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bag_1-17 | 18.01.2017 | 18.01.2017
1/17 - Betriebsratstätigkeit - Arbeitszeit
Ein Betriebsratsmitglied, das zwischen zwei Nachtschichten außerhalb seiner Arbeitszeit tagsüber an einer Betriebsratssitzung teilzunehmen hat, ist berechtigt, die Arbeit in der vorherigen Nachtschicht vor dem Ende der Schicht einzustellen, wenn nur dadurch eine ununterbrochene Erholungszeit von elf Stunden am Tag gewährleistet ist, in der weder Arbeitsleistung noch Betriebsratstätigkeit zu erbringen ist. Nach § 5 Abs. 1 ArbZG ist dem Arbeitnehmer nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von elf Stunden zu gewähren. Es kann dahinstehen, ob die Zeit der Erbringung von Betriebsratstätigkeit Arbeitszeit iSv. § 2 Abs. 1 ArbZG ist und § Abs. 1 ArbZG deshalb Anwendung findet. Jedenfalls ist bei der Beurteilung, ob dem Betriebsratsmitglied in einer solchen Situation die Fortsetzung der Arbeit in der Nachtschicht wegen der bevorstehenden Betriebsratstätigkeit unzumutbar ist, die Wertung des § 5 Abs. 1 ArbZG zu berücksichtigen.
Der Kläger ist Mitglied des im Betrieb der Beklagten gebildeten Betriebsrats und arbeitet im Dreischichtbetrieb. Er war in der Nacht vom 16. Juli auf den 17. Juli 2013 für die Nachtschicht von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr bei einer Pause von 2:30 Uhr bis 3:00 Uhr eingeteilt. Am 17. Juli 2013 nahm der Kläger von 13:00 Uhr bis 15:30 Uhr an einer Betriebsratssitzung teil. Mit Rücksicht auf diese Betriebsratssitzung stellte er in der vorherigen Nachtschicht seine Arbeit um 2:30 Uhr ein. Ihm wurde für diese Nachtschicht von der Beklagten nur der Zeitraum bis 3:00 Uhr und von 5:00 Uhr bis 6:00 Uhr auf seinem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben. Mit der vorliegenden Klage hat der Kläger ua. die Gutschrift der beiden weiteren Stunden von 3:00 Uhr bis 5:00 Uhr verlangt. Die Klage hatte vor dem Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts – ebenso wie zuvor beim Landesarbeitsgericht – Erfolg.
Nach § 37 Abs. 2 BetrVG sind Mitglieder des Betriebsrats auch dann von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung ihres Arbeitsentgelts zu befreien, wenn eine außerhalb der Arbeitszeit liegende erforderliche Betriebsratstätigkeit die Arbeitsleistung unmöglich oder unzumutbar gemacht hat. Vorliegend war dem Kläger die Erbringung der Arbeitsleistung am 17. Juli 2013 jedenfalls ab 3:00 Uhr wegen der um 13:00 Uhr beginnenden Betriebsratssitzung unzumutbar, weil ihm bei Fortsetzung seiner Arbeit zwischen den Arbeitsschichten keine durchgehende Erholungszeit von elf Stunden zur Verfügung gestanden hätte.
Über eine weitere Klageforderung konnte der Senat nicht abschließend entscheiden. Insoweit wurde die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. Januar 2017 – 7 AZR 224/15 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 20. Februar 2015 – 13 Sa 1386/14 – | Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 20. Februar 2015 – 13 Sa 1386/14 – unter Zurückweisung der Revision im übrigen – im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Hagen vom 14. August 2014 – 4 Ca 2022/13 – die Beklagte verurteilt hat, dem Kläger auf dem individuellen Arbeitszeitkonto 2,5 Stunden für die Zeit der Erbringung von Betriebsratstätigkeit am 17. Juli 2013 von 13:00 Uhr bis 15:30 Uhr gutzuschreiben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Leitsatz
Nimmt ein Betriebsratsmitglied an einer außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit stattfindenden Betriebsratssitzung teil und ist es ihm deswegen unmöglich oder unzumutbar, seine vor oder nach der Betriebsratssitzung liegende Arbeitszeit einzuhalten, so hat es insoweit gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG einen Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung. Bei der Beurteilung, ob und wann einem Betriebsratsmitglied die Fortsetzung der Arbeit wegen einer außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit bevorstehenden Betriebsratssitzung unzumutbar ist, ist die in § 5 Abs. 1 ArbZG zum Ausdruck kommende Wertung zu berücksichtigen. Deshalb ist ein Betriebsratsmitglied, das zwischen zwei Nachtschichten an einer Betriebsratssitzung teilzunehmen hat, berechtigt, die Arbeit in der vorherigen Nachtschicht vor dem Ende der Schicht zu einem Zeitpunkt einzustellen, der eine ununterbrochene Erholungszeit von elf Stunden am Tag ermöglicht, in der weder Arbeitsleistung noch Betriebsratstätigkeit zu erbringen ist.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Gutschrift von Stunden auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers.
2
Der Kläger ist nicht freigestelltes Mitglied des im Betrieb der Beklagten gebildeten Betriebsrats. Er arbeitet als Anlagenbediener im Rahmen einer 35-Stunden-Woche im Dreischichtbetrieb. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Einheitliche Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen vom 18. Dezember 2003 (EMTV) Anwendung. Dieser bestimmt auszugsweise:
„§ 19
Geltendmachung und Ausschluss von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis / Ausbildungsverhältnis
…
2.
Beschäftigte/Auszubildende haben das Recht, Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis/Ausbildungsverhältnis innerhalb folgender Fristen geltend zu machen:
a)
Ansprüche auf Zuschläge für Mehr-, Spät-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Abrechnung,
b)
alle übrigen Ansprüche innerhalb von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit.
…
4.
Ansprüche, die nicht innerhalb dieser Fristen geltend gemacht werden, sind ausgeschlossen, es sei denn, dass Anspruchsberechtigte trotz Anwendung aller nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert waren, diese Fristen einzuhalten.
…“
3
Die Beklagte führt für den Kläger auf der Grundlage einer „Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeitflexibilisierung“ (BV Arbeitszeitflexibilisierung) vom 4. Mai 2004 in der Fassung der „Ergänzung zur Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeitflexibilisierung“ vom 9. Juni 2011 ein Arbeitszeitkonto. In dieses fließt nach Nr. 2 der „Ergänzung zur Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeitflexibilisierung“ vom 9. Juni 2011 auch die Arbeitszeit, die über die in der Zeitwirtschaft hinterlegte Sollarbeitszeit hinausgeht.
4
Am 16./17. Juli 2013 war der Kläger für die Nachtschicht von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr eingeteilt. Normalerweise hätte er bei Abzug von 0,5 Stunden für eine Pause in dieser Schicht insgesamt 7,5 Stunden gearbeitet. Mit Rücksicht auf eine am 17. Juli 2013 ab 13:00 Uhr anstehende Betriebsratssitzung stellte der Kläger um 2:30 Uhr seine Arbeit ein. Er nahm am 17. Juli 2013 in der Zeit von 13:00 Uhr bis 15:30 Uhr an der Betriebsratssitzung teil. Die Beklagte schrieb dem Kläger für die Nachtschicht vom 16. auf den 17. Juli 2013 insgesamt 5,5 Stunden für den Zeitraum von 22:00 Uhr bis 3:00 Uhr (unter Abzug der Pausenzeit von 0,5 Stunden) und für die Zeit von 5:00 Uhr bis 6:00 Uhr auf dem Arbeitszeitkonto gut. Für die Teilnahme an der Betriebsratssitzung zahlte die Beklagte dem Kläger eine pauschale Vergütung in Höhe von 60,00 Euro brutto. In der anschließenden Nachtschicht vom 17. auf den 18. Juli 2013 arbeitete der Kläger wie üblich.
5
Mit seiner am 30. September 2013 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 4. Oktober 2013 zugestellten Klage hat der Kläger zunächst Vergütung für weitere 3,5 Stunden der Nachtschicht vom 16./17. Juli 2013 und für 3,75 Stunden Betriebsratstätigkeit vor und während der Betriebsratssitzung am 17. Juli 2013 in Höhe von insgesamt 144,73 Euro brutto nebst Zinsen verlangt. In der Kammerverhandlung vor dem Arbeitsgericht hat der Kläger die Klage in Höhe von 60,00 Euro im Hinblick auf die Zahlung der pauschalen Vergütung für die Betriebsratssitzung zurückgenommen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht hat der Kläger seinen Klageantrag umgestellt. Seither hat er die Gutschrift von insgesamt 5,75 Stunden auf dem Arbeitszeitkonto für zwei Stunden der Nachtschicht und für 3,75 Stunden Betriebsratstätigkeit am 17. Juli 2013 verlangt.
6
Der Kläger hat geltend gemacht, er sei nach § 37 Abs. 2 BetrVG berechtigt gewesen, seine Arbeit während der Nachtschicht vom 16. auf den 17. Juli 2013 ohne Minderung des Arbeitsentgelts vorzeitig zu beenden, um am 17. Juli 2013 ausgeruht seinen Betriebsratsaufgaben nachkommen zu können. Die Arbeitsbefreiung in der Nachtschicht ab 2:30 Uhr sei notwendig gewesen, um die Gesamtbelastung durch Arbeits- und Amtstätigkeit in Grenzen zu halten. Die Zeit der Betriebsratstätigkeit stelle Arbeitszeit iSd. Arbeitszeitgesetzes dar, weshalb er nach § 5 Abs. 1 ArbZG berechtigt gewesen sei, vor der Aufnahme der Betriebsratstätigkeit am 17. Juli 2013 eine elfstündige Ruhezeit einzuhalten. Für die Zeit der Wahrnehmung von Betriebsratstätigkeiten außerhalb der Arbeitszeit am 17. Juli 2013 folge sein Anspruch aus § 37 Abs. 3 BetrVG. Er habe bereits vor Beginn der Betriebsratssitzung ab 11:45 Uhr Betriebsratsaufgaben wahrgenommen.
7
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihm auf dem individuellen Arbeitszeitkonto 5,75 Stunden gutzuschreiben.
8
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
9
Sie hat den Standpunkt eingenommen, der Kläger sei im Hinblick auf die anstehende Betriebsratssitzung lediglich berechtigt gewesen, seine Arbeit in der Nachtschicht vom 16./17. Juli 2013 um 5:00 Uhr, also eine Stunde vor Schichtende, einzustellen. Zwar sei im Fall der Wahrnehmung von erforderlichen Betriebsratstätigkeiten außerhalb der Arbeitszeit eine gewisse Erholungsdauer zu berücksichtigen, die gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeit von elf Stunden nach § 5 ArbZG sei indes nicht einzuhalten. Betriebsratstätigkeit stelle keine Arbeit im arbeitszeitrechtlichen Sinne dar. Eine Erholungspause von acht Stunden sei angemessen gewesen. Die Ansprüche des Klägers seien im Hinblick auf die begehrte Gutschrift für die außerhalb der Arbeitszeit erbrachte Betriebsratstätigkeit erfüllt. Neben der Zahlung von 60,00 Euro brutto sei zu berücksichtigen, dass der Kläger sich die Zeit der Freistellung in der vorherigen Nachtschicht anrechnen lassen müsse. Vor der Betriebsratssitzung am 17. Juli 2013 habe der Kläger keine erforderlichen Betriebsratsaufgaben wahrgenommen.
10
Das Arbeitsgericht hat die Zahlungsklage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung des Klägers teilweise stattgegeben und die Beklagte verurteilt, dem Arbeitszeitkonto des Klägers 4,5 Stunden gutzuschreiben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der klageabweisenden Entscheidung des Arbeitsgerichts. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
11
Die Revision der Beklagten ist unbegründet, soweit das Landesarbeitsgericht die Beklagte verurteilt hat, dem Arbeitszeitkonto des Klägers für die Zeit der vorzeitigen Beendigung der Nachtschicht vom 16. auf den 17. Juli 2013 zwischen 3:00 Uhr und 5:00 Uhr zwei Stunden gutzuschreiben. Soweit das Landesarbeitsgericht der Klage auch im Hinblick auf die begehrte Gutschrift von 2,5 Stunden für die Teilnahme des Klägers an der Betriebsratssitzung am 17. Juli 2013 stattgegeben hat, ist die Revision der Beklagten begründet. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob dieser Anspruch nach § 19 EMTV verfallen ist. Der Senat kann dies auf der Grundlage der bisherigen Tatsachenfeststellungen nicht abschließend beurteilen. Das führt zur teilweisen Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht in diesem Umfang.
12
I. Die Klage ist zulässig.
13
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist noch der auf Gutschrift von 4,5 Stunden auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers gerichtete Antrag. Im Hinblick auf die begehrte Gutschrift von weiteren 1,25 Stunden für die Zeit der vom Kläger behaupteten Betriebsratstätigkeit vor der Betriebsratssitzung am 17. Juli 2013 ist die Klage vom Landesarbeitsgericht rechtskräftig abgewiesen worden.
14
2. Der Zulässigkeit des Antrags steht nicht entgegen, dass der Kläger die Gutschrift von 2,5 Stunden für die Zeit der Betriebsratssitzung am 17. Juli 2013 erst – nachdem er seine Zahlungsklage insoweit erstinstanzlich zurückgenommen hatte – in der Berufungsinstanz verlangt hat. Das Landesarbeitsgericht hat die Voraussetzungen einer Klageänderung in der Berufungsinstanz nach § 533 ZPO bejaht und über den Antrag sachlich entschieden. Dies ist in der Revisionsinstanz nicht mehr zu überprüfen (vgl. BAG 19. Mai 2016 – 3 AZR 766/14 – Rn. 16; 25. Juni 2014 – 7 AZR 847/12 – Rn. 20, BAGE 148, 299).
15
3. Der Klageantrag ist streitgegenständlich hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
16
a) Der Antrag, einem Arbeitszeitkonto Stunden „gutzuschreiben“, ist hinreichend bestimmt, wenn der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer ein Zeitkonto führt, auf dem zu erfassende Arbeitszeiten nicht aufgenommen wurden und noch gutgeschrieben werden können, und das Leistungsbegehren konkretisiert, an welcher Stelle des Arbeitszeitkontos die Gutschrift erfolgen soll (BAG 29. Juni 2016 – 5 AZR 617/15 – Rn. 14 mwN, BAGE 155, 310; 15. Februar 2012 – 7 AZR 774/10 – Rn. 17 mwN). Weist das Arbeitszeitkonto geleistete Mehr- oder Überarbeit aus oder – allgemeiner ausgedrückt – solche Zeiten, die durch Freistellung von der Arbeitspflicht bei Fortzahlung der Vergütung auszugleichen sind, ist der Streitgegenstand iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmt, wenn sich der Antrag auf eine „Gutschrift“ von solchen Zeiten in einem genau angegebenen Umfang bezieht (vgl. BAG 15. Februar 2012 – 7 AZR 774/10 – Rn. 17 mwN).
17
b) Danach ist der Antrag zulässig. Dem Wortlaut nach richtet sich das Begehren darauf, dem Kläger die bezeichneten 4,5 Stunden auf dem „individuellen Arbeitszeitkonto gutzuschreiben“. Die Beklagte führt für den Kläger auf der Grundlage der BV Arbeitszeitflexibilisierung ein Zeitkonto, auf dem die begehrte Gutschrift noch erfolgen kann. Die Beklagte hat nicht behauptet, dass die Angaben in diesem Arbeitszeitkonto nicht mehr korrigiert werden könnten. An welcher Stelle des Arbeitszeitkontos die Gutschrift erfolgen soll, kommt zwar im Wortlaut des Antrags nicht zum Ausdruck. Insoweit lässt der Antrag aber bei gebotener, auf die Ermöglichung einer Sachentscheidung gerichteten Auslegung (vgl. BAG 23. März 2016 – 5 AZR 758/13 – Rn. 22, BAGE 154, 337; 11. November 2009 – 7 AZR 387/08 – Rn. 11) den Inhalt der vom Kläger begehrten Entscheidung erkennen. Der Kläger macht geltend, dass zwei Stunden der Nachtschicht vom 16./17. Juli 2013 in der Zeit von 3:00 Uhr bis 5:00 Uhr als Arbeitszeit in das Arbeitszeitkonto einzustellen seien. Daneben verlangt der Kläger eine Gutschrift von 2,5 Stunden für die Teilnahme an der Betriebsratssitzung außerhalb seiner Arbeitszeit am 17. Juli 2013 in der Zeit von 13:00 Uhr bis 15:30 Uhr. Damit ist das Verlangen der begehrten Gutschrift für die Bestimmung des Umfangs der Rechtskraft hinreichend bestimmt.
18
II. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Klage begründet ist, soweit der Kläger mit ihr die Gutschrift von zwei Stunden für die Zeit von 3:00 Uhr bis 5:00 Uhr in der Nachtschicht vom 16./17. Juli 2013 verlangt.
19
1. Der Anspruch folgt aus § 611 BGB iVm. § 37 Abs. 2 BetrVG.
20
a) Ein Arbeitszeitkonto hält fest, in welchem zeitlichen Umfang der Arbeitnehmer seine Hauptleistungspflicht nach § 611 Abs. 1 BGB erbracht hat oder aufgrund eines Entgeltfortzahlungstatbestands (zB § 615 Satz 1 und Satz 3, § 616 Satz 1 BGB, § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1 EntgeltFG, § 37 Abs. 2 BetrVG) nicht erbringen musste und deshalb Vergütung beanspruchen kann bzw. in welchem Umfang er noch Arbeitsleistung für die vereinbarte und gezahlte Vergütung erbringen muss (vgl. BAG 29. Juni 2016 – 5 AZR 617/15 – Rn. 17, BAGE 155, 310; 23. September 2015 – 5 AZR 767/13 – Rn. 20, BAGE 152, 315). Die nachträgliche Gutschrift auf einem Arbeitszeitkonto setzt voraus, dass der Arbeitnehmer Arbeitsstunden erbrachte oder aufgrund eines Entgeltfortzahlungstatbestands nicht erbringen musste und diese bisher nicht vergütet und nicht in das Arbeitszeitkonto eingestellt wurden (BAG 29. Juni 2016 – 5 AZR 617/15 – Rn. 17, aaO; 26. Juni 2013 – 5 AZR 428/12 – Rn. 22).
21
b) Danach hat die Beklagte die Zeit der Nachtschicht am 16./17. Juli 2013 von 3:00 Uhr bis 5:00 Uhr dem Arbeitszeitkonto des Klägers als Arbeitszeit gutzuschreiben. Zwar hat der Kläger in dieser Zeit keine Arbeitsleistung erbracht. Hierzu war der Kläger jedoch nach § 37 Abs. 2 BetrVG aufgrund der am 17. Juli 2013 ab 13:00 Uhr bevorstehenden Betriebsratssitzung nicht verpflichtet. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.
22
aa) Nach § 37 Abs. 2 BetrVG sind nicht freigestellte Mitglieder des Betriebsrats von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung ihres Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Diese Vorschrift betrifft nicht nur Fälle, in denen eine während der Arbeitszeit verrichtete Betriebsratstätigkeit unmittelbar den Ausfall der Arbeitsleistung zur Folge hat. § 37 Abs. 2 BetrVG soll vielmehr grundsätzlich verhindern, dass das Betriebsratsmitglied infolge einer erforderlichen Betriebsratstätigkeit eine Entgelteinbuße erleidet. Auch durch eine außerhalb der Arbeitszeit liegende Betriebsratstätigkeit darf daher eine Minderung des Arbeitsentgelts des Betriebsratsmitglieds nicht eintreten, soweit die Betriebsratstätigkeit die Arbeitsleistung unmöglich oder unzumutbar gemacht hat (BAG 7. Juni 1989 – 7 AZR 500/88 – zu 2 der Gründe, BAGE 62, 83). Nimmt ein Betriebsratsmitglied an einer außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit stattfindenden Betriebsratssitzung teil und ist es ihm deswegen unmöglich oder unzumutbar, seine vor oder nach der Betriebsratssitzung liegende Arbeitszeit einzuhalten, so hat es insoweit gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG einen Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung (BAG 7. Juni 1989 – 7 AZR 500/88 – zu 3 der Gründe, aaO).
23
bb) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, dem Kläger sei die Erbringung von Arbeitsleistung in der Nachtschicht am 16./17. Juli 2013 nach 3:00 Uhr aufgrund der am 17. Juli 2013 außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit ab 13:00 Uhr stattfindenden Betriebsratssitzung unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des § 5 Abs. 1 ArbZG unzumutbar gewesen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
24
(1) Nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit steht dem Arbeitnehmer nach § 5 Abs. 1 ArbZG regelmäßig eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden zu. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 ArbZG ist Arbeitszeit die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen. Die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes dienen der Umsetzung der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung vom 4. November 2003 (RL 2003/88/EG). Nach Art. 2 Nr. 2 RL 2003/88/EG ist Ruhezeit jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit.
25
(2) Wäre die Zeit, in der der Kläger am 17. Juli 2013 ab 13:00 Uhr an der Betriebsratssitzung teilzunehmen hatte, als Arbeitszeit iSv. § 2 Abs. 1 ArbZG zu betrachten, hätte sie die gesetzlich vorgeschriebene elfstündige Ruhezeit unterbrochen. Dies hätte zur Folge, dass die Einhaltung der Ruhezeit nach § 5 Abs. 1 ArbZG nur im Falle eines vorzeitigen Verlassens des Arbeitsplatzes während der Nachtschicht gewährleistet und dem Kläger die Fortsetzung der Arbeit jedenfalls ab 3:00 Uhr bis zum Schichtende bereits deshalb unzumutbar gewesen wäre. Ob die Zeit der Erbringung von Betriebsratstätigkeit Arbeitszeit iSv. § 2 Abs. 1 ArbZG ist, ist im Schrifttum umstritten (bejahend Buschmann/Ulber ArbZG 8. Aufl. § 2 Rn. 39; Schulze ArbRAktuell 2012, 475, 476 und AiB 2012, 657 ff.; wohl auch DKKW/Wedde 15. Aufl. § 37 Rn. 42, 43; ablehnend zur Arbeitszeitordnung wohl BAG 7. Juni 1989 – 7 AZR 500/88 – zu 3 der Gründe, BAGE 62, 83; Bengelsdorf AuA 2001, 71, 72; BeckOK ArbR/Kock Stand Dezember 2016 ArbZG § 2 Rn. 21; Tillmanns ArbRAktuell 2012, 475, 478; Thüsing in Richardi BetrVG 15. Aufl. § 37 Rn. 13; Schaub/Vogelsang ArbR-HdB 16. Aufl. § 156 Rn. 14; Weber GK-BetrVG 10. Aufl. § 37 Rn. 13; NK-GA/Wichert § 2 ArbZG Rn. 28; Wiebauer NZA 2013, 540, 542).
26
(3) Die Streitfrage bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Auch dann, wenn die Zeit der Erbringung von Betriebsratstätigkeit arbeitszeitrechtlich nicht als Arbeitszeit anzusehen sein sollte, ist bei der Beurteilung, ob und wann einem Betriebsratsmitglied die Fortsetzung der Arbeit wegen einer außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit bevorstehenden Betriebsratssitzung unzumutbar ist, jedenfalls die in § 5 Abs. 1 ArbZG zum Ausdruck kommende Wertung zu berücksichtigen. Deshalb ist ein Betriebsratsmitglied, das zwischen zwei Nachtschichten an einer Betriebsratssitzung teilzunehmen hat, berechtigt, die Arbeit in der vorherigen Nachtschicht vor dem Ende der Schicht zu einem Zeitpunkt einzustellen, der eine ununterbrochene Erholungszeit von elf Stunden am Tag ermöglicht, in der weder Arbeitsleistung noch Betriebsratstätigkeit zu erbringen ist.
27
(a) Das Arbeitszeitrecht bezweckt ua. die Gewährleistung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeitszeitgestaltung (vgl. § 1 Nr. 1 ArbZG). Es bestimmt deshalb ua. in § 5 ArbZG die Mindestruhezeit zwischen zwei Arbeitseinsätzen, die für den Gesundheitsschutz von besonderer Bedeutung ist (vgl. BT-Drs. 12/5888 S. 24). Die im Arbeitszeitgesetz geregelten Schranken beruhen auf arbeitsmedizinischem Erfahrungswissen über die einem Arbeitnehmer zumutbare Belastung. Es geht um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Zeiten, in denen der Arbeitnehmer arbeitet und den Zeiten, in denen er ruht (vgl. BAG 11. Juli 2006 – 9 AZR 519/05 – Rn. 39, BAGE 119, 41). Dem Arbeitnehmer soll ohne Unterbrechung durch Arbeit genügend Zeit zur Erholung, Entspannung und Schlaf zur Verfügung stehen.
28
(b) Die durch § 5 Abs. 1 ArbZG gewährleistete Erholungszeit ist durch Betriebsratstätigkeit – unabhängig davon, ob diese Arbeit im arbeitszeitrechtlichen Sinne darstellt – in vergleichbarer Weise beeinträchtigt wie durch die Erbringung von Arbeitsleistung. Denn Betriebsratstätigkeit steht regelmäßig hinsichtlich der Anforderungen an Aufmerksamkeit und geistige Leistungsfähigkeit denjenigen bei der Erbringung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit nicht nach (vgl. BAG 7. Juni 1989 – 7 AZR 500/88 – zu 3 der Gründe, BAGE 62, 83).
29
Zwar üben Betriebsratsmitglieder ihre Tätigkeit nach § 37 Abs. 1 BetrVG als Ehrenamt aus. Im Gegensatz zu außerhalb des Arbeitsverhältnisses erbrachtem ehrenamtlichen Engagement, das – gleich wie belastend es ist – nicht den Vorgaben des Arbeitszeitrechts unterliegt (vgl. Hunold NZA 1995, 558; Wiebauer NZA 2013, 540, 541), weist die Mandatsausübung einen unmittelbaren Bezug zum Arbeitsverhältnis auf. Die Mitgliedschaft im Betriebsrat setzt das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses voraus (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 1, § 24 Nr. 3 BetrVG). Die Betriebsratsaufgaben werden im Interesse des Betriebs und der Belegschaft wahrgenommen (vgl. Schaub/Vogelsang ArbR-HdB 16. Aufl. § 156 Rn. 14 und § 8 Rn. 9). Sie bestehen wesentlich in der Regelung betrieblicher Belange und werden in der Regel im Betrieb ausgeübt. Betriebsratsmitglieder sind zur Wahrnehmung der ihnen nach dem BetrVG obliegenden Aufgaben verpflichtet. Das gilt insbesondere für die Teilnahme an Betriebsratssitzungen. Finden diese außerhalb ihrer Arbeitszeit statt, können sie daher nicht frei über ihre Zeit verfügen und ihren eigenen Interessen nachgehen. Tätigkeiten, die ein Arbeitnehmer in Wahrnehmung seiner gesetzlichen Rechte und Pflichten als Betriebsratsmitglied verrichtet, sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum gesetzlichen Unfallversicherungsschutz den Interessen des Unternehmens zu dienen bestimmt (BSG 20. Februar 2001 – B 2 U 7/00 R – juris-Rn. 16, BSGE 87, 294). Diese Besonderheiten gebieten es, ehrenamtliche Betriebsratstätigkeit durch die Heranziehung der in § 5 Abs. 1 ArbZG enthaltenen Wertungen anders zu behandeln als sonstige in der Freizeit erbrachte ehrenamtliche Tätigkeit.
30
(4) Danach war es dem Kläger nicht zumutbar, seine Arbeitsleistung in der Nachtschicht vom 16. auf den 17. Juli 2013 nach 3:00 Uhr zu erbringen. Nur durch die Einstellung der Arbeit ab diesem Zeitpunkt war am 17. Juli 2013 nach der Nachtschicht wegen der in der Zeit von 13:00 Uhr bis 15:30 Uhr stattfindenden Betriebsratssitzung eine ununterbrochene Erholungszeit von elf Stunden gewährleistet, da der Kläger in der folgenden Nachtschicht wieder ab 22:00 Uhr Arbeitsleistung zu erbringen hatte.
31
2. Der Anspruch auf Gutschrift von zwei Stunden auf dem Arbeitszeitkonto für die Zeit von 3:00 Uhr bis 5:00 Uhr am 17. Juli 2013 ist nicht nach der tariflichen Ausschlussfrist in § 19 Nr. 4 EMTV verfallen. Zur Vermeidung des Erlöschens musste der Kläger den Anspruch nach § 19 Nr. 2 Buchst. b iVm. Nr. 4 EMTV innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit geltend machen. Diese Frist ist jedenfalls mit der Zustellung der vorliegenden Klage bei der Beklagten am 4. Oktober 2013 eingehalten. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger mit der Klage ursprünglich einen auf § 37 Abs. 2 BetrVG gestützten Vergütungsanspruch geltend gemacht hat. Der Anspruch auf eine Zeitgutschrift tritt an die Stelle des ursprünglichen Vergütungsanspruchs aus § 611 BGB (BAG 28. Juli 2010 – 5 AZR 521/09 – Rn. 17, BAGE 135, 197). Das Arbeitszeitkonto drückt nur in anderer Form den Vergütungsanspruch aus (vgl. BAG 22. Januar 2009 – 6 AZR 78/08 – Rn. 15, BAGE 129, 170; 13. Februar 2002 – 5 AZR 470/00 – zu I 2 b bb der Gründe, BAGE 100, 256).
32
III. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, ob die Klage auch im Hinblick auf die begehrte Gutschrift von 2,5 Stunden für die außerhalb der Arbeitszeit erbrachte Betriebsratstätigkeit am 17. Juli 2013 in der Zeit von 13:00 Uhr bis 15:30 Uhr begründet ist.
33
1. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Kläger nach § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG iVm. § 611 BGB einen Anspruch auf Gutschrift von 2,5 Stunden auf seinem Arbeitszeitkonto wegen der Erbringung von Betriebsratstätigkeit außerhalb seiner Arbeitszeit erworben hat. Dieser Anspruch ist nicht durch Erfüllung iSv. § 362 BGB erloschen.
34
a) Da das Arbeitszeitkonto den Vergütungsanspruch verbindlich bestimmt, hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf korrekte Führung. Geleistete Arbeit ist gemäß § 611 Abs. 1 BGB in das Konto aufzunehmen. Diese Grundsätze gelten ebenso für Angaben, die ein durch Befreiung von der Arbeitspflicht auszugleichendes Zeitguthaben ausweisen. Auch hinsichtlich dieser Daten hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf korrekte Führung des Arbeitszeitkontos und kann bei fehlerhaften Angaben eine Berichtigung verlangen (BAG 15. Februar 2012 – 7 AZR 774/10 – Rn. 20).
35
b) Der Kläger hat aufgrund der Teilnahme an der Betriebsratssitzung am 17. Juli 2013 nach § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG Anspruch auf Arbeitsbefreiung im Umfang von 2,5 Stunden und daher auch auf die erstrebte Berichtigung des Arbeitszeitkontos durch eine entsprechende Gutschrift.
36
aa) Nach § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG hat ein Betriebsratsmitglied zum Ausgleich für Betriebsratstätigkeit, die aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen ist, Anspruch auf entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Betriebsbedingte Gründe liegen nach § 37 Abs. 3 Satz 2 BetrVG auch vor, wenn die Betriebsratstätigkeit wegen der unterschiedlichen Arbeitszeiten der Betriebsratsmitglieder nicht innerhalb der persönlichen Arbeitszeit erfolgen kann. Fällt die Betriebsratstätigkeit eines in Wechselschicht arbeitenden Betriebsratsmitglieds in dessen schichtfreie Zeit, wird sie daher aus betriebsbedingten Gründen außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit durchgeführt (vgl. BAG 16. April 2003 – 7 AZR 423/01 – zu I 1 der Gründe, BAGE 106, 87; zur Tätigkeit eines Wahlvorstands BAG 26. April 1995 – 7 AZR 874/94 – zu I 1 b der Gründe, BAGE 80, 54). Die Arbeitsbefreiung ist gemäß § 37 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 BetrVG vor Ablauf eines Monats zu gewähren. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Freistellungsanspruch zu erfüllen, wobei er aber nicht im Sinn einer Ausschlussfrist an die gesetzliche Monatsfrist gebunden ist (vgl. BAG 15. Februar 2012 – 7 AZR 774/10 – Rn. 22; 25. August 1999 – 7 AZR 713/97 – zu II 2 der Gründe, BAGE 92, 241).
37
bb) Hiernach hat der Kläger aufgrund der außerhalb seiner Arbeitszeit erfolgten Teilnahme an der Betriebsratssitzung am 17. Juli 2013 in der Zeit von 13:00 Uhr bis 15:30 Uhr einen Freistellungsanspruch im Umfang von 2,5 Stunden erworben. Zwischen den Parteien ist nicht streitig, dass die Betriebsratstätigkeit erforderlich iSd. § 37 Abs. 2 BetrVG war und wegen der unterschiedlichen Arbeitszeiten der Betriebsratsmitglieder iSv. § 37 Abs. 3 Satz 2 BetrVG aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit des Klägers durchgeführt werden musste.
38
c) Der Arbeitsbefreiungsanspruch des Klägers ist entgegen der Auffassung der Beklagten durch die Zahlung von 60,00 Euro brutto nicht nach § 362 Abs. 1 BGB durch Erfüllung erloschen.
39
aa) Die Erfüllung des geschuldeten Anspruchs nach § 362 Abs. 1 BGB erfordert die Bewirkung der geschuldeten Leistung an den Gläubiger. Die Erfüllung des Anspruchs nach § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG erfolgt durch Freistellung des Arbeitnehmers von seiner Pflicht, Arbeitsleistungen zu erbringen (vgl. BAG 19. März 2014 – 7 AZR 480/12 – Rn. 18; 15. Februar 2012 – 7 AZR 774/10 – Rn. 25). Dazu hat der Arbeitgeber das Betriebsratsmitglied von seiner vertraglich bestehenden Pflicht, Arbeitsleistungen zu erbringen, ohne Minderung der Vergütung freizustellen und so im Ergebnis dessen Sollarbeitszeit zu reduzieren (BAG 15. Februar 2012 – 7 AZR 774/10 – Rn. 25). Wie bereits der Wortlaut des § 37 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 BetrVG ausdrückt („ist … zu gewähren“), bedarf die Freistellung einer empfangsbedürftigen gestaltenden Erklärung des Arbeitgebers, mit der er zum Zweck der Erfüllung des Arbeitsbefreiungsanspruchs nach § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG auf sein vertragliches Recht auf Leistung der geschuldeten Dienste in einem bestimmten Umfang verzichtet und die Arbeitspflicht des Betriebsratsmitglieds zum Erlöschen bringt (vgl. BAG 19. März 2014 – 7 AZR 480/12 – Rn. 19; 15. Februar 2012 – 7 AZR 774/10 – Rn. 25).
40
bb) Danach wurde der Freizeitausgleichsanspruch des Klägers durch die Zahlung von 60,00 Euro brutto nicht erfüllt. Mit dieser Entgeltzahlung hat die Beklagte nicht die geschuldete Leistung bewirkt. Der Freizeitausgleichsanspruch hatte sich nicht nach § 37 Abs. 3 Satz 3 BetrVG in einen Abgeltungsanspruch umgewandelt. Eine solche Umwandlung erfolgt weder mit Ablauf der Monatsfrist des § 37 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 BetrVG noch durch eine bloße Untätigkeit des Arbeitgebers. Der Abgeltungsanspruch entsteht vielmehr nur, wenn die Arbeitsbefreiung aus betriebsbedingten Gründen nicht möglich ist. Solange diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, ist das Betriebsratsmitglied darauf angewiesen, den Freizeitausgleichsanspruch geltend zu machen und notfalls gerichtlich durchzusetzen (BAG 28. Mai 2014 – 7 AZR 404/12 – Rn. 23). Das Betriebsratsmitglied kann also nicht statt des Freizeitausgleichs die Abgeltung verlangen, und auch der Arbeitgeber kann nicht statt des Freizeitausgleichs die Abgeltung gewähren (vgl. Thüsing in Richardi BetrVG 15. Aufl. § 37 Rn. 61). Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass der Beklagten die Gewährung der Arbeitsbefreiung aus betriebsbedingten Gründen unmöglich war.
41
d) Entgegen der Auffassung der Beklagten muss sich der Kläger auf den Freistellungsanspruch nach § 37 Abs. 3 BetrVG auch nicht die in der vorausgegangenen Nachtschicht erfolgte Freistellung anrechnen lassen. Da der Freistellungsanspruch nach § 37 Abs. 3 BetrVG erst nach der Nachtschicht entstanden ist, war es der Beklagten nicht möglich, die Freistellung rückwirkend durch Arbeitsbefreiung in der Nachtschicht zu gewähren.
42
2. Der Senat kann nicht entscheiden, ob der Anspruch des Klägers auf die Gutschrift von 2,5 Stunden für die Zeit seiner Teilnahme an der Betriebsratssitzung nach § 19 Nr. 4 EMTV verfallen ist. Dies hat das Landesarbeitsgericht nicht geprüft und auch hierzu keine Feststellungen getroffen. Das wird das Landesarbeitsgericht nachzuholen haben.
43
a) Dem Verfall des Freistellungsanspruchs nach § 19 Nr. 4 EMTV steht nicht entgegen, dass sich die Beklagte erstmals in der Revisionsbegründung auf die Versäumung der tariflichen Ausschlussfrist berufen hat. Eine anzuwendende tarifliche Ausschlussfrist ist als rechtsvernichtende Einwendung von Amts wegen zu beachten, der Schuldner muss sich nicht auf ihre Wirkung berufen (vgl. BAG 24. August 2016 – 5 AZR 853/15 – Rn. 26; 16. März 2016 – 4 AZR 421/15 – Rn. 14 mwN, BAGE 154, 252).
44
b) Der streitgegenständliche Anspruch auf Berichtigung des Arbeitszeitkontos nach § 611 BGB iVm. § 37 Abs. 3 BetrVG wird als solcher aus dem Arbeitsverhältnis (vgl. BAG 16. April 2003 – 7 AZR 423/01 – zu II 1 der Gründe, BAGE 106, 87; vgl. zum Anspruch eines Personalratsmitglieds auf Freizeitausgleich nach § 46 Abs. 2 Satz 2 BPersVG BAG 26. Februar 1992 – 7 AZR 201/91 -) von § 19 Nr. 2 Buchst. b, Nr. 4 EMTV erfasst.
45
c) Zur Vermeidung des Erlöschens musste der Kläger den Anspruch auf Freizeitausgleich nach § 19 Nr. 2 Buchst. b iVm. Nr. 4 EMTV innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit geltend machen. Ohne fristgerechte Geltendmachung ist der Anspruch nach § 19 Nr. 4 EMTV lediglich dann nicht verfallen, wenn der Kläger trotz Anwendung aller nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, diese Frist einzuhalten. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen lässt sich nicht beurteilen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind.
46
aa) Die Geltendmachung der Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis ist nach § 19 Abs. 2 Buchst. b EMTV an keine Form gebunden. Daher genügt es, wenn der Arbeitnehmer die Ansprüche mündlich geltend macht. Nach dem Zweck der tariflichen Ausschlussfrist ist unabhängig von der Einhaltung einer Form aber erforderlich, dass die Erfüllung des streitigen Anspruchs hinreichend konkret vom Arbeitgeber verlangt wird. Ausschlussfristen dienen der Rechtssicherheit (BAG 19. Januar 1999 – 9 AZR 405/97 – zu VI 2 b bb der Gründe). Die Geltendmachung setzt daher regelmäßig voraus, dass der Anspruch seinem Grunde nach hinreichend deutlich bezeichnet wird. Deshalb müssen die Art des Anspruchs sowie die Tatsachen, auf die der Anspruch gestützt wird, erkennbar sein. Eine rechtliche Begründung ist nicht erforderlich (vgl. BAG 22. April 2004 – 8 AZR 652/02 – zu II 1 a der Gründe; 18. Juni 2001 – 8 AZR 145/00 -). Für die Geltendmachung des Freizeitausgleichsanspruchs nach § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG genügt die bloße Anzeige über die während der Freizeit geleistete Betriebsratstätigkeit nicht (vgl. BAG 16. April 2003 – 7 AZR 423/01 – zu II 1 der Gründe, BAGE 106, 87; 25. August 1999 – 7 AZR 713/97 – zu II 3 b der Gründe, BAGE 92, 241).
47
bb) Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen ist nicht erkennbar, dass der Kläger den Freizeitausgleichsanspruch gemäß § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, der unmittelbar nach der Betriebsratstätigkeit am 17. Juli 2013 fällig wurde (vgl. BAG 16. April 2003 – 7 AZR 423/01 – zu II 2 a der Gründe, BAGE 106, 87), innerhalb von drei Monaten, dh. bis zum 17. Oktober 2013, gegenüber der Beklagten geltend gemacht hat. Mit der der Beklagten am 4. Oktober 2013 zugestellten Klage im vorliegenden Verfahren hat der Kläger keinen auf § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG gestützten Freistellungsanspruch, sondern lediglich einen Anspruch auf Vergütung der Zeit der am 17. Juli 2013 erbrachten Betriebsratstätigkeit geltend gemacht. Das genügte zur Geltendmachung des Freistellungsanspruchs nach § 37 Abs. 3 BetrVG nicht.
48
d) Die angefochtene Entscheidung ist daher hinsichtlich des zuerkannten Anspruchs auf Gutschrift von 2,5 Stunden auf dem Arbeitszeitkonto aufzuheben und die Sache in diesem Umfang zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Das Landesarbeitsgericht wird zu prüfen haben, ob der Kläger den Anspruch auf Freizeitausgleich für die Zeit seiner Teilnahme an der Betriebsratssitzung innerhalb der tariflichen Ausschlussfrist geltend gemacht hat oder ob er trotz Anwendung aller nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, die Frist einzuhalten.
Gräfl
Kiel
Waskow
R. Gmoser
Jacobi |
bag_1-19 | 22.01.2019 | 22.01.2019
1/19 - Urlaubsabgeltung bei Tod des Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsverhältnis
Endet das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers, haben dessen Erben nach § 1922 Abs. 1 BGB iVm. § 7 Abs. 4 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) Anspruch auf Abgeltung des von dem Erblasser nicht genommenen Urlaubs.
Die Klägerin ist Alleinerbin ihres am 20. Dezember 2010 verstorbenen Ehemanns (Erblasser), dessen Arbeitsverhältnis mit der Beklagten durch seinen Tod endete. Nach § 26 des auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) standen dem Erblasser in jedem Kalenderjahr 30 Arbeitstage Urlaub zu. Der Erblasser wurde mit Wirkung vom 18. August 2010 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Er hatte danach gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB IX aF für das Jahr 2010 Anspruch auf anteiligen Zusatzurlaub von zwei Arbeitstagen. Die Klägerin verlangt die Abgeltung des Resturlaubs von insgesamt 25 Arbeitstagen, der ihrem verstorbenen Ehemann zum Zeitpunkt seines Todes für das Jahr 2010 noch zustand.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die Beklagte hat den nicht gewährten Urlaub des Erblassers mit einem Betrag iHv. 5.857,75 Euro brutto abzugelten.
Urlaub, der wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommen werden kann, ist nach § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten. Die nach dem europäischen Unionsrecht gebotene Auslegung von §§ 1, 7 Abs. 4 BUrlG ergibt, dass der Resturlaub auch dann abzugelten ist, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass der durch Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) gewährleistete Anspruch auf bezahlten Mindestjahresurlaub nicht mit dem Tod des Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsverhältnis untergehen darf, ohne dass ein Anspruch auf finanzielle Vergütung für diesen Urlaub besteht, der im Wege der Erbfolge auf den Rechtsnachfolger des Arbeitnehmers überzugehen hat (EuGH 6. November 2018 – C-569/16 und C-570/16 – [Bauer und Willmeroth]). Daraus folgt für die richtlinienkonforme Auslegung von §§ 1, 7 Abs. 4 BUrlG, dass die Vergütungskomponente des Anspruchs auf den vor dem Tod nicht mehr genommenen Jahresurlaub als Bestandteil des Vermögens Teil der Erbmasse wird. Der Abgeltungsanspruch der Erben umfasst dabei nicht nur den Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub nach §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG von 24 Werktagen, sondern auch den Anspruch auf Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen nach § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX aF sowie den Anspruch auf Urlaub nach § 26 TVöD, der den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigt. Dem TVöD lässt sich nicht entnehmen, dass dem Erben das Verfallrisiko für den tariflichen Mehrurlaub bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Tod des Arbeitnehmers zugewiesen ist.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22. Januar 2019 – 9 AZR 45/16 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 15. Dezember 2015 – 3 Sa 21/15 – | Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 15. Dezember 2015 – 3 Sa 21/15 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Leitsatz
Endet das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers, haben dessen Erben nach § 1922 Abs. 1 BGB iVm. § 7 Abs. 4 BUrlG Anspruch auf Abgeltung des von dem Erblasser nicht genommenen Urlaubs.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Abgeltung von Urlaubsansprüchen des verstorbenen Ehemanns der Klägerin aus dem Jahr 2010.
2
Die Klägerin ist Alleinerbin ihres am 20. Dezember 2010 verstorbenen Ehemanns (Erblasser). Dieser war bis zu seinem Tod bei der Beklagten mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden und einer Stundenvergütung iHv. 30,04 Euro brutto in einer Fünftagewoche beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst vom 13. September 2005 (TVöD) Anwendung. In diesem Tarifvertrag heißt es in der für den streitigen Zeitraum maßgeblichen Fassung ua.:
„§ 26
Erholungsurlaub
(1)
1Beschäftigte haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts (§ 21). 2Bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der Kalenderwoche beträgt der Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr
…
nach dem vollendeten 40. Lebensjahr
30 Arbeitstage.
… 6Der Erholungsurlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und kann auch in Teilen genommen werden.
(2)
Im Übrigen gilt das Bundesurlaubsgesetz mit folgenden Maßgaben:
a)
Im Falle der Übertragung muss der Erholungsurlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres angetreten werden. Kann der Erholungsurlaub wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März angetreten werden, ist er bis zum 31. Mai anzutreten.
b)
Beginnt oder endet das Arbeitsverhältnis im Laufe eines Jahres, erhält die/der Beschäftigte als Erholungsurlaub für jeden vollen Monat des Arbeitsverhältnisses ein Zwölftel des Urlaubsanspruchs nach Absatz 1; § 5 BUrlG bleibt unberührt.
…“
3
Der Erblasser wurde im Dezember 2010 rückwirkend zum 18. August 2010 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Einschließlich eines zeitanteiligen Zusatzurlaubs für schwerbehinderte Menschen von zwei Tagen hatte er vor seinem Tod für das Jahr 2010 einen Resturlaubsanspruch von 25 Arbeitstagen. Die Klägerin verlangte von der Beklagten mit einem am 5. Januar 2011 zugegangenen Schreiben vom selben Tage ohne Erfolg, den dem Erblasser vor seinem Tod zustehenden Urlaub abzugelten.
4
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.857,75 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. Januar 2011 zu zahlen.
5
Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt und die Rechtsauffassung vertreten, der Erbe eines während des Arbeitsverhältnisses verstorbenen Arbeitnehmers könne nicht die Abgeltung des diesem vor seinem Tod zustehenden Urlaubs beanspruchen. Jedenfalls bestehe ein solcher Anspruch nicht in einer den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigenden Höhe.
6
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr auf Abweisung der Klage gerichtetes Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
7
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Klage ist begründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht erkannt, dass die Klägerin gemäß § 1922 Abs. 1 BGB iVm. § 7 Abs. 4 BUrlG von der Beklagten die Abgeltung von 25 Arbeitstagen Urlaub mit einem Betrag iHv. 5.857,75 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. Januar 2011 beanspruchen kann.
8
I. Dem Erblasser standen nach den getroffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts bis zu seinem Tod am 20. Dezember 2010 noch 25 Arbeitstage Urlaub aus dem Jahr 2010 zu. Dieser setzte sich aus dem gesetzlichen Mindesturlaub (§§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG), tariflichem Mehrurlaub (§ 26 Abs. 1 TVöD) und anteiligem Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen (§ 125 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB IX in der bis zum 31. Dezember 2017 gültigen Fassung – SGB IX aF) zusammen.
9
II. Die Klägerin kann nach § 1922 Abs. 1 BGB iVm. § 7 Abs. 4 BUrlG die Abgeltung des gegenüber dem Erblasser bis zu dessen Tod nicht erfüllten Urlaubsanspruchs verlangen. Im Zeitpunkt des Todes endete das Arbeitsverhältnis des Erblassers. Zugleich ging sein Vermögen gemäß § 1922 Abs. 1 BGB auf die Klägerin als Alleinerbin über. Der Anspruch auf Vergütung als finanzieller Aspekt des dem Erblasser bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch zustehenden Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub ist mit Eintritt des Erbfalls nicht erloschen. Er besteht fort und ist an die Erben abzugelten (§ 7 Abs. 4 BUrlG).
10
1. Für den gesetzlichen Mindesturlaub ergibt dies die richtlinienkonforme Auslegung der §§ 1, 7 Abs. 4 BUrlG (vgl. Arnold/Zeh NZA 2019, 1, 5; ErfK/Gallner 19. Aufl. BUrlG § 1 Rn. 23; Joussen RdA 2015, 305, 321; Kamanabrou RdA 2017, 162, 164 f.; Pötters Anm. EuZW 2014, 590, 592; Ricken NZA 2014, 1361, 1362 f.; Schneider ZESAR 2017, 79, 82 f.; Worm/Thelen NJW 2016, 1764, 1765). Der Senat hält an seiner gegenteiligen Rechtsprechung (zuletzt BAG 18. Oktober 2016 – 9 AZR 45/16 (A) – und – 9 AZR 196/16 (A) – jeweils Rn. 14) nicht weiter fest.
11
a) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats stand den Erben eines verstorbenen Arbeitnehmers kein Anspruch auf Urlaubsabgeltung nach § 7 Abs. 4 BUrlG zu, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endete (zuletzt BAG 18. Oktober 2016 – 9 AZR 45/16 (A) – und – 9 AZR 196/16 (A) – jeweils Rn. 14 mwN). Dem lag im Wesentlichen die Annahme zugrunde, der Urlaubsanspruch nach § 1 BUrlG gehe als höchstpersönlicher Anspruch des Arbeitnehmers iSd. § 613 Satz 1 BGB mit dessen Tod unter. Der Tod führe nicht nur zum Erlöschen des Freistellungsanspruchs des Arbeitnehmers, sondern auch zum Untergang des Anspruchs auf Zahlung der Vergütung für die Zeit des nicht genommenen Urlaubs. Vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erwerbe der Arbeitnehmer keine Vermögensposition, die als Teil seines Vermögens nach § 1922 Abs. 1 BGB mit dem Erbfall auf die Erben übergehe und sich als Vollrecht, werdendes Recht oder Anwartschaft nach seinem Tod in einen Abgeltungsanspruch iSv. § 7 Abs. 4 BUrlG umwandeln könne (vgl. BAG 12. März 2013 – 9 AZR 532/11 – Rn. 12; 20. September 2011 – 9 AZR 416/10 – Rn. 14 ff. mwN, BAGE 139, 168).
12
b) Mit Beschlüssen vom 18. Oktober 2016 (- 9 AZR 45/16 (A) – und – 9 AZR 196/16 (A) -) hat der Senat den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung ersucht, ob Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG oder Art. 31 Abs. 2 GRC dem Erben eines während des Arbeitsverhältnisses verstorbenen Arbeitnehmers einen Anspruch auf einen finanziellen Ausgleich für den dem Arbeitnehmer vor seinem Tod zustehenden Jahresurlaub einräumt.
13
c) Der Gerichtshof hat mit Urteil vom 6. November 2018 (- C-569/16 und C-570/16 – [Bauer und Willmeroth]) in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. dazu insb. EuGH 12. Juni 2014 – C-118/13 – [Bollacke]) erkannt, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Tod des Arbeitnehmers der von ihm erworbene, vor seinem Tod nicht mehr genommene Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub untergeht, ohne dass ein Anspruch auf finanzielle Vergütung für diesen Urlaub besteht, der im Wege der Erbfolge auf die Rechtsnachfolger des Arbeitnehmers übergehen könnte (EuGH 6. November 2018 – C-569/16 und C-570/16 – [Bauer und Willmeroth]).
14
aa) Der Gerichtshof geht davon aus, dass der Tod nicht rückwirkend zum vollständigen Verlust des einmal erworbenen Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub führt, der gleichbedeutend mit dem Anspruch auf Freistellung den auf Bezahlung umfasst. Unter seinem finanziellen Aspekt betrachtet sei der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub rein vermögensrechtlicher Natur. Dieser Vermögensbestandteil dürfe den Erben des Arbeitnehmers durch dessen Tod nicht rückwirkend entzogen werden. Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG sehe vor, dass der bezahlte Mindestjahresurlaub außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden dürfe und stelle damit insbesondere sicher, dass der Arbeitnehmer über eine tatsächliche Ruhezeit verfügen könne, damit ein wirksamer Schutz seiner Sicherheit und seiner Gesundheit gewährleistet sei. Ende das Arbeitsverhältnis, sei es aber nicht mehr möglich, den bezahlten Jahresurlaub, der dem Arbeitnehmer zugestanden habe, tatsächlich zu nehmen. Um zu verhindern, dass dem Arbeitnehmer wegen der Unmöglichkeit, den Urlaub nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu nehmen, jeder Genuss dieses Anspruchs, selbst in finanzieller Form, verwehrt werde, bestimme Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG, dass der Arbeitnehmer Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für die nicht genommenen Urlaubstage habe. Die Bestimmung stelle für das Entstehen des Anspruchs keine anderen Voraussetzungen auf als diejenigen, dass zum einen das Arbeitsverhältnis beendet sei und zum anderen der Arbeitnehmer nicht den gesamten bezahlten Jahresurlaub genommen habe, auf den er bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch hatte. Der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses spiele für den Anspruch auf eine finanzielle Vergütung keine Rolle (EuGH 6. November 2018 – C-569/16 und C-570/16 – [Bauer und Willmeroth] Rn. 42 bis 48).
15
bb) Der Gerichtshof hat hervorgehoben, dass eine nationale Regelung nicht anzuwenden sei, wenn sie nicht in diesem Sinne im Einklang mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC ausgelegt werden könne. Das nationale Gericht habe aber dafür Sorge zu tragen, dass der Rechtsnachfolger des verstorbenen Arbeitnehmers von dem Arbeitgeber eine finanzielle Vergütung für den vom Arbeitnehmer gemäß diesen Bestimmungen erworbenen, vor seinem Tod nicht mehr genommenen bezahlten Jahresurlaub erhalte. Stehe dem Rechtsnachfolger in einem Rechtsstreit ein staatlicher Arbeitgeber gegenüber, folge diese Verpflichtung für das nationale Gericht aus Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und aus Art. 31 Abs. 2 GRC. Stehe ihm ein privater Arbeitgeber gegenüber, folge sie aus Art. 31 Abs. 2 GRC (vgl. EuGH 6. November 2018 – C-569/16 und C-570/16 – [Bauer und Willmeroth] Rn. 92).
16
d) Die nationalen Gerichte sind danach gehalten, bei der Anwendung des nationalen Rechts dieses so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen, um das in der Richtlinie festgelegte Ziel zu erreichen und damit Art. 288 Abs. 3 AEUV nachzukommen (vgl. EuGH 6. November 2018 – C-569/16 und C-570/16 – [Bauer und Willmeroth] Rn. 66 f.).
17
aa) Art. 267 AEUV weist dem Gerichtshof zur Verwirklichung der Verträge über die Europäische Union, der Rechtssicherheit und der Rechtsanwendungsgleichheit sowie einer einheitlichen Auslegung und Anwendung des Unionsrechts die Aufgabe der verbindlichen Auslegung der Verträge und Richtlinien zu (vgl. BAG 21. Februar 2017 – 1 ABR 62/12 – Rn. 27, BAGE 158, 121; 7. August 2012 – 9 AZR 353/10 – Rn. 26, BAGE 142, 371). Daraus folgt, dass die nationalen Gerichte die Unionsvorschrift in dieser Auslegung (grundsätzlich) auch auf andere Rechtsverhältnisse als das dem Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegende anwenden können und müssen, und zwar auch auf solche, die vor Erlass der auf das Auslegungsersuchen ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs entstanden sind (BVerfG 10. Dezember 2014 – 2 BvR 1549/07 – Rn. 26).
18
bb) Allerdings unterliegt der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts Schranken. Die Pflicht zur Verwirklichung eines Richtlinienziels im Weg der Auslegung findet ihre Grenzen an dem nach innerstaatlicher Rechtstradition methodisch Erlaubten. Sie darf nicht als Grundlage für eine Auslegung des nationalen Rechts contra legem dienen. Besteht jedoch ein Auslegungsspielraum, ist das nationale Gericht verpflichtet, diesen zur Verwirklichung des Richtlinienziels bestmöglich auszuschöpfen (vgl. BVerfG 26. September 2011 – 2 BvR 2216/06, 2 BvR 469/07 – Rn. 46 f.). Ob und inwieweit das innerstaatliche Recht eine entsprechende richtlinienkonforme Auslegung zulässt, haben allein die nationalen Gerichte zu beurteilen (BVerfG 26. September 2011 – 2 BvR 2216/06, 2 BvR 469/07 – Rn. 47; 21. Februar 2017 – 1 ABR 62/12 – Rn. 29, BAGE 158, 121; 7. August 2012 – 9 AZR 353/10 – Rn. 31, BAGE 142, 371).
19
e) Die Bestimmungen der §§ 1, 7 Abs. 4 BUrlG lassen sich richtlinienkonform auslegen. Damit bedarf es keiner Entscheidung des Senats, ob und inwieweit diese Vorschriften des Bundesurlaubsgesetzes aufgrund der Entscheidung des Gerichtshofs vom 6. November 2018 (- C-569/16 und C-570/16 – [Bauer und Willmeroth]) wegen Unvereinbarkeit mit Art. 31 Abs. 2 GRC unangewendet bleiben müssten.
20
aa) Der Wortlaut von § 1 und § 7 Abs. 4 BUrlG steht einer richtlinienkonformen Auslegung nicht entgegen, nach der den Erben der Abgeltungsanspruch auch für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Tod des Arbeitnehmers zusteht. Vielmehr ist der finanzielle Aspekt des Anspruchs auf Erholungsurlaub im Bundesurlaubsgesetz unabdingbar angelegt.
21
(1) Nach § 1 BUrlG hat jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Das Bundesurlaubsgesetz begründet damit nicht nur einen Freistellungsanspruch, sondern auch einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Bezahlung. Das Gesetz verlangt, dass die Zeit der Freistellung von der Arbeitspflicht „bezahlt“ sein muss. § 1 BUrlG entspricht insoweit Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG, der den Anspruch auf Freistellung und denjenigen auf Zahlung des Urlaubsentgelts als zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs behandelt (BAG 10. Februar 2015 – 9 AZR 455/13 – Rn. 21, BAGE 150, 355).
22
(2) § 7 Abs. 4 BUrlG sieht vor, dass der Urlaub abzugelten ist, wenn er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Die Bestimmung knüpft allein an die durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses verursachte Unmöglichkeit an, den noch bestehenden Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers durch bezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht zu realisieren, ohne bestimmte Beendigungstatbestände auszunehmen. Sie trifft keine Unterscheidung zwischen den Beendigungstatbeständen und enthält keine gesonderte Regelung über das rechtliche Schicksal der Vergütungskomponente des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet. § 7 Abs. 4 BUrlG lässt damit seinem Wortlaut nach die Auslegung zu, dass Urlaub abzugelten ist, weil das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet und dadurch unmittelbar („wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses“) die Unmöglichkeit der Urlaubsgewährung eintritt (vgl. Kamanabrou RdA 2017, 162, 165; Schipper/Polzer NZA 2011, 80, 81; aA noch BAG 20. September 2011 – 9 AZR 416/10 – Rn. 22 ff., BAGE 139, 168).
23
bb) Dieses richtlinienkonforme Verständnis entspricht sowohl dem Sinn und Zweck von § 1 und § 7 Abs. 4 BUrlG als auch der Systematik des Bundesurlaubsgesetzes. Die Bestimmungen des § 1 und § 7 Abs. 4 BUrlG sollen gewährleisten, dass jeder Arbeitnehmer in regelmäßigem Rhythmus eine gewisse Zeit der Erholung erhält (vgl. BAG 7. August 2012 – 9 AZR 353/10 – Rn. 24, BAGE 142, 371; 26. Juni 1969 – 5 AZR 393/68 – zu 1 der Gründe, BAGE 22, 85) und Urlaubsansprüche nicht über einen langen Zeitraum angesammelt oder allein durch Zahlung von Geld ersetzt werden. Die Vergütungskomponente des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub ist daher im bestehenden Arbeitsverhältnis fest mit dem Freistellungsanspruch verbunden. Sie darf aufgrund des sich aus § 7 Abs. 4 BUrlG ergebenden Abgeltungsverbots nicht isoliert erfüllt werden. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entfällt jedoch die Arbeitspflicht und damit die Möglichkeit, dem Arbeitnehmer durch Freistellung von der Arbeitspflicht Urlaub zu gewähren (vgl. BAG 10. Februar 2015 – 9 AZR 455/13 – Rn. 19, BAGE 150, 355). Die Bindung des Anspruchs auf Bezahlung an den Freistellungsanspruch und seine zeitliche Begrenzung nach Maßgabe von § 7 Abs. 1 und Abs. 3 BUrlG wird aufgelöst. § 7 Abs. 4 BUrlG bestimmt als spezialgesetzliche Regelung des Leistungsstörungsrechts die Rechtsfolgen der Unmöglichkeit der Urlaubsgewährung infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und verdrängt damit die allgemeinen Regelungen der §§ 275 ff. BGB, die ansonsten bei Unmöglichkeit von Leistungen gelten (BAG 20. September 2011 – 9 AZR 416/10 – Rn. 23 mwN, BAGE 139, 168). Während der Freistellungsanspruch infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses untergeht, erhält § 7 Abs. 4 BUrlG die Vergütungskomponente des Urlaubsanspruchs als Abgeltungsanspruch selbstständig aufrecht. Der aus Freistellung von der Arbeitspflicht und Bezahlung zusammengesetzte Urlaubsanspruch wandelt sich in einen Anspruch auf Abgeltung des noch nicht erfüllten Urlaubs. Diese Umwandlung erfolgt, ohne dass der finanzielle Aspekt des originären Urlaubsanspruchs zunächst erlischt. Das Bundesurlaubsgesetz bietet demgegenüber keinen Anhaltspunkt für die Annahme, der Anspruch auf Bezahlung als Bestandteil des Urlaubsanspruchs solle erst zu einem späteren Zeitpunkt als der Freistellungsanspruch entstehen oder der Tod des Arbeitnehmers führe als Sonderfall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses rückwirkend zum Verlust des erworbenen Zahlungsanspruchs.
24
2. Das Landesarbeitsgericht hat mit Recht angenommen, dass nicht nur der gesetzliche Mindesturlaub nach §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG, sondern auch der dem Erblasser nach § 125 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB IX aF (seit dem 1. Januar 2018 § 208 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB IX) zustehende Urlaub für schwerbehinderte Menschen Bestandteil der Erbmasse geworden ist. Nach § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX aF haben schwerbehinderte Menschen Anspruch auf einen bezahlten zusätzlichen Urlaub. Auf diesen Zusatzurlaub sind die Vorschriften über die Entstehung, Übertragung, Kürzung und Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs anzuwenden (st. Rspr., zB BAG 13. Dezember 2011 – 9 AZR 399/10 – Rn. 40 mwN, BAGE 140, 133). Auch der Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen ist daher gegenüber den Erben abzugelten, wenn das Arbeitsverhältnis durch Tod des Arbeitnehmers endet. Der Zusatzurlaubsanspruch nach § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX aF teilt das rechtliche Schicksal des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs, es sei denn, tarifliche oder einzelvertragliche Bestimmungen sehen für den Arbeitnehmer günstigere Bestimmungen vor (BAG 13. Dezember 2011 – 9 AZR 399/10 – aaO). Dem Zusatzurlaub liegt mithin derselbe Urlaubsbegriff zugrunde wie der Bestimmung des § 1 BUrlG.
25
3. Die Grundsätze über die Vererbbarkeit des finanziellen Aspekts des gesetzlichen Mindesturlaubs bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Tod des Arbeitnehmers gelten ebenso für den tariflichen Mehrurlaub des Erblassers. Die Tarifvertragsparteien haben in § 26 TVöD kein vom Bundesurlaubsgesetz abweichendes, eigenständiges Verständnis über den Urlaubsbegriff zugrunde gelegt, kein vollständiges Erlöschen des tariflichen Urlaubsanspruchs bei Tod des Arbeitnehmers während des Arbeitsverhältnisses angeordnet oder die Vererbbarkeit des tariflichen Mehrurlaubs ausgeschlossen.
26
a) Tarifvertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln (vgl. EuGH 3. Mai 2012 – C-337/10 – [Neidel] Rn. 34 ff. mwN; BAG 14. Februar 2017 – 9 AZR 386/16 – Rn. 14). Diese Befugnis schließt ein, das Erlöschen des tariflichen Mehrurlaubs bei Tod des Arbeitnehmers während des Arbeitsverhältnisses bzw. den Ausschluss dessen Vererbbarkeit zu bestimmen.
27
b) Für einen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, den tariflichen Mehrurlaub einem eigenen, von dem des gesetzlichen Mindesturlaubs abweichenden Regelungsregime zu unterstellen, müssen deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehlen solche, ist von einem Gleichlauf des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs und des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub auszugehen (vgl. BAG 14. Februar 2017 – 9 AZR 386/16 – Rn. 15 mwN). Der eigenständige, dem Gleichlauf von Mindest- und Mehrurlaub entgegenstehende Regelungswille muss sich auf den jeweils in Rede stehenden Regelungsgegenstand beziehen (hier das Erlöschen des Anspruchs auf zusätzlichen bezahlten Jahresurlaub bei Tod des Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsverhältnis bzw. Ausschluss der Vererbbarkeit des tariflichen Mehrurlaubs). Es genügt nicht, wenn in einem Tarifvertrag von Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes abgewichen wird, die mit den im Streit stehenden Regelungen nicht in einem inneren Zusammenhang stehen. Entscheidend ist vielmehr, dass das Regelungsregime der Tarifvertragsparteien hinreichend deutlich erkennen lässt, dass der Arbeitnehmer bzw. die Erben für den tariflichen Mehrurlaub das Verfallrisiko bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Tod des Arbeitnehmers tragen sollen (vgl. BAG 12. April 2011 – 9 AZR 80/10 – Rn. 28, BAGE 137, 328).
28
c) Die Tarifvertragsparteien haben in § 26 TVöD hinsichtlich des Urlaubsbegriffs, des Erlöschens von Urlaub bei Tod des Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsverhältnis oder der Urlaubsabgeltung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Tod des Arbeitnehmers keine vom Bundesurlaubsgesetz abweichende, eigenständige Regelung getroffen. § 26 TVöD lässt sich nicht entnehmen, dass der Vergütungskomponente des kalenderjährlichen „Anspruchs auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts“ kein Vermögenswert zukommen soll. Die allgemeine Bezugnahme auf die Bestimmungen des BUrlG in § 26 Abs. 2 TVöD deutet vielmehr darauf hin, dass dem TVöD der Urlaubsbegriff des § 1 BUrlG zugrunde liegt. Gesonderte Regelungen über das Schicksal des finanziellen Aspekts des Urlaubsanspruchs im Falle des Versterbens des Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsverhältnis enthält der TVöD nicht. Auch hinsichtlich des Urlaubsabgeltungsanspruchs haben die Tarifvertragsparteien nicht zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und dem tariflichen Mehrurlaub differenziert. Soweit § 26 Abs. 2 TVöD besondere Regelungen zur Übertragung des Urlaubs, der Berechnung des anteiligen Urlaubs, zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses und zum Zahlungszeitpunkt des Urlaubsentgelts enthält, stehen diese nicht in einem inneren Zusammenhang mit den vorliegend maßgeblichen Regelungsmaterien und lassen nicht auf einen (auch) darauf bezogenen eigenständigen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien schließen.
29
III. Der Klägerin steht nach § 1922 Abs. 1 BGB iVm. § 7 Abs. 4 BUrlG ein Abgeltungsanspruch iHv. 5.857,75 Euro brutto zu. Einwendungen gegen die Berechnung des Anspruchs hat die Beklagte nicht geltend gemacht.
30
IV. Der Abgeltungsanspruch der Klägerin ist nicht nach § 37 Abs. 1 Satz 1 TVöD verfallen. Er kann als reiner Geldanspruch einer tariflichen Ausschlussfrist unterliegen (vgl. BAG 16. Dezember 2014 – 9 AZR 295/13 – Rn. 28, BAGE 150, 207; 9. August 2011 – 9 AZR 365/10 – Rn. 14 ff., BAGE 139, 1). Der Anspruch der Klägerin auf Abgeltung des dem Erblasser bis zu seinem Tod zustehenden Urlaubs entstand mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 20. Dezember 2010 und wurde gleichzeitig fällig (vgl. BAG 17. Oktober 2017 – 9 AZR 80/17 – Rn. 29 mwN). Durch die schriftliche Geltendmachung des Urlaubsabgeltungsanspruchs am 5. Januar 2011 hat die Klägerin die Anschlussfrist des § 37 Abs. 1 Satz 1 TVöD gewahrt.
31
V. Die Zinsentscheidung beruht auf § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die Klägerin hat die Beklagte am 5. Januar 2011 zur Abgeltung des dem Erblasser bis zu seinem Tod noch zustehenden Resturlaubs aufgefordert und damit iSd. § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB durch eine Mahnung in Verzug gesetzt. Der Schuldnerverzug trat gemäß § 187 Abs. 1 BGB an dem auf den Zugang der Mahnung folgenden Kalendertag ein.
32
VI. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Kiel
Suckow
Zimmermann
Stang
Matth. Dipper |
bag_10-19 | 20.02.2019 | 20.02.2019
10/19 - Kündigung des Chefarztes eines katholischen Krankenhauses wegen Wiederverheiratung
Ein der römisch-katholischen Kirche verbundenes Krankenhaus darf seine Beschäftigten in leitender Stellung bei der Anforderung, sich loyal und aufrichtig im Sinne des katholischen Selbstverständnisses zu verhalten, nur dann nach ihrer Religionszugehörigkeit unterschiedlich behandeln, wenn dies im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.
Die Beklagte ist Trägerin von Krankenhäusern und institutionell mit der katholischen Kirche verbunden. Der katholische Kläger war bei ihr als Chefarzt beschäftigt. Den Dienstvertrag schlossen die Parteien unter Zugrundelegung der vom Erzbischof von Köln erlassenen Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 23. September 1993 (GrO 1993). Nach deren Art. 5 Abs. 2 GrO 1993 handelte es sich ua. beim Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe um einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß, der eine Kündigung rechtfertigen konnte. Der Kläger war nach katholischem Ritus verheiratet. Nach der Scheidung von seiner ersten Ehefrau heiratete er im Jahr 2008 ein zweites Mal standesamtlich. Nachdem die Beklagte hiervon Kenntnis erlangt hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30. September 2009. Hiergegen hat sich der Kläger mit der vorliegenden Kündigungsschutzklage gewandt. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Über ein in diesem Verfahren ergangenes Vorabentscheidungsersuchen des Senats zum Inhalt und zur Auslegung des Unionsrechts hat der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 11. September 2018 (- C-68/17 -) entschieden.
Die Revision der Beklagten hatte vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die Kündigung ist nicht durch Gründe im Verhalten oder in der Person des Klägers sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG). Mit seiner Wiederverheiratung verletzte dieser weder eine wirksam vereinbarte Loyalitätspflicht noch eine berechtigte Loyalitätserwartung der Beklagten. Die Vereinbarung im Dienstvertrag der Parteien, mit der die GrO 1993 in Bezug genommen wurde, ist gem. § 7 Abs. 2 AGG unwirksam, soweit dadurch das Leben in kirchlich ungültiger Ehe als schwerwiegender Loyalitätsverstoß bestimmt ist. Diese Regelung benachteiligte den Kläger gegenüber nicht der katholischen Kirche angehörenden leitenden Mitarbeitern wegen seiner Religionszugehörigkeit und damit wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, ohne dass dies nach § 9 Abs. 2 AGG gerechtfertigt ist. Dies folgt aus einer unionsrechtskonformen Auslegung von § 9 Abs. 2 AGG, jedenfalls aber aus dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts. Die Loyalitätspflicht, keine nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der katholischen Kirche ungültige Ehe zu schließen, war im Hinblick auf die Art der Tätigkeiten des Klägers und die Umstände ihrer Ausübung keine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung.
Nationales Verfassungsrecht (vgl. dazu BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 -) steht dem nicht entgegen. Das Unionsrecht darf die Voraussetzungen, unter denen die der Kirche zugeordneten Einrichtungen ihre Beschäftigten wegen der Religion ungleich behandeln dürfen, näher ausgestalten. Der Europäische Gerichtshof hat mit seiner Auslegung der Richtlinie 2000/78/EG seine Kompetenz nicht überschritten. Es handelt sich nicht um einen „Ultra-Vires-Akt“ oder einen solchen, durch den die Verfassungsidentität des Grundgesetzes berührt wird.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. Februar 2019 – 2 AZR 746/14 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 1. Juli 2010 – 5 Sa 996/09 – | Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 1. Juli 2010 – 5 Sa 996/09 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Leitsatz
§ 9 Abs. 2 AGG ist aufgrund von unionsrechtlichen Vorgaben dahin auszulegen, dass eine der Kirche zugeordnete Einrichtung nicht das Recht hat, bei einem Verlangen an das loyale und aufrichtige Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses Beschäftigte in leitender Stellung je nach deren Konfession oder Konfessionslosigkeit unterschiedlich zu behandeln, wenn nicht die Religion oder die Weltanschauung im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine berufliche Anforderung ist, die angesichts des Ethos der in Rede stehenden Einrichtung wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.
2
Die Beklagte betreibt ua. Krankenhäuser. Dabei verfolgt sie vorrangig eine religiöse Zielsetzung in Form der Verwirklichung von Aufgaben der Caritas als Lebens- und Wesensäußerung der römisch-katholischen Kirche. Die Beklagte unterliegt der Aufsicht des Erzbischofs von Köln. Der Kläger ist katholisch und war bei ihr seit dem Jahre 2000 auf der Grundlage eines Dienstvertrags vom 12. Oktober 1999 als Abteilungsarzt mit der Dienstbezeichnung „Chefarzt“ beschäftigt.
3
Die Parteien schlossen den Dienstvertrag unter Zugrundelegung der vom Erzbischof von Köln erlassenen Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 22. September 1993 (Amtsblatt des Erzbistums Köln S. 222; GrO 1993) und der Grundordnung für katholische Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen vom 5. November 1996 (Amtsblatt des Erzbistums Köln S. 321; GrOK-NRW). Nach Art. 3 Abs. 2 GrO 1993 konnten kirchliche Dienstgeber pastorale, katechetische sowie in der Regel erzieherische und leitende Aufgaben nur einer Person übertragen, die der katholischen Kirche angehört. Zu den in diesem Sinne leitend tätigen Mitarbeitern gehörten Abteilungsärzte (Abschnitt A. 5. Satz 2 GrOK-NRW). Art. 4 Abs. 1 GrO 1993 forderte von den katholischen Mitarbeitern, dass sie die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten. Nach Art. 5 Abs. 2 GrO 1993 handelte es sich beim Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe um einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß, der eine Kündigung rechtfertigen konnte. Die Weiterbeschäftigung war grundsätzlich ausgeschlossen, wenn der Loyalitätsverstoß von einem leitenden Mitarbeiter begangen wurde (Art. 5 Abs. 3 GrO 1993). In § 10 Abs. 4 Nr. 2 des Dienstvertrags der Parteien ist das Leben in kirchlich ungültiger Ehe oder eheähnlicher Gemeinschaft als wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung genannt.
4
Eine ungültige Ehe schließt nach katholischem Rechtsverständnis (vgl. Canon [Can.] 1085 § 1 Codex Iuris Canonici [CIC]), wer durch das Band einer früheren Ehe gebunden ist. Eine neue Eheschließung ist auch dann nicht erlaubt, wenn eine frühere Ehe nichtig oder aufgelöst worden ist, die Nichtigkeit bzw. die Auflösung der früheren Ehe aber noch nicht rechtmäßig und sicher feststeht (Can. 1085 § 2 CIC).
5
Der Kläger war mit seiner ersten Ehefrau nach katholischem Ritus verheiratet. Diese trennte sich von ihm im August 2005. Die Ehe wurde im März 2008 geschieden. Aus ihr waren zwei Töchter hervorgegangen. Mit seiner späteren zweiten Ehefrau lebte der Kläger von 2006 bis 2008 unverheiratet zusammen. Im August 2008 heiratete er ein zweites Mal standesamtlich, ohne dass seine erste Ehe kirchenrechtlich für nichtig erklärt worden war. Die Beklagte erfuhr von der erneuten Eheschließung spätestens im November 2008. Nach Anhörung der bei ihr bestehenden Mitarbeitervertretung kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 30. März 2009 fristgerecht zum 30. September 2009.
6
Dagegen hat der Kläger rechtzeitig Kündigungsschutzklage erhoben und die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die erneute Heirat stelle keinen Kündigungsgrund dar. Er habe sich nicht kirchenfeindlich verhalten. Die Kündigung verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Nach der GrO 1993 habe die Wiederheirat eines evangelischen oder konfessionslosen Abteilungsarztes keine Folgen für dessen Arbeitsverhältnis mit der Beklagten gehabt.
7
Der Kläger hat beantragt
1.
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30. März 2009 zum 30. September 2009 nicht beendet worden ist;
2.
für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag die Beklagte zu verpflichten, ihn über den 30. September 2009 hinaus als leitenden Arzt der Abteilung Medizinische Klinik (Innere Medizin) am S-Krankenhaus in D bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses weiterzubeschäftigen.
8
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial gerechtfertigt. Der Kläger sei eine ungültige Ehe im Sinne des katholischen Kirchenrechts eingegangen und habe dadurch in erheblicher Weise gegen seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis verstoßen. Soweit sie anderen wiederverheirateten Chefärzten nicht gekündigt habe, handele es sich – abgesehen von aus anderen Gründen mit dem Streitfall ihres Erachtens nicht vergleichbaren Fällen – nicht um katholische Arbeitnehmer, von denen nicht in derselben Weise wie von katholischen Mitarbeitern die Befolgung der katholischen Glaubens- und Sittenlehre verlangt werden könne.
9
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Das ihr Rechtsmittel zurückweisende Senatsurteil vom 8. September 2011 (- 2 AZR 543/10 – BAGE 139, 144) hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 22. Oktober 2014 (- 2 BvR 661/12 – BVerfGE 137, 273) aufgehoben und die Sache an das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen. Der Senat hat mit Beschluss vom 28. Juli 2016 (- 2 AZR 746/14 [A] – BAGE 156, 23) den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV um die Beantwortung von Fragen zur Auslegung von Unionsrecht und vorrangig von Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG (RL 2000/78/EG) ersucht. Hierüber hat der Gerichtshof mit Urteil vom 11. September 2018 (- C-68/17 -) entschieden.
Entscheidungsgründe
10
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend erkannt, dass die Kündigung der Beklagten vom 30. März 2009 sozial ungerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 KSchG ist.
11
I. Der Erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes fand nach § 1 Abs. 1, § 23 Abs. 1 KSchG im Kündigungszeitpunkt auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung.
12
II. Die Kündigung der Beklagten ist weder durch Gründe im Verhalten noch in der Person des Klägers iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Es fehlt an einem kündigungsrelevanten Verstoß des Klägers gegen eine vertragliche Loyalitätspflicht. Die Loyalitätserwartung, den heiligen und unauflöslichen Charakter der kirchlichen Eheschließung zu achten, stellt auch keine berechtigte Anforderung der Beklagten an die persönliche Eignung des Klägers dar. Die Vereinbarung im Dienstvertrag der Parteien, mit der Art. 4 Abs. 1 sowie Art. 5 Abs. 2 und Abs. 3 GrO 1993 in Bezug genommen wurden, war jedenfalls im Zeitpunkt der streitbefangenen Kündigung gem. § 7 Abs. 2 AGG unwirksam, soweit danach – iVm. Abschnitt A. 5. Satz 2 GrOK-NRW – bei Abteilungsärzten der Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der katholischen Kirche ungültigen Ehe einen Loyalitätsverstoß darstellt, der grundsätzlich eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt. Ebenso gem. § 7 Abs. 2 AGG unwirksam ist § 10 Abs. 4 Nr. 2 des Dienstvertrags, soweit danach das Leben in kirchlich ungültiger Ehe einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellt. Es handelt sich um Beschäftigungs- und Entlassungsbedingungen iSd. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG, die den Kläger gem. § 7 Abs. 1 iVm. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG unmittelbar wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligen, ohne dass dies nach § 9 Abs. 2 AGG gerechtfertigt ist. Nichts anderes würde gelten, soweit die Beklagte diese Loyalitätserwartungen nicht aus dem schriftlichen Dienstvertrag der Parteien, sondern aus ungeschriebenen nebenvertraglichen Pflichten (§ 241 Abs. 2 BGB) herleiten wollte.
13
1. Gemäß § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden. Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen, sind nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Sie sind auch dann an dieser Bestimmung zu messen, wenn sie zwar – wie hier – vor Inkrafttreten des AGG am 18. August 2006 abgeschlossen wurden, aber noch danach eine benachteiligende Wirkung entfalten (BAG 25. März 2015 – 5 AZR 458/13 – Rn. 24; 20. Juni 2013 – 2 AZR 295/12 – Rn. 37, BAGE 145, 296). § 33 AGG enthält insoweit keine entgegenstehende Übergangsregelung. Die benachteiligende Wirkung der Beschäftigungsbedingung, das Eingehen einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der katholischen Kirche ungültigen Ehe stelle einen Loyalitätsverstoß dar, dauerte über den Zeitpunkt des Inkrafttretens des AGG an. Sie sollte fortdauernd eine entsprechende arbeitsvertragliche Pflicht des Klägers begründen, gegen die er durch die erneute Eheschließung im August 2008 verstieß. Die benachteiligende Wirkung der Entlassungsbedingungen, wonach ein entsprechender Loyalitätsverstoß die Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen konnte, trat mit der darauf gestützten Kündigung der Beklagten vom 30. März 2009 ein.
14
2. Der Kläger wurde durch die fraglichen Beschäftigungs- und Entlassungsbedingungen wegen seiner Religion iSd. § 1 AGG, nämlich der Zugehörigkeit zur katholischen Kirche, gegenüber nicht der katholischen Kirche angehörenden Abteilungsärzten unmittelbar benachteiligt (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AGG). Das Leben in einer kirchlich ungültigen Ehe war gem. Art. 4 Abs. 1 iVm. Art. 5 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 der mit dem Dienstvertrag in Bezug genommenen GrO 1993 nur bei katholischen leitenden Arbeitnehmern, zu denen auch Abteilungsärzte gehörten, ein die Weiterbeschäftigung in der Regel nicht zulassender Verstoß gegen die Loyalitätsanforderungen, der eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen konnte. Hingegen hatte die Wiederheirat eines evangelischen oder konfessionslosen Abteilungsarztes nach den Regelungen der GrO 1993 keine Folgen für dessen Arbeitsverhältnis mit der Beklagten.
15
3. Diese Benachteiligung war nicht gem. § 9 Abs. 2 AGG gerechtfertigt.
16
a) Nach § 9 Abs. 2 AGG berührt das Verbot unterschiedlicher Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung nicht das Recht der in Absatz 1 der Bestimmung genannten Religionsgemeinschaften, der ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder der Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses zu verlangen. § 9 AGG dient der Umsetzung von Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG (BT-Drs. 16/1780 S. 35). Die Zulässigkeit einer unterschiedlichen Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei den Loyalitätsanforderungen gem. § 9 Abs. 2 AGG ist daher, soweit die im nationalen Recht anerkannten Auslegungsmethoden es zulassen, unter Beachtung der Richtlinie und der zu ihrer Auslegung ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu prüfen.
17
b) § 9 Abs. 2 AGG ist aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben, insbesondere von Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG, für eine der Kirche zugeordnete Einrichtung – nur über diese hat der Senat vorliegend zu befinden – dahin auszulegen, dass die Einrichtung nicht das Recht hat, bei einem Verlangen an das loyale und aufrichtige Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses Beschäftigte in leitender Stellung je nach deren Konfession oder Konfessionslosigkeit unterschiedlich zu behandeln, wenn nicht die Religion oder die Weltanschauung im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine berufliche Anforderung ist, die angesichts des Ethos der in Rede stehenden Einrichtung wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Die Frage, ob diese Kriterien erfüllt sind, unterliegt einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle.
18
aa) Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG bestimmt, dass die Kirchen und andere öffentliche oder private Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, im Einklang mit den einzelstaatlichen verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Rechtsvorschriften von den für sie arbeitenden Personen verlangen können, dass sie sich loyal und aufrichtig im Sinne des Ethos der Organisation verhalten, sofern die Bestimmungen der Richtlinie im Übrigen eingehalten werden.
19
bb) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass eine Ungleichbehandlung bei der Anforderung eines loyalen und aufrichtigen Verhaltens im Sinne des Ethos des Arbeitgebers gem. Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG, die sich ausschließlich auf die Konfession der Beschäftigten stützt, ua. die in Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 RL 2000/78/EG genannten Kriterien einzuhalten hat (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 49), was angesichts des sich aus Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) ergebenden Rechts auf wirksamen gerichtlichen Schutz der sich für die jeweilige Person aus dem Unionsrecht ergebenden Rechte gegebenenfalls einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegen muss (EuGH 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 59). Eine Kirche oder eine andere öffentliche oder private Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, darf daher bei der Anforderung, sich loyal und aufrichtig im Sinne dieses Ethos zu verhalten, ihre Beschäftigten in leitender Stellung nur dann je nach deren Zugehörigkeit zur Religion bzw. deren Bekenntnis zur Weltanschauung dieser Kirche oder dieser anderen Organisation unterschiedlich behandeln, wenn die Religion oder die Weltanschauung im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts dieses Ethos ist (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 55). Maßgeblich ist danach, ob die fragliche Loyalitätspflicht als Teil der betreffenden Religion im Hinblick auf die Art der Tätigkeit oder die Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts dieses Ethos ist (vgl. EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 49 f.). Dies zu beurteilen, ist Sache des nationalen Gerichts (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 56).
20
(1) „Wesentlich“ ist eine berufliche Anforderung iSv. Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 RL 2000/78/EG, sofern die Zugehörigkeit zu der Religion bzw. das Bekenntnis zu der Weltanschauung, auf der das Ethos der betreffenden Kirche oder Organisation beruht, aufgrund der Bedeutung der betreffenden beruflichen Tätigkeit für die Bekundung dieses Ethos oder die Ausübung des in Art. 17 AEUV und in Art. 10 GRC anerkannten Rechts dieser Kirche oder Organisation auf Autonomie notwendig erscheinen muss (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 51; vgl. in diesem Sinne auch EuGH 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 50, 65).
21
(2) Die Anforderung ist „rechtmäßig“ iSv. Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 RL 2000/78/EG, wenn sie nicht zur Verfolgung eines sachfremden Ziels ohne Bezug zum Ethos oder zur Ausübung des Rechts der Kirche oder Organisation auf Autonomie dient (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 52; 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 66).
22
(3) Das Erfordernis, die Anforderung müsse „gerechtfertigt“ iSv. Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 RL 2000/78/EG sein, impliziert nicht nur, dass die Einhaltung der in Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG genannten Kriterien durch ein innerstaatliches Gericht überprüfbar sein muss, sondern auch, dass es der Kirche oder Organisation, die eine berufliche Anforderung aufgestellt hat, obliegt, im Licht der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls darzutun, dass die geltend gemachte Gefahr einer Beeinträchtigung ihres Ethos oder ihres Rechts auf Autonomie wahrscheinlich und erheblich ist, so dass sich eine solche Anforderung als notwendig erweist (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 53; vgl. in diesem Sinne auch EuGH 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 67).
23
(4) Schließlich muss die Anforderung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen, was bedeutet, dass die nationalen Gerichte prüfen müssen, ob die Anforderung angemessen ist und nicht über das zur Erreichung des angestrebten Ziels Erforderliche hinausgeht (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 54; 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 68).
24
cc) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union obliegt es den nationalen Gerichten, unter Berücksichtigung sämtlicher nationaler Rechtsnormen und der im nationalen Recht anerkannten Auslegungsmethoden zu entscheiden, ob und inwieweit eine nationale Rechtsvorschrift wie § 9 Abs. 2 AGG im Einklang mit der RL 2000/78/EG ausgelegt werden kann, ohne dass dies zu einer Auslegung contra legem führt (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 63; vgl. in diesem Sinne auch EuGH 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung; zum Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl vgl. BVerfG 15. Dezember 2015 – 2 BvR 2735/14 – Rn. 77, BVerfGE 140, 317). Die sich aus einer Richtlinie ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das in der Richtlinie vorgesehene Ziel zu erreichen, und ihre Pflicht, alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, obliegt allen Trägern öffentlicher Gewalt der Mitgliedstaaten und damit im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch den Gerichten (EuGH 19. April 2016 – C-441/14 – [Dansk Industri] Rn. 30). Die mit der Auslegung des nationalen Rechts betrauten nationalen Gerichte müssen bei dessen Anwendung sämtliche nationalen Rechtsnormen berücksichtigen und die im nationalen Recht anerkannten Auslegungsmethoden anwenden, um seine Auslegung so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der fraglichen Richtlinie auszurichten, damit das von ihr festgelegte Ergebnis erreicht und so Art. 288 Abs. 3 AEUV nachgekommen wird (EuGH 19. April 2016 – C-441/14 – [Dansk Industri] Rn. 31; in diesem Sinne bereits EuGH 5. Oktober 2004 – C-397/01 bis C-403/01 – [Pfeiffer ua.] Rn. 113 f. sowie 19. Januar 2010 – C-555/07 – [Kücükdeveci] Rn. 48).
25
dd) Die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts das Unionsrecht heranzuziehen, findet zwar ihre Grenzen in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen (EuGH 19. April 2016 – C-441/14 – [Dansk Industri] Rn. 32; vgl. auch EuGH 15. April 2008 – C-268/06 – [Impact] Rn. 100; 24. Januar 2012 – C-282/10 – [Dominguez] Rn. 25; 15. Januar 2014 – C-176/12 – [Association de médiation sociale] Rn. 39). Das Erfordernis einer unionsrechtskonformen Auslegung umfasst jedoch die Verpflichtung der nationalen Gerichte, eine gefestigte Rechtsprechung gegebenenfalls abzuändern, wenn sie auf einer Auslegung des nationalen Rechts beruht, die mit den Zielen einer Richtlinie unvereinbar ist (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 64; 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 72; dem folgend BAG 5. Dezember 2012 – 7 AZR 698/11 – Rn. 37, BAGE 144, 85; BGH 28. Oktober 2015 – VIII ZR 158/11 – Rn. 37, BGHZ 207, 209; 26. November 2008 – VIII ZR 200/05 – Rn. 21 mwN, BGHZ 179, 27). Eine solche Rechtsfortbildung kann in Betracht kommen, wenn der Gesetzgeber mit der von ihm geschaffenen Regelung eine Richtlinie umsetzen wollte, hierbei aber deren Inhalt missverstanden hat (BGH 28. Oktober 2015 – VIII ZR 158/11 – aaO; 21. Dezember 2011 – VIII ZR 70/08 – Rn. 32 f., BGHZ 192, 148). Ein nationales Gericht darf nicht davon ausgehen, dass es eine nationale Vorschrift nicht im Einklang mit dem Unionsrecht auslegen könne, nur weil sie in ständiger Rechtsprechung in einem nicht mit dem Unionsrecht zu vereinbarenden Sinne ausgelegt worden ist (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 65; 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).
26
ee) Unter Anwendung dieser Grundsätze ist § 9 Abs. 2 AGG im Einklang mit dem Unionsrecht und insbesondere Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG dahin auszulegen, dass Anforderungen an ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne des jeweiligen Selbstverständnisses der Religionsgemeinschaft, die zu einer Ungleichbehandlung von Beschäftigten in leitender Stellung je nach deren Konfession oder Konfessionslosigkeit führen, die in Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 RL 2000/78/EG genannten Kriterien einhalten müssen, wobei die Frage, ob die danach geforderten Voraussetzungen gegeben sind, einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegt.
27
(1) Wortlaut und Gesetzessystematik geben für die Möglichkeit einer unionsrechtskonformen Auslegung von § 9 Abs. 2 AGG kein eindeutiges Ergebnis vor. Die Vorschrift spricht zwar – anders als Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG – nicht von einem „(K)önnen …“, „(s)ofern die Bestimmungen dieser Richtlinie im übrigen eingehalten werden“, sondern davon, das Verbot unterschiedlicher Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung berühre nicht das „Recht“ der Religionsgemeinschaften und der ihnen zugeordneten Einrichtungen, von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses zu verlangen. Die Regelung nimmt damit – anders als Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG – zumindest explizit nicht Bezug auf andere, dieses Recht näher definierende Bestimmungen. Der normative Begriff des „Rechts“ lässt aber auch ausreichend sprachlichen Raum für eine richtlinienkonforme Lesart, nach der es sich um ein im Einklang mit dem umzusetzenden Unionsrecht stehendes Recht handeln muss.
28
(2) Ein solchermaßen unionsrechtskonformes Verständnis von § 9 Abs. 2 AGG erlauben auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift und der darin zum Ausdruck kommende Wille des deutschen Gesetzgebers, Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG in nationales Recht umzusetzen. Der Gesetzgeber meinte zwar, der Erwägungsgrund 24 der RL 2000/78/EG lasse es zu, dass die Mitgliedstaaten spezifische Bestimmungen entsprechend dem deutschen Verfassungsverständnis auch hinsichtlich von Verhaltensanforderungen beibehalten oder vorsehen, die eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft an ihre Mitarbeiter stelle, und dass es dabei den Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften selbst obliege, dementsprechend verbindliche innere Regelungen zu schaffen (BT-Drs. 16/1780 S. 35 f.). Damit hat er aber, wie aufgrund der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 11. September 2018 (- C-68/17 -) nunmehr feststeht, den Inhalt der RL 2000/78/EG missverstanden, die – anders als das deutsche Verfassungsverständnis – eine tätigkeitsbezogene Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen bei den Loyalitätserwartungen allein aufgrund der Religion verlangt, die überdies einer wirksamen Kontrolle durch die staatlichen Gerichte unterliegen muss. Das ändert indes nichts an der ausdrücklich verlautbarten gesetzgeberischen Grundentscheidung, die Vorgaben der RL 2000/78/EG umzusetzen. Ein unionsrechtskonformes Verständnis von § 9 Abs. 2 AGG respektiert diese und setzt sich damit nicht etwa über einen eindeutig erkennbaren entgegenstehenden Willen des Gesetzgebers hinweg (zu dieser Schranke vgl. BVerfG 6. Juni 2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 – Rn. 73).
29
c) Die demnach in unionsrechtskonformer Auslegung von § 9 Abs. 2 AGG zu stellenden Anforderungen an die Zulässigkeit einer Ungleichbehandlung des Klägers gegenüber den nicht der katholischen Konfession angehörenden Abteilungsärzten der Beklagten in Bezug auf die ihm auferlegte Loyalitätserwartung, den heiligen und unauflöslichen Charakter der kirchlichen Eheschließung zu achten, sind im Streitfall nicht erfüllt.
30
aa) Dies folgt allerdings nicht schon aus den Hinweisen, die der Gerichtshof der Europäischen Union in seine Entscheidung über das Vorabentscheidungsersuchen aufgenommen hat. Nach diesen erscheint dem Gerichtshof die Akzeptanz des Eheverständnisses der katholischen Kirche unter Berücksichtigung der vom Kläger ausgeübten beruflichen Tätigkeiten für die Bekundung des Ethos der Beklagten nicht notwendig und keine wesentliche Voraussetzung der beruflichen Tätigkeit iSv. Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 RL 2000/78/EG zu sein (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 58). Die vorgenannten Ausführungen des Gerichtshofs entfalten weder nach Unionsrecht noch nach nationalem Recht für den Senat Bindungswirkung. Sie betreffen nicht die abstrakte Auslegung von Unionsrecht, sondern sind einzelfallbezogen und beschränken sich auf die Anwendung von Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 RL 2000/78/EG auf einen Sachverhalt, für dessen Feststellung dem Gerichtshof die Befugnis fehlt. Sie enthalten lediglich Hinweise, mit denen dieser dem Senat „auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens“ und der vor dem Gerichtshof abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen eine Entscheidung über den Rechtsstreit ermöglichen möchte (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 56).
31
bb) Zugunsten der Beklagten kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei ihr um eine private Organisation handelt, deren Ethos iSv. Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG auf religiösen Grundsätzen beruht (vgl. dazu EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 41). Allerdings hat der Senat in seinem Vorabentscheidungsersuchen die Frage aufgeworfen, ob privatrechtlich verfasste Einrichtungen, die sich in marktüblicher Weise im Gesundheitswesen betätigen, vom Anwendungsbereich des Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG erfasst werden. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat diese Fragestellung nur dahingehend beantwortet, dass insoweit Erwägungen zur Rechtsnatur und zur Rechtsform der betreffenden Körperschaft ohne Bedeutung sind und die Bezugnahme auf private Organisationen auch nach Privatrecht gegründete Einrichtungen umfasst (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 40). Zur „Marktüblichkeit“ der Betätigung hat sich der Gerichtshof hingegen nicht verhalten. Einer darauf gestützten Nachfrage des Senats bedarf es indes nicht. Die Revision der Beklagten unterliegt auch dann der Zurückweisung, wenn die beruflichen Tätigkeiten der Arbeitnehmer innerhalb ihrer Einrichtungen von § 9 Abs. 2 AGG in unionsrechtskonformer Auslegung erfasst werden.
32
cc) Eine Ungleichbehandlung bei der Anforderung eines loyalen und aufrichtigen Verhaltens im Sinne des Ethos des Arbeitgebers, die sich – wie hier – ausschließlich auf die Konfession der Beschäftigten stützt, hat aufgrund der unionsrechtskonformen Auslegung von § 9 Abs. 2 AGG ua. die in Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 RL 2000/78/EG genannten Kriterien (vgl. Rn. 19) einzuhalten (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 49). Danach hängt es von der Art der fraglichen Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung ab, ob die Religion oder Weltanschauung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der betreffenden Kirche oder Organisation im Sinne dieser Vorschrift darstellen kann. Dies setzt einen – objektiv bestehenden – direkten Zusammenhang zwischen der vom Arbeitgeber aufgestellten beruflichen Anforderung und der fraglichen Tätigkeit voraus. Ein solcher Zusammenhang kann sich entweder aus der Art dieser Tätigkeit ergeben – zB wenn sie mit der Mitwirkung an der Bestimmung des Ethos der betreffenden Kirche oder Organisation oder einem Beitrag zu deren Verkündigungsauftrag verbunden ist – oder aus den Umständen ihrer Ausübung, zB der Notwendigkeit, für eine glaubwürdige Vertretung der Kirche oder Organisation nach außen zu sorgen (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 50; vgl. in diesem Sinne auch EuGH 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 62 f.).
33
dd) Unter Anwendung dieser Grundsätze liegen die in unionsrechtskonformer Auslegung von § 9 Abs. 2 AGG zu fordernden Voraussetzungen für eine Ungleichbehandlung des Klägers gegenüber den nicht der katholischen Konfession angehörenden Abteilungsärzten in Bezug auf die Loyalitätsanforderung, den heiligen und unauflöslichen Charakter der kirchlichen Eheschließung zu achten, nicht vor. Die Achtung des Gebots, keine nach kanonischem Recht ungültige Ehe einzugehen, war für die Bekundung des Ethos der Beklagten keine im Hinblick auf die Art der beruflichen Tätigkeiten des Klägers oder die Umstände ihrer Ausübung wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung. In Bezug auf diesen Teil ihres Ethos war die Ungleichbehandlung des Klägers gegenüber den nicht der katholischen Kirche angehörigen Abteilungsärzten nicht durch § 9 Abs. 2 AGG gerechtfertigt.
34
(1) Dies gilt zunächst mit Blick auf die Art der vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten.
35
(a) Soweit diese die Beratung und medizinische Pflege in einem Krankenhaus sowie die Leitung der medizinischen Abteilung „Innere Medizin“ als Chefarzt zum Gegenstand haben, wirkte der Kläger dadurch weder an der Bestimmung des Ethos der Beklagten mit noch leistete er einen Beitrag zu deren Verkündigungsauftrag.
36
(b) Der von der Beklagten zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung angeführte Umstand, die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit lasse sich nicht auf die Ausübung des Heilberufs „Arzt“ im rein praktischen Sinne reduzieren, sondern sei untrennbar mit ihrem karitativen Wirken insgesamt und dessen religiöser Dimension verbunden, vermag eine tätigkeitsbezogene Differenzierung ebenfalls nicht zu begründen. Alle Abteilungsärzte sind in diesem Sinne in das karitative Wirken der Beklagten einbezogen.
37
(c) Ihre Behauptung, der Kläger sei ua. im Bereich der internistischen Onkologie tätig gewesen, was ein besonders hohes Maß an Vertrauen zwischen dem behandelnden Arzt und dem Patienten voraussetze, lässt keinen Zusammenhang mit der Wesentlichkeit, also Notwendigkeit einer beruflichen Anforderung erkennen, im Privatleben den heiligen und unauflöslichen Charakter der kirchlichen Eheschließung zu achten. Die Beklagte macht vielmehr auch mit Blick auf die konkrete Tätigkeit des Klägers letztlich allein geltend, diese sei als karitative Tätigkeit Teil des Sendungsauftrags der römisch-katholischen Kirche. Das trifft indes nach ihrem eigenen Vorbringen auf alle im karitativen Dienst der Beklagten am Mitmenschen zu erfüllenden Tätigkeiten zu.
38
(d) Die Auffassung der Beklagten, die ihres Erachtens gegebene Notwendigkeit, vom Kläger die Beachtung der Gebote der katholischen Glaubens- und Sittenlehre zu fordern, werde nicht dadurch infrage gestellt, dass sie vereinzelt gem. Art. 3 Abs. 2 GrO 1993 auch Personen nicht katholischer Konfession auf Stellen mit medizinischer Verantwortung und Leitungsaufgaben beschäftige, übersieht, dass die Abstufung von Loyalitätsanforderungen je nach Konfessionszugehörigkeit der Beschäftigten zwar nach deutschem Verfassungsrecht zulässig sein mag (so ausdrücklich BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 159 ff., BVerfGE 137, 273), unionsrechtlich aber tätigkeitsbezogen gerechtfertigt sein muss. Soweit die Beklagte geltend macht, die fraglichen Stellen „ähnelten“ sich bloß, lässt dies, wie ausgeführt, keinen relevanten Unterschied in Bezug auf die Forderung nach der Beachtung des kanonischen Eheverständnisses durch die Abteilungsärzte erkennen. Es ist auch unerheblich, ob die Beschäftigung von nicht-katholischen Abteilungsärzten eine bloße Reaktion auf die gesellschaftliche Entwicklung der religiösen Pluralisierung und „Entkirchlichung“ darstellt, wie die Beklagte geltend macht. Sie führt zwar weiter aus, es habe für die Integrität der Dienstgemeinschaft und die Vertrauensbasis der Mitarbeiterschaft, der Patienten und ihrer Angehörigen ein signifikant anderes Gewicht, ob in Ausnahmefällen in leitenden Funktionen auch Personen beschäftigt würden, die aus kirchenrechtlichen Gründen von Beginn an nur verminderten Loyalitätspflichten unterliegen, oder ob katholische Mitarbeiter – wie der Kläger – die ihnen obliegenden Verpflichtungen bewusst brächen. Nach den unionsrechtlichen Anforderungen ist aber die „Integrität der Dienstgemeinschaft“ für sich genommen kein eine Ungleichbehandlung bei den Loyalitätsanforderungen allein aufgrund der Konfession der Beschäftigten rechtfertigender Grund. Auch der Verweis der Beklagten auf die – vom Bundesverfassungsgericht aufgehobene – Senatsentscheidung vom 8. September 2011 (- 2 AZR 543/10 – Rn. 37, BAGE 139, 144) greift insofern zu kurz. Der Senat hatte sich dort nicht mit der Frage befasst, ob nach Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG Loyalitätsanforderungen auch innerhalb derselben (Leitungs-)Funktion allein nach der Konfessionszugehörigkeit der Beschäftigten abgestuft werden dürfen.
