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»Jeder fünfte denkt etwa so wie Mescalero«
SPIEGEL: »Sympathisant« ist der Begriff, der derzeit in der Auseinandersetzung um Gewalt und Terror so häufig gebraucht wird wie kein anderer. Wen würden Sie einen Sympathisanten nennen?GLOTZ: Mit diesem Begriff sollte jeder überaus vorsichtig umgehen. Es kann verheerende Folgen haben, wenn wir ihn zu weit fassen. Ich würde als Sympathisanten nur Leute bezeichnen, die tatsächlich den Terror, das heißt auch den Mord, billigen und von denen zu vermuten ist, daß sie aus dieser Einstellung heraus auch zur Unterstützung solcher Verbrechen bereit sind. SPIEGEL: Nun werden zwölf Berliner Professoren, deren Dienstherr Sie als Senator für Wissenschaft und Forschung sind, öffentlich als Sympathisanten bezeichnet. Sie haben zusammen mit drei Dutzend anderen Hochschullehrern aus Bremen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen den Artikel jenes Göttinger Studenten »Mescalero« veröffentlicht, der bei der Nachricht vom Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback »klammheimliche Freude« empfand. Sind die zwölf Berliner »Mescalero«-Herausgeber Sympathisanten? GLOTZ: Ich habe ihnen zwei sehr kritische offene Briefe geschrieben, sie haben mir ausführlich geantwortet. und ich habe mit ihnen ein zweieinhalbstündiges Gespräch geführt. Danach würde ich einen so schweren Vorwurf, sie sympathisierten mit Mord und Terror, nicht erheben. Aber natürlich kann ich niemandem hinter die Stirn schauen.SPIEGEL: Nun kennt Bernhard Vogel, CDU-Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und zur Zeit Präsident des Bundesrates, diese Professoren sicher noch weniger als Sie, wahrscheinlich gar nicht. Trotzdem hat er sie zu Sympathisanten erklärt. Er hat auf der ersten Seite der »Bild«-Zeitung außerdem gesagt, ein Sympathisant könne auch derjenige sein, der die Baader-Meinhof-Terroristen als »Gruppe« und nicht als »Bande« bezeichne. GLOTZ: Ich schätze Bernhard Vogel, den ich schon viele Jahre aus der Kulturpolitik kenne, als einen durchaus sachlichen Politiker. Aber diese Äußerung halte ich für verantwortungslose Propaganda. In den vergangenen Jahren haben viele Juristen und Journali-* Mit SPIEGEL-Redakteuren Axel Jeschke und Werner Harenberg.sten den Ausdruck »Bande« nicht etwa aus Sympathie mit den Terroristen vermieden, sondern aus Scheu, jemanden als Verbrecher zu bezeichnen, bevor er verurteilt ist. Wenn wir wirklich so viele Sympathisanten unter uns hätten, dann würde dieser Staat nicht mehr vernünftig existieren können. SPIEGEL; Ist der Göttinger »Mescalero« ein Sympathisant? Kein Schriftstück wird in der öffentlichen Auseinandersetzung um die Sympathisanten so oft zitiert wie sein zynischer »Nachruf« auf Buback, und die »Welt« schlug sogar vor, statt von Sympathisanten besser von »Klammheimlichen« zu sprechen.GLOTZ: Es ist in dein »Mescalero« -- Artikel viel schlampiges Denken. Er hat eine unmenschliche Sprache und ist von Haß erfüllt. Die Würde des Menschen wird marginalisiert, verkleinert. Das alles und noch mehr ist gegen diesen Artikel zu sagen und ist von mir auch gesagt worden ...SPIEGEL: In Ihrem ersten offenen Brief haben Sie die »Mescalero«-Herausgeber sogar aufgefordert, sich von diesem Text entweder zu distanzieren oder aber den öffentlichen Dienst zu quittieren. GLOTZ: Wir haben allen Grund, uns mit der Geisteshaltung des »Mescalero« kritisch auseinanderzusetzen und zu verhindern, daß sie sich unter den Studenten weiter ausbreitet. Aber ich bin doch nicht bereit, den Autor einfach als Sympathisanten von Mord und Terror einzustufen. Sein Artikel zeugt ja auch von einem Besinnungsprozeß, und am Ende schreibt er sogar eindeutig: Mord nein, individueller Terror nein.SPIEGEL: So klar liest es sich bei »Mescalero« leider nicht. Er sagt zwar, daß der Weg zum Sozialismus nicht mit Leichen gepflastert werden dürfe und daß die Gewalt des Sozialismus nicht* Die Bremer Professoren Heide Gerstenberger, Rolf Knieper und Ulrich K. Preuß bei einem SPIEGEL-Gespräch über ihre »Mescalero«-Aktion (Heft 34/1977). die Gewalt AI Capones sei. Aber auch am Ende seines Artikels ist noch von »Killervisagen« der Repräsentanten des Staates die Rede, und er bekennt sich in den letzten Absätzen ausdrücklich zur Gewalt, wenn auch zu »Gewalt/Militanz, die fröhlich sind und den Segen der beteiligten Massen haben«. Sie erklärt er sogar zur Tagesaufgabe.GLOTZ: Natürlich hätte man sich die Absage an Mord und Terror eindeutiger gewünscht. Vorzuwerfen ist dem »Mescalero« ohne Zweifel auch, daß er mit dem Begriff einer fröhlichen Gewalt spielt. Aber wenn immer nur sein schreckliches Wort von der klammheimlichen Freude zitiert wird, dann wird der Inhalt dieses Artikels verkürzt und verfälscht. SPIEGEL: An Ihrer Einschätzung des »Mescalero« hat sich auch durch seinen neuen Artikel nichts geändert?GLOTZ: Niemand weiß, ob er von demselben Autor stammt.SPIEGEL: Aber sicher aus derselben anarchistischen Studentengruppe »Bewegung Undogmatischer Frühling«. Über die Entführung Hanns Martin Schleyers und den Mord an seinen vier Begleitern heißt es da: »Wir haben die Tatmeldung in einer Gastwirtschaft empfangen und wir haben nach Empfang der Meldung keinen Anlaß gesehen, aufzustehen und unsere Positionen zu verändern; dem Buback-Nachruf ist also in seinen wesentlichen Aussagen nichts hinzuzufügen.« GLOTZ: Es sind wieder Haß und Verachtung, die den Artikel kennzeichnen, wieder findet man eine katastrophal falsche Einschätzung der politischen Situation in der Bundesrepublik.SPIEGEL: Hätten Sie auch, wie Ihr Kollege, der niedersächsische Wissenschaftsminister Eduard Pestel, wegen dieses neuen »Mescalero«-Flugblatts die Räume des Asta in Göttingen durchsuchen lassen -- für diese Aktion waren wohl 250 Polizeibeamte eingesetzt -- und den Asta amtsenthoben?GLOTZ: Ob ich auch Polizei eingesetzt hätte und gleich zweieinhalb Hundertschaften, läßt sich aus der Entfernung nicht sagen. Aber die Amtsenthebung war nach allem, was ich über die Göttinger Situation gelesen und gehört habe, gerechtfertigt. SPIEGEL: Gegen die »Mescalero«-Herausgeber sind Pestel und Sie unterschiedlich vorgegangen. Pestel hat Disziplinarmaßnahmen gegen die niedersächsischen Professoren eingeleitet. Sie haben gegen die Berliner Professoren darauf verzichtet. Warum«?GLOTZ: Ich habe deshalb davon abgesehen, weil die Antworten der Professoren auf meine offenen Briefe und das Gespräch, das ich mit ihnen führte, erstens eine klare Distanzierung von Gewalt und Terror als Mittel der Politik ergaben und zweitens klarstellten, daß mit der Veröffentlichung des »Mescalero«-Artikels keine Identifizierung erfolgen sollte. Meine vorläufig abschließende rechtliche Bewertung ist deshalb, daß Disziplinarmaßnahmen nicht geboten sind. SPIEGEL: Nach der Berliner Disziplinarordnung hätten Sie so erst nach sogenannten Vorermittlungen entscheiden dürfen. Sie haben aber sogar auf Vorermittlungen verzichtet?GLOTZ: Disziplinarische Vorermittlungen waren nicht geboten. Aber bevor wir diese juristischen Aspekte erörtern, möchte ich Ihnen den politischen Grund nennen, warum ich anders gehandelt habe als mein Kollege Pestel in Niedersachsen.SPIEGEL: Ja, bitte.GLOTZ: Ich wollte eine beispielhafte öffentliche Auseinandersetzung mit diesen Professoren, die möglichst weit in die Hochschulen hineinwirkt. Darum ging es mir vor allem, denn etwa so wie der »Mescalero« denken und fühlen viele, allzu viele Studenten. SPIEGEL: Wie viele?GLOTZ: Es ist eine gar nicht kleine Minderheit, die diese Gefühle und Gedanken hat und die auch diese Sprache spricht. Sie läßt sich schwer beziffern, wenn auch die Ergebnisse der Wahlen an den Universitäten einige Anhaltspunkte liefern. Ich fürchte, daß 15 bis 20 Prozent der Studenten etwa so denken und fühlen wie »Mescalero«, zumindest aber von solchem Denken und Fühlen angezogen werden.SPIEGEL: Das wäre etwa jeder sechste oder sogar jeder fünfte Student, insgesamt wären es 140 000 bis 170 000. In der Tat eine beachtliche Minderheit. Und sie ist nicht an einigen Universitäten, etwa Berlin, Bremen und Marburg, konzentriert? GLOTZ: Nein. Es gibt natürlich Unterschiede zwischen den Universitäten, in Göttingen zum Beispiel ist diese Tendenz besonders stark. Aber die Unterschiede sollten nicht überschätzt werden.SPIEGEL: Herr Glotz, allen Respekt vor Ihrer Absicht, auf diese Minderheit einzuwirken, aber schließen sich Disziplinarverfahren und öffentliche Auseinandersetzung eigentlich aus?GLOTZ: Nach meiner Überzeugung ja. Schon deshalb, weil die Einleitung von Disziplinarmaßnahmen das Gespräch mit den Studenten nicht erleichtert, sondern erschwert. Sie werten dies selten als überzeugenden Nachweis der staatlichen Handlungsfähigkeit und häufig als autoritäres Abschneiden der Argumentation. Das reflexartige Rufen nach Disziplinarmaßnahmen, nach schärferen Sanktionen ist kein Mittel, junge Menschen zu überzeugen. Das kann nur durch Argumente geschehen. Aber abgesehen davon: Daß sich Disziplinarmaßnahmen und öffentliche Auseinandersetzung auch aus einem anderen Grund ausschließen müssen, sehen Sie doch sehr deutlich in Niedersachsen. Dort gibt es eine Mischung von disziplinarrechtlichem Vorgehen des Wissenschaftsministers und politischer Propaganda des Ministerpräsidenten gegen die Professoren, die an der »Mescalero«-Dokumentation beteiligt waren. Ich halte dieses doppelgleisige Vorgehen für skandalös. Wenn ich ein Verfahren gegen Beamte einleite, kann ich mich nicht öffentlich zu den Vorwürfen äußern. Und schon gar nicht darf ein Minister oder Ministerpräsident das gewünschte Ergebnis verkünden, wenn doch erst die Vorermittlungen laufen. SPIEGEL; Albrecht hat erklärt, daß es ihm darum gehe, »diese Leute vor die Tür zu setzen«. Aber zu Ihrer Entscheidung, Herr Senator, schon auf Vorermittlungen zu verzichten: Würden Sie es für formaljuristisch halten, wenn wir sagen, Sie hätten auf Ihre durchaus wünschenswerte politische Auseinandersetzung verzichten müssen, wenn gesetzliche Vorschriften Sie zu Disziplinarmaßnahmen zwingen und sich beides nicht miteinander vereinen läßt?GLOTZ: Das ist nicht formaljuristisch, sondern rechtsstaatlich gedacht.SPIEGEL: Warum haben Sie auf Vorermittlungen verzichtet, wenn Sie doch nach der Disziplinarordnung dazu verpflichtet waren? Erst wenn sie abgeschlossen sind, kann der Dienstherr entscheiden, ob er ein förmliches Disziplinarverfahren einleiten will.GLOTZ: Es ist richtig, hier gilt nicht das Opportunitätsprinzip, das mir die Entscheidung freistellt, sondern das Legalitätsprinzip, das mir keine Wahl läßt. Aber eine Ausnahme ist dann gegeben, wenn erstens der Tatbestand auch ohne Vorermittlungen klar ist und wenn zweitens der Dienstherr entschlossen ist, kein Dienststrafverfahren einzuleiten. Beides trifft in diesem Fall zu.SPIEGEL: Wie paßt es zusammen, daß Sie offenbar zum selben Zeitpunkt einerseits in aller Schärfe die Professoren auffordern, sich entweder von dem »Mescalero«-Artikel zu distanzieren oder aber aus dem öffentlichen Dienst auszuscheiden, und andererseits in aller Milde von vornherein den Verdacht eines Dienstvergehens verneinen? Oder anders gefragt: Warum soll jemand den Dienst quittieren, der sich sogar nach Meinung seines Dienstherrn keines Dienstvergehens schuldig gemacht hat?»Mein Ziel ist es, die Fronten aufzulockern.«GLOTZ: Ich habe damals nicht gegen Vorermittlungen entschieden, sondern diese Frage zunächst offen gelassen. Die Entwicklung bestätigte dann, daß ich damit richtig gehandelt hatte. Es kamen die Erklärungen der Professoren, die sich vom Inhalt des »Mescalero« distanzierten.SPIEGEL: Und was wäre geschehen, wenn sie das nicht getan hätten und auch nicht freiwillig den öffentlichen Dienst verlassen hätten?GLOTZ: Dann wäre es wohl notwendig gewesen, Vorermittlungen einzuleiten.SPIEGEL: Auch in den beiden anderen SPD-regierten Ländern mit »Mescalero«-Herausgebern, in Bremen und in Nordrhein-Westfalen, gibt es keine Disziplinarmaßnahmen, ihre Kollegen und Parteifreunde Horst-Werner Franke und Johannes Rau scheinen wie Sie zu handeln.GLOTZ: Den Eindruck habe ich auch.SPIEGEL: Meinen Sie, daß auch Pestel im CDU-regierten Niedersachsen auf Disziplinarmaßnahmen hätte verzichten müssen?GLOTZ: Nein, ich halte die eine und die andere Entscheidung für vertretbar. Ich wende mich nur, wie gesagt, gegen das in Niedersachsen praktizierte gleichzeitige disziplinarrechtliche und öffentliche Vorgehen.SPIEGEL: Ministerpräsident Albrecht rechnet damit, daß er mit den Disziplinarverfahren nicht durchkommt ...GLOTZ: Aus gutem Grund, meine ich.SPIEGEL: ... und will dann die entsprechenden gesetzlichen Vorschriften ändern.GLOTZ: Ich halte es für höchst fragwürdig, in die Disziplinarordnung, die für ganz andere Zwecke gedacht ist, einen Anti-Sympathisanten-Para. graphen einfügen zu wollen.SPIEGEL: Ist es ein Widerspruch, daß Sie als Wissenschaftssenator kein Disziplinarverfahren einleiten, hingegen die Berliner Staatsanwaltschaft gegen die Professoren ermittelt und Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel Strafantrag gegen sie gestellt hat?GLOTZ: Strafrecht und Disziplinarrecht sind zwei verschiedene Schienen. Aber es ist ja noch offen, ob Anklage erhöben wird. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.SPIEGEL: Hätten Sie auch Strafantrag gestellt, wenn Sie Bundesjustizminister wären?GLOTZ: Die Vorstellung, ich wäre Bundesjustizminister, überfordert meine Phantasie.SPIEGEL: Würde ein rechtskräftiges Urteil gegen die Professoren, etwa wegen Verunglimpfung des Staates und des Ansehens Verstorbener sowie wegen publizistischer Befürwortung von Gewalttaten, Sie zu einem Disziplinarverfahren zwingen?GLOTZ: Es muß dann erwogen werden, ob noch zusätzliche disziplinarische Maßnahmen geboten sind oder ob das Gerichtsurteil ausreicht, um den Beamten an seine Dienstpflicht zu erinnern.So wird häufiger verfahren als allgemein bekannt ist. Früher ist zum Beispiel ein Beamter, der einen Verkehrsunfall verursacht hat, häufig auch noch disziplinarrechtlich belangt worden, davon kann schon lange keine Rede mehr sein. Aber wie in diesem Fall entschieden würde, läßt sich heute nicht vorwegnehmen, zumal noch nicht sicher ist, ob es zu einem Strafverfahren und zu einem Urteil kommt.Es gibt ein erstes, allerdings nicht rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichtes Düsseldorf, das in der Veröffentlichung des »Mescalero«-Artikels durch einen Studenten keinen strafbaren Tatbestand sah.SPIEGEL: Der Münchner Politologe Professor Kurt Sontheimer hat von den »Mescalero«-Herausgebern gesagt, sie seien »moralisch und gegenüber der demokratischen Öffentlichkeit der Bundesrepublik verpflichtet, ihre kritische Meinung über diesen Artikel so präzis wie möglich zu formulieren«.GLOTZ: Darin hat Sontheimer sicher recht.SPIEGEL: Haben die Professoren diese Verpflichtung erfüllt?GLOTZ: Sicher ist die Kommentierung des Artikels viel zu spät, viel zu zögernd, viel zu sehr auf Fragen und Drängen hin erfolgt. Aber ich glaube schon, daß die Forderung Sontheimers inzwischen erfüllt ist.SPIEGEL: Wirklich? Sogar in einer Rundfunk-Diskussion mit Ihnen hat Professor Reinhart Wolff, einer der Herausgeber, erklärt: »Wir haben überhaupt nichts zurückzunehmen, und eine Distanzierung wäre fehl am Platze.«GLOTZ: Aber ich habe ihm dann. ohne daß er widersprechen konnte, gleich gesagt, daß er sich schon vorher distanziert hatte durch seine Unterschrift unter die Antwort auf meinen offenen Brief. Auch in der Sendung selbst hat er sich von etlichem, so auch von der nebulösen fröhlichen Gewalt des »Mescalero«, eindeutig distanziert. Allerdings nicht vom Tatbestand der Veröffentlichung des Artikels, die er nach wie vor für gerechtfertigt hält.SPIEGEL: Schade, daß sich diese Professoren oft nicht so eindeutig äußern können oder wollen, daß man ohne Nachfrage oder Dolmetscher auskommen könnte. Ging es Ihnen, Herr Senator, bei Ihrer öffentlichen Auseinandersetzung nur darum, eine Solidarisierung der Studenten mit diesen Professoren zu verhindern, oder sehen Sie in ihnen potentielle Bundesgenossen bei dem Versuch, die 15 bis 20 Prozent »Mescalero«-Gesinnungsgenossen zurückzugewinnen?GLOTZ: Mein Ziel ist es, die verhärteten Fronten aufzulocken, für Differenzierung der Ansichten zu sorgen. Zum Teil ist mir das schon gelungen. Ich freue mich, daß gerade vom Otto-Suhr-Institut hier in Berlin eine Aktion von Professoren ausgegangen ist, die sich ganz eindeutig von Terror und Gewalt distanziert haben. Inzwischen haben 177 Hochschullehrer deren Resolution unterschrieben, und zwar überwiegend gerade Leute der linken Szene.SPIEGEL: Es heißt dort, sie wollten »allen Bestrebungen unter den Studenten entgegenwirken, die ... zu »klammheimlicher Freude« oder erschreckender Gleichgültigkeit gegenüber diesen politisch motivierten Morden tendieren Das hätte man auch gern von den »Mescalero«-Herausgebern gelesen, aber von denen hat, soviel wir wissen, nur ein einziger diese Resolution unterschrieben. Das wird wohl kein Zufall sein?»Vor solchem Konflikt mit seinen Kindern ist niemand sicher.«GLOTZ: Das müßten Sie sie schon selbst fragen, ob es ein Zufall ist, ob es taktische Gründe hat oder ob ihnen der Inhalt nicht paßt. Aber wie auch immer, es haben argumentative Auseinandersetzungen begonnen, die sich nur positiv auswirken können, vor allem auf die Studenten.SPIEGEL: Herr Glotz, wie erklären Sie sich den Einfluß der »Spontis«, wie sie an den Hochschulen genannt werden, unter denen es viele »Mescaleros« gibt. Diese »Spontis« bestimmen an einigen Hochschulen die politische Diskussion stärker als die K-Gruppen, von den Jungsozialisten, vom »Spartakus« oder vom RCDS zu schweigen.GLOTZ: Viele, die mit diesen »Spontis« sympathisieren, haben sich von den K-Gruppen, den Kommunisten der verschiedenen Spielarten, abgewandt, weil die sich wie Sekten bekämpfen. Viele »Spontis« sind auch der fruchtlosen Theorie-Diskussionen überdrüssig. Und natürlich sind sehr viele geängstigt durch die düsteren Perspektiven, die sich ihnen nach dem Studium eröffnen.SPIEGEL: Eint sie der Haß gegen vieles, was heute Staat und Gesellschaft repräsentiert?GLOTZ: Es gibt sicher keine gemeinsame Anschauung, sondern sehr unterschiedliche weltanschauliche und intellektuelle Ansätze. Gemeinsam ist fast allen, daß sie im Konflikt mit dem Milieu leben, aus dem sie kommen, mit dem Elternhaus.SPIEGEL: Je großbürgerlicher es ist, desto stärker?GLOTZ: Dafür spricht einiges. Trotzdem würde ich so nicht urteilen wollen. Keiner von uns kann schwören, daß er nicht in einen solchen Konflikt mit seinen Kindern geraten kann. Diese Studenten sehnen sich nach Solidarität, nach Kommunikation, nach einer geistigen und emotionalen Heimat.Die allermeisten sind mit Sicherheit keine Sympathisanten des Terrors. Aber sie sind kritisch gegenüber diesem Staat, und es verbindet sie der emotionale Protest gegen diese Gesellschaft und auch eine starke Aggressivität gegen deren Repräsentanten. In diese Aggressivität fließt auch Haß ein.SPIEGEL: Wie groß ist die Gefahr. daß dieser Haß in Gewaltaktionen umgesetzt wird, daß also aus einem »Sponti« ein Sympathisant der Gewalt wird?GLOTZ: Sie ist desto größer, je länger wir uns auf schneidige Presseerklärungen gegen die Universitätsszene beschränken. Ich bin davon überzeugt, daß ein sehr großer Teil dieser jungen Leute für den Grundkonsens unserer Verfassung zu gewinnen ist. Aber dazu bedarf es einer großen argumentativen Anstrengung, und an der fehlt es zur Zeit in der Bundesrepublik fast ganz.SPIEGEL: Was unterscheidet diese neue Studentenbewegung von der Apo vor zehn Jahren? Doch nicht die Größenordnung, denn in ihren Anfängen hatte die Apo auch nicht mehr Anhänger unter den Studenten.GLOTZ: Einmal unterscheidet sie von der Apo das fast völlige Fehlen der Hoffnung, im derzeitigen politischen System Änderungen erreichen zu können. Viele Apo-Anhänger haben seinerzeit geglaubt, sie könnten den Sozialismus -- welchen auch immer -- durchsetzen und die Gesellschaft umgestalten. Diese Hoffnung haben die heutigen Gruppen weitgehend verloren.Zum anderen glaube ich, daß sich die Bewegung in den sechziger Jahren stärker um intellektuelle Kerne gruppiert hat. Sie sind heute nicht in gleicher Weise erkennbar.SPIEGEL: Kann sich trotzdem noch eine Entwicklung ähnlich wie die der Apo vollziehen?GLOTZ: Gerade auf diesem Felde ist es ungemein schwierig, den Propheten zu spielen. Ich glaube nicht an eine vergleichbare Entwicklung, schon weil es an Wortführern und an politisch plausiblen Perspektiven fehlt. Deshalb fordert die jetzige Bewegung auch den Dialog mit der Bevölkerung sehr viel schwächer heraus als die Apo. Was die Apo damals verlangt hat, hat doch Resonanz gefunden, viel Ablehnung, aber auch Zustimmung, zumindest ist darüber intensiv diskutiert worden.Heute haben wir zwei ganz verschiedene Kommunikationssysteme. Die Unterschiede sind so groß, daß ich von zwei Kulturen spreche. Es ist so, als ob sich Chinesen mit Japanern verständigen sollten.SPIEGEL: Was unterscheidet, was verbindet die beiden Kulturen?GLOTZ: Die einen leben in einer Subkultur innerhalb der Hochschule. Sie lesen die Flugblätter, die »Infos«, sie lesen die eine oder andere linke Zeitschrift, vielleicht auch noch die »Frankfurter Rundschau« oder mal einen Artikel im SPIEGEL oder im »Stern«. Im Fernsehen interessiert sie allenfalls »Panorama«.Und dann gibt es die ganz andere Kultur der vielen Leute, die ihre stinknormale Tageszeitung lesen, ganz gleich ob sie von Springer oder von jemand anderem kommt, die im Fernsehen Rosenthals »Dalli-Dalli«, Zimmermanns »Aktenzeichen XY« und Löwenthals »ZDF Magazin« einschalten.Wer drei Jahre lang in der Info-Kultur gelebt hat, der spricht eine ganz andere Sprache als die Leute der anderen Kultur, und auch die gemeinsamen Selbstverständlichkeiten werden zerstört.»Abfällige Reden über Studenten gehören für manchen zum Repertoire.«SPIEGEL: Erklären Sie die Tatsache, daß die Auseinandersetzung um den »Mescalero«-Artikel nun schon seit Monaten anhält, daraus, daß er aus der einen Kultur stammt und in die andere geriet?GLOTZ: Das ist sicher einer der Gründe, und eben deshalb ist es so fatal. daß die Professoren ihn kommentarlos veröffentlicht und ihn nicht mal »übersetzt«, geschweige denn analysiert haben.SPIEGEL: Sehen Sie Ansätze der Kommunikation zwischen den beiden Kulturen?GLOTZ: Kaum. Auch hier ist die Situation anders als vor zehn Jahren bei der Apo. Damals hatte zum Beispiel die Humanistische Union eine Mittlerfunktion zwischen Studenten und Bürgertum. Es gab auch die Republikanischen Clubs, für die ähnliches gilt. Heute sehe ich nichts Vergleichbares. Ich kann auch unter den Politikern keine besondere Anstrengung bemerken, diese Kommunikation herzustellen.SPIEGEL: Können sie es nicht, oder wollen sie es nicht?GLOTZ: Es ist sicher auch ein Strukturproblem. In jeder Gesellschaft, die sich an Mehrheiten orientiert, besteht die Gefahr, daß Minderheiten, vor allem unbequeme Minderheiten, weggedrückt werden. Mancher Politiker hat abfällige Reden über die Hoch· schulen und die Studenten in seinem Repertoire, weil er nicht zu Unrecht glaubt, daß die Wähler das hören wollen.Würde er versuchen, mit den Studenten in einer Sprache zu reden, die sie verstehen, würde er von seinen Wählern nur schwer verstanden werden. Aus diesem Grund halten sich allzu viele Politiker von den Hochschulen fern, andere ziehen sich aus ihnen zurück.SPIEGEL: Gilt das für Politiker aller Parteien?GLOTZ: Ja. Wenn ich allein meine Partei, die SPD, betrachte, so ist es über viele Jahre hinweg ein Trauerspiel gewesen, wie all ihre Versuche scheiterten, in den Hochschulen politisch zu wirken. Erst trennte sie sich vom SDS, dann lief der SHB zu den Kommunisten davon. Und heute distanziert sie sich von den Juso-Hochschulgruppen häufiger, als sie ihnen hilft -- was sie auch durch Kritik tun könnte und sollte. Da ist es kein Trost, daß in den anderen Parteien die Unfähigkeit, in der Hochschule Einfluß zu gewinnen, genauso groß ist.SPIEGEL: Wohl wahr.GLOTZ: Denken Sie an den Ministerpräsidenten Filbinger. Er begründet die Abschaffung der Allgemeinen Studenten-Ausschüsse in Baden-Württemberg damit, es gelte, »das sumpfige Umfeld des Terrorismus auszutrocknen«. Und er hat laut »FAZ« sogar gesagt, über die Ausschüsse würde er anders reden, wenn dort der RCDS die Mehrheit hätte.SPIEGEL: So denken wohl viele, nur sagen es wenige so deutlich.GLOTZ: Hier zeigt sich die totale Unfähigkeit, sich auf die Universitäten einzustellen. Gerade wenn man mit seiner eigenen Position unter der Jugend keine Mehrheit hat, muß man um diese Mehrheit ganz besonders kämpfen. Filbinger aber kuriert an den Symptomen. Er schafft den Beweis ab, daß er unter den Studenten keine Mehrheit hat. Auf diese Weise wird abweichendes Verhalten an den Universitäten geradezu gefördert.»Ein Gespenst geht um, es trägt den Namen McCarthy.«SPIEGEL: Gibt es nach Ihrer Meinung viele Leute, denen diese Isolierung der Universitäten in den politischen Kram paßt?GLOTZ: Ohne Zweifel. Sie versuchen, aus jedem Konflikt und aus jeder Demonstration, die von der Mehrheit der Bevölkerung nicht verstanden werden, politisches oder sogar parteipolitisches Kapital zu schlagen. Dafür sind fast täglich neue Belege in den Zeitungen zu finden.Ich unterstelle niemandem, daß er bewußt die Zahl der Sympathisanten des Terrors erhöhen will. Aber ohne es zu wollen, trägt mancher dazu bei, wenn er die Studenten sich selbst überläßt. Doch auch wenn diese Gefahr nicht bestände, wäre es schon schlimm genug, einen erheblichen Teil der potentiellen Funktionselite des Volkes ins Abseits zu drängen.SPIEGEL: Fast täglich werden die Hochschulen mit dem Terrorismus in Verbindung gebracht. Der niedersächsische CDU-Chef Wilfried Hasselmann nannte sie »Stätten, an denen ungestört und von staatlicher Einflußnahme ungetrübt terroristischer Nachwuchs gehegt, gehätschelt und gepflegt wird«.GLOTZ: Das ist Verbal-Radikalismus auf Stammtischniveau.SPIEGEL: Gilt für die Hochschulen insbesondere, was in der »Süddeutschen Zeitung« deren Chefredakteur Hans Heigert über die Bundesrepublik insgesamt schrieb: »Ein Gespenst geht um in diesem Land, es trägt den Namen McCarthy«?GLOTZ: Dieses Gespenst geht tatsächlich um, aber noch wird man den Anfängen wehren können. Würde sich die Ansicht Bernhard Vogels durchsetzen, daß der Nichtgebrauch des Wortes »Bande« jemanden verdächtig macht, ein Sympathisant des Terrors zu sein, dann würde dies zu einer gefährlichen Polarisierung führen.SPIEGEL: Es wird auch Mode, auf die sogenannten geistigen Väter des Terrorismus zu verweisen. CSU-Chef Franz Josef Strauß sagte es wohl am drastischsten: »Mit Tinte sind genauso viele Verbrechen und vom Katheder genauso viele Anschläge begangen worden wie später auf der Straße,« GLOTZ: Das sind gefährliche Worte. Natürlich gibt es bestimmte Denkfiguren, die fortzeugend falsches Denken provozieren. Ich denke etwa an die utopistische Kritik der Industriegesellschaft. Die muß ich politisch und wissenschaftlich kritisieren. Nur wenn dann der Strich weitergezogen wird, und sie auch dafür verantwortlich gemacht wird, daß jemand zum Terroristen geworden ist und Menschen entführt oder ermordet, dann kann das fatale Folgen haben.So läßt sich eine notwendige geistige Auseinandersetzung verhindern. Schlagwortartig gesagt: Die Rechten sind in Gefahr, das zu tun, was sie früher den Linken vorgeworfen haben. SPIEGEL: Nämlich?GLOTZ: Noch vor ein paar Jahren sind bestimmte Linke kritisiert worden, weil sie Ernst Jünger und Gottfried Benn für den Faschismus oder für Auschwitz verantwortlich gemacht haben. Mit Recht sind sie kritisiert worden. Jetzt werden Heinrich Böll und Helmut Gollwitzer für den Terrorismus verantwortlich gemacht. Sie werden denunziert, es wird nicht mehr mit ihnen diskutiert, obwohl gerade das bitter notwendig wäre.SPIEGEL: Gilt das auch, um noch einen Namen zu nennen, für Herbert Marcuse?GLOTZ: Ich lehne es ab, ihn für den Terror verantwortlich zu machen, auch wenn der eine oder andere Terrorist ihn gelesen hat oder sich sogar auf ihn beruft. Aber vorzuwerfen ist Marcuse, daß er nicht erfüllbare Hoffnungen geweckt hat, etwa die, Herrschaft könne gänzlich abgebaut werden. Solche utopistische Kritik führt in die Irre. Das kann und soll man Marcuse vorwerfen. Aber es geht nicht an zu sagen: Der Terrorist und mutmaßliche Buback-Mörder Günter Sonnenberg ist ein geistiges Kind von Herbert Marcuse.SPIEGEL: Nicht enden will die Gewalt-Diskussion, obwohl sie kaum noch Neues bringt. Kerngedanke vieler, die sich daran beteiligen, ist und bleibt, daß die Gewalt, die in dieser Gesellschaft herrsche, eine Gegengewalt rechtfertige. »Mescalero« zum Beispiel schreibt in seinem neuen Artikel vom »komplementären Verhältnis der Politik des bewaffneten Kampfes und der Brutalität und dem Zynismus der herrschenden Machtapparate«. Und schon in seinem ersten Artikel schrieb er über die Buback-Mörder: »Die Gewalt, die so ausgeübt wird, geht ebenso wenig vom Volk aus, wie Bubacks Gewalt vom Volk ausging.«GLOTZ: Illegitime Gewalt wird in der Bundesrepublik nicht ausgeübt, auch nicht im Ansatz. Deshalb kann auch der Versuch, gegen eine solche Gewalt seinerseits mit Gewalt vorzugehen, nicht legitim sein. Natürlich mag es im Einzelfall Übermaß-Reaktionen von Staatsorganen geben, etwa bei der einen oder anderen Demonstration gegen Kernkraftwerke oder bei der Beschlagnahme von irgendwelchen Papieren in einem Asta.»Mit höheren Stipendien und mehr Akademiker-Jobs ist es nicht getan.«Aber daraus läßt sich weder schließen, daß der Staat illegitime Gewalt ausübt, noch, daß irgend jemand dagegen mit Gewalt vorgehen darf. Diese Auffassung trennt mich von vielen Linken, und ich sehe nicht den geringsten Grund, sie abzuschwächen oder gar aufzugeben.SPIEGEL: Reinhart Wolff, einer der »Mescalero«-Herausgeber, nennt die Konflikte zwischen Eltern und Kindern, die Lernstörungen, Zusammenbrüche und Mißhandlungen »die Früherfahrung von Gewalt«.GLOTZ: Ich glaube nicht, daß irgend jemand ein Rezept hat, wie man die Gesellschaft so organisieren, meinetwegen revolutionär so umgestalten kann, daß solche Gewalt grundsätzlich nicht ausgeübt wird.So einfach darf man es sich nicht machen, wenn man die Antwort auf eine der schwierigsten Fragen sucht: Wie kommt es, daß der Sohn des Hütteningenieurs Schmidt aus Castrop-Rauxel und die Tochter des Zahnarztes Schulze aus Sigmaringen binnen weniger Studienjahre zu einer solchen Geistes- und Gefühlsverwirrung kommen, wie sie für eine viel zu große Minderheit von Studenten charakteristisch ist.SPIEGEL: Herr Senator, für das Wintersemester sind von verschiedenen Studentengruppen und -funktionären Aktionen angekündigt worden, es ist von bundesweitem Streik die Rede. Wird es dazu in Berlin ebenso kommen wie anderswo, oder könnte es sein, daß der von Ihnen gewünschte und betriebene Differenzierungsprozeß schon frühe Folgen zeigt, daß also die Studenten hier weniger aggressiv auftreten als anderswo?GLOTZ: Man kann nicht zehn Jahre lang die Hochschulen politisch links liegenlassen und dann glauben, daß nach drei Monaten Diskussion die Probleme erledigt sein könnten. Dafür liegen diese Probleme viel zu tief.SPIEGEL: Worum geht es?GLOTZ: Niemand soll glauben, man brauchte nur die Bafög-Stipendien zu erhöhen, ein oder zwei Paragraphen in den Hochschulgesetzen zu ändern, ein paar neue Akademiker-Jobs zu schaffen, und schon wäre alles wieder in Ordnung. Es geht in Wahrheit um einen langwierigen Prozeß, den ich die Eingliederung des Akademikers in die Arbeitnehmerschaft nenne.Wir haben nicht mehr sechs, sondern 20 Prozent Abiturienten pro Jahrgang. Es wird nicht mehr sehr lange dauern, dann haben wir auch so viele Akademiker. Das bedeutet, daß der künftige Akademiker geringere Ansprüche stellen kann als der frühere. Der 25jährige Betriebswirt wird nicht mehr automatisch mehr verdienen als der 25jährige Maschinenschlosser. Dieser Veränderungsprozeß löst ungeheure Konflikte aus, schon weil viele Erwartungen sich nicht erfüllen können, und diese Kon-* Im Mai 1977 wurde an der Freien Universität in Berlin der Zugang zu Vorlesungen gegen streickende Studenten geschützt.flikte werden sich auch in Demonstrationen entladen.SPIEGEL: Rechnen Sie damit, daß Sie im Wintersemester hier in Berlin Polizei einsetzen müssen?GLOTZ: Wir haben die Verpflichtung, den ordnungsgemäßen Lehrbetrieb an den Universitäten aufrechtzuerhalten. Berlin hat immer versucht, diese Verpflichtung zu erfüllen, und wir werden das auch künftig tun. Wir werden auch nicht dulden, daß erst mal eine Woche lang das Recht verletzt wird, bevor wir uns zu Gegenmaßnahmen entschließen.SPIEGEL: Wollen Sie erreichen, daß jede Vorlesung stattfindet?GLOTZ: Bei 60 000 Studenten, von denen sich vermutlich ein erheblicher Teil an den Boykottmaßnahmen beteiligen wird, dürfen wir nicht die Illusion haben, daß wir alle Vorlesungen sichern können. Dazu haben wir nicht die Polizeikräfte, die wir ja unter anderem auch brauchen, um Anschläge von Terroristen zu verhindern. Aber das, was bei der Verhältnismäßigkeit der Mittel möglich ist, werden wir selbstverständlich tun. Und ich werde den Studenten auch sagen, daß ein Streik von Arbeitnehmern etwas völlig anderes ist als ihr Boykott, den sie Streik nennen und mit dem sie das Angebot ausschlagen, etwas zu lernen.SPIEGEL: Wird auch über Gewalt und Terror diskutiert werden, wenn an den deutschen Hochschulen der heiße Herbst beginnt?GLOTZ: Hoffentlich.SPIEGEL: Herr Senator Glotz, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
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https://www.spiegel.de/politik/jeder-fuenfte-denkt-etwa-so-wie-mescalero-a-4ed0a3ce-0002-0001-0000-000040859179?context=issue
"Wer wird Millionär?": Bisschen Voodoo für die Spannung
Man habe ihm nahe gelegt, zu Beginn des neunten Jahrs von "Wer wird Millionär?" doch auch ein bisschen zur Veränderung beizutragen, erklärte eingangs Günther Jauch – um erst mal seine neue randlose Brille aufzusetzen. Aller Koketterie zum Trotz präsentierte sich der Moderator von der ungewohnten Sehhilfe unbeeinträchtigt und gut aufgelegt. Und kam dann zu den inhaltlichen Modifikationen, die dem Quizshow-Dauerbrenner neuen Pepp verschaffen sollen: Die Kandidaten dürfen nun zu Beginn entscheiden, ob sie nach bisherigem Muster spielen oder einen neuen, risikoreicheren Weg beschreiten wollen. Bei Letzterem ist die traditionelle Sicherheitsstufe gestrichen, einmal erreichte 16.000 Euro auf jeden Fall behalten zu dürfen – wer ihn wählt, kann jederzeit auf 500 Euro zurückfallen. Zur Belohung für ihren Wagemut erhalten die Zocker einen zusätzlichen Risiko-Joker, mit dem sie eine Frage an die Zuschauer im Studio weiterreichen können; wer im Publikum glaubt, die Antwort zu kennen, steht auf und kann zu Rate gezogen werden. Überdies dürfen solcherart Spielfreudige ab jetzt einen erweiterten Telefonjoker einsetzen und in dem Fall, dass sie ihren vorher bestimmten Helfer zu Hause für überfordert halten, einen zufällig ausgewählten Teilnehmer in einer Stadt ihrer Wahl anrufen lassen.Ehrensache, dass Immobilienfachwirt Thomas, aus der Sendung vor der Sommerpause bereits bei 2000 Euro stehend, die neue Variante wählte – nach Ausschöpfung seiner sonstigen Hilfsmittel sah er sich auch recht bald gezwungen, die Wissenden im Publikum anzuzapfen. Erleuchtung aus dem Publikum"Der Name welcher Religion geht auf einen späteren äthiopischen Kaiser zurück?", lautete die 64.000-Euro-Frage, bei der er sich nicht zwischen Hinduismus, Voodoo, Rastafari und Schintoismus entscheiden mochte. Genau zwei Studiogäste standen auf – und der freundliche Bauingenieur Fritz wusste die Verbindung zwischen Reggae, Rastafari und dem äthiopischen Kaiser Ras Tafari alias Haile Selassie herzustellen. Gut für Kandidat Thomas, dass er sich auch für seinen Retter, "den Herrn im Sakko", entschieden hatte; der zweite vermeintlich Kundige aus dem Publikum – leger mit einem T-Shirt bekleidet – hätte ihm Voodoo als Lösung empfohlen. Bei dieser Summe allerdings war für Thomas Schluss – weil er nicht raten wollte, ob Graf Zeppelin, Rudolf Diesel, Gustave Eiffel oder Wilhelm C. Röntgen 1913 auf mysteriöse Weise von einem Boot verschwand und nie mehr gesehen wurde (Antwort: Diesel), stieg er bei 125.000 Euro aus und ging mit seinem Geld nach Hause.Weniger Glück mit den neuen Regeln hatte Volkswirt Sven aus Berlin. Zwar konnte ihm der aus dem Publikum erkorene "Herr im gestreiften Hemd" noch bei der 16.000-Euro-Frage nach der Mitralkappe weiterhelfen, die sich weder im Dieselmotor noch an der Bischofsmütze oder in der Querflöte, sondern im menschlichen Herzen befindet. Doch in der nächsten Runde, als gefragt wurde, ob die Demokratische und die Republikanische Partei in den USA durch Bulle und Bär, Falke und Taube, Esel und Elefant oder Hund und Katze versinnbildlicht werden, erinnerte sich Sven an die vielbeschworenen Falken der Bush-Administration, setzte auf das Vogelpaar – und stürzte bitter auf 500 Euro ab. Esel und Elefant wären richtig gewesen. Erhöhtes RisikoDer hart bestrafte Fehler zeigte Wirkung: Der Nachfolgekandidat ließ sich zwar noch von einem Mucker aus dem Publikum den Manfred-Mann-Hit "Mighty Quinn" verraten, stieg aber wenig später mit sicheren 16.000 aus. Und Reiseverkehrskauffrau Sabine wählte schließlich gar die konventionelle Spielvariante. So wird es mit ihr am Freitag nach altbekanntem Muster weitergehen.Die Neuerungen indes erwiesen sich somit zwar nicht als revolutionär, aber aus Sicht des TV-Zuschauers als durchaus geglückt – nicht etwa aus Schadenfreude über mögliche Totalabstürze, sondern weil die zusätzliche Publikumseinbindung eindeutig belebend wirkt. Sie eröffnet auch Günther Jauch neue Möglichkeiten zur Interaktion und verlangt den Kandidaten – anders als die Prozent-Voten des Studiopublikums – ein glückliches Händchen bei der Auswahl ihres Stichwortgebers ab, wie das Rastafari-Beispiel zeigte. Anders gesagt: Ein bisschen mehr Risiko und falscher Voodoo-Zauber sind aus Zuschauerperspektive natürlich stets willkommen.
Peter Luley
Mehr Risiko, mehr Geld? Das lässt sich regeln. Nach der Sommerpause schickt Günther Jauch seine Quizgäste auf einen verschärften Frageparcours. Auch das Publikum, die bekanntlich schlauste Größe im TV-Betrieb, darf mitmischen.
[ "Televisionen", "Wer wird Millionär?" ]
Kultur
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2007-09-04T10:10:04+02:00
2007-09-04T10:10:04+02:00
https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/wer-wird-millionaer-bisschen-voodoo-fuer-die-spannung-a-503680.html
Air Berlin verkauft Fluglizenz an Thomas Cook
Die insolvente Fluggesellschaft Air Berlin hat das Tochterunternehmen Air Berlin Aviation GmbH an den britischen Touristikkonzern Thomas Cook verkauft. Der Gläubigerausschuss habe dem Verkauf bereits zugestimmt, teilte Air Berlin mit.Die Gesellschaft befindet sich noch in Gründung und besitzt bisher keine eigenen Flugzeuge. Sie soll aber in Kürze eine Genehmigung für den Flugbetrieb (AOC) erhalten und sechs Maschinen bereitstellen, die bereits im Sommerflugplan für die deutsche Thomas-Cook-Airline Condor unterwegs sein sollen. Das Unternehmen aus Frankfurt sucht dafür bereits 85 Piloten und über eine Personaltochter auch rund 210 Flugbegleiter. Der Sanierer und Generalbevollmächtigte der Air Berlin, Frank Kebekus, sprach von einer guten Nachricht im Insolvenzverfahren. "Nach dem Verkauf von Geschäftsanteilen der Air Berlin an Lufthansa und Easyjet haben wir nun auch für das in Gründung befindliche Aviation AOC einen Käufer gefunden." Condor soll mehr Flüge anbietenThomas Cook überweist einem Insider zufolge einen mittleren einstelligen Millionenbetrag. Zuvor hatten Lufthansa, Easyjet, die British-Airways-Mutter IAG sowie die Bietergemeinschaft Nayak/Zeitfracht Teile der insolventen Air Berlin übernommen. Ein Thomas-Cook-Sprecher sagte, der Kauf eröffne der Tochtergesellschaft Condor weitere Wachstumschancen. "Dies steht im Einklang mit unseren Plänen, die Kapazität im deutschen Markt auszubauen." Damit wolle man die höhere Nachfrage abfedern, die sich in den vergangenen Monaten ergeben habe. Das Flugangebot auf der Kurz- und Mittelstrecke aus Deutschland werde im Vergleich zum Vorjahressommer um 20 Prozent gesteigert. Möglicherweise sind mit dem AOC aus dem Air-Berlin-Erbe auch noch Start- und Landerechte an einigen Flughäfen wie beispielsweise Düsseldorf verbunden. Insidern zufolge sind noch nicht alle Slots an die anderen Erwerber gegangen und es könnten auch noch Rechte wegen kartellrechtlicher Auflagen zurückgegeben werden. Mit der Firma AB Aviation GmbH wechselt eine niedrige zweistellige Zahl von Angestellten zu Thomas Cook.
brt/Reuters/dpa
Der Touristikkonzern Thomas Cook hat sich eine Tochtergesellschaft der insolventen Air Berlin gesichert. Mit der zugehörigen Fluglizenz soll der deutsche Ferienflieger Condor seine Kapazitäten ausbauen.
[ "Air Berlin", "Thomas Cook AG", "Condor", "Lufthansa", "Luftfahrt" ]
Wirtschaft
Unternehmen
2018-01-03T16:00:00+01:00
2018-01-03T16:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/air-berlin-verkauft-fluglizenz-an-thomas-cook-a-1186052.html
Neues Blatt mit altem Namen
Einen edleren Zwilling soll vom 13. November an das Sexheft »St. Pauli Nachrichten« bekommen, früher mal eine freche Illustrierte, für die auch spätere SPIEGEL-Journalisten arbeiteten. Der Hamburger Journalist Jens de Buhr will unter dem gleichen Titel ein etwas ambitionierteres »Lustblatt der Weltstadt« etablieren, mit einer Startauflage von 100 000 Stück. »St. Pauli ist eine coole Marke, die hat Besseres verdient«, sagt de Buhr, der sonst Kundenzeitschriften und das »DVD Magazin« herausgibt. Die Probenummer orientiert sich optisch am eingestellten »Max«. Inhaltlich ist unter anderem eine Meinungsumfrage unter Prostituierten vorgesehen, etwa über den Sexappeal von TV-Stars. Die Namensrechte hat de Buhr vom SPN-Verlag erworben, der sein Sex-Blatt jedoch keineswegs einstellt. »Die jetzigen ,St. Pauli Nachrichten' bestehen vom Konzept unverändert weiter«, sagt Chefredakteur Jürgen Klebe. Zwischen den Magazinen bestünde aber »keine Verwechslungsgefahr«.
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Politik
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2008-08-31T13:00:00+02:00
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https://www.spiegel.de/politik/neues-blatt-mit-altem-namen-a-33e6126d-0002-0001-0000-000059673696?context=issue
Das Monster wächst
Die »einzigartige Leistung«, von der Nobel-Jury mit dem Friedenspreis des Jahres 1970 ausgezeichnet, schien schon Jonathan Swift erahnt zu haben. »Derjenige«, schrieb der Dichter vor fast 250 Jahren, »der zwei Kolben Korn auf einem Flecken Erde wachsen lassen kann, wo vordem nur einer wuchs, hat für die Menschheit mehr getan als die ganze Spezies der Politiker zusammen.« Wohltätig, wie es Swift in »Gullivers Reisen« beschrieben hatte, war die Nobel-Arbeit des amerikanischen Biologen Norman E. Borlaug in der Tat. Mehr Brot für die Welt gab es, seit der hünenhafte Forscher und Ex-Footballspieler eine besonders ertragreiche und widerstandsfähige Weizensorte gezüchtet hatte. Und mit mehr Reis durften Millionen Hungernder rechnen, als Borlaug-Kollegen. dessen komplizierte Kreuzungsverfahren nachahmend, einen ergiebigen Superreis hervorbrachten. Anfangs, in den sechziger Jahren, lief die »Grüne Revolution«, wie Ernährungsspezialisten den Erfolg der Ertragszüchter nannten, nach Plan. In einstigen Mangelländern wie etwa Mexiko und Pakistan reiften mit Borlaugs Saatgut erstmals Überschußernten heran. Indien, nach fünf guten Ernten von Importen beinahe unabhängig, verzeichnete 1969 und 1970 die stattlichsten Ertragsquoten der letzten drei Jahrzehnte. Im nächsten Vierteljahrhundert, so verkündete damals Dr. Lewis Roberts, Getreide-Experte der Rockefeller-Stiftung, werde sich dank Dr. Borlaugs Wunderweizen die Weltproduktion »verdoppeln«; Reis gar könne in Hülle und Fülle vorhanden sein. Statt 1,5 Tonnen je Hektar Anbaufläche (der durchschnittlichen Erntemenge herkömmlicher Arten) warf der im philippinischen Los Banos herangezogene Superreis sechs Tonnen ab. Doch die sieben fetten Reis- und Weizenjahre, als welche sie auf dem indischen Subkontinent rückblickend erscheinen mögen, sind vorbei. Die »Grüne Revolution«, so urteilte jetzt der amerikanische Landwirtschaft-Experte James P. Sterba nach einer Inspektion philippinischer Reisplantagen, sei »über eine kleinere Revolte nicht hinausgekommen«. Überoptimismus, vorschnelles Hochrechnen der günstigen Ergebnisse von sorgsam kultivierten Domänen auch auf ungünstig gelegene Anbauflächen, Wunsch- und Prestigedenken, vor allem aber bürokratische Hemmnisse, Korruption und mangelhafte Infrastrukturmaßnahmen -- solche Faktoren machen inzwischen auch Experten der Welternährungsorganisation FAQ für den kurzen Atem der Borlaugschen Revolution verantwortlich. Wie pessimistisch die gegenwärtige Welternährungslage einzuschätzen ist, zeigen deutlich die neuesten FAQ-Quartalsziffern über Ernteaufkommen, Vorratshaltung und voraussichtliche Zuwachsraten: * Die Welt-Weizenvorräte sind -- beschleunigt durch massive Käufe der Sowjet-Union in den USA und in Kanada -- auf den niedrigsten Stand seit dem Koreakrieg geschrumpft: Sie liegen unter 30 Millionen Tonnen (die Weltbevölkerung hingegen hat in der gleichen Zeit um die Hälfte zugenommen).* Im westafrikanischen Dürregürtel gehen die 40 000 Tonnen eingeflogenen Getreides bereits wieder zur Neige; ein Teil der zehn Millionen vom Hungertod bedrohten Flüchtlinge hat begonnen, sich von den für die nächste Ernte benötigten Kornsämlingen zu ernähren. > In Indien drohen für diesen Sommer Hungerkatastrophen: hatte die Regierung noch im vergangenen Jahr auf US-Weizenhilfe verzichtet, so müssen nunmehr acht Millionen Tonnen Weizen importiert werden. > Die Vereinten Nationen warnen vor einer globalen »Protein-Krise": Bei Häufigkeit und Dauer der Brust-Ernährung von Säuglingen etwa, dem empfindlichsten Gradmesser für die Eiweißversorgung einer Bevölkerung, sei ein »dramatischer Rückgang« feststellbar. Zwei Drittel der insgesamt 800 Millionen Kinder, die in Asien, Afrika und Lateinamerika leben, müssen hungern, hieß es jüngst in einer Schätzung der UN. Die revolutionären Superkörner kennen viele von ihnen offenbar nicht einmal vom Hörensagen. Im afrikanischen Sambia zum Beispiel singen die unterernährten Massen derzeit einen »Babynahrungs-Song": »Am Montag Milchpulver, am Dienstag Erdnüsse und mittwochs Bohnenbrei -Dabei schienen Agrarfachleute dem Ziel, auch in traditionellen Notstandsgebieten täglich für einen gedeckten Tisch sorgen zu können, schon Mitte der fünfziger Jahre nahegekommen zu sein. Am Internationalen Institut für Mais- und Weizenzucht im mexikanischen El Batàn hatte damals der Pflanzenpathologe Borlaug erstmals sein Allzweck-Saatgut ausgebracht -- eine Mischung aus dem Protoplasma japanischer, australischer, kolumbianischer und amerikanischer Keimlinge. Bei guter Bewässerung und Düngung gedieh der kurzhalmige, robuste Weizen-Verschnitt in rauhen Höhen- ebenso wie in heißen Tiefenlagen. Gegenüber Ährenkrankheiten und Pilzbefall erwies er sich als resistent. Verglichen mit herkömmlichem Brotgetreide, warfen Borlaugs Samen die zwei- bis dreifachen Erträge ab.Mit 38 Sorten experimentierten Wissenschaftler aus sieben Ländern am philippinischen Reisforschungsinstitut Los Banos, bis ihnen 1966 gleichfalls ein Durchbruch nach dem Vorbild Borlaugs glückte: Sie kreuzten eine taiwanesische Reisart mit widerstandsfähigen, aus Indonesien stammenden Varianten. Zumindest auf dem 80 Hektar großen Versuchsfeld erfüllte die kurzstielige Supersorte die wichtigste Voraussetzung für gute Ernten: Auch nach dem Ausbringen wachstumsanregenden Kunstdüngers blieb der Los-Banos-Reis stramm an der Sonne stehen, während weniger kräftige Arten unter der Düngerlast meist eingeknickt und im Wasser der Reisfelder verdorben waren.In der Hoffnung, daß die Saat der wundersamen Keimlinge auch andernorts sich so entfalten werde wie auf den Versuchsfeldern in Mexiko und auf den Philippinen, veranschlagte die Welternährungsorganisation einen jährlichen Erntezugewinn von 2,7 Prozent. Für die sogenannte Zweite Entwicklungsdekade, von 1970 an, rechneten die FAQ-Experten gar mit einer Jahreszuwachsrate von vier Prozent. Doch der Wachstumsglaube trog, den Forscher und FAQ-Experten gezüchtet hatten. 1971 hatte die Reis- und Weizenproduktion weltweit nur noch um ein bis zwei Prozent zugenommen. Für das vergangene Jahr, über das noch keine exakten Angaben vorliegen, rechnet die FAQ sogar mit rückläufigen Zahlen.Die Gründe für ihr Versagen barg die »Grüne Revolution« von Anbeginn an in sich: Sie ist für die hungernden, verarmten Massen zu teuer.Einem Teil der Reis- und Weizenproduzenten in den Entwicklungsländern. diagnostizierte das Magazin »U.S. News & World Report«, sei auch die Anbautechnologie »zu kompliziert« erschienen. Vor allem aber konnten sich nur die reichen Grundbesitzer genügend Kunstdünger, Insektizide und künstliche Bewässerungssysteme leisten. Kleinbauern hingegen waren schon außerstande, die Zinsen für die dazu notwendigen Kredite aufzubringen. Zudem machten korrupte Händler und Behörden auf ihre Art Geschäfte mit dem Hunger: Tausende von Tonnen Kunstdünger wurden zum Beispiel in den Speichern der indonesischen Hafenstadt Tjirebon zurückgehalten, damit die Farmer aus dem Umland Schwarzmarktpreis zahlen mußten. Am Gegensatz von arm und reich scheiterten die Hoffnungen, die sich die FAQ insbesondere für Asien -- dort gedeihen 90 Prozent der Weltreisproduktion -- gemacht hatte. Nur zehn Millionen Hektar konnten bislang mit Superreis bepflanzt werden -- weniger als zehn Prozent der gesamten Anbaufläche.Um die »Grüne Revolution« doch noch voranbringen zu können, raten Experten nun zu sozioökonomischen Hilfsmaßnahmen. Für wichtiger noch als eine -- politisch vorerst nur schwer realisierbare -- Landreform halten Agronomen derzeit* modernisierte Vertriebssysteme für landwirtschaftliche Erzeugnisse aller Art; * eine Ausweitung des Angebots, hauptsächlich an billigem Kunstdünger sowie an Schädlingsbekämpfungsmitteln; aber auch* funktionsfähige, vorfinanzierte Anlagen zur künstlichen Bewässerung. Freilich: Selbst ein mittlerweile utopisch anmutender Reis- und Weizenzuwachs von vier Prozent im Jahr könnte Hungersnöte kaum noch abwenden. Denn mittlerweile scheint auch der Bevölkerungszuwachs vollends außer Kontrolle zu geraten.Bei einer gleichbleibenden Geburtenrate, so weist das Demographische Jahrbuch der Vereinten Nationen aus, müßten gegen Ende des Jahrhunderts allein in den Ländern Asiens 3,8 Milliarden Menschen ernährt werden -- mehr, als die gesamte Weltbevölkerung derzeit zählt. Während beispielsweise auf den Philippinen die tägliche Zufuhr an Kalorien auf 83 Prozent des tatsächlichen Bedarfs zurückgegangen ist, wächst das 38-Millionen-Volk jährlich um 3,4 Prozent -- das wären 100 Millionen Filipinos im Jahr 2000.Sogar Indonesien, das noch vor 20 Jahren beträchtliche Mengen seiner Reisernten auf dem Weltmarkt absetzen konnte, ist nunmehr auf Importe angewiesen. Der jährliche Geburtenzugang, zwischen 2,5 und 2, 9 Prozent schwankend, hat dazu geführt, daß auf der Insel Bali 2,2 Millionen Menschen auf einem Terrain ihr Dasein fristen, das nur eine Million ausreichend ernähren kann. Ob angesichts solcher Verhältnisse der Frieden in der Welt erhalten werden kann, scheint mittlerweile auch Nobelpreisträger Borlaug mehr als fraglich. »Das Bevölkerungs-Monster«, ahnt er, »wird die Menschheit ruinieren.
Die »Grüne Revolution« -- mit Hilfe besonders ertragreicher Reis- und Weizensorten -- ist vorerst gescheitert. Nun drohen der Dritten Welt Hungersnöte.
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Politik
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1973-06-17T13:00:00+01:00
1973-06-17T13:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/das-monster-waechst-a-43f4a1bb-0002-0001-0000-000042001429?context=issue
Nord Stream 2: USA drohen mit Sanktionen
Die USA wollen die geplante Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland verhindern. Die Ferngasleitung sei schlecht für die Ukraine und schlecht für Europa, sagte Sandra Oudkirk, stellvertretende Leiterin der Energie-Abteilung im US-Außenministerium, in Berlin. Sie schloss Sanktionen gegen Nord Stream 2 nicht aus. Oudkirk verwies darauf, dass die Voraussetzungen dafür im vergangenen Jahr in den USA geschaffen worden seien. Man setze aber auf diplomatische Überzeugungskraft, sagte sie. "Wir würden uns freuen, wenn das Projekt nicht zustande kommt." Nord Stream 2 soll russisches Erdgas über die Ostsee nach Mittel- und Westeuropa transportieren und könnte so den Weg durch Länder wie die Ukraine ersetzen. Die Ukraine fürchtet, damit ihre Bedeutung als Transitland zu verlieren. Die Einnahmen aus dem Gasgeschäft sind wichtig für das Land. USA skeptisch über Einigung im Gasstreit Oudkirk äußerte sich auch skeptisch zur möglichen Einigung Russlands mit der Ukraine zur Zukunft des ukrainischen Gastransits unter Vermittlung Deutschlands. Demnach könnte Russland der Ukraine eine bestimmte Menge Transitgas nach dem Bau von Nord Stream 2 garantieren. Es sei fraglich, ob eine solche Garantie durchsetzbar wäre, sagte Oudkirk. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hatte als Vermittler bei Gesprächen in Moskau und Kiew Anfang der Woche Fortschritte in dem Gasstreit erzielt. Ein "substanzieller" Gastransit durch die Ukraine sei auch künftig möglich, sagte Altmaier. Russland hatte es ursprünglich abgelehnt, nach dem Bau von Nord Stream 2 weiter Gas durch die ukrainischen Leitungen zu pumpen. Merkel trifft PutinOudkirk sagte, der Widerstand der USA gegen Nord Stream habe vor allem energie- und geopolitische Gründe. Sie widersprach der Darstellung, die USA seien vor allem gegen die Pipeline, weil sie selber Flüssiggas in Europa verkaufen wollten. US-Präsident Donald Trump hatte Nord Stream 2 mehrfach scharf kritisiert und vor einer Abhängigkeit Europas von russischem Gas gewarnt.Bundeskanzlerin Angela Merkel trifft sich Freitag mit Russlands Präsident Wladimir Putin, wo das Thema ebenfalls eine Rolle spielen soll. In das Projekt eingebunden ist neben dem russischen Betreiber Gazprom unter anderem auch die BASF-Tochter Wintershall.
brt/dpa/Reuters
Die USA erhöhen den Druck im Streit um die Gaspipeline Nord Stream 2. Offiziell setzen sie auf Diplomatie - indirekt drohen sie mit Sanktionen.
[ "Russland", "Erdgas", "Energiewirtschaft", "Rohstoffe", "Russlands Krieg gegen die Ukraine", "USA", "Deutschland", "Ukraine", "Ostseepipeline" ]
Wirtschaft
Soziales
2018-05-17T12:45:00+02:00
2018-05-17T12:45:00+02:00
https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/nord-stream-2-usa-drohen-mit-sanktionen-a-1208241.html
Salafisten in Deutschland rekrutieren im Internet neue Anhänger
Hans ist 80 Jahre alt, Rheinländer und seit April Muslim. Warum er zum Islam übergetreten ist? "Das hat sich so ergeben", sagt Hans lakonisch im Singsang-Dialekt seiner Heimat. Hans ist die Hauptfigur eines der unzähligen Videos, mit denen Salafisten im Internet für ihre Sache werben. Pierre Vogel, einer der bekanntesten Anführer dieser fundamentalistischen Bewegung in Deutschland, hat das Video auf seine Webseite gestellt. 15 Minuten lang soll Hans im Interview mit einem Salafisten Auskunft über seinen Weg zum Islam geben. Konkret sieht das so aus, dass der Fragende Suggestivfrage an Suggestivfrage reiht, die Hans meist nur mit einem kurzen "Ja" beantwortet. Dazwischen spricht Hans das islamische Glaubensbekenntnis, das dem alten Mann nur zögerlich über die Lippen geht. Quintessenz des Gesprächs: Bei Hans im Haus lebt seit mehreren Jahren eine muslimische Familie, deren Oberhaupt Timor ihn schließlich vom Übertritt überzeugt habe. "Das war eine Überraschung auf Gegenseitigkeit", erzählt Hans, "man hatte sich kennengelernt, und ich kann nur Positives über die Leute sagen." Kevin der "super held"Glaubt man den Salafisten, dann hat Hans großes Glück gehabt. Denn ihrer Ansicht nach kann nur der Übertritt zum Islam ihn und alle anderen Menschen im Diesseits vor dem Weg ins Verderben retten, und ihnen im Jenseits einen Platz im Paradies sichern. Um möglichst viele Menschen vor der ewigen Verdammnis zu bewahren, wollen die Salafisten die "Kuffar", wie sie die "Ungläubigen" nach einem Ausdruck aus dem Koran nennen, zu ihrer Auslegung des Islams bekehren. Wichtiger Teil ihrer Strategie sind Menschen wie Hans, die in Videos ihren Übertritt zur "einzig wahren Religion" erklären. Hunderte dieser kurzen Filme haben salafistische Aktivisten in den vergangenen Jahren ins Netz gestellt. Darunter ist auch ein Video über den taubstummen Kevin, der schriftlich seinen Übertritt erklärt und dazu schreibt: "ich fühle mich so berfreit als ob ich ein super held wäre". Doch dabei belassen es die Salafisten nicht: In Predigten und Lehrvideos machen ihre Führungsfiguren andere Glaubensrichtungen und Religionen verächtlich. Auf der Seite der Frankfurter Salafistengruppe "Dawa FFM" doziert der Prediger Abdellatif Rouali in der Rubrik "Sekten" über den Irrglauben, dem schiitische Muslime, Angehörige der Ahmadiyya-Gemeinschaft und Christen angeblich folgen. In langatmigen Vorträgen will der Marokkaner die anderen Religionen widerlegen. Bei seiner Predigt gegen das Christentum nimmt er Anleihen bei Hans Küng ("Wie kann ein Papst unfehlbar sein?"), anti-christlichen Polemikern ("Wie kann Gott ein Kind kriegen?") und anti-semitischen Hetzern ("Die Juden haben die Christen richtig kaputt gemacht."). Über das Internet erreichen diese Botschaften Tausende potentielle Anhänger. Sie verbreiten ihre Hetze auf Deutsch und sind daher für den inneren Frieden der Bundesrepublik weitaus gefährlicher als die arabischen Videos, die bis vor wenigen Jahren den Großteil der salafistischen Propaganda ausmachten. Die Sicherheitsbehörden sind angesichts dieser Entwicklung äußerst besorgt. Denn sie droht ein Phänomen zu beschleunigen, das Islamismusexperten mit Sorge beobachten: Junge Muslime, die sich aufgestachelt durch Propagandavideos im Netz, im Schnelldurchlauf radikalisieren und schließlich sogar zur Waffe greifen. Drastischstes Beispiel hierfür ist bislang der Kosovare Arid Uka, der sich aufgehetzt durch ein Internetvideo, binnen weniger Wochen radikalisierte, sich auf dem Schwarzmarkt eine Pistole besorgte und im Frühjahr 2011 auf dem Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten erschoss.Salafisten betrachten sich als MedienopferKonkrete Gewaltaufrufe vermeiden die salafistischen Prediger zwar in ihren Internetvideos. Aber die deutsche Regierung müsse auch verstehen, wenn sich die Muslime gegen Provokationen verteidigten, erklären sie. Außerdem: Es lebten doch auch deutsche Staatsbürger unbehelligt in Tunesien und Ägypten. Ob Frau Merkel wirklich wolle, dass denen etwas passiere, fragt etwa ein gewisser Abu Abdullah in einem zornigen Videoauftritt. Es ist jedoch keine echte Besorgnis, die aus seinen Worten spricht, als vielmehr eine kaum verhüllte Drohung. Am wohlsten fühlen sich die Internet-Salafisten aber in ihrer Opferrolle. Sie stilisieren sich selbst zu Bürgern zweiter Klasse, deren Rechte vom deutschen Staat mit Füßen getreten würden. Abu Adam, ein Islamkonvertit aus dem Umfeld von Pierre Vogel, beklagt sich etwa, dass an den im Grundgesetz verankerten Grundsatz "Die Würde des Menschen ist unantastbar" der Zusatz angefügt werden müsse: "...außer die Würde der Muslime". Schließlich lasse es der deutsche Staat zu, dass Muslime durch die öffentliche Zurschaustellung der Mohammed-Karikaturen beleidigt und in ihrer Ehre und Würde verletzt würden. Auch von den Medien fühlen sich die Salafisten verfolgt und verunglimpft. Die deutschen Zeitungen und Fernsehsender zeigten angeblich ein völlig falsches Bild ihrer eigentlich so friedlichen Bewegung und würden die Mehrheitsgesellschaft gegen die Muslime aufhetzen. Selbst vor Drohungen gegen kritische Journalisten machen die Radikalen nicht halt. Der Kölner Salafist Sabri Ben Abda drohte vor wenigen Wochen in einem Video mit dem Titel "Operation Schweinebacke" mehreren Reportern, die kritisch über die kostenlose Koran-Verteilung der Salafisten berichtet hatten. Auch auf den jüngsten Demonstrationen in Nordrhein-Westfalen ging Ben Abda anwesende Journalisten an. Dabei sind nicht die Medien Schuld am unvorteilhaften Bild der Salafisten. Für ihre Internetauftritte sind die Radikalen schließlich selbst verantwortlich.
Christoph Sydow
Die Salafisten in Deutschland verzeichnen wachsenden Zulauf, Sicherheitsbehörden sind alarmiert. Bei der Anhänger-Werbung setzen die Islamisten vor allem auf das Internet. Viele Videos wirken zwar unfreiwillig komisch - doch Experten warnen davor, die Gefahr zu unterschätzen.
[ "Salafisten", "Internet" ]
Politik
Deutschland
2012-05-10T16:54:00+02:00
2012-05-10T16:54:00+02:00
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/salafisten-in-deutschland-rekrutieren-im-internet-neue-anhaenger-a-832485.html
"ZDFdonnerstalk" mit Dunja Hayali und Monica Lierhaus: Morgenmagazin am Abend
Dunja Hayali könnte nicht nur als Urlaubsvertreterin ihre Kollegin Maybrit Illner in jeder Hinsicht ersetzen. Leider will ihr "ZDFdonnerstalk" zu viel in zu wenig Zeit.Im Sommer machen wir uns alle gerne ein wenig frei und öffnen wenigstens die oberen drei Hemdknöpfe. Das gilt auch fürs Fernsehen, wo die "ZDF-Morgenmagazin"-Präsentatorin Dunja Hayali nun für vier Wochen so etwas wie ein "Abendmagazin" moderieren darf. Eine lockere Stunde, in der mal dieses, mal jenes Thema gewissenhaft abgefrühstückt wird. Ganz früh und ganz spät ist das mit der Aufmerksamkeitsspanne so eine Sache, da will man die Leute nicht überfordern. Was schade ist, weil Hayali gleich mit dem ersten Thema beweist, dass sie Überforderung kann. Es geht um die "Bedenken" mancher "besorgter Bürger" gegen den "Abschaum", der die Dreistigkeit hat, hierzulande Asyl zu beantragen. Um in den kostenlosen Genuss von Smartphones oder Spülmaschinen zu kommen, verlassen Menschen ihre spülmaschinenfreie Heimat und landen schließlich in Marzahn. Hayali geht auf die Menschen zu Anders als die handelsüblichen Talktanten und -onkel dirigiert Hayali nicht nur vom bequemen Sesselchen aus die Turniere der entsprechenden Meinungsritter - sie geht auf die Menschen zu. Und wenn sie sich bei den pöbelnden Demonstranten vor der geplanten Unterkunft in Marzahn eine Abfuhr holt, dann ist das so. Dann holt sie sich anderswo eine weitere Abfuhr oder doch noch eine Auskunft, von einer besorgten Dame in der Schlange: "In Köpenick hat der Lidl zugemacht, weil da nur geklaut wurde - habe ich gehört". Sie sucht so lange, bis ihr ein goldener Moment glückt. In einer Einfamilienhaussiedlung stöbert Hayali einen Eigenheimbewohner auf, der unter dem Arm einen Halogenscheinwerfer trägt. Original verpackt, eben gekauft. Für den Bewegungsmelder daheim, denn "da hinten ist dunkel, da kann sonst jeder rein". Hayali ist dabei so fair, wie sie es als Partei nur sein kann."Woher diese Angst?", fragt sie schließlich, zurück im Studio, den AfD-Vize Alexander Gauland und den "Polit-Blogger" und SPIEGEL-ONLINE-Kolumnisten Sascha Lobo. Der ist bis unter die Zähne bewaffnet mit Argumenten und rechtschaffener Empörung, Gauland dagegen schaut meistenteils müde und missbilligend zu Boden. Dennoch entwickelt sich zwischen den Widersachern ein sehenswerter Schlagabtausch, dem eigentlich nur ein Wasserglas im Weg ist. Wenn Gauland sich nach dem Glas beugt, müssen Hayali und Lobo sich recken und strecken, weil der Mann dann im Weg ist. Dass Lobo in jedem zweiten Satz etwas Zitierfähiges hervorbringt ("Das Problem ist nicht, dass Sie am rechten Rand fischen, sondern dass sie der rechte Rand sind!"), kommt dem Format entgegen. Denn gerade, als sich die Debatte erstmals im Kreis zu drehen droht, bricht Hayali die Veranstaltung auch schon ab. "Wir müssen das Thema jetzt leider zumachen!", denn schon nach gefühlten fünf Minuten wartet das nächste Thema, das mit dem ersten Thema zusammenhängt und zu dem Lobo sicher ebenfalls Zitierfähiges beizusteuern wüsste, wäre er noch im Spiel. Revuehafte Wohlgefälligkeit mit Monica Lierhaus Die Überleitung ist dennoch famos. Hayali lässt Menschen im Publikum die verbale Gülle vorlesen, die im Internet über ihr ausgeschüttet wird - und macht auf diese Weise die ordinäre Routine im Netz ("Du kleine Hure mit jüdischen Wurzeln, ich hoffe, du wirst geschlachtet wie ein Schwein", und so weiter ) sinnlich erfahrbar. Um Cybermobbing geht es dann am Beispiel von Dieter Matz. Der Fußball-Blogger, erfahren wir im Einspielfilm, wird im Netz übelst beschimpft und nimmt sich das sehr zu Herzen. Hinzu kommt ein Experte, der schärfere Gesetze fordert und ansonsten bedauert, dass man da wenig tun kann. Nach weiteren fünf gefühlten Minuten wird auch dieses Thema "zugemacht", damit die - gefühlten - restlichen 50 Minuten zusehends in revuehafte Wohlgefälligkeit abrutschen. Zu Gast ist Monica Lierhaus, und darüber ist Hayali "wirklich total froh und glücklich". Es sei Lierhaus' "erster Live-Auftritt seit sieben Jahren", was Lierhaus so nicht stehen lässt: "Leider muss ich dich korrigieren, ich war schon bei Sky!" Hayali: "Wow!"Nun wird Monica Lierhaus im Fernsehen habituell gerne für die Tapferkeit applaudiert, Monica Lierhaus zu sein. Seit sie neulich ihr Bedauern bekannte, damals dieser zwar lebensrettenden, aber verhängnisvollen Operation zugestimmt zu haben, weht der Wind plötzlich von vorne. Wie kann die nur? Naja, sie kann halt. Sagen, was sie will. Auf der Couch mit Hayali relativiert sie ihre Aussage. Wäre sie jetzt tot, hätte sie "auch viel nicht erlebt, zum Beispiel die WM in Brasilien, oder jetzt den Donnerstalk bei Dir!" Hayali kann harte und weiche ThemenAber darum geht es nicht, sondern um Pauline. Das ist das Hündchen von Monica Lierhaus, das niedlich im Studio herumflitzt. Was Lierhaus an Pauline gefällt, will Hayali wissen. "Sie berührt mich, sie kommt zu mir, und dann kuscheln wir, und dann sinkt mein Blutdruck", sagt Lierhaus und präzisiert auf Nachfrage: "Wir liegen oft zusammen auf dem Sofa, und dann tröstet sie mich, wenn's mir nicht gut geht." Worauf Hayali von ihrer "Emma" erzählt und wissen will, ob denn Pauline ebenso verfressen ist wie ihre "kleine Maus". Aber klar ist die verfressen, sie riecht schon die "Leckerli" in Hayalis Hosentasche, aber ganz besonders mag sie Leberwurst, alle Hunde mögen Leberwurst. Lierhaus betont, sie sei "froh, froh, froh, extrem froh, dass ich sie habe, sehr froh". Denn Pauline ist, womit wir endlich beim letzten Thema wären, ein Therapiehund. Es folgt eine Reportage, die Lierhaus über einen Assistenzhund gedreht hat, der Diabetes riechen kann, in der Ausbildung 25.000 Euro kostet, von der Krankenkasse aber nicht bezahlt wird. Anstelle der Krankenkasse fragt Hayali einen niedergelassenen Arzt. Der Arzt behauptet zu wissen, "wie die Krankenkassen ticken", hat aber auch keine plausible Erklärung für deren Herzlosigkeit. Hätte man sie halt mal fragen müssen, oder? Statt dessen fragte Hayali abschließend Lierhaus gewohnheitsmäßig: "Gibt es jemanden, den du gerne interviewen würdest?" Hayali kann die harten Themen und die weichen Themen. Sie kann sogar mühelos mit mehreren Themen jonglieren. Es sollten halt Themen sein, die dieses Kunststück auch wert sind. Nebenbei noch ein Kaninchen aus dem Hut zaubern, das kann sie nicht.
Arno Frank
[ "Schöner fernsehen", "ZDF", "Monica Lierhaus", "Sascha Lobo", "Dunja Hayali" ]
Kultur
TV
2015-07-24T01:33:00+02:00
2015-07-24T09:49:00+02:00
https://www.spiegel.de/kultur/tv/zdfdonnerstalk-dunja-hayali-diskutiert-mit-monica-lierhaus-a-1045065.html
Mordanschlag auf Passauer Polizeichef: Haftbefehle gegen Münchner Ehepaar erlassen
Vielleicht ist es auf diesem Rasenstück geschehen. Vielleicht hat sich genau hier der Hass auf den Polizeidirektor Mannichl zum tödlichen Hass auf den Menschen Alois Mannichl gesteigert. Hier auf dem Soldatenfriedhof am Inn, den sie in Passau noch "Heldenfriedhof" nennen. Ein paar hundert Meter weiter ist schon Österreich. Die Luft überm Grün ist feucht. Die rund 200 Grabplatten glänzen schwarz. Klein sind sie, nur so groß wie die Hülle einer Schallplatte. Jede Platte trägt vier Namen: meist Soldaten, meist gefallen, gestorben, krepiert im Frühjahr 1945, in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges.Sechs Jahrzehnte später. Es ist Volkstrauertag, November 2008. Der Oberbürgermeister legt einen Kranz an den fünf aufwärts strebenden Eisenkreuzen im Zentrum des Friedhofs nieder, ebenso der Sozialverband, natürlich auch die Kriegsgräberfürsorge. Und dann ist da das braune halbe Dutzend. Ein paar Rechtsextreme unter Führung des NPD-Kreisvorsitzenden Martin Gabling. Dazwischen steht, mit grimmiger Miene: Passaus Polizeichef Mannichl, über die Stadtgrenzen hinaus bekannt als härtester Gegner der Radikalen. Von dieser Begebenheit gibt es ein Bild. Es zeigt, wie Mannichl mit dem rechten Fuß auf einer Grabplatte steht. "Das war sicher keine Absicht, das passiert vielen Besuchern, die gesamte Rasenfläche ist ja ein Friedhof", heißt es in der Stadtverwaltung. Die Passauer NPD aber hetzt kurz darauf im Internet gegen den Polizisten: "Verärgert stellte sich Mannichl auf eine Grabplatte gefallener Soldaten und trampelt mit seinen Schuhen auf einem Gedenkgesteck herum." Am vergangenen Samstag steht ein Attentäter vor Mannichls Haustür in Fürstenzell, zwölf Kilometer von Passau entfernt.Er rammt ihm ein Messer in den Bauch und ruft: "Du trampelst nimmer mehr auf den Gräbern unserer Kameraden herum."Kurz darauf werden zwei 26 und 27 Jahre alte Männer aus der rechten Szene festgenommen, dann wieder freigelassen, weil sich der Verdacht gegen sie nicht erhärtet hatte.Haftbefehl wegen Beihilfe zum MordAm Dienstag lauern daraufhin SEK-Beamte des Passauer und des Münchner Polizeipräsidiums in Zivil einem Pärchen aus der rechtsextremen Szene Südbayerns auf. Im Münchner Stadtteil Sendling warten sie auf Manuel und Sabrina H., die nacheinander eintrudeln, und nehmen sie zur Vernehmung mit nach Passau - als Zeugen wohlgemerkt, nicht als Tatverdächtige. Stundenlang seien die beiden "getrennt voneinander und intensiv" befragt worden, berichtet ein Ermittler SPIEGEL ONLINE. Details blieben streng unter Verschluss, nachdem schon die Vernehmung des jungen Ehepaares aus ermittlungstaktischen Gründen gar nicht an die Öffentlichkeit hätte dringen dürfen.Mittlerweile könnte es sich bei dem 33-Jährigen und seiner 22 Jahre alten Ehefrau nach Angaben der Ermittler doch um Tatbeteiligte handeln. "Die Art einer möglichen Tatbeteiligung" werde geprüft, sagte ein Ermittler SPIEGEL ONLINE. Sowohl Manuel H. als auch Sabrina H. seien außerdem polizeibekannt.Am Mittwochabend geben die Ermittler dann offiziell bekannt: Manuel und Sabrina H. seien festgenommen worden, gegen sie wurde Haftbefehl wegen Beihilfe zum versuchten Mord erlassen. Zugleich teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit, sie hätten einen weiteren Fahndungsaufruf herausgegeben (siehe Kasten). Was hat das Ehepaar aus der Nazi-Szene mit dem Fall zu tun?Laut Zeugen wurde Sabrina H. am Tag des Attentats in Mannichls Wohnort Fürstenzell in Begleitung eines Mannes gesehen, auf den die von Mannichl gegebene Täterbeschreibung passt, sagte ein Polizeisprecher.Manuel und Sabrina H. sind aktive Mitglieder der Münchner Neonazi-Szene. Sie gehören der militanten Kameradschaft Freie Nationalisten München an. Deren Credo lautet: München wird wieder deutsch! Kurzzeitig sollen deren Vorsitzender, der führende Kader der Freien Kameradschaftsszene, Philipp Hasselbach, und dessen Freundin ebenfalls festgenommen worden sein. Das behauptet der 21-Jährige auf der Homepage der Freien Nationalisten München. Gemeinsam habe man am Tattag Flugblätter entworfen und Reden für die Jahresabschlussfeier der Freien Kräfte Erding vorbereitet, schreibt er. Und weiter: "Gegen 22 Uhr stürmten über 30 Polizeibeamte in den Saal und führten umfangreiche Personalienfeststellungen durch. Außerdem versuchten die allgegenwärtigen 'Gesetzeshüter' Aussagen zur Veranstaltung herauszupressen. (...) Wie soll die führerscheinlose Kameradin und Ehefrau erst um 17.30 Uhr Herrn Mannichl in Fürstenzell bei Passau abgestochen haben und um 18 Uhr in mein Auto eingestiegen sein? Und wo kommt auf einmal das Fahrzeug der beiden her, mit dem sie binnen einer halben Stunde nach München geflitzt sein sollen? Um genauer zu werden: Das tatverdächtige Ehepaar hat nicht mal ein Auto!" "Mannichl hat diesen Anschlag vielleicht sogar provoziert"Weiterhin bestätigt der 21-jährige Neonazi die Festnahme von Manuel und Sabrina H. "Nach Angaben unseres sofort verständigten Rechtsanwalts André Picker aus Dortmund wurden die beiden am Dienstag als Zeugen und am nächsten Tag als Tatverdächtige gehandelt. Ich selbst wurde am Dienstagabend gegen 21 Uhr von Polizeibeamten der Mordkommission Passau vor meiner Wohnung festgenommen und in Handschellen in die Drei-Flüsse-Stadt gefahren. Zuvor erklärte ich, dass ich mit der Tat nichts zu tun habe und auch zu keiner DNA-Abgabe bereit bin. Nach einer Leibesvisitation sperrte man mich über Nacht in die Gewahrsamszellen der Kriminalpolizeiinspektion Passau." Seit Mittwochnachmittag sei er auf freiem Fuß, schreibt Hasselbach. "Weitere Aktivisten unserer Gruppe" würden vernommen, seine Freundin sei zeitweise auch vorläufig festgenommen worden.Die Ermittler wollten diese Details SPIEGEL ONLINE nicht bestätigen.Im Internet schreibt Neonazi Hasselbach ungerührt: "Trotzdem weichen wir nicht von unserer Meinung ab, dass Polizeidirektor Mannichl diesen Anschlag vielleicht sogar provoziert hat." Er kündigt an: "Wir werden diese ganz offensichtliche Repression nicht unbeantwortet lassen und dagegen auch öffentlichkeitswirksam entgegentreten. Dazu werden wir bis zum Wochenende aktionistische Möglichkeiten konkretisiert haben." Das Ehepaar H. gilt in der Szene als extrem engagiert, Manuel H. als "extrem antisemitisch". Auf einschlägigen Seiten kursieren Bildaufnahmen, die die beiden in entsprechender Aufmachung und mit Fahnen zeigen. Demnach nahmen sie an Aufmärschen und rechtsextremen Aktivitäten in ganz Deutschland teil. So auch an der Beerdigung des Altnazis Friedhelm Busse und dem anschließenden "Spontanaufmarsch" durch Passau. Manuel H. marschierte damals an der Spitze so wie kürzlich beim "Heldengedenkmarsch" durch München. "Die beiden Beschuldigten standen bereits vor Gericht", sagt Robert Andreasch, Buchautor und freier Journalist mit Arbeitsschwerpunkt Rechtsextremismus in Bayern und Baden-Württemberg. Sie sollen und anderem beim Angriff Rechtsextremer auf den Israeltag auf dem Münchner Odeonsplatz im vergangenen Sommer mitgemischt haben. "Wennst ned grad a Nazi bist, ist er ein netter Kerl"Die Marktgemeinde Fürstenzell und die Stadt Passau sorgen sich derweil wegen des braunen Spuks um ihr Image. Alois Mannichl war hier wie dort Kronzeuge dafür, dass man sich nicht abfindet mit der rechtsextremen Szene am Ort. Alle kennen ihn. Fragt man nach Kontakten mit Mannichl, ist ein empörter Blick die Ernte: "Aber natürlich, was denken denn Sie?" Sie mögen ihn. "Wennst ned grad a Nazi bist, ist er ein unheimlich netter Kerl zu dir, er verteidigt unsere Freiheit", sagt eine Frau auf der Straße in Fürstenzell.Mitten im Ort steht das Café Traudl, Treffpunkt der rechtsextremen Szene. "Die sind nicht von hier, die reisen an, da stehen oft auch Autos mit österreichischen Kennzeichen", sagt ein Passant. Das Zweifamilienhaus mit der schmutziggelben Fassade ist verrammelt. Die Fenster im Erdgeschoss sind von innen weiß abgeklebt. Bis vor kurzem soll es noch regelmäßige Stammtische der rechtsextremen Szene gegeben haben, immer am Wochenende. Im Sommer haben sie im Garten gegrillt. Gleich gegenüber arbeitet Mannichls Frau. Sie betreibt einen ambulanten Pflegedienst, ihr Name steht groß auf einem Schild an der Fassade. Fürstenzell ist eine kleine Gemeinde. Zurück auf Passaus Soldatenfriedhof. Am Volkstrauertag 2008 gab es dort nicht den ersten Zusammenstoß mit der rechtsextremen Szene. Am Totensonntag des Vorjahres hatte die NPD einen Kranz niedergelegt. "Ruhm und Ehre unseren deutschen Soldaten", stand auf der schwarz-weiß-roten Schleife. Prompt wurde der Kranz konfisziert - von Passaus Polizei unter Alois Mannichl.
Sebastian Fischer, Julia Jüttner
Nach dem versuchten Mord an Passaus Polizeichef Alois Mannichl sind gegen ein Ehepaar aus München Haftbefehle erlassen worden. Die beiden sollen den flüchtigen Täter bei dem Attentat unterstützt haben. Ihre Kameraden kündigten im Internet Protestaktionen an.
[ "Rechtsextremismus", "Alois Mannichl" ]
Panorama
Justiz & Kriminalität
2008-12-17T21:14:49+01:00
2008-12-17T21:14:49+01:00
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/mordanschlag-auf-passauer-polizeichef-haftbefehle-gegen-muenchner-ehepaar-erlassen-a-597061.html
Crispr: Wann ist eine Gentechnik-Pflanze eine Gentechnik-Pflanze?
Eine Weizensorte, die gegen die gefürchtete Pilzkrankheit Mehltau resistent ist oder stressresistente Maispflanzen: An der Entwicklung solcher und vieler anderer Kulturpflanzen arbeiten derzeit zahlreiche Pflanzenforscher. Viele nutzen dazu ein molekulares Werkzeug, das sich seit einigen Jahren in rasantem Tempo in den Labors rund um die Welt verbreitet: Crispr/Cas9, kurz Crispr. Mit der Genschere ist es möglich, das Erbgut - und damit die Eigenschaften von Pflanzen und anderen Lebewesen - schneller, günstiger und präziser zu verändern als bisher. Viele Forscher sehen enormes Potenzial in der Technologie. Das Besondere: Die Schere hinterlässt außer der von ihr durchgeführten Veränderungen keine Spuren im Erbgut. Werden mit Crispr also Mutationen eingefügt, die auch natürlich auftreten können - etwa durch Züchtung - lässt sich im Nachhinein nicht mehr sagen, welche Methode angewendet wurde. Gentechnik-Kritiker fürchten deshalb, dass mit Crispr eine Vielzahl gentechnisch veränderter Pflanzen geschaffen, schlimmstenfalls unkontrolliert angebaut und letztlich den Verbrauchern unwissentlich untergejubelt werden könnten.Beide Seiten warten derzeit mit Spannung auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), der die entscheidende rechtliche Bewertung von entsprechenden Organismen liefern soll, die mit Crispr und vergleichbaren Techniken erzeugt wurden. Die Entscheidung wird in den kommenden Monaten erwartet. Gentechnisch veränderter Organismus oder normale Zuchtpflanze?Die Frage ist: Handelt es sich in den zur Debatte stehenden Fällen um gentechnisch veränderte Organismen (GVOs), die unter die strengen Auflagen des europäischen Gentechnikrechts fallen? Sie müssten in diesem Fall unter anderem ein Zulassungsverfahren durchlaufen und gekennzeichnet werden. Oder sind viele Crispr-Produkte keine GVOs, weil sie nicht zu unterscheiden sind von Pflanzen, die natürlich entstanden sind oder mit konventionellen Züchtungsmethoden erzeugt wurden? In diesem Fall dürften sie ohne spezielle Prüfung und Kennzeichnung in den Verkehr und auf den Markt gebracht werden. Der Generalanwalt des EuGH, Michal Bobek, legte im Januar dieses Jahres eine Stellungnahme zur rechtlichen Bewertung der Verfahren  vor. Darin heißt es unter anderem, dass mit Crispr und vergleichbaren Verfahren erzeugte Organismen nicht als gentechnisch verändert anzusehen sind, solange die vorgenommenen Veränderungen auch auf natürliche Weise entstanden sein könnten.Zu einem ganz anderen Schluss kommt der Rechtsfachmann Ludwig Krämer. Er hat sich im Auftrag von Testbiotech - einer gentechnik-kritischen Lobbyorganisation - mit der Stellungnahme befasst . Seiner Ansicht nach fallen die neuen Verfahren sehr wohl unter den Geltungsbereich der EU-Freisetzungsrichtlinie, welche die Zulassung gentechnisch veränderter Organismen regelt. Pflanzen und Tiere, die damit verändert wurden, müssten in einem Zulassungsverfahren auf Risiken untersucht werden. "Fallweise entscheiden""Mit der hohen Präzision der Crispr-Technologie ist ein wesentlicher Schritt erreicht, den Pflanzenzüchtung schon immer angestrebt hat", sagt Ralf Wilhelm, Leiter des Fachinstituts für die Sicherheit biotechnologischer Verfahren bei Pflanzen am Julius-Kühn-Institut. Man könne damit Züchtungsziele wie Krankheits- und Schädlingsresistenz oder eine erhöhte Widerstandsfähigkeit gegen Nässe oder Trockenheit erreichen - und zwar wesentlich schneller und günstiger als je zuvor.Hinsichtlich einer rechtlichen Bewertung der Verfahren hält sich Wilhelm allerdings bedeckt. "Wir würden von wissenschaftlicher Seite keinen Sinn darin sehen, zwei Organismen, die völlig gleich sind, rechtlich unterschiedlich zu bewerten." Allerdings müsse man fallweise entscheiden und die Art der jeweiligen Veränderung berücksichtigen. "Das ist ein Werkzeug, eine Methodik, die in vielen Zusammenhängen einsetzbar ist", so Wilhelm. So können mit Crispr etwa auch mehrere Gene gleichzeitig stillgelegt werden oder neue Genbausteine eingefügt werden - von der eigenen wie von fremden Arten. Vor allem wenn fremde Gene eingefügt würden, bedürfe es nach dem Gentechnikrecht einer umfassenden Sicherheitsprüfung der resultierenden Produkte, sagt Wilhelm. Das bei solchen größeren Eingriffen das Gentechnik-Gesetz greift, ist allerdings auch unstrittig. So funktioniert Crispr in der PflanzenzuchtDie Genschere Crispr kann Gene, die für eine bestimmte Eigenschaft der Pflanze verantwortlich sind, gezielt ansteuern. Der Genstrang wird an der entsprechenden Stelle geschnitten und dann vom zelleigenen Reparatursystem wieder zusammengefügt. Da die Reparatur nicht immer perfekt verläuft, wird das Gen dabei unter Umständen verändert, zum Beispiel ausgeschaltet. An der Schnittstelle können auch neue Gene eingefügt werden. Die resultierende Pflanze unterscheidet sich nur in einem oder wenigen genetischen Bausteinen von der Ausgangspflanze. Solche Mutationen, die zur Stilllegung von Genen führen können, treten natürlicherweise ständig auf und führen zu zufälligen Veränderungen des Pflanzen-Erbguts. Klassische Züchtungsmethoden, etwa die Bestrahlung, erhöhen die Mutationsrate ebenfalls künstlich, um dem Zufall auf die Sprünge zu helfen und schneller eine gewünschte Veränderung im Erbgut und den Eigenschaften der Pflanze hervorzurufen. Ob der Europäische Gerichtshof der Linie seines Generalanwalts folgt, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Sollten mit Crispr und vergleichbaren Methoden eingefügte Genveränderungen, die auch natürlich auftreten können, als Gentechnik gelten, bleibt die Frage, wie das kontrolliert werden soll. Weder in Genanalysen noch äußerlich sieht man diesen Pflanzen an, ob sie natürlich oder künstlich mutiert sind.
jme/dpa
Mit moderner Gentechnik lassen sich unerkannt Mutationen in Organismen einschleusen, die auch natürlich auftreten. Der Europäische Gerichtshof muss nun entscheiden, ob so veränderte Pflanzen unter das Gentechnik-Gesetz fallen.
[ "Gentechnik", "Genforschung", "Gentechnikgegner" ]
Wissenschaft
Natur
2018-03-05T10:52:00+01:00
2018-03-05T10:52:00+01:00
https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/crispr-wann-ist-eine-gentechnik-pflanze-eine-gentechnik-pflanze-a-1196477.html
EU-Klimapolitik: Ampelpartner kritisieren Lindners Nein zum Verbrenner-Aus
Nach seiner Weigerung, ein Ende des Verbrennungsmotors in der EU mitzutragen, sieht sich Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) mit scharfer Kritik aus den Reihen der Koalitionspartner konfrontiert.»Wer sich ambitionierten Zielen verweigert, der versperrt damit innovative Wege. Hier geht es ja nicht um die persönlichen Hobbys von Autofan Christian Lindner, sondern darum, die Klimakatastrophe abzuwenden«, sagte SPD-Parteivize Thomas Kutschaty dem SPIEGEL. »Ein Veto aus ideologischem Reflex verhindert einen entscheidenden Baustein zur Erreichung von Klimaneutralität. Schließlich haben sich die Ampelparteien darauf verständigt, die Technologie des Verbrennungsmotors hinter uns zu lassen.« Auch die Grüne reagieren verärgert. »Christian Lindner scheint innerlich schon in der Opposition zu sein. Das Land geht durch eine große Krise, aber bei ihm geht es nur um Parteipolitik. Das ist verantwortungslos«, kritisierte Rasmus Andresen, Vorsitzender der deutschen Grünen im Europaparlament. Stefan Gelbhaar, Verkehrsexperte der grünen Bundestagsfraktion, sagte: »Der Koalitionsvertrag ist in Sachen Flottengrenzwerte sehr eindeutig, die Zustimmung ist vereinbart. Da wird sich Christian Lindner erklären müssen.« Lindner hatte gestern auf dem Tag der Industrie erklärt, er halte ein Verbot des Verbrennungsmotors für falsch. »Ich habe deshalb entschieden, dass ich in der Bundesregierung dieser europäischen Rechtsetzung nicht zustimmen werde«, sagte er. Die anstehende EU-Entscheidung sei leider nicht technologieoffen. Das EU-Parlament hatte kürzlich im Kern einem Kommissionsvorschlag zugestimmt, der vorsieht, dass die Flottengrenzwerte ab 2035 bei null liegen. Das gilt für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge und bedeutet, dass in Europa neu zugelassene Autos ab dann keinerlei CO₂ mehr ausstoßen dürfen. Damit wären Verbrennungsmotoren faktisch verboten. Der Rat, in dem Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten sitzen, muss aber noch zustimmen. Im Koalitionsvertrag hatten die Ampelparteien SPD, Grüne und FDP diese EU-Pläne aufgenommen, ihnen zugestimmt und sogar ein früheres Verbrenner-Aus in Deutschland in Aussicht gestellt: »Gemäß den Vorschlägen der Europäischen Kommission werden im Verkehrsbereich in Europa 2035 nur noch CO2-neutrale Fahrzeuge zugelassen – entsprechend früher wirkt sich dies in Deutschland aus. Außerhalb des bestehenden Systems der Flottengrenzwerte setzen wir uns dafür ein, dass nachweisbar nur mit E-Fuels betankbare Fahrzeuge neu zugelassen werden können.« Grüne und das zuständige Bundesumweltministerium erklären diese Sätze so: Für Autos, für die Flottengrenzwerte gelten, ist der Verbrennungsmotor dann am Ende. Für andere Fahrzeuge, für diese Grenzwerte nicht gelten, etwa Traktoren oder Lkw, wäre eine Lösung über synthetische klimaneutrale Kraftstoffe denkbar, wie die FDP sie möchte. In der Präambel des Koalitionsvertrags steht außerdem: »Schritt für Schritt beenden wir das fossile Zeitalter, auch, indem wir (...) die Technologie des Verbrennungsmotors hinter uns lassen.«Für den 3. März und noch einmal für den Ausschuss der Ständigen Vertreter am 13. Mai hatte das Umweltministerium Weisungen erarbeitet, in denen den Kommissionsvorschlägen zum Verbrenner-Aus jeweils zugestimmt wird, und die dem Text nach mit Lindners Finanzministerium abgestimmt waren. Das Umweltministerium teilte entsprechend mit, die Bundesregierung unterstütze »vollumfänglich den Vorschlag der Kommission und des Europäischen Parlaments, ab 2035 neue Pkw und leichte Nutzfahrzeuge nur noch mit Nullemissionsantrieben zuzulassen.« Regierungssprecher Steffen Hebestreit erklärte am Mittwoch in Berlin, dass die Bundesregierung ihre Position zur Abstimmung über ein EU-Verbot des Verbrennermotors noch nicht festgelegt habe. »Die Bundesregierung befindet sich gerade in Gesprächen«, sagte er. »Danach wird verkündet, wie sie sich im zuständigen Ausschuss verhalten wird«, fügte er mit Blick auf die Abstimmung im EU-Umweltausschuss am 28. Juni hinzu.
fin/jos/cte
Die EU will ab 2035 keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr zulassen. Doch Finanzminister Lindner möchte auf einmal nicht mehr zustimmen. Grüne und Sozialdemokraten reagieren verärgert.
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Politik
Deutschland
2022-06-22T15:33:00+02:00
2022-06-22T15:33:00+02:00
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/christian-lindner-sagt-nein-zum-verbrenner-aus-spd-und-gruene-kritisieren-fdp-chef-a-401ab134-1fbf-473b-b4c3-e4d5737393cf
Koalition streitet über Besteuerung von Dienstwagen
Zwischen SPD und CDU/CSU gibt es Streit um die steuerliche Behandlung von Dienstwagen. Unions-Fraktionschef Volker Kauder lehnt Pläne von Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) ab, den Vorsteuerabzug für Dienstwagen, die auch privat genutzt werden, zu halbieren. Bei der Anschaffung eines neuen Autos dürfen die Firmen die darin enthaltene Mehrwertsteuer bislang vollständig mit ihren Mehrwertsteuerzahlungen ans Finanzamt verrechnen – unabhängig davon, ob die Fahrzeuge ausschließlich dienstlich oder auch privat genutzt werden. Bei der letzten Fraktionssitzung von CDU und CSU vor der Sommerpause kündigte Kauder Widerstand gegen das Vorhaben an. Damit sei er auf breite Zustimmung gestoßen, berichten Teilnehmer. Kauder fürchtet, die Maßnahme treffe vor allem Kleinunternehmer und Mittelständler, die ihre Autos in der Regel auch privat nutzen. Großunternehmen, die sich reine Dienstwagenflotten leisten können, kämen hingegen ungeschoren davon, argumentiert Kauder weiter. Die neue Vorschrift ist im Regierungsentwurf des Jahressteuergesetzes von 2009 enthalten, soll also vom nächsten Jahr an gelten. Finanzminister Steinbrück erwartet sich von ihr Mehreinnahmen für den Fiskus von 55 Millionen Euro. Die Union will dieses Element aus dem Gesetzentwurf streichen.
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Politik
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2008-07-12T10:30:00+02:00
2008-07-12T10:30:00+02:00
https://www.spiegel.de/spiegel/vorab/a-565464.html
Kassel wird Teststadt für kontaktloses Bezahlen
KontaktlosesBezahlenund andere neue Funktionen von ec-Karten werden in Zukunft in Kassel getestet. Die nordhessische Stadt sei besonders repräsentativ, weil sie unter anderem bei Kaufkraft und Bevölkerungsstruktur nah am Bundesdurchschnitt liege, sagte Ingo Limburg von Euro Kartensysteme. Die deutschen Kreditinstitute wollen in Kassel die Alltagstauglichkeit und Akzeptanz von Neuerungen prüfen, bevor sie bundesweit eingeführt werden. Bis zu 15 Jahre soll Kassel als Testlabor für Innovationen fungieren. Ec-Karten in der Region sollen nach und nach ausgetauscht werden und neue Funktionen bekommen.Beim kontaktlosen Bezahlen lassen sich kleinere Beträge ohne PIN-Eingabe direkt abbuchen, indem man die Karte vor das Terminal hält; bei höheren Summen wird der PIN abgefragt. Die Technik wird auch in Mobiltelefone und Computeruhren integriert. Gedacht ist das System vor allem für Kleinbeträge, die üblicherweise bar bezahlt werden. Neben dem kontaktlosen Bezahlen in Geschäften sollen in Kassel weitere Funktionen erprobt werden. Die Verbraucherzentrale Hessen wies darauf hin, dass die Teilnahme an den Tests freiwillig sei. Wie riskant kontaktloses Bezahlen durch eventuelle Fehlbuchungen sei, können die Verbraucherschützer derzeit noch nicht absehen. Sie raten Teilnehmern, Kontobewegungen regelmäßig zu prüfen und verdächtige Abbuchungen bei der Bank zurückzufordern.
kpa/dpa
Bezahlen im Vorbeigehen: Wie das Einkaufen der Zukunft aussehen könnte, wird nun in Kassel getestet  - die Stadt gilt als besonders repräsentativ für den Bundesdurchschnitt.
[ "Banken", "Kassel" ]
Wirtschaft
Verbraucher & Service
2016-04-20T17:28:21+02:00
2016-04-20T17:28:21+02:00
https://www.spiegel.de/wirtschaft/service/kassel-wird-teststadt-fuer-kontaktloses-bezahlen-a-1088301.html
Spahn und Lauterbach feiern Kompromiss bei Kassenfinanzierung
Berlin - Jens Spahn war sichtlich zufrieden. "Wer hätte geglaubt, dass Union und SPD ausgerechnet bei Gesundheit und Pflege als erste in allen Fragen zu einer Einigung kommen werden?", sagte der CDU-Gesundheitspolitiker und bedankte sich bei Karl Lauterbach, seinem SPD-Partner in den Gesprächen der Koalitionsarbeitsgruppe. Eine "gute, faire, sachliche Zusammenarbeit" habe es da gegeben. Es war in der Tat eine Überraschung, die die beiden Gesundheitspolitiker am Freitagmorgen im dritten Stockwerk des Bundestags verkündeten. Lauterbach war wie immer mit Fliege erschienen - diesmal in grüner Farbe. Am Tag zuvor, am frühen Abend, hatten die beiden in der CDU-Bundeszentrale den Kompromiss festgezurrt - zusammen mit den Spitzen von Union und SPD, Angela Merkel, Horst Seehofer, Sigmar Gabriel und Hannelore Kraft. Die Arbeitsgruppe von Spahn und Lauterbach hatte erstaunlich ruhig verhandelt. Kaum etwas drang nach außen in den vergangenen drei Wochen, kein Misston war öffentlich geworden zwischen den beiden charakterlich so verschiedenen Politikern. Diesmal war es ein Geben und Nehmen - mit einem Punktsieg für die Sozialdemokraten. Denn von dem einstigen Kopfpauschale-Konzept der CDU, einst 2003 auf dem Leipziger Parteitag von Angela Merkel angeschoben, ist faktisch nichts mehr geblieben. Der pauschale Zusatzbeitrag der Krankenkassen wird abgeschafft. Mit dieser Forderung setzte sich die SPD durch. "Heute erleben wir nach zehn Jahren Kampf das historische Ende der Kopfpauschale", sagte Lauterbach, der den Gesundheitskompromiss sogleich der SPD-Basis beim anstehenden Mitgliederentscheid zur Annahme empfahl. Ein stiller Gewinner dürfte auch CSU-Chef Horst Seehofer sein, seit jeher ein Gegner der Kopfpauschale. Neuer Zusatzbeitrag dürfte weniger Versicherte abschrecken Auch die Kassen zeigten sich zufrieden mit dem Ergebnis. Der pauschale Zusatzbeitrag hatte sich für sie zuletzt zu einem Problem entwickelt: Erhob eine Versicherung den Zuschlag, liefen ihr gerade junge Versicherte in Scharen davon. Das führte zu einem absurden Wettbewerb: Die Kassen taten alles, um keinen Zuschlag erheben zu müssen.Das könnte sich nun ändern. Denn Kassen können zwar auch in Zukunft einen Zusatzbeitrag erheben. Allerdings soll das künftig über eine Anpassung des allgemeinen Beitragssatzes geschehen. Statt 15,5 Prozent könnte eine Kasse also etwa 16 Prozent verlangen. Das müsste der Arbeitnehmer alleine bezahlen, da der Arbeitgeberanteil bei 7,3 Prozent festgeschrieben ist. Kassenmanager hoffen aber darauf, dass diese Regel weniger abschreckend wirkt als die alte. Tatsächlich hat schon eine monatliche Summe von acht Euro viele Versicherte zum Wechsel veranlasst. Der Hintergrund: Den pauschalen Zusatzbeitrag mussten die Versicherten selbst überweisen - im Unterschied zum normalen Kassensatz, der ihnen direkt vom Gehalt abgezogen wird. Zwar wird es auch künftig Schnäppchenjäger geben, die genau darauf achten, bei welcher Kasse sie den niedrigsten Beitragssatz zahlen. Doch das dürften wesentlich weniger Menschen sein. "Konzept hat viel Geld und Reputation gekostet" "Der Beschluss korrigiert einen historischen Fehler", sagte DAK-Chef Herbert Rebscher SPIEGEL ONLINE. "Das Konzept der pauschalen Zusatzbeiträge hat das System viel Geld und Reputation gekostet." Was Rebscher meint: Im Bestreben, keinen Sonderzuschlag zu erheben, verzichten viele Kassen darauf, in sinnvolle Leistungen zu investieren, sie bemühen sich vor allem um junge Gutverdiener - und sparen bei der Versorgung Alter und Kranker. "Die Anreize für eine solche Risikoselektion werden im neuen System gemindert", sagt Rebscher.Spahn verbuchte für die Union zwei wichtige Punkte: Bei der Pflege sollen von der Anhebung des Beitragssatzes 0,1 Prozent in einen Kapitalfonds fließen. Außerdem setzte Spahn durch, dass der Arbeitgeberanteil im Beitragssatz bei 7,3 Prozent eingefroren bleibt. Das war ein Kernanliegen, mit dem die Union den Wirtschaftsflügel ihrer Partei zufrieden stellen will. Das Argument: Arbeitskosten sollen nicht weiter steigen. "Das ist ein wichtiges Signal für die Arbeitsplätze in den nächsten Jahren", sagte Spahn. Man habe mit dem Kompromiss nun "erstmals die Chance, dass es bei den Themen Gesundheit und Pflege keinen monatelangen, jahrelangen Streit geben wird", so Spahn. Das dürfte allerdings eine trügerische Hoffnung sein. Denn zum einen sind die Probleme der privaten Krankenversicherung ungelöst. Und auch bei den Kassen gibt es weiter Unmut über die Verteilung der Risiken im System. So werden die Kosten eines Versicherten in den letzten Lebensjahren vom Risikostrukturausgleich nicht gedeckt. Das trifft vor allem Kassen mit vielen älteren Mitgliedern. Klar ist deshalb: Trotz des Durchbruchs dürfte der Job des Gesundheitsministers auch in der neuen Koalition einer der unangenehmsten sein, den es im Kabinett gibt.
Christian Teevs, Severin Weiland
Es ist ein Durchbruch bei den Koalitionsverhandlungen: SPD und Union schaffen den pauschalen Zusatzbeitrag der Krankenkassen ab. Ein sinnvolles Ergebnis, das vor allem dem Zusammenspiel von Jens Spahn und Karl Lauterbach zu verdanken ist.
[ "Koalitionsgespräche 2013", "Gesundheitspolitik", "Karl Lauterbach", "Krankenversicherung", "CDU", "CSU", "SPD" ]
Wirtschaft
Verbraucher & Service
2013-11-22T12:59:00+01:00
2013-11-22T12:59:00+01:00
https://www.spiegel.de/wirtschaft/service/spahn-und-lauterbach-feiern-kompromiss-bei-kassenfinanzierung-a-935074.html
BEREICHERUNGEN
Erst gut drei Monate ist die neue Bundesregierung im Amt. Und schon in diesem ersten Vierteljahr hat sich gezeigt, wie sinnvoll und belebend sie wirkt -- nicht zuletzt auf unsere Muttersprache. Diese ist noch durch keine Bundesregierung in so kurzer Zeit so bereichert worden. Schon während der Vorverhandlungen im November 1966 deutete sich das an. Da gab man sich nicht etwa dem herkömmlichen Spiel von Frage und Antwort hin, sondern »Sachfragen«. Stets waren die Verhandelnden -- und hier zeigt sich der Einfluß der modernen Kunst auf eine gehobene Sprache -- wie Plastiken von Henry Moore »nach allen Seiten offen«. Entsprechend ist denn auch die Zusammenarbeit in der Koalition nicht eng oder gut, sondern »die Zusammenarbeit ist offen«, wie Willy Brandt kundgetan hat. O Wunder der Sprache! Intensiv lauschend folgt der Bürger den neuen Wortführern. Auch er ist um Erfolg nicht mehr hoffnungsvoll bemüht, sondern glücklicherweise »zum Erfolg verurteilt«, und seine Ehe muß, selbst wenn alles in Scherben fällt, »auf Gedeih und Verderb zusammenhalten«, genau wie Kiesinger das von der Großen Koalition sagt. Was früher nur Volksmund und Dichtermund leisteten, leistet jetzt auch Ministermund: der Sprache hochwertigen Bilderreichtum einzuhauchen. So sieht sich heute bereits jedes Kind als Gamsbock und klagt bei Taschengeldmangel, es wolle »aus der Talsohle« hinaus wieder hoch an die Steilhänge. Nirgendwo mehr will ein Hausvater am Monatsersten seine Ausgaben endlich vernünftiger planen als bisher oder das Geld nun schlichtweg sinnvoller verwenden, sondern er schreitet zur »Entrümpelung des Etats«. Auch denkt er nicht daran, darüber mit Frau und Schwiegermutter etwa mir nichts, dir nichts zu reden -- vielmehr bittet er sie zu einer »konzertierten Aktion«, durch welches melodiös dunkle Wort Frau und Schwiegermutter sichtlich bewegt sind. Alsdann gibt er den beiden kein gutes Beispiel oder herzhafte Knüffe und Püffe, sondern »Orientierungshilfen«; dazu läßt er seine zwei Zeigefinger toll umeinanderwirbeln und nennt das »globale Steuerung«. Und bald darauf sagt seine Frau ihm nicht mehr wie früher, das Geld sei leider fast alle und also wohl doch für viel zuviel Unsinn ausgegeben worden, sondern sie sagt: »Unser Prinzip ist nunmehr die Politik der leeren Kassen.« Bedeutungsvoll für den deutschen Zungenschlag ist nicht nur die Sprachgewalt der Großen Koalition als solcher, sondern ganz besonders die Tatsache, daß mit Professor Karl Schiller zum erstenmal ein vollkommener Gelehrter Minister ist; sein feinziselierter Geist ist einer der reichhaltigsten Bereicherer unseres Wortschatzes. Ihm ist es auch zu verdanken, daß sich jetzt landauf, landab der Begriff der »sozialen Symmetrie« durchsetzt; treffend bezeichnet dieser die Tatsache, daß in der Bundesrepublik eine eisern-richtige Ausgewogenheit der sozialen Kräfte besteht.Ebenfalls Schillers Einfluß ist es zuzuschreiben, daß heute jeder, der sich gerade eine Nebenfrau leistet, diese als seine Eventual-Kebse bezeichnet -genauso wie Bonn sich einen »Eventual-Haushalt« leistet, der hier und heute angepackt wird, aber »eventuell« erst im übernächsten Jahr gräßliche Schwierigkeiten nach sich zieht. Auch vom außenpolitischen Wortreichtum her quillt unsere Sprache zu neuer Eleganz auf. So etwa benützt der Deutsche für jede Verrichtung, gleich welcher Art, nun mit Vorliebe immer das Wort »Entspannung«. Ein Kind, das während der polternden Auseinandersetzungen seiner Hausgenossen vor dem Spiegel steht und zu dem Abbild darin »grüß Gott« sagt, kennzeichnet solches Verhalten mit Außenminister Brandt als »Politik der Friedenssicherung«. Denn wie Bonn weiß das Kind, daß von ihm viel abhängt.Der Mensch ist ein seltsames Wesen. Manchmal hat er nur ein vages Gefühl, daß es ihm an irgend etwas fehlt -- aber er weiß nicht, woran. Dann kann es vorkommen, daß er ein ihm bis dahin ungeläufiges Wort hört und plötzlich weiß: Genau daran fehlt's mir! So ist es jetzt vielen Bürgern ergangen, seit Willy Brandt Ministeransprachen hält. Der Einfluß dieses Mannes auf das deutsche Abendgebet ist unabsehbar! Wie viele Bürger bitten nun vor dem Ausziehen auch: Gib mir »Sinn für Schwerpunkte«, gib mir »wieder Boden unter den Füßen«! An beiden hat es den früher Regierenden in Bonn gefehlt; das ist, laut Brandt, jetzt anders geworden. Hieß 1965 die eine Wahlparole doch auch »Sicher ist sicher!« und die andere »Unsere Sicherheit -- CDU«. Die etwas starre germanische Sprechweise wird nun zudem sehr nachhaltig aufgelockert dadurch, daß der neue Kanzler in der Außenpolitik ganz energisch das drollige Scherzwort pflegt. Für viele Ausländer kommt das so überraschend, daß der Kanzler sein Späßchen von der »atomaren Komplizenschaft« zwischen USA und UdSSR nachträglich extra als Ulk herausstellen mußte, weil es fast schon für bare Bosheit genommen worden wäre.Andererseits findet das neue Bonn auch für so manche ehrwürdige Kontinuität der deutschen Außenpolitik endlich den treffenden Ausdruck. So heißt das entscheidende Merkmal unserer Ostpolitik jetzt. » Politik der ausgestreckten Hand«. Glänzend! Denn tatsächlich sind wir dem Osten immer mit ausgestreckter Hand begegnet, mal so, mal so -- heute strecken wir sie wieder aus nun aber so.
Felix Rexhausen
[ "Bonn" ]
Politik
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1967-03-19T13:00:00+01:00
1967-03-19T13:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/bereicherungen-a-5e0ec34e-0002-0001-0000-000046437668?context=issue
Samsungs »Galaxy Unpacked 2022«-Event: Das sind die Neuheiten
Über Wochen hatte Samsung die Werbetrommel gerührt und damit die Gerüchteküche angefacht. Am Mittwoch nun präsentierte der Konzern bei einer Veranstaltung mit dem Titel »Galaxy Unpacked 2022« gleich vier neue Produkte. Präsentiert wurden neben Smartphones zum Zusammenfalten eine neue Generation von Smartwatches und Buds. Mit seinen Falt-Smartphones hatte Samsung in Vergangenheit ernste Probleme: Sowohl die erste als auch die zweite Generation des Galaxy Fold waren sehr empfindlich, Käufer beschwerten sich über gerissene oder gebrochene Displays. Mit der nun vorgestellten vierten Auflage des Falt-Smartphones sollen solche Schwächen endgültig der Vergangenheit angehören. Dank eines robusten Aluminiumrahmens und widerstandsfähigerem Gorilla-Glas sollen die neuen Smartphones allen Anforderungen des Alltags gewachsen sein. Faltbares ArbeitstierSamsung hat zwei verschiedene Modelle im Angebot: Das Galaxy Z Fold4 verdoppelt im aufgeklappten Zustand im Prinzip die von Smartphones gewohnte Displayfläche. Der Konzern preist das Smartphone deshalb als mobilen Ersatz für einen Arbeits-PC. Dank Zusammenarbeiten mit Google und Microsoft soll das Multitasking besonders gut funktionieren, sodass die Besitzerinnen und Besitzer nahtlos eine Information aus Outlook in die vorinstallierte Tabellenkalkulation kopieren können. Das neue Gerät hat gleich vier verschiedene Kameras, angetrieben wird es von einem Snapdragon 8+ Gen 1-Prozessor. Die Leistung hat ihren Preis: Zum einen bringt das Galaxy Z Fold4 satte 263 Gramm auf die Waage. Zudem wird die höchste Ausstattungsklasse mit 12 Gigabyte Arbeitsspeicher und einem Terabyte Speicher mit über 2150 Euro deutlich teurer als beim Vorgänger. Das Galaxy Z Flip4 verfolgt den gegenteiligen Weg: Hier kann ein übliches 6,7-Zoll-Display zusammengeklappt werden, sodass sich das Smartphone besonders schlank in der Hosentasche macht.Anstelle der Business-Kunden zielt das kleinere Gerät auf die Generation Instagram: Über den »FlexCam-Modus« sollen Videos oder Gruppen-Selfies möglichst einfach von der Hand gehen. Samsung hat mit Meta zusammengearbeitet, um das neue Smartphone an dessen Apps Instagram, WhatsApp und Facebook anzupassen. Die junge Zielgruppe will Samsung unter anderem mit umfangreichen Personalisierungsmöglichkeiten anlocken. Verkaufserfolg vorausgesetztDamit man das Smartphone nicht ständig aufklappen muss, hat Samsung das Front-Display mit seiner 1,9-Zoll-Diagonale aufgewertet: So kann man mit dem »Cover Screen« Anrufe tätigen, auf SMS antworten oder auch sein Smarthome steuern. Das Galaxy Z Flip 4 soll zwischen 1099 Euro und 1279 Euro kosten. In seine neue Generation faltbarer Telefone setzt Samsung große Hoffnungen. Wie das Unternehmen der Nachrichtenagentur dpa mitteilte, will der Konzern in diesem Jahr allein in Deutschland eine halbe Million solcher Geräte verkaufen. Im vergangenen Jahr waren es noch 180.000 Stück. Allerdings hat Samsung in dem Segment seine Konkurrenten wie Huawei abgehängt. Auch für Fans von Smartwatches hat der Konzern eine passende Ankündigung. Die Galaxy Watch geht in ihre fünfte Runde und bringt ein neues Spitzenmodell mit: die Galaxy Watch 5 Pro.Zum Einsatz kommt hier wieder Samsungs BioActive-Sensor, der Messwerte zur Herzfrequenz, dem Blutsauerstoffgehalt und dem Stresslevel liefern soll. Darüber hinaus können der Blutdruck gemessen und EKGs erstellt werden – allerdings nur in Märkten, in denen diese medizinischen Funktionen freigeschaltet wurden. Neu ist ein um 13 Prozent vergrößerter Akku gegenüber der Galaxy Watch 4. Gleichzeitig hat Samsung die Auflagefläche des Sensors auf dem Handgelenk vergrößert, wodurch die Messergebnisse nun genauer sein sollen als bei dem Vorläufermodell. Die Galaxy Watch 5 Pro soll hochwertiger verarbeitet sein als das Basismodell und sich deshalb auch besser für Outdoor-Sportler eignen. Die Galaxy Watch5 soll je nach Ausstattung zwischen 299 Euro und 379 Euro kosten, das Pro-Modell zwischen 469 Euro und 519 Euro. Als viertes neues Gadget stellte Samsung am Mittwoch eine weitere Generation seiner Kopfhörer vor: die Galaxy Buds2 Pro. Sie sollen 15 Prozent kompakter sein als die Vorläufer und so besser im Ohr halten. Damit richtet sich Samsung zum einen an Sportler, aber auch an Couchpotatoes: Dank »Auto Switch« sollen die Buds auch problemlos den Ton von Samsung-Fernsehern ins Ohr spielen und so die Nerven von Mitbewohnern schonen. Allerdings klappt dies nur mit der neuesten Generation von Fernsehern, wenn diese obendrein die neueste Firmware an Bord hat.
tmk/dpa
Bei den Falt-Smartphones gilt Samsung als Vorreiter. Die vierte Generation soll die Kinderkrankheiten des Formats nun überwunden haben. Außerdem erscheinen eine neue Galaxy Watch und neue Kopfhörer.
[ "Samsung", "Samsung Galaxy", "Smartphones" ]
Netzwelt
Gadgets
2022-08-10T15:03:53+02:00
2022-08-10T15:03:53+02:00
https://www.spiegel.de/netzwelt/gadgets/samsungs-galaxy-unpacked-2022-event-das-sind-die-neuheiten-a-e49a6b3b-27eb-4e5b-a877-404913d17b1e
Afghanistan: Präsidentschaftskandidaten wollen Einheitsregierung
Berlin/Kabul - Nach wochenlangem Streit haben sich die rivalisierenden Kandidaten bei der Präsidentschaftswahl in Afghanistan auf die Bildung einer gemeinsamen Regierung geeinigt. Sein Rivale Aschraf Ghani und er hätten eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet, erklärte Präsidentschaftskandidat Abdullah Abdullah am Freitag in Kabul. Zuvor war US-Außenminister John Kerry erneut nach Kabul gereist, um eine Einigung herbeizuführen. Gemäß der Vereinbarung soll unabhängig vom noch ausstehenden Endergebnis der Präsidentschaftswahl von Mitte Juni eine Regierung der nationalen Einheit gebildet werden. Beide Bewerber verpflichteten sich zur Zusammenarbeit. Die Einigung bedeute einen weiteren Schritt auf dem Weg zur nationalen Einheit und "Hoffnung für eine bessere Zukunft für das afghanische Volk", erklärte Abdullah.Nach der Stichwahl um das Präsidentenamt hatte Ex-Außenminister Abdullah geltend gemacht, dass sein Rivale, der frühere Finanzminister Ghani, die Abstimmung durch Fälschungen "im industriellen Ausmaß" gewonnen habe. Unter Vermittlung von Kerry einigten sich die beiden Politiker Mitte Juli auf eine vollständige Neuauszählung aller Stimmen. Wegen eines Streits über Formalitäten kam es danach aber mehrfach zu Verzögerungen. Die Nato will alle Kampftruppen bis Ende des Jahres aus Afghanistan abziehen. Eine Ausbildungs- und Unterstützungsmission soll das Land dann in den folgenden Jahren weiter stabilisieren. Ein Abkommen über die Stationierung der Truppen wurde bisher nicht unterzeichnet, da der scheidende Präsident Hamid Karsai dies seinem Nachfolger überlassen wollte.
flo/AFP
Ist das wirklich der Durchbruch? Die rivalisierenden Präsidentschaftskandidaten in Afghanistan haben sich angeblich auf die Bildung einer gemeinsamen Regierung geeinigt - nach wochenlangem Hin und Her.
[ "Afghanistan", "Abdullah Abdullah", "Kabul", "John Kerry" ]
Ausland
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2014-08-08T14:10:00+02:00
2014-08-08T14:10:00+02:00
https://www.spiegel.de/politik/ausland/afghanistan-praesidentschaftskandidaten-wollen-einheitsregierung-a-985160.html
Augenzeugenberichte aus Idlib: "Ein bis zwei Kinder sterben jeden Tag in unserem Krankenhaus"
In Reportagen, Analysen, Fotos, Videos und Podcasts berichten wir weltweit über soziale Ungerechtigkeiten, gesellschaftliche Entwicklungen und vielversprechende Ansätze für die Lösung globaler Probleme. Wenn der Krieg näher rückt, ist die Luft schwanger vom Echo der Raketen, berichten Menschen aus Idlib. Man könne Assads Kampfjets hören, wenn der Frontverlauf sich nach Norden verschiebe. Im Nachbardorf gingen dann die Raketen nieder.Die Menschen in der Provinz Idlib fliehen zu Hunderttausenden, die meisten von ihnen Frauen und Kinder, sie verlassen ihre Häuser, ihre Dörfer, auf den Straßen Richtung Norden stauen sich die Autos und Lastwagen. Sie alle sind Vertriebene im eigenen Land, manche sind schon zwei, drei oder viermal weitergezogen. Menschen, die Diktator Baschar al-Assad und seine Verbündeten Russland und Iran vor sich hertreiben, einkesseln. Recht viel weiter nach Norden können die Menschen nicht fliehen. Die türkische Grenze ist geschlossen. In den Camps fehlt es an Zelten, Lebensmitteln, Medikamenten. Das alles bei brutaler Kälte. Es ist die wohl letzte grausame Schlacht des syrischen Bürgerkriegs.Da ist zum Beispiel Ibrahim, dessen Kinder dringend eine Operation brauchen. Doch Assad hat viele Krankenhäuser bombardiert, die Ärzte, sagt er, seien geflohen. Oder die 57-jährige Mariam. Sie sagt: "Stoppt endlich diese Gewalt!" Der SPIEGEL hat mit Geflüchteten gesprochen. Lesen Sie hier ihre Schicksale.Mostafa Abo Tayr, 42, Bauarbeiter aus Sarmin"Vor zwei Wochen drangen Assad-Truppen ungefähr neun Kilometer an unsere Stadt heran. Sie schossen auf unseren Ort. Die meisten Leute flohen. Aber ich habe kein Geld, ich kann mir kein Auto leisten, um mit meiner Frau und den Kindern zu fliehen. Ich habe sechs Söhne und Töchter, mein jüngster Sohn ist fünf Monate alt.Dann traf eine russische Rakete unser Haus. Sie zerstörte fast alles, außer jenen Raum, in dem meine Familie und ich zusammensaßen. Wir überlebten, wie durch ein Wunder. Gott hat uns geschützt. Dann musste alles ganz schnell gehen. Wir flohen aus dem Haus, ich trug meinen Sohn auf den Arm, alles war voll Rauch und Staub, wir konnten gar nicht richtig sehen, wohin wir gingen. Als wir die Straße erreichten, schlug ein zweites Geschoss im Ort ein und tötete acht Menschen. Da wusste ich, es gibt kein Zurück. Wir flohen in eine andere Stadt, ohne ein Dach über dem Kopf, wir schliefen in Hauseingängen, mit Kartons legten wir den kalten Boden aus.Mittlerweile sind wir in einer Lagerhalle untergekommen, die zu einem Flüchtlingslager umfunktioniert wurde. Es gibt hier kein Essen, keine Decken, ich habe mich seit 15 Tagen nicht mehr waschen können. Frauen und Männer sind in dem Camp getrennt. Ich wünschte, ich hätte wenigstens ein eigenes Zelt für meine Familie." Lubna Saad, 28, Kinderärztin aus einem Vorort von Idlib-Stadt"Immer wenn die Bomben fallen, überkommt meinen zweijährigen Sohn panische Angst. Wir haben alle Angst vor Assads barbarischer Armee. Als die Luftangriffe auf unser Viertel losgingen, kam ich gerade von einer Nachtschicht im Krankenhaus nach Hause. Wir flohen, so schnell es ging, ich nahm nicht einmal mein Hochzeitsfoto mit. Wir haben den Luftangriff dieser Nacht überlebt, aber die Wunden, die wir davontragen, werden nie ganz heilen.Ich arbeite jetzt wieder in einem Krankenhaus und versorge dort Kinder. Viele leiden unter Bronchitis, viele haben seit Tagen nichts gegessen. Es gibt kaum Medikamente, vor allem die Milch, die wir unterernährten Babys geben, wird knapp. Ein bis zwei Kinder sterben jeden Tag in unserem Krankenhaus. Mein Sohn und seine Cousins spielen nun oft "Vertreibung". Sie packen dann ihre Sachen ganz schnell zusammen und spielen, wie sie in einen neuen Ort flüchten.Wir hatten Glück, haben nahe der türkischen Grenze in der Wohnung von Verwandten Zuflucht gefunden. Überall in der Stadt müssen Vertriebene mit ihren Kindern auf den Straßen oder in Moscheen schlafen, es gibt keine Zelte mehr zu kaufen.Auf meine Fragen kann mir niemand Antworten geben: Wird das syrische Regime Idlib einnehmen? Wann wird es eine Waffenruhe geben? Wir haben keine Chance, unsere Zukunft zu planen, das ist das Schlimmste an der Situation. Wir wissen nicht, wo wir uns niederlassen können, wie wir leben werden, wie unsere Kinder aufwachsen werden."Ibrahim Barakat, 26, aus Frakya in West Marat an-Numan"Plötzlich sah ich eine Drohne über unserem Haus fliegen. Da wusste ich: Bald würden die Raketen auch unser Dorf treffen. So kam es. Eine Rakete zerstörte unser Haus.Ich bat einen Freund, der bei der Hilfsorganisation Weißhelme arbeitet, mir ein Auto zu besorgen. Ich bin verantwortlich für eine große Familie. Meine beiden Kinder, drei Jahre und fünf Monate alt, meine Frau, meine Mutter, Tanten, Schwestern, die Schwiegermutter. Wir fuhren alle zusammen in einem Auto 150 Kilometer weit in die Stadt Azaz. Ein Onkel gewährt uns dort Unterschlupf in seinem Haus. Meine Kinder sind krank, seit der Geburt haben beide eine Fehlstellung an der Hüfte. Sie benötigen dringend eine Operation. Doch die Jets haben unser Krankenhaus zerbombt, die Ärzte sind geflohen, nur eine Krankenschwester ist geblieben.Auch meine Mutter braucht regelmäßig medizinische Hilfe für ihre Niere, sie ist Dialyse-Patientin. Ich habe versucht, sie über Schlepper in die Türkei zu schicken, damit sie dort behandelt wird. Doch die Schlepper verlangten 2000 Dollar. Wie soll ich das bezahlen? Mein Monatslohn betrug 60 Dollar, und im Moment verdiene ich gar kein Geld." Mariam Abdulkader, 57 Jahre alt, Hausfrau aus Atareb"Ich wollte noch einmal ins Haus gehen, um ein paar Decken einzupacken, dann hörte ich den Donnerhall einer Rakete. Da konnte ich nicht mehr, ich weinte und weinte, ich hatte Angst, Panik, ich hörte die Kinder schreien, ich konnte mich überhaupt nicht mehr bewegen. Mein Sohn musste mich aus dem Haus tragen. Wir haben nicht einmal die Haustür abgesperrt. Wir sind einfach losgefahren. Ich weiß noch, der Lastwagen war blau, ein Hyundai, die ganze Großfamilie musste darin Platz haben. Wir sind fast 30 Personen.Die Straße war voll mit Autos und Lastwagen, ein ganzer Konvoi, ein Tross mit nur einem Ziel: Weg von der Front, weg von den Kampfjets, nach Norden. Wir flohen nach Tarmanin. Doch auch hier warteten die Raketen und der Tod. Also flohen wir weiter nach Afrin. Im Flüchtlingscamp vor der Stadt gibt es 140 Zelte für 600 Familien. Keine Chance für eine Großfamilie wie uns. Wir sind nun in einem Zelt untergekommen, das eigentlich als Moschee diente.Alles, was ich mir wünsche, ist ein Dach über dem Kopf und Sicherheit für meine Familie. Es ist mir egal, wer diesen Krieg beendet. Putin, Assad, Erdogan! Stoppt endlich diese Gewalt!Zehn Jahre leide ich schon in diesem Land, viele meiner Freunde sind tot. Ich bin alt, ich habe keine Träume mehr." Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.Eine ausführliche FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier. Die Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt das Projekt seit 2019 für zunächst drei Jahre mit einer Gesamtsumme von rund 2,3 Millionen Euro – rund 760.000 Euro pro Jahr. 2021 wurde das Projekt zu gleichen Konditionen um knapp dreieinhalb Jahre bis Frühjahr 2025 verlängert. Ja. Die redaktionellen Inhalte entstehen ohne Einfluss durch die Gates-Stiftung. Ja. Große europäische Medien wie »The Guardian« und »El País« haben mit »Global Development« beziehungsweise »Planeta Futuro« ähnliche Sektionen auf ihren Nachrichtenseiten mit Unterstützung der Gates-Stiftung aufgebaut. Der SPIEGEL hat in den vergangenen Jahren bereits zwei Projekte mit dem European Journalism Centre (EJC) und der Unterstützung der Bill & Melinda Gates Foundation umgesetzt: die »Expedition ÜberMorgen « über globale Nachhaltigkeitsziele sowie das journalistische Flüchtlingsprojekt »The New Arrivals «, in deren Rahmen mehrere preisgekrönte Multimediareportagen zu den Themen Migration und Flucht entstanden sind. Die Stücke sind beim SPIEGEL zu finden auf der Themenseite Globale Gesellschaft .
Maria Stöhr
Familien kämpfen gegen die Kälte, Ärztinnen gehen die Medikamente aus: Augenzeugen berichten aus Idlib, wo sich das grausame Ende des syrischen Krieges abspielt.
[ "Globale Gesellschaft", "Syrien", "Bürgerkrieg in Syrien", "Grenzkonflikt zwischen Syrien und der Türkei", "Flüchtlinge", "Idlib" ]
Ausland
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2020-02-25T12:38:23+01:00
2020-02-25T12:38:23+01:00
https://www.spiegel.de/ausland/idlib-ein-bis-zwei-kinder-sterben-jeden-tag-in-unserem-krankenhaus-a-d03ed0c0-0e3d-4926-9d00-1e433c083ffc
Robert Habeck bei Anne-Will-Talk: »Ich bin auch nicht zufrieden mit der Bundesregierung«
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zeigt sich angesichts der Streitereien innerhalb der Ampelregierung zerknirscht. »Ich bin auch nicht zufrieden mit der Bundesregierung«, sagte Habeck am Sonntagabend in der ARD-Sendung »Anne Will« auf den Hinweis, dass viele Menschen mit der Bundesregierung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) unzufrieden seien. Habeck verweist stattdessen auf bisherige Erfolge der Koalition. »Die Leistungsbilanz ist nicht nur ordentlich, sondern die ist groß«, sagte der Vizekanzler. So habe die Regierung Deutschland sicher durch den Winter geführt, eine Gasmangellage vermieden und die Strom- und Gaspreise runterbekommen. Auch die Energie- und Lebensmittelpreise würden jetzt deutlich sinken.»In der Kür, also im Erscheinungsbild nicht geglänzt«»Aber natürlich haben wir in der Kür, also im Erscheinungsbild der Regierung jetzt nicht geglänzt. Das kann ja keiner behaupten«, sagte Habeck auch vor dem Hintergrund der regierungsinternen Auseinandersetzungen um das Heizungsgesetz. »An der Stelle kann man nicht zufrieden sein.« Die rot-grün-gelben Koalitionsparteien hatten sich in der vergangenen Woche darauf geeinigt, das Heizungsgesetz kurzfristig im Bundestag auf die Tagesordnung zu nehmen. Es handelte sich dabei um die erste Lesung, ein Gesetzesbeschluss erfolgt erst später mit der dritten Lesung. Bis dahin kann das Gesetz inhaltlich noch verändert werden. Dieser Einigung war ein wochenlanger Streit vorangegangen, indem sich vor allem FDP und Grüne anscheinend unversöhnlich gegenüberstanden. Kanzler Scholz, Minister Habeck und FDP-Chef Christian Lindner wurden schließlich zu den Verhandlungen zwischen den Fraktionschefs und ihrer Stellvertreter hinzugezogen, nachdem vorherige Vermittlungsversuche gescheitert waren (lesen Sie hier  mehr über den Verhandlungsmarathon). Die Regierung habe sich in den vergangenen drei bis vier Wochen aus dem »Loch rausgebuddelt«, in dem sie gesteckt habe, sagte Habeck. Die noch bestehenden Fragen zum Heizungsgesetz seien beantwortbar. »Alle arbeiten unter Hochdruck daran, juristisch saubere Texte hinzubekommen«, sagte der Minister. Jetzt kämen die Gesetze. »Wir haben das Klimaschutzsofortprogramm vorgelegt, wir haben das Klimaschutzgesetz vorgelegt«, nannte er Beispiele.
fek/dpa
Nach außen gibt die Bundesregierung derzeit kein gutes Bild ab – das räumt nun auch Vizekanzler Robert Habeck in einer Talkshow ein. Lieber will der Grüne über die bisherige »Leistungsbilanz« der Ampel sprechen.
[ "Robert Habeck", "Bundesregierung", "Anne Will (Talkshow)", "Olaf Scholz", "SPD", "Deutschland", "Christian Lindner" ]
Politik
Deutschland
2023-06-19T10:13:38+02:00
2023-06-19T12:25:49+02:00
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/robert-habeck-bei-anne-will-ich-bin-auch-nicht-zufrieden-mit-der-bundesregierung-a-44b7839a-45f9-4adf-a4f9-964701ee455f
Soli-Abschaffung: CDU-Politiker aus dem Osten gegen Brüderle-Idee
Berlin/Halle - Die Kritik aus dem Osten an dem jüngsten Brüderle-Vorstoß folgte prompt. Nach dem sächsischen Regierungschef Stanislaw Tillich hat sich auch Sachsen-Anhalts CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff kritisch zu der wieder aufgelegten Idee des FDP-Fraktionsvorsitzenden geäußert, den Solidaritätszuschlag abzuschaffen. "Der Soli ist eine allgemeine Deckungsquelle des Bundeshaushalts, der allen in Ost und West zugute kommt", sagte Haseloff der Online-Ausgabe der "Mitteldeutschen Zeitung". "Wer ihn weghaben will, der muss sagen, wo er sparen oder Ersatz herholen will." Er plädiere stattdessen "für eine Umbenennung des Soli, um klar zu machen, dass er für Infrastrukturmaßnahmen in ganz Deutschland eingesetzt wird". Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Bergner (CDU), sagte der Zeitung: "Die Solidarpaktleistungen dürfen keinesfalls gefährdet werden. Und der Solidaritätszuschlag ist eine Steuereinnahme, die ausschließlich in die Kassen des Bundes fließt. Wer hier streichen oder kürzen will, muss erklären, wie er die Konsolidierung des Bundeshaushalts bewältigen will." Rainer Brüderle hatte am Wochenende gefordert, der Solidaritätszuschlag solle nach der Wahl so schnell wie möglich zurückgefahren werden. Abgeschafft werden solle der Zuschlag 2019, wenn der Solidarpakt auslaufe. "Fast 30 Jahre nach seiner Einführung ist es dann Zeit für sein Ende", so Brüderle. Auch der CDU-Wirtschaftsrat fordert nach Informationen des SPIEGEL, den Soli zu senken. Sachsens CDU-Ministerpräsident Tillich hatte bereits erklärt, das Thema gehöre nicht jetzt auf die Tagesordnung, sondern solle in die Diskussion der Bund-Länder-Finanzbeziehungen einbezogen werden. Der "Welt" sagte er. "Wir müssen ja den Länderfinanzausgleich und eine Anschlussregelung an Solidarpakt II verhandeln. Hier könnte man auch den Solidaritätszuschlag mit einbeziehen." Der Soli wurde 1991 eingeführt. Derzeit macht er einen Zuschlag von 5,5 Prozent auf Einkommens- und Körperschaftsteuer aus. Seine Abschaffung steht schon lange auf der Agenda der FDP. Bislang scheiterte sie aber am Widerstand der Union.
ler/dpa
Mehrere Unionspolitiker aus Ostdeutschland machen sich für die Beibehaltung des Solidaritätszuschlags stark. Sie wehren sich gegen den jüngsten Vorstoß von FDP-Fraktionschef Brüderle, die Abgabe abzuschaffen. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff will den Soli einfach umbenennen.
[ "Rainer Brüderle", "Solidaritätszuschlag", "FDP", "Bundestagswahl 2013", "Merkels schwarz-gelbe Regierung 2009-2013", "Stanislaw Tillich", "Reiner Haseloff" ]
Politik
Deutschland
2013-03-18T07:10:00+01:00
2013-03-18T07:10:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/soli-abschaffung-cdu-politiker-aus-dem-osten-gegen-bruederle-idee-a-889403.html
Uran-Munition: Erster deutscher Soldat mit "Balkan-Syndrom"?
Berlin - Die "Bild-Zeitung" meldet, es handele sich um einen ehemaligen Zeitsoldaten aus dem niedersächsischen Uelzen, der zwischen August und November 1997 als Unteroffizier im bosnischen Mostar bei einer Instandsetzungs-Einheit stationiert gewesen sei. Der heute 25-Jährige sei 1998 an Leukämie erkrankt. Die Zeitung zitierte den früheren Soldaten mit den Worten: "Ich war sehr traurig,dass die Bundeswehr bekannt gab, dass es keinen deutschenSoldaten gibt, der erkrankt ist. Denn sie wissen von mir." Eine Stellungnahme des Verteidigungsministeriums zu dem"Bild"-Bericht war am Freitagabend in Berlin nicht zu erhalten. Den Informationen der Zeitung zufolge wurde der 25-Jährige ein halbes Jahr lang in einem Oldenburger Krankenhaus behandelt und gilt heute als geheilt. Er sei am 31. März vorigen Jahres aus der Bundeswehr ausgeschieden.Uran-Geschosse wurden von der Nato in Bosnien und imFrühjahr 1999 im Kosovo gegen Panzer und Befestigungeneingesetzt. Medienberichten zufolge wurden von der Nato 31.000Geschosse mit abgereichertem Uran im Kosovo-Krieg eingesetzt.Abgereichertes Uran hat ein hohes spezifisches Gewicht und wirddeswegen in den Spitzen von Raketen, Granaten und Kugelneingesetzt, um deren Durchschlagskraft insbesondere gegengepanzerte Ziele zu erhöhen. Beim Aufprall kann das Uran zueinem radioaktiven Staub pulverisiert werden.Italien fordert von der Nato Aufklärung über die Fälle vonsechs Soldaten, die nach ihrem Einsatz im ehemaligen Jugoslawienin den 90er Jahren an Blutkrebs starben. In Belgien soll es fünfund in Portugal einen ähnlichen Fall geben. In Frankreich sindvier ehemalige Friedenssoldaten an Blutkrebs erkrankt. Die Nato-Friedenstruppe Sfor hat erklärt, die während des Bosnien-Kriegs1994 und 1995 eingesetzte Uran-Munition berge nur ein zuvernachlässigendes Risiko.
In mehreren Nato-Armeen sind Leukämie-Fälle bei Soldaten aufgetreten, die auf dem Balkan stationiert waren. Die Bundesregierung betonte bisher, kein deutscher Soldat in Bosnien oder im Kosovo sei mit Uran-Munition verseucht worden. Angeblich gibt es nun doch einen ersten deutschen Fall.
[]
Politik
Deutschland
2001-01-05T20:51:07+01:00
2001-01-05T20:51:07+01:00
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/uran-munition-erster-deutscher-soldat-mit-balkan-syndrom-a-111002.html
Wirtschaftskrise: Immer mehr Griechen verüben Selbstmord
Athen - Die Wirtschaftskrise in Griechenland treibt immer mehr Menschen in den Tod. Zählte die Polizei im Jahr 2009 noch 677 Suizide und Suizidversuche, waren es ein Jahr später 830 und 927 im Jahr 2011. Das geht aus einer am Freitag vorliegenden Antwort des zuständigen Ministers Nikos Dendias auf eine Parlamentsanfrage hervor. Die Zahl wird voraussichtlich auch in diesem Jahr steigen: Bis zum 23. August zählte die Polizei 690 Fälle. Aus den Zahlen wird nicht deutlich, wie viele der Suizidversuche tödlich endeten.Griechenland steht 2013 das sechste Jahr in der Rezession bevor. Jeder Fünfte hat keine Arbeit. Die Wirtschaftskraft des Landes schwindet immer weiter. Viele Griechen machen die Euro-Staaten und den Internationalen Währungsfonds für ihre Lage verantwortlich. Die Gläubiger fordern als Gegenleistung für Milliardenkredite Reformen und Sparmaßnahmen. Zum Symbol für die Probleme des Landes wurde ein 77 Jahre alter Apotheker, der sich im April vor dem Parlamentsgebäude in Athen erschoss. In seinem Abschiedsbrief schrieb der Mann, er wolle nicht im Müll nach Nahrung suchen.
vme/Reuters
Es sind alarmierende Zahlen: Inmitten der Wirtschaftskrise steigt die Zahl der Suizide und Suizidversuche in Griechenland auf ein Allzeit-Hoch. Im Jahr 2011 zählte die Regierung in Athen knapp tausend Fälle. Dieses Jahr könnten es noch mehr sein.
[ "Finanzkrise in Griechenland", "Ausschreitungen in Griechenland", "Europäische Union", "Haushaltspolitik", "Konjunktur" ]
Ausland
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2012-11-23T13:26:00+01:00
2012-11-23T13:26:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/ausland/wirtschaftskrise-immer-mehr-griechen-verueben-selbstmord-a-868936.html
Seifenoper der Urzeit
Oxfordshire, England, 149 000 000 vor Christus: Der grauenvollste Räuber der Jurazeit hält auf stämmigen Hinterbeinen am Felsstrand Ur-Britanniens Ausschau nach Beute. Mit kleinen Augen fixiert der Riese wachsam die Wellen und wartet auf den perfekten Fang. Plötzlich schießt ein baumhohes, schwarz-weiß geschecktes Maul aus dem Wasser und schnappt nach dem Landtier. Happs. Wasser schäumt, Musik schwillt an, messerscharfe Zähne reißen den Dinosaurier in die tiefblaue See. »Cruel Sea«, grausames Meer, heißt die dritte von sechs Folgen einer neuen Dokumentation des britischen Fernsehsenders BBC, die am vergangenen Montag rund die Hälfte der englischen Fernsehzuschauer vor die Glotze bannte. Mehr als zwölf Millionen schauten zu, wie das schwimmende Riesenreptil Liopleurodon den Eustreptospondylus zerfleischte, der delfinartige Ophthalmosaurus unter Wasser ein Junges zur Welt brachte und der Flugsaurier Rhamphorhynchus elegant Fische fing. Damit ist die Serie mit dem Titel »Walking with Dinosaurs« der Gassenfeger des englischen Fernsehherbstes und gilt schon jetzt als populärstes Wissenschaftsprogramm aller Zeiten. »Das größte Ding im Fernsehen in 200 Millionen Jahren« (BBC-Eigenwerbung) versetzt derzeit ganz England ins Echsen-Fieber. Ab 11. November ist das Dino-Drama auf Pro Sieben auch in Deutschland zu sehen. »Die Dinosaurier regieren wieder die Welt«, schreibt die Londoner Tageszeitung »The Mirror«. »Und wenn nicht die Welt, dann zumindest die Vorstellungskraft.« Zum Minutenpreis von rund 100 000 Mark tummelt sich in »Walking with Dinosaurs« ein Panoptikum reptilischen Lebens auf der Mattscheibe, das es so noch nie zuvor zu sehen gab. Eine Herde 20 Tonnen schwerer und 30 Meter langer Sauropoden der Gattung Diplodocus stampft da im Gänsemarsch über jurassisches Weideland. Urzeit-Räuber Postosuchus pinkelt im Jahre 220 Millionen vor Christus auf den heißen Steppensand, um sein Revier zu markieren. In der Episode »Gigant des Himmels« erheben sich Flugsaurier der Gattung Ornithocheirus mit einer Spannweite von bis zu zwölf Metern majestätisch in die Lüfte. »Wir zeigen, wie sich die Dinosaurier bewegten, wie sie lebten und starben, wie sie jagten, sich fortpflanzten und ihre Jungen aufzogen«, sagt Tim Haines, Produzent der Filme. »Diese Serie gibt den Leuten das Gefühl, lebende, atmende Kreaturen in ihrem natürlichen Lebensraum zu sehen. Ich bin sehr stolz darauf, dass wir das geschafft haben.« Für den Sprung in den Olymp der Fernsehmacher konnten Haines und sein Team aus dem Vollen schöpfen. Rund 18 Millionen Mark hat die Produktion der Serie gekostet. Mit modernsten Animationstechniken ist es den Fernsehmachern gelungen, etwa 40 Saurierarten in verblüffend echt wirkenden Bildern wieder auferstehen zu lassen. 150 Minuten des insgesamt dreistündigen Werkes sind mit Echsen unterschiedlichster Art bestückt - Steven Spielbergs Dino-Drama »Jurassic Park« brachte gerade knapp zehn Minuten ein animiertes Reptil auf die Leinwand. Die Dramaturgie gleicht dabei verblüffend der Machart konventioneller Tierfilme. Jede Episode folgt einzelnen Dino-Protagonisten durch die Wirren des urzeitlichen Lebens. Ständig droht der Unbill der Naturgewalten und die Gefahr aus dem Dickicht. Fast ein Wunder, dass nicht plötzlich Heinz Sielmann mit einem Diplodocus-Jungen auf dem Arm die Szene betritt und treuherzig in die Kamera spricht. Das Geheimnis der naturgetreuen Saurier ist eine Kombination verschiedener Computer- und Trickfilmtechniken, die schon in »Star Wars« oder »Jurassic Park« zum Einsatz kamen. Jede der Kreaturen startete ihre Existenz als eine einen halben Meter hohe Ton- oder Plastilin-Skulptur, deren Form von der Londoner Animationsfirma »FrameStore« mittels Lasertechnik eingescannt und im Computer in ein dreidimensionales Modell verwandelt wurde. Mit einem virtuellen Skelett und farbiger Haut versehen, konnten die Tiere dann im Rechner beliebig vervielfältigt und in jede denkbare Position bewegt werden. Für Nahaufnahmen der Saurierköpfe fertigten Techniker der Firma »Crawley Creatures« zusätzlich so genannte Animatronics an: Hightech-Puppen aus Latex und Aluminium mit ferngesteuerten Details wie beweglichen Nasenlöchern und Augen. Große Puppen wie etwa der Kopf des Tyrannosaurus wurden zwecks Animation über die Körper von Teammitgliedern gestülpt. Die kleineren Dinosaurierköpfe kamen als Handpuppen zum Einsatz. Das größte Problem hatten Haines und sein Team jedoch damit, die Tiere schließlich zum virtuellen Leben zu erwecken. Denn aus den Knochenresten, die Paläontologen aus der Erde graben, lässt sich zwar Größe und Form der Echsen herauslesen. Wie sich die Saurier verhalten haben, liegt jedoch noch weitgehend im Dunkeln. »Wir versuchen, die Geschichte der Tiere an bekannten Fakten entlang zu erzählen«, sagt Haines. »Aber letztlich bleiben doch riesige Lücken, die wir mit dem füllen, was Forscher kreative Logik nennen - wir denken uns etwas aus.« Als Berater spannte Haines acht Dinosaurier-Experten für die Serie ein. Über 100 weitere Spezialisten wurden für die Dreharbeiten etwa zur Größe von Fußabdrücken oder zur Konsistenz von Dinokot befragt. Das Team studierte Elefanten und Nilpferde, um zu ergründen, wie die großen Dinosaurier-Arten gelaufen sein könnten. Die Angriffstaktik von heute lebenden Wölfen lieferte die Vorlage für Saurier-Attacken. Und bei der Farbe der Echsenhaut orientierten sich die Techniker an der Tarnfärbung von lebenden Reptilien und Meerestieren. Der Dino-Sex bereitete Haines und seinem Team Schwierigkeiten. Über 150 Millionen Jahre bevölkerten die Dinosaurier die Erde und hatten offenbar kein Problem mit der Fortpflanzung. Wie aber ein 20-Tonnen Diplodocus-Bulle seine Partnerin am rund 15 Meter langen Schwanz vorbei bestiegen haben könnte (Film-O-Ton: »Sie hat zehn Extratonnen auf dem Rücken."), blieb weitgehend der Phantasie der Macher überlassen. »Es war schwierig, die Tiere für die Fortpflanzung nah genug zueinander zu positionieren«, erzählt Haines. »Wir wissen noch nicht einmal, ob die Männchen überhaupt einen Penis hatten.« Die ganze Kreativität des Teams war schließlich bei den Dreharbeiten gefordert. Denn erst vor eine echte Landschaft projiziert, gruppieren sich die computeranimierten Echsen zu überzeugendem Dinosaurier-Treiben. Um die halbe Welt reiste das Drehteam auf der Suche nach landschaftlichen Überbleibseln aus prähistorischen Zeiten. Schließlich gaben chilenische Lava-Wüsten, kalifornische Redwood-Wälder und neukaledonischer Dschungel die idealen Kulissen ab. Vor Ort musste das Team häufig als Platzhalter für die Dinos herhalten, die erst im Nachhinein digital in die Aufnahmen eingepasst wurden. Dort, wo später ein Tyrannosaurus rex entlangspazieren sollte, wurde am Astwerk geruckelt. Um das Geplansche eines Velociraptors im Dschungelfluss zu repräsentieren, zündeten die Fernsehmacher im Wasser kleine Granaten. Crew-Mitglieder liefen in riesenhaften Dino-Schuhen durch den Urwald, um authentische Fußstapfen zu erzeugen. Das Ergebnis ist fast so überzeugend wie Sielmanns »Expeditionen ins Tierreich« und begeistert neben der britischen Öffentlichkeit sogar viele Experten. »Die Tiere, die wir seit Jahren erforschen, sind zum Leben erweckt worden«, schwärmt etwa der Paläontologe David Martill von der University of Portsmouth. Und David Norman, Dinosaurier-Experte an der University of Cambridge, glaubt sogar, bei den Dreharbeiten etwas gelernt zu haben: »Meine Vorstellung davon, wie die Gelenke der Dinosaurier funktionierten, hat sich etwas verändert.« Neben aller Euphorie über »Walking with Dinosaurs« stößt gerade die perfekte Illusion der Filme auch auf Kritik. Einige Experten bemängeln, dass die als Wissenschaftsprogramm beworbene Serie Fakten und Phantasien unzulässig vermischt. »Vieles ist reine Spekulation«, kritisiert etwa Paul Barrett, Paläontologe an der University of Oxford. »Die Zuschauer können unmöglich entscheiden, ob etwas gut möglich, wahrscheinlich oder total falsch ist.« So lebt im Dino-Film der Säuger-Vorfahr »Cynodont« in unterirdischen Bauen und monogam, legt Eier und säugt seine rosigen Jungtiere. Das Reptil, immerhin schon vor rund 200 Millionen Jahren ausgestorben, wackelt mit dem Schwänzchen wie Nachbars Waldi und frisst, bedroht von einer Rotte fieser Coelophysis-Saurier, sogar seine eigenen Jungen auf. »Die Serie trivialisiert die Forschung, die sie repräsentieren will«, sagt Barrett streng. »Die BBC hat eine Seifenoper produziert.« Auch Angela Milner vom Natural History Museum in London ist skeptisch. »Einige Animationen sind phantastisch«, so die Paläontologin. »Doch viele Spekulationen werden unglücklicherweise als Fakten präsentiert.« Tim Haines ficht die Nörgelei nicht an. »Nichts in der Serie ist nachweislich falsch«, sagt der TV-Produzent, der schon im zarten Alter von elf Jahren zum Saurier-Fan wurde. In der Paläontologie gebe es ohnehin kaum harte Fakten. Selbst das Zusammensetzen eines Saurier-Skeletts im Museum gründet auf Spekulationen. »Wir haben die Serie so wissenschaftlich wie nur irgend möglich gemacht«, sagt Haines. »Natürlich werden die Tiere niemals auferstehen und unsere Annahmen bestätigen.« Angesichts der Furcht erregenden Fressmaschinen in der Dino-Saga kann man da nur dankbar sein. PHILIP BETHGE
Philip Bethge
Eine TV-Serie der BBC lässt die Dinosaurier in atemberaubender Perfektion wieder auferstehen. Die computeranimierten Urzeit-Echsen fressen, pinkeln, jagen und haben Sex. Doch unter Forschern sind die Dino-Filme umstritten.
[ "BBC" ]
Wissenschaft
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1999-10-24T13:00:00+02:00
1999-10-24T13:00:00+02:00
https://www.spiegel.de/wissenschaft/seifenoper-der-urzeit-a-452255ba-0002-0001-0000-000014977473?context=issue
Ungeordneter Rückzug
PD-Chef Willy Brandt schlug Alarm. »Einige Kurzsichtige und einige nicht ganz Informierte«, so schalt der Kanzler am letzten Dienstag vor der Bonner SPD-Fraktion. hätten die Ostpolitik der sozialliberalen Bundesregierung ins Zwielicht gebracht.Brandts Unmut galt acht linken SPD-Parlamentariern und einigen prominenten Genossen im Lande, die mit dem Chef der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), Kurt Bachmann, zu einem »Kongreß über Fragen der europäischen Sicherheit« eingeladen hatten. Durch ihre gemeinsame Aktion mit den Kommunisten hatten die SPD-Mitglieder -- unter ihnen der rheinland-pfälzische Partei-Vorsitzende Wilhelm Dröscher. der Jungsozialisten-Chef Karsten Voigt und Frankfurts Oberbürgermeister Walter Möller -- den roten Buhmann deutscher Bürger wieder erweckt: das Gespenst einer Volksfront zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten. Deutschlands flechte, die schon den Moskauer Vertrag (Strauß: »Büchsenöffner des Unheils") und den Besuch des SPD-Vize Herbert Wehner beim jugoslawischen KP-Chef Tito zur Schreckensvision einer SPD/KP-Einheitsfront umgedeutet hatten, sahen eine Chance, ihre Propaganda zu untermauern. CDU-Sprecher Willi Weiskirch prophezeite, das Frankfurter »Meeting« werde »die Kadergruppe einer neuen Volksfront präsentieren«, und Axel Springers »Welt« forderte, die SPD müsse »erklären, was sie davon hält, daß Schulter an Schulter mit führenden Kommunisten auch einige ihrer Bundestagsabgeordneten zu dieser Volksfront-Begegnung« aufgerufen hätten. Was Weiskirch und der »Welt« als konzertierte Aktion der Roten erschien, war freilich eher ein Produkt aus Zufällen und Mißverständnissen. Im Mai dieses Jahres hatten Altsozialist Walter Fabian, Professor und Chefredakteur der DGB-Zeitschrift »Gewerkschaftliche Monatshefte«, Philipp Pless, DGB-Vorsitzender und SPD-MdL in Hessen, und Karl Gerold, Herausgeber der »Frankfurter Rundschau«, in Briefen an etwa 50 linke Leute »im Sinne von Brandts Ostpolitik« (Fabian) die baldige Einberufung einer europäischen Sicherheitskonferenz propagiert. Am 11. Juli trafen sich 30 Interessenten im Frankfurter Inselhotel und beschlossen, mit einem Kongreß in der Paulskirche, dem Nationalheiligtum der deutschen Liberalen, für Entspannung zwischen Ost und West zu werben.Die Organisation des Treffens überließen die Frankfurter dem Fabian-Adlatus Gunnar Matthiessen, 31. Von ihm wußten sie nur, daß er sich um die Anti-Notstands-Kampagne in Nordrhein-Westfalen verdient gemacht hatte, nicht aber, daß er »mit der DKP eng zusammenarbeitet« (Matthiessen).Dem rührigen DKP-Freund gelang, was bislang kaum jemand vermocht hatte: Er brachte Kommunisten -- wie Bachmann -- und Linkssozialdemokraten -- wie Dröscher -- zu gemeinsamer Aktion. Zusammen mit rund 40 anderen Entspannungs-Freunden luden die beiden mehr als 200 Sympathisanten für den 10. und 11. Oktober zum Frankfurter Kongreß ein, 104 sagten zu -- unter ihnen auch der Autor des Romans »Fabian«, Erich Kästner. Als erstem kamen dem hessischen DGB-Chef Pless Bedenken, die linke Koalition könnte die Volksfront-Neurose der Bundesbürger schüren. Pless warnte deshalb Bachmann, er dürfe nicht versuchen, die DKP-Beteiligung demonstrativ herauszustellen.Doch Organisator Matthiessen nahm in die Liste der 104 neben Bachmann auch die DKP-Führer Kurt Erlebach, Helmut Rödl und Grete Thiele auf.Matthiessens einsamer Entschluß kam erst heraus, als Willy Brandt am Dienstag letzter Woche die Fraktion alarmierte. Verstört meldeten sich die gescholtenen Unterzeichner Wilhelm Dröscher, Karl-Heinz Walkhoff und Friedrich Beermann zu Wort. Sie forderten den Kanzler auf, Material über die angebliche kommunistische Unterwanderung des Frankfurter Initiativ-Kreises vorzulegen. Die Parteispitze lieferte prompt. Am Mittwoch legte sie linken Abgeordneten Verfassungsschutz-Berichte vor, mit denen bewiesen werden sollte, daß die DKP den Kongreß umfunktionieren wolle. Die SPD-Unterzeichner traten einen ungeordneten Rückzug an: > Am Mittwoch nahmen die Abgeordneten Karl-Heinz Hansen, Karl Bechert und Friedrich Beermann ihre Unterschrift zurück, weil sie sich »nicht von den Kommunisten überfahren lassen« wollten (Hansen).* Am selben Tag bekundete ihr Kollege Karl-Heinz Walkhoff, er selbst und Wilhelm Dröscher würden bei der Aktion »weiter mitarbeiten«.* Am Donnerstagmorgen erklärte Dröscher, Walkhoff habe ihn tags zuvor nicht gefragt; auch er wolle sich nun nicht mehr für den offensichtlich DKP-gesteuerten Kongreß einsetzen. Dröscher: »So verrückt sind wir nicht.« * Am Donnerstagnachmittag stellte Juso-Chef Karsten Voigt fest, er habe seine Vorstands-Kollegen von der Aktion nicht informiert und zudem überhaupt nicht unterschrieben.* Am Donnerstagabend protestierten sieben der acht betroffenen MdB nach vierstündiger Beratung dagegen, daß der Kongreß »von uns nicht gebilligten Zwecken dienstbar gemacht werden soll«, und sagten ihre Teilnahme ab.* Am selben Abend gab Frankfurts Oberbürgermeister Möller zu Protokoll, er habe sich schon vier Tage zuvor dagegen verwahrt, daß sein Name zusammen mit der DKP-Prominenz auf der Unterschriftenliste geführt werde. > Am Freitagvormittag schließlich stimmte auch der anfangs standhafte Kongreß-Promoter Walkhoff dem Rückzugspapier seiner Kollegen zu. Trotz ihrer schlechten Erfahrung mit der DKP und der Volksfront-Propaganda von rechts finden die SPD-Linken das Ziel des Frankfurter Kongresses »nach wie vor sehr vernünftig« (Pless). Juso-Chef Karsten Voigt will auch gemeinsamen Aktionen mit Kommunisten nicht grundsätzlich abschwören. Voigt: »Eine Sache wird ja nicht dadurch schlecht, daß sie auch von Kommunisten unterstützt wird. Aber die DKP-Leute müssen lernen, daß sie uns nicht überfahren können. Wir sind mindestens ebenso geschickt wie sie.«
[ "DKP", "SPD", "Karsten Voigt" ]
Politik
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1970-09-20T13:00:00+01:00
1970-09-20T13:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/ungeordneter-rueckzug-a-4a43b068-0002-0001-0000-000044904871?context=issue
Platzeck-Biografien: Rücktritt eines Bestsellers
Am Montag morgen, neun Uhr, war Christoph Seils auf Seite 50. Das Manuskript, an dem er seit Monaten schrieb, trug den Arbeitstitel "Platzeckbiografie". Eben hatte sich Seils an den Schreibtisch in seiner Kreuzberger Wohnung gesetzt und den Computer hochgefahren. Er wollte dort weitermachen, wo er abends zuvor aufgehört hatte. Er wollte beschreiben, wie der Hygieneinspekteur Matthias Platzeck im Wendejahr 1989 Mitglied des "Runden Tisches" in der DDR wurde. Um neun Uhr eins unterbrach er die Geschichte, "um kurz im Internet zu schauen, was in der Welt da draußen so passiert". "Platzeck tritt vom Parteivorsitz zurück", las Seils. Im selben Augenblick wusste er, "dass es erst mal keinen Sinn macht weiterzuarbeiten". Seit Weihnachten hatte der Autor einen klaren Auftrag: "Herausfinden, wer Matthias Platzeck ist." Kurz nachdem der ostdeutsche Ministerpräsident im November so unerwartet schnell SPD-Vositzender geworden war, hatte der freischaffende Journalist die Idee: ein Buch schreiben über eine außergewöhnliche politische Karriere, über ein Stück deutsch-deutscher Geschichte. Gleich der erste Verleger war begeistert. Denn für die Wähler im Westen war Platzeck zu dem Zeitpunkt ein noch unbeschriebenes Blatt. Kaum einer kannte seine Geschichte, seine Ideen und Überzeugungen, oder seinen politischen Stil. Für Hoffmann und Campe roch das Projekt nach einem Bestseller. Für Seils bedeutete es Arbeit für ein ganzes Jahr. Abgeschrieben statt geschriebenSeit Weihnachten hat er über 50 Interviews geführt, hat sich mit alten Mitschülern getroffen, mit Lehrern, Professoren, Kollegen von damals und mit Parteifreunden von heute. Er ist dem SPD-Vorsitzenden im Wahlkampf von Magdeburg bis Stuttgart gefolgt, er hat Bücher gewälzt über ostdeutsche Geschichte und über die SPD, hat bergeweise Akten angesammelt. Das erste persönliche Gespräch mit Matthias Platzeck sollte letzte Woche stattfinden. Platzeck musste absagen, weil er zu der Zeit mit einem Hörsturz im Krankenhaus lag. Am Montagmorgen gestand er öffentlich ein, dass er die Partei aus gesundheitlichen Gründen nicht weiter führen kann. Das war "wie eine Vollbremsung von 180 auf Null", sagt Seils. Anfang 2007 sollte die Biografie erscheinen. "In einem Jahr aber", glaubt Seils, "interessiert sich kein Mensch mehr für Platzeck." So funktioniert Politik, so funktionieren Nachrichten. Wer entscheiden darf, ist wichtig. Und wer nichts mehr zu sagen hat, über den redet auch niemand. Das wissen auch die Buchverlage. Immer schneller bringen sie Sachbücher heraus über Personen oder Themen, die von der Tagespresse hochgejubelt werden. Politik spricht BändeAls Gerhard Schröder im Mai vergangenen Jahres Neuwahlen ankündigte, erschienen innerhalb kürzester Zeit acht Bände über Angela Merkel. Ob neu geschrieben oder neu verpackt - die ostdeutsche CDU-Vorsitzende und womöglich erste Kanzlerin der Republik war ein Kassenschlager. Als mit Matthias Platzeck der zweite Ostdeutsche die Führung einer Volkspartei übernahm, witterten die Verlage wieder schnelles Geld. Bereits Ende März präsentierte der Hugendubel-Verlag "Matthias Platzeck - Die Biografie", geschrieben von zwei Brandenburg-Korrespondenten des Berliner "Tagesspiegel". In nur vier Monaten hatten Michael Mara und Thorsten Metzner alle Informationen verwertet, die sie in jahrelanger Arbeit gesammelt hatten. Dass er krank war und überfordert von seinen drei Ämtern, das wussten sie nicht. "Das hat er selbst vor engen Vertrauten versteckt", sagt Metzner. Jetzt wissen es alle. Und ob Platzecks Gesicht auf dem Buchtitel nach den ersten zwei Verkaufswochen noch Käufer anlockt, da sind sich Verlag und Autoren nicht ganz sicher: Im Berliner SPD-Theater ist der Mann aus Potsdam künftig nicht mehr die Hauptfigur. Matthias Platzeck ist jetzt wieder "nur" Ministerpräsident in Brandenburg. Mara und Metzner werden weiter über das politische Karussell in Potsdam berichten, dem Platzecks Rückkehr neuen Schwung verliehen hat. Seils wird die Bücher über das Leben in Ostdeutschland zurück in die Bibliothek bringen. Er wird die Akten archivieren, das Dokument "Platzeckbiografie" speichern. Jetzt will er herausfinden, wer die neuen Hoffnungsträger in der SPD sind.
Miriam Schröder
Wenn Politiker die Macht ergreifen, greifen Autoren in die Tasten: Matthias Platzeck war ein Top-Thema für deutsche Verleger. Sein Rücktritt macht das Kalkül zunichte - und seine Biografie zum Ladenhüter.
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Kultur
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2006-04-12T16:55:43+02:00
2006-04-12T16:55:43+02:00
https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/platzeck-biografien-ruecktritt-eines-bestsellers-a-411065.html
Beckham-Tochter Harper Seven: A Star is born
Hamburg - Ranglisten gibt es viele auf der Welt: Die reichsten Menschen, die schönsten, diebestbezahlten Prominentenpaare, die am meisten überbezahltenSchauspieler, diemächtigsten Frauen. Das US-Magazin "Forbes" hat diese Ranglisten zu seinem Markenzeichen gemacht, und natürlich sollen die Entscheidungen diskussionswürdig sein, dazu sind sie da. Das Magazin "InStyle" ist nun vielleicht ein bisschen über das Ziel hinaus geschossen. Denn wie ernst kann man eine Rangliste nehmen, in der ein Baby gewinnt? Zu seinem zehnjährigen Jubiläum hat "InStyle" sich und seinen Lesern ein Ranking der zukünftig angesagtesten Promis geschenkt: 100 Menschen unter 25, die in zehn Jahren noch Schlagzeilen machen werden. Auf Platz eins landete:Harper Seven Beckham, zwei Monate alt, Tochter des Fußballstars David und der SängerinVictoria Beckham. Das dürfte die Eltern freuen, schließlich trugen sie selbst nicht unerheblich zum Bekanntheitsgrad ihrer Jüngsten bei - und veröffentlichtenBilder auf Twitter . Schärfste Verfolger der Beckham-Tochter sind ebenfalls Kinder heutiger Stars. Der dreijährige Zuma, Sohn von Sängerin Gwen Stefani, landete auf Platz zwei, sein zwei Jahre älterer Bruder Kingston wurde Dritter. Fast schon enttäuschend der vierte Platz von Suri, der fünf Jahre alten Tochter vonTom Cruise undKatie Holmes. Madonnas Tochter Lourdes (Platz 15), Teenie-IdolJustin Bieber (18.) und Disney-StarMiley Cyrus (20.) schafften es gerade noch unter die ersten 20. Deutlich abgeschlagen landeten heutige Prominente wie zum BeispielEmma Watson auf Platz 44. Glaubt man der Prognose von "InStyle", dürfte es vor allem für Lady Gaga schwierig werden, ihren Platz zu behaupten. Die 25-jährige Popsängerin, die derzeit zu den bekanntesten Menschen der Welt gehört, kamlaut MTV  in dem Ranking nur auf Platz 99.
hut
Wer ist schon Justin Bieber? Harper Seven gehört die Zukunft - davon ist zumindest das Magazin "InStyle" überzeugt und hat die zwei Monate alte Beckham-Tochter auf Platz eins eines Prominenten-Rankings gewählt. Ihre härtesten Verfolger sind ebenfalls im Kindergartenalter.
[ "David Beckham", "Victoria Beckham" ]
Panorama
Leute
2011-09-13T16:31:00+02:00
2011-09-13T16:31:00+02:00
https://www.spiegel.de/panorama/leute/beckham-tochter-harper-seven-a-star-is-born-a-786012.html
Vorstellungsgespräch: Was Bewerber an Unternehmen kritisieren
Wenn auch Sie von ungewöhnlichen Erfahrungen bei Ihrem Jobinterview berichten wollen, schicken Sie uns eine Mail mit Ihren Erlebnissen. Wie lief das Vorstellungsgespräch? Hat man Sie zuvorkommend oder abweisend behandelt? Und wie haben Sie auf absurde Sprüche oder Verhaltensweisen reagiert?Leseraufruf Vorstellungsgespräch (Einsendung gilt als Zustimmung zur Veröffentlichung. Wir werden die Beispiele im Artikel anonymisieren.) Ein Vorstellungsgespräch ist ein großer Auftritt - und ein folgenreicher dazu. Viele Bewerber bereiten sich wochenlang vor, auf alle möglichen und unmöglichen Fragen, wollen den perfekten ersten Eindruck hinterlassen. Was dabei oft vergessen wird: Nicht nur der Bewerber will sich in einem guten Licht präsentieren. Auch das Unternehmen stellt sich vor.Das ist oft ernüchternd: In einer aktuellen Umfrage kritisieren die Bewerber, dass potenzielle Vorgesetzte oft sehr schlecht vorbereitet zum Gespräch erscheinen. Wenn sie die Bewerbungsunterlagen überhaupt kennen, dann wurden sie nur hastig vor dem Termin überflogen. Nur gut die Hälfte der Kandidaten hat den Eindruck, dass der Chef sich wirklich mit der Bewerbung beschäftigt hat.Führt das Gespräch ein Mitarbeiter der Personalabteilung, liegt der Wert immerhin bei 73 Prozent - richtig beeindruckend ist aber auch das nicht. Und aus Sicht der Bewerber ist das Gespräch mit dem Personaler ohnehin meist nur zweite Wahl. Schließlich wollen sie die Leute kennenlernen, mit denen sie vielleicht in den nächsten Jahren eng zusammenarbeiten.Eis am Stiel beim InterviewDas wünschen sich 89 Prozent der Teilnehmer der Umfrage der Recruiting-Plattform Softgarden. "Unbedingt sprechen" wollen fast alle mit Führungskräften des Unternehmens, 52 Prozent auch mit künftigen Kollegen und lediglich 44 Prozent mit Mitarbeitern der Personalabteilung. Ebenso eindeutig ist die Antwort auf die Frage, wer über eine Einstellung entscheiden soll: Für 75 Prozent der Kandidaten sollen es Vorgesetzte sein, nur für zwölf Prozent die Personalabteilung.Diese Ergebnisse hat Softgarden im Januar bei einer Umfrage auf ihrem eigenen Bewerbungsportal ermittelt. Repräsentativ sind sie nicht, trotz einer Zahl von fast 1200 Teilnehmern, Durchschnittsalter 32 Jahre. Doch angesichts dieser Größenordnung sollten Unternehmen das Thema ernst nehmen. Die Ergebnisse passen leider auch zu den Erfahrungen vieler Arbeitnehmer: Sei es, dass sie im Vorstellungsgespräch mit falschem Namen angeredet wurden, oder dass der Geschäftsführer während des Gesprächs ein Eis am Stiel gegessen hat.Für das Image des Unternehmens sind solche Bewerbererfahrungen verheerend, denn sie sprechen sich herum. Wer so was erlebt, rät Freunden und Bekannten von einer Bewerbung dort ab, manche boykottieren sogar die Produkte der Firma.Die Teilnehmer der Softgarden-Umfrage haben auch ihre Wünsche für bessere Vorstellungsgespräche aufgeschrieben. Die prägnantesten: Wir möchten von Ihnen, liebe Leser, wissen: Welche ungewöhnlichen Erfahrungen haben Sie im Vorstellungsgespräch gemacht? Sind Sie auf gepflegtes Desinteresse gestoßen? Oder ganz besonders aufmerksam behandelt worden? War das Verhalten der Personalers eher schräg - oder vielleicht unerwartet herzlich? Und: Wie haben Sie reagiert? Matthias Kaufmann (Jahrgang 1974) ist KarriereSPIEGEL-Redakteur. Schicken Sie uns eine Mail mit Ihren Erlebnissen!
Matthias Kaufmann
Personaler vergessen den Namen des Kandidaten, Geschäftsführer schlecken nebenbei ein Eis: Vorstellungsgespräche laufen oft nicht so ab, wie sich Bewerber das wünschen, zeigt eine Umfrage. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
[ "Bewerbungen", "Fachkräftemangel", "Die ideale Bewerbung" ]
Job & Karriere
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2015-02-13T12:03:00+01:00
2015-02-13T12:03:00+01:00
https://www.spiegel.de//karriere/berufsstart/a-1018135.html
Waldbrandkatastrophe in Russland: Moskau verschwindet in gigantischer Rauchwolke
In meinem Schlafzimmer hängt eine Rauchwolke. Der weiß-graue, scharf nach verbranntem Torf stinkende Smog ist durch die sowjetisch-undichten Fenster ins Zimmer gezogen und weckt mich unsanft. Das beißende Brennen in der Nase hätte man notfalls noch eine Zeitlang ignorieren können. Doch als auch die Augen anfingen zu jucken, bin ich aufgestanden. Meine Wohnung liegt etwas südlich vom Moskauer Zentrum im vierten Stock einer Sechziger-Jahre-Mietskaserne. Schon seit Tagen umwabern Rauch und Smog von den brennenden Torffeldern rund um der Stadt den Bau. Bislang hatte ich standgehalten. Heute hat die Wolke gesiegt. Bloß raus. Noch vor der ersten Tasse Kaffee klemme ich das Notebook unter den Arm und fliehe. Nur, wohin? Vor der Haustür steht der Rauch wie eine Wand, heiße Luft bläst mir entgegen, als hätte jemand einen riesigen Föhn auf mich gerichtet. "34 Grad Celsius, leicht bewölkt", sagt das Online-Wetter. Ich kann nicht einmal die Umrisse der alten Schokoladenfabrik erkennen. Sie steht 150 Meter Luftlinie entfernt am anderen Ende des Innenhofs. Oder nicht? Das Haus ist weg, es sind keine Menschen zu sehen, ich höre auch nicht das vertraute Rasen der Autos auf der Straße Richtung Innenstadt. Dies könnte eine Szene aus einem Weltuntergangsfilm sein, die Sorte, bei der ein einzelner Held allein auf dem ausgestorbenen Planeten zurückbleibt.Dann tauchen im dichten Nebel Scheinwerfer auf. Ein paar Autos schleichen vorbei. Moskau lebt noch. "Wir tauschen verzweifelte Blicke aus und eilen weiter"Ich gehe langsam in Richtung Roter Platz und probiere verschiedene Atemtechniken aus. Wenn ich kurz und flach atme, ist das sicher besser als lang und tief, denke ich. Nach drei Minuten gebe ich auf. Dem Gestank kann man nicht entkommen. Die Luft sei zehnmal giftiger als normal, sagen Experten, die Kohlenmonoxid-Konzentration viermal höher als der zulässige Grenzwert. Und Moskau, der Zehn-Millionen-Molloch, gilt schon unter normalen Umständen nicht als Luftkurort. Die meisten Fußgänger, die mir entgegenkommen, tragen Mundschutz. Eine junge Frau in kurzem Kleid und hochhackigen Schuhen hat sich ein feuchtes Tuch vors Gesicht gebunden, ein Typ mit freiem Oberkörper Mund, Nase und Kopf mit etwas umwickelt, das aussieht wie eine Mullbinde. Wir tauschen verzweifelte Blicke aus und eilen weiter. Keiner will auch nur eine Sekunde länger draußen verbringen als nötig. Die Restaurants und Cafés entlang der Straße haben ihren Terrassen längst geschlossen. Nur beim Georgier räumen noch zwei Kellner Tische weg. Ich stürze ins erstbeste Café, das so aussieht, als könne es eine leistungsstarke Klimaanlage und WiFi haben. Treffer. Zum Cappuccino eine Agenturmeldung: Im Juli sind in Moskau 50 Prozent mehr Menschen gestorben als normalerweise, vor allem alte Menschen mit Herz- und Kreislaufkrankheiten. Die Krematorien der Stadt haben einen Annahmestopp verhängt. Statt bunter Zwiebeltürme der Basiliuskathedrale: nichtsWoanders steht, dass in Moskau die Vögel tot vom Himmel fallen. Bis gestern hätte ich die Meldung für eine maßlose Übertreibung der Boulevardpresse gehalten. Heute würde es mich nicht überraschen, wenn es tote Tauben direkt auf meinen Kopf regnete. Widerstrebend verlasse ich meine Frischluftoase. Die Kellnerin hat mich eineinhalb Stunden lang vor einer halben Tasse kalten Kaffees sitzen lassen. Normalerweise ziehen sie einem in Moskau sofort Teller und Tassen weg und fordern freundlich aber bestimmt zum Nachbestellen auf. Solidarität in der Krise?Ich kämpfe mich durch den Rauch, der mir immer dichter vorkommt, Richtung Kreml. Auf der Brücke über der Moskwa, an dem Punkt, an dem ich sonst immer anhalte und mich über die bunten Zwiebeltürme der Basiliuskathedrale freue, sehe ich heute außer Nebel: nichts. Plötzlich schiebt sich unter der Brücke ein offenes Touristenboot hervor. "Zu Ihrer Rechten könnten Sie den Kreml sehen", sagt die russische Führerin ins Mikrofon. Die Leute recken die Köpfe und verschwinden im Nebel. Es sieht aus, als führen sie auf dem Styx in die Unterwelt. "We see Kremlin only one time in life. Only one chance"Langsam fällt mir das Atmen schwer, von dem Brandgeruch kann einem übel werden. Aber auf dem Roten Platz wanken trotzdem mehrere Busladungen Touristen umher und mindestens drei Hochzeitspaare, manche mit Mundschutz. Ein älterer Japaner hat einen Hustenanfall. Er hält trotzdem weiter seine Kamera in Richtung Lenin-Mausoleum. "Warum sind Sie denn bei diesem Smog nicht im Hotel geblieben?", frage ich. "You know", sagt er, "we see Kremlin only one time in life. Only one chance." Dann knipst er weiter tapfer den dicken Smog. Ich habe nicht das Durchhaltevermögen eines japanischen Touristen und steuere das vietnamesische Kellerrestaurant, in dem ich diesen Text tippe, an. Würde der Mensch am Nebentisch nicht rauchen, wäre die Luft hier direkt frisch. Zum Eistee wieder beängstigende Nachrichten: Der Kreml bittet in einem verzweifelten Appell Freiwillige um Hilfe bei der Brandbekämpfung. Hunderte Feuer seien noch immer außer Kontrolle. Premier Wladimir Putins Regierungspartei Geeinigtes Russland, das hatte ich noch am Morgen gelesen, ist schon einmal mit schlechtem Beispiel vorangegangen. Auf der Seite der Partei war dieser Tage ein Foto von fleißigen jungen Brandbekämpfern aufgetaucht, die T-Shirts mit dem Logo der Putin-Partei trugen. Das Foto, so kam dummerweise heraus, ist zwei Jahre alt - den Rauch hatte man mit Photoshop hineinretouchiert. Anmerkung: In diesem Text hieß es zunächst, im Juli seien in Moskau doppelt so viele Menschen gestorben wie normalerweise. Tatsächlich waren es aber 50 Prozent mehr. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.
Passanten sind nur noch Schemen im beißenden Rauch. Wie ein Riesenföhn bläst der Wind den Menschen Hitze und Asche ins Gesicht: Die Lage in Moskau ist durch die nahen Waldbrände gespenstisch. SPIEGEL-ONLINE-Autorin Ann-Dorit Boy beschreibt, wie die Feuersbrunst ihre Stadt verändert.
[ "Waldbrände", "Russland", "Moskau", "Waldbrände in Russland 2010", "Tschernobyl" ]
Panorama
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2010-08-06T15:21:00+02:00
2010-08-06T15:21:00+02:00
https://www.spiegel.de/panorama/waldbrandkatastrophe-in-russland-moskau-verschwindet-in-gigantischer-rauchwolke-a-710535.html
Stimmen zum DFB-Sieg gegen Algerien: Mertesacker wütend
Hamburg - Er stand da, als hätte er gerade vier Gegentore verschuldet. Per Mertesacker sah abgekämpft aus, doch das war nicht das Auffälligste kurz nach diesem 2:1 nach Verlängerung gegen Algerien. Der Innenverteidiger machte ein Gesicht, das jeden im Umkreis sofort selbst eine Abwehrhaltung einnehmen ließ. ZDF-Reporter Boris Büchler war dennoch mutig und fragte, warum es eben nicht ganz zufriedenstellend gelaufen sei. Und Mertesacker antwortete: "Was sind das denn für Fragen? Völlig egal wie, Hauptsache, wir sind im Viertelfinale. Unter den letzten 16 Teams sind doch keine Karnevalstruppen. Was wollen Sie? Wollen Sie eine erfolgreiche WM, oder wollen Sie, dass wir ausscheiden? So kurz nach dem Spiel kann ich die ganze Fragerei nicht verstehen." Und falls es im ganzen Durcheinander untergegangen sein sollte: "Wir sind weiter. Wir sind happy." Natürlich sah er nicht so aus. Natürlich war er es trotz des Einzugs ins Viertelfinale nicht wirklich. Irgendwann trat er wütend ab. Wahrscheinlich nicht, um zu feiern. Was hatte er zuvor noch zu sagen? "Algerien hat es uns sehr schwer gemacht, und wir haben am Ende verdient gewonnen. Die haben uns nichts geschenkt. Wir haben gekämpft bis zum Ende. Ich lege mich jetzt drei Tage in die Eistonne, dann analysieren wir das Spiel, und dann sehen wir weiter." Gekühlt werden muss in jedem Fall auch das Gemüt. Die weiteren Stimmen:Bundestrainer Joachim Löw: "Das war ein Spiel zum Durchschnaufen. Am Ende war es ein Sieg des Willens. In der ersten Halbzeit haben wir uns schwer getan und viele Bälle verloren, in der zweiten Halbzeit und der Verlängerung waren wir dann schon die bessere Mannschaft.Eigentlich mussten wir das Spiel in der regulären Spielzeit entscheiden. Wir hatten wahnsinnig viele Chancen. Khedira und Schürrle haben der Mannschaft noch einmal einen Schub gegeben. Alle Spieler waren in der Verlängerung am Limit. Solch ein Spiel gibt es im Turnier mal, dass man sich durchkämpfen muss. Bastian Schweinsteiger hat erst das zweite Spiel von Anfang an gemacht, auch Sami Khedira hatte nicht so viel Praxis. Da muss man jetzt gucken, wie die Spieler bis zum nächsten Spiel regenerieren." DFB-Manager Oliver Bierhoff: "Aufgrund der vielen Chancen war es ein verdienter Sieg. Je weiter man kommt, um so weniger können wir uns erlauben. Jetzt kommt Frankreich. Wir müssen uns auf jeden Fall noch steigern."André Schürrle: "Wir hätten es auch lieber anders geregelt, aber Algerien hat es heute gut gemacht und uns von Anfang an gestört. Wir haben uns vor allem anfangs schwer getan, am Ende hätten wir aber schon in der regulären Spielzeit das Tor machen müssen. Aber egal wie, wir sind im Viertelfinale. Gegen Frankreich reicht das auf keinen Fall, die sind offensiv stärker, da müssen wir uns steigern. Aber ich bin zuversichtlich. Bei meinem Hackentor war Glück mit dabei, aber ich wollte den schon so aufs Tor bringen." Manuel Neuer: "Ich habe meine Spielweise nicht verändert. Ich spiele öfter so. Das hat der Platz hergegeben, weil es ein bisschen nass war. Alles ist zu erklären, wenn man es vernünftig analysiert. Mit Frankreich wartet eine harte Aufgabe auf uns. Als der André kam, war ein bisschen Zug drin. Das hat Schwung gebracht, das tat uns gut. Wir müssen zielstrebiger nach vorne spielen. Wir haben über 90 Minuten die Null gehalten." Madjid Bougherra (Algerien): "Ich bin schon sehr stolz auf diese Mannschaft. Wir haben der ganzen Welt gezeigt, dass Algerien eine tolle Mannschaft besitzt. Spätestens jetzt kennen alle unsere Qualitäten. Wir haben bis zum Ende alles gegeben. Es war eine tolle WM von uns."
fpf/sid/dpa
Deutschland steht im Viertelfinale, doch die Freude ist gedämpft. Per Mertesacker legt sich mit einem Reporter an und wird dabei ziemlich deutlich. Joachim Löw beklagt die Chancenauswertung, und Torschütze André Schürrle fordert gegen Frankreich eine andere Leistung.
[ "Fußball-WM 2014", "Fußballnationalmannschaft", "Fußball-Nationalteams", "Joachim Löw", "Miroslav Klose", "Mario Götze", "Per Mertesacker", "Algerien", "Proteste in Algerien 2019" ]
Sport
Fußball-News
2014-07-01T01:42:00+02:00
2014-07-01T01:42:00+02:00
https://www.spiegel.de/sport/fussball/stimmen-zum-dfb-sieg-gegen-algerien-mertesacker-wuetend-a-978433.html
USA: Drei Abgeordnete nach Sturm auf Kapitol positiv auf Corona getestet
Vor einer Woche hat ein Mob das US-Kapitol gestürmt, viele der im Gebäude anwesenden Parlamentarier flüchteten vor den Angreifern in Schutzräume. Zunächst berichteten am Dienstag zwei Abgeordnete der Demokraten, sie hätten sich dort mutmaßlich mit dem Coronavirus angesteckt. Nun ist noch eine weitere Infektion bestätigt. Nach Bonnie Watson Coleman und Pramila Jayapal teilte auch Brad Schneider laut der »Washington Post« mit, dass er positiv getestet worden sei. Jayapal hatte zuvor republikanische Parlamentarier für ihre Infektion verantwortlich gemacht. Die Republikaner hätten sich geweigert, im Schutzraum Masken zu tragen. Sie habe sich testen lassen, nachdem sie am vergangenen Mittwoch stundenlang in einem gesicherten Raum mit Kollegen ausharren musste, von denen viele keinen Atemschutz getragen hätten, berichtete Jayapal auf Twitter. Schneider sagte ebenfalls, er sei positiv auf das Virus getestet worden, nachdem er »mehrere Stunden an einem sicheren aber engen Ort mit mehreren anderen Kongressmitgliedern« verbracht habe. »Wir können es nicht länger tolerieren, dass Abgeordnete sich im Kongress versammeln, ohne das Mindeste zum Schutz Anderer zu tun«, sagte Schneider. »Viele Republikaner« hätten sich geweigert, ein Minimum an Vorsicht walten zu lassen und »mitten in einer Pandemie eine verdammte Maske in einem überfüllten Raum« zu tragen, erklärte die 55-jährige Jayapal. Damit hätten sie zusätzlich zu einem »inländischen Terrorangriff« noch für ein »Superspreader-Ereignis« gesorgt. Sie fügte hinzu, einige Republikaner hätten darüber hinaus noch Kollegen und Kongressmitarbeiter »verhöhnt«, als diese ihnen eine Maske anbieten wollten. Stunden zuvor hatte bereits Watson Colemans Büro mitgeteilt, dass die 75-Jährige unter leichten Covid-19-Symptomen leide und sich zu Hause ausruhe. Die Parlamentarierin nimmt demnach ebenfalls an, sich an ihrem Zufluchtsort innerhalb des Kapitols angesteckt zu haben. Nur wenige Stunden nach dem Sturm auf das Kapitol hatte etwa der republikanische Abgeordnete Jake LaTurner bekannt gegeben, dass er positiv auf das Virus getestet worden war.Biden nennt Maskenverweigerer »verantwortungslos«Auch im Internet verbreitete Aufnahmen zeigten, dass mehrere republikanische Parlamentarier es ablehnten, ihnen angebotene Atemschutzmasken anzuziehen, während sie sich in einem Ausschussraum vor den Randalierern verbargen. Der gewählte Präsident Joe Biden, der das Amt am Mittwoch kommender Woche antritt, nannte dieses Verhalten »verantwortungslos«. Hunderte Anhänger des abgewählten Präsidenten Donald Trump hatten am vergangenen Mittwoch das Kapitol gestürmt und dort stundenlang für Chaos gesorgt. Sie zerschlugen Fenster, verwüsteten Büros und besetzten Räume. Eine Trump-Anhängerin wurde im Kapitol von der Polizei erschossen, ein Polizist erlag am folgenden Tag seinen Verletzungen. Drei weitere Menschen starben am Rande der Ausschreitungen infolge medizinischer Notfälle.Mit bislang rund 375.000 Corona-Toten sind die USA das am schwersten von der Pandemie betroffene Land weltweit. Zuletzt kamen jeden Tag rund 3000 weitere Todesfälle hinzu. In ihrer Erklärung warf Jayapal den Masken-Verweigerern im Kongress vor, mit ihrer »egoistischen Blödheit« das Leben anderer gefährdet zu haben. Ihnen sollte künftig ein Platz im Sitzungssaal verweigert werden.
asc/fek/AFP/Reuters
Während des Angriffs aufs Kapitol waren die US-Abgeordneten in Schutzräume geflohen. Drei Mitglieder der Demokraten haben sich dabei offenbar mit dem Coronavirus angesteckt. Sie machen republikanische Maskenverweigerer verantwortlich.
[ "Sturm auf das US-Kapitol", "Demokraten (USA)", "USA", "Coronavirus" ]
Ausland
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2021-01-12T15:31:17+01:00
2021-01-12T15:31:17+01:00
https://www.spiegel.de/ausland/usa-zwei-abgeordnete-nach-sturm-auf-kapitol-positiv-auf-corona-getestet-a-8e8b9326-0236-4a55-b5b2-7007e363d2f0
Teures Leder
Der deutschen Lederindustrie wird -- so Verbandssprecher Stefan Berger -- »das Fell über die Ohren gezogen«. Weil die bisherigen Lieferanten Brasilien, Argentinien, Indien, Pakistan und die meisten afrikanischen Länder Exportverbote für Rinder-Häute und Felle verhängt haben, um eigene Lederindustrien aufzubauen, stiegen die Preise auf dem Weltmarkt in den letzten sechs Monaten um bis zu 100 Prozent. Verknappt wird das Angebot zudem durch sinkende Rinder-Schlachtquoten in westlichen Ländern. Spätestens im Sommer wird der Preispusch beim Verbraucher ankommen. Die Branche rechnet mit Teuerungen bis zu 20 Prozent.
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Wirtschaft
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1979-03-25T13:00:00+01:00
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https://www.spiegel.de/wirtschaft/teures-leder-a-9b719234-0002-0001-0000-000040351925?context=issue
Fernweh: Was du gegen die Traurigkeit nach einer Reise tun kannst
Dieser Beitrag wurde am 10.01.2017 auf bento.de veröffentlicht. Stefan fragt:Ich bin immer schon viel gereist, habe im Ausland studiert und meinen Urlaub verbringe ich prinzipiell nicht in Deutschland: Ich bekomme zwischendurch immer richtiges Fernweh und habe dann das Gefühl, ich kann es keinen Tag länger in meiner Heimatstadt aushalten. Noch schlimmer ist es eigentlich, wenn ich von Reisen zurückkomme. Nachdem ich zuletzt drei Wochen in Kalifornien war, bin ich in eine regelrechte Depression gefallen. Schon zurück am Flughafen habe ich ein beklemmendes Gefühl in der Brust bekommen, in der U-Bahn hätte ich heulen können. Mir fällt es dann ganz schwer, wieder in meinen Alltag zurückzufinden, ich bin schlecht gelaunt, kaufe Reiseführer über die Region, und klammer mich an das Gefühl, das ich auf dem Trip hatte. Was kann ich tun, damit mir das ein bisschen leichter fällt? Hilfe!Jeder hat mal Angst und Stress. Jeder fühlt sich mal hilflos, machtlos, überfordert. Wenn Freunde, Eltern oder Geschwister nicht weiterhelfen können, wollen oder sollen – dann melde dich bei uns . Die Psychologin Kathrin Hoffmann beantwortet in der Serie Über-Ich für bento ausgewählte Fragen, die wir anschließend veröffentlichen. Dabei ändern wir selbstverständlich alle Namen von Betroffenen. Die Psychologin Kathrin Hoffmann antwortet:Deiner Schilderung nach hast du große Schwierigkeiten, dich nach einer Reise wieder auf deine Heimat und deinen Alltag einzulassen. Offensichtlich löst das Reisen in dir Gefühle aus, die du immer wieder haben möchtest und dann auch nicht mehr "hergeben" willst. Beantworte dir zunächst folgende Fragen: Was genau ist es, das mich auf Reisen so glücklich sein lässt? Wofür steht das Reisen für mich? Welche Werte verbinde ich damit? Welche Aspekte meiner Persönlichkeit lebe ich auf Reisen besonders? Was davon lebe ich auch Zuhause? Wie kann ich mehr davon in meinen Alltag integrieren? Überlege dann, welche Einstellung du zu deinem Zuhause hast: Was gefällt dir, was nicht? Welche Menschen sind dir wichtig? Wie sieht dein Alltag aus? Wieviel Zeit hast du, Dinge zu tun, die dir Freude machen? Dass du in eine Depression verfällst, wenn du von Reisen zurückkommst, könnte ein Hinweis darauf sein, dass du mit deinem Leben zu Hause sehr unzufrieden bist und die Reisen eine Art Flucht für dich sind. Dann ist es an der Zeit, dich kritisch zu fragen, was dir fehlt und was du dir für dein Leben wünscht.Das kann möglicherweise auch eine radikale Veränderung bedeuten, wenn du das Gefühl hast, nicht am richtigen Ort zu leben oder nicht den richtigen Job zu machen. Unsere schönsten Reisetexte: Wenn du zu dem Schluss kommst, grundsätzlich zufrieden mit deinem Leben zu sein, geht es vielleicht eher darum, mehr von dem, was du auf deinen Reisen so magst, in den Alltag zu integrieren. Also beispielsweise auch von zu Hause aus öfter neue Gegenden zu erkunden, neue Leute kennenzulernen oder neue Dinge auszuprobieren.Natürlich möchtest du an dem guten Gefühl festhalten und klammerst dich daher regelrecht daran. Doch ich denke, es ist wichtig, dich bereits auf der Heimreise innerlich zu verabschieden und das Ende der Reise bewusst zu betrauern. Erst dann bist du innerlich bereit, dich wieder auf deinen Alltag einzulassen. Dabei kann dir möglicherweise ein kleines Ritual helfen, bei dem du zum Beispiel nochmal alle besonders schönen Momente der Reise erinnerst, dir Fotos und Erinnerungsstücke ansiehst, eine Collage bastelst oder eine Erinnerungsbox zusammenstellst und dabei die Musik hörst, die du mit der Reise verbindest. Und wenn dir dabei zum Heulen zumute ist, dann lass die Tränen ruhig laufen!Zum Klicken: Diese Fragen hat unsere Psychologin schon beantwortet Mache dir auch klar, dass all die Erfahrungen und schönen Gefühle tief in dir abgespeichert sind und du sie jederzeit spüren kannst, wenn du dich an deine Reisen erinnerst. Sei dankbar dafür, dass du die Möglichkeit hast zu reisen und vergiss nicht, wie wertvoll es ist, ein zu Hause zu haben, zu dem du zurückkehren kannst. Alles Gute für dich und viel Freude auf deiner nächsten Reise!Teste im Quiz: Mit wem solltest du dieses Jahr in den Urlaub fahren?
Kathrin Hoffmann
In unserer Serie "Über-Ich" beantwortet die Psychologin Kathrin Hoffmann eure Fragen.
[ "Reise", "Psychologie" ]
Reise
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2017-01-10T17:44:00+01:00
2017-01-10T17:44:00+01:00
https://www.spiegel.de/reise/fernweh-was-du-gegen-die-traurigkeit-nach-einer-reise-tun-kannst-a-00000000-0003-0001-0000-000001067578
Borussia Dortmund: BVB-Attentäter Sergej W. ab Dezember vor Gericht
Das Dortmunder Landgericht hat die Klage gegen den mutmaßlichen BVB-Attentäter zugelassen. Wie ein Sprecher mitteilte, soll der Prozess gegen Sergej W. am 21. Dezember 2017 beginnen. Ihm wird demnach versuchter Mord in 28 Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion vorgeworfen. W. hatte der Staatsanwaltschaft zufolge im April dieses Jahres drei Sprengsätze neben dem Bus des BVB gezündet, als dieser vom Dortmunder Mannschaftshotel l'Arrivée abfuhr, um Spieler und Betreuer des Vereins zum Champions-League-Viertelfinale gegen den AS Monaco im Dortmunder Stadion zu bringen. Der BVB-Spieler Marc Bartra und ein Polizist wurden dabei verletzt.Dass es nicht mehr Opfer gab, lag nur daran, dass der Attentäter einen der Sprengsätze falsch deponiert hatte. Der 28-Jährige soll die Tat mit der Absicht begangen haben, mit Börsenspekulationen aus einem fallenden Kurs der BVB-Aktie Geld zu verdienen Bei den aufwendigen Ermittlungen, an denen zeitweilig mehr als 200 Beamte des Bundeskriminalamts und zwischenzeitlich auch des Generalbundesanwalts beteiligt waren, entdeckten die Fahnder auch deutliche Hinweise darauf, dass Sergej W. nach weiteren Anschlagszielen gesucht haben könnte. Zudem fanden die Ermittler weitere Hinweise, dass Sergej W. versuchte, den Tatverdacht in Richtung islamistischer Terroristen zu lenken. Kurz nach dem Anschlag waren am Tatort drei wortgleiche Schreiben aufgefunden worden, die Glauben machen sollten, die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) stecke hinter dem Bombenanschlag. Diese Schreiben werden inzwischen als falsche Spur W.s gewertet. Anmerkung: In einer früheren Version dieser Meldung hieß es, W. sei wegen Mordes angeklagt. Tatsächlich wird ihm versuchter Mord vorgeworfen.
jpz
Der 28-jährige Sergej W. soll den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund mit einer Bombe angegriffen haben. Im Dezember beginnt das Gerichtsverfahren - ihm wird versuchter Mord in 28 Fällen vorgeworfen.
[ "Borussia Dortmund", "Dortmund" ]
Panorama
Justiz & Kriminalität
2017-11-10T15:03:00+01:00
2017-11-10T15:03:00+01:00
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/borussia-dortmund-bvb-attentaeter-sergej-w-ab-dezember-vor-gericht-a-1177433.html
»Moskwa«: Briefmarke mit russischem Kriegsschiff wird Kultobjekt
In der Ukraine wird eine Kriegsbriefmarke zum Kultobjekt. Sie bildet einen ukrainischen Soldaten ab, der dem russischen Kriegsschiff »Moskwa« den Stinkefinger zeigt.Nach dem Untergang des Flaggschiffs der russischen Schwarzmeerflotte hat nun ein regelrechter Run auf das Postwertzeichen eingesetzt. Am Hauptpostamt in Kiew standen am Freitag Hunderte Ukrainer stundenlang Schlange, um Exemplare der Briefmarke zu ergattern. Das Motiv ist eine Anspielung auf einen aufgezeichneten Funkspruch aus den ersten Kriegstagen Ende Februar. Schiffe der russischen Marine, darunter die »Moskwa«, hatten damals die ukrainische Schlangeninsel attackiert. Eines der Schiffe forderte die dort stationierten ukrainischen Soldaten auf, die Waffen niederzulegen.Der Marineinfanterist Roman Hrybow antwortete nach Angaben der Ukraine darauf mit: »Russisches Kriegsschiff, fick dich!« Der Soldat wurde dafür zum Volkshelden gemacht. Der plausible, aber bisher nicht verifizierte Spruch wird seitdem landesweit plakatiert und ziert T-Shirts und andere Souvenirs. Anfang März schrieb die ukrainische Post einen Wettbewerb aus, um an das Ereignis zu erinnern. Nach über 500 Vorschlägen wurde die Illustration des Zeichners Boris Groh ausgewählt. Sie zeigt einen ukrainischen Soldaten, der auf gelbem Sand einem russischen Schiff den Mittelfinger zeigt.Die Briefmarke war am Dienstag herausgegeben worden. Am Donnerstag wurde die »Moskwa« von ukrainischen Raketen getroffen  und sank kurz darauf. Bis zu 500 russische Soldaten könnten dabei gestorben sein. Die Regierung in Moskau bestätigte die Angaben bisher nicht, nach Darstellung der Russen sank das Schiff, nachdem es eine Explosion an Bord gegeben hatte. Am Freitagnachmittag war die Briefmarke in Kiew ausverkauft. »Als wir die Briefmarke entwarfen, wussten wir nicht, wie diese Episode ausgehen würde«, sagt Ihor Smeljansky, Generaldirektor der ukrainischen Post. »Aber wir sind sehr froh darüber.«Die Post will nun weitere Marken der auf eine Million Exemplare limitierten Edition produzieren. »Wir wollten mehr drucken«, sagte Smeljansky. Aber russische Luftangriffe auf Kiew hätten »den Betrieb der Fabrik gestört«.
ssu/AFP
»Russisches Kriegsschiff, fick dich!«: Zu einem kolportierten Funkspruch der ukrainischen Marine gibt es seit Kurzem die passende Briefmarke. Nach dem Untergang der »Moskwa« ist der Run darauf groß.
[ "Russland", "Kyjiw", "Ukraine", "Moskau" ]
Panorama
Gesellschaft
2022-04-16T13:49:02+02:00
2022-04-16T13:49:02+02:00
https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/kriegsbriefmarke-mit-kult-motiv-ist-grosser-erfolg-a-e4a88b23-6a45-4b04-894c-d02dda287ea2
"Offener Brief": Eminems Mutter schlägt zurück
Der Streit zwischen Mutter und Sohn schwelt schon eine ganze Weile und wurde von der dankbaren Presse genüsslich ausgeschlachtet. Ausgerechnet der derzeit kontroverseste und berüchtigste "Bad Boy" der US-HipHop-Szene muss sich mit seiner erbosten Mom auseinander setzen, nachdem er den Fehler beging, in seinen Songs nicht nur über Teenie-Püppchen Britney Spears und Christina Aguilera, sondern auch über sie in unflätiger Weise herzuziehen. Die streitbare Mutti des weißen Rappers, der mit bürgerlichem Namen Marshall Bruce Mathers heißt, schloss sich mit dem HipHop-Duo ID-X zusammen, um nun ebenfalls musikalisch zurückzuschlagen. Auf ihrer Website www.MarshallsMom.com  veröffentlicht sie Auszüge aus dem Song "Set The Record Straight", einem "offenen Brief" an ihren boshaften Sohn. Eine Textprobe: "Marshall we have a problem / You have really gone too far / The lies have to stop / People need to hear the truth." Hinter dem Projekt steckt natürlich nicht nur Marshalls Mutter allein: Der Musikproduzent Buddy Blackmon, bei dessen Plattenfirma New Media Entertainment die bisher nur im Internet erhältliche Single erscheint, sagt laut einem Bericht des britischen Musikmagazins "NME", dass es "Zeit ist, gegen die gewalttätigen Texte von Rappern wie Eminem vorzugehen, die unsere Kinder verrohen lassen".Lamar Weeden - angeblich ein früherer Schulfreund Eminems aus dessen Heimatstadt St. Joseph, Missouri -, der zusammen mit seinem Partner Jeromie Frost für die HipHop-Untermalung der gerappten Mutterwut zuständig war, haut in dieselbe Kerbe: "Niemand sollte so über seine Mutter reden. Unser Song trägt dazu bei, Eminem ein bisschen Benehmen beizubringen." Debbie Mathers hält sich mit Statements erst einmal zurück. Ihre Meinung kann jetzt für 6,95 Dollar auf der Internetsite erworben werden. Wie jede gute Mutter will sie jedoch trotz aller Zwistigkeiten zu ihrem Sohn halten - wenn der wieder zur Besinnung gekommen ist: "Some day you're gonna fall / And I just hope to God I'm there to help you", spricht sie in ihrem "Open Letter". Eminems Rache wird furchtbar sein...
Über seine Mama sollte man nicht öffentlich herziehen: Debbie Mathers, die Mutter des HipHoppers Eminem, rächt sich an ihrem Sohn mit einer eigenen Single.
[ "Eminem" ]
Kultur
Musik
2000-11-17T12:10:42+01:00
2000-11-17T12:10:42+01:00
https://www.spiegel.de/kultur/musik/offener-brief-eminems-mutter-schlaegt-zurueck-a-103101.html
Festnetzkunden betroffen: Adresshändler beuten Telekom-Daten aus
Hamburg/Bonn - Die Adresshändler und Callcenter im Zentrum der Affäre sollen sich Zugriff auf Namen, Adressen, Vertragsdaten und Bankverbindungen von mehreren tausend Festnetzkunden der Deutschen Telekom   verschafft haben. Das berichtet der "Stern" mit Verweis auf Insider. Ihnen zufolge werden derzeit viele zehntausend streng vertrauliche Kundenprofile auf dem Schwarzmarkt angeboten. 4000 davon sollen laut "Stern" von dem Bonner Konzern stammen. Anders als bei früheren Datenmissbrauchsfällen bei der Telekom beinhalten die Datensätze diesmal alle Bank- und Geburtsdaten. Einige Kunden würden sich bereits über illegale Abbuchungen von ihren Konten beschweren.Laut Bericht sind diesmal ausschließlich Kunden betroffen, die ihren Festnetz- und Internet-Anschluss bei der Deutschen Telekom haben. Ein Telekom-Sprecher erklärte auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE, er könne sich die Herkunft der Daten nicht erklären. Der Konzern werde Anzeige erstatten. Bisher habe der "Stern" der Telekom 200 Datensätze zur Überprüfung vorgelegt. Hieraus sei ersichtlich, dass es sich nicht um Telekom-Datenlisten handele. So stünden bei einigen Namen Bankverbindungen, von denen die Telekom gar keine Kontonummern habe, da diese Personen als Barzahler geführt würden. Bei anderen seien andere Konto- oder Geburtsdaten verzeichnet als die, über die die Telekom verfüge. "Aber wir schließen nicht aus, dass in dem Material auch Daten von der Telekom enthalten sind." Es handele sich jedoch um ein Branchenproblem, kein reines Telekom-Problem. Penetrante Werbung, gefälschte AuftragspostDie Telekom werde alle Genannten anschreiben, sobald der "Stern" die Liste mit den 4000 Datensätzen übergeben habe, sagte der Sprecher.Auch Sicherheitschef Volker Wagner sagte, es handle sich nicht um Originallisten aus einem Telekom-System: "Zum einen stimmt die Form nicht; zum anderen sind Angaben zu Bankverbindungen und Geburtsdaten teilweise unterschiedlich zu unseren Kundendaten." Es werde vermutet, dass Adresshändler oder Callcenter Telekom-Listen mit Informationen aus anderen Quellen angereichert haben.Die Datensätze werden dem Bericht zufolge illegal von Vertriebsfirmen genutzt. Dutzende Telekom-Kunden, deren Namen auf den Listen stehen, berichteten von unangenehmen Erfahrungen. Sie seien unter anderem "penetranter Werbung ausgesetzt" gewesen oder erhielten gefälschte Auftragspost von Internet-Firmen, Versicherungen und Glücksspiel-Anbietern. Vor allem das Internet-Unternehmen Freenet trat zeitweise massiv auf - Betroffene berichteten von unerklärlichen Abbuchungen von ihrem Konto zugunsten von Freenet. Auf Anfrage teilte Freenet mit: "Wir hatten über eine geraume Zeit mit unseriösen Praktiken von Vertriebspartnern zu kämpfen."Zusammenarbeit mit externen Vertriebsfirmen beendetDas neue Datendebakel ist ein weiterer Vorfall in einer Kette von Verfehlungen, Pannen und Skandalen bei der Telekom. Sieben Anzeigen erstattete der teilstaatliche Konzern bislang; in 18 Fällen wird wegen Datenmissbrauchs ermittelt.Im jüngsten Fall muss sich die Konzernspitze möglicherweise eine Mitverantwortung ankreiden lassen. Denn die Datensätze sind wohl zu einer Zeit abhanden gekommen, zu der die Telekom selbst vehement auf Kundenfang ging: zwischen Jahresbeginn und Spätsommer 2007. Damals warb das Unternehmen massiv für seine neuen Internet-Tarife. Allerdings lag der im November 2006 ins Amt gehobene Vorstandschef René Obermann gleichzeitig im Clinch mit der eigenen Belegschaft; es ging um Auslagerungen und Lohnkürzungen. Im Mai 2007 kam es sogar zum Streik. In dieser Konfliktsituation setzte die Deutsche Telekom verstärkt externe Vertriebsfirmen ein, sie verlor über die Aktion jedoch offenbar die Kontrolle. Mit Hilfe dieser Firmen erhielt der Konzern Kundenlisten - ohne Bankkontakte - zum Abtelefonieren. Diese wurden an ein Heer Tausender Callcenter-Kräfte weitergereicht, die zunächst unkontrolliert im Namen der Telekom auftraten und im Zuge der Auftragswerbung bei den Kunden weitere Angaben wie Bankkontakte abfragten. Ab August 2007 konnten diese Daten von Vertriebsfirmen zudem in einem Telekom-System abgeglichen werden. Erst zu Anfang Oktober 2007 beendete die Telekom die Zusammenarbeit mit vielen kleinen Vertriebsfirmen, nachdem intern aufgefallen war, dass einige unseriös arbeiteten. kaz
Tausende Namen, Bank- und Geburtsdaten in den Händen von Adresshändlern: Informationen von Telekom-Festnetzkunden sind einem "Stern"-Bericht zufolge auf den Schwarzmarkt gelangt. Der Konzern will Anzeige erstatten - und legt Wert darauf, dass es sich nicht um seine Originaldaten handelt.
[ "Spitzelaffäre bei der Telekom" ]
Wirtschaft
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2008-11-26T15:34:28+01:00
2008-11-26T15:34:28+01:00
https://www.spiegel.de/wirtschaft/festnetzkunden-betroffen-adresshaendler-beuten-telekom-daten-aus-a-592911.html
Augenblick: Waghalsiger Wischer
Ein chinesischer Arbeiter reinigt von außen ein Fenster eines Bürogebäudes in Taiyuan. Nach offiziellen Angaben lag die Arbeitslosenquote in China Ende September bei nur 4,3 Prozent. Offensichtlich müssen manche Menschen für einen Job ein hohes Risiko eingehen, denn der Mann trägt bei seiner Tätigkeit weder Helm noch einen Klettergurt. Archiv: Alle Tage, alle Bilder
[ "Augenblick" ]
Wirtschaft
Unternehmen
2009-10-25T17:08:38+01:00
2009-10-25T17:08:38+01:00
https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/augenblick-waghalsiger-wischer-a-657260.html
Anlegerschutz: Revolution im Anzug-Land
Düsseldorf - Zehn Jahre ist es her, dass Reinhard Seligmann (*) einem fragwürdigen Finanzberater auf den Leim ging. Der Mediziner aus Süddeutschland sprach damals einen Patienten auf gute Vermögensverwalter an. Der Mann auf dem Behandlungsstuhl konnte noch während der Sprechstunde helfen: Er arbeitete selbst bei dem Düsseldorfer Geldhaus New York Broker Deutschland. Das hätte den Arzt seitdem beinahe in den Ruin getrieben. Das Unternehmen mit Hauptsitz neben der Königsallee überzeugte den Arzt Ende der neunziger Jahre, unter anderem in Aktien von US-Börsenneulingen zu investieren. "Doch statt der angekündigten dicken Gewinne fielen einschneidende Verluste an", erinnert sich Seligmann. Nach zwei Jahren zog der Mediziner die Notbremse. Zu spät.Weit mehr als eine halbe Million Euro war damals schon verloren, bis heute summieren sich die Forderungen auf eine Million Euro. Und die Firma New York Broker, deren Vorstände einst in der Fernsehsendung "3sat-Börse" zu einem Millionenpublikum sprechen durften, hat mittlerweile Pleite gemacht. Für geprellte Anleger wäre nichts mehr zu holen. Mit verdient, mit gehaftet"Die Situation ist auf den ersten Blick doppelt misslich, weil sich zumindest einer der beiden New-York-Broker-Vorstände auch noch in die Schweiz abgesetzt hat. Getäuschte Kunden können sich so nicht mal an dem Privatvermögen der Initiatoren schadlos halten", sagt der Düsseldorfer Anwalt Jens Graf, der den Fall vor Gericht brachte. Graf machte auch den amerikanischen Kontoführer haftbar, der die Aktienspekulationen der New York Broker technisch ausführte. Denn die US-Gesellschaft Pershing, die sogenannte Depotstelle, war mit dem Düsseldorfer Finanzhaus über eine eigentümliche Provisionsstruktur verbunden. Beide Firmen schoben sich untereinander Geld für jeden Aktienhandel zu, den Pershing im Auftrag von New York Broker ausführte und dessen Abwicklung die Düsseldorfer ihren Kunden in Rechnung stellten - so, wie beispielsweise Reinhard Seligmann. "Wenn dieses Urteil aus dem Arrestverfahren Schule macht, dürfen jetzt Tausende geschädigte deutsche Anleger hoffen", sagt Jürgen Kurz, Sprecher der Deutschern Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz.Damit könnte der Mann recht haben. Denn der Schadensersatzanspruch gegen das kontoführende Geldhaus bestehe sogar unabhängig davon, ob das Finanzinstitut die Anlageentscheidungen überhaupt beeinflusst hat, urteilte jetzt das Oberlandesgericht Düsseldorf. Damit aber wird eine Dreiecksbeziehung erschüttert, die in Deutschland geradezu üblich ist. "Praktisch jeder Vermögensverwalter hierzulande hat eine größere Bank im Rücken, über die er seine Wertpapiergeschäfte abwickelt. Und dafür haben Verwalter und kontoführende Bank fast immer gegenseitige Provisionsverträge geschlossen", weiß Rolf Tilmes, der an der European Business School selbst Vermögensverwalter und Banker ausbildet."Sollten die Finanzdienstleister im Hintergrund künftig aber für schlechte Beratung oder gar Betrug der eigentlichen Verwalter im Falle mithaften, wäre das eine Revolution hierzulande", sagt Tilmes. "Damit müssen die Verwalter künftig womöglich ihr gesamtes Geschäftsmodell neu entwickeln, beispielsweise nur noch Honorarberatung anbieten." Hoffnung für TausendeDie Revolution hat sich womöglich bereits ereignet. Denn mittlerweile haben sich auch die Richter des Bundesgerichtshofs auf die Seite der Anleger geschlagen. Falls solche Provisionsvereinbarungen zwischen Vermögensverwalter und Depotbank überhaupt geschlossen werden, dann müssen die Anleger darüber wenigstens vor Unterschrift des Verwaltungsvertrages unmissverständlich informiert werden, entschieden Deutschlands oberste Richter.Damit haben sich Deutschlands Gerichte viel weiter vor gewagt als es im europäischen Ausland üblich ist, beispielsweise in der Schweiz. Die dortigen Bundesrichter entschieden etwa im März vergangenen Jahres, dass Vergütungen, die Vermögensverwalter beim Kauf von Fonds und Aktien von einer Bank erhalten, künftig dem Kunden zustehen. In der Bundesrepublik ist für geprellte Anleger nun noch viel mehr drin. "Banken, Broker und Fondsverwalter, die zum Beispiel Vermögensverwaltern diese sogenannten Kick-Backs gewähren, haften grundsätzlich nicht nur für die Erstattung des Gebührenanteils, sondern haben auch weitergehende Verluste zu ersetzen. Dazu zählt beispielsweise Ersatz für den Gewinn, den Anleger eingestrichen hätten, wenn sie sich an einen seriösen und durchschnittlich erfolgreichen Vermögensverwalter gewandt hätten", sagt Anwalt Graf.Sein Mandant Seligmann muss nun nicht mehr bibbern, ob er überhaupt etwas von seinem Geld wiedersieht. Nur noch, wie viel es wohl sein wird. "Solche Fälle können anderen Anlegern deshalb ein Beispiel sein, wie sie doch noch einen Teil ihres Schadens erstattet bekommen, obwohl der eigentliche Verursacher ihrer Verluste nicht mehr für das aufgelaufene Minus geradestehen kann", sagt Anlegerschützer Kurz. Für Seligmanns Verluste soll bald tatsächlich der Finanzdienstleister Pershing geradestehen. Und Solvenzprobleme hat diese Firma nicht: Das Unternehmen, eine Tochtergesellschaft der Bank of New York, zählt zu den weltweit führenden Finanzserviceanbietern.*Name der Redaktion bekannt
Karsten Stumm
Das Handelsgeschäft im Auftrag ist für Banken eine feine Sache. Sie verdienen an jeder Order - auch wenn sie Anlegern schaden. Unter Umständen müssen die Geldhäuser künftig für solche Pleitegeschäfte geradestehen. Tausende geprellte Sparer schöpfen Hoffnung.
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Wirtschaft
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2007-01-28T15:50:50+01:00
2007-01-28T15:50:50+01:00
https://www.spiegel.de/wirtschaft/anlegerschutz-revolution-im-anzug-land-a-462518.html
Flug MH17: EU-Außenminister verschärfen Ton gegenüber Russland
Die 28 Damen und Herren, die am Dienstag in Brüssel zum EU-Außenministertreffen zusammenkamen, hatten harte Tage hinter sich: Sie hatten Bilder von Leichen auf einem Feld mitten in der Ostukraine gesehen. Sie hatten prorussische Rebellen dabei beobachtet, wie sie die Bergung dieser Leichen behinderten. Sie hatten einen selbstgefälligen russischen Präsidenten gehört, der jede Mitverantwortung für den Abschuss von Flug MH17 leugnete und sich Warnungen des Westens gefälligst verbat. Die Minister bemühten sich nicht länger um diplomatische Höflichkeiten. "Trauer und Entsetzen" habe dieses erste Treffen nach dem Abschuss des MH17-Flugzeugs der Malaysia Airlines geprägt, berichtete Frank-Walter Steinmeier bei der Abschluss-Pressekonferenz. Der Sozialdemokrat schilderte den Auftritt des niederländischen Ministers Frans Timmermans, der seinen Kollegen ins Gewissen redete. Er habe von seiner Reise an den "Ort des Verbrechens" in der Ostukraine berichtet, wo mehr als 190 Niederländer gestorben seien. Während Steinmeier sprach, empörten sich seine Kollegen aus ganz Europa in den angrenzenden Pressesälen ähnlich. Jedoch ist die Wut über das Verbrechen einer der wenigen Punkte, auf die sich die Politiker im großen Kreis schnell einigen konnten. Die Folgen zu debattieren, war viel schwieriger. Und so dauerte das Ministertreffen weit länger als erwartet -bis zum späten Nachmittag.Schon früh hatte sich abgezeichnet, dass es als Reaktion auf den Abschuss nicht zu gezielten Strafmaßnahmen gegen komplette russische Wirtschaftsbereiche kommen würde. So eine einschneidende Maßnahme soll den Staats-und Regierungschefs vorbehalten bleiben. Schon am Donnerstag soll es Sanktionen gebenUmstritten war aber, wie schnell andere Druckmittel kommen sollen. Die Regierungschefs hatten vergangene Woche - noch vor der Tragödie - eine Verschärfung der EU-Strafmaßnahmen beschlossen. Sanktionen wie Einreiseverbote oder Kontosperrungen sollten ausgeweitet werden. Bisher sind 72 Ukrainer und Russen betroffen, künftig soll die Liste um Unternehmen oder Organisationen in Russland erweitert werden, die in der Ukraine Destabilisierung fördern. Bis Monatsende sollten die Namen feststehen. Nun, unter dem Eindruck der MH17-Tragödie, beeilen sich die Außenminister. Schon am Donnerstag, wenn die Botschafter der EU-Mitgliedsstaaten erneut zusammen treten, seien weitere Schritte möglich, heißt es. Zudem forderten die Minister die EU-Kommission auf, "mögliche Maßnahmen" im Bereich von Rüstungsexporten, Finanzdienstleistungen und der Ausfuhr von Hochtechnologiegütern für den Energiebereich zu prüfen. Diese Vorschläge sollen "in Kürze" vorliegen. Warum so eine Prüfung immer noch nötig sei, wollte eine Journalistin von Steinmeier wissen. Der Minister seufzte hörbar. Es gelte juristisch penibel zu prüfen. Denn jede EU-Sanktion müsse nicht nur politisch, sondern auch vor Gericht bestehen. Es müsse ein unmittelbarer Zusammenhang mit den Vorgängen in der Ukraine bestehen, egal wie groß derzeit die Empörung über den Flugzeugabschuss sei. Steinmeier gibt die Linie vorKlar ist: Vermittler wie Steinmeier haben sich an diesem Tag durchgesetzt - nicht Hardliner wie die Briten, Osteuropäer und neuerdings Niederländer, die noch für diesen Dienstag radikalere Schritte gegen Moskau forderten. Aber auch die Bremser konnten sich nicht durchsetzen - etwa die Italiener, deren Außenministerin Federica Mogherini gerne Italiens Energiewirtschaftsbeziehungen mit Russland betont. Es regierte die Mitte, allen voran Deutschland. Die Bundesrepublik handelt viel mit Russland, ist aber nicht von dessen Energielieferungen abhängig. Die Deutschen sind enttäuscht von Präsident Wladimir Putin, doch sie wollen Gesprächskanäle mit ihm offenhalten. Geplatzter Waffendeal wäre teuer für Frankreich Von einer Eskalation um ihrer selbst willen, hält man in Berlin wenig. Diese Linie prägte die vorsichtige Reaktion vom Dienstag, die einen Dialog, aber auch härtere Strafen möglich macht. Und sie prägt wohl auch die EU-Reaktion auf Frankreichs kontroverses Rüstungsgeschäft mit Moskau. Paris will noch im Herbst den ersten von zwei Hubschrauberträgern des Typs "Mistral" im Wert von insgesamt 1,2 Milliarden Euro an Russland ausliefern - zum großen Ärger der US-Regierung und einiger EU-Mitgliedstaaten. "Der Verkauf von Militärtechnologie an Russland kann unter den aktuellen Umständen nicht toleriert werden", sagte Litauens Staatschefin Dalia Grybauskaite. "Wir hätten schon vor langer Zeit ein Waffenembargo gegen Russland beschließen sollen", warnte Schwedens Außenminister Carl Bildt. Nun zeichnet sich aber ein Kompromiss ab, der künftige Waffenlieferungen ausschließen, aber das Pariser Mistral-Geschäft unberührt lassen soll. Aus Berliner Sicht verständlich: Zwar mache der Waffendeal in diesen Tagen keinen guten Eindruck, ist dort zu vernehmen - doch eine Stornierung des Mega-Auftrags sei für Frankreich in Zeiten der Wirtschaftskrise sehr happig.
mit Material von dpa Gregor Peter Schmitz
Die EU-Außenminister zeigten sich in Brüssel wütend über den Abschuss von MH17. Alle. Am Ende setzten sich aber die Vermittler um Frank-Walter Steinmeier durch. Weitere Sanktionen gegen Moskau gibt es vorerst nicht.
[ "Europäische Union", "Wladimir Putin", "Frank-Walter Steinmeier", "MH17 Flugzeugabsturz", "Ukraine", "Russland", "Russlands Krieg gegen die Ukraine", "Malaysia Airlines" ]
Ausland
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2014-07-22T21:03:48+02:00
2014-07-22T21:03:48+02:00
https://www.spiegel.de/politik/ausland/flug-mh17-eu-aussenminister-verschaerfen-ton-gegenueber-russland-a-982416.html
US-Umfrage: Bushs Glaubwürdigkeit ist erschüttert
Washington - 54 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass ihre Regierung in der Frage der Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen im Irak gelogen oder zumindest übertrieben habe. Erstmals in dieser Erhebungsreihe von ABC News und der "Washington Post" fiel die Unterstützung für den Irakkrieg unter die 50-Prozent-Marke: Nur noch 48 Prozent der Befragten erklärten, es sei es wert, im Irak zu kämpfen. Nur noch 52 Prozent glauben, Bush sei ehrlich und vertrauenswürdig - ein Verlust von sieben Prozentpunkten seit Oktober vergangenen Jahres. Gerade Ehrlichkeit hatte Bush aber nach dem Abgang seines Vorgängers Bill Clinton aus dem Weißen Haus versprochen. In seinen besten Zeiten erreichte Bush in dieser Frage noch Zustimmungswerte von 71 Prozent - allerdings war das Sommer 2002.Laut der Umfrage würde der wahrscheinliche Präsidentschaftskandidat der Demokraten, John Kerry, jetzt im direkten Vergleich mit Bush sogar besser als der amtierende Regierungschef abschneiden: Kerry würde 52 Prozent bekommen, Bush lediglich 43 Prozent. Befragt wurden 1003 Erwachsene.
Das Vertrauen der Amerikaner in George W. Bush ist auf den niedrigsten Stand seit seinem Amtsantritt gesunken. Laut einer neuen Umfrage empfinden ihn nur noch 52 Prozent als zuverlässig. Mehr als die Hälfte der Amerikaner glaubt mittlerweile, ihr Präsident habe die irakische Bedrohung aufgebauscht.
[ "Präsidentschaftswahl in den USA 2004" ]
Ausland
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2004-02-13T10:11:22+01:00
2004-02-13T10:11:22+01:00
https://www.spiegel.de/politik/ausland/us-umfrage-bushs-glaubwuerdigkeit-ist-erschuettert-a-286157.html
Datenleck bei MGM Resorts: Informationen zu Millionen Hotelgästen im Netz
Das US-Unternehmen MGM Resorts International, das unter anderem in der Zocker-Metropole Las Vegas Hotels und Casinos betreibt, hat ein massives Datenleck eingestanden. Zuvor hatte "ZDNet" berichtet , dass persönliche Daten von rund 10,6 Millionen Gästen von MGM-Resorts-Hotels in einem Hackerforum veröffentlicht worden seien. Der Tech-Website zufolge enthielt das Datenpaket Namen, Adressen, Telefonnummern, E-Mail-Adressen und Geburtsdaten von Kunden. Durch Nachfragen bei Betroffenen konnte "ZDNet" auch die Echtheit und Aktualität der Daten prüfen. Demnach stammen die aktuellsten abgefischten Daten wohl aus dem Jahr 2017. Manche Telefonnummern seien bereits nicht mehr in Betrieb, schreibt die Tech-Website mit Bezug auf eigene Testanrufe, andere schon.Ein Sprecher von MGM Resorts sagte am Mittwoch auf Nachfrage, sein Unternehmen habe "letzten Sommer einen nicht autorisierten Zugriff auf einen Cloud-Server entdeckt". Auf dem Server sei "eine begrenzte Menge an Informationen zu bestimmten früheren Gästen von MGM Resorts" gespeichert gewesen. Die betroffenen Gästen seien bereits informiert worden, hieß es weiter. Daten zu Passwörtern oder Zahlungsdaten seien nach Einschätzung des Unternehmens nicht abhandengekommen. Namen und Telefonnummern von HotelgästenDazu, wie viele Gäste genau das Leck betroffen hat, äußerte sich MGM Resorts nicht - damit bleibt die Zahl der 10,6 Millionen Kunden, die "ZDNet" ermittelt hat, weiter als einzige im Raum stehen. Dem Sprecher der Kette zufolge waren vor allem Namen und Telefonnummern von Hotelgästen Teil des Datenlecks.Der Vorfall dürfte das Image der Kette ramponieren, auch weil offenbar einige prominente Gäste zu den betroffenen Kunden zählten. "ZDNet" stieß im Datenpaket unter anderem auf Angaben zum Sänger Justin Bieber und zu Twitter-Chef Jack Dorsey. Ebenso fanden die Redakteure Informationen zu Mitarbeitern der US-Transportsicherheitsbehörde und des US-Heimatschutzministeriums. "ZDNet" selbst war durch einen Hinweis des Unternehmens "Under the Breach" auf die Datenveröffentlichung aufmerksam gemacht worden. MGM Resorts betreibt in Las Vegas, Nevada, zum Beispiel die Casino-Hotels Mandalay Bay, Excalibur und Luxor, zum Unternehmen gehören aber auch Hotels in anderen US-Bundesstaaten und in China.Das Unternehmen ist nicht die erste Hotelkette, die ihre Kundendaten offenbar unzureichend abgesichert hatte. Im November 2018 beispielsweise hatte die Kette Marriott eingestehen müssen, dass Hacker an Informationen zu zahlreichen Gästen gelangt waren. Im Fall Marriott waren 383 Millionen Kunden betroffen, zum Datenleck gehörten damals auch Ausweisnummern und Nummern gültiger Zahlungskarten.
mbö/Reuters
Die US-Kette MGM Resorts betreibt weltbekannte Hotels - und musste jetzt zu einem Sicherheitsvorfall Stellung nehmen. In einem Hackerforum waren Daten zu Millionen, teils prominenten Kunden aufgetaucht.
[ "Hacker", "Cyber Security" ]
Netzwelt
Web
2020-02-20T11:00:11+01:00
2020-02-20T14:34:00+01:00
https://www.spiegel.de/netzwelt/web/datenleck-bei-mgm-resorts-informationen-zu-millionen-hotelgaesten-im-netz-a-9be2fac6-53f4-4d8d-b59e-cb2d1025e7a3
Streit über Koalitionspläne: Köhler will sich in Steuerdebatte einmischen
Köln/Berlin - Köhler werde seinen Auftritt am kommenden Montag auf dem DGB-Kongress in Berlin nutzen, um sich in den Streit über die Erhöhung der Mehrwertsteuer einzumischen. Das Staatsoberhaupt halte höhere Steuern nur dann für gerechtfertigt, wenn sie der Schaffung von Arbeitsplätzen dienten, berichtete der Kölner "Express". FDP-Chef Guido Westerwelle unterstütze das Vorhaben Köhlers. "Der Bundespräsident hat recht, wenn er auf Vorfahrt für Arbeit pocht", sagte Westerwelle der Zeitung. "Dieser Bundespräsident steht an der Seite der Arbeitsuchenden, weil er ausspricht, dass Steuererhöhungen und neue Bürokratie Arbeitsplätze kosten."Der Bundestag beschließt heute die umstrittene Anhebung der Mehrwertsteuer. Vom 1. Januar 2007 an wird die Steuer damit 19 statt bisher 16 Prozent betragen. Mit den Mehreinnahmen will die Große Koalition die öffentlichen Haushalte sanieren und den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung senken. Das  Maßnahmenpaket gilt als die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik. Nach Berechnungen des Finanzministeriums fließen durch das Gesetz 2007 rund 18,1 Milliarden Euro zusätzlich in die Staatskasse.Der Bundesrat muss im Juni noch zustimmen. Erstmals beraten werden sollen zudem weitere steuerliche Mehrbelastungen, wie etwa die Abschaffung der Pendlerpauschale für Entfernungen bis zu 20 Kilometer, die Kürzung des Sparerfreibetrages, die Reichensteuer sowie die Abschaffung des Kindergeldes für über 25-Jährige. Kanzlerin Angela Merkel hat für ihr Kabinett Anwesenheitspflicht im Parlament angeordnet. Die Opposition will geschlossen gegen die Steuererhöhung stimmen. Der Grünen-Vorsitzende Reinhard Bütikofer kritisierte: "Was sich die Regierung da leistet, geht nach dem Motto: 'Egal, der Bürger wird geschröpft'".NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) sagte der "Neuen Ruhr/Neuen Rhein Zeitung" er habe mit der Steuererhöhung "aus ökonomischen Gründen Probleme". Allerdings hatte er der Erhöhung während der Koalitionsgespräche in Berlin zugestimmt. Hessens Regierungschef Roland Koch (CDU) bezeichnete die Anhebung dagegen angesichts der Finanzlage des Staates als "unverzichtbar". Er riet, die Steuererhöhung nicht in Frage zu stellen, "so schmerzhaft sie auch ist". Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) nannte die Große Koalition ein Bündnis der Haushaltskonsolidierer. Ordentliche Staatsfinanzen seien Voraussetzung für mehr Wachstum. Ein Mix aus Einnahmesteigerungen und Einsparungen werde dazu beitragen.Der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Harald Ringstorff (SPD), sagte, immer mehr neue Schulden seien keine vernünftige Alternative. Er sagte zu, sein Bundesland werde das Vorhaben der Bundesregierung unterstützen. Die Länder erhalten einen erheblichen Anteil aus den Mehrwertsteuerereinnahmen. als/Reuters/AFP/dpa
Der Bundestag entscheidet am Nachmittag über die von der Großen Koalition geplante Steuererhöhung. In die Debatte um die bei Wirtschaftsexperten umstrittene Anhebung der Mehrwertsteuer will sich jetzt auch Bundespräsident Horst Köhler einschalten.
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Politik
Deutschland
2006-05-19T12:29:19+02:00
2006-05-19T12:29:19+02:00
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/streit-ueber-koalitionsplaene-koehler-will-sich-in-steuerdebatte-einmischen-a-417078.html
Blumen des Bösen
Er verabscheute die Öffentlichkeit,den Ruhm und das Geld und erkannte, er könne »nur im Schmerz und in Armut arbeiten«. Denn die Malerei, so fand der Maler Wolfgang Schulze, der mit dem Namen Wols signierte, »ist keine Ware. Sobald ein Bild verkäuflich ist, hört es auf, ein Bild zu sein.« Heute, zwölf Jahre nach seinem Tod, werden seine Bilder zu fünf- und sechsstelligen Summen auf dem Kunstmarkt gehandelt, die Kritiker preisen ihn als den »ersten Maler der Atom-Ära« und den »Vater des Tachismus«.In einer ersten deutschen Wols-Monographie, die der Verlag DuMont Schauberg jetzt herausbringt, rühmt Werner Haftmann, unerschrockener Apologet der Moderne: »Wols ist der Primitive (einer) neuen Sensibilität*.« Und Jean-Paul Sartre vergleicht im selben Buch die unheimlichen Strichgewebe und mikroskopischen Strukturen des einstigen Freundes und Proteges Wols - »dieser herrlichen Termite«, »dieses grausamen Invaliden«, »dieses tragischen Genies« - mit der poetischen Symbolwelt des Schweizer Malers Paul Klee: »Beide sind auf das Ganzheitliche und Kosmische gerichtet.« Wols hat auf den Zetteln, die er mit sich herumtrug, noch andere Wahlverwandte registriert. Er fand sie unter den Mystikern des Ostens, in den Nacht - und Schatten-Dichtern Novalis, Baudelaire, Poe und Rimbaud, in Modigliani und van Gogh, die - wie er meinte »durch die Gesellschaft, und schneller als das Schlachtvieh« getötet worden seien. Der Verwandtschaftsanspruch war berechtigt. Das Werk des Otto Alfred Wolfgang Schulze, der 1913 als Sohn des späteren Chefs der Sächsischen Staatskanzlei Alfred Schulze in Berlin geboren wurde und 38jährig in Paris starb, war nicht minder exzentrisch als das seiner Geistesgenossen, sein Dasein nicht minder exaltiert, abartig und düster. Außergewöhnliches Kunsttalent hatte Wolfgang Schulze schon in seiner Kindheit und Jugend bewiesen. Er erhielt mit sieben Jahren ersten Geigenunterricht und brachte es mit achtzehn zu einer solchen Virtuosität, daß Fritz Busch, damals Generalmusikdirektor an der Dresdner Oper, sich erbot, ihn als Konzertmeister zu vermitteln. Wols lehnte ab. Er wurde Photograph, arbeitete vorübergehend als Automechaniker in den Dresdner Mercedes-Werkstätten, plante ein Ethnologie-Studium am Frankfurter Frobenius-Institut und meldete sich schließlich 1932 mit Photomontagen und gegenständlich-surrealistischen Zeichnungen bei László Moholy -Nagy, Lehrmeister am »Bauhaus«. Doch auch zu einem »Bauhaus«-Studium kam es nicht. Moholy, von den durch Klee inspirierten Arbeiten beeindruckt, riet vom Besuch einer Kunstschule ab. Wols ging nach Paris. Moholys Empfehlungsbriefe verschafften ihm die Bekanntschaft mit Fernand Leger, Hans Arp und Alberto Giacometti; er arbeitete als Porträtphotograph, gab Deutschunterricht und lernte seine spätere Ehefrau Gréty kennen. Nach einem kurzen Abstecher nach Dresden, wo er sein väterliches Erbteil kassierte, ging Wols, versehen mit Gréty, einem altertümlichen Automobil, etlichen Photoapparaten und einem Projektionsgerät mitsamt Bildschirm, auf große Fahrt. Der Plan, mit einem Wanderkino durch Südfrankreich zu ziehen, schlug mangels Arbeitserlaubnis fehl; statt dessen reiste das Paar für zwei Jahre nach Spanien. In Barcelona wurde für den inzwischen 22jährigen Vaganten der Auslandsaufenthalt zur politischen Emigration: Wols hatte sich geweigert, seiner Arbeitsdienstpflicht in Deutschland nachzukommen. Die Folge waren Mißhelligkeiten durch deutsche Konsulate, Denunziationen und schließlich, nach drei Monaten Gefängnishaft, die Ausweisung nach Frankreich. Vier Jahre danach kam es zum zweiten Freiheitsentzug. Wols wurde nach Kriegsausbruch interniert und verbrachte vierzehn Monate in französischen Lagern. Um einer dritten Verhaftung, diesmal durch die deutschen Besatzungstruppen, zu entgehen, retirierte er nach seiner Entlassung Ende 1940 in den unbesetzten Teil Frankreichs. Mit Gréty, die er inzwischen geheiratet hatte, etablierte er sich in dem Küstenort Cassis bei Marseille, zwei Jahre später, wiederum auf der Flucht vor, seinen nachrückenden Landsleuten, in einer brüchigen Hütte außerhalb des Provence-Fleckens Dieulefit. In den Einsiedeleien von Cassis und Dieulefit fand Wols hinreichend Muße, seiner Malerei und seiner Neigung zum Alkohol, den er im Lager schätzengelernt hatte, nachzugehen. »Seine erste Sorge war, die Schnapsflasche zu füllen«, erinnerte sich der Schriftsteller und Wols-Freund Henri-Pierre Roché: »Wenn sie voll ist, fühlt man sich ruhig. Er trinkt von Zeit zu Zeit einen ganz kleinen Schluck, regelmäßig, den ganzen Tag. Er feuchtete sich an wie der Docht im Feuerzeug.« Derart angefeuchtet, arbeitete er an seinen Zeichnungen und Aquarellen in allerkleinstem Format. »Das Maß der Handfläche ist heilig«, erklärte er, »ein winziges Blatt Papier kann die ganze Welt enthalten.« Doch die Welt, die Wols nun auf seinen Miniaturblättern fixierte, war nicht mehr so hell und auch nicht mehr so leicht verständlich wie die seiner früheren Bilder.An die Stelle annähernd naturalistisch geformter Fabelwesen und surrealistischer Traumgespinste trat jetzt, vergleichbar etwa den Gedankenassoziationen im modernen Roman, die Improvisation, die psychische Regungen unmittelbar festzuhalten versuchte; an die Stelle der »Traumgärten Klees« traten - so Haftmann - »Ausdünstungen des Bösen, Blumen des Phallischen, Haß des Geschlechts, die abstrakte Wut und immer wieder die blutende Wunde der Welt ... Eine neue Spontaneität, außerhalb jeder Kontrolle, überwältigt die Ausdrucksmittel.« Diese neue Spontaneität, Gestalt gewordenes Delirium, produzierte eine Art von alptraumhaft-vieldeutigen Vexierbildern, in denen Gestein sich belebt, Augen aus wuchernden Pflanzen blicken, Gewürm menschliche Formen annimmt und Wurzelwerk sich in Tiere verwandelt. Es wimmelt von Spinnen, Kraken und Krustentieren, die zugleich auch Menschenklumpen sein könnten.Diese panische Exaltation, genährt von Mangel an Schlaf, Appetitlosigkeit und einem sich steigernden Alkoholkonsum, nahm noch zu, als Wols, zusammen mit Gréty und einer Tragtasche voller Steine, 1945 nach Paris zurückkehrte. Wols wurde vollends zum Sonderling. Um eine erste. Wols-Ausstellung, die auf Betreiben von Ehefrau Gréty und Freund Roche in der Galerie René Drouin eröffnet wurde, zu verhindern, bemühte er sich um ein polizeiliches Verbot - allerdings vergebens. Die Vernissage fand statt, blieb jedoch ohne Erfolg.Auch sonst hielt er mit Eigenheiten nicht zurück. Als sein gelber Hund und »engster Vertrauter« (Roché) ein kleines Mädchen In den Schenkel gebissen hatte, malte er ein Aquarell in Rosa und Rot nach der Wunde des Kindes.Ein weiteres Gemälde ließ Wols, der inzwischen auch großformatig arbeitete und mit seinen chimärischen Leinwand -Bildern eine neue Art Malerei, »Abstraction Lyrique« oder »Tachismus« genannt, begründet hatte, auf der Klosett-Tür einer der zahlreichen Wohnungen zurück, die er um Saint-Germaindes-Prés bezog und »unter fürchterlichen Szenen« (Haftmann) wieder verließ. Die Miete beglich Freund Sartre. Und während. Gréty, ärmlich gekleidet, mit seinen Bildern hausieren ging - er hinterließ, neben rund hundert Ölbildern, mehrere Tausend Aquarelle -, lag Wols überwach in seinem Hotelasyl und starrte auf die riesige Himmelskarte, die er an die Decke geheftet hatte; er klimperte auf dem Banjo Bach-Melodien oder arbeitete an einem seiner Blätter.Sartre erinnert sich dieser letzten Jahre seines Freundes: »Die Haltung von Wols radikalisiert sich jetzt ... Großherzig ohne Wärme, aufmerksam aus Gleichgültigkeit, so betrieb dieser prinzliche Vagabund Tag und Nacht seinen fruchtbringenden Selbstmord ... Jeden Tag war er ein bißchen mehr tot.« 1951 ließ sich Wols, der jetzt unter Sehstörungen litt, zu einer Alkohol -Entziehungskur ins Hospital einliefern. Gefährtin Gréty fand währenddessen ein Domizil auf dem Lande, und Wols kehrte nach zwei Monaten Kur, einigermaßen wiederhergestellt, zurück und begann weiterzuarbeiten. »Seine Flasche«, entsann sich Roché, »steckte nicht mehr in der Tasche.«Wenige Monate später, am 1. September 1951, starb Wols, vom jahrelangen Rum-Verbrauch geschwächt, an einer Pferdefleischvergiftung.In seiner Aphorismen-Sammlung hatte er vermerkt: »Malerei - oder keine Malerei, Wols ist das schnuppe.«* Wols: »Aufzeichnungen«. Verlag M. Du-Mont Schauberg, Köln; 80 Seiten, 12 Farbtafeln, 14 Zeichnungen; 56 Mark. Wols-Gemälde »Verhextes auf dem Marsch": Chimären aus der FlascheWols-ZeichnungDie herrliche Termite ...Maler Wols... beging Selbstmord bei Tag und Nacht
[ "Paris" ]
Kultur
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1963-07-30T13:00:00+01:00
1963-07-30T13:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/kultur/blumen-des-boesen-a-a1d86983-0002-0001-0000-000046171386?context=issue
Todesschüsse auf Calipari: Italiener empört über Freispruch für US-Soldaten
Rom - Aus Washington verlautete, dass für die tödlichen Schüsse auf Calipari wohl niemand bestraft werden wird. Calipari war bei der Befreiung der Journalistin Giuliana Sgrena, die im Irak als Geisel gehalten wurde, von den US-Soldaten beschossen worden. Calipari erlitt einen Kopfschuss und war sofort tot, Sgrena war an der Schulter verletzt worden. Silvio Berlusconi erklärte heute Abend, die Untersuchung sei noch nicht abgeschlossen. Zu den Berichten über die Schlussfolgerungen der Amerikaner werde er daher vorerst nicht Stellung nehmen, sagte Berlusconi. Ein Treffen seines Kabinetts-Staatssekretärs Gianni Letta mit dem US-Botschafter in Rom, Mel Sembler, war zuvor ohne greifbare Ergebnisse zu Ende gegangen. Entsprechend äußerte sich auch US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Der Untersuchungsberichtsei noch gar nicht fertig. "Sie (Amerikaner und Italiener) haben sich noch nicht auf einen gemeinsamen Bericht geeinigt", sagte Rumsfeld im Pentagon. Es sei noch nicht abzusehen, wann damit zu rechnen sei. Nach Angaben von Generalstabchef Richard Myers werden die offiziellenSchlussfolgerungen in Bagdad bekannt gegeben. Der Oppositionspolitiker Giuseppe Fioroni warf den USA Arroganz vor, weil für den Tod Caliparis offenbar niemand zur Verantwortung gezogen werden soll. Der Bericht der US-Armee sei einseitig und "eine Beleidigung der Wahrheit sowie des Andenkens von Nicola Calipari". Die Parlamentarierin Laura Cima von den Grünen sagte, der Bericht sei "ein Schlag ins Gesicht der italienischen Regierung". Sie forderte wie auch andere Oppositionspolitiker Premier Berlusconi auf, von den USA eine vollständige Klärung des Vorfalls zu verlangen. Aus Regierungskreisen in Washington war gestern Abend verlautet, die betroffenen Soldaten hätten gegen keinerlei Anweisungen verstoßen, als sie das Feuer auf das Fahrzeug mit Sgrena, Calipari und einem weiteren Geheimdienstbeamten eröffneten. Zu diesem Schluss sei ein Sonderausschuss der US-Armee gelangt. Der Bericht werde sich allerdings kritisch mit der Angemessenheit der einschlägigen Anweisungen auseinander setzen.An der Untersuchung waren auch ein Diplomat und ein Offizier aus Italien beteiligt. Laut einem Bericht der Zeitung "Il Messagero" von gestern weigern sie sich bislang, den Untersuchungsbericht zu unterschreiben. Bei dem Zwischenfall am 4. März hatten US-Soldaten das Feuer eröffnet, als sich das Auto der Italiener einer Straßenkontrolle näherte. Von Anfang an gab es unterschiedliche Angaben darüber, wie schnell derWagen unterwegs war und ob die US-Soldaten vor den Schüssen Warnungen abgegeben haben. Das italienische Fernsehen berichtete am Dienstag, die US-Ermittler seien zu dem Schluss gekommen, dass das Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von 80 Stundenkilometern auf den Kontrollpunkt zufuhr. Die Ex-Geisel Sgrena und der Fahrer des Wagens hatten dies zurückgewiesen und erklärt, sie seien höchstens halb so schnell gefahren. Anfang März hatte auch Italiens Außenminister Gianfranco Fini der Version der USA widersprochen, die Italiener hätten in ihrem Auto Gas gegeben und Warnschüsse ignoriert. Tatsächlich sei das Fahrzeug der Journalistin und ihrer Begleiter langsam gefahren. Zudem habe es keine Warnung vor dem Angriff gegeben.
Die US-Soldaten, die im Irak den italienischen Geheimdienstbeamten Nicola Calipari erschossen, werden nicht belangt. In Italien ist man entsetzt über dieses Ergebnis der US-Kommission, die den Fall untersuchte. Die ehemalige Geisel Sgrena sprach von einer "Ohrfeige" für Premier Berlusconi.
[ "Irak" ]
Ausland
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2005-04-26T19:27:06+02:00
2005-04-26T19:27:06+02:00
https://www.spiegel.de/politik/ausland/todesschuesse-auf-calipari-italiener-empoert-ueber-freispruch-fuer-us-soldaten-a-353601.html
Nach Hedgefonds-Urteil: Argentinien verweigert Schuldenrückzahlung
Buenos Aires - Nach der Verurteilung Argentiniens zur Begleichung seiner Altschulden bei zwei US-Hedgefonds sieht sich das Land nicht in der Lage, die am 30. Juni fälligen Raten an seine Gläubiger zu zahlen. Das Wirtschaftsministerium in Buenos Aires teilte mit, da die Zahlungen an die anderen Gläubiger über New York liefen, sei es "unmöglich", sie zu tätigen, ohne gleichzeitig bei den beiden Hedgefonds die eingeforderten Schulden von 1,4 Milliarden Dollar zu begleichen - das aber lehnt Argentinien strikt ab. Der Oberste Gerichtshof der USA hatte am Montag eine Berufung Argentiniens gegen ein Urteil einer niedrigeren Instanz zurückgewiesen und damit entschieden, dass das südamerikanische Land bis zum 30. Juni den zwei Fonds die Schulden zurückzahlen muss. Die Fonds - von Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner "Geierfonds" genannt - hatten sich geweigert, bei Umschuldungen in den Jahren 2005 und 2010 auf Forderungen gegen Argentinien zu verzichten. Sie verlangen den vollen Nennwert der argentinischen Staatsanleihen, die sie zur Zeit der Schuldenkrise 2001 zu Ramschpreisen erworben hatten. Argentinien hatte mit 93 Prozent der privaten Gläubiger 2005 und 2010 eine Umschuldung vereinbart, bei dem diese auf rund 30 Prozent ihrer Kredite verzichteten. Die Regierung zahlt nun in Raten die Schulden an diese Gläubiger zurück. Die anderen sieben Prozent der Gläubigen, zumeist hochspekulative Fonds, lehnten jedoch die Einigung ab und beharrten weiter auf der Erstattung ihrer vollen Schulden. Zwei der Fonds klagten gegen Argentinien, was zu einem jahrelangen Rechtsstreit führte. Der argentinische Wirtschaftsminister Axel Kicillof hatte mitgeteilt, würde seine Regierung der Forderung der beiden Hedgefonds nachkommen, könnten die anderen Fonds ebenfalls die Erstattung ihrer Schulden einfordern. Diese summierten sich aber auf 15 Milliarden Dollar. Dies könne Argentinien aber zahlen, ohne den Bankrott zu riskieren. Sollte das Land aber seine nächsten Schuldenrate an seine sonstigen Gläubiger nicht zahlen, würde dies offiziell als Zahlungsunfähigkeit gewertet.
nck/AFP/Reuters
Argentinien sieht sich nicht in der Lage, seinen Schuldendienst fortzusetzen. Weil das Land dazu verurteilt wurde, seine Altschulden bei zwei US-Hedgefonds zu begleichen, sei es "unmöglich", die Raten für die anderen Gläubiger zu zahlen.
[ "Argentinien", "Hedgefonds", "Supreme Court", "Cristina Fernández de Kirchner", "Staatsverschuldung", "Öffentliche Schulden der USA" ]
Wirtschaft
Soziales
2014-06-19T08:45:00+02:00
2014-06-19T08:45:00+02:00
https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/nach-hedgefonds-urteil-argentinien-verweigert-schuldenrueckzahlung-a-976077.html
Meinung: News des Tages: Viertklässler lesen schlecht, Rupert Stadler gesteht, Filmfestspiele in Cannes
1. »Alle Kinder lernen lesen...« – bis auf einige Kinder, die es nicht tunSetzen, sechs, mündlich könnte da noch mehr kommen, da ist noch Luft nach oben: Wie viele Kinder, die in das aufregende Leben der weiterführenden Schule starten wollten, werden das in diesem Sommer hören? Schon wieder stellt die Bildungsforschung Deutschlands Schülerschaft ein schlechtes Zeugnis aus:  Mehr als ein Viertel der Viertklässler können nicht richtig lesen. Im internationalen Vergleich lesen sie höchstens mittelmäßig – und sie lesen schlechter als im Jahr 2016. Das sind die beiden wenig optimistischen Erkenntnisse aus der weltweiten Lese-Studie Iglu.Mich beschleicht bei diesen News ein mulmiges Gefühl – weil sie keine News sind. Die vom Buchhandel initiierte Kampagne, derzufolge man seine Eltern schocken sollte, indem man ein Buch liest, gab es schon, als ich in den Nullerjahren zur Schule ging. Seit jeher mahnen und warnen die Experten. Dass die deutsche Bildungspolitik gezielter und engagierter sein muss, dass sich die Schülerschaft verändert, dass das hiesige Schulsystem aber nicht angemessen darauf reagiert, dass die Pandemie viele Schüler in die Lustlosigkeit getrieben hat. Und immer sind es vor allem die sozioökonomisch benachteiligten Kinder, die unter den fehlenden Angeboten leiden.»Was ist die richtige Bezeichnung dafür: blaues Auge? Abschwung? Absturz? Katastrophe?« , wollte mein Kollege Armin Himmelrath wissen – und hat die Frage gleich weitergegeben an eine Bildungsforscherin.Meine Kollegin Silke Fokken hat mit einem Bildungsökonomen besprochen, was die schlechten Ergebnisse langfristig für Schüler bedeuten – und wie sich gegensteuern ließe.2. »Ich habe die Vorwürfe insgesamt einzuräumen« – lässt der Angeklagte seine Verteidigerin sagenEin Deal für Freiheitsstrafe auf Bewährung: Der frühere Audi-Chef Rupert Stadler war der erste Topmanager, der sich für den Betrug an Millionen Dieselkunden vor Gericht verantworten musste – heute fand der Prozess gegen ihn in München sein vorläufiges Finale. Die Verteidigerin hat im Namen des Angeklagten das Geständnis verlesen: Stadler hat seine Schuld eingeräumt. Das Gericht wird ihm dafür eine Haft ersparen, zusätzlich wird Stadler einen Millionenbetrag zahlen müssen. Mein Kollege Martin Hesse war vor Ort, als Stadler heute den Gerichtssaal betrat:  in weißem Hemd und dunkelblauen Nadelstreifen, die Haare frisch getrimmt, wie Martin schreibt. »War Rupert Stadler in den vergangenen Monaten oft einer der Ersten im Gerichtssaal, will er an diesem Tag die Präsenz offensichtlich so knapp wie möglich halten.«Stadler, der über viele Jahre für seine Erfolge gefeiert wurde, ist tief gefallen: 2015 hatten die amerikanischen Umweltbehörden die Audi-Mutter VW beschuldigt, Motoren so manipuliert zu haben, dass sie auf dem Prüfstand die zulässigen Abgaswerte einhielten, auf der Straße aber um ein Vielfaches überschritten. Wichtige Komponenten des Betrugsmotors waren bei Audi entwickelt worden. In der 2020 erhobenen Anklage wurde Stadler vorgeworfen, an diesem Betrug zwar nicht beteiligt gewesen zu sein, ihn aber bewusst nicht aufgeklärt und damit hohe Schäden für Millionen von Dieselfahrern in Kauf genommen zu haben.Martin beschreibt, wie wortkarg Stadler sich dem Gericht präsentierte. Ein Urteil wird gegen Ende Juni erwartet. »Stadler aber kann von diesem Tag an davon ausgehen, dass er im kommenden Sommer ein freier Mann ist und bleibt«, schreibt Martin.Lesen Sie hier die ganze Geschichte: »Ja« und nochmals »ja« – und kein Wort mehr vom Ex-Audi-Chef 3. »Ich interessiere mich für Johnny Depp nur als Schauspieler« – verteidigt sich der Leiter der FilmfestspieleEs ist das große Fest der großen Filme – und eigentlich soll es in Cannes doch auch ausschließlich um die gehen, könnte man meinen. Aber in diesem Jahr geht es auch um Kontroversen, gleich zu Beginn: Eröffnet wird mit Johnny Depp. Johnny Depp ist einerseits der Typ, der in dem neuen historischen Epos »Jeanne du Barry« die Hauptrolle spielt. Andererseits ist er der Typ, der in den USA – im sechsten Jahr von #MeToo – nach dem Prozess zwischen ihm und seiner Ex-Frau Amber Heard als unbesetzbar gilt. Und in Cannes will man davon nichts wissen?Meine Kollegin Hannah Pilarczyk ist live für den SPIEGEL vor Ort und begleitet die kommenden Tage. Mit den großen Fragen geht es jetzt schon los: »Wer ist noch erwünscht, wer Persona non grata? Wer ist so wichtig, dass man lieber ein Auge zudrückt, wessen kann man sich diskret entledigen?« Der Festivalleiter Thierry Frémaux hat eine erste Antwort geliefert: »Wenn Sie dächten, das wäre ein Festival für Vergewaltiger, dann würden Sie doch nicht hier sitzen und mir zuhören, sich darüber beschweren, wie schwierig es ist, an Tickets zu kommen!«, zitiert Hannah den erbosten Frémaux.Die nächste große Sache: Die Regisseurin des genannten Films, Maïwenn Le Besco, soll im Februar einen Journalisten an den Haaren gezogen und bespuckt haben. Sollte das in Zeiten von zunehmenden Übergriffen auf die Presse nicht Grund genug sein, »Jeanne du Barry« als Eröffnungsfilm abzusetzen?Lesen Sie hier mehr über Hannahs erste Eindrücke – über die Jury und über die Filme, die in diesem Jahr eine Rolle spielen: Die Erwünschten und die Unerwünschten Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:Ukraine will Putins »Dolch« erneut unschädlich gemacht haben: Die Ukraine hat nach eigenen Angaben gleich sechs russische »Kinschal«-Hyperschallraketen gestoppt – dank Technik aus dem Westen. Was bleibt noch von Putins vermeintlicher »Wunderwaffe«? Amateuraufnahmen zeigen Abwehr von Raketenangriff auf Kiew: Immer wieder steigen Geschosse auf, Blitze erhellen den Himmel: Bewohner Kiews haben gefilmt, wie die ukrainische Luftabwehr in der Nacht Putins Raketen, Drohnen und Marschflugkörper bekämpft hat.Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-UpdateWas heute sonst noch wichtig istUnion will Graichen und Habeck noch einmal befragen: Erst vor einer Woche mussten Robert Habeck und sein Staatssekretär im Bundestag Fragen über Vorwürfe der Vetternwirtschaft beantworten. Jetzt will die Union diese Befragung wiederholen – diesmal öffentlich.Gastronomieschließungen im Herbst 2020 waren grundsätzlich rechtens: Das oberste deutsche Verwaltungsgericht hat die Coronamaßnahmen für Gaststätten und Sporteinrichtungen in der zweiten Coronawelle grundsätzlich bestätigt. Ein Kläger aus Sachsen bekam jedoch recht.Post will Briefporto vorzeitig erhöhen – wegen Inflation: Die Deutsche Post will die Preise für Briefe und Postkarten vorzeitig erhöhen. Wegen Inflation und höherer Energiepreise führe daran kein Weg vorbei.Nordrhein-westfälische Landesgesellschaft stellt Soyeon Schröder-Kim frei: Das Land Nordrhein-Westfalen will nicht mehr mit Soyeon Schröder-Kim zusammenarbeiten. Die 55-Jährige verliert ihren Posten als Südkorea-Repräsentantin wohl wegen der Teilnahme an einer Feier in der russischen Botschaft.Meine Lieblingsgeschichte heute...…steht im aktuellen SPIEGEL. Meine Kollegin Barbara Hardinghaus beschreibt darin einen absurden Prozess. Es geht um den Star-DJ Robin Schulz und den Einbruch in sein Haus in Wallenhorst bei Osnabrück. Gestohlen wurde unter anderem ein Rucksack für fast 2000 Euro, ein T-Shirt für 325 Euro und Parfüms im Wert von 5091,95 Euro. Der entsprechende Prozess soll nun zur Täterfindung führen, nur leider passieren Widrigkeiten: Der erste mutmaßliche Dieb hat einen Anwalt, der interessanterweise von seiner Unschuld überzeugt ist – und Robin Schulz hat offenbar Terminkollisionen, kann nicht zur Verhandlung kommen. Was nun? Barbara Hardinghaus über den sonderbaren, fast lustigen Nachgang eines Diebstahls.Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Was Einbrecher aus der Luxusvilla von Robin Schulz ausräumtenWas wir heute bei SPIEGEL+ empfehlenSo will Finanzminister Lindner das 20-Milliarden-Loch stopfen: Einsparungen bei Zinsen und frei verfügbaren Ausgaben: Alle Ministerien sollen ihren Beitrag leisten, um Milliarden im Etat des kommenden Jahres einzusparen. Nur ein Ressort verschont Christian Lindner .Dieser Mann könnte Erdoğan zum Sieg verhelfen: Sinan Oğan trat als dritter Präsidentschaftskandidat an. Nun gilt er als Königsmacher bei der Stichwahl am 28. Mai – unterstützt er Erdoğan oder Kılıçdaroğlu? Im SPIEGEL nennt er exklusiv seine Bedingungen .Die Masche der »Parajacker« – und der simple Trick, der sie stoppte: Lösegeld erpressen, raus per Fallschirm: 1972 entführten Verbrecher reihenweise Flugzeuge. Das FBI machte Jagd auf die Täter – doch dann hatten die Ingenieure eine Idee .»Wir hoffen, dass alle die Nachricht verstehen«: Wird es bald einen universellen Nachfolger der SMS geben? Wenn es nach Google geht, schon. Apple sieht das anders. Google-Manager Sameer Samat stichelt deshalb inzwischen öffentlich. Dem SPIEGEL sagt er, warum . Was heute weniger wichtig ist Noch einmal groß rauskommen: Das war Martha Stewart offenbar recht wichtig, weshalb sie sich dazu entschied, das Cover der »Sports Illustrated« zu zieren – nicht irgendein Cover, sondern das der ikonischen Bademoden-Ausgabe. Die Fernsehköchin und Unternehmerin ist damit die älteste Frau auf dem Titel des Magazins, sie ist 81. Dazu die Chefredakteurin des Blattes: »Sie ist mit der Zeit gegangen – immer einen Schritt voraus, wie es scheint.«Mini-Hohlspiegel Hier finden Sie den ganzen Hohlspiegel.Cartoon des Tages Und heute Abend?…fliege ich nach Hollywood, äh, Hause. Dort esse ich einen Salat, dessen Geschichte so glamourös ist wie die großen Filmstars, die dieses Gericht verehren. Der sogenannte Cobb Salad wird auf meinen Tisch kommen; erfunden in Hollywoods Golden Age Mitte der Zwanzigerjahre, wie unsere Kochkolumnistin Verena Lugert hier beschreibt. Im Cobb Salad, der eigentlich dazu dienen sollte, einen prominenten Restaurantgast mit Zahnweh zufriedenzustellen, ist einfach alles drin, was schmeckt: Bacon. Roquefort. Eier. Dazu Avocado, grüner Salat, ein wenig Huhn und eine süßsaure, mit viel Öl aufemulgierte Vinaigrette, durch Senf und Knoblauch herrlich pikant.Das beste Gericht ist ja ein solches, für das man nicht in fünf Spezialsupermärkte fahren muss, sondern eigentlich nur in den Gemüseladen um die Ecke.Um es mit Verenas Worten zu sagen: Lassen Sie es sich schmecken.Einen schönen Abend. HerzlichIhre Nike Laurenz, stellvertretende Ressortleiterin Leben
Nike Laurenz
Viertklässler lesen schlecht. Der frühere Audi-Chef hat im Dieselskandal ein wortkarges Geständnis abgelegt. Und: In Cannes beginnen die Filmfestspiele – ausgerechnet mit Johnny Depp. Das ist die Lage am Dienstagabend.
[ "Die Lage am Abend" ]
Politik
Deutschland
2023-05-16T17:46:29+02:00
2023-05-16T17:46:29+02:00
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/news-des-tages-viertklaessler-lesen-schlecht-rupert-stadler-gesteht-filmfestspiele-in-cannes-a-94e7ec2c-2603-4d04-b6c2-4a08f9b7f212
Deutschland-Portal: Bundespresseamt bekommt "deutschland.de"
Berlin - Unter der Adresse "www.deutschland.de"plane die Regierung ein Deutschland-Portal, teilte dasBundespresseamt in Berlin mit. Diese Seite für denEinstieg ins Internet bietet die Kategorien "Wissenschaft","Wirtschaft", "Kultur", "Tourismus" und "Staat". Per Mausklick kannsich der Informationssuchende dann zum Beispiel zuForschungseinrichtungen, Behörden oder Tourismusverbänden leitenlassen. Wer bisher die Adresse www.deutschland.de  aufrief, gelangte aufdie Seiten der Medianet GmbH (Frankfurt am Main) und fand unter anderemBekanntschafts- oder Mietanzeigen. Das Unternehmen hatte sich dieAdresse 1995 im deutschen Internetregister eintragen lassen.DasBundespresseamt "schaltete" zu spät und bemühte sich verspätet, aber dafür hartnäckig um diese Domain -zunächst in Vergleichsgesprächen, dann mit einer Klage. Am 10. Augusthat die 16. Zivilkammer des Landgerichts Berlin dem Bundespresseamtdie Rechte an der Adresse zugesprochen. Spätestens Ende diesesJahres soll das Portal eingerichtet sein.
Manchmal sind die Letzten tatsächlich die Ersten: 1995 sicherte sich das Unternehmen Medianet die Adresse "deutschland.de", das Bundespresseamt - ebenfalls interessiert an der Domain - hatte das Nachsehen. Jetzt bekam die Behörde die Adresse doch noch zugesprochen: per Gerichtsentscheid.
[]
Netzwelt
Web
2000-08-23T19:01:20+02:00
2000-08-23T19:01:20+02:00
https://www.spiegel.de/netzwelt/web/deutschland-portal-bundespresseamt-bekommt-deutschland-de-a-90367.html
Chicago: Ein Kunstatelier führt zwei Welten zusammen
Der eine Junge krempelt sein Hosenbein hoch, um eine Narbe zu zeigen. Die, sagt er, sei durch eine Kugel entstanden, die seine Wade durchbohrt habe. Der andere Junge starrt entsetzt auf das Bein seines Freundes. Er kann nicht glauben, dass das jemandem passiert ist, so nah an seinem Zuhause. Eigentlich wird das Leben der Jungs nur durch eine Straße in Chicago getrennt. Und doch sind beide in verschiedenen Welten zu Hause.Der Junge mit der Schusswunde ist schwarz, sein schockierter Freund weiß. Beide gehen auf verschiedene Schulen in Chicago, der eine auf eine öffentliche, der andere auf eine Privatschule. Sie haben auch sonst keine Berührungspunkte miteinander - bis auf die Sedgwick Street, die ihre Viertel und ihre Lebenswelten trennt. Dort hat sich die Fotografin Martha Irvine für die Nachrichtenagentur AP  umgesehen. Auf der Westseite der Straße stehen Sozialbauten, in denen hauptsächlich afroamerikanische Familien leben. Auf der Ostseite befinden sich Eigentumswohnungen und Luxushäuser, in denen meistens weiße Amerikaner wohnen. So wie Charlie Branda. Dass die beiden Jungs sich überhaupt unterhalten haben, ist ihr Verdienst. Die 53-jährige Mutter und ehemalige Bankkauffrau hat zugesehen, wie andere die Straßenseite wechselten, wenn schwarze Familien ihnen entgegen kamen. Oder wie Leute den Spielplatz verließen, wenn afroamerikanische Kinder dort toben wollten. "So wie es ist, sollte es nicht sein", habe Branda sich gesagt, schreibt Irvine. Branda nahm sich vor, beide Seiten der Sedgwick Street zu verbinden - mit Kunst. Die Idee dazu kam ihr, als ein junges Mädchen den Satz "Das würde ich gern tun, bevor ich sterbe: ……" mit dem Wort "Kunst" ergänzte. Nachdem Branda ihren Nachbarn von der Vision erzählt hatte, ein eigenes Kunstatelier zu eröffnen, fanden sich Unterstützer. Und im Oktober 2015 wurde das Sedgwick Studio eröffnet."Das sieht man heute sonst nirgendwo"Zu Beginn wurde das Atelier zögerlich angenommen. Doch mit jeder Kunstklasse kamen mehr und mehr Interessenten. Eine der Teilnehmerinnen war Cory Stutts, die Direktorin der benachbarten Privatschule. Weil sie sich schämte, so wenig andere weiße Familien in den Kursen des Ateliers zu sehen, nahm sie die Sechstklässler ihrer Schule mit. Und brachte sie mit den meist afroamerikanischen Schülern der öffentlichen Schule zusammen. Zuerst, dachte sich Stutts aus, sollten sich die Kinder über Fragen wie "Wovon träumst du?", "Denkst du über den Tod nach?" und "Hast du Angst?" kennenlernen."Eine Gruppe weißer Kinder spielt mit einer Gruppe schwarzer, das sieht man heute sonst nirgendwo", sagte Eric Evans, einer der teilnehmenden Schüler. Damit hat das Kunstprojekt im Sedgwick Studio dazu beigetragen, die Kluft der Sedgwick Street zu überwinden.Wenn Branda heute über die Straße geht, schreibt Irvine, dann spüre sie auf beiden Seiten eine tiefe Liebe zu diesem Ort. "Sie können uns nicht mehr trennen", sagt sie dann.
Elisa von Hof
Die Sedgwick Street teilt in Chicago arm und reich, schwarze und weiße Anwohner. Eine Frau mag sich damit nicht abfinden. Sie will ihre Nachbarn mit einem Kunststudio zusammenbringen.
[ "USA", "Chicago" ]
Panorama
Gesellschaft
2018-10-09T18:08:00+02:00
2018-10-09T18:08:00+02:00
https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/chicago-ein-kunstatelier-fuehrt-zwei-welten-zusammen-a-1230567.html
Gasaustritt aus Lastwagen – A1 gesperrt
Wegen eines undichten Gefahrguttransporters ist die A1 zwischen Dortmund/Unna und dem Kamener Kreuz weiter in beiden Fahrtrichtungen gesperrt. Das teilte die Autobahn GmbH am Donnerstag mit. Aus einem Gefahrguttransporter ströme dort Gas aus.Die weitere Dauer der Sperrung sei nach Angaben der Feuerwehr noch unklar. Der Fernverkehr auf der viel befahrenen Autobahn solle großräumig ausweichen, etwa ab Osnabrück über die A33 und die A44 oder ab Münster über die A43. Im Nahbereich sollte auf die A2 und die A45 ausgewichen werden. Das Gas entweicht laut Polizei aus einem beschädigten Überdruckventil. Bei dem Gas handele es sich mutmaßlich um das leicht entflammbare Ethylen.Sperrung seit MittwochabendBeide Fahrtrichtungen sind schon seit Mittwochabend gegen 19 Uhr gesperrt. Anwohnerinnen und Anwohner wurden durch die Warn-App Nina dazu aufgefordert, Fenster und Türen geschlossen zu halten.Die Stadt Unna teilte mit , Messungen hätten ergeben, dass eine Gesundheitsgefährdung nicht ausgeschlossen werden und der Stoff leicht in Brand geraten könne. Die Warnung, im Umkreis Türen und Fenster geschlossen zu halten, habe nach wie vor Bestand. Rund hundert Einsatzkräfte sind nach Angaben der Stadt vor Ort. Fachleuten analysieren demnach, wie sich der Gefahrstoff sichern lasse. Noch sei unklar, mit welchen Maßnahmen der Gefahrstoff aus dem Tanklaster geholt werden könne, sagte eine Stadtsprecherin. Es gebe mehrere Optionen wie etwa ein kontrolliertes Abbrennen des Gases. Dann müssten möglicherweise Gebiete evakuiert werden. Es würden aber auch andere Optionen geprüft, das Gas abzuleiten.
wit/dpa
Aus einem undichten Lkw-Tank auf der A1 bei Unna entweicht Gas. Das hat weitreichende Folgen – für Anwohner und Autofahrer.
[ "Nordrhein-Westfalen" ]
Panorama
default
2024-07-11T10:08:00+02:00
2024-07-11T10:08:00+02:00
https://www.spiegel.de/panorama/unna-gasaustritt-aus-lastwagen-a1-gesperrt-a-4bd27ce6-54b2-45ae-b008-8795b79b88c2
Pauken beim Politoffizier
Er könnte auch den Mund halten, wäre doch ganz leicht und für alle das Einfachste. Kein Streit, kein Stress, keine Sticheleien, er müsste nur mitmachen - Mund zu, Maske auf. Aber Fred Splisteser kann nicht, irgendein Sporn treibt ihn an, und dann sagt der Lehrer am Gymnasium im mecklenburgischen Crivitz: »Ja, ich war ein Mitläufer.« Einer, der zu DDR-Zeiten Mitglied der Blockflötenpartei NDPD war - wie so viele. Und der sich dazu vor seinen Schülern bekennt - wie so wenige. Denn so viel Offenheit wie beim Geschichts- und Sozialkundelehrer Splisteser, 40, ist selten an ostdeutschen Schulen. Normal ist, dass die älteren Lehrer über ihr Dasein und Dabeisein in der Diktatur schweigen - und was noch schlimmer ist: über die Geschichte der DDR gleich samt und sonders dazu. »Die DDR ist zwar Geschichte, aber gerade im Geschichtsunterricht hat sie ihren Platz noch nicht gefunden«, klagt Jörn Mothes, Schweriner Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen. Mothes, der Mann für das schlechte Gewissen in Mecklenburg-Vorpommern, ahnt auch, warum Lehrer zur nahen Vergangenheit gern auf Abstand gehen: Die persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen, sagt Mothes, »machen viele befangen«. Es sind deshalb nicht wenige Ost-Lehrer, die sich im Geschichtsunterricht so lange wie möglich mit der Nazi-Herrschaft in Deutschland aufhalten, nur um dann keine Stunden mehr für die Zeit nach 1945 zu haben. So wiederholt sich im Osten, was an westdeutschen Schulen in der Nachkriegszeit üblich war, wenn es hieß: Nationalsozialismus? Dazu kommen wir später. Das Ausmaß der Ignoranz überraschte jüngst sogar die Experten für politische Bildung, die im Januar aus allen Teilen der Republik zu einem Symposium bei Freiburg zusammengekommen waren. In einer Abschlusserklärung entrüsteten sich die rund 50 Teilnehmer, »dass im Schulunterricht die DDR-Geschichte bestenfalls am Rande behandelt wird«. Dass Schüler im Osten mehr über den Boxer-Aufstand 1900 in China als über den Arbeiteraufstand 1953 in Ost-Berlin erfahren, beunruhigt auch die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler. In einem Schreiben an alle ostdeutschen Kultusminister beklagte sie, dass der »Wissensdurst« der Schüler über die SED-Diktatur im Unterricht »zu wenig befriedigt« werde. Schon heute klaffen enorme Wissenslücken: So haben Zehntklässler an den Arbeiter-und-Bauern-Staat, in dem sie geboren sind, keine Erinnerung mehr. Als die Einheit kam, waren sie Kleinkinder; vielleicht wissen sie noch, wer Pittiplatsch und Schnatterinchen waren, die Puppenfiguren aus dem DDR-Fernsehen. Doch Honecker ist für viele auch nur noch so ein Politiker. »Wir haben gerade mal vier Stunden auf die DDR verwendet«, empört sich Anja Deichmann, 17, Schülerin am Pädagogium Schwerin. Der Lehrer habe die Staatsgründungen von BRD und DDR durchgehechelt, die Stasi »kurz angerissen« und dann »noch gesagt, dass Wessis jetzt mehr verdienen als Ossis - das war''s«. Darüber, dass es auch Opposition gegen das Regime gegeben hat, habe die Klasse gar nichts erfahren. »Die Kinder von heute«, stellt der Berliner Theologie-Professor Richard Schröder fest, »kennen die DDR nicht mehr« - aber, fügt er bitterböse hinzu, »in der Schule treffen sie sie wieder«. Kein Wunder: Das im Sozialismus geschulte Lehrpersonal wurde ja, anders als an den Universitäten, fast komplett übernommen. Die »Kollektive«, so heißen die Lehrerkollegien auf ostdeutsch bis heute, blieben nahezu unversehrt bestehen. In Sachsen beispielsweise haben - trotz der zwischenzeitlichen altersbedingten Abgänge - von den derzeit rund 40 000 Lehrern 36 000 bereits zu DDR-Zeiten unterrichtet, von den 27 000 brandenburgischen Lehrkräften standen 23 000 schon im Dienst des untergegangenen Systems. Nicht einmal überführte Stasi-Petzer ließen sich nach der Einheit ausnahmslos aus den Pennen entfernen. Wie auch? Schließlich durften DDR-Staatsdiener gleich nach der Wende eigenhändig Belastungsmaterial aus ihren Kaderakten aussortieren. Geschasst wurde später nur, wer gelogen hatte, als er die Erklärung unterschrieb, niemals für die Stasi gespitzelt zu haben. Wer das Papier einfach ignorierte, blieb meist unbehelligt. Wie etwa in Mecklenburg-Vorpommern: Dort gingen zu rund 50 000 Lehrern Anfragen bei der Gauck-Behörde ein. Von den Überprüften sind, wie sich herausstellte, etwa 2000 Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi gewesen. Ein Drittel davon quittierte den Schuldienst freiwillig, ein Drittel kassierte die Kündigung, ein Drittel kam ungeschoren davon. Von den hinausgeworfenen Pädagogen klagten sich mehr als 20 über die Arbeitsgerichte auf ihre Planstellen zurück. Noch schlimmer in Sachsen: Von den knapp 60 000 Lehrern aus DDR-Zeiten mussten 8500 vor die Personalkommissionen. Fast 5000 flogen aus dem Staatsdienst: wegen Nichteignung, Stasi-Spitzelei oder einfach, weil DDR-Fächer wie Staatsbürgerkunde und Marxismus-Leninismus nicht mehr auf dem Lehrplan stehen. Doch nahezu 700 belastete Altkader sind mit Hilfe der Justiz wieder im Schuldienst. »Wir haben ein neues Schulsystem, aber die alte Lehrerschaft, die nach wie vor die Meinung im Lehrerzimmer prägt«, wundert sich die Leipziger Lehrerin Claudia Bohse, »das ist verrückt.« SED-Parteisekretäre stiegen zu Schuldirektoren auf, Pionierleiter zu Fachlehrern für Ethik und Religion - so, als hätte es in ihrem Land und ihrem Leben nie eine Wende gegeben. Einer, der 25 Jahre lang als Politoffizier bei den DDR-Grenztruppen wirkte, unterrichtet jetzt unbeschwert an einer Berufsschule in Thüringen. Ein IM, zeitweilig vom Schuldienst suspendiert, sitzt jetzt wieder an seinem alten Schreibtisch als Rektor eines Gymnasiums in Mecklenburg-Vorpommern. Auch eine von der SED hoch dekorierte Grundschullehrerin in Leipzig hatte keine Probleme mit der Überprüfungskommission. Die »verdiente Lehrerin des Volkes«, einst Mitglied der SED-Bezirksleitung und mit der Ehrennadel der Nationalen Front für »parteilichen Unterricht« und für »hervorragende Leistungen bei der sozialistischen Erziehung in der Pionierorganisation« belobigt, darf weiterhin der Jugend den Weg weisen. Derart geprägt, setzen Lehrer dann schon mal unbekümmert die Rundum-Bespitzelung der Stasi mit der Arbeit des Verfassungsschutzes gleich. Sachsens Bildungsminister Matthias Rößler (CDU) stuft gut ein Drittel der ostdeutschen Lehrer als Altlasten ein, verloren für die Demokratie. Die wenigen, die sich querlegen wie Fred Splisteser, brauchen dazu einen ähnlichen Bekennermut wie Abweichler vor der Wende. »Der engagierte Kollege wird schräg angesehen«, weiß die Thüringerin Birgit Siegmann aus eigener, aus leidvoller Erfahrung: Als sie vor Jahren gegen die »alten Hierarchien« zu Felde zog, mobbten sie die Kollegen an ihrer Schule in Hildburghausen, und das so penetrant, dass sie sich »wie eine Aussätzige fühlte« und entnervt ans Thüringer Institut für Lehrerfortbildung flüchtete. »Das Gros ostdeutscher Lehrer«, klagt die einstige DDR-Bürgerrechtlerin Freya Klier, sei »noch immer geprägt von überholten Denk- und Verhaltensmustern«. Gerade Lehrer seien schließlich »zu Propagandisten der Partei geschult« worden. Die Volksbildung, organisiert von der gnadenlosen Staatsgouvernante Margot Honecker, war »für das DDR-System von zentraler Bedeutung, sie rangierte gleich hinter der Staatssicherheit«, urteilt Uwe Hillmer vom »Forschungsverbund SED-Staat« an der Freien Universität Berlin. Die Erziehung von Jungpionieren für den Sozialismus war deshalb Aufgabe für zuverlässige Charaktere, die fest auf dem Boden der Partei standen. Dort standen ehedem auch viele Eltern - was Wunder, dass auch nur wenige Väter und Mütter mutigen Lehrern den Rücken stärken. »Von den Eltern beschwert sich niemand, wenn die DDR-Zeit nicht behandelt wird«, beobachtet Werner Chlosta, Geschichtslehrer und Schulleiter des Gymnasiums Fridericianum in Schwerin. Eher wird ein Lehrer dafür geprügelt, dass er die Strukturen im real existierenden Sozialismus schildert. Splisteser erhielt früher schon mal nächtliche Drohanrufe von Eltern, Schüler pöbelten ihn an: »Sie lügen!« In den meisten Elternhäusern wird über die DDR-Vergangenheit nicht gesprochen, und wenn doch, dann wie von der guten alten Zeit. Da erfahren Jugendliche, dass es in der DDR angeblich keine Arbeitslosen und keine Kriminellen gab, dafür aber eine 1a-Dreiraumwohnung für ganze 100 Ostmark. Die Kinder plappern das einfach nach, und woher, wenn nicht aus der Schule, sollten sie es auch besser wissen? Die »sozialistischen Errungenschaften« seien gar nicht gewürdigt worden, beklagt sich Marian Dörk, 19, über seinen Geschichtsunterricht in der zehnten Klasse am Magdeburger Wilhelm-Raabe-Gymnasium, aber man habe ohnehin nur ganze zwei Stunden über die jüngste deutsche Vergangenheit gesprochen. Wenn der Schweriner Stasi-Beauftragte Mothes in seiner Behörde manchmal Besuch von Jugendlichen hat, bekommt er deshalb manchen Wahnwitz als Grundwissen zur DDR-Geschichte aufgetischt. Etwa, dass es in der DDR doch »normal gewesen« sei, »dem Staatssicherheitsdienst als Inoffizieller Mitarbeiter zur Verfügung zu stehen«. Was Schüler und Lehrer schwarz auf weiß nach Hause tragen können, ist offenbar auch keine große Hilfe. »Geeignetes Unterrichtsmaterial, Schulbücher und Handreichungen für Lehrer« existierten »nicht oder nicht in ausreichendem Umfang«, rügt der Stasi-Beauftragte Mothes. Der einzige ostdeutsche Schulbuchverlag, Volk und Wissen, der allerdings seit 1991 zur westdeutschen Cornelsen-Verlagsgruppe gehört, hat sich zehn Jahre lang nicht an das delikate Kapitel DDR-Geschichte herangewagt. Erst jetzt ist ein einschlägiges Lehrbuch angekündigt. Kaum besser die Lehrpläne: Sie bürgen zwar dafür, dass kein Schüler ganz an der Information vorbeirutscht, es habe da mal die DDR gegeben. Aber in Mecklenburg-Vorpommern reicht es, wenn in der gymnasialen Jahrgangsstufe 10 aus einem Angebot von 15 Themen 4 im Unterricht behandelt werden. »Die Frage ist, wie es konkret umgesetzt wird«, weiß Ralf Schattschneider vom Schweriner Bildungsministerium. Mutige Lehrer können sich dann an das Thema »Herrschaftssicherung und Umgang mit der Opposition in der DDR« herantrauen. Wem das zu heiß ist, der darf sich aber auch mit dem »Alltag der Deutschen in Ost und West« durchmogeln, mit unpolitischen Aspekten aus Kultur und Sport oder mit der sozialen Sicherung im Osten. So kann manch einer in seliger Erinnerung schwelgen, dass unter Erich ja nicht alles schlecht war in der DDR. Nicht eine Vorschrift bestimmt außerdem, wie viele Stunden nötig sind, um Schülern die DDR-Geschichte zu erklären - das können 20 oder auch nur 2 sein. Und was der Lehrer erzählt, kontrolliert ohnehin keiner. Für das Schulfach Geschichte sehen die Lehrpläne für die achten bis zehnten Klassen meist nur eine Wochenstunde vor. In der knappen Zeit, ahnt Mothes, sei »der volle Rahmenplan kaum zu schaffen«, und manch ein Lehrer sei erleichtert, wenn er zum Schuljahresende nicht in der jüngeren Vergangenheit angekommen ist. Die DDR, letzter Geschichtsstoff der 10. Klasse, fällt deshalb oft hinter das letzte Klingelzeichen. In der Sekundarstufe II endet die deutsche Geschichte offiziell sogar schon 1955 - Abiturienten werden mit dem größten Teil der DDR-Existenz gar nicht mehr behelligt. Um dem »fatalen Erinnerungsnotstand« abzuhelfen, holt sich Stasi-Experte Mothes nun schon seit einiger Zeit Lehrer und Schüler zu Projekttagen und Seminaren ins Haus. Bei diesen Fortbildungsmaßnahmen drücken die Lehrer einen Tag lang die Schulbank, Mothes gibt Unterricht. »Zuerst sitzen die meisten da, als ob sie vor Gericht erscheinen müssen«, schildert er das Frostklima, mit der Zeit gebe es aber »tolle Gespräche«. Mothes, gelernter Tischler und studierter Theologe, der sich im Wendeherbst 1989 für das oppositionelle Neue Forum engagierte, erzählt seinen Zuhörern dann aus seiner eigenen Schulzeit, vom Wehrkunde-Unterricht und von der GST, der Gesellschaft für Sport und Technik. Die meisten, weiß Mothes, »haben seit der Zeit nie wieder darüber gesprochen«. Mit seinem Stellvertreter Jochen Schmidt, einem westdeutschen Politikwissenschaftler, sowie einer weiteren Mitarbeiterin geht Mothes aber auch in die Schulen. Rund 450 hat seine kleine Behörde zu Beginn des Jahres angeschrieben und den Lehrerkollegien ihre gelben Flyer geschickt. Gerade mal 50 meldeten sich für ein Seminar an, aber selbst dabei funktionierten noch die in der DDR anerzogenen Reflexe. Etliche Interessenten, berichtet Mothes, hätten angefragt, »wo sie sich denn die Genehmigung holen müssen«. NORBERT F. PÖTZL* Oben: an der Dr.-Ernst-Alban-Realschule im mecklenburgischenRastow; unten: bei der Einweihung einer Polytechnischen Oberschulein Ost-Berlin 1987.
Norbert F. Pötzl
Die DDR-Vergangenheit ist in vielen ostdeutschen Schulen ein Tabu. Befangen durch ihre eigene Biografie, scheuen sich Pädagogen, über die SED-Diktatur aufzuklären.
[ "SED", "Stasi", "Mecklenburg-Vorpommern", "DDR" ]
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2001-08-19T13:00:00+02:00
2001-08-19T13:00:00+02:00
https://www.spiegel.de/politik/pauken-beim-politoffizier-a-8c1fdc2f-0002-0001-0000-000019915839?context=issue
NSA-Museum in den USA: Besuch bei den Supergeheimen
Die ganze Welt kennt mittlerweile diese schwarz glänzende Glasfassade des Quaders, in dem sich das Hauptquartier der National Security Agency (NSA) befindet. Eine halbe Stunde Autofahrt nordöstlich der Hauptstadt, direkt am Washington-Baltimore-Parkway gelegen. Aber Filmen oder Fotografieren dürfen wir den schwarzen Kasten trotzdem auf keinen Fall. Verboten. Alle Bilder, die es von dem Gebäude gibt, hat der Geheimdienst selbstgemacht. Die National Security Agency sei die "größte, geheimste, fortschrittlichste Spionageorganisation des Planeten", hat NSA-Experte und Buchautor James Bamford festgestellt. "Leben der nationalen Verteidigung gewidmet"Es ist kurz vor 8 Uhr morgens an einem Werktag im August, und wir reihen uns ein in die Autoschlange der NSA-Beschäftigten, die nun vom Parkway abfahren. Es ist mächtig was los. Mehr als 30.000 Leute sollen hier arbeiten, genauere Angaben will niemand machen. Im vergangenen Jahr hat die NSA ihr 60-jähriges Jubiläum gefeiert. Auf der Militärbasis um die Ecke hat man gerade WikiLeaks-Whistleblower Bradley Manning verurteilt, der inzwischen als Frau leben und Chelsea genannt werden möchte - ein Geheimnisverräter im Zentrum des Geheimen. Wir fahren stets entlang am silbern glänzenden Zaun, bleiben außerhalb des Geländes, folgen den Schildern zum NSA-Museum. Ein Museum, hier? Der geheimste Geheimdienst der Welt hat sich einen öffentlichen Schaukasten direkt vor die Tür gestellt. Dort feiert man die Menschen, "die ihr Leben der Kryptologie und nationalen Verteidigung gewidmet haben". 1993 schon haben sie das Museum eröffnet, in den ersten Monaten ausschließlich für NSA-Mitarbeiter. Wir treffen Louis Leto. Er ist der Mann für die Öffentlichkeitsarbeit des Museums. 50.000 Besucher seien im vergangenen Jahr gekommen, sagt er. Künftig hoffe er auf 60.000. Interessant: Die NSA wünscht mehr Publikum.Zu aktuellen Ereignissen, das ist von vornherein klar, können wir hier keine Auskunft erwarten. Gemeint ist natürlich der Fall Edward Snowden. Wir stehen jetzt draußen auf der Wiese vor einem Flachdachbau. Filmen dürfen wir, aber ausschließlich das Museum. Leto passt auf. Wie nah kann man der NSA kommen? Welche Hinweise liefert die Historie eines Dienstes auf seine umstrittene Gegenwart? Die Enigma-Maschine ist eines der HighlightsPatrick Weadon soll uns die Geschichte der Kryptologie näherbringen - und die der NSA. Weadon ist der Kurator des Museums, ein älterer Herr, groß und schlaksig, Hosenträger. Er ist vorsichtig. Und beginnt mit der Enigma-Maschine, mit der die Deutschen im Zweiten Weltkrieg Botschaften verschlüsselten. Sie haben ein paar Originalexemplare hier bei der NSA, Weadon gibt die Buchstaben U, S und A ein. Die Maschine macht daraus FYC. Weadon erzählt, wie Polen, Briten und Amerikaner den Enigma-Code brechen konnten; er zeigt die mannshohe Enigma-Entschlüsselungsmaschine, die die US Navy ab 1943 nutzte. "Das hier ist unsere Mona Lisa", sagt er über die Apparatur. Von heute aus betrachtet fühle sich das an wie Steinzeit, sagen wir. Achtung, Gegenwartsbezug. Keineswegs, entgegnet Weadon, am Prinzip habe sich ja nichts geändert. Beispiel Fußball: "Im Jahr 1960 haben die Spieler der deutschen Nationalmannschaft Trikots und kurze Hosen getragen, es gab einen Fußball und einen Schiedsrichter. So wie heute. Nur die Spieler sind nun schneller, haben bessere Kondition." Aber Fußball bleibe doch Fußball. "Und wer am Ende besser spielt, der hat gewonnen." So wie beim Kampf der Kryptologen und Geheimdienste. Jetzt sind wir bei der Seeschlacht von Midway angekommen. Im Sommer 1942 überlistete Amerika die Japaner im Pazifik und siegte, weil es den japanischen Militärcode geknackt hatte. Aus Weadons Sicht ist dies das Paradebeispiel für den Einfluss der Kryptologen. Der Krieg wurde verkürzt, Leben wurden gerettet. "Am Ende ist es doch so: Wenn du kritische Informationen über deinen Gegner hast, und er hat keine solchen Informationen über dich, dann bist du im Vorteil", sagt Weadon. Ist es heute nicht schwieriger als damals, die eigenen Informationen zu sichern? "Um es mehr generell auszudrücken: Die Geschichte ist voller Beispiele von Leuten, die kritische Informationen an den Feind weitergegeben haben", sagt Weadon. Wie man das stoppen könne? "Eine perfekte Lösung gibt es wohl nicht, aber man muss es sicherlich versuchen."Es ist ein fortwährender Eiertanz, ein Herumreden um den heißen Brei. Die Lage entspannt sich, als wir nach dem ältesten Ausstellungsstück fragen. Pressemann Leto zeigt ein englisches Kryptologie-Buch.Sicheres Terrain. Das Werk stammt aus dem Jahr 1518.
Sebastian Fischer, Sandra Sperber
Die Gäste dürfen selbst Geheimdienst spielen: Die National Security Agency unterhält in direkter Nachbarschaft ihres Hauptquartiers ein Museum. Was gibt's da zu sehen? Die Erkundung.
[ "National Security Agency (NSA)", "Edward Snowden", "USA", "Chelsea Manning", "US-Überwachung", "Baltimore" ]
Ausland
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2013-09-04T06:13:00+02:00
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https://www.spiegel.de/politik/ausland/nsa-museum-in-den-usa-besuch-bei-den-supergeheimen-a-917668.html
Börsen nach Terrorakt: "Da muss schon mehr passieren"
Hamburg/Frankfurt am Main/New York - Nach den Anschlägen in London haben sich deutsche Aktien überwiegend von ihren kräftigen Vortagsverlusten erholt. Der Leitindex Dax   stieg im frühen Handel um 0,81 Prozent auf 4.566,96 Punkte. Der MDax   für mittlere Werte verbesserte sich um 0,79 Prozent auf 3824,11 Punkte und der TecDax   gewann 1,68 Prozent auf 559,06 Punkte. Ähnlich sah es an anderen europäischen Märkten aus. Der britische FTSE-Index   startete ebenso im Plus wie der französische CAC-40  . Beide hatten ihrerseits gestern massive Abschläge hinnehmen müssen. Vor allem die positive Entwicklung der US-Börsen ließen Dax, FTSE und CAC steigen. Der New Yorker Aktienmarkt hatte gestern trotz der tödlichen Anschläge höher geschlossen. Der Dow Jones   für 30 Industriewerte stieg um 31,61 Punkte (0,31 Prozent) auf 10.302,29 Zähler, der Composite-Index der Technologiebörse Nasdaq   stieg um 7,01 Punkte (0,34 Prozent) auf 2075,66 Zähler. "Das ist die Welt, in der wir leben"Beobachter nannten den Zeitpunkt der Anschläge am Morgen in der britischen Hauptstadt und die Zeitverschiebung als Grund dafür, dass die Explosionen in Amerika nicht zu einem Kursrutsch führten. "Leider ist das die Welt, in der wir jetzt leben", sagte ein Händler der Firma Ryan Beck & Co. "Vor fünf Jahren wäre der Markt viel mehr eingebrochen. Heute sehen wir es als eine Kaufgelegenheit; es gibt keine Panik." Tatsächlich entwickeln die Börsen zusehends eine gewisse Immunität gegen den Terror. Die Attacken auf das World Trade Center 2001 trafen die Finanzmärkte Mitten ins Herz und hatten zu einer globalen Wirtschaftskrise geführt. "Der absolute Schrecken hat mit dem 11. September eine neue Dimension bekommen, auch an den Märkten. Daran messen die Börsen nun die Folgen von Terrorismus", sagt der Chefanalyst des Bankhauses Metzler, Johannes Reich, gegenüber SPIEGEL ONLINE. Reich erkennt an den Börsen dabei einen gewissen Lerneffekt was den Umgang mit Terror angeht und verweist auf das Beispiel Israel. Dort reagiere der Markt kaum noch auf Attentate, so Reich. Anschläge würden immer stärker nach ihren rein ökonomischen Folgen beurteilt. Schon bei den Attentaten von Madrid im vergangenen Jahr waren die Auswirkungen überschaubar. Bereits damals hatten einige Marktteilnehmer davor gewarnt, dass die Folgen gravierender sein dürften, wenn ein Finanzzentrum wie Frankfurt oder London das Ziel der Terroristen wird."London musste man erwarten"Eben dies ist nun geschehen, sogar mit direkten Auswirkungen auf das Geschäft, da das Londoner Clearing House evakuiert wurde. Das Clearing House umfasst die drei Börsen London International Financial Futures and Options Exchange (Liffe), die London Metal Exchange (LME) und die International Petroleum Exchange (IPE). Und dennoch halten sich die Verluste in Grenzen. "London musste man erwarten", sagt Reich. Das Verhaltensmuster der Anleger spreche dabei für sich. Bei den ersten Nachrichten über Explosionen in der britischen Hauptstadt seien die Märkte in sichere Staatsanleihen geflüchtet und hätten Aktien massenhaft verkauft. Als dann aber klar war, dass der Angriff "nur" mit Bomben durchgeführt wurde, legten die Aktien wieder zu.Weitaus schlimmer wären die Folgen möglicherweise gewesen, hätte es sich um eine Attacke mit Atom-, Bio- oder Chemiewaffen gehandelt, sagt Reich. Dies wäre dann eine andere Dimension. "Dann könnten die Folgen an den Märkten gravierender sein, je nachdem wie die Auswirkungen eines solchen Angriffs eingeschätzt werden." Deutlicher drückt es ein Frankfurter Börsianer aus: "Es ist zwar traurig, dies so sagen zu müssen, aber es muss schon mehr passieren, um die Finanzmärkte dauerhaft zu verunsichern." Jörn Sucher
Der große Kurscrash nach den Anschlägen von London fällt aus. Keine 24 Stunden nach den Terrorakten drehen die Börsen in Europa und Amerika wieder ins Plus. Die Märkte haben sich an den Terror und seine Folgen gewöhnt.
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Wirtschaft
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2005-07-08T11:20:08+02:00
2005-07-08T11:20:08+02:00
https://www.spiegel.de/wirtschaft/boersen-nach-terrorakt-da-muss-schon-mehr-passieren-a-364248.html
Bahn, Bank, Alkohol: VW: Ein Beispiel macht Schule
So erklärte Noch-Bahnchef Mehdorn, bei der Bahn würden ab sofort nur noch Lokführer mitgenommen ("Wen wir fahren, der soll auch uns fahren!"), die Deutsche Bank gewährt Girokonten ab dem nächsten Ersten nur noch Mitmenschen, die genau so viel Geld haben wie die Deutsche Bank ("Wer uns sein Geld gibt, der soll auch uns sein Geld geben! Und zwar alles!"), und der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband erklärte begeistert, Übernachtungen gewähre man mit Beginn der Saison nur noch Personen, die bereits im Hotel wohnen ("Wer bei uns schläft, der soll auch mit uns... ups, sorry!"), der Ausschank in Gaststätten und Kneipen hingegen erfolge prinzipiell nur noch an bereits hinreichend Betrunkene ("Wer Alkohol erhält, der soll auch Alkohol enthalten!").
Die Ankündigung des VW-Konzerns, man werde künftig nur noch Menschen auf das Firmengelände lassen, die in einem VW vorstellig werden ("Wen wir beschäftigen, der soll auch uns beschäftigen!"), trifft allenthalben auf begeisterte Zustimmung - und Nachahmer.
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Panorama
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2009-02-05T11:13:08+01:00
2009-02-05T11:13:08+01:00
https://www.spiegel.de/spam/a-605631.html
In der Fixkosten-Falle
Auf den ersten Blick geht es im bundesdeutschen Telefongewerbe zu wie auf einem Basar: »Super billig!«, schreit die Firma 01051 Telecom. »Extrem preiswert«, hält 01071 Telecom dagegen. »Legendär günstig«, lockt 3U Telecom, und die Firma Freenet verspricht »rund um die Uhr Kampfpreise«. Bei anderen Anbietern ist schon der Name Programm: Pennyphone, Phonedump, Superdump und Telebillig. Selbst die Deutsche Telekom will im allgemeinen Preiswert-Geschrei nicht zurückstehen. Im Fernsehen lobt Millionen-Quiz-Moderator Günther Jauch die »unverschämt günstigen Tarife« des Bonner Konzerns. Für den Minikonkurrenten Telediscount ist sogar »billig nicht genug«. Die Realität sieht ein bisschen anders aus. Zwar sind die Gebühren für Telefongespräche in Deutschland in diesem Sommer auf einen historischen Tiefstand gefallen und machen heute nur noch einen Bruchteil jenes Monopolpreises aus, den die Telekom vor der Liberalisierung des Marktes von ihren Kunden kassierte - 30 Cent kostete Ende 1997 ein Ferngespräch von nur einer Minute Länge. Zwei Jahre später hatten die neuen Konkurrenten den Preis schon bis auf fünf Cent gedrückt. Inzwischen kann man für weniger als einen Cent pro Minute quer durchs Land telefonieren. Aber viele Kunden merken von dem Preissturz der vergangenen vier Jahre kaum etwas, wenn sie auf ihre Telefonrechnung schauen. Trotz immer günstigerer Gesprächsgebühren steigen die Kosten für das Festnetztelefon sogar leicht an. Für Handy-Kunden, die eine Prepaid-Karte benutzen, ist Telefonieren heute sogar deutlich teurer als im Jahr 2000. Damals hatte das Statistische Bundesamt einen neuen Warenkorb zusammengestellt, der die »veränderten Verbrauchsgewohnheiten der Konsumenten« beim Telefonieren widerspiegeln soll und gleichzeitig »die neu auf den Markt getretenen Leistungen« berücksichtigt. Mehr als 800 Preise werden so untersucht und nach den Telefoniergewohnheiten eines repräsentativen Durchschnittshaushalts gewichtet. Dank des harten Wettbewerbs in der Branche rutschten die Preise schon im ersten Jahr nach der Zusammenstellung des neuen Festnetzwarenkorbs um knapp vier Prozent. Bei den Gesprächsgebühren setzte sich der Abwärtstrend seither auch ungebremst fort. Dennoch haben sich die Gesamtkosten des Festnetzwarenkorbs nahezu unbemerkt fast Monat für Monat erhöht. Mit einem Wert von 98,6 lag der Index im August wieder deutlich über dem im Frühjahr 2001 erreichten Tiefpunkt von 96,2. Der Grund für den scheinbaren Widerspruch sind die so genannten Anschlussgebühren. Seit dem Jahr 2000 sind die monatlichen Fixkosten, die der Durchschnittshaushalt für sein Festnetztelefon bezahlt, um 16 Prozent gestiegen und lagen Anfang 2004 auf dem höchsten Stand seit der Liberalisierung des Marktes. Angeheizt wird der schleichende Aufwärtstrend in der hart umkämpften Telefonbranche, wo sonst fast alles billiger wird, vor allem durch eine neue Strategie der Deutschen Telekom. Deren Tarife bestimmen nämlich immer noch fast allein den Preisindex für die Anschlussgebühren. Der ehemalige Monopolist kassiert rund 97 Prozent aller festen Gebühren im Gesamtmarkt des traditionellen Telefongeschäfts. Zwar hat die Telekom in den vergangenen Jahren ihre Grundgebühren zweimal erhöht. Doch der eigentliche Schub kam erst durch neue Zusatzpakete wie »Aktiv Plus«, »Calltime 120« oder »Enjoy«, mit denen sich die Telekom nach außen hin als Billiganbieter präsentiert. Beim Optionstarif »Enjoy« zum Beispiel können Telekom-Kunden gegen einen monatlichen Aufschlag von 4,68 Euro auf die Grundgebühr an allen Wochentagen rund um die Uhr für nur zwölf Cent pro Stunde telefonieren. Beim Tarifpaket »Aktiv Plus xxl«, das sich mit einer Zusatzgebühr von 9,22 Euro auf der Rechnung niederschlägt, kann der Kunde am Wochenende und an Feiertagen innerhalb Deutschlands sogar umsonst telefonieren. Mit »Country Select« will die Telekom in dieser Woche ein weiteres Optionspaket nachschieben, das die Grundgebühr für Leute, die viel ins Ausland telefonieren, um mindestens 1,10 Euro erhöht. Weitere Zusatztarife liegen in der Schublade - bis hin zum Pauschalpreis für sämtliche Gespräche. All diese Pakete aber sind mit Vorsicht zu genießen. »Damit gaukelt die Telekom den Kunden Dumping-Preise vor, die in Wahrheit meist gar keine sind«, meint Jürgen Grützner, Chef des Branchenverbandes VATM. Auch Verbraucherschützer warnen. Und die eigentlich unparteiische Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) mahnt, »dass sich selbst für Vieltelefonierer durchaus die Frage stellt«, ob sich ein Zusatzpaket, wie es die Telekom anbietet, »überhaupt lohnt«. Eine Offerte wie »Aktiv plus xxl« zum Beispiel rechnet sich überhaupt nur, wenn man an jedem Wochenende mindestens vier Stunden im Ortsnetz oder zwei Stunden im Fernbereich telefoniert. In allen anderen Fällen ist das Telefonieren über einen der zahllosen Call-by-Call-Anbieter, die über spezielle Vorwahlnummern besonders günstige Gebühren anbieten, die billigere Variante. Und mit einem so genannten Tarifmanager, einem kleinen Kästchen, das automatisch die aktuell billigste Verbindung sucht, behalten Vieltelefonierer auch den Überblick im Tarifdschungel. Doch ausgerechnet beim Telefonieren scheinen die Schnäppchenjäger das Rechnen verlernt zu haben: Ende 2003 hatten bereits 11,6 Millionen Kunden einen oder mehrere Optionstarife gebucht. Im laufenden Jahr soll eine weitere Million hinzukommen. Die Folge: Zwischen 2001 und 2003 stiegen die Einnahmen der Telekom in der Rubrik Fixkosten nach Berechnungen der RegTP um etwa 35 Prozent auf rund neun Milliarden Euro. Damit kassiert der Bonner Telefonriese inzwischen mehr als die Hälfte seiner Einnahmen im gesamten Festnetzgeschäft allein aus Grundgebühren und anderen Fixkosten - völlig unabhängig davon, wie viel die Kunden dann wirklich telefonieren. Zu Beginn der Liberalisierung machte der Posten nicht einmal ein Viertel des Umsatzes aus. Während die Telekom mit der neuen Strategie die Einbußen in anderen Bereichen immer besser kompensieren kann, geraten die Konkurrenten zunehmend unter Druck. »Die Entwicklung ist alarmierend«, meint Verbandssprecher Grützner, er befürchtet einen »Verdrängungswettbewerb, der zahlreiche alternative Anbieter aus der Bahn werfen könnte«. Auch das Bundeskartellamt sieht in der neuen Telekom-Strategie Gefahren für den Wettbewerb. Bei einer Ausweitung von Optionsangeboten seien die neuen Anbieter »im Bestand gefährdet« - und damit auch die Discounttarife im Festnetz. Gegen die Pauschalangebote, wie sie der Marktführer seinen Kunden bietet, können nämlich nur jene Konkurrenten antreten, die über ein eigenes Netz verfügen - und das sind die wenigsten. Die große Mehrheit ist auf Verträge mit der Telekom angewiesen, und die sehen keine Pauschalabrechnungen vor. Erste Bremsspuren sind deshalb bei vielen Call-by-Call-Anbietern bereits erkennbar. Im Land der Schnäppchenjäger war die Wechselbereitschaft beim Telefonieren ohnehin nie besonders ausgeprägt. Der Wettbewerb konzentrierte sich von jeher auf jene rund 45 Prozent der Bundesbürger, die über alternative Anbieter telefonieren. »Vor allem die besten Kunden sind offenbar in den Sog der Telekom geraten und bleiben jetzt weg«, ärgert sich Thomas Rühmer, Geschäftsführer der Call-by-Call-Firma 01051 Telecom. Einen ersten Erfolg gegen den Branchen-Goliath können die Konkurrenten immerhin verzeichnen. Vergangene Woche untersagte die Aufsichtsbehörde dem Unternehmen, seine Optionstarife mit übermäßig langen Kündigungsfristen von drei Monaten auszustatten. Ab sofort gilt eine Kündigungsfrist von sechs Tagen. KLAUS-PETER KERBUSK
Klaus-Peter Kerbusk
Mit immer neuen Tarifpaketen suggeriert die Deutsche Telekom, dass Telefonieren dauernd billiger wird. Das stimmt nur bedingt. Die Gesamtkosten steigen im Schnitt sogar wieder an.
[ "Telekom" ]
Wirtschaft
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2004-09-05T13:00:00+02:00
2004-09-05T13:00:00+02:00
https://www.spiegel.de/wirtschaft/in-der-fixkosten-falle-a-f91e2bca-0002-0001-0000-000032060832?context=issue
Kampf um Schering: Bayer prüft Verfügung gegen Merck
Hamburg - Bayer prüfe eine einstweilige Verfügung gegen Merck, schreibt das "Handelsblatt" unter Berufung auf Konzernkreise. Hintergrund sind die massiven Käufe von Aktien der Schering AG durch Merck, die inzwischen fast 19 Prozent der Schering-Aktien halten und nur noch rund 6 Prozent von einer Sperrminorität entfernt sind. Die schon sicher geglaubte Übernahme von Schering durch Bayer wird dadurch wieder in Frage gestellt. Bayer wolle den Konkurrenten auf diese Weise stoppen: Da Merck nicht deutlich gemacht habe, mit welchem Ziel sie ihren 5-Prozent-Anteil an Schering erhöht haben, sei dies möglicherweise ein Verstoß gegen US-Recht. Die Aktien von Schering sind auch an der Wall Street notiert. Ein Sprecher von Bayer lehnte am Montag auf Nachfrage einen Kommentar ab."Merck ist an Patentrechten interessiert"Die Übernahmeofferte von Bayer für Schering über 86 Euro je Aktie läuft am Mittwoch um Mitternacht aus. Bayer hat eine Übernahmequote von 75 Prozent zur Bedingung für das Übernahmeangebot gemacht. Die Merck KGaA hat ihre Schering-Beteiligung mittlerweile auf 18,6 Prozent aufgestockt. Laut Branchenkreisen strebe das Unternehmen einen Anteil von mehr als 25 Prozent an Schering an, meldete die Agentur dpa-AFX. Es sei noch in dieser Woche mit einer entsprechenden Meldung über eine Anteilsaufstockung zu rechnen. Merck kommentierte dies auf Anfrage nicht. Durch den Schachzug von Merck dürfte die Schering-Übernahme für Bayer – falls sie überhaupt noch klappt – in jedem Fall teurer werden als geplant. Auch Bayer kauft derzeit Schering-Aktien an der Börse auf und hat seinen Anteil damit auf rund 62 Prozent gesteigert. Die Aktie notierte am Montag über der Marke von 86 Euro.Über die Motive von Merck streiten Analysten. Merck könnte einerseits selbst auf ein erhöhtes Angebot von Bayer spekulieren oder an Patent- oder Vertriebsrechten interessiert sein, schreibt die Landesbank Rheinland Pfalz in einer Kurzeinschätzung. Möglicherweise könnte Merck im Gegenzug für ihren Schering-Anteil von Bayer Patent- und Vertriebsrechte im Bereich Onkologie fordern, um sich auf diese Weise strategisch zu stärken. Einem erhöhten Angebot von Bayer müssten allerdings sowohl die Finanzaufsicht Bafin als auch Schering zustimmen. Unterdessen befürchtet der Betriebsratsvorsitzende des Berliner Pharmakonzerns Schering, Norbert Deutschmann, wegen der neu entfachten Bieterschlacht einen weiteren Stellenabbau. "Jetzt sind noch mehr Arbeitsplätze in Gefahr", sagte Deutschmann der Berliner Tageszeitung "B.Z.". Durch das Vorgehen von Merck dürften die Kosten für eine Übernahme steigen. "Und das bedeutet in der Regel, dass diese Kosten die Arbeitnehmer tragen sollen und weitere Jobs wegfallen würden", warnte Deutschmann.Schering wollte zunächst keinen Kommentar zu den jüngsten Entwicklungen abgeben. "Wir nehmen das zur Kenntnis", sagte die stellvertretende Sprecherin Verena von Bassewitz. itz/Dow Jones/dpa/Reuters/dpa-AFX
Der Bayer-Konzern will den Rivalen Merck möglicherweise auf gerichtlichem Wege daran hindern, weitere Anteile an Schering zu kaufen. Der neu entfachte Bieterstreit treibt für Bayer die Kosten hoch und lässt Schering-Mitarbeiter um ihre Jobs zittern.
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Wirtschaft
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2006-06-12T12:12:51+02:00
2006-06-12T12:12:51+02:00
https://www.spiegel.de/wirtschaft/kampf-um-schering-bayer-prueft-verfuegung-gegen-merck-a-420872.html
Einigung bei Klimakonferenz: Aufatmen in Bonn
Bonn - Mit stehenden Ovationen haben die Umweltminister der Weltklimakonferenz das Kyoto-Protokoll in Bonn angenommen. Das von vielen Delegierten befürchtete "Desaster" bleibt aus. Nach einer langen Verhandlungsnacht hinter geschlossenen Türen hat Konferenzpräsident Jan Pronk den Durchbruch erzielt, der den an der Kompromissfindung nicht beteiligten Umweltministern seit 12 Uhr vorgestellt wird. Bundesumweltminister Jürgen Trittin lobte den Durchbruch als "Erfolg der Europäischen Gemeinschaft". Auch EU-Kommissarin Margot Wallström betonte: "Wir sind glücklich, zu einer Vereinbarung ohne die USA gekommen zu sein, trotz des Drucks der auf andere Staaten ausgeübt wurde." Sie sei müde, aber sehr glücklich. Der belgische Umweltminister und EU-Verhandlungsführer Olivier Deleuze lobte den eingegangenen Kompromiss, auf dem weiter aufgebaut werden könne. Sicherlich hätte er sich weniger Kohlendioxid-Senken und ein effektiveres Kontrollsystem gewünscht. Dies seien dann die Aufgaben für die Zukunft. Auf die Frage, welche Botschaft er für US-Präsident George W. Bush habe, antwortete Beleuze: "Sie sind willkommen beizutreten." Der Präsident der Versammlung, Jan Pronk, erhielt allein dreimal stehenden Applaus von den Ministern und Delegierten. Er wertete das Abkommen als beispielgebend für eine verantwortliche Globalisierungspolitik der Zukunft. Irans Uno-Botschafter und Sprecher der Entwicklungsländer, Bahir Asadi, sprach von einer Aufbruch zu einem neuen Multilateralismus, der hoffentlich noch viele Fortsetzungen finde. Die Einigung war auch durch das Einlenken Japans möglich geworden. Symbolisch bedankten sich Jürgen Trittin und Margot Walström mit einem langen Händedruck vor den Fotografen bei Japans Umweltministerin Yoriko Kawaguchi.Der Erfolg kam mit VerspätungEigentlich wollte Jan Pronk schon in der Nacht fertig werden. Aber bis 10.30 Uhr in der Früh wurde im kleinen Kreis um den holländischen Umweltminister Pronk und seinem deutschen Amtskollegen Trittin im Saal "Planck" des Bonner Hotels Maritim gerungen und gefeilt. Währenddessen warteten oder schliefen die übrigen übernächtigten Umweltminister aus aller Welt in den wenigen Sesseln des Saals oder auf Stuhlreihen. Andere knipsten Abschiedsgruppenfotos. Konferenz wurde immer wieder unterbrochen Nach zahlreichen internen Diskussionen hatte der niederländische Umweltminister am frühen Sonntagabend der Uno-Konferenz mitgeteilt, dass er bisher keine Einigung zwischen einigen Ländern der so genannten Umbrella-Gruppe, dazu zählen Japan, Kanada, Australien und Russland, und einer Reihe von Ländern aus der G-77-Gruppe herbeiführen konnte.Dazu gehören die Entwicklungsländer und die Opec-Staaten. Vier aus dieser Gruppe täten sich besonders schwer mit Pronks Kompromissvorschlag.Der Holländer unterbrach die Sitzung zunächst für mehrere bilaterale Gespräche. Dann wurde von Mitternacht bis 1 Uhr erneut getagt, um die Sitzung dann wieder zu vertagen. 4.30 Uhr sollte zunächst Schluss sein. Pronk wollte den Gipfel noch in dieser Nacht zu Ende führen, weil am heutigen Montag zu viele Minister aus dienstlichen Gründen aus Bonn abreisen müssen. Entwicklungsländern gingen Zugeständnisse an Japan und Kanada zu weitIm Prinzip hat die Mehrzahl aller 178 Länder die Bereitschaft erklärt, Pronks Kompromissvorschlag zu akzeptieren, sofern daran nichts mehr geändert wird und keine Ergänzungen mehr erfolgen.Mehrere Länder aus der G-77-Gruppe hatte aber verstört, wie sehr industrialisierten Ländern der Umbrella-Gruppe in Einzelpunkten entgegenkommen worden war. Vor allem Straf- und Sanktionsmaßnahmen gingen den G-77-Ländern nicht weit genug. Nun sollten sich beide Ländergruppen miteinander verständigen.Von Japan gab es lange Zeit aber keinerlei Bewegung. Russland dagegen sei inzwischen wieder "zu 99 Prozent" an Bord, verlautete aus Konferenzkreisen. Der russische Vorstoß, Kernenergie doch noch als Umweltschutzmaßnahme anrechnen zu lassen, sei fehlgeschlagen, außerdem gab es mit Russland einen erheblichen Dissens in Finanzierungsfragen. Trittin warnte vor Scheitern Zuvor hatte der deutsche Umweltminister Jürgen Trittin ausdrücklich Pronks Kompromisspapier aus der vergangenen Nacht gelobt und die Länder Japan und Russland davor gewarnt, mit ihrem Zaudern das Scheitern des Klimagipfels in Kauf zu nehmen. Ein besseres Ergebnis sei aber auch durch eine Verschiebung nicht zu erreichen. "Der Vorschlag berücksichtigt die japanischen Wünsche in vollem Umfang, im Falle Kanadas übertrifft er sie sogar", sagte Trittin. Die EU wäre zu weit reichenden Zugeständnissen auch "bei Finanzen und Zusätzlichkeit" bereit. Die Zugeständnisse der EU, so Trittin, seien "der Preis, den wir bereit sind, dafür zu zahlen, dass diesem Kompromiss auch andere zustimmen können". Die Einbringung neuer Änderungsvorschläge berge jetzt die Gefahr, "dass die Bonner Klimakonferenz sowie das Kyoto-Protokoll insgesamt scheitert", mahnte Trittin, eine Prognose über den Ausgang lehnte er aber ab."Schaun mer mal", bemühte er sich, Optimismus auszustrahlen.Japaner protestierten gegen Japaner Mehrere japanische NGOs (Nicht-Regierungsorganisationen) forderten unterdessen ihre Regierung auf, ihren Boykott des Kyoto-Protokolls zu beenden. "Japan versucht Kyoto hinter den Kulissen zu töten", formulierten sie in einer an die Delegierten verteilten Erklärung. Aus Konferenzkreisen verlautete, Japan versuche auf Zeit zu spielen, damit der Klimagipfel von Bonn erst im Oktober in Marrakesch beendet werden kann. Die Regierung habe Angst, dass ein Einlenken jetzt im japanischen Wahlkampf als Anti-Amerikanismus verstanden werden könnte. Nur ein "Kyoto light" erreicht?Montag früh demonstrierten Mitglieder einer Umweltinitiative namens "Gerechtigkeit im Klimaschutz" auf einem Baukran in Sichtweite des Tagungsorts. Sie protestierten gegen den Kompromissvorschlag Jan Pronks und forderten eine sehr viel schärfere Reduktion von CO2-Emissionen um 60 bis 90 Prozent. Die Schlupflöcher im Vertrag könnten aber sogar zu einer 14-prozentigen Steigerung der Emissionen führen.Auch Umweltinitiativen wie Greenpeace sprechen inzwischen von einem "Kyoto light"-Programm, das leider hinter den ursprünglichen Ansprüchen von Den Haag im vergangenen Oktober zurückgeblieben sei. Wie der letzte Verhandlungstag zunächst verlief: Klicken Sie hier und lesen Teil 1 der Tagesreportage "Kyoto light in Sicht"
Holger Kulick
Nach zähen Verhandlungen hat es auf dem Bonner Weltklimagipfel doch noch eine Einigung gegeben. "Das ist ein Erfolg für Europa", betonten Umweltminister Trittin und EU-Kommissarin Wallström. Die "Rettungsaktion" für das Kyoto-Protokoll sei erfolgreich verlaufen - auch ohne die USA.
[ "Uno-Klimakonferenz in Bonn 2001", "Kyoto-Protokoll" ]
Politik
Deutschland
2001-07-22T14:43:41+02:00
2001-07-22T14:43:41+02:00
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/einigung-bei-klimakonferenz-aufatmen-in-bonn-a-146484.html
18. Juni 2007 Tschetschenien
Bereits zwölfmal hat der Moskauer SPIEGEL-Korrespondent Uwe Klußmann, 46, über die Lage in Tschetschenien berichtet, seit die Kaukasus-Republik sich von Russland lossagte und, im September 1999, russische Truppen einmarschierten. Als Klußmann die Landeshauptstadt Grosny jetzt wieder besuchte, bot sich ihm nicht mehr, wie in früheren Jahren, das Bild einer Trümmerwüste: Der Wiederaufbau geht voran. Doch die Furcht vor dem Krieg, sagt der SPIEGEL-Mann, sei der Angst vor dem vom Kreml eingesetzten Präsidenten Ramsan Kadyrow, 30, gewichen. Klußmann kannte schon dessen Vater Ahmed; der ehemalige Präsident der Republik kam im Mai 2004 bei einem Anschlag ums Leben. Den Kaukasus-Sprengel führt Kadyrow junior mit eiserner Hand und einer ihm ergebenen Miliz. Als »bedrückend« empfand Klußmann das Ergebnis: »Die Tschetschenen wagten es früher, auch in Gegenwart russischer Soldaten, deutlich ihre Meinung zu sagen. Sie sind vorsichtig und still geworden« (Seite 138).
[ "Tschetschenien" ]
Politik
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2007-06-17T13:00:00+02:00
2007-06-17T13:00:00+02:00
https://www.spiegel.de/politik/18-juni-2007-tschetschenien-a-e479b6c9-0002-0001-0000-000051955505?context=issue
Prozess gegen neuen DOSB-Präsidenten nicht ausgeschlossen
Der designierte Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds, Alfons Hörmann, 53, wird mit seiner beruflichen Vergangenheit konfrontiert. Als damaliger Vorstandsvorsitzender der Creaton AG war Hörmann vor fünf Jahren zusammen mit anderen Firmen aus der Tondachziegelbranche vom Bundeskartellamt zu einer Geldbuße in Höhe von insgesamt 188 Millionen Euro verdonnert worden. Nach Durchsuchungen hatte ihnen die Behörde "wettbewerbsbeschränkende Absprachen" vorgeworfen. Gegen das Bußgeld hatte unter anderem der deutsche Marktführer Creaton Einspruch erhoben. In solchen Fällen entscheidet die Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf, ob sie den Fall dem Oberlandesgericht übergibt. Sie hat nun angekündigt, ihren Beschluss im Dezember bekanntzugeben. Es wird damit gerechnet, dass es zu einem Prozess vor dem Oberlandes gericht Düsseldorf kommen wird. Hörmann, bisher Präsident des Deutschen Skiverbands, soll diesen Samstag als Nachfolger des neuen IOC- Präsidenten Thomas Bach zum höchsten deutschen Sportfunktionär gewählt werden. Er gibt an, "während seiner Zeit bei der Creaton AG an keinen Preis absprachen beteiligt" gewesen zu sein. Zu Details wollte er sich nicht äußern.
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Politik
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2013-12-01T08:04:06+01:00
2013-12-01T08:04:06+01:00
https://www.spiegel.de/spiegel/vorab/prozess-gegen-neuen-dosb-praesidenten-nicht-ausgeschlossen-a-936532.html
Schriftsteller Jerofejew: "Moskau ist die Hure Babylon"
SPIEGEL ONLINE: Was unterscheidet Moskau von anderen Weltstädten?Jerofejew: Moskau gibt es im Grunde gar nicht. Paris existiert, London existiert. Egal ob Sie als Student oder als wohlhabender Reisender in diese Städte kommen, Sie werden nach Ihrer Heimkehr ähnliche Dinge erzählen. Moskau aber schafft sich jeder selbst in seinem Kopf, die Moskaus schwärmen aus wie Lenze und Sterne. Für manchen ist es der Himmel, für manche ein Alptraum. SPIEGEL ONLINE: Wovon hängt das ab?Jerofejew: Tote Menschen fühlen sich immer schlecht in Moskau. Kommen Sie lebendig - ohne Vorurteile, offen für eine andere Moral und Politik. Moskau ist die subjektivste Stadt der Welt. Wenn ich aus Moskau nach Berlin fliege, sage ich, los geht's nach Europa. Wenn ich nach Peking will, spreche ich von einer Reise nach Asien. Wir Moskauer wissen, wohin wir aufbrechen, aber wir wissen nicht, wohin wir zurückkehren. Moskau ist der Punkt Null, weder Nord noch Süd, weder West noch Ost. SPIEGEL ONLINE: Immerhin machen Sie in einem Essay Ihre Heimatstadt als Welthauptstadt der Sünde aus ...Jerofejew: ... als Hure Babylon. Amsterdam und New York sind dagegen Kinderspielplätze. Dieses Moskau ist für mich das Licht des Teufels, so wird auch mein nächstes Buch heißen.SPIEGEL ONLINE: Sind Sie dennoch stolz auf Moskaus neuen Wohlstand, seine Superlative?Jerofejew: Ich liebe mein Moskau wegen seiner ungeheuren Energie, die zerstörerisch sein kann und aufbauend. Negatives und Positives geschieht hier gleichzeitig. Wegen dieser Spannung kann ich nur hier leben und arbeiten. SPIEGEL ONLINE: Mögen Sie die Wolkenkratzer, die jetzt das Stadtbild prägen, die höchsten des Kontinents?Jerofejew: Sie sind ein Symbol. Egal ob wir in der Küche über das Fell einer Katze streicheln oder zu Prostituierten gehen, wir sprechen immer nur über den Lebenssinn. Wir tun das, weil Moskau eine Projektionsfläche für unsere Sinnsuche ist, auch die Wolkenkratzer. Aber die Stadt ist eine Schimäre. Sie hat gelogen, sie lügt und wird weiter lügen.SPIEGEL ONLINE: Schlägt sich dies in Ihrer Lebensgeschichte nieder?Jerofejew: Ich bin in Stalins Moskau geboren. Mein Vater war ein hoher Diplomat. Nikolai Wlassik, der Chef von Stalins Leibgarde, war ein Nachbar und Alexander Fadejew, der berühmte Schriftsteller, ein anderer. Wlassik wurde im Gefängnis mit Eisenstangen geprügelt, Stalin hielt ihn für einen Verräter. Fadejew hat sich 1956 erschossen. Aus Scham, weil die Schriftsteller, die er in den Gulag geschickt hatte, zurückkamen und ihm ins Gesicht spuckten. Ich aber hatte eine glückliche Kindheit. Mehr als Stalin liebte ich nur den Weihnachtsmann. Erst später sah ich in Stalin den Massenmörder. SPIEGEL ONLINE: Wie hat sich Moskau nach Stalins Tod verändert?Jerofejew: Das Symbol der Chruschtschow-Ära sind die fünfstöckigen Plattenbauhäuser. Zuvor wohnten mehrere Familien in einer Wohnung, sechs Leute in einem Zimmer. Man stritt sich um jeden Quadratmeter. Zum ersten Mal gab es dann Raum für Privatheit. Wissen Sie, was der Anfang vom Ende des Kommunismus war? Man konnte so lange auf dem Klo sitzen, wie man wollte. Meine stärkste Erinnerung an diese Zeit: Ich renne zum Roten Platz, um Jurij Gagarin zuzujubeln, dem ersten Menschen im Weltraum. Ich war stolz auf die Sowjetunion. Es war auch ein Höhenflug der Seele, ein sehr russischer Flug. SPIEGEL ONLINE: Und dann kam die Stagnation unter Breschnew.Jerofejew: Ich sehe in ihm den Großvater der Perestroika. Der Kommunismus war für ihn ein Vehikel, um den Lebensstandard zu verbessern - keine Utopie mehr. Erstmals rauchten Frauen auf der Straße. Sie wurden zur Speerspitze der Perestroika. Sie warteten in langen Schlangen, um Lippenstift zu kaufen und waren genauso schön wie heute. Diese Schlangen waren die antisowjetischsten, die man sich vorstellen kann. Sie standen für Liebe, nicht für Ideologie.SPIEGEL ONLINE: Wie haben Gorbatschow und Jelzin Moskau beeinflusst?Jerofejew: Moskau war unter Gorbatschow ein Symbol für Freiheit. Moskau damals - das war, wie im Frühling zu leben. Die Sonne wurde jeden Tag wärmer. Man konnte ausländische Zeitungen kaufen, die Stadt schwirrte vor Informationen, es gab noch keine Banditen und keinen Tschetschenienkrieg. SPIEGEL ONLINE: Die kamen dann unter Jelzin.Jerofejew: Für eine Weile hatten alle den Eindruck, dass über der Stadt Dollarnoten schweben, die man sich nur zu greifen brauchte. Es war der ungebremste Übergang vom Kommunismus zum Kapitalismus. Klar, dass dabei das Chaos ausbrechen musste und Banditen dies ausnutzten. Russland glich unter Jelzin einem Land von Bettlern. Aber Moskau verstand zum ersten Mal, wie schön es ist. Restaurants schossen aus dem Boden, in den Geschäften gab es alles. Die Stadt legte ihr stalinistisches Totengewand ab und erstrahlte in tausendfachem Licht.SPIEGEL ONLINE: Putin scheint nun an die autoritären Traditionen anzuknüpfen ... Jerofejew: ... er ist die Strafe für die Sünden der Demokratie in den Neunzigern. Sein Moskau ist eine zwiespältige Erscheinung. Einerseits versucht er, mit den Mitteln der Kriegswirtschaft eine neue Ordnung zu schaffen, die auf ein Ziel und eine Person zugeschnitten ist. Moskau erlebt einen unsichtbaren Staatsstreich, der nicht zu sehen, aber zu spüren ist. Andererseits hat es niemals so viel persönliche Freiheit gegeben wie unter Putin. Der Job, die Familie, die Religion, deine Reisen und Freizeit, da mischt sich der Staat nicht ein. Was für ein Gegensatz: In der Zarenzeit durften Beamten nur heiraten, wenn der Vorgesetzte zustimmte. SPIEGEL ONLINE: Sie schreiben aber, dass in Moskau bald Miniröcke und Jeans verboten werden könnten. Wie kommen Sie darauf?Jerofejew: Das ist meine Angst. Aber so weit ist es längst noch nicht. Die persönlichen Freiheiten würden beschnitten, wenn der radikale Flügel der Orthodoxie sich durchsetzt, auf den sich Putin stützt. Sie nähren Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit. Wenn die Kirche die Macht übernähme, würde aus Moskau Teheran.SPIEGEL ONLINE: Sie übertreiben. Die Kirche konnte das geistige Vakuum nach dem Ende des Kommunismus nicht annähernd füllen.Jerofejew: Die moralische Krise, in der wir leben, ist das Schlimmste. Moskau hat es noch nicht überwunden, zweimal alle Werte verloren zu haben: 1917 durch die Revolution und 1991 beim Zusammenbruch der Sowjetunion. SPIEGEL ONLINE: Aber nun scheint doch alles aufwärts zu gehen und stabil zu sein.Jerofejew: Das ist das wahrscheinlichste Szenario. Aber es kann auch sein, dass ich morgens meinen Tee trinke und abends die Revolution ausbricht. Moskau gleicht einem Vulkan, der nicht erloschen ist. Die Lava ist noch heiß und fließt und droht.SPIEGEL ONLINE: Strengt die Stadt Sie an?Jerofejew: Ich wohne in einem Haus, in dem Nonnen beten und Nutten ihrem Gewerbe nachgehen. Im Stockwerk über mir hat die Tochter ihren Vater mit einem Kissen erstickt. Moskau ist ein Paradies für Schriftsteller, aber im Bruchteil einer Sekunde kann es zur Hölle für alle anderen werden, die hier leben. Das Interview führten Erich Follath und Matthias ScheppIn Moskau leben mehr Dollarmilliardäre als in New York, die Wolkenkratzer sind höher als in Frankfurt und die Bars hipper als in London. Lesen Sie in der Titelgeschichte des aktuellen SPIEGEL, wer den Preis für den rasanten Fortschritt des "Manhattans an der Moskwa" zahlt.
Er liebt sie, und er hasst sie. Für Wiktor Jerofejew ist seine Heimatstadt Moskau die Kapitale der Sünde. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE erklärt der Schriftsteller, wie die Metropole zu dem wurde, was sie ist - und warum sie eigentlich gar nicht existiert.
[ "Wiktor Jerofejew", "Moskau" ]
Kultur
default
2008-07-15T14:07:47+02:00
2008-07-15T14:07:47+02:00
https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/schriftsteller-jerofejew-moskau-ist-die-hure-babylon-a-565968.html
Piraterie-Verdächtige: Bundesregierung erwartet fairen Prozess in Kenia
Berlin - Was sich ab kommenden Mittwoch vor der vierten Kammer des Zentralgerichts im kenianischen Mombasa abspielt, wird von der Bundesregierung intensiv beobachtet. Dann stehen neun Männer vor dem kenianischen Gericht, die von der deutschen Marine am 3. März vor der somalischen Küste festgenommen worden sind. Die Somalier werden verdächtigt, auf hoher See vor Somalia den Frachter "MV Courier" angegriffen zu haben. Ebenso wird ihnen vorgeworfen, dass sie das Schiff mit Waffengewalt kapern und entführen wollten.Das Verfahren wird zeigen, ob die kenianische Justiz ein rechtsstaatliches Verfahren gegen die Männer gewährleisten kann, die nach ihrer Festsetzung durch die deutsche Marine an das ostafrikanische Land übergeben worden waren. Grundlage für den heiklen Deal ist ein Abkommen zwischen Kenia und der EU, die im Rahmen der Operation "Atalanta" Piratenangriffe auf Frachter vor Somalia einzudämmen versucht. Darin garantiert Kenia einen fairen Prozess für von der EU übergebene Verdächtige. Klage gegen die BundesregierungIn den vergangenen Tagen jedoch waren genau daran massive Zweifel aufgekommen. Die Kritik an der Übergabe der Männer an Kenia mündete gar in einer Klage von einem der neun Männer gegen die Bundesregierung.Vertreten durch den deutschen Anwalt Oliver Wallasch aus Frankfurt am Main, beklagt der Somalier, dass seine Überstellung an Kenia rechtswidrig sei. Zudem sei er kein Pirat, vielmehr sei er nur auf dem aufgebrachten Skiff gewesen, da er für 100 Dollar von Somalia nach Jemen übersetzen wollte. Folglich müsse Deutschland nun Schadensersatz leisten. Die Aktivitäten der deutschen Anwälte werden innerhalb der Regierung recht offen als "Ärgernis" betrachtet, aktuell kommuniziert das Auswärtige Amt (AA) nur noch über Gerichte mit den Juristen Wallasch und seinem Berliner Kollegen Andreas Schulz. Schon vor Prozessbeginn ist der Plan der beteiligten Ministerien, der einen lautlosen Prozess voraussah, geplatzt. Durch die Einbindung der Anwälte Wallasch und Schulz wird nun auch die deutsche Öffentlichkeit erfahren, was sich bei dem Prozess gegen die von deutschen Soldaten festgesetzten Piraten abspielt.Auch die Politik beobachtet das Verfahren; als Vertreter des Auswärtigen Ausschusses wird der grüne Politiker Jürgen Trittin nach Kenia reisen. Gerichtshof in weiter FerneDie Bundesregierung hat noch einmal bekräftigt, dass sie keine Zweifel an einem rechtsstaatlichen Prozess in Kenia hegt. Das geht aus der Regierungsantwort auf eine kleine Anfrage von mehreren Grünen-Politikern hervor, die SPIEGEL ONLINE vorliegt. Stellvertretend für die Regierung schreibt der Parlamentarische Staatssekretär Gernot Erler: "Die Bundesregierung hat keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass sich Kenia an die Vorgaben" aus dem Vertrag mit der EU "halten wird". Darin sichert Kenia ein faires Verfahren für Piraterie-Verdächtige zu.Abseits des offiziellen Bekenntnisses aber weiß die Regierung, dass die "Kenia-Connection" vermutlich in Zukunft nicht der beste Weg sein wird, um mit festgesetzten Verdächtigen umzugehen. Folglich setzt sich die Regierung für die Schaffung eines internationalen Gerichtshofs ein. Eine internationale Kontaktgruppe von betroffenen Ländern soll sich nach einem ersten Treffen im März schon kommenden Monat erneut zusammensetzen. In der Anfrage unterstreicht die Regierung, dass sie die Idee des Gerichtshofs "weiter verfolgen" wird.Sosehr Berlin jedoch die Idee einer internationalen Institution unterstützt, so schwer wird die Verwirklichung. Recht realistisch schreibt die Regierung in ihrer Stellungnahme, dass die Schaffung eines solchen Gerichtshofs eines "ausreichend breiten internationalen Konsenses" bedürfe. Ebenso müssten Lösungen für die Finanzierung bedacht werden.Folglich, so das stets etwas verschwurbelte Diplomatendeutsch, müsse ein "längerer zeitlicher Vorlauf" einkalkuliert werden. Etwas einfacher gesagt: Bis der Gerichtshof kommt, wird es noch Jahre dauern.
Matthias Gebauer
Die Anklage lautet auf Piraterie: Kommende Woche stehen in Kenia neun Männer vor Gericht, die von der deutschen Marine auf hoher See festgenommen wurden. Die Bundesregierung glaubt an einen fairen Prozess - Zweifel am rechtstaatlichen Verfahren hält sie für übertrieben.
[ "Moderne Piraten", "Mogadischu", "Kenia", "Somalia", "Piratenprozess in Hamburg" ]
Politik
Deutschland
2009-04-16T17:54:44+02:00
2009-04-16T17:54:44+02:00
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/piraterie-verdaechtige-bundesregierung-erwartet-fairen-prozess-in-kenia-a-619424.html
Netzwelt-Ticker: Tausende Daten von Kindern frei zugänglich
Chaos Computer ClubDer(CCC) beschäftigt sich regelmäßig mit dem schlampigen Umgang von Unternehmen und Behörden mit ihnen anvertrauten Daten. Am Wochenende gab es wieder Anlass zur Kritik: Das Kinderportal Haefft.de hatte die persönlichen Daten Tausender dort registrierter Kinder nicht ausreichend vor unbefugtem Zugriff geschützt. Genauer gesagt, die Daten waren nach Angaben des CCC frei zugänglich. Eigentlich sollte jeder Account durch ein eigenes Passwort geschützt sein. Tatsächlich aber konnte angeblich jeder Interessierte ohne weiteres Einblick in vertrauliche Informationen nehmen. Die umfassen "Fotos, Adressen, Freunde, Hobbys, Vorlieben und private Nachrichten von Schülern untereinander",wie der CCC erklärte. Schlimmer noch: "Selbst die Administrationskonten der offenkundig ungesicherten Plattform waren frei zugänglich. Somit konnten sämtliche gespeicherten Daten aller Nutzer von jedem nach Belieben eingesehen werden, dem diese Lücke aufgefallen ist. Darüber hinaus konnte sich jeder als ein angemeldetes Kind ausgeben und als dieses in der Community agieren." Zu gut Deutsch: das Kinderportal hätte zu jedem Zeitpunkt zu einer Spielwiese für Pädophile werden können. Bis zum Wochenende, denn dann wurde das Portal nach den entsprechenden Hinweisen des CCC bis auf weiteres geschlossen. In einer Mitteilung des Online-Angebots hieß es, Ursache der mangelnden Passwort-Sicherung sei "ein Programmierfehler", immerhin sei"nicht bekannt, dass Userdaten missbraucht worden sind". StudiVZErneut stellt sich damit die Frage nach dem Geschäftsmodell von Online-Netzwerken, die sich an Kinder als Zielgruppe wenden. Schon die Datenskandale umund SchülerVZ ließen da aufhorchen - auch wenn der dort begangene Datenklau zwar quantitativ um einiges größer, qualitativ allerdings harmloser als der aktuelle Fall war. Nicht nur der CCC fordert gesetzliche Regelungen, die das Datensammeln bei Kindern und Jugendlichen unterbinden.Britische Polizei erlaubt FotografienDas kennt man ja von manchen Urlaubsreisen: Das Fotografieren von Brücken, Straßenkreuzungen und Regierungsgebäuden ist in manchen Ländern verboten. Als Grund fürs Knipsverbot wird gerne die dräuende Terrorgefahr angeführt. So bis jetzt auch in Großbritannien. Laut Paragraf 44 des "Terrorism Act" ist es Polizisten erlaubt, Personen auch verdachtsunabhängig zu durchsuchen. Das bezieht sich vor allem auf diejenigen, die gerne Bahnhöfe und sonstige große Gebäude fotografieren, zumeist Touristenattraktionen. Mit der Zeit schliff sich bei den Polizeibeamten die Überzeugung ein, an solchen Stellen sei das Fotografieren überhaupt verboten. Entsprechend rüde sprangen sie denn auch mit harmlosen Touristen um, selbst wenn sie nur Sehenswürdigkeiten wie den Buckingham Palace ablichteten. Zuletzt hatte es Beschwerden gehagelt, nun vollzieht die Polizei eine 180-Grad-Wende,wie der "Independent" berichtet. In einem internen Ukas weist die Polizeiführung die Beamten an, "dass Personen nicht angehalten und durchsucht werden dürfen, weil sie Fotos gemacht haben. Es ist völlig inakzeptabel, wenn Fotografieren unnötigerweise unterbunden wird, seien es Touristen oder Profis". Polizeisprecher Andy Trotter fügte hinzu, natürlich sei die Bedrohungslage real, aber dennoch müssten die Polizeibeamten Augenmaß an den Tag legen. China: Halali und bis zu tausend Euro für Schmuddelseiten im NetzIm ewigen Kampf um ein sauberes Internet setzen Chinas Behörden nicht mehr nur auf die Effektivität der Zensur, die die Bürger vor unliebsamen Web-Angeboten schützen soll. Nun können auch die Untertanen im roten Riesenreich selbst tatkräftig am Ziel des schmuddelfreien Internets mitarbeiten. Um den entsprechenden Arbeitseifer zu erzeugen, winken Belohnungen von bis zu tausend Euro für jeden, der den Behörden illegale pornografische Web-Seiten meldet,berichtet "Xinhua". Dies ist der jüngste Streich im zu Jahresbeginn ausgerufenen Kampf um die "körperliche und geistige Gesundheit der Jugend". Dessen Auswirkungen haben bereits eine ganze Reihe von Web-Seitenbetreibern zu spüren bekommen. Suchmaschinisten wie Google oder Baidu gerieten wegen Verlinkungen zu unerwünschten Seiten ins Visier der Behörden. Seit dem Sommer wird auf öffentlich zugänglichen Computern ein Filterprogramm namens Green Dam installiert, das nicht genehme Inhalte abblocken soll. In einem weiteren Schritt haben die Behörden am Wochenende Hunderte von Tauschbörsenseiten geschlossen,bei denen vor allem Videoclips getauscht wurden.  Die Seiten wurden entweder komplett abgeschaltet oder ihre Besitzer dazu gezwungen, sämtliche Links zu Kinofilmen oder Fernsehserien zu entfernen. Drei-Tages-Maulkorb für ausländische Medien im IranAuch im Iran stehen die Zeichen auf Sturm, was freie Meinungsäußerung angeht. Die Regierung hat von heute an sämtlichen ausländischen Journalistenfür die Dauer von drei Tagen ein Arbeitsverbot verordnet.  Dies gilt besonders für die Innenstadt von Teheran und soll naheliegenderweise jede unabhängige Berichterstattung über Demonstrationen unterbinden. Denn von heute an werden wieder Proteste gegen den Präsidenten Ahmadinedschad erwartet, wie sie schon in den zurückliegenden Wochen regelmäßig stattfanden. Und tatsächlich: Schon am Montagnachmittag tauchten bei YouTube wieder erste Handyvideos von Massendemonstrationen in Teheran auf. Die von der Studenten und der Opposition veranstalteten Proteste richten sich vor allem gegen die Unregelmäßigkeiten bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen. Die Opposition wirft dem Lager des Wahlsiegers Ahmadinedschad Wahlfälschung vor. Am 7. Dezember wird üblicherweise dreier 1953 vom damaligen Schah-Regime getöteter Studenten gedacht, dieses Datum wird seit einiger Zeit von Regierungsgegnern zu Kundgebungen genutzt.Amazon vor Eröffnung eigener LadengeschäfteDas Geschäft beim Online-Händler Amazon läuft gut, aber wie alle Kaufleute hätten auch die Amazonen nichts dagegen, wenn es noch besser liefe. Also planen sie die Eröffnung von Ladenlokalen in der richtigen Welt, zunächst in Großbritannien. Wie die Londoner "Times" berichtet,sei das Unternehmen gerade dabei, im Lande nach geeigneten Immobilien in guten Einkaufslagen zu suchen.  Dabei sollen die Amazon-Läden als Abholstationen für zuvor online georderte Waren fungieren. Ein Amazon-Kenner erklärte der "Times": "Als Amazon nur Bücher und CDs verkaufte, die leicht durch den Briefschlitz passen, war es völlig ausreichend, sich aufs Online-Geschäft zu beschränken. Aber jetzt erstreckt sich das Geschäft von Kinderfahrrädern bis zu Elektrogeräten, und Amazon glaubt, die Verkaufszahlen dadurch steigern zu können, indem Kunden Abholstationen angeboten werden." Apple kauft Musikanbieter LalaUnterhaltungselektroniker Apple hat den Musik-Service Lala übernommen.  Der vor vier Jahren gegründete Dienst bietet seinen Kunden via Streaming den werbefreien, mit Preisen ab zehn Cent pro Titel dennoch günstigen Zugriff auf mehr als acht Millionen Songs. Wer seine Musik ganz klassisch herunterladen und abspeichern möchte, zahlt 79 Cent pro Song und erhält dafür eine DRM-freie MP3-Datei. Zusätzlich können die Nutzer Titel aus der eigenen Musiksammlung hochladen und mit anderen Anwendern teilen. Über den Preis der Übernahme vereinbarten die Partner Stillschweigen. Allzu hoch dürfte der nicht gewesen sein,schreibt Lala doch seit seiner Gründung rote Zahlen.  Aber immerhin ist Apple nun einen potentiell lästigen Konkurrenten fürs hauseigene iTunes-Angebot losgeworden. Lego-Pistole online bestellt, vom Swat-Team besuchtWer hätte gedacht, dass das Spielen mit Lego-Steinen für Erwachsene eine gefährliche Angelegenheit sein könnte? Der Kanadier Jeremy Bell ist von entsprechenden Zweifeln geheilt. Der 29-Jährige hatte im Internet die Replik einer Pistole aus schwarzen Lego-Steinen bestellt. Die wurde ihm ins Büro in Toronto geliefert, wo der freudige Empfänger sein Paket auch sofort auspackte und mit der Plastikimitation herumspielte. Das sah zufällig ein Mann im Haus gegenüber, der die Waffe für echt hielt und sofort die Polizei rief. Umgehend rückte ein Swat-Team aus, um den vermeintlichen Übeltäter samt seiner gefährlichen Waffe dingfest zu machen. Das Sondereinsatzkommando stürmte ins Büro, legte dem verdutzten Bell Handschellen an und fixierte ihn an der Wand. Es brauchte eine Weile, bis die schwerbewaffneten Polizisten einsahen, dass es sch bei der bedrohlichen Waffe nur um ein Lego-Spielzeug handelte, das obendrein schon wieder auseinandergebrochen war."Immerhin haben Sie jetzt was zu erzählen", witzelte einer der Polizisten, als sie wieder abzogen. Außerdem:Rückgang beim Geschäft mit Festnetztelefonie stärker als erwartet. Studie:Gamer suchen Freundschaft, nicht Gewalt. Ebay verklagt Craigslist.
Richard Meusers
Zur Abwechslung gibt es mal wieder ein Datenloch: Wegen klaffender Sicherheitslücken schloss eine Kinderwebsite komplett die Tore. In Großbritannien darf dafür wieder fotografiert, aus dem Iran aber nicht berichtet und auch mit Legospielzeug nicht gespielt werden. Das und mehr im Überblick.
[ "Netzticker", "Chaos Computer Club", "StudiVZ", "Amazon", "Apple", "Lego" ]
Netzwelt
Web
2009-12-07T18:04:10+01:00
2009-12-07T18:04:10+01:00
https://www.spiegel.de/netzwelt/web/netzwelt-ticker-tausende-daten-von-kindern-frei-zugaenglich-a-665587.html
Schlöndorffs "Der neunte Tag": Der Untergeher
Judas war ein frommer Mann. Ohne Judas hätte es keine Erfüllung des göttlichen Willens gegeben. Also auch kein Christentum, keine Weltkirche und kein Bollwerk gegen den Bolschewismus. Es wird einem ganz schwindelig von der unverfrorenen Thesenkette des jungen SS-Offiziers Gebhardt. August Diehl spielt ihn wie einen Oberprimaner, der die Lehren seines Schulrektors verhöhnt. Fast wäre er Priester geworden, erzählt der schmierige Streber: "Als ich dann die schwarze Uniform wählte, war das mein persönlicher Aufstand gegen Gott." Sein Gegenüber ist ein Priester. Der luxemburgische Abbé Henri Kremer (Ulrich Matthes), den Gebhardt täglich in sein Büro bestellt und in theologische Debatten verwickelt, sieht aus wie Gespenst. Abgemagert, mit tiefen Augenhöhlen, schmalen, zusammengepressten Lippen und versteinertem Gesicht, in dem die Wangenknochen hervorstechen. Als sei er von den Toten auferstanden. Kurz vorher war Kremer noch im KZ Dachau, wurde gequält im so genannten Pfarrerblock, der Hölle auf Erden. Dann hat man ihn überraschend in die Heimat entlassen. Ein Irrtum, bedauert Gebhardt, so als habe ein Postbeamter eine Briefsendung verwechselt. Kramer sei nur beurlaubt. Für neun Tage. Bis dahin soll er den widerspenstigen Bischof Philipp (Hilmar Thate) dazu bewegen, mit den Nazis zu kooperieren. "Im Osten entscheidet sich die Zukunft der ganzen Christenheit", argumentiert Gebhardt mit eifrig-einfältigem Pathos. "Da brauchen wir Missionare, um die Heiden zu bekehren." Dann zeigt Gebhardt ihm Fotos von Leichen in Massengräbern. Von den Russen ermordete Katholiken sollen es sein, sagt er. "Können Sie sich vorstellen, dass wir eine solche Barbarei begehen würden?" Es ist 1942, der Holocaust hat längst begonnen. Kremer musste es am eigenen Leib erfahren. Volker Schlöndorff beginnt in "Der neunte Tag" mit Szenen von abscheulichen Schikanen im Konzentrationslager. Die ausgemergelten Häftlinge werden geschlagen, getreten und als "Schweinepriester" beschimpft. Es sind erschütternde Momente, eine Abfolge sadistischer Methodik und ein Delirium, das Schlöndorff leider zu oft in Zeitlupe und mit verwackelten, verzerrten Bildern verstärkt. Vielmehr spürt man diesen Schrecken in den verängstigten Blicken der Geschundenen. Einmal müssen sie schockiert mit ansehen, wie einer ihrer Glaubensbrüder vor den Baracken an ein Holzkreuz gefesselt wird und mit einer Krone aus Stacheldraht auf dem Kopf in der Kälte verendet. Dahin muss Kremer zurück, wenn er keinen Erfolg hat. Und sollte er fliehen, wozu er von seinem Bruder gedrängt wird, würden alle Priester in Dachau erschossen werden. So lockt Gebhardt den körperlich gebrochenen, seelisch leidenden Kremer mit mephistophelischer Durchtriebenheit. Verräter oder Märtyrer - das ist in dieser Situation keine Glaubensfrage, sondern ein Gewissenskonflikt. Es geht um Freiheit oder Tod, die eigene Existenz oder das Leben der anderen. In den intensivsten Szenen führt "Der neunte Tag" vor, was die Erlebnisse in einem Konzentrationslager aus einem Menschen machen, wie sie nachwirken. Ungläubig verfolgen seine Schwester Marie (Bibiana Beglau) und deren Mann, wie Kremer sein Essen herunterschlingt und neben dem weichen Bett auf dem Fußboden schläft. Die Politik der katholischen Kirche und die Umarmungsversuche der Nazis werden dabei zur Nebensache. Doch weil es das übergeordnete Thema ist und Schlöndorff nach Tagebüchern des luxemburgischen Paters Jean Bernard eine authentische Geschichte verfilmt hat, zwingt er Kremer immer wieder in die Rolle des Stellvertreters für das Dilemma der Geistlichen in den damaligen Machtverhältnissen. "Luxemburg ist kein Judasland", schreit er Gebhardt einmal an. Ulrich Matthes verkörpert Kremer mit einer schonungslosen Bravourleistung, schleppt mit seinen Schuldgefühlen aber auch die Last der ganzen Welt mit sich herum. Nie zweifelt man daran, dass er selbst lieber untergeht, als den Untergang der Menschlichkeit mit zu tragen. Schlöndorff inszeniert diesen Charakter so rein wie Weihwasser. Faszinierender ist da letztlich August Diehl, obwohl er als Gebhardt mit zurückgekämmten Haaren auf den ersten Blick nicht dem Abziehbild des Nazis entrinnt. Doch Diehl gibt seinem Charakter nahezu unmerklich einige Kanten und Schwächen, die ihn mal als verblendeten, dann wieder verzweifelten Emporkömmling ausweisen. Mit seinem opportunistischer Ehrgeiz und seinen krausen, durchsichtigen Gedankengänge ist Gebhardt jener Typus, der die Menschheit immer schon ins Elend stürzte. Oder wie Kremer mit letzter Kraft brüllt: "Der Judas sind Sie!"Der neunte TagDeutschland/Luxemburg 2004. Regie: Volker Schlöndorff. Drehbuch: Eberhard Görner, Andreas Pflüger. Darsteller: Ulrich Matthes, August Diehl, Hilmar Thate, Bibiana Beglau, Germain Wagner. Produktion: Provobis Film, Videopress. Verleih: Progress. Länge: 97 Minuten. Start: 11. November 2004
Oliver Hüttmann
Gutmensch und Überzeugungstäter: Ulrich Matthes und August Diehl brillieren als verbale Duellanten in Volker Schlöndorffs Holocaust-Drama "Der neunte Tag", in dem ein Priester zwischen seinem Gewissen und dem Überleben wählen muss.
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Kultur
Kino
2004-11-12T12:24:32+01:00
2004-11-12T12:24:32+01:00
https://www.spiegel.de/kultur/kino/schloendorffs-der-neunte-tag-der-untergeher-a-327538.html
Koalitionskompromiss: Getrennte Mehrwertsteuer für Bett und Frühstück
Hamburg - Das Vorhaben der schwarz-gelben Koalition, für Hotels den ermäßigten Mehrwertsteuersatz einzuführen, hat kuriose Folgen. So sollen für eine Übernachtung mit Frühstück künftig unterschiedliche Mehrwertsteuersätze gelten. Darauf einigten sich am Dienstag vergangener Woche die Finanzminister der unionsgeführten Bundesländer mit Hartmut Koschyk (CSU), Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesfinanzministerium. Während für die Nutzung eines Hotelbetts künftig der ermäßigte Satz von sieben Prozent anfällt, muss der Gast für das Frühstück weiter 19 Prozent Mehrwertsteuer entrichten. Dies sei notwendig, so befand die Runde, damit Bistros und Gaststätten in der Nachbarschaft von Hotels keinen Nachteil erleiden. Entsprechend müssen Beherbergungsbetriebe auf ihren Rechnungen künftig getrennte Mehrwertsteuersätze ausweisen. Vereinbart wurde zudem, dass auch Campingplätze in den Genuss der Steuerermäßigung kommen. Es sei nur schwer zu rechtfertigen, warum ein Schlafgast im Luxushotel nur sieben Prozent Mehrwertsteuer zu bezahlen hat, ein Camper aber 19 Prozent. Zwischen den Ministerpräsidenten der Union entwickelt sich Streit um das Vorhaben. "Es ist den Vertretern des Freistaates Bayern gelungen, ihre regional begründeten Wünsche durchzusetzen", kritisiert Sachsen-Anhalts Regierungschef Wolfgang Böhmer. Wie zu erwarten, habe das zu weiteren Forderungen geführt. Wären die unterschiedlichen Sätze der Mehrwertsteuer grundsätzlich reformiert worden, wäre es zu den Verwerfungen nicht gekommen.
Hotelrechnungen könnten künftig komplizierter werden: Von der geplanten Mehrwertsteuersenkung für Hotelübernachtungen soll nach SPIEGEL-Informationen das Frühstück ausgenommen und mit den vollen 19 Prozent besteuert werden. Dagegen soll für Camper der niedrige Satz gelten.
[ "Hotels", "Mehrwertsteuer" ]
Reise
Deutschland
2009-11-21T16:49:15+01:00
2009-11-21T16:49:15+01:00
https://www.spiegel.de/reise/deutschland/koalitionskompromiss-getrennte-mehrwertsteuer-fuer-bett-und-fruehstueck-a-662641.html
Krieg in Libyen: Rebellenführer wirft Nato Behäbigkeit vor
Brega/Rom - Es war von einer "historischen Entscheidung" die Rede, als die Nato das Kommando über die Kampfeinsätze der Alliierten in Libyen übernahm. Doch nur wenige Tage später gerät das Bündnis massiv in die Kritik der Rebellen: Die Nato reagiere bei dem Einsatz zu langsam, wirft der Außenminister der Übergangsregierung, Ali al-Essawi, dem Bündnis laut einem Bericht der " New York Times" (NYT) vor. "Viele Zivilisten sind gestorben, und die Nato konnte nicht schnell genug reagieren, um sie zu schützen", sagte der Rebellenführer am Montag bei einem Besuch in Rom. Die Probleme hätten zu dem Zeitpunkt begonnen, als die Nato das Kommando von der "Koalition der Willigen" übernahm, sagte Essawi, der früher als Botschafter Libyens in Indien selbst dem Regime angehörte. Bevor das Bündnis das Kommando übernahm, fand der Einsatz unter der Ägide der USA, Frankreichs und Großbritanniens statt. Er erwartet nun einen langwierigen Krieg: Die Nato habe "das Kommando übernommen, und sie wird es noch lange führen". Kaum militärische ErfolgeImmer mehr Staaten erkennen die libyschen Rebellen als legitime Vertreter des nordafrikanischen Landes an. Nach Frankreich und anderen EU-Staaten folgte am Montag Italien, das bis vor kurzem noch enge Beziehungen zu Machthaber Muammar al-Gaddafi unterhielt.Offenbar schwindet selbst in der eigenen Familie der Rückhalt für den libyschen Diktator, der gegen seine eigene Bevölkerung kämpft. Laut "New York Times" haben zwei seiner Söhne einen Friedensplan lanciert. Essawi lehnte die angebliche Offerte strikt ab. "Es ist auf keinen Fall eine Lösung, Gaddafi durch einen kleinen Gaddafi zu ersetzen", sagte er. Erst Ende vergangener Woche war mit Außenminister Mussa Kussa ein wichtiger Protagonist des Regimes nach London geflohen. Jetzt hat die US-Regierung ihre Strafmaßnahmen gegen ihn aufgehoben. Kussa habe mit dem Regime von Gaddafi gebrochen, und er sei deshalb nicht mehr "Gegenstand von Sanktionen", teilte das Finanzministerium in Washington am Montag mit. Kussa darf damit wieder in die USA reisen, und dort eingefrorene etwaige Vermögenswerte sind wieder frei.Tatsächlich konnten weder Gaddafis Truppen noch die Rebellen zuletzt militärische Erfolge erzielen. Die Kämpfe um die ostlibysche Ölstadt Brega und den Rebellen-Vorposten Misrata im Westen des nordafrikanischen Landes gingen mit unveränderter Härte weiter. Nachdem die Rebellen Brega am Wochenende zu großen Teilen eingenommen hatten, konnten sie am Montag mit Hilfe von unterstützenden Nato-Luftschlägen weiter auf das Stadtzentrum vorrücken - um dann vollkommen überstürzt den Rückzug anzutreten. Die "NYT" berichtet, die Rebellen seien nach einem Granatangriff auf ihren Hauptstützpunkt ungeordnet in ihre etwa 25 Pick-ups geflüchtet und nach Adschdabija gefahren. Gaddafis Truppen konnten den Vorteil nicht ausnutzen. Nach den wochenlangen Luftangriffen und Sanktionen erscheint das Militär zusehends geschwächt.Ärzte ohne Grenzen retten 71 Kriegsverletzte aus Misurata Besonders heftig wird auch um Misurata im Westen Libyens gekämpft. Aus der Stadt in Sicherheit gebrachte Verwundete sprachen am Montag von einem Massaker seitens der Truppen Gaddafis, das sich dort abspiele. Am Sonntag hatten Mitarbeiter der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" 71 Kriegsverletzte aus Misurata per Schiff nach Tunesien gebracht. Dort würden sie medizinisch versorgt, teilte die Organisation am Montag mit.Die Türkei brachte mit einer Fähre rund 300 Schwerverletzte aus der von Gaddafi-Truppen belagerten Stadt und aus der Rebellenhochburg Bengasi zur Behandlung ins Ausland. Türkische Regierungsbeamte und Helfer des Roten Halbmondes holten die Opfer der Kämpfe am Sonntagabend mit der Seefähre "Ankara" ab. Auch in der westlichen Bergregion Dschabal el Gharbi berichten Augenzeugen von fortdauerndem Beschuss aufständischer Städte durch Regierungstruppen. Einheiten Gaddafis hätten Grad-Raketen auf die Stadt Nalut nahe der Grenze zu Tunesien gefeuert. Ein Bewohner aus der Region sagte, "zahlreiche Zivilisten" seien bei dem wahllosen Beschuss der Städte ums Leben gekommen. In der bergigen Region gehören die meisten Menschen der Ethnie der Berber an. Der oppositionelle Nationalrat in Bengasi warf den Truppen Gaddafis zudem vor, eine Erdölanlage in Mislah im Süden des Landes angegriffen zu haben. Dabei sei ein Dieseltank beschädigt worden. Die Aufständischen hatten am Freitag erklärt, ein Abkommen mit Katar für den "Tausch" von Erdöl gegen Lieferungen von Nahrung, Treibstoff und Medikamenten geschlossen zu haben. Ein Sprecher der nationalen Erdölgesellschaft Katars bestätigte dies jedoch nicht.
fdi/Reuters/dpa/dapd
Die Nato hat das Kommando über den Einsatz in Libyen übernommen, doch die Gaddafi-Gegner sind unzufrieden. Ein Rebellenführer erhebt schwere Vorwürfe gegen das Bündnis: Die Militärs agierten zu langsam - und gefährdeten damit das Leben von Zivilisten.
[ "Machtwechsel in Libyen", "Libyen", "Türkei", "Arabischer Frühling", "Muammar al-Gaddafi" ]
Ausland
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2011-04-05T00:34:00+02:00
2011-04-05T00:34:00+02:00
https://www.spiegel.de/politik/ausland/krieg-in-libyen-rebellenfuehrer-wirft-nato-behaebigkeit-vor-a-755026.html
ZWEI UHREN ZÄHLEN SEINE STUNDEN DOPPELT
Der Gegenstand, zu dem Gerhard Schröders gepflegte Fingerkuppen bei gelegentlichen Anwandlungen spielerischer Nervosität ihre Zuflucht nehmen, ist einer jener Nägel aus Stahl, die vermittels eines pistolenähnlichen Instruments wie Nieten selbst in solide Betonwände geschossen werden können. Der Außenminister hat den Talisman als ein Exempel deutscher Wertarbeit in seinem Wahlkreis Düsseldorf-Mettmann II geschenkt bekommen. Das Schießgerät besitzt er nicht. Er trägt den Nagel in der Westentasche.Größere Kaliber aufzufahren, gegen die versprengten Kameraden, die sich im Dämmer eines verlorenen Sieges zur Attacke auf das eigene Außenamt verabredet haben, das überläßt der Kommandeur der Bastei am Bonner Rheinufer zunächst einmal hoffnungsvoll dem ehemaligen Richtkanonier Ludwig Erhard. In der nämlichen, Kühle verströmenden, Selbsterhöhung suggerierenden Distanz, die Gerhard Schröder, 55, auch seinen Freunden zu entfremden vermag, richtet er sich nUn zum wiederholten Male darauf ein, seine Feinde zu überleben. Und wie immer, wenn er Widrigkeiten wägt, wirkt selbst die Skepsis, die er nicht entbehren kann, noch wie ein bißchen Frohsinn. Still, doch mit dem mahnenden Anspruch, daß auch in solch politischem Raum Kultur präsent bleiben müsse, steht ihm dabei Anna zur Seite - die metallene Mädchenbüste, des italienischen Zeitgenossen Emilio Greco, die von ihrem weißen Säulensockel das Amtszimmer des Außenministers überschaut. Schröder hat die stumme Gefährtin seiner Arbeitstage so plaziert, daß ihr verstecktes, auf eine vornehme Weise anzügliches Lächeln vor allem die Besucher trifft, die sich in der blauen Polstergruppe oder auch gegenüber seinem umfänglichen Schreibtisch niedergelassen haben. Solchermaßen auf die exklusive Art des- Hauses eingestimmt, erblicken die Besucher einen Mann, der seinem Image - also dem Bild, das sich deutsche Menschen von ihm machen - verblüffend ähnlich ist. Sie erblicken einen Mann von strenger Sachlichkeit, kühler Korrektheit und gnadenloser Intelligenz.Das ist um so erstaunlicher, als die Bilderstürmer der Demoskopie* auf der Fahndung nach dem Image des Außenministers überwiegend Auskünfte von solchen Leuten bekommen haben, die gar nicht wissen, wo sie Schröder »hintun« sollen, die sich über seine Bindungen völlig im unklaren sind.Nicht selten glauben die Befragten, in dem Protestanten Schröder, der in Trier von dem Superintendenten Carl Becker konfirmiert worden ist ("der intelligenteste Konfirmand, den ich je hatte") und der auf Beckers Bitten später erhebliche Spenden zum Wiederaufbau der Trierer Basilika locker gemacht hat, einen Mann mit starken Bindungen zur katholischen Kirche, ja sogar mit einem Zug zum Jesuitischen, zu erkennen. Und häufig können sie sich nicht entschließen, ihm entweder Abhängigkeit oder Unabhängigkeit vom Programm der CDU nachzusagen. Zu stark ist, so folgern die Motivforscher, in Schröders Image der Wesenszug ausgeprägt, »sich im politischen Bereich nicht festzulegen, sondern positiv formuliert - vorurteilslos dem Gebot der Stunde zu folgen«. So unsicher die Landsleute in bezug auf Schröders Bindungen sind, so sicher sind sie in bezug auf die Atmosphäre seiner Umgebung. Was mit ihm in Verbindung gebracht wird, ist immer fein«, ist »Hautevolee«, hat einen kalten, unpersönlichen Glanz. Traut man der freien Assoziation, so reimen sich auf-Schröder: Gala-Empfang, AktenmappeHerrensitz, Geheimdienst, Schliff, Florett und Damenstrümpfe.Stellt man den Leuten im Zusammenhang mit dem Außenminister nun obendrein eine Reihe von Begriffen zur Wahl, so entscheiden sie sich am häufigsten für: Hoheit, Strenge, Geschicklichkeit, Menschenverachtung, Männlichkeit, Respekt, ferner für Ordnung, Listigkeit und Verschlagenheit, aber auch für Pflicht. Minister Schröder verkörpert für die Leute fast deckungsgleich das Bild des gehobenen. Staatsbeamten preußischer Prägung, das zwar nicht Zuneigung weckt, aber Respekt. Für viele hat er geradezu etwas Aristokratisches. Sie glauben, er fühle sich am wohlsten »in Kreisen des Adels und der Hochfinanz oder im Gespräch mit Intellektuellen und Künstlern«. Sie halten ihn für einen Liebhaber des Pferdesports, für einen Freund der Musen, der »besonders gute Bilder hat«, und für einen Frauenkenner, »der weiß, daß er neben anderen Politikern immer noch am besten aussieht«.Die Ähnlichkeit, wie gesagt, zwischen dem Image und dem Original ist verblüffend. Gerhard Schröder ist an freien Wochenenden tatsächlich oft auf dem Rennplatz anzutreffen. Sein Sohn Jan, 22, kennt sich in der Genealogie deutscher Gestüte aus wie andere junge Männer dieses Alters in Automarken. Und auch die Annahme, daß der Außenminister den bildenden Künsten zugetan sei, ist zutreffend. Er hat eine durchaus intensive und persönliche Beziehung zu moderner Malerei und Plastik (Ernst Wilhelm Nay zum Beispiel und Gerhard Marcks), und etliche der Bilder lebender Maler, die er in seinem Haus auf dem Bonner Venusberg angesammelt hat, sind gelegentlich schon auf Ausstellungen unterwegs gewesen.Aber nicht nur der Turf und die exklusive Heiterkeit der Kunst, auch die preußische Beamtentreue im Bild des Außenministers ist ganz richtig gesehen. Der Sohn des friesischen Reichsbahnoberrates Schröder, der im Gefolge des häufig versetzten Vaters mal in Oppeln und mal in Gießen oder in Trier zur Schule ging, hat eine ausgesprochene Idiosynkrasie gegen Unordnung auf dem Schreibtisch (und anderswo) und kann noch heute in verhaltenen Zorn geraten, wenn er per Zufall mit ansehen muß, wie irgendein zuchtloser Frevler fremdes oder gar fiskalisches Eigentum beschädigt.So eine gewisse Rechtwinkligkeit steckt auch in seiner vielgenannten Eleganz, die eben eher Korrektheit darstellt als die gelassene, ein kleines bißchen ramponierte Weltläufigkeit der Gentlemen jenseits des Kanals. Englisch sind Schröders Anzüge mitnichten, vielmehr neudeutsch und teuer. Er läßt seit Jahren in Düsseldorf arbeiten. Auch die Krawatten, die er mit deutlich erkennbarem Bedacht wählt, sind überwiegend einheimischer Herkunft. Zu den ledernen Accessoires hat der Minister offenbar eine besondere Beziehung. Er war wohl der erste, der in Bonn mit Aktenköfferchen auftrat, einem schwarzen und einem braunen, denen er neuerdings jene braune Kollegmappe beigesellt, die den Teilnehmern der Nato-Konferenz in Ottawa seinerzeit für die Tagungsunterlagen überreicht worden ist. Geheimnisträger und höhere Beamte des Auswärtigen Amts erfreuen sich dank einer persönlicher Initiative des Ministers seit einer Weile qualitativ hervorragender, verschließbarer Mappen aus schwarzem Vollrindleder.Diese Anschaffung hat etwas Typisches - nicht nur weil es sich um Leder handelt. Die Verschließbarkeit ist das entscheidende. Sie zählt ohne Frage zu den wesentlichen Eigenarten des Ministers wie seiner Amtsführung. Und wenn sie, was häufig ist, zur Verschlossenheit wird, zählt sie gar zu den Gefahren, die dem Minister wie seiner Amtsführung nun drohen.Viel von dem Mißtrauen, das dem Außenminister Schröder aus den Reihen der eigenen Partei entgegenschlägt, entstammt einem Mangel an Information. Was das Amt und dessen Pläne und Erkenntnisse angeht, so ist dieser Mangel an Information Bestandteil der Schröderschen Politik und Ausdruck seiner festen Überzeugung, daß es nur schaden könne, in den heiklen, noch nicht zum Entschluß gediehenen Entwicklungen der Außenpolitik viele - und oft nur zweifelhaft qualifizierte - Mitwisser zu haben. Was Schröder selber angeht, so ist er verschlossen, weil er zu wenig Menschen sieht, denen er sich wirklich öffnen möchte. Freunde hat er nicht im Bonn der Politiker (ausgenommen vielleicht seinen ehemaligen Zimmerkameraden aus dem Bundeshaus Paul Lücke), und an dem Versuch, sich welche zu machen, hindert ihn das sichere Gefühl intellektueller Autarkie. Wenn er diskutiert, dann will er alle Aspekte erörtern, die sich ihm erschließen, und nicht nur die knappen Einsichten gutwilliger, aber ressortfremder Adepten.Und weil er dazu in der Regel weder die Zeit noch die Gesprächspartner findet, läßt er es lieber ganz. Nichts kann seinem spröden Wesen fremder sein als der Impuls, überlegene politische Einsichten, oder was er dafür hält, auf den Markt zu tragen, wo die Schreihälse sind. Das ist es, was - nicht ganz zutreffend - Schröders Kontaktschwäche genannt wird oder auch seine Arroganz. Das ist es, was ihn viel lieber mit Journalisten reden läßt, die ihn so verständig zu langen Monologen anregen, als mit den meisten Parteifreunden.Das ist es aber auch, was ihn auf sich selbst zurückwirft in den Zeiten der Gefahr, was ihn zum Stellungskrieger macht, der - verschanzt im Parallelogramm der Kräfte - mit der Uhr in der Hand den Feuerschutz der Erhardschen Artillerie und den Angriff des Gegners erwartet.Das heißt, es sind eigentlich zwei Uhren. Außer seiner Armbanduhr trägt der Minister stets eine flache goldene Taschenuhr im Lederetui bei sich, die er zuweilen statt des stählernen Nagels zum Spielen nimmt und die ihm auf transkontinentalen Reisen die deutsche Zeit anzeigt. In diesen Tagen gehen die Uhren freilich parallel. Jetzt zählt Gerhard Schröder die Stunden doppelt. * In diesem Falle die Umfrager und Auswerter des »Instituts für Motivforschung« (IFM), die im Sommer 1963 in einer vergleichenden, vertraulichen Studie für die Bundesgeschäftsstelle der CDU auch Schröders Image untersucht haben.Kofferträger Schröder: »Herrensitz, Schliff, Damenstrümpfe«
Hermann Schreiber
[ "Gerhard Schröder" ]
Politik
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1965-10-05T13:00:00+01:00
1965-10-05T13:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/zwei-uhren-zaehlen-seine-stunden-doppelt-a-684db1f2-0002-0001-0000-000046274431?context=issue
Iran: Sicherheitskräfte schießen erneut auf Demonstranten
In der Stadt Mariwan im Nordwesten Irans haben Sicherheitskräfte laut Augenzeugen das Feuer auf Demonstranten eröffnet. Das berichten die Nachrichtenagentur dpa und der kurdische TV-Sender Rudaw übereinstimmend. Auch Tränengas sei eingesetzt worden. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Hengaw wurden Dutzende Menschen verletzt. Auch Todesopfer werden befürchtet. Die Demonstrantinnen und Demonstranten sollen zuvor das Büro eines Parlamentsabgeordneten angegriffen haben. Die Angaben können vorerst nicht unabhängig überprüft werden. Staatsmedien wiesen Vorwürfe zurück, Sicherheitskräfte seien gewaltsam vorgegangen. Auslöser der Proteste in Mariwan war der Tod der Doktorandin Nasrin Ghaderi, die nach ihrer Teilnahme an einer Demonstration am Samstag gestorben sein soll. Ghaderi stammt laut Rudaw aus Mariwan, lebte aber zuletzt in Teheran. Während einer Protestaktion in der Hauptstadt sei sie mehrmals am Kopf getroffen worden. Danach sei sie ins Koma gefallen und in einem Krankenhaus gestorben. Ihre Familie sei daran gehindert worden, sie in Mariwan zu beerdigen, berichtet der TV-Sender weiter. Ghaderis Begräbnis habe auf Befehl des Geheimdiensts ohne Anwesende stattgefunden. Mehr als 300 Tote seit Beginn der ProtesteDer mutmaßliche Angriff auf die Demonstrierenden in Mariwan wäre nicht die erste potenziell tödliche Intervention des iranischen Staates. Erst am Freitag waren 16 Menschen in der Region Belutschi im Südosten des Iran vom Korps der Islamischen Revolutionsgarde niedergeschossen worden. Nach Einschätzungen der Organisation Human Rights Activists News Agency mit Sitz in den USA sind bei den Zusammenstößen von Sicherheitskräften und Demonstranten mindestens 314 Menschen getötet worden, darunter 47 Minderjährige und 38 Sicherheitskräfte. Auslöser der systemkritischen Massenproteste war der Tod der 22 Jahre alten iranischen Kurdin Mahsa Amini. Die Sittenpolizei hatte sie im September festgenommen, weil sie gegen die islamischen Kleidungsvorschriften verstoßen haben soll. Amini starb am 16. September. Seit ihrem Tod demonstrieren landesweit Tausende gegen den repressiven Kurs der Regierung sowie das islamische Herrschaftssystem. In Kurdengebieten sollen Sicherheitskräfte besonders hart gegen Proteste vorgehen.Vorvergangenen Mittwoch, zum Ende der 40-tägigen Trauerzeit, hatten sich Dutzende Menschen an Aminis Grab versammelt. Auf Videos in sozialen Netzwerken ist zu sehen, wie Männer und Frauen auf dem Aitchi-Friedhof in Aminis Heimatstadt Saghes in der westlichen Provinz Kurdistan »Frau, Leben, Freiheit« und »Tod dem Diktator« skandieren.
ssu/AFP/dpa/Reuters
In Irans Kurdengebieten eskaliert abermals die Gewalt. In der Stadt Mariwan haben Sicherheitskräfte laut Augenzeugen das Feuer auf Demonstranten eröffnet. Es werden weitere Tote befürchtet.
[ "Iran", "Kurdistan", "Proteste in Iran 2022/23" ]
Ausland
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2022-11-06T14:24:19+01:00
2022-11-06T14:24:19+01:00
https://www.spiegel.de/ausland/iran-sicherheitskraefte-schiessen-erneut-auf-demonstranten-a-f6cf61c4-61fe-4407-9133-8663c3f35595
Expertenschelte: Kirchhof-Steuer ist nicht finanzierbar
Berlin - Die Abschaffung der wesentlichen Steuervergünstigungen und Abzugsbeträge reiche nicht aus, eine durchgreifende Senkung des Spitzensteuersatzes auf 25 Prozent auszugleichen, heißt es im aktuellen Bericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Das DIW schätzt, dass die Bemessungsgrundlage durch Abschaffung von Steuervergünstigungen um knapp zwölf Prozent verbreitert werden könne. Bei stärkerer Erfassung der Unternehmensgewinne - dies ist bei Kirchhof noch offen - wären es knapp 14,5 Prozent. Damit könnten entsprechende Steuertarifsenkungen finanziert werden. Bei Top-Verdienern der obersten Einkommensklassen reiche dieses mögliche Finanzvolumen aber nicht aus, um eine Senkung des Steuersatzes auf 25 Prozent auszugleichen. "Dies würde zu erheblichen Steuerausfällen und einer ungleicheren Einkommensverteilung führen", schreibt das DIW. Anders als in vielen Debatten behauptet, zahlen die "Reichen" laut DIW "in erheblichem Umfang Einkommensteuer und leisten zur Finanzierung staatlicher Aufgaben einen hohen Beitrag". Auf die zehn Prozent Steuerpflichtigen mit den höchsten Einkommen in Deutschland entfielen mehr als 51 Prozent des Steueraufkommens, auf die ein Prozent Einkommensreichsten gut 20 Prozent und auf die 0,1 Prozent der Steuerpflichtigen ganz an der Spitze - das sind laut DIW 29.000 Steuerpflichtige - noch 8,3 Prozent des Aufkommens. "Steuervereinfachung werden überschätzt"In der Debatte werde zudem die Bedeutung der Steuervereinfachung überschätzt. "Ein deutlich vereinfachtes Steuersystem ist nicht notwendigerweise effizient und auch nicht gerecht", hieß es beim DIW. Zudem seien auch von den radikalen Steuerreformkonzepten mittelfristig keine größeren "Selbstfinanzierungseffekte" durch steigende Beschäftigung und stärkeres Wachstum zu erwarten. Die Union will in ihrem Wahlprogramm die Steuersätze auf 12 bis 39 Prozent senken und dafür eine "Vielzahl" Steuervergünstigungen abschaffen oder reduzieren. Kirchhof strebt langfristig einen Einheitssteuersatz von höchstens 25 Prozent an. Im Gegenzug sollen alle Steuervergünstigungen abgeschafft und somit die Bemessungsgrundlage als Besteuerungsbasis erweitert werden. Die Rede ist von weit mehr als 400 Steuervergünstigungen. Eine Streichliste, in der Details genannt werden, blieb Kirchhof bislang schuldig.
Wirtschaftsforscher gehen mit der radikalen Steuerreform von Paul Kirchhof hart ins Gericht. Der vom Unions-Finanzfachmann angestrebte einheitliche Spitzensteuersatz von 25 Prozent ist demnach allein durch Abschaffung von Schlupflöchern nicht zu finanzieren.
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Wirtschaft
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2005-09-07T17:51:11+02:00
2005-09-07T17:51:11+02:00
https://www.spiegel.de/wirtschaft/expertenschelte-kirchhof-steuer-ist-nicht-finanzierbar-a-373591.html
Pasta-Rezepte: Viel Spaß beim Durchnudeln!
Die Geschichte meiner Nudelselbsterzeugungsphantasien war immer eng verknüpft mit Maschinen, die ich mal sehr, dann wieder überhaupt nicht mehr liebte. Das Ganze begann vor 15 Jahren mit einem Umzug von München nach Hamburg: Die nördlichste Stadt Italiens verwöhnt ihre Nudelliebhaber mit einem Überangebot an exzellenten Eier- und Hartweizennudeln. Ganz anders an der Elbe: Vor 15 Jahren waren Frischnudeln dort fast nirgendwo in erträglicher Qualität zu haben. Von den inzwischen in jedem dritten Supermarkt angebotenen Manufaktur-Marken-Hartweizlern gar nicht zu reden. Und weil jeder Neuankömmling seine Einkaufsquellen für Spezialprodukte mühsam erforschen muss, beschloss ich, die Sache selber in die Hand zu nehmen - mit Hilfe zweier Nudelknechte. Pasta aus der MonstermaschineDie eine Maschine, eine Imperia, war als Handbetriebler für platte, flache oder gefüllte Eiernudeln zuständig. Aus den damit gekurbelten Teigplatten lassen sich Lasagne, Pappardelle, Tagliatelle, Tagliolini oder Pizzoccheri (dicke, derbe Streifennudeln mit Buchweizenmehl) schneiden, Rundes wie Cannelloni oder Garganelli rollen sowie Gefülltes von Ravioli, Capellitti (Hütchenform) bis zu Tortellini produzieren. Die andere Kiste hatte einen Stecker und war ein Ungetüm von einer vollautomatischen Pastamaschine: oben Hartweizengries, Wasser und Salz rein, Deckel zu, Mörder-Lärm an - und schon quollen unten je nach Aufsatz Spaghetti, Linguine oder Biscotti heraus.Doch es kam, wie es kommen musste: Als erstes landete der Vollautomat auf einem Flohmarkttisch (es herrschte ja noch das Prä-Ebay-Zeitalter). Ich hatte einen italienischen Großmarkt entdeckt, der getrocknete Hartweizennudeln von sechs kleinen Italo-Manufakturen in der Auswahl hatte. Meine private Hausmarke aus der Maschine, das ergab eine Blindverkostung im Freundeskreis, konnte gegen keines der Fertigprodukte anstinken. Warum also nach jeder Produktion den Automaten zerlegen und putzen, was in etwa so lang dauerte, wie die Trocknungszeit der Nudelstränge, die meine halbe Wohnung dekorierten? Der Imperia blieb ich etwas länger treu. Doch nach ein paar Jahren fand ich das Teil abgenudelt - auch wegen anderer Gourmetwelten, die ich entdeckte. Ich schenkte es einem Freund, der damit selbst angebaute Tabak- und Cannabis-Blätter zu gut verstaubaren Objekten zusammenpresste.Riesenravioli mit TrüffelnEin Rausch war es denn auch, der mich zur Handwalze zurück brachte - ein Genussrausch in einem Ristorante, in dem ich hauchdünne Riesenravioli aß, gefüllt mit einem rohen Wachteleigelb und einer unmoralisch dicken weißen Albattrüffelscheibe (ich war zum Glück eingeladen).Das Geheimnis dieses Nudelstücks lag zur Hälfte in seinem Teig. Nach ein paar Nachkochversuchen merkte ich, wie viel bei dieser vermeintlich so einfachen Arbeit schief gehen kann. Mal ließ sich der Teig nur mit Wasserzugabe geschmeidig kneten, zerfiel dann aber im Kochwasser. Ein andermal gingen die Nudeln beim Kochen auf wie ein Soufflé, dann wieder schmeckten sie zu trocken oder verwandelten sich binnen 30 Sekunden in klebriges Irgendwas. Wie immer bei überschaubaren Zutatenlisten kommt es auch bei der Herstellung von Eiernudeln auf jedes Detail an: Mehlbeschaffenheit, Salzsorte, Frische und Größe der Eier - sogar die Temperatur der Hände beim Kneten spielt eine Rolle (nicht zu kalt). Am besten, man benutzt die in italienischen Haushalten geschätzten Mehlsorten Farina di Grano Tenero tipo "00" und Semola rimacinata di Grano Duro. Dazu setzt man feines Meersalz ohne Rieselhilfen ein, zudem sollten alle Zutaten und Dinge, die mit dem Teig in Berührung kommen, vor dem Kneten auf gleiche Temperatur gebracht werden. Rezept für Trüffelraviolo (Zwischengericht für 6 Personen oder Hauptgericht für 4 Personen) Vorbereitungszeit: 20 Minuten (plus 3 Stunden Kühlzeit)Zubereitungszeit: 45 Minuten Schwierigkeitsgrad: mittelschwerZutatenNudelteig250 g Nudelmehl (ideal: Original italienisches Farina di Grano Tenero tipo "00")*150 g Hartweizenmehl (ideal: Original italienisches Semola rimacinata di Grano Duro)*0,5 Tl feines Meersalz2 Stück Eier2-3 Stück Eigelb (je nach Größe)1 Tl Olivenöl1 Stück Ei (zum Bestreichen)Füllung200 g Ricotta100 g Mascarpone1 Stück Eigelb1 Prise Meersalz1 Prise Pfeffer aus der Mühle25 g frischer, schwarzer Wintertrüffel (oder 50 g Sommertrüffel aus dem Glas)1 El Trüffeljus (aus der Dose, ersatzweise Einlegflüssigkeit des Trüffels) Sauce & Garnitur3 El Schalottenwürfel1 El Olivenöl50 ml trockener Weißwein300 ml Geflügelbrühe (selbst gezogen, oder Salz- und Zucker-armes Fertigprodukt)100 g eiskalte Butter2 Tl Trüffelcreme*8 El glatte Petersilie, fein gehackt4 El grob gehobelter Parmigiano Reggiano (mind. 18 Monate gereift)ZubereitungNudelteigBeide Mehlsorten mit dem Salz in einer großen Schüssel vermengen. Die Mischung auf ein Arbeitsbrett aufhäufen, mit der Faust eine tiefe Mulde in die Mitte drücken. In die Vertiefung die (zimmerwarmen) Eier und Eigelbe und das Öl geben. Von außen nach innen gründlich verkneten, bis ein homogener, elastischer Teig entstanden ist. Zunächst 2 Eier und 2 Eigelbe einsetzen. Wenn der Teig beim Kneten zu trocken erscheint, 3. Eigelb einkneten, evtl. immer wieder mal die Hände mit lauwarmem Wasser befeuchten. Wichtig dabei ist Kraft und Ausdauer: der Teig sollte mindestens 4 Minuten (aber nur bis er fest und homogen erscheint) geknetet werden - keine Küchenmaschine kann hier die Präzision echter Handarbeit ersetzen. Beim Kneten emulgiert das Lecithin im Eigelb das Fett mit dem Gluten des Mehls zu einem gleichermaßen elastischen wie kochfesten Teig. Den Teig zu dicker Rolle formen, luftdicht in Frischhaltefolie schlagen und im Kühlschrank komplett durchkühlen lassen (mind. 3 Stunden). Im kältesten Bereich des Kühlschrankes kann der Teig 2 Tage aufbewahrt werden; beim Einfrieren/Auftauen verliert er erheblich an Elastizität.Von der kalten Teigrolle ein 4 cm langes Stück abschneiden, Rest in feuchtes Küchentuch wickeln, um Austrocknung zu verhindern. Teigstück platt drücken, mit einer Nudelmaschine erst auf der dicksten Stufe durchdrehen, dann jeweils 1 Stufe dünner stellen und Teig erneut durchdrehen. Je nach Maschine ist bei der zweit- oder dritt-dünnsten Stufe die ideale Dicke erreicht. Die Teigbahn drei Mal einschlagen (notfalls durch weiteres seitliches Einschlagen auf die Breite der Walze bringen) und erneut mit der dicksten Stufe beginnend in drei Durchgängen mit abnehmender Dicke durch die Maschine drehen. Diesen Vorgang insgesamt vier Mal wiederholen (dabei Teiglaufrichtung jeweils um 90 Grad ändern, damit der Teig in alle Richtungen elastisch wird). Beim fünften Mal ist der Teig bereit zur weiteren Verwendung, er sollte jetzt leicht glänzen und keine Streifen haben. Wer den Teig noch dünner haben will (feinste Einstellung der Walze), sollte auf das Salz im Teig verzichten und dafür die Sauce kräftiger abschmecken. Alternative: Teigstücke auf bemehlter Arbeitsplatte mit Nudelholz dünn ausrollen, so oft falten und neu rollen wie mit der Maschine.Mit einer großen Tasse oder kleinen Schüssel von ca. 8 cm Durchmesser gleichmäßige Kreise aus den Teigscheiben ausstechen und bemehlt unter einem Küchentuch aufbewahren. Bei Verwendung als Zwischengericht 2 runde Scheiben pro Esser rechnen, als Hauptgericht 6 pro Esser.Teigkreise nebeneinander legen, je 1 für Boden und Deckel. 1 Ei verquirlen, Boden-Teigkreise mittels Backpinsel mit Ei einpinseln. Teelöffel anfeuchten, pro Raviolo 1 Tl Füllung in die Mitte eines Teigkreises geben, je 0,5 Tl Petersilie in einem schmalen Ring um die Füllung ziehen. Zweite Teigplatte (Deckel) aufsetzen, rings um die Füllung leicht andrücken, Ränder mit Gabel rings herum fest drücken. FüllungTrüffel fein hacken und mit restlichen Zutaten in Schüssel mit Gabel zu einer nicht zu glatten Farce vermengen. Vorsichtig mit Salz und Pfeffer abschmecken.Sauce & GarniturSchalotten im Öl in Sauteuse glasig anschwitzen, mit Wein ablöschen. Geflügelbrühe zugeben, bei mittlerer Hitze auf die Hälfte einkochen, durch feines Sieb passieren. Trüffelcreme einrühren, warm halten.AnrichtenSauce in große, hohe Pfanne geben, aufkochen lassen, Temperatur verringern und die Ravioli portionsweise darin garen: 3 Min. mit der Füllungs-Ausbuchtung nach unten, Ravioli umdrehen und weitere 2 Min. fertig garen. Gegarte Ravioli im 85 Grad warmen Backofen in befeuchteten Küchentüchern warm stellen, bis alle Portionen gekocht sind. Sauce aufkochen, Butter flockenweise unterrühren. Ravioli in vorgeheizten tiefen Tellern (z.B. Pastateller mit breitem Rand) einlegen, mit der Sauce nappieren, Tellerrand mit Petersilie garnieren und sofort servieren. Küchen-KlangNudeln sind nichts neues, deshalb zwei Klassiker, die auch nicht zu verbessern sind: die US-Sängerin k.d.lang legt nach gut 25 Karrierejahren mit "Recollection" (Warner Music) endlich ihre erste Best-of-Doppel-CD vor, zu deren Seelentiefe sich der Pastateig fast noch besser kneten lässt als zu Peter Gabriels nicht immer hundertprozentig gelungenen, aber für Fans des Briten noch immer tief ins Herz zielenden Cover-Versionen auf "Scratch My Back" (Real World/EMI).GetränketippAngesichts einer derartigen Piemont-Pasta-Power empfiehlt sich ein richtig guter Chianti wie der Chianti Classico DOCG 2006 von der Agricola Querciabella* - ein durch und durch eleganter Toskaner mit 90 Parker-Punkten. *Bezugsquellen:· Semola rimacinata di Grano Duro: im gut sortierten Italo-Feinkostgeschäft oder online z.B. beiGustini · Farina di Grano Tenero tipo "00": im gut sortierten Italo-Feinkostgeschäft oder online z.B. beiMondogusto · Weiße Trüffelcreme: im Feinkostgeschäft oder online z.B. beiBosfood · Chianti Classico DOCG 2006 von der Agricola Querciabella z.B. überAix Vinum
Peter Wagner
Pasta selber machen? Klingt leicht, sind ja schließlich nur wenige Zutaten. Aber dann die Praxis! So viel kann schiefgehen! Deshalb lieber in den Supermarkt? Nein, aber genaue Instruktionen müssen sein.
[ "KULTUR SPIEGEL-Tageskarte", "Tageskarte Küche", "Pasta" ]
Kultur
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2010-02-21T10:32:26+01:00
2010-02-21T10:32:26+01:00
https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/pasta-rezepte-viel-spass-beim-durchnudeln-a-678779.html
Falsche Stempel und Dokumente
Als Folge von Pekings Reform- und Öffnungspolitik wollen immer mehr Chinesen im Ausland arbeiten und studieren. Vor allem Deutschland ist ein beliebtes Ausreiseziel. Die Konsulate in Peking, Schanghai und Kanton konnten im vorigen Jahr den Ansturm zeitweise kaum bewältigen. Allein in der chinesischen Hauptstadt beantragten 1999 knapp 66 000 Bürger ein Visum - rund 18 Prozent mehr als im Vorjahr und 300 Prozent mehr als 1990. Gewachsen ist allerdings auch die Anzahl derjenigen, die sich mit gefälschten Einladungen, Zeugnissen und Stempeln eine Einreise-Erlaubnis beschaffen wollen. Sie erhalten offenbar Hilfe von professionellen Schlepperbanden. Diplomaten in Peking rechnen damit, dass zur Expo 2000 im Sommer in Hannover besonders viele Chinesen versuchen werden, mit gefälschten Dokumenten nach Deutschland zu gelangen. Das Wiesbadener Bundeskriminalamt hat inzwischen einen Experten ins Reich der Mitte entsandt, der die Konsularbeamten schulen soll, wie Fälschungen zu entlarven sind.
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Politik
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2000-01-30T13:00:00+01:00
2000-01-30T13:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/falsche-stempel-und-dokumente-a-1471e3c7-0002-0001-0000-000015561329?context=issue
IG Metall beurlaubt Manager
Ausläufer der Affäre um Lustreisen für Betriebsräte und Tarnfirmen bei VW erreichennun auch die IG Metall. Ein leitender Manager der Feho, der Vermögensverwaltungsgesellschaftder Frankfurter Gewerkschaft, wurde beurlaubt. Die Wirtschaftsprüfer vonErnst & Young untersuchen im Auftrag der IG Metall, welche Kontakte der Manager,der für die Anlage hoher Geldreserven der Gewerkschaft verantwortlich ist, zu dementlassenen VW-Manager Klaus-Joachim Gebauer hatte. Anlass ist eine E-Mail Gebauersan den Feho-Manager, in der er Bezug nimmt auf ein Wertpapiergeschäft derFeho in Höhe von mehreren Millionen Euro. Die Prüfer untersuchen, ob das Geld derGewerkschaft sicher angelegt wurde und ob Provisionen auf das Privatkonto desGewerkschaftsmitarbeiters geflossen sind. Der Feho-Manager war auch beteiligt anVerhandlungen über die Finanzierung einer kleinen Autostadt von µkoda in Prag. DieFeho sollte die Finanzierung des 80-Millionen-Euro-Projekts übernehmen. Doch der Justitiarder Gewerkschaft wollte wissen, wer hinter der Projektgesellschaft F-Bel für dieAutostadt steckt. Nachdem die Gewerkschaft keine Antwort erhielt, sagte sie ab. Spätergestand der ehemalige VW-Betriebsratschef Klaus Volkert, dass er privat an F-Belbeteiligt gewesen war.
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Politik
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2005-10-22T10:31:05+02:00
2005-10-22T10:31:05+02:00
https://www.spiegel.de/spiegel/vorab/a-381037.html
Moskauer Geiseldrama: Behördenangaben sorgen für neue Verwirrung
Moskau - Zwei Wochen nach der Geiselnahme gab die Justiz die Zahl der getöteten Geiseln mit 128 an; bislang war von 120 Toten die Rede gewesen. Fünf der Opfer seien anSchussverletzungen "als Ergebnis der Rebellenhandlungen" gestorben,meldete die Agentur Interfax unter Berufung auf dieStaatsanwaltschaft in Moskau. Einzelne überlebende Geiseln hattennach ihrer Befreiung Angaben des Krisenstabes widersprochen, wonachdie tschetschenischen Terroristen unmittelbar vor der Erstürmungdurch die Polizei erste Geiseln getötet hätten. Bislang war in Stellungnahmen der russischen Behörden lediglichvon zwei erschossenen Geiseln die Rede gewesen. Auch bei den Angabenüber das Schicksal der Terroristen gab es zuletzt Widersprüche.Nachdem es über lange Zeit hieß, von den Terroristen seien 41 getötetsowie zwei oder drei lebend gefangen worden, teilte dieStaatsanwaltschaft zu Wochenbeginn mit, keiner der Geiselnehmer habe die Erstürmung des Gebäudes überlebt. In den Moskauer Krankenhäusern verringerte sich die Zahl derbehandelten Opfer des Geiseldramas bis zum Donnerstag von zuletzt 98auf 42 Patienten. Spezialeinheiten hatten am 26. Oktober im MoskauerMusicaltheater an der Dubrowka nach drei Tagen Geiselhaft mehr als700 Menschen aus der Gewalt der Terroristen befreit. Die getötetenGeiseln starben fast alle an den Folgen des von der Polizei bei derErstürmung eingesetzten Betäubungsgases sowie mangelhafterNachbehandlung.
Die russischen Behörden haben die Zahl der bei der Erstürmung des Moskauer Musicaltheaters getöteten Geiseln nach oben korrigiert. Gleichzeitig stifteten sie Verwirrung mit neuen Angaben über die Geschehnisse dieses verhängnisvollen 26. Oktober.
[ "Geiselnahme in Moskauer Theater" ]
Ausland
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2002-11-07T11:45:58+01:00
2002-11-07T11:45:58+01:00
https://www.spiegel.de/politik/ausland/moskauer-geiseldrama-behoerdenangaben-sorgen-fuer-neue-verwirrung-a-221694.html
Zögerlicher Schuldner
Der AfD-Europaabgeordnete Guido Reil hat seiner Partei bislang offenbar nur einen kleineren Teil der Strafzahlung in Höhe von 133 500 Euro zurückerstattet, die ihr seinetwegen im April 2019 durch die Bundestagsverwaltung auferlegt worden war. Im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf 2017 war Reil durch die Schweizer Goal AG mit einem Nebenwahlkampf unterstützt worden, unter anderem mit Plakaten. Die Bundestagsverwaltung hatte diese Hilfe als illegale Parteispende gewertet. Im vergangenen Sommer versicherte der Abgeordnete öffentlich, es werde »keinerlei finanzielle Nachteile für die AfD durch die Spendenaffäre Guido Reil« geben. 2019 spendete er laut dem Rechenschaftsbericht der Bundespartei insgesamt 10 183 Euro an seine Partei. Das sei »das Doppelte der Pflichtabgabe«, die die AfD sonst von ihm als Mitglied des Europaparlaments für sechs Monate Zugehörigkeit hätte erwarten können, erklärte Reil auf Anfrage. 2020 habe er an die AfD »sehr viel mehr gespendet«. Offen ließ der 51-Jährige jedoch, wie viel er bisher insgesamt zurückgezahlt hat. Die Summe werde im Rechenschaftsbericht 2022 auftauchen, so Reil gegenüber dem SPIEGEL. Der AfD-Bundesschatzmeister Carsten Hütter wollte sich auf Anfrage zur Höhe der von Reil bereits geleisteten Rückzahlungen nicht äußern.
sev
[ "Alternative für Deutschland (AfD)" ]
Politik
Deutschland
2021-08-06T13:00:00+02:00
2021-08-06T13:00:00+02:00
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/zoegerlicher-schuldner-a-5d6b3e41-0002-0001-0000-000178686045
SONNTAG
Hat der Film (1986) von Margarethe von Trotta mit Barbara Sukowa »ungeheure emotionale Kraft«, oder ist er ein Melodram aus dem Film-Antiquariat mit vorfabrizierten Versatzstücken des neudeutschen Gesinnungskinos? 21.45 Uhr. RTL plus. SPIEGEL-TV Die Wende in der DDR - Kurswechsel oder Kosmetik?; Menschenhandel - das Geschäft mit den Thai-Frauen; Polenmarkt in West-Berlin - wenn der Kapitalismus ausbricht. 22.15 Uhr. ARD. t.t.t. Themen: Das gewaltsame Ende von Heinrich Vogeler - neue Erkenntnisse über den Jugendstilmaler; wann kippt der schiefe Turm - Reportage aus Pisa; Rollentausch: Türken spielen Gerhart Hauptmanns berühmtes schlesisches Sozialdrama »Die Weber«.
20.15 Uhr. ARD. Rosa Luxemburg
[ "ARD" ]
Politik
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1989-10-15T13:00:00+01:00
1989-10-15T13:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/sonntag-a-6b5627a8-0002-0001-0000-000013500540?context=issue
Best of Engadget: Endlich tierische Beine
Die Firma Weta Workshop hat unter anderem für die Herr-der-Ringe-Filme Spezialeffekte ausgetüftelt und beschäftigt sich generell mit Körpererweiterungen für Menschen. Auch der neueste Weta-Streich fällt in diese Kategorie: Die Weta Legs sind eine technische Lösung, Menschen tierische Beine zu verpassen.Denn die unterscheiden sich vor allem bei allen Zehengängern ganz erheblich von unseren: Sie sehen stets so aus, als hätten Tiere ein zusätzliches Gelenk, das das Tierbein unterhalb des Knies noch einmal nach hinten knickt. Wer überzeugend einen Minotauren, einen bocksfüßigen Teufel, ein aus Fantasywelten entsprungenen Tier-Mensch-Hybriden verkörpern will, der braucht so etwas.Weta liefert zu diesem Zweck nun so etwas wie eine universelle Stelze: Man schnallt sich den Laufapparat ans Bein, zieht ein passendes Kostüm darüber - fertig ist der tierische Eindruck. Das ist nicht neu, aber trotzdem ungewöhnlich: Die meisten Lösungen dieser Art sind handgemacht und teuer, meist als Requisiten für bestimmte Filme gefertigt. Weta bietet nun eine Lösung von der Stange, erhältlich für jedermann. Das dürfte vor allem Sci-Fi-, Fantasy- und Cosplay-Fans ansprechen, die allerdings die Bereitschaft haben müssen, tief in die Tasche zu greifen: Die Stelzen sind in zwei Größen für 945 Dollar haben. Angeblich sind sie bequem genug, dass man sie auch über Stunden tragen kann, ohne das einem die Füße wegen Minderdurchblutung abfallen. Sogar laufen kann man damit - und das sogar einigermaßen zügig, auch wenn es tierisch doof aussieht: Best ofEngadget  bei SPIEGEL ONLINE: Wir präsentieren eine wöchentliche Auswahl von coolen, neuen Gadgets und Kuriositäten. Heute im Angebot:Vodafone 845 - so klein und billig war Android noch nie Wir hoffen mal, dass es dieses Smartphone auch in Deutschland geben wird, für den Moment ist es nur in England angekündigt. Das Vodafone 845 ist das erste Android-Smartphone des Carriers, das nicht ganz offensichtlich einem Hersteller zuzuordnen ist, und soll auf der britischen Insel auf den Massenmarkt. Sprich: Es ist billig. Die Daten: Kleines Display (2,8"), mittelprächtige Kamera (3,2 Megapixel), 128MB RAM, 512MB Speicher. Dafür immerhin Android 2.1. Macht sicher Spaß, wenn der Preis stimmt. OLED macht Nachtsichttechnik für die Zukunft superdünn An der University of Florida hat man möglicherweise die Nachtsichttechnik revolutioniert. Erstaunlich einfach kann man anscheinend mit dünnen Filmen Infarotlicht filtern und auf OLEDs spielen, was zum Beispiel auf "normalen" Brillen angebracht werden kann. Im Vergleich zu klassischen Nachtsichtgeräten, die sehr viel Strom benötigen, braucht diese Technologie gerade mal fünf Volt. Bald könnten so Handykameras damit ausgestattet werden oder gar Windschutzscheiben in Autos, um nachts eine bessere Sicht für die Fahrer zu ermöglichen. Bisher sind solch luxuriöse Sicherheitseinrichtungen den Fahrern von Oberklasse-Fahrzeugen vorbehalten, Mercedes etwa bietet vergleichbare, aber erheblich aufwendigere Technik seit 2005 an: Bisher basiert sie auf die Einspielung eines Videobildes auf einen Monitor oder die Windschutzscheibe. Aufgenommen wird das Bild von Kameras, deren Bild mit Hilfe von Infrarotscheinwerfern generiert wird.Nintendo-Konsolenseife gegen Zockergeruch (garantiert unzertifiziert) Gamern wird ja gerne ein latentes Hygienedefizit unterstellt, zu wenig Licht, zu viel TK-Pizza und Cola, keine Zeit zum Duschen. Dem ist nicht so, denn Daddler waschen sich durchaus - mit Daddlerseifen. Nun kann man sich auch mit Nintendospielen die Achseln schrubben. Im Angebot: GameBoy, NES und Super NES. Da ist die NES-Seifencartridge natürlich die Größte (7,50 Dollar). Geeksoap  nennt sich das Ganze und ist natürlich nicht ganz billig. Aber es soll ja auch Leute geben, die ein Vermögen für irgendwelche Duftwässer in doofen Flaschen ausgeben, die noch nicht einmal geekig aussehen. Völlig unverständlich.Nicht genug Gadgets? Bei Engadget gibt es mehr!
Spüren Sie den Wolf in sich, den Minotaur, den Alien? Lassen Sie ihn doch raus: Weta Legs liefern die passenden tierischen Beine dazu. Außerdem im Best of des Tech-Blogs Engadget.de: Kleine Androiden, Nachtsichtfolie für Brillen und der Beweis, dass auch Geeks und Nerds sich mitunter gerne waschen.
[ "Best of Engadget" ]
Netzwelt
Gadgets
2010-05-01T09:21:17+02:00
2010-05-01T09:21:17+02:00
https://www.spiegel.de/netzwelt/gadgets/best-of-engadget-endlich-tierische-beine-a-692218.html
Banken: BGH verbietet Gebühren für stornierte Lastschriften
Karlsruhe - Banken dürften ihren Kunden die Rücklastschriftgebühren auch dann nicht berechnen, wenn sie als Schadenersatz tituliert würden, hieß es ein einem am Dienstag veröffentlichten Urteil des Bankensenats beim Bundesgerichtshof (BGH). Das seit 1997 bestehende Verbot der Gebühren dürfe nicht durch interne Dienstanweisungen umgangen werden, wie dies die Dresdner Bank versucht habe. Das Gericht gab der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen recht, die das Geldinstitut verklagt hatte (Az.: XI ZR 154/04). Die Dresdner Bank hatte ihre Beschäftigten 1998 in einem Rundschreiben angewiesen, pauschal sechs Euro Schadenersatz zu erheben, wenn eine Lastschrift mangels Deckung des Kontos nicht ausgeführt werden könne. "Es liegt nicht sehr fern, dass die Bank damit die Rechtsprechung des Gerichts umgehen wollte", stellte der Vorsitzende des Bankensenats, Gerd Nobbe in der Verhandlung fest.Der BGH hatte Allgemeine Geschäftsbedingungen der Banken über Entgelte für Rücklastschriften für unwirksam erklärt. Die Institute wiesen die Lastschriften bei mangelnder Kontodeckung nur im eigenen Interesse zurück und dürften sie daher nicht den Kunden aufhalsen, bekräftigte Nobbe die frühere Auffassung des Gerichts. Der Kunde sei nicht zur Deckung seines Kontos verpflichtet. Die Verbraucherzentrale bezeichnete das Urteil des BGH als "bahnbrechend". Banken und Sparkassen könnten künftig keine als Schadenersatz getarnten Gebühren für Rücklastschriften mehr erheben. Die Kunden müssten dies nicht mehr zahlen. Ein Sprecher der beklagten Dresdner Bank sagte, das Institut wolle vor einer Stellungnahme die schriftliche Urteilsbegründung abwarten.
Kreditinstitute dürfen keinen Schadenersatz verlangen, wenn eine Lastschrift mangels Kontodeckung nicht ausgeführt werden kann. Dies entschied nun der Bundesgerichtshof und rügte die Dresdner Bank, die sich darüber hinweggesetzt hatte. Verbraucherschützer sprechen von einer "bahnbrechenden" Entscheidung.
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Wirtschaft
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2005-03-08T17:19:43+01:00
2005-03-08T17:19:43+01:00
https://www.spiegel.de/wirtschaft/banken-bgh-verbietet-gebuehren-fuer-stornierte-lastschriften-a-345396.html
Bayerns Defensiv-Experiment - Verwundbares Notsystem
Unweit der Mittellinie sank Thiago Alcántara auf die Knie, blickte freudig zum Himmel, ballte die Fäuste. Immer und immer wieder, dann jubelte er dem Publikum zu, beseelt und erlöst wirkte der Mittelfeldstratege des FC Bayern. Hätte man nur diese Szene gesehen, man hätte fast meinen können, Thiago würde die Deutsche Meisterschaft, die Champions League und obendrein noch den WM-Titel feiern. Dabei hatte Robert Lewandowski gerade gegen SC Paderborn getroffen. Zum 3:2-Endstand - in der 88. Minute. Die Erleichterung Thiagos und der übrigen Mitspieler, die den Torschützen herzten, war verständlich. Denn so mühsam und schmucklos dieser Arbeitssieg gegen den SC Paderborn war, so entscheidend könnte er vielleicht im Titelkampf sein. Was am Ende bei den Bayern als Erkenntnis blieb: Die große Freude, selbst in dieser Formation ein Spiel gewonnen zu haben. Und wohl die große Hoffnung, in so einem Notsystem hoffentlich nie mehr auflaufen zu müssen. Die Partie offenbarte deutlich, wie anfällig die Bayern sind, wie schwer es ihnen gerade in der Defensive fällt, bei einem Ausfall der Stammformation adäquate Alternativlösungen aufzubieten. Nicht nur wegen der Gelbsperren von Jérome Boateng und Benjamin Pavard hatte Trainer Hansi Flick eine Dreierkette in die Verteidigung gestellt, sondern auch wegen der Lehren aus dem Spiel vor einer Woche beim 4:1 in Köln. Dort spielten mit David Alaba und Lucas Hernández in der zweiten Hälfte zwei Linksfüße als Innenverteidiger, was prompt zu großen Problemen führte. "Das hatte ja nicht so super geklappt", sagte Manuel Neuer am späten Freitagabend im Rückblick, "deswegen mussten wir modifizieren." Also spielte Hernández gegen Paderborn auf links, Alaba in der Zentrale und Joshua Kimmich mal wieder rechts hinten. Alle drei erfahrene Defensivexperten, die zusammen an diesem Abend auch auf beachtliche 294 Ballaktionen kamen - im Abwehrverbund als Trio allerdings mit Abstimmungsproblemen unterwegs waren. "Klar hat da nicht alles wunderbar geklappt"Auch der Aufbau nach vorn, die Kooperation und Koordination mit den beiden Flügelspielern, den gelernten Außenverteidigern Alphonso Davies und Alvaro Odriozola, erwies sich als holprig, Flick gab später zu: "Klar hat da nicht alles wunderbar geklappt." Gegen Paderborn, den Letzten der Liga, mochte das gerade noch gut gehen: Zweimal in Führung gehen, zweimal den Ausgleich kassieren, dann der Siegtreffer kurz vor Ende. Gegen die wirklich starken Gegner in den kommenden Wochen wird so ein System mit solch einer Formation keine Option sein. Es wird dann eben doch dünn in der Abwehr, ohne Boateng, ohne Pavard, ohne Niklas Süle. Viel darf da hinten nicht mehr passieren in den so wichtigen drei Monaten bis zum Saisonende im Mai. Manuel Neuer, der sich von der Nervosität anstecken ließ und sich vor dem Ausgleich zum 1:1 beim Herauslaufen entscheidend verschätzte, wurde gefragt, ob eine Dreierkette auch am Dienstag beim Champions League-Hinspiel gegen Chelsea denkbar sei. Der Bayern-Kapitän sagte nichts, schmunzelte vielsagend, verabschiedete sich und wünschte den Reportern noch einen schönen Abend.Nun soll Boateng an der Stamford Bridge neben Alaba als Stabilisator in einer Vierer-Abwehr wieder für Sicherheit sorgen, ausgerechnet Boateng, der schon ausgemustert schien und immer wieder kurz vor dem Absprung – plötzlich scheint er so wichtig wie selten. Die Neuen funktionieren noch nichtDrei andere Spieler waren an diesem Abend eher ernüchtert. Der Debütant Álvaro Odriozola, dem wenig glückte und der ebenso bald wieder auf der Bank sitzen dürfte wie Hernández, für den wieder Alphonso Davies als etatmäßiger Linksverteidiger auflaufen wird.Und dann war da noch Philippe Coutinho, der für den verletzten Leon Goretzka in die Startelf rückte. Es wäre eine gute Gelegenheit gewesen, sich zu zeigen, sich zu beweisen. Doch wie schon so oft in dieser Saison fand die Leihgabe vom FC Barcelona nicht ins Spiel, häufig wirkt er noch wie ein Fremdkörper. Viel zu lange wartet man in München schon, dass er auch mal über längere Phasen als Spielgestalter brilliert – genau dafür hatten ihn die Bayern vergangenen Sommer geholt. Ohne Körpersprache, ohne Präsenz und Präzision, so dürfte er in München keine große Zukunft haben. Der Sieg gegen Paderborn, eine Stunde nach Abpfiff war er abgehakt, die Bayern begannen, sich auf das Spiel bei Chelsea (21 Uhr, Liveticker: SPIEGEL.de, TV: Sky) zu freuen. Endlich wieder Champions League. Endlich wieder große Gegner. Endlich wieder Viererkette.
Florian Kinast
Beim schmucklosen Arbeitssieg gegen Paderborn erprobte der FC Bayern erzwungenermaßen eine Dreierkette. Das Spiel zeigte, wie anfällig die B-Lösungen in der Defensive sind.
[ "FC Bayern München", "Fußball-Bundesliga" ]
Sport
Fußball-News
2020-02-22T10:04:11+01:00
2020-02-22T10:04:11+01:00
https://www.spiegel.de/sport/fussball/bayern-muenchen-experiment-in-der-bundesliga-verwundbares-notsystem-a-d816f8e7-f55c-4d8e-b8f3-c06206c44be3
Amerikanische TV-Helden: Geliebter Fernseh-Fiesling
Würde man die Helden der zurzeit besten amerikanischen TV-Serien in einem Raum versammeln, die Stimmung wäre unerträglich. Der sarkastische, tablettenabhängige Arzt Dr. House träfe auf den Gerichtsmediziner und Freizeitkiller Dexter; hinzu kämen der Polizei-Brutalo Vic Mackey ("The Shield"), der auf Folter spezialisierte Agent Jack Bauer ("24") und die intrigante Rechtsanwältin Patty Hewes ("Damages"). Auch die kaltschnäuzige Assistenzärztin Christina Yang aus der Medizinerserie "Grey's Anatomy" müsste man hinzubitten. Und natürlich den übellaunigen Drehbuchautor Larry David, der sich in der Comedy-Reihe "Curb Your Enthusiasm" selbst spielt. Sie alle zeichnen sich aus durch einen krassen Mangel an sozialen Fähigkeiten, an Manieren und Taktgefühl. Im richtigen Leben würde man jeden einzelnen von ihnen meiden, auf dem Bildschirm aber sind sie Dauergäste in Millionen Wohnzimmern weltweit. Was macht diese Soziopathen bloß zu Zuschauermagneten? Warum wird man süchtig nach der Schroffheit einer Chirurgin, deren Laune sich proportional zur Schwere der Verletzungen ihrer Patienten hebt? Warum giert man nach dem nächsten Einsatz eines Detectives, der Drogengelder klaut und Kollegen ermordet? Kompetent und renitentAuffallend ist: Alle genannten Figuren sind höchst kompetent. Niemand räumt in den Straßen effektiver auf als Vick Mackey aus "The Shield". Niemand manipuliert eine Jury besser als Patty Hewes in "Damages" (in Deutschland ab 28. April bei Kabel 1). Und wer einmal erlebt hat, wie Dr. House eine besonders raffinierte Krankheit kuriert, weiß: Dieser Mann ist schlauer als das ganze Team von "Emergency Room" zusammen. Die Gemeinheit ist also ans berufliche Können gekoppelt; ja, die Fiesheit scheint sogar Bedingung für Professionalität zu sein. Ganz schön pessimistisch, dieses Konzept, aber es ist konsensfähig – und durch die Alltagserfahrung gedeckt. Denn, Hand aufs spätkapitalistisch bedrängte Herz: Die Verhältnisse haben sich so verschärft, dass Können scheinbar nur um den Preis der Verrohung zu haben ist. Wer einen guten Job machen will, braucht Ellbogen; emotionale Ressentiments wie Nächstenliebe haben ausgespielt.Ebenfalls anziehend: Figuren wie Jack Bauer und Dr. House reden die Probleme nicht schön. Ihre Rhetorik ist rau, nüchtern, schmucklos. Sie sagen, was Sache ist. "Sie werden sterben. Gehirntumor. Langweilig", erklärt House einem Patienten (um ihn dann später doch zu retten). "Hinter dieser Härte steckt ein gewisser Mut", erklärt die Psychologin und Publizistin Eva Wlodarek. "Und den hätten wir natürlich alle gern." Genau: Dem Chef mal ordentlich die Meinung geigen, den Kollegen offen mobben, dass der Betriebsrat zittert. Für den gezähmten Office-Menschen eine fast schon pornografische Fantasie. Außerdem tut diese Direktheit gut in einer Zeit, wo Lügen und Schönfärbereien stilprägend geworden sind. Politiker zetteln Kriege aufgrund der Vorspiegelung falscher Tatsachen an. Mediziner verkaufen das Klonen als Heilmittel für die Menschheit, aber es wird weiterhin qualvoll gestorben an Aids und Krebs. Das Internet eröffnet zahllose Möglichkeiten der Kommunikation, dennoch vereinsamen Hunderttausende vor dem Rechner. Leute wie Vick Mackey und Patricia Hewes hingegen machen sich und anderen nichts vor. Im Gegenteil: Sie machen kurzen Prozess – verbal und sozial. Coolness und KontrolleNatürlich kommen diese abgebrühten Typen nicht aus dem medialen Nichts. Es hat aber einige Zeit gedauert, bis sie sich auf Leinwänden und Bildschirmen breitmachen durften. In den sechziger und siebziger Jahren waren die Querulanten Outlaws und – siehe Filme wie "The Wild Bunch" und "Easy Rider" – vor allem Loser, die man bedauern oder betrauern konnte.In den Achtzigern traten die knallharten Zocker und Karrieristen auf den Plan, allerdings, wie in Oliver Stones Yuppie-Drama "Wall Street", grundsätzlich begleitet von einem moralisch guten Gegenspieler. Erst in den Neunzigern rückt der Böse vollständig ins Zentrum des Geschehens. Mit dem Obersadisten Patrick Bateman aus "American Psycho" und dem Gourmet-Kannibalen Hannibal Lecter ("Das Schweigen der Lämmer") wird er zur salonfähigen Identifikationsfigur. Wie Lecter ist auch Dexter ein Serienkiller. Faszinierend an ihm ist aber weniger seine Grausamkeit als die maßlose Selbstgewissheit , mit der er seine Taten vollbringt. Auch Vick Mackey hegt keine Zweifel am eigenen Projekt, ebenso wenig wie Patty Hewes, die zwar keine Menschen ermordet, für das Erreichen ihrer Ziele aber schon in der ersten "Damages"-Staffel locker mehrere Schicksale zerrüttet. So faszinierend diese Gemeinheit der neuen TV-Helden ist: Sowohl die Mitspieler von Jack, Patty und Co. als auch wir, die Zuschauer, können sie nur bedingt hinnehmen. Aber gerade dies steigert noch den Reiz des Fieslings. Sind seine amoralischen Eskapaden nicht ein Hilferuf? Will er nicht doch ein bisschen teilnehmen am gesellschaftlichen Mainstream, wo wir, die Zuschauer, uns anöden, aber auch sicher fühlen? Mensch, wie unmenschlich!Ganz klar: Aus dem Versuch, die genialen Menschmaschinen zu humanisieren, erwächst ein Großteil der Spannung vieler Serien. Wird die taffe Cristina den sensiblen Chefarzt doch noch heiraten? Wird der frostige Dexter sich seiner Schwester anvertrauen? Im Ringen um das Seelenheil dieser Figuren lugt noch einmal ein Utopieverspechen um die Ecke. Es ist aber nicht mehr religiös oder ideologisch, sondern sozialpragmatisch grundiert. Ob es sich erfüllt, ist dabei gar nicht so wichtig. Der Zuschauer profitiert, wie gesagt, vom exzessiven Anderssein der Serienfieslinge. In der Rolle des Außenseiters verschafft er dem Rest das gute Gefühl, geborgen in der gesellschaftlichen Mitte zu sein. Wir wollen uns auch mal gemein, hemmungslos, kompromisslos geben – und können uns andererseits gruseln: Nein, was der sich schon wieder gestattet! So gesehen hat der Fiesling sogar einen Hauch tragischer Größe. "Er ist so etwas wie ein Opferlamm der modernen Gesellschaft", sagt der Medienwissenschaftler Georg Seeßlen. "Er beklagt sich nicht über sein Schicksal. Er nimmt es an."Wir, die Bewohner der konkreten Wirklichkeit, sind unterdessen weiter mit der Selbstoptimierung beschäftigt, mit der Mobilmachung für noch neuere Medien und Märkte, ihre Ansprüche und Zumutungen. Sich in diesen Verhältnissen einzurichten, ist schmerzhaft. Wie gut, dass uns die verletzenden Typen auf dem Bildschirm ein wenig beistehen.
Daniel Haas
Ein sarkastischer Arzt, ein ultrabrutaler Cop, eine intrigante Anwältin, ein gehässiger Autor: Die großen Helden des amerikanischen Serienfernsehens werden immer gemeiner. Das Publikum aber liebt diese Medien-Fieslinge ganz besonders. Warum eigentlich?
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Kultur
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2008-04-09T17:05:56+02:00
2008-04-09T17:05:56+02:00
https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/amerikanische-tv-helden-geliebter-fernseh-fiesling-a-546218.html
Bitte Einmarsch
(s. Seite 35) »Und um die Ecke brausend bricht''s Wie Tubaton des Weltgerichts, Voran der Schellenträger ...« (Detlev von Liliencron: »Die Musik kommt") Bürgermeister Dr. Schmiedeberg war im Zylinder erschienen. Der würdige, 72jährige Herr, Oberstudiendirektor a. D., hat eines Gebrechens wegen nie einen preußischen Kasernenhof mit seinem Schweiße benetzt, noch ist er je im Felde gestanden. Und so schaute sein spitzes, pergamentenes Gelehrtengesicht erstaunt dem martialischen Schauspiel zu, das sich seinen Augen bot. Auch Stadtdirektor Raatz, in feierlichem Schwarz zu silberfarbenem Binder, schien, obgleich gedienter Jahrgang und Oberzahlmeister der Reserve a. D. und obgleich dieser Tag hauptsächlich sein Werk war, nicht recht zu wissen, ob er das verblüffende Klischee vergangener Rekruten-Angstträume, das er zu sehen bekam, nicht doch lieber für einen Spaß halten sollte. Es war ein Sonnabend. Aus Hannover waren Niedersachsens BHE-Wirtschaftsminister Dr. Ahrens und aus Bonn Ministerialdirektor Egidi, Abteilungsleiter VI (Öffentliche Sicherheit) im Bundesinnenministerium, trotz unbeständigen Wetters in ihrem Kraftwagen nach Clausthal-Zellerfeld gekommen, um neben Raatz und Schmiedeberg und inmitten einer aus Zivil und Uniform gemischten Prominenten-Wolke zuzuschauen, wie 230 stramme 20jährige Grenzjäger in Stahlhelmen, bewaffnet mit Karabinern, das alte Bergstädtchen bei Goslar auf friedliche, wenn auch geräuschvolle Weise okkupierten. Nach einer noch zaghaften schwachen Generalprobe im Februar vorigen Jahres in Dannenberg an der Elbe, wo eine Hundertschaft einrückte, war es das erstemal, daß eine Bundesgrenzschutz-Einheit derart eng an die alte Wehrmacht-Tradition, einen neuen Standort zu übernehmen, anknüpfte: mit Vorbeimarsch, Großem Zapfenstreich, Garnisonball und allen Schikanen. Der Geist der alten Goslarer Jäger spukte. 14.15 Uhr, beim Wolfschen Gasthof am Stadteingang von Clausthal-Zellerfeld: »Achtung, Augään rechts!« Hackenknall. Des Hauptmanns Kullmann (Gregory-Peck-Gesicht) Arm zackte zum Helmrand: »Erste und zwote Hundertschaft der Bundesgrenzschutzabteilung Nord II zum Einmarsch in den Standort Clausthal-Zellerfeld angetreten.« Die Meldung war an den Abteilungskommandeur, Oberstleutnant i. BGS Willi Langkeit, 46, gerichtet, einen Offizier, der es gewohnt ist, größere Truppenmassen zu überblicken. Der im Krieg mit dem Eichenlaub zum Ritterkreuz und dem rumänischen »Michael dem Tapferen« ausgezeichnete ehemalige Generalmajor und Kommandeur der Division »Kurmark«, nach Kriegsende Autovertreter, kann allerdings erst hoffen, seinen früheren Dienstgrad wieder zu erreichen, wenn der Bundesgrenzschutz weiter verstärkt wird. »Bitte Einmarsch!« sagte er beinahe verbindlich. Stadtdirektor Raatz verbeugte sich: »Ich heiße den Bundesgrenzschutz willkommen.« Renate Raatz, 4, knickste und überreichte Blümchen. Oberleutnant Kothe, Spielleiter des Musikkorps, riß den Stock hoch. Die traditionellen Luftwaffen-Saxophone quäkten, und der deutsche Muskote fiel nach achtjähriger Marschpause hinter demblechernen Geschmetter des Bayerischen Avanciermarsches wieder schwerfällig in Gleichschritt. Noch vor zwei Jahren, als der Bundesgrenzschutz anfing Soldat zu spielen, hätte niemand dem empfindlichen deutschen Ohr ein militärisches Tschingtara, geschweige einen Marschtritt, Tempo 118, zugemutet. Nun rasselten die Trommeln schon wieder herausfordernd los, und die Clausthal-Zellerfelder Bergbewohner nahmen, ähnlich wie ihre beiden Stadtoberhäupter, das aufrüttelnde Geräusch etwas überrascht, etwas ungläubig, aber, als der Traum nicht verflog, mit der gelassenen Ergebenheit eines schußfesten Artilleriegaules hin, den kein Granateinschlag mehr erschüttert. Hinter den Fenstern des Altersheimes zeigte sich in den blitzenden Augen altgedienter Veteranen echte Begeisterung. Seit der jahrhundertealte Silberbergbau im Jahre 1928 eingestellt und der letzte Schacht ersäuft wurde, nagt Clausthal-Zellerfeld am Hungertuch. In den Wintermonaten, zwischen Oktober und April, wenn die Stadt bis über die Ohren im Schnee steckt, ist jeder sechste Bewohner erwerbslos. Es waren daher hauptsächlich wirtschaftliche Gründe, aus denen heraus sich vier BHE-, acht SPD-, ein FDP-, drei CDU- und drei parteilose Ratsherren (19 von insgesamt 21) in überparteilicher Einmütigkeit zur örtlichen Remilitarisierung bekannten. Im Hinblick auf die 120 Mark, die jeder Grenzjäger monatlich frei auf die Hand bekommt, und in der sicheren Erwartung fetter Kantinen-Aufträge hatten vor allem die Wirte und der Lebensmittelhandel die schwarzgelbgrünen Harzfahnen zur Begrüßung aus den Fenstern der verwitterten Holzhäuser gehängt. Erst in zweiter Linie hatte ein gewisses Bedürfnis nach »Schutz vor Überfall«, wie sich Bürgermeister Dr. Schmiedeberg im Hinblick auf die nur 19 Kilometer entfernte sowjetdeutsche Zonengrenze ausdrückte, eine Rolle gespielt. In zähem, fast zweijährigem Wettbewerb um die Ehre, Garnisonstadt zu werden, mußten erst die Städte Osterode und Duderstadt aus dem Felde geschlagen werden, bevor das »Amtliche Kreisblatt« verkünden konnte: »Für die Bergstadt beginnt ... ein neuer Abschnitt in ihrer Geschichte.« Die 230 Grenzschutz-Beamten nur spartanisch in Baracken - auf dem Gelände einer demontierten Dynamitfabrik, in der Nähe eines Galgenberges - unterzubringen, hatte 1,3 Millionen Mark gekostet. Auf einen Kasernenhof wurde verzichtet. Der gummibesohlte, weiche Stiefel, in dem der Grenzjäger nach amerikanischem Vorbild im Gegensatz zum genagelten Knobelbecher heute einhersteigt, steht vorerst noch symbolhaft für die ängstliche Rücksichtnahme dieser militärähnlichen, international bewaffneten Polizeitruppe*) auf die Empfindsamkeiten des demokratischen Christenmenschen. Dies drückt sich rein äußerlich bereits in den Kommandos aus. Statt des peitschenden »Richt euch!« heißt es beispielsweise fast k. u. k. österreichisch gemütlich: »Einrichten!«, statt »Rührt euch!« - »Rühren!« und statt des einstigen, aufreizenden: »Das G''wärr - ü ..!« beinahe friedfertig: »Karabiner - auf Schulter!« beziehungsweise: »Karabiner bei Fuß!«, »Stillgestanden!« ist durch das neutralere »Achtung!« ersetzt. An dienstlichen Bezeichnungen wurde aus dem gefürchteten »Hauptwachtmeister« oder »Spieß« ein harmlos erscheinender*) Der Bundesgrenzschutz verfügt über deutsche MG 42 und Karabiner 98 K, spanische Pistolen »Astra« und italienische Maschinenpistolen »Beretta«. »Innendienstleiter« und aus einem »Panzerspähwagen« ein nichtssagender »SW« ("Sonderwagen"). Aber es wird wieder, obgleich in den Ausbildungsrichtlinien nicht vorgesehen, Präsentiergriff geübt ("auf Wunsch der Männer"), der Haarschnitt ist kurz ("weil die Männer selbst nicht wollen, daß die Fransen unterm Helm hervorhängen"), und bei den Offizieren setzt sich statt der knappen amerikanischen Feldbluse als erste Ausgeh-Garnitur wieder die alte lange Wehrmacht-Feldbluse durch. Inwieweit der Häutungsprozeß weiter voranschreitet, hängt nicht zuletzt davon ab, wann die alten Polizei-Offiziere im Bundesgrenzschutz von ehemaligen Militärs majorisiert sein werden. Bis jetzt sind noch zwei Drittel der Stabsoffiziere ehemalige Polizisten; bei den Hauptleuten kommt nur noch ein Drittel von der Polizei, und die Bundesgrenzschutz-Offiziere unter Hauptmannsrang stammen schon sämtlich aus der Wehrmacht. Der Offizier erlaubt es sich noch, gelegentlich die Hand in die Hosentasche zu schieben, der Mann hingegen muß schon wieder seine »Knochen zusammenreißen«, wenn er einen Vorgesetzten passiert. Mit gezogenem Zylinder schritt der eingefleischte Zivilist Dr. Schmiedeberg am Nachmittag des großen Tages neben den goldgeflochtenen Schulterstücken und dunkelgrünen Biesen des Bundesgrenzschutz-Kommandeurs und ehemaligen Flakgenerals Giese in einem Pulk anderer Prominenter die Front der unbeweglich wie ein Lattenzaun aufgestellten Hundertschaften entlang. Etwas eilig, wegen einer über den Platz heraufziehenden Regenwolke. »Mal wieder ein schönes Bild«, sagte Ministerialdirektor Egidi angesichts der vorgereckten Soldatenbrüste befriedigt zu Minister Ahrens. Ahrens, niedersächsischer Wirtschaftsminister: »Ja, so muß es auch sein.«
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Politik
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1953-09-08T13:00:00+01:00
1953-09-08T13:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/bitte-einmarsch-a-a8cf44a8-0002-0001-0000-000025657503?context=issue
China: Börsen beruhigen sich Eingriff der Notenbank
Nach den starken Kurseinbrüchen zum Jahresauftakt hat sich die Lage an den asiatischen Aktienmärkten am Dienstag wieder beruhigt. Der CSI 300, der die Entwicklung der 300 größten Aktienwerte der Börsen in Schanghai und Shenzhen abbildet, konnte sich nach einer Berg- und Talfahrt ins Plus hieven. Der japanische Leitindex ging mit einem moderaten Verlust aus dem Handel. Der japanlastige Sammelindex Stoxx 600 Asia/Pacific gab um 0,49 Prozent auf 163,87 Punkte nach. Die Beruhigung war wohl auch dem Eingreifen der Regierung in Peking geschuldet: Nach Informationen der Finanz-Nachrichtenagentur Bloomberg haben staatlich kontrollierte Fonds chinesische Aktien gekauft, um die Märkte zu stützen. Die Notenbank pumpte umgerechnet etwa 19 Milliarden Euro in den Markt - so viel wie seit September nicht. Zudem wurde darüber spekuliert, dass die staatlichen Banken Aktien kaufen könnten, um neuerliche Verluste von mehr als fünf Prozent zu verhindern. Der CSI 300 schloss um 0,28 Prozent höher bei 3478,78 Punkten. Dax und EuroStoxx50 gaben ihre Anfangsgewinne bis zum Mittag wieder ab und verloren zeitweise jeweils 0,6 Prozent. "Die chinesischen Maßnahmen sind zunächst einmal positiv", sagte Commerzbank-Anlagestratege Michael Leister. "Aber es besteht das Risiko, dass sie als Zeichen der Schwäche gewertet werden und die Bemühungen keine Früchte tragen." Am Montag, dem ersten Handelstag des Jahres, waren die Festlandbörsen angesichts von Sorgen um die chinesische Wirtschaft um sieben Prozent eingebrochen. Bei Erreichen dieser Marke wird der Handel gestoppt. Die Verkaufswelle hatte die anderen Weltbörsen mit nach unten gezogen. Analysten befürchten, dass sich die Investoren auf anhaltende Turbulenzen einstellen müssen. "Wir warten schon länger auf eine derartige Korrektur", sagte Samuel Chien, Partner beim Hedgefonds-Manager BoomTrend Investment Management. "Die Wirtschaft ist schwach, die Bewertung an der Börse immer noch hoch, und der Yuan gibt nach, was eine Kapitalflucht anzeigt. Die Kursverluste sind überfällig."Neben der Sorgen über die Wachstumsaussichten der chinesischen Wirtschaft dürfte auch die Furcht vor einer Verkaufswelle durch Großanleger ein Grund für den Kurseinbruch vom Montag gewesen sein. Nach den Kurseinbrüchen des vergangenen Jahres gilt für Großinvestoren ein Verkaufsverbot, das eigentlich am kommenden Freitag wieder aufgehoben werden sollte. Die Nachricht von Bloomberg, dass dieses Verbot nun verlängert werden könnte, trug erheblich zur aktuellen Beruhigung bei.Allerdings warnte ein Börsianer, dass die Bürde einer Verkaufswelle auf Hongkong übertragen werden könnte, wenn das Verkaufsverbot für chinesische Festland-Aktien verlängert wird. Der Hang-Seng-Index in Hongkong  , an dem auch ausländische Investoren uneingeschränkt handeln können, fiel um 0,65 Prozent auf 21.188 Punkte. Japans Börsen gaben nach den starken Verlusten vom Vortag moderat nach: Der Nikkei-225-Index fiel um 0,42 Prozent auf 18.374 Zähler.
mik/dpa-AFX
Die asiatischen Börsen haben sich nach ihrem rabenschwarzen Jahresstart gefangen - dank massiver Unterstützung der chinesischen Zentralbank. Auch sollen Staatsfonds der Volksrepublik angeblich massiv Aktien kaufen.
[ "Wirtschaft in China", "Volksrepublik China", "Aktien", "Börse", "New York Stock Exchange", "Frankfurter Börse", "Dax", "Dow-Jones-Index", "Nikkei-Index" ]
Wirtschaft
Unternehmen
2016-01-05T11:44:00+01:00
2016-01-05T11:44:00+01:00
https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/china-boersen-beruhigen-sich-eingriff-der-notenbank-a-1070520.html
Geiz ist doch geil
»Bei den Koalitionsverhandlungen wird darüber diskutiert, Discountern wie z.B. Aldi oder Lidl per Gesetz zu verbieten, Lebensmittel unter Einstandspreis zu verkaufen. Wie stehen Sie dazu?«gegen Verbot 66% 28% für VerbotTNS Infratest für den SPIEGEL vom 1. bis 3. November; rund 1000 Befragte; an 100 fehlende Prozent: »weiß nicht«
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Politik
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2005-11-06T13:00:00+01:00
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https://www.spiegel.de/politik/geiz-ist-doch-geil-a-77e7d797-0002-0001-0000-000042983288?context=issue
Al Dschasira: Bin Laden ruft Moslems zum Heiligen Krieg auf
Kabul - "Der Islam ruftEuch", sagte Bin Laden in einer am Samstag von dem TV-Sender AlDschasira ausgestrahlten Aufzeichnung. Zudem kritisierte er diemangelnde Unterstützung der moslemischen Länder der Region.Der in einem Kampfanzug gekleidete und mit einem AK-47Sturmgewehr bewaffnete Bin Laden sagte: "Dieser Krieg ist vorallem ein Religionskrieg." Jeder Moslem, der den Kreuzzug derUSA in Afghanistan unterstütze, begehe Verrat. MoslemischePolitiker, die mit den Vereinten Nationen (Uno) kooperierten,seien Ungläubige. "Die Vereinten Nationen sind ein Werkzeug desVerbrechens. Kein Moslem darf sich an sie wenden", sagte er inseiner ersten ausgestrahlten Botschaft seit dem Beginn derUS-geführten Angriffe am 7. Oktober. Es gebe keine Beweise, dieauf eine Verbindung zwischen den Anschlägen in den USA undUrhebern in Afghanistan hindeuteten. "Jene, die unsere Tragödie heute nehmen und sie bei den VereintenNationen lösen wollen, sind Heuchler, die Gott und seinen Prophetenund die Gläubigen betrügen", sagte Bin Laden. Auch beim Konfliktzwischen Moslems und der indischen Regierung in Kaschmir habe die Unoversagt. Seit mehr als 50 Jahren würden die Moslems dort unterdrücktund gequält, ohne dass die Vereinten Nationen etwas unternähmen. Es war die fünfte Erklärung Bin Ladens oder des Terrornetzwerksal-Qaida seit Kriegsbeginn vor vier Wochen. Der in Katar ansässigeTV-Sender Al Dschasira teilte mit, sein Büro in Kabul habe das Videokürzlich erhalten, nannte jedoch den genauen Termin nicht. Dem Senderzufolge gibt es keine Hinweise darauf, wann die Aufnahmen gemachtwurden. Eine Sprecherin des US-Präsidialamts sagte zu dem Video: "Das ist weiterePropaganda, die zeigt, wie isoliert Bin Laden von dem Rest derWelt ist." Die USA werfen Osama Bin Laden vor, für die Anschläge vom 11. September verantwortlich zusein. Nordallianz spricht von GeländegwinnenEinem Sprecher der Nordallianz zufolge rückten Soldaten desKommandeurs Ata Mohammad auf die strategisch wichtige StadtMasar-i-Scharif im Norden des Landes vor. Sie hätten Gebiete imSüden des Ortes in dem Ak-Kubruk-Distrikt erobert und dabei 20Taliban-Kämpfer getötet. Hunderte Taliban seien angesichts derOffensive übergelaufen. Der Verlust von Masar-i-Scharif würdedie Versorgungslinien der Taliban in den Westen des Landesunterbrechen.
Der arabische Nachrichtensender Al Dschasira hat erneut eine Video-Botschaft des mutmaßlichen Terroristen Osama Bin Laden ausgestrahlt. Darin ruft der Al-Qaida-Führer zum Dschihad auf und bezeichnet die Uno als "Werkzeug des Verbrechens".
[ "Afghanistankrieg" ]
Ausland
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2001-11-04T10:00:56+01:00
2001-11-04T10:00:56+01:00
https://www.spiegel.de/politik/ausland/al-dschasira-bin-laden-ruft-moslems-zum-heiligen-krieg-auf-a-166012.html
McDonald's-Kampagne: ich wiege esTM
München - McDonald's hat der Konkurrenz den Kampf angesagt, und wenn es sein muss, dann eben mit Liebe. "Eine zentrale Bedeutung in der Werbung nehmen Bilderwelten ein, die menschliche Geschichten voller Humor und Lebendigkeit erzählen und die Botschaft "ich liebe es" erlebbar machen", so die beigefügte PR-Mitteilung. Branchenkenner tippen auf eine dreistellige Millionen-Dollar-Summe, mit deren Hilfe der Konzern das Kunststück vollbringen will, mit einer weltweiten Love-Parade sein Image auf den Kopf zu stellen. Dabei werden nicht nur täglich Hunderte von Spots zu dem großen Gefühlsthema versendet, die Fastfood-Kette will künftig auch "moderne Speisen" anbieten: Leichte Salate, Milch von glücklichen Kühen, Öko-Burger. McDonald's Marketingchef Larry Light: "Wir wollen unserer Marke neues Leben einhauchen und bei McDonald's das Gefühl vermitteln, für immer jung zu sein." Damit auch niemand anderes eine Liebesoffensive starten kann, wurde der Slogan "i'm lovin' it" auch noch mit einem Trademark™ markenrechtlich geschützt - was dem hochemotionalen Claim etwas die Romantik raubt. Dies könnte angesichts der Größe des Liebesthemas auch kein Fehler sein. "'Ich liebe es' ist eigentlich zu stark, um sie mit einem fettigen Burger in eine Styroporschachtel zu zwängen", befürchtete schon der "Tagesspiegel". Bei "ich liebe es™" handelt es sich auch nicht etwa um eine "platte Liebeserklärung" oder "ein Eheversprechen", sagt Marketing-Deutschland-Chef Johan Jervøe. Vielmehr gehe es um den "kleinen, alltäglichen Moment", den der Kunde mit McDonald's teile.Weltweit sind nun also die Sätze "ich liebe es", "c'est tout que j'aime" und "me encanta" Eigentum von McDonald's. Und wenn der Kunde diesen Moment mit Konkurrent Burger King teilen will? "Darf man nicht mehr 'ich liebe es' sagen, wenn man einen Whopper ansieht oder was?", fragen sich bereits besorgte Internet-User auf der Webpage "hirn&verbrannt". Was "Ich liebe es" nach Ansicht von McDonald's auf gut deutsch heißt, wird seit ein paar Tagen in einem 60-Sekunden Werbespots auf allen Fernsehkanälen serviert. Man muss Anfang zwanzig sein, und etwas total abgefahrenes erleben: Ein Mädchen fällt in einen Pool, ein Fußballfan hat im Bus das Trikot des Gegners an, eine Sportskanone springt beim "Sky-Diving" mit Surfbrett aus dem Flugzeug, ein Mädchen haut ihrem Kumpel beim Kickboxen die Cola aus der Hand. Wow! "McDonald's soll relevant für meinen Alltag sein", sagt Jervøe. Weil die neue Kampagne für den Fast-Food-Konzern ziemlich teuer ist, hat die Unterhachinger Werbeagentur Heye & Partner die Bilder mit einem Rap unterlegt, der helfen soll, den Spagat zwischen Liebe, Lifestyle und Bulette besser zu bewältigen: "Es geht manchmal zu weit mit uns zu zweit, das gibt mir den Kick von Zeit zu Zeit - 'ich liebe es'", heißt es in der neuartigen Liebeserklärung. Oder: "Ich will Mikrofone statt Mikrowellen, ich brauche keine Herdplatten sondern Plattenteller - 'ich liebe es'". Sein Gesicht wollte der Liebes-Rapper in dem McDonalds-Clip allerdings nicht zeigen und auch den Namen darf McDonald's-Pressesprecher Frank Bleker nicht verraten. Der sei halt "sehr authentisch" und "tief in der Hip-Hop-Szene verwurzelt." Der Spot hat ein Medienwunder geboren: Reim-Stil und Stimme ähneln zwar auf verblüffend starke Weise denen von João dos Santos, genannt Ju, von der Stuttgarter Rap-Combo "Massive Töne". Doch der Sänger und sein Manager bestreiten vehement eine Beteiligung am Werbespot. Gut möglich, dass dem McDonalds-Sänger - wer immer es auch sein mag - der Text im Nachhinein selbst etwas peinlich ist. Denn im Werbesong heißt es unter anderem wörtlich:"Es ist nichts so wie es scheint, es kommt drauf an wie man's verkauft". Falls Slogan und Spots auch den McDonalds-Managern inzwischen auf die Nerven gehen sollten - die Kampagne ließe sich überarbeiten. Wie wäre es mit: "Ich wiege es"? Auf der deutschen Firmen-Webseite gibt es dafür schon einen "Nährwert-Rechner". Hier erfährt der interessierte Kunde beispielsweise, dass der Verzehr von sieben BigMac's mit zusammen 21.808,5 Kilojoule zu Buche schlägt.
Hendrik Ankenbrand
Fast Food ist out. Doch damit kann sich McDonalds freilich nicht abfinden. Die Werbekampagne "ich liebe es" soll Hamburger und heiße Apfeltaschen wieder in aller Munde bringen. In Deutschland wurde dafür ein anonymer Rapper engagiert, dem die Sache inzwischen offenbar ziemlich peinlich ist.
[ "McDonald's", "Fast Food" ]
Wirtschaft
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2003-09-08T09:06:02+02:00
2003-09-08T09:06:02+02:00
https://www.spiegel.de/wirtschaft/a-264411.html
EU Climate Chief on UN Summit: 'Whatever We Pledge Should Be Equally Binding'
SPIEGEL ONLINE: Commissioner Hedegaard, there have been 16 United Nations climate negotiations, but little progress. What needs to happen in Durban to reach an agreement on limiting carbon dioxide emissions?Hedegaard:Climate talks  in Durban must move beyond the traditional 20th century thinking that divided the world into a rich north and poor south. SPIEGEL ONLINE: What does that mean?Hedegaard: Developing countries should take on more responsibility for climate protection. China and other large emerging economies should put their weight into cutting emissions. The European Union accounts for 11 percent of global emissions. It would be impossible to limit global warming to reasonable levels unless the producers of the remaining 89 percent also commit to a future set-up. SPIEGEL ONLINE: Hasn't much of the CO2 already released into the atmosphere come from the world's wealthiest nations? Hedegaard: Of course we have to pledge different things. But we are mutually interdependent and we are trying to address global challenges. Whatever any of us pledge must be equally binding. That pledges on carbon emissions from one part of the world should be binding, whereas those in other parts of the world are not, makes no sense in the 21st century. SPIEGEL ONLINE: But so far countries with rapidly growing economies such as China, Brazil and India have received the most climate change funding through the Clean Development Mechanism (CDM), which financially rewards emission-reduction projects in developing countries. Hedegaard: The EU wants to change that. From 2013 the project-related funding under the CDM will only be available for the poorest countries, especially African countries. SPIEGEL ONLINE: EU countries and other wealthy nations, with the exception of the United States, are the only ones legally bound to cut their CO2 pollution under the Kyoto Protocol treaty. But with the treaty set to expire at the end of 2012, how will you encourage the biggest greenhouse gas producers -- China, Russia and the US -- to participate? Hedegaard: In the US and China there is progress on climate change. In the US, hundreds of cities have plans to reduce CO2. California is even starting an emissions trading scheme. Several provinces in China also plan to start pilot projects on emissions trading. SPIEGEL ONLINE: Is that enough for a turnaround in Durban?Hedegaard: The pressure on the developing countries that are most threatened by climate change is increasing too. Many developing countries have now understood that a climate treaty is important. We want to use this momentum in Durban. The EU will try to mediate and get the US and China on board. SPIEGEL ONLINE: What is he EU's ultimate goal in Durban?Hedegaard: The EU is pushing for a binding road map in which all countries would commit to take some action by 2015. SPIEGEL ONLINE: Road maps from previous UN conferences have had little success, though. Hedegaard: Without a road map we will not see a second Kyoto commitment period. In Durban, we must bring the most important states to agree to a binding road map. The states would then have until 2015 to introduce CO2 monitoring. SPIEGEL ONLINE: How is that expected to work when most of the countries didn't even adhere to the Kyoto requirements? Hedegaard: The difference is that this time all countries are to participate, including developing countries and emerging economies. I think most countries will follow a broad approach. The aim for this road map should be covering 80 to 85 percent of global anthropogenic greenhouse gas emissions. The problem with the current contractual position is that soon two-thirds of the anthropogenic emissions are not part of the Kyoto Protocol. SPIEGEL ONLINE: How likely is the US to support this road map?Hedegaard: The US has signaled that they would participate if China does too. But so far in this matter there is actually little sign of progress from the US. SPIEGEL ONLINE: Do you expect a true breakthrough at the 21st United Nations climate conference in 2015, then?Hedegaard: In 2015 the discussions should be finished, details should be settled and an international commitment on climate action should be signed. It will then still take years until the arrangements for CO2 reduction are implemented.SPIEGEL ONLINE: How do you feel as you prepare for the negotiations in Durban? Hedegaard: Concerned. Concerned that we're putting the environment at risk.Interview conducted by Axel Bojanowski
With UN climate talks starting next week in Durban, South Africa,  hopes remain for new momentum in the drive to reduce CO2 emissions. In an interview with SPIEGEL ONLINE, EU Climate Commissioner Connie Hedegaard reveals Europe's strategy. Divisions between rich and poor countries must end, she says.
[ "Climate Negotiations", "Climate Change", "Environment", "United Nations", "European Union" ]
International
Europe
2011-11-24T17:14:00+01:00
2011-11-24T17:14:00+01:00
https://www.spiegel.de/international/europe/eu-climate-chief-on-un-summit-whatever-we-pledge-should-be-equally-binding-a-799799.html
Fall Diren Dede: Eltern erhalten Entschädigung
Über die Höhe der Zahlungen gibt es keine Angaben. Doch der amerikanische Todesschütze des Hamburger Austauschschülers Diren Dede hat sich offenbar mit der Familie des Opfers auf eine Entschädigungszahlung geeinigt. Das bestätigte US-Anwalt David Paoli, der im Namen von Direns Familie ein Zivilverfahren angestrengt hatte. Der vor Kurzem in den USA geschlossene außergerichtlich Vergleich sieht außerdem vor, dass der bereits strafrechtlich verurteilte Markus Kaarma alle seine Waffen an die Eltern des erschossenen Teenagers abgibt. Auch wenn es vielleicht nur symbolisch sei, "war es sehr wichtig, diesen Leuten die Waffen wegzunehmen", sagte Paoli mit Blick auf den Täter und dessen Partnerin, die weiter im Haus des Schützen lebt. Berufungsverfahren läuftPaoli sagte, er dürfe zur Höhe der Entschädigungszahlungen keine Angaben machen. Sie geht auch nicht aus Gerichtsdokumenten über den Vergleich hervor. Der Anwalt bestätigte lediglich, die Leistungen schlössen Geld aus der Hausrats- und Autoversicherung des Schützen und eine Summe ein, die von der Mutter des Täters gezahlt werde. Was Direns Familie mit den Waffen von Kaarma tun wird, wisse er nicht, so Paoli weiter. "Wir müssen sie nur sicherstellen, und dann wird die Familie entscheiden, was geschieht." Zu den Waffen, die an die Eltern gehen, gehört einem Gerichtsdokument zufolge auch die, mit der Kaarma auf Diren schoss. Sie bleibt aber vorerst noch bei der Polizei in Missoula als Beweismittel unter Verschluss. Kaarma hat Berufung gegen das Urteil im Strafrechtsprozess eingelegt. Dieses Verfahren muss zunächst abgeschlossen werden. Der 17-jährige Diren hatte bei einer Gastfamilie in Missoula im US-Staat Montana gelebt, als er im April 2014 von Kaarma erschossen wurde, in dessen Garage er eingedrungen war. Der Täter berief sich vergeblich darauf, dass es sein Recht sei, sich selbst und sein Eigentum zu verteidigen. Im vergangenen Februar verurteilte ihn ein Gericht in Missoula wegen vorsätzlicher Tötung zu 70 Jahren Haft. Zusätzlich reichten die Eltern Zivilklage wegen "widerrechtlicher Tötung" und Fahrlässigkeit ein. Dieser Prozess sollte im Dezember beginnen, ist aber nunmehr gestrichen, wie aus einem Dokument des zuständigen Bundesbezirksgerichts in Missoula hervorgeht.
jme/dpa
Die Eltern des in den USA erschossenen Austauschschülers Diren Dede haben sich mit dem Täter auf eine Entschädigungszahlung geeinigt. Auch die Tatwaffe soll in das Eigentum der Eltern übergehen.
[ "Prozess im Fall Diren Dede", "USA", "Montana" ]
Panorama
Justiz & Kriminalität
2015-07-26T10:14:00+02:00
2015-07-26T10:14:00+02:00
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/fall-diren-dede-eltern-erhalten-entschaedigung-a-1045376.html
Klingel kaputt
Im Adria-Hotel »Slovenija«, Klasse A, in Portoroc langweilten sich 13 englische und deutsche Touristen unter 234 jugoslawischen Beamten, die hier, bei Vollpensionspreisen von nur neun Mark, neue Zollvorschriften berieten.Im Nachbarhotel »Riviera« übernachteten im Mai überhaupt noch keine Gäste, bis auf einige jugoslawische Journalisten, die über die Aussichten des Fremdenverkehrsjahres 1972 spekulierten: »Wir haben schöne und teure Objekte für reiche Gäste gebaut, deren Ankunft wir nun schon seit Jahren vergeblich erwarten. Es erhebt sich die Frage, ob das je der Fall sein wird.« Joza Senica, die Direktorin der leeren Herberge: »Traurig wie ein Mauerblümchen sitze ich auf meiner Terrasse, nicht einmal von den Italienern findet sich eine Spur.« Im Vorjahr zur selben Zeit hatte sie 400 von ihnen zu Gast.Auch Dubrovnik, Jugoslawiens teuerste Touristen-Stadt, meldete in den ersten Monaten dieses Jahres einen Umsatzrückgang von 40 Prozent. Selbst im mazedonischen Süden trafen bisher 5000 Absagen ein. Für ganz Jugoslawien sind es rund 100 000, doch befürchtete die Belgrader »Vecernje Novosti«, daß sich diese Ziffer noch »rapid vergrößern könnte«. Das Ausbleiben der Devisenbringer begründeten Jugoslawiens Touristen-Manager meist mit den Pocken. an denen im April 173 Jugoslawen erkrankt und 34 gestorben waren. Doch die Gefahr ist längst beseitigt, zudem war schon die Wintersaison an der jugoslawischen Adria um ein Drittel schwächer gebucht als ein Jahr zuvor.Die Zahl der Beschwerden ausländischer Reisender dagegen hatte in der Saison 1971 eine Rekordhöhe erreicht. Die Geschäftsvereinigung der touristischen Wirtschaftsbetriebe Jugoslawiens kam auf einer Tagung in Belgrad zu dem Schluß, nicht die Pocken, sondern »zu hohe Hotelpreise« trügen die Schuld am nationalen Unglück: »Einige unserer Fremdenverkehrsorte haben so hohe Preise festgesetzt, daß der ausländische Markt sie nicht akzeptieren kann.« Um 17 Prozent hatten jugoslawische Hoteliers 1971 ihre Preise erhöht. Für die Saison 1972 denken sie, mindestens weitere zehn Prozent zuzuschlagen. Nur »auf diese Weise können die Hotels in größerem Umfang zu den geschätzten Devisen kommen, mit denen sie die Dinarkredite abzahlen sollen, die sie für den Bau ihrer touristischen Objekte erhalten haben« ("Politika Ekspres").Gegenwärtig sind die Kassen vieler Hotels so leer, »daß sie nicht einmal mehr ausreichende Mittel haben, um die Löhne zu zahlen, ganz zu schweigen von den Vorratslagern, die jetzt mit Waren gefüllt sein müßten« ("Politika"). Überall fehlt es an Importgetränken, Milchprodukten, Zucker, Obst: vorige Woche gab es kein Fleisch mehr. »Politika« stellte die Frage. »wie man die Fremden überhaupt ernähren soll«. Als Ausweg bleiben entweder noch höhere Preise oder kleinere Portionen. Höheren Preisen steht allerdings die Qualität der gebotenen Leistungen im Weg. »Selbst in Zimmern der A-Hotel-Kategorie können die Gäste weder eine Kleiderbürste erhalten noch ein Zimmermädchen rufen, weil es entweder gar keins gibt oder weil die Klingel nicht funktioniert«, klagte »Vjesnik«. Gemessen am Service, so »Politika Ekspres«, bieten sich Griechenland, Spanien und in mancher Beziehung auch Italien als »billigere Länder« an.Kroatische Emigranten im Westen versuchen zudem, ihr Land den Touristen zu verleiden. Auf einem Flugblatt mit deutschem Text heißt es:Wir warnen Sie rechtzeitig vor noch immer bestehender Pockengefahr an der jugoslawischen Adriaküste. Die jugoslawische Presse und die Gesundheitsbehörden verschweigen mehrere Pockenerscheinungen in vielen Badeorten ... In Paris wurden Plakate der jugoslawischen Reisebüros von Unbekannten mit Pockenwarnungen überklebt; eine dänische Reiseagentur bekam dort die Warnung einer »Kroatischen Sozialistischen Guerilla-Armee«, die ankündigt, sie werde während der Saison in Jugoslawien Verkehrsmittel, öffentliche Gebäude und Hotels bombardieren und in Brand stecken.Dazu »Politika Ekspres": »Feinde versuchen, den Strom der modernen Nomaden von unserem sonnigen, gastfreundlichen Strand abzulenken, um uns ökonomischen und, wie sie erwarten, auch politischen Schaden zuzufügen.«
In Jugoslawien bleiben West-Touristen aus.
[ "Jugoslawien" ]
Politik
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1972-07-02T13:00:00+01:00
1972-07-02T13:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/klingel-kaputt-a-b828a488-0002-0001-0000-000042891639?context=issue
Interview zur polizeilichen Spurensicherung: Mörderjagd mit Maden
SPIEGEL ONLINE: Bei welchen Delikten werden Ihre Kollegen und Sie an den Tatort gerufen?Georg Funke: Angefangen von Einbruchdiebstahl über Brandermittlung bis hin zu Tötungsdelikten ist alles vertreten. Auch bei ungeklärten Todesfällen werden wir von den Ärzten gerufen, um zu klären, ob es sich bei einer Leiche um einen natürliche Todesursache handelt oder nicht. SPIEGEL ONLINE: Was ist das Wichtigste bei der Spurensicherung vor Ort? Funke: Das Wichtigste ist immer, auswertbare Spuren von so genannten nicht Tatortberechtigten zu finden - das sind zu 98 Prozent auch unsere Täter. Wir versuchen zunächst herauszubekommen, wie der Täter an einen Tatort gelangt ist, welche Wege er genommen hat - zum Beispiel über Blumenbeete, Fenster oder Ähnliches.SPIEGEL ONLINE: In manchen Fällen müssen Sie sicherlich auch Wohnungsbesitzern oder Angehörigen zuvorkommen, die unbeabsichtigt wichtige Spuren am Tatort zerstören. Funke: Ja, das geschieht häufig, weil die so genannten Berechtigten schon vor unserer Ankunft aufräumen oder Dinge anfassen, die der Täter in der Hand gehabt hat. Bei Tötungsdelikten sind die Polizeibeamten als Erste vor Ort und können weiträumig absperren. Man sollte aber auch die Zeugenbefragung als Mittel der Spurensuche nicht unterschätzen, weil man auf diese Art feststellen kann, ob sich Nichtberechtigte am Tatort aufgehalten haben. Dadurch können wir bestimmte Spuren ausschließen. SPIEGEL ONLINE: DNS-Analysen von am Tatort aufgespürten Haaren oder Hautschuppen mutmaßlicher Täter haben in der Öffentlichkeit viel Aufmerksamkeit erregt. Für wie wichtig halten Sie diese Form der Spurensicherung?Funke: Das ist eine sehr effektive Technik, die man aber niemals isoliert von anderen Faktoren der Spurensicherung betrachten sollte. Faserspuren werden nicht mehr nur zur Unterscheidung verschiedener Personen benutzt, sondern vom Landeskriminalamt auf DNS-Spuren analysiert. Vom LKA erhalten wir wertvolle Tipps zur Optimierung der Verfahren in der Spurensicherung - zum Beispiel, wie man am besten mit so genannten Faserfolien arbeitet, mit denen Proben genommen werden. SPIEGEL ONLINE: Gibt es neue Techniken bei der Spurensicherung, die Ihnen die Arbeit erleichtern?Funke: Es gibt ständig neue Methoden. Relativ aktuell ist die Arbeit mit den Mitteln der forensischen Biologie. Die Ergebnisse kann man am Fall Geyer sehr gut sehen: Der evangelische Geistliche wurde beschuldigt, seine Frau im Sommer 1997 erschlagen und in einem Waldstück in einen Graben gelegt zu haben. Die Ermittler hatten in den Rillen des Profils seiner Gummistiefel flugunfähige Ameisen gefunden, deren Nest sich nur wenige Meter vom Tatort entfernt befand. Die anschließende Verurteilung des Angeklagten stützte sich vorrangig auf eine kombinierte Spuren- und Liegezeitanalyse mittels der Insekten. SPIEGEL ONLINE: Mit Hilfe von Insekten können die Spezialisten des LKA die Liegezeit einer Leiche mittlerweile recht genau bestimmen.Funke: Sicher, mit den Verfahren der forensischen Biologie berechnen die Experten im Labor die Liegezeit abslout präzise. Fliegen zum Beispiel brüten ihre Larven auf Leichen aus. Unter Berücksichtigung der Temperatur- und Wetterbedingungen errechnet man anhand der größten an einer Leiche beobachteten Maden den Zeitpunkt, an dem die Eierablage erfolgt und - mit entsprechendem Vorlauf - der Tod eingetreten sein muss. Ein Mediziner kann dem gegenüber nur ungefähr schätzen, wie lange eine Leiche schon am Tatort liegt. SPIEGEL ONLINE: Wie werden Sie auf Ihren Job vorbereitet?Funke: Wir durchlaufen Speziallehrgänge für die Spurensuche, so genannte Tatortlehrgänge. Das Fachwissen, welches dort vermittelt wird, ist eher theoretischer Natur. Das meiste lernen wir zweifellos bei der Umsetzung der Lerninhalte in die Praxis. Learning by doing ist ebenso wichtig wie die Tatsache, dass wir von der Erfahrung jener Kollegen profitieren, die schon länger bei der Tatortarbeit sind.SPIEGEL ONLINE: Welche Voraussetzungen muss ein Beamter mitbringen, um in die Einheit aufgenommen zu werden?Funke: Er muss natürlich grundsätzlich Interesse an den praktischen Anforderungen der Tatortarbeit haben. Mindestens ebenso wichtig ist die Fähigkeit zur Teamarbeit: Wir sind je nach Art des Deliktes mit zwei bis acht Personen am Tatort, die gut aufeinander eingespielt sein müssen. Um eine bestimmte Vorstellung davon zu bekommen, wie der Täter an den Tatort gelangt ist, braucht man außerdem Ideenreichtum. Nur wenn man phantasiebegabt ist, kann man im Kopf ein Bild vom möglichen Tatverlauf entwickeln, in dem man die Spuren mit dem vermutlichen Handeln des Täters verbindet. Flexibilität und Bereitschaft zum Schichtdienst sollten selbstverständlich sein. SPIEGEL ONLINE: Das Pilotprojekt läuft seit knapp einem halben Jahr. Wie sind die ersten Erfahrungen?Funke: Durch die zentralisierte Tatortarbeit bekommen wir einen Überblick über die gesamten Brennpunkte der Stadt Hannover. Die revierübergreifende Arbeit ermöglicht es, Tatzusammenhänge zu erkennen und diese unmittelbar an den zuständigen Sachbearbeiter weiterzuleiten. Unser Einsatz rund um die Uhr gewährleistet zudem eine kontinuierliche Arbeit.SPIEGEL ONLINE: Glauben sie, dass Ihr Pilotprojekt bundesweit Erfolge haben könnte?Funke: Sicher. Vor allem was die Ballungsräume betrifft, kann ich mir das gut vorstellen - auf dem Land ist das Einsatzaufkommen erfahrungsgemäß nicht so hoch.
Polizeimeister Georg Funke, 29, ist Sachbearbeiter im Kriminaldauerdienst der Polizei Hannover. Im Rahmen des am 1. Juni 2001 gestarteten Pilotprojekts "Tatortaufnahme" ist er als professioneller Spurensucher vor Ort, wenn per Fingerabdruck, "Schuhspurensuche" oder Insekten-Fang Straftäter entlarvt werden sollen.
[ "Georg Funke" ]
Panorama
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2001-10-28T18:37:30+01:00
2001-10-28T18:37:30+01:00
https://www.spiegel.de/sptv/reportage/a-164956.html
YouTube-Kult: Polen-Borat im Proll-Pulli
Krzysztof Kononowicz sitzt an seinem Küchentisch mit der rot-weiß-karierten Decke und erklärt mit ausufernden Gesten einer Schar von Journalisten seine politischen Ziele. Die Kamera des polnischen Fernsehens schwenkt kurz nach rechts auf seine Mutter, eine bucklige, alte Frau mit Kopftuch und tiefen Furchen im Gesicht. Sie lebt auch in dem Holzhaus in Bialystok. Kononowicz ist binnen einer Woche eine Berühmtheit geworden. Viel Aufmerksamkeit für einen Mann, der am vergangenen Wochenende irgendwo im äußersten Nordosten Polens als Bürgermeisterkandidat antrat. Er verdankt sie einem Fernsehauftritt, dem Internet und nicht zuletzt seinem Pullover.Fast dreieinhalb Millionen Menschen weltweit haben sich bisher über das Wahlkampf-Video von Kononowicz lustig gemacht, geärgert oder einfach nur gestaunt. Zu sehen: Ein kurzatmiger, dicklicher Mann, der in sehr ländlichem Polnisch erklärt, er wolle "Autofahrer bestrafen für Trinken, Rauchen und� für alles". Er stammelt, guckt hilflos, ist völlig überfordert. Nach ein paar Tagen gab es eine neue Version, mit englischen Untertiteln. Was gar nicht nötig war, denn die ungewollte Komik des Auftritts war auch ohne Polnisch-Kenntnisse offensichtlich. Kononowicz-Fanartikel sind der RennerBei einigen YouTube-Nutzern weckte Kononowicz Erinnerungen an den Film "Borat". So bezeichnet ihn emopope als "Borats dicken Vater". hiker 64 wünschte sich: "Bitte... Ich will diesen Pullover kaufen." Den Pullover gibt es mittlerweile bei Allegro, einer polnischen Online-Auktionsplattform - sogar in verschiedenen Größen und farblichen Varianten. Dort wurde im Übrigen auch ein Ölgemälde mit Kononowiczs Abbild versteigert. Mehr Fanartikel bietet dieneu eingerichtete Kononowicz-Fanseite im Internet  an. Dort kann man für 29 Zloty (umgerechnet gut sieben Euro) eine Tasse mit Kononowicz-Konterfei bestellen. Und alle Fernsehauftritte immer wieder ansehen. Kononowicz, 43, Junggeselle, ist ein schlichter Mann. Er redet schlicht, er kleidet sich schlicht, er sagt schlichte Dinge. Die polnische Zeitung "Rzeczpospolita" berichtet von Nachbarn, die Kononowicz für "zurückgeblieben" halten: Er mache immer, was man ihm sage. Ihm würden gern mal Streiche gespielt. Auch auf YouTube vermuteten einige Kommentatoren einen gemeinen Streich hinter Kononowicz' Aufstellung."Die Demokratie lässt alle ran, sie ist wie eine Nutte"In Wahrheit steckt mehr dahinter. Adam Stanislaw Czeczetkowicz hat sich Kononowicz ausgeguckt, um ihn für das Komitee "Podlachia für das 21. Jahrhundert" antreten zu lassen. Podlachia ist der Bezirk, in dem Bialystok liegt, etwa 180 Kilometer nordöstlich von Warschau nahe der Grenze zu Weißrussland. Czeczetkowicz ist Vorsitzender dieses Komitees. Der 30-Jährige mit den langen Haaren gehört zur polnischen Nationalistenszene, laut "Rzeczpospolita" ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Volksverhetzung gegen ihn. Czeczetkowicz sagte der Zeitung, er habe Kononowicz zur Kandidatur überredet und dann das Video ins Internet gestellt. "Das Fernsehen hat uns boykottiert, das Radio hat uns ignoriert - das Internet ist demokratisch. Und das wollten wir ausnutzen." Wobei er zur Demokratie ein besonderes Verhältnis hat: "Die Demokratie lässt alle ran, sie ist wie eine Nutte."Der Plan des Nationalisten war: Wenn Kononowicz gewinnt, zieht er die Fäden. In der Stadt nennen die Leute Kononowicz den "Frankenstein der Nationalisten". Um festzustellen, dass er kein politischer Mann ist, muss man nur die Videos ansehen. Zwei Prozent für den Popstar aus dem InternetDer Fall ist ein besonders bizarres Beispiel für die Hype-Kultur im Internet. Innerhalb kurzer Zeit wurde Kononowicz ein unfreiwillig komischer Held mit Fanclub und Memorabilien - innerhalb kurzer Zeit wird der Zauber wohl wieder vorbei sein. Dazwischen ergötzen sich die Zuschauer am Nicht-Fachmännischen, Unperfekten. "Es gibt so was wie einen Bonus für unpolitisches Auftreten, nach dem Motto 'Einer von uns'", sagt Professor Karl-Siegbert Rehberg, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Je größer die Politikverdrossenheit, umso eher bekämen Witz-Kandidaten Stimmen - zum "Abreagieren". Czeczetkowiczs Plan, mit Hilfe seines Maskottchens Kononowicz die Macht zu übernehmen, ist allerdings nicht aufgegangen. Der komische Kandidat brachte es am Wochenende auf zwei Prozent der Stimmen. So leicht es ist, im Netz mit Trash-Propaganda ein Millionenpublikum zu erreichen - so wirkungslos verpufft sie, wenn die Lacher verhallen. Krzysztof Kononowicz dürfte bald wieder sein altes, schlichtes Leben führen.Falls er nicht Gefallen gefunden hat an der großen Politik.
Sandra Voglreiter
Er stammelt, guckt hilflos, ist völlig überfordert - und dann auch noch dieser Pullover! Die Welt amüsiert sich auf YouTube über einen verstörten Junggesellen, den polnische Rechtsradikale ernsthaft als Bürgermeisterkandidaten aufgestellt hatten. Er scheiterte. Aber jetzt ist er Kult.
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Netzwelt
Web
2006-11-17T16:04:13+01:00
2006-11-17T16:04:13+01:00
https://www.spiegel.de/netzwelt/web/youtube-kult-polen-borat-im-proll-pulli-a-449045.html
Eurojackpot: 90-Millionen-Gewinner meldet sich endlich
Der Gewinner des 90-Millionen-Eurojackpots aus Tschechien hat sich gerade noch rechtzeitig gemeldet. Ein Mann mittleren Alters habe am Donnerstag persönlich den richtigen Tippschein vorgelegt, sagte ein Sprecher der Lotteriegesellschaft Sazka. Umgerechnet 9900 Euro habe der Gewinner in der Lottozentrale in Prag sofort mitgenommen - um dann zum Zug in seine Heimatstadt zu eilen. Der Mann wartete demnach fast einen ganzen Monat seit der Ziehung in Helsinki, damit der Medienrummel etwas nachließ. Der Gewinner gehe weiterhin zur Arbeit und überlege sorgfältig, wie er das Geld anlegen solle, sagte der Sprecher. Er stamme aus der Verwaltungsregion Pardubice, rund 120 Kilometer östlich von Prag.Die Lottogesellschaft hat nun offiziell 60 Tage Zeit, um den Rest der Riesensumme von mehr als zwei Milliarden Tschechischen Kronen auf das Bankkonto des Glücklichen zu überweisen. Er hatte als Einziger in Europa für die Ziehung im Mai die richtigen Zahlen 12-14-18-38-46 sowie die Zusatzzahlen 9 und 10 getippt.
wit/dpa
Er wartete fast einen ganzen Monat: In Tschechien hat der Eurojackpot-Gewinner seinen Tippschein vorgelegt. Einen kleinen Teil der 90 Millionen Euro durfte er sofort mitnehmen.
[ "Glücksspiel", "Tschechien", "Eurojackpot" ]
Panorama
default
2015-06-11T16:45:00+02:00
2015-06-11T16:45:00+02:00
https://www.spiegel.de/panorama/eurojackpot-90-millionen-gewinner-meldet-sich-endlich-a-1038382.html
Helikopter-Unglück: Technische Probleme offenbar Absturzursache
Hamburg - "Es verdichten sich Hinweiseauf ein technisches Problem im Antrieb des Hauptrotors", sagte einSprecher des Verteidigungsministeriums in Berlin.Bei dem Absturz waren sieben Bundeswehrsoldaten getötet worden. "Es gibt nach den ersten Untersuchungen vor Ort absolut keinenHinweis auf einen Beschuss des Hubschraubers", sagte der Sprecherweiter. Seit Sonntag suchen Bundeswehrexperten aus Deutschland vorOrt nach der Absturzursache. Verteidigungsminister Peter Struck (SPD)hatte schon kurz nach dem Unglück versichert, es habe sich um einenUnfall gehandelt. Der Sprecher des deutschen Kontingents der Schutztruppe inAfghanistan, Paul-Georg Weber, hatte zuvor Kritik an der Ausrüstungder Soldaten in Kabul zurückgewiesen. "Wir arbeiten nach den gleichenBestimmungen, die auch für die Zivilluftfahrt in Deutschland gelten.Die Maschinen werden in den entsprechenden - hier in Afghanistankürzeren - Intervallen gewartet", sagte er im Radio EINS (SFB/ORB).Der Unglücks-Hubschrauber sei "insofern in einem einwandfreienZustand gewesen". Die sieben getöteten Soldaten waren an dreiStandorten stationiert: Ein 53 Jahre alter Hubschrauberpilot und zweiSoldaten im Alter von 24 und 28 Jahren kamen aus Laupheim bei Ulm inBaden- Württemberg, hieß es aus dem Umfeld des Standortes. Dreiandere waren beim Heeresfliegerregiment 15 im westfälischen Rheineangesiedelt. Das siebte Todesopfer ist ein 29 Jahre alter Zeitsoldat,der bei der Luftwaffe in Faßberg nahe Celle in Niedersachsen diente. Die Opfer sollen laut Verteidigungsministerium so schnell wiemöglich nach Deutschland übergeführt werden. In Kabul und auch inDeutschland werde es eine Trauerfeier geben. Die Termine standenzunächst nicht fest.Schröder sagte der "Süddeutschen Zeitung", er halte denBundeswehreinsatz in Afghanistan zwar nach wie vor für "zwingendnotwendig". "Unsere Soldaten kämpfen für die Menschenrechte, gegenden Krieg und gegen Unterdrückung". EineAusweitung des deutschen Präsenz über Kabul und Umgebung hinauslehnte der Kanzler aber ab. Man sei mit dem Engagement bereits an der Grenze der Belastbarkeit. "Mehr geht nicht", wird der Kanzler zitiert. Schröder betonte gleichzeitig, dass es zu derMission der internationalen Sicherheitstruppe (Isaf) in Afghanistankeine Alternative gebe. Zwar habe man gehofft, dass aus derabstrakten Gefahr keine konkrete werde. "Aber der Einsatz bleibtzwingend notwendig.?Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, KlausNaumann, sieht zusätzliche Gefahren für die deutschen Soldaten inAfghanistan, falls es zu einem Krieg der USA gegen Irak kommensollte. Er erwarte "eine Verschärfung der Sicherheitslage" für dieFriedenstruppe Isaf und damit auch für die Bundeswehrsoldaten, wennes zu einem militärischen Einsatz gegen den Irak komme, sagte Naumann der "Passauer Neuen Presse". Bereits jetztsei zu beobachten, "dass sich in Afghanistan die Netze von al-Qaidawieder aufbauen", zitierte die Zeitung den Ex-General.
Die Bundeswehr hat erste konkrete Anhaltspunkte für technisches Versagen als Ursache für den tödlichen Hubschrauberabsturz in Kabul. Kanzler Gerhard Schröder sieht die Bundeswehr bei ihrer Mission in Kabul unterdessen an der Grenze der Belastbarkeit.
[ "Deutschlands Anti-Terror-Einsatz" ]
Politik
Deutschland
2002-12-23T07:34:00+01:00
2002-12-23T07:34:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/helikopter-unglueck-technische-probleme-offenbar-absturzursache-a-228363.html
Motten: Nachwuchs fitter wenn Mutter wenig Nahrung hatte
London - Schlecht genährte Mütter produzieren gesündere Nachkommen. Das gilt zumindest für Dörrobstmotten. Müssen die weiblichen Tiere mit Futter schlechter Qualität auskommen, investieren sie scheinbar besonders viel in die Gesundheit ihres Nachwuchses, berichten Wissenschaftler in den "Proceedings B" der britischen Royal Society. Die Nachkommen verfügen über ein sehr aktives Immunsystem und können Krankheitserreger wie Viren oder Bakterien besser abwehren als Mottennachwuchs wohlgenährter Mütter. Mike Boots von der University of Exeter (Cornwall Campus) und Katherine Roberts von der University of Leeds widerlegen mit ihrer Untersuchung die intuitive Vermutung, dass Nachkommen zwangsläufig unter den schlechten Lebensumständen ihrer Mütter leiden. Sie kommen zu dem Schluss, dass gerade in einer schlechten Umgebung und bei hohem Krankheitsrisiko jeder einzelne Nachkomme für die Mutter besonders wertvoll ist - und deshalb von ihr offenbar mit besonders viel Widerstandskraft ausgestattet wird. Die Forscher hatten Gruppen von Dörrobstmotten (Plodia interpunctella) Futter verabreicht, das mit einem unverdaulichen Quellstoff angereichert war. Der Anteil variierte von Gruppe zu Gruppe, die Qualität des Futters reichte auf diese Weise von "ganz gut" bis "sehr schlecht". Den Nachwuchs der Motten infizierten die Wissenschaftler mit einem Virus. Es zeigte sich, dass diejenigen Motten, deren Mütter besonders schlechtes Futter bekommen hatten, die Viren am besten bekämpfen konnten. Bei ihnen wiesen die Forscher zudem eine hohe Phenoloxidase-Aktivität nach. Dieses Enzym ist vor allem an der Abwehr von Krankheitserregern wie Bakterien oder Pilzen beteiligt.
nik/dpa
Wer nicht genug zu futtern hat, setzt schwächere Nachkommen in die Welt - klingt logisch, ist aber falsch. Zumindest bei Motten. Deren Nachwuchs kann sich umso besser gegen Viren zur Wehr setzen, je mehr sich die Mütter durch magere Zeiten hangeln mussten.
[ "Schmetterlinge" ]
Wissenschaft
Natur
2012-07-25T09:11:00+02:00
2012-07-25T09:11:00+02:00
https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/motten-nachwuchs-fitter-wenn-mutter-wenig-nahrung-hatte-a-846197.html
Ukraine-News am 23.5.: Ukraine untersucht mehr als 13.000 mutmaßliche russische Kriegsverbrechen
Dieser Artikel wird fortlaufend aktualisiert. Russland ist nach Angaben eines Putin-Beraters zu einer Wiederaufnahme der Gespräche mit Kiew bereit. Die Ukraine hatte die Verhandlungen zur Beendigung des Krieges am Dienstag ausgesetzt.Zum ersten Mal seit Beginn der völkerrechtswidrigen Invasion Russlands in der Ukraine ist ein Soldat der Kremltruppen für seine Taten verurteilt worden.In der Ukraine werden nach Angaben der Generalstaatsanwältin etwa 13.000 Fälle mutmaßlicher russischer Kriegsverbrechen untersucht. Der russische Uno-Diplomat Boris Bondarew hat seinen Rücktritt eingereicht – und wettert in einem Brief gegen Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Er habe sich noch nie so für sein Land geschämt.Die Verluste der russischen Armee in der Ukraine sollen britischen Geheimdiensten zufolge bereits nach drei Monaten Krieg so hoch wie die der Roten Armee in den neun Jahren des sowjetischen Afghanistankriegs sein.Die Heinrich-Böll-Stiftung kann ihre Arbeit in Russland nicht fortsetzen. Die russische Generalstaatsanwaltschaft hat die Stiftung zur »unerwünschten Organisation« erklärt. Raketen zerstören Bahngleise in der Ostukraine23.33 Uhr: Durch russische Raketenangriffe im Osten der Ukraine ist nach ukrainischen Angaben Infrastruktur der Eisenbahn zerstört worden. Bei vier Raketeneinschlägen im Gebiet Dnipropetrowsk seien Gleise sowie die Oberleitungen schwer beschädigt worden, teilte Gouverneur Walentyn Resnitschenko auf seinem Telegram-Kanal mit. Verletzt wurde demnach niemand. Wann der Zugverkehr wieder aufgenommen werden könne, sei noch nicht bekannt. Ukraine: Drei Zivilisten bei russischen Angriffen getötet23.19 Uhr: Bei russischen Angriffen im Osten der Ukraine sind nach ukrainischen Angaben drei Zivilisten getötet worden. Sechs weitere Menschen seien verletzt worden, schrieb der Gouverneur des Gebiets Donezk, Pawlo Kyrylenko, auf Telegram.Die ukrainische Armee gab an, auf russischer Seite acht Panzer, eine Drohne, sechs Flugzeuge sowie weitere Militärtechnik zerstört zu haben. In der Region Nowoukrajinka soll eine russische Rakete abgeschossen worden sein. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Habeck: Öl-Embargo gegen Russland in »greifbarer Nähe«21.35 Uhr: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sieht ein Öl-Embargo gegen Russland nach eigenen Worten »in greifbarer Nähe«. Es gebe nur noch wenige Staaten, die Probleme anmeldeten – vor allem Ungarn, sagte der Vizekanzler im ZDF-»Heute Journal«.  Man könne hier Rücksicht nehmen. Dann müsse aber auch in Ungarn »was passieren«. Habeck fügte hinzu: »Also ich denke, innerhalb von wenigen Tagen werden wir da auch den Durchbruch erzielen.« Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine den Import von russischem Rohöl in sechs Monaten zu beenden. Als Kompromiss soll Ungarn mehr Zeit eingeräumt werden. Der Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán geht der Vorschlag nicht weit genug. Ukraine bekommt weitere Zusagen für militärische Hilfe20.51 Uhr: Die Ukraine hat nach Angaben der US-Regierung von etwa 20 Staaten Zusagen für weitere militärische Unterstützung bekommen. Dies teilte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in Washington nach einer Videoschalte der neuen internationalen Ukraine-Kontaktgruppe mit. Demnach wollen beispielsweise Italien, Griechenland und Polen Artilleriesysteme liefern. Dänemark versprach weitere Raketen. Andere Staaten kündigten Unterstützung bei der Ausbildung der Streitkräfte an. Die Kontaktgruppe besteht seit Ende April. An einem ersten Treffen im rheinland-pfälzischen Ramstein nahmen etwa 40 Staaten teil. Austin zufolge kamen mittlerweile weitere Länder hinzu – so etwa Österreich, Bosnien-Herzegowina, Kolumbien und Irland. Litauen zieht Botschafter aus Russland ab19:02 Uhr: Litauen beruft zum 1. Juni seinen Botschafter aus Russland ab, ohne dass ein Nachfolger benannt worden ist. Das geht aus einem Präsidialdekret hervor, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet.Das baltische Land verwies den russischen Botschafter am 4. April des Landes. Prorussischer Separatistenführer: Prozess gegen Kämpfer aus dem Asow-Stahlwerk soll in der Region stattfinden18.39 Uhr: Die in der Hafenstadt Mariupol gefangen genommenen ukrainischen Soldaten sollen nach Angaben eines prorussischen Separatistenführers direkt in der Region vor ein Gericht gestellt werden. Die Gefangenen, die sich im Asow-Stahlwerk verschanzt und schließlich ergeben hatten, werden im Gebiet der selbst ernannten Volksrepublik Donezk im Osten der Ukraine festgehalten, wie Separatistenführer Denis Puschilin der Agentur Interfax zufolge sagte. Ein »internationales Tribunal« werde organisiert. Unter Berufung auf eine Quelle, die mit dem »Tribunal« befasst sei, schrieb Interfax außerdem, ein erster Prozess soll in Mariupol stattfinden. Weitere Prozesstage könnten auch an anderen Orten abgehalten werden. Nach russischen Angaben kamen seit dem 16. Mai insgesamt 2439 ukrainische Soldaten aus dem Werk in russische Gefangenschaft. Offenbar Gaslieferungen nach Donezk und Luhansk unterbrochen17.39 Uhr: In der Ukraine sind offenbar Gaslieferungen in die östlichen Regionen Donezk und Luhansk unterbrochen worden. Der Gasnetzbetreiber teilt mit, die Hauptgaspipeline sei durch russischen Beschuss beschädigt worden. Ukraine untersucht 13.000 mutmaßliche russische Kriegsverbrechen17.32 Uhr: In der Ukraine werden nach Angaben der Generalstaatsanwältin etwa 13.000 Fälle mutmaßlicher russischer Kriegsverbrechen untersucht. »Bis zum heutigen Tag haben wir mehr als 13.000 Fälle, in denen es nur um Kriegsverbrechen geht«, sagte Generalstaatsanwältin Iryna Venediktova in einem Interview mit der »Washington Post«.Kiew wirft Russland Gräueltaten und Brutalität gegen Zivilisten vor. Russland hat bestritten, Zivilisten ins Visier genommen zu haben oder an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen zu sein.Zerstörte Kulturgüter in der Ukraine: »Die Besatzer haben Kultur und Menschlichkeit als Feinde identifiziert«17.27 Uhr: Hunderte Kulturgüter sind während des Kriegs in der Ukraine bereits beschädigt oder zerstört worden. Zuletzt etwa ein Kulturzentrum im Osten des Landes. Bilder der Zerstörung. Russland will mit Brics-Staaten Öl- und Gas-Anlagen aufbauen17.15 Uhr: Russland schlägt einem Medienbericht zufolge den Brics-Staaten vor, gemeinsame Ölraffinerien und Anlagen zur Erdgas-Verarbeitung zu errichten. Die fünf Staaten der Schwellenländer-Gruppe – Brasilien, Russland selbst, Indien, China und Südafrika – könnten sich damit bei der Energieversorgung weniger abhängig von »nicht verlässlichen Partnern« machen, sagte Industrieminister Denis Manturow laut der Nachrichtenagentur Tass.Russen sprengen Minen – auch die eigenen17.10 Uhr: In Kiews Vororten fehlt der Strom für den Wiederaufbau. Im Stahlwerk von Mariupol beginnt die russische Armee mit der Minenräumung. Und der polnische Präsident spricht vor dem ukrainischen Parlament. Die Lage im Video. Russland stuft Heinrich-Böll-Stiftung als »unerwünschte Organisation« ein17.06 Uhr: Die Heinrich-Böll-Stiftung kann ihre Arbeit in Russland nicht fortsetzen. Die russische Generalstaatsanwaltschaft hat die Stiftung zur »unerwünschten Organisation« erklärt – weil sie angeblich die verfassungsmäßige Ordnung und Sicherheit des Landes bedroht. Faktisch kommt die Entscheidung einem Verbot der Stiftung in Russland gleich. Ukrainekrieg beeinflusst auch globalen Beschäftigungstrend16.50 Uhr: Die Erholung des globalen Arbeitsmarktes ist laut der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) im ersten Quartal von einer Abwärtsbewegung abgelöst worden. Die Zahl der weltweiten Arbeitsstunden habe in den drei ersten Monaten des Jahres 3,8 Prozent niedriger gelegen als vor der Pandemie im letzten Quartal des Jahres 2019, berichtete die Uno-Organisation am Montag in Genf. Im Januar habe der Wert noch 2,4 Prozent unter dem Vor-Krisenniveau gelegen. Die jüngsten Coronabeschränkungen in China sind laut der ILO-Analyse hauptsächlich für die negative Entwicklung verantwortlich. Als weiterer Faktor wurde der Krieg in der Ukraine genannt, der die Inflation antreibe und globale Lieferketten beeinträchtige. »Es besteht ein wachsendes, aber ungewisses Risiko, dass sich die Situation der Arbeitsstunden im Jahr 2022 weiter verschlechtert«, hieß es in dem Bericht. Geplante Abstimmung in Südossetien: Dieser Landstrich will zu Russland gehören – warum?16.13 Uhr: Die Separatistenrepublik Südossetien, die im Norden von Georgien liegt, will sich mit Moskau vereinigen und plant ein Referendum. Doch es spricht wenig dafür, dass Putin jetzt an einer Annexion interessiert ist. Lindner ermahnt EU-Länder trotz Kriegs zur Haushaltsdisziplin16.03 Uhr: Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat die EU-Länder trotz des Ukrainekriegs zur Haushaltsdisziplin aufgerufen. Er appellierte am Montag in Brüssel an seine EU-Kollegen, »schnellstmöglich alles zu tun, um wieder zur Stabilität zurückzukehren«. Nötig sei eine Reduzierung der Defizite und der schuldenbasierten Ausgaben.Die EU-Kommission hatte am Morgen vorgeschlagen, die gemeinsamen Defizitregeln für ein weiteres Jahr bis Ende 2023 auszusetzen. Lindner machte deutlich, dass er kein Veto plant. Für Deutschland sei aber klar: »Wir werden kommendes Jahr zu den Regeln der Schuldenbremse zurückkehren«, so Lindner. Russland prüft angeblich italienischen Friedensplan15.36 Uhr: Russland prüft nach eigenen Angaben einen italienischen Friedensplan zur Beendigung des Konflikts in der Ukraine. »Wir haben ihn vor Kurzem erhalten und prüfen ihn«, sagte der stellvertretende Außenminister Andrej Rudenko. Russland werde sich dazu zu einem späteren Zeitpunkt äußern. Der Plan »wurde nicht zwischen Russland und Italien diskutiert«, sagte er weiter.Starbucks verlässt Russland15.33 Uhr: Die Kaffeehauskette Starbucks verlässt Russland. Das Unternehmen erklärt, dass es sich nach fast 15 Jahren aus dem russischen Markt zurückziehen wird. Damit schließt sich die Kaffeekette unter anderem der Fast-Food-Kette McDonald's an. Das in Seattle ansässige Starbucks hat 130 Filialen in Russland, die sich vollständig im Besitz des Lizenznehmers Alshaya Group befinden und von diesem betrieben werden. Das Unternehmen beschäftigt in Russland fast 2.000 Mitarbeiter. Starbucks machte keine Angaben zu den finanziellen Auswirkungen des Ausstiegs. Wladimir Klitschko fordert in Davos totale Isolation Russlands15.17 Uhr: Der ukrainische Ex-Boxweltmeister Wladimir Klitschko hat wegen des russischen Einmarsches in die Ukraine eine vollständige Isolation Russlands gefordert. »Der Krieg wird so lange dauern, wie die Welt Handel mit Russland treibt«, sagte der 46-Jährige in einer Gesprächsrunde beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Er forderte zudem einen Ausschluss russischer Athleten von Olympischen Spielen. »Das hat nichts mit der Nationalität oder den Athleten zu tun, aber sie repräsentieren das aggressive Regime Russlands«, sagte er. Zugleich betonte der Ex-Boxer, die Ukraine werde ihren Widerstand nicht aufgeben: »Wir werden solange kämpfen, wie wir leben.« Russischer Uno-Diplomat tritt wegen Kriegs zurück14.56 Uhr: Der russische Uno-Diplomat Boris Bondarew hat seinen Rücktritt eingereicht – und wettert in einem Brief gegen Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Das berichten die russische Zeitung »Kommersant« und die Nachrichtenagentur AP. Demnach hat der 41 Jahre alte Bondarew seinen Rücktritt in einem Brief verkündet, der am Montagmorgen in der russischen Uno-Vertretung abgegeben worden ist. »In den zwanzig Jahren meiner diplomatischen Laufbahn habe ich verschiedene Wendungen unserer Außenpolitik erlebt, aber noch nie habe ich mich so sehr für mein Land geschämt wie am 24. Februar dieses Jahres«, schreibt Bondarew den Berichten zufolge in Anspielung auf das Datum der russischen Invasion.»Es ist unerträglich, was meine Regierung jetzt tut«, sagte Bondarew AP: »Als Beamter muss ich einen Teil der Verantwortung dafür tragen, und das will ich nicht.« Eine Reaktion Russlands habe er noch nicht erhalten: »Bin ich besorgt über eine mögliche Reaktion aus Moskau? Ich muss darüber besorgt sein«, so Bondarew.Russlands Repressalien gegen Journalisten in Kriegszeiten: Die Wahrheit geschrieben, die Freiheit verloren14.33 Uhr: Michail Afanasjew beschrieb, dass russische Sonderpolizisten sich weigerten, weiter in der Ukraine zu kämpfen. Nun droht ihm jahrelange Haft. Sein Fall zeigt, wie das Putin-Regime mit dem neuen Zensurgesetz Exempel statuiert. Ukraine will keine Zugeständnisse machen14.30 Uhr: Die Ukraine schließt einen sofortigen Waffenstillstand mit Russland aus und will dem Angreifer keine territorialen Zugeständnisse machen. »Der Krieg muss mit der vollständigen Wiederherstellung der territorialen Integrität und Souveränität der Ukraine enden«, schreibt der Stabschef des Präsidialamts, Andrij Jermak, auf Twitter. 30 Gepard-Panzer sollen bis Ende August geliefert werden13.55 Uhr: Die Lieferung von 30 Gepard-Flugabwehrpanzern an die Ukraine soll möglichst noch vor September abgeschlossen werden. Nach der bereits angekündigten Bereitstellung von 15 Gepard-Panzern bis Mitte Juli solle der Rest bis Ende August von der Industrie geliefert werden, sagte ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums am Montag in Berlin. Demnach sollen voraussichtlich diese Woche die Verträge der Ukraine mit der Industrie geschlossen werden.Dies sehe auch die Ausbildung von ukrainischen Gepard-Besatzungen durch die Industrie selbst vor, sagte der Sprecher. Die Bundeswehr unterstütze dies unter anderem durch die Bereitstellung geeigneter Schießplätze.Die Bundesregierung hatte Ende April grünes Licht für die Lieferung der von der Bundeswehr nicht mehr benutzten Panzer gegeben. Sie stammen aus Beständen des Rüstungskonzern Krauss-Maffei Wegmann (KMW). Das Unternehmen hatte dann aber Probleme, Munition zu beschaffen. Bisher stehen rund 59.000 Schuss bereit.Der Ministeriumssprecher wies zurück, dass dies viel zu wenig sei. Zwar komme der Gepard auf bis zu 1000 Schuss pro Minute, es sei aber unrealistisch anzunehmen, dass dann binnen einer Stunde die Munition leer sei. Der Gepard verschieße kurze Salven und stimme dies auf das Ziel ab, sagte er. Zudem eigne sich der Flugabwehrpanzer gut zum Schutz wichtiger Infrastruktur, weil er »auch eine abschreckende Wirkung« gegen Luftangriffe habe.Flüchtlinge können Hrywnja in Euro tauschen13.30 Uhr: Geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer können ab Dienstag in Deutschland bei Banken und Sparkassen Banknoten in der ukrainischen Währung Hrywnja in Euro umtauschen. Höchstbetrag sind 10.000 Hrywnja, teilte das Bundesfinanzministerium am Montag mit. Ein Euro sind aktuell 33,33 Hrywnja. »Etwaige Verluste« aus dem Umtausch trage der Bundeshaushalt.Der Umtausch werde in einer Online-Anwendung erfasst, um sicherzustellen, dass die individuelle maximale Umtauschsumme nicht überschritten wird, erklärte das Ministerium. »Dabei wird die Identität jeder volljährigen geflüchteten Person, die am Umtausch teilnehmen möchte, erfasst und überprüft.« Der Datenschutz sei dabei gewährleistet.Polen kündigt Gasvertrag mit Russland13.20 Uhr: Die polnische Regierung hat beschlossen, ihren seit 1993 geltenden Gasliefervertrag mit Russland zu kündigen. Wie die polnische Nachrichtenagentur PAP am Montag berichtete, bestätigten das sowohl Klimaministerin Anna Moskwa als auch der Regierungsbevollmächtigte für Energie-Infrastruktur, Piotr Naimski.»Nach fast 30 Jahren kann man sagen, dass die Gasbeziehungen zwischen Polen und Russland aufgehört haben zu existieren«, sagte Naimski. Ministerin Moskwa erklärte: »Die Aggression Russlands gegen die Ukraine hat die Entschlossenheit der polnischen Regierung bestätigt, völlig unabhängig von russischem Gas zu werden. Wir haben immer gewusst, dass Gazprom kein zuverlässiger Partner ist.«Wie PAP unter Berufung auf die beiden Regierungsvertreter weiter erläuterte, fiel die Entscheidung der polnischen Regierung bereits in einer Kabinettssitzung am 13. Mai. Weil es sich aber um einen internationalen Vertrag handle, sei nach Angaben von Ministerin Moskwa eine formelle Note des Außenministeriums in Warschau an die russische Regierung notwendig. Diese schriftliche Erklärung werde noch im Laufe des Montags versendet, kündigte Moskwa an.PAP wies darauf hin, dass die Kündigung der polnisch-russischen Vereinbarung nicht nur Gaslieferungen an Polen betreffe, sondern auch den Gastransit durch die Jamal-Gasleitung weiter nach Deutschland. Diese Verbindung wurde aber zuletzt ohnehin vor allem in umgekehrter Richtung genutzt, um Gas aus Deutschland nach Polen zu liefern.Die Regierung in Warschau hatte bereits angekündigt, den Vertrag mit Gazprom nicht zu verlängern, der eigentlich Ende 2022 auslaufen sollte. Über Jahre hinweg hatten die Verantwortlichen in der polnischen Politik und Wirtschaft daran gearbeitet, ihre Abhängigkeit von russischen Lieferungen zu verringern. Zuletzt hatte Russland die Lieferungen ohnehin gestoppt, weil Polen sich geweigert hatte, in Rubel zu bezahlen.Selenskyj spricht von 87 Toten bei russischem Luftangriff12.55 Uhr: Bei einem Luftangriff auf Desna in der Region Tschernihiw im Norden der Ukraine sind in der vergangenen Woche nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj 87 Menschen getötet worden. Das sagte Selenskyj bei einer Rede vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Die ukrainischen Rettungsdienste hatten am Dienstag vergangener Woche von acht Toten gesprochen.Karin Kneissl gibt Aufsichtsratsposten bei Rosneft auf12.45 Uhr: Die ehemalige österreichische Außenminsterin Karin Kneissl gibt ihren Posten als Aufsichtsrätin des russischen Gasriesen Rosneft auf. Sie folgt damit dem Schritt von Ex-Kanzler Gerhard Schröder und Matthias Warnig, einem deutschen Geschäftsmann. Kneissl, die zwischen 2017 und 2019 für die FPÖ als Außenministerin tätig war, pflegte enge Beziehungen zu Russlands Präsident Wladimir Putin. Er trat als Ehrengast auf ihrer Hochzeit im Jahr 2018 auf, die beiden tanzten, wie Bilder zeigten. Erst im März 2022 landete Kneissl auf einer schwarzen Liste für Desinformation, gezielte Destabilisierung westlicher Demokratien und Einflussnahme aus dem Ausland.In der vergangenen Woche hatte die Europäische Union den Druck auf Kneissl und andere ehemalige Politiker erhöht, die noch immer für russische Energiekonzerne tätig sind. Diskutiert wird über direkte Sanktionen. Der Entwurf der Entschließung wird von einem breiten Bündnis von Konservativen, Liberalen und Grünen und auch Sozialdemokraten im EU-Parlament unterstützt.Russischer Soldat zu lebenslanger Haft verurteilt12.10 Uhr: Der in Kiew wegen Kriegsverbrechen angeklagte russische Soldat Wadim Sch. ist zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Der 21-Jährige hatte sich schuldig bekannt, im Dorf Tschupachiwka im Gebiet Sumy einen 62-jährigen wehrlosen Zivilisten getötet zu haben (lesen Sie hier mehr zu dem Urteil und hier einen Hintergrundbericht zum Prozess).»Ich bedauere es. Ich bereue es sehr. Ich habe mich nicht geweigert, und ich bin bereit, alle Maßnahmen zu akzeptieren, die verhängt werden«, sagte der aus Sibirien stammende Sch. in seinem Schlusswort.Das Urteil orientiert sich am Antrag der Staatsanwaltschaft – diese hatten zuvor eine lebenslängliche Haftstrafe gefordert.Die Verteidigung hatte hingegen auf einen Freispruch für den Angeklagten gehofft: »Er hat einen Befehl ausgeführt, wenngleich es ein verbrecherischer Befehl war«, sagte sein Anwalt Viktor Owsjannikow laut der Onlinezeitung Hromadske  . Der Angeklagte sei dabei angeschrien und bedroht worden. Sch. habe sein Opfer nicht töten wollen.Selenskyj fordert härtere Sanktionen11.50 Uhr: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat erneut schärfere Sanktionen gegen Russland gefordert. Das Maximum sei noch nicht erreicht, sagt er zum Auftakt des Weltwirtschaftsforums in Davos per Videoschalte. Es sei ein Öl-Embargo nötig. Mit Russland sollte kein Handel betrieben werden. Die Welt müsse einen Präzedenzfall schaffen. Ukrainisches System Gis Arta: Die Blitzkrieg-App11.48 Uhr: Im Kampf gegen Russlands Soldaten kommt offenbar eine clevere Software zum Einsatz, die Feuerbefehle im Nu weiterleiten kann. Dafür benötigen ukrainische Kommandeure lediglich ein Smartphone. Prozess gegen russischen Soldaten: Kreml zeigt sich besorgt11.30 Uhr: Der Kreml zeigt sich besorgt über den Prozess gegen den russischen Soldaten Wadim Schischimarin, der in Kiew wegen Kriegsverbrechen angeklagt ist. »Natürlich sind wir besorgt über das Schicksal unseres Bürgers, aber, ich wiederhole, wir haben nicht die Fähigkeit, seine Interessen persönlich zu schützen«, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow.Schischimarin, ein 21 Jahre alter russischer Panzerkommandant, hat sich schuldig bekannt, am 28. Februar in der Region Sumy einen älteren, unbewaffneten Zivilisten getötet zu haben. Es handelt sich um den ersten Prozess wegen Kriegsverbrechen gegen einen russischen Soldaten, der am Angriffskrieg gegen die Ukraine beteiligt war. Russland verlangt »konstruktive« Verhandlungen von Ukraine11.26 Uhr: Russland hat einem Medienbericht zufolge seine Bereitschaft zu Verhandlungen mit der Ukraine signalisiert. Voraussetzung sei, dass Kiew eine »konstruktive Position« einnehme, zitiert die russische Nachrichtenagentur Ria den stellvertretenden Außenminister Russlands, Andrej Rudenko. Er wollte demnach nicht ausschließen, dass auch über den Austausch der Gefangenen aus dem Stahlwerk Asowstal gesprochen werde.Ukrainische Asowstal-Kämpfer sollen in Separatistenregion angeklagt werden11.22 Uhr: Die ukrainischen Kämpfer, die im Stahlwerk Asowstal in Mariupol gekämpft und sich ergeben haben, sollen in der Separatistenregion »Volksrepublik Donezk« vor Gericht gestellt werden. Das kündigte der Chef der Donezker Separatisten, Denis Puschilin, laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax an. »Die Gefangenen aus Asowstal werden auf dem Territorium der Donezker Volksrepublik festgehalten«, zitiert Interfax Puschilin: »Es ist auch geplant, ein internationales Tribunal auf dem Territorium der Republik einzurichten.«In dem Bericht wird nicht angegeben, welche Anklage gegen die Kämpfer erhoben werden soll. Habeck kritisiert Blockade von Öl-Embargo11.13 Uhr: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ist für ein von der Europäischen Union gemeinsam getragenes Öl-Embargo gegen Russland. In einer Diskussionsrunde beim Weltwirtschaftsforum in Davos kritisierte er nun Länder, die sich dem entgegenstellen. »Wir sehen das Schlechteste von Europa«, sagte Habeck. Einige Staaten blockierten ein Embargo, wie das zuvor auch in anderen Bereichen geschehen sei. Zugleich gelte es zu beachten, dass nicht jedes Land in der gleichen Situation sei. Dennoch erwarte er von allen, auch Ungarn, dass sie an einer Lösung arbeiteten und nicht einfach eine Ausnahme beriefen, sich zurücklehnten und auf ihre Partnerschaft mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin setzten.Er könne sich Sonderlösungen für Ungarn und vielleicht andere Länder vorstellen, sagte Habeck. Diese müssten aber zu einer gemeinsamen Antwort führen. Das Beste, was in den vergangenen drei Monaten geschehen sei, sei die gemeinsame Antwort vieler Staaten auf die russische Aggression und die Verletzung internationalen Rechts gewesen. Ifo-Index gestiegen: »Anzeichen für Rezession derzeit nicht sichtbar«11.10 Uhr: Im vergangenen Monat überwogen in deutsche Unternehmen noch die Sorgen vor den Spätfolgen der Coronakrise und den Auswirkungen des Ukrainekriegs. Die scheinen inzwischen verflogen. Russisches Militär bestätigt Raketenangriff auf Bahnstation bei Kiew10.42 Uhr: Das russische Militär hat nach eigenen Angaben einen Militärtransport nahe Kiew bombardiert. »Mit seegestützten Hochpräzisionsraketen wurden bei der Bahnstation Malyn im Gebiet Schytomyr Waffen und Militärtechnik der 10. ukrainischen Gebirgs-Sturm-Brigade aus Iwano-Frankiwsk vernichtet, die in den Donbass verlegt werden sollten«, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, bei der Vorstellung des Lageberichts . Ukrainische Quellen hatten am Vorabend die Bombardierung der Kleinstadt gemeldet und dabei über ein Todesopfer und mehrere Verletzte berichtet.Konaschenkow informierte zudem über zahlreiche russische Raketen- und Luftangriffe im ostukrainischen Donbass-Gebiet. Dort seien Ziele in mehreren Ortschaften beschossen worden. Neben Gefechtsständen, Munitionsdepots und Truppenansammlungen nannte der Generalmajor dabei auch »Verkehrsknotenpunkte« als Angriffsziele. Dabei dürfte es sich um die Bahnhöfe in den Orten handeln. Habeck für geschlossenes europäisches Öl-Embargo gegen Russland10.13 Uhr: Vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos hat sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck für ein von der Europäischen Union gemeinsam getragenes Ölembargo gegen Russland ausgesprochen. Die Verhandlungsführung müsse von der Europäischen Kommission aus gesteuert werden, sagte der Grünenpolitiker im Deutschlandfunk . Er sprach von einer konzertierten Aktion, bei der die Europäische Union vorangehen müsse.»Es hilft jetzt nicht, wenn alle Länder anfangen, ihr eigenes Ding zu drehen. Europas Stärke war jetzt gerade in dieser Phase, dass es zusammengestanden hat, zusammensteht«, sagte Habeck. Das schließe auch die manchmal schwierigen Partnerländer ein, in diesem Fall etwa Ungarn. Er zeigte sich zuversichtlich, dass die EU eine gemeinsame Linie finden werde. Habeck räumte allerdings ein, dass er enttäuscht sei, dass die Einführung des Ölembargos so lange dauere. Großbritannien geht von russischen Verlusten so hoch wie die der Sowjets in Afghanistan aus9.41 Uhr: Die Verluste der russischen Armee in der Ukraine sind wohl bereits nach drei Monaten Krieg so hoch wie die der Roten Armee in den neun Jahren des sowjetischen Afghanistankriegs. Das schätzen britische Geheimdienstexperten, wie aus einer Mitteilung des Verteidigungsministeriums in London hervorging. Die hohe Verlustrate steige auch bei der russischen Offensive im Donbass weiter. Grund dafür sei eine Kombination aus Faktoren wie etwa schlechten Taktiken, eingeschränkter Lufthoheit und mangelnder Flexibilität. Die britischen Geheimdienstexperten gehen davon aus, dass sich die vielen russischen Toten auch in der öffentlichen Wahrnehmung des Krieges in dem Land niederschlagen dürften. »Die russische Öffentlichkeit hat in der Vergangenheit empfindlich auf Verluste in Kriegen reagiert, die dem Land nicht aufgezwungen wurden«, hieß es in der Mitteilung weiter. Mit einer wachsenden Zahl von Toten könnten auch die Unzufriedenheit bei den Russinnen und Russen und die Bereitschaft, diese zu äußern, steigen.US-Präsident Biden: Putin will Identität der Ukraine auslöschen9.34 Uhr: Russlands Staatschef Wladimir Putin versucht nach Ansicht von US-Präsident Joe Biden, »die Identität der Ukraine auszulöschen«. Dies zeigten die russischen Bombardements ziviler Ziele in der Ukraine, darunter Schulen, Krankenhäuser und Museen, sagte Biden in Tokio bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem japanischen Regierungschef Fumio Kishida. Putin könne die Ukraine nicht besetzen, aber ihre Identität untergraben. »Ich glaube Putin versucht, die Identität der Ukraine auszulöschen«, sagte der US-Präsident. Putin müsse für seine »Barbarei« in der Ukraine einen hohen Preis bezahlen, betonte Biden mit Blick auf die Sanktionen gegen Russland.Strack-Zimmermann fordert bessere Kommunikation vom Kanzleramt über Waffenlieferungen8.31 Uhr: Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), hat in der Diskussion über die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine ihre Kritik am Kommunikationsstil des Bundeskanzleramts erneuert. Grundsätzlich werde an der Bereitstellung schwerer Waffen wie der Panzerhaubitze 2000 und des Schützenpanzers Gepard gearbeitet. Allerdings wolle die Bundesregierung und konkret das Bundeskanzleramt nicht laut darüber sprechen. »Ich bedauere das. Ich glaube, dass die Kommunikation geändert werden muss, damit nicht der Eindruck entsteht, dass wir hier gar nichts machen«, sagte Strack-Zimmermann in der Sendung »Frühstart« von RTL/n-tv.Dass die Lieferung der Waffen nicht so schnell vonstattengehe, sei nicht ungewöhnlich. Das Gerät müsse hergerichtet und auch präpariert werden. Die Soldaten müssten ausgebildet werden. Das dauere. »Das Ärgerliche dabei ist: Man hätte eben vor Wochen schon anfangen können. Das ist eigentlich das Bittere«, so Strack-Zimmermann. Ukrainisches Militär warnt vor Aktivitäten an belarussischer Grenze8.24 Uhr: Die ehemalige Sowjetrepublik Belarus, die sich bislang nicht aktiv am russisch-ukrainischen Krieg beteiligt hat, zieht nach Angaben aus Kiew Streitkräfte an der Grenze zusammen. »Die belarussischen Streitkräfte führen verstärkt Aufklärung durch und haben zusätzliche Einheiten im Grenzbereich aufgestellt«, teilte der ukrainische Generalstab in seinem Lagebericht mit. Demnach bleibe die Gefahr von Raketen- und Luftangriffen auf die Ukraine von belarussischem Gebiet aus erhalten.Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hat sich nicht mit eigenen Truppen an dem Ende Februar von Russland begonnenen Krieg gegen die Ukraine beteiligt. Allerdings durften russische Truppen das Land als Aufmarschgebiet für den Angriff nutzen. Kiew sieht daher Minsk nicht als neutral an und befürchtet potenziell ein Eingreifen belarussischer Soldaten aufseiten Russlands in den Konflikt. Lukaschenko, der am Montag in Sotschi Russlands Präsident Wladimir Putin trifft, hat derartige Absichten stets dementiert.Selenskyj räumt hohe Verluste in der Ostukraine ein7.23 Uhr: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Tagesverluste der eigenen Truppen an der Front in der Ostukraine auf 50 bis 100 Soldaten beziffert. »Heute können zwischen 50 und 100 Menschen an der für uns schwersten Front im Osten unseres Landes sterben«, sagte Selenskyj laut der Nachrichtenagentur RBK-Ukraina bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Polens Präsident Andrzej Duda. »Sie schützen unsere Freiheit und Unabhängigkeit, über die in der ganzen Welt gesprochen wird.« Mit den hohen Verlusten begründete er die Ablehnung einer Petition, Männern im wehrpflichtigen Alter die Ausreise aus der Ukraine zu erlauben. Ukrainischer Abgeordneter: Russen wollen ganze Städte ausradieren6.46 Uhr: Nach Meinung des ukrainischen Parlamentsabgeordneten Dmytro Lubinets versucht die russische Besatzung in der Ostukraine, »ganze Ortschaften und Städte auszuradieren«. Vor allem die zivile Infrastruktur werde angegriffen, sagte Lubinets am Montag im ARD-»Morgenmagazin« laut Übersetzung des Senders. Dies betreffe die Stromversorgung und Wasserleitungen, aber auch Schulen und Krankenhäuser. »Es sieht so aus, die Russen bekämpfen nicht die ukrainischen Streitkräfte, sondern das ganze Volk«, sagte der Parlamentarier weiter. Deshalb appelliere die Ukraine an die internationale Öffentlichkeit, die Situation als Genozid des ukrainischen Volkes anzuerkennen.Buschmann besorgt über Kriegsgefangene von Mariupol6.08 Uhr: Bundesjustizminister Marco Buschmann hat sich besorgt über die Kriegsgefangenen von Mariupol geäußert. »Die massiven Verstöße Russlands gegen das Völkerrecht sind völlig inakzeptabel – sie erfüllen uns aber auch mit großer Sorge mit Blick auf die Bevölkerung der Ukraine und die nun in Gefangenschaft geratenen Soldaten«, sagte der FDP-Politiker der »Rheinischen Post«. »Der Krieg ist eine blutige Bestie, aber kein regelfreier Zustand«, mahnte der Minister.Russische Soldaten beginnen mit Minenräumung in Asowstal5.24 Uhr: Russische Soldaten durchsuchen das Gelände des Stahlwerks Azowstal in Mariupol nach Minen und Sprengfallen, die sowohl ukrainische als auch russische Truppen platziert haben. »Die Aufgabe ist extrem schwierig, der Feind hat seine eigenen Landminen gelegt und wir haben auch Tretminen gelegt, um ihn zu blockieren. Wir haben noch etwa zwei Wochen Arbeit vor uns«, sagt ein russischer Soldat, der als Namen nur seinen Kampfnamen ›Babai‹ angibt. Die Minen werden kontrolliert gesprengt und die Straßen des Stahlwerks mit Bulldozern von Trümmern befreit. »In den letzten zwei Tagen wurden über 100 Sprengkörper zerstört. Die Arbeiten gehen weiter.« Russland hatte am Freitag erklärt, die letzten ukrainischen Kämpfer aus Azowstal hätten sich ergeben. Die Ukraine hat diese Entwicklung bislang nicht bestätigt. Russland weitet Einreiseverbote gegen USA und Kanada aus5.15 Uhr: Als Reaktion auf westliche Sanktionen hat Russland Einreiseverbote gegen US-Amerikaner und Kanadier ausgeweitet. Das Außenministerium in Moskau veröffentlichte am Wochenende eine Liste mit den Namen von insgesamt 963 US-Bürgern, denen nun die Einreise nach Russland untersagt ist. Bereits zuvor war bekannt gewesen, dass etwa Präsident Joe Biden und Außenminister Anthony Blinken sowie Hunderte Mitglieder des US-Repräsentantenhauses betroffen sind.Aus Kanada stehen nun unter anderem auch die Frau von Premierminister Justin Trudeau, Sophie Trudeau, sowie der Mann von Vize-Regierungschefin Chrystia Freeland, Graham Bowley, auf der so genannten Stop-Liste. Der Schritt ist eine Reaktion darauf, dass Kanada – wie auch die USA – im Zuge von Russlands Krieg gegen die Ukraine zwei erwachsene Töchter von Kremlchef Wladimir Putin auf ihre Sanktionsliste gesetzt haben. Ihre Vermögenswerte in Kanada werden eingefroren und sie können künftig dort keine Geschäfte mehr machen.Britische Außenministerin Truss fordert Nato-Waffen für Moldau5.00 Uhr: Die britische Außenministerin Liz Truss hat die Nato zu einer Aufrüstung des ukrainischen Nachbarlands Moldau aufgefordert. »Ich würde mir wünschen, dass Moldau nach Nato-Standards ausgestattet ist«, sagte Truss der Zeitung »Telegraph«. »Das ist eine Debatte, die wir mit unseren Verbündeten führen.« Der russische Präsident Wladimir Putin wolle ein Großrussland schaffen, sagte Truss. »Nur weil seine Versuche, Kiew einzunehmen, nicht erfolgreich waren, bedeutet es nicht, dass er seine Pläne aufgegeben hat.«Kiesewetter wirft Scholz bei Waffenlieferungen »Spiel auf Zeit« vor4.30 Uhr: Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter hat den Kurs der Bundesregierung bei der Lieferung schwerer Waffen an die von Russland angegriffene Ukraine massiv angeprangert. Er warf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Sonntagabend Zögerlichkeit und ein Spiel auf Zeit vor. Zuvor hatte bereits CDU-Chef Friedrich Merz die Regierung scharf kritisiert. Siemtje Möller (SPD), Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, rechtfertigte indes den Regierungskurs.Kiesewetter sagte am Sonntagabend in der ARD-Talksendung »Anne Will«: »Die deutsche Industrie hat bereits am 28. Februar deutlich gemacht, dass sie sehr rasch um die 100 Leopard und um die 100 Marder ertüchtigen könnte.« Bis heute gebe es aber keinen Auftrag. Auf die Frage, warum der Kanzler dies nicht mache, sagte Kiesewetter: »Ich denke, er spielt auf Zeit.«Urteil gegen russischen Soldaten im ersten Kriegsverbrecher-Prozess in Kiew erwartet4.14 Uhr: In Kiew wird am Montag das Urteil im ersten Prozess gegen einen russischen Soldaten wegen Kriegsverbrechen erwartet. Dem 21-jährigen Wadim S. droht wegen der Tötung eines unbewaffneten Zivilisten eine lebenslange Haftstrafe. Vor Gericht gestand er und bat um Vergebung. Sein Anwalt forderte einen Freispruch. Visa für russische Fachkräfte: Bundesregierung beschleunigt Verfahren4.00 Uhr: Seit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine haben sich Hunderte von Fachkräften aus Russland für einen Umzug nach Deutschland entschieden. »Im April wurden in Moskau rund 350 Visa zum Zweck der Erwerbstätigkeit an russische Staatsangehörige erteilt«, heißt es aus dem Auswärtigen Amt. In Sankt Petersburg stellte das deutsche Generalkonsulat den Angaben zufolge im gleichen Zeitraum 190 Arbeitsvisa aus. Nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa war die Mehrheit der ausreisenden Fachkräfte bereits in Russland für ein deutsches Unternehmen tätig.»Wir haben in den Wochen seit Kriegsbeginn bei mehr als 400 Anträgen für Arbeitsvisa russischer Staatsbürger, die nach Deutschland kommen wollen, Unterstützung geleistet«, sagte Katharina Vorländer, Anwältin bei der auf Arbeitsmigration spezialisierten Kanzlei Fragomen Global LLP in Frankfurt am Main. Rund 30 Prozent dieser Antragsteller seien bereits in Deutschland. Baltische Staaten beenden Stromimporte aus Russland2.27 Uhr: Die baltischen Staaten haben wegen des Ukrainekriegs die Stromimporte aus Russland beendet. »Dies ist ein wichtiger Schritt auf unserem Weg zur Energieunabhängigkeit«, sagte der litauische Energieminister Dainius Kreivys am Sonntag der Nachrichtenagentur AFP. »Indem wir uns weigern, russische Energieressourcen zu importieren, weigern wir uns, den Aggressor zu finanzieren«, erklärte der Minister weiter.Besatzungsbürgermeister in Ukraine bei Explosion verletzt1.34 Uhr: Der von Moskau eingesetzte Bürgermeister der südukrainischen Stadt Enerhodar ist bei einer Explosion verwundet worden. Er habe die Bestätigung, dass der prorussische Bürgermeister Andrej Schewtschik »und seine Leibwächter bei der Explosion verletzt wurden«, erklärte Dmytro Orlow, der gewählte ukrainische Bürgermeister von Enerhodar, am Sonntag auf Telegram. Sie befänden sich »mit unterschiedlich schweren Verletzungen« im Krankenhaus. Sonst sei niemand verletzt worden.Enerhodar liegt in der Nähe von Saporischschja und ist Standort des größten Atomkraftwerks Europas. Russische Truppen hatten dort Ende Februar die Kontrolle übernommen. Putin trifft Lukaschenko in Sotschi0.14 Uhr: Russlands Präsident Wladimir Putin will sich an diesem Montag in Sotschi mit dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko treffen. Dabei soll es um Fragen der weiteren Zusammenarbeit gehen, wie die Agentur Interfax in der Nacht zum Montag mitteilte. Zentrales Thema sei die Integrationszusammenarbeit der beiden Länder in einem Unionsstaat. Weiterhin könnten Industriekooperationen und eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Raketenwissenschaft Teil des Gesprächs sein wie auch der Umschlag belarussischer Waren in russischen Häfen sowie der Bau eines belarussischen Hafens in der Nähe von St. Petersburg.
mrc/ptz/slü/ani/dpa/AFP/Reuters/AP
Die Ukraine wirft Russland zahlreiche Kriegsverbrechen vor. Die Generalstaatsanwaltschaft spricht von Tausenden Fällen. Und: Ein russischer Uno-Diplomat tritt zurück – weil er den Krieg verurteilt. Das waren die News am 23. Mai.
[ "Russlands Krieg gegen die Ukraine", "Ukraine", "Russland", "Sanktionen gegen Russland", "Waffenlieferungen", "Polen", "Wladimir Putin", "Anne Will", "Deutschland", "Kanada", "Moskau", "Kyjiw", "Afghanistan", "Europa", "Ungarn", "Wolodymyr Selenskyj", "Starbucks", "FDP", "Uno", "Washington" ]
Ausland
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2022-05-23T06:55:08+02:00
2022-05-23T17:49:00+02:00
https://www.spiegel.de/ausland/russland-ukraine-krieg-roderich-kiesewetter-beschuldigt-scholz-des-spiels-auf-zeit-bei-waffenlieferungen-a-b1d39812-3f58-40a0-ac73-92b405e13500
Energie: Gasvertrag zwischen Russland und Ukraine kurz vor Abschluss
Russland und die Ukraine sind sich über einen neuen Gastransit-Vertrag fast einig. Nach zähen Verhandlungen haben beide Länder eine Übereinkunft über ein neues Abkommen erzielt, nachdem die EU und die deutsche Bundesregierung vermittelt hatten. Damit scheinen mögliche Engpässe bei der Energieversorgung von mehreren europäischen Ländern abgewendet. EU-Kommissionsvizepräsident Maros Sefcovic sagte, es seien noch Details offen, die in den nächsten Tagen verhandelt werden sollen. Dann solle der Vertrag auch unterzeichnet werden. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier begrüßte die Übereinkunft als einen wichtigen Schritt. "Eine Verständigung im Grundsatz wurde erzielt, jetzt muss die Finalisierung erfolgen", sagte der CDU-Politiker.Allerdings äußerte sich der russische Energieminister Alexander Nowak noch zurückhaltend. Weitere Abstimmungen seien nötig. "Ich hoffe, dass wir bald zu endgültigen Vereinbarungen kommen." Neuer Gaskrieg drohteDie Zeit drängte, weil die aktuellen Verträge Ende des Jahres auslaufen. Ohne eine neue Vereinbarung würde ein erneuter Gaskrieg wie 2009 drohen. Damals waren viele Wohnungen in Osteuropa kalt geblieben, weil Kiew und Moskau über die Preise für Gaslieferungen an die Ukraine und für den Transit gestritten hatten.Die finanzschwache Ukraine ist auf die Transitgebühren für die Durchleitung des Gases nach Deutschland angewiesen. Die EU-Kommission vermittelte bei den Verhandlungen, weil die Ukraine sich von Russlands Marktmacht unter Druck gesetzt fühlt und die Preise für politisch gesteuert hält. Die Ex-Sowjetrepublik wiederum befürchtete, dass sie künftig ihre Position als wichtigstes Transitland für russisches Gas und damit Milliardeneinnahmen aus den Durchleitungsgebühren verlieren könnte. USA droht weiterer Firma wegen Nord Stream 2Diese Ängste gibt es deshalb, weil Russland neben der Ostseepipeline Nord Stream trotz drohender US-Sanktionen  auch bald die Leitung Nord Stream 2 fertigstellen will. US-Senatoren forderten die Schweizer Firma Allseas zum sofortigen Stopp der Arbeiten auf und warnten, die angedrohten Sanktionen würden das Unternehmen ansonsten ruinieren."Wir verstehen, dass die russische Regierung Allseas eine sehr bedeutende Geldmenge dafür bezahlt, die Nord-Stream-2-Pipeline fertigzustellen", heißt es in einem Schreiben der republikanischen Senatoren Ted Cruz und Ron Johnson an Allseas-Chef Edward Heerema. Sollte die Firma die Arbeiten aber "auch nur für einen einzigen Tag" nach Unterzeichnung des US-Sanktionsgesetzes fortführen, drohten ihr "potenziell vernichtende rechtliche und wirtschaftliche Sanktionen". Auch deutschen Unternehmen hatte die US-Regierung zuvor gedroht. Die Sanktionen im "Gesetz zum Schutz von Europas Energiesicherheit" zielen auf die Betreiberfirmen der hoch spezialisierten Schiffe ab , mit denen die Rohre für die Pipeline durch die Ostsee verlegt werden. Der Kongress hat das von Cruz eingebrachte Sanktionsgesetz bereits verabschiedet. US-Präsident Donald Trump hatte vorab angekündigt, es bald zu unterzeichnen.
kig/dpa-AFX
Ein Gaskrieg wie vor zehn Jahren scheint abgewendet. Russland und die Ukraine haben sich in Grundzügen über einen neuen Gastransit-Vertrag geeinigt. Noch allerdings fehlen die Details.
[ "Gasstreit", "Russland", "Ukraine", "Erdgas", "Ostseepipeline" ]
Wirtschaft
Soziales
2019-12-20T08:59:00+01:00
2019-12-20T11:06:00+01:00
https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/energie-gasvertrag-zwischen-russland-und-ukraine-kurz-vor-abschluss-a-1302221.html
Rote Lippen auf Felsenklippen
Leidenschaften hinter Klostermauern, von jeher eiserner Bestand der Dreigroschenliteratur, breiten sich auf der Leinwand aus. In leuchtenden Technicolor-Farben stellten sie so ziemlich alles bisher Dagewesene dieser Art in den Schwarzweiß-Schatten: Im Hamburger Waterloo-Theater hatte der englische Film »Black Narcissus« deutsche Erstaