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Zum ersten Mal in seiner Amtszeit muss Donald Trump fürchten, dass sich seine eigene Partei gegen ihn stellt und er das nicht verhindern kann. Konkret geht es um eine Resolution, die sich gegen den jüngst ausgerufenen nationalen Notstand ausspricht. Der US-Präsident hatte ihn damit begründet, Gelder für die Grenzsicherung zu benötigen, in dem Fall für den Bau seiner versprochenen "Mauer" zu Mexiko. Im Streit um den Haushalt hatte er nicht durchsetzen können, dass die von ihm gewünschten Milliarden dafür bereitgestellt werden. Die Demokraten im Repräsentantenhaus haben die Einspruch-Resolution bereits mit ihrer Mehrheit verabschiedet. Nun gibt es offenbar auch im Senat genügend Stimmen. Und das, obwohl die Republikaner dort über eine Mehrheit von drei Sitzen verfügen. Notstand-Bauchschmerz Der republikanische Senatsführer Mitch McConnell hat Trump bereits die Nachricht überbracht, die für kommende Woche geplante Abstimmung nicht verhindern zu können. Mindestens vier Republikaner haben bereits ihre Zustimmung angekündigt. Nach Aussage des republikanischen Senators Rand Paul könnten um die zehn Republikaner bereit sein, die Resolution zu unterstützen. Am Ende könnten es anderen Quellen zufolge sogar bis zu 15 Senatoren werden. Der Kongress wolle klarmachen, dass man "für die institutionellen Voraussetzungen und die Gewaltenteilung kämpfen wird", erklärte die Republikanerin Susan Collins. Sie hat sich wie Paul und einige andere bereits öffentlich positioniert. Als weitere mögliche Abweichler werden zum Beispiel der ehemalige Präsidentschaftskandidat Mitt Romney oder der texanische Senator Ted Cruz gehandelt. McConnell hatte wie einige andere Republikaner Trump vor der Ausrufung des Notstands gewarnt. Die Konservativen befürchten, dass der US-Präsident damit den Weg für ähnliche Schritte möglicher demokratischer Nachfolger bereite - zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Erderwärmung. "Das ist einer der Gründe, weshalb ich den Präsidenten - offensichtlich ohne Erfolg - darum gebeten habe, diesen Weg nicht zu gehen", sagte McConnell am Montag.
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Detailansicht öffnen Genug vom wirtschaftlichen Niedergang: Tausende Venezolaner demonstrieren bei einer Kundgebung in der Hauptstadt Caracas gegen die Politik von Präsident Nicolás Maduro. Sie hoffen, dass sich Oppositionsführer Juan Guaidó im Machtkampf durchsetzt. (Foto: Federico Parra/AFP) Der Machtkampf in Venezuela verschärft sich. Trotz schwerer Unruhen zeigt sich die Opposition hart und will Staatschef Nicolás Maduro zum Aufgeben zwingen. In dem südamerikanischen Ölland kündigten Oppositionsführer Juan Guaidó und andere Gegner der autoritären Regierung weitere Massenkundgebungen an. Die USA und andere Länder haben Guaidó bereits als Präsidenten anerkannt, die Spitze des Militärs stand am Donnerstag aber weiterhin zu Maduro. UN-Generalsekretär António Guterres rief die Konfliktparteien auf, weitere Gewalt zu vermeiden. Es dürfe zu keiner neuen Eskalation kommen. Bei den gewaltsamen Protesten wurden in den vergangenen Tagen nach Angaben der interamerikanischen Menschenrechtskommission mindestens 16 Menschen getötet. Die Reaktionen im Ausland sind alles andere als einhellig. Die Türkei und Russland stärkten Maduro den Rücken. Viele rechts regierte lateinamerikanische Länder und die USA haben hingegen Guaidó anerkannt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron twitterte ebenfalls eindeutig: "Nach der illegitimen Wahl von Nicolás Maduro 2018 unterstützt Europa die Wiederherstellung der Demokratie." Und auch Bundesaußenminister Heiko Maas machte klar, "wir sind nicht neutral in dieser Frage, sondern wir unterstützen das, was Guaidó dort tut". Die Bundesregierung setze sich für eine Neuwahl ein, sagte Maas in New York der Deutschen Welle. Spanien, das die Interessen von 200 000 Landsleuten in Venezuela vertritt, erkennt bisher weder Maduro noch Guaidó an. In Spanien leben Zehntausende Asylbewerber aus Venezuela, in mehreren Städten demonstrierten sie für die Opposition. Regierungschef Pedro Sánchez lobte den "Mut" Guaidós. Der 35 Jahre alte Parlamentspräsident hatte sich am Mittwoch selber zum Staatschef erklärt, weil Maduro kein rechtmäßiger Präsident sei. Er fühlt sich bestätigt durch die Organisation Amerikanischer Staaten, die Maduros Wahl im vergangenen Jahr nicht anerkennt. Guaidó gilt als Vertrauter des im Hausarrest sitzenden Oppositionspolitikers Leopoldo López, der eine sehr aggressive Linie gegen Maduro vertritt. Maduro hatte das Parlament, in dem die Opposition eine Mehrheit hat, im vergangenen Jahr entmachtet. Die Misswirtschaft seiner Regierung hat das Ölland in eine schwere Versorgungskrise gestürzt. Maduro verfügte den sofortigen Abbruch der Beziehungen zu den USA. Er kündigte an, dass er die venezolanische Botschaft und alle Konsulate in den USA schließen lassen wolle. US-Diplomaten hätten wiederum 72 Stunden Zeit, um Venezuela zu verlassen. Das Außenministerium in Washington stellte allerdings klar, dass die USA der Anordnung nicht folgen würden, da sie die Regierung Maduro nicht anerkennen. Präsident Donald Trump sagte auf die Frage von Journalisten, ob die USA militärisch eingreifen wollten: "Alle Optionen sind auf dem Tisch."
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Die Istanbuler Polizei hat am Freitagabend einen großen und friedlichen Marsch zum Internationalen Frauentag mit Tränengas und Barrieren gestoppt. Videos und Fotos auf oppositionellen türkischen Medienwebseiten zeigten hustende Menschen, die sich in Gebäudeeingänge oder Seitengassen flüchteten. Auch die große Zeitung Cumhuriyet berichtete, dass Tränengas eingesetzt worden sei. Einigen Videos in den sozialen Medien zufolge schossen Polizisten Gummigeschosse vor oder gegen die Füße von Demonstranten. Die Behinderung kam unerwartet. In den vergangenen Jahren hatten die Behörden die Märsche für Frauenrechte und gegen männliche Gewalt selbst während des Ausnahmezustands nach dem Putschversuch von 2016 erlaubt. Von der Polizei gab es zunächst keine Stellungnahme. Kleine Protestaktionen in anderen Stadtteilen Die größte Demonstration zum Frauentag in der Millionenstadt Istanbul zieht normalerweise die Istiklal-Einkaufsmeile hinunter. Diesmal hatte die Polizei die Straße, die am Taksim-Platz beginnt, schon früh am Abend und weit oben abgesperrt. Auch einige U-Bahn-Stationen an der Istiklal-Straße waren gesperrt. Eine Weile sangen und tanzten die mehrheitlich weiblichen Demonstranten an den Barrieren und forderten in Sprechchören, durchgelassen zu werden. Dann griff die Polizei ein und trieb sie auseinander. Kleinere Protestaktionen gingen später in Seitenstraßen oder anderen Stadtteilen weiter. In der Hauptstadt Ankara durfte am Freitagabend ein ähnlicher Protestmarsch ungehindert stattfinden.
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Der vergangene Sonntag war der erste in der Fastenzeit vor Ostern, und viele katholische Bischöfe in Deutschland nutzten ihre traditionellen Hirtenbriefe zur Reuebekundung: Der Skandal um die sexuelle Gewalt von Priestern gegen Schutzbefohlene müsse zur Umkehr und zur Erneuerung der Kirche führen. Er könne verstehen, dass Menschen nun der Kirche den Rücken kehrten, schrieb Bischof Felix Genn aus Münster; sein Limburger Amtsbruder Georg Bätzing erklärte, es müsse "der Missbrauch geistlicher Macht als eigentliche Ursache" benannt werden. Münchens Kardinal Reinhard Marx, der Bischofskonferenzvorsitzende, fügte hinzu: "Es geht hier nicht einfach um einige kirchenpolitische Maßnahmen, sondern um einen Weg der Erneuerung." Was das konkret bedeuten könnte, darüber beraten die deutschen Bischöfe seit Montagabend auf ihrer Frühjahrsversammlung in Lingen. Vor gut zwei Wochen erst endete der große Anti-Missbrauchsgipfel aller Bischofskonferenzvorsitzenden im Vatikan; Papst Franziskus bezeichnete dort mit starken Worten die sexuelle Gewalt als Werk des Teufels, die konkreten Ergebnisse des Treffens aber blieben hinter den Erwartungen vieler Katholiken zurück. Umso größer ist nun der Druck auf die deutschen Bischöfe. Am Montagabend hat der Bundesvorstand der katholischen Frauengemeinschaft (kfd) dem gastgebenden Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode 30 000 Unterschriften überreicht, mit denen die Frauen fordern, die Missbrauchsfälle kirchenunabhängig aufzuklären, "verkrustete Machtstrukturen" abzuschaffen und die kirchliche Sexualmoral zu ändern; demonstrativ richteten die Frauen dann Taschenlampen auf die Kirchentür: "Macht Licht an!" Doch die in Lingen versammelten Bischöfe sind sich uneins, wie die katholische Kirche aus der Krise finden könnte. Im Januar hatten unter anderem die Bischöfe Peter Kohlgraf (Mainz), Stefan Oster (Passau), Franz-Josef Overbeck (Essen) und Karl-Heinz Wiesemann (Speyer) ein Strategiepapier erarbeitet, mit einer dramatischen Analyse: Die Kirche befinde sich "in einer existenziellen Krise", heißt es da, "mit einem Grundproblem: Leben und Reden fallen in der Kirche weit auseinander". Es brauche "einen echten kirchlichen Wandel, der mit einem Mentalitätswandel (Demut) der Verantwortlichen beginnen" müsse. Die Bischöfe forderten in ihrem Papier einen "synodalen Prozess", eine solche allgemeine Kirchenversammlung werde "der Dramatik der Situation gerecht". Aber es gab heftigen Widerspruch, sodass das Vorhaben mehr oder weniger tot ist. So wird es in Lingen bei den Beratungen weniger darum gehen, inwieweit die katholische Kirche eine tief greifende Reform braucht, sondern vor allem um Konkretes: Wie sieht es mit der Zusammenarbeit mit den Staatsanwaltschaften aus? Manche Bistümer haben alle Akten mit Verdachtsmomenten den Ermittlern übergeben, andere aber nicht. Wie unabhängig sollen die Anlaufstellen für Betroffene sein? In einem Bistum nimmt sich eine unabhängige Anwaltskanzlei der Opfer an, in einem anderen treffen sie auf einen pensionierten Religionslehrer. Genügen die Entschädigungsregelungen? Kardinal Marx kündigte in Lingen an, die katholische Kirche in Deutschland müsse in diesen Fragen "zügig vorangehen und nicht darauf warten, was in anderen Teilen der Weltkirche passiert". Papst Franziskus hat die Bischofskonferenzen aufgefordert, Leitlinien im Umgang mit Missbrauchsfällen zu erarbeiten - im Zweifel aber entscheidet jeder Bischof als letzte Instanz, ob und wie umgesetzt wird, was beschlossen wurde. Und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die Vertreter der Betroffenen sich am Donnerstag, wenn die Konferenz endet, so äußern wie vor zwei Wochen in Rom: enttäuscht.
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Ein Bad in Blüten, Yoga mit Meerblick, Ausflüge zu goldglänzenden Tempeln, Elefanten und Teeplantagen. Das ist Sri Lanka, zumindest war es das in der Wahrnehmung vieler Touristen bis zu diesem blutigen Ostersonntag. Urlauber nehmen gern nur die bunte, überwinterungswarme Fassade der Insel wahr. Das ist auch einfach in den Ayurveda-Resorts und Hotelanlagen, wo man britischen Rasen imitiert und den Gästen zur Entspannung Öl über den Kopf träufelt. Doch das Schöne hat auf dieser jahrzehntelang von einem brutalen Bürgerkrieg zerrissenen Insel immer schon die Gewalt verdeckt. Trotzdem hat mit einem Anschlag wie diesem in der Tourismusbranche niemand gerechnet. Zehn Jahre lang gab es hier keine großen Terroranschläge. Und dass Urlauber als Ziel gewählt werden, kannte Sri Lanka bis dato überhaupt nicht. Nun aber ist das Trugbild einer heilen Welt, nach der sich die Einheimischen so sehnen wie ihre Gäste, zerbrochen. Das Auswärtige Amt hat bereits am Sonntag seine Reisehinweise für Sri Lanka aktualisiert. Reisende sind aufgefordert, "die Anschlagsorte weiträumig zu meiden" und "engen Kontakt zu Reiseveranstaltern und Fluggesellschaften zu halten". Urlauber können trotz Ausgangssperre zum Flughafen fahren. Allerdings dauert die Abfertigung aufgrund der verstärkten Kontrollen derzeit länger. Auf der Insel bangen die Menschen nun, ob die Urlauber ausbleiben werden und damit eine der wichtigsten Einnahmequellen des armen Landes wegbricht. Eine mittelfristige Prognose sei schwierig, sagt Edwin Doldi, Sicherheitsexperte beim Münchner Anbieter Studiosus. Ob Kunden stornieren oder Sri Lanka erst gar nicht buchen, hänge von der Entwicklung in den nächsten Wochen ab. Kritisch könne es werden, "wenn es weitere Anschläge oder Ausschreitungen gibt oder die Kunden dem Staat generell nicht trauen". Derzeit reagieren die Urlauber nach Angaben verschiedener Reiseveranstalter besonnen. Fast alle Gäste hielten an ihrer geplanten Reise fest, teilte die Tui mit. Das Unternehmen hätte eine vorzeitige Rückreise kostenfrei organisiert, das Angebot werde aber nicht in Anspruch genommen. DER-Touristik kündigte kostenfreie Stornierungen für Abreisen bis zum 24. April an. Lufthansa erklärte, Kunden könnten Tickets nach Sri Lanka umbuchen. Dies gelte für Tickets, die bis zum 21. April für Flüge bis zum 31. Mai ausgestellt worden seien. Thomas Cook, der mehrere Hundert Reisende auf der Insel hat, kündigte an, man werde "Rückreisewünsche kulant behandeln". Ohne die Kulanz der Veranstalter sind Stornierungen schwierig. Der Reiserechtler Paul Degott geht zwar davon aus, dass Urlauber, die in den kommenden Wochen Pauschalreisen nach Sri Lanka gebucht haben, kostenfrei absagen können, weil die Situation vor Ort so ungewiss sei. Prinzipiell aber ist eine Stornierung nur möglich, wenn "höhere Gewalt" die Reise erheblich beeinträchtigt. Als höhere Gewalt gelten Naturkatastrophen, politische Unruhen und Krieg. Da der Begriff nicht klar definiert ist, entscheidet im Streitfall ein Gericht. Die Richter beziehen sich meist auf die Reisehinweise des Auswärtigen Amtes, die in drei Kategorien unterteilt sind: Reisehinweise, Sicherheitshinweise und Reisewarnungen. Ausdrückliche Reisewarnungen spricht das Amt nur selten aus. Auf seiner Website sind aktuell Reise- oder Teilreisewarnungen für 25 Länder gelistet, darunter für den Norden der Sinai-Halbinsel, den Osten der Ukraine, Afghanistan oder Jemen. Sri Lanka gehört nicht dazu. Sri Lankas Tourismusbranche entwickelte sich seit dem Ende des Bürgerkriegs 2009 gut, wozu die deutschen Urlauber beigetragen haben. Die Zahl der Besucher hatte sich zwischen 2009 und 2018 laut der Nachrichtenagentur Reuters auf 2,3 Millionen verfünffacht. 2013 besuchten nach Angaben der Botschaft des Inselstaates etwa 85 000 Deutsche Sri Lanka. 2018 reisten dem Auswärtigen Amt zufolge knapp 157 000 Deutsche nach Sri Lanka. Sie sind damit nach Indern und Briten die wichtigste Gruppe. Die meisten Hotelanlagen liegen nach wie vor in dem von der singhalesischen Mehrheit bewohnten Westen und Süden der Insel. Zwar gibt es auch im Osten schöne Strände. Doch Orte wie Batticaloa oder Trincomalee, in denen überwiegend Tamilen leben, oder auch das muslimisch geprägte Kalmunai, wurden von der Regierung jahrzehntelang vernachlässigt. Hochsaison ist in Sri Lanka zwischen Januar und April. In diesem Frühjahr stagnierten die Urlauberzahlen erstmals seit Langem. Länder wie Großbritannien und Kanada hatten wegen der Übergriffe von nationalistischen Buddhisten auf Muslime und von Muslimen auf buddhistische Schreine Reisewarnungen ausgesprochen. Sri Lanka wollte gegensteuern und kündigte im März auf der Internationalen Reisemesse in Berlin die Aufhebung der Visumspflicht für EU-Bürger an. Die neue Regelung wurde allerdings bislang nicht umgesetzt.
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Als Jean-Claude Juncker sich 2015 zum ersten Mal mit einer großen Rede an das Europäische Parlament wandte, waren seine Prioritäten klar. "Wir brauchen mehr Union in unserer Flüchtlingspolitik", sagte er, es brauche einen "grundlegenden Wandel" im Asylsystem. In wenigen Wochen wird ein neues EU-Parlament gewählt, und kurz darauf wird auch Junckers Amtszeit zu Ende gehen. Für den Streit, wie dieser grundlegende Wandel zu bewerkstelligen ist, gilt das nicht - im Gegenteil: Dieser Donnerstag werde "der Tag sein, an dem wir offiziell erklären, dass wir uns nicht auf ein Asylpaket einigen werden können", sagte ein Diplomat im Vorfeld des Innenministertreffens am Donnerstag. Dabei hat sich die Situation seit 2015 vollkommen verändert: Im vergangenen Jahr kamen der Europäischen Kommission zufolge 150 000 Menschen auf illegalem Weg in die EU, 90 Prozent weniger als zum Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 und so wenige wie seit 2013 nicht. Die zentrale Mittelmeerroute vor allem über Libyen nach Italien, die in den vergangenen Jahren die meistgenutzte Route in die EU war, hat stark an Bedeutung verloren: Zahlen der Grenzschutzagentur Frontex zufolge kamen 2018 nur noch 23 000 Menschen auf dieser Route an, im Vorjahr waren es noch fast fünfmal so viele gewesen. Trotz aller Kritik an den Maßnahmen im Einzelnen zeigt die Flüchtlingspolitik der EU Wirkung. Obwohl der Druck zur Reform also längst nicht so groß ist wie 2015 - oder vielleicht auch gerade deswegen - geht es bei der Überarbeitung des europäischen Asylsystems nicht voran. Die Gespräche der Innenminister am Donnerstag blieben auch diesmal ohne konkrete Ergebnisse. Und beim anstehenden EU-Gipfeltreffen Ende des Monats steht das Thema zum ersten Mal seit Jahren noch nicht einmal mehr auf der Tagesordnung. Horst Seehofer (CSU) war mit einer Mission zu diesem letzten Innenministertreffen vor der Europawahl nach Brüssel gereist: "Wir sind für ein gemeinsames Asylpaket, aber es scheint so zu sein, dass dieses Regelwerk in dieser Legislatur nicht mehr verabschiedet werden kann", sagte er vor Beginn des Treffens. "Deshalb plädiere ich dafür, dass wir Teile dieses Regelwerks herauslösen." Das Regelwerk, das er meint, besteht aus sieben einzelnen Gesetzen. Zielländer wie Deutschland oder die Niederlande haben ein Interesse daran, dass zumindest ein paar dieser Gesetze verabschiedet werden, etwa jene, die die Weiterreise von Asylbewerbern innerhalb der EU erschweren. So beklagt sich der niederländische Migrationsminister Mark Harbers in einem Brief an den zuständigen EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos über Migranten, die von einem Mitgliedsland zum nächsten reisten und einfach einen neuen Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat stellen würden, wenn sie beim ersten keinen Erfolg hätten. Es fehlten die Mittel, diesen Missbrauch des Asylsystems zu verhindern. Auch kämen viele Menschen in den Niederlanden an, ohne in einem anderen Mitgliedstaat registriert worden zu sein. Er schlägt darum vor, die Zugehörigkeit zum Schengenraum daran zu knüpfen, dass das jeweilige Land gewisse Asylregeln einhalte. Vor allem die Visegrád-Länder weigern sich, an einer Verteilung von Migranten teilzunehmen Tatsächlich dürfte es für einige der Gesetze, die Harbers meint, eine Mehrheit unter den Mitgliedstaaten geben. Aber beim Kernstück der Reform geht es nicht voran - der Überarbeitung der Dublin-Verordnung, die die Umverteilung von Asylbewerbern in der EU regelt. Vor allem die Länder der Visegrád-Gruppe (Polen, Tschechien, Ungarn, Slowakei) weigern sich, an einer Verteilung teilzunehmen. Ohne eine solche Entlastung aber werden die südeuropäischen Länder kaum Gesetzen zustimmen, die es Migranten erschweren würden, diese Länder wieder zu verlassen. Das macht Seehofers Mission so schwierig, wenigstens Teile der Asylreform zu verabschieden - auch wenn er sich nach dem Ministerrat verhalten optimistisch zeigte, dass das vor der Wahl doch noch gelingen könnte. Der Streit um die Verteilung der Asylbewerber ist so festgefahren, dass sich nicht einmal für jene Migranten eine Lösung finden lässt, die von Schiffen aus dem Mittelmeer gerettet werden, auch wenn Deutschland und Frankreich andere Mitgliedstaaten schon seit einer Weile umgarnen, wenigstens für diese Fälle einem Verteilmechanismus zuzustimmen. Angesichts dieser Lage hält es ein Diplomat fast schon für eine Erleichterung, dass die Asylreform beim Gipfel Ende des Monats nicht auf der Tagesordnung steht: "Wir hätten sowieso nichts zu besprechen."
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Nun hat sich also die österreichische Bundesregierung höchstselbst der Causa "Kuh-Urteil" angenommen. Anfang der Woche präsentierte sie einen "Aktionsplan für sichere Almen". So befremdlich eine Pressekonferenz mit Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz zu vordergründig nebensächlichen Almfragen scheinen mag, ist solch ein Plan erst einmal logisch und richtig. Und zwar, weil nach dem Tod einer 45-jährigen deutschen Urlauberin durch einen Kuhangriff in einem Stubaier Seitental, gefolgt von einem jahrelangem Rechtsstreit, völlige Verunsicherung unter Österreichs Almbetreibern herrschte. Denn auf Außenstehende mag die im Februar in einem - noch nicht rechtskräftigen - Urteil verhängte Strafe von 180 000 Euro plus einer monatlichen Rente an die Hinterbliebenen vielleicht unangemessen wirken. Für Landwirte ist sie existenzbedrohend. Die Ankündigung des Aktionsplans dient also erstens einmal dem Zweck, die erhitzten Gemüter der Bauern zu beruhigen. Zweitens schafft sie mittelfristig eine wichtige Arbeitsgrundlage für die Tourismuswirtschaft, die von den Almen profitiert. Denn das Kuh-Urteil stellt die Destination Österreich wie eigentlich jedes Bergland vor das grundlegende Dilemma, ob das vom Touristen gemeinhin als attraktiv erachtete Gelände weiterhin uneingeschränkt offen zugänglich bleiben kann. Wurde doch genau dies dem Angeklagten zum Verhängnis: das Grünland, auf dem seine Tiere weiden, nicht ausreichend abgeriegelt, sondern es quasi der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt zu haben. Dabei soll die Ursache des Kuhangriffs sehr wahrscheinlich ein mitgeführter Hund gewesen sein. Das Problem ist eigentlich bekannt und wird auch publik gemacht. So warnen bereits vorhandene Ratgeber wie etwa die comicartig aufbereitete Broschüre "Eine Alm ist kein Streichelzoo" stets davor, dass Kühe aggressiv auf Hunde reagieren können. Verhindert hat das den tödlichen Unfall aber nicht. Der Aktionsplan der österreichischen Regierung sieht nun einerseits genaue Empfehlungen für Almbauern, andererseits einen Verhaltenskodex für Wanderer vor. Die Eigenverantwortung der Almbesucher soll dabei nicht alleine eingefordert, sondern auch gesetzlich verankert werden. Nur stellt sich dabei zwangsläufig auch die Frage, wie es generell um diese Eigenverantwortung der Reisenden steht. Kollidiert sie doch oft genug mit der Mentalität vieler Urlauber, sich eher nicht auf die Fremde einlassen zu wollen. Dass es nun weitere Regeln und Richtlinien für einen Almbesuch braucht, ist daher auch als ein Appell an die Vernunft der Wanderer zu verstehen, sich schon im Vorfeld eingehend mit jenem Terrain zu befassen, in dem man als Gast unterwegs ist. Sonst bleibt nur eine Lösung. Und die wird garantiert nicht darin bestehen, die Almen für die Kühe zu sperren.
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Endlich ist der Weg wieder frei: Priorin Laure-Marie (rechts) bedankt sich für die Räumung der Zufahrtsstraße zur Kinderalm. 30 Nonnen und ein Priester saßen im österreichischen St. Veit im Pongau auf 1300 Höhenmetern fest. Die Gäste wurden von der Bergrettung abgeholt - die Geistlichen blieben. Werden 30 Nonnen und ein Priester im Kloster eingeschneit. So fangen eigentlich Witze an, aber im österreichischen St. Veit im Pongau ist genau das passiert. Zehn Tage lang saßen die Nonnen und der Priester auf 1300 Höhenmetern fest, eingeschneit auf der sogenannten Kinderalm, dem Bergkloster des kontemplativen Ordens "Monastische Familie von Betlehem, der Aufnahme Mariens in den Himmel und des heiligen Bruno", dem weltweit mehr als 600 Nonnen und 70 Mönche angehören. Die französische Priorin Schwester Laure-Marie, 52, war dabei. SZ: Schwester Laure-Marie, Sie konnten weder ins Tal noch vor die Tür, die Gefahr vor umstürzenden Bäumen war zu groß. Was haben Sie denn bloß gemacht zehn Tage lang? Schwester Laure-Marie: Wir haben hier wie in einem Iglu gelebt und etwas mehr gebetet als sonst. Zum Beispiel für die Menschen, die im Schnee ihr Leben verloren haben, und für die Einsatzkräfte. Wir leben hier ja sehr abgeschieden. Stille und Einsamkeit sind uns vertraut. Kommt denn sonst niemand vorbei? Doch. Jeden Tag kommen Leute zum Gottesdienst. Außerdem haben wir Gästezimmer und einen kleinen Klosterladen. Dort verkaufen wir zum Beispiel Kerzen, Keramik und "Kräutergold", unseren Klostersirup. Der Laden war aber die letzten zehn Tage geschlossen. Sie sind 30 Schwestern in Ihrer Gemeinschaft und hatten einen Priester zu Besuch. Verzeihen Sie die Frage: Wie war das denn so für ihn? Das war ein junger Pfarrer aus Österreich. Für ihn war das eine ganz neue Erfahrung. Aber er hat nicht viel gesagt. Er wollte bei uns ja beten und in Stille leben, da redet man nicht viel. Aber dass wir hier einen Pfarrer zu Gast haben, das ist nicht unüblich. Als es vor zwei Wochen mit dem Schnee losging, hatten wir noch sieben Gäste im Kloster, die mussten von der Bergrettung abgeholt werden. Aber der Pfarrer ist geblieben. Der hatte keine Angst. Und die Schwestern hatten Angst? Nein. Wir haben das auch nicht als Event gesehen oder so. Auch nicht als Katastrophe. Da gibt es doch ganz andere in der Welt. Nein, wir Ordensschwestern haben wie auch sonst die Communio gelebt. Worin waren Sie denn eingeschränkt? Eigentlich haben wir hier sogar Schlitten und Schneeschuhe. Mit den Schlitten sind wir hier, auf 1300 Metern Höhe, schon öfter unterwegs gewesen. Die sind wichtig, auch für den Transport. Aber diesmal war es einfach viel zu viel Schnee. Wieso heißt es eigentlich "Kinderalm"? Die Gebäude hier gehörten früher zu einer Lungenheilstätte für Kinder. Das Kloster wurde in den 1980er-Jahren dazugebaut und besitzt zum Glück eine warme Heizung. Auch das Telefon hat immer funktioniert - trotz Schnee. Und der Bürgermeister von St. Veit drunten im Tal hat täglich bei uns angerufen. Wir hätten auch rausgeholt werden können, aber dann hat schon wieder die Sonne geschienen. Haben Sie auch Internet? Ja. Damit haben wir uns ab und zu über das Wetter informiert. Aber eigentlich vertrauen wir lieber Gott als dem Wetterbericht. Klingt sehr entspannt. Ja, ganz, ganz entspannt. Die Schwestern unserer Gemeinschaft sind zwischen 26 bis 86 Jahre alt. Die sind alle voller Kraft und können sich gut anpassen. Wir führen ein einfaches Leben, und die Menschen haben uns viele Lebensmittel zu Weihnachten geschenkt, deshalb hatten wir genügend Vorräte. So haben wir erfahren, dass Gott schenkt, was nötig ist.
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Was hat ein Uhu mit einem Kajak zu tun? Warum bröselte sich jemand den Magenstein einer Ziege ins Getränk? Unser Rätsel trieb wieder Tausende Leserinnen und Leser an den Rand des Allgemeinwissens - und darüber hinaus. Zum Heiligen Abend bescherte das SZ-Weihnachtsrätsel wieder acht extraharte Nüsse. Wer sie alle knacken wollte, musste sich unter anderem mit Geometrie, Imkerei, Grammatik, Turkmenistan, Unterarmknochen, Albert Einstein, Archäologie und der Queen befassen. Das eigentümliche Eigentum Ein Fußball ist kein Bienenschwarm. In juristischer Hinsicht ist er sogar das Gegenteil eines Bienenschwarms - jedenfalls, wenn die beiden versehentlich im Garten Ihres Nachbarn landen. Dann gehört der Ball natürlich immer noch Ihnen, aber Sie müssen erst mal fragen und dürfen nicht einfach so über den Zaun klettern. Im Fall der Bienen ist die Rechtslage genau umgekehrt: "Zieht ein Bienenschwarm aus, so wird er herrenlos, wenn nicht der Eigentümer ihn unverzüglich verfolgt", besagt § 961 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Und § 962 ergänzt: "Der Eigentümer des Bienenschwarms darf bei der Verfolgung fremde Grundstücke betreten." Wenn im Rätsel aber wirklich Bienen gesucht waren, dann hätten sie auch auf dem gezeigten Napoleon-Porträt zu finden sein müssen. Waren sie tatsächlich: als goldene Zierelemente auf dem roten Sesselbezug neben dem Feldherrn. Napoleon schätzte Bienen als Wappentiere, mehrere Gemälde verewigten ihn im mit Goldbienen bestickten Herrschermantel. Und was schließlich die zwölfteiligen, manchmal jedoch dreizehnteiligen "Vorderenden" anging: Damit waren die Fühler gemeint. Sie sind bei weiblichen Bienen in zwölf Abschnitte untergliedert, bei den Männchen jedoch in dreizehn. Eine männliche Biene wird DROHNE genannt. Dies war auch die gesuchte Antwort - denn die gleichnamigen Flugroboter sind das erwähnte "Problem für die ordnungsgemäße Durchführung des Strafvollzugs": Sie werden zunehmend benutzt, um auf dem Luftweg Drogen oder Handys in Gefängnisse zu schmuggeln. Detailansicht öffnen Der gemusterte Teppich auf Turkmenistans Flagge. (Foto: imago/imagebroker) Die fünf Ornamente Ungewöhnlich am dargestellten Teppich war, dass darauf gleich fünf verschiede- ne Medaillons prangten. Normalerweise findet man immer nur eines davon vor, in dutzendfacher Wiederholung. Es handelt sich um turkmenische Motive: Die traditionelle Teppichkunst der dortigen Volksstämme ist berühmt - und jeder Stamm verwendet sein eigenes Göl, sein unverkennbares Medaillon. Jedenfalls fast unverkennbar, denn es gibt allerhand Varianten, die selbst Fachleuten die Zuordnung schwer machen. Doch verschiedene Göls zusammen, das findet man auf klassischen Teppichen nicht. Aber auf Turkmenistans Nationalflagge. Dort dienen die fünf im Rätsel gezeigten Ornamente als nationale Identifikationssymbole. Mit ihrem roten Teppichstreifen ist diese Flagge die komplizierteste aller Staaten. Im Jahr 1997 wurde sogar noch etwas hinzugefügt: Unterhalb der fünf Göls kreuzen sich seither zwei OLIVENZWEIGE, offiziell als Zeichen immerwährender Neutralität des Landes. Dass diese Fünfergruppe "wohl das am häufigsten abgebildete Ensemble von Teppichmustern überhaupt" sei, wie im Rätsel behauptet, bezog sich indes nicht nur auf die Flagge: Auch auf jedem Geldschein des Landes sind diese fünf Göls abgedruckt. Detailansicht öffnen Das Studio der "Tagesschau". (Foto: Thorsten Jander/NDR/dpa) Das vielbeobachtete Ritual Gut möglich, dass einige Leserinnen und Leser diese Frage zwar unabhängig voneinander, aber trotzdem in derselben Sekunde gelöst haben - und zwar mit einem Gongschlag: Die rätselhafte Skizze zeigte nämlich den Grundriss des Studios der "TAGESSCHAU" mit seinen beiden charakteristischen dreiarmigen Tischen, der unterleuchteten Stufe davor und der riesigen gebogenen Leinwand im Hintergrund. Dort ist zum Beginn und Schluss der Sendung die erwähnte "Darstellung der Erde" zu sehen, in Form mehrerer Weltkarten. In den rechten der beiden Tische, jenen mit dem verlängerten Arm, ist zudem ein Bild der Erdkugel eingelassen - leicht asymmetrisch, so wie in der Skizze dargestellt. Noch immer darf sich Jan Hofer "Chefsprecher" der "Tagesschau" nennen, obwohl die Unsauberkeit seiner Aussprache mit den Jahren komödiantische Züge angenommen hat. Unklar ist nicht nur seine Artikulation, sondern auch sein richtiger Name: Verschiedentlich wird berichtet, "Jan Hofer" sei lediglich ein Pseudonym. Ein nordrhein-westfälischer Klempnermeister sagte der Rheinischen Post vor einigen Jahren, der junge Mann sei früher sein Lehrling gewesen: "Der heißt mit bürgerlichem Namen Johannes Neuenhofer". Auch diverse biografische Einträge geben diesen Namen an, doch die Quellenlage ist dürftig. Der Sprecher selbst schweigt dazu: Fragen zu seinem Namen pflegt er nicht zu beantworten. Auch auf Anfrage der SZ ließ er mitteilen, er "möchte sich dazu nicht äußern". Die lyrischen Türmchen Ein Haufen Holzwürfel, genauer gesagt: drei Türmchen waren da aufgestapelt, deren jedes einen bekannten Text darstellen sollte. Es war schnell zu erahnen, dass hier jedes Klötzchen für ein Wort stand. Die Zahl darauf gab die jeweilige Buchstabenanzahl an, jede Reihe bildete einen Vers. Aber welchen? Eines der Türmchen stehe für eine Nationalhymne, "deren häufigstes Wort früher oder später wird ersetzt werden müssen", verriet das Rätsel. Gemeint war jene des Vereinigten Königreichs: "God save our gracious Queen". Denn sofern Elizabeth II. nicht ihren Sohn Charles und dessen Sohn William und dessen Sohn George überlebt, wird ihr ein männlicher Monarch folgen. Dann lautet die britische Hymne wieder "... our gracious King", wie vormals. Das "alte, bilinguale Weihnachtslied" konnte nur "In dulci jubilo" sein. Vom Text "Unsers Herzens Wonne / liegt in praesepio" finden sich in älteren Liederbüchern zwar auch leicht abweichende Fassungen (etwa "leit" statt "liegt" oder "præsepio" mit der Ligatur "æ"), doch aufs Ganze betrachtet konnte man sicher sein, das richtige Lied gefunden zu haben. Und ein Gedicht von Goethe, nur acht Verszeilen kurz? "Über allen Gipfeln / ist Ruh, / in allen Wipfeln / spürest du / kaum einen Hauch; / die Vögelein schweigen im Walde. / Warte nur, balde / ruhest du auch." Ursprünglich mit "Ein Gleiches" überschrieben, weil es als Pendant zu einem anderen Gedicht namens "Wandrers Nachtlied" erschien, ist es heute eher unter letzterem Titel bekannt. In jedem Türmchen war ein Würfel markiert: das Wort "her" in "Send her victorious", das Wort "in" aus dem Vers "in allen Wipfeln" sowie das "O" von "Alpha es et O". Zusammen bildeten sie das Wort HEROIN, das in beiden Lesarten "die Kräfte der meisten Menschen übersteigt", wie es das Rätsel formulierte: als Heldin oder Rauschgift, je nach Betonung. Detailansicht öffnen Albert Einsteins Schrift. (Foto: The Hebrew University of Jerusalem) Der berühmte Buchstabe Um die seltsame Skulptur als Buchstaben zu erkennen, musste man sie zuerst mal drehen: Der eigentlich oberste Punkt lag auf etwa fünf Uhr. Richtig herum konnte man ein "E" entziffern - und zwar in der Handschrift Albert Einsteins. Nur drei Dokumente sind bekannt, in denen er seine berühmte Formel "E = mc²" handschriftlich hinterlassen hat; der im Rätsel dargestellte Buchstabe findet sich in Einsteins Manuskript für einen 1946 veröffentlichten Artikel in Science Illustrated. In der Formel steht das "E" für Energie, das "m" für Masse und das "c" für LICHTGESCHWINDIGKEIT. Wenn sich zum Beispiel eine Kanonenkugel in der prallen Sonne erwärmt, wird sie dabei automatisch schwerer - aber nur ein winzig, winzig kleines bisschen, weil der Umrechnungsfaktor c² so monströs ist: Die Lichtgeschwindigkeit beträgt rund eine Milliarde Stundenkilometer. Dies ins Quadrat gesetzt (und in die üblichen Grundeinheiten Meter und Sekunde umgerechnet) ergibt eine kaum vorstellbare Zahl: So viel mal kleiner als die Energiezufuhr ist der Massezuwachs - deswegen bemerkt man davon bei der Kanonenkugel gar nichts. Weil der Effekt im Alltag quasi unmessbar ist, wusste man nichts davon, bis Einstein dahinterkam. Als dezenter Hinweis auf seine Relativitätstheorie sollte übrigens die Bemerkung im Rätsel dienen, dass nur "relativ" wenige Leute die berühmte Formel genau erklären könnten. Die rätselhafte Säule Detailansicht öffnen 2131 Leserinnen und Leser haben Antworten eingereicht, 1517 von ihnen knackten sogar das Rätsel des Diskos. Albrecht Irion aus Stuttgart hatte obendrein Losglück: Er gewinnt Premierenkarten für den „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen, dazu zwei Nächte im Hotel Schloss Leopoldskron, dem vormaligen Wohnsitz des Festspiel- gründers Max Reinhardt. Herzlichen Glückwunsch! Bei den Gewinnern der Spiele melden wir uns. (Foto: privat) Drei Bildpaare hingen an der Wand: zunächst ein Uhu und ein Waldkauz. Daneben die beiden Unterarmknochen Elle und Speiche. Schließlich zwei Pärchen in Booten: Das eine saß mit dem Rücken zur Fahrtrichtung, links ein Ruder, rechts ein Ruder - ein klassisches Ruderboot eben. Das andere Pärchen hingegen legte in Blickrichtung an, und zwar mit Doppelpaddeln, wie es typisch ist für ein Kajak. "Uhu", "Elle" und "Kajak" - die drei oberen Motive waren Palindrome, also Wörter, die rückwärts gelesen ebenso lauten wie vorwärts. Und dies solle auch für die abgebildete Steinsäule gelten, behauptete das Rätsel. Sie war von oben bis unten mit Rankenwerk und Figuren bedeckt, eingemeißelt als kräftiges Relief. Damit bildete sich der gesuchte Begriff fast von selbst: Dargestellt war ein RELIEFPFEILER, eines der bekanntesten, weil längsten deutschen Palindrome. Man sah es der Säule zwar nicht an, da sie isoliert im Raum stand, aber tatsächlich diente sie einst als stützender Pfeiler: Im Ägypten des 6. oder 7. Jahrhunderts trug sie den Türsturz eines koptischen Klosters. Heute steht dieser Reliefpfeiler im Louvre. Die mirakulöse Kugel Ein Stein, entstanden in ewiger Dunkel-heit - aber nicht unterirdisch, sondern in einer "weichen, gleichbleibend warmen, aber ortsveränderlichen Stätte"? Die Rede war von einem Magenstein, einem sogenannten BEZOAR. Ähnlich wie Gallen- oder Nierensteine entsteht ein Magenstein durch Ablagerung gelöster Stoffe, er enthält aber auch feste, unverdauliche Nahrungsbestandteile, etwa Pflanzenfasern. In allerhand Tierarten kann man Bezoare finden, sogar in Menschenmägen, etwa bei Leuten, die gewohnheitsmäßig Haare kauen. In der Regel ergibt das garstige Klumpen, doch manche Ziegenarten bilden schöne, ebenmäßige Bezoare. Das im Rätsel gezeigte Exponat ist im Kunsthistorischen Museum Wien zu bestaunen, eingefasst von smaragdbesetzten Bändern, auf drei goldenen Löwen ruhend. In Herrscherhäusern wurden Magensteine hoch geschätzt, denn in ein Getränk gebröselt galten sie als Heilmittel gegen Vergiftungen, Epilepsie und manch andere Leiden. Natürlich sind Bezoare genauso heilkräftig wie geriebene Blasensteine, nämlich gar nicht. Die namenlosen Städte Eine sehr reduzierte Landkarte war da zu sehen, "ein alter Weg" entlang sechs namenloser Städte, beschriftet lediglich mit Initialen oder anderen Hinweisen. Einer davon lautete: "Ich sehe dich und du mich". Eigentlich ein problemlos verständlicher Satz, aber grammatisch etwas unsauber. Zwar ist es im Deutschen üblich, Wörter auszulassen statt sie zu wiederholen (etwa das Verb "spielt" in "Sie spielt Cello, er Klavier"). Aber im Fall von "Ich sehe dich und du mich" erspart die Auslassung genau genommen keine Wiederholung (denn der ursprüngliche Satz lautete ja nicht: "Ich sehe dich und du sehe mich"). Im verkürzten Satz hat das Verb also ein passendes und ein unpassendes Bezugswort - solch eine Fehlkonstruktion wird Zeugma genannt. Und genau dies ist auch der Name einer antiken Stadt am Euphrat: Hier soll einst Alexander der Große auf seinem Marsch gen Osten den Fluss gequert haben. Eine andere Stadt auf der Karte war mit einem Viereck und einer Winkelangabe bezeichnet: Alpha + Beta = 180°. Für das konkret abgebildete Viereck stimmte dies zunächst nicht, es war verallgemeinert gezeichnet und gab erst zusammen mit der präzisierenden Angabe seine Bedeutung preis: Ein Viereck, dessen nebeneinanderliegende Winkel sich zu 180 Grad ergänzen, muss zwei parallele Seiten haben - es ist also ein Trapez (oder ein Spezialfall davon). Drei Auslassungspunkte deuteten an, dass der gesuchte Ortsname noch weiterging: Gemeint war die antike Stadt Trapezus am Schwarzen Meer, das heutige Trabzon. Wer Trapezus und Zeugma identifiziert hatte, konnte mithilfe einer historischen Karte alle anderen Städte verorten: Der mit "A" bezeichnete Punkt kam auf Antiochia zu liegen, dem heutigen Antakya. Die beiden Orte mit "S" waren Satala und Samosata, langjährige Standorte römischer Legionen nahe der Grenze zum Partherreich. Die gesuchte Stadt mit dem Fragezeichen schließlich, fast genau auf dem Drittelpunkt der Luftlinie von Zeugma nach Trapezus gelegen, war MELITENE. Heute heißt diese Stadt Malatya, doch der moderne Name konnte nicht die gesuchte Antwort sein: Er hatte nicht genug Buchstaben, außerdem waren ja auch die anderen Städte mit ihren antiken Namen verzeichnet. Zeugma und Samosata existieren heute ohnehin nicht mehr. Ihre Ruinen sind, wie so viele historische Stätten an Euphrat und Tigris, in monströsen StaudammProjekten der Türkei untergegangen. Zu dieser Frage erreichten uns übrigens die wenigsten richtigen Antworten, nämlich 1110. Die meisten kamen zur "Tagesschau", 1969 Mitspieler erkannten sie. Info Der Diskos von Phaistos, zu bestaunen im Archäologischen Museum Heraklion, war der Schlüssel zur Lösung: Übertrug man die ermittelten Buchstaben auf die entsprechenden Symbole des Diskos, so bildeten sie - vom Zentrum nach außen gelesen, wie im Rätsel angedeutet - das Lösungswort "Wunderkammer". Das fehlende Exponat Mit all diesen Antworten ließ sich schließlich das Lösungswort bilden. Zwei Buchstaben in jeder Antwort waren mit hieroglyphischen Symbolen markiert: mit einem Vogel, einem laufenden Männchen, einer Blüte ... Aber was damit anzustellen sei, wurde nicht verraten. Einziges Indiz war eine Vitrine mit einer leeren Halterung darin: Das hier fehlende Exponat würde den entscheidenden Hinweis geben, versprach das Rätsel. Halbkreisförmig gebogen war diese Halterung, sechs kleine Stifte ragten ins Leere, und zwar so, dass eigentlich nur eine kreisrunde Scheibe hineinpassen konnte. Womöglich eine, auf der sich die rätselhaften Symbole wiederfinden? Das gesuchte Exponat war der Diskos von Phaistos - eines der großen ungelösten Rätsel der Archäologie. Die mutmaßlich drei- bis viertausend Jahre alte Scheibe aus gebranntem Ton, 16 Zentimeter im Durchmesser, wurde 1908 bei einer Palastgrabung auf Kreta gefunden. Heute ist sie im Archäologischen Museum der Hauptstadt Heraklion ausgestellt. Und in all den Jahrzehnten ist es niemandem gelungen, den Text darauf zu entschlüsseln. Auf beiden Seiten sind jeweils mehr als hundert Bildzeichen eingestempelt, die sich wie ein spiralförmiger Text vom Rand nach innen ziehen (oder von innen nach außen, nicht mal die Leserichtung ist sicher). Diese Zeichen gehören keiner bekannten Schrift an, sie passen zu keiner Sprache - sicher ist eigentlich nur: Sollte es sich hier wirklich um Schriftdokument handeln (und nicht um ein bloßes Kunstwerk oder gar einen Jux), dann wäre dieser Diskos das weltweit älteste Druckwerk mit beweglichen Schrifttypen, drei Jahrtausende vor Gutenberg. Für das Weihnachtsrätsel waren allerdings nur jene Zeichen auf dem Diskos von Belang, die auch bei den Antworten abgedruckt waren. Auf den Diskos übertragen, ergaben sie nur an einer Stelle ein sinnvolles Wort - nämlich wenn man von der Blüte im Zentrum nach außen las (so wie es die Kritzelei an der Museumswand im Rätsel anzeigte). Dann verriet der Diskos das Lösungswort: WUNDERKAMMER. Sind noch Fragen offen? Was hat Ihnen gefallen, was sollen wir nächstes Mal verbessern? Wir freuen uns auf Ihre Mail an [email protected].
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Detailansicht öffnen Deutsche Kriegsschiffe der Baureihe Meko 200 verkaufen sich gut. Die in Kiel gebaute Amatola steht im Dienst der südafrikanischen Marine. (Foto: Blohm+Voss/dpa) Ein Rüstungsgeschäft mit Ägypten sorgt für Ärger in der großen Koalition. Nachdem der Bundessicherheitsrat kurz vor dem Jahreswechsel den Verkauf einer Fregatte an Ägypten genehmigt hat, sehen Außen- und Sicherheitspolitiker der SPD die Absprachen der Koalition zur Rüstungsexportkontrolle verletzt. Im Koalitionsvertrag ist geregelt, dass Deutschland keine Ausfuhren mehr an Länder genehmigt, "solange diese unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind". In dem Konflikt sind nach Angaben der Vereinten Nationen bereits etwa 10 000 Menschen getötet worden, unter ihnen Tausende Zivilisten. Im Land herrschen Hunger und Not. Ägypten zählt sich selbst zur Militärallianz unter Führung Saudi-Arabiens, die in Jemen Krieg führt. Der SPD-Verteidigungspolitiker Thomas Hitschler zeigte sich verwundert über die Exportentscheidung. Es handelt sich um eine von ThyssenKrupp Marine Systems gebaute Fregatte vom Typ Meko A-200. Dem Magazin Spiegel zufolge soll die ägyptische Marine in den kommenden Jahren noch eine weitere Fregatte aus Deutschland bekommen. In einem Brief an Wirtschaftsminister Peter Altmaier, dessen Ressort bei Rüstungsexporten federführend ist, verlangt Hitschler eine Erklärung. "Wie lässt sich nun die Entscheidung zur Lieferung der Fregatte an Ägypten aus Ihrer Sicht mit der Formulierung aus dem Koalitionsvertrag vereinbaren?", schreibt er in dem Brief, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Deutlichere Worte findet SPD-Fraktionsvize Rolf Mützenich. "Ich hätte mir gewünscht, dass die Genehmigung nicht erfolgt. Sie genügt nicht den Verabredungen im Koalitionsvertrag", sagte er der SZ. "Erneut billigen wir ein großes Rüstungsgeschäft mit Ägypten, einem Land, das in verschiedenen anderen Spannungskonflikten engagiert ist." Innenpolitisch befinde sich das autoritär geführte Ägypten mit hochproblematischer Menschenrechtslage auf dem "falschen Weg". Mit der Lieferung setze die Bundesregierung indirekt das Signal an die Machthaber, dass dieser Kurs akzeptiert sei, "dass wir uns mit dieser Situation abgefunden haben", sagt Mützenich. "Das sollten wir aber nicht." Innerhalb der SPD gehen die Meinungen auseinander, wie eng die Formulierungen aus dem Koalitionsvertrag zu fassen sind, ob nun Ägypten "unmittelbar" am Jemen-Krieg beteiligt ist, zum Kreis der Aktiven gehört. Ein Beamter des Außenministeriums unter Führung des SPD-Politikers Heiko Maas führte kürzlich im Auswärtigen Ausschuss aus, nur Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate seien "unmittelbar" oder "maßgeblich" an dem Krieg beteiligt. Gegen den Willen dreier SPD-Minister hätte es wohl keine Exportgenehmigung gegeben Dem geheim tagenden Bundessicherheitsrat gehören neben dem Außenminister auch der Finanzminister und die Justizministerin an, weitere SPD-Politiker. Das Abstimmungsverhalten unterliegt der Geheimhaltung, jedoch heißt es, dass diese Entscheidung gegen den ausdrücklichen Willen der SPD-Politiker so wohl nicht zustande gekommen wäre. In früheren Exportfällen hat sich die Bundesregierung trotz "Jemen-Klausel" im Koalitionsvertrag vorbehalten, "weiterhin stets im Einzelfall" über die Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen zu entscheiden. "Die Entwicklungen in Jemen und in der Region werden sehr genau beobachtet und im Rahmen der Genehmigungspraxis berücksichtigt", antwortete das Wirtschaftsministerium im Oktober auf eine frühere Anfrage des SPD-Abgeordneten Hitschler. Dieser pocht abermals auf mehr Transparenz bei Rüstungsexportentscheidungen. Die Fachpolitiker im Bundestag sollten besser eingebunden werden. Überfällig ist das ebenfalls im Koalitionsvertrag vereinbarte Anpassen der Rüstungsexportrichtlinien. Diese stammen aus dem Jahr 2000 und sollten 2018 der neuen Lage angepasst werden. Die SPD macht das Wirtschaftsministerium verantwortlich, es habe "bisher nicht gehandelt", wie Fraktionsvize Mützenich kritisierte. Kanzlerin Merkel sagte vor Weihnachten den Abgeordneten im Bundestag: "Ich verspreche Ihnen jetzt mal: Spätestens im ersten Halbjahr 2019 werden wir mit den Rüstungsexportrichtlinien fertig sein."
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Zwei Jahre nach dem Mord am Halbbruder von Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un ist eine der beiden angeklagten Frauen überraschend freigelassen worden. Ein Gericht in Malaysia entschied auf Antrag der Staatsanwaltschaft, dass das Verfahren gegen die 27-jährige Indonesierin eingestellt wird. Gründe wurden nach einem Bericht von Malaysias staatlicher Nachrichtenagentur Bernama zunächst keine genannt. Die Frau wurde nach der Entscheidung aus dem Gerichtssaal geführt und in ein wartendes Auto gesetzt. "Ich bin überrascht und sehr glücklich", sagte sie. Ihren Anwälten zufolge sollte sie zur indonesischen Botschaft gebracht und dann bald nach Jakarta ausgeflogen werden. Indonesiens Botschafter Rusdi Kirana dankte der malaysischen Regierung. "Wir glauben, dass sie nicht schuldig ist", erklärte er. Die Indonesierin war zusammen mit einer Vietnamesin unmittelbar nach dem Anschlag auf Kim Jong-nam im Februar 2017 auf dem Flughafen von Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur festgenommen worden. Den beiden Frauen wurde vorgeworfen, dem Nordkoreaner ein Nervengift ins Gesicht gesprüht oder gedrückt und ihn so getötet zu haben. Die Frauen sagen, dass sie von einem Mann für eine Fernsehshow im Stil von "Versteckte Kamera" angeheuert worden waren. Angeblich wussten sie nicht, dass es sich bei der Substanz, mit der Kim Jong-nam getötet wurde, um ein Nervengift handelte. Die Frauen kamen später als einzige Beschuldigte in Haft, nachdem vier nordkoreanische Verdächtige noch am Morgen des Attentats auf Kim Jong-nam das Land verlassen hatten. Verteidigung spricht von politischem Komplott Die Anwälte der Frauen argumentierten seit jeher, ihre Mandantinnen seien Bauernopfer in einem politischen Komplott mit Verbindungen zur nordkoreanischen Botschaft in Kuala Lumpur gewesen. Die Staatsanwälte hätten auch keine klare Mordabsicht belegen können. Dieser Tatbestand ist nach malaysischem Recht entscheidend für eine Mordanklage. Die Vietnamesin muss sich weiterhin vor Gericht verantworten. Bei einer Verurteilung droht ihr die Todesstrafe. Kim Jong-nam war der ältere Halbbruder des amtierenden Machthabers. Der 45-Jährige lebte seit Jahren außerhalb Nordkoreas, seit er 2001 beim Regime in Ungnade gefallen war: Damals hatte er versucht, mit gefälschtem Pass in Japan einen Disney-Freizeitpark zu besuchen. Mehrfach äußerte er sich kritisch über sein Heimatland. Vermutet wird, dass der nordkoreanische Geheimdienst hinter dem Anschlag steckt.
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Fluglotsen im Tower des Düsseldorfer Flughafens: Bei den Lotsen herrscht ein akuter Personalmangel. Viele ältere Mitarbeiter gehen in Pension, Nachwuchs ist nicht so schnell zu bekommen. Zuletzt hat die Deutsche Flugsicherung (DFS) Airlines und Flughäfen auch noch mit einer Software-Panne in Rage gebracht. Ein Update, das in der vergangenen Woche für ein zentrales System aufgespielt wurde, hat sich dem Vernehmen nach als unzuverlässig erwiesen. Der Weg zurück zum funktionierenden alten Standard erwies sich als nicht gangbar. Nun sollte in der Nacht auf Donnerstag ein weiteres Update die Probleme lösen. Doch in den vergangenen Tagen hat die DFS die Kapazität an wichtigen Flughäfen wie Frankfurt um 25 Prozent reduzieren müssen. Fühlt sich an wie ein Vorgeschmack auf den nächsten Sommer und ist aus Sicht der Flugsicherung auch noch ein äußerst unglückliches Timing. Denn am Donnerstag trifft sich die Branche mit Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) zum zweiten Mal innerhalb eines halben Jahres zum Luftfahrtgipfel. Dabei werden die Beteiligten vortragen, was sie alles getan haben, um zu verhindern, dass der Sommer 2019 nicht ähnlich chaotisch verläuft wie der des Jahres 2018, als Zehntausende Flüge gestrichen werden mussten und die Verspätungsraten in die Höhe schnellten. Mittlerweile hat sich herauskristallisiert, dass allenfalls mit etwas weniger Verspätungen zu rechnen ist. Das Chaos dürfte sich in großen Teilen wiederholen. Drei wesentliche Effekte haben den vergangenen Sommer zu einer Qual für Flugpassagiere gemacht. Nach der Pleite von Air Berlin hatten die Fluggesellschaften, die Teile des einstigen Konkurrenten auffingen, größte Mühe, Flotte und Personal zu integrieren. Allen voran gilt dies für Eurowings. Der zweite Faktor waren die mühsamen Sicherheitskontrollen an den Flughäfen, die zwar insgesamt kaum eine Rolle bei den Verspätungen gespielt haben, aber das schlechte Bild vervollständigten. Die größten Sorgen bereitete die Flugsicherung, die in einigen Kontrollzentralen den Verkehr nicht mehr abwickeln konnte. Das Air-Berlin-Problem ist, so versichern die Airlines, mittlerweile gelöst. Die Flughäfen bemühen sich um schnellere Sicherheitskontrollen. Frankfurt etwa baut eine Behelfshalle mit mehr Schleusen, in München müssen Passagiere an einer Teststation die Laptops und Flüssigkeiten nicht mehr auspacken. Weil die DFS für die vergangenen Jahre ein zu geringes Wachstum angesetzt hat, fehlen Lotsen. Schnell ist Nachwuchs nicht zu bekommen, und weil viele ältere Mitarbeiter nun in Pension gehen, hat die DFS in diesem Jahr eher noch weniger Lotsen in den Kontrollzentralen zur Verfügung. Kurzfristig sollen nun Überstunden das Schlimmste verhindern. Doch laut Markus Siebers, Vorstand Tarif und Recht der Gewerkschaft der Fluglotsen (GdF), haben die Gespräche gerade erst begonnen. Die DFS kommentiert die Gespräche nicht. Sollte es eine Einigung geben, könnte die erst ab Juni wirken. Aber Siebers dämpft die Erwartungen: "Sie wird das Debakel nicht verhindern. Es wird vielleicht ein bisschen weniger schlimm." Die Branche hat DFS-Chef Klaus-Dieter Scheurle "ermuntert", Gespräche mit den Fluglotsen zu führen. Matthias von Randow, Geschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), muss sich so diplomatisch ausdrücken, weil er ja Fluggesellschaften, Flughäfen und die Flugsicherung vertritt. In Wahrheit aber steht Scheurle unter massivem sozialen Druck seiner Kollegen, sich endlich mit den Lotsen auf eine Überstundenregelung zu einigen. Die Gewerkschaft fordert eine langfristige Perspektive bei der Personalplanung Doch die GdF stellt Bedingungen. Sie fordert von der DFS "eine langfristige Perspektive bei der Personalplanung." Sprich: Sie will Garantien, dass für die nächsten sieben oder acht Jahre "auf hohem Niveau" neue Lotsen ausgebildet werden. Angeblich fordern die sowieso gut bezahlten Lotsen auch Zuschläge von 300 Prozent für die Überstunden - eine Zahl, die weder die DFS noch die GdF bestätigen. Doch mehrere hochrangige Akteure bei Flughäfen und Fluggesellschaften haben DFS-Chef Scheurle deutlich zu verstehen gegeben, dass sie die Mehrkosten (angeblich elf Millionen Euro) für sehr gut investiertes Geld halten. Alleine die Lufthansa kosteten die Flugausfälle und Verspätungen im vergangenen Jahr 518 Millionen Euro. Siebers zufolge allerdings würden die Überstunden nicht besonders viel bringen. Die Arbeitszeitregeln der DFS sehen sowieso schon vor, dass die Lotsen im Winter überdurchschnittlich viel Urlaub machen können, damit sie im Sommer mehr arbeiten können. Sie können also darüber hinaus nur sehr eingeschränkt Überstunden schieben, sonst würden sie gegen die vorgeschriebenen Ruhezeiten verstoßen. Daher lenkt die europäische Flugsicherungsbehörde Eurocontrol täglich Hunderte Flüge um die besonders überlasteten Sektoren Karlsruhe und Maastricht herum, für innerdeutsche Flüge gelten Höhenlimits. Mit der Forderung, für den Luftraum Kapazitätsbeschränkungen einzuführen, biss Lufthansa aber auf Granit. Die Airlines rüsten sich, so gut es geht, für den sommerlichen Ansturm. Lufthansa hat gruppenweit das Kapazitätswachstum für den Sommer auf 1,9 Prozent gegenüber der ursprünglichen Planung fast halbiert. 2018 hatte der Konzern 15 Reserveflugzeuge an wichtigen Stationen verteilt, in diesem Jahr werden es 37 sein. Bei kritischen Flügen sind die sogenannten Blockzeiten um bis zu 15 Minuten verlängert, um mehr Luft im Flugplan zu lassen.
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Man habe das Thema jetzt nicht überstrapaziert, sagte Thomas Wörle, aber es sei doch klar, dass eine 0:6-Klatsche im Hinspiel sich durchaus förderlich auf die Motivation auswirken könne. "Wir sind vorgeführt worden damals", sagte der Trainer der Frauen des FC Bayern München. Und umso wichtiger sei es diesmal gewesen, "schnell in das Spiel rein zu finden. Und dann war es unser Spiel." Auch deshalb, weil sich die Chance zur Revanche im ersten Pflichtspiel des Kalenderjahrs bot, der Gegner sollte gar nicht erst hineinfinden in die Restrunde. Der zu Beginn genial aussehende Plan geriet gegen den noch ungeschlagenen Tabellenführer VfL Wolfsburg gegen Ende zwar noch ins Wanken, doch letztlich ging er auf: 4:2 (2:0) endete das hoch spannende Spitzenspiel, das lange Zeit sehr einseitig war. "Eine Rechnung für das 0:6 ist natürlich noch offen", hatte auch Torhüterin Manuela Zinsberger vor dem Spiel gesagt. Nach zehn eher vorsichtigen Minuten sah es dann auch so aus, als ob die Bayern-Frauen die Rechnung gewissermaßen auf den Pfennig genau mit einem 6:0 begleichen wollten. Und das, obwohl gleich mehrere Spielerinnen, darunter die routinierte Melanie Behringer, verletzt fehlten. Im Angriff wurde konsequent gepresst, insbesondere Jovana Damnjanovic war an ihrer Laufleistung anzusehen, dass sie nicht für 90 Minuten eingeplant war. Umgekehrt fand Wolfsburg keine Lücken und bekam kein Tempo ins Spiel. Die gefährlichste Aktion des Tabellenführers in der ersten Hälfte war eine Flanke von Alexandra Popp, die auf der Latte landete (8.). Detailansicht öffnen Mittendrin: Die Bayern feiern das 1:0 durch Carina Wenninger, drei weitere Treffer sollten gegen Wolfsburg folgen. (Foto: Sven Leifer/imago/foto2press) Wörles Mannschaft agierte vor dem gegnerischen Tor anfangs zu hektisch, Lineth Beerensteyn (12.) und Sara Däbritz (15.) trafen aus aussichtsreicher Position den Ball nicht richtig. Die verdiente Führung fiel dann eher zufällig, wenngleich der vorhergehende Eckball dem aggressiven Pressing zu verdanken war: Däbritz flankte an den Fünfmeterraum, der Ball fiel Carina Wenninger auf den Oberschenkel und kullerte von dort ins Netz (20.). Die Münchner Überlegenheit war fortan noch deutlicher, Beerensteyn scheiterte alleine vor Wolfsburgs Keeperin Mary Earps (38.). Nur zwei Minuten später traf dafür Gina Lewandowski zum 2:0. Das Spiel schien schon zur Pause entschieden. Nach dem Seitenwechsel vergab Sydney Lohmann eine weitere gute Möglichkeit (46.), doch mit der ersten echten Chance der Wolfsburgerinnen durch Pernille Harder kippte das Spiel (47.). "Wir wollten zu Beginn alles in die Waagschale werfen, viel Aggressivität, die Räume schließen", erklärte FCB-Trainer Wörle später. Das sei aber mit sehr viel Laufarbeit verbunden. Trotzdem gelang es Beerensteyn bei einem Konter, ihre Gegenspielerin Nilla Fischer zu einem Eigentor zu zwingen (64.). Doch Fischer machte sieben Minuten später ihren Fehler wett und traf per Kopf zum 1:3 (71.). Die Topstürmerin der Liga, Ewa Pajor, traf dann mit ihrer zweiten guten Möglichkeit zum Anschluss (76.). Gilching holt Titel in der Halle Der TSV Gilching/Argelsried ist neuer bayerischer Hallenmeister der Frauen. Vor 400 Zuschauern in Dingolfing setzte sich der Bezirksoberligist mit 7:6 (3:3) nach Sechsmeterschießen gegen Gastgeber und Titelverteidiger SV Frauenbiburg (Regionalliga) durch. Der TSV ging durch Marie-Theres Bauer und Pia Amofa-Antwi in Führung, Frauenbiburg konterte durch Yvonne Dengscherz, Andrea Kurz und Anita Wimmer, ehe abermals Bauer in der Schlussminute für den oberbayerischen Bezirksmeister ausglich. Den entscheidenden Sechsmeter parierte Torhüterin Bettina Horvath, nachdem Stefanie Pfeuffer vorgelegt hatte. "Mir fehlen die Worte, mehr geht nicht. Wir sind hierher gekommen, um Spaß zu haben und vielleicht die eine oder andere höherklassige Mannschaft zu ärgern. Und jetzt sind wir bayerischer Hallenmeister", jubelte TSV-Trainer Raimond Spahn. Im Halbfinale hatte Gilching den Bayernligisten TSV Schwaben Augsburg ebenfalls nach Sechsmeterschießen 3:1 besiegt. Dabei waren die Spielerinnen aus dem Landkreis Starnberg mit einer 0:1-Niederlage gegen den SC Würzburg-Heuchelhof ins Turnier gestartet. Danach folgten ein 3:0 gegen den SV 67 Weinberg und ein 3:2 gegen den FC Ruderting. "Das war echte Werbung für den Futsal in Bayern", sagte Silke Raml, Vizepräsidentin des Bayerischen Fußball-Verbands. "Es freut mich besonders, dass am Ende der vermeintliche Außenseiter triumphiert hat." Auch Sabine Bucher, Vorsitzende des BFV-Frauen- und Mädchenausschusses, gratulierte: "Gilching hat erstklassigen Futsal gezeigt und ein überzeugendes Turnier verdient mit dem Titel gekrönt." SZ Und so stand plötzlich Torhüterin Zinsberger unverhofft mehrmals im Mittelpunkt. In der 79. Minute verhinderte sie mit zwei Glanzparaden innerhalb weniger Sekunden den Ausgleich, drei Minuten später landete ein Ball am Innenpfosten, kullerte vor der Linie entlang und wurde unter dem Geschrei der 2155 Zuschauer aus der Gefahrenzone geschlagen. Erst in der Nachspielzeit entschied die eingewechselte Fridolina Rolfö nach einem Konter die Partie (90.+1). "Manuela hat uns im Spiel gehalten", sagte Wörle über die Torhüterin, "natürlich war auch ein Quäntchen Glück dabei, aber das haben wir uns hart erarbeitet." Spielmacherin Simone Laudehr sagte: "Der Plan ist aufgegangen." Und die Meisterschaft ist wieder offen: Die Bayern haben zwar das schlechtere Torverhältnis, stehen aber wieder punktgleich mit den Wolfsburgerinnen auf Platz zwei. "Wir hatten schon einmal sieben Punkte Rückstand, da sind wir sehr stolz drauf", sagte Laudehr. Der Sieg gegen "die beste Mannschaft Europas" sollte Motivation sein.
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Paul Whelan diente im US-Militär bei den Marines - habe nach seinem Ausscheiden aber nicht mehr für die US-Regierung gearbeitet, so seine Familie. Nun wurde er in Moskau verhaftet. Er sei als Hochzeitsgast in Moskau gewesen. Noch am Freitag habe Paul Whelan den Fremdenführer gespielt, sagte sein Bruder David dem US-Sender CNN, er habe anderen Gästen den Kreml gezeigt, auch das Brautpaar sei dabei gewesen. Als die Trauung später am selben Tag stattfand, fehlte der Amerikaner, das Paar meldete ihn als vermisst. Am Montag, an Silvester, stellte sich heraus, dass der russische Inlandsgeheimdienst FSB Whelan festgenommen hatte. Er sei "während eines Aktes der Spionage" ertappt worden. Paul Whelan, ein ehemaliger US-Marine, wurde zu einer Zeit verhaftet, in der mehrere Spionageskandale das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Russland und den USA belasten. Vor zwei Wochen hatte die Russin Maria Butina in Washington gestanden, die Vereinigung der Waffenlobby (NRA) unterwandert zu haben, um Kontakte zu US-Politikern zu knüpfen. Der 30-Jährigen wird illegale Agententätigkeit während des US-Wahlkampfes vorgeworfen. Nun willigte sie ein, mit den Ermittlern zusammenzuarbeiten. Die Regierung in Moskau stellt Maria Butina als zu Unrecht beschuldigte, politische Gefangene dar. Ob er es für möglich halte, in Russland Ausländer zu verhaften, um sie gegen im Ausland inhaftierte Russen auszutauschen - diese Frage ist Präsident Wladimir Putin während seiner Jahrespressekonferenz kurz vor Weihnachten mehrfach gestellt worden. Butina sei offenbar "gezwungen worden, dort drüben etwas zu gestehen", sagte Putin. Russland werde "keine unschuldigen Menschen verhaften, nur um sie später gegen jemanden auszutauschen". In der Vergangenheit hat es immer wieder Gefangenenaustausche zwischen Russland und dem Westen gegeben, unter anderem ist der russische Doppelagent Sergej Skripal auf diese Weise freigekommen. Der Giftanschlag auf ihn und seine Tochter im Frühjahr 2018 in Großbritannien ist ein weiterer Grund für das Zerwürfnis mit Moskau. Ex-Soldat Paul Whelan, 48, arbeitet heute für den amerikanischen Automobilzulieferer Borg-Warner. Dieser hat bestätigt, dass Paul Whelan für die Sicherheit im Unternehmen zuständig sei, sowohl im heimischen Michigan als auch in anderen Zweigstellen weltweit. Borg-Warner belieferte in Russland lange den Lkw-Hersteller Kamaz. Whelans Bruder beschreibt dessen Tätigkeit eher als Diebstahlsicherung. Es ging dabei nicht um Cybersecurity oder Personenschutz. Sein früherer Dienst bei den Marines sei Whelans einzige Verbindung zum Staat gewesen. Die Washington Post berichtete, dass Whelan 2008 nach Delikten aus dem Militär entlassen wurde, er war wohl in Diebstähle verwickelt. Paul Whelan ist nach Angaben seiner Familie viel und gerne gereist, seit mehr als zehn Jahren auch regelmäßig nach Russland. Es gibt ein Profil unter seinem Namen bei VK, einem sozialen Netzwerk in Russland, das Facebook ähnelt. Dort gibt es mehrere Fotos von Whelan - eines zeigt ihn im Trikot des Fußballclubs Spartak Moskau - und kurze Statusmeldungen auf Russisch. Laut seinem Bruder spricht er die Sprache jedoch nur in Ansätzen. "Next stop, Moscow ..." lautet sein jüngster Eintrag. Demnach war er das letzte Mal am 28. Dezember im VK-Netzwerk aktiv, dem Tag seiner Verhaftung. "Wir sind tief besorgt um seine Sicherheit und sein Wohlergehen", schrieb Paul Whelans Familie am Dienstag in einer Stellungnahme. "Seine Unschuld ist unbestreitbar und wir vertrauen darauf, dass seine Rechte respektiert werden." Am selben Tag erklärte das US-Außenministerium, man habe die russischen Behörden um Kontakt zu dem Festgenommenen gebeten. Sollte er wegen Spionage schuldig gesprochen werden, drohen Whelan bis zu 20 Jahre Gefängnis.
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Die britische Premierministerin Theresa May wird am Dienstag in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammentreffen, um über Lösungen für den komplizierten Brexit-Prozess zu sprechen. Dies kündigte Regierungssprecher Steffen Seibert an. Konkret dürfte es um die mögliche Verlängerung der Frist für den Austritt Großbritanniens aus der EU gehen. May wird am Dienstag auch nach Paris zum französischen Präsidenten Emmanuel Macron reisen. Macron gilt im Vergleich zu Merkel als deutlich skeptischer gegenüber einer Lösung, die Großbritannien über die bevorstehenden Europawahlen hinaus in der EU belassen könnte. Die Premierministerin hatte zuletzt angekündigt, sie wolle die EU um einen Aufschub bis zum 30. Juni bitten. Das soll am Mittwoch auf dem EU-Sondergipfel in Brüssel geschehen. Dann könnte auch die Entscheidung fallen, ob es am Freitag zu einem harten Brexit oder einer erneuten Frist-Verlängerung kommt. Die EU hat bereits klargemacht, dass May dafür einen Plan vorlegen muss, wie es weitergehen soll. Bislang ist der Austritt für den 12. April geplant. Ohne weiteren Aufschub oder Annahme des Austrittsvertrages, den das britische Unterhaus bereits dreimal abgelehnt hat, droht ein Ausscheiden ohne Abkommen mit erheblichen Folgen für die Wirtschaft und viele andere Lebensbereiche. Unterdessen sollen die Gespräche der Tory-geführten Regierung mit der Labour-Opposition an diesem Montag weitergehen. Das kündigte Kulturminister Jeremy Wright an. Labour strebt unter seinem Parteichef Jeremy Corbyn eine Zollunion mit der EU und eine enge Ausrichtung am Binnenmarkt an. Einen Verbleib in der Zollunion hatte der britische Außenminister Jeremy Hunt, ein Befürworter des Brexit, bisher stets abgelehnt. Nun sagte er mit Blick auf die Gespräche mit Labour: "Man kann nicht in solche Verhandlungen mit großen roten Linien gehen." Das wird im britischen Guardian als Hinweis verstanden, dass am Ende ein Kompromiss in dieser Richtung zwischen Tories und Labour zustande kommen könnte, um einen No-Deal-Brexit abzuwenden. Angesichts der Tatsache, dass die Regierung keine eigene Mehrheit im Parlament hat, um das mit der EU ausgehandelte Austrittsabkommen zu verabschieden, müsse man nun mit anderen Parteien eine Einigung suchen. May tue damit genau das, was Staats- und Regierungschefs anderer EU-Staaten von ihr gefordert hätten, sagte Hunt. Sein Vorgänger im Amt, Boris Johnson, sieht das noch immer anders. In einem Beitrag für den Daily Telegraph schrieb er: "Wir sollten nicht darauf eingehen, unter der von Corbyn vorgeschlagenen Kapitulation nicht stimmberechtigtes EU-Mitglied zu werden." Eine Zollunion mit der EU werde Großbriannien "versklaven", schrieb Johnson.
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Der Vergleich zwischen den ausländischen Spielern fällt zu Ungunsten der Haarer aus. Tomas Ondra etwa kassiertee in Spiel eins insgesamt sechs Runs, sein Stuttgarter Gegenüber behielt die Nerven. Mit zwei Niederlagen an einem Tag sind die Baseballer der München-Haar Disciples in der Baseball-Bundesliga ins Hintertreffen geraten. Entscheidend bei den Pleiten gegen die Stuttgart Reds waren die besseren Einzelleistungen der jeweils ausländischen Spieler beider Teams. Während der tschechische Pitcher in Diensten der Haarer, Tomas Ondra, in Spiel eins insgesamt sechs Runs kassierte, behielt der kroatische Werfer für die Stuttgarter, Antonio Horvatic, in der immer spannender werdenden Partie die Nerven. Er ließ in den vier Schlussinnings keinen einzigen Haarer Punkt mehr zu. US-Werfer Louis Cohen überzeugt, doch sein Pendant ist noch besser Dabei hatte die erste Partie am Samstagmittag gut begonnen für die Disciples: Der ehemalige Cheftrainer Philipp Howard schlug gleich als zweiter Schlagmann einen Homerun, auch Klaus Nicolici und Nateshon Thomas gelangen weite Schläge über den Zaun, Letzterer zum zwischenzeitlich 4:4-Ausgleich - trotzdem verlor die Mannschaft von Paco Garcia 4:6. Titus von Kapff, der gegen Ende für Pitcher Ondra eingewechselt wurde, blieb fehlerfrei. In der zweiten Partie zeigte US-Werfer Louis Cohen rein statistisch seine bislang beste Leistung für die Disciples, er warf insgesamt zwölf Gegenspieler Aus, die also nicht einmal die erste Base erreichten; trotzdem führten die Gastgeber nach dem achten Durchgang mit 6:0, weil Stuttgarts US-Werfer Dustin Ward einen noch besseren Tag erwischt hatte - und weil diesmal den Gastgebern die Homeruns gelangen. Nach einem lange Zeit mauen Offensivauftritt starteten die Disciples erst im neunten Inning ihre Aufholjagd. Lukas Steinlein, William Thorp und David Wallace steuerten Punkte bei, letztlich kamen die Gäste aber nur noch auf 3:6 heran. Das Spiel war entschieden, als Cedric Bassel als Schlagmann Aus geworfen wurde. Den Unterschied im zweiten Spiel hatten aber vor allem vier unerzwungene Fehler in der Haarer Abwehr gemacht. Nach den beiden Niederlagen in Bad Cannstatt sind die Disciples auf den vierten Tabellenplatz abgerutscht. Um nicht aus den Playoff-Rängen zu fallen, sollte die Mannschaft am kommenden Wochenende beide Heimspiele gegen die Ulm Falcons gewinnen, ehe schwere Spiele gegen den bislang ungeschlagenen Spitzenreiter Mainz Athletics sowie die ersten beiden bayerischen Derbys gegen die Regensburg Legionäre anstehen.
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Die Playstation ist der wichtigste Umsatzbringer für den Sony-Konzern, doch ist auch das jüngste Modell 4 bereits sechs Jahre alt. Der japanische Hersteller der Playstation leidet nicht nur unter den mittlerweile veralteten Konsolen, sondern auch unter einem rückläufigen Handymarkt. Da helfen auch die verkündeten Rekordgewinne nicht. Trotz der Rekordzahlen, die der Elektronikkonzern Sony verkündet hatte, ist die Sony-Aktie am Montag um acht Prozent eingebrochen. Der Playstation-Hersteller hatte am Freitag nach Börsenschluss für die ersten neun Monate des laufenden Geschäftsjahres einen Rekordprofit gemeldete und seine Gewinnerwartung für das ganze Jahr um 130 Milliarden Yen auf 835 Milliarden angehoben, umgerechnet 6,6 Milliarden Euro. Sony muss allerdings einen Umsatzrückgang von etwa 0,5 Prozent bei den Smartphones um 200 Milliarden Yen verzeichnen. Eher überrascht zeigten sich Analysten in Tokio, dass auch der Verkauf von Bildsensoren für Smartphones und Kameras, die Sony an andere Hersteller liefert, ebenfalls leicht rückläufig ist. Sony erklärt das unter anderem mit einer schwächeren Smartphone-Nachfrage in Japan, Europa und Asien. Mit etwa 42 Prozent Marktanteil ist Sony bei Bildsensoren weltweit Marktführer. Das Unternehmen setzt mittlerweile mehr Geld mit hochwertigen Komponenten wie Bildsensoren um, als mit Endgeräten. Dennoch dürfte der nicht ganz unerwartete Kurssturz mit dem angekündigten Rückgang der Smartphone-Verkäufe der Marke Sony zu erklären sein. Die Börse hat noch nicht akzeptiert, dass Sony im Smartphone-Sektor vor allem ein Zulieferer ist. Sonys wichtigste Einnahmequelle ist die Playstation. Das jüngste Modell, die Playstation 4, ist allerdings bereits sechs Jahre alt. Derzeit verdient Sony vor allem mit Software für die Spielekonsole; das Software-Abo "Playstation Plus" hat mehr als 36 Millionen Nutzer. Aber auch diese Einnahmen sind rückläufig. Sonys Finanzchef Hiroki Totoki sagte, diese Zahlen entsprächen den Erwartungen des Unternehmens. Angesichts ökonomischer und geopolitischer Risiken "können wir jedoch nicht optimistisch sein". Der Smartphone-Markt bleibe längere Zeit schwierig. Die Sony-Aktie hat seit dem September 2018 um 20 Prozent nachgegeben. Sony ist nicht die einzige japanische Elektronikfirma, deren Aktie unter Druck steht. Der Spielekonsolen-Hersteller Nintendo hat gerade bekannt gegeben, für das laufende Jahr mit dem Verkauf von nur 17 Millionen Einheiten anstatt bisher 20 Millionen zu rechnen. In der Folge brach die Nintendo-Aktie am Freitag um neun Prozent ein, die Hälfte machte sie am Montag aber wieder wett. Der Elektronikkonzern Panasonic musste seine Gewinnerwartungen ebenfalls um fast zehn Prozent reduzieren. Nachdem Japans Elektronikkonzerne in den vergangenen Jahren einschneidende Umstrukturierungen durchmachten und sich erst jüngst davon erholt haben, belastet nun jenseits des schwachen Smartphone-Geschäfts auch der schwelende Handelskrieg zwischen den USA und China ihr Geschäft.
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Im Zoo von Halberstadt gibt es einen einsamen und vergessenen Esel namens "Pinocchio". In den 1980er-Jahren tourte das einst berühmte Tier erfolgreich als einer der "Bremer Stadtmusikanten" durch die Deutsche Demokratische Republik. 1984 trat er im Fernsehen auf, 1987 war er ein Teil des Programms zur 750-Jahr-Feier Berlins. Mit der Geschichte des Esels und seines Besitzers beginnt der methodisch innovative, inhaltlich jedoch streitbare Essay von Nicolas Offenstadt über "das verschwundene Land" DDR, dessen Geschichte der französische Historiker als einzige Verlusterzählung konzipiert. Methodisch innovativ ist der Essay, weil der Autor als Anhänger der "Urban Exploration" selbst in verlassene Gebäude und Fabriken einsteigt und dort nach Hinterlassenschaften der DDR sucht. Mit den aufgefundenen Akten gelingt es ihm, individuelle Lebensläufe in exemplarischer Absicht zu rekonstruieren. Offenstadt meidet die Archive und besucht außer den Ruinen auch die Flohmärkte. Von der DDR spricht er als "pays à la brocante", als Land auf dem Trödel. Seine einzelnen Zufallsfunde präsentiert er als Teile eines größeren Ganzen. So steht die von ihm für 25 Euro in Jena erstandene Fahne des örtlichen DDR-Kleingartenverbands zugleich für den aus der Sowjetunion übernommenen Flaggenkult, für die DDR-Kunstfaser "Dederon" und für den Versuch der rund 1,5 Millionen Mitglieder im "Verband der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter" (VKSK), jenseits der "Kollektivierung" einen privaten Raum der Selbstversorgung zu schaffen. An Artefakten wie diesem und den gefallenen Denkmälern der DDR macht Offenstadt die These fest, wonach es sich heute bei der DDR um ein "pays à l'horizontale" handelt. So inspirierend diese Wortschöpfungen sind, die Schlussfolgerungen geraten problematisch. Im längsten Kapitel des Buches versammelt Offenstadt unter dem Titel "Die DDR auslöschen" zahlreiche Beispiele für Straßenumbenennungen, Gedenktafelentfernungen und Denkmalsversetzungen aus den 1990er-Jahren. Immer wieder fallen die Worte "Entwertung", "Delegitimierung", "besiegtes Land" und "die Sieger". Bei Offenstadt bekommt der Leser den Eindruck, Helmut Kohl persönlich sei mit der Planierraupe durch den "annektierten Osten" gewütet. Dabei beruhen alle diese Veränderungen auf demokratischen Mehrheitsentscheidungen der ehemaligen DDR-Bevölkerung. Doch an keiner Stelle reflektiert der Autor seine eingeschränkte Perspektive, die den Begriff "friedliche Revolution" nicht kennt. Wer zwischen Ostsee und Erzgebirge Ruinen sucht, wird Ruinen finden. Wer Spaßbäder sucht, wird Spaßbäder finden. Wer sanierte Altstädte sucht, wird sanierte Altstädte finden. Und wer wie Offenstadt mit DDR-Stadtkarten aus den 1970er-Jahren auf Spurensuche geht, wird nur die Orte finden, die zu dieser Zeit gefunden werden sollten. Denn Gefängnisse der Staatssicherheit oder konspirative Wohnungen werden darauf nicht zu finden sein. So bleibt der Neuigkeitswert des Essays trotz der vielversprechenden "Außenperspektive" gering. Denn die Verklärung der Vergangenheit erscheint weniger als ideologische denn als anthropologische Konstante. René Schlott ist Historiker am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam.
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Mats Hummels hat mit der Fußball-Nationalmannschaft auch nach seiner Ausmusterung durch Bundestrainer Joachim Löw nicht völlig abgeschlossen. "Der Nationalspieler Mats Hummels ist in meinem Kopf erst einmal zur Seite geschoben, aber er ist nicht ganz hinten in die Ecke in den Schrank gepackt, wo man ihn nie mehr findet", sagte der Abwehrspieler des FC Bayern der Sport Bild. Der 30-Jährige war vor dem Start ins neue Länderspiel-Jahr wie seine Teamkollegen Thomas Müller und Jérôme Boateng von Löw überraschend abrupt ausgemustert worden. Hummels fühlte sich "vor den Kopf gestoßen" "Thomas, Jérôme und ich hatten das Gefühl, dass es etwas mehr Wertschätzung hätte sein können", sagte der Ex-Weltmeister zu den Umständen der Entscheidung des Bundestrainers. Löw hatte das Trio bei einem unangekündigten Besuch in München vom Ende ihrer Zeit bei der DFB-Auswahl informiert. Kurz danach hatte der DFB die Öffentlichkeit in Kenntnis gesetzt. "Das war alles sehr knapp gehalten", sagte Hummels. Er sei von dem Gespräch mit Löw "vor den Kopf gestoßen" gewesen, da er "überhaupt nicht" mit der Ausmusterung gerechnet habe. "Teile" der Argumentation des Bundestrainers könne er aber verstehen. Hummels zeigte auch Verständnis für das Handeln von Löw. "Es war für den Bundestrainer wahrscheinlich schwierig, einen Weg und eine Art zu finden, wo wir nach dem Gespräch rausgehen und alle sagen: 'Das war alles richtig super und toll, wie es gelaufen ist.' Den perfekten Weg konnte Jogi Löw nicht finden, das war unmöglich", sagte der 70-malige Nationalspieler Noch immer ärgert sich Hummels diesbezüglich über seine vergebene Kopfballchance im letzten WM-Gruppenspiel gegen Südkorea: "Mache ich das Tor, kommen wir gegen Südkorea weiter, dann wären viele Dinge sicherlich anders gelaufen."
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Die Deutsche Bank will mit der Commerzbank nun auch offiziell über eine Zusammenlegung der Geschäfte sprechen - trotz des wachsenden Widerstands von Gewerkschaften und der Skepsis einiger Großaktionäre. "Wir haben die Öffentlichkeit heute darüber informiert, dass wir im Zusammenhang mit der Prüfung strategischer Optionen Gespräche mit der Commerzbank führen", schrieb Deutsche-Bank-Vorstandschef Christian Sewing am Sonntag an die Belegschaft. Die Commerzbank vermeldete per Pflichtmitteilung, man habe sich darauf verständigt, "ergebnisoffene Gespräche über einen eventuellen Zusammenschluss aufzunehmen". Ein Zusammenschluss der beiden größten börsennotierten deutschen Banken wird damit wahrscheinlicher. Kommt es dazu, entstünde, gemessen an der Bilanzsumme, die zweitgrößte Bank in der Euro-Zone nach der französischen BNP Paribas. Die Fusion wird dem Vernehmen nach vor allem von der Bundesregierung forciert. Aber auch Paul Achleitner, Aufsichtsratschef der Deutschen Bank, sowie der US-Fonds Cerberus, der an beiden Banken beteiligt ist, treiben das Vorhaben voran. Befürworter des Projekts hoffen, dass aus den zwei angeschlagenen Unternehmen durch die Fusion eine international schlagkräftigere Bank würde, die mehr Vertrauen an den Finanzmärkten genießt. Mehrere Großaktionäre der Deutschen Bank sind aber skeptisch. Sie fürchten, dass eine Fusion die Probleme der Bank nicht lösen würde. Bereits vor einer Woche war durchgesickert, dass sich Sewing von seinen Vorstandskollegen ein Mandat für inoffizielle Gespräche mit Commerzbank-Chef Martin Zielke geholt hatte. Bislang seien diese Gespräche aber gleichbedeutend mit "Geplänkel" gewesen, wie es ein Insider am Freitag formulierte. Die Knackpunkte einer Bankenfusion seien noch längst nicht besprochen. Das sei erst nach Aufnahme offizieller Verhandlungen möglich. Zum jetzigen Zeitpunkt stehe keineswegs fest, ob es überhaupt zu einer Transaktion kommen werde, schrieb Sewing an die Mitarbeiter. Die Deutsche Bank müsse nun prüfen, wie sie die "Konsolidierung der Bankenbranche in Deutschland und Europa" mitgestalten könne. "Unser Ziel ist und bleibt es, eine globale Bank mit einem starken Kapitalmarktgeschäft zu sein - basierend auf einer führenden Position in unserem Heimatmarkt Deutschland und Europa und mit einem weltweiten Netzwerk." Wichtig sei dabei, dass die Bank "ausschließlich wirtschaftlich sinnvolle Optionen verfolge". Finanzkreisen zufolge wird diese Prüfung mehrere Wochen dauern. Das Bundesfinanzministerium teilte mit, man nehme die Entscheidung, über die Möglichkeiten einer engeren Kooperation ergebnisoffen zu sprechen, zur Kenntnis. "Wir stehen mit allen Beteiligten regelmäßig in Kontakt." Die Gewerkschaften Verdi und DBV lehnen eine Fusion vehement ab. Sie befürchten im Fall eines Zusammenschlusses von Deutscher Bank und Commerzbank, die zusammen mehr als 130 000 Vollzeitkräfte beschäftigen, den Verlust Zehntausender Jobs.
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Eine Serie von Klebstoff-Attacken auf Autos beschäftigt die Polizei. "Inzwischen wurden über 450 Taten mit einem Schaden von etwa 1,5 Millionen Euro verzeichnet", teilte die Polizei in Wolfsburg mit. Gibt es eine Systematik? Eine Serie von Klebstoff-Attacken auf Autos in Wolfsburg beschäftigt die dortige Polizei. "Inzwischen wurden über 450 Taten mit einem Schaden von etwa 1,5 Millionen Euro verzeichnet", teilte die Polizei mit. Die Ermittler gehen davon aus, dass es sich um einen Täter handelt, der ohne erkennbare Systematik, meist im Dunkeln, an mehreren geparkten Autos vorbeigeht und sie beschmiert. "Verwendet wird aggressiver Sekundenkleber, der nicht nur den Lack, sondern auch das Metall darunter angreift", sagte ein Sprecher. So entstehen auch bei Einzelfällen schnell hohe Schadenssummen. Eine Spur gebe es bislang nicht.
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Die Krise um Katalonien zieht weiter Kreise: In Madrid stürzte darüber die Regierung, zugleich wird zwölf führenden Separatisten der Prozess vor dem Obersten Gericht gemacht. Mit Inés Arrimadas als Spitzenkandidatin wurde die liberale Bürgerpartei (Ciudadanos), die für die Einheit Spaniens eintritt, bei den Regionalwahlen in Katalonien vor einem Jahr zur größten Fraktion. Die 37-Jährige ist Oppositionsführerin in Barcelona, da die separatistischen Parteien zusammen eine knappe Mehrheit bekommen haben.
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Die Übersetzung kann zum Trugschluss führen: Home wie Heim, Office wie Büro. Aber nein, ein Arbeitszimmer für jeden ist damit nicht gemeint. Mit dem Recht auf Homeoffice will die SPD vielmehr durchsetzen, dass jeder von zu Hause aus arbeiten kann, wenn er das Müslischälchen zur Seite geschoben, den Küchentisch abgewischt hat und seine Arbeit am Laptop erledigen kann. Nun hat auch das einen gewissen Reiz: Man denke an Sofa statt Schreibtisch, an Kühlschrank statt Kantine. Nie wieder Stau oder Stellwerkstörung. Es ist schon so lang her, dass die Menschen selbstverständlich auf ihrem Hof, in ihrer Werkstatt oder ihrer Mühle gearbeitet haben, dass sie sich Heimarbeit als Sozialromantik verkaufen lassen. Zwischen damals und heute liegt das Zeitalter der Industrialisierung, liegen giftige Dämpfe und dunkle Fabriken. Für die Tonnen von Materialien mussten Arbeitgeber Arbeitsplätze schaffen im wörtlichen Sinne. Mit der Digitalisierung können sie Frauen und Männer wieder nach Hause schicken und ihnen die Arbeit einfach mitgeben. Homeoffice spart Bürokosten und macht den Betrieb flexibel. Und die SPD? Die freut sich, dass die Leute endlich Kinder, Pflege und Erwerbsarbeit unter einen Hut bekommen und darüber auch noch jubeln. Plötzlich ist keine Rede mehr vom Heimchen am Herd.
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"Der Ursprung, die Geschichte und die Seele unseres Unternehmens sind deutsch. Das wird auch in Zukunft so bleiben", sagt Adidas-Chef Kapser Rorsted (eigentlich Rørsted). Kasper Rorsted, 56, sitzt im Glashaus. Nach seinem Amtsantritt als Adidas-Chef im Oktober 2016 ließ er als Erstes am Firmensitz in Herzogenaurach die Wände herausreißen und durch Glas ersetzen. Diese Woche allerdings wird Rorsted nicht im Büro, sondern in Davos verbringen. Seit 14 Jahren besucht er das Weltwirtschaftsforum, um mitzudiskutieren, hauptsächlich aber um zuzuhören, sagt er. Und formuliert seine Gedanken zu Weltwirtschaft, Globalisierung und Digitalisierung vorab.
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Deutschland soll der umstrittenen EU-Urheberrechtsrichtline nach dem Willen von Bundesjustizministerin Katarina Barley zustimmen. Das schlägt die SPD-Politikerin ihren Ministerkollegen in den anderen Ressorts in einem Schreiben vor, aus dem die Nachrichtenagentur Reuters zitiert. Allerdings formuliert Barley "unverzichtbare Voraussetzungen für die Zustimmung". So soll Deutschland am 15. April im EU-Rat zwar den Richtlinientext abnicken, den das Europaparlament beschlossenen hat. Allerdings wolle sie eine fünfseitige Protokollerklärung hinzufügen. "Die Bundesregierung wird sich bei der Umsetzung des Artikels 17 [...] von dem Ziel leiten lassen, ohne das Instrument 'Upload-Filter' auszukommen", heißt es in der Protokollerklärung. In der Geschäftsordnung des Rates heißt es, solche Erklärungen könnten "Tragweite und die Wirkung eines Rechtsakts, die ausschließlich durch den Inhalt des Rechtsakts selbst bestimmt werden, nicht einschränken". Sie könnten lediglich dessen Auslegung bestätigen, wie sie sich aus dem Wortlaut des Aktes - in diesem Fall der Urheberrechts-Richtlinie - ergebe. Die Upload-Filter waren der Punkt der Reform, um den es den meisten Streit gab. Die Richtlinie macht alle kommerziellen Plattformen ab einer Umsatzgrenze von 10 Millionen Euro oder einem Alter von drei Jahren voll haftbar für Urheberrechtsverletzungen ihrer Nutzer. Sie müssen also Lizenzen an Künstler oder Verwertungsgesellschaften für alle Filme, Bilder und Videos zahlen, die Nutzer auf ihnen hochladen. Bei der Menge des hochgeladenen Materials im Netz ist das nach Ansicht von Fachleuten aber nur möglich, wenn Filter-Software eingesetzt wird, die betroffene Inhalte autmatisch blockieren soll. Allerdings macht die Software viele Fehler und hat Schwierigkeiten, journalistisches Material, Zitate oder Parodien zu erkennen - die erlaubt wären. Zudem ist sie sehr teuer und womöglich unerschwinglich für kleinere Anbieter. Die Pflicht zur umfassenden Kontrolle und Ahndung von Urheberrechtsverletzungen soll Barley zufolge lediglich auf die "marktmächtigen" Plattformen wie Facebook zielen. Unklar ist aber, wie Upload-Filter konkret nur auf entsprechend große Plattformen beschränkt werden sollen. Eine Absage erteilt Barley zugleich den von der CDU vorgeschlagenen Pauschallizenzen als Alternative zu Upload-Filtern. Barley hat den Ministerien eine Frist zur Zustimmung bis Donnerstag 18 Uhr gesetzt. Sie begründete die Aufforderung zur kurzfristigen Zusage damit, dass das EU-Ratssekretariat den EU-Regierungen wiederum eine Frist bis Freitag 12 Uhr gesetzt habe. Das Europaparlament hatte die umstrittene Reform des Urheberrechts beschlossen. Der EU-Rat muss am 15. April seine endgültige Zustimmung geben, wofür Barley als zuständige Ministerin nun die Weisung erteilen muss. Sie stimmt selbst nicht zu, das tun entweder die Außenminister der EU, also für Deutschland Heiko Maas (SPD), oder die Agrarminister, also Julia Klöckner (CDU), auf ihren Treffen. Danach haben die EU-Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, um die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Sollte sich in dieser Zeit herausstellen, dass die befürchteten Beschränkungen der Meinungsfreiheit eintreten, solle die EU-Kommission "unverzüglich" handeln und einen veränderten Richtlinien-Vorschlag vorlegen. Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels hatte es geheißen, dass die volle Haftung nur für Unternehmen gelte, die sowohl 10 Millionen Euro oder mehr Umsatz machen als auch älter als drei Jahre sind. Tatsächlich muss allerdings nur eine dieser Bedingungen erfüllt sein, damit die Unternehmen voll haften. Wir haben den Fehler korrigiert.
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Kohls früherer Berater Horst Teltschik und der Osteuropa-Historiker Martin Aust bemühen sich um Verständnis für Putins Politik - aber auf sehr unterschiedliche Art. Vorurteile, blinde Liebe, Furcht und Verehrung - ein widersprüchliches Russlandbild geistert seit eh und je durch deutsche Köpfe. Am Krieg in der Ostukraine und an der Annexion der Krim erhitzten sich die Gemüter bis zum Siedepunkt, unversöhnlich diskutieren seither "Russland-Versteher" mit jenen, die wissenschaftliche Kenntnis und Sachlichkeit beanspruchen. Gerade bemühen sich wieder zwei Autoren um Verständnis für Russland - auf unterschiedlichen Wegen: Martin Aust, Osteuropa-Historiker an der Universität Bonn, mit seinem neuen Buch "Im Schatten des Imperiums", das Russlands Politik von Gorbatschows Perestroika bis zum Beginn von Putins vierter Präsidentschaft 2018 erklären möchte. Praktische Lösungen der gegenwärtigen Konfrontation sucht hingegen Horst Teltschik, außenpolitischer Berater von Helmut Kohl und langjähriger Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz. Als hochgefährliches "Russisches Roulette", wie er sein Buch überschreibt, sieht Teltschik die Eskalation in den beiderseitigen Beziehungen und fordert eine Neuauflage der von ihm mitgestalteten Entspannungspolitik. Beide, Aust und Teltschik, verbindet und trennt zugleich ein Schlagabtausch, den sie sich im Dezember 2014 nach der Annexion der Krim öffentlich lieferten. Auf den von Teltschik initiierten Aufruf von 65 Unterzeichnern, der unter dem Titel "Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen" mehr Rücksichtnahme auf Moskau gefordert hatte, antworteten 100 Ostexperten mit einem Gegenaufruf: Die Unterzeichner, unter ihnen die Professoren Aust und Karl Schlögel, benannten Aggressor und Opfer und wiesen "Pathos und Halbwahrheiten" zurück. Voraussetzung für ein fundiertes Russland-Verständnis, meint nun Historiker Aust, sei die Analyse der geschichtlichen Hinterlassenschaft: Seit 1991, so seine These, befinde sich Russland in einer "postimperialen Konstellation". Die Frage nach dem politischen und gesellschaftlichen Umgang mit dem doppelten imperialen Erbe von Zarenreich und Sowjetunion sei noch keineswegs geklärt - auch nicht für den Präsidenten Wladimir Putin, dessen Person die Russlanddebatte beherrscht. Detailansicht öffnen Großer Mann auf der Krim: Ein Graffiti zeigt Wladimir Putin 2015 auf einem Regierungsgebäude in Simferopol. (Foto: REUTERS) Nicht schlagartig, wie im Falle Deutschlands oder Japans 1945, sei mit der Sowjetunion auch ein Imperium verschwunden. Der Abschied könne, wie am Beispiel Frankreichs und Großbritanniens und ihrer einstigen Kolonialreiche zu sehen, ein längerer Prozess sein. Dabei wechselten sich Reformbemühungen, Gewalt und Krieg als letztes Mittel ab. Es brauche seine Zeit, sicherlich auch über Putins Amtszeit hinaus, meint Aust, "bis imperiale Politik in den Köpfen der politischen Elite eines Landes keine Option mehr darstellt". Der Historiker nennt es "fahrlässig zu denken, dass das Ausscheiden Putins das Land schlagartig verändern wird und alle jetzigen Fragen im Verhältnis Russlands zu Europa sich von allein lösen werden". Ein Beispiel für den taktischen Umgang Putins mit dem imperialen Erbe sei sein Abbruch des Projektes Novorossija: Mit "Neurussland" plante die russische Rechte im Frühjahr 2014, in Anlehnung an eine neue Verwaltungseinheit Katharinas der Großen nach deren Annexion der Krim 1783, die Expansion weiter nach Westen fortzusetzen. Putin verfolge aber "keinen Maximalplan der Wiedergewinnung ehemals zaristischer oder sowjetischer Territorien", meint Aust. Seine Unterstützung rechter Kräfte sei "situativ und partiell" - wie im Falle der Krim-Annexion und der Destabilisierung des Donbas. Denn auf Dauer würde solch vorbehaltloser Rückhalt "der Außenpolitik mehr Probleme als Vorteile bereiten". Sein Buch sieht Aust als "Beitrag zum öffentlichen Gespräch über Russland in Deutschland". Gegenwärtig trügen Publikationen, die das Russlandbild stark überzeichnen, zur Verhärtung und emotionalen Aufladung der Auseinandersetzung bei. Das "eindimensionale Urteil", wie es die Journalistin Gabriele Krone-Schmalz, mittlerweile aber auch der prominente amerikanische Historiker Timothy Snyder abgäben, verzerre die Realität. Bei aller Kenntnis des Zeitzeugen Teltschik ist sein durchaus fesselndes Panorama der Ostpolitik nicht frei von Schwächen. So beklagt auch er "die verzerrte Wahrnehmung des Kontrahenten" Russland, um sein Zerrbild von einer maroden Ukraine zu verfestigen. Zweijährige Straßenkinder gebe es dort, hatte sich Teltschik 2015 bei einem Vortrag an der Universität Bern empört. "Im Alltag werden Sie als Ausländer ständig bedroht", frei könne man sich nur "bewaffnet bewegen". Großzügig gewährt Teltschik Lob für Russland, das sich 1994 zur territorialen Unversehrtheit der Ukraine bekannte, nachdem diese ihr sowjetisches Atomwaffenarsenal an Moskau abgegeben hatte. So behauptet er: "Die Menschen erfreuen sich schon jetzt eines Ausmaßes an persönlicher Freiheit, das es in der Geschichte Russlands (...) noch nie gegeben hat." "Es gibt keine Demokratie, aber Wahlen. Es gibt keine freie Presse, aber Redefreiheit (...) Detailansicht öffnen Martin Aust: Die Schatten des Imperiums. Russland seit 1991. Verlag C.H. Beck, München 2019. 190 Seiten, 14,95 Euro. E-Book: 11,99 Euro. ." Der Moskauer Regisseur Kirill Serebrennikow, das merkt die Leserin an, musste indessen vom Hausarrest aus seine in Europa gefeierten Theater- und Opernaufführungen inszenieren. Die Zahl der obdachlosen Kinder ist heute in Russland größer als in der Nachkriegszeit. Am allermeisten, so ergab eine Umfrage des Lewada-Meinungsforschungszentrums, fühlen sich die Russen belastet von der "Schande der Armut". Gelegentlich sieht Autor Teltschik die gegenwärtige Politik Russlands auch kritisch und wünscht mehr Kooperationsbereitschaft. Die Furcht vor der Einkreisung durch das westliche Bündnis sei "realpolitisch unbegründet", erklärt Teltschik: Die Westgrenze sei die sicherste des Riesenreiches. Im Osten grenzt es an die beiden Atommächte China und Nordkorea. Doch die Bringschuld sieht er letztendlich beim Westen. Chancen für eine gesamteuropäische Sicherheitsordnung unter Einbeziehung Russlands seien in den Umbruchjahren 1989/90 nicht genutzt worden. Enttäuschungen gruben sich tief in das russische Gedächtnis ein. Das Nato-Bombardement auf das "serbisch-slawisch Brudervolk" während des Kosovo-Krieges 1999 wurde vom damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin nie verziehen. Teils reichlich detailliert in der Wiedergabe mancher Politikerrede zeichnet Teltschik die Ost-West-Politik mit ihren Erfolgen und Krisen nach. Auf die typischen Fotos vom Autor mit seinen stets gut gelaunten Präsidenten mag er allerdings nicht verzichten. Immer wieder gab es Rückschläge, etwa bald nach der von vielen Hoffnungen begleiteten Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte von Helsinki, mit der sich Ost und West 1975 auf die friedliche Lösung von Konflikten und die Achtung der Menschenrechte verpflichteten: Trotz aller Abkommen hatte der damalige Generalsekretär der KPdSU, Leonid Breschnew, neue atomare Mittelstreckenraketen entwickeln und stationieren lassen. "Ein bleierner Mantel" (Horst Teltschik) habe sich damals über die Ost-West-Beziehungen gelegt. "Buchstäblich einen Tag nach der Wahl Gorbatschows ging die Eiszeit zu Ende." Heute, bedauert Teltschik, "wird erwartet, dass Russland einseitig nachgibt" Energisch tritt Teltschik für die Ehrenrettung von Ronald Reagan und George Bush ein. Der in Deutschland "ständig als kalter Krieger denunzierte Reagan" und sein Nachfolger hätten "die weitreichendsten Abrüstungsergebnisse" erzielt, vor allem die sogenannte doppelte Nulllösung für alle Kernwaffensysteme der USA und der Sowjetunion mit einer Reichweite bis zu 5500 Kilometern: "Dem jahrelangen Wettrüsten sollte ein Wettabrüsten folgen." Der seinerzeit heiß umstrittene Nato-Doppelbeschluss sei von der Protestbewegung der frühen Achtzigerjahre völlig verkannt worden: Er habe das Ziel gehabt, die sowjetische Führung zu veranlassen, ihre Mittelstreckenraketen zu vernichten. Gegen die sowjetische Aufrüstung, merkt Teltschik an, hätten sich die Friedensinitiativen nicht gerichtet. Detailansicht öffnen Horst Teltschik: Russisches Roulette. Vom Kalten Krieg zum Kalten Frieden. Verlag C.H. Beck, München 2019. 234 Seiten, 16,95 Euro. E-Book: 13,99 Euro. Die entschlossene westliche Antwort auf eine russische Provokation sei damals mit einem fairen Angebot kombiniert worden, einem gegenseitigen Verzicht auf Atom-Mittelstreckenraketen. Heute aber, bedauert Teltschik, "wird erwartet, dass Russland einseitig nachgibt". Gute Nato, böse Nato? Für den Autor hat sich das Bündnis mit historischem Erfolg verdient gemacht. Dass der Kalte Krieg damals überwunden wurde, "lag vor allem an der Strategie der Nato, die seit der zweiten Hälfte der 60er-Jahre eine Politik der Stärke konsequent mit Angeboten zur Entspannung verband". Gegenwärtig aber sieht er die Nato nur auf "Konfrontationskurs". Teltschik warnt: Wenn sie ihre jetzige unflexible Strategie fortsetze, werde der Konflikt mit Russland immer weiter eskalieren. Was tun? Teltschiks Schlussplädoyer gilt, wie immer wieder auf seiner Zeitreise "Vom Kalten Krieg zum Kalten Frieden" (so der Untertitel), "der Kombination von Stärke und ausgestreckter Hand". Für einen Neuanfang bleibe letztendlich, was er selbst als Binsenweisheit bezeichnet: miteinander reden hilft. Renate Nimtz-Köster hat Romanistik und Slawistik studiert. Sie ist freie Wissenschaftsjournalistin.
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Skirennläuferin Mikaela Shiffrin hat ihrer eindrucksvollen Sammlung an Titeln und Triumphen einen weiteren Rekord hinzugefügt. Beim Slalom in Spindlermühle/Tschechien feierte die demnächst erst 24 Jahre alte Amerikanerin in überlegener Manier ihren 15. Sieg in dieser Weltcup-Saison. Damit verbesserte sie die Bestmarke, die sie bislang gemeinsam mit Vreni Schneider (Schweiz, 1988/89) gehalten hatte. Einen weiteren Rekord kann Shiffrin noch in dieser Saison einstellen. Der Sieg im Riesengebirge war ihr 39. in einem Slalom - nur der legendäre Schwede Ingemar Stenmark (40) hat mehr. Zweite beim insgesamt 58. Weltcupsieg von Shiffrin wurde Kombinations-Weltmeisterin Wendy Holdener (Schweiz/+0,85 Sekunden), Dritte Riesenslalom-Weltmeisterin Petra Vlhova (Slowakei/+2,03). Beste Deutsche war Christina Geiger (Oberstdorf/+3,31) auf Rang zehn. Shiffrin gewinnt zum dritten Mal in Serie den Gesamtweltcup Slalom- und Super-G-Weltmeisterin Shiffrin steht vor den letzten vier Saisonrennen beim Finale in Soldeu/Andorra (13. bis 17. März) bereits als Gewinnerin im Slalom- sowie zum dritten Mal nacheinander im Gesamtweltcup fest. Ihr erster Sieg im Riesenslalom-Weltcup ist ihr bei 97 Punkten Vorsprung vor Vlhova kaum mehr zu nehmen.
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Es gibt einige Orte in Deutschland, an denen das Olympia-Bewerbungs-Fieber schon wieder ausgebrochen ist. In einem Städteverbund an Rhein und Ruhr ist das schon länger (und vergleichsweise systematisch) der Fall. In Berlin flackert das Fieber immer mal wieder auf, wenngleich noch ohne konkretes Konzept. Und auch Thomas Bach, der Chef des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), erklärte schon, wie schön er eine Kandidatur aus seinem Heimatland fände; vor Wochenfrist war das etwa ein Thema, als Bach bei einer Präsidiumssitzung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) weilte. Also dann: auf eine baldige deutsche Olympia-Bewerbung? Nun, derzeit eher nicht - und besser nicht. Denn maßgeblich für solche Vorhaben ist heutzutage nun mal die Frage, ob auch die Bevölkerung es goutiert. Und da sieht es ziemlich schwierig aus. Schon die beiden letzten deutschen Bewerbungen (München 2022, Hamburg 2024) wurden durch Referenden gestoppt. Die Skepsis war groß ob des krummen Gebarens des IOC und der hohen Kosten, die Olympische Spiele mit sich bringen. Eine umfassende Analyse über die Gründe für das doppelte Scheitern aber blieb bisher aus. Und grundsätzliche Veränderungen im Gebaren der Sportpolitik sind nicht auszumachen. Das IOC redet zwar gerne von angeblichen Verbesserungen, aber tatsächlich ist es so, dass Olympia weiter als ein Synonym für Gigantismus daherkommt. Zudem untersuchen diverse Behörden die beiden jüngsten Sommer-Vergaben (Rio 2016, Tokio 2020) wegen des Verdachts auf Stimmenkauf. Die nationalen Sportfunktionäre wiederum mussten kürzlich in einer Studie der Technischen Hochschule Köln über sich lesen, dass nur 27 Prozent der Bürger an ihre Integrität glauben. Bei solchen Rahmenbedingungen wird es schwierig, ein neues Olympia-Referendum durchzubekommen, egal mit welcher Stadt, mit welchem Konzept und für welches Jahr. Entsprechend zurückhaltend ist die Bundespolitik derzeit bei diesem Thema. Und auch dem DOSB scheint diese Skepsis klarer zu sein als manch anderem Akteur in der sportpolitischen Landschaft. Zwar rutscht dem DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann schon mal heraus, dass er hinter die Vision von Spielen in Deutschland "drei Ausrufezeichen" setze. Aber insgesamt wirkt der Dachverband bisher nicht als Treiber. Ihm dürfte die letzte Pleite noch hinreichend nachhängen, und er hat gerade auch andere interne Baustellen. Doch schon jetzt sollten alle Beteiligten aufpassen, dass sich die Olympia-Befürworter nicht auf einen besonders schlammigen Pfad begeben. Denn eine Möglichkeit gäbe es natürlich, wie sich ein Nein in einem Referendum verhindern ließe - indem es schlicht kein Referendum mehr gibt. Der Altkanzler und Berlin-Unterstützer Gerhard Schröder erklärte bereits, dass dies der sinnigere Weg sei. Und von Michael Mronz, dem Vertreter der Rhein-Ruhr-Initiative, oder vom IOC-Chef Bach kam zuletzt bei Interview-Fragen nach der Notwendigkeit von Referenden in diesem Zusammenhang auch kein klares Ja, sondern der Verweis auf andere Stellen. So ließe sich olympisches Fieber natürlich auch durchsetzen. Es wäre ein gefährliches Fieber.
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Der britischen Forderung, den Brexit-Vertrag zu ändern, hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eine deutliche Absage erteilt. "Die Austrittsvereinbarung wird nicht nachverhandelt werden", sagte er am Mittwoch vor dem EU-Parlament. Juncker sieht das Risiko eines ungeordneten EU-Austritts nun erhöht durch die Entschließung des Londoner Unterhauses vom Dienstagabend. Es hat Premierministerin Theresa May beauftragt, mit Brüssel eine Änderung der Brexit-Regelung für die irische Grenze zu erreichen. "Wir müssen auf alle Szenarien vorbereitet sein - auch auf das schlimmste", warnte Juncker. Er werde sich Mays Ideen anhören, werde aber "extrem klar bezüglich der Haltung der Europäischen Union sein", so der Kommissionschef. Zuvor hatten bereits EU-Chefunterhändler Michel Barnier und Ratspräsident Donald Tusk neue Verhandlungen abgelehnt. Ebenso äußerten sich die Bundesregierung und Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD). Das bestehende Brexit-Abkommen sei die "beste und einzige Lösung" für einen geordneten EU-Austritt Großbritanniens, sagte der Minister. Das Parlament in London hatte am Dienstagabend einem Antrag zugestimmt, wonach die "Backstop"-Regelung mit der EU gestrichen und durch "alternative" Abmachungen ersetzt werden soll, die aber nicht definiert wurden. Der Backstop ist die Auffanglösung, die eine harte Grenze zwischen Republik Irland und Nordirland vermeiden soll, indem Großbritannien auf unbestimmte Zeit in einer Zollunion mit der EU verbleibt. Vor allem konservative Brexit-Anhänger fürchten, dies könne Großbritannien an die EU binden. Außenminister Maas sagte, Deutschland und die ganze Union stünden bei der Auffanglösung fest an der Seite der Regierung in Dublin. "Wir werden nicht zulassen, dass Irland in dieser Frage isoliert wird", so Maas zur Funke-Mediengruppe. Auch Irlands Regierung sieht keine Alternative zum Backstop: Außenminister Simon Coveney sagte dem Staatssender RTE, es sei bei den Verhandlungen kein anderer Weg gefunden worden, um eine harte Grenze auf der Insel zu vermeiden. "Und jetzt haben wir eine britische Premierministerin, die wieder für die gleichen Dinge wirbt, die wir geprüft haben." May wollte am Mittwoch mit dem irischen Premier Leo Varadkar sprechen. Einem Sprecher Mays zufolge ergeben sich drei Möglichkeiten für die Auffanglösung. Allerdings seien die Konzepte für die EU nicht neu. Der Sprecher räumte ein, dass Vorbereitungen für einen harten Brexit weitergingen, auch wenn die Regierung ihn nicht wolle. Das Unterhaus hatte dafür gestimmt, einen vertragslosen Brexit auszuschließen, rechtlich ist dies jedoch nicht bindend. May sprach am Mittwoch auch mit Labour-Chef Jeremy Corbyn. Er habe der Premierministerin gesagt, die Möglichkeit eines No Deal nicht mehr vor das Parlament zu bringen, dies sei inakzeptabel, teilte Corbyn nach dem Treffen mit. Brexit-Minister Stephen Barclay schließt den harten Ausstieg weiter nicht aus, wie er der BBC sagte.
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Detailansicht öffnen Der Pulli ist orange, aber auch die Socken: Carsten Meyer-Heder führt seinen Straßenwahlkampf in Bremen streng nach den Vorgaben einer Berliner Werbeagentur. (Foto: Fabian Bimmer/Reuters) Ein Samstagmorgen zwischen Bremer Parkplatz und Kaufhaus, das ist natürlich Geschmackssache. Aber solche Termine gehören gerade zum neuen Leben dieses großen und schlanken Mannes mit Glatze und Fünftagekinnbart, der nach fast 74 Jahren die SPD bezwingen und für die CDU die Hansestadt erobern will. Das öffentliche Wochenende des Carsten Meyer-Heder, 58 Jahre alt, begann um neun vor einem Supermarkt. Jetzt steht er um kurz vor elf mit seinem Sohn vor der nächsten Kaufhalle, wie an allen Stationen an einem Stehtisch mit orangem Sonnenschirm der CDU. Es ist sein dritter von acht Auftritten in ungefähr neun Stunden, von einer Bude weht Bratwurstdunst hinüber. Wäre Carsten Meyer-Heder bei seinem alten Leben geblieben, dann würde er an einem so schönen Tag zum Beispiel Motorrad fahren. Oder arbeiten. Er hat eine Internetagentur mit 1000 Angestellten aufgebaut. "Ich tret ja nicht an, weil ich einen Job brauche", sagt er. Doch im März 2018 trat der frühere Bremer "Unternehmer des Jahres" in die Partei ein, wurde im Mai 2018 mit 98,5 Prozent Spitzenkandidat und fordert nun den Bürgermeister Carsten Sieling und die SPD heraus. Er hat es bei seinem politischen Kaltstart auf die stabilste Hochburg der Sozialdemokratie abgesehen, seit 1945 regiert die SPD das kleinste deutsche Bundesland. "Bremen ist einfach traditionell links", das weiß Meyer-Heder, er war selbst mal links. Aber mittlerweile habe "jeder mitgekriegt, wo Bremen steht", und er zählt auf: Armut, Verschuldung, Arbeitslosigkeit, Bildung - überall sei Bremen auf dem schlechtesten Platz. "Die Menschen sind das leid." Bisher durfte die CDU in dem Stadtstaat bestenfalls mal als Juniorpartner der Genossen mitreden, seit 2007 regiert Bremens SPD mit den Grünen. Doch kurz vor der Bürgerschaftswahl am 26. Mai führt laut Umfragen die CDU: 26 Prozent CDU und 24,5 Prozent SPD sagt das ZDF-Politbarometer voraus, Infratest Dimap für die ARD sogar 27 Prozent CDU und 24 Prozent SPD. Es wird spannend, auch bundespolitisch. Sieling bräuchte Rot-Rot-Grün, Meyer-Heder wünscht sich Jamaika. Die Grünen (18 Prozent) müssen sehen, ob sie ein linkeres oder ein erstmals konservativeres Bremen wollen. Wobei es für die FDP (fünf Prozent) knapp werden könnte und Meyer-Heder meint, dass die Grünen in Baden-Württemberg konservativer seien als seine Bremer CDU. Meyer-Heder nennt als ein Vorbild Ex-Kanzler Gerhard Schröder. Mit der CDU habe er als junger Mann nichts am Hut gehabt: "Ich war Hippie. Ich hab mit langen Haaren in der Höhle gesessen und Jonglieren geübt." Das ist schon eine Zeit lang her, sein Zivildienst auch, inzwischen ist er IT-Manager und kahlköpfig. Er trägt bei seiner Tour Jeans, Daunenjacke, orangen Pulli und orange Socken. Die Farbe gehört zur PR-Offensive, die mit der Kampagne "Carsten Meyer-Wer?" begonnen hatte. Inzwischen kennen ihn viele der 680 000 Bewohner von Bremen und Bremerhaven. Die orangen Plakate hängen fast überall, darauf Sprüche wie: "Ich bin kein gelernter Politiker, aber ein Problemlöser." Oder: "I have a stream: Wlan und Tablets in Schulen." Oder: "Spurwechsel im Rathaus. Für fließenden Verkehr." Entworfen hat das eine Berliner Werbeagentur. Es gibt auch orange Karten mit diesem Rat: "Der Bauch muss dem Kopf öfter in den Arsch treten", schwierige Übung. So soll der CDU-Neuling auch Wählern gefallen, die sonst keine CDU wählen, und trotzdem keine Unionsfreunde verschrecken. "Mein Vorteil ist, dass ich von außen komme", sagt Meyer-Heder, "dass ich ein anderer Typ bin." Die entscheidende Frage für ihn: Vertrauen die Bremer trotz der Engpässe auch nach mehr als sieben Jahrzehnten der SPD und ihrem Bürgermeister Sieling, SPD-Mitglied seit 1976? "Oder gebt ihr mal einem Quereinsteiger und Unternehmertypen eine Chance?" Das Wort Chance zählt zu seinen Lieblingsvokabeln, genauso wie Team, Effizienz, pragmatisch, kreativ. Er spricht von Pilotprojekten, Start-ups, Mobilitätskonzepten. Zu seiner Vergangenheit gehört auch, dass er eine schwere Krankheit überstand. Und den Wahlkampf prägte in dieser Woche der Tod des Bremer CDU-Vorsitzenden Jörg Kastendiek, der den Novizen Meyer-Heder der CDU präsentiert hatte. Carsten Meyer-Heder war Hippie und IT-Unternehmer, nun ist er Spitzenkandidat der CDU Wenige Tage vor dieser traurigen Nachricht steht der Debütant Meyer-Heder etwas verloren in einem Museumsraum neben dem CDU-Europaabgeordneten und ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten David McAllister, der nachher schwärmt: "Carsten Meyer-Heder ist total erfrischend." Anschließend schaut er mit Entourage und Daumen in den Taschen an einem Bunker und einem türkischen Supermarkt im weniger schicken Stadtteil Hemelingen vorbei und weiß nicht recht, was er da sagen oder fragen soll. Immerhin erfährt man, dass um die Ecke seine Lieblingsdisco war. "Ich darf nicht wählen", grüßt akzentfrei eine Passantin, die offenbar keinen deutschen Pass besitzt. Nächster Halt ist ein hipper Teil der Altstadt, wo der Bewerber einst gewohnt hat und nun wie ein Ausrufezeichen am CDU-Schirm wartet. Gegenüber füllt sich sein Lieblingsitaliener. "Nicht so CDU-freundlich hier, oder?", ahnt Meyer-Heder. Er kommt dann doch ins Gespräch. "Wählen Sie doch einfach mal CDU", rät er einer älteren Dame und reicht ihr eine Birne aus einem Korb, am Stiel steht "Klare Birne". 100 Stellen für zusätzliche Referendare will Carsten Meyer-Heder bei einer Regierungsübernahme schaffen. Zudem wolle die CDU ein Programm für die Sanierung von Schulen und Turnhallen vorlegen, sagte er am Freitag. Tags darauf dann Rededuell in der Bürgerschaft beim Rathaus, veranstaltet vom Weser-Kurier. Carsten gegen Carsten, Sieling mit Krawatte, Meyer-Heder ohne. Als Geschäftsmann war er mit dem Bürgermeister auf Delegationsreisen. Jetzt ist der Ton schärfer. Hier der sachliche, faktensichere und meist freundlich dreinblickende Sieling, 60. Er schaut hauptsächlich dann genervt, wenn sein Rivale unrealistisch erscheinende Ideen vorträgt, und verweist dann bei Kita oder Autobahnbau auf Verfassung oder Genehmigungsverfahren. "Sie belehren mich ja gerne", erwidert Meyer-Heder, er wippt auf seinem Hocker. Bremen könne besser und schneller sein, findet er, "Bremen muss mal vor die Welle kommen". Welle, auch das Wort mag er. Es geht um Schulden, Schulen, Digitalisierung, Verkehr, Wohnungen. Grob gesagt wirbt Sieling mit seiner Erfahrung und damit, dass Bremen mit ihm Fortschritte mache. Zuletzt wuchs die Bremer Wirtschaft, und Bremens Rot-Grün hat beim Bund ordentlich Geld herausgehandelt. Meyer-Heder kontert, dass Bremen beim Länderfinanzausgleich einst Nettozahler gewesen sei, und will "Verkrustungen aufbrechen, ich will ja nicht Verfilzung sagen". Sieling warnt, Jamaika würde Tafelsilber verkaufen und die Mieten treiben. "Angstschürende Phantomdebatte", sagt Meyer-Heder. Er sei halt grundsätzlich der Ansicht, dass Privat manches besser könne als der Staat. "Ich glaub, da muss einfach mal ein Manager ran, nicht ein Politiker." Und wenn doch der Manager verliert und der Politiker gewinnt? Dann will der Quereinsteiger trotzdem weitermachen. "Dann kann ich auch nicht sagen, war nur ein Scherz", aus seiner Firma habe er sich ja schon zurückgezogen. Kann er noch jonglieren? "Drei Dinger krieg ich vielleicht noch hoch", sagt Meyer-Heder, der sich vom linken Höhlenhippie in die Bremer CDU-Hoffnung verwandelt hat.
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Der Streit um mögliche Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Trägerraketenherstellern Ariane Group und Space-X könnte nun zu einer weiteren Facette im transatlantischen Handelsstreit werden. So wirft die Verkaufschefin des kalifornischen Unternehmens, Stephanie Bednarek, der EU vor, den Bau der europäischen Trägerrakete Ariane zu subventionieren und damit den Wettbewerb bei Satellitenstarts zu verzerren. In zwei Schreiben an den US-Handelsvertreter Edward Gresser fordert die Managerin die US-Regierung dazu auf, "dieses wettbewerbswidrige Verhalten anzugehen" und für faire Ausschreibungen zu sorgen. Anlass für die Korrespondenz sind Bestrebungen der US-Regierung, bei den Gesprächen über ein Handelsabkommen mögliche Handelshemmnisse zu thematisieren. Bednarek greift in ihren Schreiben allerdings nicht nur die EU an, sondern auch die Finanzierung von Launchsystemen in China, Russland und Indien durch die Regierungen. Einen fairen Marktzugang könne ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU sicherstellen. Bednarek kritisiert, dass derzeit knapp 19 Prozent des Budgets der europäischen Weltraumagentur Esa in die Trägerrakete Ariane investiert würden. Hinzu kämen Subventionen für die Infrastruktur. Dies komme der Ariane zu Gute. Der Startanbieter Arianespace, Tochter der Ariane Group, könne die Preise auf diese Weise "künstlich niedrig" halten und US-Anbieter verdrängen. Dies war allerdings bisher genau der Vorwurf, den Ariane Group den Amerikanern gemacht hat. So werde Space-X durch milliardenschwere Aufträge der US-Raumfahrtbehörde Nasa quersubventioniert. Außerdem sei der US- Markt für europäische Trägerraketen verschlossen, da institutionelle Satelliten nicht mit ausländischen Raketen gestartet werden dürfen. "Wir sind definitiv für Wettbewerb, aber der muss fair sein", hatte Ariane-Deutschland-Chef Pierre Godart 2018 der SZ gesagt. Er hatte auch kritisiert, dass die Falcon 9 von Space-X in Europa zu Dumpingpreisen angeboten werde. Space-X-Manager Hans Koenigsmann hatte den Preisunterschied mit einem erheblichen Mehraufwand begründet, der für US-Regierungs-Satelliten betrieben werden müsse. Dass die Falcon 9 billiger ist, hat dazu geführt, dass Space-X sogar Bundeswehr-Satelliten startet. Die Ariane Group hat gerade mit dem Bau der Ariane 6 begonnen, die deutlich günstiger sein und erstmals 2020 starten soll. Die Entwicklung kostet 3,5 Milliarden Euro, 400 Millionen Euro investiert die Ariane-Group, den Rest die Esa-Mitgliedsstaaten. Denn eines darf in der Diskussion nicht vergessen werden: Ariane ist explizit ein öffentliches Projekt, Space-X dagegen komplett privatwirtschaftlich.
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Die Nachricht kam am gestrigen Mittwoch - und sie ließ Englands Fußballszene schnell unruhig werden: Der Argentinier Marcelo Bielsa, Trainer des Zweitligisten Leeds United, sollte eine spontane Pressekonferenz von besonderer Wichtigkeit geben. Das könnte was werden, wussten in diesem Moment die Reporter. Wenn Bielsa, den sie auf Spanisch nur "El Loco" (der Verrückte), nennen, etwas zu sagen hat, ist es oft interessant. Obwohl sein Verein momentan auf dem ersten Platz der 2. Liga rangiert, war der 63-Jährige zuletzt wegen der sogenannten "Spygate-Affäre" unter Beschuss geraten. Der Grund dafür: Am vergangenen Donnerstag war ein verdächtiger Mann auf dem Trainingszentrum von Leeds-Gegner Derby County festgenommen worden, weil er das Training in auffälliger Weise verfolgt hatte. Er lungerte neugierig und offenbar verdächtiger als sonstige "Kibitze" am Zaun des Derby-Geländes herum, weshalb der Klub die Polizei rief. Wie sich herausstellte, hatte Bielsa den Informanten offenbar angewiesen, den kommenden Gegner von Leeds auszukundschaften. Eine wahrlich ungewöhnliche Maßnahme, wenn auch im Grunde keine verbotene. Als die Sache publik wurde, horchten dennoch viele auf: Leeds-Klub-Eigentümer Andrea Radrizzani sah sich gar genötigt, offiziell bei Derby County um Vergebung zu bitten und seinen Trainer zu rügen. Fairplay hat in England schließlich durchaus Gewicht. Aber kalter Krieg am Trainingsplatz? Geschmackssache. Die Enthüllungen und die Kritik wollte Bielsa aber nicht auf sich sitzen lassen - und zurücktreten wollte er anders als erwartet schon gar nicht. Seine Pressekonferenz mutierte stattdessen zum großen Schauspiel, denn: Die verdutzten Zuhörer in Leeds bekamen von dem Mann aus Rosario (wo auch Lionel Messi herkommt) nichts weniger als einen der legendärsten Medientermine der englischen Fußballgeschichte zu sehen. Bielsa, ein akribischer Taktiker und sogenannter "Trainerfuchs", servierte dem Publikum eine 70-minütige Powerpoint-Präsentation. Auf Spanisch, mit Übersetzung auf Englisch. Darin zu hören: das gesammelte Trainerwissen sowie Taktikanalysen von "El Loco" in epischer Breite. Bielsa erklärte den anwesenden Pressevertretern per Frontalvortrag, dass er tatsächlich schon die gesamte Saison über systematische Beobachtungen von Gegnern betreibe, und dass er diese auch anhand von Material mit gegnerischen Trainingseinheiten aufbereite. Ihm ginge es um maximales Bescheidwissen, um die ideale Einstellung seiner Spieler auf das, was käme. Ob das fair ist oder gar unerlaubt, darüber mache er sich keine Gedanken, so Bielsa. Entsprechend zeigte er auch keine Reue wegen etwaiger "Spione" oder vermeintlicher Böswilligkeit. "Nirgendwo steht, dass man das Trainingsgelände seiner Gegner nicht betreten und sich dort umsehen darf", fand Bielsa. Das stimmt durchaus, aber unüblich sind solche Vorgehensweisen schon. Außerdem, fuhr der Argentinier fort, würden ihm die Informationen lediglich zur Datensammlung nutzen und seien deshalb für das Spiel von Leeds United unwichtig. Die Sache sei somit keine Frage von verletztem Fairplay. Und dann hielt der Argentinier ein Referat, in dem er auf durchaus interessante Art Einblicke in seine Denkweise als Trainer gab - inklusive Details der von ihm analysierten Mannschaften. Wer also demnächst gegen Derby oder Preston North End drankommt, kann sich aus Bielsas Erkenntnissen frei bedienen. Dabei ist seine launige Darbietung nicht seine erste. Er gilt als besessenster Fußball-Nerd Südamerikas, seine Mannschaften spielen oft allerherrlichsten Trainerfußball, wobei der Erfolg sich nicht immer in Gänze einstellt. Zuletzt etwa wurde er 2017 beim OSC Lille in Frankreich entlassen, nachdem der Klub auf Platz 18 der Tabelle abrutschte. Schon in der Vergangenheit war er immer wieder durch seine besondere Herangehensweise an das Spiel sowie mit Slapstick in der Öffentlichkeit aufgefallen. Seine Interviews nach Ligaspielen, in denen er einen Dolmetscher zur Unterstützung hat, gelten auf der Insel als Material zum Schmunzeln, schließlich versteht ihn manchmal keiner so recht. Aber Bielsa ist eine Marke - und er weiß eine ganze Menge vom Fußball. Spiele seines Teams verfolgt er nicht etwa von der Bank aus, er sitzt fast immer auf einer Kühlbox, die am Spielfeldrand nur seinetwegen aufgestellt wird. Und er unterhält prominente Beziehungen im Geschäft: Wegen seines Rufes als akribischer Analyst hat sich auch Pep Guardiola mit ihm angefreundet. Er weilte vor Jahren sogar länger bei Bielsa in Argeninien, um mit dem Gauchoguru den Fußball in seine Einzelteile zu sezieren. Und natürlich trafen beide auch einmal entscheidend aufeinander: Während seiner Zeit bei Athletic Bilbao forderte Bielsa im Finale des spanischen Pokals 2012 den FC Barcelona heraus, damals trainiert von Guardiola. Der Katalane, der Bielsa öffentlich gar als persönliches Vorbild und "besten Trainer der Welt" bezeichnet, habe hinterher Bielsas Aufzeichnungen zu sehen bekommen und gestaunt: "Du kennst den FC Barcelona besser als ich." Das Spiel hatte Bielsa mit Bilbao trotz seiner Grübelei freilich 0:3 verloren.
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Deutschland hat die Technologien und das Geld, um den Städtebau nachhaltig zu gestalten. An manchen Orten gelingt das auch schon. Doch oft wird nur geredet, statt entschlossen zu handeln. Für das Klima wäre es wohl das Beste, die Menschen blieben dort, wo sie geboren wurden. Doch viele ziehen vom Land in die Städte dieser Welt. In Deutschland und anderswo wachsen die Ballungsräume und stellen Stadtplaner damit vor immense Herausforderungen. Sie müssen Wohnraum schaffen, die Bildung von Ghettos verhindern und dabei Ressourcen sparen und die Umwelt schonen. Die Weltgemeinschaft ringt um Lösungen und tut sich schwer. Beim UN-Klimagipfel im Dezember im polnischen Kattowitz verbreiteten Urbanisierungs- und Energiefachleute mehr Ernüchterung als eine Vision. Es hagelte Statistiken und Studien, die auf die Dringlichkeit eines nachhaltigen Städtebaus hinwiesen, statt bereits existierende Lösungsvorschläge in den Mittelpunkt zu rücken. Es gab massenweise kluge Wortmeldungen, die alle Probleme und Hindernisse bis ins letzte Detail sezierten, aber den Mut vermissen ließen, die Dinge entschlossen anzupacken. Es geht nicht nur um das Klima, sondern auch um soziale Fragen Bei vielen offenen Fragen wandert häufig der Blick nach Deutschland, wo viele neue Technologien zum nachhaltigen Bau von Gebäuden entwickelt werden und die Finanzwirtschaft ausreichend Geld zur Verfügung hat, die Pläne anzuschieben. Tatsächlich gibt es bereits viele Projekte, die Maßstäbe setzen. Beispiel Freiburg: Das neue Rathaus gilt als erstes öffentliches Plus-Energiegebäude der Welt, das mehr Energie produziert, als es verbraucht. Das von den Architekten Ingenhoven aus Düsseldorf entworfene Gebäude ist Preisträger des Deutschen Nachhaltigkeitspreises 2019 für "Nachhaltiges Bauen". Beispiel Hamburg: Das ehemalige Verlagsgebäude des Spiegel wurde saniert, dabei bauphysikalisch und wärmetechnisch optimiert, ohne seine Gebäudestruktur zu verändern. In Mannheim oder Heidelberg entstehen ganze Stadtteile neu, die klimafreundlich und sozial verträglich werden sollen. Und doch meint Christine Lemaitre, Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB): "Es gibt einen großen Gestaltungswillen in Deutschland, aber wir müssen noch ambitionierter und mutiger werden. Mit unseren Gebäuden können wir einen signifikanten Beitrag zur Reduktion der CO₂-Emissionen leisten." Klimastreber Deutschland? Allenfalls erst auf dem Weg dorthin, aber der gute Ruf des Landes als Vorreiter leidet zunehmend. Auch weil zu wenige Politiker eine echte Leidenschaft für den Bausektor entwickeln. Neue Gesetze und Verordnungen zeigen erst sehr langfristig ihre positiven Auswirkungen. Schnelle politische Erfolge lassen sich schwer erreichen. Dabei geht es nicht allein nur um das Klima. Schon Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat das Wohnen zur "sozialen Frage unserer Zeit" erklärt. Gerade jetzt, da die Bevölkerung immer älter wird, mehr Migranten in den Städten untergebracht werden müssen und Wohnraum immer knapper wird, sind Lösungen nötig, um friedliches und respektvolles Zusammenleben zu ermöglichen, wenn alle noch weiter zusammenrücken. ‹ › Das neue Rathaus in Freiburg gilt als erstes öffentliches Plus-Energiegebäude der Welt, das mehr Energie produziert, als es verbraucht. Bild: ingenhoven architects/HGEsch ‹ › Die überschüssige Energie wird ins Stadtnetz gespeist. Bild: ingenhoven architects/HGEsch ‹ › Die Architekten Ingenhoven aus Düsseldorf setzten auf eine offene und transparente Bauweise. Bild: HGEsch ‹ › Besonderes Kennzeichen des Gebäudeensembles: Lärchenholzfassaden aus lokalem Waldbestand. Die Fassade des Rathauses besticht durch den Wechsel von Holz-, Glas- und Photovoltaik-Elementen. Bild: HGEsch ‹ › Optisch fügt sich das neue Rathaus auch gut ins grüne Stadtbild von Freiburg ein. Bild: HGEsch Wird geladen ... Deutlich mehr Sozialwohnungen können dabei helfen, unterschiedliche Einkommensklassen in den Wohnvierteln zu vermischen. Wissenschaftler mahnen aber, dass das nur sinnvoll ist, solange Sozialwohnungen im gleichen Gebäude mit frei finanzierten Wohnungen zur Verfügung stehen. Die Strategie dahinter: Wenn der Banker neben dem Bandarbeiter lebt, wird man sich nicht fremd. Doch seitdem Städte und Kommunen in den vergangenen Jahrzehnten ihren Wohnbestand meistbietend verkauft haben, sind es oft private Bauträger, die den Mangel an Sozialwohnungen beheben müssen. Deren Engagement aber ist begrenzt, weil die Angst vor kleiner Rendite groß ist. Der Bund will zwei Milliarden Euro zusätzlich in den sozialen Wohnungsbau stecken. Schafft der Staat neue Wohnflächen, muss er im Sinne eines gesunden Städtewachstums garantieren, dass die soziale Infrastruktur niemanden benachteiligt. Andernfalls entstehen Ghettos dort, wo billig gewohnt wird. Als gelungenes Beispiel, wie Verdrängung gestoppt werden kann, gilt Wien mit 60 Prozent Sozialwohnungen. Das Erfolgsrezept: weniger Privatisierung. Die Wiener selbst scherzen, man sei eben in allem etwas langsamer und habe den Verkauf öffentlicher Liegenschaften einfach verschlafen. Das zahle sich jetzt aus, da klar wird, dass andere Kommunen um soziale Nachhaltigkeit ringen. Zumindest umwelttechnisch werden private Bauherren in Deutschland bald mit dem neuen Gebäudeenergiegesetz (GEG) in die Verantwortung genommen, das neue Vorgaben aus der EU umsetzt. Seit Beginn des Jahres gelten höhere Standards für Gebäude, die aus öffentlicher Hand finanziert und nicht als Wohnraum genutzt werden. In wenigen Jahren sollen auch alle privaten Wohnneubauten dem GEG unterliegen. Bis dahin muss der Staat auf die Freiwilligkeit der Investoren setzen. Er hilft mit Subventionen, doch zu viele Bauträger fürchten die Bürokratie, die stapelweise Papiere und Dokumente im Briefkasten ablädt. Andere sind einfach nicht bereit, mehr Geld für nachhaltige Gebäude auszugeben. Architekturschau Im regelmäßigen Turnus von zwei Jahren zieht die BAU als Weltleitmesse für Architektur, Materialien und Systeme für den Wirtschafts-, Wohnungs- und Innenausbau ein breites Spektrum von Besuchern an. Zur Zielgruppe gehören alle, die mit der Planung, dem Bau und dem Betrieb von Gebäuden aller Art zu tun haben. In diesem Jahr werden vom 14. bis zum 19. Januar mehr als 2200 Aussteller aus 45 Ländern ihre Neuheiten präsentieren. Erwartet werden mehr als 250 000 Besucher. Das Angebot gliedert sich nach Baustoffen sowie nach Produkt- und Themenbereichen. Mit insgesamt 18 Hallen auf 200 000 Quadratmetern wird die BAU 2019 die bislang größte Ausstellung in der 55-jährigen Geschichte der Messe sein. Vier große Leitthemen stehen für die BAU 2019: Digitales Planen und Bauen, Vernetztes Wohnen und Arbeiten, Systeme und modulare Bauweisen sowie smarte Lösungen für die Verbindung von Licht und Gebäuden. Zudem werden in einem Digital Village rund 20 Start-ups ihre Geschäftsideen, Dienstleistungen und Produkte präsentieren. Norbert Hofmann Dabei ist das Potenzial groß. Neue Technologien und Materialien zur Energiegewinnung und -einsparung, der Einsatz von wiederverwertbaren Baustoffen und Bauteilen, dazu die gefahrlose Rückführung der verwendeten Materialien in den natürlichen Stoffkreislauf, aber auch die Vermeidung von Transportkosten durch örtliche Beschaffung können dem Klima helfen. Aber: "Noch immer herrscht in Deutschland kein ausreichendes Bewusstsein dafür, dass eine höhere Qualität von Baumaterialien gut für die eigene Gesundheit und das allgemeine Wohlbefinden sind", sagt Lemaitre. Bislang sei es in der öffentlichen Kommunikation nicht gelungen, nachhaltiges Bauen aus der Ökoecke herauszuholen.
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"Wenn du die Krone hast, hast du die Meinungshoheit", sagt Heinz-Christian Strache 2017 auf Ibiza über die Krone . Die auflagenstärkste Zeitung Österreichs ist bislang überparteilich - der FPÖ-Chef spricht in dem heimlich aufgenommenen Video davon, wie es wäre, das Blatt auf Linie zu bringen. Wie man das österreichische Boulevardblatt zum Machtinstrument der FPÖ formen könnte, ist eines der zentralen Themen des heimlich gefilmten Videos. Strache offenbart Erstaunliches und Erschreckendes. Österreichs Kronen-Zeitung zählt zu den bunten Blättern, und gern werden dort die Geschichten in grellen Farben gezeichnet. Doch wenn es nach dem Rechtspopulisten Heinz-Christian Strache geht, dann soll die Krone, wie sie überall genannt wird, wohl am besten nur noch eine Farbe zeigen: blau. Das ist die Farbe seiner Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) - und wie man die Zeitung komplett zum Machtinstrument der FPÖ machen könnte, ist eines der zentralen Themen des mehr als sechsstündigen und heimlich gefilmten Gesprächs, das Strache unterstützt von seinem Parteifreund Johann Gudenus Ende Juli 2017 auf Ibiza mit einer angeblichen russischen Investorin führt. Die ist in Wirklichkeit zwar nur ein Lockvogel in unbekanntem Auftrag. Aber sie entlockt ihm Erstaunliches und Erschreckendes. Die Planspiele zur Übernahme der Kronen-Zeitung sind demnach offenbar bereits in den Vorgesprächen entworfen worden, die Gudenus, damals Vizebürgermeister von Wien und heute FPÖ-Fraktionschef im Nationalrat, schon seit Monaten mit der vermeintlichen Oligarchen-Nichte und ihrem Mittelsmann geführt hat. "Wie wir uns das erste Mal getroffen haben und ich gemerkt hab, dass sie allgemein Interesse hat, in Österreich zu investieren, hab ich gesagt (...): Kronen-Zeitung wär interessant", prahlt er gegenüber seinem politischen Ziehvater Strache. Seine Idee: "Die Kronen-Zeitung wär für uns alle gut, für sie geschäftlich, für uns politisch." Strache ist begeistert von dieser "Weltklasse-Geschichte" Strache lässt nun auf Ibiza in einer Art rhetorischen Endlosschleife nichts unversucht, der Russin, die angeblich ein paar hundert Millionen Euro zur Verfügung hat, diesen Kauf schmackhaft zu machen. Er umschmeichelt sie, sagt, sie wäre die gewiss "schönste Medienbesitzerin" Österreichs. Er verheißt finanziellen Ertrag: "Du bringst die Hütte von 15 Millionen auf 35 Millionen Jahresgewinn." Und vor allem verspricht er ihr Macht und Einfluss, der auf allen Ebenen zu nutzen sei: Die angeblich reiche Russin spielte mit "bei den zehn mächtigsten Menschen Österreichs", sagt er. "Dahinter steckt ja das wirtschaftspolitische Ziel, Einfluss zu haben und andere Geschäfte zu machen." Was das für andere Geschäfte sind, sagt er auch sehr deutlich: Immobilien vor allem. "Wenn sie die Krone kauft, hat sie ein Imperium. Das muss ihr klar sein. Wenn sie ein Grundstück will, das die Stadt Wien hat, sagt der Bürgermeister: okay, bam bam bam. So rennt das." Was er für sich erhofft, ist offenkundig ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: "Wenn sie die Kronen-Zeitung übernimmt drei Wochen vor der Wahl und uns zum Platz eins bringt, dann können wir über alles reden," verspricht er. Dass Strache sich so begeistert zeigt von dieser "Weltklasse-Geschichte", liegt an der herausgehobenen Stellung, die die Kronen-Zeitung in Österreich einnimmt. Als das 1959 von Hans Dichand gegründete Blatt vor wenigen Wochen mit Glanz und Glorie seinen 60. Geburtstag feierte, zählten zu den lobpreisenden Gratulanten natürlich auch Kanzler Sebastian Kurz und der heutiger Vizekanzler Strache. Denn mit der Krone will es sich niemand verscherzen, gegen die Krone, so heißt es in Österreich, kann niemand regieren. Schließlich erreicht die Zeitung an jedem Tag der Woche zwei Millionen Leser, am Sonntag gar 2,5 Millionen. Bei 8,7 Millionen Einwohnern in Österreich ist das eine Reichweite von etwa 30 Prozent. Mit 700 000 Exemplaren täglich verkauft die Krone mehr als die fünf nächsten österreichischen Tageszeitungen zusammen. Doch die Kronen-Zeitung ist offenbar nur ein Baustein in Straches Vorstellungen von Österreichs künftiger Medienwelt. Er will mehr. "Wir wollen eine Medienlandschaft ähnlich wie der Orbán aufbauen", sagt er auf Ibiza. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán hat die Medien in seinem Land bereits weitgehend unter Kontrolle gebracht. Der staatliche Rundfunk ist auf Regierungslinie, viele private Medien wurden von Gefolgsleuten aufgekauft. Mitgespielt hat dabei auch ein Österreicher, den Strache der Russin gegenüber als Freund und Unterstützer preist: Heinrich Pecina. "Pecina ist ein Investor, der hat dem Orban alle ungarischen Medien der letzten 15 Jahre aufgekauft und für ihn aufbereitet", erklärt Strache. Pecina, Gründer des Investmenthauses Vienna Capital Partners (VCP), ist eine durchaus schillernde Figur. Stets elegant tritt er auf, er lebt auf einem herrschaftlichen Anwesen in Niederösterreich und macht seine Geschäfte vornehmlich in Ost- und Südosteuropa. In den Panama Papers ist er aufgetaucht, und in einem Untreue-Prozess rund um die Kärntner Landesbank Hypo Alpe Adria wurde er im Sommer 2017 zu 22 Monaten Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe von 288.000 Euro verurteilt. Er war geständig und hatte zuvor schon knapp drei Millionen Euro Schadensersatz gezahlt. Dieser Heinrich Pecina also ist ein Mann mit vielen Geschäftsfeldern und Kontakten - und besonders eng scheint er tatsächlich mit Straches Vorbild Viktor Orban zu sein. Als Ungarns Premier kurz nach Bildung der neuen österreichischen Regierung aus ÖVP und FPÖ im Januar 2018 nach Wien kam, traf er als Erstes Pecina - und danach dann Kanzler Sebastian Kurz und Strache. 2014 war Pecina in den ungarischen Medienmarkt eingestiegen und schnell zum größten Verleger des Landes aufgestiegen. Orbans Regierung durfte sich dann darüber freuen, dass Pecina die wichtigste Oppositionszeitung Nepszabadsag 2016 einstellte und seinen Verlag Mediaworks mit zahlreichen Regionalzeitungen an Orbans Jugendfreund Lörinc Meszaros verkaufte. Diese Regionalzeitungen hatte Pecina zuvor der deutschen Funke Mediengruppe abgekauft. Auf Ibiza bringt Strache nun Pecina ins Spiel für den österreichischen Medien-Deal, der hier unter Spaniens Sonne vorangetrieben werden soll. Die Eigentumsverhältnisse bei der Kronen-Zeitung sind nämlich höchst kompliziert. 50 Prozent gehören noch der Gründerfamilie Dichand, aufgeteilt auf die drei Kinder und die Witwe des 2010 verstorbenen Hans Dichand. Die anderen 50 Prozent wurden 1987 von der deutschen Funke Mediengruppe erworben, die damals noch als Zeitungsgruppe WAZ firmierte. Die vermeintliche russische Investorin gibt an, Zugriff auf die Dichand-Anteile zu haben. Strache verspricht, den Kontakt zur anderen Hälfte beizubringen - über Pecina. "Der hat bei der Funke-Gruppe die Kontrolle drauf", behauptet er. "Dann hast du alles, dann habt ihr alles." Ganz schnell soll das gehen, schon in den nächsten Wochen, aber erst nach der Wahl im Oktober offiziell bekannt werden. Auf Anfrage von SZ und Spiegel erklärte Pecina dazu, er habe weder heute noch in der Vergangenheit eine Möglichkeit gehabt. "die Kronen-Zeitung in welcher Weise auch immer zu kontrollieren oder zu beeinflussen". Auf SZ-Anfrage, ob es zwischen 2014 und 2019 eine Zusammenarbeit mit Pecina hinsichtlich der Krone gegeben habe, antwortete die Funke Mediengruppe mit einem einzigen Satz: "Es gibt keine Zusammenarbeit zwischen der Funke Mediengruppe und Herrn Pecina." Ob es zum Zeitpunkt von Straches Ibiza-Treffen eine solche Kooperation gegeben hat, bleibt damit offen. Strache jedenfalls wirkt auf den Ibiza-Videos euphorisiert von den Möglichkeiten, die sich da auftun. Das würde einen Effekt geben, den der politische Gegner "nicht riechen" könne, meint er. "Schau, wenn das Medium in zwei, drei Wochen vor der Wahl, wenn dieses Medium auf einmal uns pusht, dann hast du recht, dann machen wir nicht 27, dann machen wir 34" Prozent. Obendrein verspricht er dann auch gleich noch, binnen zwei oder drei Wochen ein "Medienkonzept" für die Kronen-Zeitung zu liefern. "Zack, zack, zack. Drei, vier Leute, die müssen wir pushen. Drei, vier Leute, die müssen abserviert werden. Und wir holen gleich mal fünf Neue herein, die wir aufbauen", sagt er dazu an anderer Stelle. Doch nicht nur die Krone bringt Strache beim Gespräch mit der vermeintlichen russischen Investorin ins Spiel. Er stellt ihr noch weitere Medienmacht in Aussicht. Die Kronen-Zeitung sei "der bestimmende Faktor am Zeitungsmarkt", erklärt er, "und wenn du darüber hinaus einen TV-Sender noch lukrierst, bestimmst du alles", wirbt er. Strache spricht schon 2017 davon, "den ORF vollig auf neue Beine zu stellen" Bald darauf schlägt er den Bogen zum ORF, der nach dem Erwerb der Krone "der einzige Konkurrent" sei - und verspricht dann: "Würden wir in einer Regierungsbeteiligung sein, würden wir uns sogar vorstellen können, einen Sender zu privatisieren.... Wir könnten uns vorstellen, den ORF völlig auf neue Beine zu stellen." Aus all den Fantasien rund um die Übernahme der Kronen-Zeitung ist dann am Ende nichts geworden. Die reiche Russin war ja nur ein Bluff, und in der wirklichen Welt hat sich der Tiroler Immobilieninvestor René Benko im November 2018 mit der Hälfte der Funke-Anteile bei der Krone eingekauft - und damit einen heftigen Machtkampf entfesselt mit der Familie Dichand, die offenbar eine feindliche Übernahme befürchtet. Beim öffentlich-rechtlichen ORF wächst indes die Unsicherheit wegen eines neuen ORF-Gesetzes, an dem seit der FPÖ-Regierungsbeteiligung in Wien gearbeitet wird. Strache und seine Parteifreunde begleiten das mit heftigem Getöse, greifen einzelne Journalisten an wie den ZiB-2-Moderator Armin Wolf oder fordern ein Ende der "Zwangsgebühren", also der TV-Gebühren, mit denen der ORF sich finanziert. Den Kampf mit den Medien verlagert die FPÖ auf immer neue Schlachtfelder. Nur mit der Kronen-Zeitung darf Strache eigentlich sehr zufrieden sein. Hautnah und empathisch durfte sie auch dabei sein, als der Vizekanzler unlängst nach der Geburt eines Sohnes einen viel beschriebenen "Papa-Monat" einlegte. Es gilt halt nach wie vor, was Strache dort auf Ibiza verkündet hat: "Wenn du die Krone hast, hast du die Meinungshoheit." Mehr Geschichten aus und zu Österreich jeden Freitag im Österreich-Newsletter der Süddeutschen Zeitung. Alle Infos und kostenlose Anmeldung: sz.de/oesterreich
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Die SPD will entschiedener gegen Kinderarmut vorgehen. Nach langer interner Debatte setzen sich die Sozialdemokraten jetzt dafür ein, eine eigenständige Kindergrundsicherung einzuführen. Damit verfolgen sie unter anderem das Ziel, Kinder aus dem Hartz-IV-System herauszuholen. Das geht aus einem Beschlusspapier für die Klausurtagung der Bundestagsfraktion hervor, die an diesem Donnerstag beginnt. In dem Papier, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, heißt es: "Mit Kinderarmut werden wir uns nicht abfinden." Deshalb arbeite die SPD an "einer eigenständigen Absicherung für Kinder". Dem Papier nach soll noch "in diesem Jahr" ein Konzept vorgelegt werden. Im Kern geht es beim Thema Kindergrundsicherung darum, bestehende Sozialleistungen und steuerliche Förderungen für Familien zu bündeln. Nur noch eine einzige Transferleistung soll den Grundbedarf für Kinder abdecken. Debattiert werden Beträge von etwa 620 Euro, die bei höheren Einkommen abgeschmolzen werden. Sozialverbände halten dieses System für gerechter als den Status quo. Die Forderung nach einer Grundsicherung für Kinder reiht sich ein in die Strategie der SPD, Kinder-, Familien- und Bildungspolitik "in den Mittelpunkt" ihres politischen Handelns zu stellen, wie es im Beschlusspapier der Fraktion heißt. Die Debatte nimmt damit just zu dem Zeitpunkt Fahrt auf, da Bundesfamilienministerin Franziska Giffey und Sozialminister Hubertus Heil bessere staatliche Leistungen für Familien mit kleinem Einkommen durchsetzen wollen. Am Mittwoch stellten die beiden SPD-Politiker ihr "Starke-Familien-Gesetz" vor, nachdem es vom Kabinett gebilligt worden war. Das Gesetz verspricht unter anderem einen höheren Kinderzuschlag, ein kostenloses Mittagessen in Schule und Kita und kostenlose Schülerfahrkarten. Giffey und Heil betonten, dass sie die Reform als Basis für eine mögliche Kindergrundsicherung sehen. Man müsse die Dinge "Stück für Stück" ändern, so Heil. Giffey sagte, zunächst würden "suboptimale staatliche Leistungen" verbessert, die Neugestaltung des Kinderzuschlags sei aber "ein Fundament für eine Kindergrundsicherung". Auch weitere führende Sozialdemokraten machen sich für einen Systemwechsel stark. Je nach Ausgestaltung könnte er Milliarden kosten. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, in dessen Bundesland bereits an einem Konzept für eine Kindergrundsicherung gearbeitet wird, sagte der SZ: "Wir brauchen ein einfaches und bürgerfreundliches System, das insbesondere Kinderarmut wirksam bekämpft." Es sei nicht einzusehen, dass eine eigentlich wohlhabende Gesellschaft für dieses Problem bislang keine befriedigende Lösung gefunden habe. Bremens Bürgermeister Carsten Sieling (SPD), der im Mai Bürgerschaftswahlen zu bestehen hat, nannte die Einführung einer Kindergrundsicherung "unabdingbar". Allein in Bremen und Bremerhaven würden mehr als 35 000 Kinder davon profitieren. "Den Sozialstaat wieder stark zu machen", sei die beste Unterstützung, die er im Wahlkampf von seiner Partei bekommen könne.
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Bis acht Minuten vor dem Ende sah es am Mittwochabend im Londoner Wembley-Stadion so aus, als könne Borussia Dortmund an diesem Donnerstag mit realistischen Hoffnungen heimfliegen und Tottenham Hotspur in drei Wochen mit nur einem Tor Rückstand im eigenen Stadion begegnen. Doch in den letzten acht Minuten wurden diese Hoffnungen pulverisiert. Im dritten Pflichtspiel nacheinander kassierten die Dortmunder drei Gegentore: nach dem Pokal-Aus gegen Werder Bremen und dem 3:3 gegen Hoffenheim verloren sie das Achtelfinal-Hinspiel bei den Spurs in London mit 0:3 (0:0) und waren merklich bedient. "Wenn wir gegen robustere Teams spielen müssen, fehlt uns etwas", gestand Torwart Roman Bürki: "Schwierig, wenn man vorne keinen Stürmer drin hat, den man mal anspielen kann." Vorne gingen die Bälle verloren. Und hinten wurde zu luftig, zu nachlässig gedeckt: "Das ist nicht gut verteidigt. Es kann nicht sein, dass wir bei Standards so unaufmerksam sind." Über weite Strecken hatte der BVB den Dritten der Premier League in Schach gehalten, aber drei Blackouts - 66 Sekunden nach der Pause sowie acht und drei Minuten vor Schluss - bescherten den Dortmundern eine Niederlage, die bei den Westfalen momentan ins Bild passt. Es war das vierte Pflichtspiel in Serie ohne Erfolg. "In der ersten Halbzeit hatte Dortmund die besseren Chancen", sagte Torschütze Son Heung-min, "aber am Ende hätten wir noch mehr Tore erzielen können." Schon im Herbst 2017 hatten die Borussen, damals noch unter dem Trainer Peter Bosz, keine guten Erfahrungen mit Tottenham gemacht und zwei Mal verloren. Und auch diesmal gab es eine dramatisch anmutende Niederlage. Die einzigen beiden Male, dass sich die aktuelle Dortmunder Mannschaft zuvor hatte auseinandernehmen lassen, das waren im November bei Atlético Madrid (0:2) sowie am vergangenen Samstag zwischen 17.03 und 17.16 Uhr, als man gegen die TSG Hoffenheim eine 3:0-Führung verspielte. Da lag Favre aber krank im Bett. Diesmal stand er im Londoner Wembley-Stadion am Rande des Spielfelds und gestikulierte dynamisch. Favre bot angesichts verletzungsbedingter Ausfälle der Abwehrspieler Lukasz Piszczek, Julian Weigl und Manuel Akanji eine Viererkette auf, wie sie in 30 Pflichtspielen zuvor nicht ein einziges Mal zusammen gespielt hatte: Hakimi, Toprak, Zagadou und Diallo. In der Offensive entschied sich Favre anstelle von Raphael Guerreiro und Maximilian Philipp für Christian Pulisic und Mahmoud Dahoud. Favre ließ ein 4-3-3 spielen mit Axel Witsel auf der Sechs und Thomas Delaney sowie Dahoud auf den Halbpositionen davor. Tottenham, das ohne seine verletzten Stars Dele Alli und Harry Kane auskommen musste, setzte die Dortmunder anfangs enorm unter Druck. Während die Westfalen aus diesem Grund zunächst keine Bekanntschaft mit dem Spurs-Strafraum machten, drosch Tottenhams brasilianischer Ersatzstürmer Lucas Moura den Ball in der 6. Minute gleich mal hauchdünn am Pfosten vorbei.
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Durch das Internet nimmt der Druck auf Arbeitnehmer zu. Wer ständig erreichbar ist, schläft schlechter und leistet weniger. Doch es gibt Strategien, die vor einer digitalen Abhängigkeit schützen. Detailansicht öffnen Von Arbeitnehmern wird erwartet, immer mehr in immer kürzerer Zeit zu leisten. Die Schnelligkeit der digitalen Welt überfordert viele. (Foto: Peter Macdiarmid/Getty Images) Auf dem Spielplatz wird es Markus Albers mit einem Mal bewusst. Als seine kleine Tochter ihn bittet, nicht ständig auf sein Handy zu starren, merkt er: Nein, ich kann nicht aufhören. Das Treffen muss verschoben, die Mail beantwortet und das Protokoll für die Kollegen freigegeben werden, zur Not eben zwischen Schaukel und Sandkasten. Technische Geräte sind zu ständigen Begleitern geworden, die permanente Erreichbarkeit zur Normalität. So wie dem Familienvater Albers geht es vielen. In einer Befragung des Bundesverbands Digitale Wirtschaft gaben 38 Prozent an, dass es ihnen schwerfalle, offline zu sein und ihre digitalen Geräte eine Zeit lang wegzulegen. Die zunehmende Vermischung privater und beruflicher Lebensbereiche verstärkt dabei die digitale Abhängigkeit. "Berufliches sickert vollständig ins Private ein. Mit dem Smartphone habe ich die Arbeit immer dabei", sagt Markus Albers. Der Autor plädiert in seinem Buch "Digitale Erschöpfung" für einen anderen Umgang mit Technologie. "Durch eine Kultur, in der es selbstverständlich ist, dass wir abends um elf noch unsere Mails beantworten und am nächsten Morgen im Meeting sitzen, werden Arbeitnehmer übermannt." Die permanente Verfügbarkeit, die mit der Digitalisierung einhergeht, überfordert viele Arbeitnehmer. "Wir müssen dafür sorgen, uns nicht an den Bildschirm zu ketten, nachdem die Ketten an den Schreibtisch abgestreift werden konnten", meint Albers. Studien geben ihm recht. So bestätigt eine Untersuchung des Leibniz-Instituts für Arbeitsforschung, dass die ständige mobile Erreichbarkeit zu Stress und Belastung führt. Das Wechselspiel zwischen Arbeit und Privatleben koste viel Energie und wirke sich auch negativ auf die Schlafqualität aus, da die jeweiligen Rollen als Privatmensch oder Arbeitnehmer an unterschiedliche Erwartungen geknüpft sind. Schlechter Schlaf wiederum führe zu verminderter Leistungsfähigkeit, schreibt die Arbeitspsychologin Lilian Gombert vom Leibniz-Institut. Digitale Entrümpelung lautet die Lösung, die der US-amerikanische Informatikprofessor Cal Newport in seinem kürzlich erschienenen Buch "Digitaler Minimalismus" präsentiert. Laut Newport finden sich die schädigenden Einflüsse der digitalen Welt vorrangig im privaten Umgang mit der Technologie: "Bei vielen Menschen täuscht eine zwanghafte Smartphone-Nutzung über eine Lücke hinweg, die durch eine unzureichend entwickelte Freizeitgestaltung entstanden ist." Um diese Lücke erkennen und anderweitig schließen zu können, hilft laut Newport eine Pause. 30 Tage Abstand von Apps, Webseiten, Videospielen und Streamingdiensten seien ratsam. Dadurch sollen die Aktivitäten wiederentdeckt werden, die wirklich glücklich machen, und Technologien, die deren Umsetzung erleichtern. Einfache Kniffe helfen dabei, den Blick öfter vom mobilen Endgerät zu lösen. Der Experte rät, Phasen konzentrierten Arbeitens festzulegen und währenddessen Ablenkungen zu vermeiden. Im Nicht-Stören-Modus des Handys können wichtige Anrufe und Anwendungen dennoch als solche markiert und von der Sperre ausgenommen werden. Zeit spart, wer sich in Textnachrichten kurz und präzise ausdrückt, anstatt mehrere unausgereifte Nachrichten nacheinander zu versenden. Am zielführendsten und unmissverständlichsten sei aber das persönliche Gespräch. Da digitale Abstinenz zwar sinnvoll ist, auf Technik jedoch heute oft nicht gänzlich verzichtet werden kann, empfiehlt Newport, die Zeit vor dem Bildschirm zu planen. "Falls Sie stundenlang Netflix schauen und dabei einen Livestream von sich selbst hochladen wollen, indem Sie bei Twitter unterwegs sind - nur zu! Doch außerhalb dieser Zeiträume bleiben Sie offline", empfiehlt der Informatiker. Sich in Gesprächen mit Freunden und Kollegen über weitere sinnvolle Strategien auszutauschen, könne besonders im Arbeitskontext hilfreich sein. "Was der Einzelne tun kann, ist leider begrenzt", meint jedoch Buchautor Albers. Er sieht daher den Arbeitgeber in der Fürsorgepflicht. Entscheidend seien Führungskräfte, die Regeln und Erwartungen zur Erreichbarkeit und Arbeitsweise eindeutig kommunizierten. Sonst stellt sich die Frage, ob Angestellte arbeiten, wenn sie nach Dienstschluss einen Anruf entgegennehmen oder kurz eine Mail beantworten. In Frankreich ist das Zugeständnis an Arbeitnehmer, ihre Kommunikationsmittel für berufliche Zwecke nach Feierabend auszuschalten, gesetzlich geregelt. Seit 2017 gilt dort das Recht auf Abschalten. Das deutsche Arbeitsrecht hingegen weist angesichts der fortschreitenden Digitalisierung der Arbeitswelt Lücken auf, weshalb es umso wichtiger ist, sich von Unternehmensebene auf Richtlinien zu einigen. Die Technologie kann dabei auch Teil der Lösung sein. "Wir müssen als Gesellschaft lernen, mit Technik umzugehen, um nicht von ihr dominiert zu werden", sagt Albers. Die Digitalisierung sei vergleichbar mit einem Garten. Er macht Freude, jedoch müsse man ihn von Zeit zu Zeit zurechtstutzen. "Sonst wird alles überwuchert."
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Fach- und Führungskräfte verdienen im Schnitt rund 58100 Euro. Große Unterschiede gibt es zwischen Branchen, Berufsgruppen - und Angehörigen von großen und kleinen Betrieben. Detailansicht öffnen Forschung bei Bayer Schering Pharma. Die Pharmaindustrie zahlt nach den Banken die höchsten Gehälter in Deutschland. (Foto: Bayer Healthcare/dpa) Wer mehr Geld haben will, sollte danach fragen. Das zeigt eine Umfrage der Jobplattform Stepstone. Eine Gehaltserhöhung bekommen demnach vor allem diejenigen Arbeitnehmer, die das Thema von sich aus ansprechen. 40 Prozent der Befragten gaben an, ihre Gehaltserhöhung aktiv eingefordert zu haben. Die meisten von ihnen waren der Meinung, sie aufgrund ihrer Leistung verdient zu haben (57 Prozent) oder sie fühlten sich unterbezahlt (17 Prozent). Sechs Prozent der Befragten hatten zudem herausgefunden, dass Kollegen mehr verdienten und begründeten ihre Forderung damit. Jeder Zehnte hat in seiner aktuellen Position bereits innerhalb von sechs Monaten erstmals eine Gehaltserhöhung bekommen. Bei einem weiteren Drittel der Befragten wurde das Gehalt im zweiten Halbjahr aufgestockt. Das entspricht nicht unbedingt den Erwartungen. Danach gefragt, welche Faktoren am ehesten über eine Gehaltserhöhung entscheiden sollten, nannten die meisten Umfrageteilnehmer die Dienstzeit in dem Unternehmen (30 Prozent). Fast genauso viele wählten die Überschreitung der individuellen Ziele (28 Prozent). Wie viel Gehalt die Fach- und Führungskräfte bei Jobwechseln und Verhandlungen für sich aushandeln können, hängt neben den individuellen Qualifikationen und dem Grad der künftigen Verantwortung auch mit dem Standort, der jeweiligen Branche und der Unternehmensgröße zusammen. Das zeigt der Gehaltsreport von Stepstone, für den 85 000 Gehaltsangaben auf der Plattform ausgewertet wurden. In die Daten fließen die Gehälter von Männern und Frauen ein, die auf der Suche nach einem neuen Job dort ihren aktuellen Verdienst angegeben haben. Die Gehälter sind also nicht repräsentativ, eignen sich aber als Orientierung. Die Gehaltsfaktoren im Überblick. Berufserfahrung Berufsanfänger mit Studienabschluss erhalten in den ersten zwei Jahren ein durchschnittliches Jahresbruttogehalt von 47 541 Euro, Nichtakademiker kommen auf ein Durchschnittsgehalt von 35 933 Euro. Die Einkommensdifferenz steigt über die folgenden Jahre noch an. Nach sechs bis zehn Berufsjahren kommen die Akademiker auf ein Durchschnittsgehalt von 66 837 Euro, alle anderen auf 45 578 Euro. Über weite Strecken des Berufslebens macht der Unterschied beim Verdienst aus Sicht der Nichtakademiker ein halbes Jahresgehalt pro Jahr aus. Personalverantwortung Fach- und Führungskräfte ohne Personalverantwortung verdienen durchschnittlich 51 176 Euro im Jahr. Haben sie Verantwortung für ein bis vier Mitarbeiter, zahlt sich das mit einem Plus von mehr als 6000 Euro aus. Bei fünf bis 14 Mitarbeitern gibt es fast 17 000 Euro extra. Menschen mit Personalverantwortung für hundert und mehr Mitarbeiter verdienen sechsstellig, nämlich etwa 102 530 Euro. Davon also nicht ganz unabhängig liegen die Durchschnittsgehälter in Konzernen deutlich über denen von kleineren Betrieben. In Firmen mit bis zu 500 Mitarbeitern werden nach der Stepstone-Auswertung im Durchschnitt Jahresgehälter von 52 220 Euro gezahlt, in Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern betragen sie 66 810 Euro. Standort Die Wirtschaftskraft der Standorte spiegelt sich in den Durchschnittsgehältern der Beschäftigten. Den Städtevergleich gewinnt Frankfurt vor München und Stuttgart. Im Länderranking sind die Unterschiede drastisch: Die südlichen Bundesländer stehen insgesamt am besten da: Hessen kommt mit dem deutschen Finanzzentrum auf ein Durchschnittsgehalt von 65 296 Euro, gefolgt von Baden-Württemberg mit 62 375 Euro und Bayern mit 61 172 Euro. Auf dem letzten Platz landet Mecklenburg-Vorpommern mit 42 063 Euro. Die Einkommensunterschiede sind aber nicht nur mit den vorherrschenden Branchen und Berufsgruppen zu erklären. Für einen neuen Job das Bundesland zu wechseln kann große Gehaltssprünge ermöglichen. So verdienen Angehörige der IT-Branche in Baden-Württemberg 15 000 Euro mehr im Jahr als in Thüringen, bei Beschäftigten im Marketing in diesen beiden Ländern liegt der Unterschied bei 18 000 Euro und bei Ingenieuren beträgt die Differenz sogar 22 000 Euro. Branche Am besten bezahlt werden Beschäftigte im Bankensektor, gefolgt von der Pharmaindustrie, den Fahrzeugbauern und ihren Zulieferern. Das ist vor allem für diejenigen interessant, die mit ihren Qualifikationen in allen Branchen arbeiten können. Sämtliche Mitarbeiter der Personalabteilungen von Pharmakonzernen etwa verdienen im Durchschnitt 79 910 Euro, während Menschen mit den gleichen Aufgaben in der Bauindustrie nur auf 61 126 Euro kommen. Wer sich mit Einkauf und Logistik auskennt, verdient in der Telekommunikationsbranche und bei Fahrzeugbauern 10 000 Euro mehr pro Jahr als in der Metallindustrie oder im Bereich Konsum- und Verbrauchsgüter. Die Studiengänge mit den bestbezahlten Absolventen sind Medizin und Zahnmedizin, Wirtschaftsingenieurwesen, Wirtschaftsinformatik, Ingenieurwissenschaften sowie Mathematik und Informatik. Jobtitel Die am besten bezahlte Berufsgruppen sind die Ärzte mit einem Durchschnittsgehalt von 77 359 Euro, deutlich vor den Gruppen Finanzen, Banken und (Unternehmens-)Berater. Die Auswertung der Jobbörse ermöglicht noch einen viel differenzierteren Vergleich von Menschen, die den gleichen Jobtitel tragen. Spitzengehälter erzielen demnach zum Beispiel Portfoliomanager (94 537 Euro, sie analysieren die Finanzmärkte und legen entsprechend Kapital in unterschiedlichen Formen an), Wirtschaftsprüfer (92 588 Euro), Senior Developer (76 143 Euro, gemeint sind erfahrene IT-Entwickler), Software-Architekten (75 299 Euro, diese planen und koordinieren die Entwicklung von Anwendungen in einem Unternehmen) und Senior Development Manager (75 235 Euro, sie beobachten die Marktentwicklung und leiten daraus Unternehmensstrategien ab).
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Zirka vier Wochen ist es inzwischen her, dass die "Operation Aderlass" das jüngste Doping-Beben in der Sportlandschaft auslöste. Seither läuft der Versuch, die Dimension eines von Erfurt aus operierenden Blutdopingnetzwerkes zu rekonstruieren. 21 Athleten aus acht Nationen und fünf Sportarten haben die Behörden bislang im Visier, auch ein deutscher Eisschnellläufer soll darunter sein. Aber unabhängig von der staatsanwaltschaftlichen Suche nach weiteren Kunden und/oder Komplizen zeigt sich in dieser Affäre noch ein anderer Strang: nämlich der Kontakt der deutschen Sportinstitutionen mit der Praxis des Erfurter Sportmediziners und mutmaßlichen Doping-Drahtziehers Mark Schmidt. Und in diesem Kontext gibt etwa der Thüringer Radsport-Verband ob seines Handelns in den vergangenen Jahren ein seltsames Bild ab. Es geht dabei um den Umgang mit den sogenannten sportmedizinischen Tauglichkeitsprüfungen. Solche Untersuchungen müssen alle jüngeren D-Kader-Athleten, in der Regel zwischen 13 und 15 Jahren alt, durchlaufen. Der jeweilige Landessportbund verteilt dafür Lizenzen an bestimmte Praxen, der jeweilige Fachverband wählt diese konkret aus. So machte es auch der Thüringer Radsport-Verband (TRV), der für das Jahr 2015 einen bemerkenswerten Wechsel beschloss: Bis dahin war eine Praxis im Erfurter Süden für seine jungen Radsportler zuständig gewesen, dann wurde die Arztpraxis Schmidt ausgewählt, die der aktuell beschuldigte Sportmediziner gemeinsam mit seiner Mutter Heidrun betrieb. 55 junge Sportler kamen fortan jedes Jahr zu dieser Praxis. Das war eine seltsam anmutende Entscheidung. Denn erst kurz vor diesem Wechsel waren in einem bundesweit aufsehenerregenden Prozess in Stuttgart von mehreren früheren Radprofis konkrete Dopingvorwürfe gegen Mark Schmidt erhoben worden, die dessen Zeit als Mannschaftsarzt bei Team Gerolsteiner (2006 bis 2008) betrafen. Damit wiederholten sie inhaltlich das, was einige Jahre zuvor schon der österreichische Radprofi Bernhard Kohl mitgeteilt hatte. Der Mediziner selbst wies zwar stets zurück, an Doping beteiligt gewesen zu sein. Aber der Richter in Stuttgart hielt fest, dass das Doping-Klima bei der Gerolsteiner-Mannschaft "doch eher freundlich" gewesen sei. Der TRV begründet den Praxiswechsel auf Anfrage damit, dass sich bei der Auswertung der Untersuchungen im Jahr 2014 "deutlich zu lange Wartezeiten auf die Untersuchungsergebnisse herausgestellt" hätten. Deshalb habe sich der damalige Leistungssport-Koordinator mit der Praxis Heidrun Schmidt in Verbindung gesetzt und ihr die Untersuchungen ab 2015 übertragen. Die konkrete Frage, warum es trotz der gravierenden Vorwürfe gegen Mark Schmidt ausgerechnet diese Praxis wurde, lässt der TRV unbeantwortet. Alle vier Jahre war die Lizenz der Praxis verlängert worden, auch als Mark Schmidt dort einstieg Die Dachorganisationen kommentieren dies verblüffend zurückhaltend. Der Deutsche Olympische Sportbund teilt mit, er könne keine Bewertung vornehmen, "da wir die Hintergründe zur Entscheidungsfindung weder kennen noch für die Landesfachverbände zuständig sind". Er wolle sich aber "zeitnah mit unseren Mitgliedsorganisationen dazu abstimmen, wie Verbesserungen in Form von national einheitlichen Standards zu erreichen sind". Die Praxis Schmidt war dabei nicht nur für junge Radsportler eine Anlaufstelle gewesen. Bereits Ende der Neunzigerjahre hatte der Landessportbund der Praxis die Lizenz für Tauglichkeitsprüfungen erteilt; damals war sie noch alleine von Schmidts Mutter betrieben worden. Alle vier Jahre war diese Lizenz verlängert worden, auch als der Sohn dort einstieg; erst als Ende Februar der Blutdopingring aufflog, entzog der LSB der Praxis diesen Status. In den vergangenen zehn Jahren hatte es insgesamt 403 sportmedizinische Untersuchungen gegeben, und zwar in den Disziplinen Radsport (220), Schwimmen (138), Gewichtheben (42), Badminton (2) und Turnen (1). Offenkundig blieb es nicht bei den Tauglichkeitsprüfungen. Bei einem Treffen zwischen Verbandsvertretern und Eltern, zu denen es nach Ausbruch der aktuellen Affäre kam, sollen Teilnehmer berichtet haben, dass manch junger Sportler auch in normaler ärztlicher Behandlung bei dem Arzt gewesen sei. Bei dem Treffen habe es von den Eltern keinerlei Hinweise auf Merkwürdigkeiten gegeben, sondern eher Lob für die Praxis. Aber das ändert nichts an dem Vorwurf, dass der organisierte Sport einem schwer belasteten Mediziner so einen Zugang zu vielen jungen Sportlern ermöglichte.
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Gerade schien sich die Stadt etwas erholt zu haben von den rechten Ausschreitungen von 2018. Nun huldigen Fußballfans öffentlich einem Neonazi. Es waren verstörende Szenen, die sich am vergangenen Samstag am Rande eines Fußballspiels des Chemnitzer FC abspielten. Im Stadion an der Gellertstraße wurde mit einer Schweigeminute, mit schwarzen Bannern, Pyrotechnik und einem Porträt auf der Anzeigetafel eines verstorbenen Fans gedacht. Nur: Thomas Haller war nicht bloß ein Fußballfan. Er war Gründer der berüchtigten Hooligan-Gruppe "HooNaRa". Der Name ist ein politisches Bekenntnis: Er steht für Hooligans, Nazis, Rassisten. Die Gruppe verbreitete insbesondere in den 90er-Jahren Angst, sie gilt als verantwortlich für diverse Gewaltexzesse. Es gibt Kontakte zum Unterstützer-Umfeld des NSU. Im Verborgenen hat Thomas Haller in Chemnitz trotzdem nicht agieren müssen: Mit der Security-Firma, die seinen Namen trägt, sicherte er in der Vergangenheit Großveranstaltungen ab, unter anderem das Chemnitzer Stadtfest - und Fußballspiele des Chemnitzer FC. Mit der Inszenierung im Stadion demonstriert die örtliche Neonaziszene wieder einmal ihre Macht. Einmal mehr ist es ihr gelungen, den öffentlichen Raum zu besetzen und die Botschaft zu senden: Diese Stadt gehört uns. Eine Woche vor Beginn des Prozesses zum gewaltsamen Tod von Daniel H. hätte Chemnitz kaum etwas Schlimmeres passieren können. Gerade schien die Stadt sich erholt zu haben, von dem Mahlstrom der Ereignisse, in den sie im vergangenen Jahr geraten war. Nach dem Tod des 35-Jährigen versammelten sich Rechtsextreme aus ganz Deutschland in der Stadt. Dazwischen aber auch: Familien mit Kindern, Chemnitzer. Die Bilder von Hitlergrüßen und Böllerwürfen gingen um die Welt. Die Demonstrationen hatten ihren Ursprung in der Chemnitzer Hooliganszene. "Sind wir uns einig, dass der Hitlergruß nicht okay ist?" Seitdem sind viele Bundespolitiker nach Chemnitz gereist, um Unterstützung zu signalisieren. Erst vor einer Woche besuchte die Kanzlerin ohne Ankündigung den Basketball-Zweitligisten Niners Chemnitz. Vielleicht, weil sie weiß, dass Sportler mehr noch als Politiker zu Vorbildern taugen, dass ein erfolgreiches Team einer Region Selbstbewusstsein verleihen kann. Der Besuch war eine gut gemeinte Geste - doch einzelne Gesten alleine reichen nicht. Alle müssen nun aufstehen und klarmachen, dass der öffentliche Raum ein Gemeingut ist und keine Propagandabühne für Rechtsextreme. Fußballstadien sind Gravitationszentren des städtischen Lebens. Dort treffen sich alle Schichten. Unabhängig von politischen Einstellungen haben 90 Minuten lang alle etwas gemeinsam: Sie wünschen sich den Sieg ihrer Mannschaft. Dass ein Fußballverein nun seine gesellschaftliche Verantwortung verrät, es duldet, dass dieses Ritual missbraucht wird, zeigt zweierlei. Von einem Teil der Stadtgesellschaft wird es offenbar nicht als Grenzüberschreitung empfunden, einem Mann zu huldigen, der offen rechtsextrem auftrat. Und es zeigt auch, dass die Stadt in ihrem Bemühen, so etwas wie Normalität wiederherzustellen, noch ganz am Anfang steht. Wenige Tage nach den Ausschreitungen im Sommer wurde Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer im Stadion des Chemnitzer FC beschimpft und ausgebuht. Wie ein Raubtierdompteur stand er da und fragte: "Sind wir uns einig, dass der Hitlergruß nicht okay ist?" Die Stadt darf es sich nicht bieten lassen, dass dieser Minimalkonsens erneut infrage gestellt wird. Sie muss zeigen, dass Demokratieverächter hier nicht das Wort führen. Dass nun Sponsoren ihre Unterstützung aufkündigen, Lokalpolitiker lautstark widersprechen, ist ein Anfang. Noch wirkungsvoller wäre es, wenn künftig die Fans der "Himmelblauen" deutlich machten, dass sich Verein und Vereinnahmung ausschließen. Stadion und die Straßen mit ganz unterschiedlichen, friedlichen Aktivitäten zu füllen, ist die Aufgabe aller Demokraten. In Chemnitz und anderswo.
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Donald Trump hat eine Gabe, die in der Politik zuweilen sehr praktisch ist. Er kann Dinge, die er früher einmal getan oder gesagt hat und die heute peinlich sind, einfach vergessen. Zumindest leugnet er seine Taten dann so vehement, dass man nicht mehr genau weiß, ob er gerade wieder lügt oder ob er tatsächlich glaubt, die Wahrheit zu sagen. Im Zusammenhang mit der Festnahme von Wikileaks-Gründer Julian Assange ließ sich dieses Trump'sche Verhalten exemplarisch beobachten. "Ich weiß nichts über Wikileaks", sagte Trump am Donnerstag. "Das ist nicht mein Ding." Diese Aussage freilich entspricht nachweisbar nicht den Tatsachen. Im Sommer und Herbst 2016, als Trump noch Präsidentschaftskandidat der Republikaner war und Wikileaks schädliche Informationen über seine demokratische Rivalin Hillary Clinton veröffentlichte, konnte er seine Begeisterung für Assange und dessen Arbeit kaum zügeln. "Ich liebe Wikileaks", rief er damals bei Wahlkampfveranstaltungen. "Leute, ihr müsst Wikileaks lesen." Geholfen hat das Assange aber nicht. Ecuador entzog ihm diese Woche die Staatsbürgerschaft und beendete das Asyl in der Londoner Botschaft. Der weißhaarige Wikileaks-Gründer wurde von Beamten aus der Botschaft getragen und verhaftet. Die US-Regierung hat seine Auslieferung beantragt. Die erste Anhörung im Auslieferungsverfahren ist für den 2. Mai angesetzt Schon jetzt deutet sich an, dass es noch eine Weile dauern wird, bis Assange ausgeliefert wird - falls es so weit kommt. Zwar sprach ein britisches Gericht ihn noch am Donnerstag schuldig, gegen Kautionsauflagen verstoßen zu haben. Darauf steht bis zu einem Jahr Haft. Zentral ist aber Assanges Auslieferungsverfahren, in dem sich entscheidet, ob er an die USA übergeben wird. Die erste Anhörung ist für den 2. Mai angesetzt. Assange und seine Anwälte können dann vorbringen, warum eine Auslieferung in ihren Augen nicht gestattet werden sollte. Und das dürfte so einiges sein: "Journalisten auf der ganzen Welt sollten sich über diese beispiellosen Strafanzeigen große Sorgen machen", sagte Assange-Anwalt Barry Pollack. Sollte der Wikileaks-Gründer ausgeliefert werden, könnten demnach schon bald andere unliebsame Journalisten folgen, warnen seine Anhänger. Sollte das britische Gericht einer Auslieferung zustimmen, heißt das aber noch lange nicht, dass er sofort ausreisen muss. Der gebürtige Australier kann die Entscheidung anfechten. Bis der Fall durch alle Instanzen gegangen ist, können Jahre vergehen. Selbst im Falle einer Auslieferung dürfte es dann noch eine Weile dauern, bis der am US-Distriktgericht von Virginia anhängige Fall verhandelt wird. Immerhin ist jetzt bekannt, was Assange überhaupt vorgeworfen wird. Es geht um Wikileaks-Veröffentlichungen aus den Jahren 2010 und 2011 über den Irak- und den Afghanistan-Krieg sowie über das umstrittene US-Gefangenenlager Guantanamo. Außerdem um die sogenannten Botschaftsdepeschen, die peinliche Details darüber enthüllten, was US-Diplomaten über Politiker anderer Länder denken. Mit keinem einzigen Wort ist hingegen die russische Einmischung in den US-Präsidentschaftswahlkampf erwähnt, bei der Wikileaks angeblich behilflich gewesen sein soll. Trump hatte Assange nach seinem Wahlsieg verteidigt, als dieser bestritt, das Material über die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton von Hackern erhalten zu haben, die es mutmaßlich im Auftrag des russischen Geheimdienstes gestohlen hatten. "Julian Assange hat gesagt, dass ein Vierzehnjähriger den Hack gemacht haben könnte", twitterte Trump am 4. Januar 2017. "Er sagt auch, die Russen hätten ihm die Info nicht gegeben." Ob Assange in dieser Sache log oder die Wahrheit sagte - darum soll es vor Gericht aber nun nicht gehen. Es soll, und das macht die Sache besonders pikant, um Enthüllungen gehen, die offenkundig im öffentlichen Interesse waren und an der angesehene Medienhäuser wie der Spiegel, der Guardian und die New York Times mitgearbeitet hatten. Sie enthüllten, wie US-Soldaten im Irak unschuldige Zivilisten getötet hatten; sie zeigten den düsteren Alltag im Afghanistan-Krieg und belegten, wie das US-Militär Häftlinge des Gefangenenlagers Guantanamo bedrohlicher und gefährlicher darstellten, als sie es wohl tatsächlich waren. In einer lediglich sechs Seiten langen Anklage werfen die US-Behörden Assange nun vor, sich mit der damals noch als Bradley Manning bekannten Whistleblowerin Chelsea Manning verbündet zu haben, um an diese geheimem Unterlagen zu gelangen. Die Anklage ist, nicht nur was die Seitenzahl angeht, dünn. Sie enthält auch mehrere Punkte, die aus Sicht von Journalisten und Bürgerrechtlern besorgniserregend sind. Assange wird nämlich vorgeworfen, Manning ermutigt zu haben, "Informationen und Dokumente von US-Regierungsstellen zu übergeben". Außerdem habe Wikileaks Vorkehrungen getroffen, um die Identität von Manning - also der Quelle - zu schützen. Beides gehört für Journalisten zum Alltag. Mit Informanten sprechen und sie ermutigen, Informationen von öffentlichem Interesse zu übergeben. Genauso gehört der Quellenschutz zum Einmaleins des journalistischen Arbeitens, ebenso verschlüsselte Kommunikation oder die Nutzung von digitalen Briefkästen, zwei weitere Vorwürfe aus der Anklage. Härter wiegt hingegen der Vorwurf, Assange habe Manning geholfen, ein Passwort zu knacken. Damit hätte Assange, sollte es stimmen und bewiesen werden, in der Tat eine rote Linie überschritten. Hacken und Passwörter knacken, das ist für Journalisten ein Tabu.
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Was sind die Menschen glücklich im Werbevideo zum neuen Thermomix: Ein Mann serviert seiner Herzdame sous-vide-gegarten Lachs, dazu gibt's Weißwein. Zwei Kinder mit verschmierten Mündern naschen vom selbst gemachten Karamell. Und mittendrin: der Thermomix. Die Edelküchenmaschine von Vorwerk steht wie kein zweites Produkt für den Spagat zwischen Vollzeitjob und Heimeligkeit. Wer mehr als 1000 Euro für ein Küchengerät ausgeben kann und will, dem bereitet die Maschine gekochtes und künftig auch gebratenes, karamellisiertes oder vakuumgegartes Essen zu. Das alles kann der neue TM6, den Vorwerk seit Freitag über seine selbständigen Verkäufer vertreibt. Doch viele Kunden sind in diesen Tagen ganz und gar nicht erfreut. Auf der Facebookseite von Vorwerk sprechen sie von "Betrug", "Kundenfeindlichkeit" und drohen mit Boykott. Die Nutzer fühlen sich getäuscht, weil sie in den vergangenen Wochen und Monaten nicht darüber informiert worden waren, dass bald ein neues Modell auf den Markt kommt - und weil sie, wie sie sagen, sogar auf Nachfrage eine falsche Antwort bekamen. Auch Sven Müller, der eigentlich anders heißt, ist sauer. Der Vater von zwei Kindern kocht gerne, aber hat wie viele andere Berufstätige nach Feierabend nicht viel Zeit. Darum habe er schon länger darüber nachgedacht, sich eine Küchenmaschine zu kaufen, die nicht nur zerkleinern und mixen, sondern auch kochen kann. "Eilig hatte ich es nicht", sagt Müller, "deshalb habe ich die Verkäuferin extra gefragt, wann ein Update geplant ist." Bei einem Auto erfahre man ja auch, wann die nächste Generation auf den Markt komme. In den nächsten zwei Jahren sei nichts zu erwarten, habe die Verkäuferin geantwortet. Daraufhin kaufte Müller Ende Oktober das Modell TM5, 1350 Euro zahlte er dafür inklusive Back-Zubehör. Jetzt vertreibt Vorwerk den Nachfolger TM6 - nicht zwei Jahre später, sondern nur wenige Monate, nachdem Müller viel Geld ausgegeben hat. "Ich ärgere mich, weil ich falsch informiert wurde und weil einige der neuen Funktionen für mich interessant gewesen wären", sagt er. Doch so rapide wie der TM5 jetzt im Wert sinke, brauche er gar nicht darüber nachdenken, sein Gerät zu verkaufen und sich ein neues zuzulegen. Tatsächlich wird das alte Modell auf Plattformen wie Ebay teils für 650 Euro angeboten, nicht viel mehr als die Hälfte des Originalpreises. Den Kunden, die zwischen dem 20. Februar und dem 8. März ein altes Modell bestellt haben, mache Vorwerk "ein individuelles Wechselangebot", teilt das Unternehmen mit. Für einen Aufpreis bekommen die Kunden dann statt des TM5 den TM6 geliefert, der in der Basisversion gut 150 Euro mehr kostet. Wer das Gerät zuvor gekauft habe, nenne zwar eine "langlebige und innovative Küchenmaschine" sein Eigen, wie Vorwerk betont. Doch neuerdings ist sie eben nicht mehr ganz so innovativ wie von den Kunden erhofft. In den sozialen Netzwerken berichten auch andere Kunden davon, dass ihre Verkäufer sie falsch informiert hätten. Ein Verbraucher schreibt, die Beraterin hätte ihm versichert, dass zwischen zwei Modellen zehn Jahre liegen - so war es beim letzten Mal. Da der TM5 im Jahr 2014 präsentiert wurde, wäre das nächste Modell dann erst 2024 lanciert worden. Vorwerk erklärt, dass die selbständigen Vertriebler genau wie die Öffentlichkeit erst am 8. März von dem neuen Modell erfahren hätten. Es spricht also einiges dafür, dass manche Verkäufer eine persönliche Einschätzung abgaben, ohne Genaueres zu wissen. Da sie auf Provisionsbasis arbeiten, haben sie ein Interesse daran, möglichst viele Geräte zu verkaufen. Auf die Nachfrage, ob es eine konkrete Vereinbarung bei Vorwerk gab, was die Verkäufer auf Fragen nach einem neuen Modell antworten sollen, geht das Unternehmen nicht ein. Wütende Kunden erwägen sogar, gegen Vorwerk vor Gericht zu ziehen Die meisten Kunden, auch Sven Müller, ärgern sich allerdings weniger über die Verkäufer als über Vorwerk. Auf Facebook haben sich bereits rund 2000 Kunden zusammengeschlossen, die erwägen, gegen das Unternehmen zu klagen. Zunächst dachten sie über eine Musterfeststellungsklage nach: Dabei können viele Verbraucher seit Kurzem mit nur einer Klage Ansprüche gegenüber Unternehmen geltend machen. Nachdem Verbraucherschützer darauf hingewiesen haben, dass dies wegen der unterschiedlichen Aussagen verschiedener Verkäufer nicht funktionieren würde, möchten einige Kunden jetzt einzeln klagen und den Kauf wegen arglistiger Täuschung anfechten. Dafür müssen sie allerdings beweisen, bewusst falsch informiert worden zu sein. Kein Unternehmen muss seinen Kunden mitteilen, wann es ein neues Produkt auf den Markt bringen will. Doch der Thermomix sei keine Küchenmaschine wie jede andere, sagt Klaus-Dieter Koch, Gründer der Managementberatung Brandtrust: Vorwerk habe es geschafft, aus dem Gerät eine Marke mit Fangemeinde und euphorischen Hashtags in sozialen Medien zu machen. "Mit dieser emotionalen Bindung geht für die Unternehmen eine große Verantwortung einher", sagt Koch. Der Experte sagt, Vorwerk hätte zum Beispiel eine letzte Edition des alten Modells in einer Sonderfarbe herausgeben und damit den Wechsel einläuten können. Diese Chance habe das Unternehmen verpasst. Auch vor viereinhalb Jahren, als Vorwerk den TM5 herausbrachte, kam das für Vertriebler und Kunden überraschend. Schon damals ärgerten sich viele. "Eine flache Lernkurve", urteilt Koch. Kunde Sven Müller hätte sich gewünscht, dass Vorwerk den Termin ein Jahr im Voraus bekannt gibt. "Dann hätte ich das neue Modell abgewartet", sagt er. Jetzt kocht er mit dem TM5 - seinem ersten und letzten Thermomix, wie er sagt. "Die Konkurrenz verkauft ja inzwischen ähnliche Geräte."
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Das Biathlon-Heimspiel in Oberhof hätte so harmonisch sein können. Die deutschen Frauen zeigten sich formverbessert und stellten am Samstag drei der besten Athletinnen. Und bei den Männern belegte Arnd Peiffer sogar Platz zwei. (Siehe eingeblockte Meldung.) Aber im Zentrum stand ein Ausländer: der Russe Alexander Loginow. Den Makel des Dopingsünders wird er nicht mehr los. Er selbst weiß das am besten, auch wenn er seine unrühmliche Vergangenheit mit der zweijährigen Sperre wegen EPO-Missbrauchs gerne hinter sich lassen würde. "Ich denke nicht mehr daran, ich will nur laufen", sagte der russische Biathlet in Oberhof. Dort feierte der 26-Jährige im Sprint seinen ersten Weltcup-Sieg - und erhitzte wieder die Gemüter. Denn anders als Loginow wollen und können seine Konkurrenten nicht vergessen. Allen voran Martin Fourcade. Angesprochen auf Loginows Sieg verfinsterte sich die Miene des Dominators der vergangenen Jahre schlagartig. "Für mich ist es eine Schande", klagte der fünfmalige Olympiasieger: "Er hat gewonnen, aber meinen Respekt bekommt er nicht." Dass er mit seinem vierten Rang in der Verfolgung am Samstag direkt vor dem fünftplatzierten Loginow landete, dürfte dem Franzosen nicht einmal mehr besondere Genugtuung verschafft haben. Fourcade gilt als lautester und entschiedenster Kämpfer gegen Doping in der Biathlon-Szene. Und vor allem Loginow ist dem 30-Jährigen seit dessen Dopingsperre ein Dorn im Auge. Detailansicht öffnen Begleitet vom misstrauischen Blick seiner Konkurrenten: Alexander Loginow weicht dem leidigen Doping-Thema lieber aus. (Foto: Petr David Josek/AP) Als dieser nur rund zwei Monate nach der abgesessenen Strafe für die WM 2017 in Hochfilzen nominiert wurde, twitterte Fourcade: "Wir dachten nicht, dass es möglich ist. Aber sie haben es getan." Nach dem zweiten Rang mit der französischen Mixed-Staffel verließ Fourcade die Siegerehrung aus Protest vorzeitig. Auf dem Podium standen auch die drittplatzierten Russen - mit Loginow. Auf eine Öffnung der B-Probe verzichtete der Russe "Er hat sich nie entschuldigt oder später darüber gesprochen", sagte Fourcade in Oberhof und erneuerte seine Kritik. Loginow schweigt sich über seine Vergangenheit lieber aus. Anfang 2013 dominierte er neben einer gewissen Laura Dahlmeier die Junioren-WM in Obertilliach, holte zweimal Gold und zweimal Bronze. Doch während Dahlmeier zur Königin ihres Sports aufstieg, folgte bei Loginow der tiefe Fall. In einer nur zehn Monate nach den Triumphen in Tirol entnommenen Probe war dem Russen Epo nachgewiesen geworden. Durch neue Testmethoden wurde die verbotene Substanz ein Jahr später entdeckt. Loginow verzichtete auf die Öffnung der B-Probe und wurde vom Weltverband IBU für zwei Jahre bis November 2016 gesperrt. Seither begleiten ihn die misstrauischen Blicke seiner Konkurrenten. "Auch wenn es schwerfällt, wir müssen damit leben. Ich finde es auch nicht schön", sagte der ehemalige Weltmeister Erik Lesser, einer von vier Athletensprechern, stellte aber auch klar: "Es ist die Maximalstrafe von zwei Jahren ausgesprochen worden. Die hat er abgesessen, jetzt ist er wieder dabei. Wenn keine positive Doping-Probe in der nächsten Zeit kommt, dann müssen wir das einfach so hinnehmen." ‹ › Biathlon-Olympiasieger Arnd Peiffer hat beim Heim-Weltcup in Ruhpolding den Sieg um 15,1 Sekunden verpasst. Der 31-Jährige beendete das 12,5-Kilometerrennen nach einer Strafrunde hinter dem Norweger Johannes Thingnes Bö als Zweiter und sicherte sich den zweiten Podestplatz der Saison. Dritter wurde der am Schießstand fehlerfrei gebliebene Italiener Lukas Hofer. Johannes Thingnes Bö holte sich trotz dreier Strafrunden seinen siebten Saison-Sieg vor 22 500 Zuschauern. Sprint-Weltmeister Benedikt Doll vervollständigte als Siebter das starke deutsche Ergebnis. Ebenfalls viermal in die Strafrunde musste Johannes Kühn und beendete das Rennen auf Rang 31. Massenstart-Weltmeister Simon Schempp hatte die Qualifikation für das Jagdrennen nach einem schwachen Sprint nicht geschafft, Ex-Weltmeister Erik Lesser verzichtete kurz vor dem Start aus "privaten Gründen" auf einen Einsatz. In der Frauen-Verfolgung rehabilitierten sich die deutschen Starterinnen für den miserablen Freitag, als erstmals keine Athletin unter die Top 30 kam. Am Samstag kamen drei deutsche Frauen unter die ersten Elf. Beste beim erneuten Erfolg von Sprintsiegerin Lisa Vittozzi aus Italien war Franziska Preuß als Sechste. Die 24-Jährige verbesserte sich um 39 Plätze. dpa Bild: Martin Schutt/dpa Wird geladen ... Doch genau dies könnte sich noch ändern. Erst Mitte Dezember war Loginow mit vier Teamkollegen und fünf Betreuern ins Visier österreichischer Ermittler geraten. Der Grund: mögliche Dopingverstöße während der WM 2017 - dort, wo Loginow kurz nach seiner abgesessenen Sperre Bronze mit der Mixed-Staffel holte. Der Geschmähte selbst weicht dem leidigen Doping-Thema lieber aus. Auf die Frage, ob er denn um den Respekt seiner Kontrahenten kämpfen müsse, entgegnete Loginow: "Ich beantworte gerne alle Fragen anderer Biathleten von Angesicht zu Angesicht." Ob Fourcade, Lesser und Co. dieser Einladung nachkommen, darf bezweifelt werden.
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So viel Geld für einen Abwehrspieler? Sind die Bayern übergeschnappt? Als Uli Hoeneß 1991 fünf Millionen Mark vom Festgeldkonto nahm, um dem Karlsruher SC den Vorstopper Oliver Kreuzer abzukaufen, da postierte die Sportbild Kreuzer zum Fotoshooting vor ein Gebäude, das offenbar genau so viel gekostet hatte wie er. Legendäre Schlagzeile: "Ich bin so teuer wie eine Tennishalle!" Heute, da Hoeneß' FC Bayern 80 Millionen Euro für den Abwehrspieler Lucas Hernandez ausgibt, muss man andere Vergleiche ziehen. Die Preisentwicklung von Tennishallen hat nicht Schritt halten können mit jener des kickenden Spitzenpersonals, was aber mindestens so viel über die darbende Freizeittennisbranche aussagt wie über das globale Fußballgeschäft. In München jedenfalls fänden sich inzwischen jede Menge Miets- und Geschäftsgebäude, die für deutlich mehr Millionen den Besitzer wechseln, als Hernandez jetzt dem FC Bayern wert ist. "Ich bin noch nicht mal ein Viertel so teuer wie dieses Wohnhaus - und deshalb werden den Familien, die dort leben, jetzt die Mieten verdoppelt!" Das wäre doch mal eine innovative Schlagzeile, um auf die wahren Probleme hinzuweisen! Die stets mit einem Seufzer auszusprechende Frage, wohin das alles noch führen wird, stellt sich gerade in vielen Bereichen, und wer zum Beispiel in München die Rekordtransfers im Immobiliensektor verfolgt, der ahnt: Es gibt bedrohlichere Investments als 80 Millionen Euro für einen Fußballer. Die angekündigte Transferoffensive ist auch eine Selbstvergewisserung Exemplarisch für einen Transfermarkt außer Rand und Band ist es natürlich trotzdem, wenn die neue Transfer-Bestmarke des FC Bayern auf einen Schlag fast doppelt so hoch liegt wie die bisherigen Spitzenwerte: Corentin Tolisso 2017, 41,5 Millionen, und Javi Martínez 2012, 40 Millionen. Und selbst Hernandez soll ja erst der Anfang sein: Hoeneß, als Präsident und Aufsichtsratschef weiter eine Art Supermanager hinter den Plänen, hat vorsorglich schon das "größte Investitionsprogramm, das der FC Bayern je hatte", angekündigt (passenderweise auf einer Finanzmaklermesse). So eine Ansage mag zwar nicht dazu geeignet sein, gute Preise rauszuhandeln, weil ja jetzt die ganze Welt weiß, dass die Bayern die Schatulle weit offen haben; Leverkusen hat vorsorglich schon mal mitgeteilt, dass der Jung-Nationalspieler Kai Havertz nicht unter 100 Millionen zu haben wäre. Aber zur Selbstvergewisserung, weiter zu den europäischen Großkalibern zu gehören, taugt so eine Ankündigung in jedem Fall. Auch wenn etwa bei Real Madrid - vorerst gerüchteweise - schon wieder ganz andere Summen im Raum stehen: Bezahlen die selbsternannten "Galaktischen" demnächst 280 Millionen für Frankreichs Tempodribbler Kylian Mbappé? Als der Brasilianer Neymar vor zwei Jahren im Auftrag von Paris Saint-Germain für 222 Millionen Euro aus seinem Vertrag beim FC Barcelona herausgekauft und kurz darauf Mbappé für 108 Millionen (plus Boni) beim AS Monaco abgelöst wurde, da war viel vom "freien Markt" und seiner nun mal "rotierenden Preisspirale" die Rede. Dabei folgten diese beiden Transfers eben nicht in erster Linie wirtschaftlichen Überlegungen wie jener, ob sich so ein Kaufpreis durch den Erlös aus Trikotverkäufen plus dem Werbewert möglicher Titelgewinne rekapitalisieren lässt. Neymar und Mbappé zu PSG, das war auch ein geostrategisch begründeter Coup des Emirats Katar, dem der Pariser Klub gehört. Die Strategie: Maue Imagewerte durch die globale Strahlkraft von Zauberkickern und Pokalen aufzupolieren. Neymar und Mbappé, das waren quasi die neuesten Waffengattungen in einem Handelskrieg mit Ball. Doch zwei Jahre später lässt sich festhalten, dass die Branche die Summen, die noch kürzlich als Fantasiewerte galten, akzeptiert hat. Vor allem in Madrid, wo der Patriarch Florentino Perez nicht abtreten will, ohne das derzeit kriselnde Team wieder zum Champions-League-Aspiranten zu formen. Wohl um fast jeden Preis. Das Domino, das von Reals Ambitionen ausgeht, dürfte der Branche bald ihren bislang wildesten Sommer bescheren. Und wer zahlt's am Ende? Ein Teil der Summen wird bereits ans Publikum weitergereicht. Englands Premier League können sich jene Fans, die dort einst für die Stimmung sorgten, oft schon nicht mehr leisten. Und wer alle Spiele seines Teams im Fernsehen verfolgen will, braucht inzwischen diverse TV- und Streaming-Abos. Aber dass es vielen, die ihr Geld derzeit in den Fußball pumpen, gar nicht um Fußball geht, sondern um geostrategische Machtspiele, das hat man erst kürzlich wieder an dem Konsortium gesehen, mit dem der Fifa-Präsident Gianni Infantino einen geheimen Milliardendeal aushandeln wollte. Die potenziellen Investoren kamen vor allem aus Saudi-Arabien, dem größten Rivalen des WM-Ausrichters Katar in der Region. Hat irgendwer Tennishalle gesagt?
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Detailansicht öffnen Milliardär und Medienzar, viermaliger Ministerpräsident, Politiker mit Interessenkonflikten und Party-Impresario: Silvio Berlusconi gründete 1978 sein TV-Imperium Mediaset. Jetzt greift er in Richtung München. (Foto: Fabio Cimaglia/ddp images/LaPresse) Die Attacke aus Mailand kam für alle in Unterföhring überraschend. Der italienische Fernsehkonzern Mediaset, der vom höchst umstrittenen ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi und seiner Familie kontrolliert wird, greift nach Pro Sieben Sat 1. Die Italiener teilten am Mittwoch mit, dass sie ein Aktienpaket von 9,6 Prozent an dem kriselnden deutschen Fernsehunternehmen gekauft haben. Das Aktienpaket, mit dem Mediaset zum größten strategischen Anteilseigner der deutschen Senderkette aufsteigt, war zum Schlusskurs vom Dienstag rund 330 Millionen Euro wert. In Branchen- und Finanzkreisen hieß es, der Einstieg sei noch nicht der letzte Schritt, auch wenn die Italiener nicht kurzfristig weiter aufstocken würden. Die Italiener sind alles andere als willkommen. "Ich sehe keine industrielle Logik in einer industriellen Kombination von Mediaset und Pro Sieben Sat 1", sagte Max Conze, der Vorstandsvorsitzende des deutschen Fernsehunternehmens, noch vor drei Wochen bei der Präsentation der Quartalszahlen. Das Management von Pro Sieben Sat 1 will unabhängig bleiben, eine Übernahme lehnt man ab. Nun ist die Beteiligung von Mediaset möglicherweise aber der erste Schritt. Mitte Juni treffen sich die Aktionäre zur Hauptversammlung von Pro Sieben Sat 1. Konkrete Kontakte zu Mediaset soll es bisher nicht gegeben haben. Die Reaktion der Deutschen auf den Anteilskauf von Mediaset fiel denn auch kühl aus. "Wir begrüßen das Investment von Mediaset und werten es als Vertrauensbeweis für unsere Strategie und das Team", ließ Conze mitteilen. Berlusconis Sohn Pier Silvio, der Mediaset seit 18 Jahren führt, betonte zugleich die freundlichen Absichten und seine Wertschätzung für die Pro Sieben Sat 1-Führung. Der Mediaset-Chef erklärte, der Einstieg sei "eine langfristige Entscheidung, die darauf abzielt, mit einer zunehmend internationalen Ausrichtung Werte zu schaffen". Erst im April hatte er bereits von einer "europäischen Fernseh-Allianz" gesprochen, für die Mediaset der "Motor" sein wolle. Das klingt nach einem Plan. Nach einem, der allerdings auch die deutsche Politik beunruhigt. Berlusconi habe bereits mehrfach bewiesen, dass er medienpolitische Macht instrumentalisiere, warnt Martin Rabanus, medienpolitischer Sprecher der SPD im Bundestag. "Wir müssen uns sehr genau ansehen, was da passiert", sagt Rabanus der Süddeutschen Zeitung. Zwar könne Berlusconis Firma mit knapp zehn Prozent der Anteile keine Kontrolle ausüben. Offen aber sei, welche weiteren Pläne sie verfolge. Auch die Opposition ist alarmiert. "Pressefreiheit und Meinungspluralität dürfen bei der jetzigen Beteiligung nicht auf der Strecke bleiben", fordert Thomas Hacker, medienpolitischer Sprecher der FDP. Die Grünen sprachen sich auch für Reformen der Medienkontrolle aus. "Wir müssen darüber nachdenken, ob europäische und weltweite Konzentrationsprozesse mit Regularien auf Länderebene beherrscht werden können", sagt die Abgeordnete Margit Stumpp. "Es geht um ein wesentliches Element einer funktionierenden Demokratie". Berlusconi und seine Mediaset sind sehr umstritten. Um den ehemaligen Ministerpräsidenten, inzwischen 82 Jahre alt, gab es immer wieder eine Reihe von Skandalen. Mediaset ist der größte private Fernsehanbieter Italiens, Konkurrent des öffentlichen Senders RAI, und wurde immer wieder von Berlusconi für seine politischen Zwecke eingesetzt. Die Familienholding Fininvest, die von Berlusconis Tochter Marina geführt wird, hält knapp die Hälfte der Anteile. Mediaset liegt seit Jahren im Streit mit dem zweiten Großaktionär, dem französischen Medienkonzern Vivendi, der seit einer gescheiterten Allianz mit den Italienern 29,9 Prozent der Anteile hält. Die Frage lautet nun: Kommt es zwischen München und Mailand zu einem Übernahmekampf? Mediaset macht weniger Umsatz als Pro Sieben Sat 1 und ist zudem ertragsschwächer. Zuletzt gab es immer wieder Spekulationen über ein mögliches Interesse von Mediaset, was bei Pro Sieben Sat 1 stets deutlich zurückgewiesen wurde. Auch der amerikanische Konzern Discovery wurde wiederholt als möglicher Partner gehandelt. In der New Yorker Zentrale ist der ehemalige Finanzvorstand von Pro Sieben Sat 1, Gunnar Wiedenfels, inzwischen in gleicher Funktion tätig. Die Aktie von Pro Sieben Sat 1 hatte zuletzt deutlich an Wert verloren, das Unternehmen musste auch den Dax-30 verlassen. Zu schaffen machen den Fernsehsendern, ob Pro Sieben Sat 1 oder Mediaset, die unsichere Werbekonjunktur und die starke Konkurrenz durch Streamingdienste wie Netflix, Amazon Prime oder demnächst auch Disney. Gerade jüngere Zuschauer, eine wichtige Zielgruppe für Pro Sieben Sat 1, wenden sich vom sogenannten linearen Fernsehen ab und schauen lieber, was, wie und wo sie es wollen. Ausnahmen sind derzeit noch Shows wie "Germanys Next Topmodel". Konzernchef Conze arbeitet zusammen mit Discovery an einer eigenen Onlineplattform, die mittelfristig auf rund zehn Millionen Kunden kommen soll. Zudem hat Pro Sieben Sat 1 unter Conzes Vorgänger Thomas Ebeling die Aktivitäten im Internetgeschäft ausgebaut und etwa die Vergleichsplattform Verivox oder die Partnerbörse Parship-Elite erworben. Gleichzeitig geht die Attraktivität der Sender zurück, dazu gehören unter anderem Pro Sieben, Sat 1, Kabel 1 oder Sixx. Nach der Meldung über den Einstieg von Mediaset legte die Pro-Sieben-Sat-1-Aktie zu. Pro Sieben Sat 1 ist neben der RTL-Gruppe, die mehrheitlich zum Bertelsmann-Konzern gehört, die größte deutsche Privatsender-Gruppe. Es ist nicht das erste Mal, dass Berlusconi und Mediaset - nicht nur die größte TV-Kette in Italien, sondern auch in Spanien - Interesse am Einstieg in Deutschland haben. Schon zu Zeiten des Medienunternehmers Leo Kirch vor 20 Jahren gab es Kontakte. So hatte Mediaset den spanischen Sender Telecinco gekauft und Kirch damit Kapital verschafft. Derzeit arbeiten Mediaset, Pro Sieben Sat 1 und der britische Privatsender Channel Four operativ zusammen. Willkommen waren Berlusconi und seine Leute in München aber noch nie.
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Auf das Signal hin setzte sich der Treck auf dem Weg in die Tennisarena in Bewegung: ganz hinten der Mann, der ihr ein paar Minuten zuvor noch den Gymnastikball zugeworfen hatte. Dann der Mann, der für das Stretchband verantwortlich war. Dann der Mann, dem sie ihre Wasserflasche reichte. Dann der Mann, der ihre Tennistaschen trug. Vorneweg in einem weiten schwarzen Mantel schritt Serena Williams aus den USA, die 23-malige Grand-Slam-Siegerin, wie Königin Kleopatra mit ihrem Tross. Kurz darauf fingen die Hallenkameras ein, wie sich auf demselben Flur eine Tür öffnete und eine schmale Person zögerlich hinaustrat: Tatjana Maria, 31 Jahre alt, die Gegnerin von Williams, die noch niemals in diesem riesigen Stadion in Melbourne gespielt und ihre beiden Taschen selbst geschultert hatte. Unverkennbar gibt es ein hierarchisches Gefälle im Tennis, es wird Woche für Woche durch die Weltrangliste dokumentiert. An manchen Tagen egalisieren sich die Abstufungen, wenn sich zwei Spielerinnen am Netz begegnen und ein ebenbürtiger Schlagabtausch zwischen einer der Königinnen und jemandem aus dem Fußvolk beginnt. In dieser Erstrundenpartie der Australian Open indes hob sich der schon beim Einmarsch so deutliche Klassenunterschied bis zum letzten Ballwechsel nicht auf. Maria verließ die Halle mit Tränen in den Augen Es dauerte 30 Minuten, ehe die Zuschauer erstmals laut und anerkennend applaudierten, weil Maria plötzlich härter aufschlug, ein Ass servierte und Williams, die den schwarzen Mantel über ihrem neuen, jadegrünen Einteiler zu Beginn abgelegt hatte, mit wuchtigen Vorhandschlägen zu Fehlern zwang. Da stand es allerdings schon 0:6 und 0:3 aus Sicht der deutschen Kontrahentin. 19 Minuten später war auch der zweite Satz verloren (2:6) und das Match vorbei. Maria verließ die Halle mit Tränen in den Augen. Sie hat beim Abschied nicht einmal aufgeschaut. "Ich könnte immer noch heulen", sagte sie später, als sie vor den Journalisten saß. Denn natürlich kann sie besser spielen. Sie hat 2018 ihren ersten Titel auf der WTA-Tour gewonnen, ist die Nummer 78 der Welt und verfügt über ein Arsenal von variantenreichen Schlägen, das am zweiten Tag der Australian Open aus diversen Gründen nicht zur Anwendung kam. Zunächst wegen der Halle: Die Rod-Laver-Arena ist eine Burg mit fast 15 000 Plätzen, die den Tennisplatz umstellen. Williams hatte hier bei den Australian Open siebenmal zwischen 2003 und 2017 triumphiert, ihre Gegnerin dagegen immer nur auf Nebenplätzen gespielt. "Das ist ihr Zuhause", sagte Maria, die in der Festung fremdelte. Sie kannte die Gegebenheiten, die Atmosphäre nicht, sie kannte kaum die Abmessungen des Platzes, der sich von anderen auf der Anlage auch in der Bodenhärte unterscheidet. Und sie verfügt nicht über das Privileg, sich dort mit dem Schläger in der Hand nach Belieben einspielen zu können, wie sie erläuterte: "Schon das Training zu organisieren, war ein Kampf." 30 Minuten wurden ihr schließlich vom Veranstalter am vergangenen Freitag, vier Tage vor dem Match, gestattet. Sie brauchte dann am Montag eine halbe Stunde, bis sie das Unbehagen bezwang und sich sicherer fühlte - da war die Partie fast vorbei.
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Der Schlaf ist das letzte Refugium vor den Ansprüchen der Leistungsgesellschaft. Ihn gilt es zu verteidigen. Was erhoffen sich die Leute bloß von der Abschaffung der Zeitumstellung? Dass mit der ewigen Sommerzeit auch der ewige Sommer kommt? Dass man ohne den Schlafklau im Frühjahr besser und länger schläft? Ob der ewige Sommer schneller kommt als gewünscht, weiß kein Mensch. Gegen den allgemeinen Schlafmangel aber kann man zur Sommer- wie zur Winterzeit etwas tun, gegen die echten wie eingebildeten Schlafstörungen, von denen Matratzen-, Tee- und Pillenproduzenten leben. Man könnte zum Beispiel über das falsche Heldentum lachen lernen, das der Schlaflosigkeit anhaftet. Napoleons Satz: "Vier Stunden schläft ein Mann, fünf Stunden eine Frau, sechs ein Idiot", sagt keiner mehr laut, eine durchgearbeitete Nacht gilt trotzdem als Beweis höchster Leistung. Schlafarmut ist aber eine Form der Verelendung, und sie wächst: Vor hundert Jahren schliefen die Menschen im Schnitt fast zwei Stunden länger als heute. Eine Minderheit braucht tatsächlich keine fünf Stunden Schlaf. Die andern aber tapern schlafberaubt durch den Tag, im Namen des 24/7-Taktes, dessen Gebot lautet: Du sollst nichts verpassen. Der Schlaf bleibt die letzte Grenze für den pausenlosen Reizstrom, die Maximalschranke aller Ansprüche der Welt ans Individuum. Wer diesen Sonntagmorgen keine quengelnden Kinder zu betreuen oder große Pläne zu verwirklichen hat, sollte helfen, dass die Grenze bleibt. Und ausschlafen, trotz Sommerzeit.
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Wenn dies das letzte Match war, das er je bestritt, dann hat er noch einmal alles gegeben: Entschlossenheit. Mut. Kampf um den Ball bis zur Selbstaufgabe. Schonungslosigkeit gegen den eigenen Körper. Die Faust, das Gebrüll und schließlich die aufrichtigen, leisen Dankesworte. Andy Murray, 31, hat dem Spanier Roberto Bautista Agut einen Fight geliefert, wie er einem Grand-Slam-Turnier im Tennis gebührt, und sich erst nach fünf Sätzen 4:6, 4:6, 7:6 (5), 7:6 (4), 2:6 geschlagen gegeben. Wie viel Schmerzen ihn das kostete, wusste er allein. Immerhin gab er zu, dass er zwei Paracetamol geschluckt hatte, bevor er am Montag die Melbourne Arena betrat. Murray, der zweimalige Wimbledonsieger aus Dunblane in Schottland, ist in der ersten Runde der Australian Open gescheitert, wie es abzusehen war nach seiner Pressekonferenz am Freitag, in der er über seine chronische Hüftverletzung und den baldigen Rücktritt gesprochen hatte. Er muss nun eine Entscheidung treffen, von der womöglich dauerhaft seine Gesundheit abhängt. Entweder befolgt er in den folgenden vier Monaten ein striktes Sportverbot, um sich eine letzte, vage Chance auf eine letzte Teilnahme am Wimbledonturnier zu erhalten, wo er sich in Würde von seinen Landsleuten und seinem Leben zwischen den Linien verabschieden könnte. "Ich kann wohl noch ein Spiel spielen", sagte er, "aber ich könnte trotzdem nicht ordentlich gehen." Oder er lässt sich noch einmal operieren. Es gibt keine Garantie, dass er danach je wieder zum Schläger greifen könnte, aber es würde seine Lebensqualität erhöhen, er könnte sich wieder Socken anziehen, die Hunde ausführen, vielleicht ein bisschen Fußball spielen im Park. Nur das Leben als Spitzenathlet wäre vorüber. Es sind noch einmal Tränen geflossen am Montag bei seiner Mutter Judy, die seine erste Trainerin war, bei seinem Bruder Jamie, einem Weltklasse-Doppelspieler, bei den Zuschauern und einigen der Kollegen, die ihn mit einer Videobotschaft verabschiedeten. "Du hast immer dein Herz auf dem Platz gelassen", sagte sein langjähriger Rivale Novak Djokovic. Wimbledon will ihm nun ein Denkmal setzen, wie am Montag bekannt wurde. Der All England Club hat bisher nur Fred Perry mit einer Statue gewürdigt, der das Turnier 1934 bis 1936 gewann; es dauerte 77 Jahre, bis dort in Murray wieder ein Brite gesiegt hatte. Wenn er die Wahl hätte, würde er wohl der Bronzeplastik eine heile Hüfte vorziehen. Er humpelte stark, als er die Anlage nach Mitternacht verließ.
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Die Konzernführung sollte der Bundesregierung zeigen, wie sich aus der Krise kommt. Nun muss sie nacharbeiten - ein Armutszeugnis für beide Seiten. Für die Bahn war der Fahrplan eigentlich klar. Der Konzernvorstand sollte an diesem Dienstag der Politik zeigen, wie der größte Staatskonzern aus der Misere um unpünktliche Züge und schlechten Service kommen will. Doch trotz langer Vorbereitung hat der Vorstand sein Ziel verfehlt. Er blieb zu vage, war zu wenig ambitioniert für die Kunden: Die Vertreter der großen Koalition schickten die Bahnspitze zurück ins Büro. Selten wurde eine Konzernführung derart vorgeführt. Zwei Tage bleiben dem Vorstand um Richard Lutz nun Zeit, einen neuen Plan vorzulegen - diesmal mit konkreten Maßnahmen, um die Bahn bald pünktlicher und zuverlässiger zu machen. So fordern es Vertreter des Bundes. Für Donnerstag wurde der Vorstand erneut zum Gespräch gebeten. Es ist ein Armutszeugnis für beide Seiten. Bahn und Bund wollten gemeinsam dem Eindruck entgegentreten, dass im Konzern wenig zusammenläuft. Nun ist neues Krisenmanagement gefragt. Und die große Koalition muss sich fragen lassen, ob sie denn selbst einen Plan für die Zukunft der Bahn hat. Denn als Nächstes steht die Frage an, wie Milliardenlöcher in der Bilanz gestopft werden sollen und ob die Regierung mit weiteren Finanzspritzen hilft. Verkehrsminister Scheuer räumte ein: Das sei am Dienstag noch kein Thema gewesen.
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Das Prozedere ist einfach. Man schiebt das verletzte Körperteil vor ein Röntgengerät, bekommt eine nicht allzu schicke Bleischürze umgehängt, es macht klick oder klack oder so ähnlich, danach geht es zurück ins Wartezimmer. Irgendwann wird man zum Radiologen gebeten, der einem den Befund erläutert. Auf dieses Pläuschchen konnte Florian Schreiner am Samstag nicht warten. Ohne das Ergebnis seiner Untersuchung zu erfahren, verließ er die Notaufnahme. Er musste zum Sport. Sein Tischtennis-Abteilungsleiter Rudi Kahler vom FC Bayern München hatte ihm ein paar alte Krücken vom Speicher mitgebracht, damit durften die beiden nun keine Zeit verlieren - wenn Schreiner zum Spielbeginn nicht in der Halle wäre, hätten sie wohl kaum eine Chance, ihr Spitzenspiel gegen Versbach zu gewinnen. "Es war sehr knapp", sagte Kahler. Schreiner, 23, ist die Nummer eins des FC Bayern. Sein Team ist viel zu gut für die Regionalliga, der Wiederaufstieg in die dritte Liga ist eigentlich ein Muss. Dummerweise gilt das in gleichem Maß für den SB Versbach um den ehemaligen Erstligaprofi Nico Christ. Das Hinspiel vor drei Wochen endete unentschieden, dennoch belegten die Unterfranken in der Tabelle mit zwei Punkten Vorsprung Rang eins, den einzigen Aufstiegsplatz - weil die Münchner im Herbst ersatzgeschwächt in Magdeburg verloren hatten. Ein Sieg war nun also die einzige Chance für die Münchner, zumindest gleichzuziehen, und das gelang. 9:4 gewannen sie ihr Heimspiel, auch weil Schreiner rechtzeitig in der Halle ankam. "Und das, obwohl wir am Morgen noch tieftraurig waren", wie Kahler sagte. Denn da hatten sie ja erst erfahren, dass ihre Nummer eins tags zuvor eine rutschige Rolltreppe hinuntergepurzelt und der Fuß seitdem bedenklich angeschwollen war. Gewonnen hat Schreiner dann natürlich: nichts. Seine Anwesenheit war laut Reglement aber vonnöten gewesen, um ihn ganz oben in den Spielbericht eintragen zu dürfen. Mit dieser taktischen Aufstellung musste er dann zwar ein Doppel und zwei Einzel im Dienste der Mannschaft kampflos abgeben, der Rest des Teams konnte dafür aber auf den angestammten Positionen bleiben. Und der Rest des Teams machte das Allerbeste daraus - auch weil die Versbacher nicht minder überraschend ohne Nico Christ erschienen waren. "Eine Magenverstimmung" gaben sie als Grund an. Die Münchner jedenfalls gewannen bis auf Ersatzspieler Nico Longhino, der in fünf Sätzen unterlag, zuvor aber im Doppel mit Michael Plattner gesiegt hatte, all ihre Matches. Vor allem die Münchner Jugend-Nationalspieler bewiesen starke Nerven. Daniel Rinderer lag gegen Versbachs Spitzenspieler Andreas Ball im fünften Satz bereits 7:10 zurück, aber drehte die Partie. Und auch Felix Wetzel im mittleren Paarkreuz wehrte nach 3:7-Rückstand im fünften Durchgang gegen Thomas Theissmann mehrere Matchbälle ab, ehe er den Bayern den 9:4-Gesamtsieg sicherte. Schreiner kehrte danach natürlich ins Krankenhaus zurück, um seine Diagnose zu erfahren. Die klinge "schlimmer, als sie ist", sagte Kahler, "eine Fersenbeinfraktur". Drei bis vier Wochen werde der ehemalige deutsche Jugendmeister ausfallen, "drei Spiele müssen wir überstehen". Bitter sei das natürlich trotzdem, denn fortan geht es um das Spielverhältnis, und da hat Versbach etwas Vorsprung. Der, so glaubt Kahler, wäre schon weg gewesen, hätte Schreiner am Samstag spielen können. Die Hoffnung, dass die Franken anderswo stolpern werden, ist gering. Gleich am Sonntag trugen sie noch ihr Gastspiel bei der SpVgg Thalkirchen aus. Sie gewannen knapp mit 9:5. Thalkirchen war ohne seine Nummer eins angetreten, die Versbacher dagegen hatten Nico Christ nachreisen lassen. Ganz fit dürfte der noch immer nicht gewesen sein, er unterlag jeweils in fünf Sätzen Michael Dudek und Daniel Weber. Zwei dicke Überraschungen also. Und auch den Versbachern ist bewusst: Für den Rest der Saison zählt im Fernduell nun jedes einzelne Match.
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Als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Mitte Januar den "Grand débat national" startete, weckte das vor allem Skepsis. Macron wollte tun, was er den Bürgern schon vor dem Beginn der Gelbwesten-Proteste immer wieder versprochen hatte: zuhören. Zweifler wandten ein, dass der Präsident doch alle von den Gilets jaunes angeprangerten Probleme längst kenne. Tatsächlich hatte Macron in seinem Buch "Révolution", mit dem er sich 2017 den Franzosen als Kandidat fürs höchste Amt im Staat vorstellte, bereits analysiert, was die Gelbwesten ein Jahr später auf die Straße brachten: "Das heutige Frankreich ist geteilt und zerrissen. Auf der einen Seite die Metropolen, auf der anderen Seite ein Frankreich, das wir oft die Peripherie nennen. Diesem peripheren Frankreich fehlt es oft an den grundlegendsten öffentlichen Einrichtungen, an Infrastruktur, an Kitas, an Kulturangeboten." Was sollte es also bringen, wenn Macron aufs Land fährt und sich in Diskussionsrunden anhört, was er ohnehin schon weiß? Nach zwei Monaten Gesprächstherapie endete an diesem Freitag die erste Runde des "Grand débat". Inwieweit das Experiment ein Erfolg war, ist schwer zu messen. In einer Umfrage des Instituts Elabe klingen die Franzosen kaum enthusiastisch. 70 Prozent der Befragten glauben, dass die Debatte nicht helfen wird, die Krise zu überwinden. Eine vom Figaro in Auftrag gegebene Umfrage ergibt ein positiveres Bild: Grundsätzlich handele es sich beim Grand débat um eine gute Sache, sagen 70 Prozent der Befragten. Und 83 Prozent geben an, dass sie den Eindruck haben, die Franzosen hätten die Chance bekommen, sich frei auszudrücken. Doch auch in dieser Umfrage werden Zweifel daran laut, ob die Gespräche Lösungen bieten für die Anliegen der Gilets jaunes. Detailansicht öffnen Emmanuel Macron in Greoux Les Bains in Südfrankreich. Der Präsident überzeugte so manchen Débat-Teilnehmer auch deshalb, weil er ihm nicht nach dem Mund redete – sondern Dissens offen ansprach. (Foto: Claude Paris/AP) Vergangenen Samstag waren in ganz Frankreich nur noch 28 600 Demonstranten in gelben Westen auf die Straße gegangen. Unklar bleibt jedoch, welchen Anteil der Grand débat am Abebben der Proteste hat. Seit bald vier Monaten mobilisiert die Bewegung ihre Anhänger - ein Rekord in Frankreichs fünfter Republik. Inzwischen aber nimmt bei einer wachsenden Zahl der Gelbwesten die Ausdauer ab. Schaut man nicht auf die Umfragen, sondern auf die Zahlen, ist der Eindruck weniger durchwachsen. Mehr als 10 000 Treffen fanden statt. Auf der Website des Grand débat haben mehr als 1,4 Millionen Bürger Fragen zu Ökologie, Steuern und Demokratie beantwortet. In Gemeindezentren kamen abends und am Wochenende Menschen zusammen, die das Gefühl hatten, ihre Meinung könnte zählen. Es liegt auch an dieser Ernsthaftigkeit, dass die skeptischen Stimmen in den vergangenen Wochen stiller wurden. Doch gerade wegen dieser Ernsthaftigkeit wurde das Ende des Manövers an diesem Freitag nicht nur mit Spannung, sondern auch mit Sorge erwartet. Zwar ist den meisten Franzosen klar, dass reden allein nicht alles ändert. Doch es wäre bitter genug, jene Minderheit zu enttäuschen, die sich von Macrons Idee eines offenen Austausches begeistern ließ. In den kommenden Wochen beginnt die Inventur: Was genau wollen die Franzosen? Gibt es einen Forderungskatalog der Gelbwesten? Entsteht für die Regierung ein Handlungsdruck, der über Macrons eigene Analysen in seinem Buch "Révolution" hinausgeht? Mitte April soll Macron öffentlich Konsequenzen aus den Hunderttausenden Vorschlägen ziehen. In jedem seiner Auftritte hatte der Präsident von "konkreten Konsequenzen" gesprochen. Anfang der Woche bemühte sich Premierminister Édouard Philippe, die Erwartungen zu dämpfen: "Wer sich vorstellt, dass am Ende des Grand débat eine Reihe von Ankündigungen, von Wahrheiten steht, der schätzt die grundsätzliche Beschaffenheit dieser Übung falsch ein." Philippe hatte von Anfang an verhalten auf Macrons Initiative reagiert und eher Gefahren als Chancen gesehen. Nun erklärte er vor der Assemblée Nationale: "Es ist recht einfach, ein Gefühl von Konsens herzustellen. Dafür muss man sich die Dinge nur aus ausreichend großer Distanz anschauen." Doch ein Konsens sei nicht dasselbe wie ein demokratischer Kompromiss. 10 000 Diskussionen mit Kommunalvertretern und Bürgern gab es im Rahmen der "Grand débat" zwischen dem 15. Januar und dem 15. März. Daran beteiligte sich etwa eine halbe Million Menschen in ganz Frankreich, es wurden etwa 1,4 Millionen Beiträge auf einer eigens eingerichteten Internetplattform gezählt. Die "Grand débat" war Präsident Emmanuel Macrons Antwort auf die Sozialbewegung der "Gelbwesten", die seit fast vier Monaten gegen seine Politik auf die Straße geht. AFP Philippes Worte stehen dabei nicht im Widerspruch zu Macrons Debattenbeiträgen. Immer wieder hatte der vor Bürgermeistern, Lokalpolitikern und Akteuren der Zivilgesellschaft offen ausgesprochen, dass er die Lage zuweilen anders einschätzte als die von ihm Zusammengerufenen. So saß Macron vor drei Wochen im Wintergarten der Präfektur von Bordeaux - wie immer wurde die Debatte live im Fernsehen übertragen -, die Anwesenden tragen ihre Sorgen und Ideen vor. So erzählte die Bürgermeisterin der kleinen Gemeinde Marsas, wie der Schnellzug TGV alle zehn Minuten durch ihre Ortschaft rauscht und dabei die Häuser zum Wackeln bringt. Eineinhalb Stunden lang sitzen die Bewohner von Marsas im Bummelzug, um ins 40 Kilometer entfernte Bordeaux zu gelangen. Der vorbeirasende TGV braucht für die Strecke Bordeaux-Paris nur eine halbe Stunde länger. Die Geschichte des Dorfes Marsas ist fast schon eine Karikatur des viel beschriebenen Auseinanderfallens des Landes in Städte und vergessene Dörfer. Macron hört schweigend zu, am Ende reagiert er auf jede einzelne Frage. Ja, man müsse in die Infrastruktur vor Ort investieren. Doch: "Frankreich ist und bleibt ein zentralistischer Staat, so sind wir entstanden, das werden wir nicht ändern." Mit solchen Ansagen hat Macron vor allem die überzeugt, die ihn 2017 in die zweite Runde der Präsidentschaftswahl gewählt hatten - und zwischenzeitlich an ihrer Entscheidung gezweifelt hatten. "Macron ist es gelungen, seine Wählerschaft wieder zu mobilisieren", stellt Jérôme Fourquet fest, Leiter des Meinungsforschungsinstituts Ifop. In seinen Analysen zeigt sich, dass die Menschen dort besonders aktiv am Grand débat teilgenommen haben, wo die Gilets jaunes wenig Anhänger fanden. Macrons Diskussionsangebot wurde vor allem in Paris gut angenommen. Die Menschen, die dort seit November auf die Straße gehen, kommen meist nicht aus der Hauptstadt. Sie reisen an, um daran zu erinnern, dass es sie gibt. Läuft man den Cours Pasteur in Bordeaux entlang, ist fast jede zweite Scheibe zersplittert Diese Erinnerung ist immer wieder heftig ausgefallen. Nicht nur in Paris. Nach seiner Diskussion in der Präfektur von Bordeaux wird Macron auf der Straße von einer kleinen Gruppe Demonstranten erwartet. Es sind keine Gilets jaunes, es sind Geschäftsleute aus der Innenstadt von Bordeaux, deren Türen oder Scheiben zerstört wurden und die seit Anfang Dezember jeden Samstag ihre Läden für ein paar Stunden schließen müssen, weil sie befürchten, dass sie sonst erneut von Demonstranten verwüstet werden. Einer von ihnen musste Anfang des Jahres sein Reisebüro in der Straße Cours Pasteur schließen. Zweimal waren ihm die Scheiben eingeschlagen worden, am 12. Januar räumten Menschen in Warnwesten schließlich sein gesamtes Mobiliar auf die Straße, um es zu verbrennen. Läuft man den Cours Pasteur entlang, ist jede zweite Fensterscheibe zersplittert. Es hat Banken und Makler getroffen, aber auch Bars und Friseurläden. Dieser Gewalt steht die Gewalt der Polizei gegenüber. Der Europarat, die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, eine Gruppe französischer Augenärzte: Sie alle haben die französische Regierung dazu aufgefordert, den Einsatz von Gummigeschossen zu überdenken. Mindestens 193 Menschen wurden auf den Demos der Gelbwesten von Waffen der Polizei getroffen, meist am Kopf. Viele haben Augenverletzungen erlitten. Es gehört zu den Besonderheiten des Grand débat, dass er in einer Atmosphäre stattfand, in der sich das Land an einen besonders brutalen Umgang miteinander zu gewöhnen schien.
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Die Bundesregierung weiß noch immer nicht, wie sie mit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) umgehen soll, das die Rechte junger Flüchtlinge stärkt. Im April 2018 hatten die Luxemburger Richter entschieden, dass Minderjährige, die ohne Eltern flohen und Schutz erhielten, auch dann ein Recht auf Familiennachzug haben, wenn sie während des Asylverfahrens volljährig geworden sind. In Deutschland erlischt dieses Recht mit dem 18. Geburtstag. Weil sich das EuGH-Urteil auf einen Fall aus den Niederlanden bezieht, überlegt Berlin seit einem Dreivierteljahr, ob man es umsetzen soll: "Die Abstimmungen innerhalb der Bundesregierung sind noch nicht abgeschlossen", teilte das Innenministerium nun der Linksfraktion mit. Man bemühe sich "jedoch um einen raschen Abschluss der Prüfung". Die linke Abgeordnete Ulla Jelpke empört dies: "Angesichts des oft dramatischen Schicksals der jungen Flüchtlinge ist es unerträglich, dass die Bundesregierung das klare EuGH-Urteil nach neun Monaten noch nicht umgesetzt hat. Abschreckung geht vor Kindeswohl, das ist offenbar die Prioritätensetzung dieser Bundesregierung." Im Jahr 2018 waren es bis November laut Innenministerium 650 anerkannte Flüchtlinge, die während ihres Verfahrens 18 Jahre alt wurden; in den zwei Jahren davor waren es insgesamt 8300, die durch ihre Volljährigkeit die Möglichkeit verloren, ihre Familien nach Deutschland nachzuholen. Wie viele von ihnen dies tatsächlich tun wollten, ist nicht bekannt. Alle Detailfragen der Linken zu den Folgen des EuGH-Urteils blockt die Bundesregierung mit Verweis auf die laufende Abstimmung ab. Innenministerium und Auswärtiges Amt hatten vergangenes Jahr vereinbart, das EuGH-Urteil nicht umzusetzen. Dann aber meldeten andere Ressorts "Abstimmungsbedarf" an. Vorerst gilt die alte Regelung weiter. Konkret bedeutet dies, dass die Wiedervereinigung einer Flüchtlingsfamilie davon abhängen kann, wie zügig das Asylverfahren des Jugendlichen zu einem Ende kommt. Im Durchschnitt dauerte es im vergangenen Jahr knapp zehn Monate und damit deutlich länger als bei Erwachsenen. "Die Bundesregierung steht sowohl rechtlich als auch humanitär in der Pflicht, im Sinne des Kindeswohls und des Menschenrechts auf Familie zu handeln", sagt Jelpke.
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Die Bedeutung dessen, was Claus Schromm in den vergangenen Wochen widerfahren ist, lässt sich noch besser einordnen, wenn man den gegnerischen Trainern zuhört. Als Ismail Atalan von den Sportfreunden Lotte nach dem 3:0-Sieg der SpVgg Unterhaching im Presseraum mit seiner Analyse begann, sprach er zunächst davon, dass der Abstiegsplatz eine "Quittung" sei. Dann folgte die Abrechnung. In der Winterpause habe man "Qualität abgegeben und dafür Leihspieler geholt, die in der Jugend-Regionalliga gespielt haben", da brauche man sich nicht wundern, dass die Mannschaft in 37 Spielen nur 30 Tore erzielte. Er selbst hatte vor einem Monat, beim letzten Trainerrauswurf, eigentlich klargestellt: Ich mach's nicht. "Aber meine Kinder haben dann gesagt: Dann macht's ja gar keiner." Atalan ist jener Trainer, der Lotte 2016 in die dritte Liga führte. Danach kamen und gingen vier weitere Cheftrainer. Jetzt steht die Mannschaft mit Atalan vor dem Abstieg. Claus Schromm ist seit März 2015 Chefcoach, er ist in dieser Zeit einmal ab- und einmal aufgestiegen und wurde auch in den vergangenen Wochen nie infrage gestellt, als die Mannschaft die steilste Talfahrt aller Teams über sich ergehen ließ. In der dritten Liga scheinen nervliche Anspannung und Versagensängste ganz besonders schnell zu Personaländerungen zu führen. In der noch laufenden Saison haben schon zehn Drittliga-Klubs mindestens einmal den Trainer gewechselt. Am Samstag folgte das erlösende 3:0, der Abstieg ist so gut wie sicher abgewendet. "Mir geht es eigentlich ganz gut jetzt", sagt Schromm nach dem Spiel. Beim Präsidenten Manfred Schwabl sei er sich ja sicher gewesen, dass der immer hinter ihm stehe, man kenne sich schon lang. "Ich war nur gespannt, wie der ganze Verein auf so eine Situation reagiert. Wir haben ja gesagt, wir wollen uns ein bisserl anders verhalten als im klassischen Fußballgeschäft." Für Neurologen also uninteressanter. Lange hatte er diesen so immens wichtigen Sieg recht trocken moderiert, doch in diesem Moment röteten sich Schromms Augen dann doch ein bisschen. "Vom Keller bis zur Geschäftsstelle" sei man nur noch enger zusammengerückt, vom Funktionsteam bis zum Sekretariat also, auch alle Juniorentrainer hätten nur Zuspruch für ihn übrig gehabt, und der seit sieben Monaten verletzte Kapitän Josef Welzmüller habe zu ihm gesagt: "Trainer, bitte, gar nicht drüber nachdenken" - über das Hinwerfen - "wir rocken das zusammen, wir wissen gar nicht, was wäre, wenn du weg wärst." Die vergangene Woche sei dann besonders "brutal" gewesen, sagt Schromm, doch offensichtlich meint er damit nicht die nervliche Anspannung, sondern die Sorge, vor Rührung nicht in Tränen auszubrechen. Es zeigt sich, dass es auch keine Floskel war, wenn er immer wieder darüber redete, wie eng Trainer und Mannschaft seien, auch inhaltlich. Das führte dazu, dass sie sich auf das Spiel gegen Lotte auf besondere Weise vorbereitet hatten. Um nicht aus der dritten Liga abzusteigen, griffen sie zur Maßnahme, die sie "Elversberg light" nennen, in Anlehnung an jene Zeit, als sie in die dritte Liga aufstiegen: Die Mannschaft teilte sich in sechs Gruppen auf, diese übernahmen dann Trainerarbeit. Die einen analysierten das Aufbau-, andere das Umschaltspiel des Gegners, Standardsituationen offensiv wie defensiv. "Sie haben dann für die Videoanalyse dieselben Szenen rausgeschnitten wie das Trainerteam", erzählt Schromm. In diesem Fall führten flache Hierarchien zu einem hochverdienten Sieg. Dass zum Beispiel Luca Marseiler beim 1:0 (6.) so frei zum Schuss kam, war einstudiert, obwohl die Hachinger in dieser Szene aus einem Standard mit einem Querpass über 20 Meter eine normale Spielsituation kreiert hatten. Dass Routinier Dominik Stahl nach seinem Zehenbruch in der Schlussphase noch "als Stabilisator" (Schromm) eingewechselt wurde, war Wochen zuvor beschlossen worden, für den Fall, dass es in diesem Spiel noch um etwas geht. Stahl hatte dafür auf eine Operation verzichtet (zugleich aber auch deshalb, weil er vergangene Woche zum zweiten Mal Vater wurde und dann nicht im Krankenhaus liegen wollte). Dass Verteidiger Christoph Greger diesmal vor der Abwehr spielte, um eine Art Mittelfeld-Vorstopper-Rolle einzunehmen, und dafür Orestis Kiomourzoglou im Sturm, war gemeinsam beschlossen worden. Und wie geht es nun weiter nach der Selbstrettung? Schromm fühlt sich abgehärtet. "Was soll jetzt noch kommen?", fragt er. Natürlich werde man einige Dinge analysieren. Zum Beispiel, warum man dieses Mal noch schlechter als sonst aus der Winterpause startete. Schwabl sagte noch, dass die neuen, komplett weißen Trikots seine Idee gewesen seien. Die sähen nach 20 Minuten in jedem Fall so aus, als ob das Team gekämpft hätte. "Das war der Schlüssel", sagte Schwabl grinsend. Zumindest erachtete er das für wichtiger als einen Trainerwechsel.
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Die Junge Union ist zwar eine Jugendorganisation, an ihrer Spitze herrscht aber erstaunliche Kontinuität. In den vergangenen zwanzig Jahren gab es gerade mal drei Vorsitzende. Auch deshalb richtet sich die Aufmerksamkeit der CDU an diesem Samstag auf den Deutschlandtag der Jungen Union - mit gut 100 000 Mitgliedern ist die JU die größte politische Jugendorganisations Europas. Paul Ziemiak, der bisherige Vorsitzende, ist zum CDU-Generalsekretär aufgestiegen, deshalb muss ein Nachfolger gewählt werden. Zu dem Treffen im Berliner Congress Center werden auch CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und CSU-Chef Markus Söder kommen. Unmittelbar nach den Reden der beiden Parteivorsitzenden soll die Wahl des Ziemiak-Nachfolgers beginnen. Zwei Kandidaten stehen zur Auswahl, das Rennen gilt als offen. Bisher steht nur eines fest: Anders als in den vergangenen zwanzig Jahren wird der neue Chef nicht aus Nordrhein-Westfalen kommen. Denn Florian Braun, der Vorsitzende des mit Abstand größten JU-Landesverbandes, zieht es vor, sich auch weiterhin um seine Karriere in Nordrhein-Westfalen zu kümmern. Und so ist der Weg an die Bundesspitze frei für den Niedersachsen Tilman Kuban oder den Thüringer Stefan Gruhner. Sollte Gruhner gewinnen, stünde zum ersten Mal ein Ostdeutscher an der Spitze der Jungen Union. Dass im Herbst Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen anstehen und in der CDU-Spitze Ostdeutsche bisher eher spärlich vertreten sind, spricht für Gruhner. Der 34-Jährige gilt als moderner Konservativer, manche vergleichen ihn mit Jens Spahn. Das liegt auch daran, dass Gruhner homosexuell ist. In gesellschaftspolitischen Fragen hat er eher fortschrittliche Ansichten, in der Innenpolitik ist er ziemlich rigide. Er ist stolz darauf, Mitglied einer schlagenden Verbindung zu sein. "Sturmfest und erdverwachsen" - damit fühlt sich Kuban nicht schlecht beschrieben Gruhner hat Geschichte und Politik studiert. Bevor er 2014 in den Thüringer Landtag gewählt wurde, war er persönlicher Referent der damaligen Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht. Seinen Wahlkreis (Saale-Orla I) hat er direkt gewonnen, im Herbst will er sein Mandat verteidigen. In Thüringen liegt die CDU in den Umfragen praktisch gleichauf mit den Linken und der AfD. Gruhner sagt deshalb, er stehe "politisch an der Frontlinie". In seinem Bundesland regiert der einzige Ministerpräsident der Linken. Und in seinem Wahlkreis wurde die AfD bei der Bundestagswahl in einigen Gemeinden stärkste Partei. Gruhner glaubt, dass die Auseinandersetzung mit Linken und Rechten eine der zentralen Herausforderungen für die CDU ist - und seine Erfahrungen dabei hilfreich sein können. Sein Landesverband stellt auf dem Deutschlandtag zwar nur sechs der 320 Delegierten. Aber er wird unter anderem von den großen Verbänden Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Hessen unterstützt. Gruhners Gegner Tilman Kuban kann dafür unter anderem auf die Bayern zählen. Außerdem verweist sein Lager darauf, dass die JU-Landesvorstände von Nordrhein-Westfalen und Hessen Gruhner lediglich mit 9:8 beziehungsweise 8:7 Stimmen empfohlen hätten. Kuban kandidiert gerade für das Europaparlament - sein Listenplatz ist so gut, dass seine Wahl als sicher gilt. Der 31-Jährige hat Rechtswissenschaften studiert, er ist inzwischen Leiter der Rechtsabteilung bei den Unternehmerverbänden Niedersachsen. Kuban wäre der erste JU-Chef, der im Europaparlament sitzt. Seine Gegner streuen, dass er wegen der nötigen Pendelei zwischen Straßburg und Berlin zu wenig Zeit für den JU-Vorsitz haben würde. Aber das will Kuban nicht gelten lassen. Sein Lager verweist darauf, dass ja auch Gruhner andere Aufgaben zu erledigen hätte - etwa die Verteidigung seines Landtagsmandats. Außerdem wäre Gruhner nur ein Übergangschef, weil er bereits vor der nächsten regulären Wahl die bei der JU geltende Altersgrenze von 35 Jahren überschreiten würde. Kuban war zwar in keiner schlagenden Verbindung, aber auch er ist bisher nicht durch linke Ausschweifungen bekannt geworden. Im Gegenteil: Im Oktober 2015, als viele noch auf Refugees-Welcome-Kurs waren, war Kuban Mitunterzeichner eines Briefes von CDU-Politikern an die Kanzlerin, in dem Angela Merkels Kurs heftig kritisiert wurde. Kuban gibt sich als hemdsärmeliger Mann von der Basis. Mit der Zeile "Sturmfest und erdverwachsen" aus dem Niedersachsen-Lied fühlt er sich nicht schlecht beschrieben. Er verweist darauf, Chef des Ausschusses für Feuerwehr, Sport, Kultur und Ordnung im Rat seiner Heimatstadt Barsinghausen zu sein. Doch auch Kuban ist längst Polit-Profi, er gilt als guter Netzwerker, die JU Niedersachsen führt er bereits seit einem halben Jahrzehnt. Und so dürften an diesem Samstag erst die Bewerbungsreden der beiden Kandidaten den Ausschlag geben, wer gewinnt.
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Detailansicht öffnen Wir Deutschen, sagt Schäuble, neigten manchmal „zu moralischen Überhöhungen unserer Position“. Damit müsse man Partnern nicht kommen. (Foto: Jasper Juinen/Bloomberg) Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) hat vor der Unterzeichnung des deutsch-französischen Parlamentsabkommens an diesem Montag dafür geworben, verstärkt nach Kompromissen zu suchen. Mit Blick auf den anhaltenden Streit um deutsche Antworten auf die Reformangebote des französischen Präsidenten Emmanuel Macron sagte er der Welt am Sonntag: "Wenn wir die deutsch-französische Zusammenarbeit ernst meinen, dann muss jeder der Partner bereit sein, seine eigenen Positionen zu überprüfen." Aus Deutschland müssten mehr Zugeständnisse kommen. "Wir Deutschen neigen manchmal zum Belehren unserer Partner und zu moralischen Überhöhungen unserer Position", sagte er. Damit brauche man den französischen Partnern nicht zu kommen. Ohne direkte Kritik zu äußern, relativierte Schäuble einige Positionen, die die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer jüngst als Antwort auf eine europäische Initiative des französischen Präsidenten vorgetragen hatte. Anders als Kramp-Karrenbauer hält Schäuble etwa einen europäischen Mindestlohn für erstrebenswert. Macron habe dazu "einen bemerkenswerten Vorschlag" gemacht. Auch die Idee von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sei "bedenkenswert", wonach sich alle Länder verpflichten sollten, 50 Prozent des jeweiligen Durchschnittslohns als Mindestlohn zu zahlen - ähnlich wie das in Deutschland praktiziert werde. "All dies könnte in der neuen Kammer ausführlich diskutiert werden", sagte Schäuble. Damit distanzierte er sich sowohl von Kramp-Karrenbauer als auch von Tilman Kuban, dem neuen Vorsitzenden der Jungen Union. Kramp-Karrenbauer hatte Macron beim europaweiten Mindestlohn eine klare Abfuhr erteilt. "Europäischer Zentralismus, europäischer Etatismus, die Vergemeinschaftung von Schulden, eine Europäisierung der Sozialsysteme und des Mindestlohns wären der falsche Weg", schrieb sie in ihrer Antwort. Kuban hatte bei seiner Wahl zum Vorsitzenden am vergangenen Wochenende gesagt, er sei "nie ein Freund des Mindestlohns gewesen". Schäuble schwächte auch Kramp-Karrenbauers Forderung ab, Straßburg als Sitz des Europäischen Parlamentes zu streichen. Straßburg habe "eine hohe emotionale Bedeutung, nicht nur für die Franzosen, auch für die Nachbarn Straßburgs wie mich", sagte er. Es gebe aber gute Gründe, "auf lange Sicht das Europaparlament auf einen Sitz zu konzentrieren". Wie Kramp-Karrenbauer sprach sich auch Schäuble für einen gemeinsamen europäischen Sitz im UN-Sicherheitsrat aus. Dies sei das "Logischste auf der Welt". Er machte aber deutlich, dass ein Verzicht Frankreichs auf seinen Sitz auch bedeute, dass Deutschland zu Zugeständnissen in der Sicherheitspolitik bereit sein müsse. Berlin müsse "im Gegenzug bereit sein, einen Teil der Lasten dafür zu tragen". Man müsse etwa die deutsch-französische Brigade "nicht nur haben, sondern auch zum Einsatz bringen". Zu reden sei auch über die Funktionsfähigkeit von Nachrichtendiensten und deren Transparenz. Damit sprach Schäuble kritische Punkte in der Zusammenarbeit an. Die deutsch-französische parlamentarische Versammlung werde sich künftig damit beschäftigen und Kompromisse suchen. Die Aussagen der neuen CDU-Chefin hatten zuvor schon für Kritik gesorgt. SPD-Fraktionsvize Achim Post sagte, es sei "schon ein starkes Stück", dass Kramp-Karrenbauer nach Jahren der Krise in Europa kein Wort über den Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit verliere und sich gegen Mindestlöhne in Europa stelle. Er bezeichnete es als Europas wichtigste Aufgabe, den Menschen eine gute Zukunft zu sichern. Der Grünen-Politiker und Spitzenkandidat für die Europawahl, Sven Giegold, sprach von einem "schweren Fehler". Auch in der Unionsfraktion gab es intern Kritik. Der Chef des Europaausschusses, Gunther Krichbaum, sagte nach Angaben von Teilnehmern, man solle besser das Verbindende in Europa betonen.
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Das Unternehmen will mittelfristig Reisen zum Mond anbieten, außerdem arbeitet SpaceX an einer vom Weltall aus betriebenen globalen Internetversorgung. Das private US-Raumfahrtunternehmen SpaceX will etwa jeden Zehnten seiner fast 6000 Angestellten entlassen. Das steht laut einem Bericht der Los Angeles Times in einer E-Mail, die die Präsidentin des Unternehmens, Gwynne Shotwell, an Mitarbeiter geschickt hat. Das Unternehmen müsse demnach "schlanker" werden, umseine ehrgeizige Ziele zu erreichen. SpaceX wolle nicht nur interplanetarische Reisen zu Mond und Mars möglich machen, sondern arbeite gleichzeitig an einer globalen Internetversorgung vom All aus. Andere Unternehmen seien in der Vergangenheit schon an nur einem der beiden Projekte gescheitert, schrieb Shotwell der LA Times zufolge. Entlassene Angestellte sollen demnach noch Gehalt für mindestens acht Wochen und Hilfe bei der Suche nach einem neuen Job angeboten. Geld verdient SpaceX unter anderem als Dienstleister für die US-Raumfahrtbehörde NASA, für die das Unternehmen Satelliten ins All bringt und Material zur Raumstation ISS transportiert. Im vergangenen Jahr hat SpaceX 21 Raketenstarts erfolgreich hinter sich gebracht.
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Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) angesichts geplanter Kürzungen bei der Integration von Flüchtlingen scharf kritisiert. "Der Vorschlag des Bundesfinanzministers ist indiskutabel", sagte Laschet der Rheinischen Post. Ende 2019 laufen mehrere Regelungen aus: die 670-Euro-Pauschale für Ausländer im Asylverfahren, die Integrationspauschale und die Übernahme der Unterkunftskosten für anerkannte Flüchtlinge. Stattdessen plant das Finanzministerium nach Informationen der Bild-Zeitung eine Pauschale pro Flüchtling für die ersten fünf Jahre nach der Ankunft. Diese Pauschale kritisierte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) in der Rheinischen Post als zu gering. "Wer den Kommunen die Erstattung der flüchtlingsbedingten Kosten der Unterkunft streichen will, provoziert Steuererhöhungen in den Kommunen wegen der Flüchtlinge - und zündelt damit an dem Konflikt, den wir gerade mühsam befrieden konnten", so Laschets Kritik. Die Politik müsse weiter den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Blick behalten. Das sei nur zu erreichen, wenn der Bund auch weiterhin seiner Verantwortung gerecht werde, Länder und Kommunen angemessen bei der Daueraufgabe Integration zu unterstützen. "Olaf Scholz versucht, sich zu Lasten der Länder davonzustehlen", sagte Bouffier. Kritik an den Plänen des Finanzministers hatte am Montag auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, geäußert. "Bund und Länder müssen einen Weg finden, der den realen Aufwendungen der Kommunen für Flüchtlinge gerecht wird und die Ausgaben für Geduldete einbezieht", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Die Zahl der Asylsuchenden war zuletzt deutlich zurückgegangen. Wurden 2016 noch knapp 746 000 Asylanträge gestellt, waren es 2018 noch knapp 186 000 Erst- und Folgeanträge. Die Kommunen weisen aber darauf hin, dass viele Asylsuchende - auch nachdem ihr Antrag abgelehnt wurde - erst einmal in Deutschland bleiben dürfen.
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Im Fall der Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız, die mit dem Tod bedroht wird, gibt es nach Informationen der Süddeutschen Zeitung neue Hinweise darauf, dass der oder die Täter aus der Polizei stammen. Grundlage des Verdachts sind weitere Drohschreiben, welche die Juristin erhalten hat. Von diesen jüngsten Drohungen war bislang öffentlich nichts bekannt. In ihnen verwenden die Täter besondere Ausdrücke, die nach Ansicht der Psychologen des hessischen Landeskriminalamts auf Insiderwissen aus der hessischen Polizei hindeuten. Schon am 2. August vergangenen Jahres hatte die Anwältin, die sich mit der Vertretung von NSU-Opfern und der Verteidigung mutmaßlicher islamistischer Terroristen einen Namen gemacht hat, erstmals ein Drohfax erhalten. Darin standen private Daten, auf die nur Behörden Zugriff haben. Am 20. Dezember kam ein weiteres solches Fax. Aber damit hat es, wie sich jetzt zeigt, nicht aufgehört: Die Anwältin hat im Januar weitere Faxe erhalten, die augenscheinlich von demselben Absender stammen. Wieder sind sie im selben Stil abgefasst, mit rassistischen Schmähungen gegen die türkeistämmige Juristin. In einem der neuen Drohschreiben wird eine Abkürzung verwendet, die aus Sicht der Ermittler womöglich verräterisch ist. Es sind die Buchstaben HLKA. Der oder die Verfasser bezeichnen damit das hessische Landeskriminalamt. Aus Sicht der Ermittler ist das ungewöhnlich. Es ist Behördenjargon. Die meisten Bürger würden eine andere Abkürzung verwenden, nämlich LKA. Nur unter Beamten in dem Bundesland ist das offizielle Kürzel HLKA gebräuchlich. Hinzu kommt, dass eines der jüngsten Faxe mit einem Vor- und Nachnamen unterzeichnet worden ist. Die ersten beiden Faxe waren noch mit "NSU 2.0" unterzeichnet worden. Nun steht dort stattdessen der Name eines Mannes. Ein Mann dieses Namens existiert in Hessen tatsächlich. Es soll ein bekannter Polizeiausbilder sein. Der Mann hat mit den Drohungen nichts zu tun, glauben die Ermittler. Der oder die Täter würden einfach seinen Namen missbrauchen. Aber damit demonstrierten sie womöglich besondere Einblicke. Bemerkenswert ist auch, dass die Drohschreiben nicht aufgehört haben, obwohl die Sicherheitsbehörden in Hessen inzwischen sechs Polizeibeamte intensiv ins Visier genommen haben. Eine Beamtin des Frankfurter Polizeireviers 1 hatte ohne dienstlichen Grund die Daten der Anwältin Başay-Yıldız an einem Polizeicomputer abgerufen. Über eine Chatgruppe auf ihrem Handy waren die Ermittler auf weitere Kollegen gestoßen. Die sechs Verdächtigen berufen sich auf ihr Recht zu schweigen. Im nächsten Drohfax nach ihrer Suspendierung hieß es an Başay-Yıldız: "Dir hirntoten Scheißdöner ist offensichtlich nicht bewusst, was du unseren Polizeikollegen angetan hast." Eine zweite Abfrage der persönlichen Daten der Anwältin über einen Polizeicomputer habe es nicht gegeben, heißt es aus Sicherheitskreisen. Man gehe davon aus, dass die Daten der ersten Abfrage innerhalb rechtsextremer Gruppen kursieren.
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Der iranische Freistil-Ringer Ali-Resa Karimi zum Beispiel. Er war 2017 bei den U23-Weltmeisterschaften in Polen einer der Titelfavoriten und verlor im Achtelfinale wegen der Anti-Israel-Politik seines Heimatlandes, weil er sonst danach gegen einen Israeli hätte antreten müssen. Die Anweisung kam von seinem Trainer. Oder Salim al-Haj Nicolas, Chef des libanesischen Olympiateams bei den Spielen in Rio 2016, der israelische Sportler nicht in den gleichen Bus zur Eröffnungsfeier ins Maracanã-Stadion einsteigen ließ. Oder eben auch Schwimmer, die bei internationalen Wettkämpfen nicht ins Becken wollen, wenn Israelis im gleichen Wasser antreten. Boykotte gegenüber israelischen Athleten hat es schon viele gegeben. Auch bei der Paralympischen Schwimm-WM vom 29. Juli bis 4. August in Malaysia wären diskriminierende Szenarien dieser Art vorstellbar gewesen - hätte die Regierung des mehrheitlich muslimischen Ausrichterlandes seinen Gästen diese nicht schon vorweggenommen. Mitte Januar hat die malaysische Regierung ein Verbot für die Teilnahme israelischer Staatsbürger an öffentlichen Veranstaltungen verhängt. Auch Sportereignisse mit israelischen Startern sollten folglich nicht mehr ausgerichtet werden. Malaysia gehört zu den Unterstützern Palästinas, unterhält keine politischen Beziehungen zu Israel und hat schon in der Vergangenheit solche Verbote ausgesprochen. Das IPC hat eine klare, konsequente Haltung mit Signalwirkung gezeigt Das Internationale Paralympische Komitee (IPC) hat darauf nun so reagiert, wie es von allen Sportverbänden im Grunde zu erwarten sein sollte: Es hat eine klare, konsequente Haltung mit Signalwirkung gezeigt. Die Schwimm-WM mit 600 paralympischen Teilnehmern aus 60 Nationen wird in einem anderen Land stattfinden, nachdem das malayische Innenministerium laut IPC keine Garantie dafür abgegeben habe, dass israelische Schwimmer und ihre Betreuer "frei von Diskriminierung und sicher" an den Wettkämpfen teilnehmen können. "Wenn ein Gastgeberland Athleten eines bestimmten Landes aus politischen Gründen ausschließt, gibt es für uns keine andere Wahl - wir müssen uns nach einem neuen Ausrichter umsehen", sagte IPC-Präsident Andrew Parsons: "Politik und Sport sollten nie vermischt werden." In zu vielen Fällen ist von durchaus mächtigeren Verbänden die gegenteilige Botschaft gesendet worden: Macht politisch und gesellschaftlich, was ihr wollt, wir bekommen das trotzdem schon irgendwie hin. Strafen gab es eher milde, wirkliche Konsequenzen selten. Genau so aber sollte es nicht laufen. Die Haltung des IPC sollte keine besondere, sondern eine selbstverständliche sein. Nachahmer willkommen.
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Viele Menschen, vor allem viele Frauen suchen im Beruf nicht nur ein Einkommen, sondern wollen mehr. Falls der Podcast nicht korrekt abgespielt wird, kann er unter diesem Link aufgerufen werden. Fily Mihan hat "Good Jobs" mit aufgebaut, eine Jobbörse, die Jobs mit Sinn vermittelt: Stellen in nachhaltigen und sozialen Unternehmen. Diese Art von Jobs boomen vor allem unter Frauen und werden die Wirtschaft langfristig verändern. Im Plan W Podcast spricht Fily Mihan über ihre Arbeit und ihren eigenen Werdegang und darüber, was da gerade passiert, wenn immer mehr Menschen Schluss machen mit 9-to-5 und von Unternehmen erwarten, dass sie mehr bieten als nur ein gutes Gehalt. So können Sie den Plan W-Podcast abonnieren: Der Plan W-Podcast erscheint jeden zweiten Freitag und fragt, wie Frauen die Wirtschaft verändern. Alle Folgen finden Sie hier. Verpassen Sie keine Folge und abonnieren Sie unser Audio-Angebot, etwa bei: Spotify iTunes Deezer oder in Ihrer Lieblings-Podcast-App. Sie haben Fragen oder Anregungen? Dann schreiben Sie uns [email protected]. Der Plan W Podcast ist eine hauseins-Produktion für die Süddeutsche Zeitung.
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Toto Wolff Der Herr über die Silberpfeile hat so seine Prinzipien: "Umso erfolgreicher Du bist, umso demütiger musst Du sein." Champion im Tiefstapeln ist Mercedes damit schon, mit einem Abstand, der noch größer sein dürfte als der am Kaspischen Meer auf Ferrari. Die Titelverteidiger haben den vierten Doppelerfolg in Serie geholt, das hat noch gar kein Team in 1001 Formel-1-Rennen geschafft. Wie gut für die Harmonie, dass die Siege halbe-halbe auf die beiden Fahrer verteilt sind. Mercedes verfährt bei der Stallorder so: Freie Fahrt auf den Geraden, und sich in den Kurven nicht in die Quere kommen. Die Mannschaft dahinter wehrt alle nominellen Vorteile von Ferrari mit einer Souveränität ab, die fast schon lässig scheint - aber das genaue Gegenteil davon ist. Die Siegerpfeil-Fraktion reagiert besser, taktiert klug und stellt sich perfekt auf die Gegebenheiten ein. Das Pech der anderen hilft da schon mal, aber die große Effizienz liegt darin begründet, stur den eigenen Plan zu verfolgen, und sich nicht in unnötige Scharmützel verwickeln zu lassen. Die Ruhe im Team kommt noch dazu. Entspannt stellt sich Teamchef Wolff dem Vorwurf, schon wieder gewonnen zu haben: "Wir reden uns nicht absichtlich schlecht..."
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Es ging um die Zukunft. Gerade war die neue Multifunktionshalle vorgestellt worden, die Red Bull für seine Eishockeymannschaft in den Münchner Olympiapark modellieren lässt. Und die von der Saison 2021 an auch den Basketballern des FC Bayern eine neue Heimat sein wird. Vor allem für internationale Wettkämpfe, denn "in zwei, drei Jahren" möchte der Klub festes Mitglied der Euroleague sein, wie Präsident Uli Hoeneß verriet. Elf Klubs der 16er-Liga haben ein Dauerstartrecht - die finanzstarken Münchner wären in diesem Kreis willkommen. Selbstredend wird der FC Bayern dort auch seine Playoffspiele austragen - einstweilen muss der Audi Dome noch genügen. Dass die Bayern auch heuer in die Endrunde einziehen ist nur rechnerisch noch zu verhindern, ernste Zweifel, dass der Titelverteidiger dies als Erster erledigen wird, dürften die wenigsten hegen. Woran auch die erste Saisonniederlage in Oldenburg nichts ändert. 82:83 unterlag der bis dahin unbesiegte Primus im Spitzenspiel beim Zweiten, als ursächlich darf man die bisher schwächste Spielhälfte der Münchner im bisherigen Saisonverlauf erachten. Im ersten Durchgang kassierte das ansonsten so abwehrstarke Team 50 Punkte. Derartiges war den Münchnern zuvor nur zweimal in der Euroleague passiert - gegen Fenerbahce Istanbul und ZSKA Moskau, zwei der besten Teams des Kontinents. Die Oldenburger lieferten trotz ihres kleinen Kaders eine überragende Leistung ab, der Sieg geriet aber noch in arge Gefahr. Was mit den individuellen Möglichkeiten des Meisters zu tun hat, und bei diesem Thema landet man recht bald beim Namen Derrick Williams. Den pflegt Trainer Dejan Radonjic von der Bank zu bringen, weil allein die Energie, die der muskelbepackte amerikanische Forward ins Spiel trägt, dem Gegner meist einen ordentlichen Schreck versetzt. Auch in der Oldenburger Arena sorgte er für Raunen auf den Rängen, nicht nur wegen seiner NBA-Kunststückchen - wie einen Dunk mit dem Rücken zum Korb, den Ball hatte er in der Luft gefangen. Neben Topscorer Petteri Koponen (18 Punkte) war Williams derjenige, der aus seinem Team herausstach. Er hat diese Körpersprache, die seinen Gegnern mitteilt, dass er sich nicht mehr aufhalten lässt. Der 27-Jährige setzt spektakuläre Blocks, holt in den wichtigen Momenten die Rebounds, er treibt das Spiel an und reißt die Kollegen mit. Allerdings machte sogar er an diesem Abend Fehler, er sammelte zwar 17 Punkte, aber allein zwei seiner sechs vergebenen Freiwürfe hätten das Ergebnis korrigiert. Williams unterlief auch das entscheidende Foul drei Sekunden vor Schluss. Man muss gar nicht daran erinnern, dass den Münchnern vier erstklassige Kräfte fehlten, dass zudem einige Profis angeschlagen ins Spiel gingen. Man muss sich keine Sorgen machen um dieses Team, auch wenn erstmals Dissonanzen auf dem Feld zu erkennen waren: als sich Koponen und Vladimir Lucic anschnauzten oder Radonjic einen Wutanfall bekam. Geschäftsführer Marko Pesic hatte bei der Hallenvorstellung einen bemerkenswerten Satz gesagt, ehe er zum Flieger nach Oldenburg eilte: "Vielleicht ist es gar nicht schlecht, wenn wir mal verlieren." Zuvor war aus dem Kreis der Spieler zu vernehmen, dass man sich eine Saison ohne Niederlage zutraue. Dieses Vorhaben ist perdu, um die Zukunft muss sich trotzdem niemand ernsthaft sorgen.
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Der Präsident des entmachteten Parlaments von Venezuela hat sich zum Staatschef des südamerikanischen Landes erklärt. "Vor dem allmächtigen Gott gelobe ich, die Kompetenzen der Exekutive als Interims-Präsident von Venezuela zu übernehmen", sagte Juan Guaidó am Mittwoch bei einer Kundgebung vor Anhängern in der Hauptstadt Caracas. Für Venezuelas autoritären Präsidenten Nicolás Maduro könnte es nun ungemütlich werden: US-Präsident Donald Trump hat Guaidó offiziell als "Übergangspräsidenten" anerkannt. Guadió vertrete als Parlamentspräsident "das einzige legitime" Staatsorgan des Landes, weil er "ordnungsgemäß" vom venezolanischen Volk gewählt worden sei, hieß es in einer vom Weißen Haus veröffentlichten Erklärung. Der Mittwoch hatte in Venezuela mit erneuten Protesten begonnen: Flammen züngelten sich an schwarzem Gummi, dunkler Rauch stieg auf, dahinter standen Polizisten und warten. Schon vor der angekündigten Großdemonstration der venezolanischen Opposition hatten in der Nacht zum Mittwoch in Caracas die Straßensperren gebrannt. So ist es auf Bildern von Fotografen zu sehen, die sich in Venezuelas Hauptstadt hinausgewagt haben. Nichtregierungsorganisationen berichten von Dutzenden Zusammenstößen zwischen Protestierenden und der Polizei, es hat Festnahmen gegeben, Verletzte und wohl auch die ersten Toten. Die Rede war von vier Opfern, darunter ein 16-Jähriger. Zudem sind Tausende Venezolaner zu sehen, die wütend auf ihre Kochtöpfe schlagen. In Lateinamerika ein gängiges Zeichen, dass man die Regierung loswerden will. Millionen Venezolaner wollen Maduro schon länger loswerden. Seit mehr als vier Jahren leiden sie unter einer verheerenden Wirtschafts- und Versorgungskrise, es fehlt an Lebensmitteln, Medikamenten, selbst an Toilettenpapier. Diejenigen, die ihrem Unmut Luft machen, werden drangsaliert. Das von der Opposition dominierte Parlament ließ Maduro entmachten, Regimekritiker und unliebsame Journalisten lässt er oft einsperren. Etwa drei Millionen Menschen haben Schätzungen zufolge bisher das Land verlassen. Die Lage in Venezuela war bis vor Kurzem festgefahren. Proteste ließ Maduro blutig niederschlagen. Seine Unterstützer hielt er mit staatlich finanzierten Lebensmittelpaketen bei Laune, und die Opposition war sich in ihrer Strategie uneinig. Das änderte sich Anfang Januar, als der bis dahin wenig bekannte 35-jähriger Oppositionspolitiker Guaidó die Bühne betrat. Er hatte gerade den Vorsitz des nur noch symbolisch tagenden Parlaments übernommen, und nutzte die mediale Aufmerksamkeit für die Vereidigung Maduros, um diesem den Krieg zu erklären. Guaidó nannte den Staatschef einen "Thronräuber" - eine Anspielung darauf, dass es bei der Präsidentschaftswahl nicht demokratisch zugegangen war. Er bat die Bürger, die Streitkräfte und die internationale Gemeinschaft um Unterstützung, um "die widerrechtliche Machtergreifung zu beenden." Einen Wechsel in Venezuela würden auch zahlreiche Regierungen anderer Länder begrüßen. Neben den USA erkennen auch einige lateinamerikanische Staaten und die EU Maduros Präsidentschaft inzwischen nicht mehr an. "Nicolás Maduro ist ein Diktator, dessen Machtanspruch jede rechtliche Grundlage fehlt", sagte zum Beispiel US-Vizepräsident Mike Pence in einem Video auf Twitter. Damit die Botschaft auch sicher ankommt, ist das Video mit spanischen Untertiteln unterlegt. Politische Beobachter bezweifeln, dass solche brachialen Botschaften etwas bewirken - erst recht, wenn sie aus Washington kommen. Sie weckten bloß Erinnerungen an vergangene Jahrzehnte, in denen die USA Lateinamerika als Hinterhof betrachteten und sich nach Gutdünken in die Belange der Länder einmischten. Das Gerede sei "kontraproduktiv", sagt etwa die Lateinamerika-Wissenschaftlerin Sabine Kurtenbach; es helfe Maduro, sich als Beschützer der Nation vor dem US-Imperialismus zu gerieren. Wie das aussieht, zeigte Maduro schon wenige Stunden nach Auftauchen des Videos. Pence' Rede nahm er zum Anlass, eine Pressekonferenz einzuberufen und Maßnahmen "zur Verteidigung der nationalen Souveränität" anzukündigen. Im Hintergrund waren Unterstützerinnen zu sehen, die "das Vaterland verteidigt sich" sangen. Es wirkte wie der Versuch einer Rechtfertigung, sollte Maduro vorhaben, auch die neue Protestwelle blutig niederschlagen zu lassen.
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Die neue Netzwerk-Technik ist das Hauptthema auf dem Mobile World Congress. Deutsche Konzerne sind vorne dabei, wenn es darum geht, die Standards für die vernetzte Fabrik zu entwickeln. Detailansicht öffnen Ein Messebesucher in Barcelona verfolgt eine Präsentation. Neben neuen Smartphones geht es vor allem um die neue Netzwerktechnik 5G. (Foto: JOSEP LAGO, AFP) Die Nachricht kam nicht völlig unerwartet, waren doch die Probleme des bayerischen Kommunikationstechnik-Konzerns Kathrein schon länger bekannt. Nun also wird das Unternehmen endgültig zerschlagen. Das Kerngeschäft mit Mobilfunkantennen und -filtern wird an den schwedischen Netzwerkausrüster Ericsson verkauft, wie beide Firmen am Montag mitteilten - am ersten Tag des Mobile World Congress in Barcelona, des größten Treffens der Branche weltweit. Ist das, wie man befürchten könnte, ein Indiz dafür, dass es Deutschland nicht funktioniert mit der neuen Technologie, dass vielleicht sogar die Tage der industriellen Spitzenstellung gezählt sein könnten? Mit wem man auch spricht in Barcelona, was Deutschland angeht, haben die meisten ein weitaus besseres Bild von der Wandlungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft als viele Deutsche selbst. "Wenn man in China jemanden fragt, welches Auto er sich wünschen würde, sagen alle, einen BMW oder einen Mercedes oder einen Audi", sagt William Tian, der Deutschland-chef des Technologiekonzerns Huawei. Er ist sehr optimistisch, dass die Deutschen ihre technologische Leistungsfähigkeit auch im 5G-Zeitalter erhalten könnten. Ähnlich sieht man das auch bei der weltweit agierenden Beratungsgesellschaft Accenture. Bei 5G gebe es noch keine klare Führerschaft eines Landes, sagt George Nazi, der bei Accenture weltweit für die Transformation von Netzwerken und für Innovation verantwortlich ist. In verschiedenen Ländern, sagt er, gebe es auch viele unterschiedliche Ansätze, wie die neue Technologie eingeführt werde. Schnell und reaktiv soll die neue Technik sein. Sie dient zunächst vor allem Firmen In den USA etwa liege ein Schwerpunkt darauf, mithilfe der leistungsfähigen 5G-Technik Haushalte ans Internet anzuschließen, die bisher keine oder nur eine schlechte Anbindung ans Internet haben. In Asien gehe es vor allem darum, den unersättlichen Hunger der Nutzer nach schnelleren Mobilfunk-Verbindungen zu befriedigen. Mehr Daten in kürzerer Zeit, vor allem Videos, das ist in Asien gefragt. In Deutschland dagegen ist es vor allem die Industrie, die Netzwerkanbieter dazu antreibt, bei 5G voranzukommen. Warum das so ist, kann man am Stand von Nokia live beobachten. Für die Messe hat das Unternehmen zusammen mit Bosch eine echte kleine Produktionsstraße aufgebaut. Verschiedene Roboter erledigen dabei nacheinander verschiedene Aufgaben an einem Bauteil. Bisher hat jeder der Roboter ein eigenes Steuerpult, das per Kabel mit dem Roboter verbunden ist. Ziel ist es nicht nur, die Kabel abzuschaffen. Die Maschinen sollen auch von einem einzigen Steuerpult aus überwacht und gesteuert werden. Und das funktioniert nur mit den speziellen Fähigkeiten von 5G. 5G kann nicht nur enorme Datenmengen sehr schnell übertragen, sondern bei Bedarf auch nahezu in Echtzeit reagieren, dann zum Beispiel, wenn Gefahr in Verzug ist und ein Roboter so schnell wie möglich zum Stillstand gebracht werden muss. "Diese Fähigkeiten lohnen die Investition in 5G", sagt Phil Twist von Nokia. Unter den deutschen Konzernen sei daher die Begeisterung groß für Frequenzen, welche die Bundesnetzagentur genau für diesen Zweck reserviert hat - für automatisch gesteuerte Fabriken, Industrie 4.0. Noch wird darüber mehr geredet als wirklich produziert, und es wird auch noch dauern, bis nicht nur die Großen wie Bosch oder Siemens solche Technologie einsetzen, sondern auch Mittelständler. Aber die Technologie ist ja auch noch neu, und vielleicht braucht auch nicht jedes Unternehmen schon in diesem Jahr einen 5G-Test auf dem Firmengelände. Mehmet Yavuz würde das sofort unterschreiben. Yavuz ist der Technikchef des US-Unternehmens Ruckus. Seine Firma versorgt bereits jetzt Seehäfen, Rennstrecken, Stadien oder Logistikunternehmen mit LTE, also der Vorgänger-Technologie von 5G. Dazu werden auf dafür reservierten Frequenzen private LTE-Netze aufgebaut, die größere Bereiche abdecken können als etwa Wlan und auch stabiler funktionieren. "Für mobile Verbindungen wurden strengere Anforderungen für die Stabilität der Verbindung definiert", sagt Yavuz. Die Schweden werden die Unterstützung der Kathrein-Mitarbeiter gut gebrauchen können LTE erfülle bereits viel von dem, was auch 5G verspreche, sagt er, und zudem seien gerade die Fähigkeiten von 5G, die den Unterschied zu den Vorgängern ausmachen, noch in der Entwicklung. Erst wenn die Standards dafür verabschiedet seien, werde 5G die Fähigkeiten erhalten, die die Technologie für kritische Produktionsumgebungen qualifizieren. Wenn es zum Beispiel auf schnellste Reaktionszeiten ankommt. Deutschland, prognostiziert Yavuz, werde dabei vorne sein. Deutsche Unternehmen dominierten den weltweiten Zusammenschluss 5G-ACIA, ACIA steht für "Alliance for Connected Industries and Automation". Ziel der Vereinigung, an der unter anderem Siemens, Bosch, Audi, Infineon, Trumpf und die Deutsche Telekom beteiligt sind, ist es, bei der Standardisierung und der Regulierung von 5G die Interessen der Industrie zu vertreten. Organisiert wird die Vereinigung vom Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) mit Sitz in Frankfurt. Den beteiligten Unternehmen geht es darum, ihre Produktion zu vernetzen und flexibler zu gestalten, zum Beispiel, indem sie mithilfe der funkbasierten Technologie ihre Produktionsflächen je nach den jeweiligen Anforderung verändern können - und dafür eben keine neuen Kabel mehr verlegen müssen. Auf die Netzwerkanbieter kommen mit 5G eine Vielzahl von Aufgaben und damit auch von Investitionen zu. Denn, sagt Phil Twist von Nokia, "mit neuen Antennen ist es nicht getan". Die Sendeanlagen müssen mit schnellen Glasfaserkabeln verbunden werden, und um die großen Datenmengen verarbeiten zu können, müssen Cloud-Rechenzentren geschaffen werden. All das lässt vermuten, dass die neuen 5G-fähigen Smartphones, die in Barcelona gezeigt werden, noch eine Weile Demonstrationsobjekte bleiben werden und nicht etwa einen landesweiten Zugang zum 5G-Wundernetz bieten. Die dafür nötigen Investitionen müssen erst einmal finanziert werden. Die Experten glauben, dass die 5G-Technik Schritt für Schritt kommt. Für die Anbieter werde es darauf ankommen, funktionierende Geschäftsmodelle zu entwickeln, die es erlauben, die nächsten nötigen Schritte zu finanzieren, sagt George Nazi von Accenture. In Europa und vielen anderen Regionen geht es zunächst ohnehin erst einmal darum, die nötigen Frequenzen zur Verfügung zu stellen. In Deutschland soll die Auktion für den ersten Teil von 5G-Frequenzen im März starten, wenn nicht noch die Klagen der deutschen Mobilfunkkonzerne dazu führen, dass der Termin verschoben wird. Es geht dabei - natürlich - ums Geld. Konzerne wie Telekom und Vodafone fürchten, dass sie zu viel für die Frequenzen zahlen und zudem hohe Auflagen erfüllen müssen. Es geht ihnen um das Wie, nicht um das Ob. In einer Studie der Mobilfunk-Organisation GSMA, die auch den Mobile World Congress ausrichtet, heißt es, 5G werde in den kommenden 15 Jahren einen Betrag von 2,2 Billionen Euro zur globalen Wirtschaft leisten, da wollen auch die deutschen Anbieter dabei sein. Entwicklungen über solche Zeiträume sind natürlich schwer vorherzusagen, und ein wenig Zweckoptimismus wird man auch herausrechnen müssen. Doch die Experten sind sich auch einig, dass die 5G-Technik mehr ist als die bisher übliche evolutionäre Entwicklung bei der Funktechnik. Dadurch, so hört man immer, seien ganz neue Anwendungsszenarien möglich so wie etwa flexible Produktionshallen. Die 4000 Mitarbeiter von Kathrein werden wohl unter dem Dach von Ericsson an der Umwälzung mitarbeiten. Sollte Ericsson wie vermutet von der Kritik am chinesischen Konkurrenten Huawei profitieren, werden die Schweden die Verstärkung gut gebrauchen können.
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Simon Schempp hat so lange gekämpft, bis auch er die bittere Wahrheit nicht mehr leugnen konnte. Lange hatte der Massenstart-Weltmeister gehofft, "dass sich doch noch alles zum Guten wendet", dass er trotz aller Rückschläge seinen Titel bei der Biathlon-WM in Östersund verteidigen kann. Doch "es soll einfach nicht sein. In diesem Winter werde ich leider keine Rennen mehr laufen", schrieb der 30-Jährige am Mittwoch in den Sozialen Netzwerken. Der Deutsche Skiverband (DSV) war längst auf das WM- und Saison-Aus seines einst sicheren Medaillenkandidaten eingestellt. "Wir haben gemeinsam in den vergangenen zwei Wochen darüber diskutiert. Wenn der Körper nicht will, macht es keinen Sinn", sagte Bundestrainer Mark Kirchner. "Simon hat lange gekämpft, und das hat ihn auch mental viel Kraft gekostet." Die WM in Schweden (7. bis 17. März) findet nun ohne den viermaligen Goldgewinner Schempp statt, lamentieren will Kirchner deswegen aber nicht. "Es nützt ja nichts, wir müssen nach vorne schauen - und wir haben noch immer eine gute Mannschaft beisammen", sagte er. Zu Arnd Peiffer, Benedikt Doll, Erik Lesser, Roman Rees und Johannes Kühn kommt als Ersatz Philipp Nawrath hinzu. Der 26-Jährige hatte beim Übersee-Weltcup in Canmore sein Staffel-Debüt gegeben. Schempp widmet sich stattdessen der dringend benötigten Regeneration, die er in und nach der Olympiasaison 2017/18 vernachlässigt hatte. Nach Rückenproblemen und einer Schulter-OP in Folge eines Mountainbike-Sturzes im Frühjahr fand er seine Top-Form nicht wieder. In diesem Jahr bestritt Schempp nur ein Einzelrennen: Beim Sprint in Oberhof belegte er Platz 70. "Jetzt ist einfach der Punkt erreicht, an dem ich auf den Reset-Knopf drücken muss", schrieb Schempp. In Pyeongchang hatte er vor zwölf Monaten trotz aller Probleme Silber gewonnen. Mit der Staffel holte Schempp als Schlussläufer zudem Bronze. "Am Ende überdecken die beiden Medaillen eine ganze Menge", sagte Kirchner. "Das letzte Jahr hat er nur mit ganz viel Aufwand durchgezogen." Von dieser langwierigen Überbelastung will sich Schempp nun richtig erholen.
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Einen Lichtblick für Freunde der eher muskulösen Mobilität gab es dann doch noch bei der Jahresbilanz von Audi: Ein Video spielten sie ein, Protagonist dieser neue Elektro-SUV namens E-Tron. Die Mausefalle auf der Streif in Kitzbühl geht es nach oben, bis zu 85 Prozent Steigung hat diese legendärste Skipiste der Welt. Runter schon schwierig, bergauf noch mehr, das Eis spritzt, die Spikes krallen sich fest - und am Ende ist der Wagen oben an der Kante angekommen. Mission geglückt. Ob man das auch in einigen Jahren für Audi sagen kann, ist derzeit nicht ganz so klar. Der Autobauer aus Ingolstadt durchlebt eine Krise, die so deutlich ist, dass auch Schönreden nicht mehr hilft und dass bald auch Jobs in Frage stehen: Vom "Stresstest", den man nicht bestanden habe, spricht Finanzchef Alexander Seitz an bei dieser Bilanzvorstellung; von Unzufriedenheit der gerade neu berufene Vorstandschef Bram Schot und von "Fett", das man angesetzt habe. Nur 1,8 Millionen Autos hat man im vergangenen Jahr verkauft, der Umsatz sank auf 59 Milliarden Euro, der Betriebsgewinn brach um ein Viertel ein auf 3,5 Milliarden Euro ein, die Marge liegt damit nur noch bei sechs Prozent. Sehr wenig für die früher ertragreichste Tochter im Volkswagen-Konzern. Die Gründe sind vielfältig: Da war da der "Riesenschock, als unser CEO verhaftet wurde", sagt Schot: Rupert Stadler, der über Monate in Untersuchungshaft saß, wegen möglicher Verstrickungen in den Dieselskandal, der auch mit 1,2 Milliarden Euro zu Buche schlägt. Ein Umstand, der Audi in den vergangenen drei Jahren auch lähmte. Ein Ergebnis, das Geld kostete: Im Jahr 2018 konnten etliche Modelle nicht ausgeliefert werden, weil sie keine Abgaszertifizierungen (WLTP genannt) bekamen. "Wir haben uns in der Vergangenheit zu oft um uns selbst gedreht", sagt der gebürtige Niederländer Schot, damit müsse nun Schluss sein. Denn zugleich dränge die Transformation, welche die ganze Branche fordere: die Vernetzung, die von der Politik geforderte Elektrifizierung, die Assistenzsysteme. 14 Milliarden Euro will Audi dafür bis zum Jahr 2023 ausgeben. Um das leisten zu können, wird nun überall reduziert. Das komplette Modell-Portfolio werde unter die Lupe genommen, selbst der Audi TT, eine Ikone wie sie bei Audi sagen, steht zur Disposition. Stattdessen werden mehr Autos mit Hybrid- oder reinem Batterieantrieb entwickelt; Ende kommenden Jahres sollen es zwölf sein. Und natürlich wird nun auch auf die Kosten geschaut - auf alle wie Finanzchef Seitz betont: "Da ist noch einiges zu holen." Ein bereits laufendes Sparprogramm soll nicht mehr nur zehn Milliarden Euro einspielen, sondern nun 15 Milliarden. Vor allem Ingoldstadt soll von den Plänen betroffen sein Auch Stellen stehen in Frage. 61 000 Menschen sind direkt in der Audi AG beschäftigt, 90 000 insgesamt, bei den sogenannten indirekten Jobs soll nun gestrichen werden. Auf der Pressekonferenz ist keine Zahl zu hören, trotz etlicher Nachfragen. Nur: Audi werde "in Zukunft sicher nicht mehr wachsen", eher werde es "Anpassungen entlang der demografischen Entwicklung" geben, hört man von den Vorständen. "Wenn Kollegen in den Ruhestand gehen, stellen wir den Ersatzbedarf auf den Prüfstand", so drückt es Oberfinanzer Seitz aus. Man prüfe auch, mehr Tätigkeiten nach außen zu geben. Und irgendwann wird man über Vorruhestandsprogramme und Abfindungen nachdenken. Vor allem betroffen sein wird davon Ingolstadt, da wo in so ziemlich jeder Familie einer bei Audi arbeitet. Just als die Mikrofone wieder ausgeschaltet sind, kursiert von Managementseite, aber auch von Betriebsratsseite, plötzlich wieder einmal die Zahl von 5000 Verwaltungsstellen, die nach Wunsch des Managements über fünf Jahre automatisiert und damit abgebaut werden sollen. Es wäre etwa jede siebte in dem Bereich. Immerhin soll das nicht über Kündigungen geschehen. Betriebsratschef Peter Mosch gibt sich entsprechend noch recht gelassen, will keine Größenordnungen bestätigen. Klar sei, es gebe einen Vertrag zur Beschäftigungssicherung bis 2025. Aufbauend darauf werde man sich die detaillierte Strategie ansehen, die der Vorstand um Schot und Seitz bis zum Frühjahr vorlegen will: "Dann gehen wir ins Gespräch." Wie viel Konfliktpotenzial in der Sache steckt, zeigt sich gerade bei der Schwestermarke Volkswagen. In Wolfsburg will das Management aus denselben Gründen und an ähnlicher Stelle sparen, wurde ebenfalls in dieser Woche erklärt. Dort allerdings stellt Betriebsratschef Bernd Osterloh diverse Vorbedingungen. Und weist auf etwas hin, das alle betrifft: "Wir wollen nicht nur Kolleginnen und Kollegen in die Altersteilzeit verabschieden, wir wollen auch deutlich mehr Zusagen für Zukunftsarbeitsplätze."
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Wer die rund 650 Kilometer zwischen Washington und Boston mit dem Zug zurücklegt, erlebt eine achtstündige Fahrt mit teils schönen Ausblicken und wird dabei ordentlich durchgeschüttelt. Der Acela, der auf der Strecke verkehrt, gehört zu den modernsten Zügen der USA, und doch fühlt es sich an, als schaukle man im D-Zug durch die Lande. In Kalifornien wollten sie der Ostküste zeigen, dass das auch anders geht. Schließlich versteht sich Kalifornien als der Staat, in dem die Zukunft gemacht wird. Im Jahr 2008 stimmten die Bürger dafür, knapp zehn Milliarden Dollar Steuergeld als Anschubfinanzierung zur Verfügung zu stellen, um eine Hochgeschwindigkeits-Bahnstrecke von San Francisco nach Los Angeles und schließlich gar nach San Diego zu bauen. Insgesamt sollten sich die Kosten auf 33 Milliarden Dollar belaufen, es war geplant, dass die ersten Züge schon 2020 unterwegs sind. Das wäre ein Zeichen nicht nur an die Ostküste, sondern an die ganze Nation gewesen: Seht her, der Zug kann auch in diesem riesigen Land das Verkehrsmittel der Wahl sein. Umweltfreundlicher als das Flugzeug, trotzdem komfortabel und schnell. Zwei Stunden und 40 Minuten sollte die Fahrt von San Francisco nach L.A. dauern. Mit bis zu 100 Milliarden Dollar Baukosten rechneten Beobachter zuletzt für die neue Trasse Nun aber lautet die Frage nicht mehr, wann der erste Hochgeschwindigkeitszug zwischen den beiden größten Städten Kaliforniens verkehren wird, sondern ob es jemals dazu kommt. Dass es nicht bereits 2020 so weit sein würde, war schon länger klar. Innerhalb kürzester Zeit nach Beginn der Planungen stiegen die geschätzten Kosten auf 77 Milliarden Dollar, manche Experten gingen davon aus, dass 100 Milliarden Dollar eine realistischere Zahl sei. Als Jahr der Fertigstellung wurde 2033 angepeilt. In dieser Woche hat sich Kaliforniens neuer Gouverneur Gavin Newsom in seiner erste Rede zur Lage des Staates an die Bürger gewandt. Das Projekt werde ein wenig verkleinert, sagte er. Es solle zunächst nur ein kleinerer Teil im Central Valley gebaut werden, zwischen den Städten Bakersfield und Merced. Man muss sich das ungefähr so vorstellen, als hätte man in Deutschland entschieden, man wolle jetzt endlich München und Hamburg verbinden - und dann nach einer Weile gesagt, man verlege aber einstweilen nur zwischen Fulda und Kassel Schienen. Die meisten Beobachter gehen davon aus, dass das Projekt damit tot ist. Hochgeschwindigkeitszüge sind in den USA seit jeher umstritten. Die Demokraten preisen sie als umweltfreundliche Alternative zum Flugzeug. Die Republikaner lehnen sie ab, weil sie zu teuer seien. In Florida zum Beispiel haben die Republikaner öffentliche Mittel für den Bau einer Hochgeschwindigkeitstrasse von Tampa nach Orlando verweigert, weil die Belastung für die Steuerzahler zu groß geworden wäre. Pläne, die Strecke von New York nach Boston zu modernisieren, scheitern regelmäßig am Widerstand der Kommunen entlang der Route. Eine Ausnahme ist Texas, wo derzeit an einer Verbindung von Fort Worth nach Dallas und Houston gearbeitet wird. Die ist allerdings privat finanziert. Das Projekt gilt als schwierig: Kalifornien ist dicht besiedelt und dazu geologisch heikel Gouverneur Newsom bestreitet, dass das Projekt mit seiner Ankündigung am Ende sei. Er halte die Option offen, dass eines Tages die komplette Strecke gebaut wird. Das gilt allerdings als höchst unwahrscheinlich. Das Stück im Central Valley, das nun entstehen soll, ist der Teil, der am vergleichsweise einfachsten zu bewerkstelligen ist. Das liegt daran, dass die Gegend weniger dicht besiedelt ist als die Metropolregionen, und dass sie geologisch kaum Herausforderungen stellt. In der Nähe von San Francisco und Los Angeles sollte die Strecke auf langen Brücken verlaufen, wogegen sich die Gemeinden gewehrt haben. Südlich von Bakersfield müssten die Tehachapi-Berge untertunnelt werden, was als ausgesprochen schwierig gilt. Zudem ging der Plan nicht auf, die Kosten zwischen dem Staat Kalifornien, privaten Investoren und der Regierung in Washington zu teilen. Die Privatwirtschaft zeigte kaum Interesse, in Washington haben die Republikaner die Macht übernommen. Daher sieht es derzeit nicht so aus, als werde die Strecke jemals fertig gebaut. Ein Zeichen an das Land hatte das Projekt werden sollen. Das ist es nun wohl tatsächlich geworden, wenn auch ganz anders als geplant.
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Mit Prognosen ist es bekanntlich schwierig. Eine Gruppe von Versicherungsmathematikern hat nun trotzdem versucht, sich die Zukunft auszurechnen. In 40 Jahren, so ihr Ergebnis, könnten die Beiträge aller Bürger zur gesetzlichen Krankenversicherung deutlich steigen. Ein Viertel jedes Einkommens könnte dann für die Kasse draufgehen, mahnen sie. 40 Jahre sind allerdings eine lange Zeit. Und die Krankenversicherungen sind sensible Institutionen, abhängig von der Wirtschafts- und der Bevölkerungsentwicklung. Wie es in 40 Jahren um die deutsche Konjunktur steht, vermag selbst der beste Mathematiker nicht zu orakeln. Außerdem gibt es da noch einige Überraschungsfaktoren. In den vergangenen Jahren war dies beispielsweise die Migration. Durch die zeitweilig hohen Zuwanderungszahlen bekamen die Krankenversicherungen plötzlich viele neue, junge und gesunde Beitragszahler. Je mehr Menschen nach Deutschland kamen, umso deutlicher wurden die einheimischen Versicherten entlastet. Innerhalb der nächsten 40 Jahre könnte es durchaus noch häufiger zu Migrationsbewegungen kommen. Doch auch Weltpolitik lässt sich schwer prognostizieren. Das Gesetzesfeuerwerk der vergangenen Jahre wird die Kosten weiter in die Höhe treiben Die Vorausschau der Mathematiker ist also voller Unwägbarkeiten. Dennoch weisen die Mathematiker auf einen wichtigen Punkt hin: Die Gesundheitsversorgung der Menschen in Deutschland wird in den kommenden Jahren mit Sicherheit teurer werden. Je älter eine Gesellschaft wird, desto mehr Versicherte brauchen dauerhaft medizinische Hilfe. Sei es, weil sie im Alter unter mehreren Krankheiten gleichzeitig leiden. Oder weil der medizinische Fortschritt immer mehr Möglichkeiten bereithält, Patienten mit schwersten Problemen zu behandeln. Im deutschen Krankenversicherungssystem bekommen Patienten im Grunde alles, was ein Arzt für medizinisch notwendig hält, auch bezahlt. Das rettet Leben und ist im Vergleich zu anderen Ländern ein großes Privileg. Doch es kann auch den Boden bereiten für eine kostspielige Überbehandlung von Patienten. Finanziell angeschlagene Krankenhäuser bessern ihre Bilanzen mit zum Teil überflüssigen Knieprothesen und Herzkathetern auf. Pflegedienste streichen für die Betreuung schwerkranker Intensivpatienten horrende Summen ein, obwohl diesen Menschen in einer Klinik oft mehr geholfen wäre. Die Logik der Krankenversicherungen, für jeden einzelnen Therapieschritt wie für ein Produkt zu bezahlen, birgt die Gefahr, dass die Medizin in Deutschland langfristig immer mehr Geld verschlingt. Meistens ist dies zwar im Sinne der Patienten - aber manchmal geht es eben auch auf Kosten ihrer Gesundheit. Zudem werden die jüngsten Gesetze, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und sein Vorgänger Hermann Gröhe (beide CDU) auf den Weg gebracht haben, für die Versicherungen teuer werden. Und natürlich trifft dies auch die Beitragszahler. Durch Gröhes Pflegereformen etwa haben nun deutlich mehr Menschen als zuvor Anspruch auf Unterstützung. Statt wie bisher vor allem körperliche Gebrechen in die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit einzubeziehen, spielen nun auch geistige Einschränkungen wie Demenz eine größere Rolle. Für Angehörige und Erkrankte ist das ein Segen. Für Kassen und Beitragszahler ist es ein neuer Kostenfaktor. Auch die Auswirkungen von Spahns Gesetzesfeuerwerk im vergangenen Jahr lässt sich für die Kassen kaum kalkulieren. In immer neuen Vorschlägen hat er Apothekern, Kliniken, Ärzten und digitalen Start-ups mehr Geld versprochen - Krankenkassengeld. Im Bezug auf die Pflegeversicherung hat Spahn bereits anklingen lassen, dass hier mittelfristig weitere Beitragserhöhungen anstehen. Sein Koalitionspartner SPD hat kürzlich ein Konzept vorgelegt, mit dem er die Pflegekasse grundsätzlich umbauen will. Denn während diese Versicherung heute nur einen Teil der Pflegekosten abdeckt, sollen die Pflegebedürftigen in Zukunft besser vor finanzieller Überforderung geschützt werden. Der Eigenanteil der Bewohner im Pflegeheim soll, wenn es nach den Sozialdemokraten geht, bei einem bestimmten Betrag eingefroren werden. Auf lange Sicht könnte die Pflegekasse die Menschen dann sogar vollständig absichern. Der Vorschlag trifft einen Nerv, schließlich können sich viele Familien die Pflege ihrer Verwandten längst nicht mehr leisten. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass diese Kosten dann auf den Schultern aller Versicherten verteilt werden müssen und sie jeder spüren wird. Deutlich früher als in 40 Jahren.
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Rezzo Schlauch, 71, war Bundesvorsitzender der Grünen und Staatssekretär. Heute arbeitet er als Wirtschaftsberater. Und er verkauft Lithium - doch warum nur? Rezzo Schlauch, 71, war Bundesvorsitzender der Grünen und Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Mittlerweile ist er vor allem Wirtschaftsberater und Handlungsreisender. Sein aktuelles Projekt: eine Lithium-Mine in der Mongolei. Herr Schlauch, wie kommt man zu einer Lithium-Mine? Rezzo Schlauch: Ich bin seit Jugendzeiten begeistert von Dschingis Khan. Das hat damit zu tun. Der sagenumwobene, mächtige Herrscher aus der asiatischen Steppe? Ich finde die Geschichten über ihn und die Landschaft dort faszinierend, und vor zwei Jahren bin ich deshalb tatsächlich in die Mongolei gereist. An einem Abend traf ich dann Leute eines mongolischen Familienunternehmens zum Essen. Sie erzählten, es gebe hier ein Lithium-Vorkommen. Genau wusste ich da nicht Bescheid über den Wert, aber dass Lithium das Öl der elektromobilen Zukunft ist, war mir klar. Und dann fuhren Sie sogleich hin? Ich mag zwar spannende Sachen, aber das war mir dann doch zu beschwerlich: Das liegt endlos weit weg von jeder Stadt tief in der mongolischen Steppe. Sie erklärten mir die Größe der bislang explorierten Vorkommen, wir sahen uns Fotos und die Marktentwicklung an und schließlich baten sie mich, ob ich nicht helfen könne, deutsche Partner zu finden. Wie viel könnte das wert sein? Wohl einige Milliarden Euro. Nun reisen Sie mit einem Mongolei-Dossier herum, hört man. Ich hatte überall Termine in der Autoindustrie, am interessiertesten war ein Premiumhersteller. Aber bislang haben alle abgewunken. Sie begeben sich lieber in chinesische Abhängigkeiten, anstatt sich den eigenen Rohstoff-Zugang zu sichern. Ihre Mühen waren umsonst? Ich habe nun einen namhaften deutschen Industrie-Partner gefunden. Aber wir könnten schon sehr viel weiter sein, wenn öffentliches Interesse erkennbar wäre. Wir müssen etwa eine detaillierte Machbarkeitsstudie anfertigen lassen. Erst dann kann eine Mine gebaut werden, was wohl eine Milliarde Euro kosten wird. Anderswo scheint es schneller zu gehen: Eine schwäbische Firma will jetzt in Bolivien Lithium fördern, deutlich unterstützt vom deutschen Staat. Schön, dass die Politik nun den Wert von Rohstoffen erkennt. Aber man sollte die Umstände beachten. In Südamerika muss das Lithium aufwendig aus Salzseen mit bisher noch unbekannten Technologien und mit Unmengen von Wasser gewonnen werden. In Fernost ist es viel leichter, aus dem Gestein zu schürfen. Vor Ort sind E-Autos doch sauber. Unser Gewissen mit E-Mobilität zu beruhigen und an anderer Stelle nicht beherrschbare ökologische Probleme zu erzeugen, ist schwerlich zu verantworten.
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Bei einer Messerattacke in Japan sind mindestens zwei Menschen getötet worden. Mehr als 15 Menschen, die meisten davon Schülerinnen, wurden verletzt, einige davon schwer. Unter den Todesopfern seien eine Elfjährige und ein 39 Jahre alter Mann, berichten lokale Medien. Er soll der Vater eines der Kinder gewesen sein. Der mutmaßliche Täter, ein Mann um die 50, hatte sich nach der Tat selbst in den Hals gestochen und starb später im Krankenhaus. Der Mann hatte am Dienstagmorgen (Ortszeit) an einer Bushaltestelle der Tokioter Nachbarstadt Kawasaki mit zwei Messern auf Kinder eingestochen, die dort auf ihren Schulbus warteten. Augenzeugenberichten zufolge soll der Mann dabei geschrien haben: "Ich werde Euch töten". Krankenwagen eilten zum Tatort, den die Polizei absperrte. Berichten zufolge sind die Kinder Schüler der Caritas Grundschule, einer privaten katholischen Einrichtung in der Stadt Kawasaki. Die Schule hat dies noch nicht bestätigt. Warum der Mann die Menschen attackierte, ist noch unklar. Die Polizei fand am Tatort in einem Rucksack zwei weitere Messer. Ministerpräsident Shinzo Abe wies das Erziehungsministerium an, dafür zu sorgen, dass Kinder in Japan sicher zur Schule gehen können. Er empfinde "tiefe Wut" darüber, dass kleine Kinder zu Opfern wurden, sagte Abe dem japanischen Fernsehsender NHK zufolge. US-Präsident Donald Trump, der am Dienstag seinen Staatsbesuch in Japan beendete, drückte den Opfern der Attacke sein Beileid aus: "Alle Amerikaner stehen den Menschen in Japan zur Seite und trauern um die Opfer und mit deren Familien." Das Blutbad schockiert ganz Japan. Zumal das Land eine sehr geringe Kriminalitätsrate aufweist. Die Schusswaffengesetze sind streng. In den vergangenen Jahren haben die Übergriffe mit Messern in Japan zugenommen. Bei dem bislang blutigsten Amoklauf des Landes seit Jahrzehnten hatte ein junger Mann vor drei Jahren in einem Behindertenheim 19 Menschen erstochen. 2008 hatte ein Mann in Tokio sieben Menschen getötet. Der Japaner war zur Mittagszeit in einem auch bei Touristen beliebten Viertel mit einem Lastwagen in die Menge gerast und hatte wahllos auf Passanten eingestochen. Zehn Menschen wurden verletzt. Der Mann wurde später zum Tode verurteilt. Das Blutbad in Tokio ereignete sich am gleichen Datum wie 2001, als ein Amokläufer in einer Grundschule in der Stadt Ikeda wahllos acht Kinder mit einem Küchenmesser erstach. Als Folge dieses Verbrechens wurden die Sicherheitsmaßnahmen an Schulen verstärkt. Viele schließen mit Unterrichtsbeginn die Schultore ab und nutzen Sicherheitskameras. Freiwillige sowie Vertreter von Elternorganisationen bewachen mancherorts Schulwege der Kinder. Japans Erziehungsminister Masahiko Shibayama erklärte nach der Messerattacke, weitere Maßnahmen seien nötig. So müssten Schulwege gesichert und Informationen über verdächtige Personen ausgetauscht werden.
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Biathlon, Kanada: Biathletin Franziska Hildebrand hat zum Auftakt des Weltcups im kanadischen Canmore im Einzel als beste Deutsche Platz vier belegt. Die zweimalige Staffel-Weltmeisterin blieb am Donnerstag ohne Schießfehler und verpasste ihren ersten Podestplatz in dieser Saison um 26,9 Sekunden. Den Sieg im Wettkampf über 12,5 km sicherte sich die Norwegerin Tiril Eckhoff (1 Fehler) vor Marketa Davidova aus Tschechien und der Italienerin Lisa Vittozzi (beide 0). Doppel-Olympiasiegerin Laura Dahlmeier konnte aufgrund von zwei Schießfehlern nicht in den Kampf um den Sieg eingreifen. Auf Platz neun hatte sie 1:30,5 Minuten Rückstand auf Eckhoff. Noch vor elf Tagen hatte die siebenmalige Weltmeisterin Dahlmeier in Antholz erstmals in diesem Winter gewonnen. Zweitbeste Deutsche bei Temperaturen von minus zehn Grad war Vanessa Hinz (1) als Sechste. Im Rennen der Männer hatte Erik Lesser den achten Rang belegt und sich die Norm für die Teilnahme an der WM in einem Monat in Östersund/Schweden gesichert. Seinen zwölften Saisonsieg im 16. Rennen feierte der fehlerfreie Norweger Johannes Thingnes Bö. Aufgrund extremer Kälte in den vergangenen Tagen wurde das Rennen von 15 auf 12,5 Kilometer verkürzt. Außerdem wurde ein Fehlschuss nicht mit der üblichen Strafminute, sondern nur mit 45 Sekunden geahndet. Die Wetterlage wird vom Weltverband IBU weiter beobachtet. Aktuell sind am Freitag die Staffeln und am Samstag Sprintrennen geplant. Basketball, NBA: Der NBA-Club New York Knicks hat sich vom türkischstämmigen Basketballprofi Enes Kanter getrennt. Der Traditionsverein aus der nordamerikanischen Profiliga entließ den 26 Jahre alten Center kurz nach Transferschluss am Donnerstag aus seinem bis zum Saisonende laufenden Vertrag. Kanter hatte zuletzt für Aufsehen gesorgt, als er die Reise zu einem Spiel in Großbritannien nach eigener Aussage aus Angst um sein Leben nicht angetreten hatte. Er befürchtet, er könne außerhalb Nordamerikas wegen seiner Kritik am türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan umgebracht werden. Kanter ist Anhänger der Gülen-Bewegung, die von der türkischen Regierung für den Putschversuch von 2016 verantwortlich gemacht wird. Handball, HBL: Die SG Flensburg-Handewitt hat die lange WM-Pause gut verkraftet und auch das 20. Saisonspiel in der Handball-Bundesliga gewonnen. Der Tabellenführer, der weiter ohne Punktverlust ist, setzte sich am Donnerstagabend 30:23 (13:12) bei der HSG Wetzlar durch. Auch der THW Kiel hielt sich beim 29:25 (17:12) bei Frisch Auf Göppingen schadlos, hat aber weiter vier Punkte Rückstand auf den deutschen Meister aus Flensburg. Die Eulen Ludwigshafen verpassten derweil den zweiten Saisonsieg knapp. Der Tabellenletzte führte beim Ex-Meister VfL Gummersbach bis in die Schlussphase, musste sich aber dennoch mit einem 20:20 (12:5) zufriedengeben. Für den VfL, als 16. selbst in Abstiegsgefahr, war das Unentschieden enorm wertvoll - Gummersbach liegt weiterhin vier Zähler vor dem Schlusslicht aus Ludwigshafen. Auch der starke Nationaltorhüter Silvio Heinevetter, der knapp 32 Prozent der Würfe auf sein Tor abwehrte, konnte unterdessen das 30:34 (15:15) der Füchse Berlin beim TBV Lemgo nicht verhindern. Die TSV Hannover-Burgdorf beendete die Negativserie von zuletzt sieben Niederlagen nacheinander - beim 33:22 (19:12) gegen den TVB Stuttgart gelang den Niedersachsen der erste Sieg seit dem vergangenen November. Flensburg, das sich nach anfänglichen Probleme im zweiten Durchgang deutlich steigerte, konnte sich auch in Wetzlar auf seine dänischen Weltmeister verlassen. Der erfolgreichste Werfer war Rasmus Lauge mit sieben Treffern, sein Landsmann Anders Zachariassen und der Norweger Magnus Röd steuerten jeweils fünf Tore bei. Stefan Cavor hielt mit sieben Treffern für Wetzlar dagegen. Uefa: Aleksander Ceferin ist als Uefa-Präsident wie erwartet wiedergewählt worden. Der Slowene wurde beim Kongress der Europäischen Fußball-Union am Donnerstag in Rom per Akklamation für vier Jahre im Amt bestätigt. Ceferin führt den Kontinentalverband seit September 2016. Damals setzte er sich unterstützt vom Deutschen Fußball-Bund in einer Kampfabstimmung gegen den Niederländer Michael van Praag durch und übernahm die Nachfolge des gesperrten Michel Platini. Zuvor war der 51 Jahre alte Jurist auf der internationalen Funktionärsbühne kaum in Erscheinung getreten. Als Uefa-Chef ist er per Statuten auch Vizepräsident im Weltverband Fifa.
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Die Angst vor einer erneuten Konfrontation zwischen Italien und der EU-Kommission hat den Euro am Mittwoch belastet. Die Gemeinschaftswährung fiel bis auf 1,1178 (Vortag: 1,1208) Dollar. Nervös machten Börsianer Äußerungen von Italiens Vize-Ministerpräsidenten Matteo Salvini. Ihm zufolge ist die Regierung in Rom bereit, die Defizit-Regeln der EU zu ignorieren und die Verschuldung auf bis zu 140 von derzeit etwa 130 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung in die Höhe zu treiben, um die Konjunktur anzukurbeln. Offenbar wachse bei Salvini und seiner rechtspopulistischen Lega angesichts eines möglichen Erfolgs bei der anstehenden Europawahl die Zuversicht, Brüssel die Stirn bieten zu können, schrieben die Analysten der Rabobank. Zwar sei die vorangegangene Machtprobe mit der EU um den italienischen Haushalt glimpflich ausgegangen, sagte Commerzbank-Analystin Thu Lan Nguyen. "Doch niemand kann vollkommen ausschließen, dass es beim nächsten Mal nicht doch zu einem politischen Unfall kommt." Vor diesem Hintergrund trennten sich Anleger von italienischen Staatsanleihen. Dies trieb die Rendite der zehnjährigen Titel auf ein Zweieinhalb-Monats-Hoch von 2,807 Prozent. Da Investoren verstärkt zu den als sicher geltenden Bundespapieren griffen, rentierten die zehnjährigen Bonds mit minus 0,123 Prozent so niedrig wie zuletzt vor zweieinhalb Jahren. Die türkische Lira blieb unter Druck. Die Türkei stemmte sich am Mittwoch erneut gegen die Abwertung. Durch die Erhebung einer Steuer auf bestimmte Verkäufe einiger Fremdwährungen in Höhe von 0,1 Prozent versuche das Land, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, sagte Tufan Comert vom Handelshaus Garanti Securities. "Dieser Schritt scheint auf höhere Staatseinnahmen zu zielen und darauf, die Landsleute von Fremdwährungen fernzuhalten." Der Lira gab das am Mittwoch aber zunächst keinen Auftrieb.
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Sein Rückzug von Facebook und Twitter gefällt jenen, die sich selbst für progressiv, aber soziale Medien für narzisstischen Unsinn halten. Dabei wählt Habeck den einfachen Weg und blendet Probleme einfach aus. Als ob das ginge: Als ob man einfach nur auf "löschen" klicken müsste und dann wäre es wieder einfach. Auf diesen Glauben setzen Populisten aller Farben und Nationen, wenn es um die Herausforderungen der Gegenwart geht: einfach raus aus der EU, einfach eine Mauer zu Mexiko bauen, einfach zurück zur D-Mark. Das Muster ist bekannt und in Kreisen, die sich für aufgeklärt halten - zum Beispiel den Grünen -, ist man sich schnell einig, dass das doch nicht geht. So einfach, so unterkomplex, so falsch. Doch auch in diesen Kreisen gibt es manchmal einen blinden Fleck. Natürlich sind die Grünen gegen den Brexit und auch Trumps dumpfe Politik lehnen sie ab. Dafür gibt sich einer der prominentesten Grünen aber öffentlich dem Glauben hin, er könne den Herausforderungen der Digitalisierung mit Rückzug begegnen. Er übersieht, dass Smartphone abschalten, echte statt nur digitale Freunde oder eben die Löschung von Social-Media-Accounts ebenfalls Symptome des Phänomens "einfache Antworten" sind. Genau auf dieses Muster greift Robert Habeck zurück. Der Mann, der manchen als progressivster deutscher Politiker gilt, gibt eine einfache Antwort auf die Frage, warum er zum wiederholten Mal ein etwas überdrehtes Video auf Twitter gepostet hat, nämlich: Das Medium ist schuld! "Twitter ist", schreibt Habeck, "wie kein anderes digitales Medium so aggressiv und in keinem anderen Medium gibt es so viel Hass, Böswilligkeit und Hetze." Das Neue und Fremde wird zum Problem erklärt Das ist eine wunderschöne Antwort, die all jenen gefällt, die soziale Medien eh für Unsinn und Selbstbespiegelung von Narzissten halten. Dabei ist die Antwort vor allem: unterkomplex und falsch. Sie bedient ein Muster, das man seit Jahrzehnten aus dem Umgang mit dem Web kennt: Das Neue und Fremde wird zum Problem erklärt statt der Frage nachzugehen, woher die Menschen (und vielleicht auch Bots) eigentlich kommen, die Twitter für Robert Habeck zu so einem schlimmen Ort machen. Auch von Facebook zieht er sich nach eigenen Angaben zurück. Das Web ist "zum Spiegel unserer globalen Gesellschaften geworden", schrieb unlängst der Mann, dem wir das Wort "Internet" zu verdanken haben: Vint Cerf ist einer der Begründer des wichtigen TCP/IP-Protokolls, das den dezentralen Austausch völlig unterschiedlicher Systeme über Landes- und Sprachgrenzen hinweg erst ermöglicht. Cerf analysierte in der britischen Ausgabe des Magazins Wired: "Manche Menschen sind nicht einverstanden mit dem, was sie in diesem Spiegel sehen, und machen den Fehler zu glauben, sie müssten den Spiegel reparieren, um die Probleme zu beheben, die sie in ihm sehen." Andere Menschen, wie Robert Habeck, glauben offensichtlich, es reiche, einfach nicht mehr in diesen Spiegel zu schauen, um die Probleme verschwinden zu lassen. Es fehlt die Bereitschaft, Fehler zu machen Das wird nicht funktionieren, und dennoch erhält Habeck Zustimmung für seinen Schritt. Denn selbst in den progressiveren Kreisen des Landes sind einige der Meinung, der Datenangriff der vergangenen Woche stehe in einem Zusammenhang mit der Nutzung sozialer Medien. Das ist, als würde man einen Bruch des Briefgeheimnisses mit den Worten kommentieren: "Die Leute schreiben heutzutage ja eh soviel privaten Kram in ihrer Post ..." So einfach ist es nicht. Wir kommen nicht umhin, uns den Problemen zu stellen - und den immer neuen Versuch zu unternehmen, sie zu lösen. Dabei werden Fehler passieren, wie sie Habeck passiert sind. Lösungen findet aber nur derjenige, der bereit ist, auch weiterhin Fehler zu machen. Diese Bereitschaft scheint Habeck verloren zu haben. Das ist schade, denn noch falscher als ein blödes Video des Grünen-Chefs ist es, dass ausgerechnet er jetzt das Muster der einfachen Antworten bedient. Dabei hatte Vint Cerf in seinem Text sogar ein Bild aus der grünen Bewegung gewählt, um die Aufgabe zu formulieren, vor die das soziale Web die Gesellschaft stellt: "Wie", hatte er gefragt, "können wir die Fähigkeit zum kritischen Denken in der Bevölkerung befördern? Und ist kritisches Denken ausreichend, um den digitalen sauren Regen abzuwehren, der den Ozean der nützlichen Online-Informationen zu vergiften droht?" Wie beim Umweltschutz zeichnet sich gegenwärtige Politik auch beim Umgang mit dem Digitalen dadurch aus, dass sie im Sinne künftiger Generationen weiterhin daran glaubt, dass Zukunft gestaltbar ist. Und das auch dann, wenn es - im Web wie auf der Welt - manchmal nicht danach aussieht und man zu gerne eine einfache Lösung hätte. Die gibt es aber nicht. Politik bleibt anstrengend. Mit und ohne Twitter.
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In welchen Fällen sollen Ausreisepflichtige inhaftiert werden? Warum ist der Gesetzentwurf ein Problem? Und was ist eigentlich eine "Duldung light"? Antworten auf die wichtigsten Fragen zu den neuen Abschiebe-Plänen des Innenministers. 74 Seiten, zehn Artikel, mehr als 50 einzelne Punkte und noch mehr Unterpunkte - bei der CDU kommt der Entwurf des "Geordnete-Rückkehr-Gesetzes" von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) gut an. "Abschiebungen scheitern zu oft, weil die Ausreisepflichtigen es zu leicht haben, die Abschiebung zu sabotieren und platzen zu lassen", so erklärt Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl, warum er die neuen Regeln für nötig hält. Für die Grünen hingegen ist der Entwurf, der nun an die anderen Regierungsressorts gegangen ist, schlicht "eine Giftliste". Ihre migrationspolitische Sprecherin Filiz Polat befürchtet, dass er "hin zur Aushöhlung des Rechtsstaates" führe. Worum geht es in dem Gesetzentwurf? "Die Rechtspflicht, Deutschland freiwillig zu verlassen, wird von einer hohen Zahl vollziehbar Ausreisepflichtiger nicht befolgt", so umschreibt das Papier gleich im ersten Satz das Problem. Ende 2018 waren laut Ausländerzentralregister 236 000 Ausländer zur Ausreise verpflichtet. Allerdings haben etwa 180 000 von ihnen eine sogenannte Duldung. Sie dürfen erst einmal bleiben, weil ihre Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist. "Vollziehbar ausreisepflichtig" sind nur 56 000 Ausländer. Doch die Behörden tun sich oft schwer, sie tatsächlich zur Ausreise zu zwingen. So wurden 2018 zwar 26 000 Menschen abgeschoben, aber es scheiterten eben auch 31 000 Versuche - darunter 8000 am Tag der geplanten Ausreise, etwa weil der Abzuschiebende nicht am gemeldeten Aufenthaltsort war. Was sieht der Gesetzentwurf dagegen vor? Er will es den Behörden deutlich erleichtern, Ausländer und vor allem ausländische Straftäter auszuweisen und diese Ausweisung auch durchzusetzen. Es soll einfacher werden, ausreisepflichtigen Ausländern, die nicht freiwillig ausreisen oder nicht mitwirken, Ausreisehindernisse aus dem Weg zu räumen, die Sozialleistungen zu kürzen, sie in Gewahrsam oder gar in Abschiebehaft zu nehmen. Und wo ist dabei das Problem? Die vorgeschlagenen Maßnahmen greifen zum Teil massiv in die Rechte der Menschen ein - darüber, wie weit das nötig, sinnvoll und rechtlich überhaupt erlaubt ist, geht der Streit. An welchen Punkten macht er sich fest? Etwa an der Einführung einer sogenannten "Duldung light". Ausländer, denen die Unmöglichkeit einer Abschiebung "zuzurechnen" ist, sollen nur noch eine "Ausreiseaufforderung" erhalten. Dieser Status stellt sie deutlich schlechter als Geduldete. Es sollen schärfere Arbeitsverbote gelten, alle Integrationsangebote verschlossen sein und nur noch Unterkunft, Nahrung und Hygieneartikel gestellt werden. Der Kreis der Betroffenen ist sehr weit gefasst. Es soll etwa jeder dazugehören, der "keine Reisedokumente vorlegt". Das Fehlen von Papieren wird tatsächlich bei 41 Prozent der Duldungen als Grund für die Unmöglichkeit der Ausreise genannt. Der Verdacht liegt nahe, dass viele Asylsuchende ihre Papiere absichtlich verstecken oder vernichten. Anderen jedoch gingen die Papiere auf der Flucht wirklich verloren. Wieder andere sind von daheim losgezogen, ohne sich vorher bei den Behörden teuer und zeitaufwendig einen Pass zu besorgen. Schon Seehofers Vorgänger Thomas de Maizière (CDU) wollte diese "Duldung light" haben, konnte sich aber beim sozialdemokratischen Koalitionspartner nicht durchsetzen. Was soll mit kriminellen Ausländern geschehen? Die Strafhöhen, bei denen der Staat ein Ausweisungsinteresse geltend machen kann, sollen deutlich sinken. Bei manchen Taten soll künftig eine Verurteilung zu sechs Monaten reichen, damit ein Täter ausgewiesen werden kann. Verfolgten soll der Schutz vor Abschiebung entzogen werden können, wenn sie etwa wegen einer "schweren Straftat" verurteilt wurden. Die EU-Rückführungsrichtlinie sieht das nur bei "besonders schweren" Straftaten vor. Bei Kriegsflüchtlingen mit dem sogenannten subsidiären Schutz wiederum soll nicht einmal ein Urteil vorliegen müssen. Es soll reichen, dass "schwerwiegende Gründe" die Annahme einer schweren Straftat rechtfertigen. Sollen Ausreisepflichtige künftig leichter in Haft kommen? Ja. Schon wer bei der Passbeschaffung nicht mitwirkt, soll etwa in eine "erweiterte Vorbereitungshaft" genommen werden können, auch wenn nicht sicher ist, dass eine Abschiebung im nächsten halben Jahr möglich ist. Das aber ist bisher die Voraussetzung, dass jemandem die Freiheit entzogen wird. Auch die Zahl der Abschiebehaft-Gründe weitet der Gesetzentwurf stark aus. Das europarechtliche Verbot, Abschiebehäftlinge in normalen Gefängnissen unterzubringen, will das Innenministerium bis 2022 aussetzen: Es gebe zu wenige Abschiebehaftplätze. Korrekt beschieden Knapp 99 Prozent der positiven Bescheide für Flüchtlinge, die das Asylbundesamt (Bamf) im vergangenen Jahr überprüft hat, waren korrekt. Insgesamt kontrollierte das Bamf laut Innenministerium gut 85 000 Entscheidungen, bei 982 Personen wurde der Schutzstatus aberkannt. Ebenso etwa ein Prozent betrug die Korrekturquote bei jenen Flüchtlingen, die in der Hochphase der Zuwanderung im schriftlichen Verfahren oder trotz fehlender Identitätspapiere Schutz erhalten hatten. Nachträglich kontrolliert hat das Bamf auch gut 31 000 Identitätspapiere, die "Fälschungsquote" lag bei 0,78 Prozent. Die Zahlen gehen auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag zurück. Deren innenpolitische Sprecherin Ulla Jelpke plädiert dafür, die Regel-Prüfung positiver Bescheide, die nach drei Jahren vorgesehen ist, abzuschaffen, um "dem Bamf viel überflüssige Arbeit und den Schutzbedürftigen eine Zeit der Unsicherheit (zu) ersparen". Die Bundesregierung hält die Überprüfungen hingegen für "sinnvoll", um der Diskussion über die Qualität der Bamf-Entscheidungen "sachlich begegnen zu können". Bernd Kastner Trifft der Gesetzesplan nur Ausländer? Nein. Der Gesetzentwurf sieht Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren für jeden vor, der die Vollstreckung einer Abschiebung beeinträchtigt, indem er etwa "geplante Zeitpunkte oder Zeiträume einer bevorstehenden Abschiebung veröffentlicht". Kritiker wie die Grüne Polat sehen darin eine "Kriminalisierung der Zivilgesellschaft". Haben die Grünen eigene Vorschläge, um die Asylverfahren zu verbessern? Am Freitag hat die Partei einen "Fünf-Punkte-Plan für schnelle und faire Asylverfahren" vorgelegt. Darin fordert sie etwa eine unabhängige Rechtsberatung für Flüchtlinge, mehr Qualität in den Asyl-Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, eine bessere Ausstattung der Verwaltungsgerichte sowie Kampagnen, die Ausreisewillige in den Herkunftsländern informieren, was sie in Deutschland erwartet. Für eine humane Rückführung von Ausreisepflichtigen verlangen sie, entsprechende Abkommen mit den Herkunftsländern zu schließen. Freiwillige Rückkehr müsse dabei Vorrang vor Abschiebungen haben.
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Im Mordfall Jamal Khashoggi erhöht der US-Kongress den Druck auf Riads Führung und die mit ihr verbündete Regierung von Präsident Donald Trump. Am Freitag brachten Parlamentarier um den demokratischen Senator Bob Menendez und dessen republikanischen Kollegen Lindsey Graham einen Gesetzesentwurf ein, der bestimmte Waffenverkäufe an Saudi-Arabien verbieten würde. Die Initiative sei eine Reaktion auf den Mord an Khashoggi und die saudische Rolle im Jemen-Krieg. Der Vorstoß fiel auf denselben Tag, an dem die Trump-Regierung den Kongress eigentlich über ihre Schlussfolgerungen zu der Frage informieren sollte, ob Kronprinz Mohammed bin Salman persönlich für die Tötung des saudischen Journalisten verantwortlich gewesen sei. Da "die Trump-Administration aber keine Absicht hat, auf eine volle Rechenschaft für die Mörder von Herrn Khashoggi zu bestehen, ist es an der Zeit, dass der Kongress eingreift und echte Konsequenzen durchsetzt, um unsere Beziehungen zum Königreich und der saudisch geführten Koalition fundamental neu zu bewerten", teilte Menendez mit. Nach einem Bericht der New York Times vom Donnerstag hatten die US-Geheimdienste schon 2017 ein Gespräch mitgeschnitten, in dem der Kronprinz eine Ermordung Khashoggis ins Spiel gebracht habe. Wörtlich soll Mohammed bin Salman demnach einem hohen Mitarbeiter erklärt haben, dass er "eine Kugel" für den Journalisten hätte, falls dieser nicht nach Saudi-Arabien zurückkehren würde. Khashoggi schrieb regierungskritische Kolumnen über die Führung in Riad und lebte im selbstgewählten Exil in Virginia. Er hatte am 2. Oktober das saudische Konsulat in Istanbul betreten, um Dokumente für seine anstehende Hochzeit zu holen. "Unsere Führung ist eine rote Linie" Nach wochenlangem Dementi, dass Khashoggi in dem Gebäude getötet wurde, ließ das Königreich dann elf Personen wegen Mordes anklagen, darunter hohe Beamte aus dem Umfeld des Kronprinzen. Fünf von ihnen droht die Todesstrafe. Zugleich beharrt Saudi-Arabien darauf, dass es sich um eine aus dem Ruder gelaufene "Schurkenoperation" ohne offizielle Anordnung gehandelt habe. Allerdings sind US-Geheimdienste vor geraumer Zeit zum Schluss gekommen, dass bin Salman zumindest von den Mordplänen gewusst haben müsse. In einer Reaktion auf die Sanktionspläne der US-Senatoren beteuerte Saudi-Arabiens Außenminister Adel al-Dschubeir erneut die Unschuld des Kronprinzen. Im Kongress laut gewordene Forderungen nach dessen Rücktritt als De-Facto-Führer des Königreichs erteilte er zudem eine Absage. "Unsere Führung ist eine rote Linie", sagte al-Dschubeir vor Reportern bei einem Besuch in Washington. Dass überhaupt irgendjemand meinen könne, seinem Land vorzuschreiben, was es mit seiner Führung tun solle, ist "abwegig".
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Am Samstagnachmittag wirkt es kurz so, als hätten die Sicherheitskräfte die Prachtstraße Champs-Élysées aufgegeben. Die Markise des Edelrestaurants Fouquet's steht in Flammen, das komplette Mobiliar ist zerstört, und die einzigen, die es zu interessieren scheint, sind filmende Demonstranten, die sich vor dem Spektakel versammeln. Schließlich öffnet sich ein Fenster im ersten Stock, und aus einer Wohnung heraus versucht jemand mit einem Handfeuerlöscher, den Brand unter Kontrolle zu bekommen. Die Gilets jaunes begehen an diesem Samstag den "Akt 18", wie sie es nennen. Seit 18 Wochen demonstrieren sie in ganz Frankreich gegen Präsident Emmanuel Macron. Die Zahl der protestierenden Gelbwesten geht seit Beginn der Bewegung kontinuierlich zurück. Die Bereitschaft zur Gewalt ist geblieben. Am Samstagabend resümiert die Polizei: 24 verwüstete Geschäfte, ein zerstörter Kiosk, brennende Barrikaden aus Stühlen, Motorrollern und allem, was sonst noch zu finden war, sowie ein Brandanschlag auf eine Bank, der dazu führt, dass elf Menschen in den darüber liegenden Wohnungen verletzt werden. 185 Personen werden festgenommen. Etwa 1500 "Ultragewalttätige", sagt später Innenminister Christophe Castaner, seien in die Reihen der Gelbwesten eingesickert; sie seien weder Demonstranten noch Randalierer, sondern "Mörder". Einige Teilnehmer seien "nur angereist, um Sachen zu zerstören". Am Abend gesteht Premierminister Édouard Philippe Fehler der Regierung ein. Beim Sicherheitskonzept habe es "Dysfunktionen" gegeben, erklärt er. Die Analyse der Ereignisse habe auch "Mängel in der Ausführung" gezeigt, die es nicht ermöglichten, die Gewalt einzudämmen und die Aktionen der Randalierer zu verhindern." Er wolle Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Montag Vorschläge zur Verbesserung unterbreiten. Der Tag, an dem die Gewalt zurückkehrt, ist symbolisch. Am Wochenende endete "Le Grand débat", mit dem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Krise überwinden wollte. Tatsächlich sind seine Zustimmungswerte gestiegen, nachdem er zwei Monate lang auf einem Diskussionsmarathon durch Frankreich getourt ist. Doch die harten Gegner kann der Präsident nicht umstimmen. Statt im Triumph endet der "Grand débat" nun mit Bildern der Zerstörung, die zeigen, dass der innere Frieden nicht wiederhergestellt ist. Die Randalierer auf den Champs-Élysées sind eine Minderheit unter den Menschen, die an diesem Samstag gegen Macron auf die Straße gehen. Während bei der Demonstration am Triumphbogen, die schnell eskaliert, von der Polizei 10 000 Menschen gezählt werden, nehmen an einer parallelen Kundgebung im Osten der Hauptstadt 36 000 Menschen teil, die friedlich verläuft. Ein Zusammenschluss von Umweltgruppen und Sozialverbänden hat zum "Marche du siècle" aufgerufen, zum Marsch des Jahrhunderts, dem sich in ganz Frankreich Zehntausende anschließen. Bei der Pariser Abschlusskundgebung auf der Place de la République finden sich viele Menschen in gelben Warnwesten ein. Die Organisatoren, zu denen unter anderem Oxfam, Greenpeace und Attac zählten, rufen dazu auf, für Klimaschutz und für soziale Gerechtigkeit zu protestieren. Sie kritisieren "die Inaktivität der Regierung" angesichts des Klimawandels. Nach dem Tag der Gewalt wird nun erneut darüber diskutiert, wer überhaupt ein Gilet jaune sei. Die rechtsradikale Marine Le Pen teilt am Samstag auf Twitter ein Foto der Ausschreitungen, auf denen ausschließlich schwarz gekleidete Menschen zu sehen sind. "In Paris haben die schwarzen Kapuzen die gelben Westen abgelöst", schreibt Le Pen. Die Politikerin betont ihre Nähe zur Bewegung der Gilets jaunes. Auch während der Live-Übertragung von den Demos durch den Fernsehsender BFM kommentieren Journalisten, dass es sich bei den Protestierenden um Autonome handele, die sich einfach nur eine gelbe Weste übergezogen hätten. Die Bewegung der Gilets jaunes steht allen politischen Gruppierungen offen, ungeachtet ihrer politischen Überzeugungen. Frankreichs Präsident sieht sich am Samstag gezwungen, sein Skiwochenende in den Pyrenäen abzubrechen, um nach Paris in den Élysée-Palast zurückzukehren; am Samstagabend sagt er über die Randalierer: "Das sind Menschen, die die Republik zerstören wollen, selbst wenn dabei jemand ums Leben kommt. Alle, die dort waren, haben sich zu Komplizen gemacht." Es müssten "starke Entscheidungen" getroffen werden. Premierminister Édouard Philippe sagt, er empfinde "wie eine riesige Mehrheit der Franzosen eine sehr große Wut". Kein politisches Ziel rechtfertige die Gewalt.
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Verbrechen sind ein Spiegel der Gesellschaft. Und wenn es in der Gesellschaft um Diesel geht und darum, wie man damit tricksen kann, ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch Kriminelle das Feld entdecken. So war es jedenfalls bei jenen vier Männern, die gerade in Berlin verhaftet wurden. Wie die SZ aus Ermittlerkreisen erfuhr, hatten sie folgende Geschäftsidee entwickelt: Sie beschafften sich Heizöl, das so zusammengesetzt war, dass damit problemlos auch Dieselfahrzeug betankt werden konnten. Das Heizöl brachten sie dann in großen Mengen nach Polen, wo es an Tankstellen als Diesel verkauft wurde. Damit sollen die Täter enorme Gewinne gemacht haben. Heizöl wird niedriger besteuert als Kraftstoff, weshalb dem deutschen Fiskus 100 Millionen Euro Einnahmen entgingen. Die Berliner Staatsanwaltschaft wirft den Männern, die aus der Ukraine, Litauen und Deutschland kommen, bandenmäßige Steuerhinterziehung in großem Ausmaß vor. Eineinhalb Jahre lang haben sich die Ermittler zusammen mit den polnischen Behörden mit diesem Dieselskandal der anderen Art beschäftigt. Sie haben Telefone überwacht und verdeckte Ermittler eingesetzt. Am Mittwoch gab es nun eine groß angelegte Razzia in Berlin und Brandenburg, 140 Ermittler des Zollfahndungsamts Berlin-Brandenburg haben 20 Objekte durchsucht, dabei wurden 50 000 Euro in bar sichergestellt, wie die Berliner Generalstaatsanwaltschaft bekanntgab. Einen Tag zuvor hatten polnische Ermittler mehrere Häuser in Polen durchsucht. Die Männer, die nun in Untersuchungshaft sitzen, sind zwischen 48 und 59 Jahre alt. Das Heizöl, das die Bande zwischen 2014 und 2018 in großen Mengen ankaufte, ließ sie zum Schein an Briefkastenfirmen nach Litauen oder in die Ukraine liefern. Tatsächlich wurde das Öl aber von Deutschland aus über die Grenze nach Polen gebracht und dort verteilt. Weil Heizöl rot eingefärbt ist, damit es von Dieselkraftstoff unterscheidbar ist, wurde es in Polen entfärbt. Europaweite Razzia Das Problem ist nicht neu, schon 2016 gab es eine europaweite Razzia gegen ein Netzwerk, das in Tschechien, Italien, Polen, Österreich, Ungarn, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern falschen Diesel verbreitet haben soll. Dieser war aus Schmier- und Reinigungsmitteln zusammengepanscht und schädlich für Automotoren. Im aktuellen Berliner Fall hätten die Kriminellen nach Angaben der Ermittler allerdings darauf geachtet, dass sie nur Heizöl mit geringem Schwefelgehalt lieferten, was als Tankfüllung besser geeignet ist. Inzwischen sei der kriminelle Kraftstoffhandel so weit fortgeschritten, dass es etwa in Polen fast keinen legalen Markt mehr gebe, weil an vielen Tankstellen oft nur Fake-Diesel zu beziehen sei, so die Berliner Ermittler. Die Netzwerke seien mafiaähnlich organisiert, mit Deutschland als Umschlagplatz und Ort der Geldwäsche. Interessant ist auch, dass die Täter in den vergangenen Jahren offenbar ihr Geschäftsmodell geändert haben. Viele schmuggelten früher Zigaretten oder Alkohol und bauten dafür Infrastruktur auf. Also Briefkastenfirmen, Transporte und Geldkuriere, die sich nun für den Diesel nutzen lassen. Mit weitaus höheren Gewinnmargen jedoch. 6000 Transportfahrten soll das aufgeflogene Netzwerk den Ermittlern zufolge unternommen haben. Und die Verbraucher, die ihr Auto tanken? Die sind wieder einmal die Geprellten. Denn wer mit falschem Diesel unterwegs ist, macht sich strafbar.
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"Die inklusivsten Spiele bisher": Bei den Special Olympics in Abu Dhabi treten so viele Athleten mit und ohne geistige Behinderung gemeinsam an wie noch nie. Das Ereignis soll auch Vorurteile beim Gastgeber entkräften. Wenn Dominik Markuszewski über seinen Sport spricht, dann sagt er das Wesentliche in einfachen Worten. Im Basketball werde man immer wieder eingewechselt, nicht nur einmal pro Spiel wie im Fußball. Es ist also mehr los, das mag er. "Immer gewinnen, gut spielen, Spaß haben", darum geht es ihm. Und sein Lieblingsspieler ist Dirk Nowitzki, "weil er halt cool ist". Für Stefan Hübner ist Nowitzki auch ein sportliches Vorbild, er begründet das bloß ein bisschen komplexer. Hübner spricht dann über die Biografie des berühmtesten deutschen Basketballers, dessen Erfolge und Charakterzüge. Aber eigentlich meinen Markuszewski und Hübner dasselbe. Vor allem teilen sie die Leidenschaft für ihren Sport. Und warum sollten sie dann nicht gemeinsam spielen? Der Essener Markuszewski, 23, arbeitet zurzeit in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung, er hat eine Lernschwäche. Hübner, 36, arbeitet als Projektleiter in der Medizintechnik. Wenn an diesem Freitag in Abu Dhabi die Wettkämpfe bei den World Games der Special Olympics beginnen, dann treten beide im "Basketball Unified" zusammen in einer Mannschaft für Deutschland an. Sie verkörpern damit die Essenz einer Sportbewegung. Wenn in Deutschland von Behindertensport die Rede ist, dann denken die meisten Menschen an die Paralympics, an Sprinter mit Karbonprothesen etwa. Die Special Olympics, Spiele für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung, stehen in der Bekanntheit dahinter. Sie verfolgen allerdings auch einen anderen Ansatz: Es geht weniger um die Leistung, sondern in erster Linie um Freude am Sport. Und es geht um Inklusion, das hierzulande in seiner Umsetzung noch immer umstrittene Konzept der gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Zu den Sommerspielen in Abu Dhabi sagt Sven Albrecht, der Geschäftsführer von Special Olympics Deutschland (SOD): "Das sind die inklusivsten Spiele bisher." 132 Athleten sind für Deutschland nach Abu Dhabi geflogen. Neben jenen Sportlern, die in Wettbewerben mit und gegen andere Menschen mit Behinderung antreten, stellt die deutsche Delegation auch neun Unified Teams, also Gemeinschaftsmannschaften, in denen Athleten mit und ohne Behinderung antreten. Dafür sind in Abu Dhabi 31 sogenannte Partner dabei, einer davon ist Stefan Hübner aus Hagen. Dort, im Süden des Ruhrgebiets, hatte der Förderschullehrer Heinz-Werner Schmunz vor rund zehn Jahren eine Idee. Unified Sports gibt es in Deutschland offiziell seit 2008. Und Schmunz wollte seine Basketball-AG auch nach der Schule weiter trainieren, so erzählt er es. Er fragte in der Stadt herum, wer Lust habe, mit geistig behinderten Schülern zu spielen. So entstand ein Team, das zunächst außer Konkurrenz antrat. Inzwischen spielt der TSV Hagen Unified in der Kreisliga 2. Stefan Hübner, der zur Mannschaft kam, weil er vorher seinen Zivildienst in Schmunz' Förderschule geleistet hatte, sagt über sein erstes Training: "Man konnte auf dem Spielfeld gar nicht sofort sagen, wer ist Athlet, wer ist Partner? Das fand ich spannend." In den ersten Spielen, erinnert er sich, hätten die Gegner oft nicht gewusst, wie sie sich verhalten sollen. "Nachdem sie ein paar Mal verloren haben, hat sich die Einstellung verändert." Der TSV Hagen Unified, zu Beginn noch oft Tabellenletzter, wurde für die Konkurrenz zu einem ganz gewöhnlichen Gegner. Trainer Schmunz, 66, hat seitdem miterlebt, wie Freundschaften zwischen Sportlern mit und ohne Behinderung entstanden, und wie seine früheren Schüler an Selbstbewusstsein gewannen. Er ist niemand, der das Konzept der Teilhabe romantisiert, für die Umsetzung in der Schule brauche es vor allem mehr Geld. Aber er sagt: "Kunst, Sport und Musik, da kann man Inklusion gut durchsetzen." Der deutsche Special-Olympics-Verband SOD, seit vergangenem Jahr anerkannter Spitzenverband im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), nennt Unified Sports "ein wirkungsvolles Praxisbeispiel". Es gibt auch eine deutsche Basketballmannschaft bei den Special Olympics, die allein aus Spielern mit geistiger Behinderung besteht, es ist ein Team aus Amberg. Die Unified-Mannschaft setzt sich aus zwei Teams zusammen, dem aus Hagen und einem aus Essen, in dem auch Dominik Markuszewski spielt und trainiert. Schmunz ist in Abu Dhabi der Chefcoach. Es spielen immer jeweils zwei Partner, also Spieler ohne Behinderung, und drei Athleten, also Spieler mit Behinderung. Nun ist das Team einerseits ein Positivbeispiel - andererseits zeigt es die Herausforderungen in Deutschland auf. In NRW, sagt Partner Hübner, wisse er nur von den Basketballteams aus Essen und Hagen, die Menschen mit und ohne Behinderung zusammenbringen. SOD-Geschäftsführer Albrecht sagt: "Es gibt tolle Modelle, aber von einem flächendeckenden Angebot sind wir weit entfernt." In Deutschland existiere noch immer viel Unkenntnis zum Thema. Von rund einer halben Million Menschen mit geistiger Behinderung treiben laut SOD nur rund 40 000 organisiert Sport, viele in speziellen Einrichtungen, eher wenige in Vereinen. Erst drei Landessportbünde - Thüringen, Sachsen-Anhalt und Saarland - haben laut Albrecht die entsprechenden Special-Olympics-Landesverbände als Fachverbände anerkannt. In Abu Dhabi sind die deutschen Sportler dennoch als Botschafter unterwegs, so formuliert es Albrecht. Er war zunächst skeptisch über die Wahl des Ausrichters. "Geistige Behinderung ist in den Vereinigten Arabischen Emiraten bis zur Vergabe der Spiele weitestgehend ein Tabuthema gewesen", sagt er. Trainer Schmunz berichtet am Telefon von viel Herzlichkeit, aber auch von Naivität: Während der Eingewöhnungstage in Schardscha nördlich von Dubai seien die Athleten zum Teil wie Kinder behandelt worden, es wurde zur Unterhaltung Topfschlagen angeboten. Albrecht sagt: "Wir wollen zeigen, wie selbstverständlich die Athleten für sich selbst sprechen, selbstbewusst und selbstbestimmt." Die nächsten Sommerspiele der Special Olympics finden 2023 in Berlin statt. Es geht also nicht vorrangig um Medaillen. Stefan Hübner, der weiter auch in der Landesliga spielt, sagt, er sei beeindruckt von der Fairness bei den Special Olympics. Aber natürlich will er gewinnen. Er sagt: "Das ist auch etwas, das uns verbindet." Dominik Markuszewski sagt es so: "Man muss Vollgas geben. Dann schafft man das schon irgendwie."
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Auch wenn die Entwicklerszene vielen fremd erscheint: Als Programmierer muss man nicht geboren werden. Mit Online-Kursen kann man sich Programmiersprachen selbst beibringen. Wo kann man Programmieren lernen? Welche Sprache ist die wichtigste? Und brauchen Programmierer Mathe? Die wichtigsten Fragen und Antworten. Die Digitalbranche sucht Quereinsteiger. Doch die Aversionen sind groß. Muss man als Computerexperte nicht sozialisiert sein? Fragen und Antworten im Überblick: Für wen eignet sich der Quereinstieg oder eine Weiterbildung in einem IT-Beruf? Für jeden Interessierten, der noch ein paar Berufsjahre vor sich hat. Um programmieren zu lernen, braucht man vor allem Motivation, sagt der selbständige Entwickler Karim Geiger, der auch Lehrvideos dreht: "Am Anfang muss man sich durchbeißen, da braucht man Frustrationstoleranz." Welche Qualifikationen sind nötig, um einen Job zu finden? Informatiker, Ingenieure, Elektrotechniker, Mathematiker und Physiker sind begehrt. Notwendig seien solche Abschlüsse für den Einstieg in die Branche aber nicht, sagt Kaya Taner, Gründer der Entwicklerjobbörse Honeypot: "Bei uns finden auch Menschen einen IT-Job, die sich alles selbst beigebracht haben oder bisher nur Erfahrungen in Freizeit- oder Studentenprojekten gesammelt haben." Auf Entwicklerplattformen wie GitHub können Nutzer an Projekten Anderer mitarbeiten. Wie viel technisches Grundverständnis ist zum Programmieren nötig? "Der Computer ist ein Volltrottel, der kann nicht interpretieren, der macht immer nur genau das, was Sie befehlen", sagt Karim Geiger. Dieses Prinzip müssten Entwickler verstehen: "Menschen schließen aus dem Kontext, der Computer braucht exakte Anweisungen, das klingt banal, aber ist gar nicht so leicht zu verinnerlichen." Brauchen Programmierer Mathe? Angst vor Mathe sei kein Grund, vor dem Programmieren zurückzuschrecken, sagt Entwickler Geiger: "Für App- oder Web-Entwicklung werden nur grundlegende Mathematik-Kenntnisse benötigt", in anderen Bereichen, etwa Machine Learning, seien tiefere Mathekenntnisse aber erforderlich. Wo kann man Programmieren lernen? Kurse gibt es zuhauf, unter den Anbietern sind namhafte Institute und private Hochschulen, die den Teilnehmern auch Betreuer an die Seite stellen. Weil es keine Qualitätschecks gibt, rät Digital-Personalexpertin Martina Weiner, sich mit ehemaligen Teilnehmern auszutauschen. Karim Geiger empfiehlt die kostenlosen Angebote von Codecademy und Sololearn. Mit welcher Sprache sollte ich anfangen? Das ist eigentlich nicht so wichtig, beherrscht man die erste Sprache, lernt man die zweite schnell. Weit verbreitet und gesucht sind Javascript und Python. Wie viel Zeit muss man investieren? "Bis man sein erstes Programm schreiben kann, kann es ein halbes oder zwei Jahre dauern", sagt Geiger - je nach Lerngeschwindigkeit und Zeit zum nebenberuflichen Üben. Anbieter sogenannter Bootcamps werben damit, Teilnehmern in zwölf Wochen Programmieren beizubringen und in den Beruf zu verhelfen. In den USA hat sich das etabliert. Nach Kaya Taners Erfahrungen reicht den meisten Firmen in Deutschland ein solcher Programmabschluss allein aber noch nicht aus. Gefragt seien vorzeigbare Projekte und damit Erfahrung. "Die Absolventen starten häufig mit einem Praktikum in einen Programmierjob, teils aber auch schon direkt in eine höhere Anstellung" - abhängig auch davon, was der Einzelne daraus mitnimmt. Was verdienen Entwickler? Auf Plattformen wie Honeypot lässt sich die Gehaltsentwicklung beobachten: Entwickler mit maximal zwei Jahren Erfahrung können in Deutschland demnach im Schnitt mit einem Jahresgehalt von 44 700 Euro rechnen.
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Eigentlich sind für das Treffen zwei Stunden vorgesehen. Am Ende dauert es aber gerade mal 45 Minuten, bis die Parteien feststellten, dass es wenig Sinn hat. Am Donnerstag haben sich Unterhändler des Europäischen Parlaments und der Mitgliedstaaten bereits zum dritten Mal getroffen, um darüber zu verhandeln, wer nun Chef der neu zu schaffenden Europäischen Staatsanwaltschaft werden soll: Die Rumänin Laura Kövesi, die sich als Korruptionsstaatsanwältin in ihrer Heimat Feinde gemacht hat, die so mächtig sind, dass sie ihr zwischenzeitlich sogar die Ausreise untersagten? Oder der Franzose Jean-François Bohnert, ein altgedienter Staatsanwalt, mehrsprachig und mit viel Erfahrung im Aufbau solcher Behörden? Das Parlament will Kövesi, der Rat der Mitgliedstaaten will lieber Bohnert, und das Problem ist: Halbe-Halbe ist keine Option. Ein bereits anberaumtes, viertes Treffen für die kommende Woche haben die Verhandler nun abgesagt - zum einen wegen einer Terminkollision mit dem anstehenden Brexit-Sondergipfel. Aber auch, weil die Vertreter des Parlaments nicht wissen, wozu solch ein Treffen noch gut sein sollte. "Wenn der Rat auf dem Franzosen beharrt, dann wird es so aussehen, als sei die EU erpressbar", sagt etwa Judith Sargentini (Grüne), die für das EU-Parlament an den Verhandlungen teilnimmt. Die rumänische Regierung hatte von Anfang an versucht, Kövesi zu diskreditieren. In der vergangenen Woche hatte sich die Situation aber noch einmal zugespitzt: Eine Spezialeinheit der rumänischen Staatsanwaltschaft hatte Kövesi unter Polizeiaufsicht gestellt und ihr verboten, das Land zu verlassen. Erst nach scharfer internationaler Kritik an dem Vorgehen, auch durch die EU-Kommission, hob das Oberste Gericht die Ausreisesperre wieder auf. "Wir können nicht akzeptieren, dass der Rat dem Druck der rumänischen Regierung nachgibt, um einen deutlich schwächeren Kandidaten zu unterstützen", sagt auch Ingeborg Gräßle (CDU), die als Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses ebenfalls zum Verhandlungsteam des Parlaments gehört. "Wenn der Franzose ein Ehrenmann ist, zieht er seine Bewerbung zurück." Außerdem sei Laura Kövesi die "mit Abstand am besten geeignete Kandidatin". Das hatte nicht nur das EU-Parlament so gesehen, sondern auch das für diese Aufgabe eingesetzte Berufungskomitee. Der Rat der Mitgliedstaaten entschied sich trotz dieser ausdrücklichen Empfehlung für den Franzosen Bohnert. Dass Rumänien gerade die Präsidentschaft im Rat der Regierungschefs innehat, macht die Sache nicht leichter - auch wenn die Verhandlungen auf Seiten des Rates von drei Ländern geführt werden, die selbst keine Kandidaten im Rennen hatten: Portugal, Kroatien und Finnland. Bei dem Streit um die Besetzung des "Eppo", wie der "European Public Prosecutor" in Brüssel kurz genannt wird, dürfte es aber noch um mehr gehen als nur um die jeweiligen Vorzüge (oder behaupteten Nachteile) der Kandidatin und des Kandidaten. Ganz grundsätzlich steht die Frage im Raum, was für eine Staatsanwaltschaft die Behörde werden soll. Der Eppo soll Straftaten zulasten des EU-Haushalts aufklären, etwa Betrug oder Korruption mit EU-Mitteln. Sehr gut möglich also, dass auch Beamte und Minister aus den Mitgliedstaaten ins Visier des Eppo geraten könnten. Was für ein Art von Ermittler möchte man für diese Aufgabe haben: Kövesi wird von Boulevardmedien gerne als furchtlose "Korruptionsjägerin" betitelt - eine Bezeichnung, die man mit Bohnert eher nicht in Verbindung bringen würde. Der Franzose würde im Kreis der Regierungschefs als einer der ihren durchgehen. Das wiederum würde Kövesi vermutlich nicht gelingen. Soll der Eppo eher Diplomat oder eher Kommissar sein? Um diese Stilfrage geht es im Kern. Dass bis jetzt nur wenige EU-Spitzenämter von Frauen bekleidet werden, gilt in der Debatte als weiteres Element. Der einzige Kompromiss, der denkbar erscheint, wäre, den einen zum Chef und den anderen zum Stellvertreter zu machen - wobei absehbar ist, dass Rumänien Kövesi auch dann weiter attackieren würde. Eigentlich soll der Eppo Ende 2020 seinen Betrieb aufnehmen, aber dafür müssten sich die Institutionen erst einmal einig werden. Am Freitag wollten die EU-Botschafter erneut über die Sache beraten.
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Die Debatte um den Brexit heizt alte Feindschaften und alte Hoffnungen wieder an. Der Tod einer jungen Frau, zu dem sich nun eine Nachfolgeorganisation der IRA auf zynische Art und Weise bekennt, zeigt: Die Lage in Nordirland ist höchst explosiv. Die sogenannte New IRA bekennt sich zur Tötung einer Journalistin in Derry, aber dann - auch wieder nicht. Das Bekennerschreiben ist an Zynismus nicht zu überbieten, weil es im Kern sagt: Es tut uns leid, dass Lyra McKee im Weg war; Schüsse auf die Polizei sind legitim, es wurde eben nur die Falsche getroffen. Was die Menschen in Nordirland schon lange wissen, wollen viele Politiker in London nicht wahrhaben: Der Frieden ist mehr als brüchig, die alten Gräben sind nur notdürftig zugeschüttet. Alle paar Wochen gibt es Anschläge, immer wieder auch Tote - in den letzten Jahren hat die Gewalt in der Nordhälfte der irischen Insel stetig zugenommen. Daran ist nicht allein die Brexit-Debatte schuld; die alten Ideologen und die neuen Terroristen brauchen den EU-Austritt nicht als Anlass, um weiter zu töten. Aber die Debatte heizt alte Feindschaften und alte Hoffnungen an. Die einen setzen darauf, die Wiedervereinigung Irlands mit politischen Mitteln zu erreichen, andere verlegen sich erneut auf den bewaffneten Kampf. Nach einem Besuch der Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in Nordirland sagten ihr radikale Brexiteers in London, die Gefahr einer harten Grenze und neuer Gewalt sei nur "erfunden und aufgebauscht". Nichts könnte falscher sein.
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Der Präsident von Paris Saint-Germain soll ins Uefa-Exekutivkomitee aufrücken, das höchste Gremium des europäischen Fußballs. Angesichts seines sonstigen Tuns wirkt das wie ein Scherz. Wenn alles so läuft wie geplant, dann bekommt Nasser al-Khelaifi, 45, am Donnerstag einen neuen Posten. Beim Kongress von Europas Fußball-Union (Uefa) in Rom soll der katarische Geschäftsmann ins Exekutivkomitee des Verbandes aufrücken, das höchste Gremium des europäischen Fußballs. Und das mutet angesichts seines sonstigen Wirkens in der Welt des Fußballs wie ein ziemlich missratener Scherz an. In einem seiner vielen anderen Jobs ist al-Khelaifi nämlich Präsident des französischen Meisters Paris Saint-Germain, also eines Klubs, bei dem die Uefa wegen Verstößen gegen das sogenannte Financial Fairplay genau hinschauen muss; und passenderweise ist er zugleich der Chef des katarischen Staatsfonds QSI, der so viele Millionen in den Pariser Klub steckt, mit denen die irren Transferausgaben für Neymar & Co. kompensiert werden. Auch dem Fernsehsender BeIn Sports, der insbesondere im arabischen Raum die Rechte an den Spielen von Uefa-Klubwettbewerben hält, steht er vor. Zugleich repräsentiert al-Khelaifi Katar, den so umstrittenen nächsten WM-Gastgeber mit all seinen Problemfeldern vom Korruptionsverdacht bis zur Missachtung der Menschenrechte. Und außerdem interessiert sich die Bundesanwaltschaft in Bern für sein Tun: Sie geht dem Verdacht nach, dass der frühere Generalsekretär des Weltverbandes Fifa, Jérôme Valcke, bei der Rechte-Vergabe für die WM-Turniere 2026 und 2030 an den BeIn-Sender bestochen worden sei - wobei al-Khelaifi Fehlverhalten von sich weist. Es gibt also zahlreiche absehbare Interessenskonflikte und genügend Gründe gegen eine Aufnahme in den 20-köpfigen Vorstand um Uefa-Präsident Aleksander Ceferin. Aber diese scheren offenkundig kaum jemanden. Die mächtige Klubvereinigung ECA, in der von Paris SG über Real Madrid bis zum FC Bayern die besten Vereine des Kontinentes organisiert sind, nominierte al-Khelaifi für einen der beiden Posten in der Exekutive, die ihr gemäß Satzung zustehen. Und nahezu alle restlichen Beteiligten scheinen bereit zu sein, dieses Ansinnen ohne größere Diskussionen zu schlucken. Vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) etwa kommen nur ausweichende Bemerkungen. Präsident Reinhard Grindel, der in Rom selbst wieder als europäischer Vertreter in den Fifa-Vorstand entsandt werden will, verweist darauf, dass der ECA nun mal zwei Posten zustünden - und kommentiert den Vorgang so: "Mit der Funktion im Exekutivkomitee wird al-Khelaifi noch stärker in das Regelwerk der Uefa eingebunden sein. Damit steigt auch seine Verantwortung, sich generell und natürlich besonders in seinem Verein für die Einhaltung des Financial Fair Play einzusetzen." Ganz nach dem Motto: Der Fuchs muss nur lange genug in den Hühnerstall dürfen, dann wachsen ihm Federn und er fängt an, Eier zu legen. Ja, es wäre sehr ungewöhnlich, einen Kandidaten der ECA für die Uefa-Exekutive abzulehnen. Und natürlich hätte ein Nein zu solch einem mächtigen Akteur auch sportpolitische Konsequenzen. Aber wer sich gerne und zu Recht als harter Kritiker von Fifa-Chef Gianni Infantino präsentiert, der sollte sich auch bei der Personalie Nasser al-Khelaifi entsprechend positionieren.
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Paris und Berlin wollen das "Recht des Stärkeren" nicht als internationale Umgangsform akzeptieren. Sie werben für ein globales Netzwerk Gleichgesinnter. Nato-Minister beraten über Rüstungskontrolle. Angesichts der weltweiten Bestrebungen, in der internationalen Politik weniger auf Regeln als auf das "Recht des Stärkeren" zu setzen, wollen Deutschland und Frankreich als "Vorreiter" die regelbasierte Ordnung verteidigen. Gleichgesinnte Staaten müssten "ihren Einsatz für den Multilateralismus verdoppeln", schreiben die Außenminister Heiko Maas (SPD) und Jean-Yves Le Drian in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung anlässlich der 55. Münchner Sicherheitskonferenz. Es sei falsch zu denken, dass sich "globale Probleme wie Klimawandel, Migration und Cybersicherheit" innerhalb nationaler Grenzen in den Griff bekommen ließen, argumentieren die Minister. Sie wollen ein globales "Netzwerk von Gleichgesinnten knüpfen", die keinen Widerspruch zwischen der "Verfolgung legitimer, nationaler Interessen" und dem "Schutz kollektiver Güter der Menschheit" sehen. Als Ziele nennen Maas und Le Drian neben dem Erhalt eines freien und fairen Welthandels die Bewahrung des Nuklear-Abkommens mit Iran und der Vereinbarungen zum Klimaschutz, welche von US-Präsident Donald Trump in den vergangenen zwei Jahren aufgekündigt wurden. Das ebenfalls von beiden erwähnte Rüstungskontrollregime ist durch den Bruch des INF-Vertrags zum Verbot von Mittelstreckenwaffen durch Russland in Gefahr. Die Verteidigungsminister der 29 Nato-Staaten berieten am Mittwoch in Brüssel über eine angemessene Reaktion, wenn das Abkommen im Frühsommer auslaufen sollte. Dies wäre der Fall, wenn Moskau seine Marschflugkörper vom Typ 9M729 nicht verschrottet. "Russland weiß, was es zu tun hat", sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg nach der ersten Sitzung. Die Nato hat laut Stoltenberg derzeit nicht die Absicht, neue atomare landgestützte Mittelstreckenraketen zu stationieren; zu see- oder luftgestützten Waffensystemen machte er allerdings keine Aussagen. Zuvor hatte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen eine atomare Nachrüstung in Europa als Antwort auf das Ende des INF-Vertrages nicht vollständig ausgeschlossen. "Gerade weil wir am Anfang der Diskussion stehen, ist es eben wichtig, dass wir jetzt nicht anfangen, zu hierarchisieren oder einzelne Punkte rausnehmen, sondern wirklich die ganze Palette mit auf dem Tisch liegen lassen", sagte sie. Der britische Verteidigungsminister Gavin Williamson, mit dem die CDU-Politikerin am Freitag die Sicherheitskonferenz eröffnen will, plädierte ebenfalls dafür, sich im Falle eines russischen Nichteinlenkens "alle Optionen" offenzuhalten. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte fordert in der SZ "weniger Naivität und mehr Realismus", wenn die EU auf der Weltbühne relevant bleiben wolle. Rutte plädiert dafür, "dringend" zu erwägen, in der Frage von Sanktionen auf Einstimmigkeit zu verzichten. In Bezug auf den Machtkampf in Venezuela kommt Europa wegen der Blockade Italiens nicht voran. "Das führt dazu, dass wir als EU weniger Einfluss nehmen können, als möglich wäre", beklagt Rutte, der nach Bundeskanzlerin Angela Merkel der erfahrenste Regierungschef der EU ist.
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Mit knappem Vorsprung hat Marcel Schrötter in der Motorrad-Weltmeisterschaft mit dem zweiten Podiumsplatz seiner Karriere für einen gelungenen Saisonstart gesorgt. Beim Auftakt in Katar schob sich 26-Jährige aus Vilgertshofen im Moto2-Rennen erst kurz vor der Ziellinie auf den dritten Platz vor, der Australier Remy Gardner war nur zwei Tausendstelsekunden langsamer. "Es ist eine gute Sache, dass ich das Podium noch geholt habe", sagte Schrötter.Einen Tag nach seiner ersten Fahrt auf die Pole Position musste sich der Oberbayer trotz perfekter Ausgangsposition dem Italiener Lorenzo Baldassarri und seinem Schweizer Teamkollegen Tom Lüthi geschlagen geben. "Es ist ein super Ergebnis für das Team, ich bin aber trotzdem ein bisschen enttäuscht, weil ich das ganze Wochenende über stark war", sagte er. Schrötter hatte im Vorjahr in San Marino als Dritter erstmals auf dem Podium gestanden. Entsprechend gut war die Laune beim deutschen Rennstall IntactGP. "Besser geht's nicht. Wir sind total happy", sagte Teamteilhaber Stefan Keckeisen bei ServusTV. Der aus der Moto3 aufgestiegene Philipp Öttl, 22, aus dem oberbayerischen Ainring musste sich bei seiner Premiere in der mittleren Klasse mit dem 23. Platz begnügen. Die beiden weiteren Rennen, der Lauf der Moto3 und der Grand Prix, fanden ohne deutsche Fahrerbeteiligung statt. In der Moto3 aber bescherte der Spanier Aron Canet dem deutschen Teammanager Peter Öttl einen Podiumsplatz. Canet, 19, wurde Dritter hinter dem Japaner Kaito Toba und dem Italiener Lorenzo Dalla Porta. Der 53 Jahre alte frühere Rennfahrer Öttl, Vater von Philipp Öttl, hatte zur laufenden Saison mit dem sechsmaligen Weltmeister Max Biaggi aus Italien das Max Racing Team gegründet. Gleich beim ersten Lauf feierte das neue Duo somit einen großen Erfolg. Das zweite Rennen findet am 31. März in Argentinien statt.
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Zuletzt sah es sehr danach aus, als hätten die drei großen Fluggesellschaften vom Persischen Golf ihre besten Zeiten hinter sich. Das frühere Geschäftsmodell von Etihad Airways (Abu Dhabi) inklusive Beteiligungen an Air Berlin und Alitalia ist implodiert, die Airline ist auf dem Rückzug und hat milliardenschwere Aufträge bei Boeing und Airbus storniert. Emirates (Dubai) hat das Wachstum zurückgefahren und im Februar einen Auftrag für den Airbus A380 annulliert - Airbus muss nun das Programm einstellen. Die dritte große Fluggesellschaft der Region, Qatar Airways, hingegen ändert trotz widriger Umstände die Strategie nicht und wächst mit Unterstützung der Herrscherfamilie Al Thani weiter. Für Lufthansa könnte das in den nächsten Jahren unangenehme Folgen haben, denn ein neues Luftverkehrsabkommen mit Katar schafft der Fluggesellschaft bald neue Wachstumsmöglichkeiten. Anfang dieser Woche hatten die Europäische Kommission und Katar dem Abkommen zugestimmt, es muss noch unterschrieben und ratifiziert werden. Deutschland schränkt bislang wie Frankreich, Italien, Belgien und die Niederlande die Flüge der Katarer stark ein, doch bis 2024 sollen die Restriktionen komplett fallen. Im Gegenzug garantieren beide Seiten, soziale Mindeststandards und Regeln des fairen Wettbewerbs einzuhalten. "Wir bekommen sofort Zugang zu mehr Sekundärzielen", sagte Qatar-Airways-Chef Akbar Al Baker auf der Tourismusmesse ITB in Berlin. Aber auch auf den Rennstrecken stockt er auf: Nach Frankfurt will er künftig einen Airbus A380 schicken. Qatar Airways operiert allerdings dennoch in schwieriger Lage. Die Blockade des Landes durch mehrere Nachbarn hat 2017 dafür gesorgt, dass die Airline über Nacht 18 Ziele überhaupt nicht mehr anfliegen konnte und wegen gesperrter Lufträume große Umwege zu anderen Zielen fliegen muss. Seitdem dauert der Flug nach São Paulo rund eindreiviertel Stunden länger als üblich. "Wir leiden", gibt Al Baker zu. Im Geschäftsjahr 2018 hat die Airline nach eigenen Angaben einen Verlust von 60 Millionen Euro gemacht. Im aktuellen Finanzjahr, das am 31. März endet, "werden wir wieder Geld verlieren", so der Konzernchef. Dafür verantwortlich seien die höheren operativen Kosten, der gestiegene Ölpreis und der teurere US-Dollar, an den der katarische Rial weitgehend gekoppelt ist. Qatar Airways ist mit 20 Prozent der größte Einzelaktionär bei der British-Airways-Muttergesellschaft International Airlines Group (IAG) und hält Anteile an Cathay Pacific, China Southern, Latam Airlines und Air Italy. Damit ist die Gruppe ein mächtiger Faktor in der Luftfahrt. Qatar ist derzeit auch einer der größten Abnehmer von Boeing- und Airbus-Langstreckenflugzeugen. Die Airline betreibt zehn A380, diese werden "auf absehbare Zeit weiterbetrieben". Allerdings seien die Betriebskosten sehr hoch, daher seien die Maschinen nur auf wenigen Strecken mit hohen Ticketpreisen rentabel. Die Fluggesellschaft hatte im vergangenen Jahr 24 neue Ziele eingeführt, in diesem Jahr sollen 14 weitere folgen. Schnelleres Wachstum sei zur Zeit nicht möglich, weil Airbus und Boeing zusätzliche Flugzeuge nicht schnell genug lieferten, heißt es.
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Ein Tor ohne Gegenwehr hat Sheffield United den Aufstieg in die Premier League gesichert. Beim 1:1 (0:0) zwischen Verfolger Leeds United und Aston Villa gab Leeds-Teammanager Marcelo Bielsa die Anweisung, einen Treffer zuzulassen. Zuvor hatte seine Mannschaft ein Tor erzielt, obwohl Villa-Profi Jonathan Kodjia verletzt am Boden lag. Damit liegt Leeds einen Spieltag vor Saisonende fünf Punkte hinter Sheffield auf Platz drei. In der 72. Minute deutete Leeds kurz an, den Ball ins Aus zu spielen. Die Villa-Profis verteidigten daraufhin nur noch halbherzig und Mateusz Klich traf zur Führung. Es entwickelte sich ein Tumult, Villa-Assistenztrainer John Terry stellte Bielsa zur Rede. Anwar El Ghazi von Aston Villa wurde in der Folge vom Platz gestellt (75.), und Albert Adomah (77.) traf ohne Bedrängnis ins leere Tor. Die beiden Klubs könnten im Play-off-Finale um den letzten Aufstiegsplatz in die höchste Fußball-Liga in Großbritannien erneut aufeinandertreffen. Aston Villa spielt zuerst gegen West Bromwich, Leeds muss entweder gegen Derby County, Middlesbrough oder Bristol City bestehen. Sheffield hatte bereits am Samstag nach einem 2:0 gegen Tabellenschlusslicht Ipswich Town mit einem Bein in der Premier League gestanden. Aufgrund der viel besseren Tordifferenz war der Sprung in die höchste Spielklasse bereits so gut wie sicher. Titelverteidiger Manchester City gibt sich im Meisterschaftsendspurt der englischen Premier League weiter keine Blöße. Das Fußball-Starensemble von Trainer Pep Guardiola setzte sich am Sonntag mit 1:0 (0:0) beim FC Burnley durch und bleibt damit zwei Spieltage vor dem Saisonende Spitzenreiter. Der Vorsprung auf den Konkurrenten FC Liverpool beträgt nur einen Punkt. Der Argentinier Sergio Agüero traf in der 63. Minute für die Citizens, die trotz spielerischer Überlegenheit mitunter Mühe gegen die hochmotivierten Gastgeber hatten und in der Nachspielzeit sogar um den Sieg zittern mussten. Burnley hat mit neun Punkten Vorsprung auf Platz 18 keine Abstiegssorgen mehr. Norwich City steigt in die Premier League auf Fußballtrainer Daniel Farke hat mit Norwich City die Überraschung geschafft und ist in die Premier League aufgestiegen. Der Verein aus der zweitklassigen Championship gewann am Samstagabend sein Heimspiel gegen die Blackburn Rovers mit 2:1 (2:1) und übernahm damit sogar die Tabellenführung. Mit nunmehr 91 Punkten ist Norwich am 46. und letzten Spieltag nicht mehr von einem der zwei Aufstiegsplätze zu verdrängen. Der 42 Jahre alte deutsche Fußballtrainer Farke, der vorher den SV Lippstadt und Borussia Dortmund II betreute, ist der Architekt des Erfolgs. Er hatte den Zweitligisten vor zwei Jahren übernommen. Für die besonders umjubelten Treffer an der Carrow Road sorgten der ehemalige Dortmunder Bundesliga-Profi Marco Stiepermann (13. Minute) und Mario Vrancic (21.) schon vor der Pause. Lewis Travis traf für die Rovers (23.). Hasenhüttl jubelt, Tottenham verliert Der frühere Bundesliga-Trainer Ralph Hasenhüttl hat den englischen Fußballklub FC Southampton endgültig vor dem Abstieg gerettet. Ein 3:3 reichte dem Premier-League-Verein am Samstag gegen den AFC Bournemouth, um auch in der kommenden Saison erstklassig zu spielen. Southampton hat als Tabellen-16. jetzt 38 Punkte auf dem Konto und kann nicht mehr von einem Nichtabstiegsplatz verdrängt werden. Cardiff City (31) verlor 0:1 in Fulham und kann das Hasenhüttl-Team an den letzten zwei Spieltagen nicht mehr einholen. "Wir sind jetzt sehr glücklich - wir haben es verdient", sagte Hasenhüttl. Der ehemalige Trainer von RB Leipzig hatte Southampton Anfang Dezember auf Rang 18 von Mark Hughes übernommen. In bisher 21 Ligaspielen unter seiner Regie gab es acht Siege und acht Niederlagen. Das 3:3 gegen Bournemouth war das fünfte Remis. Tottenham Hotspur hat dagegen das Londoner Derby gegen West Ham United verloren und die Generalprobe für das Champions-League-Halbfinale gegen Ajax Amsterdam am Dienstag verpatzt. Das Team von Mauricio Pochettino unterlag 0:1 (0:0) und verpasste es damit auch, den dritten Tabellenplatz zu festigen. Michail Antonio (67.) sorgte mit seinem Treffer nicht nur für das erste Gegentor der Gastgeber, sondern auch für die erste Tottenham-Niederlage im neuen Stadion. Tottenham liegt mit 70 Punkten weiterhin auf Platz drei, dahinter folgen der FC Chelsea (67) und der FC Arsenal (66). Der FC Barcelona hat derweil zum 26. Mal die spanische Meisterschaft gewonnen. Das Team des deutschen Nationaltorhüters Marc-Andre ter Stegen besiegte am viertletzten Spieltag der Primera Division das abstiegsbedrohte UD Levante mit 1:0 (0:0) und ist nicht mehr von der Tabellenspitze zu verdrängen. Der fünfmalige Weltfußballer Lionel Messi (62.) traf mit seinem 34. Saisontor entscheidend im Camp Nou. Barças Vorsprung auf Verfolger Atlético Madrid, der zuvor 1:0 (0:0) gegen Real Valladolid gewonnen hatte, beträgt bei drei ausstehenden Spieltagen neun Zähler. Die Katalanen haben allerdings gegen Atlético den direkten Vergleich gewonnen, der in Spanien bei Punktgleichheit entscheidet. Für Barcelona ist es die achte Meisterschaft in den letzten elf Jahren. Barcelona darf damit weiter vom dritten Triple nach 2009 und 2015 träumen. Am 25. Mai trifft die Mannschaft von Trainer Ernesto Valverde im Finale des Königspokals auf den FC Valencia. Im Halbfinale der Champions League bekommen es die Katalanen am 1. und 7. Mai mit dem von Jürgen Klopp trainierten FC Liverpool zu tun. Ronaldo trifft im Spitzenspiel Italiens Fußballmeister Juventus Turin hat im Spitzenspiel bei Inter Mailand trotz eines Treffers von Cristiano Ronaldo den 29. Saisonsieg verpasst. Nach dem achten Titel in Serie kam die Mannschaft des portugiesischen Superstars am Samstagabend nicht über ein 1:1 (0:1) gegen Inter hinaus. Der Belgier Radja Nainggolan hatte die Gastgeber in der 7. Minute in Führung gebracht, Ronaldo sicherte dem 35-maligen italienischen Meister noch das Remis (62.). Laut Juve-Twitter war es Ronaldos 600. Treffer auf Clubebene: für Sporting Lissabon, Manchester United, Real Madrid und Turin. Durch den Punktgewinn festigte Inter Mailand (62) Platz drei in der Serie A, der zur Teilnahme an der Champions League berechtigt.
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Der Sportpark in Unterhaching ist zurzeit nur eine matschige Baustelle, der pittoreske Teich momentan eine braune, leere Grube. Wer von der S-Bahn zum Stadion des Fußball-Drittligisten von der Spielvereinigung gehen will, muss an einem Absperrzaun entlang und einen steilen Hügel hinauf, von dem aus man eine gute Aussicht auf die Bagger hat, die am Wochenende still stehen. Im Stadion dann sieht der dargebotene Fußball zurzeit ein bisschen so aus wie der Park drumherum: Er war mal ziemlich schön, das wird er bestimmt bald auch wieder. Aber zurzeit sieht es halt nach Baustelle aus. Immerhin, sie arbeiten ja daran. Denn "da haben wir uns schwergetan" ist ein Satz, den schon viele Trainer gesagt haben, wenn sie in Unterhaching zu Gast waren. Auch Christian Neidhart vom SV Meppen sagte das am Samstagnachmittag. Er führte dann aber eine Begründung an, die man so bisher noch nicht gehört hatte: "Unterhaching hat immer lange Bälle auf die letzte Kette gespielt", um dann den Abprallern hinterherzujagen. Jene Mannschaft, die zuvor immer wieder für ihre spielerischen Qualitäten gelobt worden war, packte diesmal im Heimspiel die sogenannte Brechstange aus. Es sollte nicht helfen: Haching verlor nach einem Gegentor in der vierten Spielminute 0:1, weil der SpVgg vor allem gegen Ende die Ideen fehlten, um die langen Bälle effektiv zu verarbeiten. Detailansicht öffnen Flugeinlage gegen Meppen: Unterhachings wirkungsloser Stürmer Stefan Schimmer verliert gegen SV-Verteidiger Marco Komenda die Bodenhaftung. (Foto: Sven Leifer/imago) Hernach beriefen sich die Hachinger vor allem auf die Leistung bis zur 36. Spielminute. "Wir kommen eigentlich richtig gut rein, wir haben viele Chancen rausgearbeitet, klare Dinger", sagte Max Dombrowka. Er hatte in jener 36. Minute auch den Ball erobert, dann aber zögerte der freigespielte Finn Porath vor dem Tor zu lange und wurde geblockt. Zuvor hatte Dominik Widemann aus zentraler Position den Ball über das Tor gejagt (6.). Zwischen diesen beiden Möglichkeiten schafften es die Gastgeber phasenweise, Druck aufzubauen. Trainer Claus Schromm sprach später davon, dass man im "letzten Drittel oft die falschen Entscheidungen" getroffen habe. Nach der 36. Minute allerdings gab es im letzten Drittel nur noch selten Entscheidungen zu treffen - weil die Hachinger schlichtweg kaum mehr dort anzutreffen waren. Spieler legten sich Bälle zu weit vor, Pässe landeten im Seitenaus, einmal sogar ein Torschuss des eingewechselten Thomas Hagn (74.). Schromm fand das vergleichsweise weniger schlimm: "Solche Dinge können passieren, wenn man das Spiel verlagern will", fand der Trainer. "Wir sind ein bisschen hektisch geworden, vielleicht auch bedingt durch den Rückstand", fand Dombrowka. Am Montag in Würzburg habe man endlich einmal wieder gewonnen (1:0), und nun habe man das Gefühl, "jetzt hast du einen Schritt nach vorne gemacht, du musst jetzt was holen." Sein Trainer sah das ähnlich: Man müsse auf dem Feld dazu kommen, sich zu denken: "Jetzt kommt der Ball. Und nicht: Jetzt muss er kommen." Detailansicht öffnen „Solche Dinge können passieren, wenn man das Spiel verlagern will“: Trainer Claus Schromm haderte mehr mit dem Zehenbruch seines Routiniers Dominik Stahl als mit der Niederlage. (Foto: Sven Leifer/imago) Trotz der mäßigen zweiten Halbzeit war das so weit zurückliegende Gegentor das, was Dombrowka immer noch am meisten nervte. "Wir nehmen uns immer vor, die Null zu halten, jetzt hat das wieder nicht geklappt. Ein ganz einfaches Tor, eine Flanke in die Mitte, wir sind einfach nicht am Mann beim Kopfball." Mit "wir" war in diesem Fall Markus Schwabl gemeint, der wegen zweier Sperren als Innenverteidiger aushelfen musste. Meppens Marcus Piossek stieg am Fünfmeterraum in Schwabls Rücken hoch und köpfelte perfekt ins linke Kreuzeck ein. Für die Hachinger, die sich erst kürzlich ein defensiveres Konzept verordnet hatten, kam das Gegentor doppelt ungünstig. Die für das kreative Spiel Zuständigen saßen entweder auf der Bank (Lucas Hufnagel) oder fehlten verletzt (Luca Marseiler), beziehungsweise erkrankt (Sascha Bigalke). Vor allem Bigalkes kurzfristigen Ausfall schien die sehr junge Mannschaft, die diesmal auf dem Platz stand, nicht kompensieren zu können. Trotzdem: "Wir hatten vier Ausfälle im Vergleich zum Montag, und ich finde, das wir das über weite Strecken gut gemacht haben", sagte SpVgg-Kapitän Dominik Stahl. Meppen habe sich außer beim Tor keine Chance erspielt. Da hatte er fast recht, eine besonders große hatten die Gäste allerdings noch vergeigt: In der Nachspielzeit, als Hachings Torwart Lukas Königshofer schon im gegnerischen Strafraum auf die langen Bälle wartete, liefen sie bei einem Drei-gegen-eins-Konter Richtung leeres Tor ins Abseits. Der ehemalige Sechziger Stahl merkte dann noch an, wie froh er sei, nicht die fünfte gelbe Karte gesehen zu haben. Denn am Dienstag steht das Derby gegen seinen ehemaligen Klub 1860 München an. Da wusste der 30-jährige Routinier allerdings noch nicht, dass er sich bei einem Foul gegen ihn in der 87. Minute den großen Zeh gebrochen hatte. "Das ist ein herber Verlust", sagte Schromm am Sonntag. Er wird auch im nächsten Spiel auf der wichtigen Position vor der Abwehr improvisieren müssen.
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Der Verfassungsschutz darf die AfD einer Gerichtsentscheidung zufolge nicht als "Prüffall" bezeichnen. Das Verwaltungsgericht Köln gab am Dienstag einem entsprechenden Eilantrag der Partei statt. Gegen den Beschluss kann Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster eingelegt werden. Die Klage der AfD richtete sich nicht dagegen, dass der Verfassungsschutz die AfD prüft, sondern dagegen, dass das Amt dies öffentlich gemacht hatte. Dies habe "einen stigmatisierenden Charakter", hatte ein Parteisprecher gesagt. Dieser Einschätzung stimmte das Verwaltungsgericht zu. Der Bezeichnung "Prüffall" komme in der Öffentlichkeit eine negative Wirkung zu, teilte das Gericht mit. Dieser Eingriff in die Rechte der AfD sei "rechtswidrig und auch unverhältnismäßig". Das Bundesverfassungsschutzgesetz enthalte für die Mitteilung, eine Partei werde als "Prüffall" bearbeitet, keine Rechtsgrundlage. Da das Bundesamt für Verfassungsschutz die Abgabe einer Unterlassungserklärung abgelehnt habe und sein Vorgehen für rechtmäßig halte, bestehe auch eine Wiederholungsgefahr. Dem Antrag sei daher bereits im Eilverfahren stattzugeben gewesen, weil in diesem Jahr noch Europawahlen und Landtagswahlen anstünden. Gegen den Beschluss des Verwaltungsgericht kann Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in Münster eingelegt werden. FDP: AfD bleibt "Prüffall für die Demokratie" Die AfD feierte die Entscheidung als Sieg auf ganzer Linie. Parteichef Jörg Meuthen erklärte: "Die Entscheidung belegt eindrucksvoll, dass das Vorgehen des Bundesamtes für Verfassungsschutz und insbesondere seines Präsidenten Haldenwang nicht im Einklang mit den Prinzipien des Rechtsstaates steht." Damit sei die "politisch motivierte Instrumentalisierung" des Verfassungsschutzes gegen die AfD vorerst gescheitert. Der FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser sagte: "Auch wenn der Verfassungsschutz sie nicht mehr so nennen darf: Die AfD bleibt ein Prüffall für die Demokratie." Eine Partei kann zum Prüffall werden, wenn die Behörden erste Anzeichen für extremistische Bestrebungen erkennen. Bei einem Prüffall ist eine Beobachtung mit V-Leuten oder anderen nachrichtendienstlichen Mitteln aber grundsätzlich nicht erlaubt. Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz Thomas Haldenwang hatte die Entscheidung am 15. Januar in einer Pressekonferenz öffentlich gemacht.
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Die "Strada" von 3T ist für Rennradler durch ihre neue Bauweise wahlweise eine Revolution oder auch eine Provokation. Aber wie fährt es sich damit? Vieles im Leben dreht sich darum, aus der Masse herauszustechen. Wer nicht beachtet wird, hat es schwer sich durchzusetzen oder einen Partner kennenzulernen. Das gilt auch in der Welt des Konsums: Produkte, die nicht auffallen, werden ignoriert. Angewandt auf das Rennrad "Strada" des italienischen Herstellers 3T bedeutet das: Es wird sicher nicht missachtet, es legt einen extravaganten optischen Auftritt hin - ein Knalleffekt auf zwei Rädern. Der Rahmen sieht allein mit dem geschwungenen Sitzrohr außergewöhnlich aus. Die Laufräder sind extrem nah an den Rahmen herangerückt, so dass zwischen Reifen und Karbonrohre kaum ein Blatt Papier passt. Die radikalste Entscheidung der Konstrukteure indes betrifft die Schaltung: Das Strada ist mit einer Einfach-Kurbel ausgestattet und verzichtet so auf einen Umwerfer, der normalerweise die Kette von einem Blatt aufs andere hebt. Für Rennradler gleicht das einer Revolution oder einer Provokation, zu der jeder sofort eine Meinung hat. Das Rad ist auf Aerodynamik getrimmt - also soll auch am Tretlager nur wenig bremsen Unter Marketinggesichtspunkten wirkt die reduzierte Schaltung also. Aber wie fährt es sich damit? Fehlen an Steigungen oder in Hochgeschwindigkeitspassagen nötige Übersetzungen? Das Strada-Modell "Pro" - mit einem Preis von 4200 Euro wenigstens 3300 Euro günstiger als die Top-Ausführung "Team" - ist mit einer Kurbel mit 44 Zähnen ausgestattet. Das Elffach-Ritzelpaket am Hinterrad hat ein Spektrum von elf am kleinsten bis 36 Zähnen am größten Zahnrad. Für lange Steigungen ist das eine halbwegs knackige Übersetzung, die aber nicht jenseits von Gut und Böse liegt. Kurze, giftige Anstiege in welligem Terrain lassen sich damit problemlos fahren. Wer für lange Alpentouren leichtere Gänge will, kann das Kettenblatt an der Kurbel tauschen und etwa eines mit 42 Zähnen montieren. Das erfordert Planung, raubt Flexibilität, ist aber für solche Fahrten ein praktikabler Kompromiss. Die am Strada Pro verbaute "Force"-Schaltgruppe vom Sram wechselt die Gänge zackig und präzise. Und es benötigt auch keine große Gewöhnung, dass der linke Bremshebel nicht schaltet. Allerdings bedarf es der Erklärung, denn die Rennradkumpels stellen im Angesicht der Einfach-Kurbel alle die gleiche Frage: Was bringt das denn? Besondere Gewichtseinsparung durch die reduzierte Mechanik stellt jedenfalls nicht den Nutzen des Konzeptes dar - das Rad wiegt laut Hersteller in Rahmengröße M exakt 8,4 Kilogramm. Das ist für ein Rennrad schon eher viel. Die Einfachkurbel ergibt sich aus einer anderen Anforderung, heißt es bei 3T: Aerodynamik. Der ganze Rahmen ist auf einen möglichst geringen Luftwiderstand getrimmt. Dazu habe man erstmals den Bereich am Tretlager berücksichtig. Denn schon ein Umwerfer bremse den Luftstrom dort wesentlich. Auch das Unterrohr ist unter Aerodynamik-Gesichtspunkten entworfen. In der unteren Hälfte wird es dicker, so dass sich auch der Luftwiderstand der Trinkflasche im Halter verringere. Ob Aero-Rennräder für den Hobbyfahrer sinnvoll sind? Darüber wird unter Rennradlern fröhlich gestritten. Es ist ja nicht wirklich zu beantworten, ob sich durch einen besonders geschmeidigen Luftzug die relevanten Prozentpunkte hinter dem Komma herauskitzeln lassen. Das Strada Pro fährt jedenfalls zügig und verleiht einem das höchst relevante Gefühl, auf einem schellen Rad unterwegs zu sein. Durch den kurzen Radstand ist das Modell sehr wendig, also ein winziges bisschen zappeliger als etwa Endurance-Modelle mit höherer Laufruhe. Bemerkenswert ist der Lenker, der ebenfalls von 3T stammt. Der aerodynamische Oberlenker ist geformt wie eine Schwertklinge. Nach vorne ist der Lenker ungewöhnlich lang: In der Griffposition an den Bremshebeln sitzt der Radler trotz des eher kurzen Rahmens in sportlich gestreckter Position. Das Strada ist nur mit Scheibenbremsen zu haben, an die sich die skeptische Rennradszene langsam gewöhnt. Ob auch die Einfach-Kurbel Freunde findet? Aufgefallen ist das Konzept jedenfalls.
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Die Kanzlerin hatte im SZ-Interview Differenzen mit dem französischen Präsidenten eingeräumt. Dieser reagiert direkt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat im Verhältnis zu Deutschland sein Konzept einer "fruchtbaren Konfrontation" verteidigt. "Wir müssen es schaffen, augenblickliche Meinungsunterschiede zu akzeptieren, nicht zu allem völlig einig zu sein (...)", sagte Macron am Mittwochabend in Paris. "Ich glaube an die fruchtbare Konfrontation, das heißt, man schlägt vor, man testet den Partner (...)". Letztlich komme man dann zu einem Kompromiss. Macrons Haltung ist nicht neu, der 41-Jährige hatte bereits Ende April Meinungsunterschiede zwischen Deutschland und Frankreich bei bestimmten Themen eingestanden. Als Beispiel hatte er den britischen EU-Austritt angeführt. Macron sprach die Klimainitiative an, die er und der niederländische Regierungschef Mark Rutte vor dem EU-Sondergipfel in der vergangenen Woche angestoßen hatten. "Wir haben es geschafft, dass sich neun (EU)-Mitgliedstaaten zusammenfinden." Vor zwei Tagen sei nun auch Deutschland zu der Gruppe gestoßen. Macron reagierte in der Pressekonferenz auf eine Frage zu dem Interview von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit der Süddeutschen Zeitung. Merkel beschwor ihr gutes Verhältnis zu Macron - trotz offensichtlicher Differenzen: "Es gibt Mentalitätsunterschiede zwischen uns sowie Unterschiede im Rollenverständnis." Trotzdem stimmten Deutschland und Frankreich "in den großen Linien natürlich" überein und fänden stets Kompromisse, sagte Merkel weiter.
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Wenige Tage nach einem Protestbrief von Europas Top-Klubs äußert sich Bayern-Boss Rummenigge plötzlich positiv zur neuen Klub-WM. Es geht in diesem Fußball-Wirtschaftskrieg längst um Machtfragen. Integrität, Glaubwürdigkeit: Solche Begriffe haben im Profifußball nichts zu suchen. Trotzdem fragt sich, wie lange es in sensiblen Zeiten zu goutieren ist, wenn Prinzipienlosigkeit offen als Basis der Geschäftspolitik gepflegt wird. Am Dienstag schickte Europas 232 Mitglieder starke Klubvereinigung ECA einen Brandbrief an Gianni Infantino. Sie rügte das undurchsichtige Gemauschel des Fifa-Potentaten und hielt eindeutig fest, sie werde an keiner neuen Klub-WM teilnehmen, die vor Ablauf des Match-Kalenders 2024 installiert wird. Tage später boxte Infantino sein Format gegen die Uefa durch, dank der üblichen Gefolgschaft aus Zwergstaaten von Guam bis Vanuatu, die kaum Spielbetriebe haben, aber vom üppigen Fifa-Fördergeld leben. Das war klar. Handeln der FC Bayern und Real Madrid im Einklang mit der ECA Erstaunlich ist, dass schon am Tag danach der ECA-Ehrenvorsitzende, Karl-Heinz Rummenigge, mit einem Plädoyer für eine neue Klub-WM das eigene Gremium hinterlief. Das entlarvt auch die Geschäftskultur dieser Branche - oder hat der Bayern-Chef vergessen zu erwähnen, dass er nur die Zeit nach 2024 meint? Alles spricht dafür, dass die ECA-Protestnote von Dienstag eine Lüge war; oder diplomatischer: eine Finte im Fußball-Wirtschaftskrieg, um den Gegner in den Hinterhalt zu locken. Der Plan wäre dann aufgegangen. Es sind die Klubs, die nun über Wohl und Wehe von Infantinos Vision befinden. Bleibt die Frage, ob hier ein paar Großklubs - neben Bayern sympathisiert Real Madrid mit Infantinos Plan - in Einklang mit den anderen 230 ECA-Klubs handeln. Oder ob sie die Kollegen nur als Brecheisen benutzen. Dass die Klub-WM nur acht Europäer beträfe, ist ja bekannt. Und die Uefa? Die sah in der ECA bisher einen verlässlichen Partner und gab in Miami im Namen jener Klubs ein Gegenvotum ab. Auch sie könnte sich nun missbraucht sehen: als Rammbock einiger großer Vereine gegen Infantino. Dass dieser nicht ein seriöser Sachwalter, sondern eher eine Bedrohung für den Fußball ist, hat die ECA selbst in ihrem Brief dargestellt. Infantino hat in nur drei Jahren das Image der Fifa weiter ramponiert, er hat namhafte Aufpasser abserviert und willfährige berufen. Wofür der Mann steht, offenbart ein stilles Arbeitspapier, das er 2018 mit einer mysteriösen Investorengruppe ausheckte: Es legt den Ausverkauf fast aller Fifa-Rechte fest, als Geschäftsvehikel wurden zwei Turnierformate ersonnen, auch eine neue Klub-WM. Ein Vorwand. Und wer glaubt eigentlich, dass dieses Format ein Renner wird, wenn künftig acht europäische Topklubs ihre Reserve gegen 16 Teams aus aller Welt kicken lassen; Teams, die ja noch schwächer sein dürften als die vier, fünf, die bisher bei jeder Klub-WM vermöbelt wurden? Die Großklubs wissen: Das kann kein Kassenknüller werden. Sie ahnen aber auch, dass Infantino trotzdem einen Haufen Geld erlösen wird. Im Hintergrund dürften weiter seine Investoren bereit stehen, gruppiert offenbar um den saudischen Kronprinzen. Und mit umstrittenen, solventen Partnern am Golf haben auch Klubs von Madrid bis München kein Problem. War es übrigens damals, nach Katars Kür zum WM-Ausrichter 2022, nicht auch Rummenigge, der erst furchtbar schimpfte - und bald größtes Verständnis für eine Winter-WM aufbrachte? Den Klubs ist nicht wichtig, woher das Geld kommt Dass sich seitdem eine gedeihliche, in stattliche Sponsorflüsse gebadete Partnerschaft mit Doha ergeben hat, hat damit sicher nichts zu tun. Als unredlich gilt im Fußball ja oft, logische Schlüsse zu ziehen. Sollten einige Klubs ausscheren und Infantinos Geldprojekt ermöglichen, wäre klar, dass sich der Patron mit Kalkül in ihre Hände begab. Und dass er weiß, dass den Klubs gar nicht so wichtig ist, woher das Geld kommt und wofür es fließt. Denn die Krisenregion am Golf hat ja andere Probleme zu bewältigen, als sich zur Leitwirtschaft einer Import-Sportart namens Fußball aufzuschwingen. Tut sie es trotzdem, hat sie strategische Gründe: Fußball ist ein politisches Faustpfand. Er ist das größte Unterhaltungsgut des Planeten. Aber vielleicht ja nur noch für ein Weilchen.
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Als Anfang April Wikileaks-Gründer Julian Assange in der Londoner Botschaft von Ecuador festgenommen wurde, da machte das US-Justizministerium auch eine geheime, siebenseitige Anklageschrift gegen Assange vom 6. März 2018 öffentlich. Der einzige Anklagepunkt darin klang vergleichsweise harmlos. Er soll im Jahr 2010 der Whistleblowerin Chelsea Manning geholfen haben, das Passwort zu einem geschützten Rechner der US-Regierung zu knacken. Sollte ihn ein US-Gericht deswegen verurteilen, drohen Assange dafür fünf Jahre Haft. Von Spionage war in der Anklageschrift kein Wort zu lesen. Das ist jetzt anders. Das Justizministerium hat an diesem Donnerstag eine neue, zweite Anklageschrift veröffentlicht. Statt sieben Seiten hat diese jetzt 37 Seiten. Und es geht in den 17 zusätzlichen Anklagepunkten fast ausschließlich um angebliche Verstöße gegen das US-Spionage-Gesetz. Der Kernvorwurf gegen Assange lautet jetzt: Aneignen und Veröffentlichen von geheimen militärischen und diplomatischen Dokumenten. Für jeden der 17 Anklagepunkte kann Assange zu zehn Jahren Haft verurteilt werden. Die theoretische Höchststrafe beliefe sich also auf 175 Jahre. Assange wird in der Anklageschrift vom Empfänger und Veröffentlicher geheimer Unterlagen zum Komplizen von Chelsea Manning gemacht. "Assange, Wikileaks-Mitarbeiter und Manning haben das gleiche Ziel geteilt, nämlich sich über rechtliche Restriktionen hinwegzusetzen und geheime Informationen öffentlich zu verbreiten." Sollte Assange dafür von einem US-Gericht tatsächlich verurteilt werden, könnte dies die im ersten Verfassungszusatz garantierte Meinungs- und Pressefreiheit in den USA massiv in Gefahr bringen. Schon die erste Anklage, die in der neuen Anklageschrift aufgegangen ist, konnte als Versuch gewertet werden, eine missliebige Veröffentlichungsplattform mundtot zu machen. Die neuen Anklagepunkte aber sind mehr als das. Sie könnten in Zukunft jede Zeitung, jedes Internetmedium, jede TV- und Radio-Station mit einem Bein ins Gefängnis bringen, die geheime Informationen der US-Regierung veröffentlicht. Die Gerichte müssen dafür nur die Ansicht der Ankläger bestätigen, dass nicht nur die illegale Beschaffung der Informationen, sondern auch deren Veröffentlichung über unabhängige Medien bestraft wird. Die US-Bürgerrechtsorganisation ACLU erklärt auf Twitter: "Das ist ein direkter Angriff auf den ersten Verfassungszusatz." Und bedeute eine "Eskalation der Angriffe der Trump-Administration auf den Journalismus". Die frühere US-Soldatin Chelsea Manning ist 2013 bereits als Whistleblowerin wegen Geheimnisverrates zu 35 Jahren Haft verurteilt worden. Es war die längste Haftstrafe, die je in den USA gegen einen Whistleblower verhängt wurde. Manning war es zu verdanken, dass die Welt von Kriegsverbrechen des US-Militärs im Irak und in Afghanistan erfahren hat. Außerdem war sie für die Enthüllung von Millionen von Kabelberichten der US-Botschaften an das Außenministerium in Washington verantwortlich. Präsident Barack Obama hat Manning zum Ende seiner Amtszeit im Januar 2017 die Reststrafe mit sofortiger Wirkung erlassen. Die Obama-Regierung hatte zwar erwogen, auch Assange vor Gericht zu bringen, davon allerdings Abstand genommen. Im Justizministerium herrschte damals die Meinung vor, dass eine Verurteilung von Assange irreparablen Schaden für die Presse- und Meinungsfreiheit in den USA hervorbringen könnte. Der Zweifel scheint auch im Trump-Justizministerium nicht ganz verschwunden zu sein. Angeblich sei Wert darauf gelegt worden, die verfassungsrechtlichen Auswirkungen eines möglichen Verfahrens gegen Assange vor einem US-Gericht so gering wie möglich zu halten, schreibt die New York Times. In einem Pressegespräch sollen Beamte des Ministeriums darauf hingewiesen haben, dass die allermeisten neuen Anklagepunkte sich auf die Beschaffung der geheimen Unterlagen beziehen. Weniger auf deren Veröffentlichung. Trump eskaliert damit seine Angriffe auf die freie Presse Die drei Anklagepunkte, die die Veröffentlichung von Informationen betreffen, beziehen sich auf Dokumente, die die Namen von Informanten der US-Regierung in gefährlichen Regionen wie Irak oder Afghanistan offenlegen. Assange werde angeklagt, weil er deren Leben gefährdet habe. Nicht nur einfach, "weil er ein Publizist ist", erklärte Zachary Terwilliger, US-Staatsanwalt des Eastern District of Virginia, der die Anklage gegen Assange führt. Die Beamten haben sich allerdings wohl nicht auf Fragen eingelassen, inwieweit sich diese Veröffentlichungen, die das Justizministerium für Straftaten hält, von klassischem investigativem Journalismus unterscheiden. Die New York Times etwa hat exakt dieselben Dokumente veröffentlicht, ebenfalls ohne Erlaubnis der US-Regierung. Eine Anklage gegen die Times liegt jedoch nicht vor. Assange sitzt derzeit in Großbritannien eine einjährige Haftstrafe wegen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen ab. Und wartet darauf, wie dortige Gerichte über die vorliegenden Auslieferungsgesuche aus Schweden und den USA entscheiden. Assange wird in Schweden eine Sexualstraftat vorgeworfen, die er stets bestritten hat. Wegen der drohenden Auslieferung an Schweden war Assange 2012 in die Botschaft von Ecuador geflüchtet. Assanges Anwalt Barry Pollack sagte der New York Times, die beispiellosen Anklagepunkte der US-Justiz machten die "Schwere der Bedrohung für alle Journalisten" klar, die sich bemühten, die Öffentlichkeit über Skandale der US-Regierung zu unterrichten. In den USA ist es Lehrmeinung, dass Journalisten nicht für den Empfang und die Veröffentlichung von Informationen belangt werden können. Allerdings musste sich diese Annahme bisher nicht vor einem Gericht behaupten. Schlicht, weil deswegen noch nie ein Journalist angeklagt worden ist. Das US-Justizministerium erkennt Assange zudem nicht als Journalisten an. Das macht es aus Sicht von Bruce Brown, Direktor des Reporters Committee for Freedom of the Press, nicht besser. Jede Regierung, die sich auf das Spionage-Gesetz stütze, um den Empfang und die Publikation von geheimen Informationen zu bestrafen, sei "eine ernsthafte Bedrohung" für Journalisten. Der Whistleblower Edward Snowden meldete sich via Twitter aus seinem Moskauer Exil: "Das Justizministerium hat soeben Krieg erklärt - nicht nur Wikileaks, sondern dem Journalismus als solchem." Chelsea Manning befindet sich übrigens seit März mit kurzer Unterbrechung in Beugehaft. Sie weigert sich beharrlich, vor einer Grand Jury im Fall Assange auszusagen.
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Treffpunkt war der Kentucky Fried Chicken-Imbiss am Düsseldorfer Flughafen, und sollte die Absicht zu einer verschwiegenen Zusammenkunft bestanden haben, so ist dieser Plan von einem gegnerischen Agenten erfolgreich durchkreuzt worden. Ein Reporter der Bild war am Montagabend um halb elf zur Stelle, um den Moment der Begegnung von Christian Heidel und Rabbi Matondo im Video festzuhalten. Das Gebot höchster Geheimhaltung hatte sich allerdings ohnehin erledigt, weil erstens seit Tagen handfeste Gerüchte über Matondos bevorstehenden Wechsel nach Schalke kursierten, und weil zweitens am Montag Matondos Trainer in England die Anbahnung bestätigt hatte. Er wisse von den Verhandlungen, sagte Manchester Citys Coach Pep Guardiola und lieferte seine Meinung zu dem 18 Jahre alten Juniorprofi gleich nach: "Ein unglaublich schneller Flügelspieler" sei das, "ein Talent". Matondo sei ein weiterer Beweis für die exzellente Jugendarbeit bei Manchester City. Ein Spieler mit Guardiola-Gütesiegel, das ist nicht die schlechteste Empfehlung, aber auch noch keine Garantie fürs Gelingen. Auch den spanischen Verteidiger Pablo Maffeo begleiteten Guardiolas Komplimente, als er im Sommer zum VfB Stuttgart kam - am Wochenende bezeichnete VfB-Präsident Wolfgang Dietrich den Transfer als "Flop", der 21-Jährige stehe "komplett quer im Stall". Nationaltrainer Ryan Giggs hat Matondo in die walisische Auswahl berufen Domenico Tedesco wird allerdings erst mal froh und dankbar sein, dass Manager Heidel Anstalten trifft, seinen Stall ein bisschen aufzufüllen. Schon vor vier Wochen hatte der Schalker Trainer öffentlich für Verstärkungen des Kaders geworben, stattdessen ist der Kader zuletzt immer kleiner geworden. Erst flüchtete der Vize-Kapitän Naldo nach Monaco, dann häuften sich die Verletzungen, am Freitagabend in Berlin erwischte es gleich drei Spieler auf einmal: Mittelfeldspieler Alessandro Schöpf wird wenigstens acht Wochen fehlen, Verteidiger Benjamin Stambouli fällt vier Wochen, Angreifer Steven Skrzybski vermutlich zwei Wochen aus. Matondo soll nicht nur den Bestand erweitern, sondern auch Schalkes Tempo-Defizit beheben. Bei einem internen Kurzstrecken-Wettrennen in Manchester hat Matondo angeblich sogar Leroy Sané hinter sich gelassen. Seine fußballerischen Fähigkeiten hat er aber noch nicht unter Ernstfallbedingungen zeigen können, Guardiola hatte ihn im Sommer in den Profikader eingereiht, aber in der Premier League nicht eingesetzt. Trotzdem hat ihn Nationaltrainer Ryan Giggs in die walisische Auswahl berufen. In Manchester sah Matondo wegen der starken Konkurrenz wenig Perspektive, so folgt er nun seinem früheren City-Mitspieler Jadon Sancho (Dortmund) in den Ruhrpott, Guardiola legte kein Veto ein. Über die Transferbedingungen schweigen die Schalker, die Angaben an der Gerüchtebörse schwanken. In England ist von 13 Millionen Euro die Rede, in deutschen Medien von einem halb so hohen Betrag und einer Rückkauf-Klausel von Manchester. Alles in der Hoffnung, dass Matondo dem Vorbild Sancho entspricht und nicht dem Beispiel Maffeo.
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Kiel wächst. Immer mehr Menschen schätzen die Lebensqualität der grünen Stadt an der Ostsee - und das (noch) zu Mieten, von denen Hamburger nur träumen. Das Wachstum bescherte der Stadt auch einen kulinarischen Boom, mit einer lebendigen Restaurantszene, mit neuen Bars, Röstereien und (wieder-)belebter Braukultur. Ordentlich gegessen hat man hier schon immer, sie sind hier stolz auf Katenschinken oder geräucherte Kieler Sprotten. Die Stadt ist Heimat von "Feinheimisch", einem Regional-Netzwerk von Produzenten und Köchen, die Käsestraße Schleswig-Holstein verläuft hier, und seit zwei Jahren hat Kiel auch ein Sternerestaurant, das "Ahlmanns" im Romantikhotel "Kieler Kaufmann". Küchenchef Mathias Apelt, seit 2011 im Hotel für alles Kulinarische verantwortlich, konzentriert sich im Ahlmanns von Mittwoch bis Samstag auf regionale Hochküche. Der Gastraum erinnert an ein klassisch-modern gestaltetes Wohnzimmer, elegant und aufgeräumt. Aus dem Menü wählt der Gast die Anzahl an Gängen selbst (drei Gänge kosten 68 Euro, bis zu sechs weitere je 17 Euro). Der Abend beginnt mit vielen Kleinigkeiten: Die Rehterrine erinnert in Textur und Würzung eher an eine, durchaus gelungene, Rehwurst, fein dazu der Gewürzchip und das süße Rotkohl-Gel. Die Mini-Roulade vom Stockfisch im Spitzkohlmantel ist unangenehm kalt, die geröstete Schnitte vom Emmer Urkorn mit Alter-Friese-Käsecreme und geflämmter Birne macht indes Appetit auf mehr. Insgesamt ein gemischter Auftakt. Von überragender Qualität ist das Wirsingbrot, duftig, mit saftigen Kohlstücken, dazu geschlagene Butter, bestäubt mit Wiesenkräuterpuder - anderswo wäre das ein eigener Brotgang. Und noch ein Amuse-Gueule: auf den Punkt gebratene Scholle, auf würzigem Brunoise-Gemüse mit Oliven und frischem Fenchelsalat. Detailansicht öffnen Zum ersten Gang, einem üppigen Raviolo mit Nordseekrabben und grünem Sellerie, empfiehlt uns Sommelière Britta Künzl einen raren Wein von Saarwinzer Peter Lauer, den 2016er Unterstenberg, Fass 12 (0,1 l / 9,50 Euro). Der restsüße Riesling wirkt wie eine weitere Würzung zur saftig gefüllten Nudeltasche, die in einer Bisque badet - die klassische Krustentier-Sauce ist mit subtilen Currynoten und feinfruchtiger Säure neu gedacht. Auch die Möhren-Variation mit fermentierter Karotte ist ein Vergnügen, mit pointierten Aromen, mit Knack und Knusper, das würzige Eis von der violetten Möhre ist herausragend. Die saftige Meeräsche auf nussigem Quinoa, getoppt mit knusprigem Wirsingblatt, frischer Petersilie und saftigen Apfelstreifen ist gut gedacht, nur die Haut des Fisches ist leider ledrig, und der fette Fisch bringt viel Tran mit, zusammen mit der sahnigen Sauce doch etwas mächtig. Da richtet es auch die Mineralität des 2013er Wachenheimer Altenburg vom Weingut Dr. Bürklin-Wolf (0,1 l / 12 Euro) nicht. Für 26 Euro extra haben wir uns für eine Empfehlung jenseits des Menüs entschieden: Kartoffelsalat mit Eigelb, Schwarzwurzeln und weißem Trüffel. Das Gericht ist von einer unpassenden Süße durchdrungen, die Kartoffelhälften zu groß, der Radicchio kraftlos, ohne jene Bitterstoffe, die Spannung und Struktur ins Gericht gebracht hätten. Die subtilen Aromen der Trüffel kommen nicht an gegen das frittierte Eigelb, dessen Panade auch irritierend süß ist. In einem Satz Kreative Regionalküche mit Fine-Dining-Anspruch - das gelang bei unserem letzten Besuch nicht durchgehend, im Detail ist noch Luft nach oben. Qualität: ●●●○○ Ambiente: ●●●●○ Service: ●●●●○ Preis/Leistung: ●●●○○ Wieder gute Laune macht der Langhe Nebbiolo 2013, E. Pira & Figli, der Winzerin Chiara Boschis (0,1 l / 11,50 Euro), ein Prachtstück an Frische und Struktur. Die Heide-Ente dazu ist ein perfekt gebratenes, heimisches Pendant zur französischen Barbarie-Entenbrust, in Scheiben mit knusprigem Fettrand serviert, auf Shiitakepilzen mit Rosenkohlblättern und -creme, dazu schwarzer Rettich und ein frittiertes Bällchen vom Keulenfleisch auf Pilzcreme; handwerklich ist alles tadellos. Dankenswerterweise werden hier alle Saucen großzügig mit Supplement-Kännchen serviert. Die Enten-Jus offenbart die versteckte Raffinesse des Tellers: Sie ist vielschichtig und samtig im Mund, und von jenem tiefen Aroma, die nur ein Dashi-Fond produziert, das japanische Elixier aus Kombu-Alge und Bonito-Flocken. Jetzt machen auch die Shiitakepilze Sinn! Das mit Edelpilzen gereifte Luma Beef ist butterzart, die Jus würzig, komplex, schön dazu die sämig-süßen Heidelbeeren. Leider lassen die dekorativen Grillstreifen auf dem Kürbis den Butternut verbrannt schmecken, auch die Blätter vom roten Grünkohl scheinen in Rauch gebadet zu sein. Gut, dass der Käsewagen kommt. Gut auch, dass es noch Gastronomen gibt, die das wirtschaftliche Wagnis einer pflegeintensiven Käseauswahl auf sich nehmen. Nur das gebratene Aprikosenbrot aus der Küche dazu ist leider fettig. Der wechselhafte Abend mündet im meisterlichen Finallauf der Patisserie: Holsteiner Bratapfel, genial inszeniert in drei "Gängen" mit grünem Pistazien-Apfel-Eis, gefolgt von heißem Apfelpunsch mit Calvados und Nüssen aus dem Glas und dem Dessertteller selbst, ein Kunstwerk aus Pistaziengebäck, Apfel, Rosine und cremigem Sternanis-Eis. Auch die Petits Fours zum guten Kaffee begeistern. So steht es am Ende dann irgendwie unentschieden, an diesem Abend zwischen Exzellenz und Irritation.
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Die Rente mit 67 rückt näher. Jahr für Jahr steigt das Alter für den Eintritt in die Rente, bis 2031 die neue Regelaltersgrenze mit 67 Jahren erreicht ist. Für die Bundesregierung ist deshalb klar: "Es gilt, die Arbeitswelt altersgerechter zu gestalten und stärker auf die Fähigkeiten, Kompetenzen und Bedürfnisse älterer Arbeitnehmer auszurichten." So steht es in dem Bericht zur Anhebung der Regelaltersgrenze. Darin muss die Bundesregierung alle vier Jahre prüfen, wie es klappt mit der Einführung der Rente mit 67. In dem Bericht, den Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) Ende 2018 vorgelegt hat, lobt sich die Regierung selbst. "Die Erwerbsbeteiligung der älteren Arbeitnehmer hat sich in den vergangenen Jahren ausgesprochen dynamisch entwickelt", heißt es in der Analyse. Und die Zahlen, die das Ministerium darin präsentiert, sind in der Tat beeindruckend: 2017 waren fast 60 Prozent der 60- bis 64-Jährigen erwerbstätig. Im Jahr 2000 traf dies auf gerade einmal 20 Prozent zu. Im selben Zeitraum ist die Zahl der Arbeitnehmer im Alter von 60 bis 64 Jahren, die einen sozialabgabenpflichtigen Job haben, um 1,5 Millionen auf 2,1 Millionen gestiegen. Läuft also alles gut? Markus Kurth, Sprecher für Rentenpolitik bei den Grünen im Bundestag, hat in einer Anfrage nachgehakt, um "die Dunkelbereiche des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand zu beleuchten". Die fast 70 Seiten starke Antwort des Arbeitsministeriums offenbart, dass der Beschäftigungsboom bei den Älteren auch Schattenseiten hat. So hat der Anteil der 55-bis 65-jährigen Arbeitslosen stark zugenommen, und das nicht nur, weil die Bevölkerung älter wird. Außerdem ist das sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnis in den rentennahen Jahrgängen nach wie vor ein Modell für eine Minderheit. Die Antwort der Bundesregierung, der vor allem Zahlen der Bundesagentur für Arbeit und der Deutschen Rentenversicherung zu Grunde liegen, zeigt eindeutig: Mit zunehmenden Alter werden reguläre Vollzeitjobs seltener. Mit 64 sind zum Beispiel noch 360 000 Menschen in Deutschland erwerbstätig oder offiziell auf Arbeitssuche, aber nicht einmal ein Drittel hat noch einen sozialversicherungspflichtigen Vollzeitjob. Die Mehrheit arbeitet Teilzeit, hat einen Minijob oder ist arbeitslos. Überhaupt ist nach Angaben des Ministeriums der Anteil der Minijobber in den Jahrgängen kurz vor Eintritt in den Ruhestand hoch. Ein paar Jahre Teilzeit können zu empfindlichen Einbußen bei den Rentenansprüchen führen Etwa die Hälfte aller Erwerbspersonen im Alter von 64 und 65 Jahren arbeitet im Minijob. Das kann daran liegen, dass sie nichts anderes finden oder, etwa aus gesundheitlichen Gründen, nicht mehr schaffen - mit negativen Folgen für die Rentenansprüche. "Minijobs und kleine Teilzeitbeschäftigung am Ende des Arbeitslebens können empfindliche Lücken reißen, da gerade die letzten Jahre vor dem Renteneintritt nicht unwichtig für die Höhe des späteren Alterseinkommens sind", sagt Kurth. Besonders stark war der Anstieg der 63- bis 65-jährigen Minijobber aber von 2014 bis 2015, ausgerechnet in der Zeit, als die abschlagsfreie Rente mit 63 eingeführt wurde. Dies könnte darauf hindeuten, dass Nutznießer der Rente mit 63 ihren Ruhestand gern mit einem Minijob kombinieren, um sich ein Zubrot dazuzuverdienen. Die Rente mit 63 ist sehr beliebt, dadurch steigen auch die Kosten. Laut einer Berechnung des Münchner Ifo-Instituts wird diese Form der Frührente teurer als gedacht. Von 2014 bis 2016 seien direkte Mehrausgaben von 6,5 Milliarden Euro entstanden, teilte das Ifo-Institut mit. Die Bundesregierung hatte in ihrem Gesetzentwurf nur fünf Milliarden Euro erwartet. Grünen-Rentenpolitiker Kurth ist auch ein Gegner der Rente mit 63. Die Rente mit 67 müsse aber durch präventive Weiterbildung und berufsbegleitende Rehabilitation besser abgefedert werden. "Nicht zuletzt müssen auch die Arbeitgeber bessere Voraussetzungen für einen längeren Verbleib im Berufsleben schaffen", sagt der Abgeordnete.
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Die Mitarbeiter des angeschlagenen Warenhauskonzerns Galeria Kaufhof, der seit kurzem Teil eines Gemeinschaftsunternehmens mit dem Konkurrenten Karstadt ist, müssen sich auf harte Einschnitte vorbereiten. Am Freitagmorgen kamen die Führungskräfte der neuen Warenhausholding in Essen zusammen und beschlossen ein umfangreiches Sanierungsprogramm für Kaufhof. Im Zuge der Sanierung werden 2600 Vollzeitstellen bei Kaufhof gestrichen, teilte der Konzern am Freitagabend mit. Das ist etwa jede fünfte Stelle. Wegen der hohen Teilzeitquote sind die Jobs von 4000 bis 5000 Mitarbeitern bedroht. Nach Angaben der Gewerkschaft Verdi zählte Kaufhof im September 2018 noch etwa 14 220 Vollzeitstellen. 2017 waren es noch mehr als 15 000. Damit bestätigen sich Befürchtungen, die es bereits im Zuge der Gespräche um eine Fusion der beiden Unternehmen gab. Kaufhof steht deutlich schlechter da als Karstadt, das zuletzt wieder schwarze Zahlen schrieb, wenn auch auf kleinem Niveau. "In seinem derzeitigen Zustand ist Galeria Kaufhof langfristig nicht überlebensfähig", sagte Stephan Fanderl, Chef des Gemeinschaftsunternehmens, nach SZ-Informationen bei dem Treffen. Der Aufsichtsrat hatte das Sparprogramm bereits am Mittwoch in Grundzügen gebilligt. Auf einer außerordentlich einberufenen Mitarbeiterversammlung wurde die Belegschaft am Freitagmorgen über die bevorstehenden Einschnitte informiert. Auch die Sozialpartner wurden unterrichtet. Wie die SZ aus Unternehmenskreisen erfuhr, wird der Sitz des neuen Gemeinschaftsunternehmens in Essen sein, der bisherigen Unternehmenszentrale von Karstadt. Dorthin werden alle wesentlichen Führungs- und Verwaltungsfunktionen von Kaufhof verlagert. Fanderl erklärte, er werde nicht notwendige administrative Tätigkeiten streichen und Doppelfunktionen sowie unnötige Hierarchieebenen abbauen. Das hatte er zuvor auch so als Chef von Karstadt getan. Von der ehemaligen Kaufhof-Zentrale in Köln wird nach den Plänen nicht viel übrigbleiben. Sanierungsbedingte Filialschließungen sind bislang nicht geplant. An Standorten, an denen Mietverträge auslaufen, sind Schließungen allerdings möglich. Fanderl soll auf der Mitarbeiterversammlung angekündigt haben, dass Kaufhof "umgehend" aus der Tarifbindung aussteigen müsse. Dies sei wegen der wirtschaftlichen Schieflage des Unternehmens "alternativlos". Das bedeute jedoch nicht, dass er Tarifverträge grundsätzlich ablehne. Vielmehr strebe er eine auf die wirtschaftliche Notsituation von Kaufhof zugeschnittene Tariflösung an, also einen sogenannten Haustarifvertrag, wie er auch bei Karstadt eingeführt worden war, als sich das Unternehmen in Schwierigkeiten befand. Verhandlungen hatte Kaufhof darüber bereits mit Verdi geführt. Fanderl bezeichnete das Sanierungsprogramm als "Rettungsmaßnahme". Die wirtschaftliche Gesundung des Karstadt-Warenhauses, dessen Chef er zuletzt war, habe gezeigt, dass langfristig eine Wende zum Besseren möglich ist. Kaufhof gehört seit Ende November mit Karstadt zu einem gemeinsamen Warenhauskonzern. Der frühere Kaufhof-Eigner, die kanadische Hudson's Bay Company (HBC), hatte der Fusion im vergangenen Jahr nach langem Zögern zugestimmt. Die Nordamerikaner sind mit 49,99 Prozent an dem Gemeinschaftsunternehmen mit Karstadt beteiligt, das europaweit etwa 240 Filialen betreibt, einen Umsatz von etwa fünf Milliarden Euro macht und noch 32 000 Mitarbeiter beschäftigt. Mehrheitseigner ist die Signa Holding des österreichischen Investors René Benko. Das Weihnachtsgeschäft lief enttäuschend Der Niedergang von Kaufhof begann mit der Übernahme durch HBC Ende 2015. Die Kanadier hatten Kaufhof damals der Düsseldorfer Metro AG abgekauft. Das Geschäft von Kaufhof verschlechterte sich Ende vergangenen Jahres weiter. Mit einem Minus von fast vier Prozent gegenüber dem Vorjahr blieb das Weihnachtsgeschäft 2018 den Angaben zufolge deutlich hinter den Erwartungen zurück. Auch das Online-Geschäft sei enttäuschend verlaufen, es entwickelte sich mit einem Minus von fast einem Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gegen den Markttrend. Um den Geschäftsbetrieb nicht zu gefährden, investierte Signa im vergangenen November offiziellen Angaben zufolge einen hohen Millionenbetrag und plant nun kurzfristig, eine weitere dreistellige Millionensumme zuzuschießen. In der ehemaligen Kaufhof-Hauptverwaltung wird den Plänen zufolge lediglich ein Kompetenz-Center für Digitalisierung, Onlinehandel und das Geschäft mit reduzierter Marken-Bekleidung geschaffen. Das Geschäft mit Restposten von Markenartikeln wächst. Die bisher getrennten Ansätze in dem Bereich, Look&Viel von Karstadt und Saks off 5th von HBC, werden unter der Marke Dress-for-Less der Signa-Gruppe gebündelt. Das neue Format soll zunächst mit Shops in den Warenhäusern von Karstadt und Kaufhof getestet werden. Das Gastronomie- und Lebensmittelgeschäft von Le Buffet (Karstadt) und Dinea (Kaufhof) wird am Standort Köln-Porz zusammengefasst und auf Dinea übergehen. Auch die Lohnbuchhaltung bleibt als Teil eines neuen gemeinsamen Personalbereiches in Köln erhalten. Die 15 Food-Abteilungen sowie der Food-Einkauf von Kaufhof wird den Angaben zufolge in Karstadt Feinkost eingegliedert. Die defizitären Lebensmittel-Filialen in Fulda und Düsseldorf-Wehrhan sollen schließen.
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Antonio Rüdiger ist ein sehr guter Verteidiger, deutscher Nationalspieler. Beim FC Chelsea hält er die gegnerischen Spieler mit seiner beeindruckenden Physis weg vom Tor, beschützt seinen Torhüter Kepa Arrizabalaga vor zu heftigen Angriffen. Im Finale des Ligapokals gegen Manchester City führte er seinen wichtigsten Zweikampf aber gegen seinen eigenen Trainer, Maurizio Sarri. Nach der Verlängerung baute sich der 1,90 Meter große Rüdiger vor seinem 1,89 Meter großen Chef auf, versperrte ihm den Weg. Sarri wollte zu Kepa, Chelseas Torhüter, der sich in der Nachspielzeit der Verlängerung einen Affront geleistet hatte, den man im Profifußball selten zu Gesicht bekommt. Was ist passiert? Kepa war mit Oberschenkelproblemen in die Partie gegangen. Beim Stand von 0:0 deutete alles auf ein Elfmeterschießen hin, der Schlusspfiff nahte, da ereilte Kepa ein Krampf; der 24-Jährige ließ sich behandeln. Sein Trainer sah das und entschied sich, den Ersatzmann Willy Caballero einzuwechseln - keine schlechte Alternative für ein Elfmeterschießen, Caballeros Spitzname ist "Willy the Wall". Er gilt in der Szene als Spezialist dafür, Strafstöße abzuwehren. Sarri brüllt, schimpft, gestikuliert wild Caballero machte sich also bereit, stellte sich zur Einwechslung an die Seitenlinie und gab Kepa das Signal: Daumen hoch, ich bin bereit, dich abzulösen. Kepa, der mittlerweile wieder auf den Beinen war, winkte aber energisch ab, brüllte in Richtung Seitenlinie, wo Sarri neben Caballero stand, und führte sich auf wie ein trotziger E-Jugendspieler, der keine Lust auf eine Auswechslung hat. Sarri reagierte angemessen ungehalten auf die Respektlosigkeit. Er brüllte, schimpfte, gestikulierte wild. Der Schiedsrichter sprach zwar mit ihm, hatte in der Situation aber keine Handhabe, um die Streitparteien zu befrieden. In den Fifa-Regeln heißt es: "Weigert sich ein Spieler, der ausgewechselt werden soll, das Feld zu verlassen, läuft die Partie weiter." Persönliche Strafen sind nicht vorgesehen. Beinahe wäre Sarri noch wütend in die Kabine gestapft, überlegte es sich kurz vor der Tür zum Innenraum aber anders und kehrte zurück in seine Coaching Zone. Kepa durfte letztendlich das Elfmeterschießen bestreiten, parierte sogar einen Ball, doch das Finale ging 3:4 an Manchester City verloren. Noch mehr als die Niederlage im Endspiel dürfte Sarri die Demütigung schmerzen, die ihm sein eigener Torhüter - mit 80 Millionen Euro Ablöse der teuerste der Welt - zugefügt hatte. Der italienische Trainer steht bei Chelsea aufgrund einer Krise unter verschärfter Beobachtung. Es wird geraunt, Besitzer Roman Abramowitsch schmeiße ihn bald raus. Vor einer Woche - beim Ausscheiden aus dem FA Cup gegen Manchester United - skandierten Fans: "Fuck Sarriball!" Sarriball wird die spezielle Spielweise des Italieners genannt, die der 60-Jährige aber auch in der sportlichen Krise nicht anpassen will.
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Im Fall der mysteriösen Spende zugunsten der AfD-Politikerin Alice Weidel führt eine Spur in das Umfeld der vermögenden deutsch-schweizerischen Familie Conle. Dies haben Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR, WDR und dem Zürcher Tages-Anzeiger ergeben. Demnach arbeitet ein Strohmann, der die Herkunft der Spende verschleiern sollte, für die Immobiliengesellschaft Conimmo - im Handelsregister sind als Direktoren dieser Firma Henning Conle Senior und dessen Sohn Henning Junior eingetragen. Der ältere Conle, der die deutsche und auch die schweizerische Staatsbürgerschaft besitzen soll, hat einen Wohnsitz in Zürich und gilt als guter Bekannter des Zürcher Drogisten Kurt Häfliger, dessen Firma PWS Pharmawholesale 2017 vor der Bundestagswahl 130 000 Euro an den AfD-Kreisverband Bodenseekreis überwiesen hatte. Die Familie Conle reagierte nicht auf eine Anfrage. Als die 130 000-Euro-Spende an die AfD im vergangenen Herbst bekannt wurde, ließ Häfliger von einem Anwalt erklären, das Geld stamme nicht von ihm selbst, sondern von einem reichen Bekannten, der in Zürich lebe. Weil dieser Spender anonym habe bleiben wollen, habe er, Häfliger, darum gebeten, das Geld über die Firma PWS nach Deutschland zu überweisen. Wenig später änderte sich diese Geschichte: Auf Bitten der AfD sollte die Schweizer Firma PWS gegenüber der Bundestagsverwaltung erklären, woher das Geld wirklich stamme. Sie übersandte daraufhin nicht etwa den Namen eines reichen Mannes aus Zürich, sondern eine Liste mit gleich 14 Namen. Angeblich hatten alle diese Personen das Geld für die AfD gespendet. Es handelte sich dabei überwiegend um Deutsche, die meist in Deutschland, aber auch in anderen EU-Ländern lebten. Jetzt räumt ein Anwalt Häfligers ein, die 14 Namen auf der Liste seien nicht die der wahren Spender; es sei ein Fehler gewesen, diese Liste zu übersenden. Tatsächlich habe nur ein Einzelner gespendet. Damit kehrt Häfliger zu seiner ursprünglichen Version zurück. Als SZ, NDR, WDR und Tages-Anzeiger die vertrauliche Spenderliste einsehen konnten, fiel auf, dass eine Mehrheit der angeblichen Spender im Hunsrück lebte, viele gehörten sogar zur gleichen Familie. Auf Nachfrage gaben sie an, Strohmänner zu sein. Ferner stand auf der Liste auch ein Mann mit Adresse im belgischen Antwerpen. Dort stießen die Reporterinnen und Reporter auf den Mitarbeiter einer Firma namens Conimmo, an deren Spitze laut Handelsregister die Herren Conle Senior und Junior stehen. Die Conles sollen in der Nachkriegszeit mit Sozialwohnungen und öffentlichen Bauten zu Geld gekommen sein, später unter anderem auch mit der Fluggesellschaft LTU. Ihr Vermögen wurde im Jahr 2017 vom Schweizer Magazin Bilanz auf 1,35 Milliarden Schweizer Franken geschätzt. Es ist eine überaus verschwiegene Familie; eine Anfrage von SZ, NDR und WDR blieb unbeantwortet, nachdem die Reporter diese Anfrage einer Bevollmächtigten der Familie Conle übergeben hatten. Henning Conle Senior und Familie sollen bereits in den 1990er-Jahren in den Großraum Zürich gezogen sein.
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Von den vielen langweiligen Pressekonferenzen bei der Asienmeisterschaft im Fußball stachen die des Spaniers Félix Sánchez Bas besonders heraus. Der Trainer des katarischen Nationalteams formulierte dabei den immer gleichen Gedanken: Seine Spieler konzentrieren sich auf die nächste Partie, auf Themen jenseits des Fußballs haben sie keinen Einfluss. Man könnte Sánchez das als fehlende Inspiration auslegen. Oder als meisterhafte Diplomatie in einer Zeit, in der jedes falsche Wort zur Eskalation führen könnte. Das kleine Katar hat beim 17. Asien-Cup seinen bislang größten Erfolg errungen. Sportlich, weil die Elf am Dienstag ihr Halbfinale gegen den Gastgeber, die Vereinigten Arabischen Emirate, 4:0 gewann. Es war ihr sechster Sieg im sechsten Spiel des Turniers. Es war aber auch ein politischer Erfolg, denn Katar ist rund um den Persischen Golf seit 19 Monaten weitgehend isoliert. Das Finale am Freitag gegen Japan bietet dem Emirat eine prominente Bühne der Selbstbehauptung. Und es ist eine Blamage für seine feindseligen Nachbarn. Im Juni 2017 verhängte Saudi-Arabien eine Blockade über Katar, wegen angeblicher Unterstützung von Terroristen. Ägypten, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate setzten ebenfalls ihre diplomatischen Beziehungen mit Doha aus. Der Fußballverband Katars bekam dies nun bei der Kontinentalmeisterschaft zu spüren. Einer seiner wichtigsten Funktionäre durfte zunächst nicht in die Emirate einreisen. Die Mannschaft musste auf dem kurzen Reiseweg in Kuwait zwischenlanden, da es keine direkten Flüge mehr gibt. Die wenigen Journalisten, die für katarische Medien von diesem Turnier berichten, gehören anderen Nationalitäten an. In den schlecht besuchten Stadien waren so gut wie keine katarischen Fans. Die offizielle Zuschauerzahl im Vorrundenspiel Katars gegen Nordkorea: 452. In der letzten Gruppenpartie gegen Saudi-Arabien wurden die katarischen Spieler ausgepfiffen, sie gewannen trotzdem 2:0. Nun, vor dem Halbfinale in Abu Dhabi, verteilte die örtliche Sportbehörde alle verbliebenden Tickets an "loyale Fans" des Gastgebers. Sie mussten sich als Staatsbürger der Emirate ausweisen. Schulen und Universitäten beendeten ihren Unterricht am Dienstag zwei Stunden früher. Ein gängiges Narrativ könnte sich auch in der westlichen Welt bald ändern Im Viertelfinale gegen Südkorea hatten Zuschauer aus Oman den 1:0-Sieg Katars bejubelt; eine Wiederholung wollte die Führung Abu Dhabis verhindern - auch mit Warnungen in sozialen Medien, wonach eine Parteinahme für Katar bestraft werden könne. So prägten schon am frühen Nachmittag Tausende Männer in traditionellen weißen Gewändern das Stadionumfeld. Mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit hat das wenig zu tun: 80 Prozent der Bevölkerung sind Arbeitsmigranten, doch Zuschauer aus Indien, Pakistan oder Bangladesch waren nicht willkommen. Die Spannungen führten so weit, dass die Asienmeisterschaft in etlichen Hotels neben den Stadien nicht im Fernsehen zu verfolgen war, der Rechteinhaber BeIN-Sports stammt aus Katar und wurde auch in den Emiraten teilweise geblockt. In den vergangenen Wochen zitierten katarische Medien wie Al Jazeera immer wieder Fans aus Doha, die aus Sicherheitsgründen dem Fußball fernbleiben müssen. So könnte sich ein gängiges Narrativ auch in der westlichen Welt bald ändern: Aus dem schwerreichen Katar, das die Menschenrechte nicht ernst nimmt, wird eventuell das Opfer von neidischen Nachbarn, die jede Reform kritisch betrachten. Da solche Konflikte in der Region nicht unüblich sind, lohnt es, den größeren Rahmen zu betrachten: "Die Katarer betrachten Sportveranstaltungen als eine Art Lebensversicherung", sagt der Politikwissenschaftler Danyel Reiche von der Amerikanischen Universität Beirut. Er erinnert an 1990, als der übermächtige Irak ins kleine Kuwait einmarschierte und die USA zur Befreiung anrückten. "Die Katarer möchten so stark wahrgenommen werden, dass ihnen so etwas nicht passiert", sagt Reiche.
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"Er hat alles, was man braucht": Leon Draisaitl trifft in der laufenden NHL-Saison so oft wie noch nie zuvor, kein Deutscher war je besser. Doch in Edmonton sind seine Chancen auf einen Titel dennoch eher gering. Rund drei Minuten waren im ersten Drittel der Partie zwischen den Edmonton Oilers gegen die Chicago Blackhawks noch zu spielen, als Leon Draisaitl die Faust in seinem Handschuh ballte und sich von seinen Mitspielern auf den Helm klopfen ließ. Es war ein sehr gewöhnlicher Jubel über ein durchaus außergewöhnliches Tor. In Überzahl hatte er einen Abpraller zum 1:1 über die Linie geschoben - so weit, so normal. Doch er hatte am 53. Spieltag als erster Deutscher in der Geschichte der besten Eishockeyliga der Welt die 30-Tore-Marke erreicht. Inzwischen, nach 54 Spielen, hat Draisaitl, 23, bereits 32 Tore erzielt. In der NHL gehört er damit zusammen mit Patrick Kane von den Chicago Blackhawks, Jeff Skinner von den Buffalo Sabres und Stanley-Cup-Sieger Alex Owetschkin von den Washington Capitals zu den treffsichersten Stürmern der Liga. "Das deutsche Eishockey kann stolz sein, einen so talentierten Spieler noch lange in der NHL sehen zu dürfen", sagte der damalige Bundestrainer Marco Sturm bereits, nachdem Draisaitl ihm 2017 den Titel der meisten Tore eines deutschen Spielers in einer NHL-Spielzeit abnahm. In seiner besten Saison 2002/03 erzielte der heute 40-Jährige 28 Tore. Die ganz großen Statistik-Rekorde von Sturm hat Draisaitl allerdings noch lange nicht erreicht. Sturm machte in seinen 15 regulären NHL-Saisons 938 Spiele, schoss 242 Tore und gab 245 Vorlagen. Der gebürtige Bayer kam mit 19 Jahren in die NHL und galt lange Zeit als der beste deutsche Stürmer der Geschichte. Doch Draisaitl ist ihm dicht auf den Fersen. Mit 18 Jahren wurde er 2014 von den Oilers gedraftet. 2017 erhielt er einen mit rund 57,7 Millionen Euro dotierten Achtjahresvertrag bei den Kanadiern. Seit fünf Jahren spielt er in der NHL, in 323 Spielen schoss er 107 Tore. In Edmonton nennen sie ihn schon "German Gretzky" Wie auch Sturm (1999) durfte Draisaitl beim NHL-Allstar-Game teilnehmen. Nach Uwe Krupp (1991), und Olaf Kölzig (1998, 2000) war er erst der vierte Deutsche, dem diese Ehre zu Teil wurde. Über ein weltweites Zuschauervoting bekam er einen Platz in dem prestigeträchtigen Showmatch Ende Januar in San José. Auch der Deutsche Eishockey-Bund hatte in den sozialen Netzwerken zur Abstimmung aufgerufen. Obwohl den Oilers wieder einmal das Verpassen der Playoffs droht und diese Saison wegen anhaltender Erfolglosigkeit bereits Trainer und Manager den Verein verlassen mussten, trifft Draisaitl munter weiter. Nationalspieler Dominik Kahun, vor dieser Saison aus München zu den Chicago Blackhawks gewechselt, wurde in einem Interview auf der Franchise-Webseite gefragt, wie es möglich sei, Draisaitl zu stoppen. "Es ist fast unmöglich", sagte Kahun. "Er hat alles, was man braucht." Draisaitl selbst sieht sich da ein wenig kritischer: "Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit - ich denke, als ganzer Spieler kann ich mich noch um einiges verbessern", sagte er. In Edmonton - dort, wo Eishockey die Sportart Nummer eins ist - haben ihm Fans und Medien den Spitznamen "German Gretzky" gegeben, in Anlehnung an die Oilers-Legende und wohl besten Eishockey-Spieler der Geschichte. "In fast jedem Schaufenster sieht man irgendwas mit einem Oilers-Logo", beschrieb Draisaitl einmal in einem Interview mit dem Sport-Informationsdienst die Eishockeybegeisterung in Edmonton. In der Provinz Alberta trägt der Deutsche 19 Jahre nach dem letzten Stanley-Cup-Sieg viele Hoffnungen. Zusammen mit seinem Teamkollegen und Kapitän Connor McDavid soll er an die Erfolge der Zeiten von Gretzky und dem Finnen Jari Jurri anknüpfen. Fünf Stanley-Cups holten die Oilers zwischen 1984 und 1990. Diesen ganz großen Erfolg, den Stanley-Cup zu gewinnen, hat Sturm, der jetzt Co-Trainer bei den Los Angeles Kings ist, nie geschafft. In dieser Saison wird es auch für Draisaitl eher nichts. Doch er hat ja noch eine Menge Zeit.
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