcher im Rahmen von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zu berücksichtigender Aufklärungsmangel kann hier nur dann angenommen werden, wenn sich die Beweiserhebung geradezu aufdrängt. Das kann, da eine Beweiserhebung vorliegend schon nicht geboten war (s. o.), ersichtlich nicht angenommen werden.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">3. Die Berufung kann auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zugelassen werden. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten im Sinne dieser Vorschrift liegen vor, wenn der Ausgang des Rechtsstreits aufgrund des Zulassungsvorbringens bei summarischer Prüfung als offen erscheint. Dies ist dann der Fall, wenn das Zulassungsvorbringen – etwa wegen der Komplexität der betroffenen Tatsachen- bzw. Rechtsfragen – Anlass zu solchen Zweifel gibt, welche sich nicht schon ohne weiteres im Zulassungsverfahren, sondern erst in einem Berufungsverfahren mit der erforderlichen Sicherheit klären und entscheiden ließen.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 17. Dezember 2018 – 1 A 206/17 –, juris, Rn. 50 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten in diesem Sinne sind schon nicht dargelegt. Die Zulassungsbegründung beschränkt sich, was diesen Zulassungsgrund angeht, auf die bloße Behauptung, er sei gegeben. Unabhängig davon weist die Rechtssache mit Blick auf die vorstehenden Ausführungen unter den Gliederungspunkten 1. und 2. solche Schwierigkeiten auch nicht auf; namentlich können die Erfolgsaussichten des angestrebten Rechtsmittels danach nicht schon als offen bezeichnet werden.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">4. Soweit der Kläger schließlich ergänzend auf seine bisherigen Ausführungen erster Instanz hinweist und diese „zum Vortrag der II. Instanz“ machen will, ist dies für die Zulassungsentscheidung ohne Bedeutung. Es fehlt insoweit bereits an der Bezeichnung, welches Vorbringen erfasst sein soll, und an dessen Zuordnung zu einem Zulassungsgrund. Ungeachtet dessen können mit einer solchen Bezugnahme insbesondere ernstliche Zweifel i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auch deshalb nicht dargetan werden, weil es insoweit an jeglicher Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung fehlt.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Zu letzterem vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 23. Mai 2014 – 1 A 2043/13 –, juris, Rn. 5 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG. Hierbei ist berücksichtigt, dass sich der von dem Kläger angegriffene Widerruf der Bankzulage nach deren (rückwirkender) Wiedergewährung ab dem 1. Februar 2018 nur noch auf einen 14monatigen Zeitraum bezieht. Vor diesem Hintergrund berechnet sich der Streitwert nach dem 14fachen, im fraglichen Zeitraum unverändert gebliebenen (vgl. § 31 Abs. 5 Satz 2 BBankG) Monatsbetrag der Bankzulage (14 x 258,53 Euro = 3.619,42 Euro).</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung nach den §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG und im Übrigen gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Das angefochtene Urteil ist nun rechtskräftig, § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO.</p>
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<p>Der Antrag wird abgelehnt.</p>
<p>Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Das Zulassungsvorbringen führt nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. „Ernstliche Zweifel“ im Sinne des Gesetzes sind gegeben, wenn die Richtigkeit des angefochtenen Urteils einer weiteren Prüfung bedarf, ein Erfolg der angestrebten Berufung nach den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens mithin möglich ist.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Juni 2002 ‑ 7 AV 1.02 ‑, Buchholz 310 § 124b VwGO Nr. 1 = juris.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Das ist nicht der Fall. Die Klägerin legt ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils nicht dar. Das Verwaltungsgericht hat den geltend gemachten Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheids im Wege des Wiederaufgreifens zu Recht verneint. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen ihres Verfahrens.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">I. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht zu.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">1. Ein Wiederaufnahmegrund nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Eine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage zugunsten des Betroffenen</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">liegt vor, wenn sich die für den ergangenen Verwaltungsakt entscheidungserheblichen Rechtsnormen oder tatsächlichen Grundlagen geändert haben, sodass die Änderung eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung erfordert oder doch ermöglicht. Die Sach- oder Rechtslage muss sich hinsichtlich solcher Umstände geändert haben, die für den bestandskräftigen Verwaltungsakt tatsächlich maßgeblich waren. Nicht ausreichend ist die Änderung tatsächlicher oder rechtlicher Voraussetzungen für den mit der Verpflichtungsklage erstrebten Verwaltungsakt, die für die bestandskräftige Ablehnung nicht (allein) ausschlaggebend waren.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. November 2018 - 1 C 23.17 -, juris, Rn. 13.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">An einer Änderung des für die bestandskräftige Ablehnung ausschlaggebenden Ablehnungsgrunds fehlt es hier.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Der Ablehnungsbescheid vom 15. November 1993 und der Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 1997 hatten das Nichtvorliegen der deutschen Volkszugehörigkeit u. a. mit der fehlenden Abstammung von einem deutschen Volkszugehörigen begründet. Durch rechtskräftiges Urteil vom 29. Februar 2000 - 17 K 2692/97 - hatte das Verwaltungsgericht Köln die gegen diese Bescheide gerichtete Klage u. a. mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin stamme bereits nicht von einer deutschen Volkszugehörigen ab. Zu diesem bestandskräftig festgestellten und rechtskräftig bestätigten Ablehnungsgrund hat die Klägerin einen durchgreifenden Wiederaufnahmegrund nicht geltend gemacht.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">a. In Bezug auf diesen Ablehnungsgrund kann das am 14. September 2013 in Kraft getretene Zehnte BVFG-Änderungsgesetz (BGBl. I. S. 3554) keine Änderung der Rechtslage zugunsten der Klägerin darstellen.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">aa. Die mit diesem Gesetz erfolgten Erleichterungen der Anforderungen an das Bekenntnis zum deutschen Volkstum und an die deutschen Sprachkenntnisse stehen mit dem ausschlaggebenden auf die fehlende Abstammung von einem deutschen Volkszugehörigen gestützten Ablehnungsgrund in keinem Zusammenhang.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. November 2018 - 1 C 24.17 -, Rn. 16.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">bb. Die Klägerin hat auch betreffend ihre Mutter, deren fehlende deutsche Volkszugehörigkeit in den bestandskräftigen und rechtskräftig bestätigten Bescheiden ausschlaggebend für die Verneinung der Abstammung von einer deutschen Volkszugehörigen war, keine mit Blick auf das Zehnte BVFG-Änderungsgesetz ein Wiederaufgreifen rechtfertigende Gründe hinsichtlich ihres oder hinsichtlich des bestandskräftig abgeschlossenen Verfahrens ihrer Mutter geltend gemacht.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">b. Eine Änderung der Rechtslage ist nicht mit dem in der Zulassungsbegründung aufgeführten Hinweis dargetan, hinsichtlich der Abstammung könne nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Januar 2008 - 5 C 8.07 - auch auf die Großeltern abgestellt werden. Mit diesem Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht eine umstrittene, zuvor in der Rechtspraxis überwiegend enger gehandhabte Auslegungsfrage zu dem Abstammungsmerkmal erstmals geklärt. Die erstmalige Klärung einer Rechtsfrage durch die höchstrichterliche Rechtsprechung begründet ebenso wie eine Änderung dieser Rechtsprechung regelmäßig keine Änderung der Rechtslage i. S. v. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. November 2018 - 1 C 23.17 -, jurist, Rn. 17.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">2. Andere oder weitere Wiederaufgreifensgründe nach § 51 Abs. 1 VwVfG hat die Klägerin nicht - auch nicht sinngemäß - geltend gemacht.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">II. Der Klägerin steht auch nicht der von ihr begehrte Anspruch auf ein Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 5 i. V. m. den §§ 48, 49 VwVfG zu.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die in § 51 Abs. 5 VwVfG verankerte Ermächtigung der Behörde, nach pflichtgemäßem Ermessen zugunsten des Betroffenen ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren im Ermessenswege wiederaufzugreifen, ermöglicht auch bei rechtskräftig abgeschlossenen Verwaltungsverfahren die nachträgliche Kontrolle inhaltlich unrichtiger Entscheidungen. Trifft die Behörde eine positive Entscheidung zum Wiederaufgreifen (Stufe 1), wird hierdurch die Rechtskraft durchbrochen und der Weg für eine neue Sachentscheidung eröffnet. Mit der Befugnis zum Wiederaufgreifen korrespondiert ein gerichtlich einklagbarer Anspruch des Betroffenen auf fehlerfreie Ermessensausübung. Dabei handelt die Behörde grundsätzlich ermessensfehlerfrei, wenn sie ein Wiederaufgreifen im Hinblick auf die rechtskräftige Bestätigung ihrer Entscheidung in dem früheren Verwaltungsverfahren ablehnt. In diesen Fällen bedarf es regelmäßig keiner weiteren ins Einzelne gehenden Ermessenserwägungen der Behörde. Umstände, die ausnahmsweise eine erneute Sachentscheidung und damit ein Wiederaufgreifen gebieten, müssen in ihrer Bedeutung und ihrem Gewicht mit einem der in § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG geregelten zwingenden Wiederaufgreifensgründe vergleichbar sein. Allein der Umstand, dass der rechtskräftig bestätigte Verwaltungsakt ‑ gemessen an den sich aus der aktuellen Rechtsprechung ergebenden Anforderungen - nicht rechtmäßig verfügt werden durfte, genügt hierfür nicht. Dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit kommt nämlich prinzipiell kein größeres Gewicht zu als dem Gebot der Rechtssicherheit, sofern dem anzuwendenden Recht nicht ausnahmsweise eine andere Wertung zu entnehmen ist. Mit Blick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit verdichtet sich das Ermessen der Behörde zugunsten des Betroffenen, wenn das Festhalten an dem rechtskräftig bestätigten Verwaltungsakt „schlechthin unerträglich“ wäre.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2011 - 5 C 9.11 -, BayVBl. 2012, 478 (479 f.) = juris, Rn. 29, m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Daran gemessen ist es nicht zu beanstanden, dass die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden vom 12. Mai 2015 und vom 18. November 2015 auch ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinn des abgeschlossenen Verfahrens abgelehnt hat.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Das Bundesvertriebengesetz enthält keine Wertung dahin, dass bei der hier in Rede stehenden Fallgestaltung das Gebot der Rechtssicherheit hinter den Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit zurückzutreten hat. Das Festhalten an der rechtskräftig bestätigten Ablehnung eines Aufnahmebescheids erweist sich nicht als „schlechthin unerträglich“. Ob sich die Aufrechterhaltung eines Verwaltungsakts als „schlechthin unerträglich“ darstellt, hängt von den Umständen des Einzelfalls und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte ab. Die Ablehnung eines Wiederaufgreifens des Verfahrens ist insbesondere dann schlechthin unerträglich, wenn Umstände gegeben sind, die die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder Treu und Glauben erscheinen lassen. Genauso verhält es sich bei offensichtlicher Fehlerhaftigkeit des rechtskräftigen Urteils, mit dem der frühere Verwaltungsakt bestätigt wurde.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2011 - 5 C 9.11 -, BayVBl. 2012, 478 (480) = juris, Rn. 30, m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Für einen Verstoß gegen Treu und Glauben ist nichts ersichtlich. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 29. Februar 2000 - 17 K 2692/97 - erweist sich auch nicht als offensichtlich fehlerhaft. Das folgt schon daraus, dass sich diese Entscheidung hinsichtlich der angenommenen Beschränkung des Abstammungsmerkmals auf die Eltern an der Rechtsprechung auch des Bundesverwaltungsgerichts zur früheren Rechtslage orientiert und auf die Gesetzesmaterialien zum Kriegsfolgenbereinigungsgesetz zu berufen vermocht hat (BTDrucks 12/3212 S. 23).</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Vgl. hierzu auch BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2011 - 5 C 9.11 -, BayVBl. 2012, 478 (480) = juris, Rn. 30, m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§  47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p>
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} | 13 A 3123/17.A | 2019-01-10T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:39 | 2019-02-12T13:44:33 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0110.13A3123.17A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 9. Oktober 2017 wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both">
<h1><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></h1>
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG wegen der allein geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) erfordert, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufzeigt, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist. Ferner muss dargelegt werden, weshalb der Frage eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 14. Juli 2017 - 13 A 1519/17.A -, juris, Rn. 6, und vom 8. Juni 2016 - 13 A 1222/16.A -, juris, Rn. 4, m. w. N; Bay. VGH, Beschluss vom 6. März 2018 - 20 ZB 17.30931 -, juris, Rn. 4.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Eine auf die grundsätzliche Bedeutung einer Tatsachenfrage gestützte Grundsatzrüge erfordert darüber hinaus die Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen auch einer anderen als der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Würdigung zugänglich sind, etwa im Hinblick auf hierzu vorliegende gegenteilige Auskünfte oder abweichende Rechtsprechung. Insoweit ist es Aufgabe des Rechtsmittelführers, durch die Benennung von bestimmten begründeten Informationen, Auskünften, Presseberichten oder sonstigen Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Bewertungen in der Antragsbegründung zutreffend sind, sodass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 29. März 2018 - 19 A 552/17.A -, juris, Rn. 4, vom 22. Januar 2018 - 4 A 2357/16.A -, juris, Rn. 4, und vom 28. August 2017 ‑ 13 A 2020/17.A -, juris, Rn. 22; Bay. VGH, Beschluss vom 14. September 2017 - 11 ZB 17.31124 -, juris, Rn. 3; OVG Sachsen-Anhalt, Be-schluss vom 4. April 2017 - 3 L 69/17 -, juris, Rn. 15; Sächs. OVG, Beschluss vom 1. Juni 2016 - 1 A 291/15.A -, juris, Rn. 4; Hess. VGH, Beschluss vom 1. März 2004 - 6 UZ 2532/02.A -, InfAuslR 2004, 262, juris, Rn. 13.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Gemessen daran kommt der Frage,</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">„ob sich aus einer Verfolgung aufgrund der Bekennung zur Homosexualität ein flüchtlings- und asylrelevanter Verfolgungsgrund im Rahmen eines Asylverfahrens ergeben kann“,</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">eine grundsätzliche Bedeutung nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, eine direkte staatliche Verfolgung wegen Homosexualität gebe es im Kosovo nicht, auch sei nicht zu erkennen, dass die staatlichen Behörden private Übergriffe auf Homosexuelle förderten oder nur duldeten. Dass gesellschaftliche Diskriminierungen, wie sie zwar weiterhin anzutreffen seien, ein Maß erreichten, dass zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und/oder zur Feststellung von Abschiebungshindernissen führen könnte, sei nicht zu erkennen, da zumindest in der Hauptstadt Pristina auch für Homosexuelle zumutbare Lebensbedingungen herrschten.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Mit seinem Zulassungsantrag hat der Kläger zwar Erkenntnisquellen benannt, diese aber nicht weiter ausgewertet und insbesondere auch nicht dargelegt, dass ihnen etwas anders als vom Verwaltungsgericht angenommen zu entnehmen ist. Hiervon ist im Übrigen auch nicht auszugehen. Art. 24 der kosovarischen Verfassung verbietet jegliche Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung. Gleichgeschlecht-liche zivile Partnerschaften sind nach der Verfassung erlaubt. Die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung wird für die Bereiche Beruf, Ausbildung, soziale Sicherheit und Unterkunft durch das Antidiskriminierungsgesetz aus dem Jahre 2004 untersagt. Homosexualität ist zwar in der kosovarischen Gesellschaft vor allem außerhalb der Hauptstadt ein Tabuthema und Personen, die sich offen zu ihrer Homosexualität bekennen würden, müssen damit rechnen, sozial ausgegrenzt zu werden. Dass die staatlichen Behörden, soweit es zu Übergriffen kommt, grundsätzlich weder schutzfähig noch schutzwillig sind, ist nicht festzustellen.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. insoweit US Department of State, Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Kosovo vom 20. April 2018, S. 29; COMMISSION STAFF WORKING DOCUMENT, Kosovo 2018 Report vom 17. April 2018, COM (2018) 450 final, S. 25 f.; Auswärtiges Amt, Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG vom 3. März 2018 (Stand Dezember 2017), S. 14; EASO Country of Origin Information Report Kosovo, November 2016, S. 36; Amnesty InternationaI, Diskriminierung von LGBTI-Personen im Kosovo: Verborgene Liebe, vom 28. Dezember 2013; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Kosovo: Homosexualität, vom 21. Dezember 2011; sowie ferner Tiroler Tageszeitung, Onlineausgabe von Mittwoch, 10. Oktober 2018, Homosexuelle im Kosovo demonstrierten für ihre Rechte.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Dass für den Einzelfall des bereits im Jahr 1992 ausgereisten Klägers etwas anderes gelten könnte, ist nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen worden. Ohnehin würde dies nicht zur Zulassung der Berufung wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung führen.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83 b AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.</p>
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} | 6 A 10042/18 | 2019-01-10T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:08 | 2019-02-12T13:44:23 | Beschluss | ECLI:DE:OVGRLP:2019:0110.6A10042.18.00 | <div class="docLayoutText">
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
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<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Antrag der Kläger, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 29. November 2017 zuzulassen, wird abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Kläger haben die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens zu tragen.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe im Sinne von § 78 Abs. 3 Asylgesetz – AsylG – vorliegt bzw. ordnungsgemäß gerügt worden ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>1. Der von den Klägern geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG liegt nicht vor bzw. ist nicht entsprechend den Anforderungen nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt worden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargestellte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, bisher höchstrichterlich oder – bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen – durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt, aber klärungsbedürftig ist und über den zu entscheidenden Fall hinaus bedeutsam ist (vgl. etwa Happ, in: Eyermann [Hrsg.], VwGO, 14. Auflage 2014, § 124 Rn. 36 ff.). Die Darlegung der Grundsatzrüge erfordert, dass eine bestimmte, obergerichtlich oder höchstrichterlich noch nicht hinreichend geklärte und für die Berufungsentscheidung erhebliche Frage herausgearbeitet und formuliert wird; darüber hinaus sind ihre Klärungsbedürftigkeit, ihre Klärungsfähigkeit und ihre allgemeine Bedeutung darzulegen (vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow [Hrsg.], VwGO, 4. Auflage 2014, § 124a Rn. 211).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Danach kann die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht zugelassen werden, weil die von den Klägern für grundsätzlich klärungsbedürftig angesehen Frage, ob bei der Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG eine Befristungsdauer von 30 Monaten vorgenommen werden darf, „wenn lediglich keine Gründe für eine kürzere Befristungsdauer gegeben sind“, nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung hat, sondern anhand des Gesetzes beantwortet werden kann.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Insoweit stimmt der Senat mit dem Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (Beschluss vom 9. Mai 2017 –1 LZ 254/17 –; juris) und dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Beschluss vom 28. November 2016 – 11 ZB 16.30463 –, juris ) darin überein, dass die der Frage zugrunde liegende Praxis des Bundesamtes, in Fällen, in denen wie hier keine individuellen Gründe für die Entscheidung über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes vorgebracht werden oder ersichtlich sind, sich bei der gebotenen Befristungs-entscheidung generell aus Gründen der Gleichbehandlung für eine Frist von 30 Monaten zu entscheiden und damit das in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG festgesetzte Höchstmaß zur Hälfte auszuschöpfen, rechtlich nicht zu beanstanden ist. Hierzu hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in der oben genannten Entscheidung, zutreffend ausgeführt:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Dass die im Bescheid getroffene Ermessensentscheidung des Bundesamts zu begründen ist, ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz (§ 31 Abs. 1 Satz 2 AsylG). Zum Begründungsinhalt und -umfang kann ergänzend auf die Regelungen in § 39 Abs. 1 Sätze 2 und 3 VwVfG zurückgegriffen werden, wonach in der Begründung die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen sind, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben, und die Begründung von Ermessensentscheidungen auch die Gesichtspunkte erkennen lassen soll, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Inhalt und Umfang der Begründung von Ermessensentscheidungen richten sich im Übrigen nicht nach allgemeinen Maßstäben, sondern nach den Umständen des Einzelfalls (stRspr, vgl. nur BVerwG, U.v. 14.10.1965 – II C 3.63 – BVerwGE 22, 215). Auch bei der Bemessung der Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG hat das Bundesamt die im Zeitpunkt seiner Entscheidung bekannten Umständen zu berücksichtigen. Fallübergreifende, verallgemeinerungsfähige Kriterien können hierzu nicht festgelegt werden. Es ist jedenfalls nicht zu beanstanden, wenn das Bundesamt sich in Fällen, in denen – wie hier – keine individuellen Gründe vorgebracht werden oder ersichtlich sind, generell aus Gründen der Gleichbehandlung für eine Frist von 30 Monaten entscheidet und damit das in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG festgelegte Höchstmaß zur Hälfte ausschöpft.“</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich der Senat an. Eine Zulassung der Berufung wegen der von den Klägern als grundsätzlich klärungsbedürftig geltend gemachten Frage scheidet deshalb aus.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>2. Auch der weiter geltend gemachte Zulassungsgrund der Verletzung rechtlichen Gehörs als Verfahrensmangel gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 Asylgesetz – AsylG – i.V.m. § 138 Nr. 3 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – liegt nicht vor bzw. ist nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt worden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>a) Die Kläger tragen insoweit vor, das Verwaltungsgericht habe ihren Gehörsanspruch dadurch verletzt, dass das Urteil Ausführungen zu den Voraussetzungen einer Asylanerkennung gemäß Art 16a Grundgesetz – GG – enthalte, obwohl ein derartiger Anspruch nicht Streitgegenstand der Klage sei. Eine Verletzung des durch Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs auf rechtliches Gehör, der das entscheidende Gericht verpflichtet, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (st. Rspr., vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 30. Oktober 1990 – 2 BvR 562/88 –, BVerfGE 93, 24 [35] m.w.N.), ist damit aber nicht dargelegt. Die sich in einem Satz erschöpfenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum Asylanspruch (auf Seite 3 letzter Absatz Satz 1 des Urteilsabdrucks heißt es diesbezüglich: Gemäß Art. 16a GG genießen politisch Verfolgte Asyl) sind angesichts des Streitgegenstandes der Klage, der ausweislich des Klageantrags den Asylanspruch nicht erfasst, zwar überflüssig, stellen aber ersichtlich keine Verletzung des rechtlichen Gehörs in dem oben umschrieben Sinne dar, zumal das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen auf das Klagevorbringen und den der Klage zugrundeliegenden Streitgegenstand in Einzelnen eingegangen ist und damit den Vortag der Kläger zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen mit einbezogen hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>b) Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs auch nicht dadurch verletzt, dass es den Vortrag der Kläger zu 1) und 2) zu einer von ihnen geltend gemachten Vorverfolgung nicht als glaubhaft angesehen hat. Vielmehr betrifft diese Rüge allein Sachverhaltswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts. Das rechtliche Gehör ist jedoch nicht verletzt, wenn das Gericht dem Vortrag eines Beteiligten nicht die aus seiner Sicht richtige Bedeutung beimisst (vgl. Guckelberger, in: Sodan/Ziekow a.a.O., § 152a Rn. 4, 17). Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ist nicht geeignet, eine – vermeintlich – fehlerhafte Feststellung und Bewertung des Sachverhalts einschließlich seiner rechtlichen Würdigung zu beanstanden (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. August 2012 – 13 A 1118/12.A –, juris, m.w.N.). Die Sachverhaltsfeststellung und -würdigung betrifft keinen Verfahrensfehler, sondern einen materiellen Fehler, der mit der Gehörsrüge aber nicht angegriffen werden kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. November 1995 – 9 B 710/94 –, juris, und Beschluss vom 29. Juni 2005 – 1 B 185/04 –, juris,).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Ungeachtet dessen vermögen die Kläger mit ihrem Vortrag, das Verwaltungsgericht habe ihren Vortrag zu der von ihnen behaupteten Verfolgung nicht richtig gewürdigt und damit ihr Verfahrensrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, auch deshalb nicht durchzudringen, weil ein solcher vermeintlicher Verfahrensfehler jedenfalls nicht erheblich für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts gewesen wäre. Ein Verfahrensfehler ist nur erheblich, wenn die Entscheidung des Verwaltungsgerichts auf ihm „beruhen“ kann, was voraussetzt, dass zumindest die Möglichkeit besteht, dass das Gericht ohne den Verfahrensverstoß zu einem für den Rechtsmittelführer sachlich günstigeren Ergebnis gelangt wäre. Die Verfahrensrüge ist daher unbegründet, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts auf einer weiteren selbständig tragenden, nicht erfolgreich mit Zulassungsgründen angegriffenen Begründung beruht (vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow a.a.O. § 124 Rn. 220). Dies ist hier der Fall. Das Verwaltungsgericht hat eine Gefährdung der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Armenien nämlich selbständig tragend auch deshalb ausgeschlossen, weil sie gehalten seien, vor einer befürchteten Verfolgung durch Dritte Schutz bei dem armenischen Staat und seinen überörtlichen Behörden zu suchen (vgl. S.4 Abs. 2 des Urteilsabdrucks). Diese Begründung haben die Kläger mit ihrem Zulassungsvorbringen indessen nicht angegriffen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>c) Soweit die Kläger schließlich vortragen, das Urteil des Verwaltungsgerichts beinhalte bezüglich der Ausführungen zu einer negativen Einschätzung der Glaubhaftigkeit ihres Vorbringens eine Überraschungsentscheidung, so vermag auch dieser Vortrag die Zulassung der Berufung wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs nicht zu begründen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Eine Verletzung rechtlichen Gehörs in Form einer Überraschungsentscheidung haben die Kläger mit ihrem Zulassungsvorbringen nicht dargelegt. Sie machen insoweit im Wesentlichen geltend, das Verwaltungsgericht habe es versäumt, in der mündlichen Verhandlung auf Bedenken an der Glaubhaftigkeit, insbesondere auf vermeintliche Widersprüche zu dem Vortag einer Vorverfolgung hinzuweisen. Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgt jedoch grundsätzlich weder eine Hinweis- oder Aufklärungspflicht in Bezug auf die Rechtsansicht des Gerichts, noch ist das Gericht verpflichtet, bereits in der mündlichen Verhandlung das mögliche oder voraussichtliche Ergebnis der Sachverhalts- oder Beweiswürdigung bekannt zu geben (vgl. Gemeinschaftskommentar zum Asylverfahrensgesetz, Band 3, § 78 Rn. 281, 282). Eine unzulässige Überraschungsentscheidung ist vielmehr erst dann anzunehmen, wenn das Gericht in seiner Entscheidung auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt abstellt, der weder im Verwaltungsverfahren noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erörtert wurde und der zunächst als fernliegend anzusehen war und damit dem Rechtsstreit eine unerwartete Wendung gibt (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 16. Februar 2012 – 9 B 71/11 –, juris,m.w.N.; BayVGH, Beschluss vom 11. Februar 2015 – 13a ZB 15.50005 –, juris). Allein der Verzicht auf einen Hinweis zu einem widersprüchlichen oder sonst unglaubhaften Vortrag begründet indessen keine unzulässige „Überraschung“, wenn dieser Vortrag, wie hier durch das Verwaltungsgericht, später in den Urteilsgründen als unglaubhaft bewertet wird (vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 30. Mai 2003 – 7 LA 101/03 –, juris). Der Umstand, dass es im Asylverfahren stets auch um die Glaubwürdigkeit des Betroffenen und um die Glaubhaftigkeit seines Vortrags geht, ist selbstverständlich und bedarf grundsätzlich nicht eines besonderen Hinweises durch das Gericht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. November 2001 – 1 B 347/01–u.a, juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Zudem wäre der geltend gemachte Verfahrensfehler, wie oben bereits dargelegt, für die Entscheidung nicht erheblich gewesen, weil das Verwaltungsgericht ungeachtet der Glaubhaftigkeit des Vorbringens der Kläger zu einer Vorverfolgung die Klageabweisung selbständig tragend auch darauf gestützt hat, dass der armenische Staat und seine Behörden Schutz vor Verfolgungen durch Dritte bieten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.</p></dd>
</dl>
</div></div>
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171,201 | ovgni-2019-01-10-9-la-16818 | {
"id": 601,
"name": "Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht",
"slug": "ovgni",
"city": null,
"state": 11,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | 9 LA 168/18 | 2019-01-10T00:00:00 | 2019-01-29T12:49:56 | 2019-02-12T13:44:20 | Beschluss | <div id="dokument" class="documentscroll">
<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Anträge der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 30. Oktober 2018 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 7. Kammer (Einzelrichterin) – und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe werden abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Kläger tragen die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner. Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Prozesskostenhilfeverfahrens werden nicht erstattet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Die geltend gemachten Zulassungsgründe eines Verfahrensfehlers im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO und einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG sind nicht entsprechend den Voraussetzungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG hinreichend dargelegt bzw. liegen nicht vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Soweit sich die Kläger auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in dem Verfahren des Ehemannes (7 A 3635/17) beziehen, bleibt ihr Vorbringen schon deshalb erfolglos, weil jenes Verfahren durch Beschluss des Senats vom 21. Dezember 2018 (9 LA 169/18) bereits rechtskräftig abgeschlossen ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Der Antrag der Kläger hat aber auch keinen Erfolg, wenn man ihren Vortrag auf das gegen sie ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts bezieht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>a) Die Kläger rügen die Verletzung rechtlichen Gehörs.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Sie tragen vor, das Verwaltungsgericht stütze sein Urteil u. a. auf einen Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016. Dieser Lagebericht sei jedoch weder in der mündlichen Verhandlung erwähnt worden noch in der Erkenntnismittelliste zu finden. Sie hätten deshalb keine Stellung dazu nehmen können.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes ist jedoch in der den Klägern übersandten Erkenntnismittelliste des Verwaltungsgerichts aufgeführt. Es handelt sich um den Lagebericht vom 19. Oktober 2016, Stand: September 2016. Mithin hatten die Kläger hinreichend Gelegenheit, zu diesem Lagebericht Stellung zu beziehen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Die Kläger meinen, es liege eine Überraschungsentscheidung vor, weil das Verwaltungsgericht keinen richterlichen Hinweis erteilt habe, dass es die Tätigkeit des Ehemanns der Klägerin zu 1. als Techniker für ausländische und inländische Streitkräfte in Frage stelle. Wie bereits ausgeführt, ist das Verfahren des Ehemanns bereits rechtskräftig abgeschlossen, so dass sich die Kläger auf diesbezügliche Einwände nicht mehr berufen können. Im Übrigen hatte bereits das Bundesamt den Vortrag des Ehemanns der Klägerin zu 1. nicht für glaubhaft gehalten. Der Ehemann der Klägerin zu 1. musste deshalb davon ausgehen, dass es maßgeblich auf die Glaubhaftigkeit ankommen würde. Es oblag ihm, hierzu in der mündlichen Verhandlung umfassend vorzutragen. Eines richterlichen Hinweises bedurfte es nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>b) Die Berufung ist auch nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Eine Rechtssache ist i. S. d. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfrage oder eine obergerichtlich bislang noch nicht beantwortete Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Die Kläger halten die Frage für grundsätzlich bedeutsam,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">„ob eine Familie mit zwei minderjährigen Kindern im Falle einer Rückkehr – jedenfalls in Kabul – eine ausreichende Lebensgrundlage finden kann.“</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a>13</a></dt>
<dd><p>Sie beziehen sich dabei auf die Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018, wonach angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul eine interne Schutzalternative in der Stadt grundsätzlich nicht verfügbar ist (UNHCR-Richtlinien vom 30.8.2018, S. 129).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>In der Zulassungsbegründung fehlt es jedoch an einer Darlegung, ob die Bewertung des UNHCR, die auf von dem UNHCR selbst definierten Maßstäben beruht (siehe UNHCR-Richtlinien vom 30.8.2018, S. 120 ff. und Leitfaden zur Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Afghanistan, November 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1452666/1930_1543481244_5bfeca114.pdf), den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen für die Bewertung der Frage, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative vorliegt, entspricht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a class="HauptRed" name="rd_15" title="zum Orientierungssatz">15</a></dt>
<dd><p>Der UNHCR geht davon aus, dass Zivilisten, die in Kabul tagtäglich ihren wirtschaftlichen oder sozialen Aktivitäten nachgehen, Gefahr laufen, Opfer der allgegenwärtigen in der Stadt bestehenden Gefahr zu werden (UNHCR-Richtlinien vom 30.8.2018, S. 127). Diese Einschätzung hat der UNHCR auf die von UNAMA berichteten Zahlen ziviler Opfer in Kabul im Jahr 2017 und in den ersten sechs Monaten des Jahres 2018 gestützt. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass der UNHCR die von dem Bundesverwaltungsgericht entwickelten Vorgaben einer quantitativen Betrachtung der Gefahrendichte im Verhältnis zur Einwohnerzahl berücksichtigt hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris Rn. 33, vom 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 22 und vom 13.2.2014 – 10 C 6.13 – juris Rn. 24). Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang festgestellt (S. 10, 11 UA), dass die Gefahrendichte in Kabul die Erheblichkeitsschwelle des Bundesverwaltungsgerichts noch nicht erreicht hat. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Schwelle nunmehr überschritten wäre, werden von den Klägern nicht genannt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Der UNHCR begründet seine Einschätzung weiter mit dem rapiden Bevölkerungswachstum in Kabul, das die notwendigen Infrastruktureinrichtungen, den Dienstleistungssektor und die Arbeitsplatzkapazitäten überfordere (UNHCR-Richtlinien vom 30.8.2018, S. 128).Nach den vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen das wirtschaftliche Existenzminimum in aller Regel dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können (BVerwG, Urteil vom 1.2.2007 – 1 C 24.06 – juris Rn. 11). Dies erfordert aber eine Gesamtschau und eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Prüfung unter Berücksichtigung objektiver Gesichtspunkte und persönlicher und familiärer Umstände. Relevant kann dabei sein, ob die Person in der fraglichen Region eine familiäre Anbindung hat (vgl. VGH BW, Urteil vom 3.11.2017 – A 11 S 1704/17 – juris Rn. 199 zur internen Fluchtalternative im Rahmen des Art. 3 EMRK). Auch der UNHCR geht davon aus, dass die Frage, ob eine Flucht- oder Neuansiedlungsalternative „zumutbar” ist, im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände der Antragstellenden beurteilt werden muss; maßgebliche Faktoren sind dabei Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, die familiäre Situation und Verwandtschaftsverhältnisse sowie der jeweilige Bildungs- und Berufshintergrund (UNHCR-Richtlinien vom 30.8.2018, S. 122). Der UNHCR hält zwar eine interne Schutzalternative in Kabul grundsätzlich nicht für verfügbar. Dies schließt aber eine Verfügbarkeit im Einzelfall nicht aus.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Ist die Beantwortung der Frage, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, von Einzelumständen abhängig, kann sie nicht grundsätzlich geklärt werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht im Rahmen der Prüfung von Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG die Umstände des vorliegenden Einzelfalls geprüft und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Kläger in das Netzwerk ihrer Großfamilien in Kabul zurückkehren können. Selbst wenn die Familie nicht in das Netzwerk zurückkehren könnte – so das Verwaltungsgericht weiter –, sei dem Ehemann der Klägerin zu 1. nach seiner freiwilligen Wiedereinreise nach Afghanistan im März 2010 der berufliche Wiedereinstieg ohne Weiteres geglückt. Dies hebe ihn von der Masse der Rückkehrer erheblich ab. Zudem sei er als Informatiker besonders gut ausgebildet und langjährig berufserfahren.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Diese Feststellungen des Verwaltungsgerichts haben die Kläger nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen. Soweit sie vortragen, in der Klagebegründung des Ehemanns lasse sich keine Aussage dazu finden, dass er neben den Klägern des vorliegenden Verfahrens weitere Verwandte habe, trifft dies nicht zu. Aus der Klagebegründung des Ehemanns ergibt sich, dass sich die Kläger zusammen mit dem Ehemann der Klägerin zu 1. vor der Ausreise bei dem Vater der Klägerin zu 1. versteckt haben. Die Kläger zeigen auch mit ihrem Einwand, bei ihnen stelle sich im Falle einer Rückkehr dieselbe Problematik wie bei den faktischen Iranern, keinen Verfahrensfehler auf. Sie hatten hinreichend Gelegenheit, hierzu im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorzutragen. Soweit sie sich gegen die Einschätzung des Verwaltungsgerichts wenden, dass der Ehemann der Klägerin zu 1. aufgrund seiner Ausbildung eine Arbeit finden könne, wenden sie sich gegen die Würdigung des Verwaltungsgerichts im konkreten Einzelfall. Damit kann jedoch weder ein Verfahrensfehler noch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache begründet werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Die von den Klägern aufgeworfene Frage,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt"> „ob ein Afghane, der an Depression leidet, nach mehrjährigem Auslandsaufenthalt nach seiner Rückkehr, eine ausreichende Lebensgrundlage – jedenfalls in Kabul – finden kann“,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>stellt sich hier nicht, weil die Kläger nicht an Depressionen leiden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Die Frage,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">„ob ein afghanischer Mann, der vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsland mehrere Jahre für ausländische Streitkräfte tätig war, jedenfalls in Kabul eine ausreichende Lebensgrundlage finden kann.“</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>ist hier ebenfalls nicht entscheidungserheblich, weil die in der Frage genannten Eigenschaften ebenfalls nicht auf die Kläger zutreffen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>2. Die Bewilligung der von den Klägern beantragten Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren kommt nicht in Betracht, weil die Rechtsverfolgung nicht die nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht bietet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO und § 83b AsylG sowie auf § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText">
<p style="margin-top:24px"> </p>
<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
<p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE190000226&psml=bsndprod.psml&max=true</p>
</div>
</div>
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171,145 | vg-schleswig-holsteinisches-2019-01-10-4-b-8818 | {
"id": 1071,
"name": "Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht",
"slug": "vg-schleswig-holsteinisches",
"city": 647,
"state": 17,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 4 B 88/18 | 2019-01-10T00:00:00 | 2019-01-29T12:49:27 | 2019-02-12T13:44:11 | Beschluss | ECLI:DE:VGSH:2019:0110.4B88.18.00 | <div class="docLayoutText">
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Antrag wird abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Wert des Streitgegenstandes wird auf ... € festgesetzt.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>I.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen ihre Heranziehung zur Entrichtung von Rundfunkbeiträgen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Der Antragsgegner führt die Antragstellerin seit Januar 2014 unter der Beitragsnummer ... als Betriebsstätte der Staffel 1 zur Entrichtung von Rundfunkbeiträgen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Mit Bescheid vom 3. Juli 2017 setzte der Antragsgegner gegenüber der Antragstellerin für den Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 31. März 2017 Rundfunkbeiträge sowie einen Säumniszuschlag in Höhe von insgesamt 237,77 Euro fest. Mit einem weiteren Bescheid vom 1. August 2017 setzte der Antragsgegner für den Zeitraum vom 1. April 2017 bis zum 30. Juni 2017 Rundfunkbeiträge und einen Säumniszuschlag in Höhe von insgesamt 25,49 Euro fest.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Der Antragsgegner nahm ein zweiseitiges Schreiben der Antragstellerin vom 1. August 2017 zur Verwaltungsakte, welches die Antragstellerin als „Widerspruch gegen den Festsetzungsbescheid vom 3. Juli 2017“ betitelte. Dieses Schreiben enthält keine Unterschrift.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Mit einem weiteren Schreiben vom 12. September 2017 bezog sich die Antragstellerin unter anderem auf einen Widerspruch gegen den Festsetzungsbescheid vom 1. August 2017. Inhaltlich verwies sie auf die Gründe aus ihrem Widerspruchsschreiben vom 1. August 2017 und brachte ergänzende inhaltliche Gesichtspunkte gegen die Rundfunkbeitragserhebung vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Der Antragsgegner wies die Widersprüche der Antragstellerin sodann in einem Widerspruchsbescheid vom 17. September 2018 als unzulässig zurück. Ein Widerspruch könne nach § 70 Abs. 1 VwGO nur schriftlich innerhalb eines Monats ab Bekanntgabe des Bescheides wirksam erhoben werden. Das Schreiben der Antragstellerin vom 1. August 2017 habe keine Unterschrift getragen und erfülle die an ein Widerspruchsschreiben zu stellenden Voraussetzungen daher nicht. Der Bescheid des Antragsgegners vom 1. Juli 2017 sei am 7. August 2017 zur Post gegeben worden und gelte daher nach § 110 Abs. 2 LVwG als am 10. August 2017 bekanntgegeben. Der Widerspruch der Antragstellerin vom 12. September 2017 sei bei dem Antragsgegner am 18. September 2017 und somit nach Ablauf der Widerspruchsfrist eingegangen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Die Antragstellerin legte dem Antragsgegner mit Schreiben vom 10. Oktober 2018 ein Widerspruchsschreiben gegen den Festsetzungsbescheid vom 3. Juli 2017 vor, welches auf den 1. August 2018 datiert ist, drei Seiten umfasst und auf der letzten Seite die Unterschrift des Geschäftsführers der Antragstellerin trägt. Zudem legte sie einen Einlieferungsbeleg der Deutschen Post AG vor, auf welchem das Datum 3. August 2017 als Einlieferung eines Einschreibens maschinell festgehalten ist. Handschriftlich ist der Vermerk „ARD“ aufgebracht. Sie legte zudem eine E-Mail vom 3. August 2017 vor, welche an „[email protected]“ adressiert ist und die inhaltlich ebenfalls ein Widerspruchsschreiben gegen den Festsetzungsbescheid vom 3. Juli 2017 enthält.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Hinsichtlich des Bescheides vom 1. August 2017 legte die Antragstellerin eine an „[email protected]“ adressierte E-Mail vom 16. August 2017 vor, in der sie inhaltlich ihren Widerspruch gegen den Bescheid zum Ausdruck brachte. Ferner übermittelte sie erneut ihr Schreiben vom 12. September 2017 sowie einen Posteinlieferungsbeleg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Die Antragstellerin hat am 18. Oktober 2018 Klage erhoben und den vorliegenden Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Zur Begründung trägt sie vor, dass sie frist- und ordnungsgemäß Widersprüche gegen die streitbefangenen Bescheide erhoben habe. Die Antragstellerin sei sich sicher, dass sie die Widersprüche ordnungsgemäß unterzeichnet und fristgemäß versandt habe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Die Antragstellerin beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der Klägerin gegen die oben aufgeführten Bescheide des Beklagten bis zur Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache wiederherzustellen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Der Antragsgegner stellt keinen ausdrücklichen Antrag.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Er verteidigt sich gleichwohl gegen das Vorbringen der Antragstellerin und wiederholt und vertieft sein Vorbringen aus dem Vorverfahren. Bei dem Schreiben der Antragstellerin vom 1. August 2017 handele es sich nicht um einen Widerspruch im Rechtssinne. Den Anforderungen an die Schriftform bzw. denjenigen des § 3a Abs. 2 VwVfG habe das Schreiben nicht genügt. Es sei weder unterschrieben noch mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen gewesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsvorgang Bezug genommen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>1. Das Gericht legt den Antrag der Antragstellerin dahingehend aus, dass diese die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der am 19. Oktober 2018 erhobenen Klage (Az.: 4 A 351/18) gegen die Festsetzungsbescheide des Antragsgegners vom 3. Juli 2017 und 1. August 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2018 begehrt, vgl. §§ 122, 88 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>2. Der so verstandene Antrag ist bereits unzulässig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Für den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die streitbefangenen Festsetzungsbescheide in Gestalt des Widerspruchsbescheides besteht im vorliegenden Fall kein Rechtsschutzbedürfnis. Die Antragstellerin kann ihr Antragsziel nicht erreichen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Der Eintritt der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn der angegriffene Verwaltungsakt bestandskräftig und die Unzulässigkeit der Klage daher bereits im summarischen Verfahren offensichtlich ist (VG Schleswig, Beschl. v. 02.11.2017 – 4 B 109/17 m.V.a. OVG Koblenz, Beschluss vom 07.10.2003, Az.: 2 B 332/02, NVwZ-RR 2004, S. 315; Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage 2015, § 80 Rn. 50). So liegt es hier. Die angegriffenen Bescheide sind unanfechtbar geworden und die in der Hauptsache erhobene Klage (Az.: 4 A 351/18) damit offensichtlich unzulässig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>a) Der streitbefangene Festsetzungsbescheid vom 1. August 2017 ist bestandskräftig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Das Schreiben der Antragstellerin vom 12. September 2017 hat die Widerspruchsfrist des § 70 Abs. 1 VwGO nicht gewahrt. Gemäß § 70 Abs. 1 VwGO ist der Widerspruch innerhalb eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich, in elektronischer Form nach § 3a Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) oder zur Niederschrift bei der Behörde zu erheben, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Die Frist wird auch durch Einlegung bei der Behörde, die den Widerspruchsbescheid zu erlassen hat, gewahrt. Wird die Widerspruchsfrist versäumt, so wird der Verwaltungsakt unanfechtbar (Eyermann/Rennert, 15. Aufl. 2019, VwGO § 70 Rn. 7).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Die Antragstellerin ist über die Widerspruchsfrist in der Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides vom 1. August 2017 gem. § 70 Absatz Abs. 2 VwGO i.V.m. § 58 Abs. 1 VwGO ebenso zutreffend belehrt worden wie über den Rechtsbehelf und die Verwaltungsbehörde, bei der der Rechtsbehelf anzubringen ist sowie deren Sitz. Die Rechtsbehelfsbelehrung umfasst zudem den Hinweis, dass bei elektronischer Einlegung des Widerspruchs mittels De-Mail in der Sendevariante „mit sicherer Anmeldung“ nach § 5 Abs. 5 De-Mail-Gesetz an eine in den Bescheiden benannte E-Mailadresse ([email protected]) zu richten ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Der Lauf der Frist des § 70 Abs. 1 VwGO beginnt mit der Bekanntgabe (§ 110 Abs. 1 LVwG) des Verwaltungsaktes an den Beschwerten (vgl. Schoch/Schneider/Bier/Dolde/Porsch, 34. EL Mai 2018, VwGO § 70 Rn. 16). Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, gilt gemäß § 110 Abs. 2 LVwG am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Der streitgegenständliche Bescheid vom 1. August 2017 ist von dem Antragsgegner ausweislich eines Historiensatzes in der Verwaltungsakte am 7. August 2017 zur Post gegeben worden. Er gilt damit nach § 110 Abs. 2 Satz 1 LVwG als am 10. August 2017 bekannt gegeben. Die Frist zur Erhebung eines Widerspruchs gegen den Bescheid endete daher am 10. September 2017 (vgl. §§ 70, 57 Abs. 2 VwGO, § 222 ZPO, §§ 187 ff. BGB). Das Widerspruchsschreiben der Antragstellerin ist erst am 12. September 2017 verfasst worden und dem Antragsgegner folglich nach Ablauf der Widerspruchsfrist zugegangen.</p></dd>
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<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Ferner hat die Antragstellerin durch ihre E-Mail vom 16. August 2017 keinen formgerechten Widerspruch erhoben. Es kann dahinstehen, ob diese E-Mail dem Antragsgegner tatsächlich zugegangen ist, was dieser bestreitet. Selbst wenn man den Zugang der E-Mail bei dem Antragsgegner unterstellt, so hat diese jedenfalls nicht den Anforderungen des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO entsprochen. Der Widerspruch ist durch die E-Mail weder zur Niederschrift bei einer Behörde noch schriftlich oder in elektronischer Form gem. § 3a Abs. 2 VwVfG erhoben worden. Letztgenannte Norm sieht zwar vor, dass eine durch Rechtsvorschrift angeordnete Schriftform durch die elektronische Form ersetzt werden kann, soweit nicht durch Rechtsvorschrift etwas anderes bestimmt ist. Die Ersetzung der durch § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO angeordneten Schriftform durch die elektronische Form setzt nach § 3a Abs. 2 Satz 2 VwVfG indes voraus, dass das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen ist (Posser/Wolff, VwGO, Kommentar, § 70 Rn. 11; Bay. VGH, Urt. v. 16.06.2007 - 11 CS 06.1959, juris), woran es hier unstreitig fehlt. Der Antragsgegner hat den elektronischen Zugang ferner dahingehend geöffnet, dass die Widerspruchserhebung durch De-Mail in der Sendevariante „mit bestätigter Anmeldung“ nach § 5 Abs. 5 De-Mail-Gesetz an die De-Mail-Adresse „[email protected]“ erfolgen kann. Diese Voraussetzung erfüllt die von der Antragstellerin vorgelegte E-Mail ebenfalls nicht. Sie ist an „[email protected]“ und an „[email protected]“ und somit schon nicht an die in der Rechtsbehelfsbelehrung benannte Adresse gerichtet gewesen. Darüber hinaus handelt es sich nicht um eine De-Mail, die § 5 Abs. 5 des De-Mail-Gesetzes genügen würde, sondern um eine einfache E-Mail.</p></dd>
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<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>b) Die Antragstellerin hat auch gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 3. Juli 2017 keinen den Formerfordernissen des § 70 Abs. 1 VwGO genügenden Widerspruch erhoben, so dass dieser Festsetzungsbescheid ebenfalls bestandskräftig geworden ist.</p></dd>
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<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Die Antragstellerin hat die Abschrift einer E-Mail vom 3. August 2017 vorgelegt, mit welcher sie Widerspruch gegen den vorgenannten Bescheid erhoben haben will. Es kann auch insoweit dahinstehen, ob diese E-Mail dem Antragsgegner tatsächlich zugegangen ist. Der Widerspruch genügt den Anforderungen des § 3a Abs. 2 VwVfG ebenfalls nicht. Auch im Falle dieser elektronischen Kommunikation handelt es sich um eine einfache E-Mail, die nicht mit einer elektronischen Signatur versehen war oder den Anforderungen des § 5 Abs. 5 des De-Mail-Gesetzes genügte.</p></dd>
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<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Schließlich hat auch das dem Antragsgegner postalisch übersandte Widerspruchsschreiben vom 1. August 2017 nicht die von § 70 Abs. 1 VwGO geforderte Schriftform gewahrt. Die Schriftlichkeit ist das im Rechtsverkehr typische Merkmal, um den Urheber eines Schriftstücks und seinen Willen festzustellen, die niedergeschriebene Erklärung in den Verkehr zu bringen (BVerwG, Urt. v. 06.12.1988 – 9 C 40/87, BVerwGE 81, 32-41, Rn. 6). Ein Schriftsatz ohne eigenhändige Unterschrift stellt zunächst einen Entwurf und noch keinen schriftlich zu erhebenden Widerspruch dar, weil erst die eigenhändige Unterschrift zum Ausdruck bringt, dass das Schriftstück, das bis dahin ein unfertiges Internum war, nunmehr für den (Rechts-)Verkehr bestimmt ist (vgl. so zum Erfordernis der Schriftlichkeit bei Klagerhebung, BVerwG, Urt. v. 06.12.1988 – 9 C 40/87, BVerwGE 81, 32-41, Rn. 6).</p></dd>
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<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Auf dem von dem Antragsgegner zur Verwaltungsakte genommenen zweiseitigen Schreiben findet sich keine Unterschrift des Geschäftsführers der Antragstellerin. Die Antragstellerin hat zwar nach Erlass des Widerspruchsbescheides ein Schreiben ihres Geschäftsführers vorgelegt, welches ebenfalls auf den 1. August 2017 datiert, drei Seiten umfasst und auf der letzten Seite eine handschriftliche Unterzeichnung enthält. Der Antragsgegner bestreitet jedoch den Zugang eines dreiseitigen unterschriebenen Widerspruchsschreibens. Die Antragstellerin ist für den Zugang dieses Widerspruchsschreibens beweisbelastet (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 10.12.2015 – 2 S 1516/14, Rn. 50 juris; OVG Hamburg, Beschl. v. 24.10.2005 – 3 Nc 37/05, Rn. 8 juris). Diesen Beweis vermag sie durch die Vorlage des dreiseitigen Schreibens nach summarischer Prüfung nicht zu erbringen. Zwar enthält auch das von dem Antragsgegner zur Verwaltungsakte genommene Schreiben den Aufdruck „Seite 1/3“ sowie „Seite 2/3“, eine dritte Seite findet sich jedoch nicht.</p></dd>
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<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Grundsätzlich hat der Beitragsschuldner die Möglichkeit, durch Vorlage entsprechender Unterlagen den Beweis anzutreten, dass er ein den Formanforderungen genügendes Schreiben an den Antragsgegner versendet hat, welches bei diesem im konkreten Einzelfall ggf. abhandengekommen und nicht zur Akte gelangt ist. Diesen Beweis vermag die Antragstellerin im konkreten Fall jedoch bereits deswegen nicht zu führen, weil es sich bei dem von ihr vorgelegten (dreiseitigen) Schriftstück um ein eigenständiges Schreiben handelt, das offensichtlich nicht mit demjenigen identisch ist, das dem Antragsgegner zugegangen ist. Dies wird bereits durch den Umstand erkennbar, dass der Text auf der ersten Seite der Schreiben nicht übereinstimmt. Das von der Antragstellerin im Widerspruchsverfahren vorgelegte Schriftstück enthält gegenüber dem von dem Antragsgegner zur Akte genommenen Schriftstück einen weiteren Absatz, der sich auf der Version des Antragsgegners erst auf der zweiten Seite findet. Auf der zweiten Seite des in der Verwaltungsakte des Antragsgegners befindlichen Widerspruchsschreibens fehlt sodann der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, der auf dem von der Antragstellerin im Widerspruchsverfahren vorgelegten Schreiben enthalten ist. Das in der Verwaltungsakte befindliche Widerspruchsschreiben enthält darüber hinaus auf der zweiten Seite eine Ziffer 5, die auf dem von der Antragstellerin vorgelegten dreiseitigen Schreiben vollständig fehlt. Das inhaltliche Vorbringen endet in dem letztgenannten Schreiben mit der Ziffer 4.</p></dd>
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<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Der Zugang des mit der Unterschrift versehenen dreiseitigen Schriftstückes kann im vorliegenden Einzelfall auch nicht durch den von der Antragstellerin vorgelegten Einlieferungsbeleg der Deutschen Post AG bewiesen werden. Durch die Vorlage dieses Beleges kann allenfalls der Beweis angetreten werden, dass die Antragstellerin dem Antragsgegner (irgend-)ein Schreiben zukommen ließ, was zwischen den Beteiligten jedoch unstreitig ist. Eine konkrete Zuordnung des im Verwaltungsverfahren vorgelegten dreiseitigen und unterschriebenen Schriftstückes zu dem Einlieferungsbeleg ist jedoch nicht möglich. Beide Versionen des Widerspruchsschreibens der Antragstellerin sind mit dem Datum 1. August 2017 versehen und kommen als Versandobjekt des vorgelegten Einlieferungsbeleges vom 3. August 2017 in Betracht.</p></dd>
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<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>3. Nach alledem ist der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG, wobei die Kammer in ständiger Rechtsprechung in einstweiligen Rechtsschutzverfahren in Abgabensachen ein Viertel des geforderten Abgabenbetrages als Streitwert festsetzt. Der Antragsgegner hat mit den streitbefangenen Bescheiden Rundfunkbeiträge und Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 263,26 € festgesetzt. Hieraus ergibt sich beim Ansatz eines Viertels der festgesetzte Streitwert in Höhe von 65,81 €.</p></dd>
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} | 5 PB 13/18, 5 PB 13/18 (5 P 1/19) | 2019-01-10T00:00:00 | 2019-01-29T12:48:51 | 2019-01-29T12:48:51 | Beschluss | ECLI:DE:BVerwG:2019:100119B5PB13.18.0 | <h2>Gründe</h2>
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<p>Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers ist gemäß § 83 Abs. 2 BPersVG i.V.m. § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG zuzulassen. Die vorliegende Rechtssache kann dem Senat Gelegenheit zur Klärung der Frage geben, welche Bedeutung dem Merkmal der Unmittelbarkeit im Kontext des § 78 Abs. 1 Nr. 1 BPersVG zukommt.</p>
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} | IX ZB 40/18 | 2019-01-10T00:00:00 | 2019-01-29T12:48:13 | 2019-01-29T12:48:13 | Beschluss | ECLI:DE:BGH:2019:100119BIXZB40.18.0 | <h2>Tenor</h2>
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<p>Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn vom 27. März 2018 wird auf Kosten der weiteren Beteiligten zu 2 und 3 zurückgewiesen.</p>
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<p>Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 9.517,14 € festgesetzt.</p>
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<h2>Gründe</h2>
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<p>I.</p>
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<p>Das Amtsgericht Paderborn eröffnete am 16. Oktober 2013 das Insolvenzverfahren über den Nachlass des am 20. Dezember 2008 verstorbenen E.   W.         (fortan: Schuldner) und bestellte den weiteren Beteiligten zu 1 zum Insolvenzverwalter. Den weiteren Beteiligten zu 2 und 3 stehen Pflichtteilsansprüche gegen den Schuldner zu. Der weitere Beteiligte zu 1 verwertete das Vermögen des Schuldners und erzielte eine Insolvenzmasse von 67.594,08 €. Davon entfallen 47.093,98 € auf einen vom weiteren Beteiligten zu 1 geltend gemachten und gegen den Anfechtungsgegner vergleichsweise durchgesetzten Anfechtungsanspruch. Die zur Tabelle festgestellten Insolvenzforderungen betragen 41.540,86 €. Davon entfallen jeweils 19.710 € auf die von den weiteren Beteiligten zu 2 und 3 zur Insolvenztabelle angemeldeten Pflichtteilsansprüche, die der weitere Beteiligte zu 1 in voller Höhe im Rang des § 327 InsO zur Tabelle feststellte.</p>
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<a name="rd_2">2</a>
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<p>Das Insolvenzgericht setzte die Vergütung des weiteren Beteiligten zu 1 antragsgemäß fest und legte dabei eine Masse von 67.594,08 € zugrunde. Auf die von den weiteren Beteiligten zu 2 und 3 eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht die Vergütung des weiteren Beteiligten zu 1 teilweise herabgesetzt und die weitergehende Beschwerde zurückgewiesen. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Beteiligten zu 2 und 3 eine weitere Herabsetzung der Vergütung des weiteren Beteiligten zu 1.</p>
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<a name="rd_3">3</a>
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<p>Die statthafte und zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.</p>
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<p>1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, die Vergütung berechne sich nach dem Wert der Insolvenzmasse, auf den sich die Schlussrechnung beziehe. Zur Masse gehörten auch Gegenstände und Forderungen, die der Insolvenzverwalter im Wege der Insolvenzanfechtung der Insolvenzmasse zuführe. Danach betrage die Berechnungsgrundlage 67.594,08 €. Dass der Insolvenzverwalter den vergleichsweise erzielten Erlös aus den Anfechtungsansprüchen wieder zurückführen müsse, sei unerheblich. Maßgeblich sei der Bestand der Masse auch dann, wenn dieser höher als die Gesamtverbindlichkeiten der Insolvenzgläubiger sei.</p>
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<p>Jedoch sei die Vergütung des weiteren Beteiligten zu 1 gemäß § 3 Abs. 2 lit. e InsVV um 50 vom Hundert zu kürzen. Der weitere Beteiligte zu 1 sei zuvor bereits als Gutachter tätig gewesen und die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Erblassers seien bereits mit der Erstattung des Gutachtens geklärt gewesen. Die Vermögensverhältnisse des Schuldners seien überschaubar gewesen. Die Zahl der Gläubiger habe unter fünf gelegen, es sei lediglich ein Grundstück zu verwerten und ein Anfechtungsanspruch durchzusetzen gewesen.</p>
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<p>2. Das hält rechtlicher Überprüfung stand.</p>
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<a name="rd_7">7</a>
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<p>a) Berechnungsgrundlage für die Vergütung des Insolvenzverwalters ist die am Ende des Insolvenzverfahrens vorhandene Masse. § 63 Abs. 1 Satz 2 InsO bestimmt, dass der Regelsatz der Vergütung nach dem "Wert der Insolvenzmasse zur Zeit der Beendigung des Insolvenzverfahrens" berechnet wird. Dabei richtet sich die Berechnungsgrundlage nicht nach dem am Verfahrensende stehenden Guthabensaldo, sondern dem Wert der Insolvenzmasse, welcher der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Verwalters unterliegt oder während des Verfahrens unterlag (BGH, Urteil vom 5. März 2015 - IX ZR 164/14, WM 2015, 733 Rn. 20).</p>
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<p>Zur Berechnungsgrundlage für die Vergütung zählen alle Vermögenswerte, die zum Zeitpunkt der Beendigung der zu vergütenden Tätigkeit zu dem gesicherten und verwalteten Vermögen gehört haben (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Mai 2005 - IX ZB 6/03, WM 2005, 1663, 1664 mwN). Maßgeblich für die Berechnungsgrundlage ist daher die gesamte Teilungsmasse, die für eine Verteilung unter den Gläubigern zur Verfügung steht (BGH, Beschluss vom 20. Juli 2017 - IX ZB 75/16, WM 2017, 1620 Rn. 11). Zur Berechnungsgrundlage zählen sämtliche Massezuflüsse, die auch tatsächlich an die Masse ausbezahlt werden und daher die Masse erhöhen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2015 - IX ZB 9/13, WM 2015, 617 Rn. 8 mwN). Im Hinblick auf den Tätigkeitsumfang des Insolvenzverwalters ist eine Beschränkung auf solche Massezuflüsse, die tatsächlich zur Verteilung unter die Insolvenzgläubiger kommen, nicht geboten. Zum einen hat der Gesetzgeber davon abgesehen, dass Masseverbindlichkeiten die Berechnungsgrundlage mindern. Gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 InsVV werden die Kosten des Insolvenzverfahrens und die sonstigen Masseverbindlichkeiten nicht abgesetzt. Zum anderen hat der Gesetzgeber ausdrücklich bestimmt, dass eine Begrenzung der Berechnungsgrundlage auf die Höhe der Schulden ausscheidet (BT-Drucks. 12/2443 S. 130). Daraus ergibt sich, dass die tatsächliche Höhe der am Ende des Insolvenzverfahrens erzielten Masse für die Berechnungsgrundlage ausschlaggebend ist; für welche Zwecke die vorhandene Insolvenzmasse einzusetzen ist, ist für die Berechnungsgrundlage regelmäßig unerheblich.</p>
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<p>b) Nach diesen Maßstäben erhöht auch der vom weiteren Beteiligten zu 1 erzielte Erlös aus der Geltendmachung des Anfechtungsanspruchs die Berechnungsgrundlage. Dabei kann im Streitfall unterstellt werden, dass die ohne diesen Erlös vorhandene Masse ausreicht, um sämtliche gegenüber § 327 Abs. 1 InsO vorrangigen Insolvenzforderungen vollständig aus der Masse befriedigen zu können, mithin der Erlös aus dem Anfechtungsanspruch hierfür nicht erforderlich war. Soweit § 328 Abs. 1 InsO bestimmt, dass nicht zur Erfüllung der in § 327 Abs. 1 InsO bezeichneten Verbindlichkeiten verwendet werden darf, was infolge der Anfechtung einer vom Erblasser oder ihm gegenüber vorgenommenen Rechtshandlung zur Insolvenzmasse zurückgewährt wird, hat diese Bestimmung keinen Einfluss auf die Berechnungsgrundlage für die Vergütung des Insolvenzverwalters. § 328 Abs. 1 InsO beruht auf dem Gedanken, dass die Anfechtbarkeit nur zum Schutz derjenigen dienen soll, die bereits Gläubiger des Erblassers waren (MünchKomm-InsO/Siegmann, 3. Aufl., § 328 Rn. 1). Das ändert aber nichts daran, dass der aus der erfolgreichen Durchsetzung eines Anfechtungsanspruchs erzielte Erlös der Verwaltung des Insolvenzverwalters unterliegt und bei Beendigung des Insolvenzverfahrens Bestandteil der Masse ist. Selbst wenn ein solcher Erlös nach Abschluss des Insolvenzverfahrens an den Anfechtungsgegner zurückgewährt werden muss, unterliegt er der Verwaltung des Insolvenzverwalters und ist Bestandteil der Masse. Aus den gleichen Gründen erhöht auch eine rechtsgrundlose Zahlung an die Masse die Berechnungsgrundlage (BGH, Urteil vom 5. März 2015 - IX ZR 164/14, WM 2015, 733 Rn. 24).</p>
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<a name="rd_10">10</a>
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<p>Zu Unrecht meint die Rechtsbeschwerde, in solchen Fällen dürfe der Erlös aus dem Anfechtungsanspruch als durchlaufender Posten nicht zur Erhöhung der Berechnungsgrundlage führen. Hierfür fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage. Dabei kann dahinstehen, ob rückfließende Beträge und durchlaufende Gelder die Berechnungsgrundlage stets erhöhen oder außer Betracht zu bleiben haben. Aus § 1 Abs. 2 Nr. 5 InsVV ergibt sich, dass Vorschüsse zur Durchführung des Insolvenzverfahrens sowie Zuschüsse Dritter zur Erfüllung eines Insolvenzplans außer Betracht bleiben. Das gilt erst recht für Darlehen, die zur Erfüllung des Insolvenzplans zur Verfügung gestellt werden (BGH, Beschluss vom 17. März 2011 - IX ZB 145/10, NZI 2011, 445 Rn. 11). Einzelne Stimmen wollen dies auf von der Masse verauslagte Prozess-, Vollstreckungs- und Anwaltskosten, die der Gegner später erstattet, sowie auf rechtsgrundlose Leistungen des Insolvenzverwalters erstrecken, die der Bereicherungsschuldner an die Masse zurückerstattet (vgl. MünchKomm-InsO/Riedel, 3. Aufl., § 1 InsVV Rn. 41 ff; vgl. auch BGH, Urteil vom 5. März 2015 - IX ZR 164/14, WM 2015, 733 Rn. 23). Hiermit ist die vom Insolvenzverwalter erwirkte Leistung auf den Anfechtungsanspruch nicht vergleichbar. Insbesondere ergibt sich daraus kein Rechtssatz, wonach durchlaufende Posten bei der Berechnungsgrundlage stets unberücksichtigt bleiben.</p>
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<p>c) Die zwischen den Beteiligten streitigen Fragen sind nicht im Vergütungsfestsetzungsverfahren zu klären. Ob und in welchem Umfang der Erlös aus der Anfechtung an den Anfechtungsgegner im Hinblick auf § 328 InsO zurückzuzahlen ist, hat auf die Höhe der Berechnungsgrundlage für die Vergütung keinen Einfluss. Gleiches gilt für die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die weiteren Beteiligten zu 2 und 3 im Hinblick auf ihre im Rang des § 327 InsO zur Tabelle festgestellte Forderung bei einer zu wesentlichen Teilen aus dem Erlös eines Anfechtungsanspruchs bestehenden Insolvenzmasse eine Zuteilung auf ihre nachrangigen Forderungen erhalten können.</p>
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<p>Unerheblich ist schließlich die vom Beschwerdegericht erörterte Frage, ob der weitere Beteiligte zu 1 pflichtwidrig handelte, indem er den Anfechtungsanspruch geltend machte. Die Insolvenzverwaltervergütung ist als Tätigkeitsvergütung ausgestaltet, so dass der Einwand mangelhafter oder erfolgloser Leistung die Höhe der Vergütung grundsätzlich nicht zu beeinflussen vermag (BGH, Beschluss vom 22. November 2018 - IX ZB 14/18, Rn. 24 mwN, zVb). Ob die Auffassung des Beschwerdegerichts, der weitere Beteiligte zu 1 habe sich bei der weiteren Durchsetzung des Anfechtungsanspruchs pflichtgemäß verhalten, rechtlicher Überprüfung standhielte, kann daher dahinstehen. Soweit der weitere Beteiligte zu 1 hinsichtlich der weiteren Durchsetzung des Anfechtungsanspruchs möglicherweise dann pflichtwidrig gehandelt haben könnte, wenn die Verwertungshandlungen erkennbar ausschließlich Kosten zu Lasten der Masse auslösten, ohne dass die Insolvenzgläubiger oder die übrigen Beteiligten des Insolvenzverfahrens hierdurch besser gestanden haben, berührt dies nicht die Höhe der Vergütung des weiteren Beteiligten zu 1, kann aber einen Schadensersatzanspruch der weiteren Beteiligten zu 2 und 3 rechtfertigen.</p>
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<p>d) Gegen die Bemessung des Abschlags erhebt die Rechtsbeschwerde keine Einwendungen.</p>
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<p style="text-align:justify">Kayser     </p>
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<p style="text-align:justify">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:justify">Grupp     </p>
</td>
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<p style="text-align:justify">      </p>
</td>
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<p style="text-align:justify">Möhring</p>
</td>
</tr>
<tr>
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<p style="text-align:justify">      </p>
</td>
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<p style="text-align:justify">Schoppmeyer     </p>
</td>
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<p style="text-align:justify">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:justify">Röhl     </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:justify">      </p>
</td>
</tr>
</table>
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161,440 | ovgnrw-2019-01-10-4-b-133218 | {
"id": 823,
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} | 4 B 1332/18 | 2019-01-10T00:00:00 | 2019-01-16T07:00:01 | 2019-02-12T13:44:06 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0110.4B1332.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 31.8.2018 wird zurückgewiesen.</p>
<p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 7.500,00 EUR festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<h1><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e:</span></h1>
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den sinngemäßen Antrag,</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">die aufschiebende Wirkung der Klage 19 K 1262/18 (VG Gelsenkirchen) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 14.2.2018 hinsichtlich der Schließungsverfügung unter II. wiederherzustellen,</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">zu Recht abgelehnt. Es hat angenommen, die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung falle zu Lasten des Antragstellers aus. Die Schließungsverfügung, die sich auf die „I.     2“ an der S.-----straße 3-5 in E.        bezieht, sei auf der Grundlage von § 15 Abs. 2 GewO offensichtlich rechtmäßig. Die Antragstellerin verfüge für die streitbetroffene Spielhalle nicht über die nach §§ 24 Abs. 1 GlüStV, 16 Abs. 2 AG GlüStV NRW erforderliche glücksspielrechtliche Erlaubnis. Die Verfügung sei nicht ermessensfehlerhaft. Insbesondere sei die Erteilung einer Erlaubnis für die Spielhalle, die in einem baulichen Verbund mit einer weiteren Spielhalle stehe, wegen Verstoßes gegen das Verbundverbot nach § 16 Abs. 3 Satz 1 AG GlüStV NRW i. V. m. § 25 Abs. 2 GlüStV ausgeschlossen. Für eine unbillige Härte im Sinne des § 29 Abs. 4 GlüStV fehle es an jeglichem Anhalt. Die Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin sei auch mit Blick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes unbedenklich, weil sich der Antragsteller, der beide Spielhallen selbst betreibe, nicht gegen eine zugunsten eines Konkurrenten ausgefallene Auswahlentscheidung wende.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Diese Einschätzung wird durch das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, nicht durchgreifend in Frage gestellt. Sie ist offensichtlich zutreffend.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Ohne Erfolg wendet sich der Antragsteller dagegen, dass die Schließungsverfügung auf § 15 Abs. 2 GewO gestützt worden ist. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO kann die zuständige Behörde die Fortsetzung des Betriebs verhindern, wenn ein Gewerbe, zu dessen Ausübung eine Erlaubnis, Genehmigung, Konzession oder Bewilligung (Zulassung) erforderlich ist, ohne Zulassung betrieben wird. Die Bestimmung setzt voraus, dass ein grundsätzlich nach Gewerberecht oder gewerberechtlichem Nebenrecht zulassungsbedürftiges Gewerbe betrieben wird, eine derartige Zulassung aber fehlt. Das auf das in Rede stehende Gewerbe bezogene Zulassungserfordernis kann sich auch aus landesrechtlichen Vorschriften ergeben.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 21.6.2006 ‒ 6 C 19.06 ‒, BVerwGE 126, 149 = juris, Rn. 39.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Das Erfordernis einer Erlaubnis nach §§ 24 Abs. 1 GlüStV, 16 Abs. 2 AG GlüStV NRW, deren Fehlen die Antragsgegnerin der Antragstellerin vorhält, gehört zum Gewerberecht oder zum gewerberechtlichen Nebenrecht, auf das § 15 Abs. 2 GewO abstellt, obwohl es landesrechtlich begründet ist. Es fällt unter das in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fallende Recht der Spielhallen nach Art. 70, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, das den Landesgesetzgeber zur Regelung sämtlicher gewerberechtlicher Voraussetzungen für die Erlaubnis von Spielhallen und die Art und Weise ihres Betriebs einschließlich der räumlichen Bezüge in ihrem Umfeld ermächtigt.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.3.2017 ‒ 1 BvR 1314/12 u. a. ‒, BVerfGE 145, 20 = juris, Rn. 100 ff., 105, 108; OVG NRW, Urteil vom 16.4.2018 – 4 A 589/17 –, NWVBl. 2018, 379 = juris, Rn. 53 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">§ 15 Abs. 2 GewO gilt im Bereich des in die Gesetzgebungskompetenz der Länder übergegangenen Rechts der Spielhallen gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG als Bundesrecht fort. Es ist in Nordrhein-Westfalen nicht gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG durch Landesrecht ersetzt worden, weil die insoweit allein in Betracht kommende neue Ermächtigung in § 9 Abs. 1 Sätze 2 und 3 GlüStV gemäß § 2 Abs. 3 GlüStV für Spielhallen nicht gilt. Deshalb hat der Senat bereits entschieden, dass § 15 Abs. 2 GewO taugliche Grundlage dafür sein kann, gegen Spielhallen vorzugehen, die ohne die nach §§ 24 Abs. 1 GlüStV, 16 Abs. 2 AG GlüStV NRW erforderliche Erlaubnis betrieben werden.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18.7.2018 – 4 B 179/18 –, NWVBl. 2018, 529 = juris, Rn. 9 ff.; so für Hessen auch Hess. VGH, Beschluss vom 26.10.2018 ‒ 8 B 1558/18 ‒, juris, Rn. 13 ff.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Das Vorbringen des Antragstellers bietet keinen Anlass, dies anders zu beurteilen.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Nichts anderes folgt insbesondere aus der vom Antragsteller angeführten ‒ höchstrichterlich bestätigten ‒ Rechtsprechung, wonach die Übergangsvorschrift des § 29 Abs. 4 Satz 2 GlüStV Vertrauensschutz nicht betreiber-, sondern spielhallenbezogen gewährt.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 8.11.2013 ‒ 7 ME 82/13 ‒, GewArch 2014, 30 = juris, Rn. 5 ff.; BVerwG, Urteil vom 5.4.2017 – 8 C 16.16 –, ZfWG 2017, 394 = juris, Rn. 42 ff.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Hieraus ergibt sich zwar, dass auch zu Gunsten eines Neubetreibers einer unter § 29 Abs. 4 Satz 2 GlüStV fallenden Altspielhalle, für die bis zum 28.10.2011 eine Erlaubnis nach § 33i GewO erteilt worden war, nach Ablauf der fünfjährigen Übergangsfrist bei Vorliegen eines Härtefalls für einen angemessenen Zeitraum eine Befreiung von der Erfüllung einzelner Anforderungen der §§ 24 Abs. 2, 25 GlüStV nach § 29 Abs. 4 Satz 4 GlüStV zugelassen werden kann.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29.2.2016 ‒ 4 A 809/15 ‒, ZfWG 2016, 238 = juris, Rn. 6 ff.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die fünfjährige Übergangsfrist des § 29 Abs. 4 Satz 2 GlüStV soll aber nur dem Interesse der Betreiber Rechnung tragen, eine Amortisierung der im Vertrauen auf den Fortbestand der Rechtslage in die Spielhalle getätigten Investitionen zu erreichen und dabei einen angemessenen Gewinn zu erwirtschaften, wobei dieser Investitionsschutz bei einem Betreiberwechsel nicht entfallen soll.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 5.4.2017 – 8 C 16.16 –, ZfWG 2017, 394 = juris, Rn. 48.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Dass die Übergangsfrist aus Bestandsschutzgesichtspunkten standortbezogen zu verstehen ist, rechtfertigt kein entsprechendes Verständnis des Erlaubniserfordernisses nach § 24 GlüStV. Dieses hat das Erlaubniserfordernis gemäß § 33i GewO in Nordrhein-Westfalen mit Ablauf der Überleitungsfristen zeitlich gestuft ersetzt und ist ‒ wie das frühere Erlaubniserfordernis nach § 33i GewO ‒,</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 5.4.2017 – 8 C 16.16 –, ZfWG 2017, 394 = juris, Rn. 45,</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">betreiber- und betriebsbezogen zu verstehen. Jedenfalls für das nordrhein-westfälische Landesrecht ist bereits letztinstanzlich und rechtskräftig geklärt, dass zu den Erlaubnisvoraussetzungen neben standortbezogenen Erfordernissen nach § 16 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 und 2 lit. a AG GlüStV NRW i. V. m. §§ 1 Satz 1 Nr. 3, 4 Abs. 3, 24 Abs. 2 Satz 1 GlüStV auch die Einhaltung der Erfordernisse des Jugendschutzes bzw. die Gewährleistung des Jugend- und Spielerschutzes sowie nach §§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, 16 Abs. 2 Satz 1 AG GlüStV NRW i. V. m. §§ 2 Abs. 3, 4 Abs. 1, 24 GlüStV das Erfordernis der persönlichen Zuverlässigkeit gehören,</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">vgl. OVG NRW, Urteil vom 16.4.2018 – 4 A 589/17 –, NWVBl. 2018, 379 = juris, Rn. 46 ff., 60 ff., 68 ff., rechtskräftig nach Zurückweisung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch BVerwG, Beschluss vom 2.10.2018 ‒ 8 B 31.18 ‒, juris,</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">mithin betreiberbezogene Anforderungen.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Vgl. im Ausgangspunkt ähnlich zum niedersächsischen Recht VG Osnabrück, Urteil vom 17.5.2017 ‒ 1 A 294/16 ‒, juris, Rn. 20.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Ohne Erfolg wendet der Antragsteller auch ein, nach § 15 Abs. 2 GewO hätte der Betrieb nicht untersagt werden dürfen, sondern allenfalls die Fortsetzung des Betriebs so lange verhindert werden dürfen, bis der im Fehlen der Zulassung liegende Mangel behoben ist. Die Antragsgegnerin hat die Schließung der Spielhalle angeordnet, also entsprechend der Ermächtigung die Fortsetzung des Betriebs verhindert. Hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen für ein Einschreiten nach § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO ist unerheblich, ob die Voraussetzungen der erforderlichen, aber fehlenden Erlaubnis in absehbarer Zukunft vorliegen können. Denn Zweck der Ermächtigung ist es, den Erlaubnisvorbehalt zur Sicherung des Geschäftsverkehrs durchzusetzen, also die vorherige behördliche Prüfung der Erlaubnisfähigkeit der beabsichtigten Gewerbetätigkeit zu sichern und damit die mit einer unerlaubten Tätigkeit verbundenen Gefahren abzuwehren.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18.7.2018 – 4 B 179/18 –, NWVBl. 2018, 529 = juris, Rn. 18 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die Ermächtigung greift erst recht, wenn die Erlaubnisvoraussetzungen auch künftig voraussichtlich nicht vorliegen werden, auch wenn Grund für das Einschreiten hierbei das bloße Fehlen der Erlaubnis bleibt, nicht aber eine hierfür nicht erforderliche Gewerbeuntersagung. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit hat die Behörde bei Entscheidungen nach § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO zu berücksichtigen, ob es sich um eine nur formell oder auch ‒ möglicherweise dauerhaft ‒ materiell rechtswidrige Betriebsführung handelt. Unabhängig davon hat sie von ihrem Ermessen, wo dies sachgerecht erscheint, etwa durch Gewähren angemessener Fristen so Gebrauch zu machen, dass durch die Betriebseinstellung weder dem Betriebsinhaber noch den Betriebsangehörigen vermeidbarer Schaden entsteht.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18.7.2018 – 4 B 179/18 –, NWVBl. 2018, 529 = juris, Rn. 36 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Das Vorgehen gegen dauerhaft materiell rechtswidrige unerlaubte Spielhallen ist nicht deshalb generell unzulässig oder nur eingeschränkt möglich, weil Spielhallen nicht den Regelungen der Glücksspielaufsicht nach § 9 GlüStV unterfallen. Der nordrhein-westfälische Gesetzgeber hat anders als einige andere Landesgesetzgeber das Recht der Spielhallen nicht vollständig neu regeln wollen, sondern anlässlich der Umsetzung des Glücksspielstaatsvertrags in Landesrecht nur einen abgrenzbaren Teilbereich.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 16.4.2018 – 4 A 589/17 –, NWVBl. 2018, 379 = juris, Rn. 49 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Da der Glücksspielstaatsvertrag und das Landesausführungsgesetz keine § 15 Abs. 2 GewO ersetzende Eingriffsermächtigungsnorm enthalten, gilt diese Vorschrift ‒ wie ausgeführt ‒ nach Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG als Bundesrecht fort. Vor dem 28.10.2011 genehmigte und schon bei Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrags bestehende Mehrfachspielhallen hat der Gesetzgeber ausschließlich durch die Übergangsvorschriften in § 29 Abs. 4 GlüStV i. V. m. § 18 AG GlüStV NRW geschützt, nicht aber dadurch, dass er bewusst auf eine Eingriffsermächtigung verzichtet hat, wie der Antragsteller meint. Eine restriktive Auslegung des § 15 Abs. 2 GewO ist nicht geboten.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Zutreffend ist das Verwaltungsgericht schließlich davon ausgegangen, dass der Spielhallenbetrieb der „I.     2“ neben der „I.     1“ materiell rechtswidrig ist, weil es für eine unbillige Härte im Sinne des § 29 Abs. 4 GlüStV an jeglichem Anhalt fehle.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der unbilligen Härte sollen (nur) atypische, vom Gesetzgeber nicht ausreichend berücksichtigte, besonders gelagerte Fallkonstellationen, in denen die Anwendung der gesetzlichen Vorgaben zu einer nicht intendierten Härte führen würden, einer die widerstreitenden Interessen abwägenden Einzelfallentscheidung zugeführt werden können. Härten, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Tatbestands bewusst in Kauf genommen hat und die dem Gesetzeszweck entsprechen, können keinen Härtefall begründen, weil sonst die vom Gesetzgeber beabsichtigte Folge ‒ hier eine Verringerung von Anzahl und Dichte der Spielhallen ‒ in der Regel nicht eintreten würde. Deshalb sind an die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzung der „unbilligen Härte“ hohe Anforderungen zu stellen. Diese sind regelmäßig nicht bereits dann erfüllt, wenn mit der Schließung von Spielhallen wirtschaftliche Einbußen und sonstige Belastungen verbunden sind. Insbesondere können die Spielhallenbetreiber nicht die verlustfreie Abwicklung ihrer zu schließenden Spielhallen verlangen. Der Gesetzgeber wollte mit der fünfjährigen Übergangsfrist des § 29 Abs. 4 Satz 2 GlüStV die regelmäßig eintretenden wirtschaftlichen Nachteile bei den Betreibern von Spielhallen erfassen und diesen innerhalb der großzügig bemessenen Übergangsfrist einen schonenden Übergang zu den strengeren Reglungen des Staatsvertrags und die Entwicklung alternativer Geschäftsmodelle ermöglichen. Die Annahme einer unbilligen Härte muss daher auf wenige Ausnahmen in besonders atypischen Einzelfällen beschränkt bleiben.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 12.6.2018 – 8 B 1903/17 –, ZfWG 2018, 419 = juris, Rn. 36 ff., m. w. N.; siehe dazu auch Ministerium für Inneres und Kommunales NRW, Erlass vom 10.5.2016, S. 6 f., https://www.im.nrw/sites/default/files/media/document/file/Spielhallenerlass%202016.pdf.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Ein solcher atypischer Einzelfall ist nicht ansatzweise ersichtlich. Während die fünfjährige Übergangsfrist des § 29 Abs. 4 Satz 2 GlüStV dem Interesse der Betreiber Rechnung tragen soll, eine Amortisierung der im Vertrauen auf den Fortbestand der Rechtslage in die Spielhalle getätigten Investitionen zu erreichen und dabei einen angemessenen Gewinn zu erwirtschaften, wobei dieser Investitionsschutz bei einem Betreiberwechsel nicht entfallen soll,</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 5.4.2017 – 8 C 16.16 –, ZfWG 2017, 394 = juris, Rn. 48,</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">wirkt dieser dem Bestandsschutz dienende Zweck im Rahmen der Härtefallregelung nur insoweit und solange nach, wie dies erforderlich ist, um ‒ im Einzelfall ‒ unzumutbaren Belastungen Rechnung zu tragen, ohne aber die mit §§ 24 und 25 GlüStV verfolgten Allgemeinwohlinteressen auf Dauer hintanzustellen.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Vgl. Begründung zu § 29 GlüStV, abgedruckt etwa in Bay. LT-Drs. 16/11995, S. 32, sowie in Nds. LT-Drs. 16/4795, S. 94.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Nach diesem Regelungszweck kommt es auf städtebauliche Aspekte nicht an. Sofern bei Härtefallentscheidungen nach § 29 Abs. 4 Satz 4 Hs. 2 GlüStV der Zeitpunkt der Erteilung der Erlaubnis gemäß § 33i GewO sowie die Ziele des § 1 GlüStV zu berücksichtigen sind, wird dadurch gerade zum Ausdruck gebracht, dass die für atypische Einzelfälle vorgesehene Berücksichtigung grundrechtlich geschützter Positionen der Spielhallenbetreiber für einen angemessenen Zeitraum über die fünfjährige Übergangsfrist hinaus im Rahmen von Härtefallentscheidungen nur unter Berücksichtigung der Ziele des § 1 GlüStV in Betracht kommt. Dies ändert nichts daran, dass eine Härte einen atypischen Einzelfall voraussetzt, in dem auf Grund des Vertrauens in die frühere Rechtslage für den Betrieb und somit auch für den jeweiligen Betreiber besondere unvermeidbare Belastungen gegeben sind, denen andere Betriebe von Bestandsspielhallen, die nach Ablauf von fünf Jahren geschlossen werden müssen, grundsätzlich nicht ausgesetzt sind. Die Vorstellung des Antragstellers, ein Härtefall sei gegeben bei mit den Zielen des Glücksspielstaatsvertrags vereinbaren Bestandsspielhallen, die nach Ablauf der Übergangsfrist nach § 29 Abs. 4 Satz 2 gegen das Verbot von Mehrfachkonzessionen nach § 25 Abs. 1 und 2 GlüStV verstoßen, findet im Gesetz keinen Niederschlag. Im Gegenteil ging es dem Gesetzgeber maßgeblich darum, nach Ablauf der Übergangsfrist die Voraussetzungen für eine wirksame Suchtbekämpfung sowie den Jugend- und Spielerschutz (§ 1 GlüStV) im Bereich der Spielhallen insbesondere durch das ‒ nur noch in atypischen Einzelfällen ausnahmsweise mit Blick auf frühere Investitionen vereinzelt zu durchbrechende ‒ Verbot von Mehrfachkonzessionen und die Regelung von Mindestabständen zu erreichen.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Vgl. LT-Drs. 16/17, S. 43.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Er reagierte damit gerade auf das in der Vergangenheit gestiegene Angebot an Spielgeräten in Spielhallen, weshalb der Antragsteller mit seinen Hinweisen auf in der Vergangenheit legal betriebene Mehrfachspielhallen, auf die Außenwirkung seines Betriebs, auf die Verantwortlichkeit des Gesetzgebers für die Neuregelung sowie auf seine bisher rechtskonforme Betriebsführung keine unbillige atypische Härte aufzeigt.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Auch die mit der Neuregelung beabsichtigte Kanalisierung des natürlichen Spieltriebs der Bevölkerung durch ein begrenztes, eine geeignete Alternative zum nicht erlaubten Glücksspiel darstellendes Glücksspielangebot (§ 1 Satz 1 Nr. 2 GlüStV) sollte gerade im Bereich der Spielhallen dadurch geschaffen werden, dass Mehrfachspielhallen verboten und Mindestabstände eingeführt wurden. Es ist keine Frage einer unbilligen Härte, ob der Kanalisierungseffekt durch großzügigere Spielhallenzulassungen besser erfüllt werden könnte. Härten, die der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen hat und die dem Gesetzeszweck entsprechen, können nämlich keinen Härtefall begründen. Davon, dass keine hinreichende Alternative legalen Glücksspiels verbliebe, kann im Übrigen schon mit Blick auf den dem Antragsteller gestatteten Betrieb der „I.     1“ am selben Standort keine Rede sein. Insofern kann nach der gesetzlichen Konzeption lediglich Raum sein für die Eröffnung einer weiteren Spielhalle, die den Mindestabstand einhält; eine Härte, die die vorübergehende Fortführung einer unzulässig gewordenen Mehrfachspielhalle gebieten könnte, folgt daraus nach den hierfür maßgeblichen rechtlichen Maßstäben keinesfalls.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Innerhalb der fünfjährigen Übergangsfrist des § 18 AG GlüStV NRW i. V. m. § 29 Abs. 4 Satz 2 GlüStV musste sich der Antragsteller ebenso wie der frühere Betreiber zur Zeit seiner Betriebsführung darauf einstellen, dass künftig von mehreren Spielhallen an einem Standort nur noch eine Spielhalle betrieben werden darf.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.12.2016 – 8 C 6.15 –, BVerwGE 157, 126 = juris, Rn. 55.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">In Nordrhein-Westfalen bestand zudem für Spielhallen, die der am 30.6.2017 abgelaufenen fünfjährigen Übergangsfrist nach § 29 Abs. 4 Satz 2 GlüStV unterfielen, grundsätzlich jedenfalls bis zum 30.11.2017 zumindest ein Anspruch auf eine Härtefallerlaubnis nach § 29 Abs. 4 Satz 4 GlüStV, nachdem die Spielhallenbetreiber durch Ministerialerlass und auch von der Antragsgegnerin auf einen Lauf der Übergangsfrist bis zum 30.11.2017 hingewiesen worden waren und sich deshalb hierauf einstellen durften.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8.6.2017 – 4 B 307/17 –, NWVBl. 2017, 431 = juris, Rn. 71 ff.</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Da der Antragsteller selbst entscheiden konnte, welche seiner beiden Spielhallen nach tatsächlichem oder angenommenem Ablauf der Übergangsfrist fortbestehen sollte, stand auch nicht erst mit der Härtefallentscheidung fest, dass er einen Betrieb tatsächlich aufgeben musste. Schon innerhalb der fünfjährigen Übergangsfrist konnte der Antragsteller verlässliche Planungen dazu anstellen, welche seiner beiden Spielhallen er künftig aufgeben wolle, so dass sich eine Härte aufgrund von Unsicherheiten, ob eine Spielhalle fortbestehen kann, allenfalls für eine verbleibende Spielhalle ergeben kann, die mit weiteren Spielhallen anderer Anbieter in einem Konkurrenzverhältnis steht.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 8.6.2017 – 4 B 307/17 –, NWVBl. 2017, 431 = juris, Rn. 75; OVG Saarl., Beschluss vom 20.12.2018 ‒ 1 B 231/18 ‒, juris, Rn. 77.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Ermessensfehler sind vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Bei der Ermessensentscheidung nicht berücksichtigte Besonderheiten, denen die Antragsgegnerin im Rahmen ihres Ermessens hätte Rechnung tragen müssen, ergeben sich insbesondere nicht daraus, dass das „Auswahlverfahren“ zwischen den beiden Hallen des Antragstellers rechtlich zu beanstanden wäre.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Der geltend gemachte Verstoß gegen das Transparenzgebot ist nicht ansatzweise ersichtlich. Die aus dem allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung folgende Pflicht zur Transparenz ist bei Auswahlentscheidungen heranzuziehen, bei denen angesichts bestimmter objektiver Kriterien ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht. Hier ist den Mitgliedstaaten ein gewisses Ermessen zuzuerkennen, um zur Einhaltung dieser Grundsätze bestimmte Maßnahmen zu erlassen. Die Verpflichtung zur Transparenz soll u. a. die Gefahr willkürlicher Entscheidungen ausschließen.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 16.4.2015 ‒ C-278/14 ‒, VergabeR 2015, 555 = juris, Rn. 16 und 25 ff., m. w. N.; hierzu auch OVG NRW, Beschlüsse vom 8.6.2017 – 4 B 307/17 –, NWVBl. 2017, 431 = juris, Rn. 55 ff., und vom 15.5.2017 ‒ 4 A 1504/15 ‒, NVwZ-RR 2017, 690 = juris, Rn. 26 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit waren hier schon deshalb nicht einschlägig, weil die Antragsgegnerin eine Auswahl nur zwischen zwei Hallen zu treffen hatte, die beide vom Antragsteller betrieben werden. Zudem hatte die Antragsgegnerin dem Antragsteller bereits mit Schreiben vom 24.10.2017 Gelegenheit gegeben mitzuteilen, für welche seiner beiden Spielhallen die Erlaubnis nach § 24 GlüStV erteilt werden sollte. Nachdem der Antragsteller von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hatte, war es gemessen am Zweck der Ermächtigung zur Auswahl nicht ermessensfehlerhaft und rechtsstaatlich unbedenklich, mit Blick auf die nur in „I.     1“ vorhandenen eigenen Toiletten diese statt der wirtschaftlich und hinsichtlich der Betriebsabläufe im Wesentlichen vergleichbaren „I.     2“ auszuwählen. Dies gilt umso mehr, nachdem der Antragsteller gegen die ihm hierfür erteilte Erlaubnis nicht mit dem Ziel vorgegangen ist, stattdessen eine Erlaubnis für „I.     2“ zu erhalten.</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Ein Ermessensfehler liegt auch nicht darin, dass die Antragsgegnerin davon ausgegangen ist, sie müsse <span style="text-decoration:underline">vor</span> der Durchführung des Auswahlverfahrens über die Härtefallbefreiung entscheiden. Die Antragsgegnerin hat mit der streitgegenständlichen Verfügung vom 14.2.2018 rechtsfehlerfrei <span style="text-decoration:underline">zugleich</span> über die vom Antragsteller nicht selbst vorgenommene Auswahl und über die von ihm erst am 9.2.2018 erstmals geltend gemachten Härtegründe entschieden sowie eine unbillige Härte zutreffend verneint. Da der Antragsteller nicht über die spätestens nach dem 30.11.2017 erforderlichen glücksspielrechtlichen Erlaubnisse verfügte, hätte er schon zu diesem Zeitpunkt eine jedenfalls materiell-rechtswidrige Spielhalle bereits von sich aus schließen müssen, zumal er insoweit bis zu diesem Zeitpunkt nicht einmal Gründe für eine unbillige Härte benannt hatte. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, weshalb die Antragsgegnerin, die der mehrfachen Bitte des Bevollmächtigten des Antragstellers um Fristverlängerung entsprochen und deshalb erst im Februar 2018 die Auswahl für den Antragsteller vorgenommen hatte, rechtlich daran gehindert gewesen sein könnte, zugleich über den Härteantrag zu entscheiden. Ob im Fall einer (echten) Konkurrenz zu Spielhallen anderer Betreiber etwas anderes gelten könnte, bedarf hier keiner Klärung. Die Auswahl hätte jedenfalls seit dem Erhalt des Schreibens vom 24.10.2017 bis Mitte Februar 2018 vom Antragsteller selbst vorgenommen werden können, weshalb er hinreichend Gelegenheit hatte, sich für den Erhalt der einen oder der anderen I.     einzusetzen. Selbst im Laufe der mit der Rechtsmittelfrist übereinstimmenden Frist für die Schließung der „I.     2“ von einem Monat nach Bekanntgabe hätte der Antragsteller noch geltend machen können, anstelle der Erlaubnis für „I.     1“ eine solche für „I.     2“ erhalten zu wollen. Da ohnehin keine Gründe für eine unbillige Härte gegeben waren, durfte die Antragsgegnerin auch rechtsfehlerfrei zugleich hierüber entscheiden.</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Schon mit Blick auf die großzügige Übergangsfrist von fünf Jahren und die insoweit bestehende Rechtsklarheit, nach ihrem Ablauf bei Fehlen unbilliger Härten jedenfalls eine I.     schließen zu müssen, war auch die dem Antragsteller im Februar 2018 eingeräumte Frist von einem Monat zur Abwicklung der Geschäfte ausreichend, auch wenn er seinen Betrieb nicht ohne erforderliche Erlaubnis neu begonnen hat. Insoweit sind die Erwägungen des Senats, auf die sich der Antragsteller beruft, hier schon deshalb nicht einschlägig, weil die Antragsgegnerin ihr Ermessen ‒ anders als im vom Senat entschiedenen Fall ‒ ordnungsgemäß auch insoweit ausgeübt hat, als sie erwogen hat, durch Gewähren angemessener Fristen keinen vermeidbaren Schaden entstehen zu lassen.</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18.7.2018 – 4 B 179/18 –, NWVBl. 2018, 529 = juris, Rn. 32 ff., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Schließlich ergibt sich nicht schon dadurch eine rechtserhebliche Ungleichbehandlung des Antragstellers, weil die Antragsgegnerin in anderen, weniger klar liegenden, Fällen möglicherweise von der Anordnung der sofortigen Vollziehung absieht. Trotz des umfangreichen Beschwerdevorbringens kann bereits im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes sicher beurteilt werden, dass der Antragsteller den Betrieb einer seiner beiden Spielhallen schon im vergangenen Jahr einzustellen hatte und Gründe für einen weiteren Betrieb ohne Erlaubnis, die er nicht besitzt und die materiell-rechtlich nicht erteilt werden kann, nicht vorliegen. In dem gleichwohl beabsichtigten verbotenen Weiterbetrieb entgegen der gesetzlichen Zielrichtung deutlich über die großzügig gewährten Übergangsfristen und Zeiträume für rechtlich erforderliche Klärungen hinaus, liegt ‒ im Interesse des vom Gesetzgeber angestrebten verbesserten Spielerschutzes ‒ die von der Antragsgegnerin zu verhindernde Gefahr.</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Danach überwiegt das öffentliche Interesse an der Verhinderung der Betriebsführung gegenüber den rechtlich nicht schutzwürdigen gegenläufigen Interessen des Antragstellers an einer vorläufig weiteren Nutzung.</p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.</p>
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} | 4 E 1119/18 | 2019-01-10T00:00:00 | 2019-01-16T07:00:01 | 2019-02-12T13:44:06 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0110.4E1119.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde des Klägers gegen die Streitwertfestsetzung in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Aachen vom 24.10.2018 wird zurückgewiesen.</p>
<p>Das Verfahren über die Beschwerde ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde, über die gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 6 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) der Berichterstatter als Einzelrichter entscheidet, ist unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die angegriffene Streitwertfestsetzung entspricht den gesetzlichen Vorgaben. Gemäß § 52 Abs. 1 GKG ist der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen; mehrere Streitgegenstände werden gemäß § 39 Abs. 1 GKG zusammengerechnet, soweit nichts anderes bestimmt ist. Der Senat folgt in ständiger Praxis regelmäßig den Empfehlungen des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ-Beilage 2013, 58, 68).</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Danach entspricht der Streitwert in diesem ein selbstständiges Vollstreckungsverfahren betreffenden Streitfall – in dem es um die Festsetzung eines Zwangsgeldes von 1000,00 Euro und die Androhung eines weiteren Zwangsgeldes von 2000,00 Euro geht – auf der Grundlage von Nummer 1.7.1, Sätze 1 und 2. des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit [NVwZ-Beilage 2013, 58 (68)] der Höhe des festgesetzten Zwangsgeldes zuzüglich der Hälfte des angedrohten Zwangsgeldes. Den sich dabei ergebenden Betrag von 2000,00 Euro hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgesetzt.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Nebenentscheidungen folgen aus § 68 Abs. 3 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.</p>
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161,427 | lsgmv-2019-01-10-l-8-as-24718-b-er | {
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} | L 8 AS 247/18 B ER | 2019-01-10T00:00:00 | 2019-01-16T06:59:45 | 2019-01-21T11:45:13 | Beschluss | <div id="dokument" class="documentscroll">
<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt"><strong>Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Schwerin vom 14. Mai 2018 wird zurückgewiesen.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt"><strong>Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.</strong></p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:90pt"><strong>I.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Beteiligten streiten in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren darüber, ob der Antragsgegner den gegen die Antragstellerin für ihr selbstgenutztes Hausgrundstück festgesetzten Straßenbaubeitrag nach § 22 SGB II vorläufig zu übernehmen hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Die 1953 geborene Antragstellerin bewohnt allein das in ihrem Eigentum stehende Hausgrundstück W.-weg 22 in A-Stadt. Sie verfügt über kein Einkommen und steht im laufenden SGB II-Leistungsbezug bei dem Antragsgegner. Zuletzt wurde ihr mit Bescheid vom 27. November 2017 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15. Januar 2018, 1. März 2018, 13. März 2018 und 4. Juni 2018 für die Zeit von Januar bis Dezember 2018 Arbeitslosengeld II bewilligt, u. a. für März 2018 489,02 € (= 416 € Regelbedarf + 9,57 € Mehrbedarf für Warmwasserzeugung + 63,45 € Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe der im März 2018 fälligen Trink- und Abwassergebühren).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Mit Heranziehungsbescheid vom 27. Dezember 2017 setzte das Amt Dorf Mecklenburg-A-Stadt gegen die Antragstellerin einen Straßenbaubeitrag in Höhe von 1.610,09 € für die Erneuerung und Verbesserung der Fahrbahn und Straßenentwässerung der W.-straße fest, der spätestens drei Monate nach Bekanntgabe des Bescheides zu zahlen sei. Nach § 7 Abs. 2 Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern (KAG M-V) sei derjenige beitragspflichtig, der im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beitragsbescheides Eigentümer des bevorteilten Grundstückes sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Am 23. Januar 2018 beantragte die Antragstellerin bei dem Antragsgegner die Übernahme des Straßenbaubeitrages.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Mit Schreiben vom 13. März 2018 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass sie vorrangig die Beantragung des Erlasses oder die Niederschlagung der Forderung bzw. die Eintragung einer Sicherungshypothek ins Grundbuch bis zum 30. März 2018 nachzuweisen habe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Mit Bescheid vom 3. Mai 2018 versagte der Antragsgegner die beantragte Übernahme des Kostenbeitrages für die Straßenerneuerung als einmalige Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II ab 1. Januar 2018 gemäß § 66 SGB I ganz, da die Antragstellerin die mit Schreiben vom 13. März 2018 angeforderten Nachweise nicht eingereicht habe und damit ihren Mitwirkungspflichten nach § 60 SGB I nicht nachgekommen sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Den hiergegen am 8. Mai 2018 eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 6. Juni 2018 zurück. Die von der Antragstellerin dagegen am 4. Juli 2018 erhobene Klage ist bei dem Sozialgericht Schwerin – S 11 AS 635/18 – anhängig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Bereits am 20. März 2018 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Schwerin den vorliegenden Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und zur Begründung ausgeführt, dass der Antragsgegner nach ihrer Ansicht die Kosten der Straßenerneuerung übernehmen müsse. Sie befinde sich im Leistungsbezug des Antragsgegners und könne die Kosten nicht aus eigenen Mitteln zahlen. Einem Leistungsempfänger stünden in Mecklenburg-Vorpommern monatlich ca. 385,85 € für Miete sowie Betriebskosten vom Jobcenter zu. Dies ergebe jährlich ca. 4.630 €. Sie nehme nur ca. 200 € monatlich (Betriebskosten ca. 75 € monatlich sowie ca. 1.400 € für Öl im Jahr) an Leistungen für Wohnraum in Anspruch, sodass allein durch die nicht in Anspruch genommene Differenz von ca. 2.300 € die Straßenerneuerungskosten über 1.610,09 € gedeckt und somit vom Antragsgegner zu zahlen wären.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Die Antragstellerin hat beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr unverzüglich die beantragten Kosten zur Straßenerneuerung in Höhe von 1.610 € zu gewähren.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Der Antragsgegner hat beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">den Antrag abzulehnen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Zur Begründung hat der Antragsgegner dargelegt, dass der Landkreis Nordwestmecklenburg in seiner Richtlinie zu den Bedarfen für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II (KdU-Richtlinie) geregelt habe, das Anschlussgebühren ausnahmsweise übernommen werden könnten, wenn der Antragsteller nachweise, dass er sich erfolglos bei der den Gebührenbescheid erlassenden Kommune um eine Stundung, Ratenzahlung oder um die Eintragung einer Hypothek ins Grundbuch gemäß der bei der Kommune bestehenden Satzung zur Stundung, Niederschlagung und Erlass bemüht habe. Der Leistungsberechtigte habe einen schriftlichen Nachweis über seine Bemühungen beim Jobcenter einzureichen. Der Nachweis müsse eine Information der Kommune enthalten, dass hinsichtlich der Anschlussgebühren eine Stundung, ein Erlass bzw. die Eintragung einer Hypothek ins Grundbuch nicht möglich sei. Die Antragstellerin sei mit Schreiben vom 13. März 2018 aufgefordert worden, die Nachweise einzureichen. Die Nachweise seien bei dem Antragsgegner noch nicht eingegangen. Im Übrigen sei fraglich, ob ein Straßenbaubeitrag noch zu den Kosten der Unterkunft zählen könne.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Mit Beschluss vom 14. Mai 2018 hat das Sozialgericht den Antragsgegner nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG vorläufig verpflichtet, der Antragstellerin die beantragten Kosten zur Straßenerneuerung in Höhe von 1.610 € zu gewähren. Die Antragstellerin habe neben den übrigen Anspruchsvoraussetzungen nach dem SGB II einen Anspruch auf Übernahme der beantragten Kosten für den Straßenbaubeitrag in Höhe von 1.610 € gemäß § 22 Abs. 1 SGB II und damit einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Zu den Unterkunftskosten für selbstgenutzte Hausgrundstücke zählten dabei alle notwendigen Ausgaben, die nach § 7 Abs. 2 Satz 1 DV zu § 82 SGB XII bei der Berechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung abzusetzen seien. Bei dem Straßenbaubeitrag handele es sich um eine sonstige öffentliche Abgabe im Sinne von § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 DV zu § 82 SGB XII. Im Hinblick auf § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II sei nicht ersichtlich, wie es der Antragstellerin möglich gewesen wäre, die Kosten für den vom Amt Dorf Mecklenburg-A-Stadt mit Bescheid vom 27. Dezember 2017 erhobenen Straßenbaubeitrag zu senken, sodass die Frage der Angemessenheit dahin gestellt bleiben könne. Die einmalig geschuldete Zahlung wäre im März 2018 als Fälligkeitsmonat zu übernehmen gewesen, sodass die Forderung des Antragsgegners auf vorrangige Beantragung des Erlasses oder der Niederschlagung der Forderung bzw. Eintragung einer Sicherungshypothek ins Grundbuch nicht eingreife.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Gegen den am 17. Mai 2018 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 5. Mai 2018 Beschwerde eingelegt und zur Begründung ausgeführt, ein Anordnungsgrund sei nicht gegeben. Eine besondere Eilbedürftigkeit scheide aus, weil die Antragstellerin nach § 2 SGB II verpflichtet gewesen sei, die Stundung oder den Erlass des Straßenbaubeitrages gem. § 12 KAG M-V i.V.m. § 222 bzw. § 227 Abgabenordnung geltend zu machen. Auch ein Anordnungsanspruch liege nicht vor. Es sei nicht höchstrichterlich geklärt, ob Straßenbaubeiträge als Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II zu berücksichtigen seien. Zudem sei § 7 Abs. 2 Satz 1 DV zu § 82 SGB XII weder direkt noch analog anwendbar.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Der Antragsgegner beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">den Beschluss des Sozialgerichts Schwerin vom 14. Mai 2018 aufzuheben und den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abzulehnen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">die Beschwerde zurückzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:90pt"><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Das Sozialgericht hat zu Recht die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG bejaht. Danach sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis statthaft, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Voraussetzung hierfür ist, dass sowohl ein Anordnungsanspruch im Sinne eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch ein Anordnungsgrund im Sinne der Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile gemäß § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Den hierfür erforderlichen Anordnungsanspruch hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht. Dieser folgt aus § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit die Änderung zu Gunsten des Betroffenen erfolgt. Vorliegend ist es im März 2018 zu einer Änderung zu Gunsten der Antragstellerin gekommen, als der gegen sie festgesetzte Straßenbaubeitrag in Höhe von 1.610,09 € fällig wurde. Um diesen Betrag erhöhen sich gemäß § 22 SGB II die Kosten der Unterkunft und Heizung für März 2018, da die übrigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld II unstreitig weiter vorliegen. Der Antragsgegner hat auch mit Änderungsbescheid vom 18. Mai 2018 – in Ausführung des streitigen Beschlusses vom 14. Mai 2018 – entsprechend höhere Leistungen für März 2018 unter Abänderung der hierzu bereits ergangenen Bescheide – jedoch vorbehaltlich des Ausgangs des Hauptsacheverfahrens – bewilligt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II regelt, dass Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt werden, soweit diese angemessen sind. Danach sind bezogen auf selbst genutzte Eigenheime grundsätzlich die Aufwendungen berücksichtigungsfähig, die tatsächlich und untrennbar mit der Nutzung des Hausgrundstücks anfallen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 24. Februar 2011 – B 14 AS 61/10 R –, juris, Rn. 14 f.). Anhaltspunkt hierfür sind alle notwendigen Ausgaben, die bei der Berechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung abzusetzen sind (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011 – B 14 AS 51/10 R –, Rn. 12, juris). Insoweit findet § 7 Abs. 2 DV zu § 82 SGB XII entsprechende Anwendung (vgl. BSG, wie vor). Nach dessen Satz 1 Nr. 2 gehören zu diesen Ausgaben neben Steuern vom Grundbesitz auch sonstige öffentliche Abgaben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Nach diesem Maßstab handelt es sich bei dem Straßenbaubeitrag, für den die Antragstellerin mit Bescheid vom 27. Dezember 2017 herangezogen wurde, um Kosten der Unterkunft. Für Straßenbaubeiträge nach § 8 KAG M-V, die als öffentliche Last auf dem Grundstück ruhen (§ 7 Abs. 6 KAG M-V), ist nach § 7 Abs. 2 KAG M-V derjenige beitragspflichtig, der – wie die Antragstellerin – im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beitragsbescheides Eigentümer des bevorteilten Grundstückes ist. Soweit solche Kosten in einer Summe fällig werden, sind sie als tatsächlicher, aktueller Bedarf im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu berücksichtigen und nicht auf längere Zeiträume zu verteilen (vgl. BSG, Urteil vom 24. Februar 2011 – B 14 AS 61/10 R –, juris, Rn. 14). Der Straßenbaubeitrag ist somit vollständig im Monat seiner Fälligkeit im März 2018 berücksichtigungsfähig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Der Straßenbaubeitrag ist als einmalige Aufwendung in der von der Antragstellerin geltend gemachten Höhe von 1.610 € auch angemessen i. S. des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Die Angemessenheit von mit der Nutzung von Eigentum verbundenen Kosten ist an den im Kalenderjahr anfallenden Kosten zu messen, die für Mietwohnungen angemessen sind (vgl. BSG, Urteil vom 24. Februar 2011 – B 14 AS 61/10 R –, juris, Rn. 19 f.). Die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft im SGB II sind unabhängig von der Angemessenheit der Heizkosten zu beurteilen (vgl. BSG, Urteil vom 2. Juli 2009 – B 14 AS 36/08 R –, juris). Nach der KdU-Richtlinie des Landkreises Nordwestmecklenburg in der jeweils gültigen Fassung ist in A-Stadt für eine Person eine monatliche Bruttokaltmiete in Höhe von 315,50 € und ab 1. März 2018 von 325,50 € maximal angemessen und damit im Kalenderjahr 2018 eine Bruttokaltmiete von insgesamt 3.886 €. Der Antragstellerin sind dagegen für ihr Eigenheim in 2018 ohne Berücksichtigung von Heizkosten insgesamt Unterkunftskosten in Höhe von 1.289,84 € entstanden und mit Bescheid vom 27. November 2017 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15. Januar 2018, 1. März 2018, 13. März 2018 und 4. Juni 2018 gewährt worden, sodass auch bei Hinzurechnung des streitigen Straßenbaubeitrages in Höhe von 1.610,09 € die gesamten Unterkunftskosten lediglich 2.899,93 € betragen und damit angemessen sind.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Im Übrigen steht dem Anspruch gemäß § 22 SGB II nicht entgegen, dass sich die Antragstellerin – entgegen der Auffassung des Antragsgegners – nicht um einen Erlass oder eine Stundung des Straßenbaubeitrages durch das Amt Dorf Mecklenburg-A-Stadt bemüht hat. Die Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II, auf die sich der Antragsgegner zur Begründung bezieht, greift nicht ein. Zwar müssen erwerbsfähige Leistungsberechtigte nach dieser Vorschrift alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen. Die mit diesem Selbsthilfegrundsatz zum Ausdruck kommende Obliegenheit zur Eigenaktivität kann als Auslegungshilfe bei der Anwendung und Interpretation aller Regelungen, die Rechte und Pflichten der Leistungsberechtigen normieren, herangezogen werden (vgl. BSG, Urteil vom 6. Mai 2010 – B 14 AS 7/09 R –, juris, Rn. 19). Insoweit hat zwar das Thüringer Landessozialgericht ohne nähere Begründung vertreten, dass Straßenausbaubeiträge als Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem Selbsthilfegrundsatz gemäß § 2 SGB II nur dann zu übernehmen seien, wenn die leistungsberechtigte Person die Erfolglosigkeit des Abschlusses einer Stundungsvereinbarung nachgewiesen habe (vgl. Thüringer Landessozialgericht, Urteil vom 14. März 2013 – L 9 AS 1302/10 –, juris, Rn. 32). Dem folgt der Senat jedoch nicht, weil die Regelung des § 22 Abs. 1 SGB II keinen Rückgriff auf die Auslegungshilfe des § 2 SGB II erfordert. So enthält § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II – wie ausgeführt – bereits die Beschränkung, dass Kosten der Unterkunft und Heizung nur im Rahmen der Angemessenheit zu gewähren sind. Erst wenn diese Aufwendungen die Angemessenheitsgrenze übersteigen, sind sie nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II als Bedarf (ausnahmsweise) so lange anzuerkennen, wie es der oder dem Leistungsberechtigten nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Die danach mögliche Leistungskürzung ist als besonderer gesetzlicher Anwendungsfall des allgemeinen Grundsatzes des Forderns nach § 2 SGB II ausgestaltet (vgl. BSG, Urteil vom 19. März 2008 – B 11b AS 43/06 R –, juris, Rn. 15, noch zur nahezu identischen Vorgängerregelung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Nach Erteilung der Kostensenkungsaufforderung im Fall des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II trifft den Leistungsberechtigten gemäß § 2 SGB II die Pflicht, mit dem Grundsicherungsträger in einen Dialog über die angemessenen Kosten der Unterkunft einzutreten, und damit die Obliegenheit, die (unangemessenen) Kosten der Unterkunft und Heizung zu senken (vgl. BSG, Urteil vom 27. Februar 2008 – B 14/7b AS 70/06 R – juris). Sind dagegen die Kosten der Unterkunft und Heizung – wie hier die der Antragstellerin – angemessen, ist die leistungsberechtigte Person nicht darüber hinaus nach § 2 SGB II verpflichtet, die angemessenen Wohnkosten noch weiter zu senken. Dies hätte ansonsten zur Konsequenz, dass sich die leistungsberechtigte Person (regelmäßig) an jeden Gläubiger ihrer Unterkunftskosten zwecks Erlass und Stundung wenden müsste. So hätte die Antragstellerin – was der Antragsgegner offenkundig nicht verlangt – bei dem zuständigen Amt Erlass und Stundung nicht nur des Straßenbaubeitrages, sondern auch der Grundbesitzabgaben beantragen müssen oder etwa gegenüber dem Heizöllieferanten ebenfalls Erlass bzw. zumindest den Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung über den Rechnungsbetrag von 1.476,46 € für die Lieferung von Heizöl im Januar 2018 geltend machen müssen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Daraus folgt zugleich, dass der Versagungsbescheid vom 3. Mai 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juni 2018 nach § 66 SGB I sich mangels Verletzung einer Mitwirkungspflicht im Sinne von § 60 SGB I als rechtswidrig erweisen dürfte, weil die Antragstellerin nicht verpflichtet war, den Erlass und die Stundung des Straßenbaubeitrages geltend zu machen und dies dem Antragsgegner gegenüber nachzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Der Anordnungsgrund gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG folgt grundsätzlich und so auch vorliegend aus dem Anordnungsanspruch auf existenzsichernde Leistungen nach dem SGB II, weil der Antragstellerin das Abwarten auf den Ausgang des mitunter langwierigen Hauptsacheverfahrens nicht zumutbar ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG analog.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a>
</div>
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} | 4 K 1245/18 | 2019-01-09T00:00:00 | 2019-02-07T14:18:57 | 2019-02-12T13:33:30 | Urteil | <h2>Tenor</h2>
<p/><p>Die Klagen werden abgewiesen.</p><p>Die Klägerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.</p><p>Die Berufung wird zugelassen.</p>
<h2>Tatbestand</h2>
<table><tr><td> </td><td><table><tr><td/></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Die beiden Klägerinnen sind jeweils Fraktionsgemeinschaften im Gemeinderat der Stadt Freiburg. Sie begehren vom beklagten Oberbürgermeister Auskunft über die Stellenanmeldungen der Ämter der Stadt für die Fertigung des Haushaltsplanentwurfs.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Der Gemeinderat der Stadt Freiburg umfasst 48 Gemeinderäte. Vier Gemeinderäte haben sich zur Klägerin zu 1, sieben Gemeinderäte haben sich zur Klägerin zu 2 zusammengeschlossen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Mit E-Mail vom 07.03.2017 wandte sich die Klägerin zu 1 an den Beklagten mit der Bitte, ihr „rechtzeitig zur zweiten Lesung (des Haushaltsplanentwurfs) eine Liste der Stellenanträge und -vorschläge zu schicken, die innerhalb der Verwaltung nicht genehmigt wurden.“ Zur Begründung führte sie aus: Sie benötige die Information, um sachgerecht über den Stellenplan als Teil des Haushaltsplans beschließen zu können. Der E-Mail beigefügt war ein von den Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen gefertigtes Kurz-Gutachten vom 02.03.2017. Das Rechtsamt der Stadt Freiburg kam demgegenüber zum Ergebnis, dass eine Gemeinderatsfraktion keinen entsprechenden Auskunftsanspruch habe. Das von ihm befragte Regierungspräsidium Freiburg teilte diese Rechtsauffassung. Mit Schreiben vom 17.03.2017 teilte der Leiter des Haupt- und Personalamts der Stadt Freiburg der Klägerin zu 1 mit, dass ihr Anliegen nicht vom Informationsrecht nach § 24 Abs. 4 GemO umfasst sei, und unterrichtete hiervon die im Gemeinderat vertretenen Fraktionen, Fraktionsgemeinschaften und die im Gemeinderat vertretene Gruppierung.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Die Klägerinnen haben am 07.02.2018 Klage erhoben mit dem Antrag, festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet gewesen ist, den Klägerinnen als Gemeinderäten bzw. Fraktionsgemeinschaften Auskunft darüber zu erteilen, welche der verwaltungsinternen Stellenanforderungen nicht in den Haushaltsplan-Entwurf für das Haushaltsjahr Doppelhaushalt 2017/2018 Eingang gefunden haben. In der mündlichen Verhandlung haben sie diesen Antrag teils erweitert, teils genauer gefasst. Sie tragen vor: Die Klagen seien als Feststellungsklagen zulässig. Auch die Klägerin zu 2 sei klagebefugt. Denn auch sie habe ein schützenswertes Interesse daran, dass elementare, die Arbeit eines Gemeinderats bzw. einer Fraktion betreffende Fragen entsprechend den Vorgaben der Gemeindeordnung von dem (Ober-)Bürgermeister bzw. der Verwaltung beantwortet würden. Die Klagen seien auch begründet. Vor Aufstellung des Stellenplans als Teil der Haushaltssatzung frage die Verwaltung regelmäßig bei allen Ämtern nach, welche Stellen aus deren Sicht zur Wahrnehmung der jeweiligen Aufgaben erforderlich seien. Diese „verwaltungsinternen Stellenanforderungen“ bildeten die Grundlage der dann zu treffenden Entscheidung über die konkrete Ausgestaltung des Stellenplan-Entwurfs, der Teil des dem Gemeinderat vorzulegenden Haushaltsplan-Entwurfs werde. Zur wirksamen und sachgerechten Wahrnehmung ihrer Aufgaben müsse ein Gemeinderat bzw. eine Fraktionsgemeinschaft wissen, welche weitergehenden Stellen die Ämter jeweils angefordert hätten. Nur dann könnten sie entscheiden, ob der Stellenplan sachgerecht, angemessen und zutreffend sei. Sie habe auch nach Verabschiedung des Doppelhaushalts 2017/2018 ein Interesse an der Klärung ihres Informationsanspruchs im Hinblick auf kommende Haushaltsberatungen. Dieses Interesse habe auch die Klägerin zu 2. Der Beklagte hätte das Auskunftsverlangen erfüllen müssen. Es sei die vornehmste und originäre Aufgabe des Gemeinderats, im Stellenplan die Stellen der Beamten sowie der nicht nur vorübergehend beschäftigten Arbeitnehmer, die für die Erfüllung der Aufgaben im Haushaltsjahr erforderlich seien, zu beschließen. Der Auskunftsanspruch ergebe sich aus § 24 Abs. 4 GemO. Sinn und Zweck des Auskunftsanspruchs sei es, dem Gemeinderat einen vollständigen Überblick über die Qualität der Aufgabenerledigung durch die anderen Gemeindeorgane zu geben, damit dieser auf etwaige Missstände reagieren könne. Eine sachgerechte Beratung im Gemeinderat sei nur möglich, wenn die Gemeinderäte die Grundlagen und Hintergründe des Zustandekommens des Haushaltsplan-Entwurfs kennen. Der Auskunftsanspruch umfasse auch Personalangelegenheiten sowie Steuerfragen, unabhängig von ihrer Vertraulichkeit und Individualität. Dem Anspruch lasse sich auch nicht entgegenhalten, dass es um „individuelle Bedarfsbeurteilungen“ gehe und dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Gemeindeverwaltung selbst nicht Adressaten eines Auskunftsanspruchs seien. Das Auskunftsbegehren sei auch nicht etwa missbräuchlich.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Die Klägerinnen beantragen,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="6"/>festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, den Klägerinnen darüber Auskunft zu erteilen, welche der verwaltungsinternen Stellenanträge der Amtsleitungen und Dezernate nicht die Haushaltsplan-Entwürfe Eingang gefunden haben.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Der Beklagte beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="8"/>die Klagen abzuweisen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Er trägt vor: Für den nunmehr gestellten Klagantrag bestünden keine Zweifel mehr an der Klagebefugnis der Klägerin zu 2. Die Klägerinnen hätten keinen Anspruch auf Auskunft darüber, welche Stellenwünsche der Amtsleitungen und Dezernenten nicht in den Haushaltsplan-Entwurf der Stadt Freiburg für den Doppelhaushalt 2017/2018 Eingang gefunden hätten. Allerdings beziehe sich der Auskunftsanspruch gemäß § 24 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 GemO auf einzelne Angelegenheiten der Gemeinde und ihre Verwaltung. Dazu gehöre auch der Stellenplan gemäß § 57 GemO. Gegenstand der begehrten Auskunft sei jedoch nicht der Stellenplan-Entwurf. Gegenstand der begehrten Auskunft seien vielmehr individuelle Stellenvorschläge einzelner Ämter. Eine Anfrage zu solchen Stellenbedarfsmeldungen einzelner Ämter ziele ihrem Wesen nach auf die Mitteilung subjektiver Einschätzungen der Verwaltungsbediensteten, die dem (Ober-) Bürgermeister nachgeordnet seien. Solche subjektiven Einschätzungen und Werturteile nachgeordneter Verwaltungsbediensteten seien jedoch von dem Auskunftsanspruch nach § 24 Abs. 4, 3 GemO nicht umfasst. Dies ergebe sich aus Folgendem: Nach den genannten Vorschriften könne Auskunft nur vom (Ober-)Bürgermeister begehrt werden. Nur er sei dazu berufen, gegenüber der bürgerschaftlichen Vertretung die Belange der Verwaltung zu wahren. Zwar hätten die Klägerinnen den Auskunftsanspruch formal an den Oberbürgermeister gerichtet. In der Sache verlangten sie aber Auskunft über Stellenwünsche einzelner Amts- und Abteilungsleitungen oder anderer Führungskräfte. Sei ein Auskunftsanspruch aber nicht auf Tatsachen, sondern wie hier auf die Abfrage von individuellen Einschätzungen, Meinungen und Werturteilen gerichtet, könne der (Ober-)Bürgermeister als Adressat des Auskunftsanspruchs allenfalls verpflichtet seien, über seine eigene Meinung und Einschätzung bzw. über die Einschätzung einer von ihm repräsentierten einheitlichen Verwaltung Auskunft zu erteilen. Seine Einschätzung finde sich jedoch im Entwurf des Stellenplans selbst. Dieses Ergebnis entspreche der gesetzgeberischen Wertung von § 33 Abs. 2 GemO. Danach könne der (Ober-)Bürgermeister in den Sitzungen des Gemeinderats den Vortrag einem Gemeindebediensteten übertragen. Die Mitwirkung eines Bediensteten beschränke sich jedoch darauf, anstelle des (Ober-)Bürgermeisters den Vorschlag der Gemeindeverwaltung vorzutragen. Eine eigene Wertung könne er nicht vornehmen, auch nicht auf entsprechende Fragen des Gemeinderats hin. Die beanspruchte Unterrichtung über subjektive Einschätzungen einzelner nachgeordneter Bediensteter würde darüber hinaus das Prinzip der Einheitlichkeit der Verwaltung konterkarieren sowie der Funktion des (Ober-)Bürgermeisters als Verwaltungsspitze zuwiderlaufen. Das Prinzip der Einheitlichkeit der Verwaltung sei in Literatur und Rechtsprechung anerkannt. Auch die innere Organisation der Gemeinde folge, nicht zuletzt aus Gründen der Funktionsfähigkeit, diesem Prinzip. Es könne vom Gemeinderat nicht eingeschränkt werden. Ihm sei auch bei der Beantwortung einer Anfrage nach § 24 Abs. 4 und 3 GemO Rechnung zu tragen. Der an den (Ober-)Bürgermeister zu richtende Auskunftsanspruch treffe daher diesen in seiner Eigenschaft als Leiter der Gemeindeverwaltung. Es käme einer Preisgabe des Prinzips der Einheitlichkeit der Verwaltung gleich, wenn der (Ober-)Bürgermeister verpflichtet wäre, über zahlreiche (ggf. von der gesamtstädtischen Einschätzung abweichende) individuelle Einschätzungen und die daraus resultierenden Anträge/Wünsche einzelner Bediensteter Auskunft zu erteilen. Dies verdeutliche der Verfahrensablauf, der zu dem Entwurf des Stellenplans führe. In dem Verfahren zur Aufstellung des Entwurfs des Stellenplans würden zunächst Vorschläge auf den untersten Hierarchieebenen formuliert und von den nächsthöheren Hierarchieebenen im Abgleich mit weiteren Vorschlägen anderer, nachgeordneter Ebenen bewertet. Diese Bewertungen in Gestalt von Abwägungs- und Priorisierungsvorgängen erfolgten auf jeder Hierarchieebene, bei Sachgebietsleitungen, Abteilungsleitungen, Amtsleitungen und bei den Dezernaten. So seien bei der Stadt Freiburg etwa 380 Führungs-/Leitungspersonen beschäftigt, die im Rahmen von Haushaltsberatungen potentiell einen nach ihrer subjektiven Einschätzung bestehenden Stellenbedarf anmeldeten. Bei einer so großen Anzahl von Einzelmeinungen sei es zudem fraglich, ob sich der geltend gemachte Auskunftsanspruch noch auf eine einzelne Angelegenheit im Sinn von § 24 Abs. 4 GemO beziehe oder nicht vielmehr Ausforschungscharakter habe. Die begehrte Information sei auch nicht für die Aufgabenerfüllung des Gemeinderats von Bedeutung. Die konkrete Aufteilung der Stellen gehöre nicht zu den Aufgaben des Gemeinderats, sondern obliege nur dem (Ober-)Bürgermeister. Die Zuweisung der Stellen zu den einzelnen Ämtern und Dienststellen obliege kraft seiner Kompetenz nach § 44 Abs. 1 GemO allein dem (Ober-)Bürgermeister. Das zeige sich auch daran, dass Teil C des Stellenplans gemäß Anl. 11 zu § 5 GemHVO, in dem die Aufteilung der Stellen auf die Teilhaushalte dargestellt werde, nur nachrichtlich aufgeführt und nicht vom Gemeinderat beschlossen werde. Auch die Kontrollfunktion des Gemeinderats erfordere keine Kenntnis von den einzelnen Stellenbedarfseinschätzungen. Daraus könne geschlossen werden, dass diese Information des Gemeinderats grundsätzlich als ausreichend angesehen werde, zumal Anhaltspunkt für die Zahl der erforderlichen Stellen zunächst die Stellenbesetzung des Vorjahres sei und wesentliche Abweichungen hiervon gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 GemHVO zu erläutern seien. Sofern der Gemeinderat darüber hinaus seine Kontrollfunktion wahrnehmen wolle, etwa weil Anhaltspunkte dafür bestünden, dass in bestimmten Bereichen eine Personalunterdeckung bestehen könnte, könne er selbstverständlich Anfragen und Anträge stellen. Diese könnten sich dann aber nur auf eine Einschätzung der einheitlichen Gemeindeverwaltung beziehen. Schließlich stellten interne Stellenvorschläge, die keinen Eingang in den Stellenplanentwurf gefunden hätten, keine Frage von gemeindepolitischer Bedeutung dar, da sie den Haushalt gerade nicht belasteten.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Mit Schreiben vom 17.09.2018 haben beide Klägerinnen den Beklagten um Auskunft über die Anzahl der Stellenanmeldungen des Amtes für Kinder, Jugend und Familie für Fachkräfte im Kommunalen Sozialen Dienst zum Doppelhaushalt 2019/2020 gebeten, den der Gemeinderat voraussichtlich im März 2019 beschließen wird. Mit Schreiben vom 22.10.2018 an beide Klägerinnen hat die für dieses Amt zuständige Bürgermeisterin einen Auskunftsanspruch insoweit verneint.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Auf Anfrage der Kammer dazu, wie nach der Aktenordnung der Stadt Freiburg mit den Vorschlägen der Ämter über weitere Stellen verfahren werde, hat der Beklagte mitgeteilt, dass einzelne Stellenanträge/-wünsche der Fachämter zu keinem Zeitpunkt Eingang in Haushaltsakten der Stadtkämmerei fänden. In die Haushaltsakten bzw. den Haushaltsplan gehe erst der zwischen dem Beklagten und den Dezernenten besprochene und abgestimmte Stellenplan ab dem Zeitpunkt der zweiten Lesung des Haushaltsplanentwurfs ein; erst dann werde auch der Gemeinderat über die Entwicklung der Planstellen, der Personalaufwendungen und den Stellplan zum Doppelhaushalt informiert.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Der Kammer liegt je ein Heft Akten des Haupt- und Personalamts der Stadt Freiburg und der Stadtkämmerei vor.</td></tr></table></td></tr></table>
<h2>Entscheidungsgründe</h2>
<table><tr><td> </td><td> <table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Dass die Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung die Klaganträge nach Hinweis des Gerichts teils erweitert und teils genauer gefasst haben, ist zulässig. Sofern und soweit darin eine Klagänderung liegen sollte, ist dem der Beklagte nicht entgegengetreten; diese wäre im Übrigen auch sachdienlich (vgl. § 91 Abs. 1 und 2 VwGO).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Mit den geänderten Klaganträgen sind die Klagen zwar zulässig (I.), aber nicht begründet (II.).</td></tr></table>
<table><tr><td>I.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>1. Die Klägerinnen als Fraktionsgemeinschaften im Gemeinderat und der Beklagte als Oberbürgermeister können als Organe der Gemeindeverfassung im innerstädtischen Kommunalverfassungsstreit Beteiligte eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sein (gemäß § 61 Nr. 1 bzw. Nr. 2 VwGO in analoger Anwendung, vgl. Engel/Heilshorn, Kommunalrecht Baden-Württemberg, 10. Aufl., § 17, Rn. 7 m.w.N.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Für Fraktionsgemeinschaften ergibt sich dies aus § 32a GemO i.V.m. der Geschäftsordnung des Gemeinderats der Stadt Freiburg vom 18.10.1977, zuletzt geändert am 20.03.2018. Fraktionsgemeinschaften unterscheiden sich von Fraktionen im Allgemeinen dadurch, dass ihre Mitglieder nicht von einer, sondern von mehreren Listen gewählt sind. Fraktionsgemeinschaften sind, wie der Begriff deutlich macht, keine Fraktionen im Sinn von § 32a GemO. Fraktionen sind zunächst einmal Zusammenschlüsse der Mitglieder des Gemeinderats, die auf derselben Kommunalwahlliste kandidiert haben, u.U. können auch Zusammenschlüsse verschiedener Listen, die ein sehr hohes Maß an politischer Übereinstimmung haben, Fraktionen sein (vgl. Wahlprüfungsausschuss des Deutschen Bundestags vom 18.10.2018 - WP 28/17 - BT-Drucks. 19/5200; Schwerdtfeger, Vereinbarungen von Schwesterparteien, NVwZ 2017, 841 zu VG Wiesbaden, Urt. v. 30.12.2016 - 6 K 1805/16.Wi -, juris). Gebildet werden Fraktionsgemeinschaften aus dem Bedürfnis von in der Regel kleineren Gruppierungen, die den Fraktionsstatus allein jeweils nicht erlangen können, sich zur Durchsetzung ihrer gemeinsamen politischen Vorstellungen zusammenzuschließen und dabei auch Fraktionsrechte zu erhalten. Der Gesetzgeber hat zwar davon abgesehen, Fraktionsgemeinschaften, anders als - erstmals im Jahr 2015 - Fraktionen, gesetzlich zu regeln (vgl. § 32a GemO). Dennoch ist das Recht zur Bildung auch von Fraktionsgemeinschaften wohl allgemein anerkannt (vgl. Engel/Heilshorn, Kommunalrecht Baden-Württemberg, 10. Aufl., § 14 Rn. 119; vgl. Bayer. VGH, Beschl. v. 20.03.2017 - 4 ZB 16.1815 -, juris; vgl. auch, allerdings zu eher niedrigen Anforderungen an eine Fraktionsbildung, Sächs. OVG, Beschl. v. 06.05.2009 - 4 A 116/09 -, juris). Ausdrücklich anerkannt sind sie in der Geschäftsordnung des Gemeinderats der Stadt Freiburg. Zwar wird in deren § 2 ausdrücklich nur bestimmt, dass sich die Stadträte zu „Fraktionen“ zusammenschließen können und dass eine Fraktion aus mindestens drei Stadträten bestehen muss. Die Anerkennung von Fraktionsgemeinschaften ergibt sich aber ohne Weiteres aus ihrer ausdrücklichen Gleichstellung mit Fraktionen bei einzelnen Organrechten (§ 3 Abs. 2: Zusammensetzung des Ältestenrats und § 11 Abs. 2 und 3: Rederecht und Redezeit). Der Vertreter des Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung zudem bestätigt, dass darüber hinaus in der Praxis den Fraktionsgemeinschaften auch die weiteren Fraktionsrechte aus der Geschäftsordnung (insbesondere § 13 Abs. 1 und 2: Einflussnahme auf die Tagesordnung von Gemeinderat und von Ausschüssen) zugestanden sind. Zwischen den Beteiligten ist auch nicht etwa streitig, dass die Klägerinnen das für den Zusammenschluss als Fraktionsgemeinschaft erforderliche Maß an organisatorischer und inhaltlicher Zusammenarbeit erfüllen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>2. Die Klagen sind als Feststellungsklagen gemäß § 43 Abs. 1 VwGO statthaft und auch sonst zulässig. Denn zwischen den Klägerinnen als Fraktionsgemeinschaften und dem Beklagten als Oberbürgermeister besteht ein gemeinderechtlich erhebliches Rechtsverhältnis, da sie jeweils von der Gemeindeordnung in Verbindung mit der Geschäftsordnung des Gemeinderats mit jeweils eigenen Rechten bzw. Pflichten ausgestattet sind, die hier im Streit stehen. Dieses Rechtsverhältnis ist nicht begrenzt auf die dem vorliegenden Rechtsstreit zugrunde liegende Anfrage der Klägerin zu 1 vom 07.03.2017 und deren Ablehnung durch den Beklagten im Schreiben vom 17.03.2017. Vielmehr hat der Beklagte allen Fraktionen und Fraktionsgemeinschaften sowie der weiteren Gruppierung im Gemeinderat deutlich gemacht, dass er künftig allgemein entsprechende Anfragen mit der von ihm für richtig gehaltenen Einschränkung beantworten werde.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>3. Aus diesem Grund steht auch nicht nur der Klägerin zu 1, sondern auch der Klägerin zu 2 gemäß § 42 Abs. 2 VwGO eine Klagebefugnis zu. Denn auch bei ihr steht aufgrund der Rechtsauffassung des Beklagten ihr Organrecht auf Unterrichtung bzw. Auskunft infrage (vgl. BVerwG. Beschl. v. 22.12.1988 - 7 B 208/87 -, NVwZ 1989, 470; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 25.03.1999 - 1 S 2059/98 -, VBlBW 1999, 304 = juris, Rn. 22). Jedenfalls durch die in der mündlichen Verhandlung erweiterte Antragstellung ist das Klagebegehren beider Klägerinnen von der Ablehnung des Antrags der Klägerin zu 1 durch den Beklagten gelöst worden und kommt es nicht mehr darauf an, ob sich die Klägerin zu 2, um eine Klagebefugnis zu erhalten, dem ursprünglichen Antrag der Klägerin zu 1 hätte anschließen müssen (so für andere Fallgestaltungen VG Karlsruhe, Urt. v. 09.02.2017 - 9 K 933/16 -, juris, Rn. 19; VG Oldenburg, Beschl. v. 02.04.2004 - 2 B 1229/04 -, juris, Rn. 2; VG Düsseldorf, Urt. v. 20.10.2017 - 1 K 8645/16 -, juris, Rn. 23, alle juris). Dementsprechend hat der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung die Klagebefugnis für den geänderten Klagantrag auch nicht mehr in Zweifel gezogen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Die Klagebefugnis fehlt den Klägerinnen auch nicht deshalb, weil sie möglicherweise nicht nur Auskunft im Sinne von § 24 Abs. 4 GemO, sondern Unterrichtung im Sinne von § 24 Abs. 3 GemO begehren und nicht Fraktionen, sondern (nur) Fraktionsgemeinschaften sind. Denn der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass in der Praxis der Kommunalverfassung der Stadt Fraktionsgemeinschaften dieses Organrecht zusteht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>4. Schließlich ist das Feststellungsinteresse (§ 43 Abs. 1 VwGO) der Klägerinnen nicht zweifelhaft.</td></tr></table>
<table><tr><td>II.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Die Klagen sind aber nicht begründet. Den Klägerinnen steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Unterrichtung bzw. Auskunft über die Stellenanträge der Amtsleitungen bzw. Dezernenten in den jeweils laufenden Haushaltsberatungen zu.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>1. Ein entsprechender Anspruch scheitert allerdings noch nicht daran, dass eine Anfrage nach sämtlichen über den Stellenplanentwurf hinausgehenden Stellenanmeldungen der Amtsleitungen und der Dezernate als Unterrichtung im Sinne von § 24 Abs. 3 Satz 1 GemO verstanden werden könnte, auf die nicht einzelne Abgeordnete, sondern nur Fraktionen und die Gesamtheit eines Sechstels der Gemeinderäte Anspruch haben. Einer Abgrenzung zur Auskunft gemäß § 24 Abs. 4 GemO (vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urt. v. 30.03.1992 - 1 S 1762/91 -, BWGZ 1992, 472 = DÖV 1992, 838 = juris, sowie OVG Sachsen, Urt. v. 07.07.2015 - 4 A 12/14 - NVwZ-RR 2016, 193) bedarf es insoweit nicht, weil zulässigerweise von Gemeinderäten gebildeten Fraktionsgemeinschaften - wie Fraktionen - unabhängig von der Einhaltung des Quorums von einem Sechstel der der Gemeinderäte jedenfalls dann ein Recht auf Unterrichtung über Gemeindeangelegenheiten gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 GemO zusteht, wenn die Geschäftsordnung des Gemeinderats bzw. ihre allgemeine Handhabung dies vorsieht. Anhaltspunkte dafür, dass die Gemeindeordnung eine entsprechende Gleichbehandlung von Fraktionen und Gemeinderäten in den Gemeinden verbieten würde, hat die Kammer nicht. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Zugang von Fraktionsgemeinschaften zu bestimmten Organrechten, die ein bestimmtes Quorum erfordern zur weiteren Minderung der Bedeutung dieser Einschränkung führt; denn die Minderung der Bedeutung des Quorums für einzelne Organrechte folgt schon daraus, dass der Gesetzgeber die (meisten) von der Einhaltung von Quoren abhängigen Rechte auch den Fraktionen einräumt, die nach den Geschäftsordnungen der Gemeinderäte häufig von nur drei, in kleineren Gemeinden auch von nur zwei Gemeinderäten gebildet werden können (zur Kritik hieran vgl. LT-Drucks. 15/7265, Stellungnahme des Städtetags, Nr. 6; vgl. auch, noch weitergehend und nach Kritik von Kommunalverbänden gestrichenen, § 32a Abs. 4 GemO-E im Entwurf - Stand: 30.01.2015 - eines Gesetzes zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften, veröffentlicht im Internet-Beteiligungsportal des Landes).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>2. Unstreitig ist auch, dass die Frage, wie hoch der Stellenbedarf der Ämter ist, eine Angelegenheit der Gemeinde im Sinne von § 24 Abs. 3 GemO betrifft.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>3. Die Informationsrechte von Gemeinderäten auf Unterrichtung und Auskunft durch den (Ober-)Bürgermeister gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 und § 24 Abs. 4 GemO umfassen aber nicht das Recht, von diesem die Standpunkte von Amtsleitern oder Dezernenten zu erfragen, die diese im verwaltungsinternen Meinungsbildungsprozess vertreten bzw. vertreten haben. Ein entsprechendes Auskunfts- oder Unterrichtungsrecht der Klägerinnen besteht jedenfalls deshalb nicht, weil die Anspruchsberechtigten nach § 24 Abs. 3 und 4 GemO grundsätzlich nur eine Unterrichtung oder Auskunft durch den (Ober-)Bürgermeister verlangen können. Dies schließt nicht nur aus, dass sich Gemeinderäte insoweit - ohne Einverständnis des (Ober-)Bürgermeisters - unmittelbar an nachgeordnete Bedienstete der Gemeindeverwaltung wenden können. Dies schließt vielmehr auch aus, dass der (Ober-)Bürgermeister verpflichtet ist, darüber Auskunft zu geben, wie die ihm nachgeordneten Bediensteten der Gemeinde auf eine entsprechende Frage antworten würden oder wie sie - hierauf richtet sich das Begehren der Klägerinnen hier - gemeindeintern in der Vergangenheit eine solche Frage beantwortet haben. Dies mag eine Ausprägung des in der baden-württembergischen Gemeindeordnung nicht geregelten, aber in verschiedenen Zusammenhängen betonten Grundsatzes der Einheitlichkeit der Verwaltung sein (vgl. etwa VG Münster, Urt. v. 06.05.2011 - 1 K 508/10 -, NVwZ-RR 2011, 741; VG Potsdam, Beschl. v. 19.11.1997 - 2 L 1202/97 -; § 52 Abs. 1 nw GemO), folgt aber jedenfalls unmittelbar schon aus dem Wortlaut der genannten Vorschriften und im Übrigen auch aus einer Gesamtschau der gemeinderätlichen Informationsrechte.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Zu Recht weist der Beklagte in diesem Zusammenhang auch auf § 33 Abs. 2 Halbs. 2 GemO hin. Nach dieser Vorschrift muss der (Ober-)Bürgermeister bzw. Vorsitzende des Gemeinderats auf Verlangen des (ganzen) Gemeinderats einen Bediensteten zu sachverständigen Auskünften hinzuziehen. Dabei macht der Umstand, dass ein solches Befragungsrecht allein auf sachverständige Auskünfte gerichtet ist, und der Umstand, dass ein entsprechendes Recht nur dem ganzen Gemeinderat zusteht, deutlich, dass der Gesetzgeber im Verhältnis von Gemeinderat zu (Ober-)Bürgermeister letzteren davor schützen will, in einen (fachlichen) Gegensatz zu den nachgeordneten Bediensteten der Verwaltung zu geraten. Überdies ist anerkannt, dass nachgeordnete Bedienstete der Gemeindeverwaltung bei der Beantwortung entsprechender Fragen weisungsgebunden sind (OVG Sachs.-Anh., Beschl. v. 31.07.2009 - 4 O 127/09 -; VG Magdeburg, Beschl. v. 09.11.2015 - 9 B 745/15 -; VG Meiningen, Beschl. v. 14.04.2015 - 2 K 286/14 -, alle juris).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Dieses vom Wortlaut der Vorschriften vorgegebene Verständnis entspricht der starken Stellung, welche die Gemeindeverfassung nach der baden-württembergischen Gemeindeordnung dem (Ober-)Bürgermeister als Leiter der Gemeindeverwaltung (§ 44 Abs. 1 GemO) gegenüber dem Gemeinderat einräumt. Diese Stellung wäre beeinträchtigt, wenn der (Ober-)Bürgermeister verpflichtet wäre, mittels des Rechts auf Unterrichtung oder Auskunft den Gemeinderäten Einblick in den verwaltungsinternen Meinungsbildungsprozess zu geben. Denn schon die Offenlegung einer Meinungsverschiedenheit mit einer nachgeordneten Leitungsebene in der Verwaltung könnte ggf. die jeweilige Überzeugungskraft des (Ober-)Bürgermeisters in einzelnen Fragen gegenüber dem Gemeinderat schwächen, erst Recht bestünde eine solche Möglichkeit, wenn der (Ober-)Bürgermeister folgerichtig auch gezwungen wäre, auf weitere Nachfragen jeweils die abweichende Meinung der nachgeordneten Verwaltungsebene zu erläutern.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Dass der (Ober-)Bürgermeister somit nicht zur Meinung der nachgeordneten Bediensteten der Gemeindeverwaltung befragt werden kann, gilt allgemein und damit auch für das Klageziel der Klägerinnen, Auskunft oder Unterrichtung über (zusätzliche) Stellenforderungen der Amtsleitungen und Dezernate zu erhalten, um ihr Organrecht, den Gemeindehaushalt zu beraten und zu beschließen, sachgemäß ausüben zu können. Insoweit erscheint es der Kammer zwar nicht als zweifelhaft, dass die geforderte Unterrichtung bzw. Auskunft für den Gemeinderat hilfreich wäre, den vom (Ober-)Bürgermeister vorgelegten Haushaltsplanentwurf kritisch zu würdigen und ggf. - auch nach Einholung weiterer Auskünfte zu evtl. gegebenen Defiziten bei der Ausstattung mit Stellen in einzelnen Bereichen - die Notwendigkeit von Änderungsanträgen zu begründen. Dagegen lässt sich wohl auch nicht einwenden, dass der Gemeinderat mit der Haushaltssatzung auch den Stellenplan beschließt (§ 80 Abs. 1 Satz 4, § 57 GemO, § 5 GemHVO), der von ihm beschlossene Stellenplan aber nicht die Aufteilung der Stellen auf die Teilhaushalte umfasst, weil die insoweit vorgesehene Verteilung dem Stellenplan nur nachrichtlich beigefügt wird (§ 5 Abs. 1 Satz 4 GemHVO, vgl. auch Anlage 11 zu § 5 GemHVO, Teil C). Denn aus dieser Übersicht ergibt sich jedenfalls, wie sich die Gesamtzahl der Stellen nach der Vorstellung des (Ober-)Bürgermeisters auf die Teilbereiche verteilt und lassen sich daraus ggf. Hinweise dafür gewinnen, ob der Gemeinderat zusätzliche Stellen in den Stellenplan aufnehmen sollte, ggf. unter Verzicht auf andere Ausgaben. Auch haben die Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung wohl mit Recht darauf hingewiesen, dass jedenfalls die abschließende Meinung der Amtsleitungen oder Dezernenten zur Erforderlichkeit von (zusätzlichen) Stellen im Allgemeinen sehr stark von objektiven Gegebenheiten und weniger von subjektiven Einschätzungen geprägt sein dürfte. Dies alles ändert aber nichts daran, dass es letztlich dem (Ober-)Bürgermeister in seiner Gesamtverantwortung obliegt, gegenüber dem Gemeinderat eine einheitliche Auffassung der Verwaltung zur Notwendigkeit von Stellen zu vertreten, mit der er die Teil- Stellenwünsche der Amtsleitungen und Dezernate abschließend bewertet und in einen Ausgleich gebracht hat.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Diese Auslegung von § 24 Abs. 3 Satz 1 und § 24 Abs. 4 GemO wird auch dadurch gestützt, dass das Interesse der Verwaltung, ihre interne Willensbildung vor Preisgabe zu schützen, auch sonst anerkannt ist (vgl. im Informationsfreiheitsrecht etwa § 28 Abs. 2 Nr. 2 UVwG, § 8 UIG und dazu VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.06.2017 - 10 S 436/15 -, Rn. 40; ferner § 3 Nr. 3 IFG und § 4 Abs. 1 Nr. 6 LIFG; vgl. auch, zum Recht von Bundestagsabgeordneten, die Regierung zu befragen, BVerfG, Urt. v. 07.11.2017 - 2 BVerfGE 2/11 -, BVerfGE 147, 50 = NVwZ 2018, 51 = juris, Rn. 227 ff.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Die gefundene Auslegung fügt sich schließlich auch in die Systematik der Informationsrechte des Gemeinderats ein. Denn neben dem Auskunfts- und dem Unterrichtungsrecht steht dem Gemeinderat ein Akteneinsichtsrecht gegenüber dem (Ober-)Bürgermeister gemäß § 24 Abs. 3 Satz 2 GemO zu. Dieses erlaubt über die Unterrichtung von Entscheidungen und Sachverhalten hinaus den Einblick in die verwaltungsinternen Abstimmungs-, Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse, soweit sie verschriftlich und nach den Grundsätzen geordneter Aktenführung, ggf. auch der gemeindlichen Aktenordnung, verschriftlicht (bzw. bei elektronischer Aktenführung gespeichert) und Bestandteil von Akten geworden sind. Wegen dieses besonders umfassenden Einblicks setzt das Recht des Gemeinderats auf Akteneinsicht aber voraus, dass es von einem Viertel des Gemeinderats geltend gemacht wird. Die Regelung eines eigenen Akteneinsichtsrechts und die Festsetzung unterschiedlich hoher Quoren legen eine Differenzierung der Reichweite des jeweiligen Informationsrechts gegenüber dem (Ober-)Bürgermeister nahe. Ob eine Wahrnehmung dieses Rechts dem hier gegebenen Informationsinteresse der Klägerinnen dienen würde, es ggf. aus den obenstehenden Überlegungen zumindest bis zur Entscheidung des (Ober-)Bürgermeisters über die Einbringung des Haushaltsplanentwurfs zu beschränken wäre und ob überhaupt und ggf. in welchem Umfang die Stellenanmeldungen der oberen Fachebenen der Verwaltung Bestandteil von Akten im Sinne von § 24 Abs. 3 Satz 2 GemO sind (was der Beklagte für die Akten der für den Haushaltsentwurf verantwortlichen Stadtkämmerei verneint hat, jedenfalls für die Akten der Amtsleitungen und Dezernate aber offen ist), ist im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Die Kostenentscheidung folgt aus § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>Die Berufung zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg ist gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen; denn die Frage, ob Fraktionsgemeinschaften ein Unterrichtungs- oder Auskunftsrecht über die (zusätzlichen) Stellenforderungen nachgeordneter Stellen der Gemeindeverwaltung haben, hat grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/><strong>Beschluss vom 16.01.2019</strong></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Der Streitwert wird auf 20.000 EUR festgesetzt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/><strong>Gründe</strong></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Bei Kommunalverfassungsstreitigkeiten wird der Streit allgemein gemäß § 52 Abs. 1 GKG mit 10.000,- EUR bemessen (vgl. Nr. 22.7 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 18.10.2010 - 1 S 2029/10 -, juris, Rn. 14; anders allerdings VGH-Bad.-Württ., Beschl. v. 20.11.2018 - 1 S 1824/18 -, juris, Rn. 63 ohne weitere Begründung). Verfolgen wie hier mehrere Kläger in einem Verfahren das gleiche Ziel, sind die Werte der einzelnen Klagen dennoch gemäß § 39 Abs. 1 GKG zu addieren, es sei denn, sie begehren oder bekämpfen eine Maßnahme als Rechtsgemeinschaft (vgl. Nr. 1.1.3 des Streitwertkatalogs); dies ist hier nicht der Fall.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Wegen der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 GKG verwiesen.</td></tr></table>
</td></tr></table>
<h2>Gründe</h2>
<table><tr><td> </td><td> <table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Dass die Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung die Klaganträge nach Hinweis des Gerichts teils erweitert und teils genauer gefasst haben, ist zulässig. Sofern und soweit darin eine Klagänderung liegen sollte, ist dem der Beklagte nicht entgegengetreten; diese wäre im Übrigen auch sachdienlich (vgl. § 91 Abs. 1 und 2 VwGO).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Mit den geänderten Klaganträgen sind die Klagen zwar zulässig (I.), aber nicht begründet (II.).</td></tr></table>
<table><tr><td>I.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>1. Die Klägerinnen als Fraktionsgemeinschaften im Gemeinderat und der Beklagte als Oberbürgermeister können als Organe der Gemeindeverfassung im innerstädtischen Kommunalverfassungsstreit Beteiligte eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sein (gemäß § 61 Nr. 1 bzw. Nr. 2 VwGO in analoger Anwendung, vgl. Engel/Heilshorn, Kommunalrecht Baden-Württemberg, 10. Aufl., § 17, Rn. 7 m.w.N.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Für Fraktionsgemeinschaften ergibt sich dies aus § 32a GemO i.V.m. der Geschäftsordnung des Gemeinderats der Stadt Freiburg vom 18.10.1977, zuletzt geändert am 20.03.2018. Fraktionsgemeinschaften unterscheiden sich von Fraktionen im Allgemeinen dadurch, dass ihre Mitglieder nicht von einer, sondern von mehreren Listen gewählt sind. Fraktionsgemeinschaften sind, wie der Begriff deutlich macht, keine Fraktionen im Sinn von § 32a GemO. Fraktionen sind zunächst einmal Zusammenschlüsse der Mitglieder des Gemeinderats, die auf derselben Kommunalwahlliste kandidiert haben, u.U. können auch Zusammenschlüsse verschiedener Listen, die ein sehr hohes Maß an politischer Übereinstimmung haben, Fraktionen sein (vgl. Wahlprüfungsausschuss des Deutschen Bundestags vom 18.10.2018 - WP 28/17 - BT-Drucks. 19/5200; Schwerdtfeger, Vereinbarungen von Schwesterparteien, NVwZ 2017, 841 zu VG Wiesbaden, Urt. v. 30.12.2016 - 6 K 1805/16.Wi -, juris). Gebildet werden Fraktionsgemeinschaften aus dem Bedürfnis von in der Regel kleineren Gruppierungen, die den Fraktionsstatus allein jeweils nicht erlangen können, sich zur Durchsetzung ihrer gemeinsamen politischen Vorstellungen zusammenzuschließen und dabei auch Fraktionsrechte zu erhalten. Der Gesetzgeber hat zwar davon abgesehen, Fraktionsgemeinschaften, anders als - erstmals im Jahr 2015 - Fraktionen, gesetzlich zu regeln (vgl. § 32a GemO). Dennoch ist das Recht zur Bildung auch von Fraktionsgemeinschaften wohl allgemein anerkannt (vgl. Engel/Heilshorn, Kommunalrecht Baden-Württemberg, 10. Aufl., § 14 Rn. 119; vgl. Bayer. VGH, Beschl. v. 20.03.2017 - 4 ZB 16.1815 -, juris; vgl. auch, allerdings zu eher niedrigen Anforderungen an eine Fraktionsbildung, Sächs. OVG, Beschl. v. 06.05.2009 - 4 A 116/09 -, juris). Ausdrücklich anerkannt sind sie in der Geschäftsordnung des Gemeinderats der Stadt Freiburg. Zwar wird in deren § 2 ausdrücklich nur bestimmt, dass sich die Stadträte zu „Fraktionen“ zusammenschließen können und dass eine Fraktion aus mindestens drei Stadträten bestehen muss. Die Anerkennung von Fraktionsgemeinschaften ergibt sich aber ohne Weiteres aus ihrer ausdrücklichen Gleichstellung mit Fraktionen bei einzelnen Organrechten (§ 3 Abs. 2: Zusammensetzung des Ältestenrats und § 11 Abs. 2 und 3: Rederecht und Redezeit). Der Vertreter des Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung zudem bestätigt, dass darüber hinaus in der Praxis den Fraktionsgemeinschaften auch die weiteren Fraktionsrechte aus der Geschäftsordnung (insbesondere § 13 Abs. 1 und 2: Einflussnahme auf die Tagesordnung von Gemeinderat und von Ausschüssen) zugestanden sind. Zwischen den Beteiligten ist auch nicht etwa streitig, dass die Klägerinnen das für den Zusammenschluss als Fraktionsgemeinschaft erforderliche Maß an organisatorischer und inhaltlicher Zusammenarbeit erfüllen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>2. Die Klagen sind als Feststellungsklagen gemäß § 43 Abs. 1 VwGO statthaft und auch sonst zulässig. Denn zwischen den Klägerinnen als Fraktionsgemeinschaften und dem Beklagten als Oberbürgermeister besteht ein gemeinderechtlich erhebliches Rechtsverhältnis, da sie jeweils von der Gemeindeordnung in Verbindung mit der Geschäftsordnung des Gemeinderats mit jeweils eigenen Rechten bzw. Pflichten ausgestattet sind, die hier im Streit stehen. Dieses Rechtsverhältnis ist nicht begrenzt auf die dem vorliegenden Rechtsstreit zugrunde liegende Anfrage der Klägerin zu 1 vom 07.03.2017 und deren Ablehnung durch den Beklagten im Schreiben vom 17.03.2017. Vielmehr hat der Beklagte allen Fraktionen und Fraktionsgemeinschaften sowie der weiteren Gruppierung im Gemeinderat deutlich gemacht, dass er künftig allgemein entsprechende Anfragen mit der von ihm für richtig gehaltenen Einschränkung beantworten werde.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>3. Aus diesem Grund steht auch nicht nur der Klägerin zu 1, sondern auch der Klägerin zu 2 gemäß § 42 Abs. 2 VwGO eine Klagebefugnis zu. Denn auch bei ihr steht aufgrund der Rechtsauffassung des Beklagten ihr Organrecht auf Unterrichtung bzw. Auskunft infrage (vgl. BVerwG. Beschl. v. 22.12.1988 - 7 B 208/87 -, NVwZ 1989, 470; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 25.03.1999 - 1 S 2059/98 -, VBlBW 1999, 304 = juris, Rn. 22). Jedenfalls durch die in der mündlichen Verhandlung erweiterte Antragstellung ist das Klagebegehren beider Klägerinnen von der Ablehnung des Antrags der Klägerin zu 1 durch den Beklagten gelöst worden und kommt es nicht mehr darauf an, ob sich die Klägerin zu 2, um eine Klagebefugnis zu erhalten, dem ursprünglichen Antrag der Klägerin zu 1 hätte anschließen müssen (so für andere Fallgestaltungen VG Karlsruhe, Urt. v. 09.02.2017 - 9 K 933/16 -, juris, Rn. 19; VG Oldenburg, Beschl. v. 02.04.2004 - 2 B 1229/04 -, juris, Rn. 2; VG Düsseldorf, Urt. v. 20.10.2017 - 1 K 8645/16 -, juris, Rn. 23, alle juris). Dementsprechend hat der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung die Klagebefugnis für den geänderten Klagantrag auch nicht mehr in Zweifel gezogen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Die Klagebefugnis fehlt den Klägerinnen auch nicht deshalb, weil sie möglicherweise nicht nur Auskunft im Sinne von § 24 Abs. 4 GemO, sondern Unterrichtung im Sinne von § 24 Abs. 3 GemO begehren und nicht Fraktionen, sondern (nur) Fraktionsgemeinschaften sind. Denn der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass in der Praxis der Kommunalverfassung der Stadt Fraktionsgemeinschaften dieses Organrecht zusteht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>4. Schließlich ist das Feststellungsinteresse (§ 43 Abs. 1 VwGO) der Klägerinnen nicht zweifelhaft.</td></tr></table>
<table><tr><td>II.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Die Klagen sind aber nicht begründet. Den Klägerinnen steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Unterrichtung bzw. Auskunft über die Stellenanträge der Amtsleitungen bzw. Dezernenten in den jeweils laufenden Haushaltsberatungen zu.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>1. Ein entsprechender Anspruch scheitert allerdings noch nicht daran, dass eine Anfrage nach sämtlichen über den Stellenplanentwurf hinausgehenden Stellenanmeldungen der Amtsleitungen und der Dezernate als Unterrichtung im Sinne von § 24 Abs. 3 Satz 1 GemO verstanden werden könnte, auf die nicht einzelne Abgeordnete, sondern nur Fraktionen und die Gesamtheit eines Sechstels der Gemeinderäte Anspruch haben. Einer Abgrenzung zur Auskunft gemäß § 24 Abs. 4 GemO (vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urt. v. 30.03.1992 - 1 S 1762/91 -, BWGZ 1992, 472 = DÖV 1992, 838 = juris, sowie OVG Sachsen, Urt. v. 07.07.2015 - 4 A 12/14 - NVwZ-RR 2016, 193) bedarf es insoweit nicht, weil zulässigerweise von Gemeinderäten gebildeten Fraktionsgemeinschaften - wie Fraktionen - unabhängig von der Einhaltung des Quorums von einem Sechstel der der Gemeinderäte jedenfalls dann ein Recht auf Unterrichtung über Gemeindeangelegenheiten gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 GemO zusteht, wenn die Geschäftsordnung des Gemeinderats bzw. ihre allgemeine Handhabung dies vorsieht. Anhaltspunkte dafür, dass die Gemeindeordnung eine entsprechende Gleichbehandlung von Fraktionen und Gemeinderäten in den Gemeinden verbieten würde, hat die Kammer nicht. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Zugang von Fraktionsgemeinschaften zu bestimmten Organrechten, die ein bestimmtes Quorum erfordern zur weiteren Minderung der Bedeutung dieser Einschränkung führt; denn die Minderung der Bedeutung des Quorums für einzelne Organrechte folgt schon daraus, dass der Gesetzgeber die (meisten) von der Einhaltung von Quoren abhängigen Rechte auch den Fraktionen einräumt, die nach den Geschäftsordnungen der Gemeinderäte häufig von nur drei, in kleineren Gemeinden auch von nur zwei Gemeinderäten gebildet werden können (zur Kritik hieran vgl. LT-Drucks. 15/7265, Stellungnahme des Städtetags, Nr. 6; vgl. auch, noch weitergehend und nach Kritik von Kommunalverbänden gestrichenen, § 32a Abs. 4 GemO-E im Entwurf - Stand: 30.01.2015 - eines Gesetzes zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften, veröffentlicht im Internet-Beteiligungsportal des Landes).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>2. Unstreitig ist auch, dass die Frage, wie hoch der Stellenbedarf der Ämter ist, eine Angelegenheit der Gemeinde im Sinne von § 24 Abs. 3 GemO betrifft.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>3. Die Informationsrechte von Gemeinderäten auf Unterrichtung und Auskunft durch den (Ober-)Bürgermeister gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 und § 24 Abs. 4 GemO umfassen aber nicht das Recht, von diesem die Standpunkte von Amtsleitern oder Dezernenten zu erfragen, die diese im verwaltungsinternen Meinungsbildungsprozess vertreten bzw. vertreten haben. Ein entsprechendes Auskunfts- oder Unterrichtungsrecht der Klägerinnen besteht jedenfalls deshalb nicht, weil die Anspruchsberechtigten nach § 24 Abs. 3 und 4 GemO grundsätzlich nur eine Unterrichtung oder Auskunft durch den (Ober-)Bürgermeister verlangen können. Dies schließt nicht nur aus, dass sich Gemeinderäte insoweit - ohne Einverständnis des (Ober-)Bürgermeisters - unmittelbar an nachgeordnete Bedienstete der Gemeindeverwaltung wenden können. Dies schließt vielmehr auch aus, dass der (Ober-)Bürgermeister verpflichtet ist, darüber Auskunft zu geben, wie die ihm nachgeordneten Bediensteten der Gemeinde auf eine entsprechende Frage antworten würden oder wie sie - hierauf richtet sich das Begehren der Klägerinnen hier - gemeindeintern in der Vergangenheit eine solche Frage beantwortet haben. Dies mag eine Ausprägung des in der baden-württembergischen Gemeindeordnung nicht geregelten, aber in verschiedenen Zusammenhängen betonten Grundsatzes der Einheitlichkeit der Verwaltung sein (vgl. etwa VG Münster, Urt. v. 06.05.2011 - 1 K 508/10 -, NVwZ-RR 2011, 741; VG Potsdam, Beschl. v. 19.11.1997 - 2 L 1202/97 -; § 52 Abs. 1 nw GemO), folgt aber jedenfalls unmittelbar schon aus dem Wortlaut der genannten Vorschriften und im Übrigen auch aus einer Gesamtschau der gemeinderätlichen Informationsrechte.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Zu Recht weist der Beklagte in diesem Zusammenhang auch auf § 33 Abs. 2 Halbs. 2 GemO hin. Nach dieser Vorschrift muss der (Ober-)Bürgermeister bzw. Vorsitzende des Gemeinderats auf Verlangen des (ganzen) Gemeinderats einen Bediensteten zu sachverständigen Auskünften hinzuziehen. Dabei macht der Umstand, dass ein solches Befragungsrecht allein auf sachverständige Auskünfte gerichtet ist, und der Umstand, dass ein entsprechendes Recht nur dem ganzen Gemeinderat zusteht, deutlich, dass der Gesetzgeber im Verhältnis von Gemeinderat zu (Ober-)Bürgermeister letzteren davor schützen will, in einen (fachlichen) Gegensatz zu den nachgeordneten Bediensteten der Verwaltung zu geraten. Überdies ist anerkannt, dass nachgeordnete Bedienstete der Gemeindeverwaltung bei der Beantwortung entsprechender Fragen weisungsgebunden sind (OVG Sachs.-Anh., Beschl. v. 31.07.2009 - 4 O 127/09 -; VG Magdeburg, Beschl. v. 09.11.2015 - 9 B 745/15 -; VG Meiningen, Beschl. v. 14.04.2015 - 2 K 286/14 -, alle juris).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Dieses vom Wortlaut der Vorschriften vorgegebene Verständnis entspricht der starken Stellung, welche die Gemeindeverfassung nach der baden-württembergischen Gemeindeordnung dem (Ober-)Bürgermeister als Leiter der Gemeindeverwaltung (§ 44 Abs. 1 GemO) gegenüber dem Gemeinderat einräumt. Diese Stellung wäre beeinträchtigt, wenn der (Ober-)Bürgermeister verpflichtet wäre, mittels des Rechts auf Unterrichtung oder Auskunft den Gemeinderäten Einblick in den verwaltungsinternen Meinungsbildungsprozess zu geben. Denn schon die Offenlegung einer Meinungsverschiedenheit mit einer nachgeordneten Leitungsebene in der Verwaltung könnte ggf. die jeweilige Überzeugungskraft des (Ober-)Bürgermeisters in einzelnen Fragen gegenüber dem Gemeinderat schwächen, erst Recht bestünde eine solche Möglichkeit, wenn der (Ober-)Bürgermeister folgerichtig auch gezwungen wäre, auf weitere Nachfragen jeweils die abweichende Meinung der nachgeordneten Verwaltungsebene zu erläutern.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Dass der (Ober-)Bürgermeister somit nicht zur Meinung der nachgeordneten Bediensteten der Gemeindeverwaltung befragt werden kann, gilt allgemein und damit auch für das Klageziel der Klägerinnen, Auskunft oder Unterrichtung über (zusätzliche) Stellenforderungen der Amtsleitungen und Dezernate zu erhalten, um ihr Organrecht, den Gemeindehaushalt zu beraten und zu beschließen, sachgemäß ausüben zu können. Insoweit erscheint es der Kammer zwar nicht als zweifelhaft, dass die geforderte Unterrichtung bzw. Auskunft für den Gemeinderat hilfreich wäre, den vom (Ober-)Bürgermeister vorgelegten Haushaltsplanentwurf kritisch zu würdigen und ggf. - auch nach Einholung weiterer Auskünfte zu evtl. gegebenen Defiziten bei der Ausstattung mit Stellen in einzelnen Bereichen - die Notwendigkeit von Änderungsanträgen zu begründen. Dagegen lässt sich wohl auch nicht einwenden, dass der Gemeinderat mit der Haushaltssatzung auch den Stellenplan beschließt (§ 80 Abs. 1 Satz 4, § 57 GemO, § 5 GemHVO), der von ihm beschlossene Stellenplan aber nicht die Aufteilung der Stellen auf die Teilhaushalte umfasst, weil die insoweit vorgesehene Verteilung dem Stellenplan nur nachrichtlich beigefügt wird (§ 5 Abs. 1 Satz 4 GemHVO, vgl. auch Anlage 11 zu § 5 GemHVO, Teil C). Denn aus dieser Übersicht ergibt sich jedenfalls, wie sich die Gesamtzahl der Stellen nach der Vorstellung des (Ober-)Bürgermeisters auf die Teilbereiche verteilt und lassen sich daraus ggf. Hinweise dafür gewinnen, ob der Gemeinderat zusätzliche Stellen in den Stellenplan aufnehmen sollte, ggf. unter Verzicht auf andere Ausgaben. Auch haben die Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung wohl mit Recht darauf hingewiesen, dass jedenfalls die abschließende Meinung der Amtsleitungen oder Dezernenten zur Erforderlichkeit von (zusätzlichen) Stellen im Allgemeinen sehr stark von objektiven Gegebenheiten und weniger von subjektiven Einschätzungen geprägt sein dürfte. Dies alles ändert aber nichts daran, dass es letztlich dem (Ober-)Bürgermeister in seiner Gesamtverantwortung obliegt, gegenüber dem Gemeinderat eine einheitliche Auffassung der Verwaltung zur Notwendigkeit von Stellen zu vertreten, mit der er die Teil- Stellenwünsche der Amtsleitungen und Dezernate abschließend bewertet und in einen Ausgleich gebracht hat.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Diese Auslegung von § 24 Abs. 3 Satz 1 und § 24 Abs. 4 GemO wird auch dadurch gestützt, dass das Interesse der Verwaltung, ihre interne Willensbildung vor Preisgabe zu schützen, auch sonst anerkannt ist (vgl. im Informationsfreiheitsrecht etwa § 28 Abs. 2 Nr. 2 UVwG, § 8 UIG und dazu VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.06.2017 - 10 S 436/15 -, Rn. 40; ferner § 3 Nr. 3 IFG und § 4 Abs. 1 Nr. 6 LIFG; vgl. auch, zum Recht von Bundestagsabgeordneten, die Regierung zu befragen, BVerfG, Urt. v. 07.11.2017 - 2 BVerfGE 2/11 -, BVerfGE 147, 50 = NVwZ 2018, 51 = juris, Rn. 227 ff.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Die gefundene Auslegung fügt sich schließlich auch in die Systematik der Informationsrechte des Gemeinderats ein. Denn neben dem Auskunfts- und dem Unterrichtungsrecht steht dem Gemeinderat ein Akteneinsichtsrecht gegenüber dem (Ober-)Bürgermeister gemäß § 24 Abs. 3 Satz 2 GemO zu. Dieses erlaubt über die Unterrichtung von Entscheidungen und Sachverhalten hinaus den Einblick in die verwaltungsinternen Abstimmungs-, Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse, soweit sie verschriftlich und nach den Grundsätzen geordneter Aktenführung, ggf. auch der gemeindlichen Aktenordnung, verschriftlicht (bzw. bei elektronischer Aktenführung gespeichert) und Bestandteil von Akten geworden sind. Wegen dieses besonders umfassenden Einblicks setzt das Recht des Gemeinderats auf Akteneinsicht aber voraus, dass es von einem Viertel des Gemeinderats geltend gemacht wird. Die Regelung eines eigenen Akteneinsichtsrechts und die Festsetzung unterschiedlich hoher Quoren legen eine Differenzierung der Reichweite des jeweiligen Informationsrechts gegenüber dem (Ober-)Bürgermeister nahe. Ob eine Wahrnehmung dieses Rechts dem hier gegebenen Informationsinteresse der Klägerinnen dienen würde, es ggf. aus den obenstehenden Überlegungen zumindest bis zur Entscheidung des (Ober-)Bürgermeisters über die Einbringung des Haushaltsplanentwurfs zu beschränken wäre und ob überhaupt und ggf. in welchem Umfang die Stellenanmeldungen der oberen Fachebenen der Verwaltung Bestandteil von Akten im Sinne von § 24 Abs. 3 Satz 2 GemO sind (was der Beklagte für die Akten der für den Haushaltsentwurf verantwortlichen Stadtkämmerei verneint hat, jedenfalls für die Akten der Amtsleitungen und Dezernate aber offen ist), ist im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Die Kostenentscheidung folgt aus § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>Die Berufung zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg ist gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen; denn die Frage, ob Fraktionsgemeinschaften ein Unterrichtungs- oder Auskunftsrecht über die (zusätzlichen) Stellenforderungen nachgeordneter Stellen der Gemeindeverwaltung haben, hat grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/><strong>Beschluss vom 16.01.2019</strong></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Der Streitwert wird auf 20.000 EUR festgesetzt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/><strong>Gründe</strong></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Bei Kommunalverfassungsstreitigkeiten wird der Streit allgemein gemäß § 52 Abs. 1 GKG mit 10.000,- EUR bemessen (vgl. Nr. 22.7 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 18.10.2010 - 1 S 2029/10 -, juris, Rn. 14; anders allerdings VGH-Bad.-Württ., Beschl. v. 20.11.2018 - 1 S 1824/18 -, juris, Rn. 63 ohne weitere Begründung). Verfolgen wie hier mehrere Kläger in einem Verfahren das gleiche Ziel, sind die Werte der einzelnen Klagen dennoch gemäß § 39 Abs. 1 GKG zu addieren, es sei denn, sie begehren oder bekämpfen eine Maßnahme als Rechtsgemeinschaft (vgl. Nr. 1.1.3 des Streitwertkatalogs); dies ist hier nicht der Fall.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Wegen der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 GKG verwiesen.</td></tr></table>
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<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
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<dd><p style="margin-left:18pt">Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 22. Oktober 2013 aufgehoben und die Klage abgewiesen.</p></dd>
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<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Die im Juni 2005, September 2006 und Oktober 2008 geborenen Klägerinnen lebten gemeinsam mit ihrer nicht erwerbstätigen Mutter. Von September 2009 bis Januar 2011 bewohnten sie eine 85,78 m² großen Mietwohnung in A-Stadt (Bahnhofstraße 4) und bezogen vom Beklagten Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Bis zu dessen Auszug am 25. Januar 2010 gehörte auch der seinerzeitige Partner der Mutter der Klägerinnen zu der Bedarfsgemeinschaft. An Heizkosten gewährte der Beklagte entsprechend den Abschlagsforderungen des seinerzeitigen Vermieters und nach Abzug der Pauschalen für Warmwasserbereitung 74,11 Euro für Januar, 78,28 Euro monatlich für Februar bis Mai und 138,96 Euro für Juni bis Dezember 2010.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Am 06. Januar 2011 zogen die Klägerinnen und ihre Mutter nach Kostensenkungsaufforderung und mit Zustimmung des Beklagten in eine andere, ca. 75 m² große Wohnung (P-Straße 13, A-Stadt). Für diese war eine monatliche Netto-Kaltmiete in Höhe von 313,00 Euro, ein monatlicher Betriebskostenvorschuss in Höhe von 60,00 Euro und ein monatlicher Heizkostenvorschuss in Höhe von 82,00 Euro zu entrichten, insgesamt monatlich 455,00 Euro.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Mit Bewilligungsbescheid vom 27. Dezember 2010 bewilligte der Beklagte der Mutter der Klägerinnen auf ihren Antrag für den Zeitraum 01. Januar bis 30. Juni 2011 erneut Grundsicherungsleistungen. Ein individueller Leistungsanspruch der Klägerinnen ergab sich nach den Berechnungen des Beklagten im Hinblick auf überschießendes Einkommen nicht. Die drei Klägerinnen verfügten über jeweils 133 Euro monatlichen Unterhaltsvorschuss, 82,33 Euro monatliches Wohngeld (Klägerin zu 3: 82,34 Euro) und monatliches Kindergeld in Höhe von 184 Euro (Klägerin zu 3: 190 Euro). Der ursprünglich vorgenommene Abzug der Warmwasserpauschale entfiel im Rahmen späterer Änderungsbescheide (vom 26. März und 12. Mai 2011), sodass der Mutter der Klägerinnen letztlich für den Monat Mai 2011 ein Betrag in Höhe von 427,00 Euro bewilligt wurde. Ein eigener Leistungsanspruch der Klägerinnen wurde weiterhin nicht angenommen, da deren o.g. Einkommen (399,33 Euro bzw. 405,34 Euro) ihren Gesamtbedarf in Höhe von 328,75 Euro (215,00 Euro Sozialgeld, 113,75 Euro anteilige Kosten der Unterkunft und Heizung) überstieg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Den am 23. Januar 2011 seitens der Klägerinnen und ihrer Mutter erhobenen Widerspruch gegen den Bewilligungsbescheid vom 27. Dezember 2010 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2011 (W157/11) als unbegründet zurück. Als zustehender Leistungsanspruch der Mutter der Klägerinnen wurde hierin für Mai 2011 ein Betrag in Höhe von insgesamt 421,00 Euro errechnet. Die bewilligten Leistungen seien wegen einer falschen Kindergeldanrechnung rechtswidrig zu hoch gewesen, aus Vertrauensschutzgründen werde eine Rückforderung nicht geltend gemacht. Hinsichtlich der Klägerinnen legte die Beklagte im Einzelnen dar, dass das jeweilige Einkommen den Bedarf übersteige, weshalb sich kein eigener Anspruch ergebe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Hiergegen haben allein die Klägerinnen am 25. Juli 2011 bei dem Sozialgericht Neubrandenburg Klage erhoben. Zur Begründung haben sie schließlich vorgetragen, es seien im Hinblick auf eine Nebenkostennachforderung für das Jahr 2010 höhere Leistungen für Mai 2011 zu zahlen. Ausweislich der vorgelegten Abrechnung der Vermieterin vom 04. April 2011 wurde eine Heizkostennachforderung in Höhe von 690,35 Euro (Gesamtkosten 2.239,84 Euro abzgl. Vorauszahlungen in Höhe von 1.549,49 Euro) sowie eine Betriebskostennachforderung in Höhe von 164,03 Euro für das Jahr 2010 geltend gemacht, jeweils fällig am 01. Mai 2011. Nach der Anlage zur Nebenkostenabrechnung betrug der Anteil der Wohnfläche der Wohnung der Klägerinnen an der Gesamtwohnfläche ca. 13,6 % (85,78 m² von insgesamt 630,96 m² Wohnfläche des mit einer Gaszentralheizung beheizten Gebäudes), während die auf die Wohnung der Klägerinnen entfallenden Wärmezählereinheiten ca. 27,6 % ausmachten (22.332,16 von insgesamt 81.038,65 Einheiten). Wegen der nach der Heizkostenverordnung vorzunehmenden Verteilung (70 % nach Verbrauch, 30 % nach Wohnfläche) machte der Anteil der Wohnung der Klägerin an den Heizkosten (ohne Warmwasser) hingegen 23,5 % aus. Unter Berücksichtigung auch der Warmwasser-Kosten betrug der Anteil ca. 23,2 %.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Der Beklagte anerkannte die Betriebskostennachzahlung mit Bescheid vom 24. Juni 2011 (wohl versehentlich mit 167,03 Euro statt mit den von der Vermieterin geltend gemachten 164,03 Euro), berücksichtigte für den Monat Juni 2011 einen entsprechend höheren Leistungsanspruch der Bedarfsgemeinschaft und brachte den Betrag unmittelbar an die Vermieterin zur Auszahlung. Die Übernahme der Heizkostennachzahlung lehnte der Beklagte mit weiterem Bescheid vom 24. Juni 2011 hingegen wegen Unangemessenheit vollständig ab. Einem hiergegen erhobenen Widerspruch half er mit Widerspruchsbescheid vom 06. Oktober 2011 (W 1103/11) in Höhe von 148,58 Euro teilweise ab; im Übrigen wies er den Widerspruch zurück. Eine Umsetzung dieser Entscheidung erfolgte durch schlichte Überweisung des Betrages an die Mutter der Klägerinnen, ohne dass (für Mai oder für Juni 2011) eine gesonderte Leistungsberechnung erfolgt wäre. Ein gegen den vorgenannten Widerspruchsbescheid gerichtetes weiteres Klageverfahren (Sozialgericht Neubrandenburg – S 14 AS 2598/11) haben die Beteiligten wegen der Identität des Leistungsbegehrens mit dem vorliegenden Verfahren für erledigt erklärt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Die Kläger haben im vorliegenden Verfahren beantragt:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 27. Dezember 2010 in der Fassung seiner Änderungsbescheide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 2011 (Az. W 157/11) verpflichtet, den Klägern für den Monat Mai 2011 Leistungen nach dem SGB II in der gesetzlichen Höhe zu bewilligen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Der Beklagte hat beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">die Klage abzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Er hat darauf hingewiesen, es liege ein offensichtlich unwirtschaftliches Heizverhalten vor. Die tatsächlichen Heizkosten überstiegen den Grenzwert nach dem bundesweiten Heizkostenspiegel 2011 für das Abrechnungsjahr 2010 deutlich (2.239,84 Euro zu 1.386 Euro). Die Bereinigung der tatsächlichen Kosten auch um die Kosten der Warmwasseraufbereitung könne wegen der Höhe des übersteigenden Betrages dahinstehen. Besonderheiten, die einen derartig hohen Heizverbrauch erklären könnten, seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Auch das Alter der Kinder (5, 4 und 2 Jahre) rechtfertige keine derartige Überschreitung des Grenzwertes, es habe sich nicht mehr um Kleinkinder gehandelt. Der Beklagte habe Heizkosten bis zur Angemessenheitsgrenze von 1.386 Euro übernommen. Zusätzlich zu den laufenden Vorauszahlungen seien im Vorverfahren von der Heizkostennachforderung weitere 148,58 Euro übernommen worden, mithin insgesamt sogar zu viel. Einer Kostensenkungsaufforderung habe es auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht bedurft. Lediglich im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung seien Kostensenkungsaufforderungen als Information gegenüber dem Hilfebedürftigen mit Aufklärungs- und Warnfunktion von Bedeutung. In den Fällen eines unangemessenen Heizverhaltens sei eine solche Kostensenkungsaufforderung entbehrlich. Auch sei dem Beklagten ein früherer Hinweis gar nicht möglich gewesen, da er erst im April 2011 mit Einreichung der Nebenkostenabrechnung Kenntnis von den unangemessenen Heizkosten erlangt habe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 22. Oktober 2013 stattgegeben und den Beklagten verurteilt, „den Klägern Leistungen für den Monat Mai 2011 nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu bewilligen. Hierbei hat er die im Mai fällige Nachzahlung für die Heizkosten i. H. v. 690,35 € als angemessene Kosten der Heizung zu berücksichtigen.“</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, zwar seien die Heizkosten objektiv nicht angemessen, sondern deutlich zu hoch. Der Höchstwert nach dem Heizkostenspiegel werde um circa 58 % überschritten, was unwirtschaftliches Heizen vermuten lasse. Diese Vermutung hätten die Klägerinnen auch nicht entkräften können. Gleichwohl sei die Heizkostennachforderung vollumfänglich zu übernehmen, da es den Klägerinnen nicht möglich gewesen sei, ihr Heizverhalten anzupassen. Es mangele an einer Kostensenkungsaufforderung. Es stehe auch nicht fest, dass die Klägerinnen auf anderem Wege Kenntnis von der Unangemessenheit der Heizkosten hätten erlangen können. Zwar sei die objektive deutliche Überschreitung des angemessenen Verbrauchs ein gewichtiges Indiz für die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von der Unangemessenheit des Energieverbrauchs, doch für sich nicht ausreichend. Andere Indizien habe es nicht gegeben. Der vage Vortrag der Mutter der Klägerinnen zum Heizverhalten genüge als weiteres Indiz nicht. Es bestünden auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerinnen in der Vergangenheit bereits unangemessene Heizkosten verursacht hätten und aufgrund dessen hätten vorgewarnt sein müssen. Die Berufung werde zugelassen, da die Klage besondere Schwierigkeiten tatsächlicher Art aufweise.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Der Beklagte hat gegen das ihm am 08. November 2013 zugestellte Urteil am 06. Dezember 2013 Berufung eingelegt. Zur Begründung verweist er auf das deutliche Überschreiten des Grenzwertes, der unangemessenes Heizen indiziere. Auch habe die Mutter der Klägerinnen im Termin ausgesagt, sie habe für alle ihre bisher bewohnten Wohnungen hohe Heizkostennachforderungen erhalten und könne sich das nicht erklären. Diese Aussage lasse den Schluss zu, dass es sehr wohl das Heizverhalten der Mutter der Klägerinnen sei und nicht der bauliche Zustand der bisherigen Wohnung Ursache für die hohen Nachforderungen sein könne. Der Beklagte vertrete nach wie vor die Auffassung, dass in einem solchen Falle des objektiven unwirtschaftlichen Heizkostenverhaltens eine vorherige Kostensenkungsaufforderung entbehrlich sei. Das Sozialgericht habe sich trotz Hinweises des Beklagten nicht mit entsprechender Rechtsprechung des 10. Senats des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern auseinandergesetzt. Von einem Leistungsberechtigten nach dem SGB II könne nichts anderes erwarten werden als von einem Nichtleistungsberechtigten, der seine Heizkosten aus seinem eigenen Einkommen finanzieren müsse. Gerade beim Umzug in eine neue Wohnung, bei dem er die Kosten mangels Erfahrungswerten schlecht einschätzen könne, sei ein vorsichtiger Umgang mit den Heizkosten zu verlangen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Der Beklagte beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">das Urteil des SG Neubrandenburg vom 22. Oktober 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Die Klägerinnen beantragen,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Sie verweisen auf die fehlende vorherige Kostensenkungsaufforderung. Selbst wenn eine solche entbehrlich sei, seien die Kosten jedenfalls nicht unangemessen. Sie machen die Verfassungswidrigkeit des § 22 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II geltend. Der unbestimmte Rechtsbegriff der „angemessenen Kosten“ lasse sich nicht verfassungsmäßig auslegen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Der für das Verfahren ursprünglich zuständig gewesene 10. Senat des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern hat das angegriffene Urteil mit Urteil vom 25. Januar 2017 aufgehoben und die Klage abgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerinnen hat das Bundessozialgericht (B 14 AS 157/17 B) dieses Urteil mit Beschluss vom 25. April 2018 wegen falscher Besetzung des Senats aufgehoben und die Sache an das Landessozialgericht zurückverwiesen. Der Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen ist vom nunmehr zuständigen erkennenden Senat des Landessozialgerichts Gelegenheit gegeben worden, ergänzend vorzutragen. Hiervon hat sie keinen Gebrauch gemacht, sondern lediglich im Termin zur mündlichen Verhandlung erneut auf die nach ihrer Auffassung bestehende Erforderlichkeit einer Kostensenkungsaufforderung hingewiesen. Der Beklagte hat seinen bisherigen Vortrag unter nochmaligem Hinweis auf die Entscheidung des BSG vom 19. September 2008, B 14 AS 54/07 R, wiederholt.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Entscheidungsgründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Die zulässige Berufung ist auch begründet. Die angegriffenen Bescheide des Beklagten verletzen die Klägerinnen nicht in ihren Rechten. Ihnen steht entgegen der Auffassung des Sozialgerichts kein Leistungsanspruch für den Monat Mai 2011 zu, da ihr jeweiliges Einkommen ausreichte, ihren Bedarf zu decken. Die vom Sozialgericht im Wege eines Grundurteils ausgesprochene Leistungsverpflichtung des Beklagten war daher aufzuheben und die Klagen der Klägerinnen abzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Mit dem angegriffenen Bewilligungsbescheid vom 27. Dezember 2010 ist den Klägerinnen jeweils kein eigener Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zuerkannt worden. Der Beklagte hat hierbei (jedenfalls zunächst zutreffend) den individuellen Bedarfen der Klägerinnen in Höhe von insgesamt 328,75 Euro (215 Euro Sozialgeld, 113,75 Euro kopfteilige Kosten der Unterkunft und Heizung für die aktuell bewohnte Wohnung) deren Einkommen aus Unterhaltsvorschuss, Wohngeld und Kindergeld in Höhe von 399,33 Euro bzw. 405,34 Euro gegenüber gestellt. Alle Sozialleistungen waren als Einkommen bei den minderjährigen Klägerinnen unabhängig davon zu berücksichtigen, ob ihnen diese persönlich oder ihrer Mutter gewährt wurden. Dies folgt für das der Mutter gewährte Kindergeld aus § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II in der Fassung des Gesetzes vom 05. Dezember 2006 (nunmehr Satz 5 der Norm), während Berechtigte des Anspruchs auf Unterhaltsvorschuss gemäß § 1 Abs. 1 Unterhaltsvorschussgesetz ohnehin die minderjährigen Klägerinnen selbst waren. Inhaber des Anspruchs auf das hier bezogene sog. Kinderwohngeld (vgl. BSG, Urteil vom 14. Juni 2018 – B 14 AS 37/17 R – Rn. 16 f.) ist zwar nach der Konzeption des Wohngeldgesetzes (WoGG) grundsätzlich der Wohnungsmieter, § 1 Abs. 2 Alt. 1 WoGG, hier also die Mutter der Klägerinnen. Grundsicherungsrechtlich ist das Kinderwohngeld gleichwohl als Einkommen des Kindes anzusehen, für das es gewährt wird, da § 40 WoGG in der seit 2009 geltenden Fassung ausdrücklich anordnet, dass das einer vom Wohngeld ausgeschlossenen wohngeldberechtigten Person bewilligte Wohngeld bei Sozialleistungen nicht als deren Einkommen zu berücksichtigen ist, sodass nur eine Anrechnung auf den Bedarf der Kinder als Einnahme in Geld im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Betracht kommt (BSG, a.a.O., Rn. 20 ff., Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31. August 2017 – L 20 AS 1182/15).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Bei Erlass des Bewilligungsbescheides für das erste Halbjahr 2011 vom 27. Dezember 2010 ist der Beklagte mithin zutreffend davon ausgegangen, dass das Einkommen der Klägerinnen ihren grundsicherungsrechtlichen Bedarf um ca. 70 Euro monatlich übertrifft, sodass sich (nach Abzug dieses Einkommensüberschusses der Kinder aus Kindergeld) lediglich für deren Mutter ein Individualanspruch ergab. Auch aus der im Monat Mai 2011 fällig gewordenen Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2010 vom 04. April 2011 folgt kein Anspruch der Klägerinnen auf Änderung des vorgenannten Bescheides. Zwar ist gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Ob eine Änderung der Verhältnisse wesentlich ist, richtet sich dabei allein nach dem Verfügungssatz des maßgeblichen Verwaltungsaktes. Nur wenn dieser anders hätte lauten müssen, wäre die Änderung bereits vor dem Erlasszeitpunkt eingetreten, ist Wesentlichkeit im Sinne von § 48 Abs. 1 SGB X anzunehmen. Dabei ist im Falle einer Mehrheit von Adressaten des in Rede stehenden Verwaltungsaktes allein auf den den jeweiligen Adressaten betreffenden Verfügungssatz abzustellen. Da vorliegend allein die minderjährigen Klägerinnen den Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2011 und damit den Bewilligungsbescheid vom 27. Dezember 2010 zur Überprüfung des Gerichts gestellt haben, ist er gegenüber der Mutter der Klägerinnen bestandskräftig geworden. Ein Erfolg der Klage setzt mithin voraus, dass die Änderung (Fälligkeit der Nebenkostenabrechnung) zu einem eigenen Anspruch der Klägerinnen geführt hat, während eine (bloße) Erhöhung des Leistungsanspruchs deren Mutter der Klage nicht zum Erfolg verhelfen kann.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Ein eigener Anspruch der Klägerinnen ergibt sich jedoch nicht, selbst wenn man davon ausgeht, dass die im Mai 2011 zu berücksichtigenden Kosten der Unterkunft und Heizung um die Nachforderung für (kalte) Betriebskosten aus 2010 (kopfteilig) zu erhöhen sind, obschon die vermieterseits geltend gemachten 164,03 Euro vom Beklagten bereits an den Vermieter ausgezahlt und lediglich bescheidmäßig im (falschen) Monat Juni 2011 berücksichtigt worden sind; hierdurch verringerte sich lediglich der Einkommensüberschuss der Klägerinnen auf ca. 30 Euro. Denn weitere Forderungen der ehemaligen Vermieterin waren jedenfalls nicht anspruchserhöhend zu berücksichtigen. Insbesondere bestand kein Anspruch auf Berücksichtigung der Nachzahlung für im Jahr 2010 entstandene Heizkosten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Ein solcher Anspruch ist allerdings nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerinnen die Wohnung, für welche die Abrechnung erstellt wurde, im Fälligkeitszeitpunkt nicht mehr bewohnt haben, da es sich hier um einen Umzug während des Leistungsbezugs in Erfüllung einer Kostensenkungsobliegenheit nach Aufforderung durch den Leistungsträger (§ 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II) gehandelt hat und die Heizkosten auch während des Leistungsbezuges verursacht worden sind, vgl. BSG, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 40/14 R – Rn. 21 in Abgrenzung zu BSG, Urteil vom 20. Dezember 2011 – B 4 AS 9/11 R. Die mithin grundsätzlich mögliche Berücksichtigung auch der Heizkostennachforderung bei den Bedarfen für Unterkunft und Heizung im Mai 2011 scheidet aber deshalb aus, weil gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ein Anspruch hierauf nur insoweit besteht, wie diese angemessen sind.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Der Beklagte hatte in 2010 (nach Abzug der seinerzeit noch anzusetzenden Warmwasserpauschalen) bereits insgesamt 1.359,95 Euro auf die Heizkosten der Bedarfsgemeinschaft der Klägerinnen gezahlt. Für einen Leistungsanspruch der Klägerinnen zu 1. und 2. im allein streitigen Monat Mai 2011 wäre zu verlangen, dass wenigstens 1.478,26 Euro (entsprechend einer Nachzahlung in Höhe von wenigstens 118,31 Euro) als angemessene Heizkosten zu beanspruchen sind. Hinsichtlich der Klägerin zu 3., die über ein um 6,01 Euro höheres Einkommen verfügte, errechnet sich ein entsprechend noch höherer Betrag (Nachzahlung in Höhe von 124,35 Euro). Als angemessener Heizkostenbedarf für das Jahr 2010 können jedoch keinesfalls mehr als 1.386 Euro berücksichtigt werden. Dieser Betrag errechnet sich, wenn man die für einen Vier-Personen-Haushalt maximal angemessen Wohnfläche von 90 m² und den sich aus dem bundesweiten Heizspiegel für 2010 (in Ermangelung eines kommunalen Heizspiegels) ergebenden Maximalwert von 15,40 Euro je m² (gasbeheiztes Gebäude mit Wohnfläche zwischen 501 und 1000 m²) berücksichtigt. Dabei lässt der Senat zugunsten der Klägerinnen außer Betracht, dass weitere 164,03 Euro Betriebskostennachforderung vom Beklagten bereits übernommen und lediglich im falschen Monat in die Leistungsberechnung eingestellt worden sind, dass die tatsächliche Wohnfläche nicht 90, sondern lediglich knapp 86 m² betragen hat und dass der bundesweite Heizspiegel 2011 (für das Jahr 2010) erst im September 2011 veröffentlicht worden sein dürfte (so jedenfalls das Erstelldatum des im Internet unter https://www.heizspiegel.de/heizkosten-pruefen/heizspiegel/ veröffentlichten PDF-Dokuments), während sich nach dem Heizspiegel für das Vorjahr nur ein Maximalwert von 1.332 Euro ergeben würde. Unberücksichtigt bleibt schließlich der im Zuge des Vorverfahrens „anerkannte“ und zur Auszahlung gebrachte, nicht jedoch in die Leistungsberechnung für einen konkreten Monat eingestellte weitere Betrag in Höhe von 148,58 Euro.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Die auf die (ehemalige) Wohnung der Klägerinnen entfallenen Heizkosten lagen mit 1.979,99 Euro (ohne Warmwasserkosten) um 49 % bzw. 43 % und damit weit über den nach Heizspiegel (2010 bzw. 2011) maximal zu erwartenden Werten. Sie überstiegen zudem die durchschnittlichen Kosten des Rests des von den Klägerinnen seinerzeit bewohnten 8-Parteien-Miethauses um mehr als 95 %, lagen mithin fast doppelt so hoch. Geht man davon aus, dass die Klägerinnen im Hinblick auf ihr geringes Alter im Jahr 2010 einen überdurchschnittlichen Wärmebedarf hatten, ist gleichwohl festzustellen, dass der Durchschnittswert des Rests des Hauses um bis zu 30 % hätte überschritten werden können, ohne den Maximalwert des Heizspiegels 2011 zu erreichen. Hiermit war mithin ein bereits deutlich „wärmeres Wohnen“ möglich, als im Rest des Hauses üblich. Da die Wohnung der Klägerinnen im Erdgeschoss des Mehrparteienhausees belegen war und dieses im Übrigen mit 11,83 Euro/m² nur geringfügig oberhalb des im Heizspiegel als „mittel“ bezeichneten Bereichs vergleichbarer Gebäude lag (7,30 – 11,50 Euro/m²), sind auch keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die hohen tatsächlichen Kosten unvermeidbar mit dem Mietgegenstand verbunden waren. Erst Recht sind derartige Anhaltspunkte klägerseits nicht vorgetragen worden. Allein ursächlich für die massiv überhöhten Heizkosten kann mithin nur das Heizverhalten der Bewohner der Wohnung der Klägerinnen gewesen sein. Dabei kann dahinstehen, ob sich dies durch Heizen bei stundenlang geöffneten Fenstern, durch ständig deutlich überhöhte Temperaturen oder anderweitig dargestellt hat. Jedenfalls kann kein Heizverhalten vorgelegen haben, wie es üblicherweise zu erwarten ist, wenn die hierdurch beeinflussten Kosten selbst und nicht durch Dritte getragen werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Im Ergebnis ist die Heizkostennachforderung bei der Leistungsberechnung nicht zu berücksichtigen, weil es sich hierbei nicht um „angemessene“ Kosten im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II handelt, sondern um das Ergebnis eines offensichtlich grob unwirtschaftlichen Heizverhaltens. Auf einen derartigen unangemessenen „Bedarf“ besteht nach dem Gesetz kein Anspruch.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts musste der Beklagte, um sich auf die Unangemessenheit der – wie gezeigt – massiv überhöhten Heizkosten berufen zu können, die Klägerinnen (bzw. deren Mutter) nicht zunächst durch eine Kostensenkungsaufforderung dazu anhalten, ihr Heizverhalten anzupassen und sich so vernünftig zu verhalten, wie auch ein Nichthilfebedürftiger üblicherweise agiert. Zwar werden gemäß § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II in der hier maßgeblichen Fassung grundsätzlich auch Aufwendungen für die Heizung solange als Bedarf anerkannt, wie es der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Dem Hilfebedürftigen soll hierdurch für eine Übergangszeit der räumliche Lebensmittelpunkt auch bei unangemessenen Heizkosten erhalten bleiben, nicht anders als im Falle sonstiger unangemessener Unterkunftskosten. Diese Regelung zielt jedoch vornehmlich auf diejenigen Fälle ab, in denen die unangemessenen Heizkosten gerade auf einer unangemessen Wohnungsgröße beruhen, sodass eine Senkung auch der Heizkosten nur durch einen Wohnungswechsel oder eine anderweitige Verkleinerung der bewohnten (und beheizten) Fläche möglich ist. Einschränkungen ergeben sich auch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der der Senat folgt, allerdings in Fällen unwirtschaftlichen Heizverhaltens, vgl. BSG, Urteil vom 19. September 2008 – B 14 AS 54/07 R.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.</p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a>
</div>
|
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180,208 | bsg-2019-01-09-b-13-r-2518-b | {
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<div>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 14. Dezember 2017 wird als unzulässig verworfen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p/>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Der Antrag, ihr Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens zu bewilligen und Rechtsanwalt P. (K.) beizuordnen, wird abgelehnt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p/>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.</p>
</dd>
</dl>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_1">1</a>
</dt>
<dd>
<p>I. Im Streit steht eine Entscheidung der Beklagten über eine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben im Rahmen eines Fortsetzungsfeststellungsbegehrens.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p/>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_2">2</a>
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<dd>
<p>Die Beklagte hatte der Klägerin die Zusage erteilt, dem Grunde nach Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu bewilligen. Im März 2011 beantragte die Klägerin alsdann derartige Leistungen in "Form" eines Ausbildungskostenzuschusses für die Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau im Reisebüro "R.". Dies lehnte die Beklagte ab. Nach hiergegen gerichteten ebenfalls erfolglosen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und Widerspruchs hat die Klägerin vor dem SG im Hauptsacheverfahren beantragt, "… die Beklagte unter Aufhebung … zu verpflichten, den Antrag … auf Gewährung eines Ausbildungszuschusses für eine Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden". Als das Reisebüro "R." im Jahr 2013 sein Ausbildungsangebot zurückzog, hat die Klägerin ihren Klageantrag umgestellt. Sie beantragt nunmehr, "… festzustellen, dass der Ablehnungsbescheid … ermessenfehlerhaft war". Diesem Begehren hat das SG <em>(Gerichtsbescheid vom 21.1.2015)</em> stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG <em>(Urteil vom 14.12.2017)</em> den Gerichtsbescheid des SG aufgehoben und die Fortsetzungsfeststellungsklage abgewiesen. Es hat die Revision nicht zugelassen.</p>
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<p>Gegen Letzteres wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde an das BSG. Sie rügt einen Verfahrensfehler des LSG <em>(§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG)</em>.</p>
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<p>II. Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Beschwerdebegründung genügt nicht der vorgeschriebenen Form. Sie hat den geltend gemachten Zulassungsgrund des Verfahrensmangels <em>(§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG)</em> nicht in der hierfür erforderlichen Weise bezeichnet <em>(§ 160a Abs 2 S 3 SGG)</em>.</p>
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<p>Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für dessen Bezeichnung <em>(§ 160a Abs 2 S 3 SGG)</em> die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht.</p>
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<p>Die Klägerin rügt einen Verstoß des LSG gegen § 123 SGG, denn das LSG habe mit seiner Auslegung ihrer beiden Anträge aus dem Klageverfahren den Streitgegenstand verkannt. Sie hat das Vorliegen der einen derartigen Verfahrensfehler begründenden Tatsachen jedoch nicht hinreichend dargebracht.</p>
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<p>Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger (Klägerin) erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Bei unklaren Anträgen muss das Gericht mit den Beteiligten klären, was gewollt ist, und vor allem bei nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten darauf hinwirken, dass sachdienliche und klare Anträge gestellt werden <em>(§ 106 Abs 1, § 112 Abs 2 S 2 SGG; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 123 RdNr 3; Schmidt, aaO, § 112 RdNr 8)</em>. Im Übrigen ist das Gewollte, also das mit der Klage bzw der Berufung verfolgte Prozessziel, bei nicht eindeutigen Anträgen im Wege der Auslegung festzustellen <em>(vgl etwa BSG Urteil vom 22.3.1988 - 8/5a RKn 11/87 - BSGE 63, 93, 94 = SozR 2200 § 205 Nr 65, juris RdNr 11)</em>. Dabei ist unter Heranziehung von § 133 BGB der wirkliche Wille zu erforschen. Zugrunde zu legen sind insoweit der Wortlaut des Begehrens, aber auch die sonstigen Umstände des Falles, die für das Gericht und die anderen Beteiligten erkennbar sind <em>(vgl nur BSG Urteil vom 25.6.2002 - B 11 AL 23/02 R - juris RdNr 21; BSG Beschluss vom 8.11.2005 - B 1 KR 76/05 B - SozR 4-1500 § 158 Nr 2 juris RdNr 1)</em>. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass nach Maßgabe des Meistbegünstigungsprinzips alles begehrt wird, was dem Kläger (Klägerin) aufgrund des Sachverhalts rechtlich zusteht <em>(vgl etwa BSG Urteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 10/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 16)</em>. Die Auslegung von Anträgen richtet sich danach, was als Leistung möglich ist, wenn jeder verständige Antragsteller mutmaßlich seinen Antrag bei entsprechender Beratung angepasst hätte und keine Gründe zur Annahme eines abweichenden Verhaltens vorliegen; im Zweifel ist davon auszugehen, dass der Kläger alles zugesprochen haben möchte, was ihm aufgrund des Sachverhalts zusteht <em>(BSG Urteil vom 10.3.1994 - 7 RAr 38/93 - BSGE 74, 77, 79 = SozR 3-4100 § 104 Nr 11, RdNr 15)</em>. Bei einem Rechtsanwalt oder anderen qualifizierten Prozessbevollmächtigten ist allerdings in der Regel anzunehmen, dass der Wortlaut des Antrags das wirklich Gewollte wiedergibt <em>(BSG Beschluss vom 5.6.2014 - B 10 ÜG 29/13 B - juris RdNr 12)</em>.</p>
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<p>Die Beschwerdebegründung der Klägerin lässt bereits Darlegungen dazu vermissen, dass das LSG ihr Klagebegehren entgegen dem Wortlaut der Anträge verkannt haben soll.</p>
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<p>Sie bringt vor, ihr ursprünglicher Antrag sei auf die Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung im Hinblick auf die Gewährung eines Ausbildungszuschusses für eine Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts gerichtet gewesen. Nach der Aufgabe des Ausbildungsangebots durch das Reisebüro "R." habe sie dieses Begehren in einen Fortsetzungsfeststellungsantrag gewandelt, verbunden mit der Feststellung, dass der Ausgangsbescheid ermessensfehlerhaft gewesen sei, weil für den mit der Klage ursprünglich verfolgten Anspruch das Rechtsschutzbedürfnis entfallen sei. Dass das LSG den ersten Antrag, den sie ausdrücklich in ein Verpflichtungsbegehren gekleidet hat, nicht als solches angesehen und behandelt hat, behauptet sie zwar. Dies widerspricht jedoch der von ihr selbst wiedergegebenen Entscheidungsbegründung des LSG. Sie führt ausdrücklich aus, das LSG habe ihren Antrag als "Verpflichtungsantrag" ausgelegt.</p>
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<p>Soweit sie vorbringen will, das LSG habe diesen Antrag entgegen ihres Begehrens einengend auf die Verpflichtung der Beklagten zur Bescheidung über einen Ausbildungszuschuss für eine Ausbildung beim Reisebüro "R." ausgelegt, mangelt es an Darlegungen dazu, dass das LSG damit das wirklich von ihr Gewollte verfehlt hat. Insoweit genügt es angesichts der von ihr selbst dargestellten Begründung des LSG, insbesondere dessen Hinweis auf den Verfahrensgang und die Hintergründe des Rechtsstreits nicht vorzubringen, als anwaltlich Vertretene sei allein auf den Wortlaut des Antrags abzustellen. Rechtsprechung und Literatur gehen zwar davon aus, dass ein von einem Rechtsanwalt formulierter Antrag in der Regel das Gewollte zutreffend wiedergibt <em>(vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 123 RdNr 3; BSG Beschluss vom 5.6.2014 - B 10 ÜG 29/13 B - juris RdNr 12)</em>. Andererseits schließt nicht allein der Umstand der anwaltlichen Vertretung eine an § 133 BGB orientierte Auslegung des Begehrens aus <em>(BSG Urteil vom 14.12.2006 - B 4 R 19/06 R - SozR 4-3250 § 14 Nr 3 - juris RdNr 24; Giesbert in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 123 SGG RdNr 20)</em>, zumindest dann, wenn die gewählte Formulierung - wie hier - nicht eindeutig ist <em>(vgl BSG Urteil vom 14.6.2018 - B 9 SB 2/16 R - SozR 4-1500 § 92 Nr 4 RdNr 11; BVerwG Urteil vom 22.2.1985 - 8 C 107/83 - juris RdNr 25)</em>.</p>
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</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:justify">Selbst wenn man jedoch annehmen wollte, es handele sich um eine einengende Auslegung des Vordergerichts, die - folgte man den Ausführungen der Klägerin - nicht durch</p>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:justify">a) die ursprüngliche, auf einen konkreten Ausbildungsplatz beim Reisebüro "R." gerichtete Antragstellung gegenüber der Beklagten,</p>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:justify">b) das Vorbringen zur Eilbedürftigkeit wegen des Erhalts der Ausbildungsmöglichkeit bei diesem Reisebüro im vorläufigen Rechtsschutz und</p>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:justify">c) das Vorbringen im Klageverfahren, das ursprüngliche Begehren habe sich durch den Wegfall des Ausbildungsplatzes erledigt, gerechtfertigt sei,</p>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:justify">so mangelt es an hinreichenden Darlegungen zur prozessualen Erforderlichkeit einer Umstellung der Klageart in eine Fortsetzungsfeststellungsklage. Insoweit genügt es nicht auf den Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses für einen Bescheidungsantrag zu verweisen. Denn war der ursprüngliche Klageantrag nur auf die ermessensfehlerfreie Bescheidung der Klägerin gerichtet, betreffend eine Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau unabhängig von dem konkreten Ausbildungsplatzangebot, hätte es Ausführungen der Klägerin dazu bedurft, warum sich dieser ursprüngliche Klageantrag durch den Wegfall des Ausbildungsplatzes bei dem Reisebüro "R." erledigt gehabt haben soll. Nach § 131 Abs 1 S 3 SGG setzt die Fortsetzungsfeststellungsklage die Erledigung des Verwaltungsaktes voraus. Die Umstellung in eine Fortsetzungsfeststellungsklage, dh das prozessuale Vorgehen der Klägerin, würde sie damit nur dann begünstigen, wenn mit dem Wegfall des Ausbildungsangebotes sich ihr Begehren auf eine konkrete Leistung, die durch den streitigen Bescheid abgelehnt worden war, erledigt hatte. Anderenfalls hätte es keiner Klageumstellung bedurft und alsdann mangelte es an Tatsachenvortrag, der den gerügten Verfahrensfehler der Verkennung des Streitgegenstandes begründen könnte.</p>
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<p>Soweit die Beschwerdeschrift so zu verstehen sein sollte, dass das LSG das Begehren nicht mit der Begründung hätte ablehnen dürfen, es bestehe ein Ermessensspielraum, beträfe dies die materielle Richtigkeit der Entscheidung des LSG und kann nicht zum Erfolg einer Nichtzulassungsbeschwerde führen.</p>
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<p>Schlussendlich mangelt es in der Beschwerdebegründung an Darlegungen zum Beruhen der Entscheidung des LSG auf dem gerügten Verfahrensfehler. Es finden sich in der Beschwerdeschrift keinerlei Ausführungen zu dem bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage zwingend erforderlichen Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Insoweit hätte die Klägerin darlegen müssen, auch wenn sich das LSG unter Berücksichtigung seiner Rechtsauffassung nicht dazu verhalten musste, dass und aus welchen Gründen es dieses hätte bejahen müssen und eine Revision zum Erfolg für sie führen könne.</p>
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<p>Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab.</p>
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<p>Der Klägerin kann für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG PKH unter Beiordnung eines Rechtsanwalts nicht gewährt werden <em>(vgl § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 ZPO), </em>weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung - wie bereits ausgeführt - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.</p>
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<p>Die Kostenentscheidung ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.<br/>
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180,190 | bgh-2019-01-09-viii-zb-2617 | {
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} | VIII ZB 26/17 | 2019-01-09T00:00:00 | 2019-02-07T14:17:43 | 2019-02-07T14:17:43 | Beschluss | ECLI:DE:BGH:2019:090119BVIIIZB26.17.0 | <h2>Tenor</h2>
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<p>Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth - 7. Zivilkammer - vom 20. März 2017 aufgehoben.</p>
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<p>Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.</p>
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<p>Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.800 € festgesetzt.</p>
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<h2>Gründe</h2>
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<p>Die Klägerin und ihr Ehemann waren Miteigentümer eines Zweifamilienhauses. Mit Vertrag vom 1. Oktober 2013 vermieteten sie eine der beiden Wohnungen an den Beklagten zu 1. Später wurde die Klägerin, welche die andere Wohnung im Haus bewohnt, durch Übertragung des Miteigentumsanteils ihres Ehemanns Alleineigentümerin des Anwesens. Sie kündigte das Mietverhältnis mit Schreiben vom 18. Februar 2016 gemäß § 573a Abs. 1 BGB und nahm den Beklagten zu 1 sowie seinen volljährigen Sohn, den Beklagten zu 2, auf Räumung und Herausgabe der Wohnung in Anspruch.</p>
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<p>Nach dem Auszug der Beklagten aus der streitgegenständlichen Wohnung haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt. Das Amtsgericht hat die Kosten des Rechtsstreits den Beklagten auferlegt. Deren hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde ist erfolglos geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehren die Beklagten, der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.</p>
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<p>Das Rechtsbeschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 91 a ZPO den Beklagten aufzuerlegen gewesen seien, da sie ohne die übereinstimmende Erledigungsklärung voraussichtlich unterlegen wären. Zwar habe eine Kündigung bei mehreren Vermietern grundsätzlich durch alle Vermieter zu erfolgen. Auch greife § 566 Abs. 1 BGB, nach dessen Wortlaut eine Veräußerung an einen Dritten zu erfolgen habe, nicht ein, da die Veräußerung hier an einen der bisherigen Eigentümer und Vermieter erfolgt sei. Allerdings komme § 566 Abs. 1 BGB analog zur Anwendung, da der Vermieter, der den (hälftigen) Miteigentumsanteil des anderen Vermieters erworben habe, dergestalt in den Mietvertrag eintrete, dass die Kündigung allein durch den Erwerber des hälftigen Miteigentums wirksam sei. Zwar verliere der Mieter dadurch mit der Veräußerung einen seiner Schuldner. Einen Ausgleich hierfür sehe jedoch die Regelung in § 566 Abs. 2 BGB vor.</p>
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<p>Die Rechtsbeschwerde sei gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zuzulassen, da die Frage der analogen Anwendung von § 566 Abs. 1 BGB auf den Fall des Erwerbs eines Miteigentumsanteils bislang höchstrichterlich nicht entschieden sei.</p>
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<p>Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.</p>
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<p>1. Die von dem Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.</p>
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<p>Die Entscheidung des Beschwerdegerichts, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, ist für den Senat nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO unabhängig davon bindend, ob es die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO zutreffend beurteilt hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Januar 2018 - VIII ZB 74/16, WuM 2018, 151 Rn. 6; vom 8. Mai 2012 - VIII ZB 91/11, WuM 2012, 332 Rn. 3 mwN; vom 7. Oktober 2008 - XI ZB 24/07, NJW-RR 2009, 425 Rn. 9 mwN). Es ist daher unschädlich, dass - was das Beschwerdegericht verkannt hat - gegen eine Kostenentscheidung die Rechtsbeschwerde nicht aus materiell-rechtlichen Gründen zugelassen werden darf, da es nicht Zweck des Kostenverfahrens ist, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären oder das Recht fortzubilden, soweit es - wie im Streitfall - um Fragen des materiellen Rechts geht (st. Rspr.; vgl. Senatsbeschlüsse vom 30. Januar 2018 - VIII ZB 74/16, aaO; vom 8. März 2011 - VIII ZB 65/10, WuM 2011, 242 Rn. 7; vom 8. Mai 2012 - VIII ZB 91/11, aaO Rn. 7; jeweils mwN). Ebenso ist es für die Wirksamkeit der Zulassung der Rechtsbeschwerde ohne Bedeutung, dass das Berufungsgericht irrig das Vorliegen eines Zulassungsgrundes angenommen hat, obwohl die von ihm als Grund für die Zulassung genannte Frage sich in der vorliegenden Fallgestaltung ohne weiteres anhand der - von ihm allerdings nicht berücksichtigten - Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beantwortet und eine vereinzelte entgegenstehende Literaturmeinung kein Bedürfnis zu einer höchstrichterlichen Klärung zu begründen vermag.</p>
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<p>2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.</p>
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<p>Nach der übereinstimmenden Erledigterklärung der Parteien waren die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO der Klägerin aufzuerlegen. Denn die Klägerin wäre bei Fortführung des Rechtsstreits voraussichtlich in der Sache unterlegen, weil das Mietverhältnis durch die allein von ihr ausgesprochene Kündigung vom 18. Februar 2016 nicht wirksam beendet worden ist und ihr deshalb der von ihr geltend gemachte Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung nicht zustand. Die Kündigung hätte vielmehr auch von dem früheren Ehemann der Klägerin erklärt werden müssen, der die Wohnung zusammen mit ihr an den Beklagten zu 1 vermietet hatte. Die vom Beschwerdegericht vorgenommene analoge Anwendung des § 566 Abs. 1 BGB kommt in der vorliegenden Konstellation, dass einer von zwei Miteigentümern, die eine Wohnung vermietet haben, später Alleineigentümer wird, nicht in Betracht.</p>
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<p>a) Gemäß § 566 Abs. 1 BGB tritt bei einer Veräußerung des vermieteten Wohnraums nach der Überlassung an den Mieter von dem Vermieter an einen Dritten der Erwerber anstelle des Vermieters in die sich während der Dauer seines Eigentums aus dem Mietverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten ein. Nach dem Wortlaut des § 566 Abs. 1 BGB muss die Veräußerung an einen Dritten erfolgen, das heißt, der veräußernde Eigentümer und der Erwerber müssen personenverschieden sein, der Erwerber darf bis zum Erwerb nicht Vermieter gewesen sein (vgl. Senatsbeschluss [Rechtsentscheid] vom 6. Juli 1994 - VIII ARZ 2/94, BGHZ 126, 357, 363 f. - noch zu der Vorgängerregelung in § 571 BGB aF). Eine direkte Anwendung des § 566 BGB kommt damit, wie das Beschwerdegericht im Ansatz noch zutreffend gesehen hat, nicht in Betracht.</p>
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<p>b) Eine Analogie ist - was das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft nicht geprüft hat - zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke aufweist und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen. Die Lücke muss sich also aus einem unbeabsichtigten Abweichen des Gesetzgebers von seinem - dem konkreten Gesetzgebungsvorhaben zugrundeliegenden - Regelungsplan ergeben (st. Rspr.; siehe nur Senatsurteil vom 14. Dezember 2016 - VIII ZR 232/15, BGHZ 213, 136 Rn. 33 mwN). Dies ist hier jedoch nicht der Fall.</p>
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<p>Sinn und Zweck des § 566 BGB ist der Schutz des Mieters vor einem Verlust des Besitzes an der Wohnung gegenüber einem neuem Erwerber im Falle der Veräußerung der Mietsache (BGH, Urteil vom 12. Juli 2017 - XII ZR 26/16, NZM 2017, 847 Rn. 29 mwN). Dieser Schutzzweck ist von vornherein nicht berührt, wenn - wie hier - einer von zwei vermietenden Miteigentümern seinen Eigentumsanteil auf den anderen überträgt, so dass dieser Alleineigentümer der Mietsache wird. Denn der nunmehrige Alleineigentümer ist (weiter) an den Mietvertrag gebunden und ein Verlust des Besitzes auf Seiten des Mieters infolge des Veräußerungsvorgangs ist somit nicht zu besorgen. Damit scheidet eine analoge Anwendung des § 566 BGB auf einen solchen Fall aus.</p>
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<p>Soweit in der vom Berufungsgericht herangezogenen Kommentarstelle allgemeine Erwägungen dazu angestellt werden, es sei auch im Hinblick auf mögliche weitere Veräußerungsvorgänge "praktikabler, das Ausscheiden des veräußernden Miteigentümers aus der Vermieterstellung sogleich zu vollziehen" (so Schmidt-Futterer/Streyl, Mietrecht, 13. Aufl., § 566 BGB Rn. 77; dagegen zutreffend MünchKommBGB/Häublein, 7. Aufl., § 566 Rn. 22), ergibt sich daraus offensichtlich keine tragfähige Grundlage für eine Analogie.</p>
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<p style="text-align:left">Dr. Milger     </p>
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<p style="text-align:left">      </p>
</td>
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<p style="text-align:left">Dr. Hessel     </p>
</td>
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<p style="text-align:left">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Dr. Fetzer</p>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Dr. Bünger     </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">      </p>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<p style="text-align:left">Kosziol     </p>
</td>
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178,102 | bgh-2019-01-09-xii-zb-28018 | {
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"state": 2,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": "Bundesgericht"
} | XII ZB 280/18 | 2019-01-09T00:00:00 | 2019-02-01T13:09:23 | 2019-02-01T13:09:23 | Beschluss | ECLI:DE:BGH:2019:090119BXIIZB280.18.0 | <h2>Tenor</h2>
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<p>Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Hechingen vom 30. April 2018 aufgehoben.</p>
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<p>Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.</p>
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<h2>Gründe</h2>
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<p>I.</p>
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<p>Die Beteiligte zu 1 (nachfolgend: Betreuungsbehörde) wendet sich gegen die betreuungsgerichtliche Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen.</p>
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<p>Für die Betroffene, die unter einer paranoiden Schizophrenie leidet, ist eine rechtliche Betreuung u.a. mit dem Aufgabenkreis der Wohnungsangelegenheiten eingerichtet. Am 3. Dezember 2017 wurde ihr Mietverhältnis fristlos gekündigt, weil sie andere Mieter des Wohnhauses durch nächtliches Klingeln und Klopfen an der Wohnungstür belästigt hatte, in deren Wohnungen eingedrungen war und Mitbewohner mehrfach beleidigt hatte.</p>
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<p>Am 7. Dezember 2017 hat der Betreuer der Betroffenen beantragt, die Unterbringung der Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung betreuungsgerichtlich zu genehmigen. Das Amtsgericht hat nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens und Anhörung der Betroffenen deren Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung einer Pflegeeinrichtung für die Dauer von sechs Monaten, gerechnet vom Tag der Aufnahme in der Einrichtung an, genehmigt. Das Landgericht hat die - unzutreffend als "sofortige Beschwerde" bezeichnete - Beschwerde der Betreuungsbehörde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich deren Rechtsbeschwerde, mit der sie die Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses begehrt.</p>
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<a name="rd_4">4</a>
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<p>Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.</p>
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<a name="rd_5">5</a>
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<p>1. Das Landgericht hat seine Entscheidung auf Eigengefährdung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB gestützt und sie wie folgt begründet:</p>
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<a name="rd_6">6</a>
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<p>Die Betroffene leide unter einer psychischen Krankheit in Form einer paranoiden Schizophrenie und sei aufgrund dieser Erkrankung nicht in der Lage, einen freien Willen zu bilden und danach zu handeln. Es bestehe auch eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben der Betroffenen. Diese setze kein zielgerichtetes Verhalten der Betroffenen voraus, so dass auch eine völlige Verwahrlosung ausreichen könne, wenn damit eine Gesundheitsgefahr durch körperliche Verelendung und Unterversorgung verbunden sei.</p>
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<a name="rd_7">7</a>
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<p>Dafür seien hier objektivierbare und konkrete Anhaltspunkte gegeben, weil der Betroffenen Obdachlosigkeit drohe und diese eine konkrete Gefahr der Unterversorgung und Verwahrlosung der Betroffenen bedeute. Aufgrund der paranoiden Wahnvorstellungen mit Beeinträchtigungs- und Beziehungswahnerleben werde die Betroffene einer geordneten Tagesstruktur nicht nachkommen und deswegen in eine völlige Verwahrlosung hineingleiten. Der Grad der Gefahr sei groß und in Relation zum möglichen Schaden ohne freiheitsentziehende Maßnahme so hoch, dass die Unterbringung für den genehmigten Zeitraum verhältnismäßig sei.</p>
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<p>Die Gefahr der Obdachlosigkeit sei auch bereits zum jetzigen Zeitpunkt gegeben. Die Berechtigung der fristlosen Kündigung stehe außer Frage. Die Betroffene habe daher die Wohnung zu räumen und an den Vermieter herauszugeben. Ein Abwarten der zwangsweisen Räumung nach Erlass eines Räumungsurteils und die darauffolgende Einweisung in ein Obdachlosenheim sei kein geeignetes Mittel, um die drohende Gefahr von der Betroffenen abzuwenden. Außerdem sei dies mit der Würde der Betroffenen nicht vereinbar, insbesondere weil die Gründe für die außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses in der psychischen Erkrankung der Betroffenen ihren Ursprung hätten.</p>
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<a name="rd_9">9</a>
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<p>Geeignete mildere Mittel als die Unterbringung für einen Zeitraum von sechs Monaten seien nicht ersichtlich, weil eine Vermittlung der Betroffenen auf dem freien Wohnungsmarkt nicht möglich sei und sie eine offene Heimunterbringung oder Unterstützungsmaßnahmen Dritter - wie in der Vergangenheit - nicht akzeptiere.</p>
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<p>2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die materiellen Voraussetzungen für eine geschlossene Unterbringung der Betroffenen gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB sind nicht ausreichend festgestellt.</p>
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<a name="rd_11">11</a>
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<p>a) Gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt.</p>
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<a name="rd_12">12</a>
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<p>aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats setzt die Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB zwar keine akute, unmittelbar bevorstehende Gefahr für den Betreuten voraus. Notwendig ist allerdings eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib und Leben des Betreuten. Dies setzt kein zielgerichtetes Verhalten des Betreuten voraus, so dass auch eine völlige Verwahrlosung ausreichen kann, wenn damit eine Gesundheitsgefahr durch körperliche Verelendung und Unterversorgung verbunden ist (Senatsbeschluss vom 13. Januar 2010 - XII ZB 248/09 - FamRZ 2010, 365 Rn. 14). Erforderlich sind aber objektivierbare und konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens. Der Grad der Gefahr ist dabei in Relation zum möglichen Schaden ohne Vornahme der freiheitsentziehenden Maßnahme zu bemessen (Senatsbeschluss vom 24. Mai 2017 - XII ZB 577/16 - FamRZ 2017, 1342 Rn. 10 mwN).</p>
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<a name="rd_13">13</a>
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<p>Die Prognose einer nicht anders abwendbaren Suizidgefahr oder einer Gefahr erheblicher gesundheitlicher Schäden ist Sache des Tatrichters. Sie baut im Wesentlichen auf der Anhörung des Betroffenen und der weiteren Beteiligten sowie auf dem nach § 321 FamFG einzuholenden Sachverständigengutachten auf (Senatsbeschluss vom 24. Mai 2017 - XII ZB 577/16 - FamRZ 2017, 1342 Rn. 11 mwN).</p>
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<a name="rd_14">14</a>
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<p>bb) Die Genehmigung der Unterbringung muss zudem erforderlich sein. Wenn die Gefahr durch andere Mittel als die freiheitsentziehende Unterbringung abgewendet werden kann, kommt eine Unterbringung als unverhältnismäßig nicht in Betracht (Senatsbeschluss vom 24. Mai 2017 - XII ZB 577/16 - FamRZ 2017, 1342 Rn. 12 mwN).</p>
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<a name="rd_15">15</a>
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<p>b) Nach den bislang getroffenen Feststellungen des Landgerichts ist eine geschlossene Unterbringung der Betroffenen nach diesen Maßstäben nicht zu rechtfertigen.</p>
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<a name="rd_16">16</a>
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<p>aa) Zwar leidet die Betroffene, wie das Landgericht in Übereinstimmung mit dem Sachverständigengutachten festgestellt hat, an einer behandlungsbedürftigen paranoiden Schizophrenie und damit an einer psychischen Krankheit iSv § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB.</p>
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<a name="rd_17">17</a>
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<p>bb) Das Landgericht hat aber keine konkreten Umstände für die Annahme aufgezeigt, die Betroffene werde sich erheblichen gesundheitlichen Schaden iSv § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB zufügen, wenn die Unterbringung unterbleibt. Es führt hierzu lediglich aus, dass die bevorstehende Obdachlosigkeit für die Betroffene eine konkrete und ernstliche Gefahr der Unterversorgung und der Verwahrlosung bedeute und die Betroffene krankheitsbedingt einer geordneten Tagesstruktur nicht nachkommen und deshalb in eine völlige Verwahrlosung hineingleiten würde.</p>
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<p>Dass die Betroffene nach dem Verlust ihrer Wohnung tatsächlich obdachlos würde, hat das Landgericht aber nicht festgestellt. Auch wenn die Betroffene sich bislang nicht selbst um eine neue Wohnung bemüht hat, ist es jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sie mit Hilfe ihres Betreuers, dem auch der Aufgabenkreis der Wohnungsangelegenheiten übertragen ist, neuen Wohnraum finden kann. Soweit in der angegriffenen Entscheidung in diesem Zusammenhang ausgeführt wird, eine Vermittlung der Betroffenen auf dem freien Wohnungsmarkt sei nicht möglich, beruht dies nicht auf entsprechenden Feststellungen. Insbesondere kann der angegriffenen Entscheidung nicht entnommen werden, ob der Betreuer bereits erfolglos versucht hat, der Betroffenen eine neue Wohnung zu verschaffen. Zudem hat sich das Landgericht auch nicht ausreichend mit der Frage befasst, ob einer Obdachlosigkeit der Betroffenen durch andere, gegebenenfalls durch den Betreuer zu organisierende Hilfen begegnet werden könnte. Die Annahme des Landgerichts, die Betroffene werde eine offene Heimunterbringung oder Unterstützungsmaßnahmen Dritter nicht akzeptieren, wird ebenfalls nicht von entsprechenden Feststellungen getragen. Zwar mag die Betroffene in der Vergangenheit derartige Hilfsangebote abgelehnt haben. Dies allein rechtfertigt jedoch nicht die Annahme, dass die inzwischen 70-jährige Betroffene auch in ihrer jetzigen Situation diese ablehnende Haltung aufrechterhalten werde. Denn aufgrund der Kündigung ihres Mietverhältnisses und dem damit verbundenen Verlust ihrer Wohnung hat sich die aktuelle Lebenssituation der Betroffenen grundlegend verändert. Daher kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die Betroffene nunmehr bereit ist, Hilfen anzunehmen. Erfolglose Bemühungen des Betreuers, der Betroffenen andere Hilfen anzubieten, hat das Landgericht jedenfalls nicht festgestellt.</p>
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<p>Ebenso wenig hat das Landgericht ausreichende Feststellungen für den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens getroffen, falls eine Unterbringung der Betroffenen unterbleibt. Die angeführte Gefahr einer Verwahrlosung ist als solche nicht ausreichend, eine Selbstgefährdung im Sinne des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB zu begründen, weil damit nicht aufgezeigt ist, inwieweit mit ihr die konkrete Gefahr eines erheblichen gesundheitlichen Schadens für die Betroffene verbunden sein soll (vgl. Senatsbeschluss vom 14. März 2018 - XII ZB 629/17 - FamRZ 2018, 950 Rn. 30). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffenen ohne die Unterbringung ein erheblicher gesundheitlicher Schaden droht, ergeben sich auch nicht aus dem vom Landgericht in Bezug genommenen Sachverständigengutachten. Auch darin wird insoweit lediglich ausgeführt, dass sich die Betroffene bislang nicht um eine Wohnung bemüht habe, sie krankheitsbedingt hierzu auch nicht in der Lage sei und ihr deshalb eine dauerhafte Obdachlosigkeit drohe, die mit der Gefahr eines erheblichen gesundheitlichen Schadens verbunden sei. Welche konkreten gesundheitlichen Gefahren für die Betroffene ohne die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung bestehen sollen und wie wahrscheinlich diese sind, wird in dem Sachverständigengutachten nicht dargelegt. Auch die angegriffene Entscheidung verhält sich hierzu nicht. Dazu hätte aber bereits deshalb Anlass bestanden, weil die Betroffene bis zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung trotz ihrer psychischen Erkrankung offensichtlich in der Lage war, sich selbst angemessen zu versorgen und ihren eigenen Hausstand zu führen. In der angegriffenen Entscheidung werden damit letztlich nur abstrakte Gefahren beschrieben, die sich aus dem Verlust der Wohnung für die Betroffene ergeben können.</p>
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<a name="rd_20">20</a>
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<p>3. Die angegriffene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt, weil die Sache mangels hinreichender Tatsachenfeststellung noch nicht entscheidungsreif ist (vgl. § 74 Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG). Die angegriffene Entscheidung ist daher aufzuheben; die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen.</p>
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<a name="rd_21">21</a>
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<p>4. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).</p>
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<p style="text-align:left">Dose     </p>
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<p style="text-align:left">      </p>
</td>
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<p style="text-align:left">Klinkhammer     </p>
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<p style="text-align:left">      </p>
</td>
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<p style="text-align:left">Günter</p>
</td>
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<tr>
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<p style="text-align:left">      </p>
</td>
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<p style="text-align:left">Botur     </p>
</td>
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<p style="text-align:left">      </p>
</td>
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<p style="text-align:left">Krüger     </p>
</td>
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} | 1 C 25/18 | 2019-01-09T00:00:00 | 2019-02-01T13:09:14 | 2019-02-01T13:09:14 | Urteil | ECLI:DE:BVerwG:2019:090119U1C25.18.0 | <h2>Tatbestand</h2>
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Die Klägerin, eritreische Staatsangehörige, wendet sich gegen die Ablehnung ihres Asylantrags als unzulässig, die Feststellung, dass nationale Abschiebungsverbote nicht vorliegen, die Anordnung der Abschiebung in die Republik Italien und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 12 Monate.</p>
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<dl class="RspDL">
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<a name="rd_2">2</a>
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<dd>
<p>
Die Klägerin reiste nach eigenen Angaben am 5. November 2016 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 16. November 2016 ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Ein Eurodac-Abgleich ergab, dass sie zuvor illegal nach Italien eingereist war. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Beklagten (Bundesamt) richtete am 9. Januar 2017 ein Aufnahmegesuch an die Republik Italien, welches unbeantwortet blieb. Daraufhin lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 13. März 2017 den Asylantrag wegen anderweitiger internationaler Zuständigkeit als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass keine nationalen Abschiebungsverbote vorliegen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung in die Republik Italien an (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 12 Monate (Ziffer 4).</p>
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<dl class="RspDL">
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<a name="rd_3">3</a>
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<p>
Das Verwaltungsgericht lehnte mit Beschluss vom 5. April 2017 den Antrag der Klägerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab.</p>
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<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_4">4</a>
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<dd>
<p>
Gegen diesen Beschluss erhob die Klägerin fristgerecht Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht und beantragte sogleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Zur Begründung trug sie vor, dass der Erlass des Beschlusses vom 5. April 2017 durch einen Richter auf Zeit die Rechte der Klägerin aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletze. Das Bundesverfassungsgericht bat das Bundesamt zu bestätigen, dass bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde oder den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keine Abschiebung der Klägerin erfolgen werde. Das Bundesamt gab eine entsprechende Erklärung ab und setzte mit Bescheid vom 19. September 2017 die Vollziehung der Abschiebungsanordnung aus dem Bescheid vom 13. März 2017 bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde oder den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO aus.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_5">5</a>
</dt>
<dd>
<p>
Einen am 10. Oktober 2017 gestellten Antrag der Klägerin, den Beschluss vom 5. April 2017 abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 27. Oktober 2017 ab. Nach der mit Bescheid vom 19. September 2017 erfolgten Aussetzung der Vollziehung bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis für einen solchen Antrag, weil die Klägerin nicht mehr vollziehbar ausreisepflichtig sei.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<a name="rd_6">6</a>
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<dd>
<p>
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 28. Februar 2018 den Bescheid vom 13. März 2017 aufgehoben. Die Zuständigkeit für die Entscheidung über den Asylantrag sei zwischenzeitlich auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen, weil durch die behördliche Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO die Überstellungsfrist nicht erneut unterbrochen worden sei. Grundsätzlich könne zwar eine behördliche Aussetzungsentscheidung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO, Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO zur Unterbrechung der Überstellungsfristen führen. Dies erfordere aber Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung, welche nicht vorgelegen hätten. Die Überstellungsfrist sei damit im Zeitpunkt des Urteils abgelaufen gewesen.</p>
</dd>
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<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_7">7</a>
</dt>
<dd>
<p>
Mit ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision macht die Beklagte geltend, das Verwaltungsgericht habe die Anforderungen an eine behördliche Aussetzungsentscheidung fehlerhaft zu eng bestimmt. Für eine Beschränkung der Vollzugsaussetzung auf die Fälle, in welchen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung bestünden, sei nichts Stichhaltiges erkennbar. Der Wortlaut von § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO lasse eine einengende Interpretation nicht zu. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO stelle ersichtlich einen Sonderfall dar. Nichts anderes folge aus dem Unionsrecht. Es sei nicht erkennbar, dass Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO allein dem Interesse des Drittstaatsangehörigen zu dienen bestimmt sei. Zwar verfolge das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren der Dublin III-VO auf der einen Seite das Ziel einer zügigen Bearbeitung von Asylanträgen. Auf der anderen Seite solle aber auch die Sekundärmigration verhindert werden. Der dem Dublin-System innewohnende Beschleunigungsgedanke verlange ebenfalls keine einengende Interpretation, weil die Verzögerung durch das rechtliche Vorgehen der Klägerin verursacht worden sei.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_8">8</a>
</dt>
<dd>
<p>
Die Klägerin verteidigt die angegriffene Entscheidung. Behördliche Aussetzungsentscheidungen hätten auf den Ablauf der Überstellungsfrist keinen Einfluss, weil Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO auf eine aufschiebende Wirkung abstelle, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe oder durch ein Gericht angeordnet werde. Das Bundesamt sei kein Gericht im vorgenannten Sinne. Zudem schließe § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG als vorrangige Spezialregelung die Anwendbarkeit von § 80 Abs. 4 VwGO aus. § 34a Abs. 1 AsylG setze für den Erlass einer Abschiebungsanordnung voraus, dass die Abschiebung durchgeführt werden könne. Komme die Behörde zu der Überzeugung, dass die Abschiebungsanordnung nicht vollzogen werden könne, sei diese aufzuheben.</p>
</dd>
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<dl class="RspDL">
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<a name="rd_9">9</a>
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<dd>
<p>
In der Annahme, dass mit Blick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 2018 - 2 BvR 780/16 - der Abschluss des Verfassungsbeschwerdeverfahrens zu erwarten sei, nicht aber absehbar sei, dass kurzfristig das bei dem Bundesverwaltungsgericht anhängige Revisionsverfahren zum Abschluss kommen werde, hat das Bundesamt mit Bescheid vom 29. Juni 2018 die Vollziehung der Abschiebungsanordnung aus dem Bescheid vom 13. März 2017 bis zur Beendigung des Revisionsverfahrens ausgesetzt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<a name="rd_10">10</a>
</dt>
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<p>
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich am Verfahren nicht beteiligt.</p>
</dd>
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<h2>Entscheidungsgründe</h2>
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<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_11">11</a>
</dt>
<dd>
<p>Die form- und fristgerecht eingelegte Sprungrevision der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Verfahrensbeteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet. Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, die behördliche Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheides nach § 80 Abs. 4 VwGO habe die Überstellungsfrist nicht unterbrochen, sodass die Bundesrepublik Deutschland zuständiger Mitgliedstaat geworden sei, verstößt gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO) (1.). Hinsichtlich der Unzulässigkeitsentscheidung erweist sich das Urteil auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO); insoweit bedarf es weiterer tatsächlicher Feststellungen durch das Verwaltungsgericht. (2.). Die Zurückverweisung hindert eine abschließende Entscheidung auch zu den weiteren Regelungen des angegriffenen Bescheides (3.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_12">12</a>
</dt>
<dd>
<p>Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens sind das Asylgesetz (AsylG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch das am 12. Dezember 2018 in Kraft getretene Dritte Gesetz zur Änderung des Asylgesetzes vom 4. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2250), die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1991 (BGBl. I S. 686), zuletzt geändert durch das am 1. November 2018 in Kraft getretene Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage vom 12. Juli 2018 (BGBl. I S. 1151) sowie die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 S. 31) - Dublin III-VO -. Da es sich um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Tatsachengericht nach § 77 Abs. 1 AsylG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es seiner Entscheidung, wenn es diese nunmehr träfe, die während des Revisionsverfahrens in Kraft getretenen Änderungen zugrunde legen, soweit nicht hiervon eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_13">13</a>
</dt>
<dd>
<p>1. Die Klage ist, soweit sie sich gegen die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des Bescheides des Bundesamtes richtet, als Anfechtungsklage statthaft (BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2015 - 1 C 32.14 - BVerwGE 153, 162 Rn. 13 f.) und auch im Übrigen zulässig, aber nicht begründet. Das Bundesamt hat insoweit seine Entscheidung zu Recht auf § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gestützt. Ein Asylantrag ist hiernach unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO oder aufgrund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist (1.1). Diese Zuständigkeit ist hier auch in der Folgezeit nicht durch Ablauf der Überstellungsfrist (Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO) auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen (1.2).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_14">14</a>
</dt>
<dd>
<p>1.1 Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass - vorbehaltlich einer Prüfung nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO - für die Durchführung des Asylverfahrens die Republik Italien originär zuständig war, weil sich eine anderweitige vorrangige Zuständigkeit nach Kapitel III der Dublin III-VO (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO) nicht bestimmen ließ und daher der Mitgliedstaat - hier die Republik Italien - zuständig war, über den die Klägerin ohne die erforderlichen Einreisepapiere und damit im Sinne des Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO illegal (s.a. Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, Stand Februar 2014, Art. 13 Anm. K6) in das Unionsgebiet eingereist ist und in dem sie im Eurodac-System erfasst worden ist (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO). Die Beklagte hat die Republik Italien fristgerecht um Aufnahme der Klägerin ersucht (Art. 21 Abs. 2, 3 Dublin III-VO). Dieses Aufnahmegesuch gilt nach Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO als angenommen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_15">15</a>
</dt>
<dd>
<p>1.2 Diese Zuständigkeit ist auch nicht nachträglich auf die Beklagte übergegangen. Zu einem hier allein in Betracht kommenden Zuständigkeitsübergang durch Ablauf der Überstellungsfristen des Art. 29 Dublin III-VO (1.2.1) ist es nicht gekommen, weil die mit der Annahme des Aufnahmegesuchs in Lauf gesetzte Frist jeweils vor ihrem Ablauf wirksam unterbrochen worden ist (1.2.2), und zwar entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts auch durch die behördliche Aussetzung der Vollziehung (§ 80 Abs. 4 VwGO) durch das Bundesamt (1.2.3). Hierzu hat der Senat in seinem Urteil vom 8. Januar 2019 - BVerwG 1 C 16.18 - ausgeführt:</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>"1.2.1 In Fällen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats als des Mitgliedstaats, in dem sich der Antragsteller aufhält, regelt Art. 29 Dublin III-VO die Modalitäten und Fristen der Überstellung. Nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO erfolgt die Überstellung, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Annahme des (Wieder-)Aufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat (Alt. 1) oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat (Alt. 2). Verzögert sich die Überstellung wegen eines Rechtsbehelfsverfahrens mit aufschiebender Wirkung, ist der zuständige Mitgliedstaat hierüber unverzüglich zu unterrichten (Art. 9 Abs. 1 der Verordnung <EG> Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung <EG> Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist <ABl. L 222 S. 3>). Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO nicht mehr zur (Wieder-)Aufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>1.2.2 Nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Alt. 1 Dublin III-VO ist hier die sechsmonatige Überstellungsfrist erstmals nach der Annahme des Wiederaufnahmeersuchens durch die österreichischen Behörden vom 6. April 2017 in Lauf gesetzt worden. Zutreffend geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass die so in Lauf gesetzte Überstellungsfrist durch den fristgemäß gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung vom 16. Juni 2017 - welcher kraft Gesetzes ein Überstellungsverbot auslöst (vgl. § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG i.V.m. Art. 27 Abs. 3 Buchst. c Satz 2 Dublin III-VO) - unterbrochen worden ist (Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Alt. 2 Dublin III-VO), worüber das Bundesamt die österreichischen Behörden auch informiert hat. Mit Ergehen der ablehnenden gerichtlichen Eilentscheidung vom 28. Juni 2017 wurde die sechsmonatige Überstellungsfrist erneut in Gang gesetzt (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2016 - 1 C 15.15 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 83 Rn. 11 und Beschluss vom 27. April 2016 - 1 C 22.15 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 81 Rn. 18 ff.). Die Überstellungsfrist wird wegen des kraft Gesetzes damit verbundenen, verfahrenssichernden Überstellungsverbots (§ 34a Abs. 2 AsylG; s.a. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 [ECLI:EU:C:2018:465] -) auch in solchen Fällen unterbrochen, in denen ein gerichtlicher Eilantrag im Ergebnis ohne Erfolg bleibt oder nicht beschieden wird (a.A. wohl Österreichischer Verwaltungsgerichtshof, Entscheidung vom 14. Dezember 2017 - Ra 2015/20/0231-16 - und Schweizerisches Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19. November 2014 - E-3971/2013 -). Aus den Gründen seines Beschlusses vom 27. April 2016 - 1 C 22.15 - (Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 81 Rn. 18 ff.) hält es der Senat in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union weiterhin für geklärt (s. nur EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 [ECLI:EU:C:2009:41], Petrosian - Rn. 40 ff., 44), dass auch in Fällen, in denen eine Überstellung kraft Gesetzes oder kraft wirksamer Einzelfallentscheidung lediglich zeitweise ausgeschlossen war, die Mitgliedstaaten über eine zusammenhängende Frist von sechs Monaten verfügen müssen, die sie in vollem Umfang zur Regelung der technischen Probleme für die Bewerkstelligung der Überstellung sollen nutzen dürfen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>1.2.3 Die Überstellungsfrist, die mit dem Beschluss, mit dem der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes abgelehnt worden ist, neu in Lauf gesetzt worden ist, ist vor ihrem Ablauf wirksam durch die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO durch den Bescheid des Bundesamtes vom 17. August 2017 erneut unterbrochen worden. Diese Unterbrechung, die den österreichischen Behörden zudem auch mitgeteilt worden ist, dauerte im Zeitpunkt des Urteils des Verwaltungsgerichts an und hinderte den - vom Verwaltungsgericht zu Unrecht angenommenen - Übergang der Zuständigkeit auf die Bundesrepublik Deutschland.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>a) Die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO durch die Behörde ist generell geeignet, die in Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO vorgesehene Überstellungsfrist zu unterbrechen (EuGH, Urteil vom 13. September 2017 - C-60/16 [ECLI:EU:C:2017:675], Khir Amayry - Rn. 71; BVerwG, Urteil vom 9. August 2016 - 1 C 6.16 - BVerwGE 156, 9 Rn. 18). Nach Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die zuständigen Behörden beschließen können, von Amts wegen tätig zu werden, um die Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung auszusetzen. Diese unionsrechtlich vorgesehene Möglichkeit wird im nationalen Recht durch § 80 Abs. 4 VwGO eröffnet.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Nichts anderes folgt für die Unterbrechungswirkung daraus, dass Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO nicht auch auf Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO Bezug nimmt. Nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO ist allein entscheidend, dass ein Rechtsbehelf im Sinne des Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat und daher eine Überstellung nicht durchgeführt werden kann. Die in Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO den Mitgliedstaaten eröffnete Möglichkeit, dass auch die zuständigen Behörden die Durchführung der Überstellungsentscheidung aussetzen können, erweitert lediglich die Fallgruppen, in denen einem Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung im Sinne des Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO zukommt. Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO verlöre im Übrigen in weitem Maße seine praktische Wirksamkeit, wenn die Regelung nicht angewendet werden könnte, ohne dass die Gefahr bestünde, dass die Überstellungsfrist abläuft und ein Zuständigkeitsübergang die Folge wäre (EuGH, Urteil vom 13. September 2017 - C-60/16 - Rn. 71).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>b) Die Wirkung, die Überstellungsfrist neuerlich zu unterbrechen, entfällt bei der Aussetzungsentscheidung vom 17. August 2017 nicht deswegen, weil diese rechtswidrig wäre. Vielmehr hält sie sich in den Grenzen, die durch das nationale Recht und Unionsrecht vorgegeben sind.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>aa) Nach § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO haben die Behörden grundsätzlich die Befugnis, nach Ermessen die Vollziehung auszusetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Regelungen des Asylgesetzes schließen eine behördliche Aussetzung nach § 80 Abs. 4 VwGO nicht aus. § 34a AsylG ordnet allerdings an, dass u.a. in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG die Abschiebung anzuordnen ist, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann (Abs. 1), und enthält Sonderregelungen zu der Frist, die bei einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu beachten ist, sowie zu einem Verbot der Abschiebung vor der gerichtlichen Entscheidung (Abs. 2). Damit ist aber die behördliche Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 VwGO weder ausdrücklich noch der Sache nach ausgeschlossen. Namentlich können auch bei einer im Sinne des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG rechtlich und tatsächlich möglichen Abschiebung Gründe vorliegen, die es rechtfertigen, deren Vollziehung - etwa zur Sicherung der Effektivität gerichtlichen Rechtsschutzes - vorübergehend bis zu einer abschließenden gerichtlichen Klärung auszusetzen. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gebietet in solchen Fällen - entgegen der Auffassung der Klägerseite - nicht, die Abschiebungsanordnung aufzuheben, was die endgültige gerichtliche Klärung gerade verhinderte. Denn selbst bei nach Erlass der Abschiebungsanordnung auftretenden Abschiebungsverboten oder Duldungsgründen ist das Bundesamt nicht verpflichtet, die Abschiebungsanordnung nach § 48 VwVfG aufzuheben; namentlich bei vorübergehenden Abschiebungshindernissen kann es deren Vollziehung auch (vorläufig) aussetzen (s.a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14 - Asylmagazin 2014, 341). Auch aus weiteren Regelungen des Asylgesetzes ergibt sich kein bundesgesetzlicher Ausschluss des § 80 Abs. 4 VwGO im Asylverfahren; § 36 Abs. 4 AsylG etwa regelt allein den Maßstab für die gerichtliche Anordnung der Aussetzung der Abschiebung und schließt weitergehende behördliche Aussetzungsentscheidungen nicht aus.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>§ 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO beschränkt das behördliche Aussetzungsermessen für das Asylverfahren ebenfalls nicht. Hiernach 'soll' die Aussetzung bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Dieser auf die (qualifizierte) Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bezogene Maßstab ist auf die Vollziehbarkeit sonstiger Verwaltungsakte weder unmittelbar noch - entgegen im Schrifttum teilweise vertretener Ansicht (s. etwa Gersdorf, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 47. Edition, Stand 1. Juli 2018, § 80 Rn. 126) - entsprechend anzuwenden (s. nur BVerwG, Beschluss vom 17. September 2001 - 4 VR 19.01 - Buchholz 310 § 80 VwGO Nr. 66 S. 3 f.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>bb) Unionsrecht setzt in Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO eine behördliche Aussetzung der Vollziehung voraus, steht also § 80 Abs. 4 VwGO gerade nicht entgegen. Es setzt aber dem nach nationalem Recht (§ 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO) eröffneten weiten Handlungsspielraum durch unionsrechtliche Vorgaben (vgl. insbesondere Art. 27 und 28 Dublin III-VO) gewisse Grenzen. Diese Beschränkungen ergeben sich daraus, dass die behördliche Aussetzungsentscheidung den Antragsteller nicht nur begünstigt, indem aufenthaltsbeendende Maßnahmen auf der Grundlage der Abschiebungsanordnung zunächst nicht mehr erfolgen können, sondern mittelbar auch belastet, weil sie die Überstellungsfrist unterbricht und so dazu führen kann, dass ein vom Antragsteller möglicherweise erstrebter Zuständigkeitsübergang nicht erfolgt; zu berücksichtigen sind auch die Belange des zuständigen Mitgliedstaats.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Mindestvoraussetzung einer behördlichen Aussetzungsentscheidung nach § 80 Abs. 4 VwGO ist, dass der Antragsteller einen Rechtsbehelf gegen die Abschiebungsanordnung eingelegt hat (Art. 27 Abs. 4 und Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO). Weitere Grenzen folgen aus dem von Art. 27 Abs. 3 und 4 i.V.m. Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO angestrebten Ziel eines angemessenen Ausgleichs zwischen einerseits der Gewährung effektiven Rechtsschutzes und der Ermöglichung einer raschen Bestimmung des für die inhaltliche Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats (vgl. Erwägungsgrund 5 zur Dublin III-VO) und andererseits dem Ziel zu verhindern, dass sich Asylbewerber durch Weiterwanderung den für die Prüfung ihres Asylbegehrens zuständigen Mitgliedstaat aussuchen (Verhinderung von Sekundärmigration) (BVerwG, Urteil vom 27. April 2016 - 1 C 24.15 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 82 Rn. 13). Der Zuständigkeitsübergang nach Ablauf der Überstellungsfrist soll verhindern, dass Asylanträge monate- oder gar jahrelang nicht geprüft werden, zugleich soll das Ziel einer möglichst schnellen Prüfung nicht dazu führen, dass dem jeweiligen Mitgliedstaat keine zusammenhängende Überstellungsfrist von sechs Monaten zur Verfügung steht, in der nur noch die Überstellungsmodalitäten zu regeln sind (EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 - Rn. 43 ff.) oder der Beschleunigungsgedanke zulasten eines effektiven Rechtsschutzes verwirklicht wird (vgl. § 27 Abs. 3 und 4 Dublin III-VO).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Eine behördliche Aussetzungsentscheidung darf hiernach auch unionsrechtlich jedenfalls dann ergehen, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung bestehen (so bereits BVerwG, Urteil vom 9. August 2016 - 1 C 6.16 - BVerwGE 156, 9 Rn. 18); dann haben die Belange eines Antragstellers auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes offenkundig Vorrang vor dem Beschleunigungsgedanken. Die Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes (s.a. Art. 46 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes <ABl. L 180 S. 60>) erlaubt eine behördliche Aussetzung aus sachlich vertretbaren Erwägungen, die nicht rechtlich zwingend sein müssen, auch unterhalb dieser Schwelle, wenn diese den Beschleunigungsgedanken und die Interessen des zuständigen Mitgliedstaats nicht willkürlich verkennen und auch sonst nicht missbräuchlich sind. Das vorliegende Verfahren gibt dabei keinen Anlass zur abschließenden Klärung dieser Willkür- oder Missbrauchsschwelle; sie wird aber dann überschritten sein, wenn bei klarer Rechtslage und offenkundig eröffneter Überstellungsmöglichkeit die behördliche Aussetzungsentscheidung allein dazu dient, die Überstellungsfrist zu unterbrechen, weil sie aufgrund behördlicher Versäumnisse ansonsten nicht (mehr) gewahrt werden könnte.</p>
</dd>
</dl>
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<dt/>
<dd>
<p>cc) Die Aussetzungsentscheidung des Bundesamtes vom 17. August 2017 ist nach diesen Grundsätzen beachtlich und hat die Überstellungsfrist neuerlich unterbrochen.</p>
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</dl>
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<dd>
<p>(1) Dem unionsrechtlichen Mindesterfordernis, dass der Kläger einen Rechtsbehelf im Sinne des Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO eingelegt hat, ist mit der am 16. Juni 2017 erhobenen und zum Zeitpunkt der Aussetzungsentscheidung weiterhin anhängigen Klage, die sich auch gegen die Abschiebungsanordnung richtet, entsprochen. Keine andere Beurteilung ergibt sich daraus, dass der Kläger auch einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt hatte, der erfolglos geblieben ist. Unionsrecht verbietet den Mitgliedstaaten jedenfalls nicht, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen oder Überstellungsmaßnahmen auch dann abzusehen, wenn zwar eine erste gerichtliche Überprüfung der Überstellungsentscheidung nicht zur Gewährung aufschiebender Wirkung geführt hat, über den Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung aber noch nicht endgültig entschieden ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p>(2) Die Aussetzungsentscheidung des Bundesamtes ist hier jedenfalls durch die von dem Kläger erhobene Verfassungsbeschwerde, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und die auf Bitte des Bundesverfassungsgerichts vom Bundesamt erteilte Stillhalteerklärung sachlich gerechtfertigt.</p>
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</dl>
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<p>Die Verfassungsbeschwerde entfaltet als außerordentlicher Rechtsbehelf selbst keine aufschiebende Wirkung. Diese wird auch nicht schon durch eine formlose Bitte des Bundesverfassungsgerichts bewirkt, zur Verfahrenssicherung bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde von Vollziehungsmaßnahmen abzusehen. Nicht zu vertiefen ist, welche Rechtsqualität einer solchen 'Stillhaltebitte' des Bundesverfassungsgerichts und einer entsprechenden behördlichen Erklärung zukommt, namentlich dann, wenn sie dem Antragsteller (und Verfassungsbeschwerdeführer) nicht mitgeteilt wird. Diese - auf die Wahrung der Effektivität auch des nationalen Verfahrens der Verfassungsbeschwerde bezogenen - Vorgänge sind jedenfalls ein hinreichender, sachlich rechtfertigender Anlass für eine behördliche Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 VwGO. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts, durch den der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO abgelehnt worden ist, entfaltet gegenüber einer behördlichen Aussetzungsanordnung nach § 80 Abs. 4 VwGO keine Sperrwirkung; dies gilt insbesondere dann, wenn diese gerichtliche Entscheidung ihrerseits Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde ist.</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p>Die behördliche Aussetzungsentscheidung war hier schon deswegen sachlich geboten, frei von Willkür und nicht rechtsmissbräuchlich, weil sie die Berücksichtigung der Effektivität verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes sicherstellte, ohne eine endgültige Veränderung der Rechtslage durch einen Zuständigkeitsübergang infolge Ablaufs der Überstellungsfrist zu bewirken. Bereits nach nationalem Recht führen die Erhebung der Verfassungsbeschwerde und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht nach Art. 27 Abs. 3 i.V.m. Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO zu einer Unterbrechung der Überstellungsfrist. Dazu bedurfte es der - hier auch erfolgten - behördlichen Aussetzungsentscheidung. Neben der Effektivierung des Rechtsschutzes des Klägers - erst mit der behördlichen Aussetzungsentscheidung stand für diesen fest, dass während des verfassungsgerichtlichen Verfahrens nicht mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu rechnen sei - dient die behördliche Aussetzungsanordnung auch der Klarstellung im Verhältnis zu dem zuständigen Mitgliedstaat, dass der Lauf der Überstellungsfrist (erneut) unterbrochen worden ist.</p>
</dd>
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<dd>
<p>Dem Interesse des Klägers an einer zeitnahen Klärung der internationalen Zuständigkeit für die Sachentscheidung über seinen Asylantrag kommt dabei hier kein ausschlaggebendes Gewicht zu. Mit der behördlichen Aussetzungsanordnung hat das Bundesamt der Sache nach (vorläufig) seinem Rechtsschutzbegehren, vor der endgültigen Klärung der internationalen Zuständigkeit nicht aus dem Bundesgebiet abgeschoben zu werden, entsprochen, welches er zunächst mit dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung und nachfolgend mit der mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundenen Verfassungsbeschwerde verfolgt hat. Das mögliche Ziel, damit auch einen Zuständigkeitsübergang zu erwirken, wäre weder nach nationalem noch nach Unionsrecht schutzwürdig.</p>
</dd>
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<p>1.2.4 Nicht zu vertiefen ist, ob der Senat einen Ablauf der Überstellungsfrist während des Revisionsverfahrens berücksichtigen könnte, weil auch während des Revisionsverfahrens die Überstellungsfrist nicht abgelaufen ist. Das Bundesamt hatte die Überstellung lediglich bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde oder den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ausgesetzt. Diese Aussetzung ist mit der Rücknahme der Verfassungsbeschwerde durch den Kläger gegenstandslos geworden, weil sie erkennbar zur Sicherung des durch Rücknahme beendeten verfassungsgerichtlichen Verfahrens ergangen ist. Die damit neu in Lauf gesetzte Überstellungsfrist ist indes vor ihrem Ablauf zur Sicherung des Revisionsverfahrens durch eine erneute Aussetzungsentscheidung des Bundesamtes nach § 80 Abs. 4 VwGO unterbrochen worden. Auch diese Aussetzungsentscheidung genügt angesichts der im Revisionsverfahren zu klärenden Grundsatzfrage den nach nationalem und Unionsrecht zu stellenden Anforderungen. Dies gilt umso mehr, als durch das der Klage stattgebende erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts in der Hauptsache ungeachtet der von der Beklagten eingelegten Revision nunmehr selbst 'ernstliche Zweifel' an der Abschiebungsanordnung begründet worden sind. Diese neue Verfahrenslage durfte das Bundesamt der Beklagten sachgerecht und willkürfrei zum Anlass der neuerlichen Aussetzung nehmen."</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<a name="rd_16">16</a>
</dt>
<dd>
<p>Diese Erwägungen, an denen der Senat festhält, gelten auch im vorliegenden Verfahren.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_17">17</a>
</dt>
<dd>
<p>2. Das stattgebende Urteil zur Ablehnung des Asylantrags als unzulässig erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_18">18</a>
</dt>
<dd>
<p>2.1 Die Bundesrepublik Deutschland war nicht verpflichtet, von ihrem gemäß Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 Dublin III-VO bestehenden Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Offenbleiben kann dabei, ob ein Antragsteller sich im gerichtlichen Verfahren auf eine etwa fehlerhafte Betätigung des durch Art. 17 Dublin III-VO eingeräumten Ermessens berufen kann (nicht eindeutig insoweit EuGH, Urteil vom 16. Februar 2017 - C-578/16 PPU [ECLI:EU:C:2017:127] - Rn. 88). Jedenfalls sind vorliegend die Voraussetzungen für eine Reduktion des den nationalen Behörden in Art. 17 Dublin III-VO eingeräumten Ermessens zum Selbsteintritt wegen unangemessen langer Verfahrensdauer (vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - C-4/11 [ECLI:EU:C:2013:740], Puid - Rn. 35 <noch zu Art. 3 Abs. 2 der Verordnung [EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist - Dublin II-VO ->) nicht erfüllt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<a name="rd_19">19</a>
</dt>
<dd>
<p>2.2 Der Senat kann mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen nicht abschließend beurteilen, ob der Feststellung der anderweitigen internationalen Zuständigkeit der Republik Italien hier entgegenstand, dass die Zuständigkeit wegen sog. systemischer Mängel des dortigen Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen (vgl. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO und EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 [ECLI:EU:C:2011:865], N. S. u.a. -; EGMR <GK>, Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09, M. S. S./Belgien und Griechenland - NVwZ 2011, 413) auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_20">20</a>
</dt>
<dd>
<p>2.2.1 Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO verlangt eine weitergehende Prüfung der internationalen Zuständigkeit allerdings nur und erst dann, wenn sich die Überstellung in den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat als unmöglich erweist, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen. Nach dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 - Rn. 79 ff.) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylantragsteller in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Konvention für Menschenrechte und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht (s.a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Dezember 2017 - 2 BvR 1872/17 - EuGRZ 2018, 69 Rn. 19). An die Widerlegung dieser Vermutung sind hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylantragsteller regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass diesem im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 - NVwZ 2014, 1039 <1040>).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_21">21</a>
</dt>
<dd>
<p>2.2.2 Das Verwaltungsgericht hat - nach seiner Rechtsauffassung, dass die Zuständigkeit bereits durch Fristablauf übergegangen sei, folgerichtig - im Klageverfahren keine tatrichterlichen Feststellungen zu den tatsächlichen Verhältnissen getroffen, welche für die Beurteilung eines Zuständigkeitsübergangs nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO maßgeblich sind. Soweit das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 5. April 2017 einen Zuständigkeitsübergang mit Blick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in der Republik Italien geprüft und verneint hatte, hat es sich diese Ausführungen in seinem Urteil nicht ausdrücklich zu eigen gemacht und auch nicht geprüft, ob sich die Verhältnisse in der Republik Italien bis zu dem für seine Entscheidung im Klageverfahren maßgeblichen Zeitpunkt in entscheidungserheblicher Weise verändert hatten.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_22">22</a>
</dt>
<dd>
<p>Unabhängig von der Frage, ob die Beteiligten Umstände vorgetragen haben, welche die Vermutung für eine ordnungsgemäße Behandlung von Asylantragstellern in der Republik Italien substantiell erschüttern könnten, kann ein solcher Ausnahmefall ohne entsprechende tatrichterliche Feststellung revisionsgerichtlich jedenfalls nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden. In der veröffentlichten Rechtsprechung waren zwar systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in der Republik Italien überwiegend - jedenfalls für gesunde, alleinstehende junge Personen - verneint worden (statt vieler OVG Münster, Urteil vom 24. August 2016 - 13 A 63/16.A -; VG Magdeburg, Urteil vom 27. April 2017 - 8 A 674/16 -; VG Trier, Beschluss vom 20. Juli 2017 - 5 L 7778/17.TR -; VG Braunschweig, Urteil vom 26. September 2017 - 7 A 338/16 -; VG Köln, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 19 K 5869/16.A -; VG Freiburg, Beschluss vom 10. Januar 2018 - A 4 K 6049/17 -; VG Augsburg, Urteil vom 22. Januar 2018 - Au 5 K 17.50400 - und VG Bayreuth, Beschluss vom 26. Januar 2018 - B 5 S 18.50036 -). Bereits Art und Umfang der hierauf bezogenen Erwägungen in jenen Entscheidungen, die im Ergebnis das Vorliegen systemischer Mängel verneint haben, belegen indes, dass Anlass für eine dem Tatrichter vorzubehaltende Aufbereitung und Bewertung der vorhandenen Erkenntnisquellen bestand. Es kommt hinzu, dass einige Verwaltungsgerichte (s. etwa VG Hannover, Urteile vom 23. Januar 2018 - 10 A 5850/17 und 10 A 6779/17 -; vom 25. Januar 2018 - 10 A 10685/17 und 10 A 5810/17 -; vom 26. Januar 2018 - 10 A 5881/17 - und vom 30. Januar 2018 - 10 A 7134/17 -; s.a. - für die Rückführung junger Volljähriger - VG Berlin, Beschluss vom 4. Dezember 2017 - 28 L 209.17 A -; für anerkannte international Schutzberechtigte s.a. VG Minden, Urteil vom 29. November 2017 - 10 K 1823/15.A -) aufgrund der zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorliegenden Erkenntnisse nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO beachtliche Schwachstellen des Asylsystems und der Aufnahmebedingungen in der Republik Italien angenommen haben. Daran ändert nichts, dass diese Entscheidungen teils im Berufungsrechtszug keinen Bestand hatten (zu der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Hannover s. etwa OVG Lüneburg, Urteil vom 9. April 2018 - 10 LB 92/17 -). Denn für das Revisionsverfahren kommt es nicht darauf an, welche Bewertung der tatsächlichen Verhältnisse in der Republik Italien im Ergebnis sachlich richtig ist; entscheidend ist, ob der Senat diese Feststellung und Bewertung ohne tatsächliche Feststellungen treffen darf. Dies ist nicht der Fall, sodass der Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_23">23</a>
</dt>
<dd>
<p>3. Die Aufhebung des verwaltungsgerichtlichen Urteils zu der Frage, ob die Entscheidung der Beklagten zu der Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG rechtmäßig ist, lässt auch keine abschließende Beurteilung der Rechtmäßigkeit der behördlichen Folgeentscheidungen in dem Bescheid zu, nämlich der Feststellung, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Ziffer 2), der Abschiebungsanordnung (Ziffer 3) und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (Ziffer 4).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_24">24</a>
</dt>
<dd>
<p>4. Für die abschließende Entscheidung weist der Senat darauf hin, dass sich ein Beschluss über die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter nicht in den vorgelegten Gerichtsakten befindet.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_25">25</a>
</dt>
<dd>
<p>5. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.</p>
</dd>
</dl>
</div>
|
178,087 | bverwg-2019-01-09-1-c-3518 | {
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<div>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_1">1</a>
</dt>
<dd>
<p>
Der Kläger, nach eigenen Angaben mauretanischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrags als unzulässig, die Feststellung, dass nationale Abschiebungsverbote nicht vorliegen, die Anordnung der Abschiebung in die Republik Italien und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 12 Monate.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_2">2</a>
</dt>
<dd>
<p>
Der Kläger reiste nach eigenen Angaben am 3. März 2017 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 10. März 2017 seine Anerkennung als Asylberechtigter. Ein Eurodac-Abgleich ergab, dass er zuvor illegal nach Italien eingereist war und dort bereits einen Asylantrag gestellt hatte. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Beklagten (Bundesamt) richtete am 15. März 2017 ein Wiederaufnahmegesuch an die Republik Italien, welches unbeantwortet blieb. Daraufhin lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 31. März 2017 den Asylantrag wegen anderweitiger internationaler Zuständigkeit als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass keine nationalen Abschiebungsverbote vorliegen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung in die Republik Italien an (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 12 Monate (Ziffer 4).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_3">3</a>
</dt>
<dd>
<p>
Das Verwaltungsgericht lehnte mit Beschluss vom 22. Juni 2017 den Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_4">4</a>
</dt>
<dd>
<p>
Gegen diesen Beschluss erhob der Kläger fristgerecht Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht und beantragte sogleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Zur Begründung trug er vor, dass der Erlass des Beschlusses vom 22. Juni 2017 durch einen Richter auf Zeit die Rechte des Klägers aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletze. Das Bundesverfassungsgericht bat das Bundesamt zu bestätigen, dass bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde oder den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keine Abschiebung des Klägers erfolgen werde. Das Bundesamt gab eine entsprechende Erklärung ab und setzte mit Bescheid vom 17. August 2017 die Vollziehung der Abschiebungsanordnung aus dem Bescheid vom 31. März 2017 bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde oder den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO aus.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_5">5</a>
</dt>
<dd>
<p>
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 6. Februar 2018 den Bescheid vom 31. März 2017 aufgehoben. Die Zuständigkeit für die Entscheidung über den Asylantrag sei zwischenzeitlich auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen, weil durch die behördliche Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO die Überstellungsfrist nicht erneut unterbrochen worden sei. Grundsätzlich könne zwar eine behördliche Aussetzungsentscheidung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO, Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO zur Unterbrechung der Überstellungsfristen führen. Dies erfordere aber Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung, welche nicht vorgelegen hätten. Die Überstellungsfrist sei damit im Zeitpunkt des Urteils abgelaufen gewesen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_6">6</a>
</dt>
<dd>
<p>
Mit ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision macht die Beklagte geltend, das Verwaltungsgericht habe die Anforderungen an eine behördliche Aussetzungsentscheidung fehlerhaft zu eng bestimmt. Für eine Beschränkung der Vollzugsaussetzung auf die Fälle, in welchen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung bestünden, sei nichts Stichhaltiges erkennbar. Der Wortlaut von § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO lasse eine einengende Interpretation nicht zu. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO stelle ersichtlich einen Sonderfall dar. Nichts anderes folge aus dem Unionsrecht. Es sei nicht erkennbar, dass Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO allein dem Interesse des Drittstaatsangehörigen zu dienen bestimmt sei. Zwar verfolge das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren der Dublin III-VO auf der einen Seite das Ziel einer zügigen Bearbeitung von Asylanträgen. Auf der anderen Seite solle aber auch die Sekundärmigration verhindert werden. Der dem Dublin-System innewohnende Beschleunigungsgedanke verlange ebenfalls keine einengende Interpretation, weil die Verzögerung durch das rechtliche Vorgehen des Klägers verursacht worden sei.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_7">7</a>
</dt>
<dd>
<p>
Der Kläger verteidigt die angegriffene Entscheidung. Behördliche Aussetzungsentscheidungen hätten auf den Ablauf der Überstellungsfrist keinen Einfluss, weil Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO auf eine aufschiebende Wirkung abstelle, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe oder durch ein Gericht angeordnet werde. Das Bundesamt sei kein Gericht im vorgenannten Sinne. Zudem schließe § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG als vorrangige Spezialregelung die Anwendbarkeit von § 80 Abs. 4 VwGO aus. § 34a Abs. 1 AsylG setze für den Erlass einer Abschiebungsanordnung voraus, dass die Abschiebung durchgeführt werden könne. Komme die Behörde zu der Überzeugung, dass die Abschiebungsanordnung nicht vollzogen werden könne, sei diese aufzuheben.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_8">8</a>
</dt>
<dd>
<p>
In der Annahme, dass mit Blick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 2018 - 2 BvR 780/16 - der Abschluss des Verfassungsbeschwerdeverfahrens zu erwarten sei, nicht aber absehbar sei, dass kurzfristig das bei dem Bundesverwaltungsgericht anhängige Revisionsverfahren zum Abschluss kommen werde, hat das Bundesamt mit Bescheid vom 3. Juli 2018 die Vollziehung der Abschiebungsanordnung aus dem Bescheid vom 31. März 2017 bis zur Beendigung des Revisionsverfahrens ausgesetzt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_9">9</a>
</dt>
<dd>
<p>
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich am Verfahren nicht beteiligt.</p>
</dd>
</dl>
</div>
<h2>Entscheidungsgründe</h2>
<div>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_10">10</a>
</dt>
<dd>
<p>Die form- und fristgerecht eingelegte Sprungrevision der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Verfahrensbeteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet. Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, die behördliche Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheides nach § 80 Abs. 4 VwGO habe die Überstellungsfrist nicht unterbrochen, sodass die Bundesrepublik Deutschland zuständiger Mitgliedstaat geworden sei, verstößt gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO) (1.). Hinsichtlich der Unzulässigkeitsentscheidung erweist sich das Urteil auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO); insoweit bedarf es weiterer tatsächlicher Feststellungen durch das Verwaltungsgericht. (2.). Die Zurückverweisung hindert eine abschließende Entscheidung auch zu den weiteren Regelungen des angegriffenen Bescheides (3.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_11">11</a>
</dt>
<dd>
<p>Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens sind das Asylgesetz (AsylG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch das am 12. Dezember 2018 in Kraft getretene Dritte Gesetz zur Änderung des Asylgesetzes vom 4. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2250), die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1991 (BGBl. I S. 686), zuletzt geändert durch das am 1. November 2018 in Kraft getretene Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage vom 12. Juli 2018 (BGBl. I S. 1151) sowie die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 S. 31) - Dublin III-VO -. Da es sich um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Tatsachengericht nach § 77 Abs. 1 AsylG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es seiner Entscheidung, wenn es diese nunmehr träfe, die während des Revisionsverfahrens in Kraft getretenen Änderungen zugrunde legen, soweit nicht hiervon eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_12">12</a>
</dt>
<dd>
<p>1. Die Klage ist, soweit sie sich gegen die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des Bescheides des Bundesamtes richtet, als Anfechtungsklage statthaft (BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2015 - 1 C 32.14 - BVerwGE 153, 162 Rn. 13 f.) und auch im Übrigen zulässig, aber nicht begründet. Das Bundesamt hat insoweit seine Entscheidung zu Recht auf § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gestützt. Ein Asylantrag ist hiernach unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO oder aufgrund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist (1.1). Diese Zuständigkeit ist hier auch in der Folgezeit nicht durch Ablauf der Überstellungsfrist (Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO) auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen (1.2).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_13">13</a>
</dt>
<dd>
<p>1.1 Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass - vorbehaltlich einer Prüfung nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO - für die Durchführung des Asylverfahrens die Republik Italien originär zuständig war, weil sich eine anderweitige vorrangige Zuständigkeit nach Kapitel III der Dublin III-VO (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO) nicht bestimmen ließ und daher der Mitgliedstaat - hier die Republik Italien - zuständig war, in dem der Kläger seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat (Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO). Die Beklagte hat die Republik Italien fristgerecht um Wiederaufnahme des Klägers ersucht (Art. 23 Abs. 2, 3 Dublin III-VO). Dieses Wiederaufnahmegesuch gilt nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO als angenommen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_14">14</a>
</dt>
<dd>
<p>1.2 Diese Zuständigkeit ist auch nicht nachträglich auf die Beklagte übergegangen. Zu einem hier allein in Betracht kommenden Zuständigkeitsübergang durch Ablauf der Überstellungsfristen des Art. 29 Dublin III-VO (1.2.1) ist es nicht gekommen, weil die mit der durch Fristablauf bewirkten Annahme des Wiederaufnahmegesuchs in Lauf gesetzte Frist jeweils vor ihrem Ablauf wirksam unterbrochen worden ist (1.2.2), und zwar entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts auch durch die behördliche Aussetzung der Vollziehung (§ 80 Abs. 4 VwGO) durch das Bundesamt (1.2.3). Hierzu hat der Senat in seinem Urteil vom 8. Januar 2019 - BVerwG 1 C 16.18 - ausgeführt:</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>"1.2.1 In Fällen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats als des Mitgliedstaats, in dem sich der Antragsteller aufhält, regelt Art. 29 Dublin III-VO die Modalitäten und Fristen der Überstellung. Nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO erfolgt die Überstellung, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Annahme des (Wieder-)Aufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat (Alt. 1) oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat (Alt. 2). Verzögert sich die Überstellung wegen eines Rechtsbehelfsverfahrens mit aufschiebender Wirkung, ist der zuständige Mitgliedstaat hierüber unverzüglich zu unterrichten (Art. 9 Abs. 1 der Verordnung <EG> Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung <EG> Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist <ABl. L 222 S. 3>). Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO nicht mehr zur (Wieder-)Aufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>1.2.2 Nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Alt. 1 Dublin III-VO ist hier die sechsmonatige Überstellungsfrist erstmals nach der Annahme des Wiederaufnahmeersuchens durch die österreichischen Behörden vom 6. April 2017 in Lauf gesetzt worden. Zutreffend geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass die so in Lauf gesetzte Überstellungsfrist durch den fristgemäß gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung vom 16. Juni 2017 - welcher kraft Gesetzes ein Überstellungsverbot auslöst (vgl. § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG i.V.m. Art. 27 Abs. 3 Buchst. c Satz 2 Dublin III-VO) - unterbrochen worden ist (Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Alt. 2 Dublin III-VO), worüber das Bundesamt die österreichischen Behörden auch informiert hat. Mit Ergehen der ablehnenden gerichtlichen Eilentscheidung vom 28. Juni 2017 wurde die sechsmonatige Überstellungsfrist erneut in Gang gesetzt (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2016 - 1 C 15.15 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 83 Rn. 11 und Beschluss vom 27. April 2016 - 1 C 22.15 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 81 Rn. 18 ff.). Die Überstellungsfrist wird wegen des kraft Gesetzes damit verbundenen, verfahrenssichernden Überstellungsverbots (§ 34a Abs. 2 AsylG; s.a. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 [ECLI:EU:C:2018:465] -) auch in solchen Fällen unterbrochen, in denen ein gerichtlicher Eilantrag im Ergebnis ohne Erfolg bleibt oder nicht beschieden wird (a.A. wohl Österreichischer Verwaltungsgerichtshof, Entscheidung vom 14. Dezember 2017 - Ra 2015/20/0231-16 - und Schweizerisches Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19. November 2014 - E-3971/2013 -). Aus den Gründen seines Beschlusses vom 27. April 2016 - 1 C 22.15 - (Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 81 Rn. 18 ff.) hält es der Senat in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union weiterhin für geklärt (s. nur EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 [ECLI:EU:C:2009:41], Petrosian - Rn. 40 ff., 44), dass auch in Fällen, in denen eine Überstellung kraft Gesetzes oder kraft wirksamer Einzelfallentscheidung lediglich zeitweise ausgeschlossen war, die Mitgliedstaaten über eine zusammenhängende Frist von sechs Monaten verfügen müssen, die sie in vollem Umfang zur Regelung der technischen Probleme für die Bewerkstelligung der Überstellung sollen nutzen dürfen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>1.2.3 Die Überstellungsfrist, die mit dem Beschluss, mit dem der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes abgelehnt worden ist, neu in Lauf gesetzt worden ist, ist vor ihrem Ablauf wirksam durch die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO durch den Bescheid des Bundesamtes vom 17. August 2017 erneut unterbrochen worden. Diese Unterbrechung, die den österreichischen Behörden zudem auch mitgeteilt worden ist, dauerte im Zeitpunkt des Urteils des Verwaltungsgerichts an und hinderte den - vom Verwaltungsgericht zu Unrecht angenommenen - Übergang der Zuständigkeit auf die Bundesrepublik Deutschland.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>a) Die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO durch die Behörde ist generell geeignet, die in Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO vorgesehene Überstellungsfrist zu unterbrechen (EuGH, Urteil vom 13. September 2017 - C-60/16 [ECLI:EU:C:2017:675], Khir Amayry - Rn. 71; BVerwG, Urteil vom 9. August 2016 - 1 C 6.16 - BVerwGE 156, 9 Rn. 18). Nach Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die zuständigen Behörden beschließen können, von Amts wegen tätig zu werden, um die Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung auszusetzen. Diese unionsrechtlich vorgesehene Möglichkeit wird im nationalen Recht durch § 80 Abs. 4 VwGO eröffnet.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Nichts anderes folgt für die Unterbrechungswirkung daraus, dass Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO nicht auch auf Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO Bezug nimmt. Nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO ist allein entscheidend, dass ein Rechtsbehelf im Sinne des Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat und daher eine Überstellung nicht durchgeführt werden kann. Die in Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO den Mitgliedstaaten eröffnete Möglichkeit, dass auch die zuständigen Behörden die Durchführung der Überstellungsentscheidung aussetzen können, erweitert lediglich die Fallgruppen, in denen einem Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung im Sinne des Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO zukommt. Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO verlöre im Übrigen in weitem Maße seine praktische Wirksamkeit, wenn die Regelung nicht angewendet werden könnte, ohne dass die Gefahr bestünde, dass die Überstellungsfrist abläuft und ein Zuständigkeitsübergang die Folge wäre (EuGH, Urteil vom 13. September 2017 - C-60/16 - Rn. 71).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>b) Die Wirkung, die Überstellungsfrist neuerlich zu unterbrechen, entfällt bei der Aussetzungsentscheidung vom 17. August 2017 nicht deswegen, weil diese rechtswidrig wäre. Vielmehr hält sie sich in den Grenzen, die durch das nationale Recht und Unionsrecht vorgegeben sind.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>aa) Nach § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO haben die Behörden grundsätzlich die Befugnis, nach Ermessen die Vollziehung auszusetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Regelungen des Asylgesetzes schließen eine behördliche Aussetzung nach § 80 Abs. 4 VwGO nicht aus. § 34a AsylG ordnet allerdings an, dass u.a. in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG die Abschiebung anzuordnen ist, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann (Abs. 1), und enthält Sonderregelungen zu der Frist, die bei einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu beachten ist, sowie zu einem Verbot der Abschiebung vor der gerichtlichen Entscheidung (Abs. 2). Damit ist aber die behördliche Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 VwGO weder ausdrücklich noch der Sache nach ausgeschlossen. Namentlich können auch bei einer im Sinne des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG rechtlich und tatsächlich möglichen Abschiebung Gründe vorliegen, die es rechtfertigen, deren Vollziehung - etwa zur Sicherung der Effektivität gerichtlichen Rechtsschutzes - vorübergehend bis zu einer abschließenden gerichtlichen Klärung auszusetzen. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gebietet in solchen Fällen - entgegen der Auffassung der Klägerseite - nicht, die Abschiebungsanordnung aufzuheben, was die endgültige gerichtliche Klärung gerade verhinderte. Denn selbst bei nach Erlass der Abschiebungsanordnung auftretenden Abschiebungsverboten oder Duldungsgründen ist das Bundesamt nicht verpflichtet, die Abschiebungsanordnung nach § 48 VwVfG aufzuheben; namentlich bei vorübergehenden Abschiebungshindernissen kann es deren Vollziehung auch (vorläufig) aussetzen (s.a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14 - Asylmagazin 2014, 341). Auch aus weiteren Regelungen des Asylgesetzes ergibt sich kein bundesgesetzlicher Ausschluss des § 80 Abs. 4 VwGO im Asylverfahren; § 36 Abs. 4 AsylG etwa regelt allein den Maßstab für die gerichtliche Anordnung der Aussetzung der Abschiebung und schließt weitergehende behördliche Aussetzungsentscheidungen nicht aus.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p>§ 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO beschränkt das behördliche Aussetzungsermessen für das Asylverfahren ebenfalls nicht. Hiernach 'soll' die Aussetzung bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Dieser auf die (qualifizierte) Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bezogene Maßstab ist auf die Vollziehbarkeit sonstiger Verwaltungsakte weder unmittelbar noch - entgegen im Schrifttum teilweise vertretener Ansicht (s. etwa Gersdorf, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 47. Edition, Stand 1. Juli 2018, § 80 Rn. 126) - entsprechend anzuwenden (s. nur BVerwG, Beschluss vom 17. September 2001 - 4 VR 19.01 - Buchholz 310 § 80 VwGO Nr. 66 S. 3 f.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p>bb) Unionsrecht setzt in Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO eine behördliche Aussetzung der Vollziehung voraus, steht also § 80 Abs. 4 VwGO gerade nicht entgegen. Es setzt aber dem nach nationalem Recht (§ 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO) eröffneten weiten Handlungsspielraum durch unionsrechtliche Vorgaben (vgl. insbesondere Art. 27 und 28 Dublin III-VO) gewisse Grenzen. Diese Beschränkungen ergeben sich daraus, dass die behördliche Aussetzungsentscheidung den Antragsteller nicht nur begünstigt, indem aufenthaltsbeendende Maßnahmen auf der Grundlage der Abschiebungsanordnung zunächst nicht mehr erfolgen können, sondern mittelbar auch belastet, weil sie die Überstellungsfrist unterbricht und so dazu führen kann, dass ein vom Antragsteller möglicherweise erstrebter Zuständigkeitsübergang nicht erfolgt; zu berücksichtigen sind auch die Belange des zuständigen Mitgliedstaats.</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p>Mindestvoraussetzung einer behördlichen Aussetzungsentscheidung nach § 80 Abs. 4 VwGO ist, dass der Antragsteller einen Rechtsbehelf gegen die Abschiebungsanordnung eingelegt hat (Art. 27 Abs. 4 und Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO). Weitere Grenzen folgen aus dem von Art. 27 Abs. 3 und 4 i.V.m. Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO angestrebten Ziel eines angemessenen Ausgleichs zwischen einerseits der Gewährung effektiven Rechtsschutzes und der Ermöglichung einer raschen Bestimmung des für die inhaltliche Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats (vgl. Erwägungsgrund 5 zur Dublin III-VO) und andererseits dem Ziel zu verhindern, dass sich Asylbewerber durch Weiterwanderung den für die Prüfung ihres Asylbegehrens zuständigen Mitgliedstaat aussuchen (Verhinderung von Sekundärmigration) (BVerwG, Urteil vom 27. April 2016 - 1 C 24.15 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 82 Rn. 13). Der Zuständigkeitsübergang nach Ablauf der Überstellungsfrist soll verhindern, dass Asylanträge monate- oder gar jahrelang nicht geprüft werden, zugleich soll das Ziel einer möglichst schnellen Prüfung nicht dazu führen, dass dem jeweiligen Mitgliedstaat keine zusammenhängende Überstellungsfrist von sechs Monaten zur Verfügung steht, in der nur noch die Überstellungsmodalitäten zu regeln sind (EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 - Rn. 43 ff.) oder der Beschleunigungsgedanke zulasten eines effektiven Rechtsschutzes verwirklicht wird (vgl. § 27 Abs. 3 und 4 Dublin III-VO).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p>Eine behördliche Aussetzungsentscheidung darf hiernach auch unionsrechtlich jedenfalls dann ergehen, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung bestehen (so bereits BVerwG, Urteil vom 9. August 2016 - 1 C 6.16 - BVerwGE 156, 9 Rn. 18); dann haben die Belange eines Antragstellers auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes offenkundig Vorrang vor dem Beschleunigungsgedanken. Die Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes (s.a. Art. 46 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes <ABl. L 180 S. 60>) erlaubt eine behördliche Aussetzung aus sachlich vertretbaren Erwägungen, die nicht rechtlich zwingend sein müssen, auch unterhalb dieser Schwelle, wenn diese den Beschleunigungsgedanken und die Interessen des zuständigen Mitgliedstaats nicht willkürlich verkennen und auch sonst nicht missbräuchlich sind. Das vorliegende Verfahren gibt dabei keinen Anlass zur abschließenden Klärung dieser Willkür- oder Missbrauchsschwelle; sie wird aber dann überschritten sein, wenn bei klarer Rechtslage und offenkundig eröffneter Überstellungsmöglichkeit die behördliche Aussetzungsentscheidung allein dazu dient, die Überstellungsfrist zu unterbrechen, weil sie aufgrund behördlicher Versäumnisse ansonsten nicht (mehr) gewahrt werden könnte.</p>
</dd>
</dl>
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<dt/>
<dd>
<p>cc) Die Aussetzungsentscheidung des Bundesamtes vom 17. August 2017 ist nach diesen Grundsätzen beachtlich und hat die Überstellungsfrist neuerlich unterbrochen.</p>
</dd>
</dl>
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<dt/>
<dd>
<p>(1) Dem unionsrechtlichen Mindesterfordernis, dass der Kläger einen Rechtsbehelf im Sinne des Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO eingelegt hat, ist mit der am 16. Juni 2017 erhobenen und zum Zeitpunkt der Aussetzungsentscheidung weiterhin anhängigen Klage, die sich auch gegen die Abschiebungsanordnung richtet, entsprochen. Keine andere Beurteilung ergibt sich daraus, dass der Kläger auch einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt hatte, der erfolglos geblieben ist. Unionsrecht verbietet den Mitgliedstaaten jedenfalls nicht, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen oder Überstellungsmaßnahmen auch dann abzusehen, wenn zwar eine erste gerichtliche Überprüfung der Überstellungsentscheidung nicht zur Gewährung aufschiebender Wirkung geführt hat, über den Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung aber noch nicht endgültig entschieden ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p>(2) Die Aussetzungsentscheidung des Bundesamtes ist hier jedenfalls durch die von dem Kläger erhobene Verfassungsbeschwerde, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und die auf Bitte des Bundesverfassungsgerichts vom Bundesamt erteilte Stillhalteerklärung sachlich gerechtfertigt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p>Die Verfassungsbeschwerde entfaltet als außerordentlicher Rechtsbehelf selbst keine aufschiebende Wirkung. Diese wird auch nicht schon durch eine formlose Bitte des Bundesverfassungsgerichts bewirkt, zur Verfahrenssicherung bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde von Vollziehungsmaßnahmen abzusehen. Nicht zu vertiefen ist, welche Rechtsqualität einer solchen 'Stillhaltebitte' des Bundesverfassungsgerichts und einer entsprechenden behördlichen Erklärung zukommt, namentlich dann, wenn sie dem Antragsteller (und Verfassungsbeschwerdeführer) nicht mitgeteilt wird. Diese - auf die Wahrung der Effektivität auch des nationalen Verfahrens der Verfassungsbeschwerde bezogenen - Vorgänge sind jedenfalls ein hinreichender, sachlich rechtfertigender Anlass für eine behördliche Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 VwGO. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts, durch den der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO abgelehnt worden ist, entfaltet gegenüber einer behördlichen Aussetzungsanordnung nach § 80 Abs. 4 VwGO keine Sperrwirkung; dies gilt insbesondere dann, wenn diese gerichtliche Entscheidung ihrerseits Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Die behördliche Aussetzungsentscheidung war hier schon deswegen sachlich geboten, frei von Willkür und nicht rechtsmissbräuchlich, weil sie die Berücksichtigung der Effektivität verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes sicherstellte, ohne eine endgültige Veränderung der Rechtslage durch einen Zuständigkeitsübergang infolge Ablaufs der Überstellungsfrist zu bewirken. Bereits nach nationalem Recht führen die Erhebung der Verfassungsbeschwerde und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht nach Art. 27 Abs. 3 i.V.m. Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO zu einer Unterbrechung der Überstellungsfrist. Dazu bedurfte es der - hier auch erfolgten - behördlichen Aussetzungsentscheidung. Neben der Effektivierung des Rechtsschutzes des Klägers - erst mit der behördlichen Aussetzungsentscheidung stand für diesen fest, dass während des verfassungsgerichtlichen Verfahrens nicht mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu rechnen sei - dient die behördliche Aussetzungsanordnung auch der Klarstellung im Verhältnis zu dem zuständigen Mitgliedstaat, dass der Lauf der Überstellungsfrist (erneut) unterbrochen worden ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p>Dem Interesse des Klägers an einer zeitnahen Klärung der internationalen Zuständigkeit für die Sachentscheidung über seinen Asylantrag kommt dabei hier kein ausschlaggebendes Gewicht zu. Mit der behördlichen Aussetzungsanordnung hat das Bundesamt der Sache nach (vorläufig) seinem Rechtsschutzbegehren, vor der endgültigen Klärung der internationalen Zuständigkeit nicht aus dem Bundesgebiet abgeschoben zu werden, entsprochen, welches er zunächst mit dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung und nachfolgend mit der mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundenen Verfassungsbeschwerde verfolgt hat. Das mögliche Ziel, damit auch einen Zuständigkeitsübergang zu erwirken, wäre weder nach nationalem noch nach Unionsrecht schutzwürdig.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>1.2.4 Nicht zu vertiefen ist, ob der Senat einen Ablauf der Überstellungsfrist während des Revisionsverfahrens berücksichtigen könnte, weil auch während des Revisionsverfahrens die Überstellungsfrist nicht abgelaufen ist. Das Bundesamt hatte die Überstellung lediglich bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde oder den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ausgesetzt. Diese Aussetzung ist mit der Rücknahme der Verfassungsbeschwerde durch den Kläger gegenstandslos geworden, weil sie erkennbar zur Sicherung des durch Rücknahme beendeten verfassungsgerichtlichen Verfahrens ergangen ist. Die damit neu in Lauf gesetzte Überstellungsfrist ist indes vor ihrem Ablauf zur Sicherung des Revisionsverfahrens durch eine erneute Aussetzungsentscheidung des Bundesamtes nach § 80 Abs. 4 VwGO unterbrochen worden. Auch diese Aussetzungsentscheidung genügt angesichts der im Revisionsverfahren zu klärenden Grundsatzfrage den nach nationalem und Unionsrecht zu stellenden Anforderungen. Dies gilt umso mehr, als durch das der Klage stattgebende erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts in der Hauptsache ungeachtet der von der Beklagten eingelegten Revision nunmehr selbst 'ernstliche Zweifel' an der Abschiebungsanordnung begründet worden sind. Diese neue Verfahrenslage durfte das Bundesamt der Beklagten sachgerecht und willkürfrei zum Anlass der neuerlichen Aussetzung nehmen."</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_15">15</a>
</dt>
<dd>
<p>Diese Erwägungen, an denen der Senat festhält, gelten auch im vorliegenden Verfahren.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_16">16</a>
</dt>
<dd>
<p>2. Das stattgebende Urteil zur Ablehnung des Asylantrags als unzulässig erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_17">17</a>
</dt>
<dd>
<p>2.1 Die Bundesrepublik Deutschland war nicht verpflichtet, von ihrem gemäß Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 Dublin III-VO bestehenden Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Offenbleiben kann dabei, ob ein Antragsteller sich im gerichtlichen Verfahren auf eine etwa fehlerhafte Betätigung des durch Art. 17 Dublin III-VO eingeräumten Ermessens berufen kann (nicht eindeutig insoweit EuGH, Urteil vom 16. Februar 2017 - C-578/16 PPU [ECLI:EU:C:2017:127] - Rn. 88). Jedenfalls sind vorliegend die Voraussetzungen für eine Reduktion des den nationalen Behörden in Art. 17 Dublin III-VO eingeräumten Ermessens zum Selbsteintritt wegen unangemessen langer Verfahrensdauer (vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - C-4/11 [ECLI:EU:C:2013:740], Puid - Rn. 35 <noch zu Art. 3 Abs. 2 der Verordnung [EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist - Dublin II-VO ->) nicht erfüllt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_18">18</a>
</dt>
<dd>
<p>2.2 Der Senat kann mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen nicht abschließend beurteilen, ob der Feststellung der anderweitigen internationalen Zuständigkeit der Republik Italien hier entgegenstand, dass die Zuständigkeit wegen sog. systemischer Mängel des dortigen Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen (vgl. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO und EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 [ECLI:EU:C:2011:865], N. S. u.a. -; EGMR <GK>, Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09, M. S. S./Belgien und Griechenland - NVwZ 2011, 413) auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_19">19</a>
</dt>
<dd>
<p>2.2.1 Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO verlangt eine weitergehende Prüfung der internationalen Zuständigkeit allerdings nur und erst dann, wenn sich die Überstellung in den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat als unmöglich erweist, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen. Nach dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 - Rn. 79 ff.) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylantragsteller in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Konvention für Menschenrechte und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht (s.a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Dezember 2017 - 2 BvR 1872/17 - EuGRZ 2018, 69 Rn. 19). An die Widerlegung dieser Vermutung sind hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylantragsteller regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass diesem im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 - NVwZ 2014, 1039 <1040>).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_20">20</a>
</dt>
<dd>
<p>2.2.2 Das Verwaltungsgericht hat - nach seiner Rechtsauffassung, dass die Zuständigkeit bereits durch Fristablauf übergegangen sei, folgerichtig - im Klageverfahren keine tatrichterlichen Feststellungen zu den tatsächlichen Verhältnissen getroffen, welche für die Beurteilung eines Zuständigkeitsübergangs nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO maßgeblich sind. Soweit das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 22. Juni 2017 einen Zuständigkeitsübergang mit Blick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in der Republik Italien geprüft und verneint hatte, hat es sich diese Ausführungen in seinem Urteil nicht ausdrücklich zu eigen gemacht und auch nicht geprüft, ob sich die Verhältnisse in der Republik Italien bis zu dem für seine Entscheidung im Klageverfahren maßgeblichen Zeitpunkt in entscheidungserheblicher Weise verändert hatten.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_21">21</a>
</dt>
<dd>
<p>Unabhängig von der Frage, ob die Beteiligten Umstände vorgetragen haben, welche die Vermutung für eine ordnungsgemäße Behandlung von Asylantragstellern in der Republik Italien substantiell erschüttern könnten, kann ein solcher Ausnahmefall ohne entsprechende tatrichterliche Feststellung revisionsgerichtlich jedenfalls nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden. In der veröffentlichten Rechtsprechung waren zwar systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in der Republik Italien überwiegend - jedenfalls für gesunde, alleinstehende junge Männer - verneint worden (statt vieler OVG Münster, Urteil vom 24. August 2016 - 13 A 63/16.A -; VG Magdeburg, Urteil vom 27. April 2017 - 8 A 674/16 -; VG Trier, Beschluss vom 20. Juli 2017 - 5 L 7778/17.TR -; VG Braunschweig, Urteil vom 26. September 2017 - 7 A 338/16 -; VG Köln, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 19 K 5869/16.A -; VG Freiburg, Beschluss vom 10. Januar 2018 - A 4 K 6049/17 -; VG Augsburg, Urteil vom 22. Januar 2018 - Au 5 K 17.50400 - und VG Bayreuth, Beschluss vom 26. Januar 2018 - B 5 S 18.50036 -). Bereits Art und Umfang der hierauf bezogenen Erwägungen in jenen Entscheidungen, die im Ergebnis das Vorliegen systemischer Mängel verneint haben, belegen indes, dass Anlass für eine dem Tatrichter vorzubehaltende Aufbereitung und Bewertung der vorhandenen Erkenntnisquellen bestand. Es kommt hinzu, dass einige Verwaltungsgerichte (s. etwa VG Hannover, Urteile vom 23. Januar 2018 - 10 A 5850/17 und 10 A 6779/17 -; vom 25. Januar 2018 - 10 A 10685/17 und 10 A 5810/17 -; vom 26. Januar 2018 - 10 A 5881/17 - und vom 30. Januar 2018 - 10 A 7134/17 -; s.a. - für die Rückführung junger Volljähriger - VG Berlin, Beschluss vom 4. Dezember 2017 - 28 L 209.17 A -; für anerkannte international Schutzberechtigte s.a. VG Minden, Urteil vom 29. November 2017 - 10 K 1823/15.A -) aufgrund der zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorliegenden Erkenntnisse nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO beachtliche Schwachstellen des Asylsystems und der Aufnahmebedingungen in der Republik Italien angenommen haben. Daran ändert nichts, dass diese Entscheidungen teils im Berufungsrechtszug keinen Bestand hatten (zu der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Hannover s. etwa OVG Lüneburg, Urteil vom 9. April 2018 - 10 LB 92/17 -). Denn für das Revisionsverfahren kommt es nicht darauf an, welche Bewertung der tatsächlichen Verhältnisse in der Republik Italien im Ergebnis sachlich richtig ist; entscheidend ist, ob der Senat diese Feststellung und Bewertung ohne tatsächliche Feststellungen treffen darf. Dies ist nicht der Fall, sodass der Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_22">22</a>
</dt>
<dd>
<p>3. Die Aufhebung des verwaltungsgerichtlichen Urteils zu der Frage, ob die Entscheidung der Beklagten zu der Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG rechtmäßig ist, lässt auch keine abschließende Beurteilung der Rechtmäßigkeit der behördlichen Folgeentscheidungen in dem Bescheid zu, nämlich der Feststellung, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Ziffer 2), der Abschiebungsanordnung (Ziffer 3) und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (Ziffer 4).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_23">23</a>
</dt>
<dd>
<p>4. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.</p>
</dd>
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</div>
|
178,086 | bverwg-2019-01-09-1-c-1918 | {
"id": 5,
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<div>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_1">1</a>
</dt>
<dd>
<p>
Der Kläger, nach eigenen Angaben eritreischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrags als unzulässig, die Feststellung, dass nationale Abschiebungsverbote nicht vorliegen, die Anordnung der Abschiebung in die Republik Italien und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 12 Monate.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_2">2</a>
</dt>
<dd>
<p>
Der Kläger reiste nach eigenen Angaben am 20. Januar 2017 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 26. Januar 2017 seine Anerkennung als Asylberechtigter. Ein Eurodac-Abgleich ergab, dass er zuvor illegal nach Italien eingereist war. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Beklagten (Bundesamt) richtete am 27. Januar 2017 ein Aufnahmegesuch an die Republik Italien, welches unbeantwortet blieb. Daraufhin lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 4. April 2017 den Asylantrag wegen anderweitiger internationaler Zuständigkeit als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass keine nationalen Abschiebungsverbote vorliegen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung in die Republik Italien an (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 12 Monate (Ziffer 4).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_3">3</a>
</dt>
<dd>
<p>
Das Verwaltungsgericht lehnte mit Beschluss vom 10. Mai 2017 den Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_4">4</a>
</dt>
<dd>
<p>
Gegen diesen Beschluss erhob der Kläger fristgerecht Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht und beantragte sogleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Zur Begründung trug er vor, dass der Erlass des Beschlusses vom 10. Mai 2017 durch einen Richter auf Zeit die Rechte des Klägers aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletze. Das Bundesverfassungsgericht bat das Bundesamt zu bestätigen, dass bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde oder den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keine Abschiebung des Klägers erfolgen werde. Das Bundesamt gab eine entsprechende Erklärung ab und setzte mit Bescheid vom 12. Juli 2017 die Vollziehung der Abschiebungsanordnung aus dem Bescheid vom 4. April 2017 bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde oder den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO aus.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_5">5</a>
</dt>
<dd>
<p>
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 19. Januar 2018 den Bescheid vom 4. April 2018 aufgehoben. Die Zuständigkeit für die Entscheidung über den Asylantrag sei zwischenzeitlich auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen, weil durch die behördliche Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO die Überstellungsfrist nicht erneut unterbrochen worden sei. Grundsätzlich könne zwar eine behördliche Aussetzungsentscheidung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO, Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO zur Unterbrechung der Überstellungsfristen führen. Dies erfordere aber Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung, welche nicht vorgelegen hätten. Die Überstellungsfrist sei damit im Zeitpunkt des Urteils abgelaufen gewesen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_6">6</a>
</dt>
<dd>
<p>
Mit ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision macht die Beklagte geltend, das Verwaltungsgericht habe die Anforderungen an eine behördliche Aussetzungsentscheidung fehlerhaft zu eng bestimmt. Für eine Beschränkung der Vollzugsaussetzung auf die Fälle, in welchen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung bestünden, sei nichts Stichhaltiges erkennbar. Der Wortlaut von § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO lasse eine einengende Interpretation nicht zu. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO stelle ersichtlich einen Sonderfall dar. Nichts anderes folge aus dem Unionsrecht. Es sei nicht erkennbar, dass Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO allein dem Interesse des Drittstaatsangehörigen zu dienen bestimmt sei. Zwar verfolge das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren der Dublin III-VO auf der einen Seite das Ziel einer zügigen Bearbeitung von Asylanträgen. Auf der anderen Seite solle aber auch die Sekundärmigration verhindert werden. Der dem Dublin-System innewohnende Beschleunigungsgedanke verlange ebenfalls keine einengende Interpretation, weil die Verzögerung durch das rechtliche Vorgehen des Klägers verursacht worden sei.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_7">7</a>
</dt>
<dd>
<p>
Der Kläger verteidigt die angegriffene Entscheidung. Behördliche Aussetzungsentscheidungen hätten auf den Ablauf der Überstellungsfrist keinen Einfluss, weil Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO auf eine aufschiebende Wirkung abstelle, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe oder durch ein Gericht angeordnet werde. Das Bundesamt sei kein Gericht im vorgenannten Sinne. Zudem schließe § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG als vorrangige Spezialregelung die Anwendbarkeit von § 80 Abs. 4 VwGO aus. § 34a Abs. 1 AsylG setze für den Erlass einer Abschiebungsanordnung voraus, dass die Abschiebung durchgeführt werden könne. Komme die Behörde zu der Überzeugung, dass die Abschiebungsanordnung nicht vollzogen werden könne, sei diese aufzuheben.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_8">8</a>
</dt>
<dd>
<p>
Nachdem der Kläger im Juni 2018 mitgeteilt hatte, das Verfassungsbeschwerdeverfahren sei mit Blick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 2018 - 2 BvR 780/16 - beendet worden, hat das Bundesamt mit Bescheid vom 28. Juni 2018 die Vollziehung der Abschiebungsanordnung aus dem Bescheid vom 4. April 2017 bis zur Beendigung des Revisionsverfahrens ausgesetzt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_9">9</a>
</dt>
<dd>
<p>
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich am Verfahren nicht beteiligt.</p>
</dd>
</dl>
</div>
<h2>Entscheidungsgründe</h2>
<div>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_10">10</a>
</dt>
<dd>
<p>Die form- und fristgerecht eingelegte Sprungrevision der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Verfahrensbeteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet. Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, die behördliche Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheides nach § 80 Abs. 4 VwGO habe die Überstellungsfrist nicht unterbrochen, sodass die Bundesrepublik Deutschland zuständiger Mitgliedstaat geworden sei, verstößt gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO) (1.). Hinsichtlich der Unzulässigkeitsentscheidung erweist sich das Urteil auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO); insoweit bedarf es weiterer tatsächlicher Feststellungen durch das Verwaltungsgericht. (2.). Die Zurückverweisung hindert eine abschließende Entscheidung auch zu den weiteren Regelungen des angegriffenen Bescheides (3.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_11">11</a>
</dt>
<dd>
<p>Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens sind das Asylgesetz (AsylG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch das am 12. Dezember 2018 in Kraft getretene Dritte Gesetz zur Änderung des Asylgesetzes vom 4. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2250), die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1991 (BGBl. I S. 686), zuletzt geändert durch das am 1. November 2018 in Kraft getretene Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage vom 12. Juli 2018 (BGBl. I S. 1151) sowie die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 S. 31) - Dublin III-VO -. Da es sich um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Tatsachengericht nach § 77 Abs. 1 AsylG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es seiner Entscheidung, wenn es diese nunmehr träfe, die während des Revisionsverfahrens in Kraft getretenen Änderungen zugrunde legen, soweit nicht hiervon eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_12">12</a>
</dt>
<dd>
<p>1. Die Klage ist, soweit sie sich gegen die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des Bescheides des Bundesamtes richtet, als Anfechtungsklage statthaft (BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2015 - 1 C 32.14 - BVerwGE 153, 162 Rn. 13 f.) und auch im Übrigen zulässig, aber nicht begründet. Das Bundesamt hat insoweit seine Entscheidung zu Recht auf § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gestützt. Ein Asylantrag ist hiernach unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO oder aufgrund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist (1.1). Diese Zuständigkeit ist hier auch in der Folgezeit nicht durch Ablauf der Überstellungsfrist (Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO) auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen (1.2).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_13">13</a>
</dt>
<dd>
<p>1.1 Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass - vorbehaltlich einer Prüfung nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO - für die Durchführung des Asylverfahrens die Republik Italien originär zuständig war, weil sich eine anderweitige vorrangige Zuständigkeit nach Kapitel III der Dublin III-VO (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO) nicht bestimmen ließ und daher der Mitgliedstaat - hier die Republik Italien - zuständig war, über den der Kläger ohne die erforderlichen Einreisepapiere und damit im Sinne des Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO illegal (s.a. Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, Stand Februar 2014, Art. 13 Anm. K6) in das Unionsgebiet eingereist ist und in dem er im Eurodac-System erfasst worden ist (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO). Die Beklagte hat die Republik Italien fristgerecht um Aufnahme des Klägers ersucht (Art. 21 Abs. 2, 3 Dublin III-VO). Dieses Aufnahmegesuch gilt nach Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO als angenommen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_14">14</a>
</dt>
<dd>
<p>1.2 Diese Zuständigkeit ist auch nicht nachträglich auf die Beklagte übergegangen. Zu einem hier allein in Betracht kommenden Zuständigkeitsübergang durch Ablauf der Überstellungsfristen des Art. 29 Dublin III-VO (1.2.1) ist es nicht gekommen, weil die mit der Annahme des Aufnahmegesuchs in Lauf gesetzte Frist jeweils vor ihrem Ablauf wirksam unterbrochen worden ist (1.2.2), und zwar entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts auch durch die behördliche Aussetzung der Vollziehung (§ 80 Abs. 4 VwGO) durch das Bundesamt (1.2.3). Hierzu hat der Senat in seinem Urteil vom 8. Januar 2019 - BVerwG 1 C 16.18 - ausgeführt:</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>"1.2.1 In Fällen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats als des Mitgliedstaats, in dem sich der Antragsteller aufhält, regelt Art. 29 Dublin III-VO die Modalitäten und Fristen der Überstellung. Nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO erfolgt die Überstellung, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Annahme des (Wieder-)Aufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat (Alt. 1) oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat (Alt. 2). Verzögert sich die Überstellung wegen eines Rechtsbehelfsverfahrens mit aufschiebender Wirkung, ist der zuständige Mitgliedstaat hierüber unverzüglich zu unterrichten (Art. 9 Abs. 1 der Verordnung <EG> Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung <EG> Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist <ABl. L 222 S. 3>). Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO nicht mehr zur (Wieder-)Aufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>1.2.2 Nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Alt. 1 Dublin III-VO ist hier die sechsmonatige Überstellungsfrist erstmals nach der Annahme des Wiederaufnahmeersuchens durch die österreichischen Behörden vom 6. April 2017 in Lauf gesetzt worden. Zutreffend geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass die so in Lauf gesetzte Überstellungsfrist durch den fristgemäß gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung vom 16. Juni 2017 - welcher kraft Gesetzes ein Überstellungsverbot auslöst (vgl. § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG i.V.m. Art. 27 Abs. 3 Buchst. c Satz 2 Dublin III-VO) - unterbrochen worden ist (Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Alt. 2 Dublin III-VO), worüber das Bundesamt die österreichischen Behörden auch informiert hat. Mit Ergehen der ablehnenden gerichtlichen Eilentscheidung vom 28. Juni 2017 wurde die sechsmonatige Überstellungsfrist erneut in Gang gesetzt (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2016 - 1 C 15.15 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 83 Rn. 11 und Beschluss vom 27. April 2016 - 1 C 22.15 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 81 Rn. 18 ff.). Die Überstellungsfrist wird wegen des kraft Gesetzes damit verbundenen, verfahrenssichernden Überstellungsverbots (§ 34a Abs. 2 AsylG; s.a. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 [ECLI:EU:C:2018:465] -) auch in solchen Fällen unterbrochen, in denen ein gerichtlicher Eilantrag im Ergebnis ohne Erfolg bleibt oder nicht beschieden wird (a.A. wohl Österreichischer Verwaltungsgerichtshof, Entscheidung vom 14. Dezember 2017 - Ra 2015/20/0231-16 - und Schweizerisches Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19. November 2014 - E-3971/2013 -). Aus den Gründen seines Beschlusses vom 27. April 2016 - 1 C 22.15 - (Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 81 Rn. 18 ff.) hält es der Senat in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union weiterhin für geklärt (s. nur EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 [ECLI:EU:C:2009:41], Petrosian - Rn. 40 ff., 44), dass auch in Fällen, in denen eine Überstellung kraft Gesetzes oder kraft wirksamer Einzelfallentscheidung lediglich zeitweise ausgeschlossen war, die Mitgliedstaaten über eine zusammenhängende Frist von sechs Monaten verfügen müssen, die sie in vollem Umfang zur Regelung der technischen Probleme für die Bewerkstelligung der Überstellung sollen nutzen dürfen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>1.2.3 Die Überstellungsfrist, die mit dem Beschluss, mit dem der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes abgelehnt worden ist, neu in Lauf gesetzt worden ist, ist vor ihrem Ablauf wirksam durch die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO durch den Bescheid des Bundesamtes vom 17. August 2017 erneut unterbrochen worden. Diese Unterbrechung, die den österreichischen Behörden zudem auch mitgeteilt worden ist, dauerte im Zeitpunkt des Urteils des Verwaltungsgerichts an und hinderte den - vom Verwaltungsgericht zu Unrecht angenommenen - Übergang der Zuständigkeit auf die Bundesrepublik Deutschland.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p>a) Die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO durch die Behörde ist generell geeignet, die in Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO vorgesehene Überstellungsfrist zu unterbrechen (EuGH, Urteil vom 13. September 2017 - C-60/16 [ECLI:EU:C:2017:675], Khir Amayry - Rn. 71; BVerwG, Urteil vom 9. August 2016 - 1 C 6.16 - BVerwGE 156, 9 Rn. 18). Nach Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die zuständigen Behörden beschließen können, von Amts wegen tätig zu werden, um die Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung auszusetzen. Diese unionsrechtlich vorgesehene Möglichkeit wird im nationalen Recht durch § 80 Abs. 4 VwGO eröffnet.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Nichts anderes folgt für die Unterbrechungswirkung daraus, dass Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO nicht auch auf Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO Bezug nimmt. Nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO ist allein entscheidend, dass ein Rechtsbehelf im Sinne des Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat und daher eine Überstellung nicht durchgeführt werden kann. Die in Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO den Mitgliedstaaten eröffnete Möglichkeit, dass auch die zuständigen Behörden die Durchführung der Überstellungsentscheidung aussetzen können, erweitert lediglich die Fallgruppen, in denen einem Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung im Sinne des Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO zukommt. Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO verlöre im Übrigen in weitem Maße seine praktische Wirksamkeit, wenn die Regelung nicht angewendet werden könnte, ohne dass die Gefahr bestünde, dass die Überstellungsfrist abläuft und ein Zuständigkeitsübergang die Folge wäre (EuGH, Urteil vom 13. September 2017 - C-60/16 - Rn. 71).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>b) Die Wirkung, die Überstellungsfrist neuerlich zu unterbrechen, entfällt bei der Aussetzungsentscheidung vom 17. August 2017 nicht deswegen, weil diese rechtswidrig wäre. Vielmehr hält sie sich in den Grenzen, die durch das nationale Recht und Unionsrecht vorgegeben sind.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>aa) Nach § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO haben die Behörden grundsätzlich die Befugnis, nach Ermessen die Vollziehung auszusetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Regelungen des Asylgesetzes schließen eine behördliche Aussetzung nach § 80 Abs. 4 VwGO nicht aus. § 34a AsylG ordnet allerdings an, dass u.a. in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG die Abschiebung anzuordnen ist, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann (Abs. 1), und enthält Sonderregelungen zu der Frist, die bei einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu beachten ist, sowie zu einem Verbot der Abschiebung vor der gerichtlichen Entscheidung (Abs. 2). Damit ist aber die behördliche Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 VwGO weder ausdrücklich noch der Sache nach ausgeschlossen. Namentlich können auch bei einer im Sinne des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG rechtlich und tatsächlich möglichen Abschiebung Gründe vorliegen, die es rechtfertigen, deren Vollziehung - etwa zur Sicherung der Effektivität gerichtlichen Rechtsschutzes - vorübergehend bis zu einer abschließenden gerichtlichen Klärung auszusetzen. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gebietet in solchen Fällen - entgegen der Auffassung der Klägerseite - nicht, die Abschiebungsanordnung aufzuheben, was die endgültige gerichtliche Klärung gerade verhinderte. Denn selbst bei nach Erlass der Abschiebungsanordnung auftretenden Abschiebungsverboten oder Duldungsgründen ist das Bundesamt nicht verpflichtet, die Abschiebungsanordnung nach § 48 VwVfG aufzuheben; namentlich bei vorübergehenden Abschiebungshindernissen kann es deren Vollziehung auch (vorläufig) aussetzen (s.a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14 - Asylmagazin 2014, 341). Auch aus weiteren Regelungen des Asylgesetzes ergibt sich kein bundesgesetzlicher Ausschluss des § 80 Abs. 4 VwGO im Asylverfahren; § 36 Abs. 4 AsylG etwa regelt allein den Maßstab für die gerichtliche Anordnung der Aussetzung der Abschiebung und schließt weitergehende behördliche Aussetzungsentscheidungen nicht aus.</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p>§ 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO beschränkt das behördliche Aussetzungsermessen für das Asylverfahren ebenfalls nicht. Hiernach 'soll' die Aussetzung bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Dieser auf die (qualifizierte) Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bezogene Maßstab ist auf die Vollziehbarkeit sonstiger Verwaltungsakte weder unmittelbar noch - entgegen im Schrifttum teilweise vertretener Ansicht (s. etwa Gersdorf, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 47. Edition, Stand 1. Juli 2018, § 80 Rn. 126) - entsprechend anzuwenden (s. nur BVerwG, Beschluss vom 17. September 2001 - 4 VR 19.01 - Buchholz 310 § 80 VwGO Nr. 66 S. 3 f.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>bb) Unionsrecht setzt in Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO eine behördliche Aussetzung der Vollziehung voraus, steht also § 80 Abs. 4 VwGO gerade nicht entgegen. Es setzt aber dem nach nationalem Recht (§ 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO) eröffneten weiten Handlungsspielraum durch unionsrechtliche Vorgaben (vgl. insbesondere Art. 27 und 28 Dublin III-VO) gewisse Grenzen. Diese Beschränkungen ergeben sich daraus, dass die behördliche Aussetzungsentscheidung den Antragsteller nicht nur begünstigt, indem aufenthaltsbeendende Maßnahmen auf der Grundlage der Abschiebungsanordnung zunächst nicht mehr erfolgen können, sondern mittelbar auch belastet, weil sie die Überstellungsfrist unterbricht und so dazu führen kann, dass ein vom Antragsteller möglicherweise erstrebter Zuständigkeitsübergang nicht erfolgt; zu berücksichtigen sind auch die Belange des zuständigen Mitgliedstaats.</p>
</dd>
</dl>
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<dt/>
<dd>
<p>Mindestvoraussetzung einer behördlichen Aussetzungsentscheidung nach § 80 Abs. 4 VwGO ist, dass der Antragsteller einen Rechtsbehelf gegen die Abschiebungsanordnung eingelegt hat (Art. 27 Abs. 4 und Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO). Weitere Grenzen folgen aus dem von Art. 27 Abs. 3 und 4 i.V.m. Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO angestrebten Ziel eines angemessenen Ausgleichs zwischen einerseits der Gewährung effektiven Rechtsschutzes und der Ermöglichung einer raschen Bestimmung des für die inhaltliche Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats (vgl. Erwägungsgrund 5 zur Dublin III-VO) und andererseits dem Ziel zu verhindern, dass sich Asylbewerber durch Weiterwanderung den für die Prüfung ihres Asylbegehrens zuständigen Mitgliedstaat aussuchen (Verhinderung von Sekundärmigration) (BVerwG, Urteil vom 27. April 2016 - 1 C 24.15 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 82 Rn. 13). Der Zuständigkeitsübergang nach Ablauf der Überstellungsfrist soll verhindern, dass Asylanträge monate- oder gar jahrelang nicht geprüft werden, zugleich soll das Ziel einer möglichst schnellen Prüfung nicht dazu führen, dass dem jeweiligen Mitgliedstaat keine zusammenhängende Überstellungsfrist von sechs Monaten zur Verfügung steht, in der nur noch die Überstellungsmodalitäten zu regeln sind (EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 - Rn. 43 ff.) oder der Beschleunigungsgedanke zulasten eines effektiven Rechtsschutzes verwirklicht wird (vgl. § 27 Abs. 3 und 4 Dublin III-VO).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p>Eine behördliche Aussetzungsentscheidung darf hiernach auch unionsrechtlich jedenfalls dann ergehen, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung bestehen (so bereits BVerwG, Urteil vom 9. August 2016 - 1 C 6.16 - BVerwGE 156, 9 Rn. 18); dann haben die Belange eines Antragstellers auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes offenkundig Vorrang vor dem Beschleunigungsgedanken. Die Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes (s.a. Art. 46 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes <ABl. L 180 S. 60>) erlaubt eine behördliche Aussetzung aus sachlich vertretbaren Erwägungen, die nicht rechtlich zwingend sein müssen, auch unterhalb dieser Schwelle, wenn diese den Beschleunigungsgedanken und die Interessen des zuständigen Mitgliedstaats nicht willkürlich verkennen und auch sonst nicht missbräuchlich sind. Das vorliegende Verfahren gibt dabei keinen Anlass zur abschließenden Klärung dieser Willkür- oder Missbrauchsschwelle; sie wird aber dann überschritten sein, wenn bei klarer Rechtslage und offenkundig eröffneter Überstellungsmöglichkeit die behördliche Aussetzungsentscheidung allein dazu dient, die Überstellungsfrist zu unterbrechen, weil sie aufgrund behördlicher Versäumnisse ansonsten nicht (mehr) gewahrt werden könnte.</p>
</dd>
</dl>
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<dt/>
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<p>cc) Die Aussetzungsentscheidung des Bundesamtes vom 17. August 2017 ist nach diesen Grundsätzen beachtlich und hat die Überstellungsfrist neuerlich unterbrochen.</p>
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</dl>
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<dd>
<p>(1) Dem unionsrechtlichen Mindesterfordernis, dass der Kläger einen Rechtsbehelf im Sinne des Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO eingelegt hat, ist mit der am 16. Juni 2017 erhobenen und zum Zeitpunkt der Aussetzungsentscheidung weiterhin anhängigen Klage, die sich auch gegen die Abschiebungsanordnung richtet, entsprochen. Keine andere Beurteilung ergibt sich daraus, dass der Kläger auch einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt hatte, der erfolglos geblieben ist. Unionsrecht verbietet den Mitgliedstaaten jedenfalls nicht, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen oder Überstellungsmaßnahmen auch dann abzusehen, wenn zwar eine erste gerichtliche Überprüfung der Überstellungsentscheidung nicht zur Gewährung aufschiebender Wirkung geführt hat, über den Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung aber noch nicht endgültig entschieden ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p>(2) Die Aussetzungsentscheidung des Bundesamtes ist hier jedenfalls durch die von dem Kläger erhobene Verfassungsbeschwerde, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und die auf Bitte des Bundesverfassungsgerichts vom Bundesamt erteilte Stillhalteerklärung sachlich gerechtfertigt.</p>
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<p>Die Verfassungsbeschwerde entfaltet als außerordentlicher Rechtsbehelf selbst keine aufschiebende Wirkung. Diese wird auch nicht schon durch eine formlose Bitte des Bundesverfassungsgerichts bewirkt, zur Verfahrenssicherung bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde von Vollziehungsmaßnahmen abzusehen. Nicht zu vertiefen ist, welche Rechtsqualität einer solchen 'Stillhaltebitte' des Bundesverfassungsgerichts und einer entsprechenden behördlichen Erklärung zukommt, namentlich dann, wenn sie dem Antragsteller (und Verfassungsbeschwerdeführer) nicht mitgeteilt wird. Diese - auf die Wahrung der Effektivität auch des nationalen Verfahrens der Verfassungsbeschwerde bezogenen - Vorgänge sind jedenfalls ein hinreichender, sachlich rechtfertigender Anlass für eine behördliche Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 VwGO. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts, durch den der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO abgelehnt worden ist, entfaltet gegenüber einer behördlichen Aussetzungsanordnung nach § 80 Abs. 4 VwGO keine Sperrwirkung; dies gilt insbesondere dann, wenn diese gerichtliche Entscheidung ihrerseits Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde ist.</p>
</dd>
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<p>Die behördliche Aussetzungsentscheidung war hier schon deswegen sachlich geboten, frei von Willkür und nicht rechtsmissbräuchlich, weil sie die Berücksichtigung der Effektivität verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes sicherstellte, ohne eine endgültige Veränderung der Rechtslage durch einen Zuständigkeitsübergang infolge Ablaufs der Überstellungsfrist zu bewirken. Bereits nach nationalem Recht führen die Erhebung der Verfassungsbeschwerde und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht nach Art. 27 Abs. 3 i.V.m. Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO zu einer Unterbrechung der Überstellungsfrist. Dazu bedurfte es der - hier auch erfolgten - behördlichen Aussetzungsentscheidung. Neben der Effektivierung des Rechtsschutzes des Klägers - erst mit der behördlichen Aussetzungsentscheidung stand für diesen fest, dass während des verfassungsgerichtlichen Verfahrens nicht mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu rechnen sei - dient die behördliche Aussetzungsanordnung auch der Klarstellung im Verhältnis zu dem zuständigen Mitgliedstaat, dass der Lauf der Überstellungsfrist (erneut) unterbrochen worden ist.</p>
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<p>Dem Interesse des Klägers an einer zeitnahen Klärung der internationalen Zuständigkeit für die Sachentscheidung über seinen Asylantrag kommt dabei hier kein ausschlaggebendes Gewicht zu. Mit der behördlichen Aussetzungsanordnung hat das Bundesamt der Sache nach (vorläufig) seinem Rechtsschutzbegehren, vor der endgültigen Klärung der internationalen Zuständigkeit nicht aus dem Bundesgebiet abgeschoben zu werden, entsprochen, welches er zunächst mit dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung und nachfolgend mit der mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundenen Verfassungsbeschwerde verfolgt hat. Das mögliche Ziel, damit auch einen Zuständigkeitsübergang zu erwirken, wäre weder nach nationalem noch nach Unionsrecht schutzwürdig.</p>
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<p>1.2.4 Nicht zu vertiefen ist, ob der Senat einen Ablauf der Überstellungsfrist während des Revisionsverfahrens berücksichtigen könnte, weil auch während des Revisionsverfahrens die Überstellungsfrist nicht abgelaufen ist. Das Bundesamt hatte die Überstellung lediglich bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde oder den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ausgesetzt. Diese Aussetzung ist mit der Rücknahme der Verfassungsbeschwerde durch den Kläger gegenstandslos geworden, weil sie erkennbar zur Sicherung des durch Rücknahme beendeten verfassungsgerichtlichen Verfahrens ergangen ist. Die damit neu in Lauf gesetzte Überstellungsfrist ist indes vor ihrem Ablauf zur Sicherung des Revisionsverfahrens durch eine erneute Aussetzungsentscheidung des Bundesamtes nach § 80 Abs. 4 VwGO unterbrochen worden. Auch diese Aussetzungsentscheidung genügt angesichts der im Revisionsverfahren zu klärenden Grundsatzfrage den nach nationalem und Unionsrecht zu stellenden Anforderungen. Dies gilt umso mehr, als durch das der Klage stattgebende erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts in der Hauptsache ungeachtet der von der Beklagten eingelegten Revision nunmehr selbst 'ernstliche Zweifel' an der Abschiebungsanordnung begründet worden sind. Diese neue Verfahrenslage durfte das Bundesamt der Beklagten sachgerecht und willkürfrei zum Anlass der neuerlichen Aussetzung nehmen."</p>
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<dl class="RspDL">
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<a name="rd_15">15</a>
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<p>Diese Erwägungen, an denen der Senat festhält, gelten auch im vorliegenden Verfahren.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<a name="rd_16">16</a>
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<dd>
<p>2. Das stattgebende Urteil zur Ablehnung des Asylantrags als unzulässig erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).</p>
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</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_17">17</a>
</dt>
<dd>
<p>2.1 Die Bundesrepublik Deutschland war nicht verpflichtet, von ihrem gemäß Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 Dublin III-VO bestehenden Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Offenbleiben kann dabei, ob ein Antragsteller sich im gerichtlichen Verfahren auf eine etwa fehlerhafte Betätigung des durch Art. 17 Dublin III-VO eingeräumten Ermessens berufen kann (nicht eindeutig insoweit EuGH, Urteil vom 16. Februar 2017 - C-578/16 PPU [ECLI:EU:C:2017:127] - Rn. 88). Jedenfalls sind vorliegend die Voraussetzungen für eine Reduktion des den nationalen Behörden in Art. 17 Dublin III-VO eingeräumten Ermessens zum Selbsteintritt wegen unangemessen langer Verfahrensdauer (vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - C-4/11 [ECLI:EU:C:2013:740], Puid - Rn. 35 <noch zu Art. 3 Abs. 2 der Verordnung [EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist - Dublin II-VO ->) nicht erfüllt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<a name="rd_18">18</a>
</dt>
<dd>
<p>2.2 Der Senat kann mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen nicht abschließend beurteilen, ob der Feststellung der anderweitigen internationalen Zuständigkeit der Republik Italien hier entgegenstand, dass die Zuständigkeit wegen sog. systemischer Mängel des dortigen Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen (vgl. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO und EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 [ECLI:EU:C:2011:865], N. S. u.a. -; EGMR <GK>, Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09, M. S. S./Belgien und Griechenland - NVwZ 2011, 413) auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_19">19</a>
</dt>
<dd>
<p>2.2.1 Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO verlangt eine weitergehende Prüfung der internationalen Zuständigkeit allerdings nur und erst dann, wenn sich die Überstellung in den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat als unmöglich erweist, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen. Nach dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 - Rn. 79 ff.) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylantragsteller in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Konvention für Menschenrechte und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht (s.a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Dezember 2017 - 2 BvR 1872/17 - EuGRZ 2018, 69 Rn. 19). An die Widerlegung dieser Vermutung sind hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylantragsteller regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass diesem im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 - NVwZ 2014, 1039 <1040>).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_20">20</a>
</dt>
<dd>
<p>2.2.2 Das Verwaltungsgericht hat - nach seiner Rechtsauffassung, dass die Zuständigkeit bereits durch Fristablauf übergegangen sei, folgerichtig - im Klageverfahren keine tatrichterlichen Feststellungen zu den tatsächlichen Verhältnissen getroffen, welche für die Beurteilung eines Zuständigkeitsübergangs nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO maßgeblich sind. Soweit das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 10. Mai 2017 einen Zuständigkeitsübergang mit Blick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in der Republik Italien geprüft und verneint hatte, hat es sich diese Ausführungen in seinem Urteil nicht ausdrücklich zu eigen gemacht und auch nicht geprüft, ob sich die Verhältnisse in der Republik Italien bis zu dem für seine Entscheidung im Klageverfahren maßgeblichen Zeitpunkt in entscheidungserheblicher Weise verändert hatten.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_21">21</a>
</dt>
<dd>
<p>Unabhängig von der Frage, ob die Beteiligten Umstände vorgetragen haben, welche die Vermutung für eine ordnungsgemäße Behandlung von Asylantragstellern in der Republik Italien substantiell erschüttern könnten, kann ein solcher Ausnahmefall ohne entsprechende tatrichterliche Feststellung revisionsgerichtlich jedenfalls nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden. In der veröffentlichten Rechtsprechung waren zwar systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in der Republik Italien überwiegend - jedenfalls für gesunde, alleinstehende junge Männer - verneint worden (statt vieler OVG Münster, Urteil vom 24. August 2016 - 13 A 63/16.A -; VG Magdeburg, Urteil vom 27. April 2017 - 8 A 674/16 -; VG Trier, Beschluss vom 20. Juli 2017 - 5 L 7778/17.TR -; VG Braunschweig, Urteil vom 26. September 2017 - 7 A 338/16 -; VG Köln, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 19 K 5869/16.A -; VG Freiburg, Beschluss vom 10. Januar 2018 - A 4 K 6049/17 -; VG Augsburg, Urteil vom 22. Januar 2018 - Au 5 K 17.50400 - und VG Bayreuth, Beschluss vom 26. Januar 2018 - B 5 S 18.50036 -). Bereits Art und Umfang der hierauf bezogenen Erwägungen in jenen Entscheidungen, die im Ergebnis das Vorliegen systemischer Mängel verneint haben, belegen indes, dass Anlass für eine dem Tatrichter vorzubehaltende Aufbereitung und Bewertung der vorhandenen Erkenntnisquellen bestand. Es kommt hinzu, dass einige Verwaltungsgerichte (s. etwa VG Hannover, Urteile vom 23. Januar 2018 - 10 A 5850/17 und 10 A 6779/17 -; vom 25. Januar 2018 - 10 A 10685/17 und 10 A 5810/17 -; vom 26. Januar 2018 - 10 A 5881/17 - und vom 30. Januar 2018 - 10 A 7134/17 -; s.a. - für die Rückführung junger Volljähriger - VG Berlin, Beschluss vom 4. Dezember 2017 - 28 L 209.17 A -; für anerkannte international Schutzberechtigte s.a. VG Minden, Urteil vom 29. November 2017 - 10 K 1823/15.A -) aufgrund der zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorliegenden Erkenntnisse nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO beachtliche Schwachstellen des Asylsystems und der Aufnahmebedingungen in der Republik Italien angenommen haben. Daran ändert nichts, dass diese Entscheidungen teils im Berufungsrechtszug keinen Bestand hatten (zu der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Hannover s. etwa OVG Lüneburg, Urteil vom 9. April 2018 - 10 LB 92/17 -). Denn für das Revisionsverfahren kommt es nicht darauf an, welche Bewertung der tatsächlichen Verhältnisse in der Republik Italien im Ergebnis sachlich richtig ist; entscheidend ist, ob der Senat diese Feststellung und Bewertung ohne tatsächliche Feststellungen treffen darf. Dies ist nicht der Fall, sodass der Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_22">22</a>
</dt>
<dd>
<p>3. Die Aufhebung des verwaltungsgerichtlichen Urteils zu der Frage, ob die Entscheidung der Beklagten zu der Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG rechtmäßig ist, lässt auch keine abschließende Beurteilung der Rechtmäßigkeit der behördlichen Folgeentscheidungen in dem Bescheid zu, nämlich der Feststellung, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Ziffer 2), der Abschiebungsanordnung (Ziffer 3) und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (Ziffer 4).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_23">23</a>
</dt>
<dd>
<p>4. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.</p>
</dd>
</dl>
</div>
|
178,084 | bverwg-2019-01-09-1-c-2418 | {
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<div>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_1">1</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Klägerin, eritreische Staatsangehörige, wendet sich gegen die Ablehnung ihres Asylantrags als unzulässig, die Feststellung, dass nationale Abschiebungsverbote nicht vorliegen, die Anordnung der Abschiebung in die Republik Italien und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 12 Monate.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_2">2</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Klägerin reiste nach eigenen Angaben am 19. September 2016 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 22. September 2016 ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Ein Eurodac-Abgleich ergab, dass sie zuvor illegal nach Italien eingereist war. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Beklagten (Bundesamt) richtete am 21. Oktober 2016 ein Aufnahmegesuch an die Republik Italien, welches unbeantwortet blieb. Daraufhin lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 18. Januar 2017 den Asylantrag wegen anderweitiger internationaler Zuständigkeit als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass keine nationalen Abschiebungsverbote vorliegen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung in die Republik Italien an (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 12 Monate (Ziffer 4).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_3">3</a>
</dt>
<dd>
<p>Das Verwaltungsgericht lehnte mit Beschluss vom 21. Februar 2017 den Antrag der Klägerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_4">4</a>
</dt>
<dd>
<p>Gegen diesen Beschluss erhob die Klägerin fristgerecht Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht und beantragte sogleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Zur Begründung trug sie vor, dass der Erlass des Beschlusses vom 21. Februar 2017 durch einen Richter auf Zeit die Rechte der Klägerin aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletze. Das Bundesverfassungsgericht bat das Bundesamt zu bestätigen, dass bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde oder den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keine Abschiebung der Klägerin erfolgen werde. Das Bundesamt gab eine entsprechende Erklärung ab und setzte mit Bescheid vom 10. August 2017 die Vollziehung der Abschiebungsanordnung aus dem Bescheid vom 18. Januar 2017 bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde oder den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO aus.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_5">5</a>
</dt>
<dd>
<p>Einen am 29. Juli 2017 gestellten Antrag der Klägerin, den Beschluss vom 21. Februar 2017 abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 7. November 2017 ab. Nach der mit Bescheid vom 10. August 2017 erfolgten Aussetzung der Vollziehung bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis für einen solchen Antrag, weil die Klägerin nicht mehr vollziehbar ausreisepflichtig sei.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_6">6</a>
</dt>
<dd>
<p>Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 26. Januar 2018 den Bescheid vom 18. Januar 2017 aufgehoben. Die Zuständigkeit für die Entscheidung über den Asylantrag sei zwischenzeitlich auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen, weil durch die behördliche Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO die Überstellungsfrist nicht erneut unterbrochen worden sei. Grundsätzlich könne zwar eine behördliche Aussetzungsentscheidung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO, Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO zur Unterbrechung der Überstellungsfristen führen. Dies erfordere aber Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung, welche nicht vorgelegen hätten. Die Überstellungsfrist sei damit im Zeitpunkt des Urteils abgelaufen gewesen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_7">7</a>
</dt>
<dd>
<p>Mit ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision macht die Beklagte geltend, das Verwaltungsgericht habe die Anforderungen an eine behördliche Aussetzungsentscheidung fehlerhaft zu eng bestimmt. Für eine Beschränkung der Vollzugsaussetzung auf die Fälle, in welchen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung bestünden, sei nichts Stichhaltiges erkennbar. Der Wortlaut von § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO lasse eine einengende Interpretation nicht zu. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO stelle ersichtlich einen Sonderfall dar. Nichts anderes folge aus dem Unionsrecht. Es sei nicht erkennbar, dass Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO allein dem Interesse des Drittstaatsangehörigen zu dienen bestimmt sei. Zwar verfolge das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren der Dublin III-VO auf der einen Seite das Ziel einer zügigen Bearbeitung von Asylanträgen. Auf der anderen Seite solle aber auch die Sekundärmigration verhindert werden. Der dem Dublin-System innewohnende Beschleunigungsgedanke verlange ebenfalls keine einengende Interpretation, weil die Verzögerung durch das rechtliche Vorgehen der Klägerin verursacht worden sei.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_8">8</a>
</dt>
<dd>
<p>Die Klägerin verteidigt die angegriffene Entscheidung. Behördliche Aussetzungsentscheidungen hätten auf den Ablauf der Überstellungsfrist keinen Einfluss, weil Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO auf eine aufschiebende Wirkung abstelle, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe oder durch ein Gericht angeordnet werde. Das Bundesamt sei kein Gericht im vorgenannten Sinne. Zudem schließe § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG als vorrangige Spezialregelung die Anwendbarkeit von § 80 Abs. 4 VwGO aus. § 34a Abs. 1 AsylG setze für den Erlass einer Abschiebungsanordnung voraus, dass die Abschiebung durchgeführt werden könne. Komme die Behörde zu der Überzeugung, dass die Abschiebungsanordnung nicht vollzogen werden könne, sei diese aufzuheben.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_9">9</a>
</dt>
<dd>
<p>In der Annahme, dass mit Blick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 2018 - 2 BvR 780/16 - der Abschluss des Verfassungsbeschwerdeverfahrens zu erwarten sei, nicht aber absehbar sei, dass kurzfristig das bei dem Bundesverwaltungsgericht anhängige Revisionsverfahren zum Abschluss kommen werde, hat das Bundesamt mit Bescheid vom 29. Juni 2018 die Vollziehung der Abschiebungsanordnung aus dem Bescheid vom 18. Januar 2017 bis zur Beendigung des Revisionsverfahrens ausgesetzt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_10">10</a>
</dt>
<dd>
<p>Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich am Verfahren nicht beteiligt.</p>
</dd>
</dl>
</div>
<h2>Entscheidungsgründe</h2>
<div>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_11">11</a>
</dt>
<dd>
<p>Die form- und fristgerecht eingelegte Sprungrevision der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Verfahrensbeteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet. Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, die behördliche Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheides nach § 80 Abs. 4 VwGO habe die Überstellungsfrist nicht unterbrochen, sodass die Bundesrepublik Deutschland zuständiger Mitgliedstaat geworden sei, verstößt gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO) (1.). Hinsichtlich der Unzulässigkeitsentscheidung erweist sich das Urteil auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO); insoweit bedarf es weiterer tatsächlicher Feststellungen durch das Verwaltungsgericht. (2.). Die Zurückverweisung hindert eine abschließende Entscheidung auch zu den weiteren Regelungen des angegriffenen Bescheides (3.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_12">12</a>
</dt>
<dd>
<p>Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens sind das Asylgesetz (AsylG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch das am 12. Dezember 2018 in Kraft getretene Dritte Gesetz zur Änderung des Asylgesetzes vom 4. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2250), die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1991 (BGBl. I S. 686), zuletzt geändert durch das am 1. November 2018 in Kraft getretene Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage vom 12. Juli 2018 (BGBl. I S. 1151) sowie die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 S. 31) - Dublin III-VO -. Da es sich um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Tatsachengericht nach § 77 Abs. 1 AsylG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es seiner Entscheidung, wenn es diese nunmehr träfe, die während des Revisionsverfahrens in Kraft getretenen Änderungen zugrunde legen, soweit nicht hiervon eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_13">13</a>
</dt>
<dd>
<p>1. Die Klage ist, soweit sie sich gegen die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des Bescheides des Bundesamtes richtet, als Anfechtungsklage statthaft (BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2015 - 1 C 32.14 - BVerwGE 153, 162 Rn. 13 f.) und auch im Übrigen zulässig, aber nicht begründet. Das Bundesamt hat insoweit seine Entscheidung zu Recht auf § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gestützt. Ein Asylantrag ist hiernach unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO oder aufgrund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist (1.1). Diese Zuständigkeit ist hier auch in der Folgezeit nicht durch Ablauf der Überstellungsfrist (Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO) auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen (1.2).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_14">14</a>
</dt>
<dd>
<p>1.1 Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass - vorbehaltlich einer Prüfung nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO - für die Durchführung des Asylverfahrens die Republik Italien originär zuständig war, weil sich eine anderweitige vorrangige Zuständigkeit nach Kapitel III der Dublin III-VO (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO) nicht bestimmen ließ und daher der Mitgliedstaat - hier die Republik Italien - zuständig war, über den die Klägerin ohne die erforderlichen Einreisepapiere und damit im Sinne des Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO illegal (s.a. Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, Stand Februar 2014, Art. 13 Anm. K6) in das Unionsgebiet eingereist ist und in dem sie im Eurodac-System erfasst worden ist (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO). Die Beklagte hat die Republik Italien fristgerecht um Aufnahme der Klägerin ersucht (Art. 21 Abs. 2, 3 Dublin III-VO). Dieses Aufnahmegesuch gilt nach Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO als angenommen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_15">15</a>
</dt>
<dd>
<p>1.2 Diese Zuständigkeit ist auch nicht nachträglich auf die Beklagte übergegangen. Zu einem hier allein in Betracht kommenden Zuständigkeitsübergang durch Ablauf der Überstellungsfristen des Art. 29 Dublin III-VO (1.2.1) ist es nicht gekommen, weil die mit der Annahme des Aufnahmegesuchs in Lauf gesetzte Frist jeweils vor ihrem Ablauf wirksam unterbrochen worden ist (1.2.2), und zwar entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts auch durch die behördliche Aussetzung der Vollziehung (§ 80 Abs. 4 VwGO) durch das Bundesamt (1.2.3). Hierzu hat der Senat in seinem Urteil vom 8. Januar 2019 - BVerwG 1 C 16.18 - ausgeführt:</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>"1.2.1 In Fällen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats als des Mitgliedstaats, in dem sich der Antragsteller aufhält, regelt Art. 29 Dublin III-VO die Modalitäten und Fristen der Überstellung. Nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO erfolgt die Überstellung, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Annahme des (Wieder-)Aufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat (Alt. 1) oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat (Alt. 2). Verzögert sich die Überstellung wegen eines Rechtsbehelfsverfahrens mit aufschiebender Wirkung, ist der zuständige Mitgliedstaat hierüber unverzüglich zu unterrichten (Art. 9 Abs. 1 der Verordnung <EG> Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung <EG> Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist <ABl. L 222 S. 3>). Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO nicht mehr zur (Wieder-)Aufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>1.2.2 Nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Alt. 1 Dublin III-VO ist hier die sechsmonatige Überstellungsfrist erstmals nach der Annahme des Wiederaufnahmeersuchens durch die österreichischen Behörden vom 6. April 2017 in Lauf gesetzt worden. Zutreffend geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass die so in Lauf gesetzte Überstellungsfrist durch den fristgemäß gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung vom 16. Juni 2017 - welcher kraft Gesetzes ein Überstellungsverbot auslöst (vgl. § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG i.V.m. Art. 27 Abs. 3 Buchst. c Satz 2 Dublin III-VO) - unterbrochen worden ist (Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Alt. 2 Dublin III-VO), worüber das Bundesamt die österreichischen Behörden auch informiert hat. Mit Ergehen der ablehnenden gerichtlichen Eilentscheidung vom 28. Juni 2017 wurde die sechsmonatige Überstellungsfrist erneut in Gang gesetzt (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2016 - 1 C 15.15 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 83 Rn. 11 und Beschluss vom 27. April 2016 - 1 C 22.15 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 81 Rn. 18 ff.). Die Überstellungsfrist wird wegen des kraft Gesetzes damit verbundenen, verfahrenssichernden Überstellungsverbots (§ 34a Abs. 2 AsylG; s.a. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 [ECLI:EU:C:2018:465] -) auch in solchen Fällen unterbrochen, in denen ein gerichtlicher Eilantrag im Ergebnis ohne Erfolg bleibt oder nicht beschieden wird (a.A. wohl Österreichischer Verwaltungsgerichtshof, Entscheidung vom 14. Dezember 2017 - Ra 2015/20/0231-16 - und Schweizerisches Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19. November 2014 - E-3971/2013 -). Aus den Gründen seines Beschlusses vom 27. April 2016 - 1 C 22.15 - (Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 81 Rn. 18 ff.) hält es der Senat in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union weiterhin für geklärt (s. nur EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 [ECLI:EU:C:2009:41], Petrosian - Rn. 40 ff., 44), dass auch in Fällen, in denen eine Überstellung kraft Gesetzes oder kraft wirksamer Einzelfallentscheidung lediglich zeitweise ausgeschlossen war, die Mitgliedstaaten über eine zusammenhängende Frist von sechs Monaten verfügen müssen, die sie in vollem Umfang zur Regelung der technischen Probleme für die Bewerkstelligung der Überstellung sollen nutzen dürfen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>1.2.3 Die Überstellungsfrist, die mit dem Beschluss, mit dem der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes abgelehnt worden ist, neu in Lauf gesetzt worden ist, ist vor ihrem Ablauf wirksam durch die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO durch den Bescheid des Bundesamtes vom 17. August 2017 erneut unterbrochen worden. Diese Unterbrechung, die den österreichischen Behörden zudem auch mitgeteilt worden ist, dauerte im Zeitpunkt des Urteils des Verwaltungsgerichts an und hinderte den - vom Verwaltungsgericht zu Unrecht angenommenen - Übergang der Zuständigkeit auf die Bundesrepublik Deutschland.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>a) Die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO durch die Behörde ist generell geeignet, die in Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO vorgesehene Überstellungsfrist zu unterbrechen (EuGH, Urteil vom 13. September 2017 - C-60/16 [ECLI:EU:C:2017:675], Khir Amayry - Rn. 71; BVerwG, Urteil vom 9. August 2016 - 1 C 6.16 - BVerwGE 156, 9 Rn. 18). Nach Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die zuständigen Behörden beschließen können, von Amts wegen tätig zu werden, um die Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung auszusetzen. Diese unionsrechtlich vorgesehene Möglichkeit wird im nationalen Recht durch § 80 Abs. 4 VwGO eröffnet.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Nichts anderes folgt für die Unterbrechungswirkung daraus, dass Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO nicht auch auf Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO Bezug nimmt. Nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO ist allein entscheidend, dass ein Rechtsbehelf im Sinne des Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat und daher eine Überstellung nicht durchgeführt werden kann. Die in Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO den Mitgliedstaaten eröffnete Möglichkeit, dass auch die zuständigen Behörden die Durchführung der Überstellungsentscheidung aussetzen können, erweitert lediglich die Fallgruppen, in denen einem Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung im Sinne des Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO zukommt. Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO verlöre im Übrigen in weitem Maße seine praktische Wirksamkeit, wenn die Regelung nicht angewendet werden könnte, ohne dass die Gefahr bestünde, dass die Überstellungsfrist abläuft und ein Zuständigkeitsübergang die Folge wäre (EuGH, Urteil vom 13. September 2017 - C-60/16 - Rn. 71).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>b) Die Wirkung, die Überstellungsfrist neuerlich zu unterbrechen, entfällt bei der Aussetzungsentscheidung vom 17. August 2017 nicht deswegen, weil diese rechtswidrig wäre. Vielmehr hält sie sich in den Grenzen, die durch das nationale Recht und Unionsrecht vorgegeben sind.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>aa) Nach § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO haben die Behörden grundsätzlich die Befugnis, nach Ermessen die Vollziehung auszusetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Regelungen des Asylgesetzes schließen eine behördliche Aussetzung nach § 80 Abs. 4 VwGO nicht aus. § 34a AsylG ordnet allerdings an, dass u.a. in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG die Abschiebung anzuordnen ist, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann (Abs. 1), und enthält Sonderregelungen zu der Frist, die bei einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu beachten ist, sowie zu einem Verbot der Abschiebung vor der gerichtlichen Entscheidung (Abs. 2). Damit ist aber die behördliche Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 VwGO weder ausdrücklich noch der Sache nach ausgeschlossen. Namentlich können auch bei einer im Sinne des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG rechtlich und tatsächlich möglichen Abschiebung Gründe vorliegen, die es rechtfertigen, deren Vollziehung - etwa zur Sicherung der Effektivität gerichtlichen Rechtsschutzes - vorübergehend bis zu einer abschließenden gerichtlichen Klärung auszusetzen. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gebietet in solchen Fällen - entgegen der Auffassung der Klägerseite - nicht, die Abschiebungsanordnung aufzuheben, was die endgültige gerichtliche Klärung gerade verhinderte. Denn selbst bei nach Erlass der Abschiebungsanordnung auftretenden Abschiebungsverboten oder Duldungsgründen ist das Bundesamt nicht verpflichtet, die Abschiebungsanordnung nach § 48 VwVfG aufzuheben; namentlich bei vorübergehenden Abschiebungshindernissen kann es deren Vollziehung auch (vorläufig) aussetzen (s.a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14 - Asylmagazin 2014, 341). Auch aus weiteren Regelungen des Asylgesetzes ergibt sich kein bundesgesetzlicher Ausschluss des § 80 Abs. 4 VwGO im Asylverfahren; § 36 Abs. 4 AsylG etwa regelt allein den Maßstab für die gerichtliche Anordnung der Aussetzung der Abschiebung und schließt weitergehende behördliche Aussetzungsentscheidungen nicht aus.</p>
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<p>§ 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO beschränkt das behördliche Aussetzungsermessen für das Asylverfahren ebenfalls nicht. Hiernach 'soll' die Aussetzung bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Dieser auf die (qualifizierte) Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bezogene Maßstab ist auf die Vollziehbarkeit sonstiger Verwaltungsakte weder unmittelbar noch - entgegen im Schrifttum teilweise vertretener Ansicht (s. etwa Gersdorf, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 47. Edition, Stand 1. Juli 2018, § 80 Rn. 126) - entsprechend anzuwenden (s. nur BVerwG, Beschluss vom 17. September 2001 - 4 VR 19.01 - Buchholz 310 § 80 VwGO Nr. 66 S. 3 f.).</p>
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</dl>
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<dd>
<p>bb) Unionsrecht setzt in Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO eine behördliche Aussetzung der Vollziehung voraus, steht also § 80 Abs. 4 VwGO gerade nicht entgegen. Es setzt aber dem nach nationalem Recht (§ 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO) eröffneten weiten Handlungsspielraum durch unionsrechtliche Vorgaben (vgl. insbesondere Art. 27 und 28 Dublin III-VO) gewisse Grenzen. Diese Beschränkungen ergeben sich daraus, dass die behördliche Aussetzungsentscheidung den Antragsteller nicht nur begünstigt, indem aufenthaltsbeendende Maßnahmen auf der Grundlage der Abschiebungsanordnung zunächst nicht mehr erfolgen können, sondern mittelbar auch belastet, weil sie die Überstellungsfrist unterbricht und so dazu führen kann, dass ein vom Antragsteller möglicherweise erstrebter Zuständigkeitsübergang nicht erfolgt; zu berücksichtigen sind auch die Belange des zuständigen Mitgliedstaats.</p>
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<p>Mindestvoraussetzung einer behördlichen Aussetzungsentscheidung nach § 80 Abs. 4 VwGO ist, dass der Antragsteller einen Rechtsbehelf gegen die Abschiebungsanordnung eingelegt hat (Art. 27 Abs. 4 und Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO). Weitere Grenzen folgen aus dem von Art. 27 Abs. 3 und 4 i.V.m. Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO angestrebten Ziel eines angemessenen Ausgleichs zwischen einerseits der Gewährung effektiven Rechtsschutzes und der Ermöglichung einer raschen Bestimmung des für die inhaltliche Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats (vgl. Erwägungsgrund 5 zur Dublin III-VO) und andererseits dem Ziel zu verhindern, dass sich Asylbewerber durch Weiterwanderung den für die Prüfung ihres Asylbegehrens zuständigen Mitgliedstaat aussuchen (Verhinderung von Sekundärmigration) (BVerwG, Urteil vom 27. April 2016 - 1 C 24.15 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 82 Rn. 13). Der Zuständigkeitsübergang nach Ablauf der Überstellungsfrist soll verhindern, dass Asylanträge monate- oder gar jahrelang nicht geprüft werden, zugleich soll das Ziel einer möglichst schnellen Prüfung nicht dazu führen, dass dem jeweiligen Mitgliedstaat keine zusammenhängende Überstellungsfrist von sechs Monaten zur Verfügung steht, in der nur noch die Überstellungsmodalitäten zu regeln sind (EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 - Rn. 43 ff.) oder der Beschleunigungsgedanke zulasten eines effektiven Rechtsschutzes verwirklicht wird (vgl. § 27 Abs. 3 und 4 Dublin III-VO).</p>
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</dl>
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<dd>
<p>Eine behördliche Aussetzungsentscheidung darf hiernach auch unionsrechtlich jedenfalls dann ergehen, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung bestehen (so bereits BVerwG, Urteil vom 9. August 2016 - 1 C 6.16 - BVerwGE 156, 9 Rn. 18); dann haben die Belange eines Antragstellers auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes offenkundig Vorrang vor dem Beschleunigungsgedanken. Die Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes (s.a. Art. 46 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes <ABl. L 180 S. 60>) erlaubt eine behördliche Aussetzung aus sachlich vertretbaren Erwägungen, die nicht rechtlich zwingend sein müssen, auch unterhalb dieser Schwelle, wenn diese den Beschleunigungsgedanken und die Interessen des zuständigen Mitgliedstaats nicht willkürlich verkennen und auch sonst nicht missbräuchlich sind. Das vorliegende Verfahren gibt dabei keinen Anlass zur abschließenden Klärung dieser Willkür- oder Missbrauchsschwelle; sie wird aber dann überschritten sein, wenn bei klarer Rechtslage und offenkundig eröffneter Überstellungsmöglichkeit die behördliche Aussetzungsentscheidung allein dazu dient, die Überstellungsfrist zu unterbrechen, weil sie aufgrund behördlicher Versäumnisse ansonsten nicht (mehr) gewahrt werden könnte.</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p>cc) Die Aussetzungsentscheidung des Bundesamtes vom 17. August 2017 ist nach diesen Grundsätzen beachtlich und hat die Überstellungsfrist neuerlich unterbrochen.</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p>(1) Dem unionsrechtlichen Mindesterfordernis, dass der Kläger einen Rechtsbehelf im Sinne des Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO eingelegt hat, ist mit der am 16. Juni 2017 erhobenen und zum Zeitpunkt der Aussetzungsentscheidung weiterhin anhängigen Klage, die sich auch gegen die Abschiebungsanordnung richtet, entsprochen. Keine andere Beurteilung ergibt sich daraus, dass der Kläger auch einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt hatte, der erfolglos geblieben ist. Unionsrecht verbietet den Mitgliedstaaten jedenfalls nicht, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen oder Überstellungsmaßnahmen auch dann abzusehen, wenn zwar eine erste gerichtliche Überprüfung der Überstellungsentscheidung nicht zur Gewährung aufschiebender Wirkung geführt hat, über den Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung aber noch nicht endgültig entschieden ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p>(2) Die Aussetzungsentscheidung des Bundesamtes ist hier jedenfalls durch die von dem Kläger erhobene Verfassungsbeschwerde, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und die auf Bitte des Bundesverfassungsgerichts vom Bundesamt erteilte Stillhalteerklärung sachlich gerechtfertigt.</p>
</dd>
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<dd>
<p>Die Verfassungsbeschwerde entfaltet als außerordentlicher Rechtsbehelf selbst keine aufschiebende Wirkung. Diese wird auch nicht schon durch eine formlose Bitte des Bundesverfassungsgerichts bewirkt, zur Verfahrenssicherung bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde von Vollziehungsmaßnahmen abzusehen. Nicht zu vertiefen ist, welche Rechtsqualität einer solchen 'Stillhaltebitte' des Bundesverfassungsgerichts und einer entsprechenden behördlichen Erklärung zukommt, namentlich dann, wenn sie dem Antragsteller (und Verfassungsbeschwerdeführer) nicht mitgeteilt wird. Diese - auf die Wahrung der Effektivität auch des nationalen Verfahrens der Verfassungsbeschwerde bezogenen - Vorgänge sind jedenfalls ein hinreichender, sachlich rechtfertigender Anlass für eine behördliche Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 VwGO. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts, durch den der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO abgelehnt worden ist, entfaltet gegenüber einer behördlichen Aussetzungsanordnung nach § 80 Abs. 4 VwGO keine Sperrwirkung; dies gilt insbesondere dann, wenn diese gerichtliche Entscheidung ihrerseits Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p>Die behördliche Aussetzungsentscheidung war hier schon deswegen sachlich geboten, frei von Willkür und nicht rechtsmissbräuchlich, weil sie die Berücksichtigung der Effektivität verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes sicherstellte, ohne eine endgültige Veränderung der Rechtslage durch einen Zuständigkeitsübergang infolge Ablaufs der Überstellungsfrist zu bewirken. Bereits nach nationalem Recht führen die Erhebung der Verfassungsbeschwerde und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht nach Art. 27 Abs. 3 i.V.m. Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO zu einer Unterbrechung der Überstellungsfrist. Dazu bedurfte es der - hier auch erfolgten - behördlichen Aussetzungsentscheidung. Neben der Effektivierung des Rechtsschutzes des Klägers - erst mit der behördlichen Aussetzungsentscheidung stand für diesen fest, dass während des verfassungsgerichtlichen Verfahrens nicht mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu rechnen sei - dient die behördliche Aussetzungsanordnung auch der Klarstellung im Verhältnis zu dem zuständigen Mitgliedstaat, dass der Lauf der Überstellungsfrist (erneut) unterbrochen worden ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p>Dem Interesse des Klägers an einer zeitnahen Klärung der internationalen Zuständigkeit für die Sachentscheidung über seinen Asylantrag kommt dabei hier kein ausschlaggebendes Gewicht zu. Mit der behördlichen Aussetzungsanordnung hat das Bundesamt der Sache nach (vorläufig) seinem Rechtsschutzbegehren, vor der endgültigen Klärung der internationalen Zuständigkeit nicht aus dem Bundesgebiet abgeschoben zu werden, entsprochen, welches er zunächst mit dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung und nachfolgend mit der mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundenen Verfassungsbeschwerde verfolgt hat. Das mögliche Ziel, damit auch einen Zuständigkeitsübergang zu erwirken, wäre weder nach nationalem noch nach Unionsrecht schutzwürdig.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>1.2.4 Nicht zu vertiefen ist, ob der Senat einen Ablauf der Überstellungsfrist während des Revisionsverfahrens berücksichtigen könnte, weil auch während des Revisionsverfahrens die Überstellungsfrist nicht abgelaufen ist. Das Bundesamt hatte die Überstellung lediglich bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde oder den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ausgesetzt. Diese Aussetzung ist mit der Rücknahme der Verfassungsbeschwerde durch den Kläger gegenstandslos geworden, weil sie erkennbar zur Sicherung des durch Rücknahme beendeten verfassungsgerichtlichen Verfahrens ergangen ist. Die damit neu in Lauf gesetzte Überstellungsfrist ist indes vor ihrem Ablauf zur Sicherung des Revisionsverfahrens durch eine erneute Aussetzungsentscheidung des Bundesamtes nach § 80 Abs. 4 VwGO unterbrochen worden. Auch diese Aussetzungsentscheidung genügt angesichts der im Revisionsverfahren zu klärenden Grundsatzfrage den nach nationalem und Unionsrecht zu stellenden Anforderungen. Dies gilt umso mehr, als durch das der Klage stattgebende erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts in der Hauptsache ungeachtet der von der Beklagten eingelegten Revision nunmehr selbst 'ernstliche Zweifel' an der Abschiebungsanordnung begründet worden sind. Diese neue Verfahrenslage durfte das Bundesamt der Beklagten sachgerecht und willkürfrei zum Anlass der neuerlichen Aussetzung nehmen."</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_16">16</a>
</dt>
<dd>
<p>Diese Erwägungen, an denen der Senat festhält, gelten auch im vorliegenden Verfahren.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_17">17</a>
</dt>
<dd>
<p>2. Das stattgebende Urteil zur Ablehnung des Asylantrags als unzulässig erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_18">18</a>
</dt>
<dd>
<p>2.1 Die Bundesrepublik Deutschland war nicht verpflichtet, von ihrem gemäß Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 Dublin III-VO bestehenden Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Offenbleiben kann dabei, ob ein Antragsteller sich im gerichtlichen Verfahren auf eine etwa fehlerhafte Betätigung des durch Art. 17 Dublin III-VO eingeräumten Ermessens berufen kann (nicht eindeutig insoweit EuGH, Urteil vom 16. Februar 2017 - C-578/16 PPU [ECLI:EU:C:2017:127] - Rn. 88). Jedenfalls sind vorliegend die Voraussetzungen für eine Reduktion des den nationalen Behörden in Art. 17 Dublin III-VO eingeräumten Ermessens zum Selbsteintritt wegen unangemessen langer Verfahrensdauer (vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - C-4/11 [ECLI:EU:C:2013:740], Puid - Rn. 35 <noch zu Art. 3 Abs. 2 der Verordnung [EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist - Dublin II-VO ->) nicht erfüllt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_19">19</a>
</dt>
<dd>
<p>2.2 Der Senat kann mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen nicht abschließend beurteilen, ob der Feststellung der anderweitigen internationalen Zuständigkeit der Republik Italien hier entgegenstand, dass die Zuständigkeit wegen sog. systemischer Mängel des dortigen Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen (vgl. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO und EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 [ECLI:EU:C:2011:865], N. S. u.a. -; EGMR <GK>, Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09, M. S. S./Belgien und Griechenland - NVwZ 2011, 413) auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_20">20</a>
</dt>
<dd>
<p>2.2.1 Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO verlangt eine weitergehende Prüfung der internationalen Zuständigkeit allerdings nur und erst dann, wenn sich die Überstellung in den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat als unmöglich erweist, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen. Nach dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 - Rn. 79 ff.) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylantragsteller in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Konvention für Menschenrechte und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht (s.a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Dezember 2017 - 2 BvR 1872/17 - EuGRZ 2018, 69 Rn. 19). An die Widerlegung dieser Vermutung sind hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylantragsteller regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass diesem im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 - NVwZ 2014, 1039 <1040>).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_21">21</a>
</dt>
<dd>
<p>2.2.2 Das Verwaltungsgericht hat - nach seiner Rechtsauffassung, dass die Zuständigkeit bereits durch Fristablauf übergegangen sei, folgerichtig - im Klageverfahren keine tatrichterlichen Feststellungen zu den tatsächlichen Verhältnissen getroffen, welche für die Beurteilung eines Zuständigkeitsübergangs nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO maßgeblich sind. Soweit das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 21. Februar 2017 einen Zuständigkeitsübergang mit Blick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in der Republik Italien geprüft und verneint hatte, hat es sich diese Ausführungen in seinem Urteil nicht ausdrücklich zu eigen gemacht und auch nicht geprüft, ob sich die Verhältnisse in der Republik Italien bis zu dem für seine Entscheidung im Klageverfahren maßgeblichen Zeitpunkt in entscheidungserheblicher Weise verändert hatten.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_22">22</a>
</dt>
<dd>
<p>Unabhängig von der Frage, ob die Beteiligten Umstände vorgetragen haben, welche die Vermutung für eine ordnungsgemäße Behandlung von Asylantragstellern in der Republik Italien substantiell erschüttern könnten, kann ein solcher Ausnahmefall ohne entsprechende tatrichterliche Feststellung revisionsgerichtlich jedenfalls nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden. In der veröffentlichten Rechtsprechung waren zwar systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in der Republik Italien überwiegend - jedenfalls für gesunde, alleinstehende junge Personen - verneint worden (statt vieler OVG Münster, Urteil vom 24. August 2016 - 13 A 63/16.A -; VG Magdeburg, Urteil vom 27. April 2017 - 8 A 674/16 -; VG Trier, Beschluss vom 20. Juli 2017 - 5 L 7778/17.TR -; VG Braunschweig, Urteil vom 26. September 2017 - 7 A 338/16 -; VG Köln, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 19 K 5869/16.A -; VG Freiburg, Beschluss vom 10. Januar 2018 - A 4 K 6049/17 -; VG Augsburg, Urteil vom 22. Januar 2018 - Au 5 K 17.50400 - und VG Bayreuth, Beschluss vom 26. Januar 2018 - B 5 S 18.50036 -). Bereits Art und Umfang der hierauf bezogenen Erwägungen in jenen Entscheidungen, die im Ergebnis das Vorliegen systemischer Mängel verneint haben, belegen indes, dass Anlass für eine dem Tatrichter vorzubehaltende Aufbereitung und Bewertung der vorhandenen Erkenntnisquellen bestand. Es kommt hinzu, dass einige Verwaltungsgerichte (s. etwa VG Hannover, Urteile vom 23. Januar 2018 - 10 A 5850/17 und 10 A 6779/17 -; vom 25. Januar 2018 - 10 A 10685/17 und 10 A 5810/17 -; vom 26. Januar 2018 - 10 A 5881/17 - und vom 30. Januar 2018 - 10 A 7134/17 -; s.a. - für die Rückführung junger Volljähriger - VG Berlin, Beschluss vom 4. Dezember 2017 - 28 L 209.17 A -; für anerkannte international Schutzberechtigte s.a. VG Minden, Urteil vom 29. November 2017 - 10 K 1823/15.A -) aufgrund der zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorliegenden Erkenntnisse nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO beachtliche Schwachstellen des Asylsystems und der Aufnahmebedingungen in der Republik Italien angenommen haben. Daran ändert nichts, dass diese Entscheidungen teils im Berufungsrechtszug keinen Bestand hatten (zu der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Hannover s. etwa OVG Lüneburg, Urteil vom 9. April 2018 - 10 LB 92/17 -). Denn für das Revisionsverfahren kommt es nicht darauf an, welche Bewertung der tatsächlichen Verhältnisse in der Republik Italien im Ergebnis sachlich richtig ist; entscheidend ist, ob der Senat diese Feststellung und Bewertung ohne tatsächliche Feststellungen treffen darf. Dies ist nicht der Fall, sodass der Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_23">23</a>
</dt>
<dd>
<p>3. Die Aufhebung des verwaltungsgerichtlichen Urteils zu der Frage, ob die Entscheidung der Beklagten zu der Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG rechtmäßig ist, lässt auch keine abschließende Beurteilung der Rechtmäßigkeit der behördlichen Folgeentscheidungen in dem Bescheid zu, nämlich der Feststellung, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Ziffer 2), der Abschiebungsanordnung (Ziffer 3) und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (Ziffer 4).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_24">24</a>
</dt>
<dd>
<p>4. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.</p>
</dd>
</dl>
</div>
|
175,061 | eugh-2019-01-09-c-62016 | {
"id": 2,
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<p class="C36Centre">MACIEJ SZPUNAR</p>
<p class="C36Centre">vom 9. Januar 2019(<a href="#Footnote1" name="Footref1">1</a>)</p>
<p class="C38Centregrasgrandespacement">
<b>Rechtssache C</b>‑<b>620/16</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Europäische Kommission</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>gegen</b>
</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Bundesrepublik Deutschland</b>
</p>
<p class="C71Indicateur">„Vertragsverletzung – Art. 258 AEUV – Beschluss des Rates 2014/699/EU – Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit – Art. 4 Abs. 3 EUV – Zulässigkeit – In der Vergangenheit liegendes Verhalten – Weigerung der Bundesrepublik Deutschland, ihr Stimmrecht bei der 25. Sitzung des OTIF‑Revisionsausschusses gemäß dem Beschluss des Rates auszuüben“</p>
<br/>
<br/>
<br/>
<br/>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C21Titrenumerote1">I.      <b>Einleitung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point1">1.</a>        Sowohl die Europäische Union (im Folgenden auch: Union) als auch 26 ihrer Mitgliedstaaten sind Parteien des Übereinkommens über den internationalen Eisenbahnverkehr vom 9. Mai 1980 in der Fassung des Änderungsprotokolls von Vilnius vom 3. Juni 1999 (im Folgenden: COTIF), das von der Zwischenstaatlichen Organisation für den internationalen Eisenbahnverkehr, einer internationalen Organisation mit Sitz in Bern, verwaltet wird. Zur Vorbereitung einer Sitzung dieser Organisation erließ der Rat am 24. Juni 2014 den Beschluss 2014/699/EU(<a href="#Footnote2" name="Footref2">2</a>), in dem die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten hinsichtlich der Ausübung der Stimmrechte bei dieser Sitzung festgelegt wurde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point2">2.</a>        Die Ereignisse im Anschluss daran führten zu zwei Verfahren vor dem Gerichtshof: erstens zu einer von der Bundesrepublik Deutschland erhobenen Nichtigkeitsklage gegen den Rat, die vor allem darauf gestützt wurde, dass die Union nicht zuständig gewesen sei, den Beschluss zu erlassen (diese Klage wurde vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 5. Dezember 2017, Deutschland/Rat abgewiesen)(<a href="#Footnote3" name="Footref3">3</a>); zweitens zu einem von der Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren, dem Gegenstand der vorliegenden Rechtssache.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point3">3.</a>        Mit ihrer Klage gemäß Art. 258 AEUV beantragt die Kommission, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus dem Beschluss 2014/699 und aus Art. 4 Abs. 3 EUV verstoßen hat, indem sie nicht im Einklang mit diesem Beschluss abgestimmt und im Zusammenhang mit dieser Sitzung öffentlichen Widerspruch gegen dessen Inhalt geäußert hat.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point4">4.</a>        Diese Rechtssache wirft grundlegende Fragen auf hinsichtlich der Zulässigkeit von Vertragsverletzungsklagen, wenn das vorgeworfene vertragsverletzende Verhalten in der Vergangenheit liegt und seine Rechtswirkungen angeblich bereits erschöpft sind. Insoweit bietet sich dem Gerichtshof die Gelegenheit, seine Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Vertragsverletzungsklagen weiter zu präzisieren.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point5">5.</a>        Darüber hinaus wird an dieser Rechtssache die Bedeutung des in Art. 4 Abs. 3 EUV niedergelegten Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit im Zusammenhang mit den Außenbeziehungen der Europäischen Union deutlich, und zwar insbesondere in Situationen, in denen dieser Grundsatz zu anderen als den in sonstigen unionsrechtlichen Bestimmungen niedergelegten Rechtswirkungen führt. In dieser Hinsicht veranschaulicht das vorliegende Verfahren den Umstand, auf den bereits im Schrifttum hingewiesen wurde, dass es in der Praxis nicht immer einfach ist, den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung(<a href="#Footnote4" name="Footref4">4</a>) von anderen Grundsätzen, etwa dem in Art. 4 Abs. 3 EUV niedergelegten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, zu „isolieren“(<a href="#Footnote5" name="Footref5">5</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point6">6.</a>        Meine Prüfung dieser Rechtssache führt mich dazu, dem Gerichtshof vorzuschlagen, die Vertragsverletzungsklage der Kommission für sowohl zulässig als auch begründet zu befinden.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">II.    <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      <b>Völkerrecht</b>
</p>
<p class="C23Titrenumerote3">1.      <b>COTIF</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point7">7.</a>        Das COTIF trat am 1. Juli 2006 in Kraft. Die Parteien des COTIF – 49 Staaten, darunter alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union (mit Ausnahme der Republik Zypern und der Republik Malta) – bilden die Zwischenstaatliche Organisation für den internationalen Eisenbahnverkehr (im Folgenden: OTIF). Die Europäische Union ist dem COTIF mit Wirkung vom 1. Juli 2011 beigetreten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point8">8.</a>        Nach Art. 2 § 1 COTIF ist es das Ziel der OTIF, den internationalen Eisenbahnverkehr in jeder Hinsicht zu fördern, zu verbessern und zu erleichtern, indem sie insbesondere einheitliche Rechtsordnungen für verschiedene, den internationalen Eisenbahnverkehr betreffende Rechtsbereiche aufstellt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point9">9.</a>        Der OTIF‑Revisionsausschuss besteht grundsätzlich aus allen Parteien des COTIF. Nach Art. 17 § 1 Buchst. a und b COTIF entscheidet er im Rahmen seiner Zuständigkeiten über Anträge auf Änderung des COTIF und prüft außerdem die Anträge, die der OTIF‑Generalversammlung zur Entscheidung vorzulegen sind. Die jeweiligen Zuständigkeiten dieser beiden OTIF‑Gremien für Änderungen des COTIF sind in dessen Art. 33 geregelt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point10">10.</a>      Titel VI („Änderung des [COTIF])“ Art. 33 („Zuständigkeiten“) des COTIF lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">§ 2      Die Generalversammlung entscheidet über Anträge auf Änderung des Übereinkommens, soweit in den §§ 4 bis 6 nichts anderes bestimmt ist.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">…</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">§ 4      Vorbehaltlich einer Feststellung der Generalversammlung gemäß § 3 Satz 1 entscheidet der Revisionsausschuss über Anträge auf Änderung der</p>
<p class="C38Marge1doubleretrait">a)      Artikel 9 und 27 §§ 2 bis 5;</p>
<p class="C02AlineaAltA">…</p>
<p class="C11Marge1avecretrait">d)      Einheitlichen Rechtsvorschriften CUV, ausgenommen Artikel 1, 4, 5 und 7 bis 12;</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point11">11.</a>      Art. 35 COTIF („Beschlüsse der Ausschüsse“) lautet:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">„§ 1      Die von den Ausschüssen beschlossenen Änderungen des Übereinkommens werden den Mitgliedstaaten vom Generalsekretär mitgeteilt.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">§ 2      Die vom Revisionsausschuss beschlossenen Änderungen des Übereinkommens selbst treten für alle Mitgliedstaaten am ersten Tage des zwölften Monats nach dem Monat in Kraft, in dem der Generalsekretär sie den Mitgliedstaaten mitgeteilt hat. Innerhalb von vier Monaten, gerechnet vom Tage der Mitteilung, können die Mitgliedstaaten Widerspruch erheben. Erhebt ein Viertel der Mitgliedstaaten Widerspruch, treten die Änderungen nicht in Kraft. Wenn ein Mitgliedstaat innerhalb der Frist von vier Monaten gegen einen Beschluss des Revisionsausschusses Widerspruch erhebt und das Übereinkommen kündigt, wird die Kündigung in dem Zeitpunkt wirksam, der für das Inkrafttreten dieses Beschlusses vorgesehen ist.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">§ 3      Die vom Revisionsausschuss beschlossenen Änderungen der Anhänge zum Übereinkommen treten für alle Mitgliedstaaten am ersten Tage des zwölften Monats nach dem Monat in Kraft, in dem der Generalsekretär sie den Mitgliedstaaten mitgeteilt hat. Die vom Fachausschuss RID oder vom Fachausschuss für technische Fragen beschlossenen Änderungen treten für alle Mitgliedstaaten am ersten Tage des sechsten Monats nach dem Monat in Kraft, in dem der Generalsekretär sie den Mitgliedstaaten mitgeteilt hat.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">§ 4      Innerhalb von vier Monaten, gerechnet vom Tage der Mitteilung des Generalsekretärs nach § 3, können die Mitgliedstaaten Widerspruch erheben. Erhebt ein Viertel der Mitgliedstaaten Widerspruch, treten die Änderungen nicht in Kraft. In den Mitgliedstaaten, die den Beschlüssen rechtzeitig widersprochen haben, ist die Anwendung des jeweiligen Anhangs insgesamt im Verkehr mit und zwischen den Mitgliedstaaten mit dem Inkrafttreten der Beschlüsse ausgesetzt. Jedoch sind bei einem Widerspruch gegen die Verbindlichkeitserklärung einer technischen Norm oder gegen die Annahme einer einheitlichen technischen Vorschrift nur diese im Verkehr mit und zwischen den Mitgliedstaaten mit dem Inkrafttreten der Beschlüsse ausgesetzt; entsprechendes gilt bei einem teilweisen Widerspruch.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point12">12.</a>      Nach Art. 38 § 2 COTIF kann die Europäische Union als regionale Organisation, die dem COTIF beigetreten ist, die Rechte ausüben, die ihren Mitgliedern aufgrund des Übereinkommens zustehen, soweit sie Gegenstände betreffen, die in die Zuständigkeit der regionalen Organisation fallen. Gemäß Art. 38 § 3 COTIF stehen ihr hinsichtlich der Wahrnehmung des Stimmrechts und des in Art. 35 §§ 2 und 4 vorgesehenen Widerspruchsrechts so viele Stimmen zu, wie die Zahl ihrer Mitglieder beträgt, die zugleich Mitgliedstaaten der OTIF sind. Letztere dürfen ihre Rechte, insbesondere das Stimmrecht, nur in dem Umfang wahrnehmen, wie Art. 35 § 2 COTIF es zulässt.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">2.      <b>Beitrittsvereinbarung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point13">13.</a>      Die am 23. Juni 2011 in Bern unterzeichnete Vereinbarung zwischen der Europäischen Union und der [OTIF] über den Beitritt der Europäischen Union zum [COTIF] vom 9. Mai 1980 in der Fassung des Änderungsprotokolls von Vilnius vom 3. Juni 1999 (ABl. 2013, L 51, S. 8, im Folgenden: Beitrittsvereinbarung) ist gemäß ihrem Art. 9 am 1. Juli 2011 in Kraft getreten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point14">14.</a>      Art. 6 dieser Vereinbarung lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)      Bei Beschlüssen in Angelegenheiten, in denen die Union ausschließlich zuständig ist, nimmt die Union die Stimmrechte ihrer Mitgliedstaaten im Rahmen des [COTIF] wahr.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(2)      Bei Beschlüssen in Angelegenheiten, in denen die Union gemeinsam mit ihren Mitgliedstaaten zuständig ist, nehmen entweder die Union oder ihre Mitgliedstaaten an der Abstimmung teil.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(3)      Vorbehaltlich des Artikels 26 Absatz 7 des [COTIF] verfügt die Union über dieselbe Anzahl von Stimmen wie ihre Mitgliedstaaten, die auch Parteien des [COTIF] sind. Wenn die Union an der Abstimmung teilnimmt, sind ihre Mitgliedstaaten nicht stimmberechtigt.</p>
<p class="C02AlineaAltA">(4)      Die Union unterrichtet in jedem einzelnen Fall die anderen Parteien des Übereinkommens, wenn sie bei den verschiedenen Tagesordnungspunkten der Tagungen der Generalversammlung und anderer Entscheidungsgremien die Stimmrechte nach den Absätzen 1 bis 3 ausüben wird. Diese Verpflichtung gilt auch für Beschlüsse, die im schriftlichen Verfahren gefasst werden. Diese Unterrichtung erfolgt frühzeitig genug über das OTIF‑Generalsekretariat, damit die betreffenden Informationen zusammen mit den Sitzungsunterlagen weitergeleitet oder Beschlüsse im schriftlichen Verfahren gefasst werden können.“</p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      <b>Unionsrecht</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point15">15.</a>      Die Beitrittsvereinbarung wurde durch den Beschluss des Rates 2013/103/EU im Namen der Union genehmigt(<a href="#Footnote6" name="Footref6">6</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point16">16.</a>      Laut Art. 5 dieses Beschlusses „[enthält dessen] Anhang III … die internen Regelungen für die Vorbereitung der OTIF‑Sitzungen sowie für die Abgabe von Erklärungen und die Stimmabgabe in diesen Sitzungen“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point17">17.</a>      Anhang III („Interne Regelungen für Rat, Mitgliedstaaten und Kommission in Bezug auf die Verfahren im Rahmen der OTIF“) lautet:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Angesichts der Notwendigkeit einer geschlossenen völkerrechtlichen Vertretung der Union und ihrer Mitgliedstaaten in Einklang mit dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union und der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auch bei der Umsetzung internationaler Verpflichtungen werden der Rat, die Mitgliedstaaten und die Kommission folgende interne Regelungen anwenden:</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      <b>Geltungsbereich</b>
</p>
<p class="C10Marge1">Diese internen Regelungen gelten für alle Sitzungen eines im Rahmen der OTIF eingerichteten Gremiums. Jeder Hinweis auf eine ‚Sitzung‘ im Sinne dieser Regelungen schließt sinngemäß auch Hinweise auf andere Verfahren wie beispielsweise schriftliche Verfahren ein.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      <b>Koordinierungsverfahren</b>
</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.1.      Zur Vorbereitung einer OTIF‑Sitzung – unter anderem der Tagungen der Generalversammlung, des Verwaltungsausschusses und anderer Ausschüsse – finden Koordinierungssitzungen wie folgt statt:</p>
<p class="C12Marge1avectiretlong">–        im Vorfeld der OTIF‑Sitzung in Brüssel in der zuständigen Arbeitsgruppe des Rates (in der Regel die Gruppe ‚Landverkehr‘), so bald wie möglich und so oft wie nötig, sowie zusätzlich</p>
<p class="C12Marge1avectiretlong">–        vor Ort, insbesondere zu Beginn und bei Bedarf während und nach Abschluss einer OTIF‑Sitzung.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.2.      In den Koordinierungssitzungen werden die Standpunkte vereinbart, die nur im Namen der Union oder gegebenenfalls im Namen der Union und ihrer Mitgliedstaaten zu vertreten sind. Standpunkte der Mitgliedstaaten in Angelegenheiten, die in deren ausschließliche Zuständigkeit fallen, können in diesen Sitzungen in die Koordinierung einbezogen werden, wenn die Mitgliedstaaten dies vereinbaren.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.3.      In den Koordinierungssitzungen wird über die Ausübung der Zuständigkeiten in Bezug auf die Erklärungen und Abstimmungen zu jedem Tagesordnungspunkt der OTIF‑Sitzung entschieden, zu dem eine Erklärung abgegeben werden kann oder bei denen mit einer Abstimmung zu rechnen ist.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.4.      Zur Vorbereitung der Koordinierungssitzungen nach Ziffer 2.1 – unter Einschluss der Entwürfe von Erklärungen und Positionspapieren – finden erforderlichenfalls in dem zuständigen Ausschuss, der mit der jeweiligen Unionsrechtsvorschrift für den Eisenbahnverkehr eingesetzt wurde, Vorgespräche statt; hierbei handelt es sich um folgende Ausschüsse:</p>
<p class="C12Marge1avectiretlong">–        Ausschuss für den Gefahrguttransport bei Angelegenheiten, die unter Anlage C des Übereinkommens fallen; sind Aspekte der Eisenbahninteroperabilität oder das im Rahmen der Richtlinie 2004/49/EG entwickelte gemeinsame Sicherheitskonzept betroffen, so ist auch der Ausschuss für Eisenbahninteroperabilität und Eisenbahnsicherheit einzubeziehen;</p>
<p class="C12Marge1avectiretlong">–        Ausschuss für die Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Union bei Angelegenheiten, die unter die Anlagen A, B, D und E des Übereinkommens fallen, sowie bei anderen von der OTIF ausgearbeiteten Systemen einheitlicher Rechtsvorschriften;</p>
<p class="C12Marge1avectiretlong">–        Ausschuss für Eisenbahninteroperabilität und Eisenbahnsicherheit bei Angelegenheiten, die unter die Anlagen F und G des Übereinkommens fallen.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.5.      Vor einer OTIF‑Sitzung gibt die Kommission einen Hinweis darauf, welche Tagesordnungspunkte der Unionskoordinierung unterliegen, und erstellt die Entwürfe von Erklärungen und Positionspapieren, die in Koordinierungssitzungen zu erörtern sind.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.6.      Können die Kommission und die Mitgliedstaaten in Koordinierungssitzungen keinen gemeinsamen Standpunkt – auch wegen Uneinigkeit über die Zuständigkeitsverteilung – erzielen, so wird der Ausschuss der Ständigen Vertreter und/oder der Rat mit der Angelegenheit befasst.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.      <b>Erklärungen und Abstimmungen in OTIF</b>‑<b>Sitzungen</b>
</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.1.      Bei Tagesordnungspunkten, die in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fallen, ergreift die Kommission im Namen der Union das Wort und stimmt in ihrem Namen ab. Nach entsprechender Koordinierung können auch die Mitgliedstaaten das Wort ergreifen, um den Unionsstandpunkt zu unterstützen und/oder zu ergänzen.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.2.      Bei Tagesordnungspunkten, die in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, wird das Rede- und Stimmrecht von den Mitgliedstaaten ausgeübt.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.3.      Bei Tagesordnungspunkten, die in die Zuständigkeit sowohl der Union als auch der Mitgliedstaaten fallen, tragen der Vorsitz und die Kommission den gemeinsamen Standpunkt vor. Nach entsprechender Koordinierung können auch die Mitgliedstaaten das Wort ergreifen, um den gemeinsamen Standpunkt zu unterstützen und/oder zu ergänzen. Die Mitgliedstaaten bzw. die Kommission stimmen im Namen der Union und ihrer Mitgliedstaaten entsprechend dem gemeinsamen Standpunkt ab. Die Entscheidung darüber, wer das Stimmrecht ausübt, wird je nach dem Überwiegen der Zuständigkeit (z. B. je nachdem, ob überwiegend der Mitgliedstaat oder überwiegend die Union zuständig ist) getroffen.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.4.      Bei Tagesordnungspunkten, die in die Zuständigkeit sowohl der Union als auch der Mitgliedstaaten fallen und zu denen zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten kein gemeinsamer Standpunkt gemäß Ziffer 2.6 erzielt werden konnte, können die Mitgliedstaaten und die Kommission in Fragen, die eindeutig in ihre jeweilige Zuständigkeit fallen, das Rede- und Stimmrecht ausüben.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.5.      In Fragen, in denen zwischen Kommission und Mitgliedstaaten keine Einigung über die Zuständigkeitsverteilung erreicht wurde, oder wenn die für einen Unionsstandpunkt erforderliche Mehrheit nicht erreicht werden konnte, bemühen sich alle Seiten nach Kräften, die Lage zu klären oder einen Unionsstandpunkt festzulegen. Bis dahin und nach entsprechender Koordinierung könnten gegebenenfalls die Mitgliedstaaten und/oder die Kommission das Wort ergreifen, sofern der vertretene Standpunkt einem künftigen Standpunkt der Union nicht vorgreift, mit der Unionspolitik sowie früheren Unionsstandpunkten in Einklang steht und dem Unionsrecht entspricht.</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.6.      Die Vertreter der Mitgliedstaaten und der Kommission können in OTIF‑Arbeitsgruppen mitwirken, die die Sitzungen der OTIF‑Fachausschüsse vorbereiten, namentlich des Fachausschusses für die Beförderung gefährlicher Güter (Committee of Experts for the Carriage of Dangerous Goods – RID) und des Sachverständigenausschusses (Committee of Technical Experts – TEC). In diesen Arbeitsgruppen können die Vertreter der Mitgliedstaaten und der Kommission fachliche Beiträge leisten und auf der Grundlage ihrer Sachkenntnis uneingeschränkt an den Facherörterungen teilnehmen. Die Union ist durch diese Erörterungen nicht gebunden.</p>
<p class="C10Marge1">Die Vertreter der Mitgliedstaaten und der Kommission bemühen sich nach Kräften, um zu einem gemeinsamen Standpunkt zu gelangen und diesen bei den Erörterungen in den OTIF‑Arbeitsgruppen zu vertreten.</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C21Titrenumerote1">III. <b>Vorgeschichte des Rechtsstreits</b>
</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      <b>Sachverhalt</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point18">18.</a>      Am 24. Juni 2014 erließ der Rat den Beschluss 2014/699.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point19">19.</a>      Gemäß Art. 1 Abs. 1 dieses Beschlusses „[entspricht d]er Standpunkt, der im Namen der Union anlässlich der 25. Sitzung des durch das [COTIF] eingerichteten Revisionsausschusses zu vertreten ist, … dem Anhang dieses Beschlusses“. Nach dessen Art. 1 Abs. 2 können „[g]eringfügige Änderungen der im Anhang dieses Beschlusses genannten Dokumente … ohne weiteren Beschluss des Rates von den Vertretern der Union im Revisionsausschuss vereinbart werden“.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point20">20.</a>      Abschnitt 3 des Anhangs zu diesem Beschluss nennt in Bezug auf die verschiedenen Tagesordnungspunkte für die 25. Sitzung des OTIF‑Revisionsausschusses die Aufteilung der Zuständigkeit zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten, die Ausübung der Stimmrechte und den empfohlenen abgestimmten Standpunkt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point21">21.</a>      Teile von Punkt 4 sowie die Punkte 5, 7 und 12 der Tagesordnung betreffen die in diesem Streit relevanten Änderungen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point22">22.</a>      Auf der 25. Sitzung des OTIF‑Revisionsausschusses trug die Kommission den Standpunkt der Europäischen Union entsprechend der Festlegung im Anhang des Beschlusses 2014/699 vor, während die Bundesrepublik Deutschland einen eigenständigen Standpunkt zu den Änderungsanträgen in Bezug auf Art. 12 COTIF sowie die Anhänge B (CIM), D (CUV) und E (CUI) einnahm und beanspruchte, ihr Stimmrecht zu diesen Punkten selbst auszuüben. Die Bundesrepublik Deutschland stimmte gegen den von der Europäischen Union vertretenen Standpunkt zu den beantragten Änderungen von Art. 12 COTIF und Anhang D (CUV). Da diese Anträge die erforderliche Mehrheit erhielten, wurden die in Rede stehenden Änderungen vom OTIF‑Revisionsausschuss angenommen.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      <b>Vorverfahren</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point23">23.</a>      Mit Schreiben vom 4. August 2014 gab die Kommission der Bundesrepublik Deutschland Gelegenheit, ihr Verhalten bei der 25. Sitzung des OTIF‑Revisionsausschusses zu erläutern.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point24">24.</a>      In ihrer Antwort vom 12. November 2014 vertrat die Bundesrepublik Deutschland den Standpunkt, dass ihr Verhalten vollkommen legitimiert und rechtmäßig sei, da keine der in Rede stehenden Änderungen in die Zuständigkeit der Europäischen Union falle, weil diese ihre Zuständigkeit in den betreffenden Bereichen nicht ausgeübt habe.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point25">25.</a>      Am 22. Dezember 2014 erhob die Bundesrepublik Deutschland Klage beim Gerichtshof, um die teilweise Nichtigerklärung des Beschlusses 2014/699 insoweit zu erwirken, als er sich auf die streitigen Änderungen bezieht. Ihre Rügen betrafen mutmaßliche Verstöße gegen (i) den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 2 EUV) wegen Unzuständigkeit der Union, (ii) gegen die Begründungspflicht (Art. 296 AEUV) und (iii) gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) in Verbindung mit dem Grundsatz eines effektiven Rechtsschutzes(<a href="#Footnote7" name="Footref7">7</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point26">26.</a>      Am 29. Mai 2015 leitete die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 258 Abs. 1 AEUV ein, indem sie ein Aufforderungsschreiben an die Bundesrepublik Deutschland richtete, in dem sie den Standpunkt vertrat, dieser Mitgliedstaat habe durch sein Verhalten auf der 25. Sitzung des OTIF‑Revisionsausschusses gegen seine Verpflichtungen aus dem Beschluss 2014/699 und aus Art. 4 Abs. 3 EUV verstoßen. Daraus, dass die Bundesrepublik Deutschland ihren eigenen Ausführungen zufolge ihr Verhalten für ausdrücklich legitimiert erachte, könne ferner geschlossen werden, dass sie wahrscheinlich in Zukunft in einer ähnlichen Situation ebenso handeln würde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point27">27.</a>      In ihrer Antwort vom 7. Juli 2015 wies die Bundesrepublik Deutschland die Einwände der Kommission zurück.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point28">28.</a>      Am 11. Dezember 2015 gab die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, in der sie ihren im Aufforderungsschreiben zum Ausdruck gebrachten Standpunkt wiederholte. Die Kommission forderte die Bundesrepublik Deutschland auf, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um der mit Gründen versehenen Stellungnahme binnen zwei Monaten nach Eingang des Schreibens nachzukommen und insbesondere die darin beschriebene vertragsverletzende Praxis nicht weiter fortzusetzen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point29">29.</a>      Mit Schreiben vom 1. Februar 2016 erwiderte die Bundesrepublik Deutschland auf die mit Gründen versehene Stellungnahme, wobei sie den in ihrer Antwort auf das Aufforderungsschreiben vertretenen Standpunkt wiederholte.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">C.      <b>Verfahren vor dem Gerichtshof</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point30">30.</a>      Die Kommission ist der Ansicht, dass die Bundesrepublik Deutschland keinerlei Maßnahmen getroffen habe, um die Folgen des mutmaßlichen rechtsverletzenden Verhaltens zu beseitigen oder jedenfalls zu begrenzen und Zweifel in Bezug auf ihr künftiges Vorgehen auszuräumen. Die Bundesrepublik Deutschland habe auch weder gegenüber der OTIF noch gegenüber der Kommission die Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens eingeräumt, sondern, im Gegenteil, daran festgehalten, dass ihr Verhalten rechtmäßig gewesen sei.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point31">31.</a>      Da die Erwiderung der Bundesrepublik Deutschland vom 1. Februar 2016 der Kommission nicht genügte, hat sie die vorliegende Klage erhoben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point32">32.</a>      Am 5. Dezember 2017, nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens in der vorliegenden Rechtssache, hat der Gerichtshof sein Urteil in der Rechtssache Deutschland/Rat(<a href="#Footnote8" name="Footref8">8</a>) erlassen, in dem er die Klage der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich aller drei von ihr vorgebrachten Klagegründe abgewiesen hat.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point33">33.</a>      Mit gesondertem Schriftsatz, der am 8. Februar 2017 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat die Bundesrepublik Deutschland eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben. Am 10. Mai 2017 hat der Gerichtshof nach Anhörung des Generalanwalts seine Entscheidung dem Endurteil vorbehalten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point34">34.</a>      Der Rat der Europäischen Union hat mit Schriftsatz, der am 4. Dezember 2017 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, beantragt, als Streithelfer zur Unterstützung der Kommission zugelassen zu werden. Mit Beschluss vom 3. Januar 2018 hat der Präsident des Gerichtshofs diesem Antrag stattgegeben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point35">35.</a>      Die deutsche Regierung und die Kommission wie auch der Rat der Europäischen Union haben in der mündlichen Verhandlung vom 4. Juli 2018 mündliche Ausführungen gemacht.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">IV.    <b>Würdigung</b>
</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      <b>Zulässigkeit der Klage</b>
</p>
<p class="C23Titrenumerote3">1.      <b>Vorbringen der Parteien</b>
</p>
<p class="C24Titrenumerote4">a)      <b>Bundesrepublik Deutschland</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point36">36.</a>      Die Bundesrepublik Deutschland hält die Klage für unzulässig. Das in dieser Sache in Rede stehende Verhalten habe nach Ende der 25. Sitzung des OTIF‑Revisionsausschusses – also vor Ablauf der von der Kommission in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist – keinerlei Wirkungen mehr entfaltet. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs könne die Kommission bei diesem daher keine Vertragsverletzungsklage mehr erheben, falls der betreffende Mitgliedstaat die Vertragsverletzung vor Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist beendet habe; darüber hinaus sei eine Vertragsverletzungsklage unzulässig, wenn die Handlung, für die der Mitgliedstaat gerügt werde, bereits vor Ablauf dieser Frist keinerlei Wirkung mehr entfaltet habe(<a href="#Footnote9" name="Footref9">9</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point37">37.</a>      Die Ausübung des Stimmrechts durch sie – so die Bundesrepublik Deutschland – habe, wie die Kommission auch selbst einräume, keinen Einfluss auf das Ergebnis der Abstimmungen auf der 25. Sitzung des OTIF‑Revisionsausschusses gehabt; die Reputation, Glaubwürdigkeit oder einheitliche Vertretung der Europäischen Union gegenüber Mitgliedern der internationalen Gemeinschaft habe dadurch keinerlei Schaden genommen. Jedenfalls habe die Union das Verfahren zum Erlass des Beschlusses 2014/699 so ausgestaltet, dass der Bundesrepublik Deutschland der Rechtsschutz gegen diesen Beschluss abgeschnitten gewesen sei, und so eine Ursache für die Meinungsverschiedenheit während dieser Sitzung gesetzt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point38">38.</a>      Schließlich sei die behauptete Schädigung des Ansehens der Europäischen Union nicht mehr rückgängig zu machen. Der Vortrag der Kommission, Deutschland habe keinerlei Schritte unternommen, um die Folgen seines in diesem Vertragsverletzungsverfahren in Rede stehenden Verhaltens zu beseitigen oder Zweifel in Bezug auf sein künftiges Verhalten auszuräumen, sei unzutreffend. Tatsächlich habe die Bundesrepublik Deutschland, als der Beschluss (EU) 2015/1734(<a href="#Footnote10" name="Footref10">10</a>) des Rates erlassen worden sei, eine Erklärung abgegeben (im Folgenden: Erklärung vom 17. September 2015), die in die Niederschrift der Ratstagung aufgenommen worden sei; darin habe Deutschland zwar weiterhin die Auffassung vertreten, dass der Ratsbeschluss rechtswidrig sei, aber dennoch erklärt, dass die Bundesrepublik Deutschland vor einer Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache Deutschland/Kommission (C‑600/14) ihr Stimmrecht bei den streitigen Punkten nicht abweichend von den Standpunkten der Union ausüben werde. Damit habe sie die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme beanstandete Praxis schon beendet, bevor die darin genannte Frist überhaupt begonnen habe.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point39">39.</a>      Soweit die Kommission erwarte, dass die Bundesrepublik Deutschland sich öffentlich entschuldige und ihre Rechtsauffassung aufgebe, sei keine Grundlage hierfür ersichtlich und fraglich, inwieweit eine solche Entschuldigung die behauptete Schädigung des Ansehens und der Glaubwürdigkeit der Europäischen Union nachträglich beseitigen könnte. Jedenfalls spreche weder im Aufforderungsschreiben noch in der mit Gründen versehenen Stellungnahme etwas für die Annahme, dass die Bundesrepublik Deutschland durch die Nichtabgabe einer solchen Entschuldigung gegen Unionsrecht verstoßen habe. Zudem genügten nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs fortbestehende rechtliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Mitgliedstaat und Kommission für die Zulässigkeit einer Vertragsverletzungsklage nicht, solange der Mitgliedstaat sich gleichwohl in seinem Verhalten der Auffassung der Kommission beuge. Dies gelte erst recht, wenn die Rechtsfrage, wie im vorliegenden Fall, bereits Gegenstand eines Verfahrens vor dem Gerichtshof sei.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point40">40.</a>      Das Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland lässt sich meines Erachtens am besten auf den Punkt bringen mit der polnischen Wendung „pociąg odjechał“(<a href="#Footnote11" name="Footref11">11</a>).</p>
<p class="C24Titrenumerote4">b)      <b>Kommission</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point41">41.</a>      Die Kommission räumt ein, dass eine Klage nach Art. 258 AEUV wegen eines Verstoßes, der vor Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist alle seine Wirkungen verloren habe, unzulässig sei; allerdings gelte dieser Grundsatz nicht uneingeschränkt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point42">42.</a>      Aus dem Urteil vom 31. März 1992, Kommission/Italien(<a href="#Footnote12" name="Footref12">12</a>), könne geschlossen werden, dass auch bei Vertragsverletzungen, die nach Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist keine Wirkungen mehr entfalteten, die Klage zulässig bleibe, wenn die Kommission selbst bei rechtzeitigem Handeln nicht die erforderliche Zeit gehabt hätte, das Vorverfahren vor Beendigung des Verstoßes zum Abschluss zu bringen. In derartigen Fällen bestehe ein öffentliches Interesse daran, dass der Gerichtshof die Rechtslage kläre, um Zweifel auf Seiten des betroffenen Mitgliedstaats oder anderer Mitgliedstaaten zu vermeiden. Dieses Interesse sei besonders offenkundig, wenn Meinungsverschiedenheiten zwischen der Kommission und dem betroffenen Mitgliedstaat hinsichtlich der Rechtmäßigkeit von dessen Verhalten fortbestünden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point43">43.</a>      Unter den im vorliegenden Fall gegebenen Umständen sei es ihr nicht möglich gewesen, ein Vertragsverletzungsverfahren rechtzeitig erfolgreich abzuschließen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point44">44.</a>      Zudem hält die Kommission nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs einen Nachweis der Gefahr einer Wiederholung des behaupteten Verhaltens für nicht erforderlich.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point45">45.</a>      Was die Rüge einer mutmaßlichen Verletzung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit gemäß Art. 4 Abs. 3 AEUV angeht, räumt die Kommission ein, dass eine vollständige Beseitigung des eingetretenen Schadens nicht mehr möglich sei; allerdings könne der Schaden durch mögliche Klarstellungen Deutschlands in einer späteren Sitzung der OTIF begrenzt werden. Da es der Kommission unmöglich gewesen sei, diesem irreparablen Schaden durch ein Vertragsverletzungsverfahren zuvorzukommen, sei diese Klage jedenfalls als zulässig anzusehen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point46">46.</a>      Zu dem Argument, das Verhalten der Europäischen Union habe zu einer ihrer Glaubwürdigkeit und ihrem Ansehen abträglichen Situation geführt, führt die Kommission aus, dass, während die Wirkungen des Verhaltens der Bundesrepublik Deutschland unbestreitbar seien, eine Rüge des Verhaltens von Kommission und Rat allenfalls im Rahmen der Begründetheit der Klage ehoben werden könne. Jedenfalls sei dieses Vorbringen nicht stichhaltig. Diese Überlegung gelte auch für das Argument des Mitgliedstaats, ihm sei jeglicher Rechtsschutz abgeschnitten worden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point47">47.</a>      Des Weiteren tritt die Kommission dem Vorbringen entgegen, die Bundesrepublik Deutschland habe bereits alles getan, um die Zweifel an ihrem künftigen Verhalten auszuräumen bzw. im Rahmen des Möglichen die schädlichen Folgen der Vertragsverletzung für das Erscheinungsbild der Union zu beseitigen. Insbesondere habe der Mitgliedstaat im OTIF‑Revisionsausschuss nicht klargestellt, dass ihm ein Fehler unterlaufen sei.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">2.      <b>Würdigung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point48">48.</a>      In der vorliegenden Rechtssache stellt sich die Frage, ob die Klage der Kommission deshalb unzulässig ist, weil die Rechtswirkungen des zur Last gelegten Verstoßes mutmaßlich bereits vor Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist erschöpft waren.</p>
<p class="C24Titrenumerote4">a)      <b>Wortlaut des Vertrags</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point49">49.</a>      Ausgangspunkt ist der Wortlaut von Art. 258 AEUV.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point50">50.</a>      Nach dieser Bestimmung hat die Kommission, wenn ihrer Auffassung nach ein Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen (d. h. gegen eine sich aus Unionsrecht ergebende Verpflichtung) verstoßen hat, eine mit Gründen versehene Stellungnahme dazu abzugeben, nachdem sie dem betreffenden Mitgliedstaat zuvor Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat. Kommt der Mitgliedstaat dieser Stellungnahme nicht innerhalb der von der Kommission gesetzten Frist nach, kann die Kommission den Gerichtshof anrufen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point51">51.</a>      Der Wortlaut von Art. 258 AEUV könnte tatsächlich zu dem Schluss verleiten, dass diese Bestimmung logischerweise einen fortdauernden Verstoß voraussetzt, den der Mitgliedstaat im Lauf des Verfahrens beenden kann. Man könnte argumentieren, Voraussetzung dafür, dass ein Mitgliedstaat einer mit Gründen versehenen Stellungnahme nachkommen könne, müsse ein fortdauernder Verstoß sein, da es dem Mitgliedstaat sonst unmöglich wäre, der mit Gründen versehenen Stellungnahme nachzukommen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point52">52.</a>      Allerdings sollte diesem kategorischen Ansatz, auch wenn er verlockend erscheinen mag, nicht gefolgt werden.</p>
<p class="C24Titrenumerote4">b)      <b>Einschlägige Rechtsprechung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point53">53.</a>      Zunächst ist zu sagen, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs einen solchen Ansatz nicht stützt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point54">54.</a>      Richtig ist, dass es der Kommission nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht möglich ist, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, wenn der betreffende Mitgliedstaat der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission vor Ablauf der darin gesetzten Frist nachgekommen ist(<a href="#Footnote13" name="Footref13">13</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point55">55.</a>      Allerdings ist es recht selten vorgekommen, dass der Gerichtshof eine Vertragsverletzungsklage tatsächlich wegen Unzulässigkeit abgewiesen hat.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point56">56.</a>      So hat der Gerichtshof in der Rechtssache Kommission/Italien(<a href="#Footnote14" name="Footref14">14</a>), die die Vergabe öffentlicher Aufträge betraf, festgestellt, dass, wenn alle Wirkungen einer Ausschreibung vor Erlass einer mit Gründen versehenen Stellungnahme erschöpft seien, der gerügte Verstoß bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist nicht mehr bestehe und die Klage der Kommission daher als unzulässig abzuweisen sei(<a href="#Footnote15" name="Footref15">15</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point57">57.</a>      Der Gerichtshof stützte seine Begründung auf den Umstand, dass „die Kommission nicht rechtzeitig gehandelt hat, um – mit Hilfe der Verfahren, die ihr zur Verfügung stehen – zu verhindern, dass der gerügte Verstoß Wirkungen entfaltet, und dass sie sich nicht einmal darauf berufen hat, dass das in Artikel [258 AEUV] vorgesehene Vorverfahren nicht habe abgeschlossen werden können, bevor der Verstoß abgestellt wurde“(<a href="#Footnote16" name="Footref16">16</a>). Damit folgte der Gerichtshof „im Kern“(<a href="#Footnote17" name="Footref17">17</a>) den Schlussanträgen des Generalanwalts Lenz, wonach Ausnahmen von dieser Regel(<a href="#Footnote18" name="Footref18">18</a>) geboten sein können in Fällen von „Saisonverstößen …, wenn die Vertragsverletzung wegen ihrer Zielsetzung und rechtlichen Natur nur befristet eingeführt wird (wie z. B. bei saisonabhängigen Einfuhr- oder Ausfuhrbeschränkungen zum Schutz der einheimischen Wirtschaftsteilnehmer) und die Durchführung des Vorverfahrens zur Vertragsverletzungsklage dadurch rein zeitlich erschwert, wenn nicht gar unmöglich wird“(<a href="#Footnote19" name="Footref19">19</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point58">58.</a>      Meines Erachtens war dieser Aspekt für die Begründung des Gerichtshofs entscheidend: Da die Kommission weder gehandelt hatte, als sie hätte handeln können, noch einen angemessenen Grund für ihre Untätigkeit angegeben hatte, sollte es ihr nicht möglich sein, später ein Vertragsverletzungsverfahren gegen den Mitgliedstaat einzuleiten, falls der vorgeworfene Verstoß nicht mehr bestand.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point59">59.</a>      Die Rechtsprechung des Gerichtshofs nimmt somit eine zweistufige (kumulative) Prüfung vor. Danach ist eine Klage unzulässig, wenn erstens der Verstoß bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist nicht mehr bestand. Zweitens muss die Kommission in der Lage gewesen sein, durch ihr Handeln zu verhindern, dass der vorgeworfene Verstoß Wirkungen entfaltet. Sollte eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt sein, kann die Klage nicht unzulässig sein.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point60">60.</a>      In der vorliegenden Sache ergibt diese Prüfung, dass die Klage der Kommission zulässig ist, da sie keine Möglichkeit hatte, zu verhindern, dass Deutschland den mutmaßlichen Verstoß beging(<a href="#Footnote20" name="Footref20">20</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point61">61.</a>      Hinzu kommt, dass die Kommission, wie Generalanwalt Mengozzi klargestellt hat, zwar grundsätzlich nicht gegen bereits beendete Zuwiderhandlungen vorgehen darf, dass dies „jedoch … nicht die Möglichkeit verschließen [darf], kurzzeitige Zuwiderhandlungen, in deren Fall die Kommission selbst bei rechtzeitigem Handeln de facto nicht die Zeit hätte, vor ihrer Beendigung das Vorverfahren zum Abschluss zu bringen, … zu verfolgen“(<a href="#Footnote21" name="Footref21">21</a>). Ein überzeugendes Argument ist meines Erachtens auch Generalanwalt Geelhoeds Warnung, dass eine übertrieben starre Auslegung der Zulässigkeitsvoraussetzungen „[i]n letzter Konsequenz … nämlich bedeuten [würde], dass ein Vorgehen nach Artikel [258 AEUV] gegen vollendete und unumkehrbare Zuwiderhandlungen gegen das [Unionsrecht] künftig unmöglich wäre. Damit könnte systematischen Zuwiderhandlungen … Tür und Tor geöffnet werden.“(<a href="#Footnote22" name="Footref22">22</a>)</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point62">62.</a>      Der von mir vorgeschlagene Ansatz steht in vollem Umfang mit der frühen Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Zulässigkeit in Vertragsverletzungsverfahren in Einklang. Schon 1973 war der Gerichtshof bestrebt, einem Mitgliedstaat, der sich auf eine verwegene Argumentation zur Zulässigkeit stützte, einen Riegel vorzuschieben, als er feststellte, dass „der Beklagten keinesfalls gefolgt werden [kann], soweit sie sich, um sich dem Klageanspruch zu entziehen, auf von ihr selbst geschaffene vollendete Tatsachen beruft“(<a href="#Footnote23" name="Footref23">23</a>). Für nähere Ausführungen zur Bedeutung dieser Feststellung in der vorliegenden Rechtssache sehe ich keine Notwendigkeit.</p>
<p class="C24Titrenumerote4">c)      <b>Kommission braucht nicht ein „spezifisches Rechtsschutzinteresse“ gesondert nachzuweisen</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point63">63.</a>      Abschließend ist hinzuzufügen, dass im Zusammenhang mit Art. 258 AEUV die Klageerhebung nicht den Nachweis eines spezifischen Rechtsschutzinteresses durch die Kommission erfordert(<a href="#Footnote24" name="Footref24">24</a>). In der Tat braucht die Kommission bei der Wahrnehmung der ihr in Art. 258 AEUV eingeräumten Zuständigkeiten kein spezifisches Rechtsschutzinteresse nachzuweisen. In Anbetracht ihrer Rolle als Hüterin der Verträge ist allein die Kommission für die Entscheidung zuständig, ob es angebracht ist, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, und wegen welcher dem betroffenen Mitgliedstaat zuzurechnenden Handlung oder Unterlassung dieses Verfahren zu eröffnen ist(<a href="#Footnote25" name="Footref25">25</a>).</p>
<p class="C24Titrenumerote4">d)      <b>Keine enge Auslegung von Art. 258 AEUV</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point64">64.</a>      Zu dem allgemeineren und grundlegenderen Argument der deutschen Regierung, dass Art. 258 AEUV als Verfahrensvorschrift eng auszulegen sei, um maximale Rechtssicherheit zu gewährleisten, genügt der Hinweis, dass der Rechtsprechung des Gerichtshofs kein solcher Grundsatz zu entnehmen ist(<a href="#Footnote26" name="Footref26">26</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point65">65.</a>      Ganz im Gegenteil. Neben seiner liberalen Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Vorlagen zur Vorabentscheidung(<a href="#Footnote27" name="Footref27">27</a>) hat sich der Gerichtshof auch bei der Auslegung von Verfahrensvorschriften der Verträge nicht gescheut, diese (milde ausgedrückt) <i>praeter legem</i> auszulegen, um den Rechtsstaatsgrundsatz, auf dem die Unionsrechtsordnung(<a href="#Footnote28" name="Footref28">28</a>) beruht, oder den Grundsatz des interinstitutionellen Gleichgewichts aufrechtzuerhalten(<a href="#Footnote29" name="Footref29">29</a>). Im Urteil Unión de Pequeños Agricultores/Rat, auf das die deutsche Regierung ihr Vorbringen insbesondere stützt, hat sich der Gerichtshof tatsächlich entschieden, Art. 263 Abs. 4 AEUV nicht zu weit auszulegen. Anders als in der vorliegenden Rechtssache ging es dort allerdings um die Bestimmung der individuellen Betroffenheit im Sinne von Art. 263 AEUV und somit um die Überwachung der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Unionsorgane. Hätte der Gerichtshof diese Kriterien gelockert und seine Rechtsprechung geändert, hätte dies Auswirkungen auf das gesamte Rechtsschutzsystem der Unionsrechtsordnung sowie das Verhältnis zwischen Nichtigkeitsklagen gemäß Art. 263 AEUV und dem Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV und deren Zusammenspiel gehabt, weshalb der Gerichtshof auf die Möglichkeit hinwies, die Verträge gemäß Art. 48 EU zu ändern(<a href="#Footnote30" name="Footref30">30</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point66">66.</a>      Zusammenfassend ist zu sagen, dass die vorliegende Klage daher zulässig ist.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      <b>Begründetheit der Klage</b>
</p>
<p class="C23Titrenumerote3">1.      <b>Verstoß gegen den Beschluss 2014/699</b>
</p>
<p class="C24Titrenumerote4">a)      <b>Vorbringen der Parteien</b>
</p>
<p class="C25Titrenumerote5">1)      <i>Kommission</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point67">67.</a>      Die Kommission trägt vor, die Bundesrepublik Deutschland habe gegen den Beschluss 2014/699 verstoßen, indem sie auf der 25. Sitzung des OTIF‑Revisionsausschusses sowohl entgegen dem in diesem Beschluss von der Europäischen Union zu den Punkten 4 und 7 der Tagesordnung dieses Revisionsausschusses festgelegten Standpunkt abgestimmt als auch öffentlichen Widerspruch gegen die Ausübung des Stimmrechts durch die Union geäußert habe.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point68">68.</a>      Gemäß Art. 288 Abs. 4 AEUV sei der Beschluss 2014/699 nämlich sowohl für die Unionsorgane als auch für die Mitgliedstaaten in allen Teilen verbindlich. Die Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutschland im Rat gegen den Beschluss gestimmt und diesen mit einer Nichtigkeitsklage vor dem Gerichtshof angefochten habe, ändere weder etwas an der Verbindlichkeit des Beschlusses noch an den sich für die Mitgliedstaaten daraus ergebenden Verpflichtungen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point69">69.</a>      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs seien die Mitgliedstaaten nämlich nicht berechtigt, einseitig Ausgleichs- oder Abwehrmaßnahmen zu ergreifen, um einer möglichen Missachtung des Unionsrechts durch das Organ, das den streitigen Beschluss erlassen habe, entgegenzuwirken. Solange also der Gerichtshof den Beschluss 2014/699 nicht für nichtig erklärt oder jedenfalls dessen Durchführung ausgesetzt habe, habe sich die Bundesrepublik Deutschland daran zu halten. Andernfalls würde die kohärente und einheitliche Anwendung des Unionsrechts, ein grundlegendes Merkmal des Unionssystems, unterminiert.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point70">70.</a>      Auch dem Argument, es sei für die Bundesrepublik Deutschland weder möglich noch zweckmäßig gewesen, vorläufigen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, könne die Kommission nicht folgen. Sie betont, dass durch den Vertrag ein umfassendes Rechtsschutzsystem geschaffen worden sei, das es – wie sich aus den Art. 278 und 279 AEUV ergebe – erlaube, auch eilbedürftigen Situationen zu begegnen. Etwaige hiermit verbundene Schwierigkeiten wie die von diesem Mitgliedstaat geltend gemachten berechtigten die Mitgliedstaaten nicht, eigenmächtig im Widerspruch zum Unionsrecht zu handeln.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point71">71.</a>      In diesem Zusammenhang führt die Kommission weiter aus, dass es der Bundesrepublik Deutschland ohne Weiteres möglich gewesen wäre, rechtzeitig einstweiligen Rechtsschutz zu erlangen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Beschlüsse des OTIF‑Revisionsausschusses selbst noch kein vom Tag des Beschlusses anwendbares Recht geschaffen hätten; bis zum Inkrafttreten der betreffenden Änderungen habe es noch weiterer Schritte bedurft. Im Zeitraum zwischen der Beschlussfassung durch den OTIF‑Revisionsausschuss und dem Inkrafttreten der Änderungen hätte die Bundesrepublik Deutschland einstweiligen Rechtsschutz erwirken können. Zum einen habe die Änderung von Art. 12 COTIF, wie aus Art. 33 §§ 2 und 4 Buchst. a COTIF hervorgehe, noch einer Bestätigung durch die Generalversammlung der OTIF bedurft; diese habe erst am 30. September 2015 stattgefunden. Zum anderen sei die Änderung der Art. 2 und 9 von Anhang D (CUV) nach Art. 35 §§ 3 und 4 COTIF nicht sofort wirksam geworden. Hätte der Gerichtshof den Beschluss 2014/699 ausgesetzt, so hätte für die Europäische Union die Möglichkeit bestanden, innerhalb von vier Monaten nach Ergehen dieses Änderungsbeschlusses Widerspruch bei der OTIF einzulegen.</p>
<p class="C25Titrenumerote5">2)      <i>Bundesrepublik Deutschland</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point72">72.</a>      Nach Auffassung der Bundesrepublik Deutschland genügt die Klageschrift nicht den Vorgaben für eine hinreichend klare Formulierung, da die Kommission im Klageantrag nicht ausreichend deutlich gemacht habe, dass sie dem Mitgliedstaat allein in Bezug auf die Tagesordnungspunkte 4 und 7 der 25. Sitzung des OTIF‑Revisionsausschusses vorwerfe, seine Verpflichtungen nicht erfüllt zu haben. Sie habe diese Klarstellung erst in ihrer kurzen Erwiderung vorgenommen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point73">73.</a>      Darüber hinaus hält es die Bundesrepublik Deutschland für möglich, den in Rede stehenden Beschluss wegen seiner mutmaßlich schwerwiegenden Mängel als inexistent anzusehen(<a href="#Footnote31" name="Footref31">31</a>), was der Gerichtshof von Amts wegen zu berücksichtigen habe.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point74">74.</a>      Die Bundesrepublik Deutschland räumt ein, gegen den Beschluss 2014/699 verstoßen zu haben, soweit er Festlegungen für die Ausübung der Stimmrechte der Europäischen Union bezüglich der Tagesordnungspunkte 5, 7 und 12 auf der 25. Sitzung des OTIF‑Revisionsausschusses enthalte. Jedoch könnten ihr die entsprechenden Bestimmungen dieses Beschlusses nicht entgegengehalten werden, da sie aus den Gründen rechtswidrig seien, die bereits in der Rechtssache vorgetragen worden seien, in der das Urteil vom 5. Dezember 2017, Deutschland/Rat (C‑600/14, EU:C:2017:935), ergangen sei(<a href="#Footnote32" name="Footref32">32</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point75">75.</a>      Der beklagte Mitgliedstaat hält sich in diesem Zusammenhang für berechtigt, die Rechtswidrigkeit des Beschlusses im Wege der Einrede nach Art. 277 AEUV geltend zu machen. In der vorliegenden Rechtssache mache die Kommission der Bundesrepublik Deutschland nicht zum Vorwurf, gegen eine an die Mitgliedstaaten gerichtete Richtlinie oder Entscheidung verstoßen zu haben, deren Rechtswidrigkeit nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs von den Mitgliedstaaten nicht als Verteidigung gegen eine auf die Nichteinhaltung dieses betreffenden Rechtsakts gestützte Vertragsverletzungsklage angeführt werden könne, sondern einen Verstoß gegen einen demjenigen, für den er bestimmt ist, nicht gemäß Art. 297 Abs. 2 Unterabs. 3 AEUV bekannt gegebenen Beschluss mit allgemeiner Geltung. Die Wendung „in einem Rechtsstreit, bei dem die Rechtmäßigkeit eines … Rechtsakts mit allgemeiner Geltung angefochten wird“ in Art. 277 AEUV erfasse auch den Fall, in dem die Rechtmäßigkeit eines Akts allgemeiner Geltung in einem Vertragsverletzungsverfahren in Zweifel gezogen werde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point76">76.</a>      Die Bundesrepublik Deutschland macht geltend, sie könne sich in diesem Verfahren, das die Nichteinhaltung des Beschlusses 2014/699 durch sie betreffe, inzident auf die Rechtswidrigkeit dieses Beschlusses insbesondere im Hinblick auf die Tatsache berufen, dass es ihr faktisch nicht möglich gewesen sei, vor Beginn der 25. Sitzung des OTIF‑Revisionsausschusses Rechtsschutz zu erlangen. Da die Union das Verfahren zum Erlass des Beschlusses 2014/699 so ausgestaltet habe, dass Deutschland kein Rechtsschutz dagegen zur Verfügung gestanden habe, liefe es auf einen Verstoß gegen den allgemeinen Rechtsgrundsatz <i>nemo turpitudinem suam allegans auditur</i> (niemand wird gehört, der sich auf seine eigene Schändlichkeit beruft) hinaus, wenn dem Mitgliedstaat die Möglichkeit verwehrt würde, sich im vorliegenden Verfahren inzidenter auf die Rechtswidrigkeit des Beschlusses zu berufen. Zudem wäre es unzulässig gewesen – wie von der Kommission vorgeschlagen –, nach der 25. Sitzung des OTIF‑Revisionsausschusses beim Gerichtshof eine einstweilige Anordnung zu beantragen, um den Rat zu zwingen, gemäß Art. 35 COTIF Widerspruch gegen die in dieser Sitzung beschlossenen Änderungen zu erheben. Wie dem auch sei, der Bundesrepublik Deutschland gehe es nicht darum, die Annahme der streitigen Änderungen zu verhindern, sondern vielmehr darum, die Frage der Zuständigkeit klären zu lassen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point77">77.</a>      Jedenfalls habe sie in Bezug auf die Änderung von Art. 12 COTIF (dem Gegenstand von Punkt 4 der Tagesordnung des OTIF‑Revisionsausschusses) nicht gegen den Beschluss 2014/699 verstoßen, da dort festgelegt sei, dass die Mitgliedstaaten das Stimmrecht ausübten und dass es sich lediglich um einen „empfohlenen abgestimmten Standpunkt“ handele. Gemäß Art. 288 Abs. 5 AEUV seien Empfehlungen nicht verbindlich. Hinsichtlich der Änderung der Art. 2 und 9 des Anhangs D (CUV) (dem Gegenstand von Punkt 7 der Tagesordnung des OTIF‑Revisionsausschusses) habe der Beschluss 2014/699 zwar die Ausübung der Stimmrechte durch die Union vorgesehen, doch sei diese darauf beschränkt gewesen, Empfehlungen – ohne jede Bindungswirkung – für Standpunkte festzulegen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point78">78.</a>      In der mündlichen Verhandlung hat die Bundesrepublik Deutschland die Einrede der Rechtswidrigkeit nach Art. 277 AEUV förmlich zurückgenommen.</p>
<p class="C24Titrenumerote4">b)      <b>Würdigung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point79">79.</a>      Soweit die Bundesrepublik Deutschland die Genauigkeit des Vorbringens der Kommission beanstandet, ist für mich aus dem Vortrag der Kommission klar ersichtlich, dass die Bundesrepublik Deutschland nur zu den Punkten 4 und 7 auf der Tagesordnung der 25. Sitzung des OTIF‑Revisionsausschusses eine andere Ansicht geäußert und entgegen dem im Beschluss 2014/699 festgelegten Standpunkt der Union abgestimmt hat. Außerdem hat die Kommission lediglich insoweit auf Art. 1 und den Anhang des Beschlusses 2014/699 Bezug genommen, als dieser Anhang diejenigen Änderungen des COTIF betrifft, die Gegenstand der Punkte 4 und 7 der Tagesordnung der 25. Sitzung des OTIF‑Revisionsausschusses sind. Ungeachtet der allgemeinen Formulierung im Klageantrag der Kommission, der sich auf den gesamten Beschluss 2014/699 bezieht, ist für mich daher ersichtlich, dass über den Umfang des vorgeworfenen Verstoßes keine Ungewissheit bestehen konnte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point80">80.</a>      Des Weiteren handelt es sich hier auch nicht um einen inexistenten Rechtsakt(<a href="#Footnote33" name="Footref33">33</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point81">81.</a>      Abgesehen davon, dass keine vernünftige Auslegung der im Beschluss 2014/699 enthaltenen Bezugnahmen auf die „empfohlenen abgestimmten Standpunkte“ zu dem Ergebnis führen kann, dass es einem Mitgliedstaat gestattet wäre, vom Standpunkt der Union abzuweichen, hätte der Gerichtshof, hätte er dem Beschluss innewohnende logische Mängel festgestellt, die ihn zu einem inexistenten Rechtsakt gemacht hätten, diese Feststellung wohl bereits im Urteil vom 5. Dezember 2017, Deutschland/Rat (C‑600/14, EU:C:2017:935), getroffen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point82">82.</a>      Was den Verstoß angeht, kann die Prüfung recht kurz ausfallen, da die Bundesrepublik Deutschland den Sachvortrag der Kommission nicht bestreitet und zudem die Einrede der Rechtswidrigkeit zurückgenommen hat.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point83">83.</a>      Die Niederschrift der 25. Sitzung des OTIF‑Revisionsausschusses lässt keinen Raum für Zweifel: Die Bundesrepublik Deutschland hat ihre Ansichten zu den Punkten 4 und 7 der Tagesordnung des OTIF‑Revisionsausschusses zum Ausdruck gebracht und ein Stimmrecht entgegen dem im Beschluss 2014/699 festgelegten Standpunkt der Union ausgeübt. Auch hinsichtlich des Tagesordnungspunkts 7 hat die Bundesrepublik Deutschland ein Stimmrecht zu entgegen den in diesem Beschluss festgelegten Abstimmungsmodalitäten ausgeübt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point84">84.</a>      Darüber hinaus hat der Gerichtshof klargestellt, dass die Europäische Union zuständig war, den Beschluss zu erlassen. Darum geht es hier jedoch nicht. Nachdem der Beschluss 2014/699 erlassen war, war Deutschland verpflichtet, ihn zu beachten und durchzuführen. In der Europäischen Union, die auf Rechtsstaatlichkeit gründet, gilt für Handlungen der Organe die Vermutung der Rechtmäßigkeit. Es gibt Verfahren für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit solcher Handlungen. Deutschland kann danach jede Handlung nach den Bestimmungen von Art. 263 Abs. 1 AEUV angreifen, ohne ein Rechtsschutzinteresse nachweisen zu müssen. In einer solchen Situation ist von einem Mitgliedstaat zu erwarten, dass er „die Zähne zusammenbeißt“ und den Beschluss einhält – unabhängig davon, ob dies dem Mitgliedstaat gefällt oder nicht. Keinesfalls darf der Mitgliedstaat das Recht in die eigene Hand nehmen. Einseitiges Handeln ist nicht möglich. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Mitgliedstaat nicht berechtigt, einseitig Ausgleichs- oder Abwehrmaßnahmen zu ergreifen, um einer (möglichen) Missachtung der unionsrechtlichen Vorschriften durch ein Organ(<a href="#Footnote34" name="Footref34">34</a>) entgegenzuwirken. Die Bundesrepublik Deutschland hat daher den Bestimmungen des Beschlusses 2014/699 zuwidergehandelt und somit gegen sie verstoßen.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">2.      <b>Verstoß gegen Art. 4 Abs. 3 EUV</b>
</p>
<p class="C24Titrenumerote4">a)      <b>Vorbringen der Parteien</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point85">85.</a>      Die Kommission macht geltend, die Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutschland auf der 25. Sitzung des OTIF‑Revisionsausschusses entgegen dem Standpunkt der Union abgestimmt, sich von der Stimmabgabe der Union distanziert und auf der Ausübung ihres Stimmrechts bestanden habe, obwohl dieses Recht auf die Union übertragen gewesen sei, habe Anlass zu Verwirrung hinsichtlich des Abstimmungsergebnisses gegeben und die Glaubwürdigkeit und das Ansehen der Union, die Geschlossenheit ihrer internationalen Vertretung und ihr Image im Allgemeinen beeinträchtigt. Dieses Verhalten habe daher den in Art. 4 Abs. 3 EUV niedergelegten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verletzt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point86">86.</a>      Die Bundesrepublik Deutschland ist dagegen der Ansicht, die Kommission habe weder für eine tatsächliche Beeinträchtigung der Glaubwürdigkeit und des Ansehens der Union noch für die Verursachung einer solchen Beeinträchtigung durch das Verhalten Deutschlands einen Nachweis erbracht. Ursache für die Verwirrung bei der Abstimmung in diesem Gremium seien, im Gegenteil, der Beitritt der Europäischen Union zur OTIF, der die OTIF vor neue Herausforderungen gestellt habe, und die überstürzte Art und Weise der Vorbereitung der 25. Sitzung des OTIF‑Revisionsausschusses durch die Unionsorgane gewesen.</p>
<p class="C24Titrenumerote4">b)      <b>Würdigung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point87">87.</a>      Art. 4 Abs. 3 EUV bestimmt, dass sich nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit die Union und die Mitgliedstaaten gegenseitig bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben, achten und unterstützen. Die Mitgliedstaaten ergreifen alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben. Die Mitgliedstaaten unterstützen die Union bei der Erfüllung ihrer Aufgabe und unterlassen alle Maßnahmen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point88">88.</a>      Diese für die Unionsrechtsordnung zentrale Bestimmung, die die Gewährleistung der Funktionsweise der Union bezweckt(<a href="#Footnote35" name="Footref35">35</a>) und die als „Geschäftsgrundlage des gesamten europäischen Integrationsprojekts“(<a href="#Footnote36" name="Footref36">36</a>) bezeichnet worden ist und die den durch Reziprozität geprägten Charakter der Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten unterstreicht, ist eine allgemeine Norm, der in verschiedenen anderen Bestimmungen des Vertrags eine konkrete Ausprägung gegeben wurde(<a href="#Footnote37" name="Footref37">37</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point89">89.</a>      Da jeder Verstoß gegen Unionsrecht – so wie der Verstoß gegen den Beschluss 2014/699 – den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten verletzt(<a href="#Footnote38" name="Footref38">38</a>), tritt Art. 4 Abs. 3 EUV grundsätzlich hinter den spezifischen Verstoß zurück und entfaltet keine eigenen rechtlichen Wirkungen. In vielen Fällen hat er daher deklaratorischen Charakter. Der Gerichtshof sieht z. B. in Vertragsverletzungsverfahren im Zusammenhang mit der Nichtumsetzung von Richtlinien, sobald er eine fehlende Umsetzung festgestellt hat, von der Prüfung dieses Grundsatzes ab, da er nicht geprüft zu werden „braucht“(<a href="#Footnote39" name="Footref39">39</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point90">90.</a>      Es gibt jedoch Fälle, in denen Art. 4 Abs. 3 EUV eine selbständige Grundlage für Verpflichtungen bildet(<a href="#Footnote40" name="Footref40">40</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point91">91.</a>      Hier ist Raum für eine solche gesonderte Anwendung von Art. 4 Abs. 3 AEUV gegeben, nicht zuletzt deshalb, weil der Streitgegenstand in den Bereich der Außenbeziehungen der Union fällt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point92">92.</a>      Insbesondere im Bereich gemischter Abkommen(<a href="#Footnote41" name="Footref41">41</a>) hat der Gerichtshof mehrfach hervorgehoben, dass eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und den Unionsorganen sowohl bei der Aushandlung und dem Abschluss eines Übereinkommens <i>als auch bei dessen Durchführung</i> sicherzustellen sei, wenn dessen Gegenstand teils in die Zuständigkeit der Union, teils in diejenige der Mitgliedstaaten falle. Diese Pflicht zur Zusammenarbeit ergibt sich aus der Notwendigkeit eines geschlossenen Auftretens der Europäischen Union auf der internationalen Ebene(<a href="#Footnote42" name="Footref42">42</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point93">93.</a>      Ich würde behaupten, dass diese Aussage(<a href="#Footnote43" name="Footref43">43</a>) gleichermaßen zutrifft, wenn man Ursache und Wirkung umdreht und das Erfordernis eines geschlossenen Auftretens als Ausfluss der Pflicht zur Zusammenarbeit betrachtet(<a href="#Footnote44" name="Footref44">44</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point94">94.</a>      Darüber hinaus hat der Gerichtshof entschieden, dass eine Vereinbarung zwischen dem Rat und der Kommission über die Abstimmung innerhalb einer internationalen Organisation (der United Nations Food and Agriculture Organization [Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen] FAO) die Erfüllung dieser Pflicht zur Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten im Rahmen der betreffenden internationalen Organisation darstelle(<a href="#Footnote45" name="Footref45">45</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point95">95.</a>      Obgleich in keinem dieser Fälle die Glaubwürdigkeit und das Ansehen der Union auf internationaler Ebene <i>konkret </i>gefährdet war, ist dieser Rechtsprechung zu entnehmen, dass dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit im Bereich der Außenbeziehungen besondere Bedeutung zukommt und dass er speziell auf die Ausübung der Stimmrechte im Bereich der geteilten Zuständigkeit Anwendung findet(<a href="#Footnote46" name="Footref46">46</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point96">96.</a>      Meines Erachtens braucht der Gerichtshof daher im vorliegenden Fall nichts weiter zu tun, als diesen Gedanken um eine weitere Überlegung zu ergänzen. Er sollte klarstellen, dass das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Union auf internationaler Ebene ein gesondertes rechtliches Interesse darstellen, das durch Art. 4 Abs. 3 EUV geschützt ist und das – in der vorliegenden Rechtssache – in Wortlaut und Zweck des Beschlusses 2014/699 zum Ausdruck kommt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point97">97.</a>      Durch die Nichteinhaltung dieses Beschlusses in Verbindung mit der klaren Bekundung der Ablehnung seines Inhalts nimmt das Ansehen der Union auf internationaler Ebene Schaden. Es vermittelt den Eindruck, die Europäische Union handle bei der Vorbereitung auf die Sitzung einer internationalen Organisation als Einheit nicht hinreichend effektiv.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point98">98.</a>      Die bloße Tatsache, dass die Stimme der Bundesrepublik Deutschland keine Auswirkung auf das Ergebnis der Sitzung hatte, ändert – wie die Kommission zutreffend geltend macht – an dieser Feststellung nichts.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">V.      <b>Ergebnis</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point99">99.</a>      In Anbetracht dieser Ausführungen bin ich deshalb der Auffassung, der Gerichtshof sollte</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">–      feststellen, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen den Beschluss 2014/699/EU des Rates vom 24. Juni 2014 zur Festlegung des im Namen der Europäischen Union anlässlich der 25. Sitzung des OTIF‑Revisionsausschusses zu bestimmten Änderungen des Übereinkommens über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) und seiner Anhänge zu vertretenden Standpunkts sowie gegen Art. 4 Abs. 3 EUV verstoßen hat, indem sie auf der 25. Sitzung des Revisionsausschusses der Zwischenstaatlichen Organisation für den internationalen Eisenbahnverkehr (OTIF) gegen den in diesem Beschluss festgelegten Standpunkt abstimmte und öffentlich Widerspruch gegen diesen Standpunkt sowie gegen die darin geregelte Ausübung der Stimmrechte durch die Union aussprach;</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">–      der Bundesrepublik Deutschland die Kosten auferlegen.</p>
<hr/>
<p class="C40FootnoteLangue">
<a href="#Footref1" name="Footnote1">1</a>      Originalsprache: Englisch.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref2" name="Footnote2">2</a>      Beschluss des Rates zur Festlegung des im Namen der Europäischen Union anlässlich der 25. Sitzung des OTIF‑Revisionsausschusses zu bestimmten Änderungen des Übereinkommens über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) und seiner Anhänge zu vertretenden Standpunkts (ABl. 2014, L 293, S. 26).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref3" name="Footnote3">3</a>      C‑600/14, EU:C:2017:935.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref4" name="Footnote4">4</a>      Gemäß Art. 5 Abs. 2 EUV.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref5" name="Footnote5">5</a>      Siehe Govaere, I., „To Give or To Grab: The Principle of Full, Crippled and Split Conferral of Powers Post-Lisbon“, in M. Cremona, <i>Structural Principles in EU External Relations Law</i>, Hart Publishing, Oxford and Portland, Oregon 2018, S. 71 bis 91, S. 73.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref6" name="Footnote6">6</a>      Beschluss des Rates vom 16. Juni 2011 über die Unterzeichnung und den Abschluss der Vereinbarung zwischen der Europäischen Union und der Zwischenstaatlichen Organisation für den Internationalen Eisenbahnverkehr über den Beitritt der Europäischen Union zum Übereinkommen über den Internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) vom 9. Mai 1980 in der Fassung des Änderungsprotokolls von Vilnius vom 3. Juni 1999 (ABl. 2013, L 51, S. 1).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref7" name="Footnote7">7</a>      Mit Urteil vom 5. Dezember 2017, Deutschland/Rat (C‑600/14, EU:C:2017:935), hat der Gerichtshof die Klage der Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang abgewiesen. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref8" name="Footnote8">8</a>      Urteil vom 5. Dezember 2017, Deutschland/Rat (C‑600/14, EU:C:2017:935).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref9" name="Footnote9">9</a>      Die Bundesrepublik Deutschland verweist auf die folgenden Rechtssachen: Urteile vom 5. Juni 2003, Kommission/Italien (C‑145/01, EU:C:2003:324, Rn. 15), vom 27. Oktober 2005, Kommission/Italien (C‑525/03, EU:C:2005:648, Rn. 15), und vom 11. Oktober 2007, Kommission/Griechenland (C‑237/05, EU:C:2007:592, Rn. 29).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref10" name="Footnote10">10</a>      Beschluss vom 18. September 2015 zur Festlegung des im Namen der Europäischen Union auf der 12. Generalversammlung der Zwischenstaatlichen Organisation für den internationalen Eisenbahnverkehr (OTIF) zu bestimmten Änderungen des Übereinkommens über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) und seiner Anhänge zu vertretenden Standpunkts (ABl. 2015, L 252, S. 43).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref11" name="Footnote11">11</a>      Wörtlich „der Zug ist abgefahren“, was der englischen Wendung „das Schiff hat abgelegt“ entspricht. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref12" name="Footnote12">12</a>      C‑362/90, EU:C:1992:158, Rn. 11 bis 13. </p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref13" name="Footnote13">13</a>      Siehe z. B. Urteile vom 24. März 1988, Kommission/Griechenland (240/86, EU:C:1988:173, Rn. 15 und 16), und vom 15. Januar 2002, Kommission/Italien (C‑439/99, EU:C:2002:14, Rn. 16 und 17). Einen umfassenden Überblick über die Rechtsprechung in früheren Vertragsverletzungsverfahren gibt Prete, L., <i>Infringement proceedings in EU law</i>, Wolters Kluwer, Alphen aan den Rijn 2017, S. 151 bis 154.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref14" name="Footnote14">14</a>      Urteil vom 31. März 1992 (C‑362/90, EU:C:1992:158).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref15" name="Footnote15">15</a>      Siehe Urteil vom 31. März 1992, Kommission/Italien (C‑362/90, EU:C:1992:158, Rn. 11 und 12). In einer anderen das Vergaberecht betreffenden Rechtssache hat der Gerichtshof, was die Vergabe öffentlicher Aufträge betrifft, befunden, dass eine Vertragsverletzungsklage unzulässig sei, wenn bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist alle Wirkungen des betreffenden Vertrags bereits erschöpft gewesen seien: Urteil vom 2. Juni 2005, Kommission/Griechenland (C‑394/02 EU:C:2005:336, Rn. 18). In jenem Fall war der Vertrag bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist jedoch noch nicht vollständig beendet, da die Arbeiten erst zu 85 % abgeschlossen waren. Siehe auch Urteil vom 29. Oktober 2009, Kommission/Deutschland (C‑536/07, EU:C:2009:664, Rn. 23). Auch hier waren bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist nicht alle Wirkungen des betreffenden Vertrags, nämlich des streitigen Vorhabens in seiner Gesamtheit betrachtet, allein dadurch erschöpft, dass die zu errichtenden Bauwerke fertiggestellt waren, weil nämlich der Abschnitt „Miete“ dieses Vorhabens zu diesem Zeitpunkt weiterhin seine Wirkungen entfaltete.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref16" name="Footnote16">16</a>      Siehe Urteil vom 31. März 1992, Kommission/Italien (C‑362/90, EU:C:1992:158, Rn. 12). Diese Formel wurde im Urteil vom 25. Oktober 2001, Deutschland/Kommission (C‑276/99, EU:C:2001:576, Rn. 32), wiederholt. Das letztgenannte Urteil erging aufgrund von Art. 88 des inzwischen ausgelaufenen Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Hier unterschieden sich die Vertragsverletzungsverfahren insofern, als die Rollen bei Abschluss des Vorverfahrens im Vergleich zu Art. 258 AEUV umgekehrt verteilt waren: Statt einer mit Gründen versehenen <i>Stellungnahme</i> erließ die Kommission eine <i>Entscheidung</i> (Art. 14 EGKS, in dieser Hinsicht Art. 288 AEUV vergleichbar), die der Mitgliedstaat dann vor dem Gerichtshof anfechten konnte.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref17" name="Footnote17">17</a>      Siehe Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache Kommission/Griechenland (C‑237/05, EU:C:2007:98, Nr. 42, Fn. 11).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref18" name="Footnote18">18</a>      Nach dieser Regel „[ist b]ei <i>vor</i> [Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist] beendeten Verstößen … grundsätzlich kein Raum, das Rechtsschutzinteresse zu bejahen“, siehe Schlussanträge des Generalanwalts Lenz in der Rechtssache Kommission/Italien (C‑362/90, EU:C:1992:95, Nr. 12).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref19" name="Footnote19">19</a>      Siehe Schlussanträge des Generalanwalts Lenz in der Rechtssache Kommission/Italien (C‑362/90, EU:C:1992:95, Nr. 13).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref20" name="Footnote20">20</a>      Dabei ist zu betonen, dass wir uns in dieser Sache noch in der Zulässigkeitsprüfung befinden. Ob zum maßgeblichen Zeitpunkt tatsächlich eine Vertragsverletzung vorlag, ist natürlich eine Frage der Begründetheit der Klage; siehe auch Schlussanträge des Generalanwalts Alber in der Rechtssache Kommission/Österreich (C‑328/96, EU:C:1999:5, Nr. 30).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref21" name="Footnote21">21</a>      Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache Kommission/Griechenland (C‑237/05, EU:C:2007:98, Nr. 66).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref22" name="Footnote22">22</a>      Siehe Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed in den verbundenen Rechtssachen Kommission/Deutschland (C‑20/01 und C‑28/01, EU:C:2002:717, Nr. 53). Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass dieses Zitat Zuwiderhandlungen gegen eine „Richtlinie [betrifft], die anhand rechtlich unantastbarer Verträge mit langer Geltungsdauer vorgenommen würden“ (in jener Rechtssache ging es um Vergabeverfahren).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref23" name="Footnote23">23</a>      Siehe Urteil vom 7. Februar 1973, Kommission/Italien (39/72, EU:C:1973:13, Rn. 10).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref24" name="Footnote24">24</a>      Siehe Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Kommission/Italien (C‑385/02, EU:C:2004:276, Nr. 15). Siehe auch Nowak, C., „§ 10 Vertragsverletzungsverfahren“, Nr. 44, in Leible, St., Terhechte, J. Ph., <i>Europäisches Rechtsschutz- und Verfahrensrecht (Enzyklopädie Europarecht, Band 3)</i>, Nomos, Baden-Baden, 2014, wo weiter differenziert wird zwischen den Begriffen „Rechtsschutzinteresse“, „Rechtsschutzbedürfnis“ und „Klageerhebungsinteresse“. Vgl. auch Półtorak, N., „Commentary on Article 258 TFEU“ in A. Wróbel (Hrsg.), <i>Traktat o funkcjonowaniu Unii Europejskiej. Komentarz Lex</i>, Bd. II, Warschau 2012, S. 269.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref25" name="Footnote25">25</a>      Siehe Urteil vom 10. April 2003, Kommission/Deutschland (C‑20/01 und C‑28/01, EU:C:2003:220, Rn. 29 und 30 und die dort angeführte Rechtsprechung). Siehe auch Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs in der Rechtssache Kommission/Griechenland (C‑394/02, EU:C:2005:105, Nr. 15). Vgl. ferner Taborowski, M., <i>Konsekwencje naruszania prawa Unii Europejskiej przez sądy krajowe</i>, Lex – Wolters Kluwer, Warschau 2012, S. 265 ff.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref26" name="Footnote26">26</a>      Interessanterweise erkennt die Bundesrepublik Deutschland in ihrer Klagebeantwortung – als Teil ihrer Ausführungen zur Einrede der Rechtswidrigkeit (siehe nachstehend in den vorliegenden Schlussanträgen), um eine solche Einrede im Zusammenhang mit einem Vertragsverletzungsverfahren zu begründen – selbst an, dass der Gerichtshof in Fällen, in denen andernfalls die Gefahr einer Rechtsschutzlücke bestanden hätte, die relevanten Vertragsbestimmungen weit ausgelegt oder sogar über ihren Wortlaut hinaus fortgebildet habe.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref27" name="Footnote27">27</a>      Vgl. z. B. Urteile vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 19 bis 26), und vom 25. Juli 2018, AY (Haftbefehl – Zeuge) (C‑268/17, EU:C:2018:602, Rn. 23 bis 31).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref28" name="Footnote28">28</a>      Vgl. Urteil vom 23. April 1986, Les Verts/Parlament (294/83, EU:C:1986:166, Rn. 24).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref29" name="Footnote29">29</a>      Vgl. Urteil vom 22. Mai 1990, Parlament/Rat (C‑70/88, EU:C:1990:217, Rn. 26).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref30" name="Footnote30">30</a>      Siehe Urteil vom 25. Juli 2002, Unión de Pequeños Agricultores/Rat (C‑50/00 P, EU:C:2002:462, Rn. 45).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref31" name="Footnote31">31</a>      Auf die in der mündlichen Verhandlung an die Bundesrepublik Deutschland gerichtete Frage, warum dieser Aspekt – dass es sich um einen rechtlich inexistenten Akt handele – nicht bereits in der Rechtssache Deutschland/Kommission (C‑600/14) geltend gemacht worden sei, antwortete diese, sie sei darauf erst zu einem späteren Zeitpunkt aufmerksam geworden.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref32" name="Footnote32">32</a>      In jener Rechtssache hatte die Bundesrepublik Deutschland die Auffassung vertreten, der Beschluss 2014/699 verletze den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 2 EUV), sei nicht ausreichend begründet und verstoße gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit in Verbindung mit dem Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref33" name="Footnote33">33</a>      Es mag einiges dafür sprechen, einem Mitgliedstaat, der einen von ihm für existent gehaltenen Rechtsakt bereits mit der Nichtigkeitsklage angefochten hat, das Recht zu verwehren, sich später auf dessen angebliche Inexistenz zu berufen, doch ist es natürlich Sache des Gerichtshofs, die Frage, ob es sich um einen inexistenten Akt handelt, von Amts wegen zu prüfen.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref34" name="Footnote34">34</a>      Vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 12. Februar 2009, Kommission/Griechenland (C‑45/07, EU:C:2009:81, Rn. 26). Dasselbe gilt auch für den Fall eines Verstoßes durch einen anderen Mitgliedstaat, vgl. Urteil vom 23. Mai 1996, Hedley Lomas (C‑5/94, EU:C:1996:205, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref35" name="Footnote35">35</a>      Siehe Obwexer, W., in von der Groeben, H., Schwarze, J., Hatje, J. A. (Hrsg.), <i>Europäisches Unionsrecht (Kommentar)</i>, 7. Aufl., Nomos, Baden-Baden 2015, Art. 4 EUV, Rn. 67.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref36" name="Footnote36">36</a>      Vgl. Kahl, W., in Calliess, Chr., Ruffert, M. (Hrsg.), <i>EUV/AEUV</i>, 5. Aufl., C. H. Beck, München 2016, Art. 4 EUV, Rn. 35. Vgl. auch Sikora, A., <i>Sankcje finansowe w razie niewykonania wyroków Trybunału Sprawiedliwości Unii Europejskiej</i>, Lex – Wolters Kluwer, Warschau 2011, S. 38 ff.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref37" name="Footnote37">37</a>      Z. B. in Art. 344 AEUV, siehe Urteil vom 30. Mai 2006, Kommission/Irland (C‑459/03, EU:C:2006:345, Rn. 169).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref38" name="Footnote38">38</a>      Vgl. z. B. Franzius, C., in Pechstein, M., Nowak, C., Häde, U. (Hrsg.), <i>Frankfurter Kommentar zu EUV, GRC und AEUV</i>, Bd. II, Mohr Siebeck, Tübingen 2017, Art. 4 EUV, Rn. 101.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref39" name="Footnote39">39</a>      Vgl. Urteile vom 13. Oktober 1993, Kommission/Spanien (C‑378/92, EU:C:1993:843, Rn. 6), und vom 19. Januar 1995, Kommission/Belgien (C‑66/94, EU:C:1995:13, Rn. 6).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref40" name="Footnote40">40</a>      Vgl. Lenz, C. O., in Lenz, C. O., Borchardt, K.‑D., <i>EU-Verträge Kommentar</i>, 6. Aufl., Bundesanzeiger Verlag, Köln 2013, Art. 4 EUV, Rn. 17 ff; Streinz, R., in Streinz, R. (Hrsg.), <i>EUV/AEUV (Kommentar)</i>, 2. Aufl., C. H. Beck, München 2012, Art. 4 EUV, Rn. 27.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref41" name="Footnote41">41</a>      Zur Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit bei gemischten Abkommen, siehe Heliskoski, J., <i>Mixed Agreements as a Technique for Organizing the International Relations of the European Community and its Member States</i>, Kluwer Law International, Den Haag 2001, S. 61 bis 67, und Cremona, M., „Defending the Community Interest: the Duties of Cooperation and Compliance“, in de Witte, B., Cremona, M. (Hrsg.), <i>EU Foreign Relations Law</i>, Hart Publishing, Oxford and Portland, Oregon 2008, S. 158 bis 161.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref42" name="Footnote42">42</a>      Siehe auch Beschluss vom 14. November 1978 (1/78, EU:C:1978:202, Rn. 34 bis 36) (analog zum EAG-Vertrag), Gutachten 2/91 (Übereinkommen Nr. 170 der IAO) vom 19. März 1993 (EU:C:1993:106, Rn. 36), Gutachten 1/94 (WTO-Abkommen) vom 15. November 1994 (EU:C:1994:384, Rn. 108) und Gutachten 2/00 (Protokoll von Cartagena über die biologische Sicherheit) vom 6. Dezember 2001 (EU:C:2001:664, Rn. 18). Vgl. auch Gutachten 1/08 (Abkommen zur Änderung der Listen spezifischer Verpflichtungen nach dem GATS) vom 30. November 2009 (EU:C:2009:739, Rn. 136) und Urteil vom 20. April 2010, Kommission/Schweden (C 246/07, EU:C:2010:203, Rn. 73).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref43" name="Footnote43">43</a>      In der Zwischenzeit scheint der Gerichtshof das Erfordernis eines geschlossenen Auftretens aufgegeben zu haben, vgl. Urteil vom 28. April 2015, Kommission/Rat (C‑28/12, EU:C:2015:282, Rn. 54).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref44" name="Footnote44">44</a>      Ähnlich Hillion, Chr., „Mixity and Coherence in EU External Relations: The Significance of the ‚Duty of Cooperation‘“, in Hillion, Chr., Koutrakos, P., <i>Mixed agreements revisited</i>, Hart Publishing, Oxford and Portland, Oregon 2010, S. 87 bis 115, S. 89, der die Ansicht vertritt, dass die Rechtsgrundlage für die Pflicht zur Zusammenarbeit in Art. 4 Abs. 3 EUV zu finden sei. Auf S. 91 führt er überzeugend aus, dass „das Erfordernis … ursprünglich nicht als Grundlage der Pflicht zur Zusammenarbeit vorgesehen [war], sondern als Mittel, sie auf den EWG-Kontext anzuwenden, da ihre Grundlage dieselbe ist wie im Euratom-Kontext, nämlich der allgemeine Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit“.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref45" name="Footnote45">45</a>      Siehe Urteil vom 19. März 1996, Kommission/Rat (C‑25/94, EU:C:1996:114, Rn. 49). Hinsichtlich der Ereignisse, die zu diesem Rechtsstreit geführt hatten, siehe Heliskoski, J., „Internal struggle for international presence: the exercise of voting rights within the FAO“, in Dashwood, A., Hillion, Chr., <i>The general law of E.C. external relations</i>, Sweet & Maxwell, London 2000, S. 79 bis 99.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref46" name="Footnote46">46</a>      Zur Vermeidung von Missverständnissen sei gesagt, dass ich den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit in Art. 4 Abs. 3 EUV so verstehe, dass er die „Pflicht zur Zusammenarbeit“ einschließt, auf die der Gerichtshof in der Vergangenheit in den vorstehend angeführten Rechtssachen Bezug genommen hat. So verstehe ich auch die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston zum Gutachten 2/15 (Freihandelsabkommen mit Singapur) vom 16. Mai 2017 (EU:C:2016:992, Nr. 569). Darüber hinaus ist dies insbesondere seit der Entscheidung über die MOX-Anlage klar, in der der Gerichtshof in diesem Zusammenhang erstmals direkt auf die frühere Vertragsbestimmung des Art. 10 EG Bezug genommen hat (obgleich es in der Sache im Wesentlichen um die speziellere Bestimmung des Art. 344 AEUV ging), vgl. Urteil vom 30. Mai 2006, Kommission/Irland (C‑459/03, EU:C:2006:345, Rn. 114). Vgl. zu diesem Punkt auch Hillion, Chr., „Mixity and Coherence in EU External Relations: The Significance of the ‚Duty of Cooperation‘“, in Hillion, Chr., Koutrakos, P., <i>Mixed agreements revisited</i>, Hart Publishing, Oxford and Portland, Oregon 2010, S. 87 bis 115, S. 90 und 91.</p>
|
175,060 | eugh-2019-01-09-c-44418 | {
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<p class="C19Centre">9. Januar 2019(<a href="#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p>
<p class="C71Indicateur">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 53 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs – Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Glücksspiel – Glücksspielmonopol in einem Mitgliedstaat – Werbepraktiken des Monopolisten – Beurteilungskriterien – Offensichtliche Unzulässigkeit“</p>
<p class="C02AlineaAltA">In der Rechtssache C‑444/18</p>
<p class="C02AlineaAltA">betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landesverwaltungsgericht Steiermark (Österreich) mit Entscheidung vom 2. Juli 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Juli 2018, in dem Verfahren</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Fluctus s.r.o.,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Fluentum s.r.o.,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>SD,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">Beteiligte:</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Landespolizeidirektion Steiermark,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">
<b>Finanzpolizei,</b>
</p>
<p class="C02AlineaAltA">erlässt</p>
<p class="C19Centre">DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)</p>
<p class="C02AlineaAltA">unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz, der Richterin M. Berger und des Richters P. G. Xuereb (Berichterstatter),</p>
<p class="C02AlineaAltA">Generalanwalt: N. Wahl,</p>
<p class="C02AlineaAltA">Kanzler: A. Calot Escobar,</p>
<p class="C02AlineaAltA">aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 53 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,</p>
<p class="C02AlineaAltA">folgenden</p>
<p class="C75Debutdesmotifs">
<b>Beschluss</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point1">1</a>        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 56 AEUV.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point2">2</a>        Es ergeht im Rahmen eines von der Fluctus s.r.o. und der Fluentum s.r.o., zweier in der Slowakei niedergelassener Gesellschaften, der Inhaberin bzw. der Eigentümerin von Glücksspielautomaten, sowie von SD, dem Geschäftsführer dieser beiden Gesellschaften, eingeleiteten Verfahrens wegen der Entscheidungen der Landespolizeidirektion Steiermark (Österreich), mit denen diese Automaten beschlagnahmt und Verwaltungsstrafen wegen der Nichteinhaltung der österreichischen Vorschriften über das Glückspiel verhängt wurden.</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point3">3</a>        § 3 („Glücksspielmonopol“) des Glücksspielgesetzes vom 28. November 1989 (BGBl. 620/1989) in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: GSpG) bestimmt: </p>
<p class="C02AlineaAltA">„Das Recht zur Durchführung von Glücksspielen ist, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt wird, dem Bund vorbehalten (Glücksspielmonopol).“</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point4">4</a>        § 56 („Zulässige Werbung“) Abs. 1 GSpG sieht vor:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Die Konzessionäre und Bewilligungsinhaber nach diesem Bundesgesetz haben bei ihren Werbeauftritten einen verantwortungsvollen Maßstab zu wahren. Die Einhaltung dieses verantwortungsvollen Maßstabes ist ausschließlich im Aufsichtswege zu überwachen und nicht dem Klagswege nach §§ 1 ff [des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb] zugänglich. Abs. 1 Satz 1 stellt kein Schutzgesetz im Sinne des § 1311 [des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches] dar.“</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Ausgangsverfahren und Vorlagefragen</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point5">5</a>        Dem Vorlagebeschluss lässt sich entnehmen, dass von Bediensteten der (österreichischen) Finanzpolizei in verschiedenen Betriebslokalen durchgeführte Kontrollen zur vorläufigen Beschlagnahme von Glücksspielautomaten führten, da diese Maschinen ohne die nach dem GSpG erforderliche behördliche Bewilligung betrieben worden seien.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point6">6</a>        Diese mutmaßlichen Verwaltungsübertretungen wurden in der Folge der Landespolizeidirektion Steiermark zur Kenntnis gebracht, die die vorläufigen Beschlagnahmen durch Bescheide bestätigte, Verwaltungsstrafverfahren einleitete und über die Gesellschaft, die Inhaberin dieser Glückspielautomaten war, die Gesellschaft, die Eigentümerin dieser Automaten war, sowie den Geschäftsführer dieser beiden Gesellschaften Geldstrafen verhängte.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point7">7</a>        Gegen die Beschlagnahmebescheide und die Straferkenntnisse der Landespolizeidirektion Steiermark wurden Beschwerden an das Landesverwaltungsgericht Steiermark (Österreich) erhoben.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point8">8</a>        Das vorlegende Gericht hat Zweifel an der Unionsrechtskonformität der Werbepraktiken des Inhabers des Glücksspielmonopols in Österreich.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point9">9</a>        Es gibt an, dass alle drei österreichischen Höchstgerichte, u. a. der Verfassungsgerichtshof, bestätigten, dass das durch das GSpG eingerichtete Glücksspielmonopol unionsrechtskonform sei. Es führt jedoch aus, dass eine Vorschrift, mit der ein Glückspielmonopol eingeführt werde, mit den von ihr verfolgten Zielen, insbesondere dem Verbraucherschutz, der Betrugsbekämpfung und der Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen, in Einklang stehen müsse, damit sie mit dem Unionsrecht vereinbar sei, und dass diese Forderung nach Kohärenz auch für die vom Inhaber eines Monopols durchgeführte Werbung gelte. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point10">10</a>      Das vorlegende Gericht ist aber der Ansicht, dass die offensive Werbepolitik des Glücksspielmonopolisten in Österreich nicht maßvoll und nicht streng auf das beschränkt sei, was für die Kanalisierung der Verbraucher zu kontrollierten Spielernetzwerken notwendig sei. Die Werbepolitik dieses Konzessionärs rege im Gegenteil zu aktiver Teilnahme am Spiel an, indem das Spiel verharmlost werde, ihm ein positives Image verliehen werde, seine Anziehungskraft durch In‑Aussicht–Stellen bedeutender Gewinne erhöht werde, neue Zielgruppen zum Spielen angeregt würden und das inhaltliche Angebot laufend ausgedehnt werde. Diese Politik entspreche daher nicht den von der Rechtsprechung des Gerichtshofs festgelegten Grenzen für die Werbung im Glücksspielbereich. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point11">11</a>      Zudem unterlägen die Werbeaktivitäten des Inhabers des Glücksspielmonopols in Österreich keiner wirksamen Aufsicht, da § 56 Abs. 1 GSpG in Bezug auf diese Aktivitäten nur Aufsichtsmaßnahmen vorsehe und eine Kontrolle ihres maßvollen Charakters durch eine Klage auf der Grundlage des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb ausschließe. Außerdem unterliege auch eine Vielzahl von dritten Unternehmen, die in Österreich Glücksspiele anböten, insbesondere im Onlinebereich, keiner wirksamen Aufsicht. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point12">12</a>      Das vorlegende Gericht ist daher der Ansicht, dass das in Österreich eingerichtete Glücksspielmonopol einschließlich seiner Begleitregelungen gegenüber einem Begünstigten der Dienstleistungsfreiheit wie den Beschwerdeführern des Ausgangsverfahrens nicht mehr anwendbar sei.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point13">13</a>      In diesem Zusammenhang hat das Landesverwaltungsgericht Steiermark beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen: </p>
<p class="C09Marge0avecretrait">1.      Ist die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) dahin auszulegen, dass es bei der Würdigung der vom Gerichtshof für den Fall eines staatlichen Glücksspielmonopols in ständiger Rechtsprechung formulierten unzulässigen Werbepraktiken des Konzessionsinhabers darauf ankommt, ob es in einer gesamthaften Betrachtung im relevanten Zeitraum tatsächlich zu einem Wachstum des Glücksspielmarkts gekommen ist, oder genügt es schon, dass die Werbung darauf abzielt, zu aktiver Teilnahme am Spiel anzuregen, etwa indem das Spiel verharmlost, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen wird oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften erhöht wird, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">2.      Ist die Dienstleistungsfreiheit weiters dahin auszulegen, dass besagte unzulässige Werbepraktiken des Monopolisten im Fall ihres Vorliegens jedenfalls die Kohärenz der Monopolregelung ausschließen, oder kann im Fall entsprechender Werbeaktivitäten privater Anbieter von Seiten des Monopolisten auch zu aktiver Teilnahme am Spiel angeregt werden, etwa indem das Spiel verharmlost, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen wird oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften erhöht wird, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen?</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">3.      Ist ein staatliches Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen der Dienstleistungsfreiheit anzuwenden hat, aus eigener Entscheidungsbefugnis gehalten, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem es jede seiner Auffassung nach entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lässt, selbst wenn in einem verfassungsrechtlichen Verfahren deren Unionsrechtskonformität bestätigt wurde?</p>
<p class="C04Titre1"> <b>Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point14">14</a>      Gemäß Art. 53 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof, wenn ein Vorabentscheidungsersuchen offensichtlich unzulässig ist, nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden, ohne das Verfahren fortzusetzen.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point15">15</a>      Diese Bestimmung ist in der vorliegenden Rechtssache anzuwenden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point16">16</a>      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist das in Art. 267 AEUV vorgesehene Verfahren ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten, mit dem der Gerichtshof diesen Gerichten Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts gibt, die sie zur Entscheidung des bei ihnen anhängigen Rechtsstreits benötigen (vgl. u. a. Beschluss vom 7. Juni 2018, Filippi u. a., C‑589/16, EU:C:2018:417, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point17">17</a>      Eine dem nationalen Gericht dienliche Auslegung des Unionsrechts ist nur möglich, wenn dieses den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in dem sich seine Fragen stellen, darlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen erläutert, auf denen diese Fragen beruhen. Der Gerichtshof ist nämlich nur befugt, sich auf der Grundlage des ihm vom nationalen Gericht unterbreiteten Sachverhalts zur Auslegung einer Unionsvorschrift zu äußern (Beschluss vom 7. Juni 2018, easyJet Airline, C‑241/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:421, Rn. 11 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point18">18</a>      Der Gerichtshof hebt auch die Notwendigkeit hervor, dass das nationale Gericht die genauen Gründe angibt, aus denen es die Auslegung des Unionsrechts für fraglich und die Vorlage von Vorabentscheidungsfragen an den Gerichtshof für erforderlich hält (vgl. u. a. Beschlüsse vom 3. Juli 2014, Talasca, C‑19/14, EU:C:2014:2049, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 30. Mai 2018, SNCB, C‑190/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:355, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point19">19</a>      Da die Vorlageentscheidung als Grundlage für das Verfahren vor dem Gerichtshof dient, ist es nämlich unerlässlich, dass das nationale Gericht in der Vorlageentscheidung selbst den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen des Ausgangsrechtsstreits erläutert und ein Mindestmaß an Erläuterungen zu den Gründen für die Wahl der Unionsbestimmungen, um deren Auslegung es ersucht, und zu dem Zusammenhang gibt, den es zwischen diesen Bestimmungen und den nationalen Rechtsvorschriften sieht, die auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit anzuwenden sind (vgl. u. a. Beschluss vom 3. Juli 2014, Talasca, C‑19/14, EU:C:2014:2049, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point20">20</a>      Diese Anforderungen an den Inhalt eines Vorabentscheidungsersuchens sind ausdrücklich in Art. 94 der Verfahrensordnung aufgeführt, von dem das vorlegende Gericht im Rahmen der in Art. 267 AEUV vorgesehenen Zusammenarbeit Kenntnis haben sollte und den es sorgfältig zu beachten hat (vgl. u. a. Beschlüsse vom 30. Mai 2018, SNCB, C‑190/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:355, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 21. Juni 2018, Idroenergia, C‑166/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:476, Rn. 14 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point21">21</a>      Nach Art. 94 der Verfahrensordnung muss jedes Vorabentscheidungsersuchen „eine kurze Darstellung des Streitgegenstands und des maßgeblichen Sachverhalts, wie er vom vorlegenden Gericht festgestellt worden ist, oder zumindest eine Darstellung der tatsächlichen Umstände, auf denen die Fragen beruhen“, „den Wortlaut der möglicherweise auf den Fall anwendbaren nationalen Vorschriften und gegebenenfalls die einschlägige nationale Rechtsprechung“ sowie „eine Darstellung der Gründe, aus denen das vorlegende Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung oder der Gültigkeit bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat, und den Zusammenhang, den es zwischen diesen Vorschriften und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht herstellt“, enthalten (Beschluss vom 7. Juni 2018, easyJet Airline, C‑241/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:421, Rn. 12 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point22">22</a>      Diese Anforderungen finden sich auch in den Empfehlungen des Gerichtshofs der Europäischen Union an die nationalen Gerichte bezüglich der Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen (ABl. 2016, C 439, S. 1).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point23">23</a>      Überdies ist hervorzuheben, dass die Angaben in den Vorlageentscheidungen nicht nur dem Gerichtshof sachdienliche Antworten ermöglichen, sondern auch den Regierungen der Mitgliedstaaten und den anderen Beteiligten die Möglichkeit geben sollen, gemäß Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union Erklärungen abzugeben. Der Gerichtshof hat darüber zu wachen, dass diese Möglichkeit gewahrt wird, wobei zu berücksichtigen ist, dass den Beteiligten aufgrund der genannten Vorschrift nur die Vorlageentscheidungen zugestellt werden (Beschluss vom 7. Juni 2018, easyJet Airline, C‑241/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:421, Rn. 14 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point24">24</a>      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 56 AEUV dahin auszulegen ist, dass es bei der Beurteilung, ob die Werbepraktiken des Konzessionsinhabers im Fall eines staatlichen Glücksspielmonopols zulässig sind, darauf ankommt, ob es in einer gesamthaften Betrachtung im relevanten Zeitraum tatsächlich zu einem Wachstum des Glücksspielmarkts gekommen ist oder ob es genügt, dass die Werbung auf eine aktive Teilnahme an diesen Spielen abzielt. Mit seiner zweiten Frage möchte es wissen, ob dieser Artikel dahin auszulegen ist, dass bei der Beurteilung dieser Praktiken Werbeaktivitäten privater Anbieter zu berücksichtigen sind. Mit seiner dritten Frage möchte es wissen, ob das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass das vorlegende Gericht aus eigener Entscheidungsbefugnis gehalten ist, jede seiner Auffassung nach dem Unionsrecht entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet zu lassen, selbst wenn vom nationalen Verfassungsgericht deren Unionsrechtskonformität bestätigt worden ist.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point25">25</a>      Was die erste und die zweite Frage angeht, hat das vorlegende Gericht nicht klar erläutert, warum es veranlasst war, sich Fragen zu bestimmten Kriterien für die Beurteilung von Werbepraktiken des Inhabers des Glücksspielmonopols zu stellen, und inwieweit die Antwort auf diese Fragen für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits erforderlich ist. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point26">26</a>      In der Vorlageentscheidung hat das vorlegende Gericht zwar dargelegt, dass der Verfassungsgerichtshof die Vereinbarkeit des Glücksspielmonopols mit dem Unionsrecht bestätigt habe. Es hat jedoch den Inhalt der österreichischen Verfassungsrechtsprechung nicht dargetan und nicht klar erläutert, wie eine Antwort auf die erste und die zweite Frage es ihm gegebenenfalls ermöglichen würde, von dieser Rechtsprechung abzuweichen und den Ausgangsrechtsstreit zu entscheiden. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point27">27</a>      Folglich ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht nicht mit der erforderlichen Genauigkeit und Klarheit dargestellt hat, aus welchen Gründen die beantragte Auslegung seiner Ansicht nach für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens erforderlich oder sachdienlich ist. Das vorlegende Gericht ermöglicht es dem Gerichtshof daher weder, ihm eine sachliche Antwort zu geben, damit es den Ausgangsrechtsstreit entscheiden kann, noch gibt es den Regierungen der Mitgliedstaaten und den anderen Beteiligten die Möglichkeit, gemäß Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union Erklärungen abzugeben.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point28">28</a>      Es ist daher festzustellen, dass die erste und die zweite Frage offensichtlich unzulässig sind. </p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point29">29</a>      Wegen der offensichtlichen Unzulässigkeit der ersten und der zweiten Frage braucht die dritte Frage nicht mehr beantwortet zu werden.</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point30">30</a>      Angesichts aller vorstehenden Erwägungen ist gemäß Art. 53 Abs. 2 der Verfahrensordnung festzustellen, dass das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen offensichtlich unzulässig ist. </p>
<p class="C04Titre1"> <b>Kosten</b>
</p>
<p class="C01PointnumeroteAltN">
<a name="point31">31</a>      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.</p>
<p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) beschlossen:</p>
<p class="C30Dispositifalinea">
<b>Das vom Landesverwaltungsgericht Steiermark (Österreich) mit Entscheidung vom 2. Juli 2018 eingereichte Vorabentscheidungsersuchen ist offensichtlich unzulässig.</b>
</p>
<p class="C77SignaturesAlinea">Luxemburg, den 9. Januar 2019</p>
<table width="100%">
<tr>
<td width="33%">
<p class="C77Signatures" style="text-align:left">Der Kanzler</p>
</td><td width="33%"> </td><td width="33%">
<p class="C77Signatures" style="text-align:right">Der Präsident der Siebten Kammer</p>
</td>
</tr>
</table>
<table width="100%">
<tr>
<td width="33%">
<p class="C77SignaturesAlinea" style="text-align:left">A. Calot Escobar</p>
</td><td width="33%"> </td><td width="33%">
<p class="C77SignaturesAlinea" style="text-align:right">T. von Danwitz</p>
</td>
</tr>
</table>
<hr/>
<p class="C42FootnoteLangue">
<a href="#Footref*" name="Footnote*">*</a>      Verfahrenssprache: Deutsch.</p>
|
175,059 | eugh-2019-01-09-c-66817-p | {
"id": 2,
"name": "Europäischer Gerichtshof",
"slug": "eugh",
"city": null,
"state": 19,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | C-668/17 P | 2019-01-09T00:00:00 | 2019-01-31T19:21:09 | 2019-01-31T19:21:09 | Schlussantrag des Generalanwalts | ECLI:EU:C:2019:4 | <p class="C36Centre">SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS</p>
<p class="C36Centre">MACIEJ SZPUNAR</p>
<p class="C36Centre">vom 9. Januar 2019(<a href="#Footnote1" name="Footref1">1</a>)</p>
<p class="C38Centregrasgrandespacement">Rechtssache C‑668/17 P</p>
<p class="C37Centregras">Viridis Pharmaceutical Ltd</p>
<p class="C37Centregras">gegen</p>
<p class="C37Centregras">
<b>Amt der </b>Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO)</p>
<p class="C71Indicateur">„Rechtsmittel – Unionsmarke – Verfallsverfahren – Wortmarke Boswelan – Verfallserklärung – Benutzung einer Marke im Rahmen einer klinischen Studie“</p>
<br/>
<br/>
<br/>
<br/>
<p class="C02AlineaAltA">
<br/>
</p>
<p class="C21Titrenumerote1">I.      <b>Einleitung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point1">1.</a>        Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Viridis Pharmaceutical Ltd (im Folgenden: Rechtsmittelführerin) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 15. September 2017, Viridis Pharmaceutical/EUIPO – Hecht-Pharma (Boswelan)(<a href="#Footnote2" name="Footref2">2</a>), mit dem dieses ihre Klage auf Aufhebung der Entscheidung der Fünften Beschwerdekammer des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) vom 29. Februar 2016 (Sache R 2837/2014‑5) zu einem Verfallsverfahren zwischen der Hecht-Pharma GmbH<b/>und der Rechtsmittelführerin (im Folgenden: streitige Entscheidung) abgewiesen hat. Dieses Verfahren betraf den Verfall einer insbesondere für Arzneimittel zur Behandlung von Multipler Sklerose eingetragenen Marke.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point2">2.</a>        Im Rahmen dieses Verfahrens machte die Rechtsmittelführerin geltend, dass die ernsthafte Benutzung der angegriffenen Marke, die für Arzneimittel eingetragen sei, deren Vermarktung und Bewerbung bis zur Genehmigung für das Inverkehrbringen verboten gewesen seien, im Rahmen einer zur Vervollständigung des Antrags auf Genehmigung für das Inverkehrbringen durchgeführten klinischen Studie erfolgt sei. Hilfsweise brachte sie vor, dass ab der Einreichung des Antrags, um eine klinische Prüfung dieser Arzneimittel durchzuführen, die Durchführung dieser klinischen Prüfung zumindest einen berechtigten Grund für die Nichtbenutzung der Marke darstelle.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point3">3.</a>        Das Gericht hat die Klage abgewiesen, wobei es davon ausging, dass die Rechtsmittelführerin nicht geltend machen könne, sie habe die angegriffene Marke ernsthaft benutzt oder einen berechtigten Grund für ihre Nichtbenutzung gehabt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point4">4.</a>        Mit ihrem Rechtsmittel beanstandet die Rechtsmittelführerin im Wesentlichen die Erwägungen des Gerichts zur ernsthaften Benutzung einer Marke.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point5">5.</a>        Die sich in der vorliegenden Rechtssache stellenden Rechtsfragen betreffen somit die Auslegung der Begriffe „ernsthafte Benutzung“ und „berechtigte Gründe für die Nichtbenutzung“ im Sinne der Verordnungen (EG) Nr. 207/2009(<a href="#Footnote3" name="Footref3">3</a>) und (EU) 2017/1001(<a href="#Footnote4" name="Footref4">4</a>) im Kontext eines Verfallsverfahrens zu einer für Arzneimittel eingetragenen Marke.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">II.    <b>Rechtlicher Rahmen</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point6">6.</a>        Der zehnte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 207/2009 lautet wie folgt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„Der Schutz der [Unionsmarke] sowie jeder eingetragenen älteren Marke, die ihr entgegensteht, ist nur insoweit berechtigt, als diese Marken tatsächlich benutzt werden.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point7">7.</a>        Art. 15 („Benutzung der [Unionsmarke]“) Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 bestimmt: </p>
<p class="C02AlineaAltA">„Hat der Inhaber die [Unionsmarke] für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, innerhalb von fünf Jahren, gerechnet von der Eintragung an, nicht ernsthaft in der [Union] benutzt, oder hat er eine solche Benutzung während eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren ausgesetzt, so unterliegt die [Unionsmarke] den in dieser Verordnung vorgesehenen Sanktionen, es sei denn, dass berechtigte Gründe für die Nichtbenutzung vorliegen.“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point8">8.</a>        Die in Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 genannten Sanktionen werden in Art. 51 („Verfallsgründe“) dieser Verordnung konkretisiert, dessen Abs. 1 Buchst. a bestimmt:</p>
<p class="C02AlineaAltA">„(1)       Die [Unionsmarke] wird auf Antrag beim [EUIPO] oder auf Widerklage im Verletzungsverfahren für verfallen erklärt,</p>
<p class="C09Marge0avecretrait">a)      wenn die Marke innerhalb eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren in der [Union] für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, nicht ernsthaft benutzt worden ist und keine berechtigten Gründe für die Nichtbenutzung vorliegen; der Verfall der Rechte des Inhabers kann jedoch nicht geltend gemacht werden, wenn nach Ende dieses Zeitraums und vor Antragstellung oder vor Erhebung der Widerklage die Benutzung der Marke ernsthaft begonnen oder wieder aufgenommen worden ist; wird die Benutzung jedoch innerhalb eines nicht vor Ablauf des ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren der Nichtbenutzung beginnenden Zeitraums von drei Monaten vor Antragstellung oder vor Erhebung der Widerklage begonnen oder wieder aufgenommen, so bleibt sie unberücksichtigt, sofern die Vorbereitungen für die erstmalige oder die erneute Benutzung erst stattgefunden haben, nachdem der Inhaber Kenntnis davon erhalten hat, dass der Antrag gestellt oder die Widerklage erhoben werden könnte;</p>
<p class="C02AlineaAltA">…“</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point9">9.</a>        Die Verordnung Nr. 207/2009 wurde durch die Verordnung 2017/1001 aufgehoben und ersetzt. Nach der Entsprechungstabelle in Anhang III der letzteren Verordnung entsprechen die Art. 15 und 51 der Verordnung Nr. 207/2009 den Art. 18 bzw. 58 der Verordnung 2017/1001(<a href="#Footnote5" name="Footref5">5</a>).</p>
<p class="C21Titrenumerote1">III. <b>Verfahren vor dem EUIPO</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point10">10.</a>      Die Rechtsmittelführerin ist die Rechtsnachfolgerin einer Gesellschaft, die beim EUIPO am 30. September 2003 das Wortzeichen Boswelan als Unionsmarke für pharmazeutische Erzeugnisse sowie Präparate für die Gesundheitspflege der Klasse 5 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung (im Folgenden: Abkommen von Nizza) angemeldet hatte. Die Eintragung der Marke erfolgte am 24. April 2007.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point11">11.</a>      Am 24. Oktober 2010 beantragte die Rechtsmittelführerin die Genehmigung einer klinischen Studie zu einem Arzneimittel für die Behandlung von Multipler Sklerose, das zur allgemeineren Kategorie der pharmazeutischen Erzeugnisse und Präparate für die Gesundheitspflege gehört. Der genaue Zeitpunkt des Abschlusses dieser Studie wurde nicht bestimmt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point12">12.</a>      Am 18. November 2013 stellte Hecht-Pharma einen Antrag auf Erklärung des Verfalls der angegriffenen Marke für alle eingetragenen Waren, da sie für einen ununterbrochenen Zeitraum von fünf Jahren vor der Stellung dieses Antrags nicht ernsthaft benutzt worden sei.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point13">13.</a>      Mit Entscheidung vom 26. September 2014 erklärte die Löschungsabteilung des EUIPO die Marke der Rechtsmittelführerin hinsichtlich aller eingetragenen Waren für verfallen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point14">14.</a>      Am 6. November 2014 legte die Rechtsmittelführerin gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung bei der Beschwerdekammer des EUIPO eine Beschwerde ein.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point15">15.</a>      Mit der streitigen Entscheidung wies die Fünfte Beschwerdekammer des EUIPO die Beschwerde zurück.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point16">16.</a>      Die Beschwerdekammer führte erstens aus, dass die von der Rechtsmittelführerin eingereichten Unterlagen nicht zum Nachweis einer ernsthaften Benutzung der angegriffenen Marke in der Europäischen Union geeignet seien, und zweitens, dass im vorliegenden Fall die Durchführung einer klinischen Studie allein kein vom Willen der Rechtsmittelführerin unabhängiger Grund sei, der zur Nichtbenutzung der angegriffenen Marke berechtigen würde.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">IV.    Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point17">17.</a>      Mit am 30. Mai 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift erhob die Rechtsmittelführerin Klage auf Aufhebung der streitigen Entscheidung, soweit diese die angegriffene Marke hinsichtlich der zur allgemeineren Kategorie der „pharmazeutischen Erzeugnisse und Präparate für die Gesundheitspflege“ gehörenden Arzneimittel zur Behandlung von Multipler Sklerose für verfallen erklärte. Im Rahmen dieser Klage machte die Rechtsmittelführerin drei Klagegründe geltend, wobei der erste einen Verstoß gegen Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 betraf, soweit die Beschwerdekammer zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass die beigebrachten Tatsachen und Beweismittel nicht ausreichten, eine ernsthafte Benutzung der angegriffenen Marke für die Arzneimittel zur Behandlung von Multipler Sklerose nachzuweisen, der zweite einen Verstoß gegen Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009, soweit die Beschwerdekammer zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass die beigebrachten Tatsachen und Beweismittel nicht ausreichten, um einen berechtigten Grund für die Nichtbenutzung dieser Marke hinsichtlich dieser Arzneimittel nachzuweisen, und der dritte einen Verstoß gegen Art. 83 der Verordnung Nr. 207/2009 und insbesondere den Grundsatz des Vertrauensschutzes, soweit die Beschwerdekammer von den Prüfungsrichtlinien des EUIPO abgewichen sei.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point18">18.</a>      Aus den im angefochtenen Urteil angeführten Gründen hat das Gericht die Klage insgesamt abgewiesen.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">V.      <b>Anträge der Parteien</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point19">19.</a>      In ihrer Rechtsmittelschrift beantragt die Rechtsmittelführerin, das angefochtene Urteil aufzuheben, die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen und dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen oder, hilfsweise, die Kostenentscheidung vorzubehalten. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point20">20.</a>      Das EUIPO und Hecht-Pharma beantragen, das Rechtsmittel zurückzuweisen und der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">VI.    <b>Würdigung</b>
</p>
<p class="C22Titrenumerote2">A.      Vorbemerkung zur zeitlichen Anwendung der Verordnungen über die Unionsmarke</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point21">21.</a>      Wie die Rechtsmittelführerin in ihrer Rechtsmittelschrift angibt, stützt sie ihre Rechtsmittelgründe auf einen Verstoß gegen die Bestimmungen der Verordnung 2017/1001. Nach Art. 211 dieser Verordnung sei zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Urteils, also am 15. September 2017, die Verordnung Nr. 207/2009 bereits durch die Verordnung 2017/1001 aufgehoben und ersetzt gewesen. Im Übrigen nimmt auch Hecht-Pharma in ihrer Rechtsmittelbeantwortung auf die Bestimmungen der letzteren Verordnung Bezug. Das EUIPO beruft sich hingegen auf die Bestimmungen der Verordnung Nr. 207/2009.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point22">22.</a>      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtsmittelführerin keinen Rechtsmittelgrund geltend macht, mit dem sie rügte, das Gericht habe das angefochtene Urteil auf einer falschen Rechtsgrundlage erlassen oder Übergangsbestimmungen der Verordnung 2017/1001 unrichtig angewandt. Jedenfalls ist das Urteil am 15. September 2017 erlassen worden, d. h. nach dem Inkrafttreten der Verordnung 2017/1001 (6. Juli 2017), aber vor ihrer Anwendbarkeit (1. Oktober 2017)(<a href="#Footnote6" name="Footref6">6</a>). Daher war Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 beim Erlass des angefochtenen Urteils anwendbar(<a href="#Footnote7" name="Footref7">7</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point23">23.</a>      Außerdem entspricht der im Rahmen des Rechtsmittels angeführte Art. 58 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001 Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009. Ebenso übernimmt Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung 2017/1001 den Wortlaut von Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009(<a href="#Footnote8" name="Footref8">8</a>). Diese beiden Bestimmungen führen die Verpflichtung zur Benutzung der Marke ein und verweisen, bei Fehlen eines berechtigten Grundes, auf die Bestimmungen dieser Verordnung über die Folgen der Nichtbenutzung. Alter Wein in neuen Flaschen(<a href="#Footnote9" name="Footref9">9</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point24">24.</a>      Daher ist die Würdigung zu den Bestimmungen der Verordnung Nr. 207/2009 meines Erachtens auf die Bestimmungen der Verordnung 2017/1001 übertragbar. Aus diesem Grund werde ich mich in den vorliegenden Schlussanträgen auf die einschlägigen Bestimmungen der Verordnung Nr. 207/2009 und auf die ihnen entsprechenden Bestimmungen der Verordnung 2017/1001 beziehen. Ebenso werde ich die Bezugnahmen auf die Bestimmungen der Verordnung 2017/1001 durch die Rechtsmittelführerin und Hecht-Pharma auch als solche auf die entsprechenden Bestimmungen der Verordnung Nr. 207/2009 verstehen.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">B.      <b>Zum Rechtsmittel</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point25">25.</a>      Die Rechtsmittelführerin macht zwei Rechtsmittelgründe geltend. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point26">26.</a>      Der erste Rechtsmittelgrund, der einen Verstoß gegen Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 [Art. 58 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001] betrifft, besteht aus zwei Teilen. Mit dem ersten Teil stellt die Rechtsmittelführerin die Feststellung des Gerichts in Frage, dass eine rechtserhaltende Benutzung für ein Arzneimittel nur vorliegen könnte, wenn eine Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels, für das die Marke eingetragen worden sei, vom Inhaber dieser Marke erlangt worden sei. Mit dem zweiten Teil rügt die Rechtsmittelführerin das angefochtene Urteil, soweit das Gericht davon ausgegangen sei, dass die Benutzung einer Marke im Rahmen einer klinischen Studie keine ernsthafte Benutzung darstelle.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point27">27.</a>      Es ist darauf hinzuweisen, dass diese zwei Teile unterschiedliche Situationen betreffen. Der zweite Teil betrifft nur die Benutzung einer Marke im Rahmen einer klinischen Studie, während der erste Teil allgemeiner die Benutzung vor der Genehmigung für das Inverkehrbringen betrifft. Dies vorausgeschickt, war die Rechtsmittelführerin nach den in Rn. 40 des angefochtenen Urteils zusammengefassten Beurteilungen des Gerichts nicht in der Lage, andere Handlungen geltend zu machen als diejenigen im Rahmen des Verfahrens der klinischen Prüfung.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point28">28.</a>      Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund wirft die Rechtsmittelführerin dem Gericht vor, gegen Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 [Art. 58 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001] verstoßen zu haben, indem es das Vorliegen berechtigter Gründe für die Nichtbenutzung der angegriffenen Marke in dem Fall ausgeschlossen habe, in dem das Erzeugnis, für das die Marke eingetragen worden sei, Gegenstand einer klinischen Prüfung sei.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">C.      <b>Zur Zulässigkeit der Rechtsmittelgründe</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point29">29.</a>      In ihrer Rechtsmittelbeantwortung weist Hecht-Pharma darauf hin, dass die Rechtsmittelführerin mit ihren Rechtsmittelgründen eine neue Würdigung der Tatsachen bzw. des Sachverhalts begehre. Diese Rechtsmittelgründe seien daher offensichtlich unzulässig.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point30">30.</a>      In einem Rechtsmittel, zu dem der Beschluss Martín Osete/EUIPO(<a href="#Footnote10" name="Footref10">10</a>) ergangen ist, warf eine Rechtsmittelführerin dem Gericht vor, eine übermäßig enge Auslegung des Begriffs „berechtigte Gründe für die Nichtbenutzung“ im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 gewählt zu haben. Insbesondere wies sie darauf hin, dass gewisse Regelungen die Vermarktung der Parfums, für die die Marke eingetragen worden sei, übermäßig erschwerten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point31">31.</a>      Der Gerichtshof hat in diesem Beschluss festgestellt, dass unter dem Deckmantel einer fehlerhaften Auslegung des Begriffs „berechtigte Gründe für die Nichtbenutzung“ die Rechtsmittelführerin in Wirklichkeit darauf abzielte, die Tatsachenwürdigungen des Gerichts in Frage zu stellen. Folglich hat der Gerichtshof den betreffenden Rechtsmittelgrund als offensichtlich unzulässig zurückgewiesen. In ihrem Rechtsmittel hatte sich die Rechtsmittelführerin nach meinem Dafürhalten nämlich insbesondere auf die Beweismittel konzentriert, um zu veranschaulichen, dass das Bestehen berechtigter Gründe klar nachgewiesen sei(<a href="#Footnote11" name="Footref11">11</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point32">32.</a>      Jedoch zielt die Rechtsmittelführerin in der vorliegenden Rechtssache auf die Auslegung – als solche – der Begriffe „ernsthafte Benutzung“ und „berechtigte Gründe für die Nichtbenutzung“ im Sinne der Verordnung Nr. 207/2009 [Verordnung 2017/1001] im Kontext eines Verfallsverfahrens zu einer Marke ab, die für ein Arzneimittel für den menschlichen Gebrauch eingetragen wurde, dessen Vermarktung und Bewerbung bis zur Genehmigung für das Inverkehrbringen verboten waren. Daher erfordert die Prüfung der Rechtsmittelgründe, die Bestimmungen der Verordnung Nr. 207/2009 [Verordnung 2017/1001] im Licht der Regelung für Arzneimittel für den menschlichen Gebrauch in der Union auszulegen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point33">33.</a>      Ich meine daher, dass mit den vorliegenden Rechtsmittelgründen keine neue Würdigung der Tatsachen bzw. des Sachverhalts begehrt wird, sondern Rechtsfragen aufgeworfen werden. Sie sind daher zulässig.</p>
<p class="C22Titrenumerote2">D.      <b>Zur Begründetheit</b>
</p>
<p class="C23Titrenumerote3">1.      <b>Zum ersten Rechtsmittelgrund</b>
</p>
<p class="C24Titrenumerote4">a)      <b>Zum ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes</b>
</p>
<p class="C25Titrenumerote5">1)      <i>Stellungnahmen der Parteien</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point34">34.</a>      Mit dem ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes rügt die Rechtsmittelführerin, dass, erstens, das Gericht in Rn. 36 des angefochtenen Urteils von einem Grundsatz ausgegangen sei, wonach eine rechtserhaltende Benutzung einer für ein Arzneimittel eingetragenen Marke nur vorliegen könne, wenn eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erlangt worden sei. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs hänge die Frage, ob eine Benutzung ausreichend sei, von einer Einzelfallbeurteilung ab(<a href="#Footnote12" name="Footref12">12</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point35">35.</a>      Im Rahmen ihrer Kritik an dem Grundsatz, von dem das Gericht ausgegangen sei, macht die Rechtsmittelführerin zweitens geltend, dass die Handlungen im Rahmen der klinischen Prüfungen, die einen Teil des Verfahrens der Genehmigung für das Inverkehrbringen darstellten, rechtmäßig gewesen seien(<a href="#Footnote13" name="Footref13">13</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point36">36.</a>      Drittens vertritt die Rechtsmittelführerin schließlich die Auffassung, dass unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Arzneimittelsektors ein Zeitraum von fünf Jahren als zu kurz anzusehen sei. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point37">37.</a>      Das EUIPO und, die Zulässigkeit des ersten Rechtsmittelgrundes vorausgesetzt, Hecht-Pharma halten hingegen den ersten Teil dieses Rechtsmittelgrundes für unbegründet.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point38">38.</a>      Das EUIPO bringt insbesondere vor, dass entgegen den Ausführungen der Rechtsmittelführerin das Gericht die Erlangung einer arzneimittelrechtlichen Genehmigung für das Inverkehrbringen nicht als <i>unabdingbare </i>Voraussetzung für das Vorliegen einer ernsthaften Benutzung angesehen habe.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point39">39.</a>      Hecht-Pharma ist ihrerseits der Ansicht, dass die angegriffene Marke für die Waren benutzt werden müsse, für die sie eingetragen sei. Im vorliegenden Fall sei daher zu beurteilen, ob diese Marke für ein Arzneimittel zur Behandlung von Multipler Sklerose benutzt werde. Eine ernsthafte Benutzung für ein solches Arzneimittel könne nur nachgewiesen werden, wenn das fragliche Produkt tatsächlich ein Arzneimittel sei. Es sei aber erst am Ende der von der Rechtsmittelführerin durchgeführten klinischen Studie möglich, festzustellen, ob das geprüfte Produkt ein Arzneimittel im Sinne dieser Definition darstelle. Die Benutzung dieses Produkts im Rahmen der klinischen Prüfung könne daher keine ernsthafte Benutzung der angegriffenen Marke für ein Arzneimittel darstellen.</p>
<p class="C25Titrenumerote5">2)      <i>Würdigung</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point40">40.</a>      Als Erstes bin ich hinsichtlich des Vorbringens der Rechtsmittelführerin, mit dem sie rügt, das Gericht sei von einem Grundsatz ausgegangen, wonach eine rechtserhaltende Benutzung nur vorliegen könne, wenn eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erlangt worden sei, wie das EUIPO der Ansicht, dass dieses auf einer unrichtigen Auslegung des angefochtenen Urteils beruht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point41">41.</a>      In Rn. 36 des angefochtenen Urteils hat das Gericht zwar darauf hingewiesen, dass nur die Erlangung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen geeignet sei, eine öffentliche und nach außen gerichtete Benutzung der angegriffenen Marke zu ermöglichen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point42">42.</a>      In den Rn. 37 bis 39 des angefochtenen Urteils hat das Gericht jedoch eine Würdigung der Situation der Rechtsmittelführerin vorgenommen, unbeschadet der Tatsache, dass sie die Genehmigung für das Inverkehrbringen nicht erlangt hatte. Somit ist das Gericht in keiner Weise davon ausgegangen, dass mangels dieser Genehmigung für das Inverkehrbringen eine für ein Arzneimittel eingetragene Marke nicht Gegenstand einer „ernsthaften Benutzung“ im Sinne von Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 [Art. 58 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001] sein könne. Im Übrigen beanstandet der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes hauptsächlich die Erwägungen des Gerichts in Rn. 39 des angefochtenen Urteils. Daher wird bei der Würdigung dieses Teils die Gültigkeit des Grundsatzes, von dem das Gericht ausgegangen sein soll, bewertet werden können, zumindest soweit dieser Grundsatz die Benutzung einer Marke im Rahmen klinischer Studien betreffen würde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point43">43.</a>      Als Zweites genügt zur Rechtmäßigkeit der Handlungen während klinischer Studien die Feststellung, dass die Rechtmäßigkeit von Handlungen, in deren Rahmen eine Marke eingesetzt wird, diese Handlungen nicht automatisch in ernsthafte Nutzungshandlungen in Bezug auf diese Marke verwandelt(<a href="#Footnote14" name="Footref14">14</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point44">44.</a>      Als Drittes bin ich der Ansicht, dass auch das Vorbringen der Rechtsmittelführerin zur Unzulänglichkeit der Fünfjahresfrist nicht durchgreifen kann. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point45">45.</a>      Die Fünfjahresfrist, wie sie in Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 [Art. 58 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001] vorgesehen ist, ist unabhängig vom Wirtschaftszweig anwendbar, zu dem die Waren oder Dienstleistungen gehören, für die eine Marke eingetragen wurde. Jedoch werden die Besonderheiten eines Wirtschaftszweigs berücksichtigt, wenn es um die Beurteilung der Umstände geht, die je nach dem Markt der betreffenden Waren oder Dienstleistungen eine ernsthafte Benutzung darstellen (oder nicht). Jedenfalls werde ich auf diese Frage im Rahmen der Analyse zum zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes eingehen. Außerdem können die Umstände, unter denen die Frist von fünf Jahren unzureichend würde, um eine ernsthafte Benutzung einer Marke zu beginnen, im Rahmen der Prüfung der Gründe für die Nichtbenutzung berücksichtigt werden, auf die ich mich im Rahmen der Analyse zum zweiten Rechtsmittelgrund beziehen werde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point46">46.</a>      Folglich ist meines Erachtens der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes unbegründet.</p>
<p class="C24Titrenumerote4">b)      <b>Zum zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes</b>
</p>
<p class="C25Titrenumerote5">1)      <i>Stellungnahmen der Parteien</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point47">47.</a>      Mit dem zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes rügt die Rechtsmittelführerin, dass das Gericht in Rn. 39 des angefochtenen Urteils festgestellt habe, die Benutzung einer Marke im Rahmen einer klinischen Studie stelle eine rein interne Benutzung dar und solche Nutzungshandlungen könnten jedenfalls nicht als ernsthaft im Sinne von Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 [Art. 58 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001] angesehen werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point48">48.</a>      Die Verpflichtung zur Benutzung einer eingetragenen Marke – so die Rechtsmittelführerin – sei kein Selbstzweck und das Nutzungserfordernis bezwecke, das Markenregister von unbenutzten Marken freizuhalten. Die Auslegung des Begriffs der Benutzung sollte daher Gegenstand einer gewissen Großzügigkeit sein, wie Art. 15 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 [Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001] und der 25. Erwägungsgrund der Verordnung 2017/1001(<a href="#Footnote15" name="Footref15">15</a>) belegten, wonach die Benutzung einer Marke in einer anderen Form als derjenigen, in der sie eingetragen worden sei, für die Rechtserhaltung ausreichen müsste.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point49">49.</a>      Das EUIPO und Hecht-Pharma halten den zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes für unbegründet.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point50">50.</a>      Das EUIPO bringt vor, dass die ernsthafte Benutzung auszuschließen sei, wenn, wie das Gericht zu Recht entschieden habe, die Bestimmungen der arzneimittelrechtlichen Regelung es verböten, ein noch nicht zugelassenes Arzneimittel zu bewerben, und somit eine Benutzung zur Erlangung eines Marktanteils rechtlich unmöglich sei. Die anderen vom Gericht angeführten Umstände, nämlich der enge Teilnehmerkreis und die interne Natur der Benutzung, seien nicht ausschlaggebend gewesen. Daher könnten die insoweit von der Rechtsmittelführerin geltend gemachten Argumente nicht durchgreifen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point51">51.</a>      Hecht-Pharma ergänzt insbesondere, dass eine klinische Studie eine vorbereitende Studie für den Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Produkts als Arzneimittel sei. Sinn und Zweck einer solchen vorbereitenden Studie sei es nicht, Marktanteile hinzuzugewinnen oder zu verteidigen; sie ziele vielmehr auf den Nachweis der Wirksamkeit des Produkts ab. Da die Studie randomisiert, doppelblind und placebokontrolliert durchgeführt werde, wüssten selbst die Beteiligten nicht, um welches Produkt und um welche Marke es sich handele.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point52">52.</a>      Außerdem weist Hecht-Pharma darauf hin, dass der Begriff der ernsthaften Benutzung nicht Gegenstand einer gewissen Großzügigkeit sein könne. Der 25. Erwägungsgrund der Verordnung 2017/1001 betreffe nämlich eine andere Frage.</p>
<p class="C25Titrenumerote5">2)      <i>Würdigung</i>
</p>
<p class="C26Titrenumerote6">i)      <i>Vorbemerkungen</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point53">53.</a>      Entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin gründet Rn. 39 des angefochtenen Urteils nicht auf der Annahme, dass die Benutzung einer Marke im Rahmen einer klinischen Studie interner Natur sei und daher allein aus dem Grund, dass sie an einen beschränkten Adressatenkreis gerichtet sei, nicht als ernsthaft angesehen werden könne. Nach dem Gericht konnte nämlich die Benutzung der angegriffenen Marke im Rahmen einer klinischen Studie gegenüber Dritten auch deshalb weder einer Markteinführung noch einer direkten Vorbereitungshandlung gleichgestellt werden, weil sie außerhalb des Wettbewerbs und ohne das Ziel erfolgte, Marktanteile zu erschließen oder zu sichern.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point54">54.</a>      Folglich will die Rechtsmittelführerin mit dem zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes meines Erachtens im Wesentlichen nachweisen, dass die Frage, ob die Benutzung einer für ein Arzneimittel eingetragenen Marke im Rahmen einer klinischen Prüfung dieses Arzneimittels als ernsthafte Benutzung im Sinne von Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 [Art. 58 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001] eingestuft werden kann, entgegen der Feststellung des Gerichts in Rn. 39 des angefochtenen Urteils zu bejahen ist.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point55">55.</a>      Diese Frage wurde in der Lehre bereits gestellt und beantwortet. Insbesondere wurde geltend gemacht, dass die Durchführung von klinischen Studien vor der Genehmigung für das Inverkehrbringen keine ernsthafte Benutzung darstelle, da diese Studien nicht externer Natur seien(<a href="#Footnote16" name="Footref16">16</a>). Außerdem scheint mir dies auch die Auslegung der Bestimmungen zur Umsetzung der Richtlinien über das System der nationalen Marken durch die innerstaatlichen Gerichte zu sein(<a href="#Footnote17" name="Footref17">17</a>). Meines Wissens hat jedoch der Gerichtshof noch nicht über eine solche Frage befunden.</p>
<p class="C26Titrenumerote6">ii)    Natur der ernsthaften Benutzung im Licht der Rechtsprechung</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point56">56.</a>      Nach der Rechtsprechung wird eine Marke ernsthaft benutzt, wenn sie erstens für die Erschließung oder Sicherung eines Absatzmarktes für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen wurde, unter Ausschluss symbolischer Verwendungen, die allein der Wahrung der durch die Marke verliehenen Rechte dienen, und zweitens entsprechend ihrer Hauptfunktion benutzt wird(<a href="#Footnote18" name="Footref18">18</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point57">57.</a>      Die Anforderungen betreffend erstens den geschäftlichen Sinn und Zweck der Marke und zweitens ihre Hauptfunktion sind kumulativ. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point58">58.</a>      Zum einen kann der Schutz der Marke nicht fortdauern, wenn die Marke ihren geschäftlichen Sinn und Zweck verliert, der darin besteht, dass für Waren oder Dienstleistungen, die mit dem die Marke bildenden Zeichen versehen sind, gegenüber Waren oder Dienstleistungen anderer Unternehmen ein Absatzmarkt erschlossen oder gesichert wird(<a href="#Footnote19" name="Footref19">19</a>). Zum anderen genügt der Umstand, dass eine Marke benutzt wird, um für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen wurde, einen Absatzmarkt zu erschließen oder zu sichern, und nicht nur zur Wahrung der durch die Marke verliehenen Rechte, nicht, um eine „ernsthafte Benutzung“ zu bejahen. Es ist nämlich ebenso unerlässlich, dass diese Benutzung der Marke entsprechend ihrer Hauptfunktion vorgenommen wird, die darin besteht, dem Verbraucher oder Endabnehmer die Ursprungsidentität der durch die Marke gekennzeichneten Ware oder Dienstleistung zu garantieren, indem sie es ihm ermöglicht, diese Ware oder Dienstleistung ohne Verwechslungsgefahr von Waren oder Dienstleistungen anderer Herkunft zu unterscheiden(<a href="#Footnote20" name="Footref20">20</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point59">59.</a>      Eine Benutzung, die in der Erschließung oder Sicherung eines Absatzmarktes für die Waren oder Dienstleistungen besteht, muss ihrem Wesen nach nach außen gerichtet sein. Dasselbe gilt für die Erfüllung ihrer Hauptfunktion durch die Marke. Die Erfüllung dieser Funktion setzt die Präsenz der Marke auf dem Markt und folglich die Exposition der Öffentlichkeit gegenüber dieser Marke voraus.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point60">60.</a>      Es ist darauf hinzuweisen, dass aus diesen Erwägungen nicht abgeleitet werden kann, dass die Vermarktung der Waren oder Dienstleistungen, für die die Marke eingetragen wurde, unerlässlich ist, um eine ernsthafte Benutzung zu bejahen. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point61">61.</a>      Wie nämlich aus dem Urteil Ansul(<a href="#Footnote21" name="Footref21">21</a>) hervorgeht, kann eine ernsthafte Benutzung einer eingetragenen Marke in zwei Situationen vorliegen, nämlich in der Situation, in der die Waren bereits vermarktet werden, und in derjenigen, in der ihre Vermarktung unmittelbar bevorsteht. Eine solche Benutzung vor der Vermarktung als solche muss in Vorbereitungshandlungen im Hinblick auf die Gewinnung von Kunden bestehen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point62">62.</a>      Diese beiden Situationen haben Gemeinsamkeiten. Insbesondere hat der Gerichtshof in Rn. 37 des Urteils Ansul(<a href="#Footnote22" name="Footref22">22</a>) entschieden, dass die „ernsthafte Benutzung“ der Marke <i>voraussetzt, dass diese auf dem Markt der </i>durch sie<i> geschützten Waren oder Dienstleistungen benutzt wird </i>und nicht nur innerhalb des betreffenden Unternehmens. Der Gerichtshof hat in der Folge diese Erwägungen im Urteil Verein Radetzky-Orden(<a href="#Footnote23" name="Footref23">23</a>) näher ausgeführt und zwischen zwei Fällen unterschieden: zum einen <i>eine Benutzung der Marken, um die eigenen Waren oder Dienstleistungen in der Öffentlichkeit zu kennzeichnen oder deren Absatz zu fördern</i>,<i/>und zum anderen eine <i>Benutzung, die sich auf die interne Verwendung </i>der Marken <i>beschränkt</i>.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point63">63.</a>      Es scheint mir symptomatisch, dass der Gerichtshof im Urteil Ansul(<a href="#Footnote24" name="Footref24">24</a>) als Beispiel die Benutzung einer Marke im Rahmen von Werbekampagnen genannt hat, um eine Benutzung vor der Vermarktung der Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen worden war, zu veranschaulichen. Dieses Beispiel veranschaulicht nämlich gut eine vorherige Benutzung, aber auch eine ernsthafte Benutzung. Folglich impliziert die Durchführung von Werbekampagnen, in deren Rahmen eine Marke eingesetzt wird, nicht automatisch das Vorliegen einer ernsthaften Benutzung. Dieses Beispiel zeigt jedoch deutlich, dass selbst in einer Phase vor der Vermarktung von Waren oder Dienstleistungen die Benutzungshandlungen externer Art sein und gleichzeitig Wirkungen für die zukünftigen Adressaten dieser Waren oder Dienstleistungen entfalten müssen(<a href="#Footnote25" name="Footref25">25</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point64">64.</a>      Daher ist jede ernsthafte Benutzung im Wesentlichen nach außen gerichtet. Hingegen geht aus den vorherigen Erwägungen nicht hervor, dass jede externe Benutzung einer Marke eine ernsthafte Benutzung darstellt. Die Tatsache allein, dass eine Marke gegenüber Dritten verwendet wird, bedeutet nicht, dass eine ernsthafte Benutzung vorliegt. Für die Feststellung einer solchen Benutzung ist es erforderlich, wie ich in den Nrn. 56 bis 59 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, zu prüfen, ob eine externe Nutzungshandlung in der Erschließung oder Sicherung eines Absatzmarktes für die Waren oder Dienstleistungen, für die die Marke eingetragen wurde, besteht. Im Rahmen dieser Prüfung ist eine Analyse durchzuführen, die insbesondere den Markt der betreffenden Waren oder Dienstleistungen berücksichtigt.</p>
<p class="C26Titrenumerote6">iii) Berücksichtigung der Besonderheiten eines Wirtschaftszweigs </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point65">65.</a>      Nach der Rechtsprechung sind bei der Prüfung der Frage, ob die Benutzung der Marke ernsthaft ist, sämtliche Umstände zu berücksichtigen, die belegen können, dass die Marke tatsächlich geschäftlich verwertet wird, insbesondere Verwendungen, die <i>im betreffenden Wirtschaftszweig </i>als gerechtfertigt angesehen werden, um <i>Marktanteile für die durch die Marke geschützten Waren oder Dienstleistungen </i>zu behalten oder zu gewinnen(<a href="#Footnote26" name="Footref26">26</a>). Die Prüfung der Umstände des Einzelfalls kann es somit rechtfertigen, dass insbesondere die Art der betreffenden Ware oder Dienstleistung, <i>die Merkmale des jeweiligen Marktes</i> sowie der Umfang und die Häufigkeit der Benutzung der Marke berücksichtigt werden(<a href="#Footnote27" name="Footref27">27</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point66">66.</a>      Somit ist die Berücksichtigung der Besonderheiten eines Wirtschaftszweigs, in dem eine Marke eingesetzt wird, in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannt worden. Insoweit scheint es mir angezeigt, einige Bemerkungen zur Regelung des Sektors der Arzneimittel für den menschlichen Gebrauch in der Union zu machen. Die Begriffe dieser Regelung haben zwar nicht notwendigerweise dieselbe Bedeutung wie die Begriffe des Markenrechts. Jedoch schafft diese Regelung den Rahmen, in dem die Akteure dieses Sektors Handlungen im Zusammenhang mit Arzneimitteln vornehmen können, für die Marken eingetragen wurden, und es steht fest, dass eine Marke für die Feststellung ihrer ernsthaften Benutzung auf dem Markt der betreffenden Waren oder Dienstleistungen verwendet worden sein muss(<a href="#Footnote28" name="Footref28">28</a>).</p>
<p class="C26Titrenumerote6">iv)    <i>Regelung der Arzneimittel für den menschlichen Gebrauch</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point67">67.</a>      Der harte Kern des unionsrechtlichen Systems betreffend den Sektor der Arzneimittel für den menschlichen Gebrauch wird durch die Richtlinie 2001/83/EG(<a href="#Footnote29" name="Footref29">29</a>) und die Verordnung (EG) Nr. 726/2004(<a href="#Footnote30" name="Footref30">30</a>) gebildet. Diese Gesetzgebungsakte der Union stellen einen Grundsatz auf, wonach Arzneimittel nicht in den Verkehr gebracht werden dürfen, ohne dass von der zuständigen Behörde eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt wurde(<a href="#Footnote31" name="Footref31">31</a>). Außerdem dürfen für Arzneimittel keine „Maßnahmen zur Information, zur Marktuntersuchung und zur Schaffung von Anreizen mit dem Ziel [gesetzt werden], die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern“, insbesondere in der Öffentlichkeit und bei Personen, die zur Verschreibung oder zur Abgabe von Arzneimitteln befugt sind(<a href="#Footnote32" name="Footref32">32</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point68">68.</a>      In diesem System stellt eine klinische Prüfung im Wesentlichen eine Untersuchung dar, die insbesondere durchgeführt wird, um die Wirkungen, einschließlich der Nebenwirkungen, eines Arzneimittels festzustellen oder zu überprüfen und um die Wirksamkeit und die Sicherheit seiner Anwendung nachzuweisen(<a href="#Footnote33" name="Footref33">33</a>). Die Ergebnisse einer solchen Prüfung sind nach Art. 8 Abs. 3 Buchst. i der Richtlinie 2001/83 dem Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen beizufügen. Klinische Studien werden daher grundsätzlich vor der Vermarktung und Bewerbung der unter Art. 6 der Richtlinie 2001/83 fallenden Arzneimittel durchgeführt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point69">69.</a>      Darüber hinaus wird eine klinische Studie grundsätzlich einer wissenschaftlichen und ethischen Überprüfung unterzogen und ist vorab zu genehmigen(<a href="#Footnote34" name="Footref34">34</a>). Ebenso unterliegen wesentliche Änderungen im Laufe einer klinischen Studie der Kontrolle der Mitgliedstaaten(<a href="#Footnote35" name="Footref35">35</a>). Außerdem ist der Sponsor einer klinischen Prüfung für ihre Einleitung, ihr Management und die Aufstellung ihrer Finanzierung verantwortlich(<a href="#Footnote36" name="Footref36">36</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point70">70.</a>      Um diesen Teil meiner Analyse zusammenzufassen: Meines Erachtens hat der Unionsgesetzgeber einen Ansatz gewählt, der den Zugang der Verbraucher oder Endabnehmer zu nicht zugelassenen Arzneimitteln beschränkt, um die mit der Anwendung solcher Arzneimittel verbundenen Risiken zu beschränken.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point71">71.</a>      Im Übrigen kann die Benutzung einer Marke für ein Arzneimittel während klinischer Prüfungen folglich nicht als ernsthafte Benutzung vor der Vermarktung dieses Arzneimittels im Sinne des Urteils Ansul(<a href="#Footnote37" name="Footref37">37</a>) angesehen werden. Ebenso steht fest, wie aus Rn. 38 des angefochtenen Urteils hervorgeht, dass die Situation der Rechtsmittelführerin der einer Benutzung vor der Vermarktung entspricht. Die Waren, für die die Marke eingetragen wurde, d. h. die Arzneimittel zur Behandlung von Multipler Sklerose, wurden nicht vermarktet, da ihre Vermarktung während des relevanten Zeitraums verboten war(<a href="#Footnote38" name="Footref38">38</a>).</p>
<p class="C26Titrenumerote6">v)      <i>Für Humanarzneimittel eingetragene Marken</i>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point72">72.</a>      Die Klasse 5 des Abkommens von Nizza, zu der die pharmazeutischen Erzeugnisse sowie die Präparate für die Gesundheitspflege gehören, umfasst nach der Lehre besonders viele Eintragungen(<a href="#Footnote39" name="Footref39">39</a>). Außerdem, glaubt man den Hinweisen in der Lehre, neigen die Akteure des Arzneimittelsektors dazu, Marken für Arzneimittel in der Anfangsphase ihrer Entwicklung anzumelden(<a href="#Footnote40" name="Footref40">40</a>). Diese Eile würde sich durch den Willen erklären, einflussreiche Kreise zu sensibilisieren, da eine Gefahr bestünde, dass während der Entwicklungsphase eines Arzneimittels sich die Ärzte und Fachkräfte mehr an seinen Gattungsnamen als an die Marke gewöhnten(<a href="#Footnote41" name="Footref41">41</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point73">73.</a>      In diesem Kontext ist darauf hinzuweisen, dass der Unionsgesetzgeber dieses Verhalten der Akteure des Humanarzneimittelsektors berücksichtigt hat. Die Richtlinie 2001/83 anerkennt nämlich, zumindest in einem gewissen Umfang, die Rolle, die Marken in diesem Sektor spielen. Nach Art. 1 Nr. 20 dieser Richtlinie kann nämlich die Bezeichnung eines Arzneimittels ein gebräuchlicher oder wissenschaftlicher Name in Verbindung mit einem Warenzeichen sein. Außerdem hat nach Art. 89 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 Werbung, die nur für zugelassene Arzneimittel erlaubt ist, insbesondere deren Namen zu enthalten.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point74">74.</a>      Aus den oben genannten Bestimmungen ergibt sich, dass in bestimmten Fällen eine für ein Arzneimittel eingetragene Marke mit dem Namen dieses Arzneimittels übereinstimmen kann. Folglich kann eine solche Marke in der Kommunikationsstrategie des Inhabers nur dann benutzt werden, wenn die Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Arzneimittels erlangt wurde.</p>
<p class="C26Titrenumerote6">vi)    Teilergebnis zur Benutzung einer Marke während der klinischen Prüfungen </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point75">75.</a>      Nach alledem weise ich darauf hin, dass, wie aus Nr. 70 der vorliegenden Schlussanträge hervorgeht, der Unionsgesetzgeber den Zugang der Verbraucher und Endabnehmer zu nicht zugelassenen Arzneimitteln beschränken will. Im System der Regelung der Arzneimittel für den menschlichen Gebrauch können die klinischen Prüfungen einer Filtermaßnahme gleichgehalten werden, die den Marktzugang der nicht zugelassenen Arzneimittel verhindert.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point76">76.</a>      Ebenso ist es aufgrund der Rolle, die eingetragene Marken für solche Arzneimittel in diesem System spielen, das vom Unionsgesetzgeber verfolgte Ziel, auch den Einsatz solcher Marken auf dem betreffenden Markt zu beschränken. Daher wird auch die Exposition der Öffentlichkeit gegenüber einer für ein (noch) nicht zugelassenes Arzneimittel eingetragenen Marke qualitativ und quantitativ beschränkt, zumindest soweit diese Marke auf dem Wettbewerbsmarkt der Arzneimittel eingesetzt werden könnte.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point77">77.</a>      Es ist darauf hinzuweisen, dass nicht zugelassene Arzneimittel während der klinischen Prüfungen für die Teilnehmer sowie für andere in diese Studien einbezogene Personen verfügbar sind. Ich schließe nicht aus, dass die zu diesen beiden Gruppen gehörenden Personen das Arzneimittel mit seinem Namen in Verbindung bringen könnten, und folglich die für dieses Arzneimittel eingetragene Marke mit ihrem Inhaber. Außerdem können sie wählen und entscheiden, ob sie in eine Studie einbezogen werden oder nicht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point78">78.</a>      Wie sich jedoch aus Nr. 64 der vorliegenden Schlussanträge ergibt, stellt nicht jede externe Benutzung automatisch eine ernsthafte Benutzung dar. Die Exposition gegenüber dieser Marke, die einen Absatzmarkt für die Waren erschließen könnte, für die sie auf dem betreffenden Markt eingetragen wurde, muss notwendigerweise innerhalb dieses Marktes stattfinden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point79">79.</a>      Ich denke nicht, dass dies bei einer Marke der Fall ist, die im Rahmen einer klinischen Studie benutzt wird.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point80">80.</a>      Erstens sind im Rahmen der klinischen Prüfungen nicht zugelassene Arzneimittel grundsätzlich nicht Gegenstand einer Vermarktung oder Bewerbung im Hinblick auf ein Eindringen in den Markt der vermarkteten Waren derselben Klasse. Ebenso ist eine klinische Prüfung, die eine Untersuchung der Risiken der Anwendung eines Arzneimittels unter Bedingungen darstellt, die einer vorherigen Genehmigung unterliegen, keine Form der geschäftlichen Verwertung einer für dieses Arzneimittel eingetragenen Marke, die in der Erschließung oder Sicherung eines Absatzmarktes für dieses Arzneimittel besteht, und sollte es auch nicht sein. Daher kann eine klinische Prüfung nicht einmal einer Vorbereitungshandlung für die Vermarktung im Sinne des Urteils Ansul(<a href="#Footnote42" name="Footref42">42</a>) gleichgesetzt werden.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point81">81.</a>      Im Sinne dieser Überlegungen denke ich nicht, dass klinische Prüfungen eines Arzneimittels im großen Rahmen eine ernsthafte Benutzung einer für ein geprüftes Arzneimittel eingetragenen Marke darstellen könnten. Wie aus dem zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/83 hervorgeht, ist die Absicht des Gesetzgebers, Versuche zu vermeiden, die nicht notwendig sind(<a href="#Footnote43" name="Footref43">43</a>). Die Größenordnung einer klinischen Prüfung wird nämlich nicht durch geschäftliche Erwägungen, sondern durch die wissenschaftliche Notwendigkeit bestimmt. Außerdem unterliegt diese Größenordnung der Genehmigung eines Mitgliedstaats(<a href="#Footnote44" name="Footref44">44</a>). Meines Erachtens ergibt sich das Fehlen einer ernsthaften Benutzung mehr aus den qualitativen Merkmalen der Benutzung einer Marke im Rahmen der klinischen Prüfungen als aus ihren quantitativen Merkmalen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point82">82.</a>      Zweitens hängen die Exposition gegenüber der Marke sowie die Entscheidung, die die Teilnehmer und andere in eine klinische Studie einbezogene Personen getroffen haben, hauptsächlich nicht von den Merkmalen des Produkts, seiner Herkunft oder gar der geschäftlichen Strategie des Inhabers, sondern von dem Willen ab, an einer Untersuchung zu diesem Arzneimittel teilzunehmen. Ich halte es in diesem Kontext für symptomatisch, dass, wie das Gericht in Rn. 59 des angefochtenen Urteils festgestellt hat, im vorliegenden Fall die finanzielle Investition eine entscheidende Rolle im Hinblick auf die Rekrutierung der Teilnehmer und anderer in die klinische Studie einbezogener Personen spielt. Im Übrigen wurde die angegriffene Marke unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens für Waren der Klasse 5 des Abkommens von Nizza eingetragen, nämlich pharmazeutische Erzeugnisse und Präparate für die Gesundheitspflege. Daher musste diese Marke einen Absatzmarkt nicht für wissenschaftliche Studien, sondern für Waren dieser Klasse erschließen. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point83">83.</a>      Schließlich können diese Erwägungen nicht durch das Argument der Rechtsmittelführerin in Frage gestellt werden, dass die Auslegung des Begriffs „ernsthafte Benutzung“ Gegenstand einer gewissen Großzügigkeit sein müsse, da nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 [Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001] der Unionsgesetzgeber die Benutzung einer Marke in einer Form zulasse, die von der Eintragung abweiche. Gegenstand dieser Bestimmungen ist es, dem Inhaber einer eingetragenen Marke zu ermöglichen, im Rahmen seines Geschäftsbetriebs Veränderungen an dem Zeichen vorzunehmen, die, ohne dessen Unterscheidungskraft zu beeinflussen, seine bessere Anpassung an die Erfordernisse der Vermarktung und Bewerbung der betreffenden Waren oder Dienstleistungen gestatten(<a href="#Footnote45" name="Footref45">45</a>). Eine gewisse Großzügigkeit hinsichtlich der Form einer Marke ist zwar zulässig, sie kann jedoch nicht die Merkmale im Zusammenhang mit der Ernsthaftigkeit der Benutzung betreffen. Eine solche Benutzung muss jedenfalls die in den Nrn. 56 bis 59 der vorliegenden Schlussanträge dargelegten Anforderungen erfüllen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point84">84.</a>      Zusammengefasst bin ich der Auffassung, dass die Benutzung einer für ein geprüftes Arzneimittel eingetragenen Marke im Rahmen der klinischen Studien keine ernsthafte Benutzung dieser Marke darstellt. Dies vorausgeschickt bin ich jedoch nicht der Ansicht, dass bei Fehlen einer Genehmigung für das Inverkehrbringen eine Marke, die für ein den Gegenstand einer klinischen Prüfung bildendes Arzneimittel eingetragen ist, auf keinen Fall ernsthaft benutzt werden kann.</p>
<p class="C26Titrenumerote6">vii) Ausnahmen, die die Regel bestätigen</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point85">85.</a>      Ich weise zur Veranschaulichung darauf hin, dass nach Art. 83 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 726/2004 die Mitgliedstaaten abweichend von Art. 6 der Richtlinie 2001/83 ein nicht zugelassenes Arzneimittel für einen „compassionate use“ (Mitleidsindikation) einer Gruppe von Patienten zur Verfügung stellen können, die an einer zu Invalidität führenden chronischen oder schweren Krankheit leiden oder deren Krankheit als lebensbedrohend gilt und die mit einem zugelassenen Arzneimittel nicht zufriedenstellend behandelt werden können. Eine solche Möglichkeit besteht insbesondere in Bezug auf ein Arzneimittel, das im Rahmen einer klinischen Studie geprüft wird. Andere Gesichtspunkte des „compassionate use“ sind generell auf nationaler Ebene geregelt. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point86">86.</a>      Daher kann ich aufgrund einer gewissen Freiheit der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Regelung des „compassionate use“ nicht von vornherein ausschließen, dass eine solche Benutzung eines Arzneimittels, für das eine Marke eingetragen wurde, eine ernsthafte Benutzung dieser Marke implizieren würde.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point87">87.</a>      Erstens ist es irrelevant, dass nach den weiterhin bestehenden nationalen Bestimmungen die Zurverfügungstellung eines solchen Arzneimittels für einen „compassionate use“ gegebenenfalls ohne Gewinnerzielungsabsicht zu erfolgen hat. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs schließt der Umstand, dass der Inhaber der Marke keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgt, nicht aus, dass er bestrebt sein kann, für seine Waren oder Dienstleistungen einen Absatzmarkt zu erschließen und anschließend zu sichern(<a href="#Footnote46" name="Footref46">46</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point88">88.</a>      Zweitens ist es nicht erforderlich, dass die Benutzung mengenmäßig bedeutend ist, um als „ernsthaft“ eingestuft zu werden. Selbst eine geringfügige Benutzung kann für diese Einstufung ausreichen, vorausgesetzt, sie wird in dem betreffenden Wirtschaftszweig als gerechtfertigt angesehen(<a href="#Footnote47" name="Footref47">47</a>). In diesem Sinne kann ein nicht zugelassenes Arzneimittel, das Gegenstand eines „compassionate use“ sein könnte, auf seine künftige Vermarktung an Personen ausgelegt sein, die an einer zu Invalidität führenden chronischen oder schweren Krankheit leiden oder deren Krankheit als lebensbedrohend gilt. Dieser Markt ist daher begrenzt, und folglich können auch die Handlungen, die eine ernsthafte Benutzung darstellen, mengenmäßig beschränkt sein.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point89">89.</a>      Drittens kann meines Erachtens der „compassionate use“ eines Arzneimittels, für das eine Marke eingetragen wurde, deren Inhaber nicht schlechter stellen als andere Akteure auf dem Markt für vertriebene Arzneimittel. Der Markteinsatz einer Marke, die für ein Arzneimittel eingetragen ist, das Gegenstand eines „compassionate use“ ist, könnte nämlich unter Umständen erfolgen, die mit denjenigen der Vermarktung eines zugelassenen Arzneimittels vergleichbar sind.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point90">90.</a>      Viertens scheint mir schließlich eine Auslegung, die das Vorliegen einer ernsthaften Benutzung im Rahmen eines „compassionate use“ nicht systematisch ausschließt, auch durch die Systematik der Verordnung Nr. 726/2004 und der Richtlinie 2001/83 bestätigt zu werden. Zum einen eröffnet Art. 6 der Richtlinie 2001/83, der den Grundsatz aufstellt, wonach nicht zugelassene Arzneimittel nicht in den Verkehr gebracht werden dürfen, Titel III („Inverkehrbringen“) dieser Richtlinie. Zum anderen sieht Art. 83 Abs. 1 der Verordnung Nr. 726/2004 ausdrücklich eine <i>Abweichung </i>von Art. 6 der Richtlinie 2001/83 vor. In dem Fall, in dem die Zurverfügungstellung eines Arzneimittels unter den in Art. 83 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 726/2004 genannten Umständen kein Inverkehrbringen darstellte, hätte eine solche Abweichung keinen Sinn.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point91">91.</a>      Im Ergebnis schließe ich nicht aus, dass eine für pharmazeutische Erzeugnisse und Präparate für die Gesundheitspflege der Klasse 5 des Abkommens von Nizza und insbesondere für ein unter die Richtlinie 2001/83 fallendes Arzneimittel eingetragene Marke in gewissen Fällen vor der Erlangung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Arzneimittels Gegenstand einer ernsthaften Benutzung sein kann. Die Frage, ob eine solche Benutzung ausreichend ist, unterliegt der Beurteilung im Einzelfall. Unbeschadet dessen bin ich der Auffassung, dass die Benutzung einer solchen Marke im Rahmen von klinischen Studien keine ernsthafte Benutzung im Sinne von Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 [Art. 58 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001] darstellen kann. Im Rahmen einer klinischen Studie wird eine Marke nämlich nicht benutzt, um für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen wurde, einen Absatzmarkt zu erschließen oder zu sichern.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point92">92.</a>      Nach alledem ist meines Erachtens der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes unbegründet.</p>
<p class="C23Titrenumerote3">2.      <b>Zum zweiten Rechtsmittelgrund</b>
</p>
<p class="C24Titrenumerote4">a)      <b>Stellungnahmen der Parteien</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point93">93.</a>      Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund, der hauptsächlich die Rn. 60 und 61 des angefochtenen Urteils betrifft, wirft die Rechtsmittelführerin dem Gericht vor, gegen Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 [Art. 58 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001] verstoßen zu haben, indem es das Vorliegen berechtigter Gründe für die Nichtbenutzung der angegriffenen Marke ausgeschlossen habe. Insbesondere habe das Gericht zu Unrecht das Vorliegen berechtigter Gründe für die Nichtbenutzung in den Fällen ausgeschlossen, in denen erstens die klinische Studie erst deutlich nach der Eintragung der Marke beantragt werde und zweitens nicht so umfassende finanzielle Mittel aufgewendet würden wie sie nötig gewesen wären, um schnellstmöglich diese Studie abschließen zu können.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point94">94.</a>      Zur Stützung dieses Rechtsmittelgrundes weist die Rechtsmittelführerin erstens darauf hin, dass das Gericht, indem es ihr vorgeworfen habe, den Antrag auf Zulassung der klinischen Studie lange nach der Eintragung der Marke gestellt zu haben, die fünfjährige Schonfrist entwertet habe. Eine Arzneimittelmarke, deren Benutzungsschonfrist ablaufe, würde dadurch uneinsetzbar, da nur die Einreichung eines Antrags auf Genehmigung für das Inverkehrbringen geeignet wäre, die Nichtbenutzung zu rechtfertigen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point95">95.</a>      Zweitens hätten es im Hinblick auf die Berücksichtigung finanzieller Investitionen bei der Beurteilung des Vorliegens rechtfertigender Gründe für die Nichtbenutzung durch das Gericht finanzstarke Unternehmen leichter, markenrechtlich in adäquater Weise für ihre Investitionen geschützt zu werden, als dies bei finanzschwächeren Unternehmen der Fall sei. Jedenfalls könne das Gericht nicht die abstrakte Annahme postulieren, dass mit einem Mehr an Investitionen die in Rede stehende klinische Studie schneller durchgeführt hätte werden können. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point96">96.</a>      Das EUIPO und, unter der Annahme, dass der zweite Rechtsmittelgrund zulässig ist, Hecht-Pharma halten diesen Rechtsmittelgrund für unbegründet.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point97">97.</a>      Nach Auffassung des EUIPO gründet das Ergebnis, wonach die Handlungen der Rechtsmittelführerin in ihrem Einflussbereich blieben und die klinische Studie im vorliegenden Fall keinen berechtigten Grund für die Nichtbenutzung darstellen könne, auf einer Gesamtbeurteilung, die neben dem Zeitablauf und den finanziellen Investitionen insbesondere die Tatsache berücksichtige, dass sich keine Anhaltspunkte für einen Abschluss dieser Studie feststellen ließen, dass die in Rede stehende klinische Studie nationalen Regeln unterliege und nur eine Etappe auf dem Weg zum Vertrieb eines Arzneimittels zur Behandlung von Multipler Sklerose darstelle und dass es schließlich keine gesetzliche Verpflichtung zur Bezeichnung eines Arzneimittels während einer klinischen Studie gebe.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point98">98.</a>      Hecht-Pharma räumt ein, dass ein verschlepptes Zulassungsverfahren einen berechtigten Grund für die Nichtbenutzung darstellen könne. Zur vorliegenden Rechtssache weist Hecht-Pharma jedoch insbesondere darauf hin, dass die Rechtsmittelführerin drei Jahre zwischen der Eintragung der angegriffenen Marke und dem Antrag auf Genehmigung der Durchführung einer klinischen Prüfung habe verstreichen lassen und dass sie bisher noch keinen Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen gestellt habe.</p>
<p class="C24Titrenumerote4">b)      <b>Würdigung</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point99">99.</a>      Im Urteil Häupl(<a href="#Footnote48" name="Footref48">48</a>) hat der Gerichtshof entschieden, dass für die Rechtfertigung der Nichtbenutzung einer Marke drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein müssen. Das Hindernis muss erstens vom Willen des Inhabers dieser Marke unabhängig sein, zweitens einen ausreichend unmittelbaren Zusammenhang mit der Marke aufweisen und drittens so beschaffen sein, dass es die Benutzung dieser Marke unmöglich oder unzumutbar macht.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point100">100.</a> Die Erwägungen des Gerichts, aufgrund derer es das Vorliegen berechtigter Gründe für die Nichtbenutzung verneint hat, zielten jedoch nur auf die erste Voraussetzung betreffend den Umstand, dass das Hindernis vom Willen des Inhabers unabhängig ist. Ich erinnere daran, dass nach den Ausführungen des Gerichts in Rn. 61 des angefochtenen Urteils zwar die Durchführung einer klinischen Studie zwar tatsächlich einen Grund für die Nichtbenutzung einer Marke darstellen kann, jedoch die im vorliegenden Fall von der Rechtsmittelführerin angeführten Handlungen und Ereignisse <i>in ihrem Einfluss- und Verantwortungsbereich lagen, so dass sie nicht von ihrem Willen unabhängige Hindernisse betrafen</i>.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point101">101.</a> Um zu diesen Feststellungen zu gelangen, berücksichtigte das Gericht mehrere Kriterien, nämlich zum einen den Zeitablauf zwischen der Eintragung der Marke – der sich nicht aus einer gesetzlichen Verpflichtung sondern aus der eigenen Entscheidung der Rechtsmittelführerin ergab – und dem Beginn der klinischen Prüfung (wobei der genaue Zeitpunkt ihres Abschlusses nicht festgestellt werden konnte(<a href="#Footnote49" name="Footref49">49</a>)) sowie zum anderen die Angemessenheit der von der Rechtsmittelführerin getätigten Investitionen(<a href="#Footnote50" name="Footref50">50</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point102">102.</a> Ohne mich zu Fragen betreffend das Vorliegen eines ausreichend unmittelbaren Zusammenhangs zwischen dem Hindernis und der angegriffenen Marke sowie die Auswirkung dieses Hindernisses auf die Möglichkeit oder Zumutbarkeit der Benutzung dieser Marke, die vom Gericht im angefochtenen Urteil nicht entschieden wurden, äußern zu wollen, ist daher die Frage zu prüfen, ob in der Situation, in der ein Hindernis aus Gründen im Zusammenhang mit dem Beginn und der Finanzierung der klinischen Prüfung eines Arzneimittels, für das diese Marke eingetragen wurde, besteht, dieses Hindernis vom Willen eines Inhabers unabhängig (oder nicht) ist(<a href="#Footnote51" name="Footref51">51</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point103">103.</a> Im Urteil Häupl(<a href="#Footnote52" name="Footref52">52</a>) hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass Art. 19 Abs. 1 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums(<a href="#Footnote53" name="Footref53">53</a>) als Auslegungshilfe für den im Unionsrecht verwendeten Begriff der berechtigten Gründe herangezogen werden kann. Diese Bestimmung führt nämlich als Beispiele Einfuhrbeschränkungen oder sonstige staatliche Auflagen für die von einer Marke beanspruchten Waren oder Dienstleistungen an. Daher kann ein Hindernis rechtlicher Art auch einen berechtigten Grund für die Nichtbenutzung darstellen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point104">104.</a> Nach meiner Analyse des ersten Rechtsmittelgrundes ist zwar im Rahmen des insbesondere durch die Richtlinie 2001/83 und die Verordnung Nr. 726/2004 eingeführten Systems die ernsthafte Benutzung einer für ein nicht zugelassenes Arzneimittel eingetragenen Marke nur in Ausnahmefällen möglich, und ihre ernsthafte Benutzung im Rahmen der klinischen Prüfungen ist unmöglich(<a href="#Footnote54" name="Footref54">54</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point105">105.</a> Erstens kann jedoch nicht angenommen werden, dass jeder rechtliche Zwang, der unmittelbar mit der Marke in Zusammenhang steht und ihre Benutzung unmöglich macht, ein Hindernis darstellt, das automatisch als berechtigter Grund für die Nichtbenutzung eingestuft werden müsste. Jede Geschäftstätigkeit muss im Einklang mit bestimmten Rechtsvorschriften ausgeübt werden. Ich erinnere in diesem Kontext daran, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass der Begriff „berechtigte Gründe“ nicht zu weit ausgelegt werden darf(<a href="#Footnote55" name="Footref55">55</a>). Folglich reicht meines Erachtens die Tatsache allein, dass ein Hindernis für die Benutzung einer Marke besteht, wie das Erfordernis, bei der Vermarktung der von dieser Marke beanspruchten Waren das Unionsrecht zu beachten, nicht aus, um die Nichtbenutzung dieser Marke zu rechtfertigen(<a href="#Footnote56" name="Footref56">56</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point106">106.</a> Zweitens stellt im Kontext der Unionsmarken, unabhängig von den Erwägungen zur Rolle der klinischen Studien in der Regelung der Arzneimittel für den menschlichen Gebrauch, die Durchführung der klinischen Prüfung eines Arzneimittels, für das eine Marke eingetragen wurde, für ihren Inhaber eine Handlung dar, mit der dieser ein Hindernis für die ernsthafte Benutzung dieser Marke beseitigen will. </p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point107">107.</a> In dem Fall, in dem der Inhaber Handlungen vornehmen kann, die ein Hindernis für die ernsthafte Benutzung beseitigen oder zumindest seine Dauer verringern könnten, kann nämlich nicht angenommen werden, dass dieses Hindernis gänzlich von seinem Willen unabhängig ist. Ich schließe jedoch nicht aus, dass, wenn diese Handlungen vom Inhaber verlangen, ein besonderes Verfahren zu durchlaufen, dieser auf andere Hindernisse stoßen könnte, die durch die Behörden verursacht werden, die mit der Führung dieser Verfahren betraut sind. Ich neige zu der Annahme, dass solche Hindernisse berechtigte Gründe für die Nichtbenutzung darstellen können. Was z. B. die Situation des Inhabers einer für ein Arzneimittel eingetragenen Marke betrifft, könnte sich herausstellen, dass die für die vorherige Genehmigung einer klinischen Prüfung verantwortlichen Behörden den von diesem Inhaber gestellten Genehmigungsantrag nicht innerhalb der ihnen auferlegten Frist geprüft haben.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point108">108.</a> Diese Überlegungen werden durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätigt, wonach der Begriff „berechtigte Gründe“ sich im Wesentlichen auf vom Markeninhaber unabhängige Umstände bezieht(<a href="#Footnote57" name="Footref57">57</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point109">109.</a> Eine klinische Prüfung und wesentliche Änderungen, die an ihr vorgenommen werden, müssen zwar vorab von einem Mitgliedstaat genehmigt werden(<a href="#Footnote58" name="Footref58">58</a>). Solche Genehmigungen werden jedoch nach den in den maßgeblichen Rechtsvorschriften aufgeführten Kriterien erteilt, die daher für einen Inhaber, der als Sponsor einer klinischen Studie handelt, vorhersehbar sind. Der Sponsor ist nämlich für die Einleitung, das Management und die Aufstellung der Finanzierung einer klinischen Studie verantwortlich(<a href="#Footnote59" name="Footref59">59</a>).</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point110">110.</a> Zum vorliegenden Rechtsmittel ist zu bemerken, dass die vom Gericht im angefochtenen Urteil herangezogenen und mit dem zweiten Rechtsmittelgrund beanstandeten Kriterien in die so definierte Verantwortung der Rechtsmittelführerin fallen(<a href="#Footnote60" name="Footref60">60</a>). Außerdem bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Rechtsmittelführerin sich auf andere tatsächliche Umstände berufen hätte, die veranschaulichen könnten, dass nicht in ihre Verantwortung fallende Hindernisse eine Auswirkung auf den Beginn oder die Durchführung der klinischen Studie hatten. Jedenfalls würde die Beurteilung solcher tatsächlicher Umstände nicht in die Zuständigkeit des mit einem Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts befassten Gerichtshofs fallen.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point111">111.</a> Im Übrigen bin ich der Meinung, dass dann, wenn die Klägerin solche tatsächlichen Umstände geltend machte, im Einzelfall zu prüfen wäre, ob während der Frist nach Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 [Art. 58 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001] eine Änderung der Unternehmensstrategie im Hinblick auf die Umgehung des Hindernisses mit einer nicht vernachlässigbaren Wahrscheinlichkeit die Benutzung der angegriffenen Marke vor Ablauf dieser Frist hätte möglich machen können. Verneinendenfalls wäre davon auszugehen, dass berechtigte Gründe für die Nichtbenutzung bestanden. Bejahendenfalls könnte ein Inhaber nicht geltend machen, dass ein berechtigter Grund für die Nichtbenutzung vorliegt.</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point112">112.</a> Aufgrund dieser Erwägungen ist meines Erachtens der zweite Rechtsmittelgrund unbegründet.</p>
<p class="C21Titrenumerote1">VII. <b>Ergebnis</b>
</p>
<p class="C01PointAltN">
<a name="point113">113.</a> Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, das Rechtsmittel zurückzuweisen und der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.</p>
<hr/>
<p class="C40FootnoteLangue">
<a href="#Footref1" name="Footnote1">1</a><sup/>      Originalsprache: Französisch.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref2" name="Footnote2">2</a><sup/>      T‑276/16, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2017:611.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref3" name="Footnote3">3</a><sup/>      Verordnung des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke (ABl. 2009, L 78, S. 1).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref4" name="Footnote4">4</a><sup/>      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref5" name="Footnote5">5</a><sup/>      Zum einander entsprechenden Inhalt dieser Bestimmungen siehe Nr. 23 der vorliegenden Schlussanträge.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref6" name="Footnote6">6</a><sup/>      Im Übrigen war zwar der Antrag auf Verfallserklärung, der das Verfahren einleitete, in dem die Entscheidungen des EUIPO und das angefochtene Urteil erlassen wurden, am 18. November 2013, d. h. unter Geltung der Verordnung Nr. 207/2009, gestellt worden. Jedoch hat sich der Gerichtshof in einem entsprechenden Fall, der die Verknüpfung der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1) mit der Verordnung Nr. 207/2009 betraf, auf die Bestimmungen der Verordnung Nr. 207/2009 Bezug genommen, die zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidungen des EUIPO und folglich zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Urteils anwendbar war, während das fragliche Verfallsverfahren nach der Verordnung Nr. 40/94 eingeleitet worden war. Vgl. Urteil vom 26. September 2013, Centrotherm Systemtechnik/centrotherm Clean Solutions (C‑609/11 P, EU:C:2013:592). Dazu hat der Gerichtshof in Rn. 31 dieses Urteils festgestellt: „Da mit der … Verordnung [Nr. 207/2009] jedoch die Verordnung Nr. 40/94 kodifiziert wurde und deren einschlägige Bestimmungen dabei nicht geändert wurden, wird im Folgenden ausschließlich auf die Bestimmungen der Verordnung Nr. 207/2009 verwiesen.“ Vgl. auch Schlussanträge von Generalanwältin Sharpston in den Rechtssachen Centrotherm Systemtechnik/centrotherm Clean Solutions (C‑609/11 P und C‑610/11 P, EU:C:2013:308, Nr. 4).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref7" name="Footnote7">7</a><sup/>      Vgl. entsprechend Urteil vom 21. Februar 2018, Repower/EUIPO – repowermap.org (REPOWER) (T‑727/16, EU:T:2018:88, Rn. 27).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref8" name="Footnote8">8</a><sup/>      Dasselbe gilt im Übrigen für Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung 2017/1001, der mit Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 quasi identisch ist. Der einzige Unterschied ist die Hinzufügung folgender Worte am Ende dieser Bestimmung der Verordnung 2017/1001: „unabhängig davon, ob die Marke in der benutzten Form auch auf den Namen des Inhabers eingetragen ist.“ Weiter hat der 25. Erwägungsgrund der Verordnung 2017/1001 keine Entsprechung in der Verordnung Nr. 207/2009. Er lautet wie folgt: „Aus Gründen der Billigkeit und Rechtssicherheit sollte die Benutzung einer Unionsmarke in einer Form, die von der Eintragung nur in Bestandteilen abweicht, ohne dass dadurch die Unterscheidungskraft der Marke beeinflusst wird, ausreichend sein, um die Rechte aus der Marke zu wahren, unabhängig davon, ob die Marke in der benutzten Form auch eingetragen ist.“ Die Situation der Rechtsmittelführerin entspricht aber nicht der in diesem Erwägungsgrund beschriebenen. Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass die Rechtsmittelführerin die angegriffene Marke in einer Form benutzte, die von der Eintragung abweicht.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref9" name="Footnote9">9</a><sup/>      Der Gerichtshof wird daher in der vorliegenden Rechtssache nicht über die Anwendbarkeit der Bestimmungen der Verordnung 2017/1001, die keine Entsprechung in ihrer Vorgängerverordnung haben, im Rahmen eines nach der Verordnung Nr. 207/2009 eingeleiteten Verfahrens zu befinden haben. Zu einer ähnlichen Frage vgl. die Rechtssache Textilis (C‑21/18, beim Gerichtshof anhängig).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref10" name="Footnote10">10</a><sup/>      Beschluss vom 22. Februar 2018, Martín Osete/EUIPO (C‑529/17 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:105).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref11" name="Footnote11">11</a><sup/>      Vgl. insbesondere Rn. 27 der Rechtsmittelschrift in der Rechtssache, in der der Beschluss vom 22. Februar 2018, Martín Osete/EUIPO (C‑529/17 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:105), ergangen ist, in der die Rechtsmittelführerin die Feststellung des Gerichts beanstandete, wonach „die von der Inhaberin der Unionsmarken beigebrachten Beweise zu den rechtlichen Zwängen, denen sie begegnet sei, … nicht (hinreichend) belegt [haben], dass berechtigte Gründe für die Nichtbenutzung im angegebenen Zeitraum vorlagen“. Die Rechtsmittelführerin wies in Rn. 29 dieser Rechtsmittelschrift ferner darauf hin, dass „daran zu erinnern und zu betonen [ist], dass das Vorliegen berechtigter Gründe dennoch durch die zahlreichen gesammelten Beweise nachgewiesen ist“.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref12" name="Footnote12">12</a><sup/>      Urteil vom 13. September 2007, Il Ponte Finanziaria/HABM (C‑234/06 P, EU:C:2007:514, Rn. 73). Zur Veranschaulichung dieser Rechtsprechungslinie beruft sich die Rechtsmittelführerin auch auf den Beschluss vom 27. Januar 2004, La Mer Technology (C‑259/02, EU:C:2004:50, Rn. 21 und 24), und das Urteil vom 21. November 2013, Recaro/HABM – Certino Mode (RECARO) (T‑524/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:604, Rn. 25 und 26).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref13" name="Footnote13">13</a><sup/>      In diesem Kontext zielt die Rechtsmittelführerin auf eine klinische Studie als solche sowie auf die Handlungen im Rahmen dieser Studie ab, nämlich die Lieferung von mehr als 400 000 mit der Marke Boswelan versehenen Kapseln an eine Universitätsklinik, die Inrechnungstellung der Waren durch ein als Vermittler auftretendes Drittunternehmen sowie die Benutzung der Marke bei der Rekrutierung der Teilnehmer an den Studien und im Rahmen der öffentlich zugänglichen Angaben zu diesen Studien.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref14" name="Footnote14">14</a><sup/>      Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge von Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer in der Rechtssache Ansul (C‑40/01, EU:C:2002:412, Nr. 49).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref15" name="Footnote15">15</a><sup/>      Siehe Fn. 8 der vorliegenden Schlussanträge.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref16" name="Footnote16">16</a><sup/>      Vgl. u. a. Sitko, J. J., „Special Criteria of Trade Mark Protection with Regard to Pharmaceutical Products in the European Union Legal System“, <i>International Review of Intellectual Property and Competition Law</i>, 2014, Nr. 6, S. 667 und 668; Trzebiatowski, M., <i>Obowiązek używania znaku towarowego. Studium z prawa polskiego na tle prawnoporównawczym</i>, C.H. Beck, Warschau 2007, S. 147 und 148.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref17" name="Footnote17">17</a><sup/>      Im Urteil vom 24. November 1999, I ZB 17/97 (Neue Juristische Wochenschrift 2000, 1487) entschied der Bundesgerichtshof (Deutschland) eine ähnliche Frage im Kontext der Auslegung einer deutschen Bestimmung zur Umsetzung von Art. 10 der Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1). In den Rn. 18 und 19 dieses Urteils wies er darauf hin, dass die Benutzung einer Marke im Rahmen eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens nicht als eine ernsthafte Benutzung angesehen werden könne. Jedoch wies er auch darauf hin, dass die Durchführung des vorgesehenen Zulassungsverfahrens grundsätzlich als ein berechtigter Grund für die Nichtbenutzung angesehen werden könne. Ebenso anerkannten französische Gerichte, dass ein Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen, der die logische Folge der klinischen Studien sei, einen berechtigten Grund für die Nichtbenutzung einer Marke darstelle, die für ein dem Zulassungsverfahren unterliegendes Arzneimittel eingetragen worden sei (vgl. Urteil vom 1. Juni 1999, Tribunal de grande instance de Paris [Landgericht Paris, Frankreich], 3. Kammer, Almonda Sociedade Gestora de participacoes sociais/Opfermann Arzneimittel GmbH, PIBD 1999 682 III-354). Aus diesen Urteilen kann somit abgeleitet werden, dass die Benutzung einer für ein getestetes Arzneimittel eingetragenen Marke im Rahmen von klinischen Prüfungen keine ernsthafte Benutzung darstellt.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref18" name="Footnote18">18</a><sup/>      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Juni 2017, W. F. Gözze Frottierweberei und Gözze (C‑689/15, EU:C:2017:434, Rn. 37).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref19" name="Footnote19">19</a><sup/>      Urteil vom 15. Januar 2009, Silberquelle (C‑495/07, EU:C:2009:10, Rn. 18). Vgl. auch Urteil vom 17. Juli 2014, Reber Holding/HABM (C‑141/13 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2014:2089, Rn. 32), in dem der Gerichtshof darauf hingewiesen hat, dass nicht jede nachgewiesene geschäftliche Verwertung automatisch als „ernsthafte“ Benutzung der angegriffenen Marke eingestuft werden kann.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref20" name="Footnote20">20</a><sup/>      Urteil vom 8. Juni 2017, W. F. Gözze Frottierweberei und Gözze (C‑689/15, EU:C:2017:434, Rn. 39 bis 41). Vgl. auch Schlussanträge von Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Pandalis/EUIPO (C‑194/17 P, EU:C:2018:725, Nr. 65).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref21" name="Footnote21">21</a><sup/>      Urteil vom 11. März 2003 (C‑40/01, EU:C:2003:145).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref22" name="Footnote22">22</a><sup/>      Urteil vom 11. März 2003 (C‑40/01, EU:C:2003:145).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref23" name="Footnote23">23</a><sup/>      Urteil vom 9. Dezember 2008 (C‑442/07, EU:C:2008:696, Rn. 23).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref24" name="Footnote24">24</a><sup/>      Urteil vom 11. März 2003 (C‑40/01, EU:C:2003:145).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref25" name="Footnote25">25</a><sup/>      Vgl. in diesem Sinne Trzebiatowski, M., „Pojęcie rzeczywistego używania znaku towarowego (orzecznictwo krajowe na tle orzecznictwa wspólnotowego)“, <i>Europejski Przegląd Sądowy</i>, 2010, S. 22.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref26" name="Footnote26">26</a><sup/>      Urteil vom 11. März 2003, Ansul (C‑40/01, EU:C:2003:145, Rn. 38).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref27" name="Footnote27">27</a><sup/>      Urteil vom 11. März 2003, Ansul (C‑40/01, EU:C:2003:145, Rn. 39). Vgl. auch Beschluss vom 27. Januar 2004, La Mer Technology (C‑259/02, EU:C:2004:50, Rn. 23).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref28" name="Footnote28">28</a><sup/>      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Januar 2009, Silberquelle (C‑495/07, EU:C:2009:10, Rn. 19).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref29" name="Footnote29">29</a><sup/>      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. 2001, L 311, S. 67).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref30" name="Footnote30">30</a><sup/>      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (ABl. 2004, L 136, S. 1).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref31" name="Footnote31">31</a><sup/>      Nach Art. 6 der Richtlinie 2001/83 darf ein Arzneimittel <i>in einem Mitgliedstaat</i> erst dann <i>in den Verkehr</i> gebracht werden, wenn von der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaats nach dieser Richtlinie eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt wurde oder wenn eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach der Verordnung Nr. 726/2004 erteilt wurde. Ebenso treffen nach Art. 76 der Richtlinie 2001/83 die Mitgliedstaaten alle erforderlichen Maßnahmen, damit in ihrem Gebiet nur Arzneimittel vertrieben werden, für die nach dem Unionsrecht eine Genehmigung zum Inverkehrbringen erteilt worden ist. Die Verordnung Nr. 726/2004 bestimmt ihrerseits in Art. 3 Abs. 1, dass ein unter den Anhang fallendes Arzneimittel <i>innerhalb der Union</i> nur in <i>Verkehr</i> gebracht werden darf, wenn von der Union gemäß dieser Verordnung eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt worden ist. Außerdem kann nach Art. 3 Abs. 2 dieser Verordnung für ein nicht unter ihren Anhang fallendes Arzneimittel von der Union gemäß dieser Verordnung eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt werden, wenn: a) das Arzneimittel einen neuen Wirkstoff enthält, der bei Inkrafttreten dieser Verordnung nicht in der Union genehmigt war, oder b) der Antragsteller nachweist, dass das Arzneimittel eine bedeutende Innovation in therapeutischer, wissenschaftlicher oder technischer Hinsicht darstellt oder dass die Erteilung einer Genehmigung gemäß der Verordnung Nr. 726/2004 auf Unionsebene im Interesse der Patienten oder der Tiergesundheit ist.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref32" name="Footnote32">32</a><sup/>      Vgl. Art. 86 Abs. 1 und Art. 87 der Richtlinie 2001/83.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref33" name="Footnote33">33</a><sup/>      Vgl. Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. April 2001 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung der guten klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln (ABl. 2001, L 121, S. 34) sowie Anhang I dieser Richtlinie, soweit er den Begriff „klinische Prüfung“ näher bestimmt. Vgl. auch Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 536/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/20/EG (ABl. 2014, L 158, S. 1).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref34" name="Footnote34">34</a><sup/>      Vgl. Art. 9 der Richtlinie 2001/20 sowie Art. 4 der Verordnung Nr. 536/2014.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref35" name="Footnote35">35</a><sup/>      Vgl. insbesondere Art. 10 der Richtlinie 2001/20 und Art. 15 der Verordnung Nr. 536/2014.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref36" name="Footnote36">36</a><sup/>      Vgl. insbesondere Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2001/20 sowie Art. 2 Abs. 2 Nr. 14 der Verordnung Nr. 536/2014, die zur eindeutigen Bestimmung der Verantwortlichkeiten einen Sponsor als eine Person, ein Unternehmen, eine Einrichtung oder eine Organisation definieren, die bzw. das die Verantwortung für die Einleitung, das Management und die Aufstellung der Finanzierung einer klinischen Prüfung übernimmt.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref37" name="Footnote37">37</a><sup/>      Urteil vom 11. März 2003, Ansul (C‑40/01, EU:C:2003:145, Rn. 37). Siehe auch Nr. 61 der vorliegenden Schlussanträge.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref38" name="Footnote38">38</a><sup/>      Ferner ist das auch der von der Rechtsmittelführerin in ihrem Rechtsmittel vertretene Ansatz. Die Rechtsmittelführerin weist insbesondere in Rn. 17 der Rechtsmittelschrift darauf hin, dass es „auf der Hand [liegt], dass die Verneinung einer ernsthaften Benutzung mit im Kern allein dem Argument, einer breiten Öffentlichkeit dürfe die in Rede stehende Ware weder verkauft noch ihr gegenüber beworben werden, nicht richtig ist“. Außerdem macht die Rechtsmittelführerin zum zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes geltend, dass nach diesem Urteil die ernsthafte Benutzung vorliegen könne, wenn der Vertrieb vorbereitet werde und unmittelbar bevorstehe. Sodann vertritt sie im Rahmen des zweiten Teils des ersten Rechtsmittelgrundes die Auffassung, dass „[u]nabhängig davon, ob genau diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben sind, … die vorstehend zitierte ‚Ansul‘-Entscheidung des Gerichtshofes [zeigt], dass eine ernsthafte Benutzung auch dann vorliegen kann, wenn eine an einen unbeschränkten oder doch zumindest breiten Adressatenkreis gerichtete Handlung gerade nicht vorliegt“. Die im Rahmen der Richtlinie 2001/83 verwendeten Begriffe müssen zwar nicht notwendigerweise Begriffen entsprechen, die im markenrechtlichen Kontext verwendet werden. Jedoch scheint die Rechtsmittelführerin selbst davon auszugehen, dass der Begriff „Inverkehrbringen“ im Sinne von Art. 6 der Richtlinie 2001/83 dem vom Gerichtshof im Urteil vom 11. März 2003, Ansul (C‑40/01, EU:C:2003:145), verwendeten Begriff „Vertrieb“ entspricht.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref39" name="Footnote39">39</a><sup/>      Sitko, J. J., a. a. O., S. 658.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref40" name="Footnote40">40</a><sup/>      Mosback H., „Protection of Pharmaceutical Trade Marks in Europe“, <i>Journal of Intellectual Property Law Practice</i>, 2013, Bd. 8, Nr. 1, S. 71; Sitko, J. J., a. a. O., S. 658.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref41" name="Footnote41">41</a><sup/>      Mosback H., a. a. O., S. 71.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref42" name="Footnote42">42</a><sup/>      Urteil vom 11. März 2003 (C‑40/01, EU:C:2003:145, Rn. 37).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref43" name="Footnote43">43</a><sup/>      Vgl. in diesem Sinne auch Schlussanträge von Generalanwalt Wahl in der Rechtssache Olainfarm (C‑104/13, EU:C:2014:342, Nr. 25).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref44" name="Footnote44">44</a><sup/>      Siehe Nr. 69 der vorliegenden Schlussanträge.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref45" name="Footnote45">45</a><sup/>      Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache EUIPO/Grau Ferrer (C‑597/14 P, EU:C:2016:2, Nr. 102 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref46" name="Footnote46">46</a><sup/>      Urteil vom 9. Dezember 2008, Verein Radetzky-Orden (C‑442/07, EU:C:2008:696, Rn. 16 und 17).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref47" name="Footnote47">47</a><sup/>      Vgl. Beschluss vom 27. Januar 2004, La Mer Technology (C‑259/02, EU:C:2004:50, Rn. 24). Vgl. zur Benutzung der Marken im Pharmasektor auch das Urteil vom 5. Juli 2017 der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich), Kammer für Handelssachen, Nr. 13‑11513.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref48" name="Footnote48">48</a><sup/>      Urteil vom 14. Juni 2007 (C‑246/05, EU:C:2007:340, Rn. 54 und 55).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref49" name="Footnote49">49</a><sup/>      Vgl. Rn. 55 bis 58 und 60 des angefochtenen Urteils.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref50" name="Footnote50">50</a><sup/>      Vgl. Rn. 59 des angefochtenen Urteils.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref51" name="Footnote51">51</a><sup/>      Im Übrigen ist meines Erachtens, wie im die Zulässigkeit der Rechtsmittelgründe betreffenden Teil der vorliegenden Schlussanträge dargelegt, der zweite Rechtsmittelgrund zulässig, da er auf die Art der Umstände abzielt, die bei der Feststellung, ob ein Hindernis vom Willen des Inhabers unabhängig ist, berücksichtigt werden können. Ein ähnlicher Rechtsmittelgrund scheint mir vom Gerichtshof im Urteil vom 13. September 2007, Il Ponte Finanziaria/HABM (C‑234/06 P, EU:C:2007:514, Rn. 99), als zulässig angesehen worden zu sein.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref52" name="Footnote52">52</a><sup/>      Urteil vom 14. Juni 2007 (C‑246/05, EU:C:2007:340, Rn. 48).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref53" name="Footnote53">53</a><sup/>      Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums im Anhang 1 C des Übereinkommens von Marrakesch zur Errichtung der Welthandelsorganisation, das durch den Beschluss 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986-1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche von der Europäischen Gemeinschaft genehmigt wurde (ABl. 1994, L 336, S. 1).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref54" name="Footnote54">54</a><sup/>      Siehe Nr. 91 der vorliegenden Schlussanträge.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref55" name="Footnote55">55</a><sup/>      Urteil vom 14. Juni 2007, Häupl (C‑246/05, EU:C:2007:340, Rn. 51).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref56" name="Footnote56">56</a><sup/>      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Juni 2017, Kaane American International Tobacco/EUIPO – Global Tobacco (GOLD MOUNT) (T‑294/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:382, Rn. 42).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref57" name="Footnote57">57</a><sup/>      Urteil vom 13. September 2007, Il Ponte Finanziaria/HABM (C‑234/06 P, EU:C:2007:514, Rn. 102).</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref58" name="Footnote58">58</a><sup/>      Siehe Nr. 69 der vorliegenden Schlussanträge.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref59" name="Footnote59">59</a><sup/>      Siehe Nr. 69 der vorliegenden Schlussanträge.</p>
<hr/>
<p class="Cfootnotetext">
<a href="#Footref60" name="Footnote60">60</a><sup/>      Siehe Nr. 109 der vorliegenden Schlussanträge.</p>
|
171,346 | ovgsl-2019-01-09-2-b-28918 | {
"id": 938,
"name": "Oberverwaltungsgericht des Saarlandes",
"slug": "ovgsl",
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} | 2 B 289/18 | 2019-01-09T00:00:00 | 2019-01-29T12:51:14 | 2019-02-12T13:44:44 | Beschluss | <h2>Tenor</h2>
<p/><p>Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 5.9.2018 – 5 L 2434/17 – wird zurückgewiesen.</p><p>Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.</p><p>Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 15.000,- EUR festgesetzt.</p>
<h2>Gründe</h2>
<p/>
<p><strong>I.</strong></p>
<p><rd nr="1"/>Die Antragstellerin wendet sich gegen eine den Beigeladenen unter Ersetzung ihres Einvernehmens erteilte Baugenehmigung zur Änderung der Nutzung eines ehemaligen Dienstgebäudes der Forstwirtschaft außerhalb der Ortslage der Antragstellerin auf der 34,31 ar großen Parzelle Nr. 2/36 in Flur 12 der Gemarkung D für private Zwecke. Im November 1997 erteilte die Antragstellerin dem staatlichen Hochbauamt eine Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang für das Anwesen.(vgl. den Bescheid der Antragstellerin vom 7.11.1997 – DokNr. B 19 –) Im April 1998 wurde für das Anwesen dann die wasserrechtliche Genehmigung erteilt, das durch eine Kleinkläranlage mit nachgeschaltetem Pflanzenbeet gereinigte häusliche Abwasser und das damit abfließende Oberflächenwasser auf dem benachbarten Flurstück Nr. 2/35 über die belebte Bodenzone versickern zu lassen.(vgl. den Bescheid des Ministeriums für Umwelt, Energie und Verkehr vom 28.4.1998 – E/4-32/98 Wa/Kr –)</p>
<p><rd nr="2"/>Im September 2015 kauften die Beigeladenen das Grundstück von der Landesfinanzverwaltung.(vgl. die Urkundenrolle Nr. 1401/2015 der Notare K & R, S, vom 11.9.2015 (Kaufpreis: EUR)) Dabei wurde ihnen vertraglich ein Fahrrecht mit Fahrzeugen aller Art über die Parzellen Nrn. 2/37 und 2/24 (insoweit Flur 14 in der Gemarkung L) zwischen dem Forsthaus und dem K Weg (L 279) eingeräumt(vgl. § 17, Seiten 12/13 des vorgenannten Vertrags Fn 1) sowie eine Baulast zu Lasten der genannten Parzellen eingetragen, wonach eine Fläche von mehr als 3 m als Zufahrt und Zugang zu dem Vorhaben der Beigeladenen angelegt, unterhalten und benutzt werden soll. Im März 2016 beantragten die Beigeladenen im vereinfachten Verfahren die Baugenehmigung für die Nutzungsänderung in ein Gebäude mit privater Wohnnutzung. Im August 2016 verpflichteten sie sich durch Baulast ferner, keine Neubebauung als Ersatz für die aufgegebene Nutzung im Zusammenhang mit dem privilegierten Forsthaus im Außenbereich vorzunehmen.(vgl. die am 9.8.2016 unter dem Aktenzeichen 63-00595/16 in das Baulastenverzeichnis beim Antragsgegner eingetragene Baulast)</p>
<p><rd nr="3"/>Nachdem die Antragstellerin im August 2016 – nach Aktenlage fristgerecht – ihr Einvernehmen unter Verweis auf eine fehlenden „Teilprivilegierung“ gemäß § 35 Abs. 4 BauGB sowie eine nicht ausreichende Erschließung des Anwesens betreffend die Zuwegung, die Wasserversorgung und den Strom- und Telefonanschluss versagt hatte, wurde sie vom Antragsgegner wiederholt, zuletzt unter Hinweis auf zwischenzeitlich vorliegende positive Stellungnahmen des Landesamts für Umwelt- und Arbeitsschutz(vgl. das Schreiben vom 13.2.2017 – 3.0/meu/A-116055-2 –, wonach aus naturschutzrechtlicher Sicht keine Bedenken bestünden, insbesondere die Verbotstatbestände der Schutzgebietsverordnung durch den Innenausbau nicht berührt würden) und des Saarforst Landesbetriebs, auch zu einer geplanten Ersetzung ihres Einvernehmens angehört. Im August 2017 erklärte die Antragstellerin letztmalig, dass die Versagung des Einvernehmens aus ihrer Sicht rechtmäßig erfolgt sei.</p>
<p><rd nr="4"/>Im Oktober 2017 erteilte der Antragsgegner den Beigeladenen unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens eine Baugenehmigung für die „Nutzungsänderung eines ehemals privilegierten Dienst- und Wohnhauses der Forstwirtschaft in ein Gebäude mit privater Wohnnutzung im Außenbereich".(vgl. den Bauschein vom 4.10.2017 – 63-00335/16 –) Zur Ersetzung des Einvernehmens ist im Bauschein unter anderem ausgeführt, das Vorhaben diene der zweckmäßigen Verwendung erhaltenswerter Bausubstanz. Aufgrund einer Ortsbesichtigung des Anwesens am 2.9.2016 sei durch zwei Mitarbeiter des Bauaufsichtsamtes festgestellt worden, dass das bisherige Forsthaus in gutem Zustand und keinesfalls zerstört oder in einem dem Verfall vergleichbaren Zustand sei. Die äußere Gestalt des Gebäudes bleibe im Wesentlichen gewahrt. An der Bausubstanz werde nichts verändert. Das ausweislich der Pläne des Reichsbauamtes Saarland-West vom Dezember 1936 zulässigerweise errichtete ehemalige Forsthaus sei Teil eines im Außenbereich privilegierten forstwirtschaftlichen Betriebs gewesen, letztmalig 1984 neu besetzt worden und bis zum Beginn des Verkaufsverfahrens 2014 vom Revierförster und dessen Familie bewohnt worden. Im Rahmen der beantragten Nutzungsänderung entstehe keine weitere neue Wohnung. Durch Eintragung einer Baulast sei die Verpflichtung übernommen worden, keine Neubebauung vorzunehmen. Das Vorhaben sei im Übrigen außenbereichsverträglich im Sinne des § 35 Abs. 3 BauGB. Schließlich sei die Erschließung des Vorhabens gesichert.</p>
<p><rd nr="5"/>Anfang November 2017 hat die Antragstellerin Widerspruch erhoben und im Dezember beim Verwaltungsgericht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieses Rechtsbehelfs beantragt. Zur Begründung machte sie geltend, das Vorhabengrundstück sei weder wegemäßig erschlossen noch liege eine gesicherte Erschließung hinsichtlich der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung vor. Darauf, ob die Voraussetzungen einer „Teilprivilegierung" nach § 35 Abs. 4 Satz 1 BauGB vorlägen, komme es nicht an. Auch für nicht privilegierte Wohnbauvorhaben im Außenbereich sei eine wegemäßige Erschließung zu fordern, die hinsichtlich der Befahrbarkeit des Weges einer im Innenbereich erforderlichen und üblichen Erschließung in etwa entspreche. Daher könne den Ausführungen in der Begründung des Bauscheins nicht gefolgt werden, wonach insofern ein „außenbereichsgemäßer" Standard ausreiche. Unstreitig sei das ehemalige Forsthaus nicht von Nordosten her über die Kreuzung P -Straße/W Straße/Z Straße, die in D liege, gesichert erschlossen. Das (Wege-)Grundstück, über das der Feldweg aus D kommend verlaufe, stehe in ihrem Eigentum und ein durch Grunddienstbarkeit abgesichertes Wegerecht zugunsten des Baugrundstücks gebe es nicht. Auch habe sie diesen Waldweg durch eine verkehrspolizeiliche Anordnung vom 26.10.2017 wegerechtlich gesperrt. Das sei die verkehrsrechtliche Konsequenz der wegerechtlichen Situation, dass es sich bei dem Teil des Postwegs, der auf ihrer Gemarkung liege, nicht um einen öffentlichen Weg handele. Ein Anspruch gegen eine Gemeinde, dass diese ein nicht durch straßenrechtliche Widmung, sondern von ihr nur tatsächlich dem öffentlichen Verkehr zur Verfügung gestelltes Grundstück weiterhin für diese Zwecke bereit halte, bestehe nicht. Die Entscheidung, die nicht öffentlich gewidmete Wegefläche im Anschluss an eine privilegierte Nutzung auch für eine ausschließlich privaten Zwecken dienende Nutzung nicht weiter offen zu halten, stütze sich auf die Befugnisse eines Eigentümers aus § 903 BGB. Auch verfange der Hinweis der Beigeladenen auf ein Anliegerrecht nicht. Deren Grundstück liege nicht an einer öffentlichen Straße. Die Erschließung von Südwesten her ausgehend von der L 279 erfülle weder hinsichtlich seiner Breite noch der Befahrbarkeit die Anforderungen an eine gesicherte wegemäßige Erschließung, die für eine Zufahrt für Feuerlösch- und Rettungsfahrzeuge sowie für Fahrzeuge der Ver- und Entsorgung (Müllabfuhr) notwendig seien. Dieser Forstwirtschaftsweg sei zunächst asphaltiert und gehe dann auf einer Länge von mehr als einem Kilometer in einen etwa 3 m breiten geschotterten Forstwirtschaftsweg über. Darüber hinaus handele es sich bei dem fraglichen Wegestück um einen von Fußgängern und Radfahrern stark frequentierten Bereich, der auch von forstwirtschaftlichen Fahrzeugen genutzt werde, so dass Begegnungsverkehr in nennenswertem Umfang stattfinde. Auch die Entwässerung sei nicht sichergestellt. Eine ordnungsgemäße Abwasserbeseitigung sei in der Regel nur durch einen Anschluss an eine Kanalisation gewährleistet. Eine Kleinkläranlage oder eine geschlossene Grube reichten nicht aus. Daran ändere der Umstand nichts, dass dem Rechtsvorgänger durch Bescheid der obersten Wasserbehörde vom April 1998 eine widerrufliche Befugnis dazu und ferner eine Ausnahme von der Wasserschutzgebietsverordnung „Hufengebiet" aus dem Jahr 1985 erteilt worden sei. Die Beigeladenen könnten sich nicht auf diese der Forstverwaltung für ein privilegiertes Vorhaben erteilten wasserrechtlichen Entscheidungen aus dem Jahr 1998 stützen. Die Versorgung mit Trinkwasser sei aus mehreren Gründen nicht dauerhaft gesichert. Bei der benutzten Wasserleitung der <em><noindex>energis</noindex> GmbH </em>handele es sich um eine Zubringer- bzw. Fernleitung, gerade nicht um eine Versorgungsleitung, was gegen ihre Wasserversorgungssatzung verstoße. Danach versorge sie die Grundstücke auf ihrem Gebiet mit Trinkwasser. Die Versorgung eines Grundstücks über eine Zubringerleitung der <em><noindex>energis</noindex> GmbH</em> verstoße schon deshalb gegen rechtliche Vorschriften.</p>
<p><rd nr="6"/>Der Antragsgegner hat ausgeführt, die wegemäßige Erschließung des Vorhabens sei zivilrechtlich und öffentlich-rechtlich gesichert. Es bestehe ein sowohl durch eine Grunddienstbarkeit als auch durch eine Baulast gesichertes Geh- und Fahrrecht über den auf den Flurstücken 2/37 und 2/24 verlaufenden Forstwirtschaftsweg hin zur L 279. Die Zuwegung zum ehemaligen Forsthaus führe von der L 279 über einen zunächst asphaltierten Weg, der auf den letzten ca. 1,1 km geschottert sei. Hier sei kein neues Bauvorhaben beantragt worden, sondern es verbleibe beim vorhandenen Baubestand und auch die Nutzungsintensität nehme nicht zu. Im ehemaligen Forsthaus habe sich neben dem Dienstsitz des Försters dessen Dienstwohnung befunden, in der er mit seiner Familie gewohnt habe. Ausgelegt sei das Anwesen gerade auch im Hinblick auf die Ver- und Entsorgungseinrichtungen für bis zu 6 Personen gewesen. Die Intensität im Hinblick auf die von der forstwirtschaftlichen Nutzung mitumfasste Wohnnutzung durch die Familie des Försters nehme durch die Nutzungsänderung zu einer reinen Wohnnutzung offensichtlich keinesfalls zu. Gleiches gelte für die Zuwegung zum Vorhaben. Auf dem als Zuwegung gesicherten Forstwirtschaftsweg herrsche auf der gesamten Länge, also auch auf dem restlichen Stück zwischen dem Vorhaben und dem Ortsrand des Ortsteils D, ein reger Pkw-Verkehr. Der Weg werde von vielen Ortskundigen als „Abkürzung" genutzt. Begegnungsverkehr sei möglich. Der zur Nutzung durch Fahrzeuge des Saarforst-Landesbetriebs ausgelegte Weg weise eine ausreichende Breite auf. Er sei durchgängig mindestens 3 m breit und werde auch von schweren Fahrzeugen zum Zwecke der Waldbewirtschaftung befahren. Mit der neuen Nutzung zu privaten Wohnzwecken gehe ein üblicher Pkw-Verkehr einher, dem der Weg hinsichtlich seiner Breite gewachsen sei. Es sei auch nicht ersichtlich, weshalb der Weg für sonstige Fahrzeuge, etwa für Rettungsdienst und Feuerwehr, nicht genügen sollte. Die Entsorgung der Hausabfälle (Mülltonne) durch die Müllabfuhr könne an der Kreuzung P -Straße/W Straße/Z Straße erfolgen, die nur etwa 300 m entfernt sei. Insgesamt entspreche der Weg hinsichtlich Breite und Befahrbarkeit in etwa der im Innenbereich erforderlichen und üblichen Erschließung. Auch die Wasserversorgung sei auf Dauer gesichert. Die Versorgungsleitung verlaufe auf der Grenze zum Flurstück Nr. 2/36 und der Wasserzählerschacht samt Abzweigung der Trinkwasserleitung zum Forsthaus liege auf dem Vorhabengrundstück. Gleiches gelte für die Abwasserentsorgung. Das Zuleiten von Abwasser in Kleinkläranlagen sei zulässig, wenn oder solange das Abwasser nicht in eine öffentliche Kanalisation eingeleitet werden könne. Die Antragstellerin habe auch offenkundig keine Bedenken hinsichtlich der Erschließung des Vorhabens gehabt, als noch ihr eigener Vorschlag im Raum gestanden habe, dass der Saarforst Landesbetrieb als vorheriger Eigentümer oder die Beigeladenen als neue Eigentümer auf eigene Kosten die Versorgungsleitungen für Strom und Telekommunikation in die Erde verlegen lassen sollten. Im Gegenzug habe die Antragstellerin der grundbuchrechtlichen Eintragung eines Wegerechts als Zufahrt von der Kapelle in D zum Forsthaus zustimmen wollen. Daraus werde der eigentliche Grund für die Versagung des Einvernehmens ersichtlich. Auch liege kein Verstoß gegen die Wasserversorgungssatzung der Antragstellerin vor. Das Vorhaben grenze weder an eine öffentliche Straße noch führe der dinglich gesicherte Zugang zu einer solchen Straße mit betriebsfertiger Versorgungsleitung.</p>
<p><rd nr="7"/>Die Beigeladenen haben vorgetragen, die Antragstellerin habe nicht dargelegt, inwiefern die Nutzungsänderung des früheren Forsthauses D in ein Wohnhaus zu einer Verletzung ihrer kommunalen Selbstverwaltungsrechte führen könne. Es dränge sich der Eindruck auf, dass die Ablehnungsgründe vor dem Hintergrund persönlicher Missgunst konstruiert seien, um die Investition in das Forsthaus und ihre Lebensplanung gezielt zunichte zu machen. Diese Abwehrhaltung der Gemeinde werde dadurch erkennbar, dass sie als Gegenleistung für die Einräumung eines Wegerechts über den von der Ortslage D abzweigenden Forstweg, der seit alters her die naheliegende wegemäßige Verbindung zum Forsthaus darstelle, verlangt habe, die funktionstüchtige Stromleitung der <em><noindex>energis</noindex></em> auf eigene Kosten in eine Erdtrasse zu verlegen, nachdem sie dieses Ansinnen gegenüber der Forstverwaltung des Landes nicht habe durchsetzen können. Auf die Ablehnung habe die Antragstellerin mit ihrem Widerspruch gegen den Bauschein und faktisch mit einer Schranke an der Wegeinmündung reagiert, um die Zufahrt zu dem Grundstück zu versperren. Das Grundstück sei auch für eine Wohnnutzung ausreichend erschlossen. Es bestünden zwei Zuwegungen durch den Forst, zum einen die „naheliegende" über D und zum anderen die über den am Munitionsdepot vorbei zur L 279 führenden Forsthausweg. Insoweit sei nicht ersichtlich, weshalb der zu erwartende motorisierte Anliegerverkehr als Wohnnutzer höheren rechtlichen und technischen Anforderungen an die Wegequalität unterworfen sein sollte. Der von der Wohnnutzung ausgelöste motorisierte Verkehr werde die beiden Wege sowohl quantitativ als auch qualitativ weniger beanspruchen als der andauernde betriebliche und forstwirtschaftliche Verkehr. Sie forderten weder von der Gemeinde noch vom Land, die Wege durchgehend zu asphaltieren und dort einen Winterdienst sicherzustellen. Eine für die Wohnnutzung in einem Einfamilienhaus ausreichende Erschließung erfordere keineswegs die hohen technischen Wegestandards, die die Antragstellerin zur Abwehr des Vorhabens konstruiere. Die derzeitige Absperrung dieses Wegs durch eine verschlossene Schranke stelle eine unzulässige Schikane dar. Die umweltgerechte Abwasserentsorgung auf dem Grundstück werde durch die genehmigte Pflanzenkläranlage gesichert. Da das Grundstück nicht an die zentrale gemeindliche Abwasseranlage angeschlossen sei und auch künftig nicht angeschlossen werden müsse, seien Belange der Antragstellerin, die der Baugenehmigung im Zusammenhang mit der geregelten Abwasserbeseitigung als Erschließungserfordernis entgegengehalten werden könnten, nicht berührt. Das Grundstück sei auch über die kürzere und traditionell genutzte Verbindung zur Ortslage D über den Forstweg der Antragstellerin zu erreichen, für die ein direkt aus dem Anliegerrecht herzuleitendes Benutzungsrecht bestehe. Insoweit verkenne die Antragstellerin, dass der in ihrem Eigentum stehende Forstweg nicht wie ein Privatgrundstück zu behandeln sei, über dessen Benutzung sie beliebig bestimmen könne. Das von der Antragstellerin auf straßenverkehrsrechtlicher Grundlage verfügte und mit einer Schranke verstärkte Verkehrsverbot für Fahrzeuge aller Art verstoße sowohl gegen das allgemeine naturschutz- und waldrechtliche Betretungsrecht zu Erholungszwecken, als auch gegen das individuelle Anliegerrecht. Dabei gehe es nicht nur um das persönliche Fahrrecht, sondern auch um die Erreichbarkeit des Wohngrundstücks auf diesem Weg für Besucher, Dienstleister und vor allem für die Notfallversorgung. Die Sperrung sei offensichtlich willkürlich, da die Antragstellerin die Befahrung ihres Wegs in der Vergangenheit während der Nutzung als Forsthaus auch mit Schwerlastverkehr selbstverständlich gebilligt habe und dies zunächst auch ihnen gegenüber getan habe, allerdings mit der sachfremden und unzulässigen Forderung, dass sie die Erdverlegung der Stromleitung veranlassen sollten. Das Grundstück sei gemäß den technischen Vorgaben für Trinkwasser an die im angrenzenden Weg verlaufende Wasserleitung angeschlossen. Der kommunale Anschluss- und Benutzungszwang greife nur ein, wenn ein Anschluss an das Wasserleitungsnetz der Antragstellerin möglich sei. Das sei nicht der Fall, zumal die Antragstellerin selbst zur Versorgung des Grundstücks technisch nicht in der Lage und auch nicht willens sei. Das Grundstück sei seit Errichtung des Gebäudes an die Wasserleitung der <em><noindex>energis</noindex></em> angeschlossen und werde mit Trinkwasser auf vertraglicher Grundlage versorgt. Im Übrigen hätten sie auf Wunsch der Feuerwehr der Antragstellerin einen neuen Hydranten gesetzt, der auch der Antragstellerin selbst diene, wenn beispielsweise ein Waldbrand zu löschen wäre. Der Bundesgesetzgeber lasse eine Weiternutzung ehemals privilegierter Gebäude im Außenbereich zu Wohnzwecken zu. Würde man der Rechtsauffassung der Antragstellerin folgen, müssten solche Gebäude nach Aufgabe der privilegierten Nutzung zwangsläufig dem Verfall preisgegeben werden, was die Antragstellerin im eigenen und öffentlichen Interesse nicht ernsthaft fordern könne. Es sei für genehmigte bauliche Nutzungen im Außenbereich typisch, dass die Wegeverbindung zum öffentlichen Straßennetz über Wirtschaftswege verlaufe, die nicht dem allgemeinen Straßenverkehr gewidmet seien und nicht dem technischen Ausbaustandard einer klassifizierten Straße entsprächen.</p>
<p><rd nr="8"/>Das Verwaltungsgericht hat den Aussetzungsantrag der Antragstellerin im September 2018 zurückgewiesen. In der Begründung heißt es unter anderem, nach derzeitigen Erkenntnissen sei davon auszugehen, dass das Vorhaben der Beigeladenen bauplanungsrechtlich zulässig und damit die Ersetzung des Einvernehmens der Antragstellerin rechtmäßig sei. Das Vorhaben im Außenbereich sei zwar nicht nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegiert, jedoch nach § 35 Abs. 4 Nr. 1 BauGB begünstigt, so dass der Nutzungsänderung die öffentlichen Belange einer Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft nach § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB und die Befürchtung des Entstehens oder der Erweiterung einer Splittersiedlung im Sinne des § 35 Abs. 3 Nr. 7 BauGB nicht entgegen gehalten werden könnten. Das Vorhaben diene zudem einer zweckmäßigen Verwendung erhaltenswerter Bausubstanz (§ 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 lit. a BauGB). Das Erfordernis, dass das Vorhaben einer zweckmäßigen Verwendung erhaltenswerter Bausubstanz diene, solle die Weiterverwendung vorhandener Bausubstanz im Außenbereich für andere Zwecke erleichtern. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen sei hier auszugehen, da das Forsthaus noch im Juni 2014 vom Revierförster bewohnt worden ist und sich nach den vorliegenden Lichtbildern in einem baulich guten Zustand befinde. Die äußere Gestalt der Gebäude bleibe im Wesentlichen gewahrt (§ 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 lit. b BauGB), die Aufgabe der bisherigen Nutzung liege nicht mehr als sieben Jahre zurück (§ 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 lit. c BauGB), das Gebäude sei vor mehr als sieben Jahren zulässigerweise errichtet worden (§ 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 lit. d BauGB) und die Zahl der nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 lit. f BauGB höchstzulässigen Wohnungen werde vorliegend ebenfalls nicht überschritten. Die Beigeladenen hätten zudem entsprechend § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 lit. g BauGB eine Baulast übernommen, keine Neubebauung als Ersatz für die aufgegebene Nutzung im Zusammenhang mit dem privilegierten Forsthaus im Außenbereich vorzunehmen. Das Vorhaben der Beigeladenen erfülle ferner die in § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 lit. e BauGB enthaltene Anforderung, wonach das Gebäude, um dessen Nutzungsänderung es gehe, im räumlich-funktionalen Zusammenhang mit der Hofstelle des land- oder forstwirtschaftlichen Betriebes stehen müsse. Das Gebäude befinde sich in einem Bereich, in dem immer noch durch den früheren Eigentümer – das Saarland, vertreten durch den Saarforst Landesbetrieb – Forstwirtschaft betrieben werde. Daher könne offen bleiben, ob für die Begünstigung des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 lit. e BauGB erforderlich sei, dass der land- oder forstwirtschaftliche Betrieb noch fortbestehe. Dem Vorhaben stehe wohl auch nicht die von § 35 Abs. 2 BauGB zusätzlich geforderte Erschließung entgegen. Die Erschließung müsse nicht nur tatsächlich vorhanden, sondern auch rechtlich auf Dauer gesichert sein. Dies sei vorliegend nach dem derzeitigen Erkenntnisstand sowohl hinsichtlich der wegerechtlichen Erschließung als auch der Wasserversorgung und der Abwasserentsorgung zu bejahen. Zunächst sei festzustellen, dass das Vorhabengrundstück wohl wegerechtlich ausreichend erschlossen sei. Dabei könne offen bleiben, ob die von der Antragstellerin vorgenommene Sperrung der Zuwegung von D aus zulässig sei. Die Erschließung sei wohl über den über die Parzellen Nrn. 2/37, Flur 12, und 2/24, Flur 14, vom Forsthaus zum K Weg (L 279) führenden Forstweg ausreichend gesichert. Vorliegend bestehe eine Sicherung des Fahrrechts über den genannten Weg sowohl durch eine Grunddienstbarkeit als auch durch eine Baulast. Soweit die Antragstellerin einwende, dass dieser Weg weder hinsichtlich seiner Breite noch hinsichtlich der Befahrbarkeit die Anforderungen an eine gesicherte wegemäßige Erschließung erfülle, könne dies im Eilverfahren nicht abschließend geklärt werden. Für nichtprivilegierte Wohnbauvorhaben im Außenbereich richteten sich die Anforderungen an die ausreichende wegemäßige Erschließung nach den jeweiligen Gegebenheiten, insbesondere nach dem zu erwartenden Zu- und Abgangsverkehr, wobei indes gewisse Mindestanforderungen erfüllt werden müssten. Zwar sei der hier als Erschließung gedachte Weg auch nach den Angaben des Antragsgegners nur teilweise asphaltiert und weise wohl zumindest teilweise nur eine Breite von 3 m auf. Da dieser Weg lediglich den Verkehr aufnehmen müsse, der zum Forsthaus führe, könne auch unter Berücksichtigung einer Breite von nur 3 m nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass der durch den Forstverkehr und den Zielverkehr zum Munitionsdepot genutzte Weg nicht in der Lage sei, den von der Nutzung der baulichen Anlage ausgehenden zusätzlichen Verkehr ohne Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit oder des Straßenzustands aufzunehmen. Zudem dürfte auch eine Nutzung durch Feuerlösch- und Rettungsfahrzeuge zumindest nicht offensichtlich unmöglich sein. Auch wenn die Frage der wegerechtlichen Erschließung im vorliegenden Verfahren nicht abschließend geklärt werden könne, müsse es im Hinblick auf die durch § 212a Abs. 1 BauGB gesetzlich vorgegebene Wertung beim Vorrang der Interessen der Beigeladenen bleiben. Im Rahmen des Hauptsacheverfahrens werde dann gegebenenfalls zusätzlich die Frage zu klären sein, ob die Antragstellerin rechtmäßig eine Sperrung des von D zum Forsthaus führenden Weges vorgenommen habe oder ob sie verpflichtet sei, dort die Zufahrt zu ermöglichen. Auch die Wasserversorgung sowie die Abwasserbeseitigung seien nach derzeitigem Erkenntnisstand ausreichend gewährleistet. Hinsichtlich der Wasserversorgung bestehe unstreitig ein Anschluss an das Wassernetz des Versorgers <em><noindex>energis</noindex></em>, der bereits vorher das Forsthaus versorgt habe und nunmehr auch bereit sei, die Beigeladenen zu beliefern. Welcher Art die am Forsthaus vorbeiführende Leitung sei, sei aus Sicht der Kammer völlig belanglos, solange diese geeignet sei, das genehmigte Vorhaben mit Frischwasser zu versorgen. Soweit sich die Antragstellerin darauf berufe, dass eine Versorgung mit Trinkwasser über eine Zubringerleitung der <em><noindex>energis</noindex></em> gegen ihre Wasserversorgungssatzung verstoße, sei die Argumentation widersprüchlich. Da vor dem Grundstück der Beigeladenen unstreitig keine Leitung der Wasserwerke der Antragstellerin verlaufe, könne dem Vorhaben wohl kaum entgegen gehalten werden, dass es nicht über eine Leitung der Wasserwerke versorgt werde. Auch hinsichtlich der Abwasserbeseitigung sei eine ausreichende Erschließung zu bejahen. Welche Anforderungen bei Außenbereichsvorhaben an die Abwasserentsorgung im Rahmen der bauplanungsrechtlichen Erschließung zu stellen seien, sei nicht geregelt. Zulässig sei grundsätzlich auch eine Hausentwässerung durch eine Kleinkläranlage für einzelne Gebäude im Außenbereich. Das sei hier der Fall, da für das Forsthaus durch die erteilte Genehmigung eine ausreichende Abwasserentsorgung sichergestellt sei. Die Genehmigung sei unbefristet erteilt worden und knüpfe weder daran an, wer Eigentümer des Forsthauses sei, noch ob darin eine privilegierte Nutzung stattfinde. Die Entsorgung der Hausabfälle sei ebenfalls ausreichend gewährleistet. Es sei sowohl ohne weiteres möglich als auch zumutbar, die Mülltonne für die Leerung durch die Müllabfuhr an die Kreuzung P -Straße/W Straße/Z Straße zu bringen. Folglich sei auch von einer ausreichenden Erschließung des Grundstücks der Beigeladenen auszugehen und die genehmigte Nutzungsänderung bauplanungsrechtlich zulässig.</p>
<p><rd nr="9"/>Gegen diese Entscheidung richtet sich das Rechtsmittel der Antragstellerin.</p>
<p><strong>II.</strong></p>
<p><rd nr="10"/>Die gemäß § 146 VwGO statthafte Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 5.9.2018 – 5 L 2434/17 –, mit dem der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die den Beigeladenen unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens erteilte Baugenehmigung vom 4.10.2017 für die „Nutzungsänderung eines ehemals privilegierten Dienst- und Wohnhauses der Forstwirtschaft in ein Gebäude mit privater Wohnnutzung im Außenbereich" auf der Parzelle Nr. 2/36 in Flur 12 der Gemarkung D zurückgewiesen worden ist, ist zulässig, aber nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag zu Recht nicht entsprochen. Mit der erstinstanzlichen Entscheidung ist auch auf der Grundlage des Beschwerdevorbringens davon auszugehen, dass die Baugenehmigung die Antragstellerin nicht in eigenen Rechten, konkret nicht in dem unter anderem in § 2 Abs. 1 BauGB verankerten Recht zu eigenverantwortlicher Bauleitplanung (Planungshoheit) verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO entspr.).</p>
<p><rd nr="11"/>Zur Sicherung dieser Rechtsposition der Kommunen hat der Bundesgesetzgeber nach der Entscheidung für ein einheitliches Genehmigungsverfahren bei den staatlichen Bauaufsichtsbehörden (heute § 57 Abs. 1 LBO 2015) das Einvernehmenserfordernis in dem § 36 BauGB normiert. Dieses gebietet allerdings mit Blick auf die aus dem Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) abzuleitende Baufreiheit im Falle einer rechtswidrigen Versagung des Einvernehmens durch die Standortgemeinde eine Korrekturmöglichkeit, die nach heutiger Rechtslage im Saarland eine (nur) unter diesen Voraussetzungen durch die §§ 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB, 72 LBO 2015 zugelassene Ersetzungsentscheidung der staatlichen Baugenehmigungsbehörde gewährleistet. Für die gegen eine solche Baugenehmigung (§ 72 Abs. 3 Satz 1 LBO 2015) eröffneten Rechtsbehelfsmöglichkeiten der Gemeinden im Streit um die Rechtmäßigkeit der Ersetzung, konkret deren Anfechtung mit Widerspruch und Anfechtungsklage, gelten bezogen auf den vorläufigen Rechtsschutz dieselben Grundsätze wie für den baurechtlichen Nachbarstreit.(vgl. dazu OVG des Saarlandes, Beschluss vom 2.8.2018 – 2 B 170/18 –, bei juris, wonach der Vorbescheid nach § 76 LBO 2015 hingegen keine Zulassungsentscheidung im Sinne des § 212a Abs. 1 BauGB darstellt; dazu Anmerkung von <noindex>Zeissler</noindex>, jurisPR-ÖffBauR 10/2018 (Anm. 1)) „Dritter“ im Verständnis des § 212a Abs. 1 BauGB ist insoweit jeder durch die einen anderen begünstigende Baugenehmigung rechtlich Belastete und daher insbesondere auch eine Standortgemeinde, die sich unter Berufung auf die der Absicherung der gemeindlichen Planungshoheit dienenden Bestimmungen in § 36 BauGB gegen eine ohne ihr Einvernehmen erteilte bauaufsichtliche Zulassung eines Bauvorhabens wendet. Nach dem dies klarstellenden § 72 Abs. 4 LBO 2015 entfällt die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs und einer eventuell nachfolgenden Anfechtungsklage gegen die nach §§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, 212a Abs. 1 BauGB sofort vollziehbare Baugenehmigung auch hinsichtlich der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens.(vgl. dazu etwa OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 25.3.2011 – 2 B 100/11 –, BRS 78 Nr. 164 (Mehrfamilienhaus) und vom 13.7.2011 – 2 B 231/11 –, BauR 2012, 612 (Fachmarktzentrum))</p>
<p><rd nr="12"/>In den Antragsverfahren nach den §§ 80a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist Entscheidungskriterium für die Verwaltungsgerichte die mit den Erkenntnismöglichkeiten des Eilverfahrens zu prognostizierende Erfolgsaussicht des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs des vorläufigen Rechtsschutz begehrenden Dritten gegen die Baugenehmigung. Für eine Anordnung der kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung (§§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, 212a Abs. 1 BauGB) ausgeschlossenen aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs gegen eine Baugenehmigung ist nur Raum, wenn die überschlägige Rechtskontrolle zumindest gewichtige Zweifel an der rechtlichen Unbedenklichkeit der angefochtenen Genehmigung mit Blick auf die Position des jeweiligen Rechtsbehelfsführers ergibt. Das gilt auch für das Aussetzungsbegehren einer Gemeinde. Der Unterschied zur Anfechtung durch private Nachbarn liegt im materiellen Prüfungsrahmen, also bei den Anforderungen an das Vorhaben, die durch eine Gemeinde reklamiert werden können. Diese sind einerseits auf das Bauplanungsrecht reduziert (§ 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB), unterliegen insofern andererseits aber mit Blick auf die aus der Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 117 Abs. 2 SVerf) abzuleitende gemeindliche Planungshoheit – anders als bei privaten Dritten – keiner Einschränkung auf die Privaten einen Drittschutz vermittelnden Bestimmungen. Die Gemeinde hat vielmehr generell einen Anspruch, dass die Untere Bauaufsichtsbehörde keine nach den Anforderungen der §§ 29 ff. BauGB nicht genehmigungsfähigen Bauvorhaben zulässt und kann diesen Anspruch bei rechtzeitiger Versagung eines Einvernehmens auch geltend machen.</p>
<p><rd nr="13"/>Die Anordnung des Suspensiveffekts des gemeindlichen Rechtsbehelfs gegen eine Baugenehmigung ist indes auch mit Blick auf die gemeindliche Planungshoheit nicht schon dann geboten, wenn dessen Erfolgsaussicht in der Hauptsache nach den eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Eilrechtsschutzverfahrens, speziell aufgrund des Erfordernisses einer Beweisaufnahme, als offen einzustufen ist.(vgl. zu etwa OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 25.3.2011 – 2 B 100/11 –, BRS 78 Nr. 164 (Mehrfamilienhaus) und vom 13.7.2011 – 2 B 231/11 –, BauR 2012, 612 (Fachmarktzentrum)) Das Verwaltungsgericht hat von diesem Ansatz her im konkreten Fall die notwendigen „gewichtigen Zweifel“ an der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung mit Blick auf die im Hauptsacheverfahren nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO maßgebliche Rechtsposition der Antragstellerin im Ergebnis zu Recht verneint.</p>
<p><rd nr="14"/>Da gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO der Prüfungsumfang des Rechtsmittelgerichts im Beschwerdeverfahren gesetzlich auf die vom Rechtsmittelführer „dargelegten Gründe“ beschränkt ist und sich die innerhalb der dafür geltenden Frist eingegangene Beschwerdebegründung der Antragstellerin vom 9.10.2018 nicht mit den vom Verwaltungsgericht – im Übrigen ohne Weiteres nachvollziehbar – bejahten Anforderungen an einen fortgeschriebenen Bestandsschutz für die begünstigte Weiternutzung von bestehenden „erhaltenswerten“ Gebäuden nach Aufgabe privilegierter Nutzungen im Außenbereich nach § 35 Abs. 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB befasst, bedarf es im vorliegenden Fall keinen weiteren Ausführungen dazu. Vielmehr ist vom Vorliegen der dort enumerativ normierten Genehmigungsvoraussetzungen auszugehen.</p>
<p><rd nr="15"/>Nach gegenwärtigem Erkenntnisstand kann darüber hinaus auch nicht von einer feststehenden fehlenden Genehmigungsfähigkeit wegen einer unzureichenden Erschließung (§ 35 Abs. 2 BauGB) des Vorhabens ausgegangen werden, mit der sich die Beschwerdebegründung auseinandersetzt. Dabei ist davon auszugehen, dass – wie der Bundesgesetzgeber 1998 in dieser Vorschrift ausdrücklich klargestellt hat – auch sonstige Bauvorhaben im Außenbereich nur zulässig sind, wenn ihre Erschließung gesichert ist, und dass dieses Erfordernis auch für die nach § 35 Abs. 4 BauGB – wie hier – aus Bestandsschutzgründen begünstigt zulässigen Außenbereichsvorhaben gilt. Erfasst werden dabei begrifflich neben der wegemäßigen Erschließung auch die Strom- und Wasserversorgung sowie die Abwasserbeseitigung.(vgl. hierzu etwa Rieger in Schrödter, BauGB, 8. Auflage 2015, § 35 Rn 89; Söfker in Spannowsky/Uechtritz, BauGB, 3. Auflage 2018 § 35 Rn 59)</p>
<p><rd nr="16"/>Durchgreifende Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ergeben sich zunächst entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht hinsichtlich der Sicherstellung einer wegemäßigen Erschließung. Das Verwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung ausdrücklich und richtig herausgestellt, dass diese Frage in dem vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend geklärt werden kann, vielmehr eine Klärung einschließlich der Berechtigung der Antragstellerin zur „Sperrung des von D zum Forsthaus führenden Weges“ gegebenenfalls in einem Hauptsacheverfahren vorzunehmen sein wird. Dem ist zuzustimmen. Nach der Entscheidung der Antragstellerin, die Nutzung der in der Vergangenheit unstreitig zur Verfügung gestellten Zuwegung aus östlicher Richtung von der Ecke P -Straße/W Straße/Z Straße zum damaligen Forsthaus beziehungsweise der Wohnung des Försters mit seiner Familie aus „verkehrsrechtlichen Gründen“ nicht weiter zu dulden, mussten sich die Beigeladenen um eine alternative Zuwegung bemühen, wobei nach gegenwärtigem Stand jedenfalls für die vorliegende Entscheidung entgegen der Ansicht der Antragstellerin davon ausgegangen werden kann, dass ihnen das gelungen ist.</p>
<p><rd nr="17"/>Die Beigeladenen, die im Übrigen eine „Sperrung“ der erwähnten in ihrem Grundeigentum stehenden Zufahrt von Osten her durch die Antragstellerin, der sie insoweit nach der geschilderten „Vorgeschichte“ unsachgemäße Motive unterstellen, für unrechtmäßig erachten, verweisen insoweit auf eine – zwar deutlich längere – zweite, von der L 279 abzweigende Zuwegung zu dem ehemaligen Forsthaus („Forsthausweg“) von Südwesten her über zwei Grundstücke des Saarforstes. Für die Vorwegnahme des sich abzeichnenden künftigen zivilrechtlichen Rechtsstreits um ein „Anliegerrecht“ der Beigeladenen, das heißt die Beantwortung der Frage, ob für eine am Maßstab des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB zulässige Nachfolgenutzung zwar keine „Neuerschließung“ oder eine Verpflichtung der Gemeinde zur Annahme entsprechender Angebote Privater, wohl aber eine Pflicht zur Beibehaltung einer vorhandenen und bisher zur Verfügung stehenden Wegeverbindung ausgegangen werden kann, besteht daher in dem vorliegenden Verfahren – wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat – noch keine Veranlassung.(vgl. in dem Zusammenhang BVerwG, Urteil vom 31.10.1990 – 4 C 45.88 –, BRS 50 Nr. 86, wonach die Erschließung eines sonstigen Vorhabens im Außenbereich bei dessen tatsächlich vorhandener Verbindung mit dem öffentlichen Wegenetz über ein der Gemeinde gehöriges Wegegrundstück trotz Fehlens einer Widmung oder anderer förmlicher Sicherungen ausnahmsweise auch dann rechtlich gesichert sein kann, wenn die Gemeinde aus Rechtsgründen dauernd gehindert ist, den Anliegerverkehr zum Baugrundstück zu untersagen)</p>
<p><rd nr="18"/>Auch wenn man mit der Antragstellerin davon ausgeht, dass die Anforderungen an die Erschließung bei nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB trotz des vom Gesetzgeber anerkannten „Erhaltungswerts“ gegenüber im Verständnis des § 35 Abs. 1 BauGB privilegierten Vorhaben, bei denen nach dem Wortlaut eine „ausreichende“ Erschließung gefordert wird, strenger allein nach § 35 Abs. 2 BauGB zu bestimmen sind, hängen diese Anforderungen auch insoweit maßgeblich davon ab, welchen Zu- und Abgangsverkehr das jeweilige konkrete Vorhaben auslöst.(vgl. sowohl Rieger in Schrödter BauGB, 8. Auflage 2015, § 35 Rn 89 unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 31.10.1990 – 4 C 45.88 –, BRS 50 Nr. 86) Dass das hier zur Rede stehende, durch Baulast vom Baubestand her (§ 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 lit. g BauGB) und damit auch vom Umfang der Wohnnutzung her auf den bisherigen Bestand beschränkte Wohnhausvorhaben – wenn überhaupt – zu einem gegenüber der Zeit der Benutzung des Anwesens als Betriebsstelle im Forstbetrieb mit gleichzeitigem Wohnsitz des Försters und seiner Familie gesteigerten Verkehrsaufkommen führen wird, kann nicht unterstellt werden. Es geht hier nach der den Beigeladenen erteilten Baugenehmigung vom 4.10.2017 jedenfalls nicht – mehr – um eine gewerbliche Benutzung.</p>
<p><rd nr="19"/>Soweit die Antragstellerin Zweifel an der erforderlichen „Sicherung“ dieser alternativen Erschließung vorträgt, kann dem nicht gefolgt werden. Zum bundesrechtlichen Begriff der gesicherten Erschließung gehört ihre Sicherung in rechtlicher Hinsicht. Die Erschließung muss auf Dauer zur Verfügung stehen. Einer besonderen rechtlichen Sicherung bedarf es nur dann nicht, wenn das Baugrundstück eine unmittelbare Zufahrt zum öffentlichen Wegenetz besitzt. Fehlt diese, so muss die Zugänglichkeit abgesichert werden. Aus der Notwendigkeit, die Erschließung auf Dauer zu sichern, folgt, dass eine rein schuldrechtliche Vereinbarung des Bauherrn mit einem privaten Nachbarn nicht ausreicht. Dagegen bestehen aus bundesrechtlicher Sicht keine Bedenken, eine gesicherte Zufahrt nicht nur anzunehmen, wenn die Zufahrt zum öffentlichen Straßennetz öffentlich-rechtlich, also durch Baulast, gesichert ist, sondern beispielsweise auch schon dann, wenn sie dinglich, etwa – wie hier auf der Grundlage des § 17 im Kaufvertrag vom 11.9.2015 – durch Eintragung einer Grunddienstbarkeit, gesichert ist.(vgl. dazu etwa BVerwG, Beschluss vom 22.11.1995 – 4 B 224.95 –, BRS 57 Nr. 104, grundlegend Urteil vom 3.5.1988 – 4 C 54.85 –, BRS 48 Nr. 92) Der Begriff der gesicherten Erschließung in den §§ 30 bis 35 BauGB ist ein bundesrechtlicher Begriff, der nicht durch Landesrecht konkretisiert wird. Auf die Einhaltung weitergehender landesrechtlicher Erschließungserfordernisse in §§ 5 Abs. 1 LBO 2015 hat die Antragstellerin als Gemeinde daher vorliegend mit Blick auf die Beschränkung in § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB auf bodenrechtliche Aspekte (auch) der Erschließung keinen Anspruch. Auch diesen qualifizierten Anforderungen ist im Übrigen formal durch die im März 2017 in das Verzeichnis beim Antragsgegner eingetragenen Baulasten zu Lasten der landeseigenen (Saarforst Landesbetrieb) Parzellen Nr. 2/24 in der Gemarkung L(vgl. dazu Roeser in Berliner Kommentar zum BauGB, Loseblatt, Band 2, § 35 Rn 14, wonach es unerheblich ist, ob die Erschließung durch eine Nachbargemeinde – hier insoweit über das Gebiet der Mittelstadt Völklingen – gesichert wird) und Nr. 2/37 genügt worden (§ 2 Abs. 12 LBO 2015). Darin wurde die dauerhafte Verpflichtung übernommen, dass der bestehende „Forsthausweg“ zu dem Anwesen der Beigeladenen für die genehmigte private Nutzung als Wohnung „angelegt, unterhalten und benutzt“ wird.</p>
<p><rd nr="20"/>Nichts Anderes gilt mit Blick auf den von der Antragstellerin aus ihrer Sicht geschilderten Zustand des Weges. Der Einwand, dieser „Forsthausweg“ erfülle aufgrund einer Breite zwischen 2,90 m und 3,60 m und wegen seines Ausbauzustands nicht die Anforderungen an eine gesicherte Erschließung kann jedenfalls im vorliegenden Verfahren eine abweichende Bewertung der beteiligten Interessen nicht rechtfertigen. Dem Vortrag lassen sich keine konkreten Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass es bei der Nutzung dieser Zufahrt seit der „Sperrung“ des von der Ortslage D kommenden Weges neben den nachvollziehbaren Erschwernissen aufgrund der Länge dieser Zuwegung zu irgendwelchen konkreten „Erschließungsproblemen“ hinsichtlich der (weiteren) Erreichbarkeit des Anwesens gekommen wäre. Der Antragsgegner sieht die Zuwegung dementsprechend bis heute als ausreichend an und verweist – unwidersprochen – im Beschwerdeverfahren darauf, dass auch die Feuerwehr der Antragstellerin den Weg zumindest einmal jährlich zum Zwecke der Kontrolle dort gesetzter Hydranten – teilweise mit einem „großen Löschfahrzeug“ – in beiden Richtungen befahre und kontrolliere. Konkrete Beanstandungen sind insoweit nicht bekannt geworden, jedenfalls nicht ansatzweise vorgetragen. Die abschließende Beurteilung wäre daher in einem etwaigen Hauptsacheverfahren vorzunehmen. Die von der Antragstellerin in einem weiteren Schriftsatz vom gestrigen Tag erneut aufgeworfene Interpretationsfrage hinsichtlich mehrerer Fotoaufnahmen ist von daher hier ohne Belang. Es geht hier nur beispielsweise nicht darum, wieviel Laub am Wegesrand liegen bleibt und ob das mit gemessen wurde oder nicht. Diese Fragen wie auch die Frage der Tolerierbarkeit der Länge des Weges unter Erschließungsgesichtspunkten sind im vorliegenden Verfahren nicht abschließend zu klären.</p>
<p><rd nr="21"/>Für eine dem Hauptsacheverfahren entsprechende Sachverhaltsermittlung durch Beweisaufnahme etwa im Wege einer Ortsbesichtigung zur weiteren Ermittlung und Aufklärung des Sachverhalts ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich kein Raum. Ein aus dem verfassungsrechtlichen Effektivitätsgebot des Art. 19 Abs. 4 GG ableitbares Erfordernis der verfahrensmäßigen „Vorwegnahme“ des Hauptsacheverfahrens, insbesondere hinsichtlich der Tatsachenermittlung, besteht insoweit in aller Regel nicht.(vgl. etwa OVG des Saarlandes, Beschluss vom 27.9.2016 – 2 B 191/16 –, SKZ 2016, 246, ständige Rechtsprechung)</p>
<p><rd nr="22"/>Von daher muss gegenwärtig auch den erneuten Hinweisen der Antragstellerin in der Beschwerdebegründung, sie sei nicht bereit, eine Grunddienstbarkeit auf ihrem zur Ortslage von D vorgelagerten Grundstück, auf dem sich der früher als Zuwegung zum Forsthaus benutzte, nach ihren Angaben aber inzwischen mittels einer „verkehrspolizeilichen Anordnung wegerechtlich gesperrte“ Weg befindet, zu bestellen, im vorliegenden Verfahren nicht weiter nachgegangen werden.</p>
<p><rd nr="23"/>Im Ergebnis nichts Anderes gilt hinsichtlich der – wie eingangs ausgeführt – vom bodenrechtlichen Erschließungsbegriff ebenfalls umfassten Versorgung des Anwesens mit Trinkwasser. Da diese nach dem Vortrag der Beteiligten – wie in der Vergangenheit über viele Jahre bei den früheren Benutzern des Forsthauses – durch den Versorger <em><noindex>energis</noindex> GmbH</em> auch gegenüber den Beigeladenen erfolgt und zumindest aktuell tatsächlich ohne Probleme gewährleistet wird, besteht kein durchgreifender Grund, die Interessen der Beteiligten, insbesondere des Interesses der Antragstellerin an einer vorläufigen Aussetzung der Genehmigung, im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO abweichend von der erstinstanzlichen Entscheidung zu bewerten. Dass – mit den Worten der Antragstellerin – diese „Wasserautobahn“ (Fernleitung) dinglich nicht gesichert ist, ist für diese Entscheidung ohne Bedeutung. Die Beigeladenen haben bereits im Verwaltungsverfahren eine Jahresrechnung (2016) der <em><noindex>energis</noindex> GmbH</em> mit Kundenkonto auf ihren Namen und mit Bezeichnung der Verbrauchsstelle vorgelegt. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass es zumindest bis zu einer Klärung im Hauptsacheverfahren insoweit zu Versorgungsproblemen kommen könnte. Ob überhaupt hinsichtlich der Wasserversorgung über den Nachweis einer schuldrechtlichen Vertragsbeziehung zwischen dem Versorger und den Beigeladenen hinaus auch insoweit wie bei der wegemäßigen Erschließung zusätzlich eine „dingliche Sicherung“, in welcher Form auch immer, erforderlich ist, mag hier dahinstehen. Welche Bedeutung die Anschlussrechte von Eigentümerinnen und Eigentümern von durch Leitungen der gemeindlichen Wasserversorgung erschlossenen Grundstücken haben, erschließt sich ebenso wenig wie die Frage einer Erschließungspflicht der Antragstellerin. Eine solche gemeindliche Wasserleitung existiert hier unstreitig nicht; gegenwärtig besteht auch faktisch kein Bedarf.</p>
<p><rd nr="24"/>Gleiches gilt angesichts fehlender Hinweise für einen gegenüber dem früheren Zustand zu verzeichnenden gesteigerten Anfall auch hinsichtlich der Entwässerung. Insoweit nutzen die Beigeladenen die von dem Ministerium für Umwelt im Jahre 1998 für das (bewohnte) Forsthaus, übrigens nach ausdrücklicher Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang durch die Antragstellerin im November 1997, erteilte Genehmigung. Ob das als dauerhafte Lösung angesehen werden kann, mag hier dahinstehen, wobei allerdings von den Abwässern her – jedenfalls unter Umweltgesichtspunkten – schwerlich ein Unterschied festzustellen sein dürfte hinsichtlich durch die Wohnnutzung im Rahmen eines privilegierten forstwirtschaftlichen Betriebs nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB und einem insoweit „ungebundenen“ Wohnen im Rahmen einer Nachfolgenutzung nach § 35 Abs. 4 BauGB verursachter Abwässer. Für die vorliegende Entscheidung sieht dies auch der Senat daher als ausreichend an. Für eine Absicht der zuständigen Behörde zu einer zeitnahen Aufhebung der Genehmigung nach Beendigung der privilegierten Nutzung gibt es keine Anhaltspunkte. Derartiges lässt sich insbesondere auch dem Vortrag der Antragstellerin nicht entnehmen. Auch in dem Zusammenhang gilt ganz allgemein, dass die Einhaltung gegebenenfalls weitergehender bauordnungsrechtlicher Anforderungen (§ 42 Abs. 3 LBO 2015) nicht zu den nach § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB von der Antragstellerin allein zu beurteilenden bodenrechtlichen Anforderungen gehört. Eine Anschlussmöglichkeit an die gemeindliche Abwasserbeseitigungsanlage (Kanalisation) besteht unstreitig ebenfalls nicht. Über die Fragen einer Finanzierung gegebenenfalls künftig zu schaffender Kanäle muss hier nicht spekuliert werden. Eine solche ist seitens der Antragstellerin nicht beabsichtigt.</p>
<p><rd nr="25"/>Demnach hat das Verwaltungsgericht den Aussetzungsantrag der Antragstellerin zu Recht als unbegründet angesehen und zurückgewiesen. Daher war die Beschwerde zurückzuweisen.</p>
<p><strong>III.</strong></p>
<p><rd nr="26"/>Die Kostenentscheidung beruht auf dem § 154 Abs. 2 VwGO. Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen war mangels der Übernahme eigener Kostenrisiken in zweiter Instanz kein Erstattungsausspruch nach § 162 Abs. 3 VwGO veranlasst (§ 154 Abs. 3 VwGO).</p>
<p><rd nr="27"/>Die hier an den Nrn. 9.7.2 und 1.5 des Streitwertkatalogs (2013) orientierte Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 47 GKG.(vgl. OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 13.7.2011 – 2 B 231/11 –, BRS 78 Nr. 165, und vom 2.8.2018 – 2 B 170/18 –, bei juris.)</p>
<p><rd nr="28"/>Der Beschluss ist nicht anfechtbar.</p>
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171,300 | vg-gelsenkirchen-2019-01-09-7-l-172718 | {
"id": 843,
"name": "Verwaltungsgericht Gelsenkirchen",
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} | 7 L 1727/18 | 2019-01-09T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:46 | 2019-02-12T13:44:36 | Beschluss | ECLI:DE:VGGE:2019:0109.7L1727.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<ul><li><p>1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird auf Kosten des Antragstellers abgelehnt.</p>
</li>
<li><p>2. Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.</p>
</li>
</ul><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e:</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">1.  Der Antrag,</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">die aufschiebende Wirkung der Klage 7 K 4854/18 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 16. August 2018 anzuordnen,</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung ‑ VwGO ‑ kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung u.a. in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 3, in denen die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage kraft Bundesrechts entfällt, ganz oder teilweise anordnen. Im vorliegenden Fall entfaltet die Klage des Antragstellers gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis in der Ordnungsverfügung des Antragsgegners kraft Bundesrechts keine aufschiebende Wirkung, § 4 Abs. 9 des Straßenverkehrsgesetzes ‑ StVG ‑. Ferner kann das Gericht der Hauptsache nach § 112 Satz 2 des Justizgesetzes NRW ‑ JustG NRW ‑ i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung im Falle des § 112 Satz 1 JustG NRW ganz oder teilweise anordnen. Nach § 112 Satz 1 JustG NRW haben Rechtsbehelfe, die sich gegen Maßnahmen einer Vollzugsbehörde in der Verwaltungsvollstreckung richten, keine aufschiebende Wirkung. Die Zwangsgeldandrohung ist eine Maßnahme einer Vollzugsbehörde in der Verwaltungsvollstreckung.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung („kann“) fällt zulasten des Antragstellers aus. Die streitgegenständliche Ordnungsverfügung ist offensichtlich rechtmäßig. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist die Kammer zunächst auf die Ausführungen in der angegriffenen Ordnungsverfügung, denen sie folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO). In Ergänzung dazu ist Folgendes auszuführen:</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich acht oder mehr Punkte nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem ergeben. Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG n.F. ergeben sich Punkte mit der Begehung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit, sofern sie rechtskräftig geahndet wird. Maßgeblicher Zeitpunkt zur Ermittlung des Punktestandes ist gemäß § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG der Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit und nicht, wie der Antragsteller meint, zum Zeitpunkt der Entziehungsverfügung. Da die letzte Tat am 23. Februar 2018 begangen wurde, ist dieser Tag maßgeblich. Spätere Verringerungen des Punktestandes auf Grund von Tilgungen bleiben gem. § 4 Abs. 5 Satz 7 StVG grundsätzlich unberücksichtigt.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Der Antragsgegner hat den Punktestand des Antragstellers im Fahreignungs-Bewertungssystem zum maßgeblichen Zeitpunkt am 23. Februar 2018 zu Recht mit acht Punkten beziffert. Welche Verkehrsverstöße der Antragsgegner seiner Berechnung im Einzelnen zugrunde gelegt hat, ist der Aufstellung auf Bl. 32 f. der Verwaltungsvorgänge zu entnehmen. Die Kammer hat die Berechnung nachvollzogen und hierbei keinen Fehler festgestellt. Der Punktestand im Fahreignungs-Bewertungssystem entwickelte sich wie folgt:</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Durch den Geschwindigkeitsverstoß am 29. Juni 2015 (Rechtskraft der Entscheidung: 24. September 2015) wurden für den Antragsteller zwei Punkte eingetragen. Wegen des Außerachtlassens der besonderen Vorsicht beim Rückwärtsfahren mit Unfallfolge am 16. August 2015 (Rechtskraft: 16. September 2015, Bußgeld: 100,00 Euro) und dem Geschwindigkeitsverstoß vom 7. November 2015 (Rechtskraft: 7. Mai 2016, Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes: 8. Januar 2018) wurde für den Kläger jeweils ein Punkt eingetragen. Wegen des verbotswidrigen Benutzens eines Mobil- oder Autotelefons am 13. Januar 2016 (Rechtskraft: 8. März 2016) wurde ein weiterer Punkt eingetragen. Der Geschwindigkeitsverstoß vom 12. Juni 2017 (Rechtskraft: 4. Dezember 2017) wurde mit zwei Punkten geahndet, so dass sich ein Punktestand von sieben Punkten ergab. Aufgrund des Geschwindigkeitsverstoßes vom 23. Februar 2018 (Rechtskraft: 9. Mai 2018) wurde ein weiterer Punkt eingetragen und der Punktestand erhöhte sich in diesem maßgeblichen Zeitpunkt auf acht Punkte.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die zu den acht Punkten führenden Verkehrsverstöße durften bei der Berechnung des Punktestandes berücksichtigt werden, da sie noch verwertbar waren. Diese vorgenannten Verkehrsverstöße waren im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Tat, dem 23. Februar 2018, noch nicht gemäß § 29 Abs. 1 StVG zu tilgen. Die für die Tat vom 29. Juni 2015 gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 lit. b StVG maßgebliche fünfjährige Tilgungsfrist, die mit Rechtskraft zu laufen begann, war offensichtlich noch nicht abgelaufen. Die fünfjährige Tilgungsfrist ergibt sich daraus, dass dieser Geschwindigkeitsverstoß innerhalb geschlossener Ortschaften als besonders verkehrssicherheitsbeeinträchtigende Ordnungswidrigkeit gem. § 40 FeV i.V.m. Ziffer 2.2.3 der Anlage 13 zur FeV i.V.m. Ziffer 11.3.6 Bußgeldkatalog-Verordnung ‑ BKat ‑ mit zwei Punkten geahndet wurde.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Insbesondere für die Tat vom 16. August 2015 war die nach § 29 Abs. 1 Satz 2 StVG maßgebliche Tilgungsfrist von zwei Jahren und sechs Monaten ab Rechtskraft der Bußgeldentscheidung bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Tat ‑ dem 23. Februar 2018 ‑ noch nicht abgelaufen. Die Tat durfte im Zeitpunkt der Entziehungsverfügung noch verwertet werden, obwohl die Tilgungsfrist im Entziehungszeitpunkt, dem 16. August 2018, mittlerweile abgelaufen war. Gemäß § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG sind Eintragungen nach Eintritt der Tilgungsreife zu löschen, wenn nicht Satz 2 der Vorschrift etwas anderes bestimmt. Gemäß § 29 Abs. 6 Satz 2 StVG wird eine Eintragung nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 oder 3 lit. a oder c StVG nach Eintritt der Tilgungsreife erst nach einer Überliegefrist von einem Jahr gelöscht. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 Nr. 3 lit. a, bb StVG liegen bezüglich der Tat vom 16. August 2015 vor, da es sich bei dieser um eine rechtskräftige Entscheidung wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24 StVG handelt, welche in der Bußgeldkatalogverordnung bezeichnet und wegen der gegen den Betroffenen eine Geldbuße von 100,00 Euro und damit mehr als 60,00 Euro festgesetzt worden ist. Nach § 29 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG darf während dieser Überliegefrist der Inhalt dieser Eintragung im Sinne des § 28 Abs. 3 Nr. 1 oder 3 lit. a oder c StVG noch zum Zweck der Ergreifung von Maßnahmen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem nach § 4 Abs. 5 StVG an die nach Landesrecht zuständige Behörde übermittelt, genutzt oder über sie eine Auskunft erteilt werden. Diese Voraussetzungen liegen für die Tat vom 16. August 2015 (Rechtskraft: 16. September 2015) vor. Sie hat sich nach der am 16. März 2018 eingetretenen Tilgungsreife zum Entziehungszeitpunkt (16. August 2018) noch in der einjährigen Überliegefrist gem. § 29 Abs. 6 Satz 2 StVG befunden.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist es für die Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung unerheblich, ob nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Tat ‑ dem 23. Februar 2018 ‑ hinsichtlich weiterer Taten Tilgungsreife eingetreten ist, da gem. § 4 Abs. 5 Satz 7 StVG spätere Verringerungen des Punktestandes auf Grund von Tilgungen insoweit unberücksichtigt bleiben.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Des Weiteren ist auch das Stufenverfahren nach § 4 Abs. 5 StVG ordnungsgemäß durchgeführt worden. Der Antragsteller wurde mit Schreiben vom 13. April 2016 bei einem bekannten Punktestand von vier Punkten gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG ermahnt und auf die Möglichkeit eines freiwilligen Fahreignungsseminars hingewiesen. Die Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG erfolgte ordnungsgemäß mit Schreiben vom 23. Januar 2018 bei einem Punktestand von sieben Punkten.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt der Kenntniserlangung im Zusammenhang mit § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG: OVG NRW, Beschluss vom 7. Oktober 2015 ‑ 16 B 554/15 ‑, juris Rn. 12 ff.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Bei der Ermahnung war die Tat vom 7. November 2015 zwar schon begangen. Gleichwohl war die Tat nicht zu berücksichtigen, da sie noch nicht rechtskräftig und mangels Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes bis zu diesem Zeitpunkt dem Antragsgegner mithin noch nicht bekannt war und damit auch nicht zur Ergreifung einer Maßnahme führen konnte.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum Wegfall der Warnfunktion des Stufenverfahrens: VG Augsburg, Beschluss vom 23. Februar 2016 ‑ Au 7 S 16.136 ‑ juris Rn. 34 ff.; BT-Drs. 18/2775, S. 9 f., vgl. auch VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. April 2017 ‑ 3 B 36/17 ‑, juris.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die vom Antragsgegner verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis war gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG zwingend. Ein Ermessen steht dem Antragsgegner nicht zu.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die in der Ordnungsverfügung enthaltene deklaratorische Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG) begegnet keinen rechtlichen Bedenken.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die Zwangsgeldandrohung entspricht den Anforderungen von §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60, 63 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen und ist rechtmäßig.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Dass das Interesse des Antragstellers, seine Fahrerlaubnis wenigstens bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens nutzen zu können, aus anderen Gründen Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug der Entziehungsverfügung genießt, ist nicht festzustellen. Zwar kann die Fahrerlaubnisentziehung die persönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Erlaubnisinhabers gravierend beeinflussen und im Einzelfall bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage reichen. Die mit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis verbundenen persönlichen und beruflichen Schwierigkeiten für den Antragsteller muss er als Betroffener jedoch angesichts des von fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern ausgehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz ableitbaren Auftrags zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hinnehmen.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">So auch: OVG NRW, Beschluss vom 13. Februar 2015 ‑ 16 B 74/15 ‑, juris, m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">2.  Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Gerichtskostengesetz - GKG -. Sie entspricht der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen bei Streitigkeiten um eine Fahrerlaubnis in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. Mai 2009 ‑ 16 E 550/09 ‑, juris.</p>
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171,299 | vg-arnsberg-2019-01-09-10-k-418718a | {
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} | 10 K 4187/18.A | 2019-01-09T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:46 | 2019-02-12T13:44:36 | Urteil | ECLI:DE:VGAR:2019:0109.10K4187.18A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Klage wird abgewiesen.</p>
<p>Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Tatbestand:</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Kläger begehren mit ihrer Klage die Anerkennung als Asylberechtigte, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie hilfsweise die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus, die Feststellung von Abschiebungsverboten und eine Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der Kläger zu 1. wurde am 16. Februar 1982 geboren, die Klägerin zu 2. am 05. April 1993. Ihr Geburtsort ist jeweils L.      /Aserbaidschan. Die Klägerin zu 3. ist ihr gemeinsames Kind. Sie wurde am 17. Mai 2011 in C.    /Aserbaidschan geboren. Die Kläger sind nach eigenen Angaben aserbaidschanischer Staatsangehörige aserbaidschanischer Volks- und islamischer Glaubenszugehörigkeit. Sie reisten – ebenfalls nach eigenen Angaben – am 28. Dezember 2016 auf dem Luftweg über Ungarn nach Deutschland ein und stellten am 16. Januar 2017 Asylanträge beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt).</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt am 24. Mai 2018 gab der Kläger zu 1. zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen Folgendes an: Er habe in Aserbaidschan verschiedene Berufe ausgeübt und zuletzt mit Baumaterialien gehandelt. Diese Tätigkeit habe er im Sommer 2016 wegen anhaltender Verluste aufgegeben. Aserbaidschan habe er aber weder aus wirtschaftlichen noch aus politischen Gründen verlassen. Ziel der Ausreise sei es vielmehr gewesen, seiner Tochter – der Klägerin zu 3. – eine adäquate medizinische Behandlung zukommen zu lassen. Sie leide an einer Skoliose dritten Grades und sei von ihrer Geburt an in medizinischer Behandlung gewesen. Im Laufe der Zeit habe die Familie das Vertrauen in die aserbaidschanischen Ärzte verloren. Diese hätten veraltete, risikoreiche und zu teure Behandlung vorgeschlagen. In Deutschland erhoffe man sich eine sachgerechte Behandlung.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin zu 2. bestätigte in ihrer persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt, die ebenfalls am 24. Mai 2018 stattfand, im Wesentlichen die Angaben des Klägers zu 1. Ergänzend gab sie an, dass die in Aserbaidschan wohnende Familie des Klägers zu 1. einen geringen Teil der Behandlungskosten mitgetragen habe. Gleiches gelte für ihre Mutter. Die Klägerin zu 3. sei fünf oder sechs Mal im Iran operiert worden. Bis sie erwachsen sei müssten noch mehrere risikoreiche Operationen durchgeführt werden. Diese könnten in Aserbaidschan nicht fachgerecht durchgeführt werden, die Familie könne die Kosten dafür zudem nicht tragen.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 01. Oktober 2018 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Asylanerkennung, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Gewährung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet ab. Es stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen. Die Kläger wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz – AufenthG) auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung führte das Bundesamt aus, dass die Kläger keine Flüchtlinge im Sinne des § 3 AslyG seien und ihnen auch keiner der in § 4 AsylG genannten ernsthaften Schäden drohe. Nach ihrem eigenen Vortrag habe eine Verfolgung weder gedroht noch stattgefunden. Es lägen auch keine Abschiebungsverbote vor. Aus den von den Kläger eingereichten Attesten ergebe sich, dass bei der Klägerin zu 3. kein akuter medizinischer Handlungsbedarf bestehe. Etwaige in den nächsten Jahren notwendige Operationen könnten auch in Aserbaidschan durchgeführt werden. Der Kläger zu 1. und auch die Klägerin zu 2, die nach eigenen Angaben über ein abgeschlossenes Lehramtsstudium verfüge, seien in der Lage einer geregelten Arbeit nachzugehen und so mögliche Kosten der Behandlung zu erwirtschaften.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Gegen diesen Bescheid wenden sich die Kläger mit der vorliegenden Klage, die am  15. Oktober 2018 bei Gericht eingegangen ist. Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor: Ihre Angaben vor dem Bundesamt könnten jedenfalls nicht zu einer offensichtlichen Unbegründetheit ihrer Anträge führen. Im Übrigen habe der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit Urteil vom 19. Juni 2018 (Az.: C –181/16) entschieden, dass ein abgelehnter Asylbewerber bis zum endgültigen Abschluss des gerichtlichen Verfahrens nicht abgeschoben werden dürfe. In der mündlichen Verhandlung haben sie zudem vorgetragen, dass die Krankheit der Klägerin zu 3. in Aserbaidschan nicht behandelbar sei, bis zu ihrer Volljährigkeit noch etwa zehn risikoreiche Operationen zu Kosten von jeweils 60.000,00 € notwendig seien und die Lebensqualität der Klägerin zu 3. bereits jetzt erheblich eingeschränkt sei.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Kläger beantragen sinngemäß,</p>
<span class="absatzRechts">10</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">1. die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom01. Oktober 2018, zugestellt am 08. Oktober 2018, zu verpflichten, die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen und ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,<strong>h i l f s w e i s e,</strong></p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">2. den Klägern den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks"><strong>w e i t e r   h i l f s w e i s e,</strong></p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">3.   Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Abs. 1 AufenthG festzustellen,</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks"><strong>w e i t e r   h i l f s w e i s e,</strong></p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">4.   das Offensichtlichkeitsurteil aufzuheben und die Beklagte unter</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">      entsprechender Abwendung des Bescheides zu verpflichten, die</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">       Einreise- und Aufenthaltsverbote auf einen Monat zu befristen.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Sie stützt sich auf die Begründung des angefochtenen Bescheides.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Mit Beschluss vom 04. Dezember 2018 hat die Kammer den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. Das Gericht hat die Kläger in der mündlichen Verhandlung zu ihrem persönlichen Verfolgungsschicksal angehört.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes Bezug genommen. Ferner wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 09. Januar 2019 sowie die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisgrundlagen Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Entscheidungsgründe:</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Der Einzelrichter ist zuständig, nachdem ihm die Kammer den Rechtsstreit zur Entscheidung übertragen hat (§ 76 Abs. 1 AsylG). Das Gericht kann ferner trotz des Nichterscheinens eines Vertreters der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Beklagte mit der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass bei ihrem Ausbleiben auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 1 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Schließlich ist das Gericht auch nicht gehalten, das Verfahren gemäß § 94 VwGO auszusetzen und eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union zu beschließen. Unabhängig davon, dass eine Vorlagepflicht nur für letztinstanzliche Gerichte besteht (vgl. Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 24. Auflage 2018, § 94 VwGO Rn. 21), ist aus dem im Folgenden dargestellten Gründen eine entsprechende Entscheidung nicht zum Erlass des Urteils erforderlich (Art. 267 des Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV).</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Klage ist unbegründet, da die in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 14. November 2016 getroffenen Entscheidungen rechtmäßig sind und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO). Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 S. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG, die Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG. Auch die Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Dies gilt ebenso für die Befristungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 1 – 3 AufenthG.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Kläger sind weder als Asylberechtigte anzuerkennen noch ist ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer ein Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Nr.1) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Nr. 2a) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Nr. 2b). Das Vorliegen eines solchen Fluchtgrundes wird von den Klägern nicht behauptet. Auch im Übrigen sind bei der von Amts wegen vorzunehmenden gerichtlichen Überprüfung keine Anhaltspunkte hierfür ersichtlich.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Die Kläger können auch keinen subsidiär Schutz gemäß § 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 2 AufenthG beanspruchen. Nach § 4 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Kläger haben zum Vorliegen einer solchen Gefahr nichts vorgetragen. Gründe für ihre Annahme sind auch im Übrigen nicht ersichtlich.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Ferner haben die Kläger keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 S. 1 AufenthG. Ein die Androhung hinderndes Verbot der Abschiebung nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG ist in der Regel gegeben, wenn in dem Zielstaat für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Eine solche liegt aus gesundheitlichen Gründen vor, wenn sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers auf Grund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, also wenn eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Ausgehend vom asylrechtlichen Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit reicht es dabei nicht aus, dass eine Verschlechterung des Gesundheitszustands im Bereich des Möglichen liegt; sie muss vielmehr überwiegend wahrscheinlich sein.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Vgl.    Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 17. Oktober 2006 –1 C 18/05 –juris; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein–Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 30.10.2006 – 13 A 2820/04 – juris.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Dies ist etwa dann der Fall, wenn eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation im Zielstaat wegen des geringen Versorgungsstandes generell nicht verfügbar ist oder der Ausländer sie tatsächlich, also individuell aus finanziellen oder sonstigen Gründen, nicht erlangen kann.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Vgl.    BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 2006 – 1 C 18/05 – juris; BVerwG, Urteil vom 29. 10. 2002 – 1 C 1/02 – juris.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Allerdings kann von einer zu berücksichtigenden Verschlechterung des Gesundheitszustands nicht schon dann gesprochen werden, wenn lediglich eine Heilung des Krankheitszustandes im Zielstaat nicht zu erwarten oder die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland nicht gleichwertig ist. Ferner ist eine wesentliche Verschlechterung nicht bereits bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustands anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Denn das Verbot der Abschiebung nach § 60 Abs. 7 AufenthG soll dem Ausländer keine Heilung von Krankheit unter Einsatz des sozialen Netzes der Bundesrepublik Deutschland sichern, sondern nur vor einer gravierenden Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter Leib und Leben bewahren. Daher ist der Ausländer auch grundsätzlich auf die im Zielstaat allgemein üblichen medizinischen Standards verwiesen.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Vgl.    OVG Münster, Beschlüsse vom 20. September 2006 – 13 A 1740/05 – juris; 6. September 2004 – 18 B 2661/03 – juris; 05. August 2004 – 13 A 2160/04 – juris; 20. Oktober 2000 –18 B 1520/00 – juris.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Ausgehend von diesen Grundsätzen führt das Vorbringen der Antragssteller nicht zur Annahme eines in Bezug auf die Antragstellerin zu 3. vorliegenden Abschiebungsverbotes aus gesundheitlichen Gründen.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Ausführungen in dem angegriffenen Bescheid verwiesen (dort S. 7 – 10), denen das Gericht folgt. Im Hinblick auf die Ausführungen der Kläger in der mündlichen Verhandlung ist ergänzend auszuführen:</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Aus dem Ambulanzbrief der orthopädischen Klinik W.            vom 19. Juli 2017 ergibt sich, dass die Klägerin zu 3. an einer linkskonvexen thorakalen Skoliose mit Cobb-Winkel von 45,5°, einer Beinlängendifferenz von minus 0,5 cm links und einem Verdacht auf Entwicklungsstörungen leidet. Sie sei 2014 im Iran komplikationslos operiert worden. Das Gangbild sei normal. Zur Abklärung der Notwendigkeit einer Operation wurde die Klägerin zu 3. an Prof. E.  . U.      T1.       in C1.      verwiesen, ansonsten wurde die routinemäßige Vorstellung in drei Monaten empfohlen. Aus dem sich daran anschließenden Attest des Arztes der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie in C1.      , Prof. E.  . U.      T1.       , vom 20. September 2018 folgt, dass die Klägerin zu 3. an einer angeborenen Deformität der Wirbelsäule und der Rippen leidet, diese zur Zeit der Erstellung des Attest jedoch zu keinen Beschwerden führte. Ein aktueller medizinischer Handlungsbedarf bestehe nicht. Allerdings sei der Verlauf der Erkrankung schwierig vorherzusehen und in den nächsten Monaten und Jahren zu beobachten. Bei einer deutlichen Verschlechterung der Skoliose werde die Klägerin zu 3. langfristig unter erheblichen Beschwerden wie Schmerzen im Bereich des Nackens und der oberen Brustwirbelsäule leiden. Dann sei eine aufwendige operative Therapie notwendig. Ferner ist das Attest wohl so zu verstehen, dass eine operative Therapie in den nächsten zwei bis drei Jahren generell empfehlenswert sein wird.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Demnach kann nicht festgestellt werden, dass die Erkrankung der Klägerin zu 3. lebensbedrohlich ist. Die Atteste bestätigen auch nicht den Vortrag, nach dem der behandelnde Arzt der Klinik in C1.      gesagt habe, dass bis zur Volljährigkeit zehn Operationen notwendig sein werden. Gleiches gilt für die Behauptung, dass nach seiner Auskunft jede dieser Operationen 60.000,00 € kosten soll. Im Übrigen können die Kosten einer Behandlung in Deutschland nicht mit denen in Aserbaidschan gleichgesetzt werden.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Aus den Attesten ergibt sich auch nicht, dass die Klägerin zu 3. bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigung erleiden wird. Vielmehr liegen zurzeit keine gravierenden Beeinträchtigungen vor, der weitere Krankheitsverlauf ist offen.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Selbst dann, wenn es zu dem denkbar ungünstigsten Verlauf kommen sollte, wären die Kläger gehalten die Klägerin zu 3. in Aserbaidschan behandeln zu lassen. Ihre in der mündlichen Verhandlung aufgestellte Behauptung, dass die dortigen Ärzte ihnen gesagt hätten dass die Krankheit in Aserbaidschan generell nicht behandelbar ist, steht in Widerspruch zu ihren vor dem Bundesamt gemachten Angaben. Dort haben sie vorgetragen, dass die aserbaidschanischen Ärzte ihnen unter anderem ein Korsett und eine Operation empfohlen hätten. Dies entspricht im Wesentlichen den im Attest der Klinik für Orthopädie Unfallchirurgie in C1.      vorgeschlagenen Behandlungsmethoden, auch wenn der dortige behandelnde Arzt aktuell weder eine Operation noch ein Korsett für geboten hält. Es ist auch im Übrigen davon auszugehen, dass die Erkrankung in Aserbaidschan behandelbar ist.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Dass die Kläger kein Vertrauen in die aserbaidschanischen Ärzte haben, führt nicht zur Annahme eines Abschiebungsverbots. Zwar war den Klägern zu 1. und 2 in der mündlichen Verhandlung deutlich anzumerken, dass sie der Klägerin zu 3., die aufgrund ihrer bestehenden leiblichen Verwandtschaft und der bisherigen Fehlgeburten ihr einziges Kind bleiben soll, die bestmögliche ärztliche Versorgung zukommen lassen wollen. Nach den oben dargestellten Grundsätzen sind sie jedoch darauf verwiesen, das aserbaidschanische Gesundheitssystem in Anspruch zu nehmen.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Eine Therapie in Aserbaidschan ist für die Kläger auch finanzierbar. Sie sind in der Lage arbeiten zu gehen und können gegebenenfalls die Unterstützung der Mütter des Klägers zu 1. und der Klägerin zu 2. sowie der Schwestern der Klägerin zu 2. in Anspruch zu nehmen. Sie haben auch die Kosten der bisherigen Behandlung der Klägerin zu 3. in Aserbaidschan und sogar eine operative Therapie im Iran tragen können.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Die Abschiebungsandrohung beruht auf §§ 34 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit § 59 AufenthG und ist ebenfalls rechtmäßig. Etwas anderes folgt auch nicht aus den Grundsätzen, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil vom 19. Juni 2018 („Gnandi“) aufgestellt hat.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">In dieser Entscheidung hat sich der EuGH mit der Frage befasst, ob in den Fällen, in denen der Antrag eines Ausländers auf Gewährung internationalen Schutzes abgelehnt wurde, eine Rückkehrentscheidung unmittelbar nach oder zusammen mit der Ablehnung erlassen werden darf. Dies könnte deshalb problematisch sein, weil die Aufforderung zum Verlassen des Staatsgebietes dann vor einer etwaigen gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Ablehnung ergeht. Der EuGH ist der Ansicht, dass die Richtlinien 2008/115/EG und 2005/85/EG sowie die Art. 18, Art. 19 Abs. 2 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union einem solchen Vorgehen der Behörden dann nicht entgegenstehen, wenn unter anderem alle Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung ausgesetzt werden, der Ausländer während dieses Zeitraums in den Genuss der Rechte aus der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten kommen kann und wenn er sich auf jede nach Erlass der Rückkehrentscheidung eingetretene Änderung der Umstände berufen kann, die im Hinblick auf die Richtlinie 2008/115/EG und insbesondere ihren Art. 5 erheblichen Einfluss auf die Beurteilung seiner Situation haben kann. Die Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, sei Sache der nationalen Gerichte.</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Vgl.    EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, – C-181/16, Celex-Nr. 62016CJ0181 – juris Rn. 68.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">In den Entscheidungsgründen führt der EuGH unter anderem aus, dass zur Vermeidung einer der Charta der Grundrechte widersprechenden Behandlung dem Ausländer ein Rechtsbehelf zustehen müsse, der kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung entfalte. Ferner müssten während der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs und im Fall seiner Einlegung bis zur Entscheidung über ihn unter anderem alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung ausgesetzt werden. Hierzu genüge es nicht, dass der Mitgliedsstaat von einer zwangsweisen Umsetzung der Rückkehrentscheidung absehe; vielmehr müssten alle ihrer Rechtswirkungen ausgesetzt werden. Diese bedeute insbesondere, dass die Frist für die freiwillige Ausreise nicht zu laufen beginnen dürfe, solange der Ausländer ein Bleiberecht habe.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Vgl.    EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, – C-181/16, Celex-Nr. 62016CJ0181 – juris Rn. 54 – 66.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Diesen Rechtsschutzanforderungen wird das deutsche Asylverfahrensrecht unzweifelhaft bei Klagen, die nach § 75 Abs. 1 AsylG aufschiebende Wirkung haben, gerecht; im Ergebnis allerdings auch in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet. Dies gilt sowohl für die vom EuGH geforderte Aussetzung aller Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung als auch das Erfordernis eines Rechtsbehelfs, der kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung entfaltet.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Auf die Erfüllung dieser Rechtsschutzanforderungen auch bei der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet kommt es im vorliegenden Fall an, weil das Bundesamt eine derartige Regelung in dem angefochtenen Bescheid zu Recht getroffen hat. Die Ablehnung des Asylantrags einschließlich der Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Gewährung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet drängt sich hier auf, weil sich weder aus dem Vortrag der Kläger noch sonst konkrete Anhaltspunkte für entsprechende Ansprüche ergeben.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Im Hinblick auf das Erfordernis der Aussetzung aller Rechtswirkungen bedarf es der Entscheidung, ob die unter Ziffer 4. des angefochtenen Bescheids getroffene Anordnung, nach der die Ausreisefrist von einer Woche grundsätzlich bereits mit der Bekanntgabe des Bescheides und nicht erst nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu laufen beginnt (vgl. §§ 36 Abs. 1, 38 Abs. 1 S. 2 AsylG) zu einer Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung führt. Diese Frage, die in Rechtsprechung und Literatur noch nicht abschließend geklärt ist, ist zu verneinen.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Teilweise wird vertreten, dass die Anordnung einer solchen Frist zu freiwilligen Ausreise, die mit der Bekanntgabe des Bescheides und nicht dem Abschluss des (gerichtlichen) Verfahrens zu laufen beginnt, zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung insgesamt führe.</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Vgl.    Verwaltungsgericht (VG) Arnsberg, Beschluss vom 17. Dezember 2018 – 3 L 1935/18.A –, juris; wohl auch Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. Dezember 2018 – 11 S 2125/18 –, juris Rn. 14; offen gelassen von VG Würzburg, Beschluss vom 24. September 2018 – W 2 S 18.31990 –, juris; Gutmann, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, – C-181/16, in: NVwZ 2018, S. 1629 – 1631; siehe auch Hruschka, Anmerkung zum EuGH-Urteil vom 19. Juni 2018 in der Rechtssache „Gnandi“, in: Asylmagazin 2018, Heft 9, S. 290 – 293, der die Notwendigkeit einer Änderung des nationalen Rechts sieht.</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Nach anderer Auffassung ist bereits nach der geltenden Gesetzeslage davon auszugehen, dass der Lauf der Ausreisefrist erst mit der (negativen) gerichtlichen Entscheidung über den Eilantrag in Gang gesetzt wird. Dies führe bei einer im Übrigen gegebenen Rechtmäßigkeit des Bescheides zur vollständigen Ablehnung des Eilantrags. Als Begründung wird teilweise eine europarechtskonforme Auslegung des § 36 Abs. 1, Abs. 3 S. 8 AsylG und teilweise die Ansicht, dass mit rechtzeitiger Stellung des Eilantrags die im Bescheid gesetzte Ausreisefrist gemäß § 59 Abs. 1 S. 6 AufenthG unterbrochen wird, herangezogen.</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Vgl.    VG Stuttgart, Beschluss vom 11. Dezember 2018 – A 2 K 10728/18 –, juris; VG Berlin, Beschluss vom 30. November 2018 – 31 L 682.18 A –, juris Rn. 27  m.w.N.; noch offen gelassen von VG Berlin, Beschluss vom 24. September 2018 – 36 L 358.18 A –, juris.</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Schließlich wird vertreten, dass sich aus den vom EuGH aufgestellten Grundsätzen generell keine Rechtswidrigkeit einer solchen Abschiebungsandrohung ergibt.</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Vgl.    VG Frankfurt am Main, Beschluss vom 26. November 2018 – 5 L 4508/18.F.A. – juris; VG Münster, Beschluss vom 08. Oktober 2018 – 9 L 976/18 –, juris; VG Stade, Beschluss vom 30.07.2018 - 2 B 1616/18 - asyl.net: M26508, unter Hinweis auf VG Hannover, Beschluss vom 12. Juli 2018, 10 B 4228/18; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 05. Juli 2018 – 20 B 17.31636 –, juris Rn. 40; Wittkopp, Abschiebung abgelehnter Asylbewerber im Einklang mit Unionsrecht – Das Urteil „Gnandi“ des EuGH, in: ZAR 2018, S. 325 – 331; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, EuGH: Zur Verbindung von Ablehnungs- und Rückkehrentscheidungen, in: Entscheiderbrief 11-12/2018, S. 4 – 6;  siehe auch Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. November 2018 – 12 S 2504/18 –, juris.</p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Dieser letztgenannten Auffassung ist zu folgen. Es ist nicht davon auszugehen, dass der EuGH auch für die Fälle der Ablehnung eines nach dem 20. Juli 2015 gestellten Asylantrags als offensichtlich unbegründet verlangt, dass die Frist erst nach dem Abschluss des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens zu laufen beginnt.</p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Denn das in dem Verfahren „Gnandi“ ergangene Urteil stützt sich auf die Bestimmungen der Richtlinie 2005/85/EG, die jedoch mittlerweile durch die Richtlinie 2013/32/EU abgelöst worden sind.</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">In der Richtlinie 2005/85/EG war in Art. 39 Abs. 1 im Wesentlichen nur geregelt, dass abgelehnte Asylbewerber das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht oder Tribunal haben. In Art. 39 Abs. 3 dieser Richtlinie wurde den Mitgliedsstaaten zudem die Möglichkeit eingeräumt, im Einklang mit ihren internationalen Verpflichtungen Vorschriften festzulegen im Zusammenhang mit den Fragen, ob der Rechtsbehelf nach Art. 39 Abs. 1 zur Folge hat, dass Antragsteller sich bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im betreffenden Mitgliedstaat aufhalten dürfen und der Möglichkeit eines Rechtsmittels oder von Sicherungsmaßnahmen, wenn der Rechtsbehelf nach Art. 39 Abs. 1 nicht zur Folge hat, dass sich Antragsteller bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im betreffenden Mitgliedstaat aufhalten dürfen.</p>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Diese Regeln sind mit der Richtlinie 2013/32/EU durch ein ausdifferenzierteres System ersetzt worden. Demnach stellen die Mitgliedsstaaten gemäß Art. 46 Abs. 1 sicher, dass Antragsteller das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht gegen die in Art. 46 Abs. 1 a) bis c) genannten ablehnenden Entscheidungen haben. Nach Art. 46 Abs. 4 und 5 legen die Mitgliedsstaaten angemessene Fristen für die Wahrnehmung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 46 Abs. 1 fest und gestatten unbeschadet von Art. 46 Abs. 6 den Antragstellern das Recht zum Verbleib in ihrem Staatsgebiet bis zum Ablauf der Rechtsbehelfsfrist oder bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf. Nach Art. 46 Abs. 6 sind demgegenüber unter anderem in dem hier vorliegenden Fall der Ablehnung eines Antrags als offensichtlich unbegründet die Gerichte befugt, „entweder auf Antrag des Antragstellers oder von Amts wegen darüber zu entscheiden, ob der Antragsteller im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats verbleiben darf, wenn die Entscheidung zur Folge hat, das Recht des Antragstellers auf Verbleib in dem Mitgliedstaat zu beenden und wenn in diesen Fällen das Recht auf Verbleib in dem betreffenden Mitgliedstaat bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im nationalen Recht nicht vorgesehen ist“. Gemäß Art. 46. Abs. 8 gestatten die Mitgliedsstaaten dem Antragsteller bis zur Entscheidung in dem Verfahren nach den Abs. 6 und 7 darüber, ob der Antragsteller im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats verbleiben darf, im Hoheitsgebiet zu verbleiben.</p>
<span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Diesem Regelungssystem entsprechen die §§ 34 – 43 AsylG und §§ 74, 75 AsylG. Demnach ist insbesondere die Bestimmung, dass bei einer Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet der Antragssteller nur bis zum Abschluss des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ein Recht zum Verbleib hat, nach Art. 46 Abs. 6 und 8 der Richtlinie 2013/32/EU europarechtskonform. Unter anderem in den Fällen der offensichtlichen Unbegründetheit ist es ausdrücklich zulässig, dass (1) die Behörden eine Entscheidung treffen können, die das Recht des Asylbewerbers auf Verbleib im Mitgliedsstaat beendet, dass (2) das nationale Recht nicht vorsehen muss, dass ein Recht auf Verbleib im Mitgliedstaat bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf besteht und dass es (3) dann einem Gericht obliegt darüber zu entscheiden, ob der Asylbewerber (bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens) im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats verbleiben darf (Art. 46 Abs. 6 a.E.). Dieses gestufte Rechtsschutzsystem, dem das deutsche Verfahrensrecht entspricht, setzt voraus, dass eine von der Behörde gesetzte Ausreisefrist sofort zu laufen beginnt, weil die Behörde es sonst nicht in der Hand hätte das Recht auf Verbleib zu beenden und eine gesonderte Entscheidung eines Gerichts über den Verbleib bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens überflüssig wäre. Würde die Ausreisefrist während der Rechtsbehelfsfrist und  – bei Einlegung eines Rechtsbehelfs – bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht zu laufen beginnen, bräuchte es nicht der von Art. 46 Abs. 6 und §§ 80 Abs. 5 VwGO, 36 Abs. 3 AsylG vorgesehenen Entscheidung des Gerichts über ein (vorläufiges) Bleiberecht. Auch die Regelung des Art. 46 Abs. 8 hätte keinen Anwendungsbereich, wenn die Ausreisfrist nicht schon zu laufen beginnen würde. Ferner sieht Art. 46 Abs. 8 ein Bleiberecht nur für den Zeitraum bis zur gerichtlichen Eilentscheidung und nicht bis zum Ablauf einer danach beginnenden Ausreisfrist vor. Von dem EuGH ist dies in der Entscheidung „Gnandi“ nicht berücksichtigt worden, weil die Richtlinie 2013/32/EU gemäß ihres Art. 52 erst auf nach dem 20. Juli 2015 gestellte Anträge auf internationalen Schutz Anwendung findet.</p>
<span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Vgl.    VG Frankfurt am Main, Beschluss vom 26. November 2018 – 5 L 4508/18.F.A. – juris Rn. 14; VG Münster, Beschluss vom 08. Oktober 2018 – 9 L 976/18 –, juris; VG Stade, Beschluss vom 30.07.2018 – 2 B 1616/18 – asyl.net: M26508, unter Hinweis auf VG Hannover, Beschluss vom 12. Juli 2018 – 10 B 4228/18 –.</p>
<span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Die Auffassung, dass aufgrund des formalen Kriteriums des Fristbeginns die nach den §§ 34 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG erlassen Abschiebungsandrohungen generell rechtswidrig sein sollen, würde zudem zu nur schwer hinnehmbaren Ergebnissen führen. Dies gilt vor allem für die von ihr gezogenen Konsequenz, dass jedem Eilantrag unabhängig von seiner Begründetheit im Übrigen stattzugeben sein soll. Denn dann wäre ein Ausländer, dessen Antrag auch nach der Auffassung des Gerichts offensichtlich keinen Erfolg haben wird (etwa weil sein Vorbringen offenkundig falsch ist, er gefälschte Beweismittel vorgelegt oder über seine Identität getäuscht hat, § 30 Abs. 3 Nr. 1 – 3 AsylG) oder bereits unzulässig ist (§§ 36 Abs. 1, 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4, Art. 46 Abs. 6 b) der Richtlinie 2013/32/EU), bis zum Abschluss des oft mehrere Jahre dauernden Hauptsacheverfahrens nicht vollziehbar ausreisepflichtig. Dies würde dem Wortlaut der §§ 34 – 43, 74, 75 AsylG sowie des Art. 46 Abs. 6 und 8 der Richtlinie 2013/32/EU und ihrem Regelungszweck, erkennbar aussichtslose Verfahren effizient zu gestalten, zuwiderlaufen.</p>
<span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">In der hier vertretenen Lösung liegt keine unzumutbare Verkürzung des Rechtsschutzes des Ausländers. Dieser darf in den Fällen des negativen Ausgangs des Eilverfahrens und der damit tatsächlich vorliegenden offensichtlichen Unbegründetheit seines Antrags nicht auf einen längeren Aufenthalt im Bundesgebiet vertrauen, sondern muss ich auf seine Ausreise nach Beendigung des Eilverfahrens einstellen. Dies gilt erst recht für die Fälle der erfolglosen Durchführung eines Hauptsacheverfahrens. Ferner ist ihm unabhängig davon nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens eine Frist zur freiwilligen Ausreise zuzubilligen.</p>
<span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Vgl.    BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1986 – 1 C 16/85 –, juris Rn 21 und 22.</p>
<span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Aufgrund der Bestimmungen der Art. 46 Abs. 6 und 8 der Richtlinie 2013/32/EU ist es auch nicht selbstverständlich, dass der EuGH verbindliche Anforderungen für alle Verfahrensarten aufstellen wollte, die über die Bestimmungen der Richtlinie 2013/32/EU hinausgehen. Der Entscheidung „Gnandi“ ist schon nicht ausdrücklich zu entnehmen, dass die Ausreisefrist erst nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens zu laufen beginnen muss. Die nicht Teil des Tenors gewordene Formulierung, dass diese Frist nicht zu laufen beginnen darf, „solange der Betroffene ein Bleiberecht hat“, kann auch so verstanden werden, dass er nur während des laufenden gerichtlichen Verfahrens den Mitgliedsstaat nicht verlassen muss. Dies entspricht dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits und der Vorlagefrage. Ferner stellt der EuGH in den weiteren Entscheidungsgründen hinsichtlich der Rechte des Antragsstellers stets auf den Abschluss des gerichtlichen Verfahrens und nicht an eine sich daran anknüpfende Ausreisefrist ab.</p>
<span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Vgl.    EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, – C-181/16, Celex-Nr. 62016CJ0181 – juris Rn. 63 a.E. und  66 a.E.</p>
<span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Auch in seinem Beschluss vom 05. Juli 2018, in dem wiederholt auf die im Verfahren „Gnandi“ ergangene Entscheidung Bezug genommen wird, fordert der EuGH nur, das die Wirkungen der Rückkehrentscheidung bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens auszusetzen sind. Unter Hinweis auf Art. 46 Abs. 8 der Richtlinie 2013/32/EU stellt er ausdrücklich fest, dass in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet die Mitgliedsstaaten Ausländern einen Verbleib in ihrem Hoheitsgebiet nur bis zu einer gerichtlichen Entscheidung über ihr Bleiberecht gestatten müssen. Er verlangt nicht, dass sich daran noch die ursprünglich gesetzte Ausreisefrist anschließt.</p>
<span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Vgl.    EuGH, Beschluss vom 05. Juli 2018 – C-269/18 PPU –, juris Rn. 53; siehe auch VG Berlin, Beschluss vom 30. November 2018 – 31 L 682.18 A – juris Rn. 21.</p>
<span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Die geltende Rechtslage wird im Ergebnis auch dem vom EuGH aufgestellten Erfordernis eines Rechtsbehelfs, der kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung entfaltet, gerecht.</p>
<span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Zwar hat gemäß §§ 75 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG eine Klage gegen die in dem Bescheid getroffenen Entscheidungen nicht kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung. Vielmehr ist der Ausländer gehalten, einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO zu stellen.</p>
<span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Dies entspricht jedoch  – wie dargestellt  – dem von Art. 46 Abs. 6 und 8 der Richtlinie 2013/32/EU ausdrücklich vorgesehenen Regelungssystem.</p>
<span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Ferner sind die Folgen der Stellung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Ergebnis mit denen einer kraft Gesetzes bestehenden aufschiebenden Wirkung identisch, so dass eine äquivalente Rechtsschutzdichte besteht.</p>
<span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">So ist gemäß § 36 Abs. 3 S. 8 AsylG eine Abschiebung des Ausländers vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Dabei handelt es sich um mehr als ein (vom EuGH als nicht ausreichend angesehenes) bloßes Absehen von einer Abschiebung durch die Behörden, weil die Rechtsfolge gesetzlich vorgeschrieben ist. Auch eine Inhaftierung des Ausländers ist während der Dauer des gerichtlichen Eilverfahrens nicht zulässig, da keine vollziehbare Ausreispflicht besteht (vgl. § 62 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG).</p>
<span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Dem Ausländer stehen mindestens für die Dauer des gerichtlichen Verfahrens alle Rechte aus der Richtlinie 2003/9/EG und der sie ablösenden Richtlinie 2013/33/EU zu. Insbesondere behält er seine Rechte aus der Aufenthaltsgestattung (vgl. § 67 Abs. 1 Nr. 4 AsylG) einschließlich der Rechte aus dem Asylbewerberleistungsgesetz (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Asylbewerberleistungsgesetz – AsylbLG).</p>
<span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Der Prüfungsumfang des Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes genügt ebenfalls den europarechtlichen Anforderungen. Zwar ist eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich (§§ 80 Abs. 5, Abs. 7, 101 Abs. 3 VwGO, 36 Abs. 3 S. 4 AsylG), dafür ist gemäß § 36 Abs. 4 S. 1 VwGO die Abschiebung bereits bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung auszusetzen und nicht erst bei voller richterlicher Überzeugung. Der Ausländer kann sich zudem auf jede nach Erlass der Rückkehrentscheidung eingetretene Änderung von Umständen berufen, die Einfluss auf die Beurteilung seiner Situation haben könnte (vgl. § 77 Abs. 1 S. 1 AsylG).</p>
<span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Schließlich wird der Ausländer durch die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung transparent über die Einhaltung der vorgenannten Garantien informiert.</p>
<span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Vgl.    VG Berlin, Beschluss vom 30. November 2018 – 31 L 682.18 A – juris Rn. 22 – 29 m.w.N., auch zur Gegenansicht; VG Münster, Beschluss vom 08. Oktober 2018 – 9 L 976/18 –, juris Rn. 11.</p>
<span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots entspricht den Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 und  Abs. 3 AufenthG.</p>
<span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Nach alldem ist die Klage auch hinsichtlich sämtlicher Hilfsanträge unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 S. 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b AsylG.</p>
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171,298 | olgd-2019-01-09-2-u-2918 | {
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<ul class="ol"><li><p>I. Die Berufung gegen das am 5. Juli 2018 verkündete Urteil der 4c Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.</p>
</li>
</ul>
<ul class="ol"><li><p>II. Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.</p>
</li>
</ul>
<ul class="ol"><li><p>III. Das Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung von 120 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.</p>
</li>
</ul>
<ul class="ol"><li><p>IV. Die Revision wird nicht zugelassen.</p>
</li>
</ul>
<ul class="ol"><li><p>V. Der Streitwert wird auf 1.500.000,- € festgesetzt.</p>
</li>
</ul><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">I.</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des deutschen Teils des europäischen Patents 1 272 195 B1, der beim Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen DE 601 13 975 T2 geführt wird. Das Klagepatent wurde am 2. April 2001 unter Inanspruchnahme einer britischen Priorität vom 5. April 2000 in englischer Verfahrenssprache angemeldet; der Hinweis auf die Patenterteilung wurde am 12. Oktober 2005 veröffentlicht. In einem Einspruchs- und Einspruchsbeschwerdeverfahren wurde das Klagepatent im erteilten Umfang aufrechterhalten (Entscheidung des Technischen Beschwerdekammer des EPA vom 14. Februar 2013, Anlagen HE 4/HE 4a). Derzeit ist das Klagepatent Gegenstand von beim Bundespatentgericht anhängigen Nichtigkeitsverfahren; eine Entscheidung steht dort noch aus.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das Klagepatent betrifft die „Verwendung von Fulvestrant in der Behandlung von resistentem Brustkrebs“; sein Patentanspruch 1 ist wie folgt gefasst:</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks"><em>„Use of fulvestrant in the preparation of a medicament for the treatment of a patient with breast cancer who previously has been treated with an aromatase inhibitor and tamoxifen and has failed with such previous treatment.“</em></p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">In der eingetragenen deutschen Übersetzung hat Patentanspruch 1 folgenden Wortlaut:</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks"><em>„Verwendung von Fulvestrant bei der Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung einer Brustkrebspatientin, bei der die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlschlug.“</em></p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin gegen das Anbieten und Inverkehrbringen des Arzneimittels „F… 250 ml Injektionslösung in einer Fertigspritze“ zur therapeutischen Verwendung für die beanspruchte Patientinnengruppe. Die A… UK ist Inhaberin der Marktzulassung für das Referenzarzneimittel Fa…<sup>®</sup>.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die angegriffene Ausführungsform wurde erstmals am 15. Dezember 2015 in der Lauer-Taxe gelistet. In der „Gebrauchsinformation: Informationen für Anwender“ (Anlage HE 6) findet sich folgender Hinweis:</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks"><em>„F… enthält den Wirkstoff Fulvestrant, der zur Gruppe der Östrogen-Blocker gehört. Östrogene gehören zu den weiblichen Geschlechtshormonen und können in bestimmten Fällen am Wachstum von Brustkrebs beteiligt sein.</em></p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks"><em>F… wird zur Behandlung von fortgeschrittenem oder metastasiertem Brustkrebs bei Frauen nach der Menopause angewendet.“</em></p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die veröffentlichte „Fachinformation“ (Anlage HE 7) lautet auszugsweise wie folgt:</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks"><em>„4.1 Anwendungsgebiete</em></p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks"><em>F… ist angezeigt zur Behandlung von postmenopausalen Frauen mit östrogenrezeptorpositivem lokal fortgeschrittenem und metastasiertem Mammakarzinom bei Rezidiv während oder nach adjuvanter Antiöstrogen-Therapie oder bei Progression der Erkrankung unter der Behandlung mit einem Antiöstrogen.“</em></p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Nachdem der Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform nach vorübergehend erfolgreichen einstweiligen Verfügungsverfahren zwischenzeitlich eingestellt war, ist die angegriffene Ausführungsform – nachdem die Verbotsverfügungen aufgehoben wordensind – seit dem 1. März 2017 wieder in der Lauer-Taxe gelistet.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin beanstandet das streitbefangene Präparat der Beklagten als patentverletzend. Sie stützt sich auf eine von der i… AG durchgeführte Sonderauswertung des Tumorregisters Mammakarzinom (Anlage HE 8), deren Datenbasis auf dem Stichtag 31.10.2016 beruht und die für den betrachteten 10-Jahreszeitraum von 2007 bis 2016 insgesamt 444 Patientinnen mit HR-positivem, lokal fortgeschrittenem oder metastasierendem Brustkrebs berücksichtigt, die einer Fulvestrant-Therapie unterzogen worden sind. Ausweislich der nachstehend eingeblendeten Tabelle waren die Patientinnen wie folgt mit Tamoxifen (nachfolgend: Tam) und/oder einem Aromataseinhibitor (nachfolgend: AI) vorbehandelt worden:</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks"> <img height="91" width="20" src="2_U_29_18_Urteil_20190109_0.png" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /><img height="92" width="26" src="2_U_29_18_Urteil_20190109_1.png" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /><img height="355" width="624" src="2_U_29_18_Urteil_20190109_2.jpeg" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /></p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Da das Klagepatent nicht nach einer palliativen oder adjuvanten Vorbehandlung unterscheide und auch eine adjuvante Verabreichung von Tamoxifen sowie einem Aromataseinhibitor im Sinne des Klagepatens als „fehlgeschlagen“ betrachtet werden könne, wenn es danach zu einem abermaligen Auftreten der Brustkrebserkrankung komme, seien sämtliche Patientinnen relevant, die – sei es adjuvant oder palliativ – mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor vorbehandelt worden seien (vgl. die obigen Klammern). Bei annähernd der Hälfte der in die Auswertung einbezogenen Patientinnen (exakt: 45,7 %) liege der Sachverhalt mithin so, dass ihre Vorbehandlung mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor versagt habe und ihnen danach Fulvestrant verordnet worden sei. Nachdem die Fachinformation zur angegriffenen Ausführungsform selbst lediglich die Vorbehandlung mit Tamoxifen als Indikation benenne, bestätige die Sonderauswertung, dass in der ärztlichen und klinischen Praxis eine feste Verschreibungsübung herrsche, nach der Fulvestrant in weitem Umfang auch dann zum Einsatz komme, wenn sowohl eine Vorbehandlung mit dem Antiöstrogen Tamoxifen versagt habe als auch eine (weitere) Vorbehandlung mit einem Aromataseinhibitor gescheitert sei. Die Klägerin mache sich diese Verschreibungspraxis zunutze, weswegen sie sich so behandeln lassen müsse, als habe sie die Verwendung des Wirkstoffs Fulvestrant nach fehlgeschlagener Gabe von Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor selbst empfohlen.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die zulässige Klage sei unbegründet. Zwar könne der Klägerin in ihrer Auffassung gefolgt werden, dass ein Fehlschlagen einer vorausgegangenen Brustkrebsbehandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen immer dann vorliege, wenn der zunächst durchgeführten Therapie mit den besagten Wirkstoffen der Erfolg versagt geblieben sei, was nicht nur bei einer palliativen Gabe zur Behandlung eines manifesten Tumors der Fall sei, sondern ebenso dann, wenn die Vorbehandlung mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor adjuvant erfolgt sei, sich jedoch als nicht zielführend (und damit „fehlgeschlagen“) herausgestellt habe, weil es trotzdem zu einem erneuten Ausbruch der Brustkrebserkrankung gekommen sei. Auch könne auf eine sinnfällige Herrichtung verzichtet werden, wenn eine tatsächliche Verschreibungspraxis im Sinne der geschützten Verwendung existiere, die jede weitere Herrichtungsmaßnahme erübrige und die sich die Beklagte zunutze mache. Das Klagebegehren scheitere jedoch daran, dass nicht mit der gebotenen Verlässlichkeit festgestellt werden könne, dass die angegriffene Ausführungsform in hinreichendem Umfang bei einer palliativen Therapie nach Fehlschlagen einer Behandlung mit Tamoxifen und Fehlschlagen einer Behandlung mit einem Aromataseinhibitor verwendet werde. Die von der Klägerin vorgelegte Sonderauswertung der i… AG sei zum Nachweis des behaupteten Verwendungsumfangs ungeeignet. Weder erschienen die ausgewerteten Zahlen hinreichend aussagekräftig noch lasse sich ausschließen, dass im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine entscheidungserhebliche Änderung der Verwendungspraxis mit Rücksicht auf neuartige CDK4/6-Inhibitoren eingetreten sei.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, zu deren Rechtfertigung sie im Wesentlichen geltend macht: Das Landgericht habe verkannt, dass die Beklagte den Umfang der patentgemäßen Verschreibungspraxis nur vor dem Hintergrund ihrer unzutreffenden und vom Landgericht zu Recht verworfenen Patentauslegung in Abrede gestellt habe, nur eine palliative Vorbehandlung sei relevant, weil allein sie „fehlschlagen“ könne. Ausgehend von dem richtigen, weiten Verständnis des Klagepatents sei der erhebliche Verwendungsumfang von Fulvestrant im Anschluss an eine (palliative oder adjuvante) Vortherapie mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor daher unstreitig und gerichtlich nicht weiter aufzuklären. Selbst wenn jedoch Nachweise erforderlich sein sollten, würden sie durch die vorgelegte Sonderauswertung hinreichend erbracht. Da keine besseren, auf breiterer Datenbasis beruhenden Untersuchungen verfügbar seien, überspanne das Landgericht die Anforderungen an den Nachweis einer bestimmten Verschreibungspraxis. Der Einsatz neuartiger CDK4/6-Inhibitoren habe rechtlich keine Bedeutung, weil es patentgemäß auf eine bestimmte, erfolglose Vorbehandlung, aber nicht darauf ankomme, ob Fulvestrant als Monotherapie oder in Kombination mit einem CDK4/6-Inhibitor eingesetzt werde.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">das landgerichtliche Urteil abzuändern und</p>
<span class="absatzRechts">23</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">I. die Beklagte zu verurteilen,</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">25</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den Geschäftsführern der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen,</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">              Fulvestrant-Arzneimittel, insbesondere F…,</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">              zur Behandlung einer Brustkrebspatientin, bei der die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlschlug,</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">              in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">              indem</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">              Fulvestrant-Arzneimittel, insbesondere F…, in der Bundesrepublik Deutschland anbietet, in Verkehr bringt oder gebraucht oder zu den genannten Zwecken einführt oder besitzt, ohne auszuschließen, dass sie zur Behandlung einer Brustkrebspatientin verwendet werden, bei der die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlschlug,</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">              insbesondere indem sie</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">(a)               in Ziffer 4.1 der Fachinformation und Ziffer 1, 2. Absatz der Gebrauchsinformation von F… einen Ausschluss der Verwendung für den Fall aufnehmen lässt, dass die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlschlug;</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">(b)               in sämtlichen Werbe- und Informationsmaterialien zu F…, insbesondere auch auf den Internetseiten der Beklagten, einen ausdrücklichen, gut erkennbaren Warnhinweis aufnimmt, dass F… nicht zur Behandlung von Patientinnen verwendet werden darf, bei denen die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlschlug;</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">(c)               die folgenden Adressaten, mit Kopie an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin, anschreibt und (i) darauf hinweist, dass F… nicht zur Behandlung von Patientinnen verwendet werden darf, bei denen die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlschlug; und (ii) diese auffordert, ihre Mitglieder entsprechend zu informieren, dass zur Vermeidung von Patentrechtsverstößen für die Patientinnenpopulation Fa…<sup>®</sup> unter Ausschluss der aut-idem Substitution verschrieben werden muss:</p>
<span class="absatzRechts">36</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Berufsverband Niedergelassener Gynäkologischer Onkologen (BNGO),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Berufsverband der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen (BNHO),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie Kommission Mamma (AGO),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Deutscher Apothekerverband (DAV) / Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), und</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Kassenärztliche Vereinigungen; und</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">(d)               die gesetzlichen Krankenkassen, mit Kopie an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin, anschreibt und darauf hinweist, dass F… nicht zur Behandlung von Patientinnen verwendet werden darf, bei denen die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlschlug;</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">2.              <span style="text-decoration:underline">hilfsweise</span>: es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den Geschäftsführern der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen,</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">              Fulvestrant-Arzneimittel, insbesondere F…,</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">              zur Behandlung einer Brustkrebspatientin, bei der die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlschlug,</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">              Abnehmern in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder an solche zu liefern,</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">              ohne</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">(a)               in Ziffer 4.1 der Fachinformation und Ziffer 1, 2. Absatz der Gebrauchsinformation von F… einen Ausschluss der Verwendung für den Fall aufzunehmen, dass die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlschlug;</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">(b)               in sämtlichen Werbe- und Informationsmaterialien zu F…, insbesondere auch auf den Internetseiten der Beklagten, einen ausdrücklichen, gut erkennbaren Warnhinweis aufzunehmen, dass F… nicht zur Behandlung von Patientinnen verwendet werden darf, bei denen die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlschlug;</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">(c)               die folgenden Adressaten, mit Kopie an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin, anzuschreiben und (i) darauf hinzuweisen, dass F… nicht zur Behandlung von Patientinnen verwendet werden darf, bei denen die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlschlug; und (ii) diese auffordert, ihre Mitglieder entsprechend zu informieren, dass zur Vermeidung von Patentrechtsverstößen für die Patientinnenpopulation Fa…<sup>®</sup> unter Ausschluss der aut-idem Substitution verschrieben werden muss:</p>
<span class="absatzRechts">55</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Berufsverband Niedergelassener Gynäkologischer Onkologen (BNGO),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Berufsverband der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen (BNHO),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie Kommission Mamma (AGO),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Deutscher Apothekerverband (DAV) / Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), und</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Kassenärztliche Vereinigungen; und</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">(d)               die gesetzlichen Krankenkassen, mit Kopie an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin, anzuschreiben und darauf hinzuweisen, dass F… nicht zur Behandlung von Patientinnen verwendet werden darf, bei denen die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlschlug;</p>
<span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">3.              der Klägerin unverzüglich und schriftlich</p>
<span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">a)              Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die unter Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 12. Oktober 2005 begangen hat, und zwar unter Angabe</p>
<span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">aa)              der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,</p>
<span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">ab)              der Namen und Anschriften der Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,</p>
<span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">ac)              der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden, und</p>
<span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">b)              Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die unter Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 12. November 2005 begangen hat, und zwar unter Vorlage eines gesonderten Verzeichnisses, insbesondere unter Angabe:</p>
<span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">aa)              der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und –preisen unter Einschluss von Produktbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,</p>
<span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">ab)              der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und –preisen unter Einschluss von Produktbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,</p>
<span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">ac)              der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, und</p>
<span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">ad)              der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,</p>
<span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">wobei</p>
<span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">              die Verkaufsstellen, Einkaufspreise und Verkaufspreise nur für die Zeit ab dem 30. April 2006 anzugeben sind, und</p>
<span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">              zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (Rechnungen oder Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;</p>
<span class="absatzRechts">79</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">II. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr entstanden ist und noch entstehen wird aufgrund der seit dem 12. November 2005 begangenen Handlungen gemäß Ziffer I.1..</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Ferner regt sie an, die Vollstreckungssicherheiten für die einzelnen Urteilsaussprüche getrennt festzusetzen und ihr zu gestatten, eine Zwangsvollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung abwenden zu dürfen.</p>
<span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">die Berufung zurückzuweisen,</p>
<span class="absatzRechts">84</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">1. <span style="text-decoration:underline">hilfsweise</span> für den Fall, dass die Anträge zu 1. bzw. 1.(a) zuzuerkennen sein sollten,</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">sie - die Beklagte - nur dazu zu verpflichten, bei der nach der Verordnung (EG) Nr. 1234/2008 zuständigen Zulassungsbehörde zu beantragen, dass in Ziffer 4.1 der Fachinformation nach Anlage HE 7 sowie in Ziffer 1, Absatz 2 der Gebrauchsinformation nach Anlage HE 6 folgender Zusatz aufgenommen wird:</p>
<span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">„Aus patentrechtlichen Gründen ist F…<sup>®</sup> nicht zu verwenden zur palliativen Behandlung einer Brustkrebspatientin, bei der die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlschlug.“;</p>
<span class="absatzRechts">88</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">2. <span style="text-decoration:underline">hilfsweise</span> für den Fall, dass die Anträge zu 2. bzw. 2.(a) zuzuerkennen sein sollten,</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">sie - die Beklagte - nur dazu zu verpflichten, bei der nach der Verordnung (EG) Nr. 1234/2008 zuständigen Zulassungsbehörde zu beantragen, dass in Ziffer 4.1 der Fachinformation nach Anlage HE 7 sowie in Ziffer 1, Absatz 2 der Gebrauchsinformation nach Anlage HE 6 folgender Zusatz aufgenommen wird:</p>
<span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">„Aus patentrechtlichen Gründen ist F…<sup>®</sup> nicht zu verwenden zur palliativen Behandlung einer Brustkrebspatientin, bei der die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlschlug.“;</p>
<span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">weiter hilfsweise</span>,</p>
<span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">ihr - der Beklagten - hinsichtlich der klägerischen Anträge zu 1. und 1.(a) bzw. 2. und 2.(a) eine Umstellungsfrist von wenigstens 300 Tagen zu gewähren;</p>
<span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">weiter hilfsweise</span>,</p>
<span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">das Verfahren gemäß § 148 ZPO bis zum Vorliegen einer erstinstanzlichen Entscheidung über die Nichtigkeitsklage betreffend das Patent EP 1 272 195 B1 auszusetzen;</p>
<span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">weiter hilfsweise</span>,</p>
<span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">ihr - der Beklagten - nachzulassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung (Bank- oder Sparkassenbürgschaft) abzuwenden.</p>
<span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend und hält darüber hinaus an ihrer bereits erstinstanzlich vorgebrachten Rechtsverteidigung fest.</p>
<span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">Die Klage sei bereits wegen Verstoßes gegen die Pflicht zur Klagenkonzentration (§ 145 PatG) unzulässig, nachdem zwischen den Parteien vor dem Landgericht Mannheim (2 O 256/15) - was unstreitig ist - seit dem 14. Dezember 2015 eine Verletzungsklage aus dem deutschen Teil des europäischen Patents 2 266 573 der Klägerin anhängig sei, die sich gegen dieselbe angegriffene Ausführungsform richte. In diesen Rechtsstreit habe die Klägerin auch das hiesige Klagepatent einführen müssen.</p>
<span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks">Das Klagebegehren sei darüber hinaus auch in der Sache nicht gerechtfertigt. Es scheitere schon daran, dass die angegriffene Ausführungsform nicht für die patentgeschützte Verwendung (Brustkrebsbehandlung nach fehlgeschlagener Behandlung mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor) sinnfällig hergerichtet sei. Selbst wenn auf das Erfordernis einer Herrichtung unter bestimmten Umständen verzichtet werde, was rechtlich nicht vertretbar sei, fehle der angegriffenen Ausführungsform die Eignung für den patentgemäßen Einsatzzweck, was sich nicht zuletzt daran zeige, dass das Originalpräparat der Klägerin Fa…<sup>®</sup> über keine Zulassung für die erfindungsgemäße Verwendung verfüge. Es existiere auch keine Verschreibungspraxis, die zu einer erfindungsgemäßen Verwendung von Fulvestrant führe. Bei richtigem Verständnis des Klagepatents könne von einem Fehlschlagen der Vorbehandlung nämlich nur dann gesprochen werden, wenn die Gabe von Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor angesichts eines manifesten Tumors palliativ – und nicht nur adjuvant – erfolgt sei. Gehe man hiervon aus, liege nach den eigenen Zahlen der Klägerin aus der Sonderauswertung der i… AG ein hinreichender Verwendungsumfang nicht vor. Das gelte umso mehr, als die dortigen Zahlen schon wegen der geringen Datenbasis, aber auch deshalb nicht aussagekräftig seien, weil seit der Erhebung gravierende Veränderungen insofern eingetreten seien, als eine neue Wirkstoffklasse (die CDK4/6-Inhibitoren) zugelassen worden sei, welche sich als erfolgversprechend gerade auch in Kombination mit Fulvestrant darstellen würden.</p>
<span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">Die Aufnahme eines Ausschlusses der patentgemäßen Verwendung in die Fach- und Gebrauchsinformation sei ihr – der Beklagten – rechtlich unmöglich; die Anbringung eines Warnhinweises in Werbe- und Informationsmaterialien sei vor dem Hintergrund des Regelungen des HWG wettbewerbsrechtlich irreführend. Eine Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin, Mitglieder und die gesetzlichen Krankenkassen anzuschreiben, sei nicht zu erkennen.</p>
<span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks">Letztlich werde sich das Klagepatent im Rahmen des Nichtigkeitsverfahrens auch als nicht rechtsbeständig erweisen.</p>
<span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks">Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte nebst Anlagen Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">II.</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">106</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">1.</span></p>
<span class="absatzRechts">107</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist zulässig. § 145 PatG steht ihrer Erhebung in einem separaten Verfahren nicht entgegen.</p>
<span class="absatzRechts">108</span><p class="absatzLinks">Im angefochtenen Urteil (Umdruck S. 10) hat das Landgericht im Einzelnen begründet, dass und warum die Klägerin nicht gehalten war, ihre Ansprüche aus dem Klagepatent in das im Dezember 2015 anhängig gemachte Klageverfahren gegen dieselbe angegriffene Ausführungsform aus dem EP 2 266 573 vor dem Landgericht Mannheim einzuführen. Es hat dargelegt, dass es sich bei den Gegenständen der beiden Klagen nicht um „dieselbe Handlung“ im Sinne des § 145 PatG handelt, die nur vorliege, wenn sich die Verletzungstatbestände in ihrer durch die Merkmale der Klageanträge konkretisierten Form im Wesentlichen decken (Benkard/Grabinski/Zülch, PatG, 11. Aufl. § 145 Rn. 6), was hier nicht der Fall sei, weil vor dem Landgericht Mannheim ein Formulierungspatent in Rede stehe, während es vorliegend um ein Verwendungspatent gehe. Auch von einer „gleichartigen Handlung“, die anzunehmen sei, wenn es sich wegen des engen technischen Zusammenhangs geradezu aufdränge, bestimmte Verletzungshandlungen gemeinsam in einer einzigen Klage aus mehreren Patenten anzugreifen, um dem Beklagten mehrere Prozesse zu ersparen (BGH GRUR 2011, 411 – Raffvorhang; Benkard/Grabinski/Zülch, PatG, 11. Aufl. § 145 Rn. 6), könne nicht ausgegangen werden. In der vorliegenden Klage stellten sich mit Rücksicht auf den völlig unterschiedlichen Patentgegenstand ganz andere Streitfragen als im Rechtsstreit vor dem Landgericht Mannheim.</p>
<span class="absatzRechts">109</span><p class="absatzLinks">Diese Erwägungen lassen einen Rechtsfehler nicht erkennen; ein solcher wird auch von der Beklagten nicht einmal ansatzweise aufgezeigt.</p>
<span class="absatzRechts">110</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">2.</span></p>
<span class="absatzRechts">111</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist jedoch unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht eine Verletzung des Klagepatents durch die angegriffene Ausführungsform verneint und dementsprechend die Klage abgewiesen.</p>
<span class="absatzRechts">112</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">1.</span></p>
<span class="absatzRechts">113</span><p class="absatzLinks"><ins>Das Klagepatent</ins>
betrifft die Behandlung von Brustkrebs.</p>
<span class="absatzRechts">114</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">a)</span></p>
<span class="absatzRechts">115</span><p class="absatzLinks">Nach den Erläuterungen der Klagepatentschrift wirken Östrogene (die bis zur Menopause in den Eierstöcken, aber auch – unabhängig von der Menopause – in anderem Gewebe gebildet werden) bei mindestens einem Drittel der Brustkrebserkrankungen wachstumsfördernd (Absatz [0004]). Es stellt deswegen einen anerkannten Behandlungsansatz bei der Brustkrebstherapie dar, die Östrogenzufuhr im Patienten zu unterbinden, was bei prämenopausalen Frauen durch eine (operative, radiologische oder medikamentöse) Entfernung/Ausschaltung der Eierstöcke geschieht, mit der die Neuproduktion von Östrogen unterbunden wird, während bei postmenopausalen Frauen mithilfe von Aromataseinhibitoren die Umwandlung anderer Hormone in Östrogen blockiert wird (Absatz [0005]).</p>
<span class="absatzRechts">116</span><p class="absatzLinks">Als Alternative zu dem beschriebenen Östrogenentzug ist es nach der Schilderung des Klagepatents bekannt, Antiöstrogene – vornehmlich Tamoxifen – einzusetzen, deren Funktion es ist, sich kompetitiv an die Östrogenrezeptoren der hormonabhängigen Tumorzellen anzulagern und auf diese Weise die Östrogenbindung an den Tumor zu verhindern (Absatz [0006]). Ein Nachteil von Tamoxifen liegt allerdings in seiner teilweise agonistischen Wirkung, die zu einer unvollständigen Blockade der östrogenvermittelten Wirksamkeit auf den Krebszellen führt (Absatz [0006]).</p>
<span class="absatzRechts">117</span><p class="absatzLinks">Dementsprechend war es in der therapeutischen Praxis bereits gebräuchlich, postmenopausale Patientinnen, die an fortgeschrittenem Brustkrebs leiden und bei denen die Krankheit nach der Behandlung mit Tamoxifen weiter fortgeschritten ist, mit einem Aromataseinhibitor (wie Anastrozol oder Letrozol) zu behandeln (Absatz [0007]; Anm.: Bei prämenopausalen Patientinnen kommt die Verabreichung eines Aromatseinhibitors nicht in Betracht, weil dieser die noch funktionierende Östrogenproduktion in den Eierstöcken nicht unterbinden würde).</p>
<span class="absatzRechts">118</span><p class="absatzLinks">Vor dem geschilderten Hintergrund ist es als Aufgabe der Erfindung anzusehen, einen Therapieweg für den (bislang noch nicht bewältigten) Fall aufzuzeigen, dass – im Anschluss an eine fehlgeschlagene Behandlung mit Tamoxifen – auch die nachfolgende Behandlung mit einem Aromataseinhibitor scheitert (Absatz [0007] a.E.; Technische Beschwerdekammer 3.3.02, Entscheidung vom 14.02.2013, Anlage HE 4a, S. 11 Rz. 2.4.3).</p>
<span class="absatzRechts">119</span><p class="absatzLinks">Zur Lösung dieser Problemstellung schlägt das Klagepatent vor, die – unter der in Abfolge durchgeführten (Absatz [0007] Satz 1) Behandlung mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor erfolglose – Brustkrebstherapie mit Fulvestrant fortzusetzen. Im Einzelnen stellt Patentanspruch 1 folgende Merkmalkombination unter Schutz:</p>
<span class="absatzRechts">120</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">121</span><p class="absatzLinks">1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Verwendung von Fulvestrant bei der Herstellung eines Arzneimittels.</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">122</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">123</span><p class="absatzLinks">2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Das Arzneimittel dient zur Behandlung einer Brustkrebspatientin.</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">124</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">125</span><p class="absatzLinks">3.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Bei der (mit dem Fulvestrantarzneimittel zu behandelnden) Krebspatientin ist eine vorangegangene Behandlung</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">126</span><p class="absatzLinks">a)                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               mit einem Aromataseinhibitor</p>
<span class="absatzRechts">127</span><p class="absatzLinks">und</p>
<span class="absatzRechts">128</span><p class="absatzLinks">b)                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               mit Tamoxifen</p>
<span class="absatzRechts">129</span><p class="absatzLinks">fehlgeschlagen.</p>
<span class="absatzRechts">130</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">b)</span></p>
<span class="absatzRechts">131</span><p class="absatzLinks">Erfindungsgemäß bleibt offen, ob zunächst mit Tamoxifen und anschließend mit einem Aromataseinhibitor behandelt oder in umgekehrter Reihenfolge vorgegangen wurde. Notwendige Bedingung jeder Patentbenutzung ist allerdings, dass die beiden Wirkstoffe sequenziell hintereinander – und nicht gleichzeitig nebeneinander – verabreicht wurden; auch die Klägerin macht insoweit nichts anderes geltend.</p>
<span class="absatzRechts">132</span><p class="absatzLinks">Wesentlich ist des Weiteren, dass die aufeinanderfolgende Behandlung mit beiden Wirkstoffen fehlgeschlagen ist, d.h. weder Tamoxifen noch der Aromataseinhibitor zu einem therapeutischen Erfolg geführt haben. Nicht der bloße Einsatz von Fulvestrant im Anschluss an eine vorherige Behandlung mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor als solche genügt daher den Anforderungen des Patentanspruchs, sondern erst eine solche therapeutische Verwendung von Fulvestrant, die ihren Grund in einem Versagen der anderen, vorrangig durchgeführten Behandlungsansätze (Tamoxifen und Aromataseinhibitor) findet. Denn der Patentanspruch begnügt sich nicht damit, dass Fulvestrant überhaupt als drittes Therapeutikum zum Einsatz kommt, sondern stellt darüber hinaus explizit darauf ab, dass die vorangegangenen Behandlungen mit Tamoxifen <span style="text-decoration:underline">und</span> einem Aromataseinhibitor fehlgeschlagen sind, d.h. (worauf später nochmals eingegangen wird) <em>jede einzelne von ihnen</em> versagt hat und <em>deswegen</em> die Behandlung mit Fulvestrant aufgenommen und fortgesetzt wird.</p>
<span class="absatzRechts">133</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">c)</span></p>
<span class="absatzRechts">134</span><p class="absatzLinks">Bei der fehlgeschlagenen Behandlung mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor, der sich die Fulvestrant-Patientin vorangehend unterzogen haben muss, hat es sich um eine palliative – und nicht nur um eine adjuvante – Brustkrebstherapie zu handeln. Das abweichende Verständnis des Landgerichts, wonach auch eine adjuvante, d.h. im Hinblick auf mit dem Eingriff nicht entfernte Krebszellen rein präventive Wirkstoffgabe von Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor im Anschluss an eine Krebsoperation ausreicht, wenn es anschließend zu einem erneuten Krebsbefund kommt, wird dem auslegungsrelevanten Inhalt der Klagepatentschrift nicht gerecht.</p>
<span class="absatzRechts">135</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">aa)</span></p>
<span class="absatzRechts">136</span><p class="absatzLinks">Zwar ist auch eine bloß adjuvante Gabe von Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor, wie sie im Anschluss an die operative Entfernung eines Brustkrebstumors gebräuchlich ist, dem reinen Wortsinn nach als „Behandlung“ im Rahmen einer Krebstherapie aufzufassen. Denn sie geschieht nach medizinisch-therapeutischen Regeln zu dem Zweck, <em>etwaige</em> unerkannte Krebszellen, die im weiteren Verlauf metastasieren <em>könnten</em>, medikamentös auszuschalten.</p>
<span class="absatzRechts">137</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">bb)</span></p>
<span class="absatzRechts">138</span><p class="absatzLinks">In Bezug auf eine lediglich adjuvante Behandlung lässt sich jedoch – wie die Beklagte mit Recht geltend macht – vielfach überhaupt nicht beurteilen, ob sie „fehlgeschlagen“ ist, weswegen in ihr folgerichtig auch keine „vorangegangene Behandlung“ gesehen werden kann, deren erfolglose Durchführung Anspruch 1 des Klagepatents zwingend voraussetzt.</p>
<span class="absatzRechts">139</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(1)</span></p>
<span class="absatzRechts">140</span><p class="absatzLinks">Deutlich wird dies schon an dem in der Praxis gebräuchlichen Szenario, dass der Brustkrebstumor operativ entfernt wurde und anschließend prophylaktisch (adjuvant) zunächst für einen vorbestimmten Zeitraum (von z.B. zwei Jahren) Tamoxifen und danach im Rahmen einer Switch-Therapie für einen weiteren vorbestimmten Zeitraum (von z.B. drei Jahren) ein Aromataseinhibitor verabreicht wurde, um die ggf. drohende Bildung von Metastasen zu verhindern. Kommt es in einer solchen Konstellation nach Abschluss der Switch-Behandlung (z.B. im sechsten Jahr nach der Operation) zu einer erneuten Tumorbildung, lässt sich keine belastbare Aussage dahingehend treffen, dass <em>beide</em> Vorbehandlungen, und mithin auch die Erstbehandlung mit Tamoxifen, ihre Wirkung verfehlt haben; vielmehr kann die abermalige Erkrankung nach Abschluss des Behandlungszyklus ihre Ursache auch (und möglicherweise noch wahrscheinlicher) darin haben, dass die Umstellung auf einen Aromataseinhibitor den bis dahin unter der Behandlung mit Tamoxifen erfolgreich versperrten Weg für eine Tumorbildung freigemacht hat. Dieselbe Unwägbarkeit besteht, wenn die abermalige Tumorbildung sich zwar noch während der Therapie mit einem Aromataseinhibitor eingestellt hat, allerdings in deutlichem zeitlichen Abstand zur Beendigung der Behandlung mit Tamoxifen; auch hier kann sich der Ursachenzusammenhang ohne weiteres so verhalten, dass die Wiedererkrankung der Behandlungsumstellung auf den – im Gegensatz zum Tamoxifen – nicht wirksamen Aromataseinhibitor zuzuschreiben ist. Ob eine bestimmte Krebstherapie (nämlich die Behandlung sowohl mit Tamoxifen als auch die daran anschließende bzw. vorausgehende Behandlung mit einem Aromataseinhibitor) versagt hat, lässt sich demgegenüber eindeutig und abschließend beurteilen, wenn die Behandlung palliativ an einem über die Therapiedauer hinweg manifesten Tumor erfolgt. Hier legen die Therapieresultate, die sich unter der Behandlung mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor verifizierbar eingestellt haben, zweifelsfrei Zeugnis darüber ab, ob das Tumorwachstum gegenüber dem Zustand vor dem jeweiligen Behandlungsbeginn fortgeschritten ist oder nicht. Schon diese Überlegung spricht dafür, im Rahmen des Klagepatents allein palliative Behandlungsergebnisse zu berücksichtigen.</p>
<span class="absatzRechts">141</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(2)</span></p>
<span class="absatzRechts">142</span><p class="absatzLinks">Eine Bestätigung dieser Sicht findet sich an diversen Stellen der Patentbeschreibung. Zu verweisen ist zunächst auf Absatz [0018], der für den Fachmann legaliter definiert, wie die vom Klagepatent im Zusammenhang mit den Vorbehandlungen gebrauchten Begriffe „fehlgeschlagen“ und „versagt“ zu interpretieren sind. A.a.O. heißt es:</p>
<span class="absatzRechts">143</span><p class="absatzLinks"><em>Der Begriff „fehlgeschlagen“ bzw. „versagt“ wird hier in dem Sinne verwendet, dass das</em> <strong><em>Wachstum des Brustkrebses</em></strong> <em>durch die Behandlung mit einem Aromataseinhibitor oder Tamoxifen, oder aber auch beiden,</em> <strong><em>nicht länger eingedämmt wird</em></strong><em>.“</em> (Anm.: Hervorhebung ist hinzugefügt)</p>
<span class="absatzRechts">144</span><p class="absatzLinks">Da nur Tumorzellen „<em>wachsen</em>“ können und da nur das Wachstum von Tumorzellen „<em>eingedämmt werden kann</em>“, versteht der Fachmann, dass mit dem Wort „<em>Brustkrebs</em>“ („breast cancer“) der Sache nach das (unter der Behandlung mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor in seinem Wachstum nicht beherrschbare) Mammakarzinom gemeint ist, so, wie dies auch der deutschen Übersetzung der Patentbeschreibung entspricht. Technisch sinnvoll verstanden, besagt deshalb auch die eigene Begriffsdefinition des Klagepatents, dass ein Fehlschlag der Vorbehandlungen an einem manifesten Tumor festzustellen ist, der palliativ mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor therapiert worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">145</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(3)</span></p>
<span class="absatzRechts">146</span><p class="absatzLinks">Damit stimmen auch alle weiteren Vorteilsangaben der Patentschrift (Anm.: Hervorhegungen sind zur Verdeutlichung hinzugefügt) überein. So hebt Absatz [0009] hervor, dass Fulvestrant sich in einer Phase-II-Studie an Frauen, <span style="text-decoration:underline">deren Brustkrebs nach Tamoxifen-Therapie progredierte</span>, bereits als wirksam erwiesen habe, und unterstreicht Absatz [0011], dass Fulvestrant eine <span style="text-decoration:underline">deutliche Hemmwirkung auf das Wachstum von MCF-7-Brustkrebszellen</span> beim Menschen zeigt und eine gegenüber Tamoxifen signifikant höhere <span style="text-decoration:underline">Reduzierung der MCF-7-Zellzahlen</span> erbracht hat. Absatz [0012] nimmt Bezug auf Studien, die belegen, dass nach einer Langzeitbehandlung mit Tamoxifen <span style="text-decoration:underline">weiterwachsende</span> Tamoxifen-resistente <span style="text-decoration:underline">MCF-7-Tumoren</span> gegenüber Fulvestrantbehandlung empfindlich bleiben und Fulvestrant das <span style="text-decoration:underline">Wachstum etablierter MCF-7-Tumoren</span> doppelt so lange unterdrückte wie die Behandlung mit Tamoxifen. Als überraschend beschreibt Absatz [0013] schließlich die Erkenntnis, dass der Brustkrebs <span style="text-decoration:underline">nach vorangegangener fehlgeschlagener Behandlung</span> <em>sowohl</em> mit einem Aromataseinhibitur <em>als auch</em> mit Tamoxifen gegenüber der <span style="text-decoration:underline">Weiterbehandlung</span> mit Fulvestrant <em>empfindlich</em> ist. Gerade der vorzitierten Beschreibungsstelle kommt besonderes Gewicht zu, weil die Patentbeschreibung hier mit dem Verweis auf eine für den Fachmann überraschende Erkenntnis den eigentlichen Erfindungsgedanken herausstellt, dass trotz der mit den kumulativ gescheiterten Vorbehandlungen verbundenen doppelten Resistenz gegenüber sowohl Tamoxifen als auch einem Aromataseinhibitor eine Wirksamkeit (Empfindlichkeit) des Krebses gegenüber Fulvestrant erhalten bleibt. Allen vorzitierten Bemerkungen liegt die gemeinsame Vorstellung von einer Wirksamkeit von Fulvestrant bei der palliativen Bekämpfung (Weiterbehandlung) eines manifesten Tumors zugrunde.</p>
<span class="absatzRechts">147</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(4)</span></p>
<span class="absatzRechts">148</span><p class="absatzLinks">Sie deckt sich nicht zuletzt vollständig mit den Erläuterungen, die die Klagepatentschrift in ihrem Absatz [0007] zum vorbekannten Stand der Technik und zu dem – ausgehend hiervon – durch die Erfindung zu erbringenden Fortschritt gibt. Nach den besagten Ausführungen war es bekannt, postmenopausalen Frauen mit Brustkrebs, bei denen die <span style="text-decoration:underline">Krankheit nach der Behandlung mit Tamoxifen fortschritt</span>, einen Aromataseinhibitor wie Anastrozol oder Letrozol zu verabreichen, um einen Therapieerfolg zu erzielen. Die nachfolgende Zweittherapie mit Anastrozol oder Lestrozol im Anschluss an die unter der Behandlung mit Tamoxifen nicht eingedämmte Krebserkrankung repräsentiert deswegen eine palliative Behandlung an einem manifesten (fortschreitenden) Tumor. Wie eingangs erwähnt, widmet sich das Klagepatent bei dieser Ausgangslage der Aufgabe, einen Behandlungsansatz für denjenigen Fall bereitzustellen, dass auch die Zweitbehandlung mit einem Aromataseinhibitor (Anastrozol oder Lestrozol) scheitert. Bezug genommen ist insoweit auf die aus dem Stand der Technik geläufige Behandlungssituation eines trotz Tamoxifenbehandlung progredierenden Brustkrebstumors, der auch unter der Wirkung eines Aromataseinhibitors nicht einzudämmen ist. Auf ihn – den trotz zweier Vorbehandlungen manifesten Tumor – bezieht sich deshalb auch die Lösung des Klagepatents, bei Fehlschlagen der im Stand der Technik empfohlenen Zweitbehandlung mit einem Aromataseinhibitor als dritten Wirkstoff Fulvestrant zu verabreichen.</p>
<span class="absatzRechts">149</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(5)</span></p>
<span class="absatzRechts">150</span><p class="absatzLinks">Der Beschwerdekammerentscheidung vom 14.02.2013 liegt kein anderes Verständnis der Erfindung zugrunde. Im Gegenteil wird auch dort der Beitrag des Klagepatents durchweg in der Empfehlung von Fulvestrant zur Drittlinienbehandlung von doppelt resistentem Brustkrebs gesehen (vgl. Rz. 2.4.4, 2.4.5 Mitte) und im Rahmen der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit mit der sich infolge <span style="text-decoration:underline">jeder</span> Tumorbehandlung stärker einstellenden Therapieresistenz argumentiert. In Rz. 2.4.6 heißt es in diesem Sinne – auszugsweise – wie folgt (Anm.: Hervorhebungen sind hinzugefügt):</p>
<span class="absatzRechts">151</span><p class="absatzLinks"><em>„Bei der Beurteilung, ob die Verwendung von Fulvestrant als ein Drittlinien-Agens … naheliegt, sind die folgenden Faktoren zu berücksichtigen:</em></p>
<span class="absatzRechts">152</span><p class="absatzLinks"><em>(a)    Mit jeder neuen Resistenz wird der <span style="text-decoration:underline">Tumor „bösartiger“ und schwieriger zu behandeln</span>. Folglich ist es keineswegs selbstverständlich, dass ein Wirkstoff, der bei der Zweitlinienbehandlung wirksam ist, für eine <span style="text-decoration:underline">Drittlinienbehandlung</span> geeignet ist.</em></p>
<span class="absatzRechts">153</span><p class="absatzLinks"><em>(b)    Falls der <span style="text-decoration:underline">Tumor</span> - … - <span style="text-decoration:underline">gegen einen Aromataseinhibitor und</span> einen partiellen Östrogenagonisten wie <span style="text-decoration:underline">Tamoxifen resistent ist</span>, würde der Fachmann tendenziell ein <span style="text-decoration:underline">Drittlinien</span>-<span style="text-decoration:underline">Agens</span> wählen, dessen Wirkmechanismus von jenem eines partiellen Östrogenagonisten und eines Aromataseinhibitors verschieden ist. Ob dies den Fachmann veranlassen würde, eine Verbindung wie Fulvestrant in Betracht zu ziehen, ist jedoch fraglich angesichts der Tatsache, dass sich Fulvestrant … im Hinblick auf seinen Wirkmechanismus nicht grundlegend von Tamoxifen unterscheidet. … Daher wäre eine Verbindung wie Fulvestrant unter diesen Umständen nicht die erste Wahl für den Fachmann gewesen.“</em></p>
<span class="absatzRechts">154</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(6)</span></p>
<span class="absatzRechts">155</span><p class="absatzLinks">Demgegenüber bietet die Klagepatentschrift keinen Anhaltspunkt dafür, dass eine bloß adjuvante Vorbehandlung relevant sein könnte. Zwar sieht der in den Absätzen [0028] ff. umrissene Prüfplan, der in der Patentschrift (Absatz [0028]) als bevorzugtes Ausführungsbeispiel der Erfindung ausgewiesen ist, eine Berücksichtigung auch solcher Patientinnen vor, die vor ihrer Behandlung mit Anastrozol oder Letrozol den Wirkstoff Tamoxifen erhalten haben (Absatz [0038]). Aus Absatz [0037] ergibt sich jedoch, dass es während der Anastrozol- oder Letrozol-Behandlung zu einer Krankheitsprogression gekommen sein muss, womit die Behandlung mit dem Aromataseinhibitor palliativ geschehen ist. Nichts anderes gilt für die vorgelagerte Tamoxifen-Therapie, die nach dem Beschreibungstext nicht „entweder“ als Zusatztherapie (adjuvant) „oder“ zur Behandlung einer fortgeschrittenen Krebserkrankung (palliativ) erfolgt sein kann, sondern „sowohl“ zusätzlich „als auch“ palliativ stattgefunden haben muss. Letztlich kann dies aber sogar auf sich beruhen, weil der Prüfplan ohnehin jenseits der geltenden Anspruchsfassung des Klagepatents liegt, weil ihm die – nicht patentgemäße - Situation eines lediglich einmaligen Fehlschlagens einer Vorbehandlung (sic.: mit einem Aromataseinhibitor) zugrunde liegt.</p>
<span class="absatzRechts">156</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(7)</span></p>
<span class="absatzRechts">157</span><p class="absatzLinks">Gerade weil ein bloß einmaliges Fehlschlagen nicht ausreicht, ist der Patentanspruch im Zuge des Erteilungsverfahrens dahingehend beschränkt worden, dass ein Patentschutz nicht schon – wie ursprünglich angemeldet – für die Verwendung von Fulvestrant nach erfolgloser Krebsbehandlung mit einem Aromataseinhibitor (einfache Resistenz) gewährt wird, sondern erst dann eingreift, wenn sich darüber hinaus auch eine Vorbehandlung mit Tamoxifen – und somit eine doppelte Resistenz des zu behandelnden Krebses – als fehlgeschlagen herausgestellt hat. Zwar definiert Absatz [0018] den Begriff des „Fehlschlagens“ für die Zwecke der Erfindung legaliter dahin, „<em>dass das Wachstum des Mammakarzinoms (breast cancer) durch die Behandlung mit einem Aromataseinhibitor oder Tamoxifen, oder auch beidem, nicht länger eingedämmt wird</em>, wobei aus dem Wort „oder“ auf erste Sicht der Schluss gezogen werden könnte, im Zusammenhang mit der Erfindung reiche die Feststellung eines konkreten Fehlschlagens nur im Hinblick auf einen Wirkstoff, d.h. entweder des Aromataseinhibitors oder von Tamoxifen. Ein derartiges Verständnis stünde jedoch in eklatantem Gegensatz zu dem gesamten restlichen Inhalt der Patentschrift, wie er vorstehend erläutert worden ist, und kann deswegen keine sinnvolle Interpretation für den Durchschnittsfachmann sein. Vielmehr wird er die besagte Beschreibungsstelle als Erläuterung verstehen, die dem ursprünglichen, deutlich weitergehenden Anmeldungsinhalt geschuldet ist und die – genauso wie der klinische Prüfplan gemäß Beispiel 1 - außerhalb des geltenden Erfindungsgedankens liegt und deshalb im Zuge des Erteilungsverfahrens richtigerweise zum Teil (nämlich im Hinblick auf ein Fehlschlagen nur einer Vorbehandlung) hätte gestrichen werden müssen.</p>
<span class="absatzRechts">158</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">2.</span></p>
<span class="absatzRechts">159</span><p class="absatzLinks">Ausgehend von dem dargelegten Verständnis des Klagepatents und seiner technischen Lehre scheidet eine Patentverletzung im Streitfall aus.</p>
<span class="absatzRechts">160</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">a)</span></p>
<span class="absatzRechts">161</span><p class="absatzLinks">Wie die Klägerin einräumt, ist das streitbefangene Präparat von der Beklagten nicht sinnfällig für die patentgemäße Verwendung hergerichtet. Soweit in der Gebrauchsinformation überhaupt eine palliative Vorbehandlung angesprochen wird, bezieht sie sich auf eine Progression der Krebserkrankung unter der Behandlung mit einem Antiöstrogen. Die vom Klagepatent vorausgesetzte weitere fehlgeschlagene Vortherapie mit einem Aromataseinhibitor findet demgegenüber keinerlei Erwähnung. Gleiches gilt – worauf an dieser Stelle nur vorsorglich hinzuweisen ist – dann, wenn eine adjuvante Vortherapie mit in Betracht gezogen wird, denn auch der fehlgeschlagene adjuvante Einsatz eines Aromataseinhibitors findet in der Gebrauchsinformation keine Erwähnung.</p>
<span class="absatzRechts">162</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">b)</span></p>
<span class="absatzRechts">163</span><p class="absatzLinks">Nach der Rechtsprechung des Senats (GRUR 2017, 1107 – Östrogenblocker) ist - da im Zentrum des durch ein Verwendungspatent vermittelten Schutzes die objektive Eignung des betreffenden Arzneimittels für die patentgemäße Verwendung steht (BGH, GRUR 2016, 921 – Pemetrexed) - eine Haftung des Präparatvertreibers allerdings in Ausnahmefällen auch ohne eigene sinnfällige Herrichtungsmaßnahmen denkbar.</p>
<span class="absatzRechts">164</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">aa)</span></p>
<span class="absatzRechts">165</span><p class="absatzLinks">Mit Rücksicht auf den nicht allumfassenden, sondern eingeschränkten, nämlich zweckgebundenen Stoffschutz müssen lediglich Bedingungen erfüllt sein: Erstens muss das Produkt für den patentgemäßen Zweck tauglich sein und Zweitens muss sich der Vertreiber Umstände zunutze machen, die in ähnlicher Weise wie eine sinnfällige Herrichtung dafür sorgen, dass es mit dem Präparat zu dem zweckgebundenen therapeutischen Gebrauch kommt. Letzteres verlangt einen hinreichenden, nicht bloß vereinzelten Verwendungsumfang nach Maßgabe des Klagepatents sowie ein dahingehendes Wissen oder zumindest ein treuwidriges Verschließen des Lieferanten vor der diesbezüglichen Kenntnisnahme (Senat, GRUR 2017, 1107 – Östrogenblocker). Wenn dem Generikaunternehmen die ihm günstige Verschreibungspraxis geläufig ist oder jedenfalls hätte bekannt sein müssen und es diese Praxis durch Belieferung seiner Großhändler dennoch für sich ausnutzt, ist es angemessen, den Generikahersteller dafür in die patentrechtliche Pflicht zu nehmen.</p>
<span class="absatzRechts">166</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(1)</span></p>
<span class="absatzRechts">167</span><p class="absatzLinks">In welchem genauen Umfang die herrichtungsfreie Verwendung nach Maßgabe des Klagepatents stattfinden muss, um haftungsbegründend zu sein, hat der Senat bisher noch nicht entschieden. Maßgeblich sind folgende, an der Herrichtungssituation orientierte Überlegungen: Die sinnfällige Herrichtung muss den patentgemäßen Gebrauch nicht als alleinigen und ausschließlichen Verwendungszweck vorgeben; vielmehr kommt es nur darauf an, dass der erfindungsgemäße Gebrauch – ggf. neben anderen – überhaupt zu derjenigen Verwendung gehört, zu der die Herrichtung anleitet. Relevant ist daher sowohl die Konstellation, dass die Gebrauchsanleitung selbst mehrere Verwendungsmöglichkeiten erwähnt, zu denen der patentgeschützte Gebrauch zählt, als auch der Fall, dass sich die Gebrauchsanleitung nur zu der geschützten Verwendung verhält, jedoch offensichtlich ist, dass es daneben andere, konkurrierende Einsatzgebiete gibt. Weil dem so ist, kann auch in Fällen des herrichtungsfreien cross-label-use nicht nur ein solcher Gebrauch haftungsrelevant sein, der ausschließlich oder nahezu ausschließlich die patentgemäße Verwendung betrifft. Entscheidend ist vielmehr das sichere Wissen (dem das Verschließen vor der Erkenntnis gleich steht) darum, dass es mit dem vertriebenen Arzneimittel tatsächlich zu der patentgerechten Verordnung und Verwendung kommen wird. Denn derjenige, der in dem besagten Wissen agiert, muss sich hinsichtlich der Konsequenzen so behandeln lassen, als hätte er den für sich geschäftlich ausgenutzten herrichtungsfreien Zustand selbst durch eine entsprechende Herrichtungsmaßnahme herbeigeführt. Tatrichterlich muss also – erstens – festgestellt werden, dass es in hinreichendem Umfang zu einer patentgerechten Verwendung gekommen ist, und dass dem Generikaunternehmen dieser Sachverhalt – zweitens – schlechterdings nicht verborgen geblieben sein kann. Mit der Zahl der nachweisbar vorgefallenen patentgemäßen Verwendungsfälle steigt naturgemäß die Chance auf eine dahingehende tatrichterliche Feststellung, weswegen bloß vereinzelt gebliebene Gebrauchsfälle im Allgemeinen keine herrichtungsfreie Haftung begründen können. Ein weiteres Haftungsszenario kann sich aus besonderen, überragenden Vorteilen der patentgemäßen Verwendung gegenüber anderen Therapiezwecken ergeben, die geradezu dazu herausfordern, das Präparat patentgerecht – und nicht anders – einzusetzen.</p>
<span class="absatzRechts">168</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(2)</span></p>
<span class="absatzRechts">169</span><p class="absatzLinks">Handelt es sich – wie hier – um ein verschreibungspflichtiges Medikament, dessen Einnahme nur nach Maßgabe der ärztlichen Verordnung zu Anwendungsgebieten und Dosierung zu erwarten steht, entscheidet diejenige Verschreibungspraxis, die nach dem Inhalt der dem Arzt für seine Verordnung zur Verfügung stehenden Mittel in Rechnung zu stellen ist. Zentrale Bedeutung hat insoweit die Fachinformation, die integraler Bestandteil der Arzneimittelgenehmigung ist und abschließend die Merkmale von dessen für den Vertrieb genehmigter Version definiert. Weil die genehmigte mit der auf den Markt gebrachten Version des Arzneimittels übereinstimmen <em>muss</em>, steht nach der Lebenserfahrung fest, dass der Arzt die einzelnen Medikamente nur nach Maßgabe ihrer jeweiligen konkreten Fachinformation verordnen wird, so dass ein Generikum, das – anders als das Präparat des Originators – z.B. aus patentrechtlichen Gründen eine bestimmte (patentgeschützte) Indikation/Dosierung nicht aufweist, einem Patienten dafür auch nicht verschrieben werden wird, weswegen das generische Medikament – in der weiterenFolge – auch nicht therapeutisch in diesem Sinne zum Einsatz kommen wird.</p>
<span class="absatzRechts">170</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(3)</span></p>
<span class="absatzRechts">171</span><p class="absatzLinks">Für die Unterlassungshaftung macht es dennoch einen ganz wesentlichen Unterschied, ob das Arzneimittel sinnfällig hergerichtet wurde oder nicht: Beruht die Haftung des Generikaunternehmens (oder sonstigen Vertreibers) auf einer sinnfälligen Herrichtung des Präparates für die patentgeschützte Verwendung, so begründet nach allgemeinen Regeln jeder singuläre Verletzungsfall (= sinnfällige Herrichtung mit nachfolgendem Angebot/Vertrieb), auch der allererste und einzige, die Gefahr künftiger Wiederholung (des Vertriebs sinnfällig hergerichteter Präparate und im Anschluss daran deren herrichtungsgemäßer Verwendung), was ohne weiteres zur Unterlassungsverurteilung führt, sofern der Verletzer nicht vorgerichtlich eine ausreichend strafbewährte Unterwerfungserklärung abgibt. Völlig anders verhält es sich bei einem Vertreiber, der keine Herrichtungsmaßnahme unternommen hat und dessen Haftung allein auf einer tatsächlichen, der geschützten Verwendungsweise entsprechenden Verschreibungspraxis beruhen soll. Selbst wenn in der Vergangenheit ein hinreichender tatsächlicher Gebrauch praktiziert worden ist (was für die betreffende Zeit zur Schadenersatz- und Auskunftspflicht des Vertreibers führt), kommt eine Unterlassungsverurteilung nur in Betracht, wenn sich auch aktuell, d.h. für den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, noch eine haftungsrelevante Verschreibungsübung feststellen lässt. Ist dies nicht der Fall, weil das Präparat zwar in früheren Zeiten cross-label eingesetzt wurde, sich die Verschreibungspraxis zwischenzeitlich jedoch (z.B. wegen neuer Wirkstoffe, die das fragliche Arzneimittel als Therapeutikum zunehmend abgelöst haben) geändert hat, scheidet eine Verurteilung zur Unterlassung aus. Denn sie knüpft eben nicht – wie die Haftung wegen sinnfälliger Herrichtung – an ein bestimmtes Verhalten des Verletzers an, dessen kausalitätsbegründende Wiederholung nach der Lebenserfahrung zu erwarten ist, sondern sie fußt einzig und allein auf bestimmten äußeren Rahmenbedingungen (sic.: einer tatsächlichen Verschreibungshandhabung), die, wenn sie aufgrund des Wandels der Zeit nicht mehr gegeben sind, auch keine Grundlage mehr für eine Unterlassungspflicht des Vertreibers bilden können.</p>
<span class="absatzRechts">172</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">bb)</span></p>
<span class="absatzRechts">173</span><p class="absatzLinks">Das Vorbringen der Klägerin ergibt nicht, dass das streitbefangene Präparat der Beklagten aufgrund einer tatsächlichen Verschreibungspraxis in einem ausreichenden Umfang in solchen Fällen zum Einsatz kommt oder gekommen ist, bei denen die Krebspatientin zuvor palliativ erfolglos sowohl mit Tamoxifen als auch mit einem Aromataseinhibitor behandelt worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">174</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(1)</span></p>
<span class="absatzRechts">175</span><p class="absatzLinks">Nach der Sonderauswertung der i… AG – deren Richtigkeit zugunsten der Klägerin unterstellt werden kann und in Bezug auf die die Klägerin selbst darauf beharrt, dass ihre Ergebnisse repräsentativ sind – ist von folgenden Daten für die Verwendung von Fulvestrant nach palliativer Vorbehandlung mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor auszugehen:</p>
<span class="absatzRechts">176</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td><p><strong>Zeitraum der Behandlung mit Fulvestrant:</strong></p>
</td>
<td><p>2007 – 2009</p>
</td>
<td><p>2010 - 2012</p>
</td>
<td><p>2013 - 2014</p>
</td>
<td><p>2015 - 2016</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p><strong>… % der Brustkrebs-</strong></p>
<p><strong>patientinnen:</strong></p>
</td>
<td><p>6,9</p>
</td>
<td><p>3,1</p>
</td>
<td><p>2,2</p>
</td>
<td><p>0,0</p>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<span class="absatzRechts">177</span><p class="absatzLinks">Maximal waren daher weniger als 7 % aller Krebspatientinnen, die mit Fulvestrant therapiert worden sind, zuvor palliativ erfolglos mit Tamoxifen sowie einem Aromataseinhibitor behandelt worden. Schon angesichts dieses deutlich einstelligen Zahlenwertes geschieht die zur Erfindungsbenutzung führende Verschreibungspraxis lediglich vereinzelt und keinesfalls in einem Umfang, dass er der Beklagten keinesfalls verborgen bleiben konnte. Auch die Klägerin, die sich zur Rechtfertigung ihrer Klageansprüche auf den palliativen und adjuvanten Gesamteinsatz von Fulvestrant stützt, der im Durchschnitt der Jahre bei 45,7 % gelegen hat, zeigt nicht konkret auf, dass und weshalb für die Beklagte ein (allein maßgeblicher) palliativer Benutzungsumfang, der sich mit weniger als 7 % in einer gänzlich anderen Größenordnung abspielt, unübersehbar gewesen sein soll. Schon deswegen scheiden sämtliche Klageansprüche aus. Mit Blick auf den in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruch kommt eine Haftung der Beklagten erst Recht nicht in Betracht, weil – bezogen auf den Tag der mündlichen Verhandlung (09.01.2019) – für die letzten vier Jahre kein einziger Fall einer patentgemäßen Fulvestrant-Verordnung nach erfolgloser palliativer Vorbehandlung mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor nachweisbar ist. Für den maßgeblichen aktuellen Zeitpunkt lässt sich daher eine zur patentgeschützten Verwendung führende Verordnungspraxis schlechterdings nicht feststellen. Seit Einleitung des Klageverfahrens mag die Beklagte zwar aufgrund der ihr präsentierten Sonderauswertung in Kenntnis über die dem Patent entsprechende Verschreibungspraxis gewesen sein, was von diesem Zeitpunkt an den Vorwurf tragen könnte, die Beklagte habe sich durch ihre unveränderte Belieferung von Abnehmern den praktizierten off-label-use bewusst und mithin haftungsbegründend zunutze gemacht; allerdings belegen die Daten der Klägerin, die schon für die lange vor Rechtshängigkeit liegenden Jahre 2015 und 2016 einen Nullwert ausweisen, nicht, dass es mit solchen, von der Beklagten in Kenntnis des Sachverhaltes unternommenen Lieferungen zumindest ein Mal zu einer patentgerechten Verschreibung und Verwendung gekommen ist.</p>
<span class="absatzRechts">178</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(2)</span></p>
<span class="absatzRechts">179</span><p class="absatzLinks">Aus der eidesstattlichen Versicherung des Privatgutachters der Klägerin Prof. Dr. J… vom 14.02.2017 (Anlage HE 9) ergeben sich keine im Vergleich zu den Daten aus der Sonderauswertung zugunsten der Klägerin anderen Erkenntnisse. Soweit in der Versicherung – ohnehin auf bloß subjektiven Schätzungen des Verfassers beruhende – Zahlen einer Fulvestrant-Therapie genannt werden, handelt es sich ausnahmslos um solche Patientinnen, die zuvor <em>adjuvant</em> mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor versorgt worden sind, ohne dass insoweit irgendeine nähere Aufschlüsselung stattfindet. Dazu, in wie vielen Fällen Fulvestrant nach einer fehlgeschlagenen palliativen Vorbehandlung mit den besagten Wirkstoffen verabreicht worden ist, verhält sich Prof. Dr. J… nicht.</p>
<span class="absatzRechts">180</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">cc)</span></p>
<span class="absatzRechts">181</span><p class="absatzLinks">Das Ergebnis mangelnder Patentverletzung wäre im Übrigen kein anderes, wenn solche adjuvanten Vorbehandlungen berücksichtigt würden, von denen feststeht, dass sie sich als bei der Behandlung der Brustkrebserkrankung, an der die zu versorgende Patientin leidet, unwirksam erwiesen haben. Denn die von der Klägerin präsentierten Daten lassen diesbezügliche spezifizierte Feststellungen nicht zu.</p>
<span class="absatzRechts">182</span><p class="absatzLinks">Zwar sieht die Sonderauswertung eine gesonderte Fallgruppe derjenigen Patientinnen vor, die mit <em>einem</em> Wirkstoff (Tamoxifen bzw. einem Aromataseinhibitor) adjuvant (d.h. postoperativ prophylaktisch) und mit dem jeweils <em>anderen</em> Wirkstoff (d.h. einem Aromataseinhibitor bzw. Tamoxifen) palliativ therapiert worden sind, woraus folgt, dass es vor der palliativen Behandlung zu einem abermaligen Krebstumor gekommen sein muss, weil es ansonsten keinen Grund für eine palliative Therapie geben würde. Die adjuvante Vorbehandlung könnte dann als „fehlgeschlagen“ betrachtet werden, wenn die erneute Tumorbildung unter der laufenden adjuvanten Vorbehandlung oder in engem zeitlichen Zusammenhang zu ihrer Beendigung stattgefunden hat. Denn dann stünde fest, dass die erste (adjuvante) Vorbehandlung gescheitert ist, weil unter ihr abermals ein Tumor aufgetreten ist. Ist die Gabe von Fulvestrant unmittelbar im Anschluss an die palliative Vorbehandlung erfolgt, so wäre ferner davon auszugehen, dass auch die zweite, palliative Therapie fehlgeschlagen ist, weil ihr Versagen der Grund für die Fulvestrant-Therapie gewesen ist.</p>
<span class="absatzRechts">183</span><p class="absatzLinks">Die Sonderauswertung lässt indessen nicht zweifelsfrei erkennen, ob die Verhältnisse tatsächlich so gewesen sind oder ob (und ggf. in welchem Umfang) der Tumor unter der palliativen Zweitbehandlung – was die Annahme eines Fehlschlages ausschließenwürde – zunächst eingedämmt werden konnte und Fulvestrant (z.B. aus Gründen einer ggf. zwischenzeitlichen Unverträglichkeit oder Kontraindikation) erst geraume Zeit später verabreicht wurde, weil es im Abstand zu der erfolgreichen Palliativbehandlung während und als Folge des therapiefreien Intervalls zur abermaligen Ausbildung eines Tumors gekommen ist. Die Erörterungen im Verhandlungstermin vom 09.01.2019 haben diesbezüglich ebenfalls keine Klarheit erbracht.</p>
<span class="absatzRechts">184</span><p class="absatzLinks">Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen kommt speziell eine Unterlassungsverurteilung keinesfalls in Betracht, weil – unter Einschluss der zusätzlichen Fallgruppe („eines adjuvant, eines palliativ“) – ausweislich der Sonderauswertung für die Zeit von 2015 bis 2016 von einem patentgemäßen Verwendungsumfang von insgesamt lediglich 1,9 % auszugehen ist. Dieser Wert ist schon für sich betrachtet für eine Haftung der Beklagten gänzlich unzureichend; erst Recht gilt dies, wenn berücksichtigt wird, dass für den vorangehenden Zeitraum von 2013 bis 2014 noch deutlich höhere Werte ausgewiesen sind („eines adjuvant, eines palliativ“: 15,7 %; „beides palliativ“: 2,2 %) und zusätzlich in Rechnung gestellt wird, dass sich die ohnehin schon marginalen Werte für 2015 bis 2016 auf eine signifikant geringere Patientenzahl (von 52) stützen als sie den Zahlen der Vorjahre (174, 129, 89) zugrunde liegen. Der skizzierte Verlauf lässt für die Jahre 2017 und 2018 nur eine einzige Prognose zu, nämlich die eines von 1,9 % weiter signifikant abfallenden patentgemäßen Verwendungsumfangs, womit angesichts der aktuellen Bedeutungslosigkeit des palliativen sowie des teils adjuvanten und teils palliativen Gebrauchs von Fulvestrant ein Unterlassungsanspruch auszuscheiden hat.</p>
<span class="absatzRechts">185</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">III.</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">186</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.</p>
<span class="absatzRechts">187</span><p class="absatzLinks">Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.</p>
<span class="absatzRechts">188</span><p class="absatzLinks">Es besteht keine Veranlassung, die Revision zuzulassen, weil die hierfür in § 543 ZPO aufgestellten Voraussetzungen ersichtlich nicht vorliegen. Als reine Einzelfallentscheidung zur Patentauslegung hat die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO noch erfordern die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder die Fortbildung des Rechts eine revisionsgerichtliche Entscheidung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Gleiches gilt mit Blick auf die vom Bundesgerichtshof allerdings noch nicht entschiedene Rechtsfrage, ob die Haftung eines Generikaunternehmens auch unabhängig von einer sinnfälligen Herrichtung seines Präparates in Betracht kommen kann. Denn angesichts der von der Klägerin dargelegten Datenlage ist der patentgemäße Verwendungsumfang dermaßen gering, dass – selbst wenn man die grundsätzliche Rechtsfrage (wie der Senat) zugunsten des Schutzrechtsinhabers beurteilen will – eine Haftung der Beklagten unter keinen Umständen denkbar ist.</p>
|
171,297 | olgd-2019-01-09-2-u-2718 | {
"id": 820,
"name": "Oberlandesgericht Düsseldorf",
"slug": "olgd",
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} | 2 U 27/18 | 2019-01-09T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:44 | 2019-02-12T13:44:36 | Urteil | ECLI:DE:OLGD:2019:0109.2U27.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<ul class="ol"><li><p>I. Die Berufung gegen das am 5. Juli 2018 verkündete Urteil der 4c Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.</p>
</li>
</ul>
<ul class="ol"><li><p>II. Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.</p>
</li>
</ul>
<ul class="ol"><li><p>III. Das Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung von 120 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.</p>
</li>
</ul>
<ul class="ol"><li><p>IV. Die Revision wird nicht zugelassen.</p>
</li>
</ul>
<ul class="ol"><li><p>V. Der Streitwert wird auf 1.500.000,- € festgesetzt.</p>
</li>
</ul><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">I.</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des deutschen Teils des europäischen Patents  1 272 195 B1, der beim Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen DE 601 13 975 T2 geführt wird. Das Klagepatent wurde am 2. April 2001 unter Inanspruchnahme einer britischen Priorität vom 5. April 2000 in englischer Verfahrenssprache angemeldet; der Hinweis auf die Patenterteilung wurde am 12. Oktober 2005 veröffentlicht. In einem Einspruchs- und Einspruchsbeschwerdeverfahren wurde das Klagepatent im erteilten Umfang aufrechterhalten (Entscheidung des Technischen Beschwerdekammer des EPA vom 14. Februar 2013, Anlagen HE 4/HE 4a). Derzeit ist das Klagepatent Gegenstand von beim Bundespatentgericht anhängigen Nichtigkeitsverfahren; eine Entscheidung steht dort noch aus.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das Klagepatent betrifft die „Verwendung von Fulvestrant in der Behandlung von resistentem Brustkrebs“; sein Patentanspruch 1 ist wie folgt gefasst:</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks"><em>„Use of fulvestrant in the preparation of a medicament for the treatment of a patient with breast cancer who previously has been treated with an aromatase inhibitor and tamoxifen and has failed with such previous treatment.“</em></p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">In der eingetragenen deutschen Übersetzung hat Patentanspruch 1 folgenden Wortlaut:</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks"><em>„Verwendung von Fulvestrant bei der Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung einer Brustkrebspatientin, bei der die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlschlug.“</em></p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin gegen das Anbieten und Inverkehrbringen des Arzneimittels „A. 250 ml Injektionslösung in einer Fertigspritze“ zur therapeutischen Verwendung für die beanspruchte Patientinnengruppe. Die B. UK ist Inhaberin der Marktzulassung für das Referenzarzneimittel C.®.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die angegriffene Ausführungsform wurde erstmals am 1. September 2016 in der Lauer-Taxe gelistet. In der „Gebrauchsinformation: Informationen für Anwender“ (Anlage HE 6) findet sich folgender Hinweis:</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks"><em>„A.® enthält den Wirkstoff Fulvestrant, der zur Gruppe der Östrogen-Blocker gehört. Östrogene gehören zu den weiblichen Geschlechtshormonen und können in bestimmten Fällen am Wachstum von Brustkrebs beteiligt sein.</em></p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks"><em>A.® wird zur Behandlung von fortgeschrittenem oder metastasiertem Brustkrebs bei Frauen nach der Menopause angewendet.“</em></p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">In der veröffentlichten „Fachinformation“ (Stand September 2017, Anlage B 10) findet sich nachfolgender Hinweis:</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks"><em>„A.® wird angewendet zur Behandlung von östrogenrezeptor-positivem, lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Mammakarzinom bei postmenopausalen Frauen:</em></p>
<span class="absatzRechts">14</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">                   <em>die keine vorhergehende endokrine Therapie erhalten haben, oder</em></p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">                   <em>mit Rezidiv während oder nach adjuvanter Antiöstrogen-Therapie oder bei Progression der Erkrankung unter Antiöstrogen-Therapie.“</em></p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin beanstandet das streitbefangene Präparat der Beklagten als patentverletzend. Sie stützt sich auf eine von der D. AG durchgeführte Sonderauswertung des Tumorregisters Mammakarzinom (Anlage HE 8), deren Datenbasis auf dem Stichtag 31.10.2016 beruht und die für den betrachteten 10-Jahreszeitraum  von 2007 bis 2016 insgesamt 444 Patientinnen mit HR-positivem, lokal fortgeschrittenem oder metastasierendem Brustkrebs berücksichtigt, die einer Fulvestrant-Therapie unterzogen worden sind. Ausweislich der nachstehend eingeblendeten Tabelle waren die Patientinnen wie folgt mit Tamoxifen (nachfolgend: Tam) und/oder einem Aromataseinhibitor (nachfolgend: AI) vorbehandelt worden:</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks"> <img height="91" width="20" src="2_U_27_18_Urteil_20190109_0.png" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /><img height="92" width="26" src="2_U_27_18_Urteil_20190109_1.png" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /><img height="355" width="621" src="2_U_27_18_Urteil_20190109_2.jpeg" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /></p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Da das Klagepatent nicht nach einer palliativen oder adjuvanten Vorbehandlung unterscheide und auch eine adjuvante Verabreichung von Tamoxifen sowie einem Aromataseinhibitor im Sinne des Klagepatens als „fehlgeschlagen“ betrachtet werden könne, wenn es danach zu einem abermaligen Auftreten der Brustkrebserkrankung komme, seien sämtliche Patientinnen relevant, die – sei es adjuvant oder palliativ – mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor vorbehandelt worden seien (vgl. die obigen Klammern). Bei annähernd der Hälfte der in die Auswertung einbezogenen Patientinnen (exakt: 45,7 %) liege der Sachverhalt mithin so, dass ihre Vorbehandlung mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor versagt habe und ihnen danach Fulvestrant verordnet worden sei. Nachdem die Fachinformation zur angegriffenen Ausführungsform selbst lediglich die Vorbehandlung mit Tamoxifen als Indikation benenne, bestätige die Sonderauswertung, dass in der ärztlichen und klinischen Praxis eine feste Verschreibungsübung herrsche, nach der Fulvestrant in weitem Umfang auch dann zum Einsatz komme, wenn sowohl eine Vorbehandlung mit dem Antiöstrogen Tamoxifen versagt habe als auch eine (weitere) Vorbehandlung mit einem Aromataseinhibitor gescheitert sei. Die Klägerin mache sich diese Verschreibungspraxis zunutze, weswegen sie sich so behandeln lassen müsse, als habe sie die Verwendung des Wirkstoffs Fulvestrant nach fehlgeschlagener Gabe von Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor selbst empfohlen.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die zulässige Klage sei unbegründet. Zwar könne der Klägerin in ihrer Auffassung gefolgt werden, dass ein Fehlschlagen einer vorausgegangenen Brustkrebsbehandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen immer dann vorliege, wenn der zunächst durchgeführten Therapie mit den besagten Wirkstoffen der Erfolg versagt geblieben sei, was nicht nur bei einer palliativen Gabe zur Behandlung eines manifesten Tumors der Fall sei, sondern ebenso dann, wenn die Vorbehandlung mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor adjuvant erfolgt sei, sich jedoch als nicht zielführend (und damit „fehlgeschlagen“) herausgestellt habe, weil es trotzdem zu einem erneuten Ausbruch der Brustkrebserkrankung gekommen sei. Auch könne auf eine sinnfällige Herrichtung verzichtet werden, wenn eine tatsächliche Verschreibungspraxis im Sinne der geschützten Verwendung existiere, die jede weitere Herrichtungsmaßnahme erübrige und die sich die Beklagte zunutze mache. Das Klagebegehren scheitere jedoch daran, dass nicht mit der gebotenen Verlässlichkeit festgestellt werden könne, dass die angegriffene Ausführungsform in hinreichendem Umfang bei einer palliativen Therapie nach Fehlschlagen einer Behandlung mit Tamoxifen und Fehlschlagen einer Behandlung mit einem Aromataseinhibitor verwendet werde. Die von der Klägerin vorgelegte Sonderauswertung der D. AG sei zum Nachweis des behaupteten Verwendungsumfangs ungeeignet. Weder erschienen die ausgewerteten Zahlen hinreichend aussagekräftig noch lasse sich ausschließen, dass im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine entscheidungserhebliche Änderung der Verwendungspraxis mit Rücksicht auf neuartige CDK4/6-Inhibitoren eingetreten sei.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, zu deren Rechtfertigung sie im Wesentlichen geltend macht: Das Landgericht habe verkannt, dass die Beklagte den Umfang der patentgemäßen Verschreibungspraxis nur vor dem Hintergrund ihrer unzutreffenden und vom Landgericht zu Recht verworfenen Patentauslegung in Abrede gestellt habe, nur eine palliative Vorbehandlung sei relevant, weil allein sie „fehlschlagen“ könne. Ausgehend von dem richtigen, weiten Verständnis des Klagepatents sei der erhebliche Verwendungsumfang von Fulvestrant im Anschluss an eine (palliative oder adjuvante) Vortherapie mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor daher unstreitig und gerichtlich nicht weiter aufzuklären. Selbst wenn jedoch Nachweise erforderlich sein sollten, würden sie durch die vorgelegte Sonderauswertung hinreichend erbracht. Da keine besseren, auf breiterer Datenbasis beruhenden Untersuchungen verfügbar seien, überspanne das Landgericht die Anforderungen an den Nachweis einer bestimmten Verschreibungspraxis. Der Einsatz neuartiger CDK4/6-Inhibitoren habe rechtlich keine Bedeutung, weil es patentgemäß auf eine bestimmte, erfolglose Vorbehandlung, aber nicht darauf ankomme, ob Fulvestrant als Monotherapie oder in Kombination mit einem CDK4/6-Inhibitor eingesetzt werde.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">das landgerichtliche Urteil abzuändern und</p>
<span class="absatzRechts">24</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">I. die Beklagte zu verurteilen,</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">26</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den Geschäftsführern der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen,</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">              Fulvestrant-Arzneimittel, insbesondere A.,</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">              zur Behandlung einer Brustkrebspatientin, bei der die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlschlug,</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">              in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">              indem</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">              Fulvestrant-Arzneimittel, insbesondere A., in der Bundesrepublik Deutschland anbietet, in Verkehr bringt oder gebraucht oder zu den genannten Zwecken einführt oder besitzt, ohne auszuschließen, dass sie zur Behandlung einer Brustkrebspatientin verwendet werden, bei der die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlschlug,</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">              insbesondere indem sie</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">(a)               in Ziffer 4.1 der Fachinformation und Ziffer 1, 2. Absatz der Gebrauchsinformation von A. einen Ausschluss der Verwendung für den Fall aufnehmen lässt, dass die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlschlug;</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">(b)               in sämtlichen Werbe- und Informationsmaterialien zu A., insbesondere auch auf den Internetseiten der Beklagten, einen ausdrücklichen, gut erkennbaren Warnhinweis aufnimmt, dass A. nicht zur Behandlung von Patientinnen verwendet werden darf, bei denen die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlschlug;</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">(c)               die folgenden Adressaten, mit Kopie an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin, anschreibt und (i) darauf hinweist, dass A. nicht zur Behandlung von Patientinnen verwendet werden darf, bei denen die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlschlug; und (ii) diese auffordert, ihre Mitglieder entsprechend zu informieren, dass zur Vermeidung von Patentrechtsverstößen für die Patientinnenpopulation C.<sup>®</sup> unter Ausschluss der aut-idem Substitution verschrieben werden muss:</p>
<span class="absatzRechts">37</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Berufsverband Niedergelassener Gynäkologischer Onkologen (BNGO),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Berufsverband der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen (BNHO),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie Kommission Mamma (AGO),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Deutscher Apothekerverband (DAV) / Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), und</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Kassenärztliche Vereinigungen; und</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">(d)               die gesetzlichen Krankenkassen, mit Kopie an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin, anschreibt und darauf hinweist, dass A. nicht zur Behandlung von Patientinnen verwendet werden darf, bei denen die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlschlug;</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">2.              <span style="text-decoration:underline">hilfsweise</span>: es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den Geschäftsführern der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen,</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">              Fulvestrant-Arzneimittel, insbesondere A.,</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">              zur Behandlung einer Brustkrebspatientin, bei der die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlschlug,</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">              Abnehmern in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder an solche zu liefern,</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">              ohne</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">(a)               in Ziffer 4.1 der Fachinformation und Ziffer 1, 2. Absatz der Gebrauchsinformation von A. einen Ausschluss der Verwendung für den Fall aufzunehmen, dass die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlschlug;</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">(b)               in sämtlichen Werbe- und Informationsmaterialien zu A., insbesondere auch auf den Internetseiten der Beklagten, einen ausdrücklichen, gut erkennbaren Warnhinweis aufzunehmen, dass A. nicht zur Behandlung von Patientinnen verwendet werden darf, bei denen die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlschlug;</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">(c)               die folgenden Adressaten, mit Kopie an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin, anzuschreiben und (i) darauf hinzuweisen, dass A. nicht zur Behandlung von Patientinnen verwendet werden darf, bei denen die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlschlug; und (ii) diese auffordert, ihre Mitglieder entsprechend zu informieren, dass zur Vermeidung von Patentrechtsverstößen für die Patientinnenpopulation C.<sup>®</sup> unter Ausschluss der aut-idem Substitution verschrieben werden muss:</p>
<span class="absatzRechts">56</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Berufsverband Niedergelassener Gynäkologischer Onkologen (BNGO),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Berufsverband der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen (BNHO),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie Kommission Mamma (AGO),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA),</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Deutscher Apothekerverband (DAV) / Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), und</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Kassenärztliche Vereinigungen; und</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">(d)               die gesetzlichen Krankenkassen, mit Kopie an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin, anzuschreiben und darauf hinzuweisen, dass A. nicht zur Behandlung von Patientinnen verwendet werden darf, bei denen die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlschlug;</p>
<span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">3.              der Klägerin unverzüglich und schriftlich</p>
<span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">a)              Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die unter Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 12. Oktober 2005 begangen hat, und zwar unter Angabe</p>
<span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">aa)              der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,</p>
<span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">ab)              der Namen und Anschriften der Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,</p>
<span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">ac)              der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden, und</p>
<span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">b)              Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die unter Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 12. November 2005 begangen hat, und zwar unter Vorlage eines gesonderten Verzeichnisses, insbesondere unter Angabe:</p>
<span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">aa)              der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und –preisen unter Einschluss von Produktbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,</p>
<span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">ab)              der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und –preisen unter Einschluss von Produktbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,</p>
<span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">ac)              der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, und</p>
<span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">ad)              der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,</p>
<span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">wobei</p>
<span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">              die Verkaufsstellen, Einkaufspreise und Verkaufspreise nur für die Zeit ab dem 30. April 2006 anzugeben sind, und</p>
<span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">              zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (Rechnungen oder Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;</p>
<span class="absatzRechts">80</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">II. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr entstanden ist und noch entstehen wird aufgrund der seit dem 12. November 2005 begangenen Handlungen gemäß Ziffer I.1..</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">Ferner regt sie an, die Vollstreckungssicherheiten für die einzelnen Urteilsaussprüche getrennt festzusetzen und ihr zu gestatten, eine Zwangsvollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung abwenden zu dürfen.</p>
<span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">die Berufung zurückzuweisen,</p>
<span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">hilfsweise</span> für den Fall, dass die Anträge zu I. und I.1.(a) sowie I.2 und I.2.(a) zuzuerkennen sein sollten,</p>
<span class="absatzRechts">86</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">1. sie - die Beklagte - nur dazu zu verpflichten, einen Antrag bei der zuständigen Zulassungsbehörde zu stellen zum Ausschluss der Verwendung für den Fall, dass die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlschlug;</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">88</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">2. ihr – der Beklagten - eine Aufbrauchsfrist von wenigstens 300 Tagen für den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform ohne den Ausschluss der Verwendung für den Fall, dass die vorangegangene Behandlung mit einem Aromataseinhibitor und Tamoxifen fehlgeschlagen ist, zu gewähren;</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">90</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">3. das Verfahren gemäß § 148 ZPO bis zum Vorliegen einer erstinstanzlichen Entscheidung über die Nichtigkeitsklage betreffend das Patent EP 1 272 195 B1 auszusetzen;</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">92</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">4. ihr - der Beklagten - nachzulassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung (Bank- oder Sparkassenbürgschaft) abzuwenden.</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend und hält darüber hinaus an ihrer bereits erstinstanzlich vorgebrachten Rechtsverteidigung fest.</p>
<span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">Das Klagebegehren scheitere schon daran, dass die angegriffene Ausführungsform nicht für die patentgeschützte Verwendung (Brustkrebsbehandlung nach fehlgeschlagener Behandlung mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor) sinnfällig hergerichtet sei. Selbst wenn auf das Erfordernis einer Herrichtung unter bestimmten Umständen verzichtet werde, was rechtlich nicht vertretbar sei, fehle der angegriffenen Ausführungsform die Eignung für den patentgemäßen Einsatzzweck, was sich nicht zuletzt daran zeige, dass das Originalpräparat der Klägerin C.® über keine Zulassung für die erfindungsgemäße Verwendung verfüge. Es existiere auch keine Verschreibungspraxis, die zu einer erfindungsgemäßen Verwendung von Fulvestrant führe. Bei richtigem Verständnis des Klagepatents könne von einem Fehlschlagen der Vorbehandlung nämlich nur dann gesprochen werden, wenn die Gabe von Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor angesichts eines manifesten Tumors palliativ – und nicht nur adjuvant – erfolgt sei. Gehe man hiervon aus, liege nach den eigenen Zahlen der Klägerin aus der Sonderauswertung der D. AG ein hinreichender Verwendungsumfang nicht vor. Das gelte umso mehr, als die dortigen Zahlen schon wegen der geringen Datenbasis, aber auch deshalb nicht aussagekräftig seien, weil seit der Erhebung gravierende Veränderungen insofern eingetreten seien, als eine neue Wirkstoffklasse (die CDK4/6-Inhibitoren) zugelassen worden sei, welche sich als erfolgversprechend gerade auch in Kombination mit Fulvestrant darstellen würden.</p>
<span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">Die Aufnahme eines Ausschlusses der patentgemäßen Verwendung in die Fach- und Gebrauchsinformation sei ihr – der Beklagten – rechtlich unmöglich; die Anbringung eines Warnhinweises in Werbe- und Informationsmaterialien sei vor dem Hintergrund des Regelungen des HWG wettbewerbsrechtlich irreführend. Eine Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin, Mitglieder und die gesetzlichen Krankenkassen anzuschreiben, sei nicht zu erkennen.</p>
<span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">Letztlich werde sich das Klagepatent im Rahmen des Nichtigkeitsverfahrens auch als nicht rechtsbeständig erweisen.</p>
<span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte nebst Anlagen Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">II.</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht eine Verletzung des Klagepatents durch die angegriffene Ausführungsform verneint und dementsprechend die Klage abgewiesen.</p>
<span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">1.</span></p>
<span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks">D<ins>as Klagepatent</ins>
betrifft die Behandlung von Brustkrebs.</p>
<span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">a)</span></p>
<span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks">Nach den Erläuterungen der Klagepatentschrift wirken Östrogene (die bis zur Menopause in den Eierstöcken, aber auch – unabhängig von der Menopause – in anderem Gewebe gebildet werden) bei mindestens einem Drittel der Brustkrebserkrankungen wachstumsfördernd (Absatz [0004]). Es stellt deswegen einen anerkannten Behandlungsansatz bei der Brustkrebstherapie dar, die Östrogenzufuhr im Patienten zu unterbinden, was bei prämenopausalen Frauen durch eine (operative, radiologische oder medikamentöse) Entfernung/Ausschaltung der Eierstöcke geschieht, mit der die Neuproduktion von Östrogen unterbunden wird, während bei postmenopausalen Frauen mithilfe von Aromataseinhibitoren die Umwandlung anderer Hormone in Östrogen blockiert wird (Absatz [0005]).</p>
<span class="absatzRechts">106</span><p class="absatzLinks">Als Alternative zu dem beschriebenen Östrogenentzug ist es nach der Schilderung des Klagepatents bekannt, Antiöstrogene – vornehmlich Tamoxifen – einzusetzen, deren Funktion es ist, sich kompetitiv an die Östrogenrezeptoren der hormonabhängigen Tumorzellen anzulagern und auf diese Weise die Östrogenbindung an den Tumor zu verhindern (Absatz [0006]). Ein Nachteil von Tamoxifen liegt allerdings in seiner teilweise agonistischen Wirkung, die zu einer unvollständigen Blockade der östrogenvermittelten Wirksamkeit auf den Krebszellen führt (Absatz [0006]).</p>
<span class="absatzRechts">107</span><p class="absatzLinks">Dementsprechend war es in der therapeutischen Praxis bereits gebräuchlich, postmenopausale Patientinnen, die an fortgeschrittenem Brustkrebs leiden und bei denen die Krankheit nach der Behandlung mit Tamoxifen weiter fortgeschritten ist, mit einem Aromataseinhibitor (wie Anastrozol oder Letrozol) zu behandeln (Absatz [0007]; Anm.: Bei prämenopausalen Patientinnen kommt die Verabreichung eines Aromatseinhibitors nicht in Betracht, weil dieser die noch funktionierende Östrogenproduktion in den Eierstöcken nicht unterbinden würde).</p>
<span class="absatzRechts">108</span><p class="absatzLinks">Vor dem geschilderten Hintergrund ist es als Aufgabe der Erfindung anzusehen, einen Therapieweg für den (bislang noch nicht bewältigten) Fall aufzuzeigen, dass – im Anschluss an eine fehlgeschlagene Behandlung mit Tamoxifen – auch die nachfolgende Behandlung mit einem Aromataseinhibitor scheitert (Absatz [0007] a.E.; Technische Beschwerdekammer 3.3.02, Entscheidung vom 14.02.2013, Anlage HE 4a, S. 11 Rz. 2.4.3).</p>
<span class="absatzRechts">109</span><p class="absatzLinks">Zur Lösung dieser Problemstellung schlägt das Klagepatent vor, die – unter der in Abfolge durchgeführten (Absatz [0007] Satz 1) Behandlung mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor erfolglose – Brustkrebstherapie mit Fulvestrant fortzusetzen. Im Einzelnen stellt Patentanspruch 1 folgende Merkmalkombination unter Schutz:</p>
<span class="absatzRechts">110</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">111</span><p class="absatzLinks">1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Verwendung von Fulvestrant bei der Herstellung eines Arzneimittels.</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">112</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">113</span><p class="absatzLinks">2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Das Arzneimittel dient zur Behandlung einer Brustkrebspatientin.</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">114</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">115</span><p class="absatzLinks">3.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Bei der (mit dem Fulvestrantarzneimittel zu behandelnden) Krebspatientin ist eine vorangegangene Behandlung</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">116</span><p class="absatzLinks">a)                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               mit einem Aromataseinhibitor</p>
<span class="absatzRechts">117</span><p class="absatzLinks">und</p>
<span class="absatzRechts">118</span><p class="absatzLinks">b)                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               mit Tamoxifen</p>
<span class="absatzRechts">119</span><p class="absatzLinks">fehlgeschlagen.</p>
<span class="absatzRechts">120</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">b)</span></p>
<span class="absatzRechts">121</span><p class="absatzLinks">Erfindungsgemäß bleibt offen, ob zunächst mit Tamoxifen und anschließend mit einem Aromataseinhibitor behandelt oder in umgekehrter Reihenfolge vorgegangen wurde. Notwendige Bedingung jeder Patentbenutzung ist allerdings, dass die beiden Wirkstoffe sequenziell hintereinander – und nicht gleichzeitig nebeneinander – verabreicht wurden; auch die Klägerin macht insoweit nichts anderes geltend.</p>
<span class="absatzRechts">122</span><p class="absatzLinks">Wesentlich ist des Weiteren, dass die aufeinanderfolgende Behandlung mit beiden Wirkstoffen fehlgeschlagen ist, d.h. weder Tamoxifen noch der Aromataseinhibitor zu einem therapeutischen Erfolg geführt haben. Nicht der bloße Einsatz von Fulvestrant im Anschluss an eine vorherige Behandlung mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor als solche genügt daher den Anforderungen des Patentanspruchs, sondern erst eine solche therapeutische Verwendung von Fulvestrant, die ihren Grund in einem Versagen der anderen, vorrangig durchgeführten Behandlungsansätze (Tamoxifen und Aromataseinhibitor) findet. Denn der Patentanspruch begnügt sich nicht damit, dass Fulvestrant überhaupt als drittes Therapeutikum zum Einsatz kommt, sondern stellt darüber hinaus explizit darauf ab, dass die vorangegangenen Behandlungen mit Tamoxifen <span style="text-decoration:underline">und</span> einem Aromataseinhibitor fehlgeschlagen sind, d.h. (worauf später nochmals eingegangen wird) <em>jede einzelne von ihnen</em> versagt hat und <em>deswegen</em> die Behandlung mit Fulvestrant aufgenommen und fortgesetzt wird.</p>
<span class="absatzRechts">123</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">c)</span></p>
<span class="absatzRechts">124</span><p class="absatzLinks">Bei der fehlgeschlagenen Behandlung mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor, der sich die Fulvestrant-Patientin vorangehend unterzogen haben muss, hat es sich um eine palliative – und nicht nur um eine adjuvante – Brustkrebstherapie zu handeln. Das abweichende Verständnis des Landgerichts, wonach auch eine adjuvante, d.h. im Hinblick auf mit dem Eingriff nicht entfernte Krebszellen rein präventive Wirkstoffgabe von Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor im Anschluss an eine Krebsoperation ausreicht, wenn es anschließend zu einem erneuten Krebsbefund kommt, wird dem auslegungsrelevanten Inhalt der Klagepatentschrift nicht gerecht.</p>
<span class="absatzRechts">125</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">aa)</span></p>
<span class="absatzRechts">126</span><p class="absatzLinks">Zwar ist auch eine bloß adjuvante Gabe von Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor, wie sie im Anschluss an die operative Entfernung eines Brustkrebstumors gebräuchlich ist, dem reinen Wortsinn nach als „Behandlung“ im Rahmen einer Krebstherapie aufzufassen. Denn sie geschieht nach medizinisch-therapeutischen Regeln zu dem Zweck, <em>etwaige</em> unerkannte Krebszellen, die im weiteren Verlauf metastasieren <em>könnten</em>, medikamentös auszuschalten.</p>
<span class="absatzRechts">127</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">bb)</span></p>
<span class="absatzRechts">128</span><p class="absatzLinks">In Bezug auf eine lediglich adjuvante Behandlung lässt sich jedoch – wie die Beklagte mit Recht geltend macht – vielfach überhaupt nicht beurteilen, ob sie „fehlgeschlagen“ ist, weswegen in ihr folgerichtig auch keine „vorangegangene Behandlung“ gesehen werden kann, deren erfolglose Durchführung Anspruch 1 des Klagepatents zwingend voraussetzt.</p>
<span class="absatzRechts">129</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(1)</span></p>
<span class="absatzRechts">130</span><p class="absatzLinks">Deutlich wird dies schon an dem in der Praxis gebräuchlichen Szenario, dass der Brustkrebstumor operativ entfernt wurde und anschließend prophylaktisch (adjuvant) zunächst für einen vorbestimmten Zeitraum (von z.B. zwei Jahren) Tamoxifen und danach im Rahmen einer Switch-Therapie für einen weiteren vorbestimmten Zeitraum (von z.B. drei Jahren) ein Aromataseinhibitor verabreicht wurde, um die ggf. drohende Bildung von Metastasen zu verhindern. Kommt es in einer solchen Konstellation nach Abschluss der Switch-Behandlung (z.B. im sechsten Jahr nach der Operation) zu einer erneuten Tumorbildung, lässt sich keine belastbare Aussage dahingehend treffen, dass <em>beide</em> Vorbehandlungen, und mithin auch die Erstbehandlung mit Tamoxifen, ihre Wirkung verfehlt haben; vielmehr kann die abermalige Erkrankung nach Abschluss des Behandlungszyklus ihre Ursache auch (und möglicherweise noch wahrscheinlicher) darin haben, dass die Umstellung auf einen Aromataseinhibitor den bis dahin unter der Behandlung mit Tamoxifen erfolgreich versperrten Weg für eine Tumorbildung freigemacht hat. Dieselbe Unwägbarkeit besteht, wenn die abermalige Tumorbildung sich zwar noch während der Therapie mit einem Aromataseinhibitor eingestellt hat, allerdings in deutlichem zeitlichen Abstand zur Beendigung der Behandlung mit Tamoxifen; auch hier kann sich der Ursachenzusammenhang ohne weiteres so verhalten, dass die Wiedererkrankung der Behandlungsumstellung auf den – im Gegensatz zum Tamoxifen – nicht wirksamen Aromataseinhibitor zuzuschreiben ist. Ob eine bestimmte Krebstherapie (nämlich die Behandlung sowohl mit Tamoxifen als auch die daran anschließende bzw. vorausgehende Behandlung mit einem Aromataseinhibitor) versagt hat, lässt sich demgegenüber eindeutig und abschließend beurteilen, wenn die Behandlung palliativ an einem über die Therapiedauer hinweg manifesten Tumor erfolgt. Hier legen die Therapieresultate, die sich unter der Behandlung mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor verifizierbar eingestellt haben, zweifelsfrei Zeugnis darüber ab, ob das Tumorwachstum gegenüber dem Zustand vor dem jeweiligen Behandlungsbeginn fortgeschritten ist oder nicht. Schon diese Überlegung spricht dafür, im Rahmen des Klagepatents allein palliative Behandlungsergebnisse zu berücksichtigen.</p>
<span class="absatzRechts">131</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(2)</span></p>
<span class="absatzRechts">132</span><p class="absatzLinks">Eine Bestätigung dieser Sicht findet sich an diversen Stellen der Patentbeschreibung. Zu verweisen ist zunächst auf Absatz [0018], der für den Fachmann legaliter definiert, wie die vom Klagepatent im Zusammenhang mit den Vorbehandlungen gebrauchten Begriffe „fehlgeschlagen“ und „versagt“ zu interpretieren sind. A.a.O. heißt es:</p>
<span class="absatzRechts">133</span><p class="absatzLinks"><em>Der Begriff „fehlgeschlagen“ bzw. „versagt“ wird hier in dem Sinne verwendet, dass das</em> <strong><em>Wachstum des Brustkrebses</em></strong> <em>durch die Behandlung mit einem Aromataseinhibitor oder Tamoxifen, oder aber auch beiden,</em> <strong><em>nicht länger eingedämmt wird</em></strong><em>.“</em> (Anm.: Hervorhebung ist hinzugefügt)</p>
<span class="absatzRechts">134</span><p class="absatzLinks">Da nur Tumorzellen „<em>wachsen</em>“ können und da nur das Wachstum von Tumorzellen „<em>eingedämmt werden kann</em>“, versteht der Fachmann, dass mit dem Wort „<em>Brustkrebs</em>“ („breast cancer“) der Sache nach das (unter der Behandlung mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor in seinem Wachstum nicht beherrschbare) Mammakarzinom gemeint ist, so, wie dies auch der deutschen Übersetzung der Patentbeschreibung entspricht. Technisch sinnvoll verstanden, besagt deshalb auch die eigene Begriffsdefinition des Klagepatents, dass ein Fehlschlag der Vorbehandlungen an einem manifesten Tumor festzustellen ist, der palliativ mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor therapiert worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">135</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(3)</span></p>
<span class="absatzRechts">136</span><p class="absatzLinks">Damit stimmen auch alle weiteren Vorteilsangaben der Patentschrift (Anm.: Hervorhegungen sind zur Verdeutlichung hinzugefügt) überein. So hebt Absatz [0009] hervor, dass Fulvestrant sich in einer Phase-II-Studie an Frauen, <span style="text-decoration:underline">deren Brustkrebs nach Tamoxifen-Therapie progredierte</span>, bereits als wirksam erwiesen habe, und unterstreicht Absatz [0011], dass Fulvestrant eine <span style="text-decoration:underline">deutliche Hemmwirkung auf das Wachstum von MCF-7-Brustkrebszellen</span> beim Menschen zeigt und eine gegenüber Tamoxifen signifikant höhere <span style="text-decoration:underline">Reduzierung der MCF-7-Zellzahlen</span> erbracht hat. Absatz [0012] nimmt Bezug auf Studien, die belegen, dass nach einer Langzeitbehandlung mit Tamoxifen <span style="text-decoration:underline">weiterwachsende</span> Tamoxifen-resistente <span style="text-decoration:underline">MCF-7-Tumoren</span> gegenüber Fulvestrantbehandlung empfindlich bleiben und Fulvestrant das <span style="text-decoration:underline">Wachstum etablierter MCF-7-Tumoren</span> doppelt so lange unterdrückte wie die Behandlung mit Tamoxifen. Als überraschend beschreibt Absatz [0013] schließlich die Erkenntnis, dass der Brustkrebs <span style="text-decoration:underline">nach vorangegangener fehlgeschlagener Behandlung</span> <em>sowohl mit</em> einem Aromataseinhibitur <em>als auch</em> mit Tamoxifen gegenüber der <span style="text-decoration:underline">Weiterbehandlung</span> mit Fulvestrant empfindlich ist. Gerade der vorzitierten Beschreibungsstelle kommt besonderes Gewicht zu, weil die Patentbeschreibung hier mit dem Verweis auf eine für den Fachmann überraschende Erkenntnis den eigentlichen Erfindungsgedanken herausstellt, dass trotz der mit den kumulativ gescheiterten Vorbehandlungen verbundenen doppelten Resistenz gegenüber sowohl Tamoxifen als auch einem Aromataseinhibitor eine Wirksamkeit (Empfindlichkeit) des Krebses gegenüber Fulvestrant erhalten bleibt. Allen vorzitierten Bemerkungen liegt die gemeinsame Vorstellung von einer Wirksamkeit von Fulvestrant bei der palliativen Bekämpfung (Weiterbehandlung) eines manifesten Tumors zugrunde.</p>
<span class="absatzRechts">137</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(4)</span></p>
<span class="absatzRechts">138</span><p class="absatzLinks">Sie deckt sich nicht zuletzt vollständig mit den Erläuterungen, die die Klagepatentschrift in ihrem Absatz [0007] zum vorbekannten Stand der Technik und zu dem – ausgehend hiervon – durch die Erfindung zu erbringenden Fortschritt gibt. Nach den besagten Ausführungen war es bekannt, postmenopausalen Frauen mit Brustkrebs, bei denen die <span style="text-decoration:underline">Krankheit nach der Behandlung mit Tamoxifen fortschritt</span>, einen Aromataseinhibitor wie Anastrozol oder Letrozol zu verabreichen, um einen Therapieerfolg zu erzielen. Die nachfolgende Zweittherapie mit Anastrozol oder Lestrozol im Anschluss an die unter der Behandlung mit Tamoxifen nicht eingedämmte Krebserkrankung repräsentiert deswegen eine palliative Behandlung an einem manifesten (fortschreitenden) Tumor. Wie eingangs erwähnt, widmet sich das Klagepatent bei dieser Ausgangslage der Aufgabe, einen Behandlungsansatz für denjenigen Fall bereitzustellen, dass auch die Zweitbehandlung mit einem Aromataseinhibitor (Anastrozol oder Lestrozol) scheitert. Bezug genommen ist insoweit auf die aus dem Stand der Technik geläufige Behandlungssituation eines trotz Tamoxifenbehandlung progredierenden Brustkrebstumors, der auch unter der Wirkung eines Aromataseinhibitors nicht einzudämmen ist. Auf ihn – den trotz zweier Vorbehandlungen manifesten Tumor – bezieht sich deshalb auch die Lösung des Klagepatents, bei Fehlschlagen der im Stand der Technik empfohlenen Zweitbehandlung mit einem Aromataseinhibitor als dritten Wirkstoff Fulvestrant zu verabreichen.</p>
<span class="absatzRechts">139</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(5)</span></p>
<span class="absatzRechts">140</span><p class="absatzLinks">Der Beschwerdekammerentscheidung vom 14.02.2013 liegt kein anderes Verständnis der Erfindung zugrunde. Im Gegenteil wird auch dort der Beitrag des Klagepatents durchweg in der Empfehlung von Fulvestrant zur Drittlinienbehandlung von Brustkrebs gesehen (vgl. Rz. 2.4.4, 2.4.5 Mitte) und im Rahmen der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit mit der sich infolge <span style="text-decoration:underline">jeder</span> Tumorbehandlung stärker einstellenden Therapieresistenz argumentiert. In Rz. 2.4.6 heißt es in diesem Sinne – auszugsweise – wie folgt (Anm.: Hervorhebungen sind hinzugefügt):</p>
<span class="absatzRechts">141</span><p class="absatzLinks"><em>„Bei der Beurteilung, ob die Verwendung von Fulvestrant als ein Drittlinien-Agens … naheliegt, sind die folgenden Faktoren zu berücksichtigen:</em></p>
<span class="absatzRechts">142</span><p class="absatzLinks"><em>(a)    Mit jeder neuen Resistenz wird der <span style="text-decoration:underline">Tumor „bösartiger“ und schwieriger zu behandeln</span>. Folglich ist es keineswegs selbstverständlich, dass ein Wirkstoff, der bei der Zweitlinienbehandlung wirksam ist, für eine <span style="text-decoration:underline">Drittlinienbehandlung</span> geeignet ist.</em></p>
<span class="absatzRechts">143</span><p class="absatzLinks"><em>(b)    Falls der <span style="text-decoration:underline">Tumor</span> - … - <span style="text-decoration:underline">gegen einen Aromataseinhibitor und</span> einen partiellen Östrogenagonisten wie <span style="text-decoration:underline">Tamoxifen resistent ist</span>, würde der Fachmann tendenziell ein <span style="text-decoration:underline">Drittlinien</span>-<span style="text-decoration:underline">Agens</span> wählen, dessen Wirkmechanismus von jenem eines partiellen Östrogenagonisten und eines Aromataseinhibitors verschieden ist. Ob dies den Fachmann veranlassen würde, eine Verbindung wie Fulvestrant in Betracht zu ziehen, ist jedoch fraglich angesichts der Tatsache, dass sich Fulvestrant … im Hinblick auf seinen Wirkmechanismus nicht grundlegend von Tamoxifen unterscheidet. … Daher wäre eine Verbindung wie Fulvestrant unter diesen Umständen nicht die erste Wahl für den Fachmann gewesen.“</em></p>
<span class="absatzRechts">144</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(6)</span></p>
<span class="absatzRechts">145</span><p class="absatzLinks">Demgegenüber bietet die Klagepatentschrift keinen Anhaltspunkt dafür, dass eine bloß adjuvante Vorbehandlung relevant sein könnte. Zwar sieht der in den Absätzen [0028] ff. umrissene Prüfplan, der in der Patentschrift (Absatz [0028]) als bevorzugtes Ausführungsbeispiel der Erfindung ausgewiesen ist, eine Berücksichtigung auch solcher Patientinnen vor, die vor ihrer Behandlung mit Anastrozol oder Letrozol den Wirkstoff Tamoxifen erhalten haben (Absatz [0038]). Aus Absatz [0037] ergibt sich jedoch, dass es während der Anastrozol- oder Letrozol-Behandlung zu einer Krankheitsprogression gekommen sein muss, womit die Behandlung mit dem Aromataseinhibitor palliativ geschehen ist. Nichts anderes gilt für die vorgelagerte Tamoxifen-Therapie, die nach dem Beschreibungstext nicht „entweder“ als Zusatztherapie (adjuvant) „oder“ zur Behandlung einer fortgeschrittenen Krebserkrankung (palliativ) erfolgt sein kann, sondern „sowohl“ zusätzlich „als auch“ palliativ stattgefunden haben muss. Letztlich kann dies aber sogar auf sich beruhen, weil der Prüfplan ohnehin jenseits der geltenden Anspruchsfassung des Klagepatents liegt, weil ihm die – nicht patentgemäße - Situation eines lediglich einmaligen Fehlschlagens einer Vorbehandlung (sic.: mit einem Aromataseinhibitor) zugrunde liegt.</p>
<span class="absatzRechts">146</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(7)</span></p>
<span class="absatzRechts">147</span><p class="absatzLinks">Gerade weil ein bloß einmaliges Fehlschlagen nicht ausreicht, ist der Patentanspruch im Zuge des Erteilungsverfahrens dahingehend beschränkt worden, dass ein Patentschutz nicht schon – wie ursprünglich angemeldet – für die Verwendung von Fulvestrant nach erfolgloser Krebsbehandlung mit einem Aromataseinhibitor (einfache Resistenz) gewährt wird, sondern erst dann eingreift, wenn sich darüber hinaus auch eine Vorbehandlung mit Tamoxifen – und somit eine doppelte Resistenz des zu behandelnden Krebses – als fehlgeschlagen herausgestellt hat. Zwar definiert Absatz [0018] den Begriff des „Fehlschlagens“ für die Zwecke der Erfindung legaliter dahin, „<em>dass das Wachstum des Mammakarzinoms (breast cancer) durch die Behandlung mit einem Aromataseinhibitor oder Tamoxifen, oder auch beidem, nicht länger eingedämmt wird</em>, wobei aus dem Wort „oder“ auf erste Sicht der Schluss gezogen werden könnte, im Zusammenhang mit der Erfindung reiche die Feststellung eines konkreten Fehlschlagens nur im Hinblick auf einen Wirkstoff, d.h. entweder des Aromataseinhibitors oder von Tamoxifen. Ein derartiges Verständnis stünde jedoch in eklatantem Gegensatz zu dem gesamten restlichen Inhalt der Patentschrift, wie er vorstehend erläutert worden ist, und kann deswegen keine sinnvolle Interpretation für den Durchschnittsfachmann sein. Vielmehr wird er die besagte Beschreibungsstelle als Erläuterung verstehen, die dem ursprünglichen, deutlich weitergehenden Anmeldungsinhalt geschuldet ist und die – genauso wie der klinische Prüfplan gemäß Beispiel 1 – außerhalb des geltenden Erfindungsgedankens liegt und deshalb im Zuge des Erteilungsverfahrens richtigerweise zum Teil (nämlich im Hinblick auf ein Fehlschlagen nur einer Vorbehandlung) hätte gestrichen werden müssen.</p>
<span class="absatzRechts">148</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">2.</span></p>
<span class="absatzRechts">149</span><p class="absatzLinks">Ausgehend von dem dargelegten Verständnis des Klagepatents und seiner technischen Lehre scheidet eine Patentverletzung im Streitfall aus.</p>
<span class="absatzRechts">150</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">a)</span></p>
<span class="absatzRechts">151</span><p class="absatzLinks">Wie die Klägerin einräumt, ist das streitbefangene Präparat von der Beklagten nicht sinnfällig für die patentgemäße Verwendung hergerichtet. Soweit in der Gebrauchsinformation überhaupt eine palliative Vorbehandlung angesprochen wird, bezieht sie sich auf eine Progression der Krebserkrankung unter der Behandlung mit einem Antiöstrogen. Die vom Klagepatent vorausgesetzte weitere fehlgeschlagene Vortherapie mit einem Aromataseinhibitor findet demgegenüber keinerlei Erwähnung. Gleiches gilt – worauf an dieser Stelle nur vorsorglich hinzuweisen ist – dann, wenn eine adjuvante Vortherapie mit in Betracht gezogen wird, denn auch der fehlgeschlagene adjuvante Einsatz eines Aromataseinhibitors findet in der Gebrauchsinformation keine Erwähnung.</p>
<span class="absatzRechts">152</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">b)</span></p>
<span class="absatzRechts">153</span><p class="absatzLinks">Nach der Rechtsprechung des Senats (GRUR 2017, 1107 – Östrogenblocker) ist - da im Zentrum des durch ein Verwendungspatent vermittelten Schutzes die objektive Eignung des betreffenden Arzneimittels für die patentgemäße Verwendung steht (BGH, GRUR 2016, 921 – Pemetrexed) – eine Haftung des Präparatvertreibers allerdings in Ausnahmefällen auch ohne eigene sinnfällige Herrichtungsmaßnahmen denkbar.</p>
<span class="absatzRechts">154</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">aa)</span></p>
<span class="absatzRechts">155</span><p class="absatzLinks">Mit Rücksicht auf den nicht allumfassenden, sondern eingeschränkten, nämlich zweckgebundenen Stoffschutz müssen lediglich Bedingungen erfüllt sein: Erstens muss das Produkt für den patentgemäßen Zweck tauglich sein und Zweitens muss sich der Vertreiber Umstände zunutze machen, die in ähnlicher Weise wie eine sinnfällige Herrichtung dafür sorgen, dass es mit dem Präparat zu dem zweckgebundenen therapeutischen Gebrauch kommt. Letzteres verlangt einen hinreichenden, nicht bloß vereinzelten Verwendungsumfang nach Maßgabe des Klagepatents sowie ein dahingehendes Wissen oder zumindest ein treuwidriges Verschließen des Lieferanten vor der diesbezüglichen Kenntnisnahme (Senat, GRUR 2017, 1107 – Östrogenblocker). Wenn dem Generikaunternehmen die ihm günstige Verschreibungspraxis geläufig ist oder jedenfalls hätte bekannt sein müssen und es diese Praxis durch Belieferung seiner Großhändler dennoch für sich ausnutzt, ist es angemessen, den Generikahersteller dafür in die patentrechtliche Pflicht zu nehmen.</p>
<span class="absatzRechts">156</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(1)</span></p>
<span class="absatzRechts">157</span><p class="absatzLinks">In welchem genauen Umfang die herrichtungsfreie Verwendung nach Maßgabe des Klagepatents stattfinden muss, um haftungsbegründend zu sein, hat der Senat bisher noch nicht entschieden. Maßgeblich sind folgende, an der Herrichtungssituation orientierte Überlegungen: Die sinnfällige Herrichtung muss den patentgemäßen Gebrauch nicht als alleinigen und ausschließlichen Verwendungszweck vorgeben; vielmehr kommt es nur darauf an, dass der erfindungsgemäße Gebrauch – ggf. neben anderen – überhaupt zu derjenigen Verwendung gehört, zu der die Herrichtung anleitet. Relevant ist daher sowohl die Konstellation, dass die Gebrauchsanleitung selbst mehrere Verwendungsmöglichkeiten erwähnt, zu denen der patentgeschützte Gebrauch zählt, als auch der Fall, dass sich die Gebrauchsanleitung nur zu der geschützten Verwendung verhält, jedoch offensichtlich ist, dass es daneben andere, konkurrierende Einsatzgebiete gibt. Weil dem so ist, kann auch in Fällen des herrichtungsfreien cross-label-use nicht nur ein solcher Gebrauch haftungsrelevant sein, der ausschließlich oder nahezu ausschließlich die patentgemäße Verwendung betrifft. Entscheidend ist vielmehr das sichere Wissen (dem das Verschließen vor der Erkenntnis gleich steht) darum, dass es mit dem vertriebenen Arzneimittel tatsächlich zu der patentgerechten Verordnung und Verwendung kommen wird. Denn derjenige, der in dem besagten Wissen agiert, muss sich hinsichtlich der Konsequenzen so behandeln lassen, als hätte er den für sich geschäftlich ausgenutzten herrichtungsfreien Zustand selbst durch eine entsprechende Herrichtungsmaßnahme herbeigeführt. Tatrichterlich muss also – erstens – festgestellt werden, dass es in hinreichen-dem Umfang zu einer patentgerechten Verwendung gekommen ist, und dass dem Generikaunternehmen dieser Sachverhalt – zweitens – schlechterdings nicht verborgen geblieben sein kann. Mit der Zahl der nachweisbar vorgefallenen patentgemäßen Verwendungsfälle steigt naturgemäß die Chance auf eine dahingehende tatrichterliche Feststellung, weswegen bloß vereinzelt gebliebene Gebrauchsfälle im Allgemeinen keine herrichtungsfreie Haftung begründen können. Ein weiteres Haftungsszenario kann sich aus besonderen, überragenden Vorteilen der patentgemäßen Verwendung gegenüber anderen Therapiezwecken ergeben, die geradezu dazu herausfordern, das Präparat patentgerecht – und nicht anders – einzusetzen.</p>
<span class="absatzRechts">158</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(2)</span></p>
<span class="absatzRechts">159</span><p class="absatzLinks">Handelt es sich – wie hier - um ein verschreibungspflichtiges Medikament, dessen Einnahme nur nach Maßgabe der ärztlichen Verordnung zu Anwendungsgebieten und Dosierung zu erwarten steht, entscheidet diejenige Verschreibungspraxis, die nach dem Inhalt der dem Arzt für seine Verordnung zur Verfügung stehenden Mittel in Rechnung zu stellen ist. Zentrale Bedeutung hat insoweit die Fachinformation, die integraler Bestandteil der Arzneimittelgenehmigung ist und abschließend die Merkmale von dessen für den Vertrieb genehmigter Version definiert. Weil die genehmigte mit der auf den Markt gebrachten Version des Arzneimittels übereinstimmen <em>muss</em>, steht nach der Lebenserfahrung fest, dass der Arzt die einzelnen Medikamente nur nach Maßgabe ihrer jeweiligen konkreten Fachinformation verordnen wird, so dass ein Generikum, das – anders als das Präparat des Originators – z.B. aus patentrechtlichen Gründen eine bestimmte (patentgeschützte) Indikation/Dosierung nicht aufweist, einem Patienten dafür auch nicht verschrieben werden wird, weswegen das generische Medikament – in der weiterenFolge – auch nicht therapeutisch in diesem Sinne zum Einsatz kommen wird.</p>
<span class="absatzRechts">160</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(3)</span></p>
<span class="absatzRechts">161</span><p class="absatzLinks">Für die Unterlassungshaftung macht es dennoch einen ganz wesentlichen Unterschied, ob das Arzneimittel sinnfällig hergerichtet wurde oder nicht: Beruht die Haftung des Generikaunternehmens (oder sonstigen Vertreibers) auf einer sinnfälligen Herrichtung des Präparates für die patentgeschützte Verwendung, so begründet nach allgemeinen Regeln jeder singuläre Verletzungsfall (= sinnfällige Herrichtung mit nachfolgendem Angebot/Vertrieb), auch der allererste und einzige, die Gefahr künftiger Wiederholung (des Vertriebs sinnfällig hergerichteter Präparate und im Anschluss daran deren herrichtungsgemäßer Verwendung), was ohne weiteres zur Unterlassungsverurteilung führt, sofern der Verletzer nicht vorgerichtlich eine ausreichend strafbewährte Unterwerfungserklärung abgibt. Völlig anders verhält es sich bei einem Vertreiber, der keine Herrichtungsmaßnahme unternommen hat und dessen Haftung allein auf einer tatsächlichen, der geschützten Verwendungsweise entsprechenden Verschreibungspraxis beruhen soll. Selbst wenn in der Vergangenheit ein hinreichender tatsächlicher Gebrauch praktiziert worden ist (was für die betreffende Zeit zur Schadenersatz- und Auskunftspflicht des Vertreibers führt), kommt eine Unterlassungsverurteilung nur in Betracht, wenn sich auch aktuell, d.h. für den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, noch eine haftungsrelevante Verschreibungsübung feststellen lässt. Ist dies nicht der Fall, weil das Präparat zwar in früheren Zeiten cross-label eingesetzt wurde, sich die Verschreibungspraxis zwischenzeitlich jedoch (z.B. wegen neuer Wirkstoffe, die das fragliche Arzneimittel als Therapeutikum zunehmend abgelöst haben) geändert hat, scheidet eine Verurteilung zur Unterlassung aus. Denn sie knüpft eben nicht – wie die Haftung wegen sinnfälliger Herrichtung – an ein bestimmtes Verhalten des Verletzers an, dessen kausalitätsbegründende Wiederholung nach der Lebenserfahrung zu erwarten ist, sondern sie fußt einzig und allein auf bestimmten äußeren Rahmenbedingungen (sic.: einer tatsächlichen Verschreibungshandhabung), die, wenn sie aufgrund des Wandels der Zeit nicht mehr gegeben sind, auch keine Grundlage mehr für eine Unterlassungspflicht des Vertreibers bilden können.</p>
<span class="absatzRechts">162</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">bb)</span></p>
<span class="absatzRechts">163</span><p class="absatzLinks">Das Vorbringen der Klägerin ergibt nicht, dass das streitbefangene Präparat der Beklagten aufgrund einer tatsächlichen Verschreibungspraxis in einem ausreichenden Umfang in solchen Fällen zum Einsatz kommt oder gekommen ist, bei denen die Krebspatientin zuvor palliativ erfolglos sowohl mit Tamoxifen als auch mit einem Aromataseinhibitor behandelt worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">164</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(1)</span></p>
<span class="absatzRechts">165</span><p class="absatzLinks">Nach der Sonderauswertung der D. AG – deren Richtigkeit zugunsten der Klägerin unterstellt werden kann und in Bezug auf die die Klägerin selbst darauf beharrt, dass ihre Ergebnisse repräsentativ sind – ist von folgenden Daten für die Verwendung von Fulvestrant nach palliativer Vorbehandlung mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor auszugehen:</p>
<span class="absatzRechts">166</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td><p><strong>Zeitraum der Behandlung mit Fulvestrant:</strong></p>
</td>
<td><p>2007 – 2009</p>
</td>
<td><p>2010 - 2012</p>
</td>
<td><p>2013 - 2014</p>
</td>
<td><p>2015 - 2016</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p><strong>… % der Brustkrebs-</strong></p>
<p><strong>patientinnen:</strong></p>
</td>
<td><p>6,9</p>
</td>
<td><p>3,1</p>
</td>
<td><p>2,2</p>
</td>
<td><p>0,0</p>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<span class="absatzRechts">167</span><p class="absatzLinks">Maximal waren daher weniger als 7 % aller Krebspatientinnen, die mit Fulvestrant therapiert worden sind, zuvor palliativ erfolglos mit Tamoxifen sowie einem Aromataseinhibitor behandelt worden. Schon angesichts dieses deutlich einstelligen Zahlenwertes geschieht die zur Erfindungsbenutzung führende Verschreibungspraxis vereinzelt und keinesfalls in einem Umfang, dass er der Beklagten keinesfalls verborgen bleiben konnte. Auch die Klägerin, die sich zur Rechtfertigung ihrer Klageansprüche auf den palliativen und adjuvanten Gesamteinsatz von Fulvestrant stützt, der im Durchschnitt der Jahre bei 45,7 % gelegen hat, zeigt nicht konkret auf, dass und weshalb für die Beklagte ein (allein maßgeblicher) palliativer Benutzungsumfang, der sich mit weniger als 7 % in einer gänzlich anderen Größenordnung abspielt, unübersehbar gewesen sein soll. Schon deswegen scheiden sämtliche Klageansprüche aus. Mit Blick auf den in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruch kommt eine Haftung der Beklagten erst Recht nicht in Betracht, weil – bezogen auf den Tag der mündlichen Verhandlung (09.01.2019) – für die letzten vier Jahre kein einziger Fall einer patentgemäßen Fulvestrant-Verordnung nach erfolgloser palliativer Vorbehandlung mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor nachweisbar ist. Für den maßgeblichen aktuellen Zeitpunkt lässt sich daher eine zur patentgeschützten Verwendung führende Verordnungspraxis schlechterdings nicht feststellen. Seit Einleitung des Klageverfahrens mag die Beklagte zwar aufgrund der ihr präsentierten Sonderauswertung in Kenntnis über die dem Patent entsprechende Verschreibungspraxis gewesen sein, was von diesem Zeitpunkt an den Vorwurf tragen könnte, die Beklagte habe sich durch ihre unveränderte Belieferung von Abnehmern den praktizierten cross-label-use bewusst und mithin haftungsbegründend zunutze gemacht; allerdings belegen die Daten der Klägerin, die schon für die lange vor Rechtshängigkeit liegenden Jahre 2015 und 2016 einen Nullwert ausweisen, nicht, dass es mit solchen, von der Beklagten in Kenntnis des Sachverhaltes unternommenen Lieferungen zumindest ein Mal zu einer patentgerechten Verschreibung und Verwendung gekommen ist.</p>
<span class="absatzRechts">168</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(2)</span></p>
<span class="absatzRechts">169</span><p class="absatzLinks">Aus der eidesstattlichen Versicherung des Privatgutachters der Klägerin Prof. Dr. E. vom 14.02.2017 (Anlage HE 9) ergeben sich keine im Vergleich zu den Daten aus der Sonderauswertung zugunsten der Klägerin anderen Erkenntnisse. Soweit in der Versicherung – ohnehin auf bloß subjektiven Schätzungen des Verfassers beruhende – Zahlen einer Fulvestrant-Therapie genannt werden, handelt es sich ausnahmslos um solche Patientinnen, die zuvor <em>adjuvant</em> mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor versorgt worden sind, ohne dass insoweit irgendeine nähere Aufschlüsselung stattfindet. Dazu, in wie vielen Fällen Fulvestrant nach einer fehlgeschlagenen palliativen Vorbehandlung mit den besagten Wirkstoffen verabreicht worden ist, verhält sich Prof. Dr. E. nicht.</p>
<span class="absatzRechts">170</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">cc)</span></p>
<span class="absatzRechts">171</span><p class="absatzLinks">Das Ergebnis mangelnder Patentverletzung wäre im Übrigen kein anderes, wenn solche adjuvanten Vorbehandlungen berücksichtigt würden, von denen feststeht, dass sie sich als bei der Behandlung der Brustkrebserkrankung, an der die zu versorgende Patientin leidet, unwirksam erwiesen haben. Denn die von der Klägerin präsentierten Daten lassen diesbezügliche spezifizierte Feststellungen nicht zu.</p>
<span class="absatzRechts">172</span><p class="absatzLinks">Zwar sieht die Sonderauswertung eine gesonderte Fallgruppe derjenigen Patientinnen vor, die mit <em>einem</em> Wirkstoff (Tamoxifen bzw. einem Aromataseinhibitor) adjuvant (d.h. postoperativ prophylaktisch) und mit dem jeweils <em>anderen</em> Wirkstoff (d.h. einem Aromataseinhibitor bzw. Tamoxifen) palliativ therapiert worden sind, woraus folgt, dass es vor der palliativen Behandlung zu einem abermaligen Krebstumor gekommen sein muss, weil es ansonsten keinen Grund für eine palliative Therapie geben würde. Die adjuvante Vorbehandlung könnte dann als „fehlgeschlagen“ betrachtet werden, wenn die erneute Tumorbildung unter der laufenden adjuvanten Vorbehandlung oder in engem zeitlichen Zusammenhang zu ihrer Beendigung stattgefunden hat. Denn dann stünde fest, dass die erste (adjuvante) Vorbehandlung gescheitert ist, weil unter ihr abermals ein Tumor aufgetreten ist. Ist die Gabe von Fulvestrant unmittelbar im Anschluss an die palliative Vorbehandlung erfolgt, so wäre ferner davon auszugehen, dass auch die zweite, palliative Therapie fehlgeschlagen ist, weil ihr Versagen der Grund für die Fulvestrant-Therapie gewesen ist.</p>
<span class="absatzRechts">173</span><p class="absatzLinks">Die Sonderauswertung lässt indessen nicht zweifelsfrei erkennen, ob die Verhältnisse tatsächlich so gewesen sind oder ob (und ggf. in welchem Umfang) der Tumor unter der palliativen Zweitbehandlung – was die Annahme eines Fehlschlages ausschließenwürde – zunächst eingedämmt werden konnte und Fulvestrant (z.B. aus Gründen einer ggf. zwischenzeitlichen Unverträglichkeit oder Kontraindikation) erst geraume Zeit später verabreicht wurde, weil es im Abstand zu der erfolgreichen Palliativbehandlung während und als Folge des therapiefreien Intervalls zur abermaligen Ausbildung eines Tumors gekommen ist. Die Erörterungen im Verhandlungstermin vom 09.01.2019 haben diesbezüglich ebenfalls keine Klarheit erbracht.</p>
<span class="absatzRechts">174</span><p class="absatzLinks">Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen kommt speziell eine Unterlassungsverurteilung keinesfalls in Betracht, weil – unter Einschluss der zusätzlichen Fallgruppe („eines adjuvant, eines palliativ“) - ausweislich der Sonderauswertung für die Zeit von 2015 bis 2016 von einem patentgemäßen Verwendungsumfang von insgesamt lediglich 1,9 % auszugehen ist. Dieser Wert ist schon für sich betrachtet für eine Haftung der Beklagten gänzlich unzureichend; erst Recht gilt dies, wenn berücksichtigt wird, dass für den vorangehenden Zeitraum von 2013 bis 2014 noch deutlich höhere Werte ausgewiesen sind („eines adjuvant, eines palliativ“: 15,7 %; „beides palliativ“: 2,2 %) und zusätzlich in Rechnung gestellt wird, dass sich die ohnehin schon marginalen Werte für 2015 bis 2016 auf eine signifikant geringere Patientenzahl (von 52) stützen als sie den Zahlen der Vorjahre (174, 129, 89) zugrunde liegen. Der skizzierte Verlauf lässt für die Jahre 2017 und 2018 nur eine einzige Prognose zu, nämlich die eines von 1,9 % weiter signifikant abfallenden patentgemäßen Verwendungsumfangs, womit angesichts der aktuellen Bedeutungslosigkeit des palliativen sowie des teils adjuvanten und teils palliativen Gebrauchs von Fulvestrant ein Unterlassungsanspruch auszuscheiden hat.</p>
<span class="absatzRechts">175</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">III.</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">176</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.</p>
<span class="absatzRechts">177</span><p class="absatzLinks">Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.</p>
<span class="absatzRechts">178</span><p class="absatzLinks">Es besteht keine Veranlassung, die Revision zuzulassen, weil die hierfür in § 543 ZPO aufgestellten Voraussetzungen ersichtlich nicht vorliegen. Als reine Einzelfallentscheidung zur Patentauslegung hat die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO noch erfordern die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder die Fortbildung des Rechts eine revisionsgerichtliche Entscheidung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Gleiches gilt mit Blick auf die vom Bundesgerichtshof allerdings noch nicht entschiedene Rechtsfrage, ob die Haftung eines Generikaunternehmens auch unabhängig von einer sinnfälligen Herrichtung seines Präparates in Betracht kommen kann. Denn angesichts der von der Klägerin dargelegten Datenlage ist der patentgemäße Verwendungsumfang dermaßen gering, dass – selbst wenn man die grundsätzliche Rechtsfrage (wie der Senat) zugunsten des Schutzrechtsinhabers beurteilen will – eine Haftung der Beklagten unter keinen Umständen denkbar ist.</p>
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171,296 | olgham-2019-01-09-12-u-12318 | {
"id": 821,
"name": "Oberlandesgericht Hamm",
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} | 12 U 123/18 | 2019-01-09T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:44 | 2019-02-12T13:44:35 | Teilurteil | ECLI:DE:OLGHAM:2019:0109.12U123.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Auf den Antrag der Beklagten vom 02.11.2018 wird das am 06.09.2018 verkündete Urteil des Landgerichts Arnsberg hinsichtlich der Vollstreckbarkeitsentscheidung wie folgt abgeändert:</p>
<p>Das Urteil ist bezüglich der Stellung der Sicherheit gemäß § 648a BGB (a.F.) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 45.700 €, hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.</p>
<p>Die Kostenentscheidung bleibt der die Instanz abschließenden Entscheidung vorbehalten.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Tatbestand</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Gegenstand des Teilurteils ist der Antrag nach § 718 Abs. 1 ZPO, vorab über die vorläufige Vollstreckbarkeit zu entscheiden.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Das Landgericht hat mit am 06.09.2018 verkündetem Urteil die Beklagte verurteilt, der Klägerin für Vergütungsansprüche einschließlich der dazugehörigen Nebenforderungen aus dem Bauvertrag vom 29.06.2016 für das Bauvorhaben „Neubau S #, T #, #####-N-F“ Sicherheit nach ihrer Wahl durch die in § 232 BGB aufgeführten Arten der Sicherheitsleistung in Höhe von 41.467,58 € zu leisten. Es hat das Urteil gegen Sicherheitsleistung hinsichtlich der Hauptsacheentscheidung in Höhe von 2.000,00 € und hinsichtlich der Kostenentscheidung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages für vorläufig vollstreckbar erklärt.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">In Bezug auf die vorläufige Vollstreckbarkeit hat es ausgeführt, dies beruhe auf § 709 ZPO, wobei sich die Höhe hinsichtlich der Hauptsacheverurteilung nach der Regelung des § 717 Abs. 2 ZPO richte und die Folgen einer möglichen Abänderung des Urteils berücksichtige. Nach der Regelung des § 648a Abs. 3 S. 1 BGB (a.F.) gehe der Gesetzgeber von „üblichen Kosten der Sicherheitsleistung“ bis zu einem Satz von 2 % für das Jahr aus. Die Kammer habe den Betrag auf 5 % des ausgeurteilten Sicherheitsbetrages erhöht.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Die Berufung ist innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet worden.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte wendet sich vorab gegen den Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Dazu führt sie aus, das Landgericht habe die Höhe der Sicherheitsleistung fehlerhaft festgesetzt. Die Sicherheitsleistung müsse vollständig den Schaden decken, den der Vollstreckungsschuldner im Falle der Abänderung des Urteils bei zwischenzeitlich erfolgter Vollstreckung erleiden würde. Der Schaden erstrecke sich auf die Wiederherstellung des früheren Zustandes durch Rückgabe von allem, was der Vollstreckungsschuldner gezahlt oder geleistet habe. Vorliegend beliefe sich der Schaden im Falle der Vollstreckung zunächst auf mindestens den ausgeurteilten Betrag, da das Vermögen der Beklagten in diesem Umfang gemindert sei. Werde das Urteil im Berufungsverfahren aufgehoben und sollte die vollstreckte Bauhandwerkersicherheit nicht mehr vorhanden oder die Freigabe praktisch nicht mehr durchsetzbar sein, sei der Schaden endgültig entstanden. § 648a Abs. 3 S. 1 BGB (a.F.) regele nur die Kostentragung der Sicherheitsleistung beim Besteller, die der Unternehmer zu erstatten habe. Die Sicherheitsleistung hätte auf mindestens 45.700 € (41.467,58 € + 10 %) festgesetzt werden müssen.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin verteidigt die ausgesprochene Höhe der Sicherheitsleistung.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks"><strong>Entscheidungsgründe</strong></p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks"><strong>I.</strong></p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Vorabentscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit nach § 718 Abs. 1 ZPO ist zulässig.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Der Antrag ist statthaft, da ein Urteil vorliegt, das für vorläufig vollstreckbar erklärt wurde, und das Urteil mit der Berufung angefochten wurde (vgl. Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 718 ZPO, Rn. 1). Die Berufung ist zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet wurde.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Es liegt auch das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis vor. Das Rechtsschutzbedürfnis besteht, solange die Zwangsvollstreckung noch nicht beendet ist (vgl. MüKoZPO/Götz, 5. Aufl. 2016, § 718 ZPO, Rn. 3 m.w.N.). Die Klägerin hat die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils beantragt und die vollstreckbare Ausfertigung wurde erteilt.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks"><strong>II.</strong></p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Der Antrag ist auch begründet.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks"><strong>1.</strong> Die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Hauptsacheentscheidung richtet sich – wie das Landgericht zutreffend zugrunde legt – nach § 709 S. 1 ZPO, da keine Geldforderung zu vollstrecken ist.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Bei der Ermittlung der Höhe der auszusprechenden Sicherheitsleistung nach § 709 S. 1 ZPO ist die Regelung des § 717 Abs. 2 S. 1 ZPO zu beachten. Danach ist der Kläger zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der dem Beklagten durch die Vollstreckung des Urteils oder durch eine zur Abwendung der Vollstreckung gemachte Leistung entstanden ist.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich des durch die Sicherheitsleistung abzuwendenden Schadens und der Höhe der auszusprechenden Sicherheitsleistung nach § 709 S. 1 ZPO bestehen unterschiedliche Auffassungen:</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks"><strong>a)</strong> Die landgerichtliche Rechtsprechung ist sehr uneinheitlich.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">So bemisst das Landgericht Stuttgart die Sicherheitsleistung in Orientierung an § 648a Abs. 3 BGB (a.F.) mit 2 % des Sicherungsbetrages (LG Stuttgart, Urteil vom 24. Oktober 2011 – 34 O 50/11 KfH –, Rn. 74, juris). Die Landgerichte Kassel, Bremen und Paderborn – wie auch vorliegend das Landgericht Arnsberg – orientieren sich ebenfalls an § 648a Abs. 3 BGB (a.F.), nehmen allerdings einen Aufschlag vor, so dass sie die Sicherheitsleistung zwischen 3 % und 5 % der Sicherungssumme festsetzen (vgl. LG Kassel, Teilurteil vom 01. Dezember 2011 – 5 O 468/11 –, Rn. 50, juris; LG Bremen, Urteil vom 27. März 2014 – 7 O 256/13 –, Rn. 35, juris; LG Paderborn, Urteil vom 09. Juni 2011 – 3 O 521/10 –, Rn. 34, juris). Das Landgericht Duisburg nimmt pauschal 1/10 des Hauptsachewertes für die Sicherheitsleistung an (vgl. LG Duisburg, Urteil vom 21.06.2012 – 21 O 27/12). Das Landgericht Hagen hat den Betrag der ausgeurteilten Bauhandwerkersicherheitsleistung nebst Kostenzuschlag für die Höhe der Sicherheitsleistung zugrunde gelegt (vgl. LG Hagen (Westfalen), Urteil vom 27.07.2010 – 21 O 83/10).</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks"><strong>b)</strong> Das Oberlandesgericht Hamburg hat die Sicherheitsleistung in Höhe der Kosten eines Verfahrens auf Herausgabe bzw. Kraftloserklärung einer Sicherheitsleistung zuzüglich Avalzinsen in Höhe von 2 % für einen Zeitraum von fünf Jahren sowie einen Sicherheitszuschlag in Höhe von 5 % auf den Betrag der ausgeurteilten Bauhandwerkersicherung bemessen (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Teilurteil vom 23. Oktober 2015 – 9 U 91/15 –, juris). Dabei stellt es darauf ab, der Schuldner laufe bei der vorläufigen Vollstreckung Gefahr, dass eine von ihm als Sicherheit gestellte Bürgschaft nach einem etwa für ihn günstigen Verlauf des Rechtsmittelverfahrens pflichtwidrig nicht zurückgegeben werde. Es halte ferner einen Sicherheitszuschlag in Höhe von 5 % auf den Betrag der ausgeurteilten Bauhandwerkersicherung für das Risiko, dass der Kläger das dem Beklagten zustehende Wahlrecht, in welcher Form die Bauhandwerkersicherheit geleistet werde, an dessen Stelle ausüben würde, gemäß § 887 Abs. 2 ZPO Vorauszahlung des hierfür erforderlichen Geldbetrages verlangen könnte und damit die Gefahr bestünde, dass etwa Gläubiger des Klägers auf diesen Betrag zugreifen könnten, für angemessen. Das Risiko schätze es aber als gering ein, weil auch noch nach Beginn der Zwangsvollstreckung die Möglichkeit des Schuldners bestünde, der Verbindlichkeit zur Bauhandwerkersicherheitsleistung in anderer Weise nachzukommen.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks"><strong>c)</strong> Das Oberlandesgericht Karlsruhe bemisst die nach § 709 S. 1 ZPO auszusprechende Sicherheitsleistung nach dem Betrag der ausgeurteilten Bauhandwerkersicherheitsleistung nebst Kostenzuschlag und möglicher weiterer Vollstreckungsschäden und schätzt den Gesamtbetrag auf 110 % des Betrages der ausgeurteilten Bauhandwerkersicherheitsleistung (vgl. OLG Karlsruhe, Teilurteil vom 11. Oktober 2016 – 8 U 102/16 –, juris).</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Es stellt dabei ebenfalls darauf ab, dass sich der Gläubiger gemäß § 887 Abs. 1 ZPO ermächtigen lasse und zugleich die Verurteilung des Schuldners zur Vorauszahlung der hierdurch entstehenden Kosten gemäß § 887 Abs. 2 ZPO erwirken werde, wobei die Gefahr bestünde, dass Gläubiger des Gläubigers auf den erlangten Betrag zugreifen könnten. Die Erwägung, der Schuldner könne zur Abwendung der Zwangsvollstreckung die Sicherheit gemäß § 648a BGB (a.F.) stellen, liefe auf den vorweggenommenen Vorwurf eines Mitverschuldens hinaus. Es vertritt die Ansicht, dass nach der Konzeption des § 709 ZPO die Höhe der zu leistenden Sicherheit unbeschadet der Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Sicherungsfalles zu bestimmen sei.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks"><strong>d)</strong> In der Literatur findet sich ein Anschluss an die Auffassung des OLG Karlsruhe (vgl. Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 709 ZPO, Rn. 6; Ulrici in BeckOK ZPO, 30. Ed. 15.9.2018, ZPO § 709 Rn. 5.3; Schmitz in Kniffka-Schmitz Bauvertragsrecht 2017, § 648a, Rn. 35 nach ibr-online.de).</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks"><strong>e)</strong> Der Senat bemisst den durch die Sicherheitsleistung nach § 709 ZPO abzudeckenden Schaden nach der Höhe der Bauhandwerkersicherheitsleistung nach § 648a BGB (a.F.) (§ 650f BGB n.F.) nebst Kostenzuschlag und möglicher weiterer Vollstreckungsschäden von zusätzlich rund 10 %.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Im Ergebnis und der wesentlichen Begründung folgt der Senat der Entscheidung des OLG Karlsruhe.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Denn im Fall der Verurteilung zur Bauhandwerkersicherheitsleistung richtet sich die Art und Weise der Bauhandwerkersicherheitsleistung nach den §§ 232 ff. BGB und ergänzend nach § 648a Abs. 2 S. 1 BGB (a.F.) (§ 650f Abs. 2 S. 1 BGB n.F.). Danach stehen dem Schuldner zur Bauhandwerkersicherheitsleistung verschiedene Alternativen zur Verfügung. Im Falle der Vollstreckung nach § 887 Abs. 1 ZPO geht das Wahlrecht aus §§ 232, 648a Abs. 2 BGB (a.F.) (§ 650f Abs. 2 S. 1 BGB n.F.) auf den vollstreckenden Gläubiger über. Auch wenn in der Praxis die Stellung einer Bürgschaft die Regel ist, kann nach § 232 Abs. 1, 1. Var. BGB die Bauhandwerkersicherheitsleistung durch Hinterlegung von Geld gestellt werden. Für den Fall, dass der vollstreckende Gläubiger eine Ermächtigung nach § 887 Abs. 1 ZPO erwirkt, Hinterlegung von Geld wählt und dafür Vorschuss nach § 887 Abs. 2 ZPO verlangt, hätte der Schuldner den vollen Betrag der Bauhandwerkersicherheitsleistung im Wege des Vorschusses an den Gläubiger zu zahlen. Der Vollstreckungsschaden beliefe sich mindestens auf den vollen Betrag der Bauhandwerkersicherheitsleistung, wenn Gläubiger des Gläubigers vor Einzahlung bei der Hinterlegungsstelle auf den Betrag zugreifen. Der Senat bedenkt bei der Entscheidung, dass dieser Fall zwar ein theoretischer Fall ist, der aber nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegt. So sieht die Kommentarliteratur die Ermächtigung nach § 887 Abs. 1 ZPO, Wahl der Hinterlegung von Geld und Vorschussanforderung nach § 887 Abs. 2 ZPO als zweckmäßige Vollstreckung an (vgl. Kniffka/Koeble Kompendium des Baurechts 4. Aufl., 10. Teil, Rn. 179). Dies ist auch eine Art der vorläufigen Vollstreckung, die in der Praxis erfolgt (vgl. LG Hagen (Westfalen), Beschluss vom 30. November 2010 – 21 O 83/10 –, juris). Da die Sicherheitsleistung nach § 709 S. 1 ZPO das Risiko für jeden Fall der Vollstreckung abwenden soll, schließt sich der Senat den Erwägungen des OLG Karlsruhe an, dass die Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Sicherungsfalls ohne Berücksichtigung zu bleiben hat.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Den Senat überzeugen die Erwägungen des OLG Hamburg dagegen nicht. Zunächst stellt das OLG Hamburg auf Kosten eines Verfahrens auf Herausgabe bzw. Kraftloserklärung einer Sicherheitsleistung ab. Für den Eintritt eines solchen Schadens bedarf es einer Pflichtverletzung des Vollstreckungsgläubigers, die mit der eigentlichen vorläufigen Vollstreckung nichts zu tun hat, sondern darüber hinausgeht. Die Sicherheitsleistung nach § 709 ZPO soll aber den Schaden, der durch die vorläufige Vollstreckung eintreten kann, und nicht einen Solchen durch eine noch zusätzlich hinzutretende Pflichtverletzung, abdecken.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Soweit das OLG Hamburg eine Risikoeinschätzung vornimmt, setzt diese Risikoeinschätzung voraus, dass der Schuldner die Sicherheit (zur Abwendung der Vollstreckung) leisten kann. Das kann aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht in jedem Fall angenommen werden, so dass im Falle der Abänderung des Urteils der Schaden in voller Höhe entstehen kann.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Nach Auffassung des Senats steht auch der Gedanke der Bauhandwerkersicherung, dem Werkunternehmer eine Sicherheit bis zur Klärung von Grund und/oder Höhe des Vergütungsanspruchs zu verschaffen, der Bemessung der Sicherheitsleistung nach § 709 S. 1 ZPO in voller Höhe der Bauhandwerkersicherheitsleistung nicht entgegen. Die Regelungen der §§ 708 ff. ZPO sehen diesen Schutz des Vollstreckungsschuldners vor. Insofern haben Belange des Vollstreckungsgläubiger außer Betracht zu bleiben. Der Senat berücksichtigt, dass der Werkunternehmer lediglich bis zum Abschluss eines Berufungsverfahrens eine die Bauhandwerkersicherheitsleistung übersteigende Summe zum Zwecke der vorläufigen Vollstreckung aufwenden müsste, da ein Berufungsurteil entweder endgültig oder jedenfalls vorläufig ohne Sicherheitsleistung vollstreckbar ist.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks"><strong>2.</strong> Gegen eine Aufteilung der Sicherheitsleistung getrennt für den Hauptsacheausspruch und für die Kosten bestehen keine Bedenken. Hinsichtlich der Kosten richtet sich die vorläufige Vollstreckbarkeit vorliegend nach § 709 S. 2 ZPO.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks"><strong>III.</strong></p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung ist der die Instanz abschließenden Entscheidung vorzubehalten.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Einer Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit bedarf es nicht (vgl. MüKoZPO/Götz, 5. Aufl. 2016, ZPO § 718 Rn. 4 m.w.N.).</p>
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171,295 | olgd-2019-01-09-2-u-2818 | {
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} | 2 U 28/18 | 2019-01-09T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:44 | 2019-02-12T13:44:35 | Urteil | ECLI:DE:OLGD:2019:0109.2U28.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<ul class="ol"><li><p>I. Die Berufung gegen das am 5. Juli 2018 verkündete Urteil der 4c Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.</p>
</li>
</ul>
<ul class="ol"><li><p>II. Die Verfügungsklägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.</p>
</li>
</ul>
<ul class="ol"><li><p>III. Das Urteil ist vollstreckbar.</p>
</li>
</ul>
<ul class="ol"><li><p>IV. Der Streitwert wird auf 1.500.000,- € festgesetzt.</p>
</li>
</ul><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">I.</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Von einer Darstellung des Sachverhaltes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1, 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO abgesehen.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">II.</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Der Verfügungsantrag ist unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht eine Verletzung des Verfügungspatents (EP 1 272 195; deutscher Teil: DE 601 13 975 T2) durch die angegriffene Ausführungsform (F… 250 ml Injektionslösung in einer Fertigspritze) verneint und dementsprechend den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung zurückgewiesen.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">1.</span></p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">D<ins>as</ins>
Verfügungs<ins>patent</ins>
betrifft die Behandlung von Brustkrebs.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">a)</span></p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Nach den Erläuterungen der Klagepatentschrift wirken Östrogene (die bis zur Menopause in den Eierstöcken, aber auch – unabhängig von der Menopause – in anderem Gewebe gebildet werden) bei mindestens einem Drittel der Brustkrebserkrankungen wachstumsfördernd (Absatz [0004]). Es stellt deswegen einen anerkannten Behandlungsansatz bei der Brustkrebstherapie dar, die Östrogenzufuhr im Patienten zu unterbinden, was bei prämenopausalen Frauen durch eine (operative, radiologische oder medikamentöse) Entfernung/Ausschaltung der Eierstöcke geschieht, mit der die Neuproduktion von Östrogen unterbunden wird, während bei postmenopausalen Frauen mithilfe von Aromataseinhibitoren die Umwandlung anderer Hormone in Östrogen blockiert wird (Absatz [0005]).</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Als Alternative zu dem beschriebenen Östrogenentzug ist es nach der Schilderung des Klagepatents bekannt, Antiöstrogene – vornehmlich Tamoxifen – einzusetzen, deren Funktion es ist, sich kompetitiv an die Östrogenrezeptoren der hormonabhängigen Tumorzellen anzulagern und auf diese Weise die Östrogenbindung an den Tumor zu verhindern (Absatz [0006]). Ein Nachteil von Tamoxifen liegt allerdings in seiner teilweise agonistischen Wirkung, die zu einer unvollständigen Blockade der östrogenvermittelten Wirksamkeit auf den Krebszellen führt (Absatz [0006]).</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Dementsprechend war es in der therapeutischen Praxis bereits gebräuchlich, postmenopausale Patientinnen, die an fortgeschrittenem Brustkrebs leiden und bei denen die Krankheit nach der Behandlung mit Tamoxifen weiter fortgeschritten ist, mit einem Aromataseinhibitor (wie Anastrozol oder Letrozol) zu behandeln (Absatz [0007]; Anm.: Bei prämenopausalen Patientinnen kommt die Verabreichung eines Aromatseinhibitors nicht in Betracht, weil dieser die noch funktionierende Östrogenproduktion in den Eierstöcken nicht unterbinden würde).</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Vor dem geschilderten Hintergrund ist es als Aufgabe der Erfindung anzusehen, einen Therapieweg für den (bislang noch nicht bewältigten) Fall aufzuzeigen, dass – im Anschluss an eine fehlgeschlagene Behandlung mit Tamoxifen – auch die nachfolgende Behandlung mit einem Aromataseinhibitor scheitert (Absatz [0007] a.E.; Technische Beschwerdekammer 3.3.02, Entscheidung vom 14.02.2013, Anlage HE 4a, S. 11 Rz. 2.4.3).</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Zur Lösung dieser Problemstellung schlägt das Verfügungspatent vor, die – unter der in Abfolge durchgeführten (Absatz [0007] Satz 1) Behandlung mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor erfolglose – Brustkrebstherapie mit Fulvestrant fortzusetzen. Im Einzelnen stellt Patentanspruch 1 folgende Merkmalkombination unter Schutz:</p>
<span class="absatzRechts">15</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Verwendung von Fulvestrant bei der Herstellung eines Arzneimittels.</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">17</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Das Arzneimittel dient zur Behandlung einer Brustkrebspatientin.</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">19</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">3.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Bei der (mit dem Fulvestrantarzneimittel zu behandelnden) Krebspatientin ist eine vorangegangene Behandlung</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">a)                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               mit einem Aromataseinhibitor</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">und</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">b)                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               mit Tamoxifen</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">fehlgeschlagen.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">b)</span></p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Erfindungsgemäß bleibt offen, ob zunächst mit Tamoxifen und anschließend mit einem Aromataseinhibitor behandelt oder in umgekehrter Reihenfolge vorgegangen wurde. Notwendige Bedingung jeder Patentbenutzung ist allerdings, dass die beiden Wirkstoffe sequenziell hintereinander – und nicht gleichzeitig nebeneinander – verabreicht wurden; auch die Verfügungsklägerin macht insoweit nichts anderes geltend.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Wesentlich ist des Weiteren, dass die aufeinanderfolgende Behandlung mit beiden Wirkstoffen fehlgeschlagen ist, d.h. weder Tamoxifen noch der Aromataseinhibitor zu einem therapeutischen Erfolg geführt haben. Nicht der bloße Einsatz von Fulvestrant im Anschluss an eine vorherige Behandlung mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor als solche genügt daher den Anforderungen des Patentanspruchs, sondern erst eine solche therapeutische Verwendung von Fulvestrant, die ihren Grund in einem Versagen der anderen, vorrangig durchgeführten Behandlungsansätze (Tamoxifen und Aromataseinhibitor) findet. Denn der Patentanspruch begnügt sich nicht damit, dass Fulvestrant überhaupt als drittes Therapeutikum zum Einsatz kommt, sondern stellt darüber hinaus explizit darauf ab, dass die vorangegangenen Behandlungen mit Tamoxifen <span style="text-decoration:underline">und</span> einem Aromataseinhibitor fehlgeschlagen sind, d.h. (worauf später nochmals eingegangen wird) <em>jede einzelne von ihnen</em> versagt hat und <em>deswegen</em> die Behandlung mit Fulvestrant aufgenommen und fortgesetzt wird.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">c)</span></p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Bei der fehlgeschlagenen Behandlung mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor, der sich die Fulvestrant-Patientin vorangehend unterzogen haben muss, hat es sich um eine palliative – und nicht nur um eine adjuvante – Brustkrebstherapie zu handeln. Das abweichende Verständnis des Landgerichts, wonach auch eine adjuvante, d.h. im Hinblick auf mit dem Eingriff nicht entfernte Krebszellen rein präventive Wirkstoffgabe von Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor im Anschluss an eine Krebsoperation ausreicht, wenn es anschließend zu einem erneuten Krebsbefund kommt, wird dem auslegungsrelevanten Inhalt der Verfügungspatentschrift nicht gerecht.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">aa)</span></p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Zwar ist auch eine bloß adjuvante Gabe von Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor, wie sie im Anschluss an die operative Entfernung eines Brustkrebstumors gebräuchlich ist, dem reinen Wortsinn nach als „Behandlung“ im Rahmen einer Krebstherapie aufzufassen. Denn sie geschieht nach medizinisch-therapeutischen Regeln zu dem Zweck, <em>etwaige</em> unerkannte Krebszellen, die im weiteren Verlauf metastasieren <em>könnten</em>, medikamentös auszuschalten.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">bb)</span></p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">In Bezug auf eine lediglich adjuvante Behandlung lässt sich jedoch – wie die Verfügungsbeklagte mit Recht geltend macht – vielfach überhaupt nicht beurteilen, ob sie „fehlgeschlagen“ ist, weswegen in ihr folgerichtig auch keine „vorangegangene Behandlung“ gesehen werden kann, deren erfolglose Durchführung Anspruch 1 des Verfügungspatents zwingend voraussetzt.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(1)</span></p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Deutlich wird dies schon an dem in der Praxis gebräuchlichen Szenario, dass der Brustkrebstumor operativ entfernt wurde und anschließend prophylaktisch (adjuvant) zunächst für einen vorbestimmten Zeitraum (von z.B. zwei Jahren) Tamoxifen und danach im Rahmen einer Switch-Therapie für einen weiteren vorbestimmten Zeitraum (von z.B. drei Jahren) ein Aromataseinhibitor verabreicht wurde, um die ggf. drohende Bildung von Metastasen zu verhindern. Kommt es in einer solchen Konstellation nach Abschluss der Switch-Behandlung (z.B. im sechsten Jahr nach der Operation) zu einer erneuten Tumorbildung, lässt sich keine belastbare Aussage dahingehend treffen, dass <em>beide</em> Vorbehandlungen, und mithin auch die Erstbehandlung mit Tamoxifen, ihre Wirkung verfehlt haben; vielmehr kann die abermalige Erkrankung nach Abschluss des Behandlungszyklus ihre Ursache auch (und möglicherweise noch wahrscheinlicher) darin haben, dass die Umstellung auf einen Aromataseinhibitor den bis dahin unter der Behandlung mit Tamoxifen erfolgreich versperrten Weg für eine Tumorbildung freigemacht hat. Dieselbe Unwägbarkeit besteht, wenn die abermalige Tumorbildung sich zwar noch während der Therapie mit einem Aromataseinhibitor eingestellt hat, allerdings in deutlichem zeitlichen Abstand zur Beendigung der Behandlung mit Tamoxifen; auch hier kann sich der Ursachenzusammenhang ohne weiteres so verhalten, dass die Wiedererkrankung der Behandlungsumstellung auf den – im Gegensatz zum Tamoxifen – nicht wirksamen Aromataseinhibitor zuzuschreiben ist. Ob eine bestimmte Krebstherapie (nämlich die Behandlung sowohl mit Tamoxifen als auch die daran anschließende bzw. vorausgehende Behandlung mit einem Aromataseinhibitor) versagt hat, lässt sich demgegenüber eindeutig und abschließend beurteilen, wenn die Behandlung palliativ an einem über die Therapiedauer hinweg manifesten Tumor erfolgt. Hier legen die Therapieresultate, die sich unter der Behandlung mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor verifizierbar eingestellt haben, zweifelsfrei Zeugnis darüber ab, ob das Tumorwachstum gegenüber dem Zustand vor dem jeweiligen Behandlungsbeginn fortgeschritten ist oder nicht. Schon diese Überlegung spricht dafür, im Rahmen des Verfügungspatents allein palliative Behandlungsergebnisse zu berücksichtigen.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(2)</span></p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Eine Bestätigung dieser Sicht findet sich an diversen Stellen der Patentbeschreibung. Zu verweisen ist zunächst auf Absatz [0018], der für den Fachmann legaliter definiert, wie die vom Verfügungspatent im Zusammenhang mit den Vorbehandlungen gebrauchten Begriffe „fehlgeschlagen“ und „versagt“ zu interpretieren sind. A.a.O. heißt es:</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks"><em>Der Begriff „fehlgeschlagen“ bzw. „versagt“ wird hier in dem Sinne verwendet, dass das</em> <strong><em>Wachstum des Brustkrebses</em></strong> <em>durch die Behandlung mit einem Aromataseinhibitor oder Tamoxifen, oder aber auch beiden,</em> <strong><em>nicht länger eingedämmt wird</em></strong><em>.“</em> (Anm.: Hervorhebung ist hinzugefügt)</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Da nur Tumorzellen „<em>wachsen</em>“ können und da nur das Wachstum von Tumorzellen „<em>eingedämmt werden kann</em>“, versteht der Fachmann, dass mit dem Wort „<em>Brustkrebs</em>“ („breast cancer“) der Sache nach das (unter der Behandlung mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor in seinem Wachstum nicht beherrschbare) Mammakarzinom gemeint ist, so, wie dies auch der deutschen Übersetzung der Patentbeschreibung entspricht. Technisch sinnvoll verstanden, besagt deshalb auch die eigene Begriffsdefinition des Verfügungspatents, dass ein Fehlschlag der Vorbehandlungen an einem manifesten Tumor festzustellen ist, der palliativ mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor therapiert worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(3)</span></p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Damit stimmen auch alle weiteren Vorteilsangaben der Patentschrift (Anm.: Hervorhegungen sind zur Verdeutlichung hinzugefügt) überein. So hebt Absatz [0009] hervor, dass Fulvestrant sich in einer Phase-II-Studie an Frauen, <span style="text-decoration:underline">deren Brustkrebs nach Tamoxifen-Therapie progredierte</span>, bereits als wirksam erwiesen habe, und unterstreicht Absatz [0011], dass Fulvestrant eine <span style="text-decoration:underline">deutliche Hemmwirkung auf das Wachstum von MCF-7-Brustkrebszellen</span> beim Menschen zeigt und eine gegenüber Tamoxifen signifikant höhere <span style="text-decoration:underline">Reduzierung der MCF-7-Zellzahlen</span> erbracht hat. Absatz [0012] nimmt Bezug auf Studien, die belegen, dass nach einer Langzeitbehandlung mit Tamoxifen <span style="text-decoration:underline">weiterwachsende</span> Tamoxifen-resistente <span style="text-decoration:underline">MCF-7-Tumoren</span> gegenüber Fulvestrantbehandlung empfindlich bleiben und Fulvestrant das <span style="text-decoration:underline">Wachstum etablierter MCF-7-Tumoren</span> doppelt so lange unterdrückte wie die Behandlung mit Tamoxifen. Als überraschend beschreibt Absatz [0013] schließlich die Erkenntnis, dass der Brustkrebs <span style="text-decoration:underline">nach vorangegangener fehlgeschlagener Behandlung</span> <em>sowohl</em> mit einem Aromataseinhibitur <em>als auch</em> mit Tamoxifen gegenüber der <span style="text-decoration:underline">Weiterbehandlung</span> mit Fulvestrant empfindlich ist. Gerade der vorzitierten Beschreibungsstelle kommt besonderes Gewicht zu, weil die Patentbeschreibung hier mit dem Verweis auf eine für den Fachmann überraschende Erkenntnis den eigentlichen Erfindungsgedanken herausstellt, dass trotz der mit den kumulativ gescheiterten Vorbehandlungen verbundenen doppelten Resistenz gegenüber sowohl Tamoxifen als auch einem Aromataseinhibitor eine Wirksamkeit (Empfindlichkeit) des Krebses gegenüber Fulvestrant erhalten bleibt. Allen vorzitierten Bemerkungen liegt die gemeinsame Vorstellung von einer Wirksamkeit von Fulvestrant bei der palliativen Bekämpfung (Weiterbehandlung) eines manifesten Tumors zugrunde.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(4)</span></p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Sie deckt sich nicht zuletzt vollständig mit den Erläuterungen, die die Verfügungspatentschrift in ihrem Absatz [0007] zum vorbekannten Stand der Technik und zu dem – ausgehend hiervon – durch die Erfindung zu erbringenden Fortschritt gibt. Nach den besagten Ausführungen war es bekannt, postmenopausalen Frauen mit Brustkrebs, bei denen die <span style="text-decoration:underline">Krankheit nach der Behandlung mit Tamoxifen fortschritt</span>, einen Aromataseinhibitor wie Anastrozol oder Letrozol zu verabreichen, um einen Therapieerfolg zu erzielen. Die nachfolgende Zweittherapie mit Anastrozol oder Lestrozol im Anschluss an die unter der Behandlung mit Tamoxifen nicht eingedämmte Krebserkrankung repräsentiert deswegen eine palliative Behandlung an einem manifesten (fortschreitenden) Tumor. Wie eingangs erwähnt, widmet sich das Verfügungspatent bei dieser Ausgangslage der Aufgabe, einen Behandlungsansatz für denjenigen Fall bereitzustellen, dass auch die Zweitbehandlung mit einem Aromataseinhibitor (Anastrozol oder Lestrozol) scheitert. Bezug genommen ist insoweit auf die aus dem Stand der Technik geläufige Behandlungssituation eines trotz Tamoxifenbehandlung progredierenden Brustkrebstumors, der auch unter der Wirkung eines Aromataseinhibitors nicht einzudämmen ist. Auf ihn – den trotz zweier Vorbehandlungen manifesten Tumor – bezieht sich deshalb auch die Lösung des Verfügungspatents, bei Fehlschlagen der im Stand der Technik empfohlenen Zweitbehandlung mit einem Aromataseinhibitor als dritten Wirkstoff Fulvestrant zu verabreichen.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(5)</span></p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Der Beschwerdekammerentscheidung vom 14.02.2013 liegt kein anderes Verständnis der Erfindung zugrunde. Im Gegenteil wird auch dort der Beitrag des Verfügungspatents durchweg in der Empfehlung von Fulvestrant zur Drittlinienbehandlung von Brustkrebs gesehen (vgl. Rz. 2.4.4, 2.4.5 Mitte) und im Rahmen der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit mit der sich infolge <span style="text-decoration:underline">jeder</span> Tumorbehandlung stärker einstellenden Therapieresistenz argumentiert. In Rz. 2.4.6 heißt es in diesem Sinne – auszugsweise – wie folgt (Anm.: Hervorhebungen sind hinzugefügt):</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks"><em>„Bei der Beurteilung, ob die Verwendung von Fulvestrant als ein Drittlinien-Agens … naheliegt, sind die folgenden Faktoren zu berücksichtigen:</em></p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks"><em>(a)    Mit jeder neuen Resistenz wird der <span style="text-decoration:underline">Tumor „bösartiger“ und schwieriger zu behandeln</span>. Folglich ist es keineswegs selbstverständlich, dass ein Wirkstoff, der bei der Zweitlinienbehandlung wirksam ist, für eine <span style="text-decoration:underline">Drittlinienbehandlung</span> geeignet ist.</em></p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks"><em>(b)    Falls der <span style="text-decoration:underline">Tumor</span> - … - <span style="text-decoration:underline">gegen einen Aromataseinhibitor und</span> einen partiellen Östrogenagonisten wie <span style="text-decoration:underline">Tamoxifen resistent ist</span>, würde der Fachmann tendenziell ein <span style="text-decoration:underline">Drittlinien</span>-<span style="text-decoration:underline">Agens</span> wählen, dessen Wirkmechanismus von jenem eines partiellen Östrogenagonisten und eines Aromataseinhibitors verschieden ist. Ob dies den Fachmann veranlassen würde, eine Verbindung wie Fulvestrant in Betracht zu ziehen, ist jedoch fraglich angesichts der Tatsache, dass sich Fulvestrant … im Hinblick auf seinen Wirkmechanismus nicht grundlegend von Tamoxifen unterscheidet. … Daher wäre eine Verbindung wie Fulvestrant unter diesen Umständen nicht die erste Wahl für den Fachmann gewesen.“</em></p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(6)</span></p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Demgegenüber bietet die Verfügungspatentschrift keinen Anhaltspunkt dafür, dass eine bloß adjuvante Vorbehandlung relevant sein könnte. Zwar sieht der in den Absätzen [0028] ff. umrissene Prüfplan, der in der Patentschrift (Absatz [0028]) als bevorzugtes Ausführungsbeispiel der Erfindung ausgewiesen ist, eine Berücksichtigung auch solcher Patientinnen vor, die vor ihrer Behandlung mit Anastrozol oder Letrozol den Wirkstoff Tamoxifen erhalten haben (Absatz [0038]). Aus Absatz [0037] ergibt sich jedoch, dass es während der Anastrozol- oder Letrozol-Behandlung zu einer Krankheitsprogression gekommen sein muss, womit die Behandlung mit dem Aromataseinhibitor palliativ geschehen ist. Nichts anderes gilt für die vorgelagerte Tamoxifen-Therapie, die nach dem Beschreibungstext nicht „entweder“ als Zusatztherapie (adjuvant) „oder“ zur Behandlung einer fortgeschrittenen Krebserkrankung (palliativ) erfolgt sein kann, sondern „sowohl“ zusätzlich „als auch“ palliativ stattgefunden haben muss. Letztlich kann dies aber sogar auf sich beruhen, weil der Prüfplan ohnehin jenseits der geltenden Anspruchsfassung des Klagepatents liegt, weil ihm die – nicht patentgemäße – Situation eines lediglich einmaligen Fehlschlagens einer Vorbehandlung (sic.: mit einem Aromataseinhibitor) zugrunde liegt.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(7)</span></p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Gerade weil ein bloß einmaliges Fehlschlagen nicht ausreicht, ist der Patentanspruch im Zuge des Erteilungsverfahrens dahingehend beschränkt worden, dass ein Patentschutz nicht schon – wie ursprünglich angemeldet – für die Verwendung von Fulvestrant nach erfolgloser Krebsbehandlung mit einem Aromataseinhibitor (einfache Resistenz) gewährt wird, sondern erst dann eingreift, wenn sich darüber hinaus auch eine Vorbehandlung mit Tamoxifen – und somit eine doppelte Resistenz des zu behandelnden Krebses – als fehlgeschlagen herausgestellt hat. Zwar definiert Absatz [0018] den Begriff des „Fehlschlagens“ für die Zwecke der Erfindung legaliter dahin, „<em>dass das Wachstum des Mammakarzinoms (breast cancer) durch die Behandlung mit einem Aromataseinhibitor oder Tamoxifen, oder auch beidem, nicht länger eingedämmt wird</em>, wobei aus dem Wort „oder“ auf erste Sicht der Schluss gezogen werden könnte, im Zusammenhang mit der Erfindung reiche die Feststellung eines konkreten Fehlschlagens nur im Hinblick auf einen Wirkstoff, d.h. entweder des Aromataseinhibitors oder von Tamoxifen. Ein derartiges Verständnis stünde jedoch in eklatantem Gegensatz zu dem gesamten restlichen Inhalt der Patentschrift, wie er vorstehend erläutert worden ist, und kann deswegen keine sinnvolle Interpretation für den Durchschnittsfachmann sein. Vielmehr wird er die besagte Beschreibungsstelle als Erläuterung verstehen, die dem ursprünglichen, deutlich weitergehenden Anmeldungsinhalt geschuldet ist und die – genauso wie der klinische Prüfplan gemäß Beispiel 1 – außerhalb des geltenden Erfindungsgedankens liegt und deshalb im Zuge des Erteilungsverfahrens richtigerweise zum Teil (nämlich im Hinblick auf ein Fehlschlagen nur einer Vorbehandlung) hätte gestrichen werden müssen.</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">2.</span></p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Ausgehend von dem dargelegten Verständnis des Verfügungspatents und seiner technischen Lehre scheidet eine Patentverletzung im Streitfall aus.</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">a)</span></p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Wie die Klägerin einräumt, ist das streitbefangene Präparat von der Verfügungsbeklagten nicht sinnfällig für die patentgemäße Verwendung hergerichtet. Soweit in der Gebrauchsinformation – die wie folgt lautet:</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks"><em>Fa… ist angezeigt zur Behandlung von Östrogenrezeptor-positivem, lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Mammakarzinom bei postmenopausalen Frauen:</em></p>
<span class="absatzRechts">58</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">                     <em>die keine vorhergehende endokrine Therapie erhalten haben, oder</em></p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">                     <em>mit Rezidiv während oder nach adjuvanter Antiöstrogen-Therapie oder bei Progression der Erkrankung unter Antiöstrogen-Therapie. -</em></p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">überhaupt eine palliative Vorbehandlung angesprochen wird, bezieht sie sich auf eine Progression der Krebserkrankung unter der Behandlung mit einem Antiöstrogen. Die vom Verfügungspatent vorausgesetzte weitere fehlgeschlagene Vortherapie mit einem Aromataseinhibitor findet demgegenüber keinerlei Erwähnung. Gleiches gilt – worauf an dieser Stelle nur vorsorglich hinzuweisen ist – dann, wenn eine adjuvante Vortherapie mit in Betracht gezogen wird, denn auch der fehlgeschlagene adjuvante Einsatz eines Aromataseinhibitors findet in der Gebrauchsinformation keine Erwähnung.</p>
<span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">b)</span></p>
<span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Nach der Rechtsprechung des Senats (GRUR 2017, 1107 – Östrogenblocker) ist – da im Zentrum des durch ein Verwendungspatent vermittelten Schutzes die objektive Eignung des betreffenden Arzneimittels für die patentgemäße Verwendung steht (BGH, GRUR 2016, 921 – P…) –- eine Haftung des Präparatvertreibers allerdings in Ausnahmefällen auch ohne eigene sinnfällige Herrichtungsmaßnahmen denkbar.</p>
<span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">aa)</span></p>
<span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Mit Rücksicht auf den nicht allumfassenden, sondern eingeschränkten, nämlich zweckgebundenen Stoffschutz müssen lediglich Bedingungen erfüllt sein: Erstens muss das Produkt für den patentgemäßen Zweck tauglich sein und Zweitens muss sich der Vertreiber Umstände zunutze machen, die in ähnlicher Weise wie eine sinnfällige Herrichtung dafür sorgen, dass es mit dem Präparat zu dem zweckgebundenen therapeutischen Gebrauch kommt. Letzteres verlangt einen hinreichenden, nicht bloß vereinzelten Verwendungsumfang nach Maßgabe des Klagepatents sowie ein dahingehendes Wissen oder zumindest ein treuwidriges Verschließen des Lieferanten vor der diesbezüglichen Kenntnisnahme (Senat, GRUR 2017, 1107 – Östrogenblocker). Wenn dem Generikaunternehmen die ihm günstige Verschreibungspraxis geläufig ist oder jedenfalls hätte bekannt sein müssen und es diese Praxis durch Belieferung seiner Großhändler dennoch für sich ausnutzt, ist es angemessen, den Generikahersteller dafür in die patentrechtliche Pflicht zu nehmen.</p>
<span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(1)</span></p>
<span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">In welchem genauen Umfang die herrichtungsfreie Verwendung nach Maßgabe des Klagepatents stattfinden muss, um haftungsbegründend zu sein, hat der Senat bisher noch nicht entschieden. Maßgeblich sind folgende, an der Herrichtungssituation orientierte Überlegungen: Die sinnfällige Herrichtung muss den patentgemäßen Gebrauch nicht als alleinigen und ausschließlichen Verwendungszweck vorgeben; vielmehr kommt es nur darauf an, dass der erfindungsgemäße Gebrauch – ggf. neben anderen – überhaupt zu derjenigen Verwendung gehört, zu der die Herrichtung anleitet. Relevant ist daher sowohl die Konstellation, dass die Gebrauchsanleitung selbst mehrere Verwendungsmöglichkeiten erwähnt, zu denen der patentgeschützte Gebrauch zählt, als auch der Fall, dass sich die Gebrauchsanleitung nur zu der geschützten Verwendung verhält, jedoch offensichtlich ist, dass es daneben andere, konkurrierende Einsatzgebiete gibt. Weil dem so ist, kann auch in Fällen des herrichtungsfreien cross-label-use nicht nur ein solcher Gebrauch haftungsrelevant sein, der ausschließlich oder nahezu ausschließlich die patentgemäße Verwendung betrifft. Entscheidend ist vielmehr das sichere Wissen (dem das Verschließen vor der Erkenntnis gleich steht) darum, dass es mit dem vertriebenen Arzneimittel tatsächlich zu der patentgerechten Verordnung und Verwendung kommen wird. Denn derjenige, der in dem besagten Wissen agiert, muss sich hinsichtlich der Konsequenzen so behandeln lassen, als hätte er den für sich geschäftlich ausgenutzten herrichtungsfreien Zustand selbst durch eine entsprechende Herrichtungsmaßnahme herbeigeführt. Tatrichterlich muss also – erstens – festgestellt werden, dass es in hinreichendem Umfang zu einer patentgerechten Verwendung gekommen ist, und dass dem Generikaunternehmen dieser Sachverhalt – zweitens – schlechterdings nicht verborgen geblieben sein kann. Mit der Zahl der nachweisbar vorgefallenen patentgemäßen Verwendungsfälle steigt naturgemäß die Chance auf eine dahingehende tatrichterliche Feststellung, weswegen bloß vereinzelt gebliebene Gebrauchsfälle im Allgemeinen keine herrichtungsfreie Haftung begründen können. Ein weiteres Haftungsszenario kann sich aus besonderen, überragenden Vorteilen der patentgemäßen Verwendung gegenüber anderen Therapiezwecken ergeben, die geradezu dazu herausfordern, das Präparat patentgerecht – und nicht anders – einzusetzen.</p>
<span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(2)</span></p>
<span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Handelt es sich – wie hier – um ein verschreibungspflichtiges Medikament, dessen Einnahme nur nach Maßgabe der ärztlichen Verordnung zu Anwendungsgebieten und Dosierung zu erwarten steht, entscheidet diejenige Verschreibungspraxis, die nach dem Inhalt der dem Arzt für seine Verordnung zur Verfügung stehenden Mittel in Rechnung zu stellen ist. Zentrale Bedeutung hat insoweit die Fachinformation, die integraler Bestandteil der Arzneimittelgenehmigung ist und abschließend die Merkmale von dessen für den Vertrieb genehmigter Version definiert. Weil die genehmigte mit der auf den Markt gebrachten Version des Arzneimittels übereinstimmen <em>muss</em>, steht nach der Lebenserfahrung fest, dass der Arzt die einzelnen Medikamente nur nach Maßgabe ihrer jeweiligen konkreten Fachinformation verordnen wird, so dass ein Generikum, das – anders als das Präparat des Originators – z.B. aus patentrechtlichen Gründen eine bestimmte (patentgeschützte) Indikation/Dosierung nicht aufweist, einem Patienten dafür auch nicht verschrieben werden wird, weswegen das generische Medikament – in der weiterenFolge – auch nicht therapeutisch in diesem Sinne zum Einsatz kommen wird.</p>
<span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(3)</span></p>
<span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Für die Unterlassungshaftung macht es dennoch einen ganz wesentlichen Unterschied, ob das Arzneimittel sinnfällig hergerichtet wurde oder nicht: Beruht die Haftung des Generikaunternehmens (oder sonstigen Vertreibers) auf einer sinnfälligen Herrichtung des Präparates für die patentgeschützte Verwendung, so begründet nach allgemeinen Regeln jeder singuläre Verletzungsfall (= sinnfällige Herrichtung mit nachfolgendem Angebot/Vertrieb), auch der allererste und einzige, die Gefahr künftiger Wiederholung (des Vertriebs sinnfällig hergerichteter Präparate und im Anschluss daran deren herrichtungsgemäßer Verwendung), was ohne weiteres zur Unterlassungsverurteilung führt, sofern der Verletzer nicht vorgerichtlich eine ausreichend strafbewährte Unterwerfungserklärung abgibt. Völlig anders verhält es sich bei einem Vertreiber, der keine Herrichtungsmaßnahme unternommen hat und dessen Haftung allein auf einer tatsächlichen, der geschützten Verwendungsweise entsprechenden Verschreibungspraxis beruhen soll. Selbst wenn in der Vergangenheit ein hinreichender tatsächlicher Gebrauch praktiziert worden ist (was für die betreffende Zeit zur Schadenersatz- und Auskunftspflicht des Vertreibers führt), kommt eine Unterlassungsverurteilung nur in Betracht, wenn sich auch aktuell, d.h. für den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, noch eine haftungsrelevante Verschreibungsübung feststellen lässt. Ist dies nicht der Fall, weil das Präparat zwar in früheren Zeiten cross-label eingesetzt wurde, sich die Verschreibungspraxis zwischenzeitlich jedoch (z.B. wegen neuer Wirkstoffe, die das fragliche Arzneimittel als Therapeutikum zunehmend abgelöst haben) geändert hat, scheidet eine Verurteilung zur Unterlassung aus. Denn sie knüpft eben nicht – wie die Haftung wegen sinnfälliger Herrichtung – an ein bestimmtes Verhalten des Verletzers an, dessen kausalitätsbegründende Wiederholung nach der Lebenserfahrung zu erwarten ist, sondern sie fußt einzig und allein auf bestimmten äußeren Rahmenbedingungen (sic.: einer tatsächlichen Verschreibungshandhabung), die, wenn sie aufgrund des Wandels der Zeit nicht mehr gegeben sind, auch keine Grundlage mehr für eine Unterlassungspflicht des Vertreibers bilden können.</p>
<span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">bb)</span></p>
<span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Das Vorbringen der Klägerin ergibt nicht, dass das streitbefangene Präparat der Beklagten aufgrund einer tatsächlichen Verschreibungspraxis in einem ausreichenden Umfang in solchen Fällen zum Einsatz kommt oder gekommen ist, bei denen die Krebspatientin zuvor palliativ erfolglos sowohl mit Tamoxifen als auch mit einem Aromataseinhibitor behandelt worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(1)</span></p>
<span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Ausweislich der nachstehend eingeblendeten Sonderauswertung der i… AG</p>
<span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks"><img height="355" width="621" src="2_U_28_18_Urteil_20190109_0.jpeg" alt="Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik." /></p>
<span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">– deren Richtigkeit zugunsten der Verfügungsklägerin unterstellt werden kann und in Bezug auf die die Klägerin selbst darauf beharrt, dass ihre Ergebnisse repräsentativ sind – ist von folgenden Daten für die Verwendung von Fulvestrant nach palliativer Vorbehandlung mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor auszugehen:</p>
<span class="absatzRechts">78</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td><p><strong>Zeitraum der Behandlung mit Fulvestrant:</strong></p>
</td>
<td><p>2007 – 2009</p>
</td>
<td><p>2010 - 2012</p>
</td>
<td><p>2013 - 2014</p>
</td>
<td><p>2015 - 2016</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p><strong>… % der Brustkrebs-</strong></p>
<p><strong>patientinnen:</strong></p>
</td>
<td><p>6,9</p>
</td>
<td><p>3,1</p>
</td>
<td><p>2,2</p>
</td>
<td><p>0,0</p>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Maximal waren daher weniger als 7 % aller Krebspatientinnen, die mit Fulvestrant therapiert worden sind, zuvor palliativ erfolglos mit Tamoxifen sowie einem Aromataseinhibitor behandelt worden. Schon angesichts dieses deutlich einstelligen Zahlenwertes geschieht die zur Erfindungsbenutzung führende Verschreibungspraxis lediglich vereinzelt und keinesfalls in einem Umfang, dass er der Beklagten keinesfalls verborgen bleiben konnte. Auch die Klägerin, die sich zur Rechtfertigung ihrer Klageansprüche auf den palliativen und adjuvanten Gesamteinsatz von Fulvestrant stützt, der im Durchschnitt der Jahre bei 45,7 % gelegen hat, zeigt nicht konkret auf, dass und weshalb für die Beklagte ein (allein maßgeblicher) palliativer Benutzungsumfang, der sich mit weniger als 7 % in einer gänzlich anderen Größenordnung abspielt, unübersehbar gewesen sein soll. Schon deswegen scheiden sämtliche Klageansprüche aus. Mit Blick auf den in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruch kommt eine Haftung der Beklagten erst Recht nicht in Betracht, weil – bezogen auf den Tag der mündlichen Verhandlung (09.01.2019) – für die letzten vier Jahre kein einziger Fall einer patentgemäßen Fulvestrant-Verordnung nach erfolgloser palliativer Vorbehandlung mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor nachweisbar ist. Für den maßgeblichen aktuellen Zeitpunkt lässt sich daher eine zur patentgeschützten Verwendung führende Verordnungspraxis schlechterdings nicht feststellen. Seit Einleitung des Klageverfahrens mag die Beklagte zwar aufgrund der ihr präsentierten Sonderauswertung in Kenntnis über die dem Patent entsprechende Verschreibungspraxis gewesen sein, was von diesem Zeitpunkt an den Vorwurf tragen könnte, die Beklagte habe sich durch ihre unveränderte Belieferung von Abnehmern den praktizierten cross-label-use bewusst und mithin haftungsbegründend zunutze gemacht; allerdings belegen die Daten der Klägerin, die schon für die lange vor Rechtshängigkeit liegenden Jahre 2015 und 2016 einen Nullwert ausweisen, nicht, dass es mit solchen, von der Beklagten in Kenntnis des Sachverhaltes unternommenen Lieferungen zumindest ein Mal zu einer patentgerechten Verschreibung und Verwendung gekommen ist.</p>
<span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">(2)</span></p>
<span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Aus der eidesstattlichen Versicherung des Privatgutachters der Klägerin Prof. Dr. Jackisch vom 14.02.2017 (Anlage HE 9) ergeben sich keine im Vergleich zu den Daten aus der Sonderauswertung zugunsten der Klägerin anderen Erkenntnisse. Soweit in der Versicherung – ohnehin auf bloß subjektiven Schätzungen des Verfassers beruhende – Zahlen einer Fulvestrant-Therapie genannt werden, handelt es sich ausnahmslos um solche Patientinnen, die zuvor <em>adjuvant</em> mit Tamoxifen und einem Aromataseinhibitor versorgt worden sind, ohne dass insoweit irgendeine nähere Aufschlüsselung stattfindet. Dazu, in wie vielen Fällen Fulvestrant nach einer fehlgeschlagenen palliativen Vorbehandlung mit den besagten Wirkstoffen verabreicht worden ist, verhält sich Prof. Dr. J… nicht.</p>
<span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">cc)</span></p>
<span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Das Ergebnis mangelnder Patentverletzung wäre im Übrigen kein anderes, wenn solche adjuvanten Vorbehandlungen berücksichtigt würden, von denen feststeht, dass sie sich als bei der Behandlung der Brustkrebserkrankung, an der die zu versorgende Patientin leidet, unwirksam erwiesen haben. Denn die von der Klägerin präsentierten Daten lassen diesbezügliche spezifizierte Feststellungen nicht zu.</p>
<span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Zwar sieht die Sonderauswertung eine gesonderte Fallgruppe derjenigen Patientinnen vor, die mit <em>einem</em> Wirkstoff (Tamoxifen bzw. einem Aromataseinhibitor) adjuvant (d.h. postoperativ prophylaktisch) und mit dem jeweils <em>anderen</em> Wirkstoff (d.h. einem Aromataseinhibitor bzw. Tamoxifen) palliativ therapiert worden sind, woraus folgt, dass es vor der palliativen Behandlung zu einem abermaligen Krebstumor gekommen sein muss, weil es ansonsten keinen Grund für eine palliative Therapie geben würde. Die adjuvante Vorbehandlung könnte dann als „fehlgeschlagen“ betrachtet werden, wenn die erneute Tumorbildung unter der laufenden adjuvanten Vorbehandlung oder in engem zeitlichen Zusammenhang zu ihrer Beendigung stattgefunden hat. Denn dann stünde fest, dass die erste (adjuvante) Vorbehandlung gescheitert ist, weil unter ihr abermals ein Tumor aufgetreten ist. Ist die Gabe von Fulvestrant unmittelbar im Anschluss an die palliative Vorbehandlung erfolgt, so wäre ferner davon auszugehen, dass auch die zweite, palliative Therapie fehlgeschlagen ist, weil ihr Versagen der Grund für die Fulvestrant-Therapie gewesen ist.</p>
<span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Die Sonderauswertung lässt indessen nicht zweifelsfrei erkennen, ob die Verhältnisse tatsächlich so gewesen sind oder ob (und ggf. in welchem Umfang) der Tumor unter der palliativen Zweitbehandlung - was die Annahme eines Fehlschlages ausschließen würde - zunächst eingedämmt werden konnte und Fulvestrant (z.B. aus Gründen einer ggf. zwischenzeitlichen Unverträglichkeit oder Kontraindikation) erst geraume Zeit später verabreicht wurde, weil es im Abstand zu der erfolgreichen Palliativbehandlung während und als Folge des therapiefreien Intervalls zur abermaligen Ausbildung eines Tumors gekommen ist. Die Erörterungen im Verhandlungstermin vom 09.01.2019 haben diesbezüglich ebenfalls keine Klarheit erbracht.</p>
<span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen kommt speziell eine Unterlassungsverurteilung keinesfalls in Betracht, weil – unter Einschluss der zusätzlichen Fallgruppe („eines adjuvant, eines palliativ“) - ausweislich der Sonderauswertung für die Zeit von 2015 bis 2016 von einem patentgemäßen Verwendungsumfang von insgesamt lediglich 1,9 % auszugehen ist. Dieser Wert ist schon für sich betrachtet für eine Haftung der Beklagten gänzlich unzureichend; erst Recht gilt dies, wenn berücksichtigt wird, dass für den vorangehenden Zeitraum von 2013 bis 2014 noch deutlich höhere Werte ausgewiesen sind („eines adjuvant, eines palliativ“: 15,7 %; „beides palliativ“: 2,2 %) und zusätzlich in Rechnung gestellt wird, dass sich die ohnehin schon marginalen Werte für 2015 bis 2016 auf eine signifikant geringere Patientenzahl (von 52) stützen als sie den Zahlen der Vorjahre (174, 129, 89) zugrunde liegen. Der skizzierte Verlauf lässt für die Jahre 2017 und 2018 nur eine einzige Prognose zu, nämlich die eines von 1,9 % weiter signifikant abfallenden patentgemäßen Verwendungsumfangs, womit angesichts der aktuellen Bedeutungslosigkeit des palliativen sowie des teils adjuvanten und teils palliativen Gebrauchs von Fulvestrant ein Unterlassungsanspruch auszuscheiden hat.</p>
<span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">III.</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.</p>
|
171,294 | ovgnrw-2019-01-09-7-a-272117 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 7 A 2721/17 | 2019-01-09T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:44 | 2019-02-12T13:44:35 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0109.7A2721.17.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.</p>
<p>Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 10.000,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Das Zulassungsvorbringen führt nicht zu den geltend gemachten ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die angegriffene Baugenehmigung vom 28.4.2016 verstoße nicht gegen nachbarschützende Vorschriften, insbesondere nicht gegen Abstandsrecht oder gegen das planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme. Diese tragende Begründung wird durch das Vorbringen der Klägerin nicht erschüttert.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin rügt ohne Erfolg, das ursprüngliche Flachdach habe nicht nur eine andere Nutzung erfahren (früher Gewerbe, jetzt Wohnen), es liege auch eine grenzständige Außenwand der Dachterrasse vor und es werde in voller Geschosshöhe Wohnraum geschaffen; dies löse Abstandflächen aus. Damit verkennt die Klägerin die tragende Erwägung der erstinstanzlichen Entscheidung, in der ausgeführt wird, wegen der gegebenen Bauweise müsse nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW (in der bis zum 31.12.2018 gültigen Fassung) ein Abstand nicht eingehalten werden (vgl. Seite 6 unten/7 oben des Urteilsabdrucks). Darauf hat die Beigeladene in ihrer Erwiderungsschrift vom 12.1.2018 zutreffend hingewiesen (vgl. Seite 2 f.).</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Soweit die Klägerin einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot in der fehlenden wechselseitigen Verträglichkeit ihres Hauses und des Hauses der Beigeladenen nach dem Umbau begründet sieht, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Ohne Erfolg rügt sie in diesem Zusammenhang eine Intensivierung der Nutzung insbesondere an Wochenenden. Hierzu kann auf die Erwägungen der Beigeladenen in ihrer Erwiderungsschrift vom 12.1.2018 (Seite 4) verwiesen werden.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Von dem Vorhaben geht entgegen der Meinung der Klägerin auch keine unzumutbare Wirkung durch die Bausubstanz der Grenzbebauung auf dem Flachdach mit einer 3 m hohen und ca. 2 m breiten Gebäudeaußenwand aus. Soweit die Klägerin wegen der Erweiterung des Gebäudes der Beigeladenen eine Beeinträchtigung der Wohn- und Belichtungssituation insbesondere durch Verschattung geltend macht, hat schon das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass zwar Besonnung, Belüftung und Belichtung  durch das Vorhaben nachteilig verändert würden, dennoch aber von keiner unzumutbaren Situation auszugehen sei (vgl. Seite 10 f. des Urteilsabdrucks). Eine solche unzumutbare Situation vermag auch der Senat nicht zu erkennen. In einem bebauten innerstädtischen Wohngebiet müssen Nachbarn grundsätzlich hinnehmen, dass Grundstücke innerhalb des durch das Bauplanungs- und das Bauordnungsrecht vorgegebenen Rahmens baulich ausgenutzt werden und dass es dadurch zu einer gewissen Verschattung des eigenen Grundstücks bzw. von Wohnräumen kommt.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 14.6.2016 - 7 A 1251/15 -, juris.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Danach führt das Vorbringen der Klägerin auch nicht zu den behaupteten besonderen Schwierigkeiten der Rechtssache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Schließlich ist auch die behauptete rechtsgrundsätzliche Bedeutung (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht aufgezeigt.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung wird nicht benannt. Soweit die Klägerin geltend macht, die Einhaltung nachbarschützender Baurechtsvorschriften durch die Erlaubnisbehörde sowie die Korrektur verletzender Verstöße aufgrund fehlerhafter Genehmigungen durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit sei vom Einzelfall ausgehend für die Baurechtsordnung einerseits und für den Drittschutz andererseits vom grundlegendem Wert, ist diesen allgemeinen Formulierungen eine entscheidungs-erhebliche Frage von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung nicht zu entnehmen. Das gleiche gilt für die Erwägung der Klägerin, der Schutz vor der Verletzung von Nachbarrechten habe grundsätzliche Bedeutung für den zu entscheidenden Fall und für die örtliche Baurechtsordnung in einer dicht bebauten Stadt wie Köln.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten erstattet bekommt, denn sie hat einen eigenen Antrag gestellt und sich mithin selbst einem Prozessrisiko ausgesetzt (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar.</p>
|
171,293 | ovgnrw-2019-01-09-4-e-79618 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 4 E 796/18 | 2019-01-09T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:43 | 2019-02-12T13:44:35 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0109.4E796.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde der Klägerin gegen die Streitwertfestsetzung in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 25.7.2018 wird verworfen.</p>
<p>Das Verfahren über die Beschwerde ist gerichtsge-bührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde, über die gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 6 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) der Berichterstatter als Einzelrichter entscheidet, ist unzulässig.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der nach § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG maßgebliche Beschwerdewert von 200,00 Euro wird nicht erreicht. Der angegriffene Streitwert in Höhe von 100,00 Euro liegt in der geringstmöglichen Wertstufe, so dass die Klägerin durch einen noch geringeren Streitwert nicht weniger belastet wäre. Selbst wenn man den zutreffenden Streitwert von 600,00 Euro zugrundelegt, den der Senat mit Beschluss vom heutigen Tage ‒ 4 A 3346/18 ‒ festgesetzt hat, läge ihre Beschwer durch die erfolgte Festsetzung im Vergleich zur jedenfalls anfallenden Mindestgebühr bei nur 54,00 Euro und damit deutlich unter dem Beschwerdewert von 200,00 Euro. Nach dem Streitwert von 600,00 Euro angefallene Gerichtsgebühren belaufen sich unter Ansatz einer dreifachen Verfahrensgebühr auf 159,00 Euro, während sie nach einem Streitwert der geringsten Wertstufe 105,00 Euro betragen würden (vgl. Nr. 5110 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG, Anlage 2 zu § 34 GKG).</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Nebenentscheidungen folgen aus § 68 Abs. 3 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30.11.2015 ‒ 4 E 913/15 ‒, juris, Rn. 2 ff.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.</p>
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171,292 | ovgnrw-2019-01-09-4-a-334618 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 4 A 3346/18 | 2019-01-09T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:43 | 2019-02-12T13:44:35 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0109.4A3346.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 25.7.2018 wird verworfen.</p>
<p>Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p>
<p>Der Streitwert wird unter Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung für beide Instanzen auf jeweils 600,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Das als allein statthafter Antrag auf Zulassung der Berufung verstandene Rechtsmittel ist unzulässig.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin ist entgegen § 67 Abs. 4 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten. Das Vertretungserfordernis gilt bereits für die Prozesshandlung, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 2 VwGO).</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Auf das Vertretungserfordernis ist die Klägerin in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils und nochmals mit der Eingangsverfügung vom 3.9.2018 hingewiesen worden.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 39 Abs. 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 3, 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG. Der Senat geht davon aus, dass die Bedeutung einer Klage gegen die auferlegte Duldung einer Feuerstättenschau für den Betroffenen in gleicher Höhe wie diejenige gegen einen Feuerstättenbescheid zu bemessen ist.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 22.10.2018 ‒ 4 E 548/17 ‒, juris, Rn. 5 f., m. w. N., und vom 11.12.2018 – 4 B 1638/18 –, juris, Rn. 3 f.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Letztere ist nach § 14b SchfHwG seit dem 22.7.2017 mit einem Streitwert von 500,00 Euro gesetzlich festgelegt, was der Senat wegen des übergangsregelungsfreien Inkrafttretens dieser Vorschrift nunmehr für maßgeblich hält.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 22.10.2018 ‒ 4 E 548/17 ‒, juris, Rn. 7, und vom 27.12.2018 ‒ 4 A 4278/18 ‒, juris, Rn. 7 ff.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Streitwerterhöhend kommt hinzu, dass die Klage auch gegen die in dem Bescheid vom 1.12.2016 auf 100,00 Euro festgesetzte Verwaltungsgebühr gerichtet ist, die in voller Höhe zu berücksichtigen ist.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO und § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.</p>
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171,291 | ovgnrw-2019-01-09-19-a-309217 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 19 A 3092/17 | 2019-01-09T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:43 | 2019-02-12T13:44:35 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0109.19A3092.17.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p>
<p>Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Senat entscheidet über die Berufungszulassung durch den Vorsitzenden als Berichterstatter, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§§ 87a Abs. 2 und 3, 125 Abs. 1 VwGO).</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der Berufungszulassungsantrag ist unbegründet. Nach § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO ist die Berufung zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO dargelegt ist und vorliegt. Der Kläger stützt seinen Antrag auf die Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nrn. 1 und 5 VwGO. Keiner dieser Gründe liegt vor. Die Berufung ist weder nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (I.) noch nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO wegen des gerügten Verfahrensmangels (II.) zuzulassen.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">I. Aus der Zulassungsbegründung des inzwischen 13-jährigen Klägers ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass seine Mutter über die ihm vorgeworfenen schulischen Pflichtverletzungen informiert worden sei und zugleich die Möglichkeit der Stellungnahme erhalten habe (S. 7 des Urteilsabdrucks). Gegen diese Feststellung wendet der Kläger ohne Erfolg ein, seine Mutter sei lediglich in einem Telefonanruf darüber informiert worden, dass man ihm beleidigende Äußerungen über Whatsapp vorwerfe, eine eigene Stellungnahme habe sie jedoch nicht abgeben können, und seine Eltern hätten auch weder tatsächliche noch rechtliche Informationen über Einzelheiten des zugrunde liegenden Sachverhalts, die Verfahrensabläufe und die rechtlichen Konsequenzen einer möglichen schulischen Entscheidung erhalten.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Entgegen dieser Darstellung hatten die Eltern des Klägers sehr wohl „Gelegenheit zur Stellungnahme“ im Sinn des § 53 Abs. 6 Satz 3 SchulG NRW, und sie haben diese Gelegenheit auch wahrgenommen. Die Klassenlehrerin G.      hat die Mutter am Dienstag, dem 26. Januar 2016, telefonisch über das ihrem Sohn vorgeworfene Fehlverhalten informiert und sie auf eine mögliche Ordnungsmaßnahme hingewiesen. Das ergibt sich aus dem Protokoll der Klassenlehrerin vom 4. Februar 2016 (Blatt 22 des Verwaltungsvorgangs). Diese telefonische Information war auch hinreichend konkret, insbesondere enthielt sie den konkreten Hinweis auf die ihrem Sohn vorgeworfenen Beleidigungen gegenüber einer Mitschülerin am Freitag, dem 22. Januar 2016, zwischen 17 und 18 Uhr, in den Sprachnachrichten der gemeinsamen Whatsapp-Chatgruppe „Klassen 5 am DBG“ der 5. Klassen des E.        -Gymnasiums. Denn die Mutter hat der Klassenlehrerin am 27. Januar 2016 (Mittwoch) ebenfalls telefonisch mitgeteilt, dass noch ein weiterer Junge beteiligt gewesen sei, und sie hat ihr aus dem Mobiltelefon des Klägers sowohl den Whatsapp-Verlauf dieser Chatgruppe zur genannten Zeit als auch die einzelnen Whatsapp-Sprachnachrichten weiter geleitet, welche unter anderem die von ihrem Sohn gesprochene Beleidigung einer Mitschülerin als „Mobbing-Fotze“ enthielten. Aus dieser Reaktion der Mutter lässt sich rückschließen, dass für sie aus dem Anruf der Klassenlehrerin hinreichend klar ablesbar war, welche Äußerung die Schule ihrem Sohn als Beleidigung und Pflichtverletzung im Sinn des § 53 Abs. 1 Satz 2 SchulG NRW vorwarf. Hiernach hatten die Eltern zwischen dem genannten Telefonanruf am 26. Januar 2016 und dem postalischen Zugang des schriftlichen Bescheides des Schulleiters vom 27. Januar 2016 ausreichend Gelegenheit, den Vorfall mit ihrem Sohn zu besprechen und hierzu eine Stellungnahme gegenüber dem Schulleiter abzugeben.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Abgesehen davon durfte der Schulleiter einen dringenden Fall im Sinn des § 53 Abs. 6 Satz 4 Halbsatz 1 SchulG NRW annehmen, der auch ein Nachholen der Anhörung nach Halbsatz 2 in der Zeit nach dem postalischen Zugang seines schriftlichen Bescheides vom 27. Januar 2016 gerechtfertigt hätte. Denn die am vorhergehenden Freitag ins Netz gestellten Whatsapp-Beleidigungen des Klägers und seiner Klassenkameraden hatten nach den Angaben des Schulleiters viele der insgesamt etwa 80 im Chat angemeldeten Schüler und deren Eltern schon während des Wochenendes gelesen und ihre Lehrer sofort am Montagmorgen noch vor Unterrichtsbeginn darüber informiert. Auch in der Klasse des Klägers war der Vorfall danach bereits Thema, bevor seine Klassenlehrerin G.      davon erfuhr. Diese Gesamtumstände rechtfertigen die Annahme eines dringenden Falles im Sinn des § 53 Abs. 6 Satz 4 Halbsatz 1 SchulG NRW. Auch nach dem postalischen Zugang des schriftlichen Bescheides des Schulleiters vom 27. Januar 2016 hatten die Eltern des Klägers ausreichende Gelegenheit zur Stellungnahme im Sinn des § 53 Abs. 6 Satz 3 SchulG NRW und haben diese ebenfalls wahrgenommen (Schreiben des Vaters des Klägers vom 1. Februar 2016).</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Zu Unrecht wirft der Kläger dem Verwaltungsgericht weiter vor, es habe ungeprüft gelassen, ob die ihm angelastete Beleidigung der Schülerin K.      L.        tatsächlich von ihm oder aber vielmehr von seinem Mitschüler O.       N.      stammte, dessen Äußerungen sich auf die Schülerin K.      bezogen hätten, während er, der Kläger, sich mit seinem Ausspruch auf eine Schülerin mit dem Vornamen K1.       bezogen habe, die eine andere Schülerin als K.      L.        sei (Nr. 1.b. und 2.a. der Antragsbegründung). Dieser Vorwurf geht an den maßgeblichen Erwägungen des angefochtenen Urteils vorbei. Das Verwaltungsgericht hat die Pflichtverletzungen des Klägers im Sinn des § 53 Abs. 1 Satz 2 SchulG NRW zutreffend unter anderem darin gesehen, dass er eine Mitschülerin mit der Bezeichnung als „Mobbing-Fotze“ schwer beleidigt und in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt hat (S. 7 des Urteilsabdrucks).</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Es bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass diese Pflichtverletzung dem Kläger im Sinn des § 53 Abs. 1 Satz 5 SchulG NRW zuzurechnen ist, zumal er auch zugegeben hat, die fragliche Beleidigung als Whatsapp-Sprachnachricht selbst gesprochen und in die genannte Chatgruppe gestellt zu haben. Die vom Kläger angesprochene Möglichkeit, „dass die Schülerin K1.       die Behauptungen des Klägers nicht wahrgenommen bzw. diese als unbedeutend eingestuft hat“, erscheint angesichts des Mediums, in dem die Beleidigung verbreitet wurde, lebensfremd und vermag schon deshalb kein Aufklärungsdefizit zu begründen. Davon abgesehen bliebe die schulöffentliche Herabwürdigung einer Mitschülerin auch dann ein schwerwiegendes Fehlverhalten, wenn unterstellt würde, dass sie von der betroffenen Schülerin nicht zur Kenntnis genommen worden wäre. Ebenso ist auch die weitere Pflichtverletzung dem Kläger im Sinn des § 53 Abs. 1 Satz 5 SchulG NRW zuzurechnen, die das Verwaltungsgericht zutreffend darin gesehen hat, dass er mit seinem Mobiltelefon O.       N.      und zwei weiteren Mitschülern ermöglicht hat, in seiner Anwesenheit weitere Beleidigungen mittels Whatsapp-Sprachnachrichten in die genannte Chatgruppe einzustellen.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vergeblich versucht der Kläger ferner, sein Fehlverhalten durch die Vermutung zu relativieren, „dass es zuvor einen Konflikt gegeben haben“ müsse, den O.       N.      mit K.      L.        um Schokoladenriegel gehabt habe und der das Verwaltungsgericht zur der Aufklärung habe veranlassen müssen, ob „der Kläger mit seinem Kommentar auf Whatsapp die Interessen anderer Mitschüler wahrnehmen wollte, indem er diese verteidigt und sich für diese einsetzt.“ Aus dieser Vermutung ergibt sich keinerlei konkreter Anhaltspunkt für die in der Antragsbegründung ebenfalls nur als bloße Spekulation in den Raum gestellte „andere rechtliche Bewertung insbesondere hinsichtlich der Frage der Verhältnismäßigkeit der getroffenen Ordnungsmaßnahme“. Abgesehen davon liegt hierin schon deshalb keine unzureichende Sachverhaltsaufklärung des Verwaltungsgerichts, weil der Kläger im Widerspruchs- und Klageverfahren jederzeit Gelegenheit hatte, den behaupteten Konflikt und seine erstmals in der Antragsbegründung vermutungsweise in den Raum gestellte angebliche Interessenwahrnehmung für O.       N.      mit konkreten Tatsachen zu untermauern. Von dieser Gelegenheit hat er bis heute keinen Gebrauch gemacht.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Bereits von der Sache her unzutreffend ist der weitere Vorwurf des Klägers, „dass das Urteil nicht erkennen lässt, welche Maßnahmen von Seiten der Schule im Vorhinein ergriffen wurden, um im Wege erzieherischer Einwirkungen den Schülern deutlich und bewusst zu machen, wie mit Nachrichten über moderne Kommunikationsmittel ‑ hier per Whatsapp ‑ umzugehen ist, und welche Gefahren damit für sie selbst und Dritte verbunden sind.“ Auf den hiermit der Sache nach gerügten Verstoß gegen den in § 53 Abs. 1 Satz 4 SchulG NRW normierten Vorrang erzieherischer Einwirkungen nach Abs. 2 vor den förmlichen Ordnungsmaßnahmen nach Abs. 3 ist das Verwaltungsgericht sehr wohl eingegangen. Auf S. 11 des Urteilsabdrucks hat es hierzu ausgeführt, die Maßnahme sei auch erforderlich, insbesondere seien nach der nicht zu beanstandenden Einschätzung des Beklagten vorliegend erzieherische Einwirkungen im Sinn des § 53 Abs. 2 Satz 1 SchulG NRW allein nicht ausreichend.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Diese Würdigung des Verwaltungsgerichts ist auch zutreffend. Der Vorranggrundsatz nach § 53 Abs. 1 Satz 4 SchulG NRW zwingt die Schule nach dessen Wortlaut nur dann zur vorrangigen Anwendung von Erziehungsmaßnahmen nach Abs. 2, wenn diese „ausreichen“, um angemessen auf das Fehlverhalten des Schülers zu reagieren. Ist dieses Fehlverhalten aber nach der fehlerfreien pädagogischen Bewertung der Schule von einem solchen Gewicht, dass Erziehungsmaßnahmen nach Abs. 2 nicht ausreichen, darf sie die Stufe dieser Maßnahmen überspringen und sofort eine förmliche Ordnungsmaßnahme nach Abs. 3 aussprechen, ohne zuvor mit Erziehungsmaßnahmen nach Abs. 2 auf sein Fehlverhalten reagiert zu haben.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Zum Überspringen leichter Ordnungsmaßnahmen bei Erlass einer schweren Ordnungsmaßnahme vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 23. Februar 2007 ‑ 19 B 306/07 -, juris, Rn. 5 ff., und vom 6. Juni 2006 ‑ 19 B 742/06 ‑, NWVBl. 2006, 429, juris, Rn. 8 (China-Böller).</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Hier haben der Schulleiter und das Verwaltungsgericht das Fehlverhalten des Klägers zutreffend als hinreichend schwer einstuft, um sogleich die mildeste Ordnungsmaßnahme des schriftlichen Verweises nach § 53 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SchulG NRW auszusprechen.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Mit seinen weiteren verharmlosenden Ausführungen zu dem ihm als damals 10-Jährigem angeblich fehlenden Wissen um die ehrkränkende Breitenwirkung einer derartigen Nutzung von Whatsapp weckt der Kläger keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit auch dieser Würdigung des Verwaltungsgerichts (Nr. 1.d. und 2.b. der Antragsbegründung). Seine Behauptung, „für ihn stellte sich die Situation nicht anders dar, als hätte er im Konflikt dem Mädchen K1.       unmittelbar gegenübergestanden“, ist lebensfremd und steht im Widerspruch zur Mitteilung des Schulleiters in der Klageerwiderung, der Kläger habe den Sachverhalt anlässlich seiner Anhörung am 26. Januar 2016 im vollem Umfang zugegeben. Die wiederholten Vorwürfe des Klägers an den Schulleiter, er habe ihn dabei „eingeschüchtert“ und außerdem bei der Wissensvermittlung an der Schule über den Umgang mit modernen Kommunikationsmitteln „versagt“, entbehren ebenfalls jeder konkreten Tatsachengrundlage. Auffällig ist in diesem Zusammenhang zudem, dass der Kläger sich angeblich „bereits im Vorfeld aus eigenem Antrieb bei der betreffenden Person schriftlich und mündlich entschuldigt“ haben will (Schreiben seines Vaters vom 1. Februar 2016), dieses Entschuldigungsschreiben jedoch nicht vorgelegt hat. Abgesehen davon ist die Würdigung des Schulleiters und des Verwaltungsgerichts nicht zu beanstanden, dass das Eingeständnis des Klägers und seine Entschuldigung die Wahl des schriftlichen Verweises als der mildesten der in § 53 Abs. 3 Satz 1 SchulG NRW aufgezählten Ordnungsmaßnahmen als angemessen im Sinn des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erscheinen lassen, der als verfassungsrechtlicher Grundsatz in § 53 Abs. 1 Satz 3 SchulG NRW einfachgesetzlich konkretisiert ist.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">II. Die Berufung ist auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO wegen der gerügten Aufklärungsmängel zuzulassen. Das Verwaltungsgericht hat seine Pflicht aus § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung nicht dadurch verletzt, dass es weder den Kläger zu seinen Kenntnissen über Whatsapp noch seine Mutter zu ihrer Anhörung durch die Klassenlehrerin persönlich angehört hat. Eine solche Sachverhaltsaufklärung drängte sich aus den bereits erörterten Gründen nicht auf. Der Kläger, der in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung anwaltlich und durch seine Eltern vertreten war, hat vor dem Verwaltungsgericht auch keine dahin gehende Beweiserhebung beantragt.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 47, 52 Abs. 2 GKG. Die Bedeutung der Schulordnungsmaßnahme für den Kläger, auf die es nach diesen Vorschriften für die Streitwertfestsetzung ankommt, bemisst der Senat in ständiger Praxis in Anlehnung an Nr. 38.3 des Streitwertkatalogs 2013 (NWVBl. 2014, Heft 1, Sonderbeilage, S. 11) mit dem Auffangwert nach § 52 Abs. 2 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Beschluss vom 21. September 2018 ‑ 19 A 2613/17 ‑, juris, Rn. 5 und 20.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).</p>
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171,290 | ovgnrw-2019-01-09-14-a-462018a | {
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} | 14 A 4620/18.A | 2019-01-09T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:43 | 2019-02-12T13:44:34 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0109.14A4620.18A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both">
<h1><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></h1>
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Der von ihm geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine im Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. März 2013 - 6 A 2497/11 - , juris, Rn. 3.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die vom Kläger aufgeworfene Frage:</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Müssen zurückkehrende syrische Flüchtlinge im Allgemeinen und Wehrdienstverweigerer im Besonderen damit rechnen, im Falle ihrer Rückkehr nach Syrien im Rahmen der dortigen Routineeinreisekontrollen festgenommen zu werden, weil ihnen die illegale Ausreise und der Auslandsaufenthalt bzw. die Verweigerung des Militärdienstes als regimefeindliche Gesinnung ausgelegt wird?</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">ist nicht klärungsbedürftig, da sie geklärt ist. Der Senat hat die Frage mit Urteilen vom 21. Februar 2017 - 14 A 2316/16.A -, vom 4. Mai 2017 ‑ 14 A 2023/16.A ‑, vom 7. Februar 2018 ‑ 14 A 2390/16.A ‑ und vom 3. September 2018 - 14 A 837/18.A -, alle NRWE und juris, im verneinenden Sinne beantwortet.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Das Antragsvorbringen gibt keine Veranlassung, die genannte Frage als klärungsbedürftig geblieben oder wieder geworden erscheinen zu lassen, da insoweit keine relevanten neuen Gesichtspunkte vorgebracht werden. Das gilt auch, soweit auf eine Auskunft von Amnesty international vom 20. September 2018 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof und einen Bericht von ACCORD vom 24. August 2018 Bezug genommen wird. Beide Erkenntnisse sind dem Antrag nicht beigefügt worden. Unabhängig davon gibt die dem Senat bekannte Auskunft von Amnesty international vom 20. September 2018 keinen Anlass, eine erneute Prüfung der Frage zu eröffnen. Die Stellungnahme wiederholt die bekannte, vom Senat nicht geteilte Einschätzung dieser Organisation, ohne dass hinreichende tatsächliche Erkenntnisse vorlägen, die die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung aller rückkehrenden Asylbewerber wegen ihres Asylantrags oder einer Wehrdienstentziehung durch Flucht begründen könnten. Die Erkenntnisse belegen, soweit überhaupt hinreichende Tatsachen in den Einzelfällen mitgeteilt werden, lediglich die politische Verfolgung Oppositioneller, geben aber für die hier in Rede stehende Frage nichts her.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</p>
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} | VGH B 25/18, VGH A 26/18 | 2019-01-09T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:09 | 2019-02-12T13:44:23 | Beschluss | ECLI:DE:VERFGRP:2019:0109.1B25.18.00 | <div class="docLayoutText">
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<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.</p></dd>
</dl>
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<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>I.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz, mit dem ihre Anträge auf Zulassung der Berufung gegen ein verwaltungsgerichtliches Urteil und die Beiordnung eines Notanwalts zur Durchführung des Zulassungsverfahrens abgelehnt wurden. Im erstinstanzlichen Verfahren hatte sie sich erfolglos gegen die Heranziehung zu Rundfunkbeiträgen gewandt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>1. a) Das Verwaltungsgericht wies die gegen die Heranziehung zu Rundfunkbeiträgen gerichtete Klage mit Urteil vom 26. April 2018 in vollem Umfang ab, da die angegriffenen Festsetzungsbescheide formell und materiell rechtmäßig seien und auch kein Härtefall, der zu einer Beitragsbefreiung führen könne, vorliege.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>b) Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts beantragte die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 22. Mai 2018 die Zulassung der Berufung sowie die Beiordnung eines Notanwalts, da sie keinen Anwalt finden könne, der zur Übernahme des Mandats bereit sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Mit Schriftsatz vom 3. August 2018 teilte die beklagte Rundfunkanstalt mit, dass das streitbefangene Beitragskonto der Beschwerdeführerin rückwirkend ab Januar 2013 abgemeldet worden sei und damit auch die angefochtenen Bescheide hinfällig seien. Hintergrund sei, dass der von der Beschwerdeführerin für das verwaltungsgerichtliche Verfahren Bevollmächtigte „im Rahmen der mündlichen Verhandlung“ vor dem Verwaltungsgericht am 26. April 2018 erklärt habe, dass er der Ehegatte der Beschwerdeführerin sei und sie in dem streitbefangenen Zeitraum auch einen gemeinsamen Wohnsitz gehabt hätten. Im Hinblick darauf gab der Beklagte eine Erledigungserklärung ab, verwahrte sich jedoch ausdrücklich gegen die Kosten, da die Klägerin den besagten Umstand nicht rechtzeitig mitgeteilt habe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Mit gerichtlichem Schreiben vom 7. August 2018 wurde die Beschwerdeführerin darauf hingewiesen, dass der gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung unzulässig sei, da er nicht durch einen Rechtsanwalt oder eine andere zur Vertretung berechtigte Person gestellt worden sei. Im Hinblick auf den Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts erfolgte der Hinweis, dass dies schon deswegen nicht mehr in Betracht komme, weil die beklagten Rundfunkbeitragsbescheide aufgehoben worden seien, weshalb für die weitere Rechtsverfolgung das Rechtsschutzinteresse fehle. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wäre daher auch bei Beiordnung eines Notanwalts unzulässig geblieben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Mit Schriftsatz vom 12. August 2018 teilte die Beschwerdeführerin mit, dass sie an ihren Anträgen uneingeschränkt festhalte. Insbesondere bestehe das Rechtsschutzbedürfnis für ihre Klage fort, da das Urteil des Verwaltungsgerichts Bindung entfalte. Die Aufhebung der Rundfunkbeitragsbescheide führe nicht zur Beendigung des Rechtsstreits. Eine Erledigungserklärung kündigte die Beschwerdeführerin nicht an. Im Übrigen machte die Beschwerdeführerin umfangreiche Ausführungen zu den von ihr geltend gemachten Gesetzesverstößen bei der Rundfunkbeitragserhebung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Das Oberverwaltungsgericht lehnte die Zulassung der Berufung und die Beiordnung eines Notanwalts zur Durchführung des Zulassungsverfahrens durch den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss vom 23. August 2018 ab. Der Zulassungsantrag sei bereits unzulässig, da er entgegen dem Erfordernis des § 67 Abs. 4 Sätze 1 bis 3 und 7 VwGO nicht durch einen Rechtsanwalt oder eine sonstige gemäß § 67 Abs. 2 Sätze 1 und 2 Nr. 3 bis 7 VwGO vertretungsbefugte Person oder Organisation vertreten sei. Der Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts sei nach § 78b Abs. 1 Zivilprozessordnung – ZPO – i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO abzulehnen, da die Rechtsverfolgung aussichtslos sei. Ein durch einen Rechtsanwalt gestellter Antrag könne keine Aussicht auf Erfolg haben, da nach der Erklärung der Beklagten, dass die angefochtenen Bescheide hinfällig geworden seien, das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage entfallen sei. Das Begehren der Beschwerdeführerin habe sich erledigt und auch das diesbezügliche Urteil des Verwaltungsgerichts entfalte daher trotz Eintritt der Rechtskraft mit dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts im Hinblick auf die Rundfunkbeitragserhebung für sie keine nachteiligen Folgen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Die hiergegen mit Schriftsatz vom 6. September 2018 erhobene Anhörungsrüge, mit der sich die Beschwerdeführerin vor allem gegen eine „gezielte Aussteuerung“ ihres Verfahrens sowie „Flucht aus dem Verfahren“, obwohl sich „nichts erledigt“ habe, und dadurch eine Verletzung ihres Justizgewährungsanspruchs sowie ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör wandte, verwarf das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss vom 4. Oktober 2018 ebenso, wie es die gleichzeitig erhobene Gegenvorstellung zurückwies.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 124 der Verfassung für Rheinland-Pfalz – LV –, ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 6 Abs. 2 LV, ihres Anspruchs auf ein faires Verfahren sowie einen Verstoß gegen das Willkürverbot des Art. 17 Abs. 1 und Abs. 2 LV. Das Oberverwaltungsgericht habe ihr durch die Nichtzulassung der Berufung und die Ablehnung ihres Antrags, einen Notanwalt zu bestellen, den Rechtsweg und das rechtliche Gehör abgeschnitten. Der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Beschluss des Oberverwaltungsgerichts diene „einzig und alleine dazu, ein verwaltungsgerichtliches Verfahren durch angebliche Unzulässigkeit auszusteuern“. Das Oberverwaltungsgericht habe ihr berechtigtes Feststellungs- und Rehabilitierungsinteresse „sehenden Auges unberücksichtigt gelassen“ sowie verkannt, dass sie durch die Auferlegung der Kosten beschwert sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>3. Dem Beklagten des Ausgangsverfahrens sowie dem Ministerium der Justiz für die Landesregierung wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Beklagte des Ausgangsverfahrens hat hiervon abgesehen. Die Landesregierung hält die Verfassungsbeschwerde bereits für unzulässig, da die Beschwerdeführerin eine Beschwerdebefugnis nicht dargelegt habe. Jedenfalls aber sei die Verfassungsbeschwerde unbegründet; die angegriffene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts verletze die Beschwerdeführerin nicht in ihren Grundrechten. Das Oberverwaltungsgericht habe insbesondere zu Recht entschieden, dass dem Rechtsschutzbegehren der Beschwerdeführerin das Rechtsschutzbedürfnis gefehlt habe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Verfassungsgerichtshof vorgelegen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich unbegründet. Sie kann deshalb durch einstimmigen Beschluss des gemäß § 15a Abs. 1 Satz 2 des Landesgesetzes über den Verfassungsgerichtshof – VerfGHG – gebildeten Ausschusses zurückgewiesen werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>1. Der angegriffene Beschluss des Oberverwaltungsgerichts verletzt die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 124 LV.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>a) Die gemäß Art. 124 LV gewährleistete Rechtsschutzgarantie enthält ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt. Für das Rechtsmittelrecht folgt aus dem Gebot effektiven Rechtsschutzes, dass die Gewährleistung eines Instanzenzugs zwar von Verfassungs wegen nicht geboten ist; eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so verbietet die Rechtsschutzgarantie eine Auslegung und Anwendung dieser Rechtsnormen, die das Beschreiten des Rechtsweges in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschweren. Das Rechtsmittelgericht darf ein von der jeweiligen Prozessordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer „leerlaufen“ lassen. Das gleiche gilt, wenn das Prozessrecht – wie hier die §§ 124, 124a VwGO – den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit gibt, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 13. Dezember 2004 – VGH B 7/04 –, AS 35, 184 [188] m.w.N.; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 20. Dezember 2010 – 1 BvR 2011/10 –, juris Rn. 17 und vom 16. Januar 2017 – 2 BvR 2615/14 –, juris Rn. 18 m.w.N.; st. Rspr.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, sondern in entsprechender Weise auch für die Entscheidung der Gerichte darüber, ob die nach § 67 Abs. 4 VwGO fehlende Postulationsfähigkeit einer Partei vor den Oberverwaltungsgerichten und dem Bundesverwaltungsgericht in einem Fall, in dem die Partei einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet, durch Beiordnung eines Notanwalts behoben wird oder nicht. Bei der Auslegung und Anwendung der nach § 173 Satz 1 VwGO anwendbaren Vorschrift des § 78b Abs. 1 ZPO, wonach die Beiordnung abzulehnen ist, wenn die Rechtsverfolgung aussichtslos erscheint, dürfen die Gerichte daher nicht durch übermäßig strenge Handhabung verfahrensrechtlicher Schranken den Anspruch auf gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts unzumutbar verkürzen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 27. Dezember 2002 – 1 BvR 1710/02 –, juris Rn. 11 ff.; vgl. auch BayVerfGH, Entscheidung vom 22. Dezember 1978 – Vf. 69-VI-77 –, juris Rn. 13).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Zwar ist die Auslegung und Anwendung des jeweiligen Verfahrensrechts grundsätzlich Sache der Fachgerichte. Die fehlerhafte Anwendung prozessrechtlicher Bestimmungen stellt jedoch dann zugleich einen Verstoß gegen Verfassungsrecht dar, wenn das Gericht bei Anwendung der Verfahrensvorschriften die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts – hier des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 124 LV – verkannt hat (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 13. Dezember 2004 – VGH B 7/04 –, AS 35, 184 [188] m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>b) Hieran gemessen verstößt der den Antrag auf Zulassung der Berufung zurückweisende sowie den Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts für die Durchführung des Zulassungsverfahrens ablehnende Beschluss des Oberverwaltungsgerichts nicht gegen Art. 124 LV. Das Oberverwaltungsgericht hat in der angegriffenen Entscheidung nachvollziehbar unter Auslegung des klägerischen Begehrens dargelegt, weshalb auch ein durch einen (beigeordneten) Rechtsanwalt gestellter Antrag auf Zulassung der Berufung keinen Erfolg haben könnte und damit i.S. des § 78b Abs. 1 Satz 1 ZPO aussichtslos erschiene, da für die Klage das Rechtsschutzbedürfnis entfallen ist, nachdem der Beklagte mit Schriftsatz vom 3. August 2018 mitgeteilt hatte, dass er das Beitragskonto der Beschwerdeführerin rückwirkend ab Januar 2013 abgemeldet habe und ausdrücklich darauf hingewiesen hat, das die angefochtenen Bescheide damit hinfällig sind. Für ein angesichts dieses erledigenden Ereignisses und der entsprechenden Erledigungserklärung des Beklagten vom 3. August 2018 gleichwohl bestehendes Fortsetzungsfeststellungsinteresse oder, wie die Beschwerdeführerin vorträgt, Rehabilitationsinteresse ist nichts dargetan oder sonst ersichtlich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Zwar ist in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass im Falle der Erledigung des Rechtstreits „zwischen den Instanzen“ die Einlegung eines (die Rechtskraft aufhaltenden) Rechtsbehelfs allein zu dem Zweck, um in dem Rechtsmittelverfahren durch übereinstimmende Erledigungserklärungen eine Verfahrensbeendigung herbeizuführen, nicht ausgeschlossen ist, sondern für ein solches Vorgehen ein Rechtsschutzbedürfnis in der Regel gegeben ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1993 – 8 C 40.91 –, NVwZ 1993, 979 f.; OVG RP, Beschluss vom 19. Januar 1983 – 11 B 195/82 –, AS 18, 86 [88 f.]; OVG NRW, Beschluss vom 26. März 2003 – 8 B 82/03 –, NVwZ-RR 2003, 701; Nds. OVG, Beschluss vom 27. Oktober 1997 – 7 M 4238/97 –, NVwZ-RR 1998, 337). Dies gilt auch für einen Antrag auf Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 4 VwGO (vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow [Hrsg.], VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 337 f.; W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke [Hrsg.], VwGO, 24. Aufl. 2018, § 124a Rn. 51). Eine solche Erledigungserklärung wollte die Beschwerdeführerin hingegen, im Gegensatz zu dem Beklagten, nicht abgeben, sondern hat im Gegenteil deutlich zu erkennen gegeben, ihr Begehren in der Hauptsache weiterverfolgen zu wollen. Hierfür aber fehlt, wie das Oberverwaltungsgericht nachvollziehbar ausgeführt hat, das Rechtsschutzbedürfnis. Aus demselben Grund kann die Beschwerdeführerin auch nicht mit ihrem Einwand gehört werden, das Oberverwaltungsgericht habe verkannt, dass sie jedenfalls dadurch beschwert sei, dass sie nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts die Kosten zu tragen habe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>2. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts lässt auch eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht erkennen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>a) Art. 6 Abs. 2 LV garantiert den Beteiligten an einem gerichtlichen Verfahren, dass sie Gelegenheit erhalten, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde zu legenden Sachverhalt und zur Sachlage zu äußern. Das Gericht hat diese Äußerung zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch erwogen hat, und zwar auch dann, wenn nicht jeder Gesichtspunkt in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich beschieden wird. Eine Verletzung des Art. 6 Abs. 2 LV kann deshalb nur dann festgestellt werden, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass Vorbringen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Im Übrigen gewährleistet das Gehörsgrundrecht keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen. Ebenso kann ein Beteiligter aufgrund von Art. 6 Abs. 2 LV nicht beanspruchen, dass das Gericht seiner Rechtsansicht folgt (zum Ganzen VerfGH RP, Beschluss vom 16. März 2001 – VGH B 14/00 –, AS 29, 89 [92 f.]; Beschluss vom 4. Dezember 2001 – VGH B 15/01 –, AS 29, 224 [226]).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">b) Hiervon ausgehend ist eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht ersichtlich. Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde im Kern gegen die rechtliche Würdigung im Beschluss des Oberverwaltungsgerichts. Dass das Gericht der Argumentation der Beschwerdeführerin in den genannten Punkten nicht gefolgt ist, stellt allerdings nach dem oben Gesagten keine Verletzung rechtlichen Gehörs dar.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">3. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verstößt auch nicht gegen das Willkürverbot aus Art. 17 Abs. 1 und Abs. 2 LV.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">a) Die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind allein Sache der Fachgerichte und der Nachprüfung durch den Verfassungsgerichtshof grundsätzlich entzogen; es ist nicht Aufgabe eines Verfassungsgerichts, die Entscheidungen der Fachgerichte nach Art eines Rechtsmittelgerichts zu überprüfen. Spezifisches Verfassungsrecht ist verletzt, wenn das Fachgericht bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts Bedeutung und Tragweite des jeweils betroffenen Grundrechts verkannt oder willkürlich entschieden hat (VerfGH RP, Beschluss vom 28. Juli 2010 – VGH B 1/10 –). Dabei macht die fehlerhafte Rechtsanwendung allein eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst dann vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt, der Inhalt einer Norm in krasser Weise missverstanden oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet wird (vgl. BVerfGE 89, 1 [13 f.]; 96, 189 [203], zu Art. 3 Abs. 1 GG). Willkürlich ist ein Richterspruch erst dann, wenn er bei verständiger Würdigung der die Verfassung beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – VGH B 12/01 –, AS 29, 215 [215 f.]; VerfGH RP Urteil vom 24. Februar 2014 – VGH B 26/13 –, AS 42, 157 [182]).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>b) Hieran gemessen verstößt der angegriffene Beschluss des Oberverwaltungsgerichts nicht gegen Art. 17 Abs. 1 und Abs. 2 LV. Nach dem oben Gesagten ist in der angefochtenen Entscheidung kein Verfassungsverstoß zu erkennen, denn das Oberverwaltungsgericht hat in der angegriffenen Entscheidung nachvollziehbar unter Auslegung des klägerischen Begehrens dargelegt, weshalb auch ein durch einen (beigeordneten) Rechtsanwalt gestellter Antrag auf Zulassung der Berufung keinen Erfolg haben könnte und damit i.S. des § 78b Abs. 1 Satz 1 ZPO aussichtslos erschiene.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>4. Aus dem oben Gesagten folgt gleichzeitig, dass die Beschwerdeführerin auch nicht in ihrem Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 77 Abs. 2 LV (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 24. Februar 2014 – VGH B 26/13 –, AS 42, 157 [163]) verletzt ist. Dieser grundrechtlichen Gewährleistung geht im Übrigen das Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 6 Abs. 2 LV als spezielleres Prozessgrundrecht in seinem Anwendungsbereich vor (vgl. Stahnecker, in: Brocker/Droege/Jutzi [Hrsg.], Verfassung für Rheinland-Pfalz, 2014, Art. 6 Rn. 30 m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>III.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Mit der Zurückweisung der Verfassungsbeschwerde erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>IV.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Das Verfahren ist gemäß § 21 Abs. 1 VerfGHG kostenfrei. Eine Auslagenerstattung findet nicht statt.</p></dd>
</dl>
</div></div>
</div>
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171,178 | lagsn-2019-01-09-5-ta-6518 | {
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"name": "Sächsisches Landesarbeitsgericht",
"slug": "lagsn",
"city": null,
"state": 15,
"jurisdiction": "Arbeitsgerichtsbarkeit",
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} | 5 Ta 65/18 | 2019-01-09T00:00:00 | 2019-01-29T12:49:43 | 2019-02-12T13:44:16 | Beschluss | ECLI:DE:LAGST:2019:0109.5TA65.18.00 | <div class="docLayoutText">
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div><dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt"><strong>Die Beschwerde der Bezirksrevisorin bei dem Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt vom 12.04.2018 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 07.03.2018 (Az.: 7 Ca 3677/15 PKH) in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 18.04.2018 wird zurückgewiesen.</strong></p></dd>
</dl></div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>I.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist der Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts bei Abschluss eines Mehrvergleichs. Es soll die Rechtsfrage geklärt werden, ob im Rahmen bewilligter Prozesskostenhilfe für einen Vergleichswert eine 1,5-fache oder eine 1,0-fache Einigungsgebühr zu erstatten ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Hinsichtlich des Sachverhalts wird auf I. der Gründe des Beschlusses des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 07.03.2018 Bezug genommen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Die gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 RVG zulässige Beschwerde der Bezirksrevisorin bei dem Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt ist unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht die Erstattung einer 1,5-fachen Einigungsgebühr für den Vergleichsmehrwert festgesetzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin steht wegen des abgeschlossenen Mehrvergleichs auch eine 1,5 Einigungsgebühr (Nr. 1000 RVG-VV) zu.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>1.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Es ist umstritten, welche anwaltlichen Gebühren der im Rahmen der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt bei der vergleichsweisen Erledigung nicht rechtshängige Gegenstände in einem gerichtlichen Vergleich verlangen kann.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Nach Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 RVG-VV entsteht die 1,5-fache Einigungsgebühr für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht. Nach Nr. 1003 RVG-VV betragen die Gebühren nach Nr. 1000 bis 1002 RVG-VV 1,0, wenn über den Gegenstand ein anderes gerichtliches Verfahren als ein selbständiges Beweisverfahren anhängig ist. Nach Nr. 1003 Abs. 1 Satz 1 RVG-VV gilt diese Reduzierung der Einigungsgebühr auf 1,0 auch dann, wenn über Verfahrensgegenstände zugleich ein Verfahren über die Prozesskostenhilfe anhängig ist, soweit nicht lediglich Prozesskostenhilfe für ein selbständiges Beweisverfahren oder die gerichtliche Protokollierung des Vergleichs beantragt wird oder sich die Beiordnung auf den Abschluss eines Vertrages i. S. d. Nr. 1000 erstreckt (§ 48 Abs. 3 RVG). Dabei stehen die Nummern 1000 (1,5-fach), 1003 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 (1,0-fach) und 1003 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 (1,5-fach) RVG-VV in einem Grundsatz – Ausnahme – Rückausnahmeverhältnis (LAG Schleswig-Holstein, 11.04.2017 – 5 Ta 36/17 -; LAG Baden-Württemberg, 27.04.2016; 5 Ta 118/15, juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>2.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Nach einer Ansicht greift die Ausnahme der Nr. 1003 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 RVG-VV mit der Folge der Reduzierung der Einigungsgebühr auf 1,0 ein. Kommt der gerichtlich protokollierte Vergleich erst nach der Erörterung der Sach- und Rechtslage zu Stande, wurde nicht lediglich Prozesskostenhilfe für die gerichtliche Protokollierung des Vergleichs beantragt i. S. d. 2. Alternative in Nr. 1003 Abs. 1 Satz 1 RVG-VV (LAG München, 02.11.2016, 6 Ta 287/16, LAG Nürnberg, 25.06.2009, 4 Ta 61/09, LAG Hamm, 31.08.2007, 6 Ta 402/07, LAG Rheinland-Pfalz, 12.03.2015, 5 Ta 51/15, jeweils veröffentlicht in juris; vgl. Übersicht bei Gerold/Schmidt/Müller/Rabe, RVG, 23. Aufl. 2017, § 48 Rdnr. 170 ff. m. w. N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>3.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Nach einer sich mittlerweile abzeichnenden überwiegenden anderen Ansicht wird angenommen, dass bei der Erweiterung der Prozesskostenhilfe auf den Abschluss eines Mehrvergleichs dem beigeordneten Rechtsanwalt sämtliche mit dem Vergleichsschluss anfallenden Gebühren aus der Staatskasse zu erstatten sind. Dabei werden vor allem der Sinn und Zweck der Prozesskostenhilfe sowie die Verfahrensökonomie in den Vordergrund gestellt (LAG Baden-Württemberg, 27.04.2016, 5 Ta 118/15; LAG Berlin-Brandenburg, 16.04.2018, 17 Ta (Kost) 6133/17; LAG Hamm, 03.08.2018, 8 Ta 653/17 unter Bezugnahme auf BGH, 17.01.2018, XII ZB 248/16, jeweils veröffentlicht in juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>4.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerdekammer folgt der zuletzt genannten Auffassung. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat in seinem Beschluss vom 16.04.2018 (17 Ta (Kost) 6133/17) zu Recht auf den Sinn und Zweck der Prozesskostenhilfe abgestellt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat zutreffend ausgeführt:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">"Der Anspruch auf Prozesskostenhilfe soll gewährleisten, dass unbemittelte Parteien in gleicher Weise Rechtsschutz in Anspruch nehmen können wie Parteien, die die Kosten der Prozessführung aus eigenen Mitteln bestreiten können. Er ist Ausfluss des verfahrensrechtlichen Gebots einer weitergehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes aus Art. 3 Abs. 1 GG i. V. m. dem in Art. 20 Abs. 3 GG niedergelegten Rechtsstaatsprinzip (BGH, Beschluss vom 17.01.2018; VII ZB 248/16). Die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung Unbemittelter darf im Vergleich zu Bemittelten nicht unverhältnismäßig erschwert werden. Eine derartige Erschwerung trete jedoch ein, wollte man an dem beigeordneten Rechtsanwalt bei Abschluss eines Mehrvergleichs die sich nach dem RVG danach ergebenden Gebühren nur teilweise aus der Staatskasse erstatten. Die unbemittelte Partei, die die anwaltlichen Gebühren nicht selbst tragen kann, wäre in diesem Fall gezwungen, hinsichtlich der nichtanhängigen Gegenstände ein weiteres gerichtliches Verfahren anzustrengen bzw. müsste sich einer – an sich sinnvollen – Gesamtbereinigung aller Ansprüche verweigern. Für diese Ungleichbehandlung gibt es keinen hinreichend sachlichen Grund. So ist es insbesondere nicht entscheidend, dass eine Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussichten einer beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Verteidigung hinsichtlich der in den Vergleich einbezogenen Regelgegenstände nicht in gleicher Weise erfolgen kann wie bei dem eigentlichen Gegenstand des Verfahrens. Es geht bei der Einbeziehung nicht rechtshängiger Gegenstände in einem gerichtlichen Vergleich nicht darum, ob ein insoweit geführtes eigenständiges Verfahren hinreichende Aussicht auf Erfolg hätte, sondern es ist zu fragen, ob der bereits anhängige Rechtsstreit durch Abschluss des Vergleichs beigelegt werden kann. Wird Prozesskostenhilfe für den Mehrwert eines Vergleichs beantragt, besteht die erforderliche Erfolgsaussicht deshalb bereits dann, wenn zu erwarten ist, dass ein Vergleich zu Stande kommt (BAG, 16.02.2012 – 3 AZB 34/11 –, juris). Gegen die hier vertretene Auffassung kann ferner nicht mit Erfolg eingewandt werden, nach § 48 Abs. 3 RVG komme eine Erstattung von Verfahrens- und Terminsgebühr für einen Mehrvergleich nur bei einer Beiordnung in Ehesachen in Betracht. Nach der genannten Vorschrift erstreckt sich die Beiordnung in Ehesachen ohne weiteres für den Abschluss eines Vertrages i. S. d. Nr. 1000 RVG-VV erforderlichen Tätigkeiten. Dies bedeutet jedoch nur, dass es insoweit keines ausdrücklichen Antrages auf Beiordnung und keiner gesonderten Bewilligung für einen Mehrvergleich bedarf, während in allen anderen weiteren Verfahren Prozesskostenhilfe für einen Mehrvergleich beantragt und bewilligt werden muss (vgl. § 48 Abs. 5 RVG). Das bei dem Abschluss eines Mehrvergleichs im Erörterungstermin nach § 118 Abs. 1 Satz 3 ZPO Prozesskostenhilfe nur für den Vergleich selbst und nicht für das gesamte Prozesskostenhilfeverfahren bewilligt werden kann, ist für die hier entscheidende Sachverhaltsgestaltung ebenfalls ohne Aussagekraft. Denn anders als im Anwendungsbereich des § 118 Abs. 1 Satz 3 ZPO ist der unbemittelten Partei Prozesskostenhilfe bereits bewilligt worden bzw. wird ihr zugleich bewilligt; dass Prozesskostenhilfe für das Prozesskostenhilfeverfahren nicht bewilligt werden kann, ist deshalb ohne Belang (BGH vom 17.01.2018)."</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerdekammer schließt sich den Ausführungen des LAG Berlin-Brandenburg vollumfänglich an.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Es geht darum, dass die Parteien mit geringem Einkommen die gleiche Möglichkeit erhalten müssen, ihre Streitigkeiten möglichst umfangreich beizulegen, wie Parteien mit ausreichend hohem Einkommen (vgl. auch BT-Drucksache, 17/11471 zu Nr. 25 (§ 48 RVG) Buchstabe b). In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass ein Vergleichsmehrwert nur anfällt, wenn durch den Vergleichsabschluss ein weiterer Rechtsstreit und/oder außergerichtlicher Streit erledigt und/oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt werden. Dabei muss gerade über die Frage eines Anspruchs oder Rechts in Bezug auf die jeweilige Regelung zwischen den Parteien Streit und/oder Ungewissheit bestanden haben. Keine Werterhöhung tritt ein, wenn es sich lediglich um eine Gegenleistung zur Beilegung des Rechtsstreits handelt (Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit, Fassung 9. Februar 2018, I Nr. 25.1).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>III.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Die Entscheidung ergeht kostenfrei (§§ 56 Abs. 2 Satz 2, 3 RVG) und ist unanfechtbar (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).</p></dd>
</dl>
</div></div>
<br>
</div>
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"id": 1071,
"name": "Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht",
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"city": 647,
"state": 17,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
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<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Antrag wird abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Streitwert wird auf 7.500,-- Euro festgesetzt.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Das vorläufige Rechtsschutzgesuch der Antragstellerin bleibt ohne Erfolg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Ihr Antrag, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 20.11.2018 gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Antragsgegners vom 13.11.2018 anzuordnen, beurteilt sich nach §§ 80 a Abs. 3, 80 Abs. 5 S. 1, 1. Alt. VwGO; insoweit ist der Antrag statthaft und auch sonst zulässig. Denn nach § 80 Abs. 5 S. 1, 1. Alt. VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs in den Fällen anordnen, in denen die aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 3 VwGO entfällt. Das ist hier der Fall, da dem Widerspruch der Antragstellerin gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Aufstellung von Containern für die Unterbringung einer Kindergartengruppe auf dem Grundstück Schulstraße 14 a in A-Stadt nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO iVm § 212 a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung zukommt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Der Antrag ist indessen unbegründet. Die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ergeht auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das Interesse der beigeladenen Bauherrin an der sofortigen Ausnutzung der ihr erteilten Baugenehmigung einerseits und das Interesse der antragstellenden Nachbarin, von der Vollziehung der Baugenehmigung bis zur Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben, andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit oder die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, Bedeutung erlangen, allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte. Darüber hinaus ist in die Abwägung einzustellen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung haben sollen und der Gesetzgeber damit dem Bauverwirklichungsinteresse grundsätzlich den Vorrang eingeräumt hat. Insofern kann das Gericht die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage nur anordnen, wenn auf Seiten der Antragstellerin geltend gemacht werden kann, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ihre Rechtsposition durch den Bau und die Nutzung des genehmigten Vorhabens unerträglich oder in einem nicht wieder gutzumachenden Maße beeinträchtigt bzw. gefährdet wird. Dabei macht der Verweis auf die Rechtsposition des antragstellenden Nachbarn allerdings deutlich, dass bei baurechtlichen Nachbarrechtsbehelfen nicht allein die objektive Rechtswidrigkeit der angefochtenen Baugenehmigung in den Blick zu nehmen ist, sondern dass Rechtsbehelfe dieser Art nur erfolgreich sein können, wenn darüber hinaus gerade der klagende bzw. widersprechende Nachbar in subjektiv- öffentlichen Nachbarrechten verletzt ist. Ob die angefochtene Baugenehmigung insgesamt objektiv rechtmäßig ist, ist nicht maßgeblich. Vielmehr ist die Baugenehmigung allein daraufhin zu untersuchen, ob sie gegen Vorschriften verstößt, die dem Schutz des um Rechtsschutz nachsuchenden Nachbarn dienen. Der Nachbar kann sich nur auf solche Interessen berufen, die das Gesetz im Verhältnis der Grundstücksnachbarn untereinander als schutzwürdig ansieht. Dabei ist für die Beurteilung der Verletzung von öffentlich-rechtlich geschützten Nachbarrechten durch eine Baugenehmigung allein der Regelungsinhalt der Genehmigungsentscheidung maßgeblich. Eine hiervon abweichende Ausführung kann die Aufhebung der Baugenehmigung demgegenüber nicht rechtfertigen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Nach diesem Maßstab überwiegt vorliegend das Interesse der Beigeladenen, die ihr erteilte Baugenehmigung sofort, d. h. ungeachtet des Widerspruchs der Antragstellerin ausnutzen zu können. Denn bei der in diesem Verfahren nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage lässt sich nicht mit hinreichender, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die angefochtene Baugenehmigung des Antragsgegners vom 13.11.2018 Nachbarrechte der Antragstellerin verletzt. Es ist weder ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauordnungs- oder Bauplanungsrechts einschließlich des Gebots der Rücksichtnahme noch gegen sonstige nachbarschützende Vorschriften ersichtlich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Dabei kommt es vorliegend nicht darauf an, ob der Antragsgegner zu Recht die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Befreiung von dem Nachweis der erforderlichen Stellplätze durch die Beigeladene nach § 50 Abs. 1 S. 5 LBO, wonach mit Einverständnis der Gemeinde ganz oder teilweise auf die Herstellung von Stellplätzen und Garagen und die Zahlung eines Geldbetrages zur Ablösung verzichtet werden kann, als gegeben angesehen hat. Auf insoweit aus Sicht der Kammer durchaus bestehende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung braucht nicht eingegangen zu werden, weil, was auch der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin in der Antragsschrift nicht verkennt und in Abrede stellt, die bauordnungsrechtlichen Vorschriften über die Verpflichtung zur Errichtung der für eine ordnungsgemäße Nutzung notwendigen Stellplätze nicht nachbarschützend sind, sondern ausschließlich dem öffentlichen Interesse an der Entlastung öffentlicher Verkehrsflächen vom ruhenden Verkehr dienen. Der Nachbar kann nur mittelbar den Verzicht auf die Errichtung der nach § 50 Abs. 1 S. 1 und 2 LBO an sich erforderlichen Stellplätze rügen, nämlich dann, wenn sich hieraus ein Verstoß gegen das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme ergibt. Ein Verstoß liegt vor, wenn der Mangel an Stellplätzen zu Beeinträchtigungen führt, die dem Nachbarn - auch unter Berücksichtigung einer Vorbelastung seines Grundstücks - bei Abwägung aller Umstände unzumutbar sind (vgl. dazu VGH Mannheim, Beschl. v. 10.01.2008, - 3 S 2773/07 -; Hess. VGH, Beschl. v. 12.05.2003 - 9 TG 2037/02 -; OVG Bremen, Beschl. v. 18.10.2002 - 1 B 315/02 -; OVG Münster, Urt. v. 10.07.1998 - 11 A 7238/95 -; OVG Lüneburg, Beschl. v. 14.03.1997 - 1 M 6589/96 -). Auf einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot kann sich der Nachbar etwa dann berufen, wenn der Stellplatzmangel geeignet ist, die bestimmungsgemäße Nutzung seines eigenen Grundstücks zu beeinträchtigen. Eine solche Beeinträchtigung liegt - jedenfalls solange der freie Zugang zum Grundstück möglich ist - allerdings nicht schon darin, dass die angrenzenden Straßen durch Fahrzeuge von Nutzern der baulichen Anlage zum Parken in Anspruch genommen werden und dem Nachbarn nur noch mit den daraus folgenden Einschränkungen zur Verfügung stehen. Das dem Nachbarn durch das Eigentum vermittelte Recht zur bestimmungsgemäßen Nutzung seines Grundstücks begründet kein Recht auf bevorzugte Nutzung des angrenzenden öffentlichen Straßenraums (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.03.1998, - 1 B 33/98 -). Probleme, die sich aus der Verteilung knappen öffentlichen Straßenraums auf verschiedene Verkehrsteilnehmer ergeben, sind mit den Mitteln des Straßenverkehrsrechts zu regeln. Als rücksichtslos kann der Verzicht auf die notwendigen Stellplätze allerdings dann gerügt werden, wenn der durch ihn bewirkte parkende Verkehr und Parksuchverkehr den Nachbarn in der Wohnnutzung seines Grundstücks unzumutbar beeinträchtigt. Dies setzt i.d.R. entsprechende Immissionen, insbesondere Lärm- und Abgaseinwirkungen, voraus (VGH Mannheim, Beschl. v. 10.01.2008, - 3 S 2773/07 -).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Nach diesen Maßstäben kann die Kammer einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot durch den von der Antragstellerin allein gerügten Stellplatzmangel nicht feststellen. Soweit die Antragstellerin rügt, dass es schon in der Vergangenheit zu chaotischen Verkehrsverhältnissen dadurch gekommen ist, dass Eltern der Kinder des Kindergartens diese mit dem Pkw bis zum Kindergartengebäude fahren oder von dort abholen und ihre Pkws dort vorübergehend abstellen, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass entsprechende Einwendungen der Antragstellerin verwirkt sein dürften. Soweit ersichtlich existiert der Kindergarten schon bereits seit vielen Jahren. Der Betrieb des Kindergartens wurde durch die Baugenehmigung vom 12.08.2015 bezüglich der bis dahin erfolgten Betreuung von ca. 65 Kindern legalisiert. In den Blick zu nehmen ist vorliegend nur die angefochtene Baugenehmigung, die die Aufstellung von Containern für die Einrichtung einer weiteren Kindergartengruppe mit 15 Kindern zum Gegenstand hat. Es ist daher zu prüfen und zu prognostizieren, ob sich nunmehr durch den Betrieb des Kindergartens in diesem Umfange ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot ergibt. Das ist nicht der Fall. Die Beigeladene hat im Einzelnen dargestellt, welche Maßnahmen sie zur Sicherstellung der Feuerwehrzufahrt zum Kindergarten und zur Wahrung der berechtigten Belange der angesiedelten Nachbarn eingeleitet hat. Diese Maßnahmen erschöpfen sich aus Sicht der Kammer auch nicht in – wie die Antragstellerin meint – „wolkigen Ankündigungen, guten Hoffnungen und vagen Annahmen“. Vielmehr sind konkrete Maßnahmen durchgeführt worden, die bereits Erfolge gezeitigt haben. So sind in dem maßgebenden Bereich der Schulstraße und in der Stichstraße zum Kindergarten und zum Grundstück der Antragstellerin hin Halteverbotsschilder aufgestellt worden. Die Eltern der Kindergartenkinder sind vom Kindergarten selbst mit Schreiben vom 15.09.2018 erneut darauf hingewiesen worden, dass ein widerrechtliches Parken in der Stichstraße unzulässig sei und dadurch der erforderliche Rettungsweg und die Zufahrt für die Feuerwehr blockiert werden. Durch dieses Verhalten gefährdeten die betroffenen Eltern das Leben aller Kinder in dieser Kindertagesstätte. Das Ordnungsamt wie auch die Polizei würden die Beachtung des Halteverbotes insbesondere zu den „Bring- und Abholzeiten“ überwachen und entsprechende Verstöße zur Anzeige bringen, welches mit einem empfindlichen Bußgeld verbunden sein werde. Dieses Hinweisschreiben des Kindergartens lässt aus Sicht der Kammer durchaus erwarten, dass die Eltern sich zukünftig hieran halten werden, wobei es nicht darauf ankommt, dass dies vermutlich bei einigen Eltern bedauerlicherweise nur deshalb geschehen wird, weil sie sich ein Verwarnungsgeld ersparen wollen. Angesichts dieser durchgeführten Maßnahmen besteht auch kein Anlass zu der Annahme, dass die Beigeladene entgegen ihrer Erklärung, sie werde die Verkehrsüberwachung in diesem Bereich noch weiter intensivieren, den Ankündigungen keine Taten wird folgen lassen. Auch die Antragstellerin selbst räumt in der Antragsschrift ein, dass es durch die Aufstellung der Halteverbotsschilder im Stichweg seit September 2018 zum Eintritt eines positiven Effekts gekommen ist. Ihre Befürchtung, dass dieser Effekt schnell wieder verpufft sein werde, wäre nur dann berechtigt, wenn die Beigeladene tatsächlich ihren Überwachungsdruck aufgeben würde. Dies anzunehmen besteht indes keine Veranlassung. Auch in ihrem letzten Schriftsatz vom 02.01.2019 bestreitet die Antragstellerin nicht, dass es gegenwärtig in dem Stichweg keine beklagenswerten Verkehrsverhältnisse mehr gibt. Vielmehr macht sie geltend, dass es durch diese Maßnahmen letztlich nur zu einer Problemverlagerung in die eigentliche Schulstraße selbst hineingekommen sei. So habe sie am 21.12.2018 feststellen müssen, dass ein Durchkommen in der Schulstraße kaum möglich gewesen sei. Vier Fahrzeuge hätten im absoluten Halteverbot geparkt, teilweise über Stunden, wobei es sich um ein Fahrzeug eines KiTa-Mitarbeiters gehandelt habe. Mit diesem Vorbringen verkennt die Antragstellerin, dass sie im Grunde die allgemeinen Verkehrsverhältnisse in der an sich beengten Schulstraße rügt, die nicht unmittelbar mit der Einrichtung einer weiteren Kindergartengruppe durch die angefochtene Baugenehmigung im Zusammenhang stehen. Gerade ihre Behauptung, es hätten mehrere Fahrzeuge am 21.12.2018 in der Schulstraße im absoluten Halteverbot über mehrere Stunden gestanden, zeigt, dass dies keine Folge der Einrichtung der weiteren Kindergartengruppe ist, weil die Eltern, die ihre Kinder bringen oder abholen, dort regelmäßig nur für wenige Minuten - wenn auch gelegentlich illegal - in der Schulstraße parken werden. Aus Sicht der Kammer lässt sich jedenfalls nach den von der Beigeladenen bereits durchgeführten und in Aussicht gestellten Überwachungsmaßnahmen nicht die Prognose anstellen, die Antragstellerin und ihr Ehemann oder die Eltern würden die Wohnhäuser Schulstraße 14 und 14 b wegen illegal in der Schulstraße oder im Stichweg parkender Pkws nicht erreichen oder verlassen können. Dabei will die Kammer nicht ausschließen, dass es trotz der Bemühungen der Beigeladenen in seltenen Fällen vorkommen kann, dass unbelehrbare ignorante Eltern im Halteverbot im Bereich der Stichstraße bzw. der dortigen Schulstraße parken werden, jedoch ist auch zu berücksichtigen, dass die Beeinträchtigungen der Antragstellerin durch derartige seltene Verstöße nur temporär geringfügig wären, weil die Eltern sich dort im Kindergarten nur ganz kurz aufhalten werden, um z.B. ihre Kinder aus- oder anzukleiden. Eine nachhaltige Beeinträchtigung der Feuerwehrzufahrt ist aus den vorgenannten Gründen ebenfalls nicht zu befürchten. Das es in der Schulstraße im Bereich der Stichstraße „Dauerparker“ geben mag, die die Zufahrt beeinträchtigen könnten, wäre nicht Folge des Betriebs des Kindergartens, insbesondere nicht der hier streitgegenständlichen Einrichtung einer neuen Gruppe mit 15 Kindern. Auch die eingereichten Fotos bestätigen nur, dass es sich im Bereich der Schulstraße um beengte Verkehrsverhältnisse handelt, die in Städten in vielen Bereichen anzutreffen sind und naturgemäß eine allgemeine besondere Rücksicht von den Anliegern und Nutzern abverlangen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Danach ist der Antrag mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzulehnen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind gem. § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären, weil sie sich durch Stellung eines Sachantrages am Kostenrisiko beteiligt hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<br>
</div>
|
171,089 | bverwg-2019-01-09-1-c-3618 | {
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<div>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_1">1</a>
</dt>
<dd>
<p>
Die Klägerin, eritreische Staatsangehörige, wendet sich gegen die Ablehnung ihres Asylantrags als unzulässig, die Feststellung, dass nationale Abschiebungsverbote nicht vorliegen, die Anordnung der Abschiebung in die Republik Italien und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 12 Monate.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_2">2</a>
</dt>
<dd>
<p>
Die Klägerin reiste nach eigenen Angaben am 24. November 2016 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 30. November 2016 ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Ein Eurodac-Abgleich ergab, dass sie zuvor illegal nach Italien eingereist war und dort bereits einen Asylantrag gestellt hatte. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Beklagten (Bundesamt) richtete am 19. Dezember 2016 ein Wiederaufnahmegesuch an die Republik Italien, welches unbeantwortet blieb. Daraufhin lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 11. Januar 2017 den Asylantrag wegen anderweitiger internationaler Zuständigkeit als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass keine nationalen Abschiebungsverbote vorliegen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung in die Republik Italien an (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 12 Monate (Ziffer 4).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_3">3</a>
</dt>
<dd>
<p>
Das Verwaltungsgericht lehnte mit Beschluss vom 30. März 2017 den Antrag der Klägerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_4">4</a>
</dt>
<dd>
<p>
Gegen diesen Beschluss erhob die Klägerin fristgerecht Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht und beantragte sogleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Zur Begründung trug sie vor, dass der Erlass des Beschlusses vom 30. März 2017 durch einen Richter auf Zeit die Rechte der Klägerin aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletze. Das Bundesverfassungsgericht bat das Bundesamt zu bestätigen, dass bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde oder den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keine Abschiebung der Klägerin erfolgen werde. Das Bundesamt gab eine entsprechende Erklärung ab und setzte mit Bescheid vom 17. August 2017 die Vollziehung der Abschiebungsanordnung aus dem Bescheid vom 11. Januar 2017 bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde oder den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO aus.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_5">5</a>
</dt>
<dd>
<p>
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 9. April 2018 den Bescheid vom 11. Januar 2017 aufgehoben. Die Zuständigkeit für die Entscheidung über den Asylantrag sei zwischenzeitlich auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen, weil durch die behördliche Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO die Überstellungsfrist nicht erneut unterbrochen worden sei. Grundsätzlich könne zwar eine behördliche Aussetzungsentscheidung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO, Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO zur Unterbrechung der Überstellungsfristen führen. Dies erfordere aber Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung, welche nicht vorgelegen hätten. Die Überstellungsfrist sei damit im Zeitpunkt des Urteils abgelaufen gewesen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_6">6</a>
</dt>
<dd>
<p>
Mit ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision macht die Beklagte geltend, das Verwaltungsgericht habe die Anforderungen an eine behördliche Aussetzungsentscheidung fehlerhaft zu eng bestimmt. Für eine Beschränkung der Vollzugsaussetzung auf die Fälle, in welchen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung bestünden, sei nichts Stichhaltiges erkennbar. Der Wortlaut von § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO lasse eine einengende Interpretation nicht zu. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO stelle ersichtlich einen Sonderfall dar. Nichts anderes folge aus dem Unionsrecht. Es sei nicht erkennbar, dass Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO allein dem Interesse des Drittstaatsangehörigen zu dienen bestimmt sei. Zwar verfolge das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren der Dublin III-VO auf der einen Seite das Ziel einer zügigen Bearbeitung von Asylanträgen. Auf der anderen Seite solle aber auch die Sekundärmigration verhindert werden. Der dem Dublin-System innewohnende Beschleunigungsgedanke verlange ebenfalls keine einengende Interpretation, weil die Verzögerung durch das rechtliche Vorgehen der Klägerin verursacht worden sei.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_7">7</a>
</dt>
<dd>
<p>
Die Klägerin verteidigt die angegriffene Entscheidung. Behördliche Aussetzungsentscheidungen hätten auf den Ablauf der Überstellungsfrist keinen Einfluss, weil Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO auf eine aufschiebende Wirkung abstelle, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe oder durch ein Gericht angeordnet werde. Das Bundesamt sei kein Gericht im vorgenannten Sinne. Zudem schließe § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG als vorrangige Spezialregelung die Anwendbarkeit von § 80 Abs. 4 VwGO aus. § 34a Abs. 1 AsylG setze für den Erlass einer Abschiebungsanordnung voraus, dass die Abschiebung durchgeführt werden könne. Komme die Behörde zu der Überzeugung, dass die Abschiebungsanordnung nicht vollzogen werden könne, sei diese aufzuheben.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_8">8</a>
</dt>
<dd>
<p>
In der Annahme, dass mit Blick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 2018 - 2 BvR 780/16 - der Abschluss des Verfassungsbeschwerdeverfahrens zu erwarten sei, nicht aber absehbar sei, dass kurzfristig das bei dem Bundesverwaltungsgericht anhängige Revisionsverfahren zum Abschluss kommen werde, hat das Bundesamt mit Bescheid vom 3. Juli 2018 die Vollziehung der Abschiebungsanordnung aus dem Bescheid vom 11. Januar 2017 bis zur Beendigung des Revisionsverfahrens ausgesetzt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_9">9</a>
</dt>
<dd>
<p>
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich am Verfahren nicht beteiligt.</p>
</dd>
</dl>
</div>
<h2>Entscheidungsgründe</h2>
<div>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_10">10</a>
</dt>
<dd>
<p>
Die form- und fristgerecht eingelegte Sprungrevision der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Verfahrensbeteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet. Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, die behördliche Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheides nach § 80 Abs. 4 VwGO habe die Überstellungsfrist nicht unterbrochen, sodass die Bundesrepublik Deutschland zuständiger Mitgliedstaat geworden sei, verstößt gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO) (1.). Hinsichtlich der Unzulässigkeitsentscheidung erweist sich das Urteil auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO); insoweit bedarf es weiterer tatsächlicher Feststellungen durch das Verwaltungsgericht. (2.). Die Zurückverweisung hindert eine abschließende Entscheidung auch zu den weiteren Regelungen des angegriffenen Bescheides (3.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_11">11</a>
</dt>
<dd>
<p>
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens sind das Asylgesetz (AsylG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch das am 12. Dezember 2018 in Kraft getretene Dritte Gesetz zur Änderung des Asylgesetzes vom 4. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2250), die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1991 (BGBl. I S. 686), zuletzt geändert durch das am 1. November 2018 in Kraft getretene Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage vom 12. Juli 2018 (BGBl. I S. 1151) sowie die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 S. 31) - Dublin III-VO -. Da es sich um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Tatsachengericht nach § 77 Abs. 1 AsylG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es seiner Entscheidung, wenn es diese nunmehr träfe, die während des Revisionsverfahrens in Kraft getretenen Änderungen zugrunde legen, soweit nicht hiervon eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_12">12</a>
</dt>
<dd>
<p>
1. Die Klage ist, soweit sie sich gegen die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des Bescheides des Bundesamtes richtet, als Anfechtungsklage statthaft (BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2015 - 1 C 32.14 - BVerwGE 153, 162 Rn. 13 f.) und auch im Übrigen zulässig, aber nicht begründet. Das Bundesamt hat insoweit seine Entscheidung zu Recht auf § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gestützt. Ein Asylantrag ist hiernach unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO oder aufgrund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist (1.1). Diese Zuständigkeit ist hier auch in der Folgezeit nicht durch Ablauf der Überstellungsfrist (Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO) auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen (1.2).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_13">13</a>
</dt>
<dd>
<p>
1.1 Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass - vorbehaltlich einer Prüfung nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO - für die Durchführung des Asylverfahrens die Republik Italien originär zuständig war, weil sich eine anderweitige vorrangige Zuständigkeit nach Kapitel III der Dublin III-VO (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO) nicht bestimmen ließ und daher der Mitgliedstaat - hier die Republik Italien - zuständig war, in dem die Klägerin ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat (Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO). Die Beklagte hat die Republik Italien fristgerecht um Wiederaufnahme der Klägerin ersucht (Art. 23 Abs. 2, 3 Dublin III-VO). Dieses Wiederaufnahmegesuch gilt nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO als angenommen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_14">14</a>
</dt>
<dd>
<p>
1.2 Diese Zuständigkeit ist auch nicht nachträglich auf die Beklagte übergegangen. Zu einem hier allein in Betracht kommenden Zuständigkeitsübergang durch Ablauf der Überstellungsfristen des Art. 29 Dublin III-VO (1.2.1) ist es nicht gekommen, weil die mit der durch Fristablauf bewirkten Annahme des Wiederaufnahmegesuchs in Lauf gesetzte Frist jeweils vor ihrem Ablauf wirksam unterbrochen worden ist (1.2.2), und zwar entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts auch durch die behördliche Aussetzung der Vollziehung (§ 80 Abs. 4 VwGO) durch das Bundesamt (1.2.3). Hierzu hat der Senat in seinem Urteil vom 8. Januar 2019 - BVerwG 1 C 16.18 - ausgeführt:</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>"1.2.1 In Fällen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats als des Mitgliedstaats, in dem sich der Antragsteller aufhält, regelt Art. 29 Dublin III-VO die Modalitäten und Fristen der Überstellung. Nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO erfolgt die Überstellung, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Annahme des (Wieder-)Aufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat (Alt. 1) oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat (Alt. 2). Verzögert sich die Überstellung wegen eines Rechtsbehelfsverfahrens mit aufschiebender Wirkung, ist der zuständige Mitgliedstaat hierüber unverzüglich zu unterrichten (Art. 9 Abs. 1 der Verordnung <EG> Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung <EG> Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist <ABl. L 222 S. 3>). Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO nicht mehr zur (Wieder-)Aufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>1.2.2 Nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Alt. 1 Dublin III-VO ist hier die sechsmonatige Überstellungsfrist erstmals nach der Annahme des Wiederaufnahmeersuchens durch die österreichischen Behörden vom 6. April 2017 in Lauf gesetzt worden. Zutreffend geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass die so in Lauf gesetzte Überstellungsfrist durch den fristgemäß gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung vom 16. Juni 2017 - welcher kraft Gesetzes ein Überstellungsverbot auslöst (vgl. § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG i.V.m. Art. 27 Abs. 3 Buchst. c Satz 2 Dublin III-VO) - unterbrochen worden ist (Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Alt. 2 Dublin III-VO), worüber das Bundesamt die österreichischen Behörden auch informiert hat. Mit Ergehen der ablehnenden gerichtlichen Eilentscheidung vom 28. Juni 2017 wurde die sechsmonatige Überstellungsfrist erneut in Gang gesetzt (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2016 - 1 C 15.15 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 83 Rn. 11 und Beschluss vom 27. April 2016 - 1 C 22.15 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 81 Rn. 18 ff.). Die Überstellungsfrist wird wegen des kraft Gesetzes damit verbundenen, verfahrenssichernden Überstellungsverbots (§ 34a Abs. 2 AsylG; s.a. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 [ECLI:EU:C:2018:465] -) auch in solchen Fällen unterbrochen, in denen ein gerichtlicher Eilantrag im Ergebnis ohne Erfolg bleibt oder nicht beschieden wird (a.A. wohl Österreichischer Verwaltungsgerichtshof, Entscheidung vom 14. Dezember 2017 - Ra 2015/20/0231-16 - und Schweizerisches Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19. November 2014 - E-3971/2013 -). Aus den Gründen seines Beschlusses vom 27. April 2016 - 1 C 22.15 - (Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 81 Rn. 18 ff.) hält es der Senat in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union weiterhin für geklärt (s. nur EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 [ECLI:EU:C:2009:41], Petrosian - Rn. 40 ff., 44), dass auch in Fällen, in denen eine Überstellung kraft Gesetzes oder kraft wirksamer Einzelfallentscheidung lediglich zeitweise ausgeschlossen war, die Mitgliedstaaten über eine zusammenhängende Frist von sechs Monaten verfügen müssen, die sie in vollem Umfang zur Regelung der technischen Probleme für die Bewerkstelligung der Überstellung sollen nutzen dürfen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>1.2.3 Die Überstellungsfrist, die mit dem Beschluss, mit dem der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes abgelehnt worden ist, neu in Lauf gesetzt worden ist, ist vor ihrem Ablauf wirksam durch die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO durch den Bescheid des Bundesamtes vom 17. August 2017 erneut unterbrochen worden. Diese Unterbrechung, die den österreichischen Behörden zudem auch mitgeteilt worden ist, dauerte im Zeitpunkt des Urteils des Verwaltungsgerichts an und hinderte den - vom Verwaltungsgericht zu Unrecht angenommenen - Übergang der Zuständigkeit auf die Bundesrepublik Deutschland.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p>a) Die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO durch die Behörde ist generell geeignet, die in Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO vorgesehene Überstellungsfrist zu unterbrechen (EuGH, Urteil vom 13. September 2017 - C-60/16 [ECLI:EU:C:2017:675], Khir Amayry - Rn. 71; BVerwG, Urteil vom 9. August 2016 - 1 C 6.16 - BVerwGE 156, 9 Rn. 18). Nach Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die zuständigen Behörden beschließen können, von Amts wegen tätig zu werden, um die Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung auszusetzen. Diese unionsrechtlich vorgesehene Möglichkeit wird im nationalen Recht durch § 80 Abs. 4 VwGO eröffnet.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Nichts anderes folgt für die Unterbrechungswirkung daraus, dass Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO nicht auch auf Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO Bezug nimmt. Nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO ist allein entscheidend, dass ein Rechtsbehelf im Sinne des Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat und daher eine Überstellung nicht durchgeführt werden kann. Die in Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO den Mitgliedstaaten eröffnete Möglichkeit, dass auch die zuständigen Behörden die Durchführung der Überstellungsentscheidung aussetzen können, erweitert lediglich die Fallgruppen, in denen einem Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung im Sinne des Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO zukommt. Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO verlöre im Übrigen in weitem Maße seine praktische Wirksamkeit, wenn die Regelung nicht angewendet werden könnte, ohne dass die Gefahr bestünde, dass die Überstellungsfrist abläuft und ein Zuständigkeitsübergang die Folge wäre (EuGH, Urteil vom 13. September 2017 - C-60/16 - Rn. 71).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>b) Die Wirkung, die Überstellungsfrist neuerlich zu unterbrechen, entfällt bei der Aussetzungsentscheidung vom 17. August 2017 nicht deswegen, weil diese rechtswidrig wäre. Vielmehr hält sie sich in den Grenzen, die durch das nationale Recht und Unionsrecht vorgegeben sind.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>aa) Nach § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO haben die Behörden grundsätzlich die Befugnis, nach Ermessen die Vollziehung auszusetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Regelungen des Asylgesetzes schließen eine behördliche Aussetzung nach § 80 Abs. 4 VwGO nicht aus. § 34a AsylG ordnet allerdings an, dass u.a. in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG die Abschiebung anzuordnen ist, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann (Abs. 1), und enthält Sonderregelungen zu der Frist, die bei einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu beachten ist, sowie zu einem Verbot der Abschiebung vor der gerichtlichen Entscheidung (Abs. 2). Damit ist aber die behördliche Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 VwGO weder ausdrücklich noch der Sache nach ausgeschlossen. Namentlich können auch bei einer im Sinne des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG rechtlich und tatsächlich möglichen Abschiebung Gründe vorliegen, die es rechtfertigen, deren Vollziehung - etwa zur Sicherung der Effektivität gerichtlichen Rechtsschutzes - vorübergehend bis zu einer abschließenden gerichtlichen Klärung auszusetzen. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gebietet in solchen Fällen - entgegen der Auffassung der Klägerseite - nicht, die Abschiebungsanordnung aufzuheben, was die endgültige gerichtliche Klärung gerade verhinderte. Denn selbst bei nach Erlass der Abschiebungsanordnung auftretenden Abschiebungsverboten oder Duldungsgründen ist das Bundesamt nicht verpflichtet, die Abschiebungsanordnung nach § 48 VwVfG aufzuheben; namentlich bei vorübergehenden Abschiebungshindernissen kann es deren Vollziehung auch (vorläufig) aussetzen (s.a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14 - Asylmagazin 2014, 341). Auch aus weiteren Regelungen des Asylgesetzes ergibt sich kein bundesgesetzlicher Ausschluss des § 80 Abs. 4 VwGO im Asylverfahren; § 36 Abs. 4 AsylG etwa regelt allein den Maßstab für die gerichtliche Anordnung der Aussetzung der Abschiebung und schließt weitergehende behördliche Aussetzungsentscheidungen nicht aus.</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p>§ 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO beschränkt das behördliche Aussetzungsermessen für das Asylverfahren ebenfalls nicht. Hiernach 'soll' die Aussetzung bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Dieser auf die (qualifizierte) Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bezogene Maßstab ist auf die Vollziehbarkeit sonstiger Verwaltungsakte weder unmittelbar noch - entgegen im Schrifttum teilweise vertretener Ansicht (s. etwa Gersdorf, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 47. Edition, Stand 1. Juli 2018, § 80 Rn. 126) - entsprechend anzuwenden (s. nur BVerwG, Beschluss vom 17. September 2001 - 4 VR 19.01 - Buchholz 310 § 80 VwGO Nr. 66 S. 3 f.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p>bb) Unionsrecht setzt in Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO eine behördliche Aussetzung der Vollziehung voraus, steht also § 80 Abs. 4 VwGO gerade nicht entgegen. Es setzt aber dem nach nationalem Recht (§ 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO) eröffneten weiten Handlungsspielraum durch unionsrechtliche Vorgaben (vgl. insbesondere Art. 27 und 28 Dublin III-VO) gewisse Grenzen. Diese Beschränkungen ergeben sich daraus, dass die behördliche Aussetzungsentscheidung den Antragsteller nicht nur begünstigt, indem aufenthaltsbeendende Maßnahmen auf der Grundlage der Abschiebungsanordnung zunächst nicht mehr erfolgen können, sondern mittelbar auch belastet, weil sie die Überstellungsfrist unterbricht und so dazu führen kann, dass ein vom Antragsteller möglicherweise erstrebter Zuständigkeitsübergang nicht erfolgt; zu berücksichtigen sind auch die Belange des zuständigen Mitgliedstaats.</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p>Mindestvoraussetzung einer behördlichen Aussetzungsentscheidung nach § 80 Abs. 4 VwGO ist, dass der Antragsteller einen Rechtsbehelf gegen die Abschiebungsanordnung eingelegt hat (Art. 27 Abs. 4 und Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO). Weitere Grenzen folgen aus dem von Art. 27 Abs. 3 und 4 i.V.m. Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO angestrebten Ziel eines angemessenen Ausgleichs zwischen einerseits der Gewährung effektiven Rechtsschutzes und der Ermöglichung einer raschen Bestimmung des für die inhaltliche Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats (vgl. Erwägungsgrund 5 zur Dublin III-VO) und andererseits dem Ziel zu verhindern, dass sich Asylbewerber durch Weiterwanderung den für die Prüfung ihres Asylbegehrens zuständigen Mitgliedstaat aussuchen (Verhinderung von Sekundärmigration) (BVerwG, Urteil vom 27. April 2016 - 1 C 24.15 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 82 Rn. 13). Der Zuständigkeitsübergang nach Ablauf der Überstellungsfrist soll verhindern, dass Asylanträge monate- oder gar jahrelang nicht geprüft werden, zugleich soll das Ziel einer möglichst schnellen Prüfung nicht dazu führen, dass dem jeweiligen Mitgliedstaat keine zusammenhängende Überstellungsfrist von sechs Monaten zur Verfügung steht, in der nur noch die Überstellungsmodalitäten zu regeln sind (EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009- C-19/08 - Rn. 43 ff.) oder der Beschleunigungsgedanke zulasten eines effektiven Rechtsschutzes verwirklicht wird (vgl. § 27 Abs. 3 und 4 Dublin III-VO).</p>
</dd>
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<dd>
<p>Eine behördliche Aussetzungsentscheidung darf hiernach auch unionsrechtlich jedenfalls dann ergehen, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung bestehen (so bereits BVerwG, Urteil vom 9. August 2016 - 1 C 6.16 - BVerwGE 156, 9 Rn. 18); dann haben die Belange eines Antragstellers auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes offenkundig Vorrang vor dem Beschleunigungsgedanken. Die Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes (s.a. Art. 46 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes <ABl. L 180 S. 60>) erlaubt eine behördliche Aussetzung aus sachlich vertretbaren Erwägungen, die nicht rechtlich zwingend sein müssen, auch unterhalb dieser Schwelle, wenn diese den Beschleunigungsgedanken und die Interessen des zuständigen Mitgliedstaats nicht willkürlich verkennen und auch sonst nicht missbräuchlich sind. Das vorliegende Verfahren gibt dabei keinen Anlass zur abschließenden Klärung dieser Willkür- oder Missbrauchsschwelle; sie wird aber dann überschritten sein, wenn bei klarer Rechtslage und offenkundig eröffneter Überstellungsmöglichkeit die behördliche Aussetzungsentscheidung allein dazu dient, die Überstellungsfrist zu unterbrechen, weil sie aufgrund behördlicher Versäumnisse ansonsten nicht (mehr) gewahrt werden könnte.</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p>cc) Die Aussetzungsentscheidung des Bundesamtes vom 17. August 2017 ist nach diesen Grundsätzen beachtlich und hat die Überstellungsfrist neuerlich unterbrochen.</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p>(1) Dem unionsrechtlichen Mindesterfordernis, dass der Kläger einen Rechtsbehelf im Sinne des Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO eingelegt hat, ist mit der am 16. Juni 2017 erhobenen und zum Zeitpunkt der Aussetzungsentscheidung weiterhin anhängigen Klage, die sich auch gegen die Abschiebungsanordnung richtet, entsprochen. Keine andere Beurteilung ergibt sich daraus, dass der Kläger auch einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt hatte, der erfolglos geblieben ist. Unionsrecht verbietet den Mitgliedstaaten jedenfalls nicht, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen oder Überstellungsmaßnahmen auch dann abzusehen, wenn zwar eine erste gerichtliche Überprüfung der Überstellungsentscheidung nicht zur Gewährung aufschiebender Wirkung geführt hat, über den Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung aber noch nicht endgültig entschieden ist.</p>
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</dl>
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<dd>
<p>(2) Die Aussetzungsentscheidung des Bundesamtes ist hier jedenfalls durch die von dem Kläger erhobene Verfassungsbeschwerde, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und die auf Bitte des Bundesverfassungsgerichts vom Bundesamt erteilte Stillhalteerklärung sachlich gerechtfertigt.</p>
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<p>Die Verfassungsbeschwerde entfaltet als außerordentlicher Rechtsbehelf selbst keine aufschiebende Wirkung. Diese wird auch nicht schon durch eine formlose Bitte des Bundesverfassungsgerichts bewirkt, zur Verfahrenssicherung bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde von Vollziehungsmaßnahmen abzusehen. Nicht zu vertiefen ist, welche Rechtsqualität einer solchen 'Stillhaltebitte' des Bundesverfassungsgerichts und einer entsprechenden behördlichen Erklärung zukommt, namentlich dann, wenn sie dem Antragsteller (und Verfassungsbeschwerdeführer) nicht mitgeteilt wird. Diese - auf die Wahrung der Effektivität auch des nationalen Verfahrens der Verfassungsbeschwerde bezogenen - Vorgänge sind jedenfalls ein hinreichender, sachlich rechtfertigender Anlass für eine behördliche Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 VwGO. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts, durch den der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO abgelehnt worden ist, entfaltet gegenüber einer behördlichen Aussetzungsanordnung nach § 80 Abs. 4 VwGO keine Sperrwirkung; dies gilt insbesondere dann, wenn diese gerichtliche Entscheidung ihrerseits Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd>
<p>Die behördliche Aussetzungsentscheidung war hier schon deswegen sachlich geboten, frei von Willkür und nicht rechtsmissbräuchlich, weil sie die Berücksichtigung der Effektivität verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes sicherstellte, ohne eine endgültige Veränderung der Rechtslage durch einen Zuständigkeitsübergang infolge Ablaufs der Überstellungsfrist zu bewirken. Bereits nach nationalem Recht führen die Erhebung der Verfassungsbeschwerde und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht nach Art. 27 Abs. 3 i.V.m. Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO zu einer Unterbrechung der Überstellungsfrist. Dazu bedurfte es der - hier auch erfolgten - behördlichen Aussetzungsentscheidung. Neben der Effektivierung des Rechtsschutzes des Klägers - erst mit der behördlichen Aussetzungsentscheidung stand für diesen fest, dass während des verfassungsgerichtlichen Verfahrens nicht mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu rechnen sei - dient die behördliche Aussetzungsanordnung auch der Klarstellung im Verhältnis zu dem zuständigen Mitgliedstaat, dass der Lauf der Überstellungsfrist (erneut) unterbrochen worden ist.</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p>Dem Interesse des Klägers an einer zeitnahen Klärung der internationalen Zuständigkeit für die Sachentscheidung über seinen Asylantrag kommt dabei hier kein ausschlaggebendes Gewicht zu. Mit der behördlichen Aussetzungsanordnung hat das Bundesamt der Sache nach (vorläufig) seinem Rechtsschutzbegehren, vor der endgültigen Klärung der internationalen Zuständigkeit nicht aus dem Bundesgebiet abgeschoben zu werden, entsprochen, welches er zunächst mit dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung und nachfolgend mit der mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundenen Verfassungsbeschwerde verfolgt hat. Das mögliche Ziel, damit auch einen Zuständigkeitsübergang zu erwirken, wäre weder nach nationalem noch nach Unionsrecht schutzwürdig.</p>
</dd>
</dl>
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<dd>
<p>1.2.4 Nicht zu vertiefen ist, ob der Senat einen Ablauf der Überstellungsfrist während des Revisionsverfahrens berücksichtigen könnte, weil auch während des Revisionsverfahrens die Überstellungsfrist nicht abgelaufen ist. Das Bundesamt hatte die Überstellung lediglich bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde oder den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ausgesetzt. Diese Aussetzung ist mit der Rücknahme der Verfassungsbeschwerde durch den Kläger gegenstandslos geworden, weil sie erkennbar zur Sicherung des durch Rücknahme beendeten verfassungsgerichtlichen Verfahrens ergangen ist. Die damit neu in Lauf gesetzte Überstellungsfrist ist indes vor ihrem Ablauf zur Sicherung des Revisionsverfahrens durch eine erneute Aussetzungsentscheidung des Bundesamtes nach § 80 Abs. 4 VwGO unterbrochen worden. Auch diese Aussetzungsentscheidung genügt angesichts der im Revisionsverfahren zu klärenden Grundsatzfrage den nach nationalem und Unionsrecht zu stellenden Anforderungen. Dies gilt umso mehr, als durch das der Klage stattgebende erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts in der Hauptsache ungeachtet der von der Beklagten eingelegten Revision nunmehr selbst 'ernstliche Zweifel' an der Abschiebungsanordnung begründet worden sind. Diese neue Verfahrenslage durfte das Bundesamt der Beklagten sachgerecht und willkürfrei zum Anlass der neuerlichen Aussetzung nehmen."</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_15">15</a>
</dt>
<dd>
<p>
Diese Erwägungen, an denen der Senat festhält, gelten auch im vorliegenden Verfahren.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_16">16</a>
</dt>
<dd>
<p>
2. Das stattgebende Urteil zur Ablehnung des Asylantrags als unzulässig erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_17">17</a>
</dt>
<dd>
<p>
2.1 Die Bundesrepublik Deutschland war nicht verpflichtet, von ihrem gemäß Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 Dublin III-VO bestehenden Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Offenbleiben kann dabei, ob ein Antragsteller sich im gerichtlichen Verfahren auf eine etwa fehlerhafte Betätigung des durch Art. 17 Dublin III-VO eingeräumten Ermessens berufen kann (nicht eindeutig insoweit EuGH, Urteil vom 16. Februar 2017 - C-578/16 PPU [ECLI:EU:C:2017:127] - Rn. 88). Jedenfalls sind vorliegend die Voraussetzungen für eine Reduktion des den nationalen Behörden in Art. 17 Dublin III-VO eingeräumten Ermessens zum Selbsteintritt wegen unangemessen langer Verfahrensdauer (vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - C-4/11 [ECLI:EU:C:2013:740], Puid - Rn. 35 <noch zu Art. 3 Abs. 2 der Verordnung [EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist - Dublin II-VO ->) nicht erfüllt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_18">18</a>
</dt>
<dd>
<p>
2.2 Der Senat kann mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen nicht abschließend beurteilen, ob der Feststellung der anderweitigen internationalen Zuständigkeit der Republik Italien hier entgegenstand, dass die Zuständigkeit wegen sog. systemischer Mängel des dortigen Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen (vgl. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO und EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 [ECLI:EU:C:2011:865], N. S. u.a. -; EGMR <GK>, Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09, M. S. S./Belgien und Griechenland - NVwZ 2011, 413) auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_19">19</a>
</dt>
<dd>
<p>
2.2.1 Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO verlangt eine weitergehende Prüfung der internationalen Zuständigkeit allerdings nur und erst dann, wenn sich die Überstellung in den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat als unmöglich erweist, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen. Nach dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 - Rn. 79 ff.) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylantragsteller in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Konvention für Menschenrechte und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht (s.a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Dezember 2017 - 2 BvR 1872/17 - EuGRZ 2018, 69 Rn. 19). An die Widerlegung dieser Vermutung sind hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylantragsteller regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass diesem im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 - NVwZ 2014, 1039 <1040>).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_20">20</a>
</dt>
<dd>
<p>
2.2.2 Das Verwaltungsgericht hat - nach seiner Rechtsauffassung, dass die Zuständigkeit bereits durch Fristablauf übergegangen sei, folgerichtig - im Klageverfahren keine tatrichterlichen Feststellungen zu den tatsächlichen Verhältnissen getroffen, welche für die Beurteilung eines Zuständigkeitsübergangs nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO maßgeblich sind. Soweit das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 30. März 2017 einen Zuständigkeitsübergang mit Blick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in der Republik Italien geprüft und verneint hatte, hat es sich diese Ausführungen in seinem Urteil nicht ausdrücklich zu eigen gemacht und auch nicht geprüft, ob sich die Verhältnisse in der Republik Italien bis zu dem für seine Entscheidung im Klageverfahren maßgeblichen Zeitpunkt in entscheidungserheblicher Weise verändert hatten.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_21">21</a>
</dt>
<dd>
<p>
Unabhängig von der Frage, ob die Beteiligten Umstände vorgetragen haben, welche die Vermutung für eine ordnungsgemäße Behandlung von Asylantragstellern in der Republik Italien substantiell erschüttern könnten, kann ein solcher Ausnahmefall ohne entsprechende tatrichterliche Feststellung revisionsgerichtlich jedenfalls nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden. In der veröffentlichten Rechtsprechung waren zwar systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in der Republik Italien überwiegend - jedenfalls für gesunde, alleinstehende junge Personen - verneint worden (statt vieler OVG Münster, Urteil vom 24. August 2016 - 13 A 63/16.A -; VG Magdeburg, Urteil vom 27. April 2017 - 8 A 674/16 -; VG Trier, Beschluss vom 20. Juli 2017 - 5 L 7778/17.TR -; VG Braunschweig, Urteil vom 26. September 2017 - 7 A 338/16 -; VG Köln, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 19 K 5869/16.A -; VG Freiburg, Beschluss vom 10. Januar 2018 - A 4 K 6049/17 -; VG Augsburg, Urteil vom 22. Januar 2018 - Au 5 K 17.50400 - und VG Bayreuth, Beschluss vom 26. Januar 2018 - B 5 S 18.50036 -). Bereits Art und Umfang der hierauf bezogenen Erwägungen in jenen Entscheidungen, die im Ergebnis das Vorliegen systemischer Mängel verneint haben, belegen indes, dass Anlass für eine dem Tatrichter vorzubehaltende Aufbereitung und Bewertung der vorhandenen Erkenntnisquellen bestand. Es kommt hinzu, dass einige Verwaltungsgerichte (s. etwa VG Hannover, Urteile vom 23. Januar 2018 - 10 A 5850/17 und 10 A 6779/17 -; vom 25. Januar 2018 - 10 A 10685/17 und 10 A 5810/17 -; vom 26. Januar 2018 - 10 A 5881/17 - und vom 30. Januar 2018 - 10 A 7134/17 -; s.a. - für die Rückführung junger Volljähriger - VG Berlin, Beschluss vom 4. Dezember 2017 - 28 L 209.17 A -; für anerkannte international Schutzberechtigte s.a. VG Minden, Urteil vom 29. November 2017 - 10 K 1823/15.A -) aufgrund der zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorliegenden Erkenntnisse nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO beachtliche Schwachstellen des Asylsystems und der Aufnahmebedingungen in der Republik Italien angenommen haben. Daran ändert nichts, dass diese Entscheidungen teils im Berufungsrechtszug keinen Bestand hatten (zu der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Hannover s. etwa OVG Lüneburg, Urteil vom 9. April 2018 - 10 LB 92/17 -). Denn für das Revisionsverfahren kommt es nicht darauf an, welche Bewertung der tatsächlichen Verhältnisse in der Republik Italien im Ergebnis sachlich richtig ist; entscheidend ist, ob der Senat diese Feststellung und Bewertung ohne tatsächliche Feststellungen treffen darf. Dies ist nicht der Fall, sodass der Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_22">22</a>
</dt>
<dd>
<p>
3. Die Aufhebung des verwaltungsgerichtlichen Urteils zu der Frage, ob die Entscheidung der Beklagten zu der Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG rechtmäßig ist, lässt auch keine abschließende Beurteilung der Rechtmäßigkeit der behördlichen Folgeentscheidungen in dem Bescheid zu, nämlich der Feststellung, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Ziffer 2), der Abschiebungsanordnung (Ziffer 3) und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (Ziffer 4).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_23">23</a>
</dt>
<dd>
<p>
4. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.</p>
</dd>
</dl>
</div>
|
161,496 | olgmuen-2019-01-09-7-u-150918 | {
"id": 277,
"name": "Oberlandesgericht München",
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<div>
<p>1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 29.03.2018, Az. 16 HK O 7910/17, in Ziffer 1. dahingehend abgeändert, dass darüber hinaus festgestellt wird, dass der Beschluss der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 29.08.2017 zu TOP 5 der Tagesordnung insoweit nichtig ist, als den Geschäftsführern der Beklagten für die Veräußerung sämtlicher Geschäftsanteile der Beklagten an der ... Ha. GmbH Entlastung erteilt wird.</p>
<p>2. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und bleibt die Klage abgewiesen.</p>
<p>3. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte 20%, die Klägerin 80%.</p>
<p>4. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.</p>
<p>Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.</p>
<p>Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.</p>
<p>5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.</p>
</div>
<h2>Tatbestand</h2>
<div>
<p>A.</p>
<p><rd nr="1"/>Die Parteien streiten um die Wirksamkeit von Beschlüssen der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 29.08.2017.</p>
<p><rd nr="2"/>Die Beklagte ist eine GmbH, deren Gegenstand „die Beteiligung bei anderen Gesellschaften und die Übernahme der persönlichen Haftung und der Geschäftsführung bei anderen Gesellschaften sowie die Verwaltung eigenen Vermögens und das Halten von Beteiligungen“ ist (§ 2 Ziffer 1 des Gesellschaftsvertrages vom 08.02.2017, im Folgenden als GV bezeichnet, laut Anl. K 2).</p>
<p>§ 8 GV lautet:</p>
<p>1. „Die Beschlüsse der Gesellschafter werden in Versammlungen gefasst. Zur Beschlussfassung ist einfache Stimmenmehrheit erforderlich. (…) Satzungsänderungen, die Auflösung der Gesellschaft, den (sic) Abschluss von Beherrschungs- oder Gewinnabführungsverträgen oder sonstiger Unternehmensverträgen (sic) sowie die Umwandlung oder Verschmelzungen können nur in förmlicher Gesellschafterversammlung mit 3/4-Mehrheit der abgegebenen Stimmen beschlossen werden.“</p>
<p>(…) 3. „Zur Gesellschafterversammlung ist durch Einschreibebrief, Telefax, E-Mail oder gegen Quittung zu laden. (…) Zu laden ist unter Angabe von Tagungsort, Tagungszeit, Tagesordnung und vorgeschlagener Beschlussfassung. Ladungsberechtigt ist jeder Geschäftsführer allein. Trifft die Gesellschafterversammlung hierüber keine andere Bestimmung, ist Versammlungsleiter der dienstälteste Geschäftsführer der Gesellschaft.“</p>
<p>4. (…) „Eine Beschlussanfechtung ist nur binnen Monatsfrist seit Beschlusszustellung zulässig.“</p>
<p><rd nr="3"/>Gesellschafter der Beklagten, deren Stammkapital 25.000,00 € beträgt, sind die Klägerin zu 34% und die T. W. GmbH zu 66%. Zu Geschäftsführern der Beklagten wurden der Geschäftsführer der Klägerin, Herr W. B., sowie die beiden Geschäftsführer der T.W. GmbH, die Herren T. K. und H.-T. L. bestellt.</p>
<p><rd nr="4"/>Die Beklagte hielt 100% der Anteile an der ... Ha. GmbH sowie der ... Ho. GmbH.</p>
<p><rd nr="5"/>Mit E-Mail vom 02.05.2017 (Anl. K 4 und B 6) teilte der Geschäftsführer der Beklagten L.den beiden weiteren Geschäftsführern der Beklagten mit, dass hinsichtlich des Grundstückskaufs J.ring 17 eine Deckungslücke von 663.913,00 € bestehe. Zur Vermeidung eines Insolvenzantrags werde er die Anteile der Beklagten an der ... Ha. GmbH zum Preis von 1,00 € „unter Freihaltung von allen Verpflichtungen“ an einen seiner Mandanten verkaufen. Dem E-Mail war folgender Gesellschafterumlaufbeschlussentwurf zur Unterschrift beigefügt:</p>
<p>„Der Geschäftsführung wird der Auftrag erteilt sämtliche Gesellschaftsanteile an der ... Ha. GmbH (…) zum Kaufpreis von 1,00 € gegen Freistellung von der Verpflichtung der Leistung der Stammeinlage und Zusicherung der Finanzierung der Gesellschaft ... Ha. GmbH (…) im Hinblick auf sämtliche Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Grundstückskaufvertrag Notar Dr. P. UR.-Nr. …82/2017P zu veräußern.“</p>
<p><rd nr="6"/>Die Ta. W. GmbH stimmte dem Umlaufbeschluss am 02.05.2017 zu, die Klägerin am 03.05.2017 ausdrücklich nicht (Anl. K 5).</p>
<p><rd nr="7"/>In der Folge veräußerte die Beklagte ihre Geschäftsanteile an der ... Ha. GmbH.</p>
<p><rd nr="8"/>Mit Klage vom 30.05.2017, eingegangen beim Landgericht München I am selben Tag und dem Geschäftsführer der Beklagten L. am 21.07.2017 zugestellt, focht die Klägerin den Umlaufbeschluss vom 02.05.2017/03.05.2017 an.</p>
<p><rd nr="9"/>Mit Schreiben vom 18.08.2017 (Anl. K 6) lud der Geschäftsführer der Beklagten L. die Gesellschafter zu einer Gesellschafterversammlung am 29.08.2017 um 12.00 Uhr in die Südliche M. Straße 60 in …G. Die Tagesordnung lautete wie folgt:</p>
<p>„1. Finanzierung des Projektes der Tochtergesellschaft ... Ho. GmbH. 2. Stand des Projektes L.-Markt Ho (Berichterstattung durch GF B.).“</p>
<p>a. - Wie ist der Stand der Vertragsabwicklung mit der Verkäuferseite?</p>
<p>b. - Wie ist der Planungsstand mit der Gemeinde Ho.?</p>
<p>c. - Wie ist der Stand der Vertragsverhandlungen mit L.?</p>
<p>3. Abberufung des Geschäftsführers W. B.</p>
<p>4. Einforderung der ausstehenden Gesellschaftereinlage B.Vermögensverwaltungsgesellschaft mbh & Co. KG i.H.v. 8.500,00 €</p>
<p>5. Bestätigung des Beschlusses über den Verkauf der Anteile an der ... Ha. GmbH vom 02.05.2017/03.05.2017“.</p>
<p><rd nr="10"/>In der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 29.08.2017, zu der nur die T.W. GmbH vertreten durch den Geschäftsführer K. erschienen war, der sodann die Versammlungsleitung übernahm, wurden folgende Beschlüsse jeweils einstimmig gefasst:</p>
<p>Zu TOP 1: Die Geschäftsführung wird mit der Beantragung der Finanzierung beauftragt.</p>
<p>Zu TOP 2a: Der Geschäftsführer T. K. wird beauftragt, mit dem Verkäufer die eingetretene Situation und die Möglichkeit einer positiven Fortführung des Projektes zu erörtern.</p>
<p>Zu TOP 2b: Die Geschäftsführung wird beauftragt, einen fachkundigen Berater zu mandatieren, der die planungsrechtliche Situation mit der Gemeinde H. erörtert.</p>
<p>Zu Top 2c: Der Geschäftsführer T. K. wird beauftragt, mit der L. Dienstleistung GmbH & Co KG den Stand der Verhandlung zu erörtern und die Verhandlungen fortzusetzen.</p>
<p>Zu TOP 3: Herr W. B. wird mit sofortiger Wirkung als Geschäftsführer abberufen und ihm keine Entlastung erteilt.</p>
<p>Zu TOP 4: Die Geschäftsführung wird beauftragt, die ausstehende Stammeinlage der B.Vermögensverwaltungsgesellschaft mbH & Co KG in Höhe von EUR 8.500,00 € einzufordern und das Kaduzierungsverfahren nach § 21 GmbHG einzuleiten.</p>
<p>Zu TOP 5: Der Umlaufbeschluss vom 02.05.2017/03.05.2017, der der Geschäftsführung mit 66 Ja-Stimmen und 34 Nein-Stimmen den Auftrag erteilte, sämtliche Geschäftsanteile an der ... Ha. GmbH (…) zu veräußern, wird vollumfänglich bestätigt. Den Geschäftsführern wird für diese Maßnahme gesondert Entlastung erteilt.</p>
<p><rd nr="11"/>Das Protokoll der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 29.08.2017 (Anl. B 7) wurde der Klägerin am 13.09.2017 bekannt gegeben.</p>
<p><rd nr="12"/>Der Klage(erweiterungs) schriftsatz, mit dem die Klägerin die Beschlüsse vom 29.08.2017 anfocht, ging am 10.10.2017 beim Landgericht ein. Nach gerichtlicher Streitwertfestsetzung mit Beschluss vom 12.10.2017 (Bl. 33 d.A.) und Zahlung des mit Kostenrechnung vom 13.10.2017 geforderten weiteren Vorschusses am 24.10.2017 (vgl. Kostenbeleg IV) durch die Klägerin wurde der Klage(erweiterungs) schriftsatz am 09.11.2017 der Beklagten zugestellt.</p>
<p><rd nr="13"/>Hinsichtlich des Beschlusses vom 29.08.2017 behauptet die Klägerin, der Versammlungsort sei für sie nicht erreichbar gewesen, die Versammlung sei zu Unrecht vom Geschäftsführer K. geleitet und der Geschäftsführer B. grundlos abberufen worden.</p>
<p><rd nr="14"/>Darüber hinaus habe der Umlaufbeschluss vom 02.05.2017/03.05.2017 nicht bestätigt werden können, da zum Zeitpunkt der Beschlussfassung darüber am 29.08.2017 der Verkauf der Geschäftsanteile der Beklagten an der ... Ha. GmbH bereits erfolgt sei, sodass nur noch über eine Genehmigung des Verkaufs hätte beschlossen werden können. Davon sei aber in der in der Einladung vom 18.08.2017 enthaltenen Tagesordnung nicht die Rede gewesen.</p>
<p><rd nr="15"/>Schließlich habe am 02.02.2018 eine weitere Gesellschafterversammlung der Beklagten stattgefunden, in der eine Genehmigung des Anteilsverkaufs abgelehnt worden sei.</p>
<p><rd nr="16"/>Die Klägerin beantragte,</p>
<p>1. den Gesellschafterbeschluss der Beklagten im Umlaufverfahren vom 02.05.2017, der Geschäftsführung den Auftrag zu erteilen, sämtliche Geschäftsanteile an der ... Ha.GmbH zu veräußern, insgesamt für ungültig zu erklären,</p>
<p>hilfsweise festzustellen, dass dieser Gesellschafterbeschluss der Beklagten vom 02.05.2017 nichtig ist.</p>
<p>2. Der Gesellschafterbeschluss der Beklagten vom 29.08.2017 zu Punkt 1 der Tagesordnung, die Geschäftsführung mit der Beantragung der Finanzierung des Projektes ... Ho. GmbH zu beauftragen, wird für ungültig erklärt, hilfsweise festzustellen, dass dieser Gesellschafterbeschluss nichtig ist,</p>
<p>3. Der Gesellschafterbeschluss der Beklagten vom 29.08.2017 zu Punkt 2 a) bis c) der Tagesordnung, insbesondere den Geschäftsführer T. K. zu beauftragen, mit dem Verkäufer bezüglich des Projekts L, die eingetretene Situation und die Möglichkeit einer positiven Fortführung des Projektes zu erörtern, einen fachkundigen Berater zu beauftragen, mit der Gemeinde Ho, die planungsrechtliche Situation zu erörtern, sowie den Geschäftsführer K. zu beauftragen, mit der L, Dienstleistung GmbH & Co KG den Stand der Verhandlungen zu erörtern und die Verhandlungen fortzusetzen, wird für ungültig erklärt, hilfsweise festzustellen, dass dieser Beschluss bzw. diese Beschlüsse nichtig sind,</p>
<p>4. Der Gesellschafterbeschluss der Beklagten vom 29.08.2017 zu Punkt 3 der Tagesordnung, Herrn W. B. als Geschäftsführer abzuberufen und ihm keine Entlastung zu erteilen, wird für ungültig erklärt, hilfsweise festzustellen, dass dieser Beschluss nichtig ist,</p>
<p>5. Der Gesellschafterbeschluss der Beklagten vom 29.08.2017 zu Punkt 4 der Tagesordnung, die Geschäftsführung das Kaduzierungsverfahren gegenüber der Klägerin nach § 21 GmbHG einzuleiten (sic), wird für ungültig erklärt, hilfsweise festzustellen, dass dieser Beschluss nichtig ist,</p>
<p>6. Der Gesellschafterbeschluss der Beklagten vom 29.08.2017 zu Punkt 5 der Tagesordnung, den Umlaufbeschluss vom 02.05.2017/03.05.2017 zu bestätigen, wird für ungültig erklärt, hilfsweise festzustellen, dass dieser Beschluss nichtig ist.</p>
<p><rd nr="17"/>Die Beklagte beantragte</p>
<p>Klageabweisung.</p>
<p><rd nr="18"/>Sie erwiderte mit nicht nachgelassenem Schriftsatz, dass die auf den 02.02.2018 anberaumte Gesellschafterversammlung der Beklagten mit Schreiben vom 25.01.2018 abgeladen worden sei (Anl. B 9).</p>
<p><rd nr="19"/>Das Landgericht München I stellte mit Endurteil vom 29.03.2018, Az. 16 HK O 7910/17, fest, dass der Gesellschafterbeschluss der Beklagten im Umlaufverfahren vom 02./03.05.2017 unwirksam sei, da er nicht im Umlaufverfahren hätte gefasst werden dürfen, und wies die Klage im Übrigen ab. Auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Endurteils wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen.</p>
<p><rd nr="20"/>Die Klägerin verfolgt mit ihrer Berufung ihr erstinstanzliches Klageziel, soweit ihm das Landgericht nicht entsprochen hat, weiter.</p>
<p><rd nr="21"/>Sie beantragt,</p>
<p>das Urteil des Landgerichts München I, Geschäftszeichen 16 HK O 7910/17, verkündet am 29.03.2018, teilweise wie folgt abzuändern:</p>
<p>1. Der Gesellschafterbeschluss der Beklagten vom 29.08.2017 zu Punkt 1 der Tagesordnung, die Geschäftsführung mit der Beantragung der Finanzierung des Projektes ... Ho,GmbH zu beauftragen, wird für ungültig erklärt, hilfsweise festzustellen, dass dieser Gesellschafterbeschluss nichtig ist;</p>
<p>2. Der Gesellschafterbeschluss der Beklagten vom 29.08.2017 zu Punkt 2a bis c der Tagesordnung, insbesondere den Geschäftsführer T. K, zu beauftragen, mit dem Verkäufer bezüglich des Projekts L, die eingetretene Situation und die Möglichkeit einer positiven Fortführung des Projektes zu erörtern, einen fachkundigen Berater zu beauftragen, mit der Gemeinde Ho, die planungsrechtliche Situation zu erörtern, sowie den Geschäftsführer K. zu beauftragen, mit der L, Dienstleistung GmbH & Co KG den Stand der Verhandlungen zu erörtern und die Verhandlungen fortzusetzen, wird für ungültig erklärt, hilfsweise festzustellen, dass dieser Beschluss bzw. diese Beschlüsse nichtig sind;</p>
<p>3. Der Gesellschafterbeschluss der Beklagten vom 29.08.2017 zu Punkt 3 der Tagesordnung, Herrn W. B. als Geschäftsführer abzuberufen und ihm keine Entlastung zu erteilen, wird für ungültig erklärt, hilfsweise festzustellen, dass dieser Beschluss nichtig ist;</p>
<p>4. Der Gesellschafterbeschluss der Beklagten vom 29.08.2017 zu Punkt 4 der Tagesordnung, die Geschäftsführung das Kaduzierungsverfahren gegenüber der Klägerin nach § 21 GmbHG einzuleiten (sic), wird für ungültig erklärt, hilfsweise festzustellen, dass dieser Beschluss nichtig ist;</p>
<p>5. Der Gesellschafterbeschluss der Beklagten vom 29.08.2017 zu Punkt 5 der Tagesordnung, den Umlaufbeschluss vom 02.05.2017/03.05.2017 zu bestätigen, wird für ungültig erklärt, hilfsweise festzustellen, dass dieser Beschluss nichtig ist.</p>
<p><rd nr="22"/>Die Beklagte beantragt,</p>
<p>die Berufung zurückzuweisen.</p>
<p><rd nr="23"/>Das Gericht hat am 05.12.2018 mündlich verhandelt. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, die zwischen den Prozessbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.</p>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<p>B.</p>
<p><rd nr="24"/>Die zulässige Berufung der Klägerin ist nur insoweit begründet, als über die von keiner der Parteien angegriffene und damit rechtskräftige Feststellung der Unwirksamkeit des Beschlusses der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 02.05.2017/03.05.2017 durch das Landgericht hinaus festzustellen war, dass der Beschluss der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 29.08.2017 zu TOP 5 der Tagesordnung insoweit nichtig ist, als den Geschäftsführern der Beklagten für die Veräußerung sämtlicher Geschäftsanteile der Beklagten an der ... Ha, GmbH Entlastung erteilt wird. Im Übrigen ist die Berufung der Klägerin unbegründet und bleibt die Klage abgewiesen.</p>
<p>I.</p>
<p><rd nr="25"/>1. Die Beschlüsse vom 29.08.2017 sind nicht schon deshalb anfechtbar, weil sich am vorgesehenen Ort der Versammlung „aktuell weder ein Briefkasten der Beklagten noch ein Klingelschild“ befunden habe.</p>
<p><rd nr="26"/>Zum einen kommt es für die Frage der wirksamen Beschlussfassung schon nicht darauf an, ob „aktuell“, das heißt zum Zeitpunkt der Klageerweiterung vom 10.10.2017, ein Briefkasten und/oder ein Klingelschild der Beklagten vorhanden war. Erheblich ist - wenn überhaupt - nur, ob dies zum Zeitpunkt der Versammlung am 29.08.2017 der Fall war. Insoweit hat die Klägerin aber schon nichts vorgetragen.</p>
<p><rd nr="27"/>Zum anderen hat das Landgericht - unterstellt es war zum Versammlungszeitpunkt tatsächlich kein Briefkasten und/oder Klingelschild der Beklagten am Versammlungslokal angebracht gewesen - zutreffend ausgeführt (LGU S. 8), dass, nachdem in der Einladung vom 18.08.2017 (Anl. K 5) als Tagungsort die Südliche M, Straße 60 in G,angegeben war und dies der Sitz der Beklagten ist, für die Klägerin bzw. deren Geschäftsführer ohne weiteres erkennbar war, dass die Versammlung in den Geschäftsräumen der Beklagten stattfand. Der Geschäftsführer der Klägerin, der zu diesem Zeitpunkt auch gleichzeitig noch Geschäftsführer der Beklagten war, wusste also, wo er sich hätte hinbegeben müssen, wenn er denn zu der Versammlung am 29.08.2017 hätte erscheinen wollen. Gegen diese Erwägungen des Landgerichts hat die Berufung auch nichts mehr erinnert.</p>
<p><rd nr="28"/>2. Eine Anfechtbarkeit der Beschlüsse vom 29.08.2017 folgt auch nicht aus der Leitung der Gesellschafterversammlung durch den Geschäftsführer der Beklagten K. Zwar sieht § 8 Ziffer 3 S. 5 GV vor, dass in Ermangelung einer anderweitigen Bestimmung durch die Gesellschafterversammlung „Versammlungsleiter der dienstälteste Geschäftsführer der Gesellschaft“ ist und war Herr K, zum Versammlungszeitpunkt nicht der dienstälteste Geschäftsführer der Beklagten. Jedoch ist § 8 Ziffer 3 S. 5 GV dahingehend auszulegen, dass der dienstälteste der jeweils anwesenden Geschäftsführer der Beklagten die Versammlung leiten soll. Die entgegen § 133 BGB am Buchstaben verharrende Auslegung der Klägerseite würde dagegen zum einen zu einer ungebührlichen Erschwerung der Durchführung von Gesellschafterversammlungen führen, und zum anderen letztendlich demjenigen Gesellschafterstamm, der den dienstältesten Geschäftsführer stellt, eine Blockademöglichkeit in die Hand geben. Da bei der Auslegung jedoch stets davon auszugehen ist, dass die Vertragsparteien vernünftige Ziele verfolgen (vgl. Ellenberger in Palandt, 78. Auflage, München 2019, Rdnr. 26 zu § 133 BGB), steht nach § 8 Ziffer 3 S. 5 GV die Versammlungsleitung dem dienstältesten anwesenden Geschäftsführer zu. Nachdem in der Gesellschafterversammlung vom 29.08.2017 nur der Geschäftsführer K. anwesend war, war er auch zu deren Leitung berufen.</p>
<p>II.</p>
<p><rd nr="29"/>Zu Recht hat das Landgericht eine Anfechtbarkeit des Beschlusses zu TOP 3 (Abberufung des Geschäftsführers W. B.) verneint. Denn - wie das Landgericht zutreffend ausführt (LGU S. 9) - ist nach § 38 Abs. 1 GmbHG die Bestellung eines Geschäftsführers jederzeit widerruflich, sofern nicht in der Satzung der Gesellschaft eine Beschränkung dieser freien Widerruflichkeit vorgesehen ist (§ 38 Abs. 2 GmbHG). Eine solche Beschränkung enthält der Gesellschaftsvertrag jedoch gerade nicht (vgl. § 7 GV). Dagegen hat die Berufung auch nichts mehr eingewandt.</p>
<p>III.</p>
<p><rd nr="30"/>1. Der Beschluss zu TOP 5 vom 29.08.2017 ist dagegen wegen eines Verstoßes gegen § 51 Abs. 2 GmbHG insoweit nichtig, als den Geschäftsführern der Beklagten für die Veräußerung sämtlicher Geschäftsanteile der Beklagten an der ... Ha. GmbH Entlastung erteilt wird.</p>
<p><rd nr="31"/>a. Ein Verstoß gegen § 51 Abs. 2 GmbHG liegt vor, da in der Einladung vom 18.08.2017 (Anl K 6) zu der Gesellschafterversammlung vom 29.08.2017 als Beschlussgegenstand zu TOP 5 nur die „Bestätigung des Beschlusses über den Verkauf der Anteile an der ... Ha, GmbH vom 02.05.2017/03.05.2017“ aufgeführt und auch sonst die Entlastung der Geschäftsführer in der Tagesordnung nicht erwähnt war, während die Gesellschafterversammlung nicht nur den Bestätigungsbeschluss fasste, sondern auch noch „(d) en Geschäftsführern (…) für diese Maßnahmen gesondert Entlastung erteilt(e)“ (vgl. Protokoll der Gesellschafterversammlung laut Anl. B 7).</p>
<p><rd nr="32"/>Die angekündigte Tagesordnung muss nämlich die Beschlussgegenstände hinreichend konkretisieren, wobei allerdings weder eine genaue Formulierung der Beschlussanträge noch eine Begründung erforderlich ist. Um dem Schutzzweck des § 51 Abs. 2, 4 GmbHG - nämlich den Schutz aller Gesellschafter vor Überraschung und Überrumpelung (vgl. BGH, Urteil vom 25.11.2002, Az. II ZR 69/01, III 1 b) - zu genügen, ist ausreichend, wenn klar ist, was gemeint ist, sodass unter Umständen auch eine allgemeine Formulierung oder Bezugnahme auf frühere Versammlungen hinreichend ist. Immer jedoch muss sich der Empfänger ein so genaues Bild machen können, dass er weiß, worüber verhandelt und Beschluss gefasst werden soll und sich hierauf vorbereiten kann (BGH, aaO; vgl. auch Schindler in BeckOK GmbHG, 36. Edition Stand 01.02.2018, Rdnr. 36 zu § 51 GmbH).</p>
<p><rd nr="33"/>Diesen Anforderungen genügt die Tagesordnung vom 18.08.2017 jedoch hinsichtlich des Entlastungsbeschlusses nicht. Die angekündigte Bestätigung des Beschlusses vom 02.05.2017/03.05.2017 ist inhaltlich nämlich etwas völlig anderes als die Entlastung der Geschäftsführer für ihre Handlungen im Rahmen des tatsächlichen Vollzugs des Beschlusses und damit des Verkaufs der Geschäftsanteile der Beklagten an der ... Ha, GmbH. Die Entlastung der Geschäftsführer hat darüber hinaus eine weitgehende Präklusionswirkung hinsichtlich etwaiger Schadensersatzansprüche gegen die Geschäftsführer, wohingegen die bloße Bestätigung des Beschlusses vom 02.05.2017/03.05.2017 eine derartige Wirkung nicht hat.</p>
<p><rd nr="34"/>Nach alledem hätte hinsichtlich der Entlastung der Geschäftsführer in der Versammlung vom 29.08.2017 ein Beschluss nicht gefasst werden dürfen.</p>
<p><rd nr="35"/>b. Zwar nimmt das Schrifttum überwiegend an, ein derartiger Verstoß gegen § 51 Abs. 2, 4 GmbHG führe nur zur Anfechtbarkeit (vgl. die Nachweise bei Schindler in BeckOK GmbHG, 36. Edition, Stand 01.02.2018, Rdnr. 61 zu § 51 GmbHG). Das Gericht folgt jedoch der neueren Rechtsprechung des BGH, der in diesen Fällen von einer Nichtigkeit des Beschlusses ausgeht (BGH, Urteil vom 29.05.2000, Az. II ZR 47/99, Rdnr. 7 aE). Der BGH bejahte in dieser Entscheidung vom 29.05.2000 aufgrund der nicht hinreichend genauen Bezeichnung des Beschlussgegenstandes in der Tagesordnung zwar unmittelbar nur einen Verstoß gegen Regelungen in der Geschäftsordnung des Verwaltungsrats der beklagten Sparkasse, wonach „unter Mitteilung der Tagesordnung einzuladen sei“, stellte aber gleichzeitig ausdrücklich darauf ab, dass die Regelungen, gegen die verstoßen worden sei, inhaltsgleich mit § 51 Abs. 2 und 4 GmbHG seien (BGH, aaO, Rdnr. 8). Daher ist ein entgegen § 51 Abs. 2, 4 GmbHG gefasster Beschluss nicht nur anfechtbar, sondern nichtig.</p>
<p><rd nr="36"/>c. Diese Nichtigkeit erstreckt sich entsprechend § 139 BGB nur auf den Entlastungsbeschluss, nicht aber auf die gleichzeitig erfolgte Bestätigung des Beschlusses vom 02.05.2017/03.05.2017, da die beiden Beschlussinhalte ohne weiteres trennbar sind, sodass die Bestätigung nicht mit der Entlastung steht und fällt. Die bloß formal einheitliche Beschlussfassung unter TOP 5 schafft keine engere als die ohnehin aufgrund des Sachzusammenhangs bestehende inhaltliche Verbindung.</p>
<p><rd nr="37"/>d. Der Feststellung der Nichtigkeit des Entlastungsbeschlusses steht auch nicht entgegen, dass sich der Antrag der Klägerin in der Klageschrift (Antrag 5 im Klageerweiterungsschriftsatz, dort S. 2, Bl. 31 d.A.) und in der Berufungsbegründung (Antrag 5 im Berufungsbegründungsschriftsatz, dort S. 2, Bl. 83 d.A.) nur auf den Bestätigungsbeschluss bezieht, nicht aber auch ausdrücklich auf die Entlastung der Gesellschafter. Denn der Klageantrag ist dahingehend auszulegen, dass beantragt ist, auch den Beschluss zu TOP 5 hinsichtlich der Entlastung der Geschäftsführer für nichtig zu erklären, da es der Klägerin ersichtlich darum geht, den gesamten Beschluss aus der Welt zu schaffen.</p>
<p><rd nr="38"/>Da es sich insoweit um eine Nichtigkeitsklage handelt, führt auch die in § 8 Ziffer 4 Abs. 2 S. 2 GV statuierte Monatsfrist für die Beschlussanfechtung nicht zur Unbegründetheit der Klage, obwohl sich die Klage(erweiterung) vom 10.10.2017 hinsichtlich der Entlastung nicht zur Diskrepanz zwischen der mit der Einladung vom 18.08.2017 mitgeteilten Tagesordnung einerseits und der auf der Gesellschafterversammlung vom 29.09.2017 erfolgten Beschlussfassung andererseits verhält.</p>
<p><rd nr="39"/>Auf eine etwaige Relevanz des Verstoßes kommt es bei der Nichtigkeitsklage nicht an, da die Nichtigkeit von jedermann in jeder Weise geltend gemacht werden kann (vgl. Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Auflage, München 2015, Rdnr. 91 zu § 47 GmbHG).</p>
<p><rd nr="40"/>e. Nachdem der Entlastungsbeschluss bereits wegen Verstoßes gegen § 51 Abs. 2 und 4 GmbHG nichtig ist, kommt es auf den erstmals in der Berufungsbegründung von der Klägerin behaupteten Verstoß gegen § 47 Abs. 4 GmbHG, da der Geschäftsführer der Beklagten K. mit abgestimmt habe, obwohl es (auch) um seine Entlastung ging, nicht mehr an. Unerheblich ist daher insoweit, dass, da ein solcher Verstoß nicht zur Nichtigkeit, sondern nur zur Anfechtbarkeit des Beschlusses führen würde und dieser behauptete Verstoß im Klageerweiterungsschriftsatz vom 10.10.2017 nicht gerügt worden war, die materiell-rechtliche Ausschlussfrist des § 8 Ziffer 4 Abs. 2 S. 2 GV greifen würde.</p>
<p><rd nr="41"/>2. Insoweit als der Beschluss vom 29.08.2017 zu TOP 5 den Beschluss vom 02.05.2017/03.05.2017 bestätigte, ist er dagegen weder anfechtbar noch gar nichtig.</p>
<p><rd nr="42"/>a. Ein Verstoß gegen § 51 Abs. 2, 4 GmbHG liegt nicht vor.</p>
<p><rd nr="43"/>aa. Wenn man - wie das Landgericht - davon ausgeht, dass der Beschluss vom 02.05.2017/03.05.2017 aufgrund des Verstoßes gegen § 48 Abs. 2 GmbHG unwirksam (so bspw. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 21. Auflage, München 2017, Rdnr. 36 zu § 48 GmbHG, Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 3. Auflage, München 2016, Rdnr. 23 zu § 48 GmbHG) bzw. nichtig (vgl. BGH, Urteil vom 16.01.2006, Az. II ZR 135/04, Rdnr. 10 für einen im nicht in der Satzung vorgesehenen Kombinationsverfahren gefassten Beschluss) und deshalb eine Bestätigung dieses Beschlusses nicht möglich gewesen sein sollte, so wäre der Tagesordnungspunkt in der Einladung vom 18.08.2017 jedoch dahingehend auszulegen, dass Beschluss gefasst werden sollte über die Genehmigung des durch die Geschäftsführung der Beklagten zum Zeitpunkt der Gesellschafterversammlung bereits längst ausgeführten Verkaufs der Geschäftsanteile an der ... Ha, GmbH. Denn nach den oben unter 1 a dargelegten Grundsätzen ist Schutzzweck § 51 Abs. 2, 4 GmbHG der Schutz der Gesellschafter vor Überrumpelung und war eine solche im konkreten Fall nicht zu befürchten. Aus der Bezeichnung des TOP 5 „Bestätigung des Beschlusses über den Verkauf der Anteile an der ... Ha, vom 02.05.2017/03.05.2017“ wird nämlich klar, dass Inhalt der Beschlussfassung eine abschließende Entscheidung der Gesellschafter über den Anteilsverkauf sein sollte. Unerheblich ist insoweit, ob es sich dabei um eine Zustimmung zu einem noch bevorstehenden Verkauf oder aber um eine Genehmigung eines bereits erfolgten Verkaufs handelte. Der Geschäftsführer der Klägerin wusste auch, worum es bei dem Umlaufbeschluss vom 02.05.2017/03.05.2017 inhaltlich gegangen war, da er ihm ausdrücklich nicht zugestimmt hatte. Der Geschäftsführer der Klägerin wusste ferner zum Zeitpunkt der Einladung zur Gesellschafterversammlung vom 29.08.2017 auch bereits, dass der Geschäftsführer der Beklagten L, den Verkauf der Anteile bereits vollzogen hatte. Dies ergibt sich aus der von der Klägerin gegen den Umlaufbeschluss vom 02.05.2017/03.05.2017 erhobenen Anfechtungsklage, in der ausgeführt wird, dass „die Veräußerung auf der Basis des Beschlussvorschlages sofort umgesetzt“ worden sei war (vgl. Klageschriftsatz vom 30.05.2017, S. 3, Bl. 3 d.A.). Da es sich bei der Beklagten um eine zweigliedrige Gesellschaft handelt, ist eine Überraschung anderer Gesellschafter nicht zu befürchten, sodass allein auf den Kenntnisstand der Klägerin (und der T.W. GmbH) abgestellt werden kann.</p>
<p><rd nr="44"/>bb. Sollte dagegen mit einer im Schrifttum vertretenen Ansicht davon ausgegangen werden, dass der Verstoß gegen § 48 Abs. 2 GmbHG nicht zur Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit, sondern nur zur Anfechtbarkeit des Umlaufbeschlusses vom 02.05.2017/03.05.2017 führte, da sich alle Gesellschafter (auch der Kläger) an der Abstimmung beteiligt hatten und lediglich die in § 48 Abs. 2 GmbHG vorgegebene Form verletzt worden war (so bspw. Liebscher in Münchener Kommentar zum GmbHG, 2. Auflage, München 2016, Rdnr. 172 zu § 48 GmbHG, Thüringer OLG, Beschluss vom 09.01.2006, Az. 6 U 569/05, Rdnr. 9 m.w.N.), so läge schon keine - für einen Verstoß gegen § 51 Abs. 2, 4 GmbHG allerdings zwingend notwendige - Diskrepanz zwischen dem in der Einladung vom 18.08.2017 (Anl. K 6) bezeichneten Tagesordnungspunkt 5 und dem in der Gesellschafterversammlung vom 29.08.2017 zu TOP 5 gefassten Beschluss vor. Denn angekündigt war in der Einladung vom 18.08.2017 unter TOP 5 die „Bestätigung des Beschlusses über den Verkauf der Anteile an der ... Ha, GmbH vom 02.05.2017/03.05.2017“. Beschlossen wurde in der Gesellschafterversammlung vom 29.08.2017 zu TOP 5, dass „(d) er Umlaufbeschluss vom 02.05.2017/03.05.2017, der der Geschäftsführung mit 66 Ja-Stimmen und 34 Nein-Stimmen den Auftrag erteilte, sämtliche Geschäftsanteile an der ... Ha. GmbH (…) zu veräußern, (…) vollumfänglich bestätigt“ wird (vgl. Protokoll der Gesellschafterversammlung laut Anl. B 7). Ob und gegebenenfalls welche rechtlichen Konsequenzen diese Bestätigung auf den zum Zeitpunkt der Fassung des Bestätigungsbeschlusses am 29.08.2017 bereits längst vollzogenen Verkauf der Anteile der Beklagten an der ... Ha. GmbH hat, wäre dann keine Frage der Wirksamkeit des am 29.08.2017 gefassten Beschlusses, sondern der Wirksamkeit des Anteilsverkaufs, der vorliegend jedoch nicht streitgegenständlich ist.</p>
<p><rd nr="45"/>b. Auch mit der gegen den Bestätigungsbeschluss vom 28.09.2017 erhobenen Rüge, der Beschluss hätte nach § 8 Ziffer 1 S. 4 GV einer 3/4-Mehrheit bedurft, vermag die Kägerin nicht durchzudringen.</p>
<p><rd nr="46"/>aa. Zum einen ist die Klägerin mit dieser Rüge bereits entsprechend § 246 Abs. 1 AktG präkludiert, da sie sie zum ersten Mal in der Berufungsbegründung (dort S. 3, Bl. 84 d.A.) und damit nicht innerhalb der Monatsfrist des § 8 Ziffer 4 Abs. 2 S. 2 GV erhoben hat. Daran ändert auch nichts, dass die Klägerin die ihrer Meinung nach unzureichende Mehrheit bereits in der Klage vom 30.05.2017 bemängelt hat. Denn diese Klage richtete sich ausschließlich gegen den Umlaufbeschluss vom 02.05.2017/03.05.2017, nicht aber gegen den späteren Bestätigungsbeschluss vom 29.08.2017, der vorliegend ausschließlich streitgegenständlich ist. Die Klägerin hätte damit die angeblich unzureichende Mehrheit bereits in ihrer Klageerweiterung vom 10.10.2017 rügen müssen. Dort wird aber nicht einmal mitgeteilt, mit welcher Mehrheit der Bestätigungsbeschluss vom 29.08.2017 gefasst wurde.</p>
<p><rd nr="47"/>bb. Der Bestätigungsbeschluss wurde aber auch mit einer hinreichenden Mehrheit gefasst, da es nach § 8 Ziffer 1 S. 3 GV einer 3/4-Mehrheit gar nicht bedurfte, weil demnach nur für Satzungsänderungen, die Auflösung der Gesellschaft, den Abschluss von Beherrschungs- oder Gewinnabführungsverträgen, sonstige Unternehmensverträge sowie Umwandlungen oder Verschmelzungen eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist. Der Verkauf der Anteile der Beklagten an ihrer Tochter ... Ha. GmbH erfüllt jedoch keinen dieser Tatbestände. Insbesondere ist der Kaufvertrag entgegen der Ansicht der Klägerin kein „Unternehmensvertrag“. Die Satzung knüpft nämlich mit der Verwendung des Begriffes „Unternehmensvertrag“ ersichtlich an den in §§ 291 und 292 AktG legal definierten Terminus an. Die dort aufgestellten Voraussetzungen für das Vorliegen eines Unternehmensvertrages sind jedoch nicht erfüllt.</p>
<p><rd nr="48"/>Im Übrigen wurde der Bestätigungsbeschluss vom 02.05.2017/03.05.2017 sogar einstimmig und damit in jedem Fall mit der in § 8 Ziffer 1 S. 3 GV vorgesehenen Mehrheit gefasst. Denn danach kommt es für die Bestimmung der Mehrheit nur auf die in der Gesellschafterversammlung abgegebenen Stimmen an. Bei den abgegebenen Stimmen handelte es sich aber ausweislich des Protokolls der Versammlung ausschließlich um Ja-Stimmen.</p>
<p><rd nr="49"/>c. Der Wirksamkeit des Bestätigungsbeschlusses steht auch nicht entgegen, dass das Landgericht in seinem Endurteil vom 29.03.2018 festgestellt hat, dass der durch den Beschluss vom 29.08.2017 bestätigte Beschluss vom 02.05.2017/03.05.2017 unwirksam ist (LGU Ziffer 1 des Tenors und Ziffer III der Entscheidungsgründe).</p>
<p><rd nr="50"/>aa. Geht man von der Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit des Bestätigungsbeschlusses aus, konnte letzterer nicht bestätigt werden und ginge die Bestätigung durch den Beschluss vom 29.08.2017 ins Leere. In diesem Falle wäre der Bestätigungsbeschluss vom 29.08.2017 jedoch - wie bereits oben unter a. aa ausgeführt - als Genehmigung des bereits vollzogenen Verkaufs auszulegen.</p>
<p><rd nr="51"/>bb. Geht man dagegen davon aus, dass der Verstoß gegen § 48 Abs. 2 GmbHG nur zur Anfechtbarkeit des Beschlusses vom 02.05.2017/03.05.2017 führte, wäre eine Bestätigung ohne weiteres möglich. Denn leidet der Ausgangsbeschluss nur unter einem formalen Mangel, kann die Gesellschafterversammlung durch die Bestätigung ihren Willen bekunden, den Erstbeschuss trotz des ihm anhaftenden Verfahrensmangels als verbindliche Regelung der Gesellschaftsangelegenheit anzuerkennen, sofern nur der bestätigende Beschluss nunmehr verfahrensfehlerfrei gefasst, der Mangel des Erstbeschlusses also vermieden wird. Denn darin liegt der zentrale Zweck des Bestätigungsbeschlusses: Dieser kann den Verfahrensmangel zwar nicht ungeschehen machen, allerdings gibt er den Gesellschaftern die Möglichkeit zu erklären, dass sie trotz des formalen Fehlers am unbedenklichen Inhalt des Beschlusses festhalten wollen (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 12.12.2005, Az. II ZR 253/03, Rdnr. 18). Da der Beschluss vom 02.05.2017/03.05.2017 nur deshalb anfechtbar ist, weil er unter Verstoß gegen § 48 Abs. 2 GmbHG trotz fehlender Zustimmung der Klägerin zu dieser Vorgehensweise im Umlaufverfahren gefasst wurde, basiert die Nichtigkeit allein auf einem Formverstoß. Ein inhaltlicher Mangel des Beschlusses wurde weder von der Klägerin gerügt noch vom Landgericht festgestellt und ist auch nicht ersichtlich. Die in der gegen den Beschluss vom 02.05.2017/03.05.2017 gerichteten Klage der Klägerin vom 30.05.2017 bemängelte Beschlussfassung mit einer nach § 8 Ziffer 1 S. 4 GV nicht hinreichenden Mehrheit würde ebenfalls nur einen formalen Mangel begründen und greift im Übrigen aus den oben unter b. bb zum Beschluss vom 29.08.2017 bezeichneten Gründen ohnehin nicht durch.</p>
<p><rd nr="52"/>d. Die von der Klägerin behauptete Aufhebung des Bestätigungsbeschlusses vom 29.08.2017 durch den Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 02.02.2018 ist im streitgegenständlichen Verfahren ohne Bedeutung. Streitgegenständlich sind nämlich entsprechend den Anträgen der Klägerin nur die „Ungültigerklärung“ sowie die Feststellung der Nichtigkeit der Beschlüsse vom 29.08.2017, nicht aber die Frage, ob die Beschlüsse durch eine spätere Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung im Nachhinein wieder aufgehoben wurden.</p>
<p>IV.</p>
<p><rd nr="53"/>Die Rüge der Klägerin das Landgericht habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, da der Klägervertreter den Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 20.02.2018 erst nach der Urteilsverkündung erhalten hätte, bleibt erfolglos, da die Klägerin in der Berufungsbegründung schon nicht dargelegt hat, was sie im Falle der Einräumung einer Schriftsatzfrist auf das Vorbringen der Beklagten vom 20.02.2018 vorgetragen hätte (zu diesem Erfordernis vgl. Greger in Zöller 31. Auflage, Köln 2016, Rdnr. 20 zu § 139 ZPO). Das Berufungsgericht kann daher nicht überprüfen, ob der gerügte (unterstellte) Verfahrensfehler für die Entscheidung überhaupt kausal wurde.</p>
<p>C.</p>
<p><rd nr="54"/>Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92, 97 ZPO.</p>
<p><rd nr="55"/>Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.</p>
<p><rd nr="56"/>Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Zu würdigen waren vielmehr die Umstände des Einzelfalles.</p>
</div>
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"id": 277,
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} | 31 Wx 39/18 | 2019-01-09T00:00:00 | 2019-01-16T07:00:51 | 2019-02-12T13:44:08 | Beschluss | <h2>Tenor</h2>
<div>
<p>1. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Amtsgerichts München - Nachlassgericht - vom 11.12.2017 aufgehoben.</p>
<p>2. Das Nachlassgericht wird angewiesen, den Erbschein vom 26.5.2017 einzuziehen.</p>
<p>3. Außergerichtliche Kosten werden für das Beschwerdeverfahren nicht erstattet.</p>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<p>I.</p>
<p><rd nr="1"/>Der in zweiter Ehe verheirate Erblasser ist am ...2016 verstorben. Die erste Ehe endete durch Scheidung, aus dieser Ehe gingen die Beteiligte zu 2 (= Beschwerdeführerin) und der am Beschwerdeverfahren nicht beteiligte Sohn F.H. hervor.</p>
<p><rd nr="2"/>Die Beteiligte zu 1 ist die zweite Ehefrau des Erblassers, der Beteiligte zu 3 deren Sohn. Der Erblasser errichtete am 19.10.2015 ein Testament, in dem es auszugsweise heißt:</p>
<p>„Mein Testament Ich G.J.H. geb. … in M. verfüge als meinen letzten Willen folgendes; Meine Ehefrau soll Alleinerbin werden.</p>
<p>Nach ihrem hoffentlich späten Ableben, soll der Besitz an V. [= Beschwerdeführerin] + R. [= Beteiligter zu 3] je zur Hälfte übergehen … Eigenhändige Unterschrift des Erblassers.“</p>
<p><rd nr="3"/>Das Nachlassgericht hat am 26.5.2017 einen Erbschein erteilt, der die Beteiligte zu 1 als Vorerbin ausweist, die von den gesetzlichen Verfügungsbeschränkungen befreit ist.</p>
<p><rd nr="4"/>Dagegen erhob die Beteiligte zu 2 am 18.8.2017 Beschwerde. Sie ist der Ansicht, es handele sich um eine nicht befreite Vorerbschaft.</p>
<p><rd nr="5"/>Das Nachlassgericht hat die Beschwerde gegen den erteilten Erbschein als Anregung auf Einziehung des Erbscheins behandelt und ist dieser Anregung mit Beschluss vom11.12.2017 nicht nachgekommen. Es stützt seine Entscheidung im Wesentlichen darauf, dass nicht nur die leibliche Tochter des Erblassers als Nacherbin bedacht ist, sondern auch der Sohn der zweiten Ehefrau, was dafür spreche, dass die Position der Ehefrau gestärkt werden sollte.</p>
<p><rd nr="6"/>Dagegen richtet sich die Beschwerde vom 4.1.2018.</p>
<p><rd nr="7"/>Der Nachlass besteht im Wesentlichen aus einer erst teilweise abbezahlten eigengenutzten Immobilie im Wert von ca. 570.000 €, bei der noch ca. 185.000 € offen sind.</p>
<p>II.</p>
<p><rd nr="8"/>Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.</p>
<p><rd nr="9"/>Die Beschwerde vom 4.1.2018 ist zulässig, soweit Verfahrensgegenstand die Entscheidung des Nachlassgerichts ist, den Erbschein vom 26.5.2017 nicht einzuziehen.</p>
<p><rd nr="10"/>Die Beschwerde ist auch begründet.</p>
<p><rd nr="11"/>Im Gegensatz zum Nachlassgericht ist der Senat der Ansicht, dass die Voraussetzungen für eine Einziehung des Erbscheins gemäß § 2361 BGB vorliegen, weil der Erbschein vom 26.5.2017 unrichtig ist.</p>
<p><rd nr="12"/>1. Im Ausgangspunkt ist das Nachlassgericht zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass der Erblasser eine Vor- und Nacherbschaft im Sinne der §§ 2100 ff BGB angeordnet hat. Allein der Umstand, dass der Erblasser seine Ehefrau im Testament vom 19.10.2015 als Alleinerbin bezeichnet hat, bedingt für sich keine Auslegung in Richtung einer Vollerbschaft (Staudinger/Avenarius BGB Neubearbeitung <2013> § 2136 Rn. 18 juris). Aus der Auslegung der weiteren Verfügung wird deutlich, dass nach dem Tode der Ehefrau die Beteiligten zu 2 und 3 als Nacherben berufen sein sollen, d.h. der Erblasser ging von einem zweimaligen Anfall der Erbschaft aus (Gierl in: NK-Erbrecht 5. Auflage <2018> § 2100 Rn. 18).</p>
<p><rd nr="13"/>2. Im Gegensatz zum Nachlassgericht ist der Senat nicht davon überzeugt, dass der Erblasser die Vorerbin als befreite Vorerbin eingesetzt hat.</p>
<p><rd nr="14"/>a) Der Regelfall der Vorerbschaft ist die nicht befreite Vorerbschaft. Es bedarf einer Anordnung des Erblassers, wenn er dem Vorerben Verfügungsbefugnisse, die über die vom Gesetz vorgesehenen hinausreichen, einräumen will.</p>
<p><rd nr="15"/>Die Befreiung eines Vorerben muss in der letztwilligen Verfügung, durch die er berufen wird, selbst enthalten sein, eine ausdrückliche Erklärung ist jedoch nicht erforderlich. Es genügt, wenn der dahingehende Wille des Erblassers im Testament irgendwie, wenn auch nur andeutungsweise oder versteckt, zum Ausdruck kommt. Trifft das zu, können auch sonstige, außerhalb des Testaments liegende Umstände zu dessen Auslegung herangezogen werden (vgl. etwa BGH FamRZ 1970, 192; BayObLG FamRZ 2005, 65, 67; OLG Hamm FamRZ 2011, 1331; Horn/Kroiß, Testamentsauslegung, 1. Auflage <2012> § 8 Rn. 36).</p>
<p><rd nr="16"/>Aus der Bezeichnung als Alleinerbe kann allein nicht der Schluss auf eine Befreiung gezogen werden, vielmehr verhält sich diese Formulierung neutral im Hinblick auf die Verwaltungsbefugnis (BGH FamRZ 1970, 192; BayObLGZ 1958, 303; BayObLG FamRZ 1984, 1272; Staudinger/Avenarius, a.a.O., Rn. 18 juris).</p>
<p><rd nr="17"/>Auch eine stillschweigende Befreiung ist denkbar (BayObLGZ 1960, 432). Sie kommt dann in Betracht, wenn der Erblasser wegen Fehlens eigener Abkömmlinge entferntere Verwandte zu Nacherben eingesetzt hat und der Vorerbe wesentlich zum Erwerb des Vermögens des Erblassers beigetragen hat (BayObLGZ 1960, 432).</p>
<p><rd nr="18"/>Die Feststellungslast für die Befreiung trägt derjenige, der sich darauf beruft (Staudinger/Avenarius, a.a.O. Rn. 13 juris).</p>
<p><rd nr="19"/>b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat vorliegend nicht davon überzeugt, dass der Erblasser im Testament vom 19.10.2015 eine Befreiung der Vorerbin angeordnet hat.</p>
<p><rd nr="20"/>aa) Eine ausdrückliche Befreiung liegt, wie bereits das Nachlassgericht zutreffend erkannt hat, nicht vor. Aber auch im Wege der Auslegung lässt sich eine solche Befreiung nicht mit der für eine Entscheidungsfindung nötigen hinreichenden Sicherheit feststellen.</p>
<p><rd nr="21"/>bb) Das Nachlassgericht hat im Rahmen der Auslegung im Wesentlichen darauf abgestellt, dass der Erblasser nicht nur seine (leibliche) Tochter, sondern auch das Kind seiner zweiten Ehefrau, der Vorerbin, als Nacherben berufen und der Vorerbin zugleich noch ein langes Leben gewünscht hat. Daraus hat es den Schluss gezogen, der Erblasser habe seiner zweiten Ehefrau eine starke Stellung einräumen wollen und sie deswegen von den gesetzlichen Verfügungsbeschränkungen befreit.</p>
<p><rd nr="22"/>Der Senat teilt diese Ansicht nicht. Der Umstand, dass neben der leiblichen Tochter des Erblassers auch das mit dem Erblasser nicht verwandte Kind der zweiten Ehefrau bedacht wurde, reicht nicht aus, eine Befreiung der Vorerbin von den gesetzlichen Verfügungsbeschränkungen anzunehmen.</p>
<p><rd nr="23"/>Zwar ist in der Rechtsprechung die Möglichkeit anerkannt, dass eine Befreiung von den gesetzlichen Verfügungsbeschränkungen stillschweigend darin gesehen wird, wenn der Erblasser wegen Fehlens eigener Abkömmlinge entfernte Verwandte als Nacherben eingesetzt hat und der Vorerbe wesentlich zum Erwerb des Vermögens des Erblassers beigetragen hat (BayObLGZ 1960, 432). Eine mit dieser Rechtsprechung vergleichbare Situation liegt hier aber nicht vor.</p>
<p><rd nr="24"/>Zum einen hat der Erblasser mit der Berufung seiner leiblichen Tochter jedenfalls eine nahe Angehörige als Nacherbin eingesetzt, was jedenfalls kein Indiz dafür ist, dass der Vorerbe von den gesetzlichen Verfügungsbeschränkungen befreit werden sollte.</p>
<p><rd nr="25"/>Zum anderen hat die Vorerbin aber auch keinen (wesentlichen) Beitrag zum Vermögenserwerb des Erblassers beigetragen. Der Nachlass besteht im Wesentlichen aus einer erst teilweise abbezahlten eigengenutzten Immobilie, die nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Beschwerdeführerin bislang überwiegend aus Mitteln des Erblassers, nicht aber aus Mitteln der Vorerbin finanziert wurde. Allein die Berufung des mit dem Erblasser nicht verwandten Sohnes der zweiten Ehefrau reicht nach Ansicht des Senats jedenfalls nicht für eine Überzeugungsbildung in Richtung einer Befreiung der Vorerbin aus.</p>
<p><rd nr="26"/>Gleiches gilt für den im Testament zum Ausdruck gekommenen Wunsch des Erblassers, seine zweite Ehefrau möge möglichst noch lange leben. Der Senat vermag darin kein Indiz in die ein oder andere Richtung erkennen.</p>
<p><rd nr="27"/>cc) Soweit sich die Vorerbin für die Annahme einer Befreiung darauf stützt, der Erblasser hätte sie bei fehlender Befreiung durch die Anordnung der Vorerbschaft in eine „missliche Lage“ gebracht, weil der wirtschaftliche Vorteil der nicht befreiten Vorerbin dann lediglich in der Differenz zwischen dem Wohnvorteil der ererbten Immobilie einerseits und den monatlich zu entrichteten Raten für Zins und Tilgung liege, vermag der Senat aus dieser Argumentation - ihre Richtigkeit unterstellt - nicht das gewünschte Auslegungsergebnis zu entnehmen, denn es ist eine durchaus denkbare Möglichkeit, dass der Erblasser der Vorerbin bis an deren Lebensende eben diesen Vermögensvorteil (nur) zuwenden wollte. Entgegenstehende Anhaltspunkte ergeben sich jedenfalls nicht aus dem Testament vom 19.10.2015.</p>
<p><rd nr="28"/>dd) Auch im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung, zu der sich die Beteiligten aufgrund des Hinweisbeschlusses des Senats vom 13.11.2018 geäußert haben, lässt sich eine Befreiung nicht mit der nötigen hinreichenden Sicherheit feststellen.</p>
<p><rd nr="29"/>(1) Die ergänzende Auslegung setzt voraus, dass das Testament eine planwidrige Regelungslücke aufweist, die durch den festzustellenden Willen des Erblassers zu schließen ist. Dabei muss aus dem Gesamtbild des Testaments selbst eine Willensrichtung des Erblassers erkennbar sein, die tatsächlich in Richtung der vorgesehenen Ergänzung geht. Durch sie darf kein Wille in das Testament hingetragen werden, der darin nicht andeutungsweise ausgedrückt ist (vgl. Fleindl in: NK-Erbrecht, 5. Auflage <2018> § 2084 Rn. 45; Burandt/Rojahn Erbrecht 3. Auflage <2018> § 2084 Rn. 17; Palandt/Weidlich BGB 78. Auflage <2019> § 2084 Rn. 9 m.w.N.). Durch ergänzende Testamentsauslegung kann also die durch den Wegfall des Bedachten entstandene Lücke nur dann geschlossen werden, wenn die für die Zeit der Testamentserrichtung anhand des Testaments oder unter Zuhilfenahme von Umständen außerhalb des Testaments oder der allgemeinen Lebenserfahrung festzustellende Willensrichtung des Erblassers dafür eine genügende Grundlage bietet (BGHZ 22, 357 <360>; LM § 2078 Nr. 3; FamRZ 1983, 380 <382>; MüKoBGB/Leipold 7. Auflage <2017> § 2084 Rn. 95 m.w.N.). Nach der Willensrichtung des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung muss anzunehmen sein, dass er die Befreiung von Verfügungsbeschränkungen gewollt hätte, sofern er vorausschauend die spätere Entwicklung bedacht hätte (OLG München FGPrax 2013, 177 <178>).</p>
<p><rd nr="30"/>(2) Zwar ist insoweit die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke möglich, weil die vom Erblasser angeordnete Pflichtteilsentziehung im Hinblick auf den Sohn F.H. unwirksam gewesen sein dürfte, was der Erblasser möglicherweise bei Errichtung der Verfügung nicht bedacht hat.</p>
<p><rd nr="31"/>Ob eine Weiterentwicklung der Willensrichtung des Erblassers dahin möglich ist, dass er bei Kenntnis dieses Umstandes eine Befreiung der Vorerbin von den gesetzlichen Verfügungsbeschränkungen angeordnet hätte, kann nach Ansicht des Senats im Ergebnis dahinstehen, denn ein entsprechender Wille des Erblassers ist in der Verfügung jedenfalls auch nicht ansatzweise angedeutet, so dass eine ergänzende Testamentsauslegung letztlich nicht in Betracht kommt, denn durch die ergänzende Auslegung darf nicht ein Wille in das Testament hineingetragen werden, der nicht wenigstens andeutungsweise darin ausgedrückt ist (BeckOGK/Gierl, Stand 1.11.2018, BGB § 2084 Rn. 94).</p>
<p>III.</p>
<p><rd nr="32"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.</p>
<p><rd nr="33"/>Gerichtliche Kosten fallen für die erfolgreiche Beschwerde nicht an.</p>
<p><rd nr="34"/>Für die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten sieht der Senat keine Veranlassung.</p>
<p>IV.</p>
<p><rd nr="35"/>Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.</p>
</div>
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} | 27 K 8365/17 | 2019-01-09T00:00:00 | 2019-01-16T07:00:02 | 2019-01-21T11:45:19 | Urteil | ECLI:DE:VGD:2019:0109.27K8365.17.00 | <h2>Tenor</h2>
<p><strong>Die Klage wird abgewiesen.</strong></p>
<p><strong>Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.</strong></p>
<p><strong>Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leistet.</strong></p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Tatbestand:</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin war zunächst seit dem 23. Februar 2015 mit einer Betriebsstätte unter der im Rubrum genannten Anschrift beim Beklagten als rundfunkbeitragspflichtig erfasst. Mit Schreiben vom 31. August 2015 berief sich die Klägerin darauf, dass sich die Betriebsstätte in einer Wohnung befinde, für die bereits unter der Beitragsnummer 000 000 000 Rundfunkbeiträge im privaten Bereich geleistet würden. Weiter teilte die Klägerin mit, man habe zum 1. März 2014 ein Privatfahrzeug auf das Unternehmen umgemeldet. Daraufhin wurde die Betriebsstätte rückwirkend zum 1. März 2013 beitragsfrei gestellt. Dies teilte der Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 25. November 2015 mit und wies gleichzeitig darauf hin, dass für das Kraftfahrzeug ab dem Monat März 2014 der entsprechende Rundfunkbeitrag zu entrichten sei. Zahlungen erfolgten hierauf nicht.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Unter anderem mit Bescheid vom 2. Mai 2016 setzte der Beklagte Rundfunkbeiträge für das Kraftfahrzeug für den Zeitraum Dezember 2015 bis Februar 2016 in Höhe von 25,49 Euro inklusive eines Säumniszuschlages von 8 Euro fest. Mit Schreiben vom 13. Juni 2016 wandte sich die Klägerin gegen eine Mahnung des Beklagten vom 3. Juni 2016 und widersprach allen „Rechnungen und Mahnungen in dieser Sache der letzten Monate“. Dieses Schreiben wertete der Beklagte als Widerspruch gegen den Festsetzungsbescheid vom 2. Mai 2016. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 5. April 2017 als unbegründet zurück.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin hat am 15. Mai 2017 Klage erhoben. Zu deren Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Sie werde als „Ein-Mann-GmbH“, vergleichbar dem Inhaber einer Zweitwohnung, doppelt zu Rundfunkbeiträgen herangezogen, weil ihr Inhaber-Geschäftsführer das betreffende Kraftfahrzeug sowohl beruflich als auch privat nutze. Es ergebe sich insofern kein betrieblicher Vorteil der Klägerin, der nicht bereits durch die Beitragszahlung im privaten Bereich abgegolten sei. Im Haushalt des Geschäftsführers der Klägerin würden auch Radio, Fernsehen und PC nicht ausschließlich privat genutzt. Diese seien aber bereits durch den Rundfunkbeitrag im privaten Bereich abgegolten. Dies müsse auch für das Kraftfahrzeug gelten. Ein Beitragsschuldner dürfe zur Abschöpfung desselben Vorteils nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehrfach herangezogen werden.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks"><strong>den Festsetzungsbescheid des Beklagten vom 2. Mai 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2017 aufzuheben,</strong></p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks"><strong>hilfsweise,</strong></p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks"><strong>den Beklagten zu verurteilen, die Zwangsvollstreckung gegen die Klägerin aus dem Rundfunkbeitragsverhältnis zu unterlassen.</strong></p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks"><strong>die Klage abzuweisen.</strong></p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung bezieht er sich im Wesentlichen auf die Begründung des Widerspruchsbescheides.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet, die Klägerin mit Schriftsatz vom 2. März 2018, der Beklagte mit Schriftsatz vom 6. Juli 2017.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks"><strong>Entscheidungsgründe:</strong></p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Das Gericht konnte durch den Einzelrichter entscheiden, nachdem ihm das Verfahren durch Beschluss der Kammer zur Entscheidung übertragen worden ist (§ 6 Abs. 1 Satz 1 VwGO).</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Mit Einverständnis der Beteiligten konnte das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Das Gericht legt das Klagebegehren der Klägerin gemäß § 88 VwGO dahingehend aus, dass sich die Klage mit dem Hauptantrag allein gegen den Festsetzungsbescheid vom 2. Mai 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2017 richtet. Insbesondere waren zuvor und später ergangene Festsetzungsbescheide nicht Gegenstand des Widerspruchsverfahrens. Diese sind vielmehr bestandskräftig geworden. Die Klägerin wollte sich mit Ihrem Schreiben vom 13. Juni 2016 (allenfalls) im Wege des Widerspruchs gegen den zuletzt ergangenen Festsetzungsbescheid wenden. Ein Widerspruch gegen den zuvor ergangenen Festsetzungsbescheid vom 1. April 2016 wäre ohnehin offensichtlich verfristet gewesen. Zu Gunsten der Klägerin kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie einen offensichtlich unzulässigen Rechtsbehelf einlegen wollte. Die weiteren bei dem Verwaltungsvorgang des Beklagten befindlichen Festsetzungsbescheide sind sämtlich nach dem Schreiben der Klägerin vom 13. Juni 2016 ergangen. Dass gegen einen dieser Bescheide gesondert Widerspruch erhoben worden wäre, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Diesem Verständnis des Klagebegehrens entspricht es, dass die Klägerin im vorliegenden Verfahren den Widerspruchsbescheid vom 5. April 2017 ihrer Klageschrift als Anlage beigefügt hat.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die so verstandene Klage hat keinen Erfolg. Sie mit dem Hauptantrag zulässig, aber unbegründet (I.) und mit dem Hilfsantrag jedenfalls unbegründet (II.).</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks"><strong>I.</strong> Der Hauptantrag ist zulässig aber unbegründet. Der Festsetzungsbescheid des Beklagten vom 2. Mai 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Der Beklagte hat die Klägerin mit diesem Bescheid zu Recht für den Zeitraum Dezember 2015 bis Februar 2016 zu Rundfunkbeiträgen in Höhe von 25,49 Euro inklusive eines Säumniszuschlages von 8 Euro herangezogen.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Das Gericht folgt den Feststellungen und der zutreffenden Begründung des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2017 und sieht aus diesem Grund von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Ergänzend ist folgendes auszuführen: Eine doppelte Inanspruchnahme desselben Beitragsschuldners, wie sie das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 18. Juli 2018 mit Blick auf den personenidentischen Inhaber einer Erst- und Zweitwohnung problematisiert hat, kann hier schon deswegen nicht vorliegen, weil die Klägerin, eine juristische Person des Privatrechts, und deren Geschäftsführer, eine natürliche Person, personenverschieden sind. Unabhängig davon hat das Bundesverfassungsgericht den Rundfunkbeitrag in seiner derzeitigen Form nach umfassender Prüfung auch im betrieblichen Bereich für verfassungsmäßig gehalten. Weder die Beitragspflicht für Betriebsstätten gemäß § 5 Abs. 1 RBStV noch die Beitragspflicht für nicht ausschließlich zu privaten Zwecken genutzte Kraftfahrzeuge gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 2 RBStV verstoßen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegen den Grundsatz der Belastungsgleichheit.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2018 – 2 BvR 1675/16 u.a. –, juris Rn. 65 i. V. m. Rn. 112 ff.; vgl. hierzu auch OVG NRW, Urteil vom 21. August 2018 – 2 A 1635/15 –, juris, Rn. 23f.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 RBStV ist im nicht privaten Bereich unbeschadet der Beitragspflicht für eine Betriebsstätte jeweils 1/3 des Rundfunkbeitrags vom Inhaber eines Kraftfahrzeugs für jedes zugelassene Kraftfahrzeug, das zu gewerblichen Zwecken oder einer anderen selbständigen Erwerbstätigkeit oder zu gemeinnützigen oder öffentlichen Zwecken des Inhabers genutzt wird, zu entrichten, wobei es auf den Umfang der Nutzung zu diesem Zweck nicht ankommt. Diese Voraussetzungen liegen vor. Dass das in Rede stehende Kraftfahrzeug durch die Klägerin auch gewerblich genutzt wird, trägt diese selbst vor.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Auch greift die Ausnahme gemäß § 5 Abs. 2 S. 2 RBStV nicht ein. Nach dieser Vorschrift ist ein Rundfunkbeitrag nicht zu entrichten für jeweils ein Kraftfahrzeug für jede beitragspflichtige Betriebsstätte des Inhabers. Eine solche beitragspflichtige Betriebsstätte ist vorliegend jedoch nicht gegeben, weil die Betriebsstätte der Klägerin sich im Sinne von § 5 Abs. 5 Nr. 3 RBStV innerhalb einer beitragspflichtigen Wohnung befindet, für die bereits ein Rundfunkbeitrag entrichtet wird.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks"><strong>II.</strong> Ob und wieweit der Hilfsantrag zulässig ist, kann offenbleiben, denn er ist jedenfalls unbegründet. Ein Unterlassungsanspruch der Klägerin mit Blick auf Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung für Rundfunkbeiträge besteht zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt nicht. Wie zuvor ausgeführt, ist die Heranziehung der Klägerin für Rundfunkbeiträge für das auch gewerblich genutzte Kraftfahrzeug rechtmäßig. Sonstige Anhaltspunkte, die eine Unterlassungspflicht des Beklagten mit Blick auf die Durchsetzung seiner sofort vollziehbaren Festsetzungsbescheide begründen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO und die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2 und 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung:</strong></p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich die Zulassung der Berufung beantragt werden. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Der Antrag kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) eingereicht werden.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist nur zuzulassen,</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">1. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">2. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">3. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">4. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV einzureichen.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Im Berufungs- und Berufungszulassungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –).</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Die Antragsschrift und die Zulassungsbegründungsschrift sollen möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks"><strong>Beschluss:</strong></p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks"><strong>Der Streitwert wird auf die unterste Wertstufe von bis zu 500,- Euro festgesetzt.</strong></p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Die Festsetzung des Streitwertes ist nach § 52 Abs. 2 und 3 des Gerichtskostengesetzes erfolgt.</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung:</strong></p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift soll möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.</p>
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} | 4 A 2245/18.A | 2019-01-09T00:00:00 | 2019-01-16T07:00:01 | 2019-02-12T13:44:07 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2019:0109.4A2245.18A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 9.5.2018 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Münster wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both">
<h1><span style="text-decoration:underline">Gründe</span></h1>
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten Abweichung vom Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.7.1989 ‒ 9 B 239.89 ‒, NVwZ 1990, 171 = juris, wegen Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) zuzulassen. In dieser Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht weder ein allgemeines Ermessen eröffnet, ob einem Asylbewerber trotz widersprüchlichen Sachvortrags geglaubt werden kann, noch enthält sie einen abstrakten Rechtssatz, der von dem im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.2.1988 ‒ 9 C 32.87 ‒, DVBl. 1988, 653 = juris, Rn. 9, aufgestellten Rechtssatz abweicht, auf den sich das Verwaltungsgericht gestützt hat (Urteilsabdruck, Seite 5, zweiter Absatz). Danach kann dem Asylsuchenden bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden. Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.7.1989 ‒ 9 B 239.89 ‒, NVwZ 1990, 171 = juris, Rn. 3 f., stützt sich sinngemäß auf denselben Rechtssatz, wenn er klarstellt, der Richter könne sich wegen erheblicher Widersprüche im Vorbringen des Asylbewerbers daran gehindert sehen, diesem zu glauben, es sei denn, die Widersprüche und Unstimmigkeiten könnten überzeugend aufgelöst werden. Zum Beleg bezieht er sich u. a. auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.2.1988 ‒ 9 C 273.86 ‒, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 79 = juris, Rn. 11, das ‒ ebenso wie sein Urteil vom 23.2.1988 ‒ 9 C 32.87 ‒, DVBl. 1988, 653 = juris, Rn. 9 ‒ auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.8.1974 ‒ BVerwG 1 B 15.74 ‒, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 6, zurückgeführt worden ist. Dort heißt es: „Dass eine Glaubhaftmachung an widersprüchlichen Angaben scheitern und trotz erheblicher Widersprüche im Sachvortrag nur bei einer überzeugenden Auflösung solcher Widersprüche bejaht werden kann, versteht sich von selbst und bedarf zu seiner Klärung nicht der Zulassung und Durchführung des Revisionsverfahrens“.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.7.1989 ‒ 9 B 239.89 ‒, NVwZ 1990, 171 = juris, Rn. 3 f., stellt ausgehend von diesem Rechtssatz ausdrücklich klar, dass ein Gericht hiervon nicht abweicht, wenn es ‒ in freier richterlicher Überzeugungsbildung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ‒ im konkreten Einzelfall trotz eines insgesamt nicht ganz widerspruchsfreien Sachvortrags die Angaben des Klägers in den entscheidenden Punkten als glaubhaft ansieht, weil die Befragung von Asylbewerbern aus anderen Kulturkreisen mit erheblichen Problemen verbunden ist, woraus sich häufig Widersprüche im Sachvortrag ergeben können, die nicht einfach den betroffenen Asylbewerbern angelastet werden dürfen. Im konkreten Einzelfall ließen sich die festgestellten Widersprüche im Sachvortrag, die zudem nicht den im Kern glaubhaften Vortrag des Klägers betrafen, hierdurch überzeugend auflösen. Ausgehend davon hat auch das Verwaltungsgericht weder ausdrücklich noch im Ergebnis einen abstrakten Rechtssatz aufgestellt, der von den im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.7.1989 ‒ 9 B 239.89 ‒, NVwZ 1990, 171 = juris, Rn. 3, wiedergegebenen Grundsätzen abweicht. Abgesehen davon hat es selbst im konkreten Einzelfall die festgestellten Widersprüche nicht auflösen können.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Auch der geltend gemachte Zulassungsgrund einer Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Ein Gericht ist nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Geht das Gericht auf den wesentlichen Teil eines Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von wesentlicher Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.12.2014 ‒ 4 C 35.13 ‒, NVwZ 2015, 656 = juris, Rn. 42, m. w. N.; OVG NRW, Beschluss vom 21.1.2016 ‒ 4 A 787/15.A ‒, juris, Rn. 3 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Mit seiner sinngemäßen Rüge, das Verwaltungsgericht hätte angesichts der von ihm festgestellten erheblichen, nicht überzeugend aufgelösten Widersprüche im Vorbringen des Klägers nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Beschluss vom 21.7.1989 ‒ 9 B 239.89 ‒ ein ihm eröffnetes „Ermessen“ ausüben müssen, ob es das Vorbringen als unglaubhaft werte, zeigt der Kläger keine Verletzung rechtlichen Gehörs auf. Insoweit beanstandet der Kläger vielmehr lediglich die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts, zeigt jedoch keinen Verfahrensfehler i. S. d. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 VwGO auf. Die Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist dem sachlichen Recht zuzuordnen und rechtfertigt von vornherein nicht die Zulassung der Berufung wegen eines Verfahrensmangels.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 1.2.2010 ‒ 10 B 21.09 u. a. ‒, juris, Rn. 13, m. w. N., und vom 2.11.1995 ‒ 9 B 710.94 ‒, DVBl. 1996, 108 = juris, Rn. 5.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO und 83b AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</p>
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<p>Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 7.11.2018 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Köln wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both">
<h1><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></h1>
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist nicht wegen der allein geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellung bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Für die Darlegung dieser Voraussetzungen ist neben der Formulierung einer Rechts- oder Tatsachenfrage erforderlich, dass der Zulassungsantrag konkret auf die Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit der Rechts- bzw. Tatsachenfrage sowie ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18.7.2018 – 4 A 2573/18.A –, juris, Rn. 2 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Eine auf tatsächliche Verhältnisse gestützte Grundsatzrüge erfordert überdies die Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen etwa im Hinblick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Auskünfte oder abweichende Rechtsprechung einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich sind. Insoweit ist es Aufgabe des Rechtsmittelführers, durch die Benennung von bestimmten begründeten Informationen, Auskünften, Presseberichten oder sonstigen Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Bewertungen in der Zulassungsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26.4.2018 – 4 A 869/16.A –, juris, Rn. 6 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Diesen Darlegungsanforderungen genügt die Antragsbegründung nicht.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der Kläger formuliert schon keine Rechts- oder Tatsachenfrage. Seinem Vorbringen zur Gefährdung durch die eine Vermählung ablehnende Familie seiner Freundin und jetzigen Ehefrau ist auch sinngemäß keine fallübergreifende Frage zu entnehmen. Wenn man seinem Vorbringen zu einer befürchteten unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch die Familie seiner Ehefrau sinngemäß die Frage entnimmt, ob § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG auch vor Gefährdungen durch angeheiratete Familienangehörige schützt, legt er die Entscheidungserheblichkeit dieser Frage nicht dar. Das Verwaltungsgericht ist unter Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Bescheides vom 2.3.2017 gemäß § 77 Abs. 2 AsylG davon ausgegangen, dass der Kläger internen Schutz in der Anonymität einer pakistanischen Großstadt finden kann. Dem ist der Kläger nicht mit durchgreifenden Zulassungsgründen entgegen getreten. Auch wenn man seinem Vorbringen zu den sozioökonomischen Verhältnissen in Pakistan die Frage entnehmen könnte, ob dem Kläger Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und/oder 7 Satz 1 AufenthG zustehen, ist ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung nicht dargelegt. Im Übrigen setzt sich das Zulassungsvorbringen weder mit den durch Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid der Entscheidung zugrunde gelegten Erkenntnissen auseinander, noch werden Erkenntnisquellen benannt, die die von ihm vorgetragene Gefahr der Verelendung bei Rückkehr nach Pakistan belegen.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die vom Kläger der Sache nach geltend gemachten Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind kein Zulassungsgrund gemäß § 78 Abs. 3 AsylG. Andere Zulassungsgründe, insbesondere Verfahrensmängel, sind auch sinngemäß nicht geltend gemacht. Dies gilt auch insoweit, als der Kläger die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts in Zweifel zieht. Diese ist dem sachlichen Recht zuzuordnen und rechtfertigt von vornherein nicht die Zulassung der Berufung wegen eines Verfahrensmangels.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11.12.2018 ‒ 4 A 3890/18.A ‒, juris, Rn. 11 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.</p>
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<dd><p>Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.</p></dd>
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<dd><p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.</p></dd>
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<dd><p>Der Streitwert wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.</p></dd>
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<dd><p>Das Gericht legt das vorläufige Rechtsschutzbegehren des Antragstellers dahingehend aus, dass dieser sowohl einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Ablehnung des Antrags auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 7. November 2018 als auch einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Abschiebungsandrohung in demselben Bescheid stellen möchte. Darüber hinaus legt die Kammer den Antrag dahingehend aus, dass der Antragsteller die Verpflichtung der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO erstrebt, ihn vorläufig nicht abzuschieben und ihm auch weiterhin eine Duldung zu erteilen.</p></dd>
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<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Nach §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO darf das Gericht über das Antragsbegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden Das Gericht hat grundsätzlich das im Antrag und im gesamten Antragsvorbringen zum Ausdruck kommende Rechtsschutzziel zu ermitteln und seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Bei der Ermittlung des Willens des Rechtsuchenden ist nach anerkannter Auslegungsregel zu dessen Gunsten davon auszugehen, dass er denjenigen Rechtsbehelf einlegen will, der nach Lage der Sache seinen Belangen entspricht und eingelegt werden muss, um den erkennbar angestrebten Erfolg zu erreichen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 1990 – 8 C 70.88 –, Rn. 23, juris; Kopp/Schenke, VwGO, 2. Aufl., § 88, Rn. 3). Neben dem Antrag und der Begründung ist auch die Interessenlage zu berücksichtigen, soweit sie sich aus dem Parteivortrag und sonstigen erkennbaren Umständen ergibt (BVerwG, Beschluss vom 13. Januar 2012 – 9 B 56/11 –, Rn. 7, juris). Ist der Rechtsschutzsuchende bei der Fassung des Antrages anwaltlich vertreten worden, kommt zwar der Antragsformulierung gesteigerte Bedeutung für die Ermittlung des tatsächlich Gewollten zu. Selbst dann darf die Auslegung jedoch vom Antragswortlaut abweichen, wenn die Begründung, die beigefügten Bescheide oder sonstige Umstände eindeutig erkennen lassen, dass das wirkliche Ziel von der Antragsfassung abweicht (BVerwG, Beschluss vom 13. Januar 2012 – 9 B 56/11 –, Rn. 8, juris).</p></dd>
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<dd><p></p></dd>
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<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Das Rechtsschutzziel des Antragstellers liegt hier erkennbar darin, während der Dauer eines Rechtsbehelfsverfahrens auch im Hinblick auf den geltend gemachten Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis sowie auf mögliche krankheitsbedingte Abschiebungshindernisse von Vollzugsmaßnahmen der Antragsgegnerin, nämlich letztlich einer Abschiebung, verschont zu bleiben. Die Antragsschrift ist dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen die Abschiebungsandrohung in dem Bescheid vom 7. November 2018 begehrt. Dies soll offenbar durch Ziffer 1 des Antrages in der Antragsschrift, der nach dem Wortlaut auf eine im Eilverfahren nicht mögliche Aufhebung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung zielt, zum Ausdruck gebracht werden. Wenn in Ziffer 2 der Antragsschrift hilfsweise beantragt wird, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Ablehnungsbescheid von 7. November 2018 anzuordnen, so lässt sich daraus der Wille entnehmen, auch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis zu beantragen. Darüber hinaus lässt sich der Antragsschrift das Begehren entnehmen, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen auch aus krankheitsbedingten Gründen und wegen der Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen verschont zu bleiben. Das Gericht legt deshalb den Antrag dahingehend aus, dass der Antragsteller auch die vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO erstrebt, die Abschiebung auszusetzen und dem Antragsteller weiterhin eine Duldung zu erteilen.</p></dd>
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<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheides vom 7. November 2018 wäre zwar grundsätzlich nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO statthaft, da der Widerspruch hiergegen nach §§ 248 Abs. 1 S. 2 LVwG, 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO als Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung hat. Es fehlt dem Antragsteller jedoch insoweit an dem allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag. Das allgemeine Rechtsschutzinteresse wird für jede gerichtliche Verfahrenshandlung verlangt, um den Missbrauch prozessualer Rechte zu verhindern. Damit sollen insbesondere solche Verfahren ausgeschlossen werden, in denen der Kläger mit der Klage eine Verbesserung seiner Rechtsstellung nicht erreichen kann, die Klage also zurzeit nutzlos ist (BVerwG, Urteil vom 08. Juli 2009 – 8 C 4/09 –, Rn. 24, juris). So liegt der Fall hier.</p></dd>
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<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller könnte mit der erstrebten Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheides vom 7. November 2018 seine Rechtsstellung nicht verbessern. Denn es liegt gegen den Antragsteller bereits mit dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. Mai 2017 eine bestandskräftige Abschiebungsandrohung vor, auf deren Grundlage grundsätzlich eine Abschiebung durchgeführt werden könnte. Diese Abschiebungsandrohung des Bundesamtes ist nicht unwirksam geworden. Nach § 43 Abs. 2 VwVfG des Bundes bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Eine Aufhebung der Abschiebungsandrohung des Bundesamtes ist nicht erfolgt, sie hat sich auch nicht auf andere Weise erledigt. Dem Antragsteller ist nach Bestandskraft der Abschiebungsandrohung des Bundesamtes durch die Antragsgegnerin lediglich eine Duldung, jedoch gerade keine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden, wodurch sich die Abschiebungsandrohung erledigt hätte. Die Aussetzung der Abschiebung durch Erteilung einer Duldung lässt die Ausreisepflicht gemäß § 60a Abs. 3 AufenthG grundsätzlich unberührt. Nach Erlöschen der Duldung wird gemäß § 60a Abs. 5 Satz 3 AufenthG der Ausländer unverzüglich <span style="text-decoration:underline">ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben</span>, es sei denn, die Aussetzung der Abschiebung wird erneuert. Es bedarf daher grundsätzlich nach Erlöschen einer Duldung keiner erneuten Abschiebungsandrohung und Fristsetzung, wie es in dem Bescheid vom 07. November 2018 geschehen ist. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf der Duldung vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für als ein Jahr erneuert wird (§ 60 a Abs. 5 Satz 4 AufenthG). Die Abschiebungsandrohung des Bundesamtes ist auch durch die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung durch Erteilung einer Duldung weiterhin vollziehbar; einer Abschiebungsandrohung stehen ohnehin nach § 59 Abs. 3 AufenthG Gründe für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen.</p></dd>
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<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in dem Bescheid vom 7. November 2018 ist nicht statthaft. Die Statthaftigkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO setzt insoweit voraus, dass der angefochtene Verwaltungsakt eine den Antragsteller selbständig belastende und vollziehungsfähige Regelung enthält. Das ist bei der Anfechtung der Ablehnung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nur dann der Fall, wenn der abgelehnte Antrag eine gesetzliche Erlaubnis-, Duldungs- oder Fortgeltungsfiktion nach § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG ausgelöst hat, die durch die im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO sofort vollziehbare (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) Ablehnungsentscheidung der Behörde erlischt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 20. November 2007 – 11 S 2364/07 –, InfAuslR 2008, 81 m. w. Nachw.). Nur in der Situation des Verlusts einer aufgrund der Antragstellung entstandenen Rechtsposition ist die Rechtsschutzmöglichkeit des § 80 Abs. 5 VwGO ausnahmsweise auch im Rahmen einer Versagungsgegenklage bzw. eines Versagensgegenwiderspruchs gegeben. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gem. § 80 Abs. 5 VwGO hätte zwar nicht die Wiederherstellung der Fiktionswirkungen zur Folge, allerdings würde in diesem Fall die Einstellung des Vollzugs nach § 241 Abs. 1 Nr. 3 LVwG erreicht werden können. Deshalb ist in diesen Fällen § 80 Abs. 5 VwGO der zutreffende Rechtsbehelf (vgl. dazu OVG Schleswig, Beschluss vom 25. Juli 2011 – 4 MB 40/11 -, n.v. S. 4 der Beschlussausfertigung).</p></dd>
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<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Mit der Antragstellung auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis kann eine Erlaubnis- oder Duldungsfiktion nach § 81 Abs. 3 Satz 1 oder 2 AufenthG nur dann eintreten, wenn sich der Ausländer ohne Aufenthaltstitel rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die dem Antragsteller erteilten Duldungen begründeten jedoch keinen rechtmäßigen Aufenthalt. Duldungen lassen die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht vielmehr unberührt (§ 60a Abs. 3 AufenthG; vgl. BayVGH, Beschluss vom 26. September 2005 – 24 C 05.1851 –, Juris; OVG Hamburg, Beschluss vom 21. April 2005 – 3 Bs 40.05 –, InfAuslR 2005, 306; vgl. auch zur Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG: BVerwG, Urteil vom 25. September 1994 – 1 C 3.97 –, BVerwGE 105, 232 [235]). Von § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG erfasst werden andere Fälle, insbesondere die des § 81 Abs. 2 AufenthG sowie die Fälle, in denen gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zunächst eine Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels gegeben war (vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 07.02.2003, BT-Drucks. 15/420, S. 96). Eine Fortgeltungsfiktion nach § 81 Abs. 4 AufenthG konnte mit der Antragstellung nicht eintreten. Beantragt ein Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels, gilt nach dieser Vorschrift der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend. Dem Antragsteller ist jedoch zuvor noch keine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden.</p></dd>
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<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der vorläufigen Verpflichtung der Antragsgegnerin, die Abschiebung des Antragstellers weiterhin auszusetzen und ihm eine Duldung zu erteilen, hat keinen Erfolg.</p></dd>
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<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung). Dabei hat der Antragsteller sowohl die Notwendigkeit einer vorläufigen Anordnung (Anordnungsgrund) als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).</p></dd>
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<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Dem Antragsteller steht kein Anordnungsanspruch zu.</p></dd>
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<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Die Abschiebung des Antragstellers, der nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens vollziehbar ausreisepflichtig ist, wäre nach § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Eine rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung in diesem Sinne ist nicht anzunehmen.</p></dd>
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<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Insoweit ist nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass insbesondere aus der geltend gemachten psychischen Erkrankung als rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung eine Reiseunfähigkeit des Antragstellers resultiert. In diesem Zusammenhang sind im vorliegenden aufenthaltsrechtlichen Verfahren sog. zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote (z. B nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG), etwa eine mögliche drohende Gefährdung der Gesundheit oder des Lebens des Antragstellers durch die im Zielstaat der Abschiebung (Türkei) bestehenden Verhältnisse in diesem Verfahren nicht zu berücksichtigen. Nach § 42 AsylG ist die Ausländerbehörde an die Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes gebunden. Insoweit ist bestandskräftig festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen (Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 10. Juli 2017 – 1 B 90/17 –, Rn. 4, juris); ein Asylfolgeantrag oder ein Antrag auf Abänderung der Entscheidung des Bundesamtes zu den Voraussetzungen nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG ist nicht gestellt worden.</p></dd>
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<dl class="RspDL">
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<dd><p></p></dd>
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<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Ein rechtliches Abschiebungshindernis im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG liegt u.a. dann vor, wenn durch die Beendigung des Aufenthalts eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben und damit für die in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgten Grundrechte zu befürchten ist. Besteht diese Gefahr unabhängig vom konkreten Zielstaat, kommt ein sogenanntes inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis wegen Reiseunfähigkeit in Betracht und dies in zwei Fällen: Zum einen scheidet eine Abschiebung aus, wenn und solange ein Ausländer wegen einer Erkrankung transportunfähig ist, das heißt, wenn sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des Reisens wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht (Reiseunfähigkeit im engeren Sinne). Außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs kann sich zum anderen eine konkrete Gesundheitsgefahr aus dem ernsthaften Risiko ergeben, dass sich der Gesundheitszustand gerade durch die Abschiebung als solche wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (sogenannte Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne).</p></dd>
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<dl class="RspDL">
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<dd><p></p></dd>
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<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Die beschriebenen Gefahren können sich auch aus einer festgestellten psychischen Erkrankung ergeben. Dabei bedarf es im Falle der Geltendmachung einer Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne wegen psychischer Erkrankung einer Abgrenzung zur Fallgruppe des sogenannten zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG, dessen Nichtvorliegen im Asylverfahren vorliegend gemäß § 42 Satz 1 AsylG mit Bindungswirkung für die Ausländerbehörde festgestellt worden ist (Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 26. März 2018 – 4 MB 24/18 –, Rn. 3, juris m.w.Nw.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Gem. § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, wenn nicht der Ausländer eine im Rahmen der Abschiebung beachtliche Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft macht (Satz 2). Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände enthalten, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben (Satz 3). Bereits vor Inkrafttreten dieser Bestimmung entsprach es der Rechtsprechung, dass vom Ausländer selbst vorgelegte ärztliche Stellungnahmen zu psychischen Erkrankungen nachvollziehbar die tatsächlichen Umstände anzugeben hatten, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt war (Befundtatsachen) sowie gegebenenfalls die Methode der Tatsachenerhebung zu benennen hatten. Ferner waren die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose) nachvollziehbar ebenso darzulegen wie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich in Zukunft ergeben (prognostische Diagnose), wobei sich Umfang und Genauigkeit der erforderlichen Darlegung jeweils nach den Umständen des Einzelfalles richten (Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 26. März 2018 – 4 MB 24/18 –, Rn. 6, juris m.w.Nw.). Auch bei einer nicht völlig auszuschließenden Suizidgefahr liegt nicht zwangsläufig ein krankheitbedingtes Abschiebungshindernis vor, wenn die Abschiebung von der Ausländerbehörde so gestaltet werden kann, dass der Suizidgefahr wirksam begegnet werden kann (Bayr. VGH, Beschl. v. 5. Juli 2017 – 19 CE 17.657 -, juris Rn. 29). Ob dies hinreichend sichergestellt ist, kann allerdings nicht abstrakt, sondern nur unter Würdigung der Einzelfallumstände beantwortet werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd><p></p></dd>
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<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Antragsteller die gesetzliche Vermutung seiner Reisefähigkeit nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG nicht widerlegt. Die vorgelegten Unterlagen lassen keine ausreichenden Rückschlüsse auf ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis in Form einer Reiseunfähigkeit zu. Die fachärztliche Stellungnahme des Zentrums für Integrative Psychiatrie vom 8. September 2017 diagnostiziert zwar eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine schwere depressive Episode, benennt jedoch nicht vollständig und nachvollziehbar die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage die fachliche Beurteilung erfolgt ist.</p></dd>
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<dl class="RspDL">
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<dd><p></p></dd>
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<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Es wird ausgeführt, dass bei dem Antragsteller ab dem 6. September 2017 die morgendliche Gabe eines Antidepressivums und wie bereits zuvor zur antidepressiven und schlafanstoßende Behandlung eine Sedierung mit Mirtazapin (Bescheinigung vom 29. November 2016) erfolgt. Die in dem Attest enthaltenen Tatsachendarstellungen, die eine Ursache für die geltend gemachte posttraumatische Belastungsstörung und die Depression sein könnten, finden sich auf Seite 2 der Bescheinigung vom 8. September 2017. Es heißt dort, dass bei dem Antragsteller prognostisch bei ohnehin bestehenden suizidalen Gedanken mit jedoch gegenwärtiger Absprachefähigkeit und Rundumbetreuung durch seinen Cousin eine konkrete und auch geäußerte Suizidgefahr bei konkretisierter Ausreise bestehe. Da der Patient politisch verfolgt sei (unter der gegenwärtigen Regierung würde er sowohl als Levit als auch als Kurde unmittelbar inhaftiert), würde dem Patienten statt einer adäquaten psychiatrisch/psychotherapeutischen Behandlung im Herkunftsland auch der Tod drohen, insbesondere in dem Fall aber Gewaltmaßnahmen, die gegen die Menschenwürde verstießen. Der Patient sei aus psychiatrischer Sicht nicht reisefähig, wobei von einer konkreten Suizidgefahr ausgegangen werden müsse.</p></dd>
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<dl class="RspDL">
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<dd><p></p></dd>
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<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Ein Attest, dem nicht zu entnehmen ist, wie es zur prognostischen Diagnose kommt und welche Tatsachen dieser zugrunde liegen, ist nicht geeignet, das Vorliegen eines Abschiebungsverbots wegen Reiseunfähigkeit zu begründen (vgl. VGH München, Beschl. v. 05.01.2017 – 10 CE 17.30 –, juris Rn. 7 m. w. N.; Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 21. Dezember 2017 – 1 B 180/17 –, Rn. 14, juris). Die fachärztliche Bescheinigung beschreibt insoweit nicht konkret, aufgrund welcher Ereignisse in der Vergangenheit sich bei dem Antragsteller eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine Depression habe entwickeln können. Die Bescheinigung bezieht sich bei der Prognose auf einen Sachverhalt (Verfolgung des Klägers bei einer Rückkehr in die Türkei), der so bei der Prüfung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht festgestellt werden konnte. Der Antragsteller hatte zwar bei seiner Anhörung bei dem Bundesamt am 9. August 2016 ausgeführt, er habe im Winter 2013 an Protesten teilgenommen und sei insgesamt ca. 15 mal kurzfristig festgenommen worden. Bei den meist eintägigen Inhaftierungen sei er beleidigt worden. Nach der letzten Festnahme im November 2013 seien noch 3 Monate vergangen, bis er seine Ausreise mit Hilfe eines Schleppers habe organisieren können. Er habe die Türkei im Februar 2014 legal über den Flughafen Istanbul verlassen. Das Bundesamt hat dann in seinem Bescheid vom 2. Mai 2017 den Sachvortrag des Antragstellers als nicht glaubhaft angesehen, weil die Angaben zu den fluchtauslösenden Ereignissen arm an Details, vage und oberflächlich geblieben seien. Mit einem abgebrochenen Hochschulstudium sollte der Antragsteller in der Lage sein, das eigenständig Erlebte im richtigen zeitlichen Ablauf wiederzugeben. Darüber hinaus widerspräche es jeglicher Lebenserfahrung, dass der Antragsteller, obwohl er gesucht würde, noch legal habe ausreisen können. Der Antragsteller hat den auf diese Begründung gestützten ablehnenden Bescheid des Bundesamtes bestandskräftig werden lassen.</p></dd>
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<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Auch die amtsärztliche Stellungnahme vom 28. November 2017 konnte sich mit diesen Umständen nicht auseinandersetzen, da sie bei der Untersuchung des Antragstellers der Amtsärztin nicht bekannt waren. Die Bewertung, dass es im Rahmen des Rückführungstransports und der damit verbundenen Belastung durch die drohende politische Verfolgung im Heimatland zu einer deutlichen Verschlechterung des Befindens kommen könnte, unterstellt bei der medizinischen Diagnose und Prognose einen Sachverhalt, nämlich eine drohende politische Verfolgung, der so in dem Asylverfahren gerade nicht festgestellt werden konnte. Nach der Bewertung der Amtsärztin mache es die mögliche Zuspitzung der gesundheitlichen Problematik während bzw. durch die Reisebelastung erforderlich, dass am Zielort eine Übergabe an kompetente Betreuungspersonen sowie eine gegebenenfalls erforderliche Weiterleitung in eine geeignete medizinische Weiterbehandlung sichergestellt sei. Angesichts der drohenden politischen Verfolgung im Heimatland erscheine diese Voraussetzung nicht umsetzbar. Allein die situative Belastung durch die drohenden Maßnahmen im Heimatland beinhalteten eine massive Belastung, die die primär krankheitsbedingt eingeschränkte Kompensationsfähigkeit des Antragstellers überfordern könne. Im Hinblick auf die vorliegende schwere Erkrankung könne jede eingreifende Veränderung der äußeren Umstände zu einer Dekompensation führten. Auch in diesem Zusammenhang geht die Amtsärztin bei ihrer Prognose von einem Sachverhalt aus (drohende politische Verfolgung), der so in dem Asylverfahren gerade nicht festgestellt werden konnte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Die Antragsgegnerin hat im Übrigen zugesichert, dass sie die vorgeschlagene medizinische Begleitung während einer Abschiebung einschließlich der erforderlichen Medikation und die Übergabe an eine fachlich geschulte Betreuungsperson berücksichtigen wird.</p></dd>
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<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Die Abschiebung des Antragstellers erweist sich auch nicht im Hinblick auf einen geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder wegen Unzumutbarkeit einer vorübergehenden räumlichen Trennung der Eheleute als rechtlich unmöglich im Sinne von § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. In den Fällen, in denen der Antrag auf Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis eine Fiktionswirkung mit einhergehendem Bleiberecht (§ 81 Abs. 3 und 4 AufenthG) nach der Entscheidung des Gesetzgebers nicht auslöst, scheidet aus gesetzessystematischen Gründen die Erteilung einer Duldung für die Dauer des Erteilungsverfahrens grundsätzlich aus. Dieser Grundsatz beruht auf der Erwägung, dass dies der in den §§ 50, 58 Abs. 1 und 2, 81 Abs. 3 und 4 AufenthG zum Ausdruck kommenden gesetzlichen Wertung widerspräche, die für die Dauer eines Aufenthaltsgenehmigungsverfahrens ohne Hinzutreten besonderer Umstände nur unter den Voraussetzungen des § 81 AufenthG ein Bleiberecht gewährt. Eine spezielle „Duldung“ für die Dauer des ausländerbehördlichen Verfahrens bis zu einer behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung allein wegen des Vorliegens eines solchen behördlichen Verfahrens und eines etwaigen Anspruchs auf Aufenthaltserlaubnis kommt nicht in Betracht, weil das Gesetz einen solchen Fall grundsätzlich nicht vorsieht, sondern gerade ausschließt (Beschluss des Gerichts vom 10. August 2017 – 1 B 75/17 – mwN: OVG Münster, Beschluss vom 11. Januar 2016 – 17 B 890/15 –; OVG Magdeburg, Beschluss vom 14. Oktober 2009 – 2 M 142/09 –; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Februar 2006 – 7 S 65.05 –; VG Aachen, Beschluss vom 24. Mai 2016 – 8 L 1025/15 –; VG Trier vom 14. Dezember 2011 – 1 L 1537/11 TR – alle zitiert nach Juris; Bergmann/Dienelt Ausländerrecht, AufenthG § 81 Rn. 40-47, beck-online).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Allerdings sind Ausnahmen von diesem Grundsatz insoweit anerkannt, als sich einer Abschiebung entgegenstehende rechtliche Hindernisse im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben können, die ihre Grundlage etwa in den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 (Leben und körperliche Unversehrtheit), 6 Abs. 1 GG (Ehe und Familie) oder Art. 8 EMRK (Familien- und Privatleben) haben. Zum anderen können Abschiebungsverbote aber auch ausnahmsweise aus Art. 19 Abs. 4 GG in Verbindung mit einfachgesetzlichen Rechten folgen, wenn diese Rechte dem Ausländer eine Rechtsposition einräumen, die durch eine Abschiebung verloren geht (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05. Dezember 2011 – 18 B 910/11 –, Rn. 4, juris). Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn sich der Ausländer auf § 39 AufenthV (iVm § 99 AufenthG) berufen kann, der die Möglichkeit der Einholung eines Aufenthaltstitels vom Bundesgebiet aus vorsieht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Dem Antragsteller kann gegenwärtig im Hinblick auf die geschlossene Ehe vor seiner Ausreise kein Aufenthaltstitel zur Familienzusammenführung nach § 28 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erteilt werden. Die Kammer kann dabei offen lassen, ob bereits deshalb gegenwärtig kein Anspruch besteht, weil das Verfahren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bei der Antragsgegnerin nach § 79 Abs. 2 AufenthG auszusetzen wäre. Beantragt ein Ausländer, gegen den wegen des Verdachts einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit ermittelt wird, die Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels, ist nach dieser Vorschrift die Entscheidung über den Aufenthaltstitel bis zum Abschluss des Verfahrens, im Falle einer gerichtlichen Entscheidung bis zu deren Rechtskraft, auszusetzen, es sei denn, über den Aufenthaltstitel kann ohne Rücksicht auf den Ausgang des Verfahrens entschieden werden. Es kann offen bleiben, ob angesichts des noch laufenden Ermittlungsverfahrens des Antragstellers wegen Computerbetrugs die letztgenannten Voraussetzungen vorliegen, da bereits aus anderen Gründen die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ausscheidet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Nach § 10 Abs. 3 AufenthG kann nämlich einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5, also aus humanitären Gründen, erteilt werden. Nach Satz 3 der Vorschrift findet diese Bestimmung jedoch im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung. Als Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG kommt nur ein strikter Rechtsanspruch in Betracht, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2008 – 1 C 37.07 –, juris Rn. 20; Beschluss vom 16. Februar 2012 – 1 B 22.11 –, juris Rn. 4).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Dem Antragsteller steht ein solcher strikter Rechtsanspruch nicht zu. Nach § 27 Abs. 1 AufenthG wird die Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet für ausländische Familienangehörige (Familiennachzug) zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 des Grundgesetzes erteilt und verlängert. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ist die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Ob eine eheliche Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seiner Ehefrau besteht, ist zwischen den Beteiligten streitig, konkreter Sachvortrag und gegebenenfalls eine Glaubhaftmachung durch die Beteiligten ist bislang nicht erfolgt. Die Kammer kann jedoch auch diese Frage offen lassen, da bei dem Antragsteller die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nicht vorliegen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsinteresse besteht. Von dieser Voraussetzung kann zwar im Ermessenswege bei der Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG abgesehen werden, es handelt sich dann jedoch bei der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht mehr um einen Rechtsanspruch im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG. Es besteht bei dem Antragsteller ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG. Danach wiegt ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 schwer, wenn der Ausländer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.Diese Vorschrift ist dahin zu verstehen, dass ein Rechtsverstoß nur dann unbeachtlich ist, wenn er vereinzelt und geringfügig ist, er hingegen immer beachtlich ist, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig, oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. September 1996 – 1 C 9.94 –, BVerwGE 102, 63, 66 f.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 19. September 2017 – 10 C 17.1434 –, juris Rn. 6; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 1. April 2010 – 8 PA 27/10 –, juris Rn. 7; jeweils zu § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG a.F.). Eine vorsätzlich begangene Straftat ist grundsätzlich kein geringfügiger Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. September 1996, a.a.O., S. 66 f. zu § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG a.F.); OVG Lüneburg, Urteil vom 14. November 2018 – 13 LB 160/17 –, Rn. 40, juris zu § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller hielt sich nach eigenen Angaben seit Ende 2014 unrechtmäßig in Deutschland auf und stellte erst am 9. August 2016 einen Asylantrag. Der Antragsteller erfüllt damit die Voraussetzungen der Strafvorschrift des § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, weil er sich ohne erforderlichen Aufenthaltstitel nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG im Bundesgebiet aufgehalten hat und er darüber hinaus gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 in das Bundesgebiet eingereist ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Der nicht nur geringfügige Verstoß gegen Rechtsvorschriften entfällt nicht wegen des später gestellten Asylantrages. Die Strafbarkeit wegen illegaler Einreise entfällt nur dann im Falle eines Asylantrags sowohl nach internationalem Recht (Art. 31 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention – GFK) als auch nach nationalem Recht (§ 95 Abs. 5 AufenthG), wenn die Antragstellung unverzüglich erfolgt (§ 13 Abs. 3 AsylG). Wer den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise stellt, macht sich daher nicht strafbar und begründet hierdurch auch kein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, insbesondere kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG. Eine Asylantragstellung innerhalb von zwei Wochen ist in der Regel noch als "unverzüglich" anzusehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Mai 1997 – 9 C 35.96 –, BVerwGE 104, 262; Treiber, in: GK-AsylG, II - § 13 RdNr. 171, m.w.N.). Diesen Zeitrahmen hat der Antragsteller jedoch nicht eingehalten, er hat den Asylantrag erst mehr als anderthalb Jahre nach seiner Einreise gestellt, nachdem er aus der Untersuchungshaft entlassen worden war.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller ist im Jahr 2014 ohne Visum nach Deutschland eingereist. Der Antragsteller unterliegt als türkischer Staatsangehöriger der Visumpflicht für die Einreise und den Aufenthalt sowohl zum Zweck der Arbeitsaufnahme als auch zum Zweck der Familienzusammenführung nach §§ 4, 6 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 (ABI EG Nr. L 81 S. 1) und deren Anhang I.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller war von der Visumpflicht nicht nach den Standstill-Regelungen des Assoziationsrechts EWG-Türkei befreit. Auf die Stillhalteklausel des Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen vom 12. September 1963 (BGBl 1972 II S. 385) - Zusatzprotokoll (ZP) - kann der Antragsteller sich nicht berufen, denn er beabsichtigte nicht, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Er strebt allenfalls die Aufnahme einer unselbständigen Arbeit an; dies ist zwischenzeitlich auch geschehen. Die für türkische Arbeitnehmer geschaffenen Stillhalteregelungen des Art. 7 ARB 2/76 und des Art. 13 ARB 1/80 setzen jedoch einen ordnungsgemäßen Aufenthalt des Arbeitnehmers im Aufnahmestaat voraus, über den der Antragsteller nicht verfügt. Denn er ist illegal nach Deutschland eingereist, besitzt keine Aufenthaltserlaubnis und wird hier nur vorübergehend geduldet. Ein ordnungsgemäßer Aufenthalt liegt aber nur dann vor, wenn der türkische Staatsangehörige die Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats über die Einreise, den Aufenthalt und gegebenenfalls die Beschäftigung beachtet hat, so dass seine Lage im Hoheitsgebiet dieses Staates rechtmäßig ist (so EuGH, Urteil vom 7. November 2013 - Rs. C-225/12, Demir - NVwZ-RR 2014, 115 Rn. 35 m.w.N.). Der Antragsteller kann auch von seiner Ehefrau kein Recht auf Beachtung der Stillhalteklausel des Art. 7 ARB 2/76 oder des Art. 13 ARB 1/80 ableiten mit der Folge, dass es allein auf deren ordnungsgemäßen Aufenthalt ankäme (vgl. dazu Urteil vom 6. November 2014 - BVerwG 1 C 4.14 - Rn. 15). Denn die Ehefrau ist deutsche und nicht türkische Staatsangehörige und kann daher ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nicht vermitteln (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2014 – 1 C 15/14 –, Rn. 13 - 14, juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Da es demnach an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (kein Ausweisungsinteresse) mangelt, kommt es nicht mehr darauf an, ob von dem grundsätzlichen Erfordernis des § 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG abzusehen wäre, nach dem die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter anderem voraussetzt, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und ob sich der Antragsteller etwa auf die Ausnahmeregelung des § 39 Nr. 5 AufenthV stützen könnte, wonach ein Ausländer über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen oder verlängern lassen kann, wenn seine Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist und er auf Grund einer Eheschließung oder der Begründung einer Lebenspartnerschaft im Bundesgebiet oder der Geburt eines Kindes während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat. Lediglich ergänzend sei erwähnt, dass die Voraussetzungen des § 39 Nr. 5 AufenthV nicht vorliegen, da der Antragsteller wegen des Vorliegens eines Ausweisungsinteresses gerade keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat. Die Nachholung des Visumverfahrens wäre für ihn auch nicht unzumutbar im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller kann die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht beanspruchen. Dem steht zwar nicht das Verbot des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen, da es sich bei der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG um eine solche nach dem Fünften Abschnitt des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes handelt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller erfüllt aber weder die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG noch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p>Eine rechtliche Unmöglichkeit in diesem Sinne kann sich aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, die aus Verfassungsrecht etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG herzuleiten sind. Nach Art. 6 Abs. 1 GG schutzwürdige Belange können einer Beendigung des Aufenthalts dann entgegenstehen, wenn es dem Ausländer nicht zuzumuten ist, seine familiären Bindungen durch Ausreise auch nur kurzfristig zu unterbrechen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1997 – 1 C 9.95 –, BVerwGE 105, 35, 39 f.; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 20. Mai 2009 – 11 ME 110/09 –, juris Rn. 10; jeweils m.w.N.). Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst die Freiheit der Eheschließung und Familiengründung sowie das Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.5.1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. -, BVerfGE 76, 1, 42). Er knüpft dabei nicht an bloße formal-rechtliche familiäre Bindungen an. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, mithin eine tatsächlich bestehende familiäre Lebensgemeinschaft (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 2. Februar 2011 – 8 ME 305/10 –, InfAuslR 2011, 151 m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p>Unterstellt man, dass der Antragsteller mit seiner deutschen Ehefrau im Bundesgebiet bereits tatsächlich eine eheliche Lebensgemeinschaft führt, ist nicht ersichtlich, dass es ihm oder seiner Ehefrau unzumutbar sein könnte, diese etwa für die Dauer der Nachholung des Visumverfahrens oder auch die Ableistung des Wehrdienstes des Antragstellers in der Türkei zu unterbrechen. Eine Trennung des Antragstellers von seiner deutschen Ehefrau für die Dauer eines Visumverfahrens ist nicht unzumutbar. Die Eheleute waren bis vor kurzem noch unter verschiedenen Adressen gemeldet, offenbar hielt sich der Antragsteller auch noch zumindest häufig bei seinem Onkel auf, ohne dass sich hieraus erkennbar nachhaltige negative Einflüsse für die Ehe ergeben hätten. Zudem ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass ein schutzwürdiges Vertrauen des Antragstellers und seiner Ehefrau dahingehend, dass die Ausländerbehörde vom Visumerfordernis absehen und so eine durch die Nachholung des Visumverfahrens bedingte zeitweise Trennung der Eheleute vermieden würde, nicht entstanden ist. Die Eheleute mussten vielmehr bereits bei Eheschließung davon ausgehen, für die Dauer des nachzuholenden Visumverfahrens nicht zusammen leben zu können.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><p>Entsprechendes gilt für eine durch die Ableistung des Wehrdienstes bedingte Trennung der Eheleute. Ob die Ableistung des Wehrdienstes in der Türkei für den Antragsteller eine Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG bedeutet, ihm dadurch ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 AsylG droht oder deshalb nationaler Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren ist, ist ausschließlich im Asylverfahren zu prüfen; dies ist durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in dem Bescheid vom 2. Mai 2017 geschehen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_37">37</a></dt>
<dd><p>Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem Urteil vom 10. Dezember 2014 (1 C 15/14 –, Rn. 17, juris) zur Zumutbarkeit einer durch die Ableistung des Wehrdienstes in der Türkei bedingten Trennung von Eheleuten ausgeführt:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_38">38</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">„Das Berufungsgericht ist zunächst zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass es für den Kläger nicht im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG unzumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Eine Unzumutbarkeit ergibt sich nicht aus der verfahrensbedingten Trennung des Klägers von seiner Ehefrau. Zwar ist es möglich, dass es infolge der Nachholung des Visumverfahrens zu einer Trennung der Eheleute von 15 Monaten kommt, wenn der Kläger das Verfahren von der Türkei und nicht von einem Drittland zu betreiben hat und dann in der Türkei seiner Verpflichtung zur Wehrdienstleistung nachkommen muss. Der Senat verkennt nicht, dass eine mögliche Trennungszeit von dieser Dauer einen nicht unerheblichen Eingriff in die durch Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK geschützte eheliche Lebensgemeinschaft darstellt. Das Oberverwaltungsgericht sieht diesen Eingriff aber mit Recht als nicht unverhältnismäßig an. Denn der Kläger kommt mit der Wehrdienstleistung einer staatsbürgerlichen Pflicht nach, die auch bei Eheführung im Heimatland zu einer entsprechenden Trennung der Eheleute führen kann. Zudem war den Eheleuten bei Eingehung der Ehe bekannt, dass es wegen des noch nicht geleisteten Wehrdienstes in der Türkei zu einer hierdurch bedingten, zeitlich begrenzten Trennung kommen könnte - worauf bereits das Berufungsgericht hingewiesen hat.“</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_39">39</a></dt>
<dd><p>Diese Erwägungen treffen auch auf den Antragsteller zu und führen deshalb nicht zu einer rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung weder als Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG noch als Voraussetzung für die Erteilung einer Duldung nach § 60 a Abs. 2 AufenthG.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_40">40</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_41">41</a></dt>
<dd><p>Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<br>
</div>
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161,403 | vg-schleswig-holsteinisches-2019-01-09-11-b-16318 | {
"id": 1071,
"name": "Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht",
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} | 11 B 163/18 | 2019-01-09T00:00:00 | 2019-01-16T06:59:13 | 2019-01-21T11:45:03 | Beschluss | ECLI:DE:VGSH:2019:0109.11B163.18.00 | <div class="docLayoutText">
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
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<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Antrag wird abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
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<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>I.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller ist Staatsangehöriger Bosnien-Herzegowinas. Er ist Inhaber eines biometrischen Reisepasses, ausgestellt am 07.08.2017. In diesem befindet sich ein Einreisestempel des Flughafen Hamburg vom 24.05.2018. Der Antragsteller hatte sich bereits im Oktober/November 2017 im Bundesgebiet aufgehalten und versucht, sich beim Einwohnermeldeamt der Antragsgegnerin mit einem gefälschten kroatischen Ausweis anzumelden. Aufgrund dessen wurde am 27.11.2017 ein Strafverfahren wegen Urkundenfälschung eingeleitet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Am 15.06.2018 heiratete der Antragsteller die deutsche Staatsangehörige xxx xxx in xxx, Dänemark. Frau xxx hatte bereits mit Email vom 01.06.2018 um einen Termin bei der Antragsgegnerin wegen der Familienzusammenführung gebeten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Mit Schreiben vom 27.06.2018 wurde beantragt, „ein Visum zum Zwecke des Ehegattennachzuges zu erteilen“. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsteller habe einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zwecks Nachzug zu seiner Ehefrau. Mit dieser habe er vor der Eheschließung bereits zwei Jahre – mit Unterbrechungen – jeweils begrenzt auf drei Monate in der Wohnung der Ehefrau gelebt. Seine Ehefrau sei wirtschaftlich unabhängig und gut situiert. Aufgrund seines „aktuellen Visums“ sei er am 29.06.2018 ausreisepflichtig. Aufgrund der Beziehung zu seiner Ehefrau sei es zu Verwerfungen in den Familien gekommen. Seine Familie, eine sehr wohlhabende Juweliersfamilie, die man als „radikal katholisch“ bezeichnen könne, habe die Eheschließung mit der muslimischen Ehefrau nicht akzeptiert. Seine Familie habe angekündigt, ihn bei einer Rückkehr nach Bosnien einzusperren und seine Ausweispapiere zu vernichten. Dies sei der Familie durch ihre finanziellen Möglichkeiten und ihren Einfluss möglich. Aufgrund dieser Auseinandersetzung habe der Antragsteller eine schwere Depression entwickelt. Diesbezüglich reichte er ein Schreiben der psychologischen Psychotherapeutin xxx von 09.07.2018 nach (Bl. 70 Beiakte A). Danach sei der Antragsteller „aufgrund der Konflikte mit seiner Ursprungsfamilie aus psychotherapeutischer Sicht mittel bis langfristig nicht reisefähig in seine Heimat“.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Nachträglich mit Schreiben vom 08.08.2018 wurde zusätzlich beantragt, dem Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Erwerbstätigkeit zu erteilen. Dem Antrag wurde ein Arbeitsvertrag von 22.07.2018 beigefügt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Nachdem die Antragsgegnerin den Antragsteller zur Ablehnung seines Antrags angehört hatte, suchte der Antragsteller am 08.09.2018 bei Gericht um Eilrechtsschutz nach. In diesem Verfahren legte er eine eidesstattliche Versicherung in deutscher Sprache vom 10.09.2018 vor (Bl. 37 d.A. in dem Verfahren 11 B 120/18). Der Antrag wurde mit Beschluss vom 26.09.2018 – 11 B 120/18 abgelehnt. Am 27.09.2018 wurde der Antragsteller beim Gesundheitsamt der Antragsgegnerin zur Überprüfung der Reisefähigkeit amtsärztlich untersucht. Die entsprechende amtsärztliche Stellungnahme erging am 02.10.2018 (Bl. 170 f. Beiakte A). Danach wird die Reisefähigkeit in Begleitung eines Arztes und in Aufsicht von Sicherheitspersonal zum Schutz der Mitreisenden bestätigt. Die Angaben des Antragstellers erscheinen nach Eindruck der Amtsärztin wenig glaubhaft. Eigengefährdung könne nicht sicher bestätigt werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Mit Bescheid vom 17.10.2018 lehnte die Antragsgegnerin die Anträge auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen ab und fordert den Antragsteller unter Androhung der Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina auf, das Bundesgebiet zu verlassen. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsteller sei ohne das erforderliche Visum eingereist. Die Nachholung des Visumverfahrens sei in seinem Fall nicht unzumutbar. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 05.12.2018 zurückgewiesen. In dem Widerspruch wurde unter anderem ausgeführt, der Antragsteller habe sich bereits im Juni 2018 bemüht, einen Termin zur Visumerteilung in der deutschen Botschaft im Heimatland zu vereinbaren.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Am 15.12.2018 hat der Antragsteller Klage erhoben und gleichzeitig mit einem weiteren Schriftsatz um Eilrechtsschutz nachgesucht. In der Antragsschrift wird zur Begründung auf das Hauptsacheverfahren und das Verfahren unter dem Az. 11 B 120/18 verwiesen. Im Übrigen wiederholt er sein bisheriges Vorbringen und trägt unter anderem weiter vor, er sei immer noch bemüht, in seinem Heimatland ein Visum zum Zwecke des Ehegattennachzuges zu erhalten. Bereits im Juni 2018 habe er bei der deutschen Botschaft im Heimatland um eine Terminvereinbarung ersucht, ein Termin sei bis heute nicht vergeben worden. Mittlerweile habe er auch einen Sprachkurs mit abschließender Prüfung absolviert.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller beantragt in der Klageschrift,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p style="margin-left:90pt">1. die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p style="margin-left:90pt">sowie in der Antragsschrift,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p style="margin-left:90pt">2. der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung die Abschiebung des Antragstellers bis zum Abschluss des Verfahrens über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Ehegattennachzuges zu untersagen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Die Antragsgegnerin beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p style="margin-left:90pt">den Antrag abzulehnen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Zur Begründung verweist sie auf den Bescheid vom 17.10.2018 und den Widerspruchsbescheid vom 12.12.2018.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Die Anträge waren nach dem erkennbaren Begehren des Antragstellers dahingehend auszulegen, dass er einen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet während des Klageverfahrens erreichen möchte, §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>1.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Der in der Klageschrift gestellte Antrag (Antrag zu 1.), auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung, die kraft Gesetzes gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 entfällt, ist unzulässig, da er nicht statthaft ist. Im Fall des Antragstellers ist hinsichtlich der Versagung der Aufenthaltserlaubnis einstweiliger Rechtsschutz nicht vorrangig nach §§ 123 Abs. 5, 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO zu gewähren. Denn die Ablehnung des Antrags auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis durch den Bescheid vom 17.10.2018 und den Widerspruchsbescheid vom 05.12.2018 hat keine belastende Rechtsfolge ausgelöst, die im Sinne von § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO durch Anordnung der aufschiebenden Wirkung suspendierbar wäre.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Dem Antragsteller kam vor dem Erlass des ablehnenden Bescheids nicht die Erlaubnisfiktion des § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG zugute, da er sich vor Antragstellung nicht rechtmäßig im Sinne dieser Vorschrift im Bundesgebiet aufgehalten hat. Als bosnisch-herzegowinischer Staatsangehöriger bedurfte er zwar als sog. Positivstaater/Anhang-II-Staater nach Art. 20 Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ), Art. 6 der VO (EU) 2016/399 – Schengener Grenzkodex (SGK), Art. 1 Abs. 2 in Verbindung mit Anhang II Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 (EG-VisaVO) für einen Aufenthalt, der 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, grundsätzlich keines Visums. Indes ist ein visumsfreier Aufenthalt nur dann als rechtmäßig im Sinne des § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG anzusehen, wenn der beabsichtigte Aufenthaltszweck nur auf einen Kurzaufenthalt gemäß Art. 1 Abs. 2 EG-VisaVO gerichtet ist. Dabei ist maßgeblich, welche Absichten der Betroffene im Zeitpunkt der Einreise in Bezug auf die Aufenthaltsdauer hat. Ein Staatsangehöriger eines der in Anhang II der EG-VisaVO genannten Staaten begründet demnach dann keinen rechtmäßigen Aufenthalt, wenn er bereits bei der Einreise die Absicht hat, sich länger als 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen im Bundesgebiet aufzuhalten (vgl. auch Beschluss der Kammer vom 14.02.2018 – 11 B 5/18; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 21. Juni 2013 – 10 CS 13.1002 –, Rn. 13, juris; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 20. Oktober 2016 – 7 B 2174/16 –, InfAuslR 2017, 55; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. November 2015 – 18 B 387/15 –, Rn. 3 ff., juris; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 20. September 2018 – 11 S 1973/18 –, Rn. 14, juris; Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 23. September 2013 – 3 Bs 131/13 –, juris; <em>Samel</em> in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 81 Rn. 37); a.A. <em>Zeitler</em> in HTK-AuslR, § 81 AufenthG / zu Abs. 3 und 4, Stand: 06.01.2019, Rn. 11 f.). Die Anknüpfung an subjektive Merkmale kann sich zwar im Einzelfall als schwierig gestalten, doch ergibt sie sich nach Ansicht der Kammer aus der Gesamtsystematik der Visavorschriften. Art. 2 Nr. 2 a) der VO (EG) Nr. 810/2009 – Visakodex sowie in Art. 6 SGK regeln einen „geplanten“ Aufenthalt, insofern ist den Normen ein subjektives Element immanent. Daher ist der nach den Gesamtumständen zu beurteilende Aufenthaltszweck bei der Frage des rechtmäßigen Aufenthalts nach § 81 Abs. 3 Satz1 AufenthG zu berücksichtigen und nicht lediglich objektiv auf die Einhaltung der visumfreien Zeiträume zu achten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Unter Anwendung dieser Maßstäbe war der Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet nicht rechtmäßig im Sinne des § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Denn der Antragsteller beabsichtigte bereits bei der Einreise, dauerhaft bei seiner Ehefrau in der Bundesrepublik Aufenthalt zu nehmen. Dies zeigt bereits die kurze Zeitspanne zwischen dem Einreisedatum, der Eheschließung und der Antragstellung bei der Antragsgegnerin. Insbesondere ergibt sich dieser Einreisezweck auch aus der Email der Ehefrau des Antragstellers vom 01.06.2018, in der nach einem Termin zur Familienzusammenführung gefragt wurde.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Daher kann offenbleiben, ob die Privilegierung nach Art. 1 Abs. 2 EG-VisaVO mangels Einhaltung der visumfreien Zeiträume nach Art. 6 Abs. 1 SGK nicht einschlägig ist. Es ist nicht ersichtlich, ob dem Tag der Beantragung (27.06.2018) ein Zeitraum von 180 Tagen voranging, in dem sich der Antragsteller nicht mehr als 90 Tage im Bundesgebiet aufhielt. Die Aufenthaltszeiten im Bundesgebiet sind weder aus dem Vorbringen des Antragstellers noch aus der Verwaltungsakte zweifelsfrei erkennbar. Der Antragsteller trägt selbst – ohne genauere Erläuterung – vor, er sei ab dem 29.06.2018 ausreisepflichtig geworden. Der letzte Einreisestempel im Reisepass datiert auf den 24.05.2018. Zudem hat sich der Antragsteller in der Vergangenheit mit einem gefälschten kroatischen Reisepass im Bundesgebiet aufgehalten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>2</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Der Antrag zu 2. ist zulässig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Er ist insbesondere als Antrag gerichtet auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO statthaft, da nach dem oben Gesagten einstweiliger Rechtsschutz nicht vorrangig nach §§ 123 Abs. 5, 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO iVm § 84 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 AufenthG zu prüfen war.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Der Antrag ist jedoch unbegründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 des § 123 Abs. 1 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung notwendig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) als auch einen sicherungsfähigen Anspruch (Anordnungsanspruch) voraus. Die tatsächlichen Voraussetzungen für die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) und das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO. Maßgeblich sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft gemacht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Trotz der nach § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG fehlenden Fiktionswirkung eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis kann eine Aussetzung der Abschiebung nach § 123 VwGO für die Dauer des Aufenthaltserlaubnisverfahrens erwirkt werden, wenn dies erforderlich ist, um sicherzustellen, dass eine ausländerrechtliche Regelung, die einen Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetzt, den möglicherweise Begünstigten zu Gute kommt (vgl. dazu OVG Münster Beschluss vom 19.06.2017 – 18 B 336/17; Beschluss vom 5.12.2011 - 18 B 910/11-, juris, Rn. 35 ff., unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 22. Juni 2011 - 1 C 5.10 -, InfAuslR 2011, 373, Rn. 10.; vgl. auch Rechtsprechung der Kammer für den Fall der verspäteten Antragstellung: Beschluss vom 14.11.2017 – 11 B 47/17; Beschluss vom 12.04.2018 – 11 B 47/18). In solchen Fällen scheidet die Gewährung gerichtlichen Eilrechtsschutzes gegen die Abschiebung nicht aus gesetzessystematischen Gründen aus.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Eine solche Rechtsposition, die einen Anspruch auf vorläufige Duldung während des Verfahrens nach § 60a Abs. 2 AufenthG begründen würde, ergibt sich – auch vor dem Hintergrund der Garantie auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG – hier weder aus § 39 AufenthV noch aus § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG oder aus Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller hat zunächst keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs zu seiner Ehefrau nach § 27 AufenthG iVm §§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 5, 30 Abs. 1 Satz 1, 5 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Gem. § 28 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ist § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, Satz 3 und Abs. 2 Satz 1 in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 entsprechend anzuwenden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG wird vorausgesetzt, dass der Ehegatte sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann. Einfache deutsche Sprachkenntnisse entsprechen nach § 2 Abs. 9 AufenthG dem Niveau A 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen. Es obliegt dem Antragsteller, den entsprechenden Nachweis zu erbringen, § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Der Nachweis über diese Kenntnisse ist zumindest durch ein geeignetes und zuverlässiges Zeugnis erbracht (BayVGH, Beschluss vom 10.2.2016 – 10 ZB 14.2577 – juris Rn. 13). Ein Sprachzertifikat ist zwar nachträglich vorgelegt worden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Jedoch erfordert ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zwecks Ehegattennachzug zu einer Deutschen außer dem Vorliegen der in § 28 AufenthG genannten Anspruchsvoraussetzungen grundsätzlich auch, dass die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG erfüllt ist, d.h. dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist (Nr. 1) und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat (Nr. 2). Etwas anderes gilt nur, wenn der Ausländer nach § 39 AufenthV berechtigt ist, die Aufenthaltserlaubnis nach der Einreise einzuholen oder ein Absehen von dieser Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG in Betracht kommt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Diese allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen liegen hier nicht vor. Der Antragsteller ist nicht mit einem zum Zweck des Ehegattennachzugs erteilten nationalen Visum gemäß § 6 Abs. 3 AufenthG eingereist und hat auch nicht die für dessen Erteilung erforderlichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht. Ebenso ist er nicht mit dem erforderlichen Visum für einen Aufenthalt zum Zweck der Erwerbstätigkeit nach § 18 AufenthG eingereist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>Demnach fehlt es an der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, der die Einhaltung des Visumverfahrens als wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung gewährleisten soll (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Januar 2011 – 1 C 23.09 – Rn. 20, juris unter Verweis auf BTDrucks. 15/420 S. 70).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>Aus diesem Grund kann der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nur Erfolg haben, soweit dem Antragsteller eine der o.g. Rechtspositionen zusteht. Dies ist indes nicht glaubhaft gemacht worden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p>Die Antragsteller ist nicht nach den Regelungen der §§ 39 ff. AufenthV ausnahmsweise berechtigt, den Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einzuholen und damit von dem Visumerfordernis befreit. Für den Antragsteller kommt lediglich § 39 Nr. 3 AufenthV in Betracht. Allerdings sind die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht erst nach der Einreise entstanden. Einreise meint dabei die letzte Einreise in das Bundesgebiet (BVerwG, Urteil vom 11.01.2011 – 1 C 23.09 – juris). Die Eheschließung in Dänemark erfolgte vor der letzten und damit maßgeblichen Einreise ins Bundesgebiet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p>Es konnte auch nicht gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vom Visumerfordernis abgesehen werden. Besondere Umstände nach § 5 Abs. 2 Satz Alt. 2 AufenthG, die es dem Antragsteller unzumutbar erscheinen lassen, das Bundesgebiet vorübergehend zur Nachholung des Visumverfahrens zu verlassen, liegen nicht vor. Als Ausnahmebestimmung ist die Vorschrift eng auszulegen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Nachholung des Visumverfahrens stets mit Unannehmlichkeiten verbunden ist (<em>Zeitler</em> in: HTK-AuslR / § 5 AufenthG / zu Abs. 2 Satz 2, Stand: 19.01.2018, Rn. 22).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><p>Der Umstand, dass die Eheleute möglicherweise eine vorübergehende Trennung für die übliche Dauer des Visumverfahrens hinnehmen müssen, reicht hierfür auch unter Berücksichtigung des besonderen Schutzes der Ehe durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK nicht aus (BVerwG, Urteil vom 11.01.2011 – 1 C 23.09, Rn. 34, juris). Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG ist es grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. Das Visumverfahren bietet Gelegenheit, die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen zu überprüfen. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 17. Mai 2011 – 2 BvR 2625/10 –, Rn. 14, juris). Zudem wurde die Ehe geschlossen, als dem Antragsteller lediglich ein Besuch- und kein Daueraufenthalt erlaubt war, er also nicht darauf vertrauen konnte, im Bundesgebiet bleiben zu dürfen. Darüber hinaus besteht grundsätzlich die Möglichkeit des visumfreien Besuchsaufenthalts des Antragstellers – unter Berücksichtigung der erlaubten Zeiträume – und die Möglichkeit eines visumfreien Besuchsaufenthalts der Ehefrau in Bosnien für maximal 90 Tage innerhalb von sechs Monaten (https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bosnienundherzegowina-node/bosnienundherzegowinasicherheit/207694#content_2). Insofern bestehen in Bezug auf die eheliche Lebensgemeinschaft keine besonderen Umstände, aufgrund derer eine Sondersituation im Vergleich zu anderen Ausländern, die ohne das erforderliche Visum eingereist sind, besteht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_37">37</a></dt>
<dd><p>Der Vortrag des Antragstellers, bei einer Rückkehr werde ihn seine Familie einsperren und seine Ausweispapiere vernichten, begründet ebenfalls keine Unzumutbarkeit. Der Vortrag ist unsubstantiiert und steht in Widerspruch zu der Einlassung, er versuche seit Juni 2018 einen Termin zur Visumerteilung bei der Botschaft im Heimatland zu vereinbaren. Es erfolgt auch keine nachvollziehbare Erklärung, warum der Antragsteller sich nicht ggf. an die Strafverfolgungsbehörden in Bosnien-Herzegowina wenden kann. Trotz der allgemeinen Problematik der Korruption bestehen keine Anhaltspunkte einer generellen Schutzunfähigkeit oder Schutzunwilligkeit des bosnisch-herzegowinischen Staates (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht im Hinblick auf die Einstufung von Bosnien und Herzegowina als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylG (Stand: April 2018), 16.04.2018; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bosnien und Herzegowina Gesamtaktualisierung am 23.2.2018).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_38">38</a></dt>
<dd><p>Dementsprechend liegt keine Unzumutbarkeit im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG vor. Auch nach 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG (vgl. zu dem Erfordernis des Vorliegens eines „strikten Rechtsanspruchs“ BVerwG, Urteil vom 10.12.2014 – 1 C 15.14 -, juris) besteht kein sicherungsfähiger Anspruch des Antragstellers. Nach dieser Vorschrift ist lediglich ein Ermessen der Behörde eröffnet, von der Nachholung des Visumverfahrens abzusehen (OVG Schleswig, Beschluss vom 10.04.2018 – 4 MB 44/18). Hinsichtlich des Antrags nach § 18 AufenthG liegt bereits kein strikter Rechtsanspruch vor. Bezüglich des Antrag nach § 28 AufenthG liegt- auch nach Vorlage des Sprachzertifikats – jedenfalls keine Ermessensreduzierung auf Null vor. Insoweit sind über die bei der Frage der Unzumutbarkeit erörterten Aspekte keine weiteren Umstände ersichtlich. Zu Lasten des Antragstellers wäre hingegen zu berücksichtigen, dass dieser sich bewusst gegen die Durchführung des richtigen Visumverfahrens entschieden hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_39">39</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf Duldung eines weiteren Aufenthalts im Bundesgebiet wegen rechtlicher Unmöglichkeit aus gesundheitlichen Gründen nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG glaubhaft gemacht. Er hat keine Reiseunfähigkeit glaubhaft gemacht. Die vorgelegten Bescheinigungen der psychologischen Psychotherapeutin xxx vom 09.07.2018 und vom 13.12.2018 stellen keine qualifizierten ärztlichen Bescheinigungen im Sinne des § 60a Abs. 2c AufenthG dar. Darüber hinaus widerlegen sie auch inhaltlich nicht die Vermutung des § 60a Abs. 2d AufenthG. Weder begründen sie Zweifel an der Transportfähigkeit des Antragstellers, noch liegt laut diesen Stellungnahmen eine ernstzunehmende suizidale Gefährdung vor. Die Aussage, der Antragsteller sei aus psychotherapeutischer Sicht nicht reisefähig in die Heimat, lässt nicht erkennen, dass dem Antragsteller eine schwerwiegende gesundheitliche Gefährdung droht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_40">40</a></dt>
<dd><p>Die Kammer sieht in diesem Verfahren davon ab, die Ablehnung des Antrags unter der Maßgabe bestimmter Rückführungsmodalitäten auszusprechen. Aus den ärztlichen Berichten ist nicht erkennbar, dass dem Antragsteller andernfalls schwere gesundheitliche Folgen drohen. Hinsichtlich der von der Amtsärztin angenommenen Fremdgefährdung und der empfohlenen Sicherheitsmaßnahmen ist der Antragsteller nicht antragsbefugt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_41">41</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_42">42</a></dt>
<dd><p>Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2 GKG.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<br>
</div>
|
188,481 | vg-freiburg-2019-01-08-5-k-632418 | {
"id": 157,
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<p/><p>Der Antrag wird abgelehnt.</p><p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.</p><p>Der Streitwert wird auf 11.250,-- EUR festgesetzt.</p>
<h2>Gründe</h2>
<table><tr><td> </td><td> <table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Der nach § 80 Abs. 5, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, 4 und Satz 2 VwGO i.V.m. § 12 LVwVG und auch sonst zulässige Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Landratsamts Breisgau-Hochschwarzwald vom 02.11.2018 wiederherzustellen bzw. anzuordnen, mit der ihm unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis entzogen (Nr. 1), das Führen von Kraftfahrzeugen verboten (Nr. 2), die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins bis spätestens fünf Tage nach Zustellung der Entscheidung auferlegt sowie für den Fall der nicht fristgerechten Abgabe die Wegnahme desselben angedroht wurde (Nr. 4), hat keinen Erfolg.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>1. Die Anordnung des Sofortvollzugs hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins in der Verfügung des Antragsgegners vom 02.11.2018 ist formell rechtmäßig. Sie ist besonders angeordnet (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) und in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise begründet. Der Antragsteller hat vor allem auf die Gefahren abgestellt, die sich aus der Teilnahme eines ungeeigneten Fahrzeugführers am Straßenverkehr ergeben. Um die Gefährdung hochrangiger Grundrechtsgüter wie Leben und körperliche Unversehrtheit auszuschließen, werde die sofortige Vollziehung angeordnet. Dasselbe gelte für die sofortige Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins nach § 47 FeV, die verhindern solle, dass das Bestehen einer Fahrerlaubnis durch Vorzeigen des Führerscheins vorgetäuscht werde. Dies lässt sich rechtlich nicht beanstanden. Es entspricht ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, dass gerade im Bereich des Gefahrenabwehrrechts die Interessen, die Voraussetzung für den Erlass des Verwaltungsakts sind, zugleich die Anordnung des Sofortvollzugs rechtfertigen können (vgl. nur VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 24.01.2012 - 10 S 3175/11 -, juris, Rn. 4). Der Antragsgegner hat die Gründe angegeben, die nach seiner Ansicht im vorliegenden Fall dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts den Vorrang vor dem Aufschubinteresse des Antragstellers einräumen. Ob diese Erwägungen der Behörde tatsächlich genügen, um die Anordnung des Sofortvollzugs zu rechtfertigen, ist für die Einhaltung des formellen Begründungserfordernisses des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht von Bedeutung, da das Gericht im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene Interessenabwägung vornimmt, ohne auf die von der Behörde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO vorgebrachten Gründe beschränkt zu sein (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 22.11.2004 - 10 S 2182/04 -, juris, Rn. 3).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>2. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist auch in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung überwiegt das private Interesse des Antragstellers, vorläufig weiter im Besitz der Fahrerlaubnis zu bleiben und Kraftfahrzeuge im öffentlichen Verkehr führen zu dürfen. Nach der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist nämlich aller Voraussicht nach davon auszugehen, dass der Antragsteller zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet ist und somit ernstlich befürchtet werden muss, dass er bei einer vorläufigen weiteren Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr die Sicherheit des Straßenverkehrs gefährden wird.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Die Fahrerlaubnisentziehung in dem angegriffenen Bescheid des Antragsgegners vom 02.11.2018 beruht auf den §§ 3 Abs. 1 Satz 1, 6 Abs. 1 Nr. 1c Straßenverkehrsgesetz – StVG – in Verbindung mit § 46 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 sowie § 11 Abs. 8 Satz 1 Fahrerlaubnisverordnung – FeV –. Nach diesen Vorschriften hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer Fahrerlaubnis diese zu entziehen, wenn sich der Fahrerlaubnisinhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Zur Klärung von Eignungszweifeln kann nach § 11 Abs. 3 FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf sie bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Danach ist beim Antragsteller von der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen auszugehen, denn er hat das vom Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald geforderte Gutachten bis zum Ablauf der ihm hierfür gesetzten Frist nicht vorgelegt. Daraus konnte das Landratsamt auf seine Nichteignung schließen, da die Anforderung des medizinisch-psychologischen Gutachtens entgegen der Ansicht des Antragstellers zu Recht erfolgte und auch nicht zu einer unzulässigen Missachtung des Vorrangs des in § 4 StVG normierten Punktesystems führt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Der – wie hier – gezogene Schluss von der Nichtbeibringung eines seitens der Fahrerlaubnisbehörde geforderten Gutachtens auf die Nichteignung ist nur zulässig, wenn die Anordnung der Untersuchung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist. In materiell-rechtlicher Hinsicht ist insbesondere im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entscheidend, ob die Umstände, die der Behörde Anlass für die Anordnung gegeben haben, einen Fahreignungsmangel des betreffenden Fahrerlaubnisinhabers als naheliegend erscheinen lassen (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 05.05.2014 - 10 S 705/14 -, juris, Rn. 5, m.w.N. aus der Rspr.). Nach diesen Maßstäben begegnet die auf § 46 Abs. 3 in Verbindung mit § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV gestützte Gutachtensanordnung des Landratsamts Breisgau-Hochschwarzwald vom 25.09.2017 keinen rechtlichen Bedenken. Nach diesen Vorschriften kann bei einem erheblichen Verstoß oder wiederholten Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften zur Klärung von Eignungszweifeln die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) angeordnet werden. Diese Voraussetzungen erfüllt der Antragsteller, da er sowohl erhebliche als auch wiederholte Verstöße gegen verkehrsrechtliche Vorschriften in Form von Geschwindigkeitsübertretungen begangen hat, die im Fahreignungsregister eingetragen sind und dort zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Gutachtensanordnung zum Erreichen von 6 Punkten geführt haben.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Der Einwand des Antragstellers, es habe sich um eine Geschwindigkeitsübertretung in Höhe von 80 km/h anstelle von 81 km/h gehandelt, greift dabei nicht durch. Zum einen dürfte eine derart geringe Abweichung von 1 km/h im Ergebnis keine abweichende Wertung rechtfertigen. Zum anderen steht die Höhe der Geschwindigkeitsübertretung aufgrund des seit 21.06.2018 rechtskräftigen Urteils des AG Rottweil vom 04.06.2018, Az. 7 OWi 25 Js 1897/18, fest und ist als präjudiziell in hiesigem Verfahren zu beachten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Die Gutachtensanordnung ist auch im Übrigen rechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere liegt die vom Antragsteller geltend gemachte Umgehung des Punktesystems nach § 4 StVG nicht vor.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 StVG hat die nach Landesrecht zuständige Behörde zum Schutz vor Gefahren, die von Inhabern einer Fahrerlaubnis ausgehen, die wiederholt gegen die die Sicherheit des Straßenverkehrs betreffenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften verstoßen, die in Absatz 5 genannten Maßnahmen des Punktesystems (Fahreignungs-Bewertungssystem) zu ergreifen. Das Fahreignungs-Bewertungssystem ist hingegen nicht anzuwenden, wenn sich die Notwendigkeit früherer oder anderer die Fahreignung betreffender Maßnahmen nach den Vorschriften über die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 oder einer auf Grund § 6 Abs.1 Nr. 1 erlassenen Rechtsverordnung ergibt (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 3 StVG). Damit ist zum einen im öffentlichen Interesse sichergestellt, dass ungeeignete Kraftfahrer schon vor Erreichen von acht Punkten im Fahreignungsregister von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr wirksam ausgeschlossen werden können oder besondere Eignungszweifel durch weitergehende Maßnahmen, wie z. B. eine medizinisch-psychologische Untersuchung, sofort geklärt werden können. Zum anderen ergibt sich aus dem Punktesystem aber auch, dass der Gesetzgeber bewusst die weitere Straßenverkehrsteilnahme von Kraftfahrern mit einem nicht unerheblichen „Sündenregister“ in Kauf genommen und die Entziehung der Fahrerlaubnis von der zuvor eingeräumten Möglichkeit, Angebote und Hilfestellungen wahrzunehmen, abhängig gemacht hat. Das Verlassen des Fahreignungs-Bewertungssystems auf der Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 3 StVG muss daher auf besondere Ausnahmekonstellationen beschränkt bleiben, etwa wenn ein Fahrerlaubnisinhaber durch einen erheblichen Verkehrsverstoß verkehrsauffällig geworden ist und sich aus einem derartigen Verhalten Fahreignungsmängel oder zumindest Eignungsbedenken in charakterlicher Hinsicht ableiten lassen. Die Fahrerlaubnisbehörde muss dabei im Einzelnen unter Auswertung aller konkreten Umstände näher begründen, warum sie aus besonderen Gründen im Einzelfall, der sich erheblich vom Normalfall sonstiger Verkehrsteilnehmer mit einem Punktestand abheben muss, aufgrund einer Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Kraftfahrers oder wegen der Art, der Häufigkeit oder des konkreten Hergangs der Verkehrsverstöße Eignungsbedenken hegt, die sofortige weitergehende Aufklärungsmaßnahmen etwa durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung gebieten, ohne dem Betroffenen die Chance zu belassen, zuvor die abgestuften Hilfsangebote des § 4 StVG wahrzunehmen (vgl. zum Ganzen VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 05.05.2014 - 10 S 705/14 -, juris, Rn. 7, m.w.N. aus der Rspr.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Diesen Anforderungen werden die allein berücksichtigungsfähigen (vgl. hierzu ausführlich VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 05.05.2014, a.a.O., Rn. 8) Darlegungen des Landratsamts Breisgau-Hochschwarzwald in der Aufforderung zur Begutachtung vom 26.07.2018 gerecht. Jedenfalls die Zusammenschau der Gesichtspunkte der Wiederholtheit der Verstöße auf der einen und der Erheblichkeit des letzten Verstoßes auf der anderen Seite durfte das Landratsamt dazu veranlassen, aus dem Fahreignungs-Bewertungssystem herauszutreten und eine medizinisch-psychologische Untersuchung anzuordnen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Zwar ist dem Antragsteller zuzugeben, dass allein der Tageszeit der letzten Geschwindigkeitsüberschreitung - ohne Feststellungen zu der konkret vor Ort gegebenen Verkehrslage - keine Aussage zur Erheblichkeit des Verstoßes entnommen werden kann. Jedoch genügen die übrigen Erwägungen des Landratsamts zum Schluss auf die Erheblichkeit des letztmaligen Verkehrsverstoßes.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Hierbei hat das Landratsamt auf die (mehr als) 100%ige Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit sowie die damit einhergehende nahezu unausweichliche Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer abgestellt. Diese Einschätzung ist auch inhaltlich nicht zu beanstanden. Mit dem Antragsgegner ist die beschließende Kammer der Auffassung, dass der vom Antragsteller am 08.05.2017 begangene Verkehrsverstoß, bei dem er die Bundesautobahn A 81 (Singen – Stuttgart) in einem Abschnitt, in dem die zulässige Höchstgeschwindigkeit bei 80 km/h lag, mit einem Tempo – nach Abzug der Toleranz – von 161 km/h befuhr, von solcher Erheblichkeit ist, dass er geeignet ist, charakterliche Eignungsbedenken zu begründen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Bei der durch die Fahrerlaubnisbehörde zu treffenden Wertung ist zu berücksichtigen, dass es sich vorliegend nicht nur um eine Geschwindigkeitsüberschreitung um (mehr als) 100 % handelt, sondern diese auch absolut gesehen – der Antragsteller war 81 km/h schneller als erlaubt – aus dem Rahmen „üblicher“ Verkehrsverstöße deutlich hervorsticht und sich in ihr ein hohes Maß an Gleichgültigkeit bzw. Gedankenlosigkeit gegenüber den Rechtsgütern anderer Verkehrsteilnehmer offenbart. Dies zeigt nicht zuletzt auch die Tatsache, dass die im Bußgeldkatalog vorgesehene Staffelung bei Geschwindigkeitsverstößen Differenzierungen lediglich bis zu einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 70 km/h vorsieht; alle darüber liegenden Überschreitungen werden einheitlich mit zwei Punkten und drei Monaten Fahrverbot geahndet. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass in der Rechtsprechung daraus verschiedentlich der Schluss gezogen wird, die fehlende Differenzierung jenseits der Grenze einer Überschreitung um 70 km/h beeinflusse die Gewichtung von Geschwindigkeitsüberschreitungen im Fahrerlaubnisrecht in der Weise, dass allein an die Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung nicht bereits die Würdigung geknüpft werden kann, der Fahrerlaubnisinhaber sei deswegen in charakterlicher Hinsicht zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet, wenn nicht weitere Umstände hinzutreten (vgl. VG Neustadt, Beschluss vom 21.03.2017 - 3 L 293/17.NW -, juris, Rn. 17; OVG Rheinl.-Pfalz, Beschluss vom 27.05.2009 - 10 B 10387/09 -, juris, Rn. 10; NdsOVG, Beschluss vom 02.12.1999 - 12 M 4307/99 -, juris, Rn. 10). Dem vermag sie jedoch für den vorliegenden Fall, der durch eine Geschwindigkeitsüberschreitung gekennzeichnet ist, die erheblich über der höchsten Stufe (von mehr als 70 km/h) im Bußgeldkatalog liegt und sich insoweit auch von den den genannten Gerichtsentscheidungen zugrundeliegenden Fällen unterscheidet (Geschwindigkeitsüberschreitung dort: 51 bzw. 56 km/h), nicht zu folgen. Aus Sicht der Kammer ist es vielmehr überzeugender, die fehlende Differenzierung im Bußgeldkatalog ab einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 70 km/h als Anhaltspunkt dafür zu sehen, dass gerade in Fällen von Geschwindigkeitsüberschreitungen, die deutlich über 70 km/h liegen, weitere Maßnahmen außerhalb des Fahreignungs-Bewertungssystems möglich und ggf. sogar angezeigt sein dürften.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Die Kammer hält folglich in Fortführung ihrer bisherigen Rechtsprechung (vgl. Beschlüsse vom 11.12.2007 - 5 K 2502/07 -, vom 03.05.2018 - 5 K 2343/18 - und vom 26.10.2018 - 5 K 5371/18) dafür, dass ein Geschwindigkeitsverstoß in der hier vorliegenden Größenordnung bereits für sich genommen, d.h. ohne das Hinzutreten weiterer, auf außergewöhnliche Rücksichtslosigkeit oder Aggressivität schließen lassende Begleitumstände, eine aus dem Kreis der „normalen Verkehrssünden“ herausragende, besonders nachlässige Einstellung gegenüber der Einhaltung von Verkehrsregeln offenbart, die geeignet ist, Zweifel an der charakterlichen Eignung des Antragstellers hinsichtlich der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr aufkommen zu lassen. Das gilt namentlich, wenn es sich dabei wie im vorliegenden Fall nicht um die einzige erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung handelt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Im Übrigen ist nach der einschlägigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschluss vom 05.05.2014, a.a.O., Rn. 11) zu berücksichtigen, dass das Landratsamt hier zunächst nur die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gefordert und aus dessen Nichtvorlage schließlich auf die Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen hat. Die Anforderungen an die Umstände, die ausnahmsweise ein Abrücken von dem Punktsystem ermöglichen, sind nicht zu überspannen, wenn die von der Fahrerlaubnisbehörde ergriffene Maßnahme zur Aufklärung der Eignungszweifel in ihrer Eingriffsintensität deutlich hinter der unmittelbaren Entziehung der Fahrerlaubnis zurückbleibt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Die auf § 11 Abs. 3 FeV gestützte Begutachtung setzt – wie § 11 Abs. 7 FeV zeigt - vielmehr voraus, dass die Ungeeignetheit des Betroffenen noch nicht feststeht, sondern lediglich zu befürchten ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.10.2017 - 10 S 746/17 -, juris, Rn. 35). Der Einwand des Antragstellers, bei § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV habe der Gesetzgeber nur derart gravierende Verkehrsverstöße wie die Teilnahme an illegalen Straßenrennen im Blick, geht hiernach fehl.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Nach alledem ist die Gutachtensanordnung des Landratsamts auch unter Berücksichtigung des grundsätzlichen Vorrangs von Maßnahmen nach dem Punktesystem gemäß § 4 StVG rechtlich nicht zu beanstanden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>3. Nachdem die angegriffene Entziehung der Fahrerlaubnis somit rechtlich nicht zu beanstanden sein dürfte, ergibt sich die voraussichtliche rechtliche Unbedenklichkeit auch hinsichtlich der an diese Verfügung anknüpfenden Folgemaßnahmen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins und das Verbot, fahrerlaubnispflichtige Kraftfahrzeuge zu führen, finden ihre rechtliche Grundlage in § 2 Abs. 1 Satz 1 und § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG sowie § 47 Abs. 1 FeV und stellen lediglich die gesetzliche Folge der Fahrerlaubnisentziehung dar. Die Androhung der zwangsweisen Wegnahme des Führerscheins begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken (§§ 1, 2, 18, 20, 26 und 28 LVwVG).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>4. Das Dringlichkeitsinteresse an der sofortigen Vollziehung ist ebenfalls gegeben. Aufgrund der bestehenden Zweifel an der Eignung des Antragstellers zum Führen eines Fahrzeugs ist zu befürchten, dass dessen weitere Teilnahme am Straßenverkehr die Sicherheit der übrigen Verkehrsteilnehmer gefährden würde.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG in Verbindung mit den Empfehlungen Nr. 1.5 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Anh. § 164). Nach der neueren ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg sind bei der Festsetzung des Streitwerts in Verfahren wegen der Entziehung einer Fahrerlaubnis diejenigen Beträge zu addieren, die für die nach § 6 Abs. 3 FeV eigenständig bedeutsamen Fahrerlaubnisklassen nach dem einschlägigen Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit jeweils anzusetzen sind (vgl. grundlegend VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 13.12.2007 - 10 S 1272/07 -, juris). Der Antragsteller hatte eine Fahrerlaubnis der Klassen A, A2, A1, AM, B, BE, C1, C1E und L, T. Davon haben die Fahrerlaubnisklassen A, B, C1, C1E, L und T selbständige, bei der Streitwertbemessung zu berücksichtigende Bedeutung (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 19.10.2015 - 10 S 1689/15 -, juris, Rn. 22, und vom 06.08.2015 - 10 S 1176/15 -, juris, Rn. 26). Der danach maßgebliche Hauptsachestreitwert von 22.500,-- EUR war im Hinblick auf die Vorläufigkeit des Verfahrens zu halbieren.</td></tr></table>
</td></tr></table> |
|
188,480 | lg-dusseldorf-2019-01-08-2b-o-15217 | {
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} | 2b O 152/17 | 2019-01-08T00:00:00 | 2019-02-11T11:04:06 | 2019-02-12T13:55:08 | Urteil | ECLI:DE:LGD:2019:0108.2B.O152.17.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.657.600,00 € nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. September 2017 zu zahlen.</p>
<p>Die weitergehende Klage wird abgewiesen.</p>
<p>Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte einschließlich der Kosten der Nebenintervention.</p>
<p>Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Tatbestand</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin ist eine Kunstgalerie mit Sitz in B. Der Beklagte ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Firma D Kunstberatung GmbH i.L. (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin). Im Besitz der Insolvenzschuldnerin befanden sich zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung am 1. Oktober 2014 diverse von dem Künstler Prof. E  entworfene X-Skulpturen in Bronze. Die Klägerin berühmte sich des Eigentums an diesen Skulpturen. Die Parteien schlossen unter dem 16. Juni 2015 und 16. September 2015 die als Anlagen K1 und K2 vorgelegten Vereinbarungen, in der sie sich darauf einigten, bestimmte Skulpturen im Rahmen von Auktionen zu versteigern. Die Erlöse sollten abzüglich Gebühren, Steuern und Kosten vom Beklagten bis zur Klärung streitiger Eigentumsfragen an den Werken treuhänderisch verwaltet werden. Sofern die Parteien einvernehmlich das Eigentum der Klägerin an den streitgegenständlichen Werken feststellen würden, sollte der Reinerlös im Verhältnis 25% zugunsten der Masse und 75% zugunsten der Klägerin geteilt werden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Vereinbarungen Anlagen K1 und K2 Bezug genommen. Insgesamt 73 Skulpturen waren zu Versteigerungen im Juni und September 2015 vorgesehen, davon wurden für 70 Stück Erlöse in Höhe von insgesamt 1.651.600,00 € erzielt (Anlage K3). Daneben leistete das Auktionshaus eine Zuzahlung in Höhe von 61.000,00 €. Der Gesamtbetrag wurde an den Beklagten ausgezahlt. Eine einvernehmliche Klärung der Eigentumsfrage erfolgte nicht.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Es existieren für einen Teil der Skulpturen die als Anlage B5 vorgelegten Rechnungen der Klägerin an die Insolvenzschuldnerin aus den Jahren 2010/2011. Die sich aus diesen Rechnungen ergebenden Beträge meldete die Klägerin in einer Gesamthöhe von rund 900.000,00 € zur Insolvenztabelle an und berief sich im Anschluss auf ein Aussonderungsrecht an den X-Skulpturen.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin erhob zunächst Teilklage gegen den Beklagten auf Auskehr der für zwei der versteigerte X vereinnahmten Erlöse in Höhe von 55.000,00 €. Das Verfahren war vor dem erkennenden Gericht unter dem Aktenzeichen 2b O 12/16 (LG Düsseldorf / I-11 U 10/17 OLG Düsseldorf) anhängig. Die Forderung wurde der Klägerin zugesprochen.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin behauptet, sie sei Eigentümerin der streitgegenständlichen Skulpturen. Sie sei aufgrund von vertraglicher Vereinbarungen vom 25. Februar 2003 (Anlage K4) und 10. Mai 2007 (Anlage K5) Lizenznehmerin des Künstlers Prof. E und habe die Firma F GmbH & Co. KG mit dem Guss der Skulpturen beauftragt. Die Gießerei habe die Beauftragung bestätigt, so beispielhaft mit Auftragsbestätigungen vom 7. Februar 2006 (Anlage K6) und 2. August 2006 (Anlage K7). Im Anschluss habe sie die Skulpturen gegossen und abgerechnet (Anlagen K8-K11). Sodann habe sie die Skulpturen an die Insolvenzschuldnerin geliefert. Dabei seien die Skulpturen jedoch Kommissionsware der Klägerin gewesen. Dementsprechend habe die Insolvenzschuldnerin der Klägerin Bericht über die Bestände erstattet, so z.B. zum 31. Dezember 2008. Die vorliegenden Rechnungen aus den Jahren 2010/2011 seien nur zur Beendigung einer Auseinandersetzung mit dem Finanzamt erstellt worden. Ein Verkauf der Skulpturen und eine Übereignung an die Insolvenzschuldnerin seien weder gewollt gewesen noch erfolgt.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2017 hat die Streithelferin ihren Beitritt zum Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin erklärt. Das Gericht hatte den im Verfahren 2b O 12/16 gleichermaßen erklärten Beitritt im Hinblick auf der Streithelferin zugesprochene Schadensersatzansprüche im Falle der Nichterweislichkeit der Eigentümerstellung gegenüber der Klägerin (12 O 88/16 LG Düsseldorf) für zulässig erachtet.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin und die Streithelferin beantragen,</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 1.657.600,00 € nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. September 2015 zu zahlen.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Der Beklagte beantragt,               die Klage abzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der Beklagte ist der Ansicht, der Rechtsstreit falle in die Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen. Er ist ferner der Ansicht, die Klage sei bereits unzulässig, da die Klageschrift keine ladungsfähige Anschrift der Klägerin enthalte. Hierzu behauptet er, bei der genannten Firmenanschrift handele es sich um ein Mehrparteienhaus, das keinen Briefkasten und kein Klingelschild der Klägerin aufweise. Es handele sich daher bei der Klägerin um eine Scheingesellschaft. Diese werde von dem Zeugen G kontrolliert. Als Scheingesellschaft sei sie auch nicht parteifähig. Hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse an den X-Skulpturen beruft sich der Beklagte auf die Vermutung des § 1006 BGB. Ihm lägen keine Unterlagen über eine etwaige Kommissionsvereinbarung vor. Vielmehr deuteten die Rechnungen darauf hin, dass die Insolvenzschuldnerin die streitgegenständlichen X-Skulpturen zu Eigentum erworben habe. Bei der Insolvenzschuldnerin habe er zudem die als Anlage B10 vorgelegte Bestandsliste gefunden, die die X-Skulpturen ausdrücklich nicht als Kommissionsware ausweise. Hilfsweise sei zu Gunsten der Insolvenzschuldnerin jedenfalls ein Provisionsanspruch in Höhe von 33% der erzielten Erlöse zu verrechnen.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die Akte 2b O 12/16 lag vor.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks"><strong>Entscheidungsgründe</strong></p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">I. Keine Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Der Rechtsstreit fällt nicht in die Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen. Nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 GVG wäre Voraussetzung, dass die Klage gegen einen Kaufmann gerichtet ist. Bei Klagen gegen den Insolvenzverwalter ist die Eintragung des Schuldners maßgeblich, wenn er – der Schuldner – das Geschäft geschlossen hat (Zöller, ZPO, § 95 GVG Rn. 3). Dies ist hier nicht der Fall. Es handelt sich um ein Verwertungsgeschäft, dass der Insolvenzverwalter selbst abgeschlossen hat. Den zugrundeliegende Lebenssachverhalt – Veräußerung der Skulpturen im Rahmen einer Versteigerung, Verteilung des Erlöses – hat der Beklagten in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter selbst geschaffen. Er resultiert nicht aus der Sphäre der Insolvenzschuldnerin vor ihrer Insolvenzeröffnung.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">II. Zulässigkeit der Klage</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist zulässig.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin ist parteifähig. Soweit der Beklagte ausführt, es handele sich um eine Scheingesellschaft, folgt das Gericht dem nicht. Bei dem Begriff der Scheingesellschaft handelt es sich um eine juristische Fachbezeichnung. Sie setzt voraus, dass entweder ein Gesellschaftsvertrag geschlossen worden ist, dieser aber die Voraussetzungen eines Scheingeschäfts erfüllt oder aber gar kein Gesellschaftsvertrag abgeschlossen, sondern lediglich nach außen der Rechtsschein einer Gesellschaft erweckt wird (Münchener Kommentar, BGB, § 705 Rn. 377 f). Der Sachvortrag des Beklagten verhält sich zu den gesellschaftsrechtlichen Beziehungen nicht. Allein aus der behaupteten Tatsache, dass die Gesellschaft an ihrem genannten Sitz keine Räumlichkeiten unterhalte und die unternehmerischen Entscheidungen durch einen Dritten getroffen würden, ergeben sich keine zureichenden Anhaltspunkte für eine Fehlerhaftigkeit der Gesellschaft. Die Klägerin ist im Handelsregister eingetragen und trat und tritt im Rechtsverkehr auf. Bedenken gegen die Wirksamkeit der mit ihr abgeschlossenen Verträge trägt der Beklagte auch selbst nicht vor.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Es liegt auch eine den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO genügende Parteibezeichnung der Klägerin vor. Kläger und Beklagte sind so genau zu bezeichnen, dass kein Zweifel an ihrer Person besteht. Die Angabe der Anschriften schreibt § 253 ZPO nicht ausdrücklich vor. Nach der Rechtsprechung ist sie jedoch für beide Parteien zwingendes Erfordernis einer ordnungsgemäßen Klageerhebung, sofern sie ohne weiteres möglich ist und kein schützenswertes Interesse entgegensteht (Zöller, ZPO, § 253 Rn. 8). Die Bezeichnung dient zum einen der Individualisierung, die Verwechslungen und Unklarheiten ausschließt und zum anderen der Erreichbarkeit und somit des Kontakts im privaten wie im geschäftlichen Verkehr (VGH Kassel, NJW 1990, 138). Gegebenenfalls kann allerdings den prozessualen Notwendigkeiten auf andere Weise Rechnung getragen werden, z.B. durch Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten und Anordnung von Sicherheitsleistung für die Prozesskosten (Zöller, ZPO, § 253 Rn. 8). Die Klägerin hat ihre im Handelsregister aufgeführte Firmenanschrift genannt. Sie ist als juristische Person – anders als bei natürlichen Personen – nicht zwingend auf Räumlichkeiten angewiesen. In der Vergangenheit hat es offenbar niemals Schwierigkeiten in der Erreichbarkeit gegeben, zumindest sind solche nicht dargelegt. Bedenken hinsichtlich einer etwaigen Vollstreckung der Prozesskosten sind ebenfalls nicht dargelegt, ihnen könnte ggf. durch Anordnung von Sicherheitsleistung abgeholfen werden (OLG Düsseldorf I-2 U 29/10 Teilurteil, juris).</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">III. Begründetheit der Klage</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist auch begründet.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Auszahlung des im Rahmen der Versteigerung der streitgegenständlichen Affenskulpturen vereinnahmten Betrages zu. Nach den Ausführungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf im Parallelverfahren 2b O 12/16 (I- 11 U 10/17) ergibt sich der Anspruch dem Grunde nach unmittelbar aus den zwischen den Parteien am 16. Juni 2015 und 16. September 2015 getroffenen Vereinbarungen (Anlagen K1, K2). Die vom Gericht aufgeklärte Eigentumsfrage setze sich am Versteigerungserlös fort. Dies ergebe sich auf Ziffer 6. der Vereinbarung vom 16. September 2015. Soweit der Beklagte einwendet, die Vereinbarung sehe lediglich einen Zahlungsanspruch nach einvernehmlicher Klärung der Eigentumsfrage vor, folgt das Gericht dem nicht. Bei diesem Verständnis ergäbe sich, dass die Klägerin durch den Abschluss der Vereinbarungen vom 16. Juni 2015 / 16. September 2015 konkludent auf die ihr ursprünglich zustehenden Herausgabe- bzw. Erlösansprüche verzichtet hätte. Dies erscheint lebensfremd. Sie zunächst auf die Erhebung einer Klage auf Zustimmung zu ihrer Eigentümerstellung zu verweisen, erscheint nicht sachgerecht. Selbst wenn man in Ziffer 6. der Vereinbarung vom 16. September 2015 keinen ausdrücklichen Anspruch auf Erlösauskehr an den Eigentümer sehen wollte, ergäbe sich dieser daher im Wege ergänzender Vertragsauslegung und hilfsweise aus § 667 BGB.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Das Gericht geht davon aus, dass die Klägerin Eigentümerin der veräußerten Skulpturen gewesen ist. Das Bestreiten des Beklagten unter Berufung auf die Vermutung des § 1006 BGB erscheint dem Gericht in Anbetracht der bereits aus dem Parallelverfahren bekannten Umstände unzureichend.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat insoweit in seinem am 9. Mai 2018 verkündeten Urteil (I-11 U 10/17) ausgeführt, derjenige, der sich auf die Vermutung des § 1006 Abs. 1 BGB stützen könne, müsse seinen unmittelbaren Besitz nachweisen und darüber hinaus die Rechtsbehauptung aufstellen, Eigentümer der Sache zu sein. In persönlicher Hinsicht gelte § 1006 BGB nur zugunsten des Eigenbesitzers. Der Vortrag des Beklagten zum Eigenbesitzerwerb sei vor dem Hintergrund der Vortragsdichte der Klägerin zu dem üblichen Procedere zwischen der Klägerin und der Schuldnerin hinsichtlich der Vermittlung eines behaupteten Fremdbesitzes jedenfalls so qualifiziert, dass ein fehlender Eigenbesitzerwerb der Schuldnerin zumindest wahrscheinlich sei, so dass den Beklagten vorliegend selbst nach der engsten Ansicht eine sekundäre Darlegungslast zu den Umständen seines Eigentumserwerbs treffe. Dementsprechend wäre es vertretbar gewesen, die von dem Beklagten benannten Voraussetzungen des § 1006 BGB, die zu seinen Gunsten die Vermutungswirkung auslösten, jedenfalls durch den Vortrag der Klägerin und die Beweisaufnahme als widerlegt anzusehen. Danach streite § 1006 BGB nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht mehr für den Beklagten. Hinsichtlich der Skulptur 2 existiere bereits keine entsprechende „Rechnung“, die für den Vortrag des Beklagten als Indiz für einen Verkauf und eine Übereignung an die Schuldnerin gewertet werden könne. Jedenfalls sprächen im Rahmen der Gesamtumstände die Buchführung, der Jahresabschluss und die Bilanz der Schuldnerin als Indizien für die Feststellung des Landgerichts Düsseldorf. Die Schuldnerin habe die streitgegenständlichen Skulpturen in Buchführung, Jahresabschluss und Bilanz nicht in der Spalte Eigentum geführt. Vielmehr habe sie der Klägerin auf Anforderung Bericht über die jeweiligen Bestände erstattet. Jedenfalls sei der Beklagte diesem Vortrag der Klägerin nicht substantiiert entgegen getreten.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Daraus ergibt sich folgendes:</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Unstreitig hatte die Insolvenzschuldnerin eine Vielzahl von Kunstgegenständen im Besitz, bei denen es sich offenbar teilweise um eigene Ware und teilweise um Fremdware handelte. Insoweit kann aus der schlichten Tatsache des Besitzes der Insolvenzschuldnerin zunächst kein Rückschluss auf Fremd- oder Eigenbesitz gezogen werden. Soweit sich der Beklagte darauf beruft, dass sich auch der Fremdbesitzer auf die Eigentumsvermutung des § 1006 BGB berufen könne (SS v. 24. Mai 2018, Bl. 142 GA), führt der Bundesgerichtshof eindeutig aus, dass dies nur im Verhältnis zu Dritten gilt (BGHZ 54, 319 „nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann sich auf die Eigentumsvermutung des § 1006 BGB nicht nur der durch die Vermutung begünstigte Besitzer selbst, sondern - im Verhältnis zu Dritten - jeder berufen, der sein Recht von dem Besitzer ableitet“). Dies gilt nicht im Verhältnis zu demjenigen, von dem der Fremdbesitzer sein Besitzrecht ableitet. Die qualifizierte Behauptung von Eigenbesitz kann daher vorliegend nur hinsichtlich derjenigen Skulpturen, hinsichtlich derer der Beklagte einen Eigentumserwerb durch die Insolvenzschuldnerin konkret behauptet, mithin derjenigen Skulpturen, für die Rechnungen vorliegen, aufgestellt werden. Diese betreffen nach dem unstreitigen Vortrag der Parteien bereits nicht alle versteigerten Skulpturen. Auch hinsichtlich dieser Rechnungen ist dem Gericht allerdings aus dem Vorverfahren bekannt, dass diese nach dem Vortrag der Klägerin – bestätigt durch die Aussagen der Zeugen – nur zum Schein ausgestellt worden sind. Zwar mögen insoweit Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen G bestehen, aus welchem Grund die Zeugin H jedoch die Unwahrheit gesagt haben sollte, wird auch im vorliegenden Verfahren nicht dargelegt. Die vom Oberlandesgericht genannten Gesamtumstände (Buchführung, Jahresabschluss, Bilanz) sprechen gleichermaßen nach wie vor für die klägerische Darstellung. Soweit der Beklagte nunmehr erstmals die Bestandsliste Anlage B10 vorlegt, ergeben sich hieraus keine hinreichenden gegenteiligen Anhaltspunkte. Der Beklagte führt auf Seite 16 seines Schriftsatzes vom 24. Mai 2018 selbst aus, dass der Beweiswert einer selbst erstellten Privaturkunde gering sein dürfte. Soweit er dies gegenüber der Klägerin rügt, hat diese sich allerdings auf von der Gegenseite erstellte Dokumente berufen. Die vorgelegte Anlage B10 stellt auch kein hinreichendes Indiz dar um von einem Eigenbesitz der Insolvenzschuldnerin auszugehen. Es ist nicht klar wer die Liste geführt und wann aktualisiert hat. Sie steht offenkundig im Widerspruch zu Bilanz und Jahresabschluss der Insolvenzschuldnerin, die den behaupteten Eigenbestand nach dem unstreitigen Vortrag der Klägerin nicht ausweisen. Zudem ist unerklärlich, aus welchem Grund die Insolvenzschuldnerin der Klägerin überhaupt Bestandsübersichten hätte übermitteln sollen, wenn sie sich als Eigentümerin der Skulpturen ansah.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Nach vorstehenden Ausführungen unter Berücksichtigung der Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (I-11 U 10/17) geht das Gericht davon aus, dass der Beklagte seiner Darlegungslast auch hinsichtlich der Voraussetzungen des § 1006 BGB nicht genügt hat. Das Gericht verkennt nicht, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf im Vorverfahren die Voraussetzungen des § 1006 BGB noch als gegeben angesehen hat. Nach Dafürhalten des erkennenden Gerichts können in der Betrachtung des jetzt vorliegenden Falles jedoch die Erkenntnisse des Vorverfahrens nicht außer Betracht bleiben. Die darin bekannt gewordenen Gesamtumstände lassen die bereits damals recht rudimentären Ausführungen des Beklagten zu den Voraussetzungen des § 1006 BGB nicht mehr ausreichend erscheinen.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Zwar ist umstritten, ob Erkenntnisse des erkennenden Gerichts aus einem Parallelverfahren gemäß § 415 ZPO verwertet werden können. In der Rechtsprechung wird ausgeführt, die urkundliche Verwertung eines in einem anderen Verfahren erhobenen Beweisergebnisses sei auch dann zulässig, wenn der Beweisgegner widerspreche. Vielmehr sei der Widerspruch erst dann beachtlich, wenn er sich entweder in qualifizierter Weise mit dem Beweisergebnis auseinandersetze und darlege, in welchen Punkten das Beweisergebnis zu beanstanden sei, oder der Widerspruch mit dem Antrag verbunden sei, die in dem anderen Verfahren vernommenen Zeugen unmittelbar zu hören. Im erstgenannten Fall werde das Gericht den Einwendungen im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 286 ZPO nachgehen und kritisch prüfen, ob es allein auf der Grundlage der urkundlichen Beweise die erforderliche subjektive Überzeugung von der Wahrheit der Beweistatsache gewinnen könne. Im letztgenannten Fall dürfe sich das Gericht einer unmittelbaren Beweisaufnahme durch Vernehmung der benannten Zeugen nicht deshalb entziehen, weil die Mitglieder des Prozessgerichts die Kenntnisse aus dem anderen Verfahren in ihrer richterlichen Eigenschaft erlangt haben (OLG Saarbrücken 4 U 45/11 juris Rn. 91 unter Hinweis auf Rspr. und Lit.). Das Gericht hat diesen Erfordernissen Rechnung getragen. Die erkennende Einzelrichterin hatte seine Kenntnisse nicht nur zufällig aufgrund der Tätigkeit in einem Parallelverfahren erlangt, sondern gerade in einem zwischen denselben Parteien betriebenen Vorprozess, der nach dem Geschäftsverteilungsplan gerade die Zuständigkeit der Einzelrichterin für die Folgesache begründete. Das Gericht hat die Einwände gegen die Beweiswürdigung kritisch geprüft. Zudem berücksichtigt das Gericht die Erkenntnisse des Vorfahrens nur als substantiierten Klägervortrag, dem der Beklagte nicht hinreichend entgegengetreten ist. Das OLG Düsseldorf hat im Vorverfahren deutlich ausgeführt, dass die Eigentumsvermutung des § 1006 BGB auch durch qualifizierten Vortrag widerlegt werden kann.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Soweit der Beklagte sich auf den Einwand widersprüchlichen Verhaltens der Klägerin durch die Anmeldung einer Forderung über rund 900.000,00 € einerseits und die Geltendmachung eines Aussonderungsrechts andererseits beruft, haben das erkennende Gericht und das Oberlandesgericht Düsseldorf bereits im Parallelverfahren ausgeführt, dass in der vorbehaltlosen Anmeldung einer Forderung nicht zugleich ein Verzicht auf die abgesonderte Befriedigung liegt und die Klägerin plausible Beweggründe geschildert hat.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Dem Beklagten steht gegenüber dem Anspruch auf Erlösauskehr auch kein Anspruch auf eine Provision zu. Insoweit hat das Oberlandesgericht im Parallelverfahren bereits dezidiert ausgeführt, dass eine etwaige Provisionsvereinbarung zugunsten der Insolvenzschuldnerin nur für den Fall des erfolgreichen Verkaufs durch die Insolvenzschuldnerin Geltung gehabt hätte und nicht erkennbar ist, dass diese auf eine Versteigerung im Insolvenzverfahren anwendbar wäre. Zudem wäre eine etwaige Provisionsabrede durch die speziellere Vereinbarung vom 16. September 2015 als überholt anzusehen.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Soweit der Beklagte erneut Zweifel an den im Parallelverfahren verwendeten Angaben des Zeugen G aufwirft, war eine ergänzende Beweisaufnahme nicht veranlasst. Hinsichtlich der benannten Zeugin K (Bl. 54 GA) fehlt es an der Angabe konkreter Beweistatsachen, zu denen die Vernehmung beantragt wird. Bei der Aussage, dass die Klägerin dem Zeugen G „gehöre“ handelt es sich nicht um Tatsachen, sondern offenkundig einen Rückschluss. Hinsichtlich der benannten Zeugin T sind die genannten Beweisfragen nicht substantiiert genug. Die behauptete Tatsache, dass die Zeugin „den entsprechenden Treuhandvertrag“ kopiert habe, sagt nichts über dessen Inhalt aus. Eine Vernehmung beider Zeuginnen liefe daher auf Ausforschung hinaus.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Auf den nicht nachgelassenen Schriftsatz des Beklagten vom 21. Dezember 2018 war eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht veranlasst. Im Wesentlichen enthält er Rechtsausführungen, die nach Auffassung des Gerichts keine Veranlassung zu einer abweichenden Entscheidung bieten. Soweit er etwa auf Seite 8 neuen Vortrag zu der Bestandsliste enthält, ist dieser als verspätet zurückzuweisen, § 296a ZPO. Auch insoweit sieht das Gericht allerdings zudem keinen erheblichen neuen Vortrag, der die vorstehenden Ausführungen zur Bestandsliste ändern würde.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">IV. Nebenforderungen</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Die Zinsforderung ergibt sich aus §§ 288 Abs. 2, 291 BGB. Einen Verzug zum 30. September 2015 vermag das Gericht nicht festzustellen. In der Vereinbarung vom 16. September 2015 haben sich die Parteien auf eine treuhänderische Verwahrung bis zur Klärung der Eigentumsfrage geeinigt (Ziffer 3.). Ein Zinsanspruch ist nicht geregelt. Die Schreiben Anlagen K14, K15 stellen keine verzugsbegründenden Mahnungen dar. Vielmehr bleibt darin ausdrücklich unklar, ob die ursprünglich gesetzte Einigungsfrist über dem 30. September 2015 hinaus verlängert werden soll. Eine Mahnung war auch nicht gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB entbehrlich. Die Parteien standen beständig in Vergleichsverhandlungen. Nach dem Verständnis des Gerichts gingen die Parteien davon aus, durch die ursprüngliche Teilklage (2b O 12/16) noch eine Gesamteinigung erzielen zu können. Im dortigen Verfahren hat die Klägerin auch lediglich Rechtshängigkeitszinsen geltend gemacht. Damit, dass die Klägerin nunmehr auch die der Höhe nach erheblichen Verzugszinsen bei weiterer Weigerungshaltung des Beklagten geltend machen wird, musste der Beklagte – jedenfalls nach der in den Akten dokumentierten Konversation – erst seit Zustellung der Klageerweiterung vom 25. April 2018 ausgehen.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">V. Nebenentscheidungen</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 101, 709 Satz 1 ZPO.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Streitwert: 1.657.600,00 €</p>
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<p>Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin-Schöneberg vom 31. Juli 2017 aufgehoben.</p>
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<p>Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.</p>
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<p>Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren beträgt bis zu 40.000 €.</p>
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<h2>Gründe</h2>
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<p>I.</p>
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<p>Die Kläger machen gegenüber der beklagten Bank Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem von ihr finanzierten Erwerb einer Eigentumswohnung geltend.</p>
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<p>Mit notarieller Urkunde vom 10. Juli 2008 boten die Kläger der H.             KG (im Folgenden: Verkäuferin) den Kauf einer 22 qm großen Eigentumswohnung in dem Objekt F.               -Straße    in N.        im V.      zu einem Kaufpreis von 33.900 € an. Gemäß § 5 des Kaufangebots war die Wohnung vermietet; die monatliche Nettokaltmiete hatte die Verkäuferin mit 5,11 €/qm angegeben und für zwei Jahre garantiert. Die Verkäuferin nahm das Angebot der Kläger mit notarieller Urkunde vom 8. August 2008 an.</p>
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<p>Zur Finanzierung des Erwerbes der Wohnung schlossen die Kläger mit der Beklagten am 4./11. Dezember 2008 einen Darlehensvertrag über 33.900 € mit einer anfänglichen Tilgung von 1,5% jährlich und einer monatlichen Annuität von 203,97 €. In der Folgezeit leisteten die Kläger an die Beklagte auf das Darlehen bis einschließlich August 2016 insgesamt 18.765,24 €. Aufgrund Leerstands der Wohnung erzielten sie keine Mieteinnahmen.</p>
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<p>Im Jahr 2010 nahmen die Kläger die Verkäuferin vor dem Landgericht Leipzig auf Rückabwicklung des Kaufvertrags mit Erfolg in Anspruch, weil nach einem dort eingeholten Sachverständigengutachten der Verkehrswert der Wohnung im Jahr 2008 nur 10.500 € betragen habe und der Kaufpreis daher in sittenwidriger Weise überhöht gewesen sei. Die Verkäuferin meldete Insolvenz an.</p>
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<p>Mit der Klage begehren die Kläger von der Beklagten die Rückzahlung der an die Beklagte auf die Darlehen geleisteten Zahlungen von 18.765,24 € nebst Zinsen und die Feststellung, dass weitere Ansprüche gegen sie aus dem Darlehensvertrag nicht bestünden und weitergehende Zahlungen an sie zurückzuzahlen seien, jeweils Zug um Zug gegen Übereignung der Eigentumswohnung, sowie ferner die Feststellung, dass die Beklagte ihnen zum Ausgleich des weiteren Vermögensschadens verpflichtet sei, soweit dieser im Zusammenhang mit dem Erwerb der Eigentumswohnung stehe, und die Feststellung, dass sich die Beklagte hinsichtlich der Annahme des Übereignungsantrags in Annahmeverzug befinde. Zur Begründung berufen sie sich auf einen ihnen zustehenden Schadensersatzanspruch wegen einer Aufklärungspflichtverletzung der Beklagten. Der Kaufpreis der Wohnung sei in sittenwidriger Weise überhöht gewesen, was der Beklagten bekannt gewesen sei.</p>
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<p>Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die dagegen gerichtete Berufung der Kläger hat das Berufungsgericht der Klage stattgegeben und dies - soweit hier von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:</p>
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<p>Den Klägern stehe gegen die Beklagte der geltend gemachte Schadensersatzanspruch aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB wegen einer Aufklärungspflichtverletzung der Beklagten zu. Der Kaufpreis für die Eigentumswohnung sei sittenwidrig überhöht gewesen. Dies habe die Beklagte auch erkannt, jedenfalls habe sie vor einer sich ihr evident aufdrängenden sittenwidrigen Kaufpreisüberhöhung die Augen verschlossen.</p>
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<p>Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme habe der Verkehrswert der Wohnung zum Erwerbszeitpunkt nicht mehr als 17.842,10 € betragen, so dass der Kaufpreis 90% höher gelegen habe. Zwar habe die gerichtlich beauftragte Sachverständige den Verkehrswert mit 20.600 € bewertet. Dies sei aber ausschließlich auf Grundlage des von der Sachverständigen ermittelten Vergleichswerts geschehen, d.h. insbesondere ohne Berücksichtigung des wesentlich niedrigeren Ertragswerts. Die Bestimmung des Verkehrswerts nach der Vergleichswertmethode setze jedoch voraus, dass sich eine aussagekräftige Menge von Vergleichspreisen hinreichend verlässlich ermitteln lasse. Daran bestünden aber gewichtige Zweifel. Der streitgegenständlichen Wohnung vergleichbare Objekte (Wohneigentum in Mehrfamilienhaus, Baujahr um 1900, sanierter Altbau, Erstverkauf, Verträge aus den Jahren 2008 und 2009, ca. 22 qm Wohnfläche, Gemarkung N.        oder vergleichbar) ließen sich der Kaufpreissammlung des Gutachterausschusses für Grundstückswerte im V.           nicht entnehmen. Die im Sachverständigengutachten aufgeführten Vergleichswohnungen seien durchweg größer (47 bis 63 qm) oder Weiterverkäufe gewesen. Der - unter Berücksichtigung eines Abschlags von 30% wegen der am Wertermittlungsstichtag schon 10-12 Jahre zurückliegenden Sanierung - ermittelte Vergleichswert von 937 €/qm bewege sich an der oberen Grenze der Preisspanne für den Weiterverkauf von Wohnungseigentum im V.         . Dies sei für das streitgegenständliche Objekt mit einer mittleren Wohn- und schlechten Geschäftslage in einer kleinen Gemeinde mit seit 1990 stetig schrumpfender Einwohnerzahl nicht gerechtfertigt.</p>
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<p>Den Ertragswert habe die Sachverständige dagegen nachvollziehbar und überzeugend mit 12.072 € ermittelt, was einem Mittelwert der Preisspanne für den Weiterverkauf von Wohnungseigentum im V.          entspreche. Insoweit habe die Sachverständige nicht überzeugend begründen können, weshalb dieser Wert durch einen Marktanpassungsfaktor von 45% auf gerundet 17.500 € erhöht werden müsse.</p>
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<p>Da der Vergleichswert nur auf einer vergleichsweise "schmalen" Basis zu ermitteln sei, sei es bei der Verfahrenswahl geboten, eine Mittelung des Vergleichswerts und des Ertragswerts vorzunehmen. Dies führe zu einem Verkehrswert von 16.346,50 €. Der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nach § 412 Abs. 1 ZPO bedürfe es nicht, weil das eingeholte Gutachten eine ausreichende Erkenntnisgrundlage vermittele. Der Verkehrswert werde von dem Kaufpreis um 107,38% überschritten und liege damit objektiv im sittenwidrigen Bereich.</p>
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<p>Der Beklagten habe sich die Kenntnis von diesem Umstand auch aufdrängen müssen. Die von ihr vorgenommene Beleihungswertermittlung mit Hilfe des Online-Tools "Wertweiser" habe einen Vergleichswert von 26.400 € ergeben, zugleich aber auch einen Ertragswert von lediglich 8.450 €. Bereits das arithmetische Mittel beider Werte führe mit 17.425 € in den sittenwidrigen Bereich. Darüber hinaus habe sie gewusst, dass der Mietertrag weder der Angabe im Kaufvertrag (5,11 €/qm) noch dem Wertweiser-Wert (4,10 €/qm) entsprochen habe, sondern ausweislich der Finanzierungsanfrage tatsächlich nur 4 €/qm betragen habe. Ungeachtet dessen habe die Beklagte auch von dem Leerstand der Wohnung gewusst. Schließlich habe die Beklagte - unstreitig - auch sämtliche anderen fünf Verkaufsfälle der Verkäuferin in N.         im Jahr 2008 finanziert, so dass ihr bewusst gewesen sein müsse, dass der in der Beleihungswertermittlung ausgewiesene Vergleichswert durch überhöhte Kaufpreise aus diesen Erwerbsvorgängen verzerrt gewesen sei. Dem könne nicht entgegengehalten werden, dass eine finanzierende Bank keine Nachforschungen zu den von ihr zu finanzierenden Vorhaben anstellen müsse; denn vorliegend habe es keiner Nachforschungen bedurft, weil der Beklagten die sich aus der Ertragswertmethode resultierende Wertverzerrung positiv bekannt gewesen sei. Aufgrund dieses Missverhältnisses habe die Beklagte auf den mit einem automatisierten Verfahren gewonnenen Vergleichswert nicht vertrauen dürfen. Dies gelte jedenfalls im vorliegenden Fall, bei dem die Beklagte auch sämtliche anderen Verkaufsfälle der Verkäuferin in einer so kleinen Stadt wie N.        finanziert habe.</p>
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<p>Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde.</p>
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<p>Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO i.V.m. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die Begründung, mit der das Berufungsgericht eine sittenwidrige Überteuerung des Immobilienerwerbs und in der Folge eine Verletzung der entsprechenden Hinweispflicht der Beklagten bejaht hat, kann keinen Bestand haben. Insoweit verletzt der angegriffene Beschluss den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Mai 2004 - XI ZB 39/03, BGHZ 159, 135, 139 f. und vom 20. Oktober 2015 - XI ZR 532/14, WM 2015, 2279 Rn. 9).</p>
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<p>1. Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass eine Bank ausnahmsweise eine Aufklärungspflicht über die Unangemessenheit des von ihr finanzierten Kaufpreises unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines Wissensvorsprungs trifft, wenn eine so wesentliche Verschiebung der Relation zwischen Kaufpreis und Verkehrswert vorliegt, dass die Bank von einer sittenwidrigen Übervorteilung des Käufers durch den Verkäufer ausgehen muss (vgl. Senatsurteile vom 16. Mai 2006 - XI ZR 6/04, BGHZ 168, 1 Rn. 47, vom 29. Juni 2010 - XI ZR 104/08, BGHZ 186, 96 Rn. 17 und vom 18. Oktober 2016 - XI ZR 145/14, BGHZ 212, 286 Rn. 19 mwN). Das ist anzunehmen, wenn der Verkaufspreis knapp doppelt so hoch ist wie der Verkehrswert der Wohnung, wobei die im Kaufpreis enthaltenen Nebenkosten nicht in den Vergleich einzubeziehen sind (Senatsurteil vom 18. Oktober 2016 aaO mwN).</p>
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<p>2. Mit Erfolg macht die Nichtzulassungsbeschwerde eine Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf rechtliches Gehör hinsichtlich der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen zu einer sittenwidrigen Überteuerung des Kaufpreises der Immobilie geltend, weil das Berufungsgericht von der Beurteilung des gerichtlich beauftragten Sachverständigen, der Verkehrswert der streitgegenständlichen Wohnung sei sachgerecht anhand des Vergleichswertverfahrens zu ermitteln, abgewichen ist und ohne Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 412 Abs. 1 ZPO und ohne Nachweis seiner eigenen besonderen Sachkunde eine eigene Wertermittlung vorgenommen hat. Zudem muss das Gericht, wenn es bei seiner Entscheidung eigene Sachkunde in Anspruch nehmen will, den Parteien zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilen (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 13. Januar 2015 - VI ZR 204/14, NJW 2015, 1311 Rn. 5 mwN und vom 8. März 2016 - VI ZR 243/14, juris Rn. 12). Daran fehlt es hier.</p>
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<p>a) Die Würdigung, ob ein Rechtsgeschäft gegen die guten Sitten verstößt, ist eine Rechtsfrage, die der Nachprüfung im Wege der Revision unterliegt (vgl. Senatsurteile vom 3. Dezember 2013 - XI ZR 295/12, WM 2014, 71 Rn. 23 und vom 12. April 2016 - XI ZR 305/14, BGHZ 210, 30 Rn. 36). Demgegenüber können aber die dieser Würdigung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts - hier zum Wert der Immobilie im Zeitpunkt des Erwerbs - im Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsverfahren nur eingeschränkt überprüft werden (vgl. Senatsurteil vom 18. Oktober 2016 - XI ZR 145/14, BGHZ 212, 286 Rn. 21 mwN).</p>
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<a name="rd_17">17</a>
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<p>b) Dieser Überprüfung hält die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht stand. Es hat den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt, indem es bei der Ermittlung des Wertes der von den Klägern erworbenen Wohnung von der Anwendung des Vergleichswertverfahrens abgesehen und stattdessen einen Mittelwert von Vergleichswert und Ertragswert festgesetzt hat.</p>
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<a name="rd_18">18</a>
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<p>aa) Die Auswahl der geeigneten Wertermittlungsmethode zur Feststellung des tatsächlichen Wertes einer Immobilie steht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wenn das Gesetz nicht die Anwendung eines bestimmten Verfahrens anordnet, im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters (Senatsurteile vom 18. Dezember 2007 - XI ZR 324/06, WM 2008, 967 Rn. 32 mwN und vom 18. Oktober 2016 - XI ZR 145/14, BGHZ 212, 286 Rn. 31). Die Methodenwahl ist unter Berücksichtigung der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr bestehenden Gepflogenheiten und sonstiger Umstände des Einzelfalles zu treffen; sie ist zu begründen. Lässt sich eine aussagekräftige Menge von Vergleichspreisen verlässlich ermitteln, wird die Vergleichswertmethode als die einfachste und zuverlässigste Methode angesehen; sie steht deshalb bei Wohnungseigentum im Vordergrund (Senatsurteile aaO).</p>
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<a name="rd_19">19</a>
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<p>bb) Zu Recht rügt die Nichtzulassungsbeschwerde, dass das Berufungsgericht die von dem Sachverständigen gewählte Wertermittlungsmethode gegen eine andere ausgetauscht hat, ohne, was hierzu Voraussetzung gewesen wäre, seine eigene besondere Sachkunde auszuweisen, insbesondere einleuchtend und nachvollziehbar aufzuzeigen, dass seine abweichende Beurteilung nicht auf einem Mangel an Sachkunde beruht (BGH, Urteil vom 2. Juli 2004 - V ZR 213/03, BGHZ 160, 8, 11 mwN). Der Hinweis des Berufungsgerichts auf die vergleichsweise "schmale" Basis für die Ermittlung des Vergleichswerts bietet keine Grundlage für dessen Meinung, bei Wohnungseigentum, das - wie hier - der Kapitalanlage und der Steuerersparnis dient, den Verkehrswert durch einen Mittelwert von Vergleichs- und Ertragswert zu bestimmen. Die Vorgehensweise des Berufungsgerichts, einen schematischen rechnerischen Mittelwert aus Vergleichswert und Ertragswert zu bilden, ist unzulässig (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1970 - VII ZR 189/68, NJW 1970, 2018 f.).</p>
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<p>Liegen - wie hier nach den Bekundungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen - die Voraussetzungen für eine verlässliche Verkehrswertermittlung nach Vergleichspreisen vor, kann auch dann, wenn eine andere Wertermittlungsmethode zu einem deutlich abweichenden Ergebnis führt, an dem durch Vergleich ermittelten Ergebnis nicht vorbeigegangen werden. Dies gilt insbesondere, wenn es um die Frage der Sittenwidrigkeit geht. Die Rechtsprechung lässt auf der objektiven Grundlage eines besonders groben Missverhältnisses von Leistung zu Gegenleistung den Schluss auf das - für das Unwerturteil des § 138 Abs. 1 BGB unerlässliche (BGH, Urteil vom 19. Juli 2002 - V ZR 240/01, WM 2003, 154, 155 f.) - subjektive Unrechtsmerkmal der verwerflichen Gesinnung zu. Hierfür ist aber keine Grundlage gegeben, wenn der direkte Vergleich mit dem maßgeblichen Markt, den die Auswertung der tatsächlich erzielten Preise bei Vorliegen hinreichenden Vergleichsmaterials leistet, zur Verneinung eines besonders groben Missverhältnisses führt. Der Verkäufer, dessen Preis im Rahmen vergleichbarer Verkaufsfälle verbleibt, muss sich nicht entgegenhalten lassen, ihm sei eine außergewöhnliche Gegenleistung zugestanden worden (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juli 2004 - V ZR 213/03, BGHZ 160, 8, 15).</p>
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<p>3. Aufgrund dessen verletzen auch die Ausführungen des Berufungsgerichts zu der eine Aufklärungspflicht auslösenden Kenntnis der Beklagten von einem groben Missverhältnis zwischen Kaufpreis und Verkehrswert der finanzierten Immobilie den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör. Sie sind auch im Übrigen rechtsfehlerhaft.</p>
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<a name="rd_22">22</a>
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<p>a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Kreditinstitut nur präsentes Wissen von einer sittenwidrigen Überteuerung offenbaren. Das erfordert grundsätzlich positive Kenntnis der Bank von der sittenwidrigen Überteuerung des Kaufpreises für das finanzierte Objekt. Die Bank ist mithin nicht verpflichtet, sich durch eigene Nachforschungen hinsichtlich etwaiger Risiken des zu finanzierenden Vorhabens einen Wissensvorsprung zu verschaffen (Senatsurteile vom 18. November 2003 - XI ZR 322/01, WM 2004, 172, 173 mwN und vom 18. Oktober 2016 - XI ZR 145/14, BGHZ 212, 286 Rn. 34 mwN). Ausnahmsweise steht die bloße Erkennbarkeit von aufklärungspflichtigen Tatsachen - wie hier der sittenwidrigen Überteuerung eines Wohnungskaufpreises - der positiven Kenntnis dann gleich, wenn sich diese einem zuständigen Bankmitarbeiter nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängen musste; er ist dann nach Treu und Glauben nicht berechtigt, seine Augen vor solchen Tatsachen zu verschließen (Senatsurteile vom 7. April 1992 - XI ZR 200/91, WM 1992, 977, vom 10. Dezember 2013 - XI ZR 508/12, WM 2014, 124 Rn. 21 und vom 18. Oktober 2016 aaO).</p>
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<p>b) Danach ist bereits der Ausgangspunkt der Erwägungen des Berufungsgerichts rechtsfehlerhaft, die Beklagte habe anhand ihr vorliegender Angaben zur monatlichen Bruttokaltmiete für die zu finanzierende Eigentumswohnung eine einfache Überschlagsrechnung des Ertragswerts durchführen müssen, aus deren Ergebnis sich ihr sodann die Sittenwidrigkeit des vereinbarten Kaufpreises aufgedrängt hätte. Da eine finanzierende Bank keine Nachforschungen zu einem von ihr finanzierten Vorhaben anstellen muss, ist sie auch nicht zur Ermittlung des - exakten oder überschlägigen - Ertragswerts einer Immobilie verpflichtet (vgl. Senatsurteil vom 18. Oktober 2016 - XI ZR 145/14, BGHZ 212, 286 Rn. 35). Wertermittlungen, die Banken im eigenen Interesse vornehmen, betreffen den Beleihungswert, den die Bank klärt, um die Realisierung ihrer Ansprüche im Falle einer künftigen Zwangsvollstreckung abzuschätzen. Eine Kontrolle dieser internen Bewertung anhand der prognostizierten Erträge des Darlehensnehmers aus der finanzierten Immobilie schuldet weder der Verkäufer noch die finanzierende Bank (vgl. Senatsurteile vom 18. Dezember 2007 - XI ZR 324/06, WM 2008, 967 Rn. 35 und vom 18. Oktober 2016 aaO Rn. 36).</p>
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<p>4. Das Berufungsurteil beruht auf der Gehörsverletzung. Diese Voraussetzung ist schon dann erfüllt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (vgl. BVerfGE 7, 95, 99; 60, 247, 250; 62, 392, 396; 65, 305, 308; 89, 381, 392 f.). Dies ist der Fall, weil das Berufungsgericht seiner Entscheidung keinen weiteren selbständig tragenden Gesichtspunkt zugrunde gelegt hat, der eine Haftung der Beklagten wegen einer vorvertraglichen Aufklärungspflichtverletzung begründen könnte. Insbesondere bestand keine Verpflichtung der Beklagten, die Kläger auf ein bloß ungünstiges Verhältnis von Verkehrswert und Kaufpreis hinzuweisen, und zwar unabhängig davon, ob die Beklagte dazu über Erkenntnisse verfügte. Schon der Verkäufer muss im Regelfall darauf nicht hinweisen. Erst recht trifft die Bank, die nur die Finanzierung übernimmt, vorvertraglich keine Verpflichtung, den Käufer auf einen für ihn unwirtschaftlichen Kauf hinzuweisen (vgl. Senatsurteile vom 16. Mai 2006 - XI ZR 6/04, BGHZ 168, 1 Rn. 47, vom 3. Juni 2008 - XI ZR 131/07, WM 2008, 1394 Rn. 25 und vom 10. Dezember 2013 - XI ZR 508/12, WM 2014, 124 Rn. 26).</p>
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<p style="text-align:left">Ellenberger     </p>
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<p style="text-align:left">Grüneberg     </p>
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<p style="text-align:left">      </p>
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<p style="text-align:left">Matthias</p>
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<p style="text-align:left">      </p>
</td>
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<p style="text-align:left">Derstadt     </p>
</td>
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<p style="text-align:left">      </p>
</td>
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<p style="text-align:left">Tolkmitt     </p>
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180,255 | olgham-2019-01-08-4-rvs-16618 | {
"id": 821,
"name": "Oberlandesgericht Hamm",
"slug": "olgham",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": "Oberlandesgericht"
} | 4 RVs 166/18 | 2019-01-08T00:00:00 | 2019-02-07T14:18:45 | 2019-02-12T13:33:29 | Beschluss | ECLI:DE:OLGHAM:2019:0108.4RVS166.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Revision wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).</p>
<p>Die sofortige Beschwerde wird ebenfalls als unbegründet verworfen.</p>
<p>Die Kosten der Rechtsmittel einschließlich der dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse (§ 473 Abs. 1 StPO).</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Gründe</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat in ihrer Antragsschrift Folgendes ausgeführt:</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">„I.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Staatsanwaltschaft Münster hat gegen den Angeklagten am 08.03.2018 öffentliche Klage vor dem Amtsgericht - Strafrichter - Steinfurt wegen Erschleichens von Leistungen in zwei Fällen erhoben (Bl. 6-7 R d. A.).</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Das  Amtsgericht - Strafrichter - Steinfurt hat die Eröffnung des Hauptverfahrens nach Zustellung der Anklageschrift (Bl. 10 11, 11 R d.A.) nicht ausdrücklich beschlossen, indes auf den „Widerspruch“ des Angeklagten vom 01.04.2018 (Bl. 12 d.A.) mit Beschluss vom 03.05.2018 (Bl. 14 d. A.) das persönliche Erscheinen des Angeklagten gemäß § 236 StPO angeordnet. Mit weiterer Verfügung vom selben Tag hat das Amtsgericht einen Termin zur Hauptverhandlung anberaumt und den Angeklagten diesbezüglich geladen (Bl. 14, 15 d. A.).</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Der Angeklagte ist nachfolgend mit Urteil des Amtsgerichts Steinfurt vom 21.06.2018 wegen Erschleichens von Leistungen in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 25,00 EUR verurteilt worden (Bl. 22-25 d. A.).</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Nach Verkündung des Urteils hat der Angeklagte noch im Hauptverhandlungstermin Rechtsmittelverzicht erklärt (Bl. 18 d. A.).</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Münster mit bei dem Amtsgericht Steinfurt am 25.06.2018 eingegangenem Telefax-Schriftsatz vom selben Tag (Bl. 20 d. A.) unbestimmtes Rechtsmittel sowie sofortige Beschwerde gemäß § 464 Abs. 3 StPO gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung eingelegt.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Nach Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls am 21.06.2018(Bl. 18 d. A.) ist das Urteil auf Anordnung des Vorsitzenden vom 30.06.2018 (Bl. 25, 26 d. A.) der Staatsanwaltschaft Münster am 05.07.2018 zugestellt worden (Bl. 22, 27 d. A.). Mit bei dem Amtsgericht Steinfurt am 01.08.2018 eingegangenem (Bl. 31 d. A.) Schreiben der Staatsanwaltschaft Münster vom 16.07.2018 (Bl. 28 d. A.) hat diese das zuvor eingelegte Rechtsmittel als Revision bezeichnet, jene mit der konkludent erhobenen Rüge der Verletzung formellen Rechts begründet und beantragt, das Urteil des Amtsgerichts Steinfurt vom 21.06.2018 wegen des Fehlens einer Verfahrensvoraussetzung aufzuheben und das Verfahren gemäß § 206a StPO einzustellen.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Dem Angeklagten ist neben einer Mitteilung hinsichtlich der Einlegung der Revision durch die Staatsanwaltschaft auch deren Revisionsbegründung am 03.08.2018 zugestellt worden (Bl. 33, 33 R d. A.).</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">II.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">a)</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Die rechtzeitig eingelegte sowie form- und fristgerecht begründete Revision der Staatsanwaltschaft Münster ist zulässig. Der Revision, der nicht beigetreten wird, ist jedoch aus den nachstehenden Gründen der Erfolg zu versagen.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Das Verfahrenshindernis eines fehlenden Eröffnungsbeschlusses liegt nach hiesiger Rechtsansicht nicht vor.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Durch Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung wird das Hauptverfahren auf Grund vorläufiger Tatbewertung unter den Voraussetzungen des § 203 StPO eröffnet.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Zwar enthält die Strafprozessordnung keine speziellen Formvorschriften für den Eröffnungsbeschluss. Es bedarf jedoch insbesondere mit Blick auf dessen Bedeutung als Grundlage des Hauptverfahrens regelmäßig einer schriftlichen Niederlegung der Entscheidung. Erforderlich ist aus Gründen der Rechtsklarheit, dass die Urkunde aus sich heraus oder in Verbindung mit sonstigen Urkunden mit Sicherheit erkennen lässt, dass der Richter die Eröffnung des Hauptverfahrens tatsächlich beschlossen hat (zu vgl. BGH, Beschluss vom 16.06.2015 - 2 StR 29/15 -, zitiert nach juris). Ist dies unterblieben, so besteht ein Verfahrenshindernis, das durch nachträgliche Erklärung des Richters, die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen zu haben, nicht beseitigt wird (zu vgl. BGH, Beschluss vom 03.04.2012‚ - 2 StR 46/12 -; BGH, Beschluss vom 16.06.2015 - 2 StR 29/15 -, zitiert nach juris; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage, 2018, § 207 Rdnr. 8). Es genügt jedoch eine eindeutige und schlüssige schriftliche Erklärung des Gerichts, aus der sich - ggf. in Verbindung mit sonstigen Urkunden - hinreichend deutlich ergibt, dass es eine bestimmt bezeichnete Anklage zur Hauptverhandlung zulässt (zu vgl. BGH, Beschluss vom 03.04.2012 - 2 StR 46/12 -; BGH, Beschluss vom 16.06.2015 - 2 StR 29/15 -; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.) bzw. die Eröffnungsvoraussetzungen geprüft hat und einen bestimmten Anklagevorwurf zur Hauptverhandlung zulässt (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 11.08.2016 – III-1 RVs 55/16 -, zitiert nach juris).</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Eine Termins- und Ladungsverfügung genügt zur Annahme einer schlüssigen Zulassung der Anklage in der Regel nicht (zu vgl. BGH, Beschluss vom 11.01.2011 - 3 StR 484/10 -, zitiert nach juris; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.).</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Das Amtsgericht Steinfurt hat einen ausdrücklichen Eröffnungsbeschluss zweifellos nicht abgesetzt.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Soweit den Urteilsgründen zu entnehmen ist, dass der erkennende Richter den sich nach Aktenlage ergebenden Sachverhalt aus Anlass einer am 04.04.2018 bei dem Amtsgericht eingegangenen Eingabe des Angeklagten - vor Durchführung der Hauptverhandlung am 21.06.2018 - im Hinblick auf die Voraussetzungen einer Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 203 StPO gewürdigt habe, beseitigt auch diese nachträgliche Erklärung für sich genommen das Verfahrenshindernis in Gestalt eines fehlenden Eröffnungsbeschlusses nicht.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Soweit das Amtsgericht Steinfurt vorliegend jedoch mit (von dem erkennenden Richter unterzeichnetem) Beschluss vom 03.05.2018 das persönliche Erscheinen des Angeklagten gemäß § 236 StPO angeordnet hat, kommt hierin eine schlüssige und eindeutige Willenserklärung hinsichtlich der Eröffnung des Hauptverfahrens zum Ausdruck.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung darüber, ob das persönliche Erscheinen eines Angeklagten angeordnet wird, setzt voraus, dass dessen Anwesenheit in der Hauptverhandlung einen Beitrag zur Aufklärung des Sachverhaltes erwarten lässt. Ist dies zu bejahen, steht die Entscheidung hinsichtlich der Anordnung im Ermessen des Gerichts, wobei eine pflichtgemäße Ermessensausübung eine sachgerechte und umfassende Würdigung aller für und gegen die Anordnung sprechenden Gesichtspunkte verlangt. Die berechtigten Interessen des Angeklagten und das Interesse an möglichst vollständiger Sachaufklärung sind gegeneinander abzuwägen (zu vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 236 Rdnr. 4).</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Es liegt daher auf der Hand, dass das Amtsgericht bei Anordnung des persönlichen Erscheinens des Angeklagten als Reaktion auf dessen „Widerspruch“ sein Ermessen dahingehend ausgeübt hat, ob das Erscheinen zur Aufklärung des Sachverhalts geboten ist und dem Angeklagten dieses unter Berücksichtigung seiner Belange und der Bedeutung der Strafsache auch zugemutet werden kann.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Hierfür musste das Amtsgericht sich denknotwendig aber auch mit der Frage des Vorliegens eines hinreichenden Tatverdachts unter Berücksichtigung der Einlassung des Angeklagten befassen.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Von einer inhaltlichen Auseinandersetzung des Amtsgerichts mit der Frage des Vorliegens eines hinreichenden Tatverdachtes ist dabei auch unter Berücksichtigung des Umstands auszugehen, dass die Regelung des § 236 StPO auch die Befugnis einräumt, das Erscheinen eines Angeklagten mit den Mitteln des Vorführungsbefehls oder Haftbefehls (i.S.d. § 230 StPO) zu erzwingen. Obschon der Vorführungsbefehl allein der Sicherstellung des Erscheinens des Angeklagten in der Hauptverhandlung und der Haftbefehl der Sicherstellung der Durchführung der Hauptverhandlung dient (zu vgl. Karlsruher Kommentar, a.a.O., § 230 Rdnr. 8, § 236 Rdnr. 6), setzen beide Zwangsmittel (implizit) auch einen hinreichenden Tatverdacht voraus.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Der betreffende Beschluss vom 03.05.2018, der das hiesige Strafverfahren schließlich konkret in Bezug genommen hat, bringt damit zum Ausdruck, dass das Amtsgericht Steinfurt die Annahme eines hinreichenden Tatverdachts bejaht und die Eröffnung des Hauptverfahrens letztlich auch beschlossen hat. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Angeklagten ersetzt damit vorliegend ausnahmsweise den fehlenden ausdrücklichen Eröffnungsbeschluss.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Danach kommt ein Verfahrenshindernis nicht in Betracht.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Revision der Staatsanwaltschaft Münster ist daher als unbegründet zu verwerfen.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">b)</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 464 Abs. 3 StPO statthaft und fristgerecht eingelegt worden. In der Sache hat sie keinen Erfolg, da das Amtsgericht Steinfurt die sich aus § 465 Abs. 1 StPO ergebende Kostentragungspflicht des Angeklagten im Fall der Verurteilung zutreffend berücksichtigt hat.“</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Ergänzend zu diesen zutreffenden Ausführungen bemerkt der Senat, dass die Revision der Staatsanwaltschaft nicht deswegen unzulässig ist, weil weder die Sachrüge ausdrücklich erhoben wurde, noch die Rüge des Fehlens einer Verfahrensvoraussetzung den Begründungserfordernissen einer Verfahrensrüge gem. § 344 Abs. 2 StPO genügt. Die Ausführungen zum Fehlen eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses sind als auf diesen Punkt beschränkt erhobene Sachrüge auszulegen, so dass der Senat auf diese beschränkte Sachrüge hin die von Amts wegen gebotene Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen vornehmen konnte (vgl.  OLG Hamm, Beschl. v. 15.02.2018 – 4 RBs 24/18 – juris m.w.N.).</p>
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180,185 | bfh-2019-01-08-ii-b-6218 | {
"id": 6,
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} | II B 62/18 | 2019-01-08T00:00:00 | 2019-02-07T14:17:37 | 2019-02-07T14:17:37 | Beschluss | ECLI:DE:BFH:2019:BA.080119.IIB62.18.0 | <h2>Tenor</h2>
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<p>Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sächsischen Finanzgerichts vom 9. Mai 2018  2 V 382/18 aufgehoben. Die Vollziehung des Bescheids über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer vom 13. Februar 2017 wird bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer Einspruchsentscheidung, längstens bis zum Eintritt der Bestandskraft, ausgesetzt. Soweit er bereits vollzogen ist, wird die Vollziehung aufgehoben.</p>
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<p>Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.</p>
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<h2>Tatbestand</h2>
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<p style="text-align:center">I. </p>
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<p>Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist eine KG mit Grundbesitz im Freistaat Sachsen. Komplementärin ist eine Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) (G), die mittlerweile als GmbH eingetragen und deren Geschäftsführer ... (X) ist; Kommanditist war zunächst nur X mit einer Einlage von 30.000 €. Mit Vertrag vom 16. Januar 2013 setzte X seinen Kommanditanteil auf 2.500 € herab, während die ... (S) als Kommanditistin eintrat. Mit weiterem --bisher nicht aktenkundigen-- Vertrag vom 19. Februar 2013 erhöhte S ihren Kommanditanteil auf 77.500 €, eingetragen im Handelsregister am 6. März 2013. Im Jahre 2014 folgte eine weitere Erhöhung des Kommanditanteils der S auf 137.500 €.</p>
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<p>Ausweislich der Anmeldung zum Handelsregister war die S am 10. August 2011 nach dem International Business Companies Act der Republik Seychellen (Seychellen) gegründet worden. Ihre Alleingesellschafterin war ausweislich der Feststellungen des Finanzgerichts (FG) in der Zeit vom 1. Februar 2013 bis 30. Juli 2015 die ... (C) mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln. X hatte in Zypern mit der C eine Vereinbarung abgeschlossen, der zufolge die C den Geschäftsanteil an der S treuhänderisch für X hielt.</p>
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<p>Im Jahre 2015 wurde dem Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) angezeigt, dass X seinen Wohnsitz sowie die Antragstellerin und die G ihre Geschäftsleitung nach ..., Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts ... (FA Y) im Bundesland verlegt hätten.</p>
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<a name="rd_4">4</a>
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<p>Das FA erließ am 13. Februar 2017 den streitgegenständlichen Bescheid, mit dem es sinngemäß feststellte, dass durch die Erhöhung des Kommanditanteils vom 19. Februar/6. März 2013 unmittelbar bzw. mittelbar Anteile der grundbesitzenden Antragstellerin übergegangen seien und hierdurch ein Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 2a des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) verwirklicht worden sei. Über den Einspruch ist nach Aktenlage noch nicht entschieden.</p>
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<p>Das Lagefinanzamt hat einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts auf den 6. März 2013 erlassen. Das Finanzamt ... hat einen Bescheid über Grunderwerbsteuer erlassen und betreibt die Vollstreckung.</p>
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<a name="rd_6">6</a>
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<p>Die Generalstaatsanwaltschaft ... führt gegen X ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung durch. Am 14. September 2017 hatte das Amtsgericht (AG) ... einen Untersuchungshaftbefehl erlassen, der allerdings nicht vollständig aktenkundig ist. Er wurde am 2. November 2017 unter Fortbestand des Tatverdachts gegen Auflagen und Weisungen außer Vollzug gesetzt. Der Haftbefehl stützt sich --soweit es den vorliegenden Auszügen zu entnehmen ist-- auf Vorgänge im Zusammenhang mit der S und der C.</p>
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<p>So heißt es darin, die S sei nach den Feststellungen des Bundeszentralamtes für Steuern (BZSt) eine Briefkastengesellschaft. Tatsächlich könnten weder eigenes Personal noch eigene Geschäftsräume, eigene Geschäftsausstattung oder eine Teilnahme am Marktgeschehen im Rahmen ihrer gewöhnlichen Geschäftstätigkeit auf den Seychellen oder am formalen Ort der Geschäftsleitung auf Zypern festgestellt werden, auch wenn der Vertreter der C, die ihrerseits Geschäftsführerin der S sei, in Zypern ansässig sei. X habe als Bevollmächtigter sowie als tatsächlich die Geschäftsführung bestimmender wirtschaftlicher Inhaber alle wichtigen organisatorischen und rechtsgeschäftlichen Handlungen vorgenommen.</p>
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<p>Nachdem ein operatives Geschäft der S im Zeitraum 2011 bis 2012 nicht festzustellen sei, sei die S, vertreten durch X, an dessen Stelle mehreren KGs beigetreten und habe diesen durch Erhöhung der Kommanditanteile in erheblichem Umfange Kapital zufließen lassen. Damit habe X zu privatnützigen Zwecken seine ausländischen Einkünfte verlagert. Da als Ort der Geschäftsleitung einer Briefkastenfirma der Wohnsitz des X anzusehen sei, sei die S als Kapitalgesellschaft mit Sitz im Inland unbeschränkt körperschaft- und gewerbesteuerpflichtig. Die Kapitalerhöhungen der Kommanditanteile in den deutschen Vermögensverwaltungsgesellschaften des X wiederum seien als Entnahmen in das Privatvermögen infolge von Gewinnausschüttungen zu bewerten. Im Zuge dieses Ermittlungsverfahrens brachte die Generalstaatsanwaltschaft zur Vollziehung von Vermögensarresten u.a. Pfändungsbeschlüsse in die (angeblichen) Kommanditanteile der S und des X sowie des Geschäftsanteils der G an der Antragstellerin aus.</p>
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<p>Der Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Bescheids vom 13. Februar 2017 blieb sowohl beim FA als auch beim FG erfolglos. Das FG hat ausgeführt, die örtliche Unzuständigkeit des FA sei nach § 127 der Abgabenordnung (AO) unbeachtlich, der Bescheid im Übrigen rechtmäßig. Die S habe mit der Kapitalerhöhung vom 19. Februar 2013 ihren Kapitalanteil auf 96,875 % aufgestockt. Unerheblich sei, welche Rolle X hinter der S einnehme, da es eine über eine Kapitalgesellschaft vermittelte Beteiligung als Altgesellschafter an der Personengesellschaft nicht gebe. Ebenso wenig sei von Bedeutung, welche ertragsteuerlichen Folgen aus den Aktivitäten des X gezogen worden seien.</p>
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<p>Mit der seitens des FG mit Rücksicht auf das anhängige Revisionsverfahren II R 18/17 zugelassenen Beschwerde macht die Antragstellerin weiterhin Zweifel an der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit des Bescheids sowie eine in der sofortigen Beitreibung liegende unbillige Härte geltend.</p>
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<p>Das FA sei zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des angefochtenen Bescheids örtlich nicht mehr zuständig gewesen, nachdem bereits im Jahre 2015 sowohl dem FA als auch dem örtlich zuständigen FA Y der Umzug der Geschäftsführung angezeigt worden sei. Es sei auch nicht nahezu ausgeschlossen, dass das FA Y angesichts der materiell-rechtlichen Zweifelhaftigkeit der Sache anders entschieden hätte. Diese wiederum liege darin, dass sich mittelbar die wirtschaftliche Verfügungsmacht des X über das fragliche Grundstück nicht verändert habe.</p>
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<p>Im Streitfall trete hinzu, dass es in entsprechender Anwendung des § 174 AO nicht zulässig sei, wenn die Finanzverwaltung, zudem dasselbe FA, ein- und denselben Lebenssachverhalt mehrfach unterschiedlich würdige, um möglichst viel Steuer zu generieren.</p>
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<p>In dem Strafverfahren gegen X rechne die Finanzverwaltung u.a. die streitige Kapitalerhöhung dem X für einkommensteuerrechtliche Zwecke zu, ohne dass bisher allerdings entsprechende Bescheide ergangen wären. Grunderwerbsteuerrechtlich werde allein auf die formale Eintragung der S im Handelsregister abgestellt. Das entspräche einer widerstreitenden Steuerfestsetzung i.S. des § 174 AO, wenn bereits Bescheide erlassen worden wären. Der Nichterlass rechtsmittelfähiger Bescheide schneide die Rechtsschutzmöglichkeiten ab. Wegen der Maßnahmen der Steuerfahndung zeitige die (zudem falsche und damit rechtswidrige) einkommensteuerrechtliche Rechtsauffassung des FA bereits erhebliche Wirkungen. Das Vermögen des X sei gepfändet und damit blockiert; die Antragstellerin habe dadurch auch keine Mittel mehr, die Grunderwerbsteuer auch nur vorläufig zu zahlen. Wenn die Würdigungen ein- und desselben Lebenssachverhalts für Zwecke der einzelnen Steuerarten einander denklogisch widersprächen, liege ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot vor. Zumindest wäre in derartigen Fällen die Rechtsfrage zu klären, ob die analoge Anwendung von § 174 AO in Frage kommt, wenn zwar die Voraussetzungen der Vorschrift noch nicht vorliegen, wohl aber die Finanzverwaltung durch anderweitige Maßnahmen die Folgen der widerstreitenden Festsetzung eintreten lässt.</p>
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<a name="rd_14">14</a>
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<p>Die Antragstellerin beantragt,<br/>den Bescheid über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer vom 13. Februar 2017 ab Wirksamkeit und ohne Sicherheitsleistungen bis zum Abschluss des Einspruchsverfahrens von der Vollziehung auszusetzen bzw. die Vollziehung aufzuheben.</p>
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<p>Das FA beantragt,<br/>die Beschwerde zurückzuweisen<br/>und schließt sich der Auffassung des FG an.</p>
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<p>Auf den Hinweis des Senats, dass Bedenken an der Rechtsfähigkeit der S bestünden, ist das FA dem entgegengetreten und hat einen Auszug der Datenbank ... vorgelegt, demzufolge die S am 10. August 2011 gegründet worden sei, noch bestehe und über eine Anschrift auf den Seychellen verfüge.</p>
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<h2>Entscheidungsgründe</h2>
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<p style="text-align:center">II. </p>
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<p>Die Beschwerde ist begründet. Bei der im Verfahren über die Aussetzung/Aufhebung der Vollziehung gebotenen summarischen Prüfung bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).</p>
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<p>1. Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts u.a. aussetzen, soweit ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen.</p>
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<p>a) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts bestehen, wenn bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Bei der hiernach gebotenen Abwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen, wobei diese nicht überwiegen müssen. Es ist eine summarische Prüfung aufgrund des Sachverhalts vorzunehmen, der sich aus den sog. präsenten Beweismitteln, dem Vortrag der Beteiligten und den Akten ergibt (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. Oktober 2011 VIII S 5/11, BFH/NV 2012, 262, und vom 12. Juli 2017 X B 16/17, BFHE 257, 523, Rz 53).</p>
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<a name="rd_20">20</a>
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<p>b) Verfahrensrechtlich beruht der Bescheid auf § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GrEStG. Danach werden in den Fällen des § 1 Abs. 2a, 3 und 3a GrEStG die Besteuerungsgrundlagen durch das Finanzamt, in dessen Bezirk sich die Geschäftsleitung der Gesellschaft befindet, gesondert festgestellt, wenn ein außerhalb des Bezirks dieses Finanzamts liegendes Grundstück oder ein auf das Gebiet eines anderen Landes sich erstreckender Teil eines im Bezirk dieses Finanzamts liegenden Grundstücks betroffen wird.</p>
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<a name="rd_21">21</a>
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<p>c) Materiell-rechtlich stützt sich der angefochtene Bescheid auf § 1 Abs. 2a GrEStG. Diese Vorschrift fingiert einen grunderwerbsteuerrechtlichen Erwerbsvorgang bei bestimmten Änderungen des Gesellschafterbestands einer Personengesellschaft.</p>
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<p>aa) Gehört zum Vermögen einer Personengesellschaft ein inländisches Grundstück und ändert sich innerhalb von fünf Jahren der Gesellschafterbestand unmittelbar oder mittelbar dergestalt, dass mindestens 95 % der Anteile am Gesellschaftsvermögen auf neue Gesellschafter übergehen, gilt dies nach § 1 Abs. 2a Satz 1 GrEStG als ein auf die Übereignung eines Grundstücks auf eine neue Personengesellschaft gerichtetes Rechtsgeschäft.</p>
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<p>bb) Gesellschafter einer Personengesellschaft kann auch eine ausländische Kapitalgesellschaft sein. Diese wird grunderwerbsteuerrechtlich nicht anders behandelt als eine inländische Kapitalgesellschaft (ausdrücklich für den Fall des Anteilserwerbs BFH-Urteil vom 2. August 2006 II R 23/05, BFH/NV 2006, 2306, unter II.2.). Dies setzt aber voraus, dass das als ausländische Kapitalgesellschaft und damit als ausländische juristische Person auftretende Gebilde tatsächlich rechtsfähig ist. Fehlt es daran, ist im Einzelfall zu prüfen, welche zivilrechtlichen Folgen sich hieraus für Rechtsgeschäfte mit der Scheingesellschaft ergeben.</p>
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<p>Jedenfalls kann ein nicht rechtsfähiges Gebilde nicht Rechtsträger und deshalb auch nicht Gesellschafter einer Personengesellschaft i.S. des § 1 Abs. 2a GrEStG sein.</p>
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<a name="rd_25">25</a>
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<p>cc) Die Frage, ob eine im Ausland gegründete juristische Person rechtsfähig ist, beurteilt sich grundsätzlich nach dem Recht, das am Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes gilt (sog. Sitztheorie, vgl. BFH-Beschluss vom 12. Juni 1995 II S 9/95, BFHE 177, 347, BStBl II 1995, 605, unter II.2.c).</p>
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<p>aaa) Abweichend davon richtet sich die Frage der Rechtsfähigkeit nach der sog. Gründungstheorie, wenn eine Gesellschaft in einem Vertragsstaat der Europäischen Union (EU) oder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) oder in einem mit diesen aufgrund Staatsvertrags in Bezug auf die Niederlassungsfreiheit gleichgestellten Staat nach dessen Vorschriften wirksam gegründet ist. Diese ist in einem anderen Vertragsstaat auf der Grundlage der im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) garantierten Niederlassungsfreiheit (Art. 54 AEUV) unabhängig von dem Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes in der Rechtsform anzuerkennen, in der sie gegründet wurde (vgl. Urteile des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 13. März 2003 VII ZR 370/98, BGHZ 154, 185; vom 13. April 2010  5 StR 428/09, Der Betrieb --DB-- 2010, 1581; BFH-Urteil vom 29. Juni 2016 II R 14/12, BFH/NV 2017, 1, m.w.N.).</p>
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<p>bbb) Für Gesellschaften außerhalb des geschilderten Raumes bleibt es bei der Sitztheorie (im Einzelnen Palandt/Thorn, Bürgerliches Gesetzbuch, 77. Aufl., Anhang des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch 12, Rz 10 bis 13). Haben Kapitalgesellschaften, die nach ausländischem Recht gegründet wurden, ihren Sitz im Inland, können sie im Regelfall mangels Einhaltung der inländischen Gründungsvorschriften für Kapitalgesellschaften nicht als solche betrachtet werden. Damit entfällt die Abschirmwirkung der Kapitalgesellschaft und ist auf die hinter ihr stehenden Gesellschafter zurückzugreifen. Folgerichtig kommt in einem solchen Falle die Behandlung als rechtsfähige Personengesellschaft in Betracht (vgl. BGH-Urteile vom 1. Juli 2002 II ZR 380/00, BGHZ 151, 204, unter II.1.; vom 27. Oktober 2008 II ZR 158/06 "Trabrennbahn", BGHZ 178, 192, unter I.1.c). Dies wiederum setzt voraus, dass die Gesellschaft mehr als einen Gesellschafter hat, denn eine Einmann-Personengesellschaft existiert im deutschen Recht nicht (grundlegend für die GbR Palandt/Sprau, a.a.O., § 705 Rz 1). Hat mithin die ausländische Kapitalgesellschaft lediglich einen Gesellschafter, tritt dieser an die Stelle der Personengesellschaft. Damit entfällt die Möglichkeit, in der Gesellschaft ein rechtsfähiges Gebilde zu sehen. Maßgebender Rechtsträger ist der Gesellschafter allein.</p>
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<p>2. Der Senat geht aufgrund seiner Beschränkung auf präsente Beweismittel für Zwecke der AdV davon aus, dass der Inhalt des bisher nicht aktenkundigen Vertrags vom 19. Februar 2013, mit dem der Kommanditanteil der S auf 77.500 € erhöht worden sein soll, der Anmeldung zum Handelsregister und den Feststellungen des FG entspricht; im Hauptsacheverfahren bedürfte dies ggf. der Überprüfung.</p>
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<p>Es bestehen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids, weil S mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine Briefkastengesellschaft (Domizilgesellschaft/Basisgesellschaft) ist, von der nicht feststeht, ob sie im Inland überhaupt rechtsfähig und als solche in der Lage ist, einen Anteil an der Antragstellerin zu halten. Die seitens der Antragstellerin vorgelegten Dokumente aus dem Ermittlungsverfahren gegen X, gegen deren Echtheit keine Bedenken bestehen, begründen Zweifel daran, ob Erwerb und Erhöhung des Kommanditanteils an der Antragstellerin durch die wirkliche oder vermeintliche ausländische Kapitalgesellschaft S die Voraussetzungen eines nach § 1 Abs. 2a GrEStG steuerbaren Tatbestands erfüllen. Insoweit liegt eine Unsicherheit in der Beurteilung von Tat- und Rechtsfragen vor, die die AdV rechtfertigt.</p>
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<p>a) Sollte die Sachverhaltsdarstellung in dem gegen X erlassenen Haftbefehl zutreffen, dürfte S als reine Briefkastengesellschaft außerhalb des Anwendungsbereichs des EU-Rechts nicht rechtsfähig gewesen sein.</p>
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<p>aa) Die Rechtsfähigkeit der S beurteilt sich nach dem Ort des tatsächlichen Verwaltungssitzes und nicht nach ihrem Gründungsstatut. S wurde nach Aktenlage nach dem Recht der Seychellen gegründet, die weder Vertragsstaat der EU noch des EWR noch hinsichtlich der Niederlassungsfreiheit gleichgestellt ist. Aus dem Umstand, dass die C als ihre Alleingesellschafterin --wenn auch in Treuhand für X-- ihren Sitz augenscheinlich auf den im Wege der Assoziierung nach Art. 198, 199 Nr. 5, Anhang II AEUV in den Geltungsbereich der Niederlassungsfreiheit einbezogenen Britischen Jungferninseln hatte und mutmaßlich auch nach dem dortigen Recht gegründet wurde, folgt in diesem Zusammenhang schon deshalb nichts Gegenteiliges, weil nicht das Gesellschaftsstatut der Gesellschafterin C, sondern das der Gesellschaft S selbst maßgebend ist. Aus demselben Grunde kommt es erst recht nicht darauf an, dass der Vertreter der C auf dem zur EU gehörenden Zypern ansässig gewesen sein soll.</p>
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<p>bb) Der tatsächliche Verwaltungssitz der S könnte sich in Deutschland befunden haben. Der Haftbefehl geht davon aus, dass S mangels Personals, Geschäftsräumen, eigener Geschäftsausstattung oder Teilnahme am Marktgeschehen weder auf den Seychellen noch auf Zypern irgendeine Form von Geschäftstätigkeit ausgeübt habe und X sowohl kraft Vollmacht als auch tatsächlich die Geschäftsführung bestimmt habe. X war in Deutschland ansässig.</p>
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<p>cc) Es ist nicht erkennbar und auch in der Sache nicht wahrscheinlich, dass S die Gründungsvorschriften für eine deutsche Gesellschaft eingehalten hätte, so dass ihr nach diesem Maßstab keine Rechtsfähigkeit als Kapitalgesellschaft zukäme.</p>
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<a name="rd_34">34</a>
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<p>dd) Eine Rechtsfähigkeit als Personengesellschaft ist bei der im AdV-Verfahren allein möglichen summarischen Prüfung ebenfalls nicht anzunehmen. Die S hatte lediglich eine Gesellschafterin, die C. Damit kann die S nicht Personengesellschaft sein, und zwar unabhängig davon, welche Rechtsqualität der C zukommen könnte.</p>
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<p>Nach alledem ist zweifelhaft, ob die S für Zwecke der Grunderwerbsteuer als tauglicher Rechtsträger zu behandeln ist.</p>
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<p>b) Gänzlich ungeklärt ist, ob der Gesellschaftsanteil an der Antragstellerin (und damit auch ein Erwerb des Gesellschaftsanteils) der C als Gesellschafterin der S zuzurechnen sein könnte. Dies ist für den Fall zu prüfen, dass die C mit ihrem Sitz auf den Britischen Jungferninseln ihrerseits nach den vorgenannten Maßstäben rechtsfähig ist.</p>
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<p>Eine abschließende Beurteilung dieser Rechtsfrage ist dem Senat allerdings im AdV-Verfahren nicht möglich. Dafür wäre u.a. die Frage zu beantworten, welche Rechtswirkungen die Treuhandvereinbarung zwischen der C und dem X betreffend den Gesellschaftsanteil an der S haben könnte, welchen konkreten Inhalt diese Vereinbarung hat, ob für das Zustandekommen und die Rechtswirkungen das Recht der Britischen Jungferninseln als Gründungsstatut der C, das Recht Zyperns als formalem Ort der Geschäftsleitung und Ort des Vertragsschlusses oder aber das Recht Deutschlands als Ansässigkeitsstaat des Treugebers X maßgebend ist. Zu den Rechtswirkungen einer Treuhandvereinbarung gehört auch die Frage ihrer Reichweite, hier, ob das Treugut (der in der Hand der C befindliche Geschäftsanteil an der S) noch dem Treuhänder --der C-- oder bereits dem Treugeber --dem X-- zuzurechnen ist.</p>
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<p>c) Der Senat geht mangels anderweitiger Anhaltspunkte von dem Sachverhalt aus, der dem Haftbefehl zugrunde liegt.</p>
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<p>aa) Wenn auch insoweit keine Bindung besteht, stellen doch diejenigen tatsächlichen Annahmen, auf die sich ein Haftbefehl stützt, in einem summarischen Verfahren wie dem vorliegenden AdV-Verfahren ein erhebliches Indiz für deren inhaltliche Richtigkeit dar, wenn sie nicht substantiiert bestritten werden. Bestritten hat diese Feststellungen allenfalls die Antragstellerin, nicht hingegen das FA, das im Rahmen der Grunderwerbsteuer aus dem Bestreiten Vorteile hätte ziehen können.</p>
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<a name="rd_40">40</a>
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<p>Die Untersuchungshaft setzt nach § 112 Abs. 1 Satz 1 der Strafprozessordnung (StPO) neben dem grundsätzlich erforderlichen Haftgrund dringenden Tatverdacht voraus, wobei es sich um einen zwar an dem Stadium der Ermittlungen orientierten und insofern ggf. auch unvollständigen, aber doch stärkeren Verdacht handeln muss (vgl. im Einzelnen Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2007, § 112, Rz 16 bis 21). Die Einstufung der S als Briefkastengesellschaft war, soweit es sich den Auszügen entnehmen lässt, wesentlicher Bestandteil des Haftbefehls. Der Senat hat aktuell keine Hinweise darauf, inwiefern der Haftbefehl auf unzutreffender Tatsachengrundlage beruhen sollte und folglich das AG zu Unrecht die Haft angeordnet haben sollte.</p>
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<p>Bezieht sich aber ein dringender Tatverdacht i.S. des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO auf Sachverhaltselemente, die ihrerseits, wenn sie zutreffen, zur Rechtswidrigkeit eines angefochtenen Steuerverwaltungsakts führen, so bestehen bei summarischer Prüfung im Allgemeinen auch ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsakts.</p>
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<a name="rd_42">42</a>
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<dd>
<p>An dem dringenden Tatverdacht hat sich durch die Außervollzugsetzung des Haftbefehls nichts geändert. Dies ergibt sich aus dem Beschluss selbst, der über die Auflagen und Weisungen allein den Haftgründen (Flucht- und Verdunkelungsgefahr) zu begegnen sucht. Wäre der Verdacht entfallen, hätte der Haftbefehl aufgehoben werden müssen.</p>
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<a name="rd_43">43</a>
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<dd>
<p>bb) Der Senat verkennt nicht, dass die Antragstellerin selbst erklärt, sie teile die im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen X vertretene Auffassung der Finanzverwaltung zur Einkommensteuer nicht. Sie hat nicht näher erläutert, ob sie die Sachverhaltsfeststellungen für fehlerhaft oder die rechtliche Würdigung für unzutreffend hält oder ob es sich insoweit lediglich um eine salvatorische Klausel handelt, um ein inzidentes Schuldeingeständnis zu Lasten des X sowie negative Folgen bei der Einkommensteuer zu vermeiden. Ein substantiierter Vortrag ist diese nicht durch Tatsachendarstellungen untermauerte Einlassung jedenfalls nicht.</p>
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<a name="rd_44">44</a>
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<dd>
<p>cc) Im Übrigen ist es ein Indiz für die Richtigkeit der in dem Haftbefehl enthaltenen Feststellungen, dass sie sich auf die --wiederum nicht aktenkundigen-- Feststellungen des BZSt stützen, die ihrerseits regelmäßig auf belastbaren Informationen gründen.</p>
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<a name="rd_45">45</a>
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<dd>
<p>dd) Soweit die Behörden im vorliegenden Sachverhaltskomplex Maßnahmen ergriffen haben, von denen fraglich ist, ob sie nicht die Rechtsfähigkeit der S voraussetzen (so etwa die Pfändung in einen möglichen Kommanditanteil), steht das der vorliegenden --vorläufigen-- Beurteilung nicht entgegen. Zum einen ist bereits der Pfändungsbeschluss so offen gefasst, dass er möglicherweise verschiedene rechtliche Wertungen abdeckt --dies abschließend zu beurteilen, ist nicht Aufgabe des vorliegenden Verfahrens--; zum anderen ist der Senat an diese Wertungen nicht gebunden.</p>
</dd>
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<a name="rd_46">46</a>
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<dd>
<p>ee) Der Senat weist ausdrücklich darauf hin, dass die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf dem aktuellen Informationsstand beruht. Falls sich im Zuge der weiteren Aufklärungsmaßnahmen die mögliche Annahme, die S sei eine nicht rechtsfähige Briefkastengesellschaft, als nicht zutreffend erweist, kommt eine Änderung des Beschlusses nach § 69 Abs. 6 FGO durch das jeweilige Gericht der Hauptsache in Betracht.</p>
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<a name="rd_47">47</a>
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<dd>
<p>d) Offen kann bleiben, welche Folgen die unstreitige Verletzung der örtlichen Zuständigkeit für den Erlass des Feststellungsbescheids durch das FA hat und ob insoweit § 127 AO anzuwenden ist. Nicht entscheidungserheblich ist auch die von der Antragstellerin geltend gemachte analoge Anwendung des § 174 AO.</p>
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<a name="rd_48">48</a>
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<dd>
<p>3. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheids zu entscheiden (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 6 FGO). Ein ausdrücklicher Ausschluss der Sicherheitsleistung kommt nicht in Betracht. Die vorstehenden Erwägungen lassen nicht den Schluss zu, dass der Rechtsbehelf gegen den Grundlagenbescheid mit großer Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein wird (vgl. BFH-Beschluss vom 29. Juli 1997 VIII S 1/97, BFH/NV 1998, 186).</p>
</dd>
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<a name="rd_49">49</a>
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<p>4. Auf den Aspekt der unbilligen Härte war hiernach nicht mehr einzugehen.</p>
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<a name="rd_50">50</a>
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<p>5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.</p>
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|
178,085 | bverwg-2019-01-08-1-c-1818 | {
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<div>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_1">1</a>
</dt>
<dd>
<p>
Der Kläger, ein eritreischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrags als unzulässig, die Feststellung, dass nationale Abschiebungsverbote nicht vorliegen, die Anordnung der Abschiebung in die Republik Italien und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 12 Monate.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_2">2</a>
</dt>
<dd>
<p>
Der Kläger reiste nach eigenen Angaben am 15. September 2016 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 22. September 2016 seine Anerkennung als Asylberechtigter. Ein Eurodac-Abgleich ergab, dass er zuvor illegal nach Italien eingereist war. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Beklagten (Bundesamt) richtete am 24. Oktober 2016 ein Aufnahmegesuch an die Republik Italien, welches unbeantwortet blieb. Daraufhin lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 18. Januar 2017 den Asylantrag wegen anderweitiger internationaler Zuständigkeit als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass keine nationalen Abschiebungsverbote vorliegen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung in die Republik Italien an (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 12 Monate (Ziffer 4).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_3">3</a>
</dt>
<dd>
<p>
Das Verwaltungsgericht lehnte mit Beschluss vom 6. Februar 2017 den Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_4">4</a>
</dt>
<dd>
<p>
Gegen diesen Beschluss erhob der Kläger fristgerecht Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht und beantragte sogleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Zur Begründung trug er vor, dass der Erlass des Beschlusses vom 6. Februar 2017 durch einen Richter auf Zeit die Rechte des Klägers aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletze. Das Bundesverfassungsgericht bat das Bundesamt zu bestätigen, dass bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde oder den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keine Abschiebung des Klägers erfolgen werde. Das Bundesamt setzte mit Bescheid vom 4. Juli 2017 die Vollziehung der Abschiebungsanordnung aus dem Bescheid vom 18. Januar 2017 bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde oder den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO aus.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_5">5</a>
</dt>
<dd>
<p>
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 19. Januar 2018 den Bescheid vom 18. Januar 2017 aufgehoben. Die Zuständigkeit für die Entscheidung über den Asylantrag sei zwischenzeitlich auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen, weil durch die behördliche Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO die Überstellungsfrist nicht erneut unterbrochen worden sei. Grundsätzlich könne zwar eine behördliche Aussetzungsentscheidung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO, Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO zur Unterbrechung der Überstellungsfristen führen. Dies erfordere aber Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung, welche nicht vorgelegen hätten. Die Überstellungsfrist sei damit im Zeitpunkt des Urteils abgelaufen gewesen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_6">6</a>
</dt>
<dd>
<p>
Mit ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision macht die Beklagte geltend, das Verwaltungsgericht habe die Anforderungen an eine behördliche Aussetzungsentscheidung fehlerhaft zu eng bestimmt. Für eine Beschränkung der Vollzugsaussetzung auf die Fälle, in welchen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung bestünden, sei nichts Stichhaltiges erkennbar. Der Wortlaut von § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO lasse eine einengende Interpretation nicht zu. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO stelle ersichtlich einen Sonderfall dar. Nichts anderes folge aus dem Unionsrecht. Es sei nicht erkennbar, dass Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO allein dem Interesse des Drittstaatsangehörigen zu dienen bestimmt sei. Zwar verfolge das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren der Dublin III-VO auf der einen Seite das Ziel einer zügigen Bearbeitung von Asylanträgen. Auf der anderen Seite solle aber auch die Sekundärmigration verhindert werden. Der dem Dublin-System innewohnende Beschleunigungsgedanke verlange ebenfalls keine einengende Interpretation, weil die Verzögerung durch das rechtliche Vorgehen des Klägers verursacht worden sei.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_7">7</a>
</dt>
<dd>
<p>
Der Kläger verteidigt die angegriffene Entscheidung. Behördliche Aussetzungsentscheidungen hätten auf den Ablauf der Überstellungsfrist keinen Einfluss, weil Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO auf eine aufschiebende Wirkung abstelle, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe oder durch ein Gericht angeordnet werde. Das Bundesamt sei kein Gericht im vorgenannten Sinne. Zudem schließe § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG als vorrangige Spezialregelung die Anwendbarkeit von § 80 Abs. 4 VwGO aus. § 34a Abs. 1 AsylG setze für den Erlass einer Abschiebungsanordnung voraus, dass die Abschiebung durchgeführt werden könne. Komme die Behörde zu der Überzeugung, dass die Abschiebungsanordnung nicht vollzogen werden könne, sei diese aufzuheben.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_8">8</a>
</dt>
<dd>
<p>
Nachdem der Kläger im Juni 2018 mitgeteilt hatte, das Verfassungsbeschwerdeverfahren sei mit Blick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 2018 - 2 BvR 780/16 - beendet worden, hat das Bundesamt mit Bescheid vom 27. Juni 2018 die Vollziehung der Abschiebungsanordnung aus dem Bescheid vom 18. Januar 2017 bis zur Beendigung des Revisionsverfahrens ausgesetzt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_9">9</a>
</dt>
<dd>
<p>
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich am Verfahren nicht beteiligt.</p>
</dd>
</dl>
</div>
<h2>Entscheidungsgründe</h2>
<div>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_10">10</a>
</dt>
<dd>
<p>Die form- und fristgerecht eingelegte Sprungrevision der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Verfahrensbeteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet. Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, die behördliche Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheides nach § 80 Abs. 4 VwGO habe die Überstellungsfrist nicht unterbrochen, sodass die Bundesrepublik Deutschland zuständiger Mitgliedstaat geworden sei, verstößt gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO) (1.). Hinsichtlich der Unzulässigkeitsentscheidung erweist sich das Urteil auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO); insoweit bedarf es weiterer tatsächlicher Feststellungen durch das Verwaltungsgericht. (2.). Die Zurückverweisung hindert eine abschließende Entscheidung auch zu den weiteren Regelungen des angegriffenen Bescheides (3.).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_11">11</a>
</dt>
<dd>
<p>Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens sind das Asylgesetz (AsylG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch das am 12. Dezember 2018 in Kraft getretene Dritte Gesetz zur Änderung des Asylgesetzes vom 4. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2250), die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1991 (BGBl. I S. 686), zuletzt geändert durch das am 1. November 2018 in Kraft getretene Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage vom 12. Juli 2018 (BGBl. I S. 1151) sowie die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 S. 31) - Dublin III-VO -. Da es sich um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Tatsachengericht nach § 77 Abs. 1 AsylG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es seiner Entscheidung, wenn es diese nunmehr träfe, die während des Revisionsverfahrens in Kraft getretenen Änderungen zugrunde legen, soweit nicht hiervon eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_12">12</a>
</dt>
<dd>
<p>1. Die Klage ist, soweit sie sich gegen die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des Bescheides des Bundesamtes richtet, als Anfechtungsklage statthaft (BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2015 - 1 C 32.14 - BVerwGE 153, 162 Rn. 13 f.) und auch im Übrigen zulässig, aber nicht begründet. Das Bundesamt hat insoweit seine Entscheidung zu Recht auf § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gestützt. Ein Asylantrag ist hiernach unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO oder aufgrund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist (1.1). Diese Zuständigkeit ist hier auch in der Folgezeit nicht durch Ablauf der Überstellungsfrist (Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO) auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen (1.2).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_13">13</a>
</dt>
<dd>
<p>1.1 Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass - vorbehaltlich einer Prüfung nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO - für die Durchführung des Asylverfahrens die Republik Italien originär zuständig war, weil sich eine anderweitige vorrangige Zuständigkeit nach Kapitel III der Dublin III-VO (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO) nicht bestimmen ließ und daher der Mitgliedstaat - hier die Republik Italien - zuständig war, über den der Kläger illegal in das Unionsgebiet eingereist ist und in dem er im Eurodac-System erfasst worden ist (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO). Die Beklagte hat die Republik Italien fristgerecht um Aufnahme des Klägers ersucht (Art. 21 Abs. 2, 3 Dublin III-VO). Dieses Aufnahmegesuch gilt nach Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO als angenommen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_14">14</a>
</dt>
<dd>
<p>1.2 Diese Zuständigkeit ist auch nicht nachträglich auf die Beklagte übergegangen. Zu einem hier allein in Betracht kommenden Zuständigkeitsübergang durch Ablauf der Überstellungsfristen des Art. 29 Dublin III-VO (1.2.1) ist es nicht gekommen, weil die mit der Annahme des Aufnahmegesuchs in Lauf gesetzte Frist jeweils vor ihrem Ablauf wirksam unterbrochen worden ist (1.2.2), und zwar entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts auch durch die behördliche Aussetzung der Vollziehung (§ 80 Abs. 4 VwGO) durch das Bundesamt (1.2.3). Hierzu hat der Senat in seinem Urteil vom 8. Januar 2019 - BVerwG 1 C 16.18 - ausgeführt:</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>"1.2.1 In Fällen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats als des Mitgliedstaats, in dem sich der Antragsteller aufhält, regelt Art. 29 Dublin III-VO die Modalitäten und Fristen der Überstellung. Nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO erfolgt die Überstellung, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Annahme des (Wieder-)Aufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat (Alt. 1) oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat (Alt. 2). Verzögert sich die Überstellung wegen eines Rechtsbehelfsverfahrens mit aufschiebender Wirkung, ist der zuständige Mitgliedstaat hierüber unverzüglich zu unterrichten (Art. 9 Abs. 1 der Verordnung <EG> Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung <EG> Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist <ABl. L 222 S. 3>). Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO nicht mehr zur (Wieder-)Aufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>1.2.2 Nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Alt. 1 Dublin III-VO ist hier die sechsmonatige Überstellungsfrist erstmals nach der Annahme des Wiederaufnahmeersuchens durch die österreichischen Behörden vom 6. April 2017 in Lauf gesetzt worden. Zutreffend geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass die so in Lauf gesetzte Überstellungsfrist durch den fristgemäß gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung vom 16. Juni 2017 - welcher kraft Gesetzes ein Überstellungsverbot auslöst (vgl. § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG i.V.m. Art. 27 Abs. 3 Buchst. c Satz 2 Dublin III-VO) - unterbrochen worden ist (Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Alt. 2 Dublin III-VO), worüber das Bundesamt die österreichischen Behörden auch informiert hat. Mit Ergehen der ablehnenden gerichtlichen Eilentscheidung vom 28. Juni 2017 wurde die sechsmonatige Überstellungsfrist erneut in Gang gesetzt (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2016 - 1 C 15.15 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 83 Rn. 11 und Beschluss vom 27. April 2016 - 1 C 22.15 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 81 Rn. 18 ff.). Die Überstellungsfrist wird wegen des kraft Gesetzes damit verbundenen, verfahrenssichernden Überstellungsverbots (§ 34a Abs. 2 AsylG; s.a. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 [ECLI:EU:C:2018:465] -) auch in solchen Fällen unterbrochen, in denen ein gerichtlicher Eilantrag im Ergebnis ohne Erfolg bleibt oder nicht beschieden wird (a.A. wohl Österreichischer Verwaltungsgerichtshof, Entscheidung vom 14. Dezember 2017 - Ra 2015/20/0231-16 - und Schweizerisches Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19. November 2014 - E-3971/2013 -). Aus den Gründen seines Beschlusses vom 27. April 2016 - 1 C 22.15 - (Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 81 Rn. 18 ff.) hält es der Senat in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union weiterhin für geklärt (s. nur EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 [ECLI:EU:C:2009:41], Petrosian - Rn. 40 ff., 44), dass auch in Fällen, in denen eine Überstellung kraft Gesetzes oder kraft wirksamer Einzelfallentscheidung lediglich zeitweise ausgeschlossen war, die Mitgliedstaaten über eine zusammenhängende Frist von sechs Monaten verfügen müssen, die sie in vollem Umfang zur Regelung der technischen Probleme für die Bewerkstelligung der Überstellung sollen nutzen dürfen.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>1.2.3 Die Überstellungsfrist, die mit dem Beschluss, mit dem der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes abgelehnt worden ist, neu in Lauf gesetzt worden ist, ist vor ihrem Ablauf wirksam durch die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO durch den Bescheid des Bundesamtes vom 17. August 2017 erneut unterbrochen worden. Diese Unterbrechung, die den österreichischen Behörden zudem auch mitgeteilt worden ist, dauerte im Zeitpunkt des Urteils des Verwaltungsgerichts an und hinderte den - vom Verwaltungsgericht zu Unrecht angenommenen - Übergang der Zuständigkeit auf die Bundesrepublik Deutschland.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>a) Die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO durch die Behörde ist generell geeignet, die in Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO vorgesehene Überstellungsfrist zu unterbrechen (EuGH, Urteil vom 13. September 2017 - C-60/16 [ECLI:EU:C:2017:675], Khir Amayry - Rn. 71; BVerwG, Urteil vom 9. August 2016 - 1 C 6.16 - BVerwGE 156, 9 Rn. 18). Nach Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die zuständigen Behörden beschließen können, von Amts wegen tätig zu werden, um die Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung auszusetzen. Diese unionsrechtlich vorgesehene Möglichkeit wird im nationalen Recht durch § 80 Abs. 4 VwGO eröffnet.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Nichts anderes folgt für die Unterbrechungswirkung daraus, dass Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO nicht auch auf Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO Bezug nimmt. Nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO ist allein entscheidend, dass ein Rechtsbehelf im Sinne des Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat und daher eine Überstellung nicht durchgeführt werden kann. Die in Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO den Mitgliedstaaten eröffnete Möglichkeit, dass auch die zuständigen Behörden die Durchführung der Überstellungsentscheidung aussetzen können, erweitert lediglich die Fallgruppen, in denen einem Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung im Sinne des Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO zukommt. Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO verlöre im Übrigen in weitem Maße seine praktische Wirksamkeit, wenn die Regelung nicht angewendet werden könnte, ohne dass die Gefahr bestünde, dass die Überstellungsfrist abläuft und ein Zuständigkeitsübergang die Folge wäre (EuGH, Urteil vom 13. September 2017 - C-60/16 - Rn. 71).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>b) Die Wirkung, die Überstellungsfrist neuerlich zu unterbrechen, entfällt bei der Aussetzungsentscheidung vom 17. August 2017 nicht deswegen, weil diese rechtswidrig wäre. Vielmehr hält sie sich in den Grenzen, die durch das nationale Recht und Unionsrecht vorgegeben sind.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>aa) Nach § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO haben die Behörden grundsätzlich die Befugnis, nach Ermessen die Vollziehung auszusetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>Regelungen des Asylgesetzes schließen eine behördliche Aussetzung nach § 80 Abs. 4 VwGO nicht aus. § 34a AsylG ordnet allerdings an, dass u.a. in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG die Abschiebung anzuordnen ist, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann (Abs. 1), und enthält Sonderregelungen zu der Frist, die bei einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu beachten ist, sowie zu einem Verbot der Abschiebung vor der gerichtlichen Entscheidung (Abs. 2). Damit ist aber die behördliche Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 VwGO weder ausdrücklich noch der Sache nach ausgeschlossen. Namentlich können auch bei einer im Sinne des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG rechtlich und tatsächlich möglichen Abschiebung Gründe vorliegen, die es rechtfertigen, deren Vollziehung - etwa zur Sicherung der Effektivität gerichtlichen Rechtsschutzes - vorübergehend bis zu einer abschließenden gerichtlichen Klärung auszusetzen. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gebietet in solchen Fällen - entgegen der Auffassung der Klägerseite - nicht, die Abschiebungsanordnung aufzuheben, was die endgültige gerichtliche Klärung gerade verhinderte. Denn selbst bei nach Erlass der Abschiebungsanordnung auftretenden Abschiebungsverboten oder Duldungsgründen ist das Bundesamt nicht verpflichtet, die Abschiebungsanordnung nach § 48 VwVfG aufzuheben; namentlich bei vorübergehenden Abschiebungshindernissen kann es deren Vollziehung auch (vorläufig) aussetzen (s.a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14 - Asylmagazin 2014, 341). Auch aus weiteren Regelungen des Asylgesetzes ergibt sich kein bundesgesetzlicher Ausschluss des § 80 Abs. 4 VwGO im Asylverfahren; § 36 Abs. 4 AsylG etwa regelt allein den Maßstab für die gerichtliche Anordnung der Aussetzung der Abschiebung und schließt weitergehende behördliche Aussetzungsentscheidungen nicht aus.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt/>
<dd>
<p>§ 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO beschränkt das behördliche Aussetzungsermessen für das Asylverfahren ebenfalls nicht. Hiernach 'soll' die Aussetzung bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Dieser auf die (qualifizierte) Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bezogene Maßstab ist auf die Vollziehbarkeit sonstiger Verwaltungsakte weder unmittelbar noch - entgegen im Schrifttum teilweise vertretener Ansicht (s. etwa Gersdorf, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 47. Edition, Stand 1. Juli 2018, § 80 Rn. 126) - entsprechend anzuwenden (s. nur BVerwG, Beschluss vom 17. September 2001 - 4 VR 19.01 - Buchholz 310 § 80 VwGO Nr. 66 S. 3 f.).</p>
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</dl>
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<dd>
<p>bb) Unionsrecht setzt in Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO eine behördliche Aussetzung der Vollziehung voraus, steht also § 80 Abs. 4 VwGO gerade nicht entgegen. Es setzt aber dem nach nationalem Recht (§ 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO) eröffneten weiten Handlungsspielraum durch unionsrechtliche Vorgaben (vgl. insbesondere Art. 27 und 28 Dublin III-VO) gewisse Grenzen. Diese Beschränkungen ergeben sich daraus, dass die behördliche Aussetzungsentscheidung den Antragsteller nicht nur begünstigt, indem aufenthaltsbeendende Maßnahmen auf der Grundlage der Abschiebungsanordnung zunächst nicht mehr erfolgen können, sondern mittelbar auch belastet, weil sie die Überstellungsfrist unterbricht und so dazu führen kann, dass ein vom Antragsteller möglicherweise erstrebter Zuständigkeitsübergang nicht erfolgt; zu berücksichtigen sind auch die Belange des zuständigen Mitgliedstaats.</p>
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<p>Mindestvoraussetzung einer behördlichen Aussetzungsentscheidung nach § 80 Abs. 4 VwGO ist, dass der Antragsteller einen Rechtsbehelf gegen die Abschiebungsanordnung eingelegt hat (Art. 27 Abs. 4 und Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO). Weitere Grenzen folgen aus dem von Art. 27 Abs. 3 und 4 i.V.m. Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO angestrebten Ziel eines angemessenen Ausgleichs zwischen einerseits der Gewährung effektiven Rechtsschutzes und der Ermöglichung einer raschen Bestimmung des für die inhaltliche Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats (vgl. Erwägungsgrund 5 zur Dublin III-VO) und andererseits dem Ziel zu verhindern, dass sich Asylbewerber durch Weiterwanderung den für die Prüfung ihres Asylbegehrens zuständigen Mitgliedstaat aussuchen (Verhinderung von Sekundärmigration) (BVerwG, Urteil vom 27. April 2016 - 1 C 24.15 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 82 Rn. 13). Der Zuständigkeitsübergang nach Ablauf der Überstellungsfrist soll verhindern, dass Asylanträge monate- oder gar jahrelang nicht geprüft werden, zugleich soll das Ziel einer möglichst schnellen Prüfung nicht dazu führen, dass dem jeweiligen Mitgliedstaat keine zusammenhängende Überstellungsfrist von sechs Monaten zur Verfügung steht, in der nur noch die Überstellungsmodalitäten zu regeln sind (EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 - Rn. 43 ff.) oder der Beschleunigungsgedanke zulasten eines effektiven Rechtsschutzes verwirklicht wird (vgl. § 27 Abs. 3 und 4 Dublin III-VO).</p>
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<p>Eine behördliche Aussetzungsentscheidung darf hiernach auch unionsrechtlich jedenfalls dann ergehen, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung bestehen (so bereits BVerwG, Urteil vom 9. August 2016 - 1 C 6.16 - BVerwGE 156, 9 Rn. 18); dann haben die Belange eines Antragstellers auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes offenkundig Vorrang vor dem Beschleunigungsgedanken. Die Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes (s.a. Art. 46 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes <ABl. L 180 S. 60>) erlaubt eine behördliche Aussetzung aus sachlich vertretbaren Erwägungen, die nicht rechtlich zwingend sein müssen, auch unterhalb dieser Schwelle, wenn diese den Beschleunigungsgedanken und die Interessen des zuständigen Mitgliedstaats nicht willkürlich verkennen und auch sonst nicht missbräuchlich sind. Das vorliegende Verfahren gibt dabei keinen Anlass zur abschließenden Klärung dieser Willkür- oder Missbrauchsschwelle; sie wird aber dann überschritten sein, wenn bei klarer Rechtslage und offenkundig eröffneter Überstellungsmöglichkeit die behördliche Aussetzungsentscheidung allein dazu dient, die Überstellungsfrist zu unterbrechen, weil sie aufgrund behördlicher Versäumnisse ansonsten nicht (mehr) gewahrt werden könnte.</p>
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<p>cc) Die Aussetzungsentscheidung des Bundesamtes vom 17. August 2017 ist nach diesen Grundsätzen beachtlich und hat die Überstellungsfrist neuerlich unterbrochen.</p>
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<dd>
<p>(1) Dem unionsrechtlichen Mindesterfordernis, dass der Kläger einen Rechtsbehelf im Sinne des Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO eingelegt hat, ist mit der am 16. Juni 2017 erhobenen und zum Zeitpunkt der Aussetzungsentscheidung weiterhin anhängigen Klage, die sich auch gegen die Abschiebungsanordnung richtet, entsprochen. Keine andere Beurteilung ergibt sich daraus, dass der Kläger auch einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt hatte, der erfolglos geblieben ist. Unionsrecht verbietet den Mitgliedstaaten jedenfalls nicht, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen oder Überstellungsmaßnahmen auch dann abzusehen, wenn zwar eine erste gerichtliche Überprüfung der Überstellungsentscheidung nicht zur Gewährung aufschiebender Wirkung geführt hat, über den Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung aber noch nicht endgültig entschieden ist.</p>
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<dd>
<p>(2) Die Aussetzungsentscheidung des Bundesamtes ist hier jedenfalls durch die von dem Kläger erhobene Verfassungsbeschwerde, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und die auf Bitte des Bundesverfassungsgerichts vom Bundesamt erteilte Stillhalteerklärung sachlich gerechtfertigt.</p>
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<p>Die Verfassungsbeschwerde entfaltet als außerordentlicher Rechtsbehelf selbst keine aufschiebende Wirkung. Diese wird auch nicht schon durch eine formlose Bitte des Bundesverfassungsgerichts bewirkt, zur Verfahrenssicherung bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde von Vollziehungsmaßnahmen abzusehen. Nicht zu vertiefen ist, welche Rechtsqualität einer solchen 'Stillhaltebitte' des Bundesverfassungsgerichts und einer entsprechenden behördlichen Erklärung zukommt, namentlich dann, wenn sie dem Antragsteller (und Verfassungsbeschwerdeführer) nicht mitgeteilt wird. Diese - auf die Wahrung der Effektivität auch des nationalen Verfahrens der Verfassungsbeschwerde bezogenen - Vorgänge sind jedenfalls ein hinreichender, sachlich rechtfertigender Anlass für eine behördliche Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 VwGO. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts, durch den der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO abgelehnt worden ist, entfaltet gegenüber einer behördlichen Aussetzungsanordnung nach § 80 Abs. 4 VwGO keine Sperrwirkung; dies gilt insbesondere dann, wenn diese gerichtliche Entscheidung ihrerseits Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde ist.</p>
</dd>
</dl>
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<p>Die behördliche Aussetzungsentscheidung war hier schon deswegen sachlich geboten, frei von Willkür und nicht rechtsmissbräuchlich, weil sie die Berücksichtigung der Effektivität verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes sicherstellte, ohne eine endgültige Veränderung der Rechtslage durch einen Zuständigkeitsübergang infolge Ablaufs der Überstellungsfrist zu bewirken. Bereits nach nationalem Recht führen die Erhebung der Verfassungsbeschwerde und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht nach Art. 27 Abs. 3 i.V.m. Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO zu einer Unterbrechung der Überstellungsfrist. Dazu bedurfte es der - hier auch erfolgten - behördlichen Aussetzungsentscheidung. Neben der Effektivierung des Rechtsschutzes des Klägers - erst mit der behördlichen Aussetzungsentscheidung stand für diesen fest, dass während des verfassungsgerichtlichen Verfahrens nicht mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu rechnen sei - dient die behördliche Aussetzungsanordnung auch der Klarstellung im Verhältnis zu dem zuständigen Mitgliedstaat, dass der Lauf der Überstellungsfrist (erneut) unterbrochen worden ist.</p>
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<p>Dem Interesse des Klägers an einer zeitnahen Klärung der internationalen Zuständigkeit für die Sachentscheidung über seinen Asylantrag kommt dabei hier kein ausschlaggebendes Gewicht zu. Mit der behördlichen Aussetzungsanordnung hat das Bundesamt der Sache nach (vorläufig) seinem Rechtsschutzbegehren, vor der endgültigen Klärung der internationalen Zuständigkeit nicht aus dem Bundesgebiet abgeschoben zu werden, entsprochen, welches er zunächst mit dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung und nachfolgend mit der mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundenen Verfassungsbeschwerde verfolgt hat. Das mögliche Ziel, damit auch einen Zuständigkeitsübergang zu erwirken, wäre weder nach nationalem noch nach Unionsrecht schutzwürdig.</p>
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</dl>
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<dd>
<p>1.2.4 Nicht zu vertiefen ist, ob der Senat einen Ablauf der Überstellungsfrist während des Revisionsverfahrens berücksichtigen könnte, weil auch während des Revisionsverfahrens die Überstellungsfrist nicht abgelaufen ist. Das Bundesamt hatte die Überstellung lediglich bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde oder den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ausgesetzt. Diese Aussetzung ist mit der Rücknahme der Verfassungsbeschwerde durch den Kläger gegenstandslos geworden, weil sie erkennbar zur Sicherung des durch Rücknahme beendeten verfassungsgerichtlichen Verfahrens ergangen ist. Die damit neu in Lauf gesetzte Überstellungsfrist ist indes vor ihrem Ablauf zur Sicherung des Revisionsverfahrens durch eine erneute Aussetzungsentscheidung des Bundesamtes nach § 80 Abs. 4 VwGO unterbrochen worden. Auch diese Aussetzungsentscheidung genügt angesichts der im Revisionsverfahren zu klärenden Grundsatzfrage den nach nationalem und Unionsrecht zu stellenden Anforderungen. Dies gilt umso mehr, als durch das der Klage stattgebende erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts in der Hauptsache ungeachtet der von der Beklagten eingelegten Revision nunmehr selbst 'ernstliche Zweifel' an der Abschiebungsanordnung begründet worden sind. Diese neue Verfahrenslage durfte das Bundesamt der Beklagten sachgerecht und willkürfrei zum Anlass der neuerlichen Aussetzung nehmen."</p>
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</dl>
<dl class="RspDL">
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<a name="rd_15">15</a>
</dt>
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<p>Diese Erwägungen, an denen der Senat festhält, gelten auch im vorliegenden Verfahren.</p>
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</dl>
<dl class="RspDL">
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<a name="rd_16">16</a>
</dt>
<dd>
<p>2. Das stattgebende Urteil zur Ablehnung des Asylantrags als unzulässig erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).</p>
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</dl>
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<dt>
<a name="rd_17">17</a>
</dt>
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<p>2.1 Die Bundesrepublik Deutschland war nicht verpflichtet, von ihrem gemäß Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 Dublin III-VO bestehenden Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Offenbleiben kann dabei, ob ein Antragsteller sich im gerichtlichen Verfahren auf eine etwa fehlerhafte Betätigung des durch Art. 17 Dublin III-VO eingeräumten Ermessens berufen kann (nicht eindeutig insoweit EuGH, Urteil vom 16. Februar 2017 - C-578/16 PPU [ECLI:EU:C:2017:127] - Rn. 88). Jedenfalls sind vorliegend die Voraussetzungen für eine Reduktion des den nationalen Behörden in Art. 17 Dublin III-VO eingeräumten Ermessens zum Selbsteintritt wegen unangemessen langer Verfahrensdauer (vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - C-4/11 [ECLI:EU:C:2013:740], Puid - Rn. 35 <noch zu Art. 3 Abs. 2 der Verordnung [EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist - Dublin II-VO ->) nicht erfüllt.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_18">18</a>
</dt>
<dd>
<p>2.2 Der Senat kann mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen nicht abschließend beurteilen, ob der Feststellung der anderweitigen internationalen Zuständigkeit der Republik Italien hier entgegenstand, dass die Zuständigkeit wegen sog. systemischer Mängel des dortigen Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen (vgl. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO und EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 [ECLI:EU:C:2011:865], N. S. u.a. -; EGMR <GK>, Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09, M. S. S./Belgien und Griechenland - NVwZ 2011, 413) auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_19">19</a>
</dt>
<dd>
<p>2.2.1 Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO verlangt eine weitergehende Prüfung der internationalen Zuständigkeit allerdings nur und erst dann, wenn sich die Überstellung in den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat als unmöglich erweist, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen. Nach dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 - Rn. 79 ff.) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylantragsteller in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Konvention für Menschenrechte und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht (s.a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Dezember 2017 - 2 BvR 1872/17 - EuGRZ 2018, 69 Rn. 19). An die Widerlegung dieser Vermutung sind hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylantragsteller regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass diesem im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 - NVwZ 2014, 1039 <1040>).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_20">20</a>
</dt>
<dd>
<p>2.2.2 Das Verwaltungsgericht hat - nach seiner Rechtsauffassung, dass die Zuständigkeit bereits durch Fristablauf übergegangen sei, folgerichtig - im Klageverfahren keine tatrichterlichen Feststellungen zu den tatsächlichen Verhältnissen getroffen, welche für die Beurteilung eines Zuständigkeitsübergangs nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO maßgeblich sind. Soweit das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 6. Februar 2017 einen Zuständigkeitsübergang mit Blick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in der Republik Italien geprüft und verneint hatte, hat es sich diese Ausführungen in seinem Urteil nicht ausdrücklich zu eigen gemacht und auch nicht geprüft, ob sich die Verhältnisse in der Republik Italien bis zu dem für seine Entscheidung im Klageverfahren maßgeblichen Zeitpunkt in entscheidungserheblicher Weise verändert hatten.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_21">21</a>
</dt>
<dd>
<p>Unabhängig von der Frage, ob die Beteiligten Umstände vorgetragen haben, welche die Vermutung für eine ordnungsgemäße Behandlung von Asylantragstellern in der Republik Italien substantiell erschüttern könnten, kann ein solcher Ausnahmefall ohne entsprechende tatrichterliche Feststellung revisionsgerichtlich jedenfalls nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden. In der veröffentlichten Rechtsprechung waren zwar systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in der Republik Italien überwiegend - jedenfalls für gesunde, alleinstehende junge Männer - verneint worden (statt vieler OVG Münster, Urteil vom 24. August 2016 - 13 A 63/16.A -; VG Magdeburg, Urteil vom 27. April 2017 - 8 A 674/16 -; VG Trier, Beschluss vom 20. Juli 2017 - 5 L 7778/17.TR -; VG Braunschweig, Urteil vom 26. September 2017 - 7 A 338/16 -; VG Köln, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 19 K 5869/16.A -; VG Freiburg, Beschluss vom 10. Januar 2018 - A 4 K 6049/17 -; VG Augsburg, Urteil vom 22. Januar 2018 - Au 5 K 17.50400 - und VG Bayreuth, Beschluss vom 26. Januar 2018 - B 5 S 18.50036 -). Bereits Art und Umfang der hierauf bezogenen Erwägungen in jenen Entscheidungen, die im Ergebnis das Vorliegen systemischer Mängel verneint haben, belegen indes, dass Anlass für eine dem Tatrichter vorzubehaltende Aufbereitung und Bewertung der vorhandenen Erkenntnisquellen bestand. Es kommt hinzu, dass einige Verwaltungsgerichte (s. etwa VG Hannover, Urteile vom 23. Januar 2018 - 10 A 5850/17 und 10 A 6779/17 -; vom 25. Januar 2018 - 10 A 10685/17 und 10 A 5810/17 -; vom 26. Januar 2018 - 10 A 5881/17 - und vom 30. Januar 2018 - 10 A 7134/17 -; s.a. - für die Rückführung junger Volljähriger - VG Berlin, Beschluss vom 4. Dezember 2017 - 28 L 209.17 A -; für anerkannte international Schutzberechtigte s.a. VG Minden, Urteil vom 29. November 2017 - 10 K 1823/15.A -) aufgrund der zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorliegenden Erkenntnisse nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO beachtliche Schwachstellen des Asylsystems und der Aufnahmebedingungen in der Republik Italien angenommen haben. Daran ändert nichts, dass diese Entscheidungen teils im Berufungsrechtszug keinen Bestand hatten (zu der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Hannover s. etwa OVG Lüneburg, Urteil vom 9. April 2018 - 10 LB 92/17 -). Denn für das Revisionsverfahren kommt es nicht darauf an, welche Bewertung der tatsächlichen Verhältnisse in der Republik Italien im Ergebnis sachlich richtig ist; entscheidend ist, ob der Senat diese Feststellung und Bewertung ohne tatsächliche Feststellungen treffen darf. Dies ist nicht der Fall, sodass der Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen ist.</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt>
<a name="rd_22">22</a>
</dt>
<dd>
<p>3. Die Aufhebung des verwaltungsgerichtlichen Urteils zu der Frage, ob die Entscheidung der Beklagten zu der Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG rechtmäßig ist, lässt auch keine abschließende Beurteilung der Rechtmäßigkeit der behördlichen Folgeentscheidungen in dem Bescheid zu, nämlich der Feststellung, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Ziffer 2), der Abschiebungsanordnung (Ziffer 3) und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (Ziffer 4).</p>
</dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<a name="rd_23">23</a>
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<dd>
<p>4. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.</p>
</dd>
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} | 2 B 342/18 | 2019-01-08T00:00:00 | 2019-01-29T12:51:14 | 2019-02-12T13:44:44 | Beschluss | <h2>Tenor</h2>
<p/><p>Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 4.12.2018 – 6 L 1917/18 – wird zurückgewiesen.</p><p>Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.</p><p>Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 EUR festgesetzt.</p>
<h2>Gründe</h2>
<p/>
<p><rd nr="1"/>Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch ansonsten zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den im Tenor genannten Beschluss des Verwaltungsgerichts ist unbegründet.</p>
<p><rd nr="2"/>Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, die den Umfang der Prüfung des Senats nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO bestimmen, rechtfertigen es nicht, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Abschiebung des Antragstellers auszusetzen.</p>
<p><rd nr="3"/>Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, mit dem der Antragsteller begehrt hat, den Antragsgegner zu verpflichten von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ihm gegenüber vorläufig Abstand zu nehmen, zu Recht zurückgewiesen und ausgeführt, es seien keine Rechtspositionen des Antragstellers ersichtlich, deren Verwirklichung durch die Vollziehung seiner Ausreisepflicht vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnten. Im Hinblick auf die am 3.8.2018 erfolgte Eheschließung mit Frau Z., die neben der griechischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, könne sich der Antragsteller weder auf eine direkte oder analoge Anwendung des Freizügigkeitsgesetzes noch auf Artikel 20, 21 AEUV berufen. Einem Anspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG stünden indessen die Regelversagungsgründe aus § 5 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4 AufenthG entgegen. Indem er seit seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2013 unter Aliaspersonalien im Rechtsverkehr aufgetreten sei, habe er ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 8a AufenthG verwirklicht. Dadurch, dass er über mehr als vier Jahre über seine Herkunft und sein Alter getäuscht und damit strafbewehrt falsche Angaben gemacht habe, stehe auch ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG im Raum. Hinzu komme, dass der Antragsteller, dem zuvor bereits in einem Verfahren wegen besonders schweren Diebstahls oder Hehlerei aufgrund seiner falschen Altersangabe und der daraus folgenden Anwendung des Jugendstrafrechts am 17.1.2017 eine Einstellung nach § 47 Abs. 1 JGG durch das Amtsgerichts zugute gekommen sei, mit Urteil des Amtsgerichts A-Stadt vom 16.5.2018 (rechtskräftig geworden am gleichen Tag) wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen in Tatmehrheit mit gewerbsmäßigem unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden sei, deren Vollstreckung zur Bewährung (Bewährungszeit: fünf Jahre) ausgesetzt worden sei. Aufgrund dieser abgeurteilten Straftaten liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor. Soweit gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abgesehen werden könne, sei zu sehen, dass der Antragsteller ohne das für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderliche Visum eingereist sei und nicht berechtigt sei, nach Maßgabe der auf § 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG beruhenden Bestimmung des § 39 AufenthV nach der Einreise ins Bundesgebiet die von ihm begehrte Aufenthaltserlaubnis einzuholen. Dem Antragsteller stehe daher weder ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu noch könne es für ihn auch unter Berücksichtigung des Schutzes der Ehe durch Artikel 6 GG und Artikel 8 EMRK als unzumutbar angesehen werden, das Visumverfahren nachzuholen. Besondere Umstände, die auch nur eine vorübergehende Trennung der Eheleute als nicht mehr hinnehmbar erscheinen ließen, seien nicht feststellbar.</p>
<p><rd nr="4"/>Die vom Antragsteller mit seiner Beschwerde dagegen vorgebrachten Gründe rechtfertigen eine Änderung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht.</p>
<p><rd nr="5"/>Der Antragsteller macht geltend, er habe einen Anspruch auf ermessensgerechte Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Hinblick auf die zwischenzeitlich aufgrund der Schwangerschaft seiner Ehefrau vorliegende familiäre Situation. Die behandelnde Frauenärztin habe mit Schreiben vom 13.12.2018 bestätigt, dass seine Ehefrau durch die beabsichtigte Abschiebung seelisch sehr belastet und der Erhalt der Familie aus ärztlicher Sicht geboten sei. Von daher sei nunmehr von dem Antragsgegner zu prüfen, ob nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden könne, wobei unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten seine familiären Belange angemessen zu berücksichtigen seien.</p>
<p><rd nr="6"/>Dieses Vorbringen rechtfertigt nicht die Aussetzung der Abschiebung, denn der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch i.S.v. § 123 Abs. 1 VwGO glaubhaft gemacht. Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand im Beschwerdeverfahren besteht kein sicherungsfähiger Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG oder auf Aussetzung der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG. Es spricht nichts mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Abschiebung des Antragstellers gegenwärtig rechtlich unmöglich ist, weil sie unzumutbar in seine durch Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten familiären Beziehungen eingriffe.</p>
<p><rd nr="7"/>Die Aussetzung der Abschiebung zur Sicherung eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kommt nicht in Betracht. Nach der genannten Vorschrift kann einem Ausländer, der - wie der Antragsteller - vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht vor. Derzeit ist die Ausreise des Antragstellers nicht rechtlich oder tatsächlich unmöglich. Die Nachholung des Visumverfahren aus dem Heimatland ist dem Antragsteller auch unter Berücksichtigung seiner durch Art. 6 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Belange zumutbar. Sowohl mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG und ebenso mit Art. 8 Abs. 1 EMRK ist es grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung des erforderlichen Visums zu verweisen.(vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 10.5.2008– 2 BvR 588/08 –, juris) Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik begehrt, regelmäßig hinzunehmen.(vgl. Beschluss des Senats vom 26.2.2010 - 2 B 511/09 -, juris) Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die vorherige Durchführung eines Visumverfahrens wichtigen öffentlichen Sicherheitsinteressen dient.(vgl. BayVGH, Beschluss vom 21.2.2013 - 10 CS 12.2679 -, juris) Sie soll gewährleisten, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug vor der Einreise geprüft werden können, um die Zuwanderung von Personen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, von vornherein zu verhindern. Das öffentliche Sicherheitsinteresse ist hier erheblich betroffen, weil der Antragsteller seit der Begründung seines Aufenthalts in Deutschland im Januar 2013 unter falschem Namen sowie unter Täuschung über seine Staatsangehörigkeit aufgetreten ist, in den folgenden Jahren diese Täuschung bis im März 2017 aufrechtgehalten hat, und er während seines Aufenthaltes wiederholt und in erheblichem Maße straffällig geworden ist. Art. 6 GG könnte derzeit allenfalls dann im Rahmen der Beurteilung einer Unmöglichkeit aus rechtlichen Gründen Bedeutung haben, wenn glaubhaft vorgetragen würde, seine Ehefrau und damit auch das ungeborene Kind seien auf den Beistand des Antragstellers angewiesen. Erfüllt die Familie im Kern die Funktion einer Beistandsgemeinschaft, weil ein Familienmitglied die Lebenshilfe eines anderen Familienmitgliedes angewiesen ist, und kann dieser Beistand nur in Deutschland erbracht werden, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen Deutschlands nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurück. Andernfalls sind dem im Bundesgebiet lebenden Familienmitglied grundsätzlich Anstrengungen zumutbar, die familiäre Lebensgemeinschaft durch Besuche oder nötigenfalls zur Gänze im Ausland herzustellen. Das Bestehen einer familiären Beistandsgemeinschaft in diesem Sinne ist im vorliegenden Fall indes nicht glaubhaft gemacht. Im Rahmen der Beschwerde wird geltend gemacht, die Ehefrau sei durch die beabsichtigte Abschiebung des Antragstellers seelisch sehr belastet, in der Schwangerschaft sei die Unterstützung durch den Kindsvater wichtig und wünschenswert und der Erhalt der Familie sei auch aus ärztlicher Sicht geboten (vgl. Schreiben der behandelnden Frauenärztin Dr. med. E. S. vom 13.12.2018). In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist anknüpfend an die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze anerkannt, dass die Schutzpflichten aus Art. 6 GG, die prinzipiell erst ab der Geburt eines Kindes einsetzen, in besonders gelagerten Ausnahmefällen Vorwirkungen mit der Folge entfalten können, dass die beabsichtigte Abschiebung auch eines werdenden Vaters unzumutbar sein kann(vgl. Beschluss vom des Senats vom 26.2.2010 – 2 B 511/09 – mit weiteren Nachweisen, juris). Eine solche Sondersituation ist etwa dann anzunehmen, wenn eine Gefahrenlage für das ungeborene Kind und/oder die Mutter wegen einer sogenannten Risikoschwangerschaft besteht und die Unterstützung der Schwangeren durch den abzuschiebenden Ausländer zumindest überwiegend wahrscheinlich ist. Anhaltspunkte für eine Risikoschwangerschaft, die Gefahr einer Frühgeburt oder mangelnde körperliche Leistungsfähigkeit der Ehefrau des Antragstellers infolge der Schwangerschaft werden aber nicht vorgetragen. Eine Sondersituation, die es dem Antragsteller unzumutbar macht, zum derzeitigen Zeitpunkt eine Trennung für die Dauer der Durchführung des Visumverfahrens hinzunehmen, besteht demzufolge nicht. Sein in diesem Zusammenhang erhobener Einwand, die voraussichtliche Dauer einer Trennung sei unzumutbar lang, weil gegen ihn eine Einreisesperre in Höhe von zwei Jahren verhängt worden sei und er überdies bei Wiedereinreise im Falle eines Widerrufs einer Strafaussetzungsentscheidung noch die zweijährige Haftstrafe verbüßen müsse, verfängt nicht. Abgesehen davon bestünde bei Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung die Möglichkeit, die familiäre Lebensgemeinschaft in Deutschland vorübergehend wenigstens durch Besuche herzustellen.</p>
<p><rd nr="8"/>Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass auch ein sicherungsfähiger Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG aller Voraussicht nach nicht besteht.</p>
<p><rd nr="9"/>Die Beschwerde ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.</p>
<p><rd nr="10"/>Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47, 52, 53 Abs. 2 Nr. 1, 63 Abs. 2 GKG.</p>
<p><rd nr="11"/>Dieser Beschluss ist unanfechtbar.</p>
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|
171,303 | lagd-2019-01-08-3-ta-519 | {
"id": 793,
"name": "Landesarbeitsgericht Düsseldorf",
"slug": "lagd",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Arbeitsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 3 Ta 5/19 | 2019-01-08T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:47 | 2019-02-12T13:44:37 | Beschluss | ECLI:DE:LAGD:2019:0108.3TA5.19.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>I.Auf die sofortige Beschwerde der Verfügungsklägerin vom 21.12.2018 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 11.12.2018 aufgehoben und das einstweilige Verfügungsverfahren zur mündlichen Verhandlung und erneuten Entscheidung - einschließlich der Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das Arbeitsgericht Oberhausen zurückverwiesen.</p>
<p>II.Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen. </p>
<p>III.Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.250,- € festgesetzt.</p>
<p>- 2 -</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">G r ü n d e:</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">I.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Verfügungsklägerin erstrebt mit ihrer am 30.11.2018 bei dem Arbeitsgericht Oberhausen eingereichten Antragsschrift den Erlass einer einstweiligen Verfügung auf vorläufige Beschäftigung als Auszubildende im Betrieb der Verfügungsbeklagten.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Verfügungsklägerin ist bei der Verfügungsbeklagten seit dem 22.08.2018 auf der Grundlage eines Ausbildungsvertrages vom 27.08.2018 als Auszubildende für den Beruf der Altenpflegerin gegen eine Ausbildungsvergütung von 1.250,- € brutto monatlich beschäftigt. Eine Probezeit ist nicht vereinbart. Nachdem die Verfügungsklägerin ihre Ausbildung am 01.04.2016 bei einem anderen Ausbilder begonnen hatte, wurde sie von der Verfügungsbeklagten mit dem vorstehend zitierten Ausbildungsvertrag als Auszubildende im dritten Ausbildungsjahr eingestellt und die Ausbildung bei ihr fortgesetzt. Das voraussichtliche Ende der Ausbildung ist im Vertrag mit dem 31.03.2019 angegeben. In den Monaten Januar bis März 2019 sind die praktische, schriftliche und abschließende mündliche Prüfung vorgesehen.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 16.10.2018, der Verfügungsklägerin am 19.10.2018 zugegangen, kündigte die Verfügungsbeklagte das Ausbildungsverhältnis fristlos. In dem Kündigungsschreiben, wegen dessen Wortlauts im Übrigen auf Blatt 18 der Akte Bezug genommen wird, werden folgende Kündigungsgründe genannt:</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">?"Sie haben sich nicht fristgerecht krank gemeldet. Sie waren am 11. und 12.10. krank geschrieben, hier erfolgte die Krankmeldung nicht fristgerecht vor Schulbeginn. Hierfür spreche ich Ihnen eine Abmahnung aus."</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">?"Die Folgekrankmeldung erfolgte ebenfalls nicht fristgerecht, sondern erst am 16.10. in der Mittagszeit, so dass hiermit eine fristlose Kündigung gerechtfertigt ist."</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">?"Ihr Auftreten mir gegenüber ist respektlos und unerzogen. Sie haben mir 2mal die AU wortlos auf den Schreibtisch geworfen und sind wieder gegangen. Ein solches Verhalten lässt eine weitere Zusammenarbeit nicht zu. Zu dem muss man daraus schlussfolgern, das Ihr Verhalten unseren Patienten gegenüber, genau so sein wird."</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">?Ihre Fehlzeiten sind so hoch, das eine Zulassung zur Prüfung voraussichtlich sowieso abgelehnt wird, somit ist Ihre Ausbildung hinfällig."</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">- 3 -</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Gegen diese Kündigung hat die Klägerin mit Klageschrift vom 05.11.2018 vor dem Arbeitsgericht Oberhausen Kündigungsschutzklage zu dem Aktenzeichen 3 Ca 1425/18 erhoben. Mit Antragsschrift vom 30.11.2018 hat sie zudem das vorliegende einstweilige Verfügungsverfahren eingeleitet.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Sie beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">die Verfügungsbeklagte zu verurteilen, sie ab sofort im Rahmen des zwischen den Parteien geschlossenen Ausbildungsverhältnisses vom 22.08.2018 in ihrem Betrieb zu beschäftigen bis zur Entscheidung im Verfahren zu dem Aktenzeichen 3 Ca 1425/18 des Arbeitsgerichts Oberhausen, längstens bis zum Fristablauf.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die - anwaltlich nicht vertretene - Verfügungsbeklagte hat sich im Verfahren bislang nicht geäußert.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Das Arbeitsgericht Oberhausen hat den Antrag mit Beschluss vom 11.12.2018 ohne mündliche Verhandlung und durch den Vorsitzenden allein zurückgewiesen und dies damit begründet, dass kein Verfügungsanspruch bestehe. Bis zu einem erstinstanzlich der Kündigungsschutzklage stattgebenden Urteil überwiege das Interesse der Verfügungsbeklagten an einer Nichtbeschäftigung der Verfügungsklägerin. Das sei auch nicht ausnahmsweise deshalb anders zu beurteilen, weil die Kündigung offensichtlich unwirksam wäre, denn gerade das sei nicht der Fall.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Gegen den ihr über ihre Prozessbevollmächtigten am 11.12.2018 zugestellten Beschluss hat die Verfügungsklägerin mit am 21.12.2018 bei dem Arbeitsgericht Oberhausen eingereichtem anwaltlichem Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Dieser hat das Arbeitsgericht durch Entscheidung des Vorsitzenden vom 28.12.2018 nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht vorgelegt.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">II.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht im Sinne von §§ 78 Satz 1 ArbGG, 567, 569 ZPO eingelegt worden.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet und führt im vorliegenden Fall ausnahmsweise gemäß §§ 78 Satz 1 ArbGG, 572 Abs. 3 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung des Verfahrens zur mündlichen Verhandlung und erneuten Entscheidung an das Arbeitsgericht Oberhausen.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">- 4 -</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">a. Die Aufhebung und Zurückverweisung ist im vorliegenden Fall wegen eines schweren Verfahrensfehlers, nämlich der erstinstanzlichen Entscheidung durch den hierfür unzweifelhaft nicht zuständigen Vorsitzenden statt der Kammer und damit wegen Entscheidung unter Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erforderlich.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">In arbeitsgerichtlichen Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gilt § 62 Abs. 2 ArbGG. Nach dessen Satz 1 finden die entsprechenden Vorschriften der ZPO Anwendung. Satz 2 bestimmt allerdings spezialgesetzlich und abweichend von § 937 Abs. 2 ZPO, dass die Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung in dringenden Fällen, "auch dann, wenn der Antrag zurückzuweisen ist", ohne mündliche Verhandlung ergehen kann. Nur dann ist zudem gemäß § 53 Abs. 1 ArbGG die Alleinentscheidungskompetenz des Vorsitzenden - ohne die bei mündlichen Verhandlungen obligatorische Zuziehung der ehrenamtlichen Richter - gegeben. Dementsprechend hat die Entscheidung darüber, ob mit oder ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, unmittelbar Einfluss auf die Bestimmung des gesetzlichen Richters.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Enger als § 937 Abs. 2 ZPO, wo eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung sowohl bei besonderer Dringlichkeit als auch im Falle der Zurückweisung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung durch den Vorsitzenden ohne mündliche Verhandlung erfolgen kann, schreibt § 62 Abs. 2 Satz 2 ArbGG für das arbeitsgerichtliche Verfahren vor, dass die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nur in dringenden Fällen möglich ist. Durch die Wendung "auch dann, wenn der Antrag zurückzuweisen ist" wird hier in Abweichung von § 937 Abs. 2 ZPO keine unabhängig von der Dringlichkeit bestehende Alternative beschrieben, sondern klargestellt, dass bei dringlichen Fällen "auch dann" ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, wenn eine zurückweisende Entscheidung - mithin aus anderen Gründen als der Dringlichkeit - erfolgt. Die Grundvoraussetzung der besonderen Dringlichkeit muss aber auch dann erfüllt sein, anderenfalls ist aufgrund mündlicher Verhandlung und damit unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu entscheiden (allg. M., vgl. LAG Schleswig-Holstein vom 26.05.2011 - 1 Ta 76c/11, juris, Rz. 24; LAG Sachsen vom 08.04.1997 - 1 Ta 89/97, MDR 1997, 855 f.; GMP/Germelmann, ArbGG, 8. Auflage, § 62 Rn. 85; Walker in Schwab/Weth, ArbGG, 5. Auflage, § 62 Rn. 115 m.w.N.).</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Da es sich um eine für die Bestimmung des gesetzlich zuständigen Richters entscheidende Frage handelt, ob und warum ein dringender Fall nach § 62 Abs. 2 Satz 2 ArbGG vorliegt (LAG Schleswig-Holstein vom 26.05.2011 - 1 Ta 76c/11, juris, Rz. 25) und darüber hinaus mit dieser Verfahrensentscheidung der - weitere verfassungsrechtlich gewährleistete - Anspruch auf rechtliches Gehör</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">- 5 -</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">unmittelbar betroffen ist, muss eine Entscheidung, die entgegen dem gesetzlichen Leitprinzip der Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung ausnahmsweise ohne diese und damit in anderer Besetzung des Spruchkörpers ergeht, eine zumindest kurze Begründung zu den Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Satz 2 ArbGG enthalten (so ebenfalls LAG Schleswig-Holstein vom 26.05.2011 - 1 Ta 76c/11, juris, Rz. 27 m.w.N.). Denn grundsätzlich ist zwar der Einfluss, den ein Vorsitzender durch seine Befugnis zur Terminierung auf die Zusammensetzung der Richterbank gewinnen kann, mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar, da die Anberaumung von Gerichtsterminen nicht ohne Rücksicht auf den Sach- und Streitstand erfolgen kann (BVerfG vom 20.03.2007 - 2 BvR 2470/06, juris, Rz. 25). Die Terminierung ist, um den von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erstrebten Zweck zu erreichen, aber jedenfalls einer Willkürkontrolle zu unterziehen (BVerfG a.a.O.) und wird diesem Maßstab nicht gerecht, wenn sie weder die Beachtung der insoweit relevanten gesetzlichen Grundlage erkennen lässt noch überhaupt eine Begründung für das richterliche Vorgehen der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und damit in anderer Spruchkörperzusammensetzung enthält.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Der angefochtene Beschluss enthält keinerlei Begründung für die Entscheidung durch den Vorsitzenden ohne mündliche Verhandlung. Ihm ist nicht zu entnehmen, ob die gesetzliche Vorschrift des § 62 Abs. 2 Satz 2 ArbGG gesehen und geprüft worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus liegen die Voraussetzungen des dringenden Falles hier auch erkennbar nicht vor. Ein dringender Fall im Sinne von § 62 Abs. 2 Satz 2 ArbGG liegt vor, wenn im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes die Warnung des Gegners oder die Zeitdauer, die mit einer mündlichen Verhandlung verbunden ist, vermieden werden muss und die zeitliche Dringlichkeit nicht auf ein zögerliches Verhalten des Antragstellers zurückzuführen ist (Walker in Schwab/Weth, ArbGG, 5. Auflage, § 62 Rn. 115 m.w.N.). Der dringende Fall geht somit in den Anforderungen noch deutlich über die des ohnehin stets erforderlichen Verfügungsgrundes hinaus. Sein Anwendungsbereich ist eng zu fassen, da mit ihm eine Ausnahme zu dem Grundsatz der mündlichen Verhandlung als Regelfall auch bei der einstweiligen Verfügung ermöglicht wird, damit zugleich der gesetzliche Richter (Kammer unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter oder Alleinentscheidung des Vorsitzenden) bestimmt und der Umfang des rechtlichen Gehörs geschmälert wird.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">In Anwendung dieser Grundsätze liegt der Ausnahmefall einer besonderen Dringlichkeit hier nicht vor. Unabhängig davon, dass schon die Antragstellerin seit Zugang der fristlosen Kündigung nahezu 1 ½ Monate bis zur Beantragung einer einstweiligen Verfügung hat verstreichen lassen, hat das Arbeitsgericht vor seiner Entscheidung noch mit einer Stellungnahmefrist von einer Woche beide</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">- 6 -</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Parteien zu der beabsichtigten Entscheidung angehört. Allein diese Zeit hätte bereits problemlos ausgereicht, die Sache zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer zu terminieren und dann zu entscheiden. Indem hier jedoch ohne jede Begründung in einem offensichtlich nicht dringenden Fall gleichwohl im Wege der Alleinentscheidung ohne mündliche Verhandlung entschieden worden ist, liegt der Entscheidung ein schwerwiegender Verfahrensfehler zugrunde, denn sie ist nicht durch den gesetzlichen Richter getroffen worden. Das wäre aufgrund notwendiger mündlicher Verhandlung die Kammer gewesen.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">b. Dieser schwerwiegende Verfahrensfehler führt hier ausnahmsweise zur Aufhebung und Zurückverweisung.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Diese ist zulässig. Im Beschwerdeverfahren findet § 68 ArbGG keine Anwendung, vielmehr sind über § 78 Satz 1 ArbGG die Vorschriften der § 567 ff ZPO heranzuziehen (LAG Schleswig-Holstein vom 26.05.2011 - 1 Ta 76c/11, juris, Rz. 31-33; LAG Sachsen vom 08.04.1997 - 1 Ta 89/97, MDR 1997, 855; GMP/Müller-Glöge, ArbGG, 8. Auflage, § 78 Rn. 34 f.; Walker in Schwab/Weth, ArbGG, 5. Auflage, § 78 Rn. 55). Nach § 572 Abs. 3 ZPO kommt eine Zurückverweisung an das Ausgangsgericht unter anderem auch dann in Betracht, wenn der angefochtenen Entscheidung ein schwerwiegender Verfahrensfehler zugrunde liegt (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 32. Auflage, § 572 Rn. 23; OLG Celle vom 27.09.2002 - 6 W 118/02, juris). Grundsätzlich liegt die Entscheidung über eine Zurückverweisung auch bei schweren Verfahrensfehlern im Ermessen der Beschwerdekammer. Dabei ist insbesondere das besondere Beschleunigungsinteresse im arbeitsgerichtlichen Verfahren und mehr noch im vorliegenden Fall das Beschleunigungsinteresse im einstweiligen Verfügungsverfahren zu berücksichtigen. Andererseits hat aber auch Berücksichtigung zu finden, dass Verfahrensfehler, die durch die erstinstanzliche Entscheidung eines unzuständigen Richters verursacht werden, unmittelbar verfahrensgrundrechtliche Auswirkungen (gesetzlicher Richter, rechtliches Gehör) haben und durch das Beschwerdegericht nicht korrigierbar sind, sondern vielmehr im Falle einer eigenen Sachentscheidung auch dessen Zuständigkeit in Frage stellen können (vgl. OLG Celle vom 27.09.2002 - 6 W 118/02, juris, Rz. 7). Denn bei Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung wäre im vorliegenden Fall das zutreffende Rechtsmittel die Berufung gewesen. Berufungsverfahren (Sa-Verfahren) werden nach dem Geschäftsverteilungsplan des Landesarbeitsgerichts separat und anders auf die Kammern verteilt als Beschwerdesachen (Ta-Verfahren).</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Hier kommt hinzu, dass der aus einer Zurückverweisung resultierende Verzögerungszeitraum geringfügig und vor dem Hintergrund des bereits verstrichenen Zeitraumes seit Ausspruch der Kündigung für beide Parteien hinnehmbar ist. Die sofortige Beschwerde ist beim Landesarbeitsgericht am</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">- 7 -</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">03.01.2019 eingegangen. Mit der vorliegenden Entscheidung ist ein Zeitverzug von nur 5 Tagen (einschließlich eines Wochenendes) für die Parteien verbunden. Andererseits hätte die Beschwerdekammer im Falle einer Sachentscheidung selbst terminieren und der Beklagten noch gesondert rechtliches Gehör gewähren müssen, denn nach summarischer Prüfung erscheint die Ansicht des Arbeitsgerichts, die fristlose Kündigung sei hier nicht offenkundig unwirksam, kaum haltbar. Eine verspätete Krankmeldung vermag ohne einschlägige vorherige Abmahnung auf den ersten Blick erkennbar keine außerordentliche, fristlose Kündigung zu begründen. Liegt also wie hier - durch eidesstattliche Versicherung der Verfügungsklägerin glaubhaft gemacht - ein Arbeitsverhältnis ohne bisherige Abmahnungen vor und erfolgt dann die erste Abmahnung wegen verspäteter Krankmeldung zeitgleich im Kündigungsschreiben, so dass diese erkennbar keinerlei Steuerungswirkung entfalten konnte, bringt die Ausbilderin zum einen selbst schon zum Ausdruck, dass der geltend gemachte Kündigungsgrund ohne einschlägige Abmahnung keine Kündigung rechtfertigt und zum anderen liegt eine solche einschlägige Abmahnung offensichtlich nicht vor, da kündigungsrechtlich von Bedeutung immer nur einschlägige Abmahnungen sein können, die der Arbeitnehmer zuvor bereits erhalten hatte. Welchen Sinn sollte eine Abmahnung denn sonst auch haben? Das so bezeichnete "respektlose und unerzogene" Verhalten, das der Verfügungsklägerin vorgeworfen wird, hat gleichfalls auf den ersten Blick erkennbar kein solches Gewicht, dass es ohne vorangegangene Abmahnung eine Kündigung rechtfertigen könnte - selbst unterstellt, bei entsprechender Substantiierung dieses Vorwurfes wäre die Verfügungsbeklagte noch in der Lage, überhaupt einen konkreten Verstoß der Verfügungsklägerin gegen ihre Pflichten zu begründen. Schließlich sind die unsubstantiiert im Kündigungsschreiben benannten Fehlzeiten offenkundig nicht geeignet eine fristlose Kündigung zu begründen, da sie schon gar kein Fehlverhalten der Verfügungsklägerin beschreiben und die restlichen Annahmen der Verfügungsbeklagten zu daraus resultierenden Auswirkungen auf die Zulassung zur Prüfung rein spekulativ sind. Schon angesichts der Offenkundigkeit der Unwirksamkeit der Kündigung, die auf andere als die nach § 22 Abs. 3 BBiG hier schriftlich genannten Gründe im Prozess nicht mehr gestützt werden kann (BAG vom 12.02.2015 - 6 AZR 845/13, juris, Rz. 91), erst recht aber angesichts des zugunsten der Verfügungsklägerin in die Abwägung einzubeziehenden Umstandes, dass sie sich in der Endphase ihrer Ausbildung befindet und hier besonders triftige Gründe für eine vorzeitige Beendigung des Ausbildungsverhältnisses in Anbetracht der Auswirkungen auf die Möglichkeit zur erfolgreichen Ablegung der Prüfung und damit der Erzielung des Berufsabschlusses bestehen müssten, wird das Arbeitsgericht eine erneute Prüfung des Beschäftigungsinteresses in Abwägung mit dem Beendigungsinteresse der Verfügungsbeklagten vorzunehmen haben. Sodann wird noch der Verfügungsgrund zu prüfen sein.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">- 8 -</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Diese Prüfung nun in der Beschwerdeinstanz vorzunehmen und hier Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen, würde zugleich bedeuten, die bislang im Verfahren passive Verfügungsbeklagte, die angesichts der erstinstanzlich erteilten Hinweise und Entscheidungen auch keinen Anlass zur Geltendmachung von Einwänden hatte, unmittelbar zu zwingen, im Beschwerdeverfahren nunmehr ihre Rechte mit anwaltlichem Vertreter wahrzunehmen. Denn für die mündliche Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht gilt auch im Beschwerdeverfahren der Vertretungszwang nach § 11 Abs. 4 ArbGG (allg. M.: Schwab in Schwab/Weth, ArbGG, 5. Auflage, § 78 Rn. 32 m.w.N.). Weder ist es zeitlich erforderlich noch vor diesem Hintergrund angemessen, die nun anstehende und aufgrund mündlicher Verhandlung vor der Kammer zu erfolgende Sachentscheidung im Beschwerderechtszug vorzunehmen. Dies wird das Arbeitsgericht Oberhausen vielmehr nach § 572 Abs. 3 ZPO nach Zurückverweisung selbst nachzuholen und dann erneut in der Sache zu entscheiden haben.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Dabei kommt dem Umstand, dass keine der Parteien sich auf die hier festgestellte Verletzung des Grundsatzes des gesetzlichen Richters berufen und eine Zurückverweisung beantragt hat, kein entscheidendes Gewicht für die nunmehr gleichwohl erfolgende Zurückverweisung zu. Diese muss nicht beantragt werden, sondern steht nach § 572 Abs. 3 ZPO allein im Ermessen des Beschwerdegerichts. Dieses wurde wie vorstehend ersichtlich ausgeübt. Auf das Recht auf Entscheidung durch den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG kann auch keine der Parteien wirksam verzichten, da seine Beachtung im öffentlichen Interesse liegt (BGH vom 15.10.2013 - II ZR 112/11, juris, Rz. 7). Mithin mussten die Parteien - was auch angesichts des Beschleunigungsgebots im einstweiligen Verfügungsverfahren untunlich gewesen wäre - nicht zuvor noch gesondert angehört und gefragt werden, ob sie mit einer Zurückverweisung einverstanden sind oder den vorliegenden Besetzungsmangel der erstinstanzlichen Entscheidung hinnehmen wollen.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Für die erneute Entscheidung durch das Arbeitsgericht wird darauf hingewiesen, dass dieses an die vorstehenden Ausführungen zur Erforderlichkeit der mündlichen Verhandlung analog § 563 Abs. 2 ZPO gebunden ist. Die Bindungswirkung erstreckt sich allerdings nicht auf die Einschätzung der Beschwerdekammer zu offensichtlichen Unwirksamkeit der Kündigung der Verfügungsbeklagten, da die diesbezüglichen Erwägungen nicht tragend für die Zurückverweisung sind.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Das Arbeitsgericht wird bei seiner erneuten Entscheidung zugleich über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">- 9 -</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">III.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Die Rechtsbeschwerde wird mangels dies nach §§ 78 Satz 2, 72 ArbGG rechtfertigender Gründe nicht zugelassen.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Die Festsetzung des Gegenstandswertes entspricht einem Bruttoausbildungsverdienst.</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Diese Entscheidung ergeht ihrerseits ohne mündliche Verhandlung und durch den Vorsitzenden auf der Grundlage des § 78 Satz 3 ArbGG.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="h2 absatzLinks">R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel gegeben.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Klein</p>
|
171,302 | ag-rheine-2019-01-08-4-c-6718 | {
"id": 725,
"name": "Amtsgericht Rheine",
"slug": "ag-rheine",
"city": 485,
"state": 12,
"jurisdiction": "Ordentliche Gerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": "Amtsgericht"
} | 4 C 67/18 | 2019-01-08T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:46 | 2019-02-12T13:44:37 | Urteil | ECLI:DE:AGST3:2019:0108.4C67.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Klage wird abgewiesen.</p>
<p>Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger.</p>
<p>Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Tatbestand:</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Kläger sind gemeinschaftliche Eigentümer des Grundstücks G1. Die Beklagte ist alleinige Eigentümerin des Grundstücks Grundbuch Stadt S G 2. Die Parteien sind direkte Grundstücksnachbarn. Die Gärten grenzen auf einer Länge von etwa 13 m unmittelbar aneinander. Entlang der Grundstückgrenze befindet sich ein Holzzaun, welcher das Grundstück der Beklagten einfriedet und von dem Grundstück der Kläger abgrenzen soll. Unmittelbar an den Holzzaun der Beklagten angrenzend befindet sich auf ihrem Grundstück ein Holzschuppen, der den Zaun überragt und vom Grundstück der Kläger aus sichtbar ist. Klägerseits besteht die Absicht, den eigenen Garten umzustrukturieren und an der Grenze, aber auf dem Grundstück der Kläger, einen Metallzaun zu setzen, um das Grundstück der Kläger einzufrieden.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Kläger behaupten, die Beklagte habe den etwa 2 m hohen Holzzaun errichtet. Der Holzzaun befinde sich vollständig auf dem Grundstück der Kläger. Ferner behaupten die Kläger, der Holzschuppen habe ein Fundament, die Maße von ca. 4,50 x 3 x 2,5 m und sei sehr nur sehr wenig gepflegt. Sie sind der Ansicht, der Holzzaun, und denknotwendig der unmittelbar an diesen angrenzende baurechtlich unzulässige Holzschuppen, der auch eine visuelle Beeinträchtigung darstelle, beeinträchtigten ihr Eigentum und müssten folglich abgebaut und zurückversetzt werden.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Kläger haben ursprünglich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, den sich vollständig auf dem Grundstück der Kläger, Grundbuch Stadt S rechts G1, befindlichen Holzzaun zurückzubauen und diesen bei eventueller Neuerrichtung unter Einhaltung der gesetzlichen Mindestabstände wieder zu errichten, die Beklagte zu verurteilen, die sich auf der Grundstückgrenze ihres Grundstücks Grundbuch Stadt S G2 und dem Grundstück der Kläger Grundbuch Stadt S rechts G 2, befindliche Holzhütte zurückzubauen sowie die Beklagte ferner zu verurteilen, an der Errichtung fester Grenzzeichen gemäß § 919 BGB mitzuwirken.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Den Antrag zu 3. haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 04.09.2018 zurückgenommen.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die Kläger beantragen nunmehr,</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">1. die Beklagte zu verurteilen, den sich vollständig auf dem Grundstück der Kläger, Grundbuch S rechts, G 1, befindlichen Holzzaun zurückzubauen und diesen bei eventueller Neuerrichtung unter Einhaltung der gesetzlichen Mindestabstände wieder zu errichten,</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">2. die Beklagte zu verurteilen, die sich auf der Grundstückgrenze ihres Grundstücks Grundbuch S G 2 und dem Grundstück der Kläger Grundbuch Stadt S, G1, befindliche Holzhütte zurückzubauen.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte behauptet, der Holzzaun befinde sich vollständig auf ihrem Grundstück, sei nur 1,80 m hoch und vom Voreigentümer des Grundstücks im Jahre 1978 durch eine Fachfirma errichtet worden. Die Beklagte trägt vor, der Holzschuppen habe kein Fundament und stünde seit über 30 Jahren auf ihrem Grundstück. Sie ist der Ansicht, der Holzschuppen sei baurechtlich nicht genehmigungspflichtig.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung und verweist auf unzulässige Rechtsausübung seitens der Kläger.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 04.09.2018 durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Herrn C. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 29.10.2018 (Bl. 83-100 d.A.) verwiesen.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks"><strong>Entscheidungsgründe:</strong></p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist zulässig aber unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Das Schlichtungsverfahren i.S.d. § 53 I JustG NRW ist durchgeführt worden, jedoch ohne Erfolg geblieben.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Den Klägern steht kein Anspruch auf Beseitigung des streitgegenständlichen Holzzaunes im Wege des Rückbaus durch die Beklagte aus §§ 823 I, 1004 BGB zu.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Der Holzzaun stellt eine Störung eines geschützten Rechtsguts der Kläger i.S.d. § 823 I BGB dar. Betroffen ist das klägerische Eigentumsrecht an ihrem Grundstück. Ausweislich des Sachverständigengutachtens stehen alle sieben Pfähle des Holzzaunes der Beklagten teilweise auf dem Grundstück der Kläger. Die Überschreitungen liegen zwischen 2 cm und 12 cm (10 cm, 12 cm, 2 cm, 7 cm, 8 cm, 10 cm). Auch die zwischen den Pfählen befindlichen Zaunelemente ragen an einigen Stellen in das Grundstück der Kläger hinein. Die Überschreitungen liegen zwischen 2 cm und 4 cm (2 cm, 4 cm, 2 cm).</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die Rechtsgutsverletzung indiziert die Rechtswidrigkeit der Störung. Für die Beklagte sprechende Rechtfertigungsgründe wurden nicht vorgetragen. Insbesondere trifft die Kläger weder eine gesetzliche noch eine auf Rechtsgeschäft beruhende Duldungspflicht gemäß § 1004 II BGB.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Der Anspruch der Kläger richtet sich auch zutreffend gegen die Beklagte als Zustandsstörerin. Zustandsstörer ist derjenige, der zwar nicht selbst gehandelt hat, durch dessen maßgebenden Willen aber der beeinträchtigende Zustand aufrechterhalten wird, von dessen Willen also die Beseitigung dieses Zustands abhängt. Im vorliegenden Fall hängt die Beseitigung der Störung vom Willen der Beklagten als der Eigentümerin ihres Grundstücks ab.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Eine etwaige Verjährungseinrede der Beklagten greift zwar nicht, vgl. § 902 Abs. 1 BGB. Der Geltendmachung des Anspruchs steht allerdings der Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB entgegen. Die Voraussetzungen des § 242 BGB liegen im Einzelnen vor, wenn eine geringfügige, im Ergebnis folgenlos gebliebene Pflichtverletzung weitreichende eindeutig unangemessene Rechtsfolgen nach sich zieht. Unter Berücksichtigung von § 242 BGB kann die aufgrund einer Pflichtverletzung begehrte Rechtsfolge auch unverhältnismäßig sein, wenn diese Rechtsfolge nicht in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Pflichtverletzung steht. Im Verhältnis zwischen Nachbarn können an sich bestehende Rechte eingeschränkt werden, wenn – gemessen an der objektiven Interessenlage – besondere Umstände gegeben sind, die schutzwürdigen Interessen der einen Seite dies erfordern und schutzwürdige Belange der anderen Seite nicht entgegenstehen. Die Rücksichtnahmepflicht kann insofern die Ausübung von Eigentumsrechten beschränken.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Gemessen an den vorgenannten Grundsätzen können die Kläger die Beseitigung des Zauns nicht verlangen. Nach den Feststellungen des Sachverständigen befinden sich alle Pfähle des Holzzauns teilweise auf dem Grundstück der Kläger sowie einzelne Abschnitte der Zaunelemente. Andere Abschnitte des Zauns befinden sich jedoch ausschließlich auf dem Grundstück der Beklagten mit einigem Abstand (bis zu 4 cm) zur Grundstücksgrenze, was zumindest in diesen Bereichen zu einer faktischen Vergrößerung des Klägergrundstücks führt.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Bei einer Gesamtlänge von etwa 13 m ragt nur einer der Pfähle des Holzzauns über 10 cm über das Grundstück der Beklagten hinaus. Die Grundstücke beider Parteien sind großzügig angelegt. Eine erheblich störende Wirkung durch die sich einige Zentimeter auf dem Grundstück der Kläger befindlichen Pfähle und einzelner Zaunelemente ist mithin nicht feststellbar. Es erscheint fragwürdig, ob die von den Klägern erstrebte Versetzung des Zauns, von dem letzten Endes nur die Pfähle versetzt werden müssten, um den Grenzverlauf einzuhalten, ihnen einen nennenswerten Vorteil bringen könnte. Die dadurch gewonnene Fläche wäre minimal. Unter diesen Umständen ist die von den Klägern beanstandete Grenzverletzung allenfalls geringfügig.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Die begehrte Entfernung des Holzzaunes ist zudem unverhältnismäßig. Die dafür erforderlichen Aufwendungen stehen außer Verhältnis zu der gegebenen Eigentumsbeeinträchtigung. Alle sieben Pfähle der Zaunanlage müssten, vermutlich durch ein Fachunternehmen, ausgehoben werden, um anschließend um wenige Zentimeter verschoben zu werden. Der dabei eintretende Flächengewinn des klägerischen Grundstücks stünde außer Verhältnis zum betriebenen Aufwand.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">In diesem Zusammenhang muss auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der Holzzaun der Beklagten inzwischen seit 40 Jahren dort steht. Aufgrund des unstreitig hohen Alters erscheinen geringfügige Verschiebungen des Zaunes nach seiner Errichtung nicht unwahrscheinlich. Auch wenn es mangels eines Umstandsmoments nicht zu einer Verwirkung der Ansprüche der Kläger gekommen war, ist bei der Abwägung der Interessen im Rahmen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses das Bestandsinteresse der Beklagten zu berücksichtigen. Beachtenswert erscheint auch der Umstand, dass sich die Kläger erst an dem Zaun der Beklagten gestört haben, nachdem es in den vergangenen Jahren zu – zum Teil gerichtlichen – Auseinandersetzungen mit drei weiteren Nachbarn gekommen war.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die genannten Erwägungen stehen auch einem Anspruch der Kläger auf Rückbau des Holzzaunes aus § 861 BGB entgegen.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Den Klägern steht auch kein Anspruch auf Rückbau der Holzhütte gegen die Beklagte aus §§ 823, 1004 BGB zu. Es liegt keine Verletzung eines Rechtsguts der Kläger vor. Ausweislich der dem Gericht vorgelegten Lichtbilder der Holzhütte weist diese kein außergewöhnlich ungepflegtes Erscheinungsbild auf. Zudem ist sie für die Kläger nur in Gestalt des über den Holzzaun ragenden Daches sichtbar. Es kann deshalb dahinstehen, ob visuelle Beeinträchtigungen eine Verletzung des Eigentumsrechts i.S.d. § 823 I BGB darstellen können.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Ein Anspruch auf Beseitigung einer Eigentumsverletzung ergibt sich für die Kläger auch nicht unter Berücksichtigung bauordnungsrechtlicher Vorschriften. Gemäß § 6 XI BauO NRW sind Gebäude mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3 m über der Geländeoberfläche an der Grenze, die zu Abstellzwecken genutzt werden, ohne eigene Abstandflächen zulässig. Die Holzhütte der Beklagten wird unstreitig zu Abstellzwecken genutzt und weist eine Höhe von weniger als 3 m auf, sodass sie unmittelbar an der Grundstückgrenze aufgestellt werden durfte.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die unabhängig von der Frage des Abstandes zur Grundstücksgrenze bestehende Frage der generellen Genehmigungspflichtigkeit der Holzhütte kann ebenfalls dahingestellt bleiben. Weder haben die Kläger substantiiert vorgetragen, wie ihr Eigentum durch die behauptete fehlende Baugenehmigung für die Holzhütte beeinträchtigt sein soll noch wurden irgendwelche Gründe dafür vorgetragen, weshalb bei einer etwaigen Nachholung des bauordnungsrechtlichen Genehmigungsverfahrens eine Baugenehmigung für die Holzhütte versagt werden würde.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91; 709 ZPO.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Der Vortrag in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz des Klägervertreters vom 03.01.19 rechtfertigt nicht die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung. In dem Schreiben werden lediglich die bereits mitgeteilten Rechtsauffassungen der Klägerseite wiederholt.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Der Streitwert wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsbehelfsbelehrung:</strong></p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">1. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">2. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Die Berufung muss <strong>innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung</strong> dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Münster, Am Stadtgraben 10, 48143 Münster, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Münster zu begründen.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Münster durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.</p>
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171,301 | lg-dusseldorf-2019-01-08-25-oh-918 | {
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} | 25 OH 9/18 | 2019-01-08T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:46 | 2019-02-12T13:44:36 | Beschluss | ECLI:DE:LGD:2019:0108.25OH9.18.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Auf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 127 GNotKG wird die Kostenrechnung vom 18. Januar 2018 in der korrigierten Fassung des Notars Dr. L. aus Düsseldorf bestätigt.</p>
<p>Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration: underline;">Gründe</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">I.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Beteiligte zu 1., vertreten durch den Kommanditisten H, beauftragte den Beteiligten zu 2. mit der Fertigung des Entwurfs der Anmeldung der Sitzverlegung und der inländischen Geschäftsanschrift von Ratingen nach Düsseldorf beim Handelsregister des Amtsgerichts Düsseldorf (HRA). Der Notar fertigte den Entwurf.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Am 26. Februar 2018 wurden der neue Sitz und die geänderte Geschäftsanschrift im Handelsregister eingetragen.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Der Kostengläubiger erstellte unter dem 18. Januar 2018 eine gegen die Beteiligte zu 1. gerichtete Kostenrechnung, welche er auf Einwendungen der Beteiligten zu 1. teilweise korrigierte.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Gegen die Kostenrechnung hat die Beteiligte zu 1. einen Antrag auf Entscheidung gemäß § 127 GNotKG eingebracht.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der Präsident des Landgerichts hat unter dem 19. November 2018 Stellung genommen.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">II.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Auf Antrag der Kostenschuldnerin nach § 127 GNotKG war die streitgegenständliche Kostenrechnung vom 18. Januar 2018 in der korrigierten Fassung zu bestätigen.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der Beteiligte zu 2. hat die ursprüngliche Kostenrechnung in zulässiger Weise berichtigt und durch die korrigierte Kostenrechnung über 140,48 € ersetzt, welche nunmehr Gegenstand dieses Verfahrens ist.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">1.       Die geänderte Kostenrechnung ist rechnerisch nicht zu beanstanden und entspricht dem Zitiergebot des § 19 Abs. 2 und Abs. 3 GNotKG.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">2.       Die Gebühr des Nr. 24102 KV GNotKG für die Fertigung eines Entwurfs für eine Handelsregisteranmeldung ist entstanden, und zwar entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 1. nach einem Geschäftswert in Höhe von 30.000,-- €.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">§ 105 Abs. 5 GNotKG ist nicht einschlägig.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">§ 105 Abs. 5 GNotKG regelt den Geschäftswert für Anmeldungen, die für das Unternehmen keinen wirtschaftlichen Wert haben, sondern fast ausschließlich redaktioneller Art sind. Der Geschäftswert beträgt immer 5.000,-- €, ohne Rücksicht auf den Umfang der angemeldeten Änderung.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Das Gesetz sieht den Fall der „Änderung einer Anschrift“ ausdrücklich als Anmeldung ohne wirtschaftliche Bedeutung an. Gemeint ist die Anmeldung der Änderung der Geschäftsanschrift.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Vorliegend ist neben der Änderung der Geschäftsanschrift die Sitzverlegung zur Eintragung angemeldet worden.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Bei einer Personenhandelsgesellschaft betrifft die Anmeldung einer Sitzverlegung und der Änderung der inländischen Geschäftsanschrift (vgl. §§ 161 Abs. 2, 107 HGB) dasselbe Rechtsverhältnis bzw. dieselbe Tatsache und damit denselben Beurkundungsgegenstand (§§ 86 Abs. 2, 109, 111 Nr. 3 GNotKG), weil anders als bei einer GmbH Sitz und Geschäftsanschrift identisch sein müssen</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Diese späteren Anmeldungen sind gemäß § 105 Abs. 4 Nr. 3 GNotKG bei einer Kommanditgesellschaft mit 30.000,-- € zu bewerten (vgl. Korintenberg-Tiedtke, GNotKG, 20. Aufl., § 105 Rn. 69; Schneider/Volpert/Fölsch-Heisel, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl., § 105 GNotKG Rn. 55; Bormann/Diehn/Sommerfeldt-Bormann, GNotKG, 2. Aufl., § 105 Rn. 25).</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">3.       Die Beglaubigungsgebühr ist für die elektronische Beglaubigung der pdfA-Datei des Existenz- und Vertretungsnachweises aus England angefallen.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsbehelfsbelehrung:</strong></p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Beschwerde zulässig, die bei dem Landgericht Düsseldorf durch Einreichung einer Beschwerdeschrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden kann. Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt werde. Sie ist von dem Beschwerdeführer oder seinem Bevollmächtigten zu unterzeichnen. Die Einlegung der Beschwerde muss binnen einer Frist von einem Monat nach schriftlicher Bekanntmachung des Beschlusses erfolgen, wobei der Eingang beim Landgericht entscheidend ist.</p>
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171,212 | ovgrlp-2019-01-08-2-b-1140618 | {
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"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
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} | 2 B 11406/18 | 2019-01-08T00:00:00 | 2019-01-29T12:50:07 | 2019-02-12T13:44:22 | Beschluss | ECLI:DE:OVGRLP:2019:0108.2B11406.18.00 | <div class="docLayoutText">
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 15. Oktober 2018 wird zurückgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese Kosten selbst trägt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 41.407,14 € festgesetzt.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerde hat keinen Erfolg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem der Antragsteller seinen Anspruch auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Entscheidung über seine Bewerbung auf die im Amtsblatt des Ministeriums für Bildung vom 25. April 2016 ausgeschriebene, nach Besoldungsgruppe A 16 Landesbesoldungsordnung – LBesO – bewertete, Funktionsstelle der Oberstudiendirektorin/des Oberstudiendirektors als Schulleiterin bzw. Schulleiter des Gymnasiums M. zu sichern sucht, zu Recht abgelehnt. Denn der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – i.V.m. §§ 936, 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Die von ihm gegen dieses vorinstanzliche Ergebnis dargelegten Gründe, auf die sich die Prüfung seiner Beschwerde gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen keine Abänderung des angefochtenen Beschlusses.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Die getroffene Auswahlentscheidung zu Gunsten der Beigeladenen leidet an keinem Verfahrensfehler und hält auch inhaltlich der verwaltungsgerichtlichen Rechtmäßigkeitskontrolle stand. Der Antragsgegner hat bei seiner Entscheidung über die Vergabe der in Rede stehenden Beförderungsstelle den in Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz – GG –, Art. 19 Verfassung für Rheinland-Pfalz – LV – und § 9 Beamtenstatusgesetz – BeamtStG – niedergelegten Leistungsgrundsatz nicht zu Lasten des Antragstellers verletzt. Dies hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt. Auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses, denen sich der Senat inhaltlich anschließt, wird deshalb gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO verwiesen. Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen ist deshalb nur ergänzend auszuführen:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>I. Dem Antragsteller steht ein Anordnungsgrund zur Seite. Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz – GG – sowie Art. 19 Verfassung für Rheinland-Pfalz – LV – und § 9 Beamtenstatusgesetz – BeamtStG – gewähren jedem Deutschen ein grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Die Verbindlichkeit dieses verfassungsunmittelbar und einfachgesetzlich angeordneten Maßstabs gilt nicht nur für die unmittelbare Vergabe eines Amtes im statusrechtlichen Sinne (Beförderung, § 8 Abs. 1 Nr. 3 BeamtStG), sondern auch für die dieser Ernennung vorgelagerte Auswahlentscheidungen, durch die eine zwingende Voraussetzung für die nachfolgende Ämtervergabe vermittelt und die Auswahl für die Ämtervergabe damit vorweggenommen oder vorbestimmt wird. Ein solcher Fall der sog. Vorwirkung einer Dienstpostenübertragung für die spätere Beförderung liegt hier vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Die Auswahl unter Bewerbern, deren statusrechtliches Amt der Rangordnung nach niedriger ist als die Besoldungsgruppe, welcher der zu besetzende Dienstposten zugeordnet ist, hat nach Art. 33 Abs. 2 GG und den die Verfassungsnorm konkretisierenden beamtenrechtlichen Vorschriften nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu erfolgen. Gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 4 Landesbeamtengesetz – LBG – setzen Beförderungen, die mit einer höherwertigen Funktion verbunden sind, eine mindestens sechsmonatige Erprobungszeit voraus (vgl. auch § 12 Abs. 1 Satz 1 Laufbahnverordnung – LbVO –). Die Übertragung des höherwertigen Dienstpostens soll danach unter den Bedingungen praktischer Tätigkeit die Prognose bestätigen, dass der Inhaber des Dienstpostens – besser als etwaige Mitbewerber – den Anforderungen des Beförderungsamtes genügen wird. Nur der erfolgreich Erprobte hat anschließend die Chance der Beförderung. Er wird nach Ablauf der Bewährungsfrist faktisch konkurrenzlos gestellt. Andere Interessenten, die bislang nicht auf einem höherwertigen Dienstposten erprobt worden sind, kommen aus laufbahnrechtlichen Gründen für eine Beförderung nicht in Betracht. Damit wird die Auslese für die Übertragung eines Beförderungsamtes vorverlagert auf die Auswahl unter den Bewerbern um den Beförderungsdienstposten (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. Oktober 2007 – 2 BvR 2457/04 –, NVwZ 2008, 194; BVerwG, Urteile vom 16. August 2001 – 2 A 3.00 –, BVerwGE 115, 58 und vom 16. Oktober 2008 – 2 A 9.07 –, BVerwGE 132, 110; sowie Beschluss vom 22. November 2012 – 2 VR 5.12 –, BVerwGE 145, 112; OVG RP, Beschlüsse vom 31. Oktober 2002 – 2 B 11577/02.OVG –, ESOVGRP; vom 21. März 2011 – 2 B 10234/11.OVG –, juris, und vom 11. Juni 2014 – 2 B 10430/14.OVG –, juris; stRspr). Diese „Vorwirkung“ besteht im vorliegenden Fall.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Der vom Antragsgegner zur Neubesetzung ausgeschriebene Dienstposten des Schulleiters des Gymnasiums M. ist für den Antragsteller ein derart höherwertiger und damit „förderlicher“ Dienstposten, da er für seine Beförderung zum Oberstudiendirektor (Besoldungsgruppe A 16 LBesO) erforderlich ist. Dessen Übertragung schafft nämlich für den Antragsteller, der zurzeit ein Statusamt nach Besoldungsgruppe A 15 LBesO innehat, die laufbahnrechtlichen Voraussetzungen für eine spätere Beförderung im Sinne von § 21 Abs. 2 Nr. 4 LBG. Damit wird die Auswahl für ein späteres Beförderungsamt vorverlagert auf die Auswahl für den Beförderungsdienstposten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Diese „Vorwirkung“ begründet für den in der streitgegenständlichen Bewerberauswahl unterlegenen Antragsteller einen Anordnungsgrund. Denn mit der Aushändigung der Ernennungsurkunde zur Oberstudiendirektorin im Landesdienst nach Ablauf der Probezeit an die Beigeladene wäre ihre Ernennung wegen des Grundsatzes der Ämterstabilität nicht mehr rückgängig zu machen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. September 2007 – 2 BvR 1586/07 –, NVwZ 2008, 70 und juris, dort Rn. 9). Einer der in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannten Ausnahmefälle (vgl. hierzu etwa Urteil vom 21. August 2003 – 2 C 14.02 –, BVerwGE 118, 370 [375] und vom 4. November 2010 – 2 C 16.09 –, BVerwGE 138, Rn. 41) liegt hier erkennbar nicht vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>II. Der Antragsteller hat allerdings keinen Anordnungsanspruch im Sinne von § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO glaubhaft gemacht. Die getroffene Auswahlentscheidung zu Gunsten der Beigeladenen leidet an keinem Verfahrensfehler und hält auch inhaltlich der verwaltungsgerichtlichen Rechtmäßigkeitskontrolle stand. Der Antragsgegner hat bei seiner Entscheidung über die Vergabe der in Rede stehende Stelle den in Art. 33 Abs. 2 GG, Art. 19 LV und § 9 BeamtStG niedergelegten Leistungsgrundsatz nicht zu Lasten des Antragstellers verletzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>1. Nach Art. 33 Abs. 2 GG, Art. 19 LV und § 9 BeamtStG haben Bewerber um einen höherwertigeren Beförderungsdienstposten einen Anspruch darauf, dass der Dienstherr über ihre Bewerbung ermessens- und beurteilungsfehlerfrei allein nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung entscheidet (sog. Bestenauslese). Über diese Auswahlkriterien verlässlich Auskunft zu geben, ist in erster Linie Aufgabe von dienstlichen Beurteilungen, denen deshalb bei einer Auswahlentscheidung regelmäßig vorrangige Bedeutung zukommt. Der Dienstherr kann diesen Vorrang allerdings entfallen lassen, wenn und soweit der zu vergebende Dienstposten Eignungsanforderungen stellt, die durch den Inhalt der dienstlichen Beurteilung nicht umfassend abgedeckt sind. In diesen Fällen ist es zulässig, schon vor der eigentlichen Auswahlentscheidung ein besonderes Anforderungsprofil für die Stelle festzulegen, an dem sich alle Bewerber messen lassen müssen. Über die Eignung des Bewerberfeldes kann der Dienstherr dann in einem gestuften Auswahlverfahren befinden. Bewerber, die die allgemeinen Ernennungsbedingungen oder die laufbahnrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllen oder die aus sonstigen Eignungsgründen für die Ämtervergabe von vornherein nicht in Betracht kommen, können hierbei in einer ersten Auswahl ausgeschlossen werden und müssen nicht mehr in den Leistungsvergleich einbezogen werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. April 2006 – 2 VR 2.05 –, Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 33 Rn. 7). Gleiches gilt grundsätzlich auch für Bewerber, die zwingende Vorgaben des Anforderungsprofils nicht erfüllen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 25. Oktober 2011 – 2 VR 4.11 –, Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 50 und juris, dort Rn. 17 und 30; sowie vom 20. Juni 2013 – 2 VR 1.13 –, BVerwGE 147, Rn. 23). Bei der weiteren Eignungsprüfung anhand des Anforderungsprofils kann der Dienstherr nach Lage des Einzelfalles auch die dienstlichen Beurteilungen in ihrer Bedeutung hinter andere Erkenntnismittel, z. B. dem Ergebnis eines strukturierten sachdienlichen Auswahlgesprächs oder – wie hier – eines speziell ausgestalteten Überprüfungsverfahrens, zurücktreten lassen (vgl. OVG RP, Beschluss vom 19. Februar 2004 – 2 A 11293/03.OVG – m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Hiervon ausgehend löst sich der Antragsgegner in ständiger Verwaltungspraxis bei der Besetzung von höheren Funktionsstellen im Schuldienst vom Vorrang der dienstlichen Beurteilungen und legt seinen Auswahlentscheidungen – wie hier – bereits in der Ausschreibung besondere Anforderungen zugrunde, deren Erfüllung anhand eines speziellen und für alle Bewerber gleich ausgestalteten Auswahlverfahrens überprüft wird. Einer solchen „funktionsbezogenen Überprüfung“ kommt dabei die Aufgabe zu, die Befähigung der Bewerber im Hinblick auf die Anforderungen des konkret ausgeschriebenen schulischen Amtes und damit ihre Eignung im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG, Art. 19 LV und § 9 BeamtStG festzustellen. Die letzten dienstlichen Beurteilungen werden hierbei zwar berücksichtigt; in ihrem Gewicht treten sie jedoch regelmäßig hinter den Ergebnissen der funktionsbezogenen Überprüfung zurück (vgl. zum Vorstehenden OVG RP, Beschluss vom 6. Juni 2011 – 2 B 10452/11.OVG – und vom 5. Februar 2018 – 2 B 11786/17 –, juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Diese Vorgehensweise ist vom Grundsatz her nicht zu beanstanden. Funktionsstellen im Schuldienst stellen besondere Eignungsanforderungen, die durch den Inhalt der dienstlichen Beurteilung eines Lehrers in der Regel nicht umfassend abgedeckt sind (vgl. (vgl. OVG RP, Beschluss vom 26. Januar 1996 – 2 B 10008/96.OVG – ESOVGRP; Beschluss vom 19. Februar 2004 – 2 A 11293/03.OVG – m.w.N.). Allerdings darf den Ergebnissen der funktionsbezogenen Überprüfung nicht in jedem Fall – also gleichsam schematisch – der Vorrang gegenüber den dienstlichen Beurteilungen eingeräumt werden. Denn auch wenn die dienstliche Beurteilung eines Lehrers die Anforderungen einer Funktionsstelle nicht umfassend abdeckt, so enthält sie doch nicht selten einzelne wichtige Informationen, die unmittelbar oder mittelbar Rückschlüsse auf die Eignung für eine Funktionsstelle zulassen. Dies gilt namentlich dann, wenn der Bewerber schon zuvor Aufgaben wahrgenommen hat, die den auf der Stelle zu erfüllenden Funktionen ähneln (vgl. OVG RP, Beschluss vom 1. März 1996 – 2 B 10037/96.OVG –; Beschluss vom 28. Oktober 1993 – 2 B 12270/93.OVG – jeweils m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Auch bei der Besetzung von Funktionsstellen im Schuldienst sind daher die dienstlichen Beurteilungen der Bewerber in jedem Fall umfassend auszuwerten. Die so gewonnenen Erkenntnisse über die Eignung der Bewerber sind – mit dem ihnen zukommenden Gewicht – in eine rational nachvollziehbare Abwägung mit den Ergebnissen der funktionsbezogenen Überprüfung einzustellen. Eine erhöhte Begründungslast trifft den Dienstherrn dabei jedenfalls dann, wenn – wie hier – ein Bewerber trotz deutlich besserer und für das Anforderungsprofil aussagekräftiger Beurteilung bei der Auswahl übergangen werden soll. Das Anforderungsprofil ist hier gleichsam „Schritt für Schritt“ abzuarbeiten, indem die eignungsrelevanten Erkenntnisse aus den dienstlichen Beurteilungen und den funktionsbezogenen Überprüfungen den einzelnen Merkmalen des Anforderungsprofils zugeordnet und dort in nachvollziehbarer Weise gewichtet und abgewogen werden. Das abschließende Eignungsurteil über die Bewerber ist sodann aufgrund einer Gesamtabwägung zu treffen, wobei die Einzelmerkmale des Anforderungsprofils nach ihrer Bedeutung für die Aufgabenwahrnehmung auf der Stelle gewichtet werden können. Dabei ist im Blick zu halten, dass eine dienstliche Beurteilung Beobachtungen über einen längeren Zeitraum abdeckt, während die funktionsbezogene Überprüfung einen eher punktuellen Eindruck vermittelt (vgl. OVG RP, Beschluss vom 25. August 1998 – 2 B 11710/98.OVG – ESOVGRP –; auch Beschluss vom 28. Oktober 1993 – 2 B 12270/93.OVG –).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>2. Ausgehend von diesen, vom Senat in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsätzen ist die Auswahlentscheidung des Antragsgegners zugunsten der Beigeladenen nicht zu beanstanden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>a) Dies gilt zunächst, soweit die Durchführung und das Ergebnis des schulfachlichen Überprüfungsverfahrens betroffen sind. Sowohl in der Bewertung der sog. Unterrichtsmitschau einer fachfremden Unterrichtsstunde mit anschließendem Beratungsgespräch als auch der Leitung einer Gesamtkonferenz und dem funktionsbezogenen Kolloquium hat sich die Beigeladene ausweislich des Besetzungsberichts der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) vom 18. Mai 2017 (Bl. 2 ff. des Besetzungsvorgangs – BV –) gegenüber allen Bewerbern als die bessere Kandidatin für die Übernahme der Schulleiterstelle präsentiert. Da sich der Antragsteller sowohl mit seinem Eilantrag als auch mit der Beschwerde ausschließlich auf die Frage der hinreichenden Vergleichbarkeit seiner eigenen dienstlichen Beurteilung mit derjenigen der Beigeladenen beschränkt, ist der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO gehindert, zu weiteren Fragen im Zusammenhang mit der Auswahlentscheidung des Antragsgegners Stellung zu nehmen. Deshalb beschränken sich die folgenden Ausführungen auf die mit der Beschwerde allein gerügte zeitliche Aktualität der dienstlichen Beurteilung des Antragstellers.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>b) In diesem Zusammenhang ist zunächst festzuhalten, dass der Antragsgegner – entsprechend den Vorgaben des Senats – bei der Bewerberauswahl von den Ergebnissen der über die Bewerber vorliegenden dienstlichen Beurteilungen ausgegangen ist. Diese hat er sowohl in statusrechtlicher Sicht als auch in Bezug auf die Vergleichbarkeit der unter anderen Vorgaben erstellten Beurteilung der Beigeladenen als externe Bewerberin inhaltlich ausgewertet, wobei er ausweislich des Besetzungsberichts der ADD vom 18. Mai 2017 der Beigeladenen schon nach dem Ergebnis ihrer dienstlichen Beurteilung einen Vorsprung attestiert hat, der von ihr sodann im funktionsbezogenen Überprüfungsverfahren aufrechterhalten und ausgebaut worden sei (vgl. Bl. 16 BV).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>c) Entgegen der Auffassung der Beschwerde lässt sich gegen dieses, in zwei unabhängig voneinander durchgeführten Verfahrensschritten gewonnene, Ergebnis nicht erfolgreich einwenden, die dienstliche Beurteilung des Antragstellers sei als Auswahlinstrument nicht (mehr) tauglich, weil sie nicht mehr aktuell gewesen sei. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden, dass die dem Antragsteller am 24. Mai 2016 eröffnete und damit rechtswirksam gewordene dienstliche Beurteilung zum Zeitpunkt der Billigung des Besetzungsberichts der ADD vom 18. Mai 2017 durch die Ministerin für Bildung am 23. Juni 2017 ebenso aktuell war wie die der Beigeladenen am 7. Juli 2016 eröffnete Beurteilung. Auf die infolge der Einwände des Schulausschusses erst zu einem erheblich späteren Zeitpunkt erfolgte Bestätigung dieser – ungeachtet dessen zuvor bereits gefällten – Auswahlentscheidung durch die Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz kommt es dagegen ebenso wenig an wie auf die Zeitspanne, die durch das sich daran anschließende Eilverfahren verursacht worden ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>aa) Entgegen der Auffassung des Antragstellers durfte der Antragsgegner dessen dienstliche Beurteilung 24. Mai 2016 der Auswahlentscheidung zugrunde legen. Da der Antragsteller mit seiner Beschwerde die von ihm noch erstinstanzlich thematisierte Frage der unterschiedlichen Beurteilungszeiträume nicht mehr anspricht, sind aufgrund der prozessualen Beschränkung des Streitstoffes in § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nunmehr nur noch die Fragen nach der für die Bestimmung der hinreichenden Aktualität noch zu tolerierende Zeitdauer seit der Abfassung von dienstlichen Beurteilungen sowie die dabei erforderliche Festlegung von Anfangs- und Endzeitpunkt dieser Zeitspanne zu beantworten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>bb) Wann eine dienstliche Beurteilung nicht mehr aktuell ist und auf welche Zeitpunkte dabei abzustellen ist, wird im rheinland-pfälzischen Landesbeamtenrecht nicht einheitlich vorgegeben. So wird etwa im Personalbereich der Justiz festgelegt, dass eine dienstliche Beurteilung bei einer anstehenden Auswahlentscheidung grundsätzlich innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren zugrunde gelegt werden darf (Nr. 3.1.2.1 der Verwaltungsvorschrift „Dienstliche Beurteilungen der Richterinnen und Richter sowie der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte“ des Ministeriums der Justiz vom 15. August 2916, Justizblatt 2016 S. 167 – BeurteilungsVV Justiz –). Der Anfangszeitpunkt bestimmt sich insofern nach der Erstellung, das heißt Eröffnung der dienstlichen Beurteilung (vgl. OVG RP, Beschluss vom 6. August 2018 – 2 B 10761/18.OVG –, juris Rn. 6). Auch der Endzeitpunkt in diesem Personalführungsbereich wird durch die verwaltungsinterne Anweisung der Richtlinie definiert: Maßgeblich ist danach der Tag der Veröffentlichung der Stellenausschreibung im Justizblatt (Nr. 3.2 BeurteilungsVV Justiz).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Derart genaue Vorgaben enthalten die Verwaltungsvorgaben im Personalbereich der Schulverwaltung von Rheinland-Pfalz nur in Bezug auf die Zeitdauer, die für eine Bestimmung der hinreichenden Aktualität einer dienstlichen Beurteilung in Betracht kommt. Diese wird nach Nr. 2.3 der Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Bildung, Frauen und Jugend und des Ministeriums für Wissenschaft, Weiterbildung, Forschung und Kultur vom 29. Januar 2002 (Gemeinsames Amtsblatt 2002, Seite 247), zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur vom 2. November 2007 (Gemeinsames Amtsblatt 2007, Seite 247) „Dienstliche Beurteilung der staatlichen Lehrkräfte an Schulen und Studienseminaren“ gleichfalls mit zwei Jahren festgelegt. Für die Bestimmung des Anfangspunktes kommt auch hier die Eröffnung der Beurteilung in Betracht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>cc) Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der hinreichenden Aktualität der für Besetzungsentscheidungen herangezogenen dienstlichen Beurteilungen ist der Zeitpunkt der vom Dienstherrn getroffenen Besetzungsentscheidung; dies ist regelmäßig der Zeitpunkt der rechtsverbindlichen Abfassung des Besetzungsberichts bzw. -vermerks durch den für die Besetzungsentscheidung zuständigen Amtswalter. Auf sich hieran anschließende Umsetzungshandlungen, z. B. die Ausfertigung der Ernennungsurkunde durch oberste Dienstbehörden (etwa, wie hier, durch die Ministerpräsidentin) oder eine Beteiligung weiterer Behörden oder Gremien (etwa Wahlausschüsse oder – wie hier – Schulträger und -ausschüsse) kommt es für die Bestimmung der hinreichenden Aktualität der der Auswahlentscheidung zugrundeliegenden dienstlichen Beurteilungen dagegen nicht an.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Dieses Ergebnis entspricht der ständigen verfassungs- und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung für den Personalbereich der Bundesbeamten. Auch hier beurteilt sich die Frage, ob eine dienstliche Beurteilung noch hinreichend aktuell ist, nach dem verstrichenen Zeitraum zwischen ihrer Erstellung (Eröffnung) bzw. dem Beurteilungsstichtag und dem Zeitpunkt der Auswahlentscheidung. So darf bei Bundesbeamten das Ende des letzten Beurteilungszeitraums zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 Bundesbeamtengesetz höchstens drei Jahre zurückliegen. Maßgeblicher Endzeitpunkt für die Bemessung des „Aktualitätszeitraums“ ist auch hier der Zeitpunkt der Auswahl (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2017 – 2 BvR 2076/16 –, NVwZ 2017, 472 und juris, dort Rn. 26; BVerwG, Beschluss vom 10. Mai 2016 – 2 VR 2.15 –, BVerwGE 155, 152 Rn. 22). Eine Auswahlentscheidung wird nach dieser Rechtsprechung insbesondere nicht dadurch rechtswidrig, dass infolge Einlegung eines Widerspruchs während des Vorverfahrens die Drei-Jahres-Grenze überschritten wird; die dienstliche Beurteilung verliert dadurch nicht ihre ursprünglich gegebene hinreichende Aktualität (vgl. hierzu ausführlich BVerwG, Beschluss vom 12. Dezember 2017 – 2 VR 2.16 –, NVwZ-RR 2018, 395 und juris, dort Rn. 53). Auch hat das Bundesverwaltungsgericht in einer früheren Entscheidung eine Auswahlentscheidung bereits als rechtswidrig beanstandet, weil eine nachträgliche, das heißt nach der Auswahlentscheidung ausgesprochene, Beförderung eines Mitbewerbers berücksichtigt und so der zeitliche Bezugspunkt in unzulässiger Weise nach hinten verschoben wurde (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2012 – 2 A 7.09 –, BVerwGE 141, 361 Rn. 37).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Aus alledem folgt, dass der Dienstherr nach dem (von ihm willkürfrei gewählten) Zeitpunkt der Auswahlentscheidung eingetretene nachträgliche Qualifikationen eines rechtsfehlerfrei nicht ausgewählten Bewerbers grundsätzlich nicht berücksichtigen muss. Dieser Willkürvorbehalt ist lediglich Ausdruck des ohnehin geltenden Grundsatzes, dass der Dienstherr das beamtenrechtliche Auswahlverfahren, etwa durch eine bewusst manipulierte Festlegung des Zeitpunktes der Auswahlentscheidung, nicht so gestalten darf, dass er dadurch gezielt einen bestimmten Bewerber auszuschließen versucht (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2016 – 2 C 27.15 –, Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 79 Rn. 35 sowie Beschluss vom 12. Dezember 2017 – 2 VR 2.16 –, juris Rn. 54). Die vorstehenden Grundsätze, die das Bundesverwaltungsgericht für das Recht der Bundesbeamten entwickelt hat und denen sich der Senat anschließt, gelten in gleichem Maße für die Beamten des Landes Rheinland-Pfalz.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>dd) Das bedeutet freilich nicht, dass der Dienstherr zeitlich nach der Abfassung des maßgebenden Besetzungsvermerks auftretende Umstände überhaupt nicht berücksichtigen dürfte. Vielmehr ist er bis zum bestands- oder rechtskräftigen Ende des Auswahlverfahrens berechtigt, nach der Erstellung der dienstlichen Beurteilung aufgetretene oder bekannt gewordene Umstände zum Anlass zu nehmen, die bereits gefällte Auswahlentscheidung zu überdenken, wenn diese geeignet sind, die zuvor getroffene Bewerberauswahl in ein anderes Licht zu rücken. Hierzu kann es kommen, wenn bei dem zuvor bereits ausgewählten Bewerber ein erforderlicher Befähigungsnachweis nachträglich wegfällt oder wenn Umstände erkennbar werden, die nach der bereits getroffenen Auswahl nunmehr Anlass bieten, an dessen Eignung zu zweifeln, etwa nach der Einleitung eines Disziplinarverfahrens. In derartigen Ausnahmefällen wäre es nach dem Grundsatz der bestmöglichen Besetzung der Stellen des öffentlichen Dienstes (Art. 33 Abs. 2 GG, Art. 19 LV, § 9 BeamtStG) schlichtweg nicht zu rechtfertigen, den Dienstherrn an der in Unkenntnis derartiger Umstände zuvor gefällten Auswahlentscheidung festhalten zu wollen. Ein solcher Ausnahmefall wird vorliegend allerdings vom Antragsteller mit seiner Beschwerde nicht geltend gemacht; dies ist auch sonst nicht ersichtlich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Eine Kostentragungspflicht in Bezug auf die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen entspricht nicht gemäß § 162 Abs. 3 VwGO der Billigkeit, da diese keine Anträge gestellt und sich somit selbst keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>IV. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 6 Gerichtskostengesetz – GKG –. Maßgebend ist nach dieser kostenrechtlichen Regelung die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge der Besoldungsgruppe A 16 LBesO mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen (§ 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 GKG). Da das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts mit einem höheren Endgrundgehalt betrifft, ist der Streitwert gemäß § 52 Abs. 6 Satz 4 GKG auf die Hälfte des sich aus Satz 1 der Vorschrift ergebenden Betrags zu reduzieren (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. November 2012 – 2 VR 5.12 –, S. 15 des Urteilsabdrucks; sowie Beschlüsse vom 20. Juni 2013 – 2 VR 1.13 –, BVerwGE 147, 20; und vom 19. Dezember 2014 – 2 VR 1.14 –, IÖD 2015, 38 und juris, dort Rn. 43; OVG RP, Beschluss vom 23. Dezember 2013 – 2 B 11209/13.OVG –, IÖD 2014, 42; NdsOVG, Beschluss vom 25. August 2014 – 5 ME 116/14 –, NVwZ-RR 2014, 941.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>V. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).</p></dd>
</dl>
</div></div>
</div>
|
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<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichterin der 1. Kammer - vom 11. Juli 2018 wird abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Streitwert des Berufungszulassungsverfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>I.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin wendet sich gegen das Erlöschen ihrer allgemeinen Beeidigung als Dolmetscherin und Ermächtigung als Übersetzerin mit Ablauf des 31. Dezember 2015.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Am 22. Juni 2000 wurde die Klägerin auf der Grundlage der vom Niedersächsischen Justizministerium erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift "Allgemeine Beeidigung von Dolmetschern" vom 15. Oktober 1951 (Nds. Rpfl. S. 194), zuletzt geändert am 28. April 1975 (Nds. RPfl. S. 104), von der Vizepräsidentin des Landgerichts A-Stadt als Dolmetscherin und Übersetzerin für die englische und die französische Sprache vereidigt und in die bei dem Landgericht A-Stadt geführte Dolmetscherliste eingetragen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Mit Schreiben vom 9. Dezember 2015 bat die Klägerin den Beklagten festzustellen, dass sie über den 31. Dezember 2015 hinaus befugt sei, die Benennung als allgemein beeidigte Dolmetscherin und Übersetzerin zu führen. Dies lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 14. Dezember 2015 ab. Zur Begründung nahm er auf die durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz und anderer Gesetze vom 8. Dezember 2010 (Nds. GVBl. S. 553) eingeführte Bestimmung in § 9h Satz 1 und 2 des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz (Nds. AGGVG) Bezug, wonach allgemeine Beeidigungen von Dolmetschern und Ermächtigungen von Übersetzern, die vor dem 1. Januar 2011 vorgenommen worden sind, spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 2015 erlöschen. Er wies die Klägerin auf die Möglichkeit hin, einen (erneuten) Antrag auf allgemeine Beeidigung nach den seit dem 1. Januar 2011 geltenden §§ 9 ff. Nds. AGGVG zu stellen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Einen Antrag der Klägerin vom 8. Februar 2016 auf Aufnahme in die Dolmetscher- und Übersetzerliste lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 16. Februar 2016 ab. Dies begründete er mit der fehlenden allgemeinen Beeidigung als Dolmetscherin und Ermächtigung als Übersetzerin, wie sie nach den Bestimmungen der durch das Gesetz zur Neuordnung von Vorschriften über die Justiz vom 16. Dezember 2014 (Nds. GVBl. S. 436) mit Wirkung vom 31. Dezember 2014 neu geschaffenen §§ 23 ff. des Niedersächsischen Justizgesetzes (NJG) erforderlich sei. Die allgemeine Beeidigung vom 22. Juni 2000 sei gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 und 2 NJG mit Ablauf des 31. Dezember 2015 erloschen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Die hierauf von der Klägerin erhobene Klage auf Aufhebung des Bescheides vom 16. Februar 2016, auf Feststellung, dass ihre Beeidigung vom 22. Juni 2000 weiterhin wirksam ist, und auf Feststellung, dass sie aufgrund der Beeidigung vom 22. Juni 2000 zum Führen der Benennung "allgemein beeidigte Dolmetscherin/Übersetzerin für die Gerichte und Notare des Landgerichtsbezirks A-Stadt" befugt ist, hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 11. Juli 2018 abgewiesen. Gegen dieses Urteil richtet sich der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Der Antrag bleibt ohne Erfolg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Die Zulassung der Berufung setzt nach § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO voraus, dass einer der in § 124 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe dargelegt ist und vorliegt. Eine hinreichende Darlegung nach § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO erfordert, dass in der Begründung des Zulassungsantrags im Einzelnen unter konkreter Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ausgeführt wird, weshalb der benannte Zulassungsgrund erfüllt sein soll. Zwar ist bei den Darlegungserfordernissen zu beachten, dass sie nicht in einer Weise ausgelegt und angewendet werden, welche die Beschreitung des eröffneten (Teil-)Rechtswegs in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert (vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.5.2018 - 2 BvR 287/17 -, juris Rn. 41 mit weiteren Nachweisen zur ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Erforderlich sind aber qualifizierte, ins Einzelne gehende, fallbezogene und aus sich heraus verständliche, auf den jeweiligen Zulassungsgrund bezogene und geordnete Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen (vgl. Senatsbeschl. v. 4.7.2018 - 13 LA 247/17 -, juris Rn. 2).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Hier sind die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.), der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (2.) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (3.) zum Teil schon nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO genügenden Weise dargelegt und liegen im Übrigen nicht vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p><strong>1. </strong>Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind zu bejahen, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.12.2009 - 2 BvR 758/07 -, BVerfGE 125, 104, 140). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - BVerwG 7 AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, 542, 543). Eine den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert, dass im Einzelnen unter konkreter Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ausgeführt wird, dass und warum Zweifel an der Richtigkeit der Auffassung des erkennenden Verwaltungsgerichts bestehen sollen. Hierzu bedarf es regelmäßig qualifizierter, ins Einzelne gehender, fallbezogener und aus sich heraus verständlicher Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen (vgl. Senatsbeschl. v. 31.8.2017 - 13 LA 188/15 -, juris Rn. 8; Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth u.a., VwGO, 7. Aufl. 2018, § 124a Rn. 80 jeweils m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p><strong>a. </strong>Die Klägerin wendet gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ein, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht ein Erlöschen der allgemeinen Beeidigung und Ermächtigung vom 22. Juni 2000 angenommen. Die allgemeine Beeidigung und Ermächtigung sei ein Verwaltungsakt, der bestandskräftig geworden und weder widerrufen noch zurückgenommen worden sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Diese Einwände setzen die angefochtene erstinstanzliche Entscheidung durchgreifenden ernstlichen Richtigkeitszweifeln nicht aus.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin weist zwar zu Recht darauf hin, dass die nach Prüfung der Voraussetzungen durch den Beklagten am 22. Juni 2000 erfolgte Entgegennahme und Protokollierung der Eidesleistung als Dolmetscherin und Übersetzerin und die nachfolgende Aufnahme in die bei dem Beklagten geführte Liste der allgemein beeidigten Dolmetscher und Übersetzer ein feststellender Verwaltungsakt im Sinne des § 1 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 NVwVfG in Verbindung mit § 35 Satz 1 VwVfG ist (vgl. mit eingehender Begründung: BVerwG, Urt. v. 16.1.2007 - BVerwG 6 C 15.06 -, juris Rn. 22 ff.). Dieser Verwaltungsakt ist gegenüber der Klägerin auch bestandskräftig geworden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Die Wirksamkeit ihrer allgemeinen Beeidigung als Dolmetscherin und Übersetzerin vom 22. Juni 2000 endete aber mit Ablauf des 31. Dezember 2015. Nach § 1 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 NVwVfG in Verbindung mit § 43 Abs. 2 VwVfG bleibt ein Verwaltungsakt nur wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben (Alternative 1 Varianten 1 bis 3) oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (Alternative 2 Varianten 1 und 2; vgl. zur Regelungssystematik: Stelkens/Bonk/Sachs, 9. Aufl. 2018, § 43 Rn. 4). Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 und 2 NJG (und inhaltsgleich nach § 9h Satz 1 und 2 Nds. AGGVG a.F.) erlöschen allgemeine Beeidigungen von Dolmetschern sowie Ermächtigungen von Übersetzern, die vor dem 1. Januar 2011 vorgenommen worden sind, spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 2015.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Diese gesetzliche Erlöschensregelung bewirkt eine anderweitige Aufhebung im Sinne des § 43 Abs. 2 Alt. 1 Var. 3 VwVfG der vor dem 1. Januar 2011 vorgenommenen allgemeinen Beeidigungen als Dolmetscher und Ermächtigungen als Übersetzer (vgl. zur Zulässigkeit einer solchen Aufhebung von Verwaltungsakten durch den Gesetzgeber: Beaucamp, Die Aufhebung bzw. Änderung von Verwaltungsakten durch den Gesetzgeber, in: DVBl. 2006, 1401, 1402 ff.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a>15</a></dt>
<dd><p>Jedenfalls aber bestimmt die gesetzliche Erlöschensregelung des § 31 Abs. 1 Satz 1 und 2 NJG einen Zeitpunkt, mit dessen Ablauf die vor dem 1. Januar 2011 vorgenommenen allgemeinen Beeidigungen als Dolmetscher und Ermächtigungen als Übersetzer im Sinne des § 43 Abs. 2 Alt. 2 Var. 1 VwVfG erledigt, also unwirksam sein sollen. Grundlegende verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine solche, auch nachträglich durch den Gesetzgeber vorgenommene auflösende Befristung bestehen nicht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.3.2017 - 1 BvR 1314/12 -, BVerfGE 145, 20, 89 ff. (zum Erlöschen Spielhallenerlaubnisse nach einer gesetzlich bestimmten Übergangsfrist)).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Die Wirksamkeit der allgemeinen Beeidigung der Klägerin als Dolmetscherin und Übersetzerin vom 22. Juni 2000 endete daher mit Ablauf des 31. Dezember 2015, ohne dass hierfür ein Widerruf oder eine Rücknahme dieser allgemeinen Beeidigung nach § 1 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 NVwVfG in Verbindung mit §§ 48, 49 VwVfG erforderlich gewesen ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p><strong>b. </strong>Die Klägerin wendet gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung weiter ein, die gesetzliche Erlöschensregelung in § 31 Abs. 1 Satz 1 und 2 NJG sei willkürlich und verletze das Übermaßverbot. Die Regelung greife rückwirkend in Form einer objektiven Zulassungsregelung in die grundrechtlich geschützte Berufsfreiheit ein. Die staatlichen Gerichte bildeten ein faktisches Monopol bei der Auswahl der in ihrem Gerichtsbezirk zugelassenen Dolmetscher und Übersetzer. Ohne die Beeidigung als Dolmetscher oder die Ermächtigung als Übersetzer sei der Zugang zu diesem Arbeitsmarkt praktisch verschlossen. Der damit verbundene Grundrechtseingriff sei unverhältnismäßig. Die Erlöschensregelung sei zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter nicht erforderlich. Den Inhabern einer allgemeinen Beeidigung oder Ermächtigung sei es auch nicht zuzumuten, eine solche erneut zu beantragen. Denn hierfür bedürfe es des Nachweises der gemäß § 23 NJG geforderten Kenntnisse durch geeignete Unterlagen und einer erneuten kostenpflichtigen Sachprüfung durch den Beklagten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Auch diese Einwände setzen die angefochtene erstinstanzliche Entscheidung durchgreifenden ernstlichen Richtigkeitszweifeln nicht aus. Die einfachgesetzliche Erlö-schensregelung in § 31 Abs. 1 Satz 1 und 2 NJG greift zwar in die nach Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit der vor dem 1. Januar 2011 allgemein beeidigten Dolmetscher und ermächtigten Übersetzer ein (1), dieser Eingriff ist aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt (2).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
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<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p><strong>(1) </strong>Seit dem sogenannten "Apotheken-Urteil" des Bundesverfassungsgerichts (Urt. v. 11.6.1958 - 1 BvR 596/56 -, BVerfGE 7, 377 f.) unterscheidet dieses regelmäßig zwischen Eingriffen in die Berufsfreiheit durch Berufsausübungsregelungen, subjektive oder objektive Berufszulassungsregelungen. Die bloße Ausübungsregelung bestimmt, in welcher Art und Weise die Berufsangehörigen ihre Berufstätigkeit im Einzelnen zu gestalten haben; sie kann durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt sein. Die subjektive Zulassungsregelung macht den Zugang zu einem Beruf vom Vorliegen persönlicher Eigenschaften, Fähigkeiten oder Leistungsnachweise abhängig; sie kann nur gerechtfertigt sein, soweit ein überragendes Gemeinschaftsgut, das der Freiheit des Einzelnen vorgeht, geschützt werden soll. Die objektive Zulassungsvoraussetzung macht den Zugang zum Beruf hingegen von objektiven Bedingungen abhängig, die mit der persönlichen Qualifikation des Berufsanwärters nichts zu tun haben und auf die er keinen Einfluss nehmen kann; sie kann nur zur Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut gerechtfertigt sein (vgl. BVerfG, Urt. v. 11.6.1958, a.a.O., S. 405 f., und Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 12 Rn. 125 ff. mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und deren Entwicklung).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Nach diesen Maßstäben stellen sich Regelungen zur allgemeinen Beeidigung von Dolmetschern und Ermächtigungen von Übersetzern als bloße Berufsausübungsregelungen dar. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu in seinem Urteil vom 16. Januar 2007 (- BVerwG 6 C 15.06 -, juris Rn. 27 ff.) ausgeführt:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">"Die Tätigkeit der Dolmetscher und Übersetzer ist ein von Art. 12 Abs. 1 GG geschützter Beruf. Mit den Regelungen über deren allgemeine Beeidigung und Ermächtigung wird die Berufsausübung im Sinne des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG geregelt. … Die Berufswahl wird durch die allgemeine Beeidigung und Ermächtigung nicht berührt, denn die Tätigkeit als allgemein beeidigter Dolmetscher oder als ermächtigter Übersetzer ist kein eigenständiger Beruf. Im Hinblick auf die öffentliche Bestellung von Sachverständigen nach § 36 GewO ist anerkannt, dass es sich hierbei nicht um die Zulassung zu einem Beruf handelt, sondern lediglich um die Zuerkennung einer besonderen Qualifikation (BVerfG, Beschluss vom 25. März 1992 - 1 BvR 298/86 - BVerfGE 86, 28 <38>; BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1990 - BVerwG 1 C 10.88 - a.a.O. S. 3). Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige unterscheiden sich von den übrigen Sachverständigen nicht durch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Beruf, sondern nur durch die staatliche Feststellung ihrer Qualifikation als Sachverständige. Wird ein Sachverständiger öffentlich bestellt und vereidigt, so ändert sich das Bild seiner beruflichen Tätigkeit nicht. Auch in der sozialen Wirklichkeit treten öffentlich bestellte Sachverständige nicht als eigene Berufsgruppe in Erscheinung (BVerfG, Beschluss vom 25. März 1992 - 1 BvR 298/86 - a.a.O.). Diese Überlegungen sind auf die Tätigkeit der allgemein beeidigten Dolmetscher und ermächtigten Übersetzer übertragbar. Diese bilden keine eigenständige Berufsgruppe, sondern üben ihre Tätigkeit ebenso wie andere Dolmetscher und Übersetzer aus. Von diesen unterscheiden sie sich allein dadurch, dass sie durch die allgemeine Beeidigung und Ermächtigung eine gewisse staatliche Anerkennung vorweisen können. Mit der allgemeinen Beeidigung und Ermächtigung ist demnach keine Zulassung zu einem bestimmten Beruf verbunden; die Freiheit der Berufswahl ist nicht berührt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Auch die Berufsausübung wird durch die allgemeine Beeidigung und die Ermächtigung nicht unmittelbar geregelt. Die allgemeine Beeidigung und die Ermächtigung eröffnen den Dolmetschern und Übersetzern keine zusätzlichen beruflichen Betätigungsmöglichkeiten. Auch schränkt deren Versagung den Umfang der durch sie in zulässiger Weise durchführbaren Tätigkeiten nicht ein. Die allgemeine Beeidigung hat, wie bereits ausgeführt, rechtlich zur Folge, dass gemäß § 189 Abs. 2 GVG die Vereidigung als Verhandlungsdolmetscher im Einzelfall durch die Berufung auf den geleisteten Eid ersetzt werden kann. Darüber hinaus ist im Beurkundungsverfahren nach § 16 Abs. 3 Satz 3 BeurkG bei der Übersetzung der Niederschrift die Vereidigung eines allgemein beeidigten Dolmetschers entbehrlich. Das Gericht oder der Notar sind nach diesen Vorschriften nicht gehindert, einen nicht allgemein beeidigten Dolmetscher zu beauftragen, was auch unumgänglich ist, wenn für eine bestimmte Sprache ein allgemein beeidigter Dolmetscher nicht verfügbar ist. Dieser ist dann gemäß § 189 Abs. 1 GVG bzw. § 16 Abs. 3 Satz 3 BeurkG zu vereidigen. Die Ermächtigung als Übersetzer führt, wie ebenfalls schon ausgeführt worden ist, dazu, dass gemäß § 2 Abs. 1 BeurkVereinfV die Übersetzung einer Urkunde, die in einer fremden Sprache abgefasst ist, als richtig und vollständig gilt, wenn dies von ihm bescheinigt wird. Gemäß § 142 Abs. 3 ZPO kann das Gericht anordnen, dass von in fremder Sprache abgefassten Urkunden eine Übersetzung beigebracht werde, die ein nach den Richtlinien der Landesjustizverwaltung hierzu ermächtigter Übersetzer angefertigt hat. Auch nach diesen Vorschriften ist ein nicht ermächtigter Übersetzer in keinem Fall rechtlich gehindert, an Stelle eines ermächtigten Übersetzers tätig zu werden. Ein unmittelbarer Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung ist demnach mit der allgemeinen Beeidigung oder Ermächtigung nicht verbunden, insbesondere hat deren Versagung keine Einschränkung der rechtlich zulässigen beruflichen Betätigungsmöglichkeiten zur Folge.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
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<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Art. 12 Abs. 1 GG schützt indessen nicht nur vor Beeinträchtigungen, die sich gerade auf die berufliche Betätigung beziehen und diese unmittelbar zum Gegenstand haben. Vielmehr kann das genannte Grundrecht auch durch Vorschriften und Maßnahmen berührt werden, die nur in ihren tatsächlichen Auswirkungen und mittelbar geeignet sind, die Berufsfreiheit zu beeinträchtigen (BVerfG, Beschlüsse vom 12. Oktober 1977 - 1 BvR 217/75 u.a. - BVerfGE 46, 120 <137> und vom 29. November 1989 - 1 BvR 1402/87 u.a. - BVerfGE 81, 108 <121 f.>; BVerwG, Urteile vom 18. April 1985 - BVerwG 3 C 34.84 - BVerwGE 71, 183 <191 f.> = Buchholz 418.32 AMG Nr. 11 S. 15 f. und vom 18. Oktober 1990 - BVerwG 3 C 2.88 - BVerwGE 87, 37 <42 f.> = Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 209 S. 27 f.). Das setzt voraus, dass sie die Rahmenbedingungen der Berufsausübung verändern und infolge ihrer Gestaltung in einem so engen Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs stehen, dass sie objektiv eine berufsregelnde Tendenz haben (BVerfG, Urteil vom 17. Februar 1998 - 1 BvF 1/91 - a.a.O. <254>; Beschluss vom 13. Juli 2004 - 1 BvR 1298/97 u.a. - BVerfGE 111, 191 <213>; BVerwG, Urteile vom 18. April 1985 - BVerwG 3 C 34.84 - a.a.O. und vom 6. November 1986 - BVerwG 3 C 72.84 - BVerwGE 75, 109 <115> = Buchholz 451.55 Subventionsrecht Nr. 84 S. 61). Eine berufsregelnde Tendenz in diesem Sinn liegt vor, wenn die maßgeblichen Normen oder Maßnahmen im Schwerpunkt Tätigkeiten betreffen, die typischerweise beruflich ausgeübt werden (BVerfG, Urteil vom 17. Februar 1998 - 1 BvF 1/91 - a.a.O.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Vor diesem Hintergrund ist in Vorschriften, die die staatliche Anerkennung einer beruflichen Qualifikation vorsehen, eine die Berufsfreiheit berührende Regelung zu sehen (BVerfG, Beschluss vom 25. März 1992 - 1 BvR 298/86 - a.a.O. S. 37; Kammerbeschluss vom 3. Mai 1999 - 1 BvR 1315/97 - NVwZ 1999, 1102 <1103>). Das gilt auch dann, wenn durch die zusätzliche berufliche Qualifikation nicht Art und Umfang der beruflichen Betätigung reglementiert, sondern (lediglich) der Wettbewerb zwischen den Berufsangehörigen und damit deren berufliche Entfaltungsmöglichkeiten beeinflusst werden (BVerfG, Beschluss vom 25. März 1992 - 1 BvR 298/86 - a.a.O., Kammerbeschluss vom 3. Mai 1999 - 1 BvR 1315/97 - a.a.O.). Zwar erlangen Dolmetscher und Übersetzer durch die allgemeine Beeidigung und Ermächtigung nicht die Stellung eines öffentlich bestellten Dolmetschers oder Übersetzers. Mit der allgemeinen Beeidigung und Ermächtigung ist jedoch ebenfalls die staatliche Anerkennung einer beruflichen Qualifikation verbunden, die sich nicht grundlegend von derjenigen unterscheidet, die mit der öffentlichen Bestellung erfolgt. Sowohl die allgemeine Beeidigung als auch die Ermächtigung erfolgen nur nach einer Prüfung der fachlichen und persönlichen Eignung, deren Anforderungen sich nach den einschlägigen Regelungen in den einzelnen Bundesländern richten. Sie bieten daher eine gewisse Gewähr für die Qualifikation der allgemein beeidigten Dolmetscher und ermächtigten Übersetzer. Soweit die allgemeine Beeidigung und Ermächtigung vorgenommen wird, kommt darin die Anerkennung der beruflichen Qualifikation zum Ausdruck. Demzufolge genießen der Titel und das Siegel eines allgemein beeidigten Dolmetschers in der Bevölkerung und bei den staatlichen Stellen Ansehen und Vertrauen (Tormin, ZRP 1987, 422 <423>). Beeidigung und Ermächtigung führen als wichtige Werbefaktoren zu einem wesentlichen Vorsprung im Wettbewerb mit anderen - nicht allgemein beeidigten und ermächtigten - Dolmetschern und Übersetzern und werden auch gerade aus diesen Gründen angestrebt. Mit der allgemeinen Beeidigung und Ermächtigung oder deren Versagung wirken die zuständigen staatlichen Stellen damit erheblich auf die Berufsaussichten der Dolmetscher und Übersetzer ein. Dies rechtfertigt es, in den hierauf bezogenen Vorschriften eine Regelung der Berufsausübung zu sehen. Demgemäß ist auch anerkannt worden, dass das Hamburgische Gesetz über die öffentliche Bestellung und allgemeine Vereidigung von Dolmetschern und Übersetzern eine Berufsausübungsregelung enthält (BVerfG, Kammerbeschluss vom 3. Mai 1999 - 1 BvR 1315/97 - a.a.O.)."</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Tangieren hiernach Regelungen über den Zugang zur allgemeinen Beeidigung und Ermächtigung sowie die damit verbundene Eintragung in das Verzeichnis der allgemein beeidigten Dolmetscher und ermächtigten Übersetzer nur die Berufsausübung der Dolmetscher und Übersetzer, gilt Gleiches für Regelungen, die diesen Zugang zur allgemeinen Beeidigung und Ermächtigung sowie die damit verbundene Eintragung in das Verzeichnis der allgemein beeidigten Dolmetscher und ermächtigten Übersetzer beenden. Auch die Erlöschensregelung des § 31 Abs. 1 Satz 1 und 2 NJG ist danach - entgegen der Ansicht der Klägerin - nicht als objektive Zulassungs-, sondern als bloße Berufsausübungsregelung anzusehen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p><strong>(2)</strong> Der danach mit der Erlöschensregelung des § 31 Abs. 1 Satz 1 und 2 NJG verbundene Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der vor dem 1. Januar 2011 allgemein beeidigten Dolmetscher und Übersetzer ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Die Erlöschensregelung des § 31 Abs. 1 Satz 1 und 2 NJG verfolgt ein legitimes Ziel und ist von vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls getragen. Die Neuregelung des Rechts der allgemeinen Beeidigung von Dolmetschern und Ermächtigung von Übersetzern zunächst durch die mit Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz und anderer Gesetze vom 8. Dezember 2010 (Nds. GVBl. S. 553) eingeführten Bestimmungen in §§ 9 ff. Nds. AGGVG und nachfolgend durch die mit dem Gesetz zur Neuordnung von Vorschriften über die Justiz vom 16. Dezember 2014 (Nds. GVBl. S. 436) mit Wirkung vom 31. Dezember 2014 neu geschaffenen Bestimmungen in §§ 23 ff. NJG sollte erstmals eine formalgesetzliche Rechtsgrundlage in Niedersachsen schaffen, nachdem die allgemeine Beeidigung der Dolmetscher und Ermächtigung der Übersetzer bis dahin auf der Grundlage der vom Niedersächsischen Justizministerium erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift "Allgemeine Beeidigung von Dolmetschern" vom 15. Oktober 1951 (Nds. Rpfl. S. 194), zuletzt geändert am 28. April 1975 (Nds. RPfl. S. 104), erfolgt war. Die Notwendigkeit einer solchen formalgesetzlichen Rechtsgrundlage hatte das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 16. Januar 2007 (- BVerwG 6 C 15.06 -, juris Rn. 28 und 35 ff.) im Hinblick auf die dargestellte Bedeutung der allgemeinen Beeidigung und Ermächtigung für die Berufsausübungsfreiheit der Dolmetscher und Übersetzer betont. Die Schaffung der danach erforderlichen gesetzlichen Rechtsgrundlage, welche auch die an den Nachweis der fachlichen Eignung und der persönlichen Zuverlässigkeit konkret zu stellenden Voraussetzungen formuliert und das einzuhaltende Verfahren bestimmt, dient der Rechtssicherheit und bietet die Grundlage für gesetzmäßiges Handeln der Justizverwaltung. Zugleich verfolgte der Landesgesetzgeber, hierauf hat das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend hingewiesen, das Ziel, den Gerichten und Behörden des Landes sowie den Notarinnen und Notaren das Auffinden und die Auswahl nachweislich fachlich geeigneter und persönlich zuverlässiger Sprachmittler zu erleichtern. Eine richtige gerichtliche Entscheidung setzt voraus, dass das Gericht den Sachvortrag der Parteien und die Aussagen von Zeuginnen oder Zeugen zutreffend erfasst. Die Gewährleistung einer richtigen Sprachübertragung ist deshalb Bestandteil der Gewährung des rechtlichen Gehörs. Die Bedeutung der Sprachmittlung für ein faires Gerichtsverfahren und die Gewährung effektiven Rechtsschutzes wird zudem durch die Regelung in Art. 6 Abs. 3 EMRK unterstrichen (vgl. zu diesen Zielen den Gesetzentwurf der Landesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz und des Gesetzes über Kosten im Bereich der Justizverwaltung, LT-Drs. 16/855, S. 7, 11 f. und 17, sowie den Gesetzentwurf der Landesregierung, Entwurf eines Gesetzes über die Neuordnung von Vorschriften über die Justiz, LT-Drs. 17/1585, S. 81).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Zur Erreichung dieser legitimen und von vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls getragenen Ziele war auch die Anordnung des Erlöschens der vor dem 1. Januar 2011 vorgenommenen allgemeinen Beeidigungen als Dolmetscher und Ermächtigungen als Übersetzer gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 und 2 NJG geeignet und erforderlich. Auch für diese Altfälle bestand ersichtlich die Notwendigkeit, eine fachgesetzliche Rechtsgrundlage zu schaffen und die Anforderungen an den Nachweis der fachlichen Eignung und der persönlichen Zuverlässigkeit nicht nur gesetzlich zu konkretisieren, sondern auch deren Einhaltung im konkreten Einzelfall sicherzustellen. Zur Erreichung der Ziele gleich geeignete, für die betroffenen Dolmetscher und Übersetzbar merkbar mildere Mittel sind nicht ersichtlich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Die Erlöschensregelung des § 31 Abs. 1 Satz 1 und 2 NJG ist auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne und dem in Art. 12 GG enthaltenen Grundsatz des Vertrauensschutzes vereinbar. Sie schränkt die Berufsausübungsfreiheit der vor dem 1. Januar 2011 allgemein beeidigten Dolmetscher und ermächtigten Übersetzer nicht unangemessen ein.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>§ 31 Abs. 1 Satz 1 und 2 NJG bringt zwar alle vor dem 1. Januar 2011 vorgenommenen allgemeinen Beeidigungen und Ermächtigungen spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 2015 zum Erlöschen und entzieht den bisher allgemein beeidigten Dolmetschern und ermächtigten Übersetzern so die bis dahin innegehabte Rechtsposition. Diese Rechtsposition können die Dolmetscher und Übersetzer indes wiedererlangen, indem sie in einem erneuten Antragsverfahren nach §§ 23 ff. NJG ihre fachliche Eignung und auch ihre persönliche Zuverlässigkeit nachweisen. Hieraus ergeben sich für sie keine unzumutbaren Anforderungen. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die nach § 23 Abs. 2 Nr. 1 NJG erforderlichen <em>"Sprachkenntnisse, mit denen die Antragstellerin oder der Antragsteller a) praktisch alles, was sie oder er hört, liest oder mittels Gebärdensprache aufnimmt, mühelos verstehen kann, b) sich spontan, sehr flüssig und genau ausdrücken kann und c) auch bei komplexeren Sachverhalten feinere Bedeutungsnuancen deutlich machen kann"</em>. Die damit als Regelvoraussetzung für die allgemeine Beeidigung und Ermächtigung geforderte Sprachqualifikation der Stufe C 2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen des Europarates (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz und des Gesetzes über Kosten im Bereich der Justizverwaltung, LT-Drs. 16/855, S. 13) hat der Gesetzgeber zutreffend als unerlässlich angesehen, um die an Übertragungen für Gerichte und Notare zu stellenden Qualitätsanforderungen der Übertragung zu gewährleisten und eine staatliche Anerkennung der beruflichen Qualifikation zu legitimieren. Dies rechtfertigt es zugleich, die fachlichen Anforderungen in gleicher Weise an die vor und die nach dem 1. Januar 2011 allgemein beeidigten Dolmetscher oder ermächtigten Übersetzer zu stellen. Eine unangemessene Belastung der vor dem 1. Januar 2011 allgemein beeidigten Dolmetscher und ermächtigten Übersetzer, die diese fachlichen Anforderungen (noch) nicht erfüllen, wird durch die unter Vertrauensschutzaspekten jedenfalls nicht zu kurz bemessene Übergangsfrist von fünf Jahren vermieden (vgl. zur Diskussion der Übergangsfrist im parlamentarischen Verfahren: Schriftlicher Bericht zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz und des Gesetzes über Kosten im Bereich der Justizverwaltung, LT-Drs. 16/3126, S. 1 und 11; Beschlussempfehlung des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz und des Gesetzes über die Kosten im Bereich der Justizverwaltung, LT-Drs. 16/3049, S. 12), innerhalb der es den Dolmetschern und Übersetzern durchaus zuzumuten gewesen ist, nach § 23 Abs. 2 NJG erforderliche, aber noch nicht vorhandene Sprachqualifikationen zu erwerben. Die Gewährung eines darüberhinausgehenden unbefristeten Bestandsschutzes war verfassungsrechtlich hingegen nicht geboten (so zutreffend auch Gesetzentwurf der Landesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz und des Gesetzes über Kosten im Bereich der Justizverwaltung, LT-Drs. 16/855, S. 19; Gesetzentwurf der Landesregierung, Entwurf eines Gesetzes über die Neuordnung von Vorschriften über die Justiz, LT-Drs. 17/1585, S. 81). Hinzu kommt, dass ein Gericht oder ein Notar unverändert nicht gehindert sind, einen nicht allgemein beeidigten Dolmetscher oder ermächtigten zu beauftragen (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.1.2007, a.a.O., Rn. 30). Schließlich erweist sich die Erlöschensregelung in § 31 Abs. 1 Satz 1 und 2 NJG nicht deshalb als unangemessen, weil die Wiedererlangung der allgemeinen Beeidigung oder Ermächtigung in einem erneuten Antragsverfahren mit Kosten für den Dolmetscher oder Übersetzer verbunden ist. Auch wenn die anfallenden Verwaltungsgebühren (vgl. § 111 Abs. 2 Satz 1 NJG in Verbindung mit Nr. 4 der Anlage 2 zum NJG (Gebührenverzeichnis): 150 EUR für die erste und weitere 100 EUR für jede weitere Fremdsprache) und die Aufwendungen für etwa zu beschaffende Sprachzertifikate (vgl. die Kostenbeispiele unter www.europaeischer-referenzrahmen.de/englisch-sprachzertifikate.php und www.europaeischer-referenzrahmen.de/franzoesisch-sprachzertifikate.php, Stand: 8.1.2019) nicht zu vernachlässigen sind, erweisen sie sich gerade auch angesichts der von der Klägerin herausgestellten wirtschaftlichen Bedeutung der allgemeinen Beeidigung und Ermächtigung nicht als unzumutbare wirtschaftliche Belastung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p><strong>c. </strong>Dem klägerischen Zulassungsvorbringen ist schließlich der Einwand zu entnehmen, dass die Erlöschensregelung in § 31 Abs. 1 Satz 1 und 2 NJG eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung bewirke. Zum einen sähen Übergangsregelungen anderer Bundesländer einen weitergehenden Bestandsschutz vor. Zum anderen könnten sich Personen aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union gemäß § 29 NJG schon dann in das vom Beklagten geführte Verzeichnis der allgemein beeidigten Dolmetscher und ermächtigten Übersetzer eintragen lassen, wenn sie diese Tätigkeit im Niederlassungsstaat während der vorhergehenden zehn Jahre mindestens ein Jahr lang ausgeübt hätten. Dies bewirke für die in Deutschland ansässigen Dolmetscher und Übersetzer einen Verstoß gegen das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>Auch diese Einwände greifen nicht durch.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p><strong>(1) </strong>Ein Verstoß gegen den grundgesetzlichen allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG liegt entgegen der Ansicht der Klägerin nicht darin, dass die Länder den Übergang von der allein auf Verwaltungsvorschriften beruhenden allgemeinen Beeidigung hin zu einer nach gesetzlichen Bestimmungen erfolgenden allgemeinen Beeidigung auf durchaus verschiedene Weise gestaltet haben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p>Die insoweit getroffenen Überleitungsvorschriften für Dolmetscher, deren allgemeine Beeidigung allein auf Verwaltungsvorschriften beruhte, sehen etwa</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><table class="RspIndent" style="margin-left:36pt">
<tr><th colspan="3" rowspan="1"></th></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">·</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top"></td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">in <em>Bremen, Hessen, Rheinland-Pfalz </em>und <em>Sachsen-Anhalt</em> eine unbeschränkte Fortgeltung der allgemeinen Beeidigung (vgl. § 28k des Bremischen AGGVG in der zuletzt durch Gesetz v. 25.11.2014 (Brem. GBl. S. 639) geänderten Fassung; § 11 des Hessischen Dolmetscher- und Übersetzergesetzes in der zuletzt durch Gesetz v. 5.10.2017 (GVBl. S. 294) geänderten Fassung; § 10 des Landesgesetzes Rheinland-Pfalz über Dolmetscherinnen und Dolmetscher und Übersetzerinnen und Übersetzer in der Justiz (LDÜJG) in der zuletzt durch Gesetz v. 27.10.2009 (GVBl. S. 358) geänderten Fassung und § 12 des Dolmetschergesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (DolmG LSA) in der zuletzt durch Gesetz v. 24.6.2014 (GVBl. LSA S. 350, 358) geänderten Fassung),</td>
</tr>
</table></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><table class="RspIndent" style="margin-left:36pt">
<tr><th colspan="3" rowspan="1"></th></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">·</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top"></td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">in <em>Brandenburg </em>und <em>Mecklenburg-Vorpommern</em> eine antragsgebundene Fortgeltung ohne erneute Prüfung der fachlichen Voraussetzungen (vgl. § 8 Abs. 1 des Brandenburgischen Dolmetschergesetzes in der zuletzt durch Gesetz v. 17.12.2015 (GVBl. I Nr. 38) geänderten Fassung und § 11 Abs. 1 des Gesetzes über die öffentliche Bestellung und allgemeine Beeidigung von Dolmetschern und Übersetzern (Dolmetschergesetz - DolmG M-V) in der zuletzt durch Gesetz v. 16.5.2018 (GVOBl. M-V S. 182) geänderten Fassung), sowie</td>
</tr>
</table></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_37">37</a></dt>
<dd><table class="RspIndent" style="margin-left:36pt">
<tr><th colspan="3" rowspan="1"></th></tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">·</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top"></td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">in <em>Baden-Württemberg </em>und <em>Nordrhein-Westfalen</em> eine für die Dauer von fünf Jahren befristete (Fort-)Geltung vor (vgl. § 46 Satz 1 des Baden-Württembergischen AGGVG in der zuletzt durch Gesetz v. 16.10.2018 (GBl. S. 365) geänderten Fassung und § 36 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen (Justizgesetz Nordrhein-Westfalen - JustG NRW) in der zuletzt durch Gesetz v. 22.3.2018 (GV. NRW. S. 172) geänderten Fassung).</td>
</tr>
</table></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_38">38</a></dt>
<dd><p>Eine hiermit verbundene Ungleichbehandlung verstößt aber von vorneherein nicht gegen den grundgesetzlichen allgemeinen Gleichheitssatz. Denn ein Anspruch auf Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG steht dem Einzelnen nur gegenüber dem nach der Kompetenzverteilung konkret zuständigen Träger öffentlicher Gewalt zu (vgl. BVerfG, Beschl. v. 1.3.2010 - 1 BvR 2584/06 -, NVwZ-RR 2010, 505, 506; Beschl. v. 12.5.1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. -, BVerfGE 76, 1, 73; BVerwG, Beschl. v. 20.8.2008 - BVerwG 9 C 9.07 -, Buchholz 401.70 Kirchensteuer Nr. 29; Beschl. v. 11.3.1986 - BVerwG 3 B 6.85 -, Buchholz 418.731 HFlV Nr. 6). Aus Art. 3 Abs. 1 GG kann daher kein Recht abgeleitet werden, von einem Träger öffentlicher Gewalt so behandelt zu werden wie ein anderer Grundrechtsträger von einem anderen Träger öffentlicher Gewalt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.2.1998 - 1 BvR 1318/86 u.a. -, BVerfGE 97, 271, 297).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_39">39</a></dt>
<dd><p><strong>(2)</strong> Ein Verstoß gegen den grundgesetzlichen allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG liegt entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht darin, dass sie nach Erlöschen ihrer allgemeinen Beeidigung gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 und 2 NJG erneut ein vollständiges Antragsverfahren nach §§ 22 ff. NJG zu absolvieren hat, Personen aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union aber schon unter den in § 29 NJG genannten Voraussetzungen eine Erlaubnis zur vorübergehenden Dienstleistung erteilt werden kann.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_40">40</a></dt>
<dd><p>Dabei kann der Senat hier dahinstehen lassen, ob die von der Klägerin gegenübergestellten Sachverhalte überhaupt im Wesentlichen gleich sind und bejahendenfalls, ob eine signifikante und damit rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung vorliegt. Hieran bestehen jedenfalls Zweifel. Denn die Sachverhalte unterscheiden sich ersichtlich in der Art der betroffenen Berufsausübung (§§ 22 ff. NJG: dauerhafte Betätigung im Bundesgebiet als allgemein beeidigter Dolmetscher oder ermächtigter Übersetzer und dauerhafte Eintragung in das Verzeichnis nach § 28 NJG; § 29 NJG: vorübergehende und gelegentliche Betätigung im Bundesgebiet als allgemein beeidigter Dolmetscher oder ermächtigter Übersetzer und befristete Eintragung in das Verzeichnis nach § 28 NJG). Auch ist die Ungleichbehandlung nicht so offensichtlich, wie es die Klägerin mit ihrem Zulassungsvorbringen behauptet. Denn die Zulassung zur vorübergehenden Dienstleistung erfordert nicht nur, dass die (im Niederlassungsstaat nicht reglementierte) Tätigkeit als Dolmetscher oder Übersetzer während der vorhergehenden zehn Jahre mindestens ein Jahr lang ausgeübt worden ist (§ 29 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 NJG). Vielmehr ist daneben unter anderem auch erforderlich, dass eine Bescheinigung darüber vorgelegt wird, dass die Person im Niederlassungsstaat zur Ausübung einer in § 22 NJG genannten oder einer vergleichbaren Tätigkeit rechtmäßig niedergelassen ist und dass ihr die Ausübung dieser Tätigkeit zum Zeitpunkt der Vorlage der Bescheinigung nicht, auch nicht vorübergehend, untersagt ist (§ 29 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 NJG), dass ein Berufsqualifikationsnachweis im Sinne des § 23 Abs. 2 bis 4 NJG vorgelegt wird (§ 29 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 NJG) und dass der Nachweis erfolgt, unter welcher Berufsbezeichnung die Tätigkeit im Niederlassungsstaat ausgeübt wird (§ 29 Abs. 2 Satz 3 Nr. 4 NJG). Nur unter dieser Berufsbezeichnung darf die vorübergehende Dienstleistung im Bundesgebiet erbracht werden und die Eintragung im Verzeichnis nach § 28 NJG erfolgen (§ 29 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 und Abs. 5 NJG).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_41">41</a></dt>
<dd><p>Selbst wenn - unter Außerachtlassung dieser Zweifel - aber eine Ungleichbehandlung der von der Klägerin gegenübergestellten Sachverhalte gegeben wäre, verstößt diese nicht gegen den grundgesetzlichen allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_42">42</a></dt>
<dd><p>Eine Verletzung nationalen Verfassungsrechts unter dem Gesichtspunkt der Inländerdiskriminierung scheidet bereits deshalb aus, weil eine auf zwingenden Vorgaben, hier insbesondere des Art. 5 der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. EU L 255 v. 30.9.2005, S. 22), zuletzt geändert durch die Richtlinie 2013/55/EU des Europäischen Parlaments und Rates vom 20. November 2013 (ABl. EU L 354 v. 28.12.2013, S. 132), - Berufsqualifikationsanerkennungsrichtlinie - (vgl. Schriftlicher Bericht zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz und des Gesetzes über Kosten im Bereich der Justizverwaltung, LT-Drs. 16/3126, S. 6 ff.), beruhende Umsetzung des Rechts der Europäischen Union nicht am Maßstab nationaler Grundrechte gemessen werden kann, auch wenn der Umsetzungsakt Ausübung deutscher Staatsgewalt ist (vgl. BVerfG, Urt. v. 24.4.2013 - 1 BvR 1215/07 -, NJW 2013, 1499, 1500; Beschl. v. 13.3.2007 - 1 BvF 1/05 -, BVerfGE 118, 79, 95).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_43">43</a></dt>
<dd><p>Im Übrigen stellen die unionsrechtlichen Vorgaben der Berufsqualifikationsanerkennungsrichtlinie jedenfalls einen hinreichend gewichtigen sachlichen Grund dar, der eine Ungleichbehandlung rechtfertigen würde. Ein gewichtiger sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung liegt in der Tatsache begründet, dass der nationale Gesetzgeber in seiner Gestaltungsfreiheit durch Europarecht gebunden war (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.2.2010 - 1 BvR 2514/09 -, juris Rn. 16; BVerwG, Urt. v. 31.8.2011 - BVerwG 8 C 9.10 -, BVerwGE 140, 276, 287). Verpflichtete nämlich Art. 3 Abs. 1 GG zur Gleichbehandlung der rein inländischen Sachverhalte mit den unionsrechtlich geprägten Konstellationen, würde er eine unionsrechtlich veranlasste Angleichung des innerstaatlichen deutschen Rechts in Sachbereichen bewirken, in denen der Europäischen Union gar keine Kompetenzen zustehen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 14.2.2014 - 6 A 10959/13 -, juris Rn. 38 m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_44">44</a></dt>
<dd><p><strong>(3)</strong> Darin, dass die Klägerin nach Erlöschen ihrer allgemeinen Beeidigung gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 und 2 NJG erneut ein vollständiges Antragsverfahren nach §§ 22 ff. NJG zu absolvieren hat, Personen aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union aber schon unter den in § 29 NJG genannten Voraussetzungen eine Erlaubnis zur vorübergehenden Dienstleistung erteilt werden kann, liegt entgegen der Ansicht der Klägerin auch kein Verstoß gegen das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot des Art. 18 Abs. 1 AEUV.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_45">45</a></dt>
<dd><p>Eine Ungleichbehandlung des deutschen Staatsangehörigen gegenüber Unionsbürgern anderer Mitgliederstaaten durch den deutschen Staat (sog. Inländerdiskriminierung oder umgekehrte Diskriminierung) verletzt das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 18 Abs. 1 AEUV grundsätzlich nicht (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 24.10.2013 - OVG 12 B 42.11 -, juris. 29; Hessischer VGH, Urt. v. 7.7.2011 - 7 B 1254/11 -, juris Rn. 18; Schwarze u.a., EU-Kommentar, 4. Aufl. 2019, Art. 18 AEUV Rn. 30; Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 18 AEUV Rn. 6 und 64 ff.). Nach Art. 18 Abs. 1 AEUV ist unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. Es verbleibt den Mitgliedstaaten sonach eine Sphäre außerhalb des Anwendungsbereichs der Verträge, für die Art. 18 Abs. 1 AEUV keine Geltung beansprucht (vgl. EuGH, Urt. v. 18.7.2017 - C-566/15 -, juris Rn. 25 und 33 f. ("Erzberger"); Urt. v. 1.4.2008 - C-212/06 -, juris Rn. 38 ff. ("Gouvernement de la Communauté française u.a."); Urt. v. 12.7.2005 - C-403/03 -, juris Rn. 17 ff. ("Schempp") jeweils m.w.N.). Dieser Sphäre der sog. rein innerstaatlichen Sachverhalte ist die Fallkonstellation der Klägerin zuzuordnen, in der eine deutsche Staatsangehörige im Bundesgebiet niedergelassen ist und hier Dienstleistungen als allgemein beeidigte Dolmetscherin und ermächtigte Übersetzerin erbringt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_46">46</a></dt>
<dd><p><strong>2. </strong>Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten zuzulassen. Solche Schwierigkeiten sind nur dann anzunehmen, wenn die Beantwortung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage oder die Klärung einer entscheidungserheblichen Tatsache in qualitativer Hinsicht mit überdurchschnittlichen Schwierigkeiten verbunden ist. Daher erfordert die ordnungsgemäße Darlegung dieses Zulassungsgrundes eine konkrete Bezeichnung der Rechts- oder Tatsachenfragen, in Bezug auf die sich solche Schwierigkeiten stellen, und Erläuterungen dazu, worin diese besonderen Schwierigkeiten bestehen (vgl. Senatsbeschl. v. 31.8.2017, a.a.O., Rn. 50; Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 124a Rn. 53).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_47">47</a></dt>
<dd><p>Diesen Darlegungsanforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht. Die Klägerin verweist lediglich auf die in den einzelnen Ländern durchaus unterschiedlich getroffenen Übergangsregelungen und die Möglichkeit eines Verstoßes gegen das europarechtliche Diskriminierungsverbot (siehe im Einzelnen oben 1.c.), legt aber nicht dar, welche konkreten und entscheidungserheblichen Rechts- oder Tatsachenfragen sich hieraus ergeben sollen und dass die Beantwortung solcher Fragen mit besonderen, also in qualitativer Hinsicht überdurchschnittlichen Schwierigkeiten verbunden sein soll.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_48">48</a></dt>
<dd><p><strong>3. </strong>Die Berufung ist schließlich nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Eine solche grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine höchstrichterlich noch nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine obergerichtlich bislang ungeklärte Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich im Rechtsmittelverfahren stellen würde und im Interesse der Einheit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung durch das Berufungsgericht bedarf (vgl. Senatsbeschl. v. 31.8.2017, a.a.O., Rn. 53 m.w.N.). Um die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO darzulegen, hat der Zulassungsantragsteller die für fallübergreifend gehaltene Frage zu formulieren sowie näher zu begründen, weshalb sie eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat und ein allgemeines Interesse an ihrer Klärung besteht. Darzustellen ist weiter, dass sie entscheidungserheblich ist und ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten steht (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 15.8.2014 - 8 LA 172/13 -, GewArch 2015, 84, 85; Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 35 ff. m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_49">49</a></dt>
<dd><p>Auch diesen Darlegungsanforderungen genügt der Zulassungsantrag nicht. Die dem klägerischen Zulassungsvorbringen bei wohlwollender Auslegung zu entnehmenden konkreten Rechtsfragen,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_50">50</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">a. ob die vor dem 1. Januar 2011 vorgenommenen allgemeinen Beeidigungen als Dolmetscher und Ermächtigungen als Übersetzer auch nach Ablauf des 31. Dezember 2015 wirksam bleiben,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_51">51</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">b. ob die einfachgesetzliche Erlöschensregelung in § 31 Abs. 1 Satz 1 und 2 NJG einen verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten Eingriff in die nach Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit der vor dem 1. Januar 2011 allgemein beeidigten Dolmetscher und Übersetzer bewirkt, und</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_52">52</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">c. ob die Erlaubnis zur vorübergehenden Dienstleistung für Personen aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union gemäß § 29 NJG gegen das europarechtliche Diskriminierungsverbot verstößt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_53">53</a></dt>
<dd><p>sind, wie zu 1. ausgeführt, ohne Weiteres anhand des Gesetzes und der bisher ergangenen bundes- und obergerichtlichen Rechtsprechung - verneinend - zu beantworten, ohne dass es hierzu der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf. Unabhängig davon ist nicht dargelegt, dass den Fragen eine fallübergreifende Bedeutung zukommt. Die schlichte Behauptung der Klägerin, die aufgeworfenen Fragen könnten in einer Vielzahl von Fällen von Bedeutung sein, genügt den Darlegungserfordernissen insoweit nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_54">54</a></dt>
<dd><p>Mit der Ablehnung des Berufungszulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_55">55</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_56">56</a></dt>
<dd><p>Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3, 52 Abs. 2 GKG.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_57">57</a></dt>
<dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText">
<p style="margin-top:24px"> </p>
<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
<p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE190000207&psml=bsndprod.psml&max=true</p>
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<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 7. Kammer - vom 22. Oktober 2018 wird zurückgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,00 € festgesetzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 22. Oktober 2018 hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage vom 27. August 2018 (Az. 7 A 3267/18) gegen die der Beigeladenen zu 1. erteilte und für sofort vollziehbar erklärte einstweilige Erlaubnis vom 25. Juli 2018 zum Betrieb des Linienverkehrs auf der Linie F. - Stadtbuslinie G. in H. für die Zeit vom 05. August 2018 bis zum 04. Februar 2019 abgelehnt. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht zudem den auf Erteilung einer entsprechenden einstweiligen Erlaubnis an die Antragstellerin gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf die Gründe des Urteils im Verfahren 7 A 3267/18 Bezug genommen. Darin hat es ausgeführt, dass die an die Antragstellerin und die Beigeladene zu 1. gerichteten Bescheide der Antragsgegnerin vom 25. Juli 2018 rechtmäßig seien. Die der Erteilung der einstweiligen Erlaubnis gemäß § 20 Personenbeförderungsgesetz (PBefG) zugrundeliegende Auswahlentscheidung zwischen den Anträgen der Antragstellerin und der Beigeladenen zu 1. sei rechtlich nicht zu beanstanden. Die Erteilung der einstweiligen Erlaubnis an die Beigeladene zu 1. sei zunächst nicht deshalb rechtswidrig, weil die Antragsgegnerin nicht stattdessen die der Beigeladenen zu 1. erteilte endgültige Genehmigung zum Betrieb des Linienverkehrs für sofort vollziehbar erklärt habe. Die Rechtsordnung gebe eine bestimmte Vorgehensweise der Genehmigungsbehörde insoweit nicht zwingend vor, so dass es ihr überlassen bleibe, ob sie von der Möglichkeit des § 20 PBefG Gebrauch mache oder die endgültige Genehmigung für sofort vollziehbar erkläre. Die Antragsgegnerin habe sich bei ihrer Entscheidung auch zu Recht daran orientiert, dass der Beigeladenen zu 1. auch die endgültige Genehmigung zum Betrieb der Linie erteilt worden sei. Gehe es - wie hier - um den vorläufigen Betrieb einer Linie, über deren Genehmigung bereits eine positive Entscheidung der Genehmigungsbehörde nach § 15 PBefG vorliege, die aufgrund der Anfechtung eines Konkurrenten nicht vollzogen werden könne, sei grundsätzlich davon auszugehen, dass das öffentliche Verkehrsinteresse an der Bewältigung der entstandenen Übergangssituation dafür spreche, demjenigen Unternehmer, dem die endgültige Genehmigung erteilt worden sei, auch eine vorläufige Erlaubnis zu erteilen. Etwas anderes gelte lediglich dann, wenn eine zwischenzeitlich eingetretene Änderung der Sach- und Rechtslage Anlass für eine erneute Prüfung der Behörde gebe oder wenn bei der Erteilung der Genehmigung ganz offensichtlich eine falsche Rechtsanwendung erfolgt sei bzw. die Entscheidung offensichtlich fehlerhaft sei bzw. massive Fehlgewichtungen festzustellen seien. Der Betrieb durch den Inhaber der endgültigen Genehmigung müsse offenkundig den gesetzlichen Regelungen des PBefG widersprechen. Es handele sich um eine ergebnisbezogene Prüfung. Die Vorwirkung entfalle daher insbesondere auch dann nicht, wenn die Genehmigungsentscheidung aus irgendwelchen Gründen rechtswidrig sei, sondern allenfalls dann, wenn sich die Fehler offensichtlich auf die getroffene Entscheidung ausgewirkt haben. Nach diesen Maßstäben sei die Entscheidung der Antragsgegnerin rechtmäßig, weil zwingende Versagungsgründe für den Verkehr der Beigeladenen zu 1. im Sinne des § 13 Abs. 2 Satz 1 PBefG nicht vorlägen und die gemäß § 13 Abs. 2b PBefG getroffene Auswahlentscheidung im Verfahren um die endgültige Genehmigung nicht derart schwerwiegende Fehler aufweise, dass das öffentliche Interesse am Betrieb der Buslinie durch die Beigeladene zu 1. durchbrochen würde. Der Betrieb der Stadtbuslinie G. durch die Beigeladene zu 1. widerspreche nicht offenkundig den gesetzlichen Regelungen des PBefG und es sei als offen anzusehen, wer die Genehmigung bei rechtmäßiger Auswahlentscheidung erhalte. Dass sich die Fehlerhaftigkeit der Genehmigungsentscheidung offensichtlich auf die getroffene Auswahlentscheidung ausgewirkt habe, könne das Gericht nicht feststellen. Zur Begründung im Einzelnen werde auf die ausführlichen Gründe im Verfahren betreffend die endgültige Genehmigung (Az. 7 A 970/18) Bezug genommen. Daraus ergebe sich zwar, dass die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin betreffend die Genehmigung teilweise an Ermessensfehlern leide. Es erscheine aber nicht ausgeschlossen, dass auch eine rechtmäßige Entscheidung der Antragsgegnerin zum gleichen Ergebnis führe. Schließlich rechtfertigten die Einwände der Antragstellerin kein anderes Ergebnis, soweit sie sich darauf berufe, die Beigeladene zu 1. halte aktuell ihre Zusicherung bezüglich des Einsatzes von Bussen mit Niederflurtechnik nicht ein.</p></dd>
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<dl class="RspDL">
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<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerdebegründung, auf deren Prüfung das Beschwerdegericht - hinsichtlich der gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung sprechenden Gründe (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.11.2004 - 8 S 1870/04 -, NVwZ-RR 2006, 75) - nach § 146 Abs. 4 Satz 6 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) beschränkt ist, rechtfertigt es nicht, den angefochtenen Beschluss zu ändern.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd><p></p></dd>
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<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Die Antragstellerin bemängelt mit ihrer Beschwerdebegründung zunächst, dass die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung der endgültigen Genehmigung außer Acht gelassen habe. Die Antragsgegnerin hätte die der Beigeladenen zu 1. erteilte endgültige Genehmigung mit einem Sofortvollzug versehen müssen, anstatt eine einstweilige Erlaubnis zu erteilen. Der Wortlaut des § 20 PBefG sehe eine Eilbedürftigkeit vor, die nur gegeben sein könne, wenn für die Durchführung eines ordnungsgemäßen Genehmigungsverfahrens keine Zeit (mehr) sei. Bei der einstweiligen Erlaubnis handele es sich nicht um eine Genehmigung im Sinne des Personenbeförderungsrechts. Sie sei jederzeit widerruflich und bei ihrer Erteilung seien die Entscheidungsmaßgaben gelockert, d. h. es erfolge keine vertiefende Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen. Hieraus folge, dass die einstweilige Erlaubnis gerade nicht die Fälle einer erteilten endgültigen Genehmigung erfassen solle, sondern nur die Fälle, in denen eine endgültige Genehmigung nicht (mehr) fristgemäß erteilt werden könne bzw. eine solche nie beantragt worden sei. Zudem sei zu berücksichtigen, dass ihre Rechtsschutzsuche ohne rechtfertigenden Grund erschwert werde; sie wende sich gegen die Entscheidung über die endgültige Genehmigung als auch gegen die Entscheidung über die einstweilige Erlaubnis.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
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<dd><p></p></dd>
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<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Dieses Vorbringen führt nicht zum Erfolg der Beschwerde der Antragstellerin. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass die der Beigeladenen zu 1. erteilte einstweilige Erlaubnis nicht bereits deshalb rechtswidrig ist, weil die Antragsgegnerin nicht stattdessen die der Beigeladenen zu 1. erteilte endgültige Linienverkehrsgenehmigung für sofort vollziehbar erklärt hat. Das Verwaltungsgericht weist zu Recht darauf hin, dass der Wortlaut des § 20 PBefG, wonach die Genehmigungsbehörde dem Antragsteller bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 oder Abs. 1a PBefG eine widerrufliche einstweilige Erlaubnis erteilen kann, wenn die sofortige Einrichtung, Erweiterung oder wesentliche Änderung eines Linienverkehrs mit Kraftfahrzeugen im öffentlichen Verkehrsinteresse liegt, keine einschränkenden Voraussetzungen dahingehend enthält, dass eine Eilbedürftigkeit nur bejaht werden könnte, wenn eine Genehmigung nicht beantragt ist oder nicht rechtzeitig ergehen kann. In der Vorschrift wird kein Bezug zum Status eines Genehmigungsverfahrens hergestellt. Es ist in der Rechtsprechung vielmehr anerkannt, dass die einstweilige Erlaubnis nach § 20 Abs. 1 PBefG auch dazu dienen kann, den Zustand zu überbrücken, der eintritt, wenn die Erteilung einer Linienverkehrsgenehmigung durch einen Konkurrenten angefochten ist, gleichwohl aber ein öffentliches Bedürfnis für die Aufnahme des Linienverkehrs besteht (vgl. Beschluss des Senats vom 20.05.2016 - 7 ME 50/16 -, juris; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 26.09.2017 - 7 B 11392/17 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.07.2017 - 9 S 1431/17 -, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.09.2008 - 13 B 929/08 -, juris; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23.10.2007 - 1 M 148/07 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.01.2007 - 3 S 2675/06 -, juris; a. A.: Heinze/Fiedler in: Heinze/Fehling/Fiedler, PBefG, 2. Auflage 2014, § 20 Rn. 5 ff.). Dafür sprechen auch die Systematik und der Sinn und Zweck der Regelungen des Personenbeförderungsgesetzes. Dem Antragsteller um eine Linienverkehrsgenehmigung wird die Genehmigungsurkunde erst erteilt, wenn die Entscheidung unanfechtbar geworden ist (§ 15 Abs. 2 PBefG). Erst zu diesem Zeitpunkt kann von der Genehmigung Gebrauch gemacht werden. Genehmigungen im Sinne des PBefG dürfen auch nicht vorläufig oder mit einem Widerrufsvorbehalt erteilt werden (§ 15 Abs. 4 PBefG). Eine Eilbedürftigkeit im Sinne des § 20 PBefG kann deshalb insbesondere bei fehlender Bestandskraft der Linienverkehrsgenehmigung aufgrund einer Konkurrentenklage bejaht werden. Aus dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. August 2012 (Az. 11 CS 12.1607, juris) ergibt sich nichts anderes. Dort wird lediglich ausgeführt, dass § 20 PBefG keine die Regelung des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO verdrängende Sonderregelung darstelle. Für den Senat ist auch nicht erkennbar, dass der Rechtsschutz für die Antragstellerin durch die von der Antragsgegnerin gewählte Vorgehensweise unzumutbar erschwert würde. Zwar weist die Antragstellerin zu Recht darauf hin, dass neben der endgültigen Linienverkehrsgenehmigung auch noch die einstweilige Erlaubnis angefochten werden muss. Dass dies für die Antragstellerin unzumutbar wäre, ist jedoch nicht ersichtlich. Auch im Falle der Anordnung der sofortigen Vollziehung der endgültigen Linienverkehrsgenehmigung müsste ein weiteres Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes angestrengt werden. Das vorliegende Verfahren zeigt zudem, dass die gerichtliche Überprüfung der einstweiligen Erlaubnis auch unter zeitlichen Aspekten möglich ist. Schließlich weist die Antragsgegnerin zu Recht darauf hin, dass auch die Antragstellerin die Erteilung einer einstweiligen Erlaubnis nach § 20 PBefG beantragt hat und mit der vorliegenden Beschwerde weiterverfolgt. Diesem Begehren müsste nach der von ihr vertretenen Rechtsauffassung dann ebenfalls der Erfolg versagt bleiben.</p></dd>
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<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Die Antragstellerin wendet mit ihrer Beschwerdebegründung des Weiteren ein, dass es im Falle einer Antragskonkurrenz mehrerer Bewerber um eine einstweilige Erlaubnis zwar in der Regel sachgerecht sei, die einstweilige Erlaubnis demjenigen Unternehmer zu erteilen, dem auch die endgültige, wenn auch nicht bestandskräftige Linienverkehrsgenehmigung erteilt worden sei. Etwas anderes gelte jedoch dann, wenn sich die Sach- und Rechtslage zwischenzeitlich geändert habe oder wenn die im Rahmen der Erteilung der Linienverkehrsgenehmigung getroffene Auswahlentscheidung offensichtlich fehlerhaft sei. In diesem Fall müsse die Genehmigungsbehörde in eine erneute Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen eintreten. Dies verkenne das Verwaltungsgericht, wenn es zunächst ausführe, dass die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin betreffend die Genehmigung teilweise an Ermessensfehlern leide, sodann aber feststelle, dass es nicht ausgeschlossen erscheine, dass auch eine rechtmäßige Entscheidung der Antragsgegnerin zum gleichen Ergebnis führe. Diese Auffassung überzeuge nicht. Die Entscheidung sei nicht offen, sondern könne allein zu ihren, der Antragstellerin, Gunsten ergehen. Sie habe eine Vielzahl der im Rahmen der Auswahlentscheidung gemäß § 13 Abs. 2b PBefG zu berücksichtigenden Maßstäbe in das Verfahren eingebracht; das Verwaltungsgericht sei dem in seiner Urteilsbegründung in der Sache 7 A 970/18 betreffend die Linienverkehrsgenehmigung auch weitestgehend gefolgt. Es habe eine Vielzahl von Fehlern in der Auswahlentscheidung aufgezeigt, die erhebliche Zweifel dahingehend auslösten, dass die Auswahlentscheidung Bestand haben könne. Lege man alle Aspekte zugrunde, werde überdeutlich, dass ihr, der Antragstellerin, Angebot deutlich besser und die Entscheidung in der Hauptsache gerade nicht offen sei. Dieses Ergebnis werde zudem noch dadurch gestützt, dass allein ihr der Besitzstandsschutz gemäß § 13 Abs. 3 PBefG zukomme. Der Besitzstandsschutz könne sogar einen gewissen Rückstand ausgleichen. Insofern sei nicht nachvollziehbar, warum die im Verfahren 7 A 970/18 tenorierte Neubescheidung offen sein solle. Das Ermessen der Genehmigungsbehörde sei auf Null geschrumpft, so dass ein Verpflichtungsurteil hätte ergehen müssen. Wegen der offensichtlichen Fehlerhaftigkeit der endgültigen Genehmigung sei auch die der Beigeladenen zu 1. ebenfalls erteilte einstweilige Erlaubnis rechtswidrig. Die einstweilige Erlaubnis sei ihr, der Antragstellerin, zu erteilen. Sie habe das bessere Verkehrsangebot abgegeben, ihr komme der Besitzstandsschutz zu Gute und sie habe den Verkehr bislang und stets beanstandungsfrei im Rahmen des gesamten Stadtverkehrs H. durchgeführt. Hinzu komme, dass aufgrund des parallel verlaufenden gerichtlichen Verfahrens um die endgültige Genehmigung die Verkehrsdurchführung für einen längeren Zeitraum auf der Basis einstweiliger Erlaubnisse erfolgen müsse. Der gemäß Art. 12 GG verfassungsrechtlich geschützte Marktzugang werde damit allein durch den Erhalt dieser einstweiligen Erlaubnisse gewährleistet. Dem im Genehmigungswettbewerb unterlegenen Bewerber könne nicht zugemutet werden, das Hauptverfahren um die endgültige Genehmigung abzuwarten. Vielmehr müsse im Rahmen der Eilentscheidung eine Interessenabwägung stattfinden. Eine solche würde hier zu ihren, der Antragstellerin, Gunsten ausfallen. Sie habe die Verkehre bislang durchgeführt und sie müsse es wegen der fehlerhaften Auswahlentscheidung nicht hinnehmen, dass die Verkehre auf Basis einer rechtswidrigen Genehmigung von der Beigeladenen zu 1. durchgeführt werden. Es sei fehlerhaft, im Falle eines offenen Ausgangs das Interesse an der Neuaufnahme der Verkehre durch den Konkurrenten höher zu bewerten als das Recht des Altbetreibers auf Beibehaltung der Verkehre.</p></dd>
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<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Auch dieses Vorbringen vermag der Beschwerde der Antragstellerin nicht zum Erfolg zu verhelfen. Nach gefestigter verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung - auf die sowohl das Verwaltungsgericht als auch die Beteiligten Bezug nehmen - ist es bei einem Konkurrieren mehrerer Bewerber um eine einstweilige Erlaubnis nach § 20 PBefG in der Regel sachgerecht, die einstweilige Erlaubnis demjenigen Unternehmer zu erteilen, dem auch die endgültige, wenn auch noch nicht bestandskräftige Linienverkehrsgenehmigung erteilt worden ist, sog. „Vorwirkung“ der Genehmigung (vgl. Beschluss des Senats vom 20.05.2016, a. a. O.; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 26.09.2017, a. a. O.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.07.2017, a. a. O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.09.2008, a. a. O.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23.10.2007, a. a. O.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.01.2007, a. a. O.). Dies gilt auch dann, wenn mit der Erteilung einer einstweiligen Erlaubnis ein Unternehmerwechsel verbunden ist, die Genehmigungsbehörde dem damit verbundenen Verwaltungsaufwand aber im Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums nur eine geringe Bedeutung beimisst (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.07.2017, a. a. O.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.01.2007, a. a. O.). Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich die Sach- und Rechtslage zwischenzeitlich geändert hat - was hier weder geltend gemacht wird noch sonst erkennbar ist - oder wenn die im Rahmen der Erteilung der Linienverkehrsgenehmigung getroffene Auswahlentscheidung offensichtlich fehlerhaft ist (vgl. Beschluss des Senats vom 20.05.2016, a. a. O.; Hamburgisches OVG, Beschluss vom 21.02.2011 - 3 Bs 131/10 -, juris) bzw. wenn bei der Erteilung der Genehmigung ganz offensichtlich eine falsche Rechtsanwendung erfolgt ist (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 26.09.2017, a. a. O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.09.2008, a. a. O.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23.10.2007, a. a. O.).</p></dd>
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<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
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<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Nach diesen Maßstäben hat die Antragsgegnerin in nicht zu beanstandender Weise entschieden, dass die Erteilung der einstweiligen Erlaubnis nach § 20 Abs. 1 PBefG an die Beigeladene zu 1., der auch die endgültige, aber angefochtene Linienverkehrsgenehmigung erteilt wurde, sachgerecht ist. Bei der Erteilung der endgültigen Linienverkehrsgenehmigung liegt keine „offensichtlich“ falsche Rechtsanwendung vor. Zwar hat das Verwaltungsgericht Oldenburg in seinem Urteil vom 16. Oktober 2018 betreffend die endgültige Linienverkehrsgenehmigung (Az. 7 A 970/18) festgestellt, dass die von der Antragsgegnerin getroffene Auswahlentscheidung nach § 13 Abs. 2b PBefG teilweise beurteilungs- und ermessensfehlerhaft ist. Es hat die Antragsgegnerin daher verpflichtet, über den Antrag der Antragstellerin auf Erteilung einer eigenwirtschaftlichen Linienverkehrsgenehmigung erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Dieses Urteil ist jedoch nicht rechtskräftig; die Beigeladene zu 1. hat bei dem beschließenden Senat einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt (Az. 7 LA 90/18), über den noch nicht entschieden ist. Zum jetzigen Zeitpunkt ist für den Senat angesichts des Zulassungsvorbringens jedenfalls nicht „offensichtlich“, dass die getroffene Auswahlentscheidung fehlerhaft ist. Dies gilt umso mehr, als die Auswahlentscheidung nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist. Im Rahmen der Auswahlentscheidung steht der Behörde bei der Bewertung der Verkehrsbedürfnisse, ihrer befriedigenden Bedienung sowie der Gewichtung der öffentlichen Verkehrsinteressen ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu, weil diese Entscheidung nicht nur prognostische, sondern auch verkehrs- und raumordnungspolitische Wertungen voraussetzt (vgl. Beschluss des Senats vom 20.05.2016, a. a. O.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.07.2017, a. a. O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.09.2008, a. a. O.).</p></dd>
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<dl class="RspDL">
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<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Hinzu kommt - darauf weist das Verwaltungsgericht zu Recht hin -, dass eine „Vorwirkung“ der Genehmigung nicht bereits dann entfällt, wenn die Genehmigungserteilung aus irgendwelchen Gründen derzeit (offensichtlich) rechtswidrig ist. Vielmehr ist es erforderlich, dass sich die (offensichtlich) unrichtige oder unzureichende Rechtsanwendung offensichtlich auf die getroffene Entscheidung über die beste Verkehrsbedienung auswirkt und deshalb die ansonsten anzunehmende „Vorwirkung“ entfällt. In diesem Sinne wird vor allem hinsichtlich der Abwägungs- und Ermessensentscheidung nach § 13 Abs. 2b PBefG die innerhalb des gerichtlichen Rechtsschutzes gegen die Entscheidung nach § 20 Abs. 1 PBefG anzulegende Prüfungsdichte auf „massive, nicht mehr tolerierbare Fehlgewichtungen“ beschränkt (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 26.09.2017, a. a. O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.09.2008, a. a. O.). Die danach erforderliche Zielbezogenheit der Offensichtlichkeit lässt sich auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entnehmen, wonach es nicht Sinn der einstweiligen Erlaubnis sein könne, einen Linienverkehr zu ermöglichen, bei dem schon jetzt „eindeutig“ feststehe, dass er dem Gesetz widerspreche (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.10.1968 - VII C 90.66 -, juris; vgl. dazu auch: OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 26.09.2017, a. a. O.). Vorliegend steht entgegen der Auffassung der Antragstellerin zum jetzigen Zeitpunkt nicht „eindeutig“ fest, dass der Betrieb der Stadtbuslinie G. durch die Beigeladene zu 1. den gesetzlichen Regelungen des Personenbeförderungsgesetzes widerspricht. Unabhängig davon, dass aufgrund des schwebenden Berufungszulassungsverfahrens betreffend die endgültige Linienverkehrsgenehmigung (Az. 7 LA 90/18) noch offen ist, ob die von der Antragsgegnerin getroffene Auswahlentscheidung - wie vom Verwaltungsgericht angenommen - überhaupt rechtlich zu beanstanden ist (siehe oben), erscheint es bei einer unterstellten Rechtswidrigkeit der Auswahlentscheidung jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass eine rechtmäßige Entscheidung der Antragsgegnerin zu dem gleichen Ergebnis führen würde. Daran vermag auch das von der Antragstellerin erneut angeführte Altunternehmerprivileg des § 13 Abs. 3 PBefG nichts zu ändern. Denn auch wenn dadurch ein gewisser Rückstand des Altunternehmers ausgeglichen werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.12.2013 - 3 C 30.12 -, juris), steht aufgrund des Beurteilungsspielraums der Antragsgegnerin nicht offenkundig fest, dass eine erneute Auswahlentscheidung allein zu Gunsten der Antragstellerin ausgehen kann.</p></dd>
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<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Die Überprüfung der Genehmigungsauswahlentscheidung auf offensichtliche Fehler zu beschränken, ist auch mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes vereinbar. Denn die Erteilung einstweiliger Erlaubnisse erfolgt, wie sich § 20 Abs. 1 PBefG entnehmen lässt, ausschließlich im öffentlichen Verkehrsinteresse. Sie dient der Überbrückung solcher Zeiten, in denen eine unanfechtbare Genehmigung - hier wegen der Anfechtung durch einen Konkurrenten - noch nicht vorliegt, gleichwohl aber ein öffentliches Bedürfnis für die Aufnahme des Linienverkehrs besteht. Der Begünstigte verbessert dadurch seine Rechtsposition im Genehmigungsverfahren nicht, insbesondere erlangt er durch die Erteilung einer einstweiligen Erlaubnis keine Rechtsposition, die der eines vorhandenen Unternehmers entspricht. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin wird der verfassungsrechtlich geschützte Marktzugang auch nicht allein durch den Erhalt von einstweiligen Erlaubnissen gewährleistet. Zwar ist ihr darin zuzustimmen, dass die Verkehrsdurchführung aufgrund des parallel verlaufenden gerichtlichen Verfahrens um die endgültige Genehmigung regelmäßig für einen längeren Zeitraum auf der Basis einstweiliger Erlaubnisse erfolgt. Die endgültige Linienverkehrsgenehmigung wird damit jedoch nicht bedeutungslos. Wie der zeitliche Ablauf des Verfahrens betreffend die endgültige Genehmigung (Az. 7 A 970/18 bzw. 7 LA 90/18) zeigt, kann mit einer gerichtlichen Entscheidung in einem überschaubaren Zeitraum gerechnet werden; die Gefahr einer „Erledigung“ durch Zeitablauf besteht regelmäßig nicht. Diese Situation rechtfertigt es, die Ermessensgerechtigkeit der Erteilung der einstweiligen Erlaubnis an den erfolgreichen Bewerber um die Genehmigung nicht davon abhängig zu machen, dass die Genehmigungsbehörde ihre Genehmigungsauswahlentscheidung auf Einwände eines Konkurrenten einer vertieften und abschließenden Prüfung unterzieht. Verlangt man aber von der Genehmigungsbehörde eine solche Prüfung nicht, kann auch die gerichtliche Prüfung nicht weitergehen (vgl. Beschluss des Senats vom 20.05.2016, a. a. O.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23.10.2007, a. a. O.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.01.2007, a. a. O.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Soweit die Antragstellerin meint, im Rahmen der Eilentscheidung müsse eine Interessenabwägung stattfinden und im Falle eines offenen Ausgangs der Auswahlentscheidung sei es fehlerhaft, das Interesse an der Neuaufnahme der Verkehre durch den Konkurrenten höher zu bewerten als das Recht des Altbetreibers auf Beibehaltung der Verkehre, kann dem vor dem Hintergrund der oben zitieren Rechtsprechung, an der der Senat festhält, nicht gefolgt werden. Erweist sich die im Rahmen der Erteilung der Linienverkehrsgenehmigung getroffene Auswahlentscheidung im Ergebnis nicht als „offensichtlich“ fehlerhaft, bleibt es bei der „Vorwirkung“ der endgültigen Linienverkehrsgenehmigung, d. h. die einstweilige Erlaubnis ist demjenigen Unternehmer zu erteilen, dem auch die endgültige, wenn auch noch nicht bestandskräftige Linienverkehrsgenehmigung erteilt worden ist. Eine Ausdehnung der Ausnahme auf nur „möglicherweise“ fehlerhafte Auswahlentscheidungen - d. h. auf Fälle, in den der Ausgang der Auswahlentscheidung offen ist -, würde im Ergebnis einen gerichtlichen Eingriff in den planerisch-prognostischen Beurteilungsspielraum der Genehmigungsbehörde darstellen.</p></dd>
</dl>
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<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen beruht die Entscheidung auf § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, weil sie keinen eigenen Antrag gestellt und sich daher keinem Kostenrisiko (§ 154 Abs. 3 VwGO) ausgesetzt haben.</p></dd>
</dl>
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<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
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<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Bei Streitigkeiten um Linienverkehrsgenehmigungen beläuft sich der Streitwert gemäß Ziffer 47.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11) zwar grundsätzlich auf 20.000,00 € je Linie. Dieser Betrag ist vorliegend allerdings auf 5.000,00 € reduziert worden, weil die Beteiligten im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes lediglich um eine einstweilige Erlaubnis mit sehr viel kürzerer Geltungsdauer streiten (vgl. Beschluss des Senats vom 20.05.2016, a. a. O.).</p></dd>
</dl>
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<dd><p></p></dd>
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<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd>
</dl>
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<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
<p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE190000208&psml=bsndprod.psml&max=true</p>
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<dd><p>Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 2. Kammer, Einzelrichter - vom 12. September 2017 wird abgelehnt.</p></dd>
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<dd><p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p></dd>
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<dd><p>Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf <strong>1.985,28 Euro</strong> festgesetzt.</p></dd>
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</dl>
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<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist abzulehnen, da der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht vorliegt.</p></dd>
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<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Für das Vorliegen ernstlicher Zweifel ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats erforderlich, dass ein Erfolg des Rechtsmittels, dessen Zulassung begehrt wird, mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie dessen Misserfolg (Senatsbeschluss vom 14. Mai 1999 – 2 L 244/98 – juris, Rn. 21). Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen jedoch nur, wenn einzelne tragende Rechtssätze oder erhebliche Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts durch schlüssige Gegenargumente infrage gestellt werden. Schlüssige Gegenargumente liegen vor, wenn der Antragsteller substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 20. Dezember 2010 – 1 BvR 2011/10 –, Rn. 19, juris). Ernstliche Zweifel in diesem Sinne wirft das Zulassungsvorbringen nicht auf.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht hat die Anfechtungsklage gegen den Zweitwohnungssteuerbescheid für das Veranlagungsjahr 2015 im Wesentlichen mit der Erwägung abgewiesen, dass die Zweitwohnung nicht als reine Kapitalanlage gehalten werde. Bei einer Eigenvermietung der Wohnung sei zwar nicht ausgeschlossen, dass es sich um eine reine Kapitalanlage handle, jedoch seien strenge Anforderungen an die Widerlegung der Vermutung der Vorhaltung der Wohnung für den persönlichen Bedarf zu stellen. Widerlegende Umstände lägen nicht vor. Die vom Kläger erzielten Vermietungszeiten von 170 Tagen im Jahr seien nicht derart, dass eine Eigennutzung der Wohnung für den Kläger oder seine Familienangehörigen ausgeschlossen sei. Es lägen auch keine sonstigen besonderen Umstände vor, die trotz der Vermietung in Eigenregie die Annahme begründeten, die für den persönlichen Gebrauch streitende Vermutung sei widerlegt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Der Kläger trägt zur Darlegung ernstlicher Zweifel vor: Die Vermutung, dass in Fällen einer Eigenvermietung der Zweitwohnung, diese auch für Zwecke der persönlichen Lebensführung vorgehalten werde, müsse widerlegbar sein. Er habe im Schriftsatz vom 28. September 2017 unter Beweis gestellt, dass er und seine Frau seit sie Eigentümer seien, niemals in der Zweitwohnung genächtigt hätten. Darüber hinaus sei das Verwaltungsgericht offensichtlich davon ausgegangen, dass aus der relativ geringen Anzahl an Vermietungszeiten der Schluss gezogen werden könne, die Zweitwohnung habe für eine Eigennutzung zur Verfügung gestanden. Das Verwaltungsgericht habe dabei jedoch übersehen, dass die Vermarktung der Wohnung erst ab April 2015 möglich gewesen sei. Als Zeitpunkt für den Besitzübergang sei vertraglich der 1. Februar 2015 vereinbart worden. Im Februar und März seien Renovierungsarbeiten durchgeführt worden. Im Übrigen müsse dem Wohnungseigentümer freigestellt sein, in welchem Umfang er die Wohnung vermiete bzw. selbst darüber entscheiden, wie intensiv sie genutzt werde. Es müsse nur sichergestellt sein, dass keine Eigennutzung erfolge.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>1. Das Vorbringen zum Beweis(ermittlungs)antrag stellt die Richtigkeit des Urteils nicht schlüssig in Frage. Die Vermutung, dass die Zweitwohnung (auch) für den persönlichen Lebensbedarf vorgehalten wird, wäre nicht dadurch erschüttert, dass der Kläger und seine Ehefrau im Veranlagungszeitraum nicht in der Wohnung übernachtet hätten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Ein Vorhalten der Zweitwohnung für die persönliche Lebensführung ist bereits dann gegeben, wenn sich der Wohnungsinhaber die Möglichkeit einer Eigennutzung offen gehalten hat; auf eine tatsächliche eigene Nutzung kommt es nicht an. Hat der Zweitwohnungsinhaber die Wohnung im Erhebungsjahr tatsächlich nicht selbst genutzt, ist die Steuerpflicht deshalb nicht ausgeschlossen, sofern er die Wohnung in Leerstandszeiten hätte nutzen können. Auch wenn die rein tatsächliche und rechtliche Nutzungsmöglichkeit zur Verwirklichung des Steuertatbestandes des „Vorhaltens“ nicht ausreicht, streitet für die steuererhebende Gemeinde die Vermutung, dass die Zweitwohnung (auch) für den persönlichen Lebensbedarf vorgehalten wird, solange ihr Inhaber keine Umstände vorträgt, die diese Vermutung erschüttern. Der gesamte „objektive Sachverhalt“ ist daraufhin zu überprüfen, ob sich aus ihm mit der gebotenen Sicherheit die subjektive Zweckbestimmung der Zweitwohnung entnehmen lässt. Diese innere Tatsache ist nur auf der Grundlage objektiver, nach außen in Erscheinung tretender, verfestigter und von Dritten nachprüfbarer Umstände zu beurteilen (BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 1995 – 8 C 40.93 –, Ls. und Rn. 10, juris; Senatsurteile vom 18. Oktober 2000 – 2 L 64/99 –, Rn. 30, juris, und vom 13. Oktober 2005 – 2 LB 27/05 – [unveröffentlicht]; Senatsbeschlüsse 5. November 2007 – 2 LA 11/07– und vom 17. Juni 2009 – 2 LA 25/09 – [unveröffentlicht]).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Bei einer Zweitwohnung, die vom Inhaber selbst an Dritte weitervermietet wird, ist regelmäßig davon auszugehen, dass die Wohnung auch für Zwecke der persönlichen Lebensführung vorgehalten wird. Zwar ist auch in Fällen der Eigenvermietung der Wohnung die Annahme einer reinen Kapitalanlage nicht von vornherein ausgeschlossen, doch gelten insoweit strenge Anforderungen. Die Eigenvermietung der Wohnung lässt gerade die Möglichkeit der jederzeitigen und kurzfristigen Zweckänderung offen und ist auch objektiv nicht geeignet, die Inanspruchnahme zu eigenen Zwecken auszuschließen (BVerwG, Beschluss vom 21. Februar 1994 – 8 B 22.94 –, Rn. 4, juris; Senatsurteil vom 18. Oktober 2000 – 2 L 64/99 –, Rn. 32, juris; Senatsbeschlüsse vom 3. August 2007 – 2 LA 55/07 –, vom 5. November 2007 – 2 LA 11/07– und vom 17. Juni 2009 – 2 LA 25/09 – [unveröffentlicht]).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Der Behauptung, der Kläger und seine Frau hätten, seit sie Eigentümer sind, niemals in der Zweitwohnung genächtigt, ist nicht entscheidungserheblich. Der bloße Umstand der Nichtnutzung als solcher genügt nicht den strengen Anforderungen, die bei einer Eigenvermietung an die Erschütterung der Vermutung zu stellen sind. Dass die Zweitwohnung im Veranlagungszeitraum tatsächlich nicht vom eigenvermietenden Wohnungsinhaber zur Übernachtung genutzt wurde, zeigt nicht, dass sich keine Nutzungsmöglichkeit vorbehalten wurde. Sonstige – objektiv erkennbare – Umstände, die im Zusammenspiel mit einer tatsächlichen Nichtnutzung erkennen lassen, dass der Kläger die Wohnung als reine Kapitalanlage vorgehalten hat, sind nicht ersichtlich (hierzu noch unter 2.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>2. Das Vorbringen zum Umfang der Vermietung stellt die Richtigkeit des Urteils ebenfalls nicht schlüssig in Frage. Der Kläger verkennt, dass das Verwaltungsgericht die Anzahl der vermieteten Tage nicht herangezogen hat, um eine Eigennutzung/ Eigennutzungsmöglichkeit zu belegen, sondern – gerade entgegengesetzt – dazu, ob sich aus der Anzahl der vermieteten Tage ein Indiz dafür ergibt, dass sich keine Eigennutzung vorbehalten wurde. Das Verwaltungsgericht hat insoweit geprüft, ob die Anzahl der vermieteten Tage ein Umstand ist, der die Vermutung, dass die Wohnung auch für Zwecke der persönlichen Lebensführung vorgehalten wird, erschüttert. Es hat dies zutreffend verneint.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Das Vorbringen zur Besitzeinräumung zum 1. Februar 2015 sowie der Renovierung im Februar und März 2015, sodass die Wohnung erst ab April 2015 zur Vermarktung zur Verfügung stand, mit dem sich das Verwaltungsgericht nicht explizit befasst hat, rechtfertigt keine andere Bewertung. Auch bezogen auf den Zeitraum April bis Dezember 2015 (275 Tage) sind 170 Vermietungstage kein Umstand, der geeignet ist, die strengen Anforderungen zu erfüllen, die bei einer Eigenvermietung an die Erschütterung der Vermutung zu stellen sind. Zwar kann ein sehr hoher Vermietungsanteil bei gleichzeitiger tatsächlicher Nichtnutzung im Einzelfall geeignet sein, die Vermutung zu erschüttern, ein solcher liegt hier jedoch nicht vor. Der Auslastungsgrad für den Zeitraum April bis Dezember 2015 beträgt circa 62 % (170/275).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>3. Das Vorbringen, dass es dem Wohnungseigentümer freigestellt sein müsse, in welchem Umfang er die Wohnung vermiete bzw. selbst darüber entscheiden können müsse, wie intensiv sie genutzt werde, solange nur sichergestellt sei, dass keine Eigennutzung erfolge, zeigt keine ernstlichen Zweifel auf.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Dem Zweitwohnungsinhaber ist die Entscheidungsbefugnis über den Zweck, zu dem die Zweitwohnung gehalten wird, unbenommen. Die beweisrechtlichen Grundsätze zur Ermittlung der Zweckbestimmung, die der Kläger wohl moniert, lassen diese Entscheidungsbefugnis nicht nur unberührt, sondern setzen diese voraus, da sie gerade auf die Ermittlung der konkreten Zwecksetzung (im Veranlagungszeitraum) gerichtet sind. Der Zweck, zu dem die Zweitwohnung gehalten wird, ist eine Tatfrage in Gestalt einer inneren Tatsache. Diese ist ihrer Natur nach einer unmittelbaren Anschauung nicht zugänglich, sondern muss durch äußere Umstände erschlossen werden (BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 1995 – 8 C 40.93 –, Rn. 10, juris). Auch dass der Ausgangspunkt der Prüfung die widerlegliche tatsächliche Vermutung ist, dass die Zweitwohnung zumindest auch der persönlichen Lebensführung dient, beeinträchtigt nicht die Entscheidungsbefugnis des Zweitwohnungsinhabers. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass die Zweitwohnung vom Inhaber auch zu eigenen konsumtiven Zwecken genutzt wird. Diese Typizität kann, gerade im Bereich der Massenverwaltung, in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zur Grundlage einer tatsächlichen Vermutung gemacht werden (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. Juni 1995 – 1 BvR 1800/94 –, Rn. 23, juris; BVerwG, Beschluss vom 30. Oktober 2013 – 9 B 42.13 –, Rn. 3 mwN, juris). Dass die Entscheidungsbefugnis des Wohnungsinhabers angesichts dieser Vermutung nicht leer läuft, ist durch die Möglichkeit zur Erschütterung im Einzelfall hinreichend abgesichert.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG. Da der Bescheid vom 16. Februar 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2016 vollumfänglich zum Gegenstand der Anfechtungsklage gemacht wurde, sind sowohl der Steuerbetrag für das Jahr 2015 (986,14 €) als auch der Vorauszahlungsbetrag für das Jahr 2016 (999,14 €) zu berücksichtigen. Der Streitwert ist nicht nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG zu erhöhen. Da der allein streitgegenständliche Zweck der Innehabung der Zweitwohnung von den Umständen im Veranlagungsjahr abhängig ist, liegen keine offensichtlich absehbaren Auswirkungen iSd § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd>
</dl>
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