39
(2) Etwas anderes ergibt sich nicht aus den Umständen der Ausübung der beruflichen Tätigkeiten des Klägers.
40
(a) Soweit die Beklagte geltend macht, der Kläger nehme als leitender Mitarbeiter iSd. GrO Repräsentationsfunktionen wahr, die eine besondere Bedeutung für den Bestand und die Entwicklung der Einrichtung sowie die Glaubwürdigkeit der Kirche auch in der außerkirchlichen Öffentlichkeit hätten, vermag dies nicht die Ungleichbehandlung bei den Loyalitätsanforderungen trotz gleich gelagerter (Leitungs-)Tätigkeit allein aufgrund der Konfessionszugehörigkeit zu rechtfertigen.
41
(b) Die von der Beklagten angeführte Vorbild- und Führungsfunktion des Klägers nach innen hinsichtlich der Erfüllung der an ihn selbst sowie die weiteren Mitarbeiter der Beklagten gestellten Loyalitätsanforderungen kann die unterschiedlichen Loyalitätsanforderungen allein aufgrund der Konfessionszugehörigkeit der Beschäftigten ebenfalls nicht begründen. Die Beklagte unternimmt insoweit den Versuch, die Ungleichbehandlung mit der Ungleichbehandlung – den unterschiedlichen Loyalitätsanforderungen je nach Konfessionszugehörigkeit – und nicht nach der Art der Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung zu rechtfertigen. Dies verkennt erneut die unionsrechtlichen Anforderungen an eine solche Ungleichbehandlung allein aufgrund der Konfessionszugehörigkeit.
42
(c) Auch die Behauptung, das Verhalten des Klägers werde von den Mitarbeitern, den Patienten und ihren Angehörigen ihr zugerechnet, stützt die Beklagte allein darauf, dass ihre ethische Glaubwürdigkeit gerade durch ihr Führungspersonal vermittelt werde. Zum Führungspersonal gehören indes ebenso die von ihr beschäftigten nicht-katholischen Abteilungsärzte. Die Argumentation der Beklagten läuft auch insofern darauf hinaus, die Ungleichbehandlung rechtfertige sich allein aus der unterschiedlichen Konfessionszugehörigkeit der Beschäftigten, was indes nach der maßgeblichen Auslegung des Unionsrechts durch den Gerichtshof der Europäischen Union einer Rechtfertigung nach der Art der ausgeübten Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung bedarf.
43
(d) Mit dem Hinweis darauf, ihre Mitarbeiter dürften sich berechtigterweise die Frage stellen, warum sie selbst den jeweiligen Loyalitätsanforderungen Folge leisten sollten, wenn ihnen nicht einmal der Kläger als leitender Mitarbeiter Folge leisten müsse, setzt die Beklagte wiederum die Zulässigkeit unterschiedlicher Loyalitätsanforderungen allein aufgrund der Konfessionszugehörigkeit der Mitarbeiter voraus, anstatt sie nach der Art ihrer Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung zu begründen.
44
4. Kein anderes Ergebnis in Bezug auf die Unwirksamkeit der Kündigung vom 30. März 2009 ergäbe sich, wenn eine unionsrechtskonforme Auslegung von § 9 Abs. 2 AGG deshalb unzulässig wäre, weil ihr der gesetzgeberische Wille entgegenstünde (vgl. Rn. 28). In diesem Fall hätte die Vorschrift wegen des zu ihr im Widerspruch stehenden Unionsrechts als Grundlage für die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung in Bezug auf die Loyalitätsanforderungen aufgrund der Religion gänzlich unangewendet zu bleiben (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 71).
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III. Nationales Verfassungsrecht steht weder der unionsrechtskonformen Auslegung von § 9 Abs. 2 AGG noch einer Unanwendbarkeit der Norm entgegen.
46
1. Allerdings sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unterschiedlich abgestufte Anforderungen der Loyalitätsobliegenheiten nach der Konfession des kirchlichen Arbeitnehmers mit ihrer grundlegenden Kategorisierung nach Katholiken (Art. 4 Abs. 1 GrO 1993), Nichtkatholiken (Art. 4 Abs. 2 GrO 1993) und Nichtchristen (Art. 4 Abs. 3 GrO 1993) verfassungsrechtlich ebenso gerechtfertigt wie die arbeitsrechtliche Sanktionierung von Verstößen aufgrund der Konfession einerseits und der leitenden Stellung andererseits (BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 159 ff., BVerfGE 137, 273). Es gehört zum von Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 iVm. Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV garantierten kirchlichen Selbstbestimmungsrecht, dass die Religionsgemeinschaften autonom eine Abstufung der an die Beschäftigten gerichteten Loyalitätsanforderungen vorsehen und insofern auch bei gleich gelagerter Tätigkeit nach der Religion der Mitarbeiter unterscheiden dürfen (BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 145, 151, 159 ff., aaO; 4. Juni 1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84 – zu B II 1 d der Gründe, BVerfGE 70, 138).
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2. Im Anwendungsbereich des Unionsrechts geht dieses entgegenstehendem nationalen Recht jedoch vor (grundlegend EuGH 15. Juli 1964 – C-6/64 – [Flaminio Costa/E.N.E.L.]). Dies gilt auch im Verhältnis zu nationalem Verfassungsrecht (EuGH 9. März 1978 – C-106/77 – [Simmenthal] Rn. 17 f.; im Grundsatz ebenso BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 115, BVerfGE 142, 123; 6. Juli 2010 – 2 BvR 2661/06 – [Honeywell] zu C I 1 b der Gründe, BVerfGE 126, 286). Diesen Anwendungsvorrang erfordert die wirksame Entfaltung des Rechts der Europäischen Union. Er entspricht der Ermächtigung des Art. 23 Abs. 1 GG, der insoweit ein Wirksamkeits- und Durchsetzungsversprechen enthält (vgl. BVerfG 6. Juli 2010 – 2 BvR 2661/06 – [Honeywell] aaO). Hoheitsakte der Europäischen Union und – soweit sie durch das Unionsrecht determiniert werden – auch Akte der deutschen öffentlichen Gewalt sind daher mit Blick auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts grundsätzlich nicht am Maßstab der im Grundgesetz verankerten Grundrechte zu messen (BVerfG 15. Dezember 2015 – 2 BvR 2735/14 – [Europäischer Haftbefehl] Rn. 36, BVerfGE 140, 317; 4. Oktober 2011 – 1 BvL 3/08 – [Investitionszulagengesetz] zu B I 1 a der Gründe, BVerfGE 129, 186). Dies gilt auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 GG nicht nur für Verordnungen, sondern auch für Richtlinien nach Art. 288 Abs. 3 AEUV und an die Bundesrepublik Deutschland gerichtete Beschlüsse der Kommission nach Art. 288 Abs. 4 AEUV (früher: Entscheidungen der Kommission nach Art. 249 Abs. 4 EGV; BVerfG 4. Oktober 2011 – 1 BvL 3/08 – [Investitionszulagengesetz] aaO). Auch eine innerstaatliche Rechtsvorschrift, die eine Richtlinie oder einen Beschluss in deutsches Recht umsetzt, wird nicht an den Grundrechten des Grundgesetzes gemessen, soweit das Unionsrecht keinen Umsetzungsspielraum lässt, sondern – wie hier – zwingende Vorgaben macht (BVerfG 4. Oktober 2011 – 1 BvL 3/08 – [Investitionszulagengesetz] aaO; vgl. auch BVerfG 13. März 2007 – 1 BvF 1/05 – [Emissionshandel] zu C I 1 d der Gründe, BVerfGE 118, 79; 2. März 2010 – 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08 – [Vorratsdatenspeicherung] zu B II der Gründe, BVerfGE 125, 260). Dies gilt jedenfalls solange, wie die Europäische Union einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Union generell gewährleistet, der dem vom Grundgesetz jeweils als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt (BVerfG 4. Oktober 2011 – 1 BvL 3/08 – [Investitionszulagengesetz] aaO; vgl. auch BVerfG 15. Dezember 2015 – 2 BvR 2735/14 – [Europäischer Haftbefehl] Rn. 43, aaO und 22. Oktober 1986 – 2 BvR 197/83 – [Solange II] BVerfGE 73, 339; 7. Juni 2000 – 2 BvL 1/97 – [Bananenmarktordnung] BVerfGE 102, 147; 13. März 2007 – 1 BvF 1/05 – [Emissionshandel] aaO). Das Bundesverfassungsgericht hat insofern seine ursprünglich angenommene generelle Zuständigkeit, den Vollzug von Gemeinschaftsrecht (jetzt: Unionsrecht) in Deutschland am Maßstab der Grundrechte der deutschen Verfassung zu prüfen (vgl. BVerfG 29. Mai 1974 – 2 BvL 52/71 – [Solange I] BVerfGE 37, 271), im Vertrauen auf die entsprechende Aufgabenwahrnehmung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (jetzt: Union) zurückgestellt (BVerfG 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 ua. – [Lissabon-Vertrag] zu C II 1 b aa (4) (a) der Gründe, BVerfGE 123, 267; vgl. BVerfG 22. Oktober 1986 – 2 BvR 197/83 – [Solange II] zu B II 1 f der Gründe, aaO; bestätigt in BVerfG 7. Juni 2000 – 2 BvL 1/97 – [Bananenmarktordnung] zu B II 2 a der Gründe, aaO).
48
3. Das hier maßgebliche Unionsrecht in der Auslegung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist nicht seinerseits in Deutschland unanwendbar. Es beruht weder auf einem Akt ultra vires noch berührt es die Verfassungsidentität der Bundesrepublik Deutschland im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Ob diese ihrerseits mit dem Verständnis des Gerichtshofs vom Vorrang des Unionsrechts (dazu zuletzt etwa EuGH 11. Dezember 2018 – C-493/17 – Rn. 19) im Einklang steht, bedarf daher ebenso wenig einer Entscheidung wie die Frage, wie ein Konflikt zwischen dem Gerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht bei unterschiedlichen Auffassungen in Bezug auf die Gültigkeit von Unionsrecht gegebenenfalls aufzulösen wäre.
49
a) Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union, die ultra vires ergehen, verletzen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das im Zustimmungsgesetz gem. Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG niedergelegte Integrationsprogramm (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 143 und 152, BVerfGE 142, 123). Das Unionsrecht bleibt demnach – auch soweit es als autonome (Teilrechts-)Ordnung verstanden wird – von der vertraglichen Ermächtigung abhängig (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 144, aaO). Nur insoweit kann es am Anwendungsvorrang teilhaben (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 146, aaO). Eine entsprechende Prüfung setzt eine hinreichend qualifizierte Kompetenzüberschreitung voraus. Diese muss offensichtlich und für die Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten von struktureller Bedeutung sein (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 147, aaO; 6. Juli 2010 – 2 BvR 2661/06 – [Honeywell] zu C I 1 c cc (1) der Gründe, BVerfGE 126, 286). Da hinreichend qualifizierte Kompetenzüberschreitungen zugleich die Identität der Verfassung berühren, stellt die Ultra-vires-Kontrolle einen besonderen, an das Zustimmungsgesetz gem. Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG anknüpfenden Anwendungsfall des allgemeinen Schutzes der Verfassungsidentität durch das Bundesverfassungsgericht dar (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 153, aaO).
50
aa) Ein Akt liegt offensichtlich außerhalb der übertragenen Kompetenzen, wenn sich die Kompetenz – bei Anwendung allgemeiner methodischer Standards – unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt begründen lässt (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 149, BVerfGE 142, 123; vgl. auch BVerfG 6. Juli 2010 – 2 BvR 2661/06 – [Honeywell] zu C I 1 c cc (2) und (3) der Gründe, BVerfGE 126, 286). Dieses Verständnis von Offensichtlichkeit folgt aus dem Gebot, die Ultra-vires-Kontrolle zurückhaltend auszuüben (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] aaO unter Verweis auf Rn. 154 ff.). Bezogen auf den Gerichtshof der Europäischen Union folgt es zudem aus der Unterschiedlichkeit der Aufgaben und Maßstäbe, die das Bundesverfassungsgericht einerseits und der Gerichtshof andererseits zu erfüllen oder anzuwenden haben (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] aaO). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Gerichtshof Anspruch auf Fehlertoleranz hat (BVerfG 6. Juli 2010 – 2 BvR 2661/06 – [Honeywell] zu C I 1 c cc (3) der Gründe, aaO). Eine Grenze findet dieser mit der Aufgabenzuweisung des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV notwendig verbundene Spielraum erst bei einer offensichtlich schlechterdings nicht mehr nachvollziehbaren und daher objektiv willkürlichen Auslegung der Verträge. Erst wenn der Gerichtshof diese Grenze überschreitet, soll auch sein Handeln nicht mehr durch Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV gedeckt sein und seiner Entscheidung für Deutschland das gem. Art. 23 Abs. 1 Satz 2 iVm. Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 und Art. 79 Abs. 3 GG erforderliche Mindestmaß an demokratischer Legitimation fehlen (so BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] aaO). Die Annahme einer offensichtlichen Kompetenzüberschreitung setzt allerdings nicht voraus, dass keine unterschiedlichen Rechtsauffassungen zu dieser Frage vertreten werden (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 150, aaO). Dass Stimmen im Schrifttum, in der Politik oder den Medien einer Maßnahme Unbedenklichkeit attestieren, hindert die Feststellung einer offensichtlichen Kompetenzüberschreitung grundsätzlich nicht. „Offensichtlich“ kann die Kompetenzüberschreitung auch dann sein, wenn sie das Ergebnis einer sorgfältigen und detailliert begründeten Auslegung ist. Insoweit gelten im Rahmen der Ultra-vires–Kontrolle die allgemeinen Grundsätze (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] aaO).
51
bb) Eine strukturell bedeutsame Verschiebung zulasten mitgliedstaatlicher Kompetenzen kann nur vorliegen, wenn die Kompetenzüberschreitung ein für das Demokratieprinzip und die Volkssouveränität erhebliches Gewicht besitzt (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 151, BVerfGE 142, 123). Das ist etwa der Fall, wenn sie geeignet ist, die kompetenziellen Grundlagen der Europäischen Union zu verschieben und so das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung zu unterlaufen. Davon ist auszugehen, wenn die Inanspruchnahme der Kompetenz durch das Organ, die Einrichtung oder sonstige Stelle der Europäischen Union eine Vertragsänderung nach Art. 48 EUV oder die Inanspruchnahme einer Evolutivklausel erforderte (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] aaO; vgl. EuGH Gutachten 2/94 vom 28. März 1996 [EMRK-Beitritt] Rn. 30), für Deutschland also ein Tätigwerden des Gesetzgebers, sei es nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG, sei es nach Maßgabe des Integrationsverantwortungsgesetzes (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] aaO).
52
b) Im Rahmen der sog. Identitätskontrolle prüft das Bundesverfassungsgericht überdies, ob die durch Art. 79 Abs. 3 GG für unantastbar erklärten Grundsätze bei der Übertragung von Hoheitsrechten durch den deutschen Gesetzgeber oder durch eine Maßnahme von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union berührt werden (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 138, BVerfGE 142, 123; 15. Dezember 2015 – 2 BvR 2735/14 – [Europäischer Haftbefehl] Rn. 36, 43, BVerfGE 140, 317; 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 ua. – [Lissabon-Vertrag] zu C I 2 e bb der Gründe, BVerfGE 123, 267).
53
aa) Das betrifft die Wahrung des Menschenwürdekerns der Grundrechte (Art. 1 GG; BVerfG 15. Dezember 2015 – 2 BvR 2735/14 – [Europäischer Haftbefehl] Rn. 48, BVerfGE 140, 317) ebenso wie die Grundsätze, die das Demokratie-, Rechts-, Sozial- und Bundesstaatsprinzip iSd. Art. 20 GG prägen (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 138, BVerfGE 142, 123).
54
bb) Mit Blick auf das Demokratieprinzip ist ua. sicherzustellen, dass dem Deutschen Bundestag bei einer Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 23 Abs. 1 GG eigene Aufgaben und Befugnisse von substanziellem politischem Gewicht verbleiben (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 138, BVerfGE 142, 123; vgl. auch BVerfG 12. Oktober 1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92 – [Maastricht] zu C I der Gründe, BVerfGE 89, 155; 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 ua. – [Lissabon-Vertrag] zu B I 3 a aa und C I 3 der Gründe, BVerfGE 123, 267) und dass er in der Lage bleibt, seine haushaltspolitische Gesamtverantwortung wahrzunehmen (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] aaO mwN). Die europäische Vereinigung auf der Grundlage einer Vertragsunion souveräner Staaten darf nicht so verwirklicht werden, dass in den Mitgliedstaaten kein ausreichender Raum zur politischen Gestaltung der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebensverhältnisse mehr bleibt (BVerfG 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 ua. – [Lissabon-Vertrag] zu C I 3 a cc der Gründe, aaO). Dies gilt ua. für solche politischen Entscheidungen, die in besonderer Weise auf kulturelle, historische und sprachliche Vorverständnisse angewiesen sind, und die sich im parteipolitisch und parlamentarisch organisierten Raum einer politischen Öffentlichkeit diskursiv entfalten. Zu solchen wesentlichen Bereichen demokratischer Gestaltung gehören auch Fragen des Umgangs mit dem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis sowie Entscheidungen zum Status von Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und der Einbeziehung des Transzendenten in das öffentliche Leben, die als besonders sensibel für die demokratische Selbstgestaltungsfähigkeit eines Verfassungsstaates gelten (BVerfG 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 ua. – [Lissabon-Vertrag] zu C I 3 a cc und dd der Gründe, aaO). Für die Beurteilung, ob eine verfassungswidrige Entleerung der Aufgaben des Deutschen Bundestags vorliegt, kommt es nicht auf quantitative Relationen, sondern darauf an, dass der Bundesrepublik Deutschland für zentrale Regelungs- und Lebensbereiche substanzielle innerstaatliche Gestaltungsmöglichkeiten verbleiben (BVerfG 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 ua. – [Lissabon-Vertrag] zu C II 1 c der Gründe, aaO).
55
cc) Soweit Maßnahmen von Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Europäischen Union Auswirkungen zeitigen, die die in den Art. 1 und Art. 20 GG niedergelegte Verfassungsidentität berühren, gehen sie über die grundgesetzlichen Grenzen offener Staatlichkeit hinaus (vgl. BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 137, BVerfGE 142, 123). Auf einer primärrechtlichen Ermächtigung kann eine derartige Maßnahme nicht beruhen, weil auch der mit der Mehrheit des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 iVm. Art. 79 Abs. 2 GG entscheidende Integrationsgesetzgeber der Europäischen Union keine Hoheitsrechte übertragen kann, mit deren Inanspruchnahme eine Berührung der von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Verfassungsidentität einherginge. Die Identitätskontrolle verhindert nicht nur, dass der Europäischen Union Hoheitsrechte jenseits des für eine Übertragung offenstehenden Bereichs eingeräumt werden, sondern auch, dass Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union umgesetzt werden, die eine entsprechende Wirkung entfalten und jedenfalls faktisch einer mit dem Grundgesetz unvereinbaren Kompetenzübertragung gleichkämen (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 139 mwN, aaO). Anders als die Ultra-vires–Kontrolle betrifft die Identitätskontrolle nicht die Einhaltung der Reichweite der übertragenen Zuständigkeit. Vielmehr wird die in Rede stehende Maßnahme der Europäischen Union in materieller Hinsicht an der „absoluten Grenze“ der Grundsätze der Art. 1 und Art. 20 GG gemessen (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 153 mwN, aaO).
56
4. Die Prüfung, ob Ultra-vires- oder Identitätskontrolle nach den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäben vorliegend einen Ausschluss des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts gebieten, obliegt dem erkennenden Senat insofern, als er – bejahendenfalls – erwägen muss, eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts herbeizuführen (vgl. BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 162, BVerfGE 142, 123; 15. Dezember 2015 – 2 BvR 2735/14 – [Europäischer Haftbefehl] Rn. 43, BVerfGE 140, 317; 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 ua. – [Lissabon-Vertrag] zu C I 2 e bb der Gründe, BVerfGE 123, 267). Die Feststellung der Unanwendbarkeit von Unionsrecht in der Bundesrepublik Deutschland hat sich das Bundesverfassungsgericht vorbehalten (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 155, aaO; 15. Dezember 2015 – 2 BvR 2735/14 – [Europäischer Haftbefehl] aaO; 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 ua. – [Lissabon-Vertrag] aaO). Ein von diesem für denkbar gehaltenes, speziell auf die Ultra-vires- und Identitätskontrolle zugeschnittenes verfassungsgerichtliches Verfahren zur Absicherung der Verpflichtung deutscher Organe, kompetenzüberschreitende oder identitätsverletzende Unionsrechtsakte im Einzelfall in Deutschland unangewendet zu lassen (vgl. dazu BVerfG 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 ua. – [Lissabon-Vertrag] aaO), ist bislang allerdings weder vom deutschen Gesetzgeber geschaffen worden noch hat das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen, dass und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Durchführung eines solchen – nicht normativ ausgestalteten – (Zwischen-)Verfahrens verfassungsrechtlich geboten ist.
57
5. Unter Anwendung der vorstehenden Grundsätze gebieten es weder die Ultra-vires– noch die Identitätskontrolle, das hier maßgebliche Unionsrecht in der Auslegung des Gerichtshofs der Europäischen Union bei der Auslegung oder Anwendung von § 9 Abs. 2 AGG unberücksichtigt zu lassen.
58
a) Der Europäische Rat hat mit dem Erlass der RL 2000/78/EG nicht offensichtlich außerhalb der ihm übertragenen Kompetenzen und damit ultra vires gehandelt. Insbesondere ist das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung nicht verletzt. Ermächtigungsgrundlage für die Richtlinie ist Art. 19 Abs. 1 AEUV (Ex-Art. 13 EGV aF; EUArbR/Mohr 2. Aufl. RL 2000/78/EG Art. 1 Rn. 2; für das Verbot der Altersdiskriminierung BVerfG 6. Juli 2010 – 2 BvR 2661/06 – [Honeywell] zu C I 2 b cc der Gründe, BVerfGE 126, 286).
59
b) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat bei der Auslegung von Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG seine Kompetenz nicht offensichtlich überschritten. Es kann daher dahinstehen, ob diese Überschreitung anderenfalls eine hinreichend weitreichende Kompetenzverschiebung im Verhältnis zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten bewirkt hätte.
60
aa) Der Gerichtshof sichert die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV). Er entscheidet nach Maßgabe der Verträge im Wege der Vorabentscheidung auf Antrag der einzelstaatlichen Gerichte über die Auslegung des Unionsrechts oder über die Gültigkeit der Handlungen der Organe (Art. 19 Abs. 3 Buchst. b EUV). Dies umfasst – nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts – die Anwendung der spezifisch unionsrechtlich geprägten Methoden der Rechtsfindung, an die sich der Gerichtshof gebunden sieht und die der „Eigenart“ der Verträge und den ihnen eigenen Zielen Rechnung tragen (BVerfG 6. Juli 2010 – 2 BvR 2661/06 – [Honeywell] zu C I 1 c cc (3) der Gründe, BVerfGE 126, 286).
61
bb) Die hier in Rede stehende, auf das Vorabentscheidungsersuchen des Senats erfolgte Auslegung von Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG durch den Gerichtshof der Europäischen Union beruht nicht auf einer objektiv willkürlichen Auslegung der Verträge.
62
(1) Der Begriff des „Status“ der Kirchen in Art. 17 AEUV bzw. in der durch den Erwägungsgrund 24 der Richtlinie in Bezug genommenen Erklärung Nr. 11 zum Status der Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften zur Schlussakte des Vertrags von Amsterdam (Amsterdamer Kirchenerklärung) lässt nicht offensichtlich allein ein Verständnis entsprechend der teilweise in Deutschland vertretenen Auffassung zu, die nationalen Grundsätze zum Kirchenarbeitsrecht müssten bei der Ausgestaltung von Unionsrecht vollständig gewahrt bleiben (so etwa KR/Fischermeier 12. Aufl. Kirchl. ArbN Rn. 8; ders. ZMV-Sonderheft Tagung 2009 S. 7, 10 f.; Richardi ZfA 2008, 31, 49; Mohr/von Fürstenberg BB 2008, 2122, 2124 f.; Schliemann FS Richardi 2007 S. 959 ff.; ders. in Reichold Loyalitätsobliegenheiten im Umbruch S. 73 ff.; Schoenauer KuR 2012, 30, 35; Steinmeyer FS Wank 2014 S. 587, 591; Joussen NZA 2008, 675, 677 ff.; Thüsing in Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche Bd. 46, 129, 148; Thüsing/Fink-Jamann/von Hoff ZfA 2009, 153, 178 ff.; offengelassen BAG 25. April 2013 – 2 AZR 579/12 – Rn. 46, BAGE 145, 90; zu möglichen unionsrechtlichen Auslegungsvarianten vgl. auch Reichegger Die Auswirkungen der Richtlinie 2000/78/EG auf das kirchliche Arbeitsrecht unter Berücksichtigung von Gemeinschaftsgrundrechten als Auslegungsmaxime S. 219 ff.). Das demgegenüber vertretene Verständnis des Gerichtshofs, Art. 17 AEUV bringe zwar die Neutralität der Union demgegenüber zum Ausdruck, wie die Mitgliedstaaten ihre Beziehungen zu den Kirchen und religiösen Vereinigungen oder Gemeinschaften gestalten, könne jedoch nicht bewirken, dass die Einhaltung der in Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG genannten Kriterien einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle entzogen würde (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 48; 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 56 bis 58), ist als Ergebnis einer spezifisch unionsrechtlichen Auslegung nachvollziehbar (dem EuGH zustimmend auch Reichold/Beer NZA 2018, 681, 682). Der Gerichtshof hat insbesondere den Umstand gewürdigt, dass der Wortlaut des Art. 17 AEUV im Kern der Amsterdamer Kirchenerklärung entspricht, auf die jedoch im Erwägungsgrund 24 der RL 2000/78/EG bereits Bezug genommen ist, was deutlich mache, dass der Unionsgesetzgeber sie beim Erlass der Richtlinie berücksichtigt haben müsse. Dieses Verständnis hält sich im Rahmen der Gesamtsystematik des europäischen Rechts (Joussen EuZA 2018, 421, 435; Junker NJW 2018, 1850, 1851 f.; Sagan EuZW 2018, 386; kritisch Greiner NZA 2018, 1289, 1291; Klumpp Anm. AP Richtlinie 2000/78/EG Nr. 42; kritisch hinsichtlich der Begründung des EuGH, dem Ergebnis aber zustimmend Classen EuR 2018, 752, 761). Nach dem Erwägungsgrund 24 ist die Rechtsetzung der Mitgliedstaaten in Bezug auf Ungleichbehandlungen wegen der Religion inhaltlichen Beschränkungen unterworfen („spezifische Bestimmungen über die wesentlichen, rechtmäßigen und gerechtfertigten beruflichen Anforderungen …, die Voraussetzung für die Ausübung einer diesbezüglichen beruflichen Tätigkeit sein können“). Jedenfalls ist die Grenze der objektiven Willkür nicht erreicht (zweifelnd auch Fremuth EuZW 2018, 723, 730). Dass ein anderes Verständnis von Art. 17 AEUV bzw. der Amsterdamer Kirchenerklärung vertretbar erscheinen mag (vgl. etwa Greiner jM 2018, 233, 235; Schuhmann ZAT 2018, 110, 112 f.; Thüsing/Mathy BB 2018, 2805, 2807), genügt ebenso wenig zur Annahme eines Aktes ultra vires wie der Umstand, dass der Gerichtshof seine Entscheidung nicht ausführlicher begründet hat (so auch Heuschmid/Höller AuR 2018, 587, 588; Jacobs RdA 2018, 263, 267; Klocke/Wolters BB 2018, 1460, 1464; Sagan EuZW 2018, 386, 387; zweifelnd Greiner aaO; Schuhmann ZAT 2018, 110, 115; Thüsing/Mathy RIW 2018, 559, 561).
63
(2) Entgegen der Auffassung von Krimphove (ArbRAktuell 2018, 511, 512) ist es – abgesehen davon, ob dies hinreichend offensichtlich wäre – nicht methodisch verfehlt, wenn der Gerichtshof mangels eines einschlägigen Freiheitsrechts auf ein Gleichheitsrecht „zurückgreift“. Der Schutz vor Diskriminierung ist, worauf der Gerichtshof explizit hinweist (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 69; 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 76), mittlerweile auch durch Art. 21 Abs. 1 GRC gewährleistet (nicht durch Art. 17 AEUV, wie Krimphove an anderer Stelle annimmt: ArbRAktuell 2019, 27, 29) und steht insofern gleichrangig neben dem Schutz etwa der Religionsfreiheit gem. Art. 10 Abs. 1 GRC. Vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, nach dem die Charta den gleichen Rang wie die Verträge hat, ergab sich der Grundsatz des Verbots einer Diskriminierung wegen der Religion aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 69).
64
(3) Eine objektiv willkürliche Verletzung der Verträge resultiert auch nicht aus der Annahme des Gerichtshofs, Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG entgegenstehendes nationales Recht habe gegebenenfalls unangewendet zu bleiben, selbst wenn es um einen Sachverhalt vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon gehe (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 68 ff.). Die Argumentation des Gerichtshofs, vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon folge der Grundsatz des Verbots einer Diskriminierung wegen der Religion aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten, habe auch als solcher allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts zwingenden Charakter und verleihe dem Einzelnen ein Recht, das er in einem Rechtsstreit, der einen vom Unionsrecht erfassten Bereich betrifft, als solches geltend machen könne, so dass die nationalen Gerichte auch in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privatpersonen verpflichtet seien, von der Anwendung mit diesem Verbot nicht im Einklang stehender nationaler Vorschriften abzusehen (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 67 bis 69), hält sich ebenfalls im Rahmen der ihm übertragenen Kompetenz (einen Akt ultra vires nehmen insoweit auch Thüsing/Mathy BB 2018, 2805, 2808 nicht an; kritisch Greiner NZA 2018, 1289, 1291 bzgl. der „gemeinsamen Verfassungstraditionen“ vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon in Bezug auf eine konfessionsanknüpfende Ungleichbehandlung bei den Loyalitätsobliegenheiten; dagegen wiederum, dem EuGH zustimmend, Stein ZESAR 2018, 277, 281: für die gemeinsamen Verfassungstraditionen sei nicht der „kleinste gemeinsame Nenner“ entscheidend). Sie entspricht der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Verbot der Diskriminierung wegen des Alters (vgl. EuGH 19. April 2016 – C-441/14 – [Dansk Industri] Rn. 36 mwN; 19. Januar 2010 – C-555/07 – [Kücükdeveci] Rn. 51; 22. November 2005 – C-144/04 – [Mangold] Rn. 77; Greiner NZA 2018, 1289, 1290; Thüsing/Mathy aaO; Klocke/Wolters BB 2018, 1460, 1464), die ihrerseits nicht ultra vires ergangen ist (BVerfG 6. Juli 2010 – 2 BvR 2661/06 – [Honeywell] Rn. 77 bis 79, BVerfGE 126, 286). Bereits in der Rechtssache Mangold hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, das grundsätzliche Verbot aller nach der Richtlinie verbotenen Formen der Diskriminierung habe, wie sich aus der ersten und der vierten Begründungserwägung der Richtlinie ergebe, seinen Ursprung in verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen und den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten (EuGH 22. November 2005 – C-144/04 – [Mangold] Rn. 74). Dies hat zwischenzeitlich eine Bestätigung in Art. 21 Abs. 1 der von allen Mitgliedstaaten beschlossenen Charta der Grundrechte der Europäischen Union gefunden.
65
(4) Es liegt – ungeachtet der Frage, ob dies einen Ausschluss des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts zu begründen vermöchte – auch kein Eingriff in die völkerrechtliche Souveränität des Heiligen Stuhls vor, weil der Gerichtshof der Europäischen Union die nationalen Gerichte aufforderte, dem Unionsrecht entgegenstehendes kirchliches Recht nicht mehr anzuwenden (so aber Krimphove ArbRAktuell 2018, 511, 513; anders Krimphove ArbRAktuell 2019, 27, 29). Unangewendet zu bleiben hat gegebenenfalls allein dem Unionsrecht entgegenstehendes nationales, also staatliches (Verfassungs-)Recht (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 71). Die GrO 1993 findet in Rechtsverhältnissen, die staatlichem Arbeitsrecht unterliegen, nicht autonom als Kirchenrecht Anwendung. Sie ist auch nicht Gegenstand eines Konkordats mit dem Heiligen Stuhl. Sie wurde vielmehr von den deutschen (Erz-)Bischöfen verabschiedet, um in Ausübung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts die in Deutschland verfassungsgerichtlich anerkannten Freiräume durch eine eigene kirchenrechtliche Regelung auszufüllen (BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 10, BVerfGE 137, 273; vgl. Dütz NJW 1994, 1369; zum in der Bundesrepublik fortgeltenden Reichskonkordat vom 20. Juli 1933, Reichsgesetzblatt vom 18. September 1933 II S. 679, vgl. BVerfG 26. März 1957 – 2 BvG 1/55 – [Reichskonkordat] BVerfGE 6, 309).
66
c) Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG in der Auslegung des Gerichtshofs der Europäischen Union berührt nicht die in den Art. 1 und Art. 20 GG niedergelegte Verfassungsidentität der Bundesrepublik Deutschland.
67
aa) Der Menschenwürdekern der Grundrechte, insbesondere der Religionsfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG, ist nicht betroffen. Zwar ist das von Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 iVm. Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV geschützte Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften berührt, an dem auch die Beklagte teilhat (BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 146, BVerfGE 137, 273). Dem korporativen Gewährleistungsinhalt der Religionsfreiheit kommt indes kein Menschenwürdekern zu (dies außer Acht lassend Thüsing/Mathy BB 2018, 2805, 2808 f.; sowie dies. RIW 2018, 559, 562; zutreffend dagegen Classen EuR 2018, 752, 765; Fremuth EuZW 2018, 723, 730; auch Klocke/Wolters BB 2018, 1460, 1464). Kapitalgesellschaften, Vereine, Personengesellschaften etc. können die „Menschenwürde“ ihrem Wesen nach nicht für sich in Anspruch nehmen (Art. 19 Abs. 3 GG; vgl. zuletzt BVerfG 13. Juli 2018 – 1 BvR 1474/12, 1 BvR 670/13, 1 BvR 57/14 – Rn. 92). Menschenwürde kommt nur natürlichen Personen zu. Auch der Menschenwürdekern der Religions- und Weltanschauungsfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1 GG betrifft allein den Menschen als sittliche Person, der nur mit der Freiheit bestehen kann, sich eine religiöse oder weltanschauliche Überzeugung zu bilden, sie zu haben oder nicht zu haben (BeckOK GG/Germann Stand 15. November 2018 Art. 4 Rn. 1). Sind juristische Personen betroffen, kann lediglich die Menschenwürde der hinter ihnen stehenden Individuen tangiert sein (BeckOK GG/Hillgruber Stand 15. November 2018 Art. 1 Rn. 6; vgl. Jarass in Jarass/Pieroth GG 14. Aufl. Art. 1 Rn. 7; Höfling in Sachs GG 8. Aufl. Art. 1 Rn. 66; Hofmann in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke GG 14. Aufl. Art. 1 Rn. 10; Robbers in Umbach/Clemens GG Art. 1 Rn. 21; Herdegen in Maunz/Dürig GG Stand November 2018 Art. 1 Abs. 1 Rn. 72). Diese bleibt von der Entscheidung des Gerichtshofs unberührt (ebenso Fremuth EuZW 2018, 723, 730).
68
bb) Das Demokratieprinzip gem. Art. 20 Abs. 1 GG ist ebenfalls nicht berührt.
69
(1) Das Bundesverfassungsgericht hat zum Stand der Integration nach dem Vertrag von Lissabon entschieden, dass das Legitimationsniveau der Europäischen Union im Hinblick auf den Umfang der übertragenen Zuständigkeiten und den erreichten Grad von Verselbstständigung der Entscheidungsverfahren noch den deutschen verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht. Mit dem Vertrag von Lissabon ist weder die für die Verfassungsorgane unverfügbare verfassungsgebende Gewalt übertragen noch die staatliche Souveränität der Bundesrepublik Deutschland aufgegeben worden. Dem Deutschen Bundestag sind vielmehr eigene Aufgaben und Zuständigkeiten von hinreichendem Gewicht verblieben (BVerfG 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 ua. – [Lissabon-Vertrag] zu C II 1 der Gründe, BVerfGE 123, 267).
70
(2) Daran ändert die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG durch den Gerichtshof der Europäischen Union nicht in einer solchen Weise etwas, dass der Bundesrepublik Deutschland in Fragen des Umgangs mit dem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis bzw. mit religiösen Gemeinschaften kein ausreichender Raum zur politischen Gestaltung dieses Lebensbereichs mehr verbliebe (vgl. zu Überlegungen in diese Richtung Fremuth EuZW 2018, 723, 730 f.; Schuhmann ZAT 2018, 110, 115). Die Entscheidung des Gerichtshofs wirkt sich zwar auf das Verhältnis der Kirchen und der ihnen zugeordneten Einrichtungen zu den dort beschäftigten Arbeitnehmern aus. Sie knüpft die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung wegen der Religion an tätigkeitsbezogene Voraussetzungen. Nach deutschem Verfassungsverständnis gehört es dagegen zum garantierten kirchlichen Selbstbestimmungsrecht, den Religionsgemeinschaften auch insoweit ein der Kontrolle durch staatliche Gerichte weitgehend entzogenes Recht zuzugestehen, verbindlich selbst unterschiedliche Loyalitätsanforderungen abhängig allein von der Konfessionszugehörigkeit der Beschäftigten zu stellen. Bei den inhaltlichen Anforderungen an Loyalitätspflichten für Arbeitnehmer, die in einer der Kirchen oder der ihnen zugeordneten Einrichtungen beschäftigt werden, und dem dafür geltenden gerichtlichen Prüfungsmaßstab, handelt es sich aber nicht um einen unverzichtbaren Teil der deutschen Verfassungsidentität (ähnlich Heuschmid/Höller AuR 2018, 587, 588; aA wohl Thüsing/Mathy BB 2018, 2805, 2809 sowie dies. RIW 2018, 559, 562), der einer Ausgestaltung durch Unionsrecht vollständig entzogen wäre. Auch nach Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV ist das kirchliche Selbstbestimmungsrecht vielmehr nur innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes garantiert (vgl. auch Roßbruch PflR 2018, 715, 717). Art. 137 Abs. 3 WRV geht als speziellere Norm insoweit Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG vor (BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 85, BVerfGE 137, 273; sog. Schrankenspezialität). Zwar ist nach deutschem Verfassungsrecht dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG die korporative Religionsfreiheit vorbehaltlos gewährleistet und insofern dem Selbstbestimmungsrecht sowie dem Selbstverständnis der Religionsgesellschaften bei dem Ausgleich der gegenläufigen Interessen besonderes Gewicht zuzumessen ist (BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – aaO). Der Bundesrepublik Deutschland verbleibt aber nicht etwa allein deshalb kein ausreichender Raum zur politischen Gestaltung ihrer Beziehungen zu den Religionsgemeinschaften mehr, weil im Falle eines Konflikts mit dem Recht der Arbeitnehmer auf Schutz vor Diskriminierungen unionsrechtlich eine das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nicht mehr absolut setzende gerichtliche Kontrolle gefordert ist. Die nach deutschem Verfassungsverständnis tragenden Grundsätze des kirchlichen Arbeitsrechts bleiben vielmehr auch unionsrechtlich unangetastet (ebenso Schneedorf NJW 2019, 177, 179) und sind einer Gestaltung durch den deutschen Gesetzgeber damit nicht entzogen. Auch das Unionsrecht erkennt das Recht auf Autonomie der Kirchen und der anderen Organisationen an, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht (EuGH 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 50 f.). Die Vorgaben des Gerichtshofs in der Entscheidung vom 11. September 2018 (- C-68/17 -) sind zudem nur dann von Relevanz, wenn eine Kirche oder eine ihr zugeordnete Einrichtung unterschiedliche Loyalitätsanforderungen an Arbeitnehmer mit vergleichbaren (Leitungs-)Tätigkeiten allein aufgrund ihrer Konfession stellt. Die Bundesrepublik Deutschland verfügt in Fragen des Umgangs mit dem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis bzw. mit religiösen Gemeinschaften weiterhin über ausreichenden Raum zur politischen Gestaltung dieses Lebensbereichs, weil die Kirchen bzw. die ihnen zugeordneten Einrichtungen auch nach Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG im Hinblick auf Ungleichbehandlungen wegen der Religion gegenüber anderen privaten oder öffentlichen Arbeitgebern privilegiert sind. Jenseits des Bereichs konfligierenden Diskriminierungsschutzes verbleibt den Religionsgemeinschaften auch unionsrechtlich uneingeschränkt das Recht auf Selbstbestimmung und auf Achtung des Status, den sie in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen (der „Status der Kirchen als solcher“ ist nicht betroffen: Sagan EuZW 2018, 386, 387).
71
6. Die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG durch den Gerichtshof der Europäischen Union erfordert keine Abkehr von der „Solange II“-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der verfassungsrechtlichen Kontrolle von Unionsrecht.
72
a) Dies setzte voraus, dass die europäische Rechtsentwicklung einschließlich der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nach Ergehen der „Solange II“-Entscheidung (BVerfG 22. Oktober 1986 – 2 BvR 197/83 – BVerfGE 73, 339) unter den erforderlichen Grundrechtsstandard abgesunken wäre (zum Erfordernis, dies für eine zulässige Vorlage entsprechend Art. 100 Abs. 1 GG darzulegen, vgl. BVerfG 7. Juni 2000 – 2 BvL 1/97 – [Bananenmarktordnung] zu B I und II 2 d der Gründe, BVerfGE 102, 147). Das Bundesverfassungsgericht wird erst und nur dann im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit wieder tätig, wenn der Gerichtshof den Grundrechtsstandard verlassen sollte, den es in der „Solange II“-Entscheidung festgestellt hat (BVerfG 7. Juni 2000 – 2 BvL 1/97 – [Bananenmarktordnung] zu B II 2 b der Gründe, aaO). Ein deckungsgleicher Schutz in den einzelnen Grundrechtsbereichen des Grundgesetzes durch das europäische Gemeinschaftsrecht – heute: Unionsrecht – und die darauf fußende Rechtsprechung des Gerichtshofs ist nicht gefordert (BVerfG 7. Juni 2000 – 2 BvL 1/97 – [Bananenmarktordnung] zu B II 2 c der Gründe, aaO). Den verfassungsrechtlichen Erfordernissen ist entsprechend den in der „Solange II“-Entscheidung genannten Voraussetzungen genügt, wenn die Rechtsprechung des Gerichtshofs einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften (Union) generell gewährleistet, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt. Dies ist bereits im Hoheitsbereich der Europäischen Gemeinschaften der Fall gewesen. Es ist ein Maß an Grundrechtsschutz erwachsen, das nach Konzeption, Inhalt und Wirkungsweise dem Grundrechtsstandard des Grundgesetzes im Wesentlichen gleich zu achten ist (BVerfG 22. Oktober 1986 – 2 BvR 197/83 – [Solange II] zu B II 1 d der Gründe, aaO). Dieser Grundrechtsstandard ist insbesondere auch durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der (damals noch) Europäischen Gemeinschaften inhaltlich ausgestaltet worden, gefestigt und zureichend gewährleistet (BVerfG 22. Oktober 1986 – 2 BvR 197/83 – [Solange II] zu B II 1 d aa der Gründe, aaO). Dies betrifft auch das Grundrecht der Religionsfreiheit (BVerfG 22. Oktober 1986 – 2 BvR 197/83 – [Solange II] aaO). Dass sich auf der gemeinschaftsrechtlichen – heute: unionsrechtlichen – Ebene unter Umständen andersartige Fragen bei der Regelung von Grundrechten oder der Konkretisierung ihres Schutzbereichs stellen, vermag der Angemessenheit des gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsschutzes aus der Sicht des Grundgesetzes keinen generellen Abbruch zu tun (BVerfG 22. Oktober 1986 – 2 BvR 197/83 – [Solange II] zu B II 1 e der Gründe, aaO). Von Grundgesetzes wegen sind auch Regelungen auf der Ebene der Gemeinschaft ermöglicht, die die Grundrechte im Einklang mit den Zielen und besonderen Strukturen der Gemeinschaft wahren; der Wesensgehalt der Grundrechte und zumal der Menschenrechte andererseits ist unabdingbar und muss auch gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaft Bestand haben (BVerfG 22. Oktober 1986 – 2 BvR 197/83 – [Solange II] aaO).
73
b) Die europäische Rechtsentwicklung ist aufgrund der Auslegung von Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG durch den Gerichtshof der Europäischen Union nicht unter den demnach erforderlichen Grundrechtsstandard gesunken.
74
aa) Die RL 2000/78/EG trägt in der Auslegung des Gerichtshofs sowohl dem Schutz des Grundrechts der Arbeitnehmer, nicht wegen ihrer Religion oder Weltanschauung diskriminiert zu werden, als auch – durch Art. 4 Abs. 2 – dem in Art. 17 AEUV und in Art. 10 GRC – der Art. 9 der EMRK entspricht – anerkannten Recht auf Autonomie der Kirchen und der anderen öffentlichen oder privaten Organisationen Rechnung, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht (EuGH 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 50). Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG bezweckt die Herstellung eines angemessenen Ausgleichs zwischen einerseits dem Recht auf Autonomie der Kirchen und der anderen Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, und andererseits dem Recht der Arbeitnehmer, nicht wegen ihrer Religion oder Weltanschauung diskriminiert zu werden, falls diese Rechte im Widerstreit stehen sollten (EuGH 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 51).
75
bb) Der Umstand, dass dem Recht der Arbeitnehmer, nicht wegen ihrer Religion oder Weltanschauung diskriminiert zu werden, – anders als nach deutschem Verständnis, das auch insoweit ein der gerichtlichen Überprüfung weitgehend entzogenes kirchliches Proprium anerkennt (Fremuth EuZW 2018, 723, 728; Menges ZMV 2018, 292) – ein gerichtlich nachprüfbares Gewicht beigemessen wird, führt nicht dazu, dass der Standard eines wirksamen Schutzes der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Union grundsätzlich verlassen würde, dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz nicht mehr im Wesentlichen gleich zu achten oder generell nicht auch weiterhin der Wesensgehalt der Grundrechte verbürgt wäre (ebenso Fremuth EuZW 2018, 723, 730). Der Gestaltungsspielraum der Kirchen wird zwar an tätigkeitsbezogene Merkmale geknüpft und daher in gewisser Weise eingeschränkt (Suttorp/Braun KuR 2018, 270, 274), wodurch umgekehrt das Schutzniveau für die Arbeitnehmer steigt (Fremuth EuZW 2018, 723, 730). Es verletzt aber nicht den Kernbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, wenn diesem im Konflikt mit dem unionsrechtlich verbürgten Diskriminierungsschutz nicht generell der Vorrang eingeräumt wird (aA Greiner NZA 2018, 1289, 1291; Thüsing/Mathy BB 2018, 2805, 2808). Die Religionsgemeinschaften bleiben als Grundrechtsträger vielmehr selbst besonders geschützt, sie können unionsrechtlich lediglich keine Privilegierung im Verhältnis zur gerichtlichen Überprüfbarkeit von Diskriminierungen beanspruchen (Joussen EuZA 2018, 421, 430). Sie dürfen ihren Freiraum auch unionsrechtlich nach eigenen Maßstäben ausfüllen, nur nicht verbindlich selbst über die Reichweite dieses Freiraums im Verhältnis zu den grundrechtlich geschützten Belangen Dritter auf Schutz vor Diskriminierung entscheiden (vgl. Stein ZESAR 2018, 277, 281).
76
cc) Die Legitimität des Ethos der jeweils betroffenen Religionsgemeinschaft haben die staatlichen Gerichte grundsätzlich auch nach Unionsrecht nicht zu beurteilen (EuGH 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 61, 64; Menges ZMV 2018, 292, 293). Es trifft daher nicht zu, dass eine Beurteilung des jeweiligen Ethos anhand weltlicher Maßstäbe zu erfolgen hätte (so aber wohl Thüsing/Mathy BB 2018, 2805, 2808; dies. RIW 2018, 559, 562; zutreffend dagegen Schneedorf NJW 2019, 177, 179) bzw. staatliche Gerichte das kirchliche Ethos zu beurteilen hätten. Es bleibt vielmehr die alleinige Angelegenheit der jeweiligen Religionsgesellschaft festzulegen, wie die jeweilige Glaubenslehre zu interpretieren ist und welcher Angebote und Dienste es zur Verwirklichung dieser Glaubenslehre bedarf sowie in welcher Organisationsform die konkrete Umsetzung erfolgt (zutreffend Schneedorf aaO). Bedienen sich kirchliche Einrichtungen – wie insbesondere in Diakonie und Caritas – für die Ausgestaltung ihrer Beschäftigungsverhältnisse des staatlichen Rechts, führt dies auch unionsrechtlich nicht etwa automatisch zu einer Nichtanwendbarkeit der Grundsätze des kirchlichen Arbeitsrechts (Schneedorf aaO). Es hat lediglich ein Ausgleich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts mit dem Recht der Arbeitnehmer stattzufinden, vor Diskriminierung geschützt zu werden. Ein mit dem Grundgesetz deckungsgleicher Schutz in den einzelnen Grundrechtsbereichen ist dagegen nicht erforderlich (vgl. BVerfG 7. Juni 2000 – 2 BvL 1/97 – [Bananenmarktordnung] zu B II 2 c der Gründe, BVerfGE 102, 147). Deshalb kann ein Ausschluss des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts entgegen der Auffassung von Thüsing/Mathy (RIW 2018, 559, 562) auch nicht allein damit begründet werden, die Religionsfreiheit sei „im umfassenden Sinne“ zu schützen. Wäre dies der Fall, müsste eine Ausgestaltung des Schutzes vor Benachteiligungen wegen der Religion im Bereich der Kirche und der ihr zugeordneten Einrichtungen im gesamten Bereich der Europäischen Union trotz der in Art. 4 RL 2000/78/EG enthaltenen Vorgaben unterbleiben.
77
IV. Der Senat konnte nicht offenlassen, ob die in unionsrechtskonformer Auslegung von § 9 Abs. 2 AGG geltenden Voraussetzungen an die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung wegen der Religion (vgl. Rn. 32) in Bezug auf die Anforderung, den heiligen und unauflöslichen Charakter der kirchlichen Eheschließung zu achten, erfüllt sind. Bliebe das Recht des Klägers auf Schutz vor Diskriminierung nach der vorgenannten Vorschrift außer Betracht, wäre die Revision der Beklagten begründet. Das Berufungsurteil wäre aufzuheben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Es bedürfte ergänzender Feststellungen zu den nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 22. Oktober 2014 (- 2 BvR 661/12 – BVerfGE 137, 273) bei der Interessenabwägung auf Seiten des Klägers zu beachtenden Umständen (ebenso schon der Aussetzungsbeschluss des Senats vom 28. Juli 2016 – 2 AZR 746/14 [B] – Rn. 2 ff.).
78
1. Der Kläger hätte gegen eine Loyalitätsanforderung verstoßen, die ihm nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zulässigerweise auferlegt war und an die er sich freiwillig durch den Abschluss des Arbeitsvertrags mit der Beklagten gebunden hatte. Dies wöge bei ihm als iSd. § 5 Abs. 3 GrO 1993 leitendem Mitarbeiter nach dem zu beachtenden Selbstbestimmungsrecht der römisch-katholischen Kirche besonders schwer. Es handelte sich nicht um ein bloß einmaliges – überwundenes – Fehlverhalten, sondern die Beklagte wäre bei einer Weiterbeschäftigung des Klägers voraussichtlich dauerhaft mit seinem illoyalen Verhalten, dem Leben in einer kirchlich ungültigen Ehe, konfrontiert gewesen (BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 182,BVerfGE 137, 273). Demgegenüber könnte allein die Dauer der Beschäftigung des Klägers bei der Beklagten von gut neun Jahren im Zeitpunkt der Kündigung keine Interessenabwägung zu seinen Gunsten rechtfertigen. Es sind bislang auch keine Umstände festgestellt, aufgrund derer das Lebensalter des Klägers bereits eine besondere Schutzbedürftigkeit begründet hätte. Dies gilt auch für die Beurteilung seiner Beschäftigungschancen auf dem Arbeitsmarkt.
79
2. Soweit der Kläger die Vertragsgestaltung hinsichtlich der Geltung der in der GrO 1993 bestimmten Loyalitätsanforderungen für unklar hält, vermöchte dies nicht zu einer abweichenden Beurteilung zu führen. Ungeachtet der Frage, welche Rechtsfolge sich daraus ergäbe, liegt keine „unklare“ Vertragsgestaltung vor.
80
a) Der Kläger macht nicht geltend, die Unklarheit ergebe sich aus seinem Dienstvertrag selbst. Dafür gibt es auch objektiv keine Anhaltspunkte.
81
b) Soweit er darauf abstellt, die Unklarheit folge daraus, dass die Beklagte vom Wortlaut her identische Chefarztverträge ebenso mit evangelischen Chefärzten abgeschlossen, diesen aber im Falle einer Wiederheirat nicht gekündigt habe, sind zum einen zum Inhalt anderer Chefarztverträge keine Feststellungen getroffen. Eine zulässige Verfahrens(gegen-)rüge hat der Kläger nicht erhoben. Zum anderen bleibt sein Vorbringen auch im Revisionsverfahren unsubstanziiert. Es ist – bis auf den Fall des schon bei seiner Einstellung durch die Beklagte zum zweiten Mal verheirateten Dr. H – weder dargelegt, um die Verträge welcher Chefärzte es sich handeln soll, noch behauptet, er, der Kläger, habe bereits bei seinem eigenen Vertragsschluss Kenntnis vom Inhalt der fraglichen Verträge und ihrer praktischen Handhabung in anderen Fällen gehabt. Im Übrigen wäre bei identischem Vertragswortlaut auch jeweils die GrO 1993 in Bezug genommen, die für den Loyalitätsverstoß durch Wiederverheiratung gerade zwischen katholischen und nicht-katholischen Mitarbeitern unterscheidet.
82
3. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, wie ihn das Landesarbeitsgericht zugunsten des Klägers bei der Interessenabwägung berücksichtigt hat, läge ebenfalls nicht vor. Die Beklagte durfte – § 9 Abs. 2 AGG in unionsrechtskonformer Auslegung ausgeklammert – an Katholiken auch bei gleich gelagerter (Leitungs-)Tätigkeit nach deutschem Verfassungsrecht weiter gehende Loyalitätsanforderungen als an Angehörige anderer Konfessionen oder konfessionslose Arbeitnehmer stellen. Ebenso durfte sie das Leben in einer nach kirchlichem Recht ungültigen Ehe als gegenüber dem Zusammenleben in nichtehelicher Gemeinschaft schwerer wiegenden Verstoß werten (BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 172 ff., BVerfGE 137, 273) und musste daher nicht schon das eheähnliche Zusammenleben des Klägers mit seiner künftigen zweiten Ehefrau zum Anlass für eine Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nehmen. Es sind auch keine Umstände festgestellt oder objektiv ersichtlich, aus denen sich ergäbe, die Beklagte hätte ihr Kündigungsrecht dadurch verwirkt, dass sie die Kündigung erst im März 2009 erklärte, obwohl sie bereits im November 2008 Kenntnis von der zweiten Eheschließung des Klägers erlangte. Das gilt sowohl für das Zeit- als auch für das Umstandsmoment. Die Beklagte musste nicht nur das in der GrO 1993 vorgeschriebene beratende Gespräch mit dem Kläger führen, sondern auch den Aufsichtsrat beteiligen und eine Stellungnahme des Generalvikars einholen. Angesichts der – auch für die Beklagte und das Krankenhaus – weitreichenden Folgen des Kündigungsentschlusses ist es nicht zu beanstanden, dass sie dabei umsichtig und ohne Hast vorging (so bereits BAG 8. September 2011 – 2 AZR 543/10 – Rn. 13, BAGE 139, 144).
83
4. Der Senat könnte die erforderliche Bewertung der nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts bei der Abwägung aller Umstände des Einzelfalls zu beachtenden Interessen des Klägers auf der Basis der bisherigen Feststellungen nicht selbst vornehmen. Dafür bedürfte es weiterer Sachaufklärung.
84
a) Dies gilt zunächst für die vom Bundesverfassungsgericht verlangte Bewertung, ob die Rechtspositionen des Klägers und seiner zweiten Ehefrau aus Art. 6 Abs. 1 GG und den Wertungen aus Art. 8 Abs. 1 sowie Art. 12 EMRK in einem Maße tangiert sind, das es rechtfertigen würde, den Interessen des Klägers den Vorrang vor den Interessen der Beklagten einzuräumen (vgl. dazu BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 180, BVerfGE 137, 273).
85
aa) Soweit der Kläger im Personalgespräch am 25. November 2008 mitgeteilt haben soll, mit Rücksicht auf seine beiden Kinder von einer kirchlichen Annullierung der ersten Ehe abgesehen zu haben, bevor er standesamtlich die zweite Ehe geschlossen habe, wäre dies nicht geeignet, besondere Interessen an seiner Wiederheirat zu begründen. Nach dem kirchlichen Selbstverständnis wäre es – solange die Annullierung nicht feststeht – vielmehr unerheblich, ob diese bereits beantragt war oder aus welchen Gründen zunächst nicht. Zudem ist weder vom Kläger dargelegt noch objektiv ersichtlich, dass die kirchenrechtlichen Voraussetzungen für eine Annullierung seiner ersten Ehe gegeben gewesen wären.
86
bb) Dass die Schließung der zweiten Ehe nach dem Vorbringen des Klägers möglicherweise kein öffentliches Ärgernis ausgelöst hat, wäre nach der hier noch maßgeblichen GrO 1993 für die kündigungsrechtliche Sanktion eines leitenden Mitarbeiters ebenfalls unerheblich.
87
cc) Soweit der Kläger behauptet hat, er sei von seiner ersten Ehefrau böswillig verlassen worden, ist zwar nicht ausgeschlossen, dass dies – gegebenenfalls unter Berücksichtigung weiterer Umstände – für ein besonderes Interesse am Eingehen einer zweiten Ehe sprach. Ein solcher Sachverhalt ist aber bislang ebenfalls nicht festgestellt.
88
dd) Soweit das Landesarbeitsgericht ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen hat, könnten sich zwar auch aus dem damit in Bezug genommenen Vorbringen besondere Interessen des Klägers an der zweiten Eheschließung ergeben haben. Indes fehlt es auch insoweit bislang an Feststellungen.
89
b) Ebenfalls an ausreichenden Feststellungen mangelt es mit Blick auf die nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts etwaig nach dem Gedanken des Vertrauensschutzes zugunsten des Klägers zu berücksichtigenden Umstände.
90
aa) Das Bundesverfassungsgericht hat im Streitfall die Berücksichtigung des Gedankens des Vertrauensschutzes in Bezug darauf für möglich gehalten, dass § 10 Abs. 4 Nr. 2 des Dienstvertrags in Abweichung von der GrO 1993 unterschiedliche Bewertungen hinsichtlich von Verstößen gegen kirchliche Grundsätze – Verstoß gegen das Verbot des Lebens in kirchlich ungültiger Ehe einerseits und Verstoß gegen das Verbot des Lebens in nichtehelicher Gemeinschaft andererseits – nicht vorsehe und die individualvertragliche Abrede besonderes Vertrauen des Klägers ausgelöst haben könnte (BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 181, BVerfGE 137, 273).
91
bb) Es ist jedoch nicht festgestellt, dass der Kläger Kenntnis davon gehabt hätte, zur Kündigung berechtigte Vertreter der Beklagten hätten von dem eheähnlichen Zusammenleben mit seiner späteren zweiten Ehefrau gewusst. Dies wäre Voraussetzung dafür, dass sich bei ihm ein schützenswertes Vertrauen dahingehend hätte bilden können, die Beklagte werde einen solchen Verstoß gegen die Loyalitätsanforderungen und – wegen der gleichgeordneten Aufzählung beider Verstöße als Kündigungsgründe im Arbeitsvertrag – möglicherweise auch eine Wiederheirat nicht zum Anlass für eine Kündigung nehmen. Soweit der Kläger erstmalig im Revisionsverfahren behauptet, ihm sei bekannt gewesen, dass der Geschäftsführung der Beklagten Anhaltspunkte dafür vorlagen, er sei eine nichteheähnliche Lebensgemeinschaft eingegangen, hat die Beklagte diesen – zudem substanzlosen – Vortrag ausdrücklich bestritten.
92
cc) Die tatrichterliche Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe jedenfalls „seit Herbst 2006 von der nichteheähnlichen Lebensgemeinschaft mit der neuen Lebensgefährtin des Klägers Kenntnis“ gehabt, wird im Übrigen nicht vom wiedergegebenen Ergebnis der Beweisaufnahme getragen. Die diesbezüglich von der Beklagten erhobene Rüge einer Verletzung von § 286 Abs. 1 ZPO wäre begründet. Das Berufungsgericht hat die Kenntnis der Beklagten aus der Aussage eines der ehemaligen Geschäftsführer geschlossen, er sei gegen Ende seiner Dienstzeit von dem weiteren Geschäftsführer „über das Gerücht informiert worden, dass der Kläger eine neue Lebensgefährtin habe“. Dies ist logisch nicht nachvollziehbar. Wer ein Gerücht kennt, weiß deshalb noch nicht, dass die mit ihm verbreiteten Tatsachen wahr sind. Das Landesarbeitsgericht hat seine Schlussfolgerung auch nicht mit weiteren Indizien begründet. Soweit es auf die Angabe des Zeugen verwiesen hat, man habe sich entschlossen gehabt, „diesen Gerüchten nachzugehen, was letztlich dann wohl doch unterblieben sei“, ergibt sich auch daraus nicht, die Beklagte müsse positive Kenntnis von den tatsächlichen Umständen eines eheähnlichen Zusammenlebens des Klägers mit seiner Lebensgefährtin gehabt haben.
93
V. Der Weiterbeschäftigungsantrag fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Er ist auf eine Beschäftigung für die Dauer des Kündigungsrechtsstreits gerichtet. Dieser ist mit der Entscheidung des Senats rechtskräftig abgeschlossen.
94
VI. Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.
Koch
Schlünder
Rachor
B. Schipp
Talkenberg |
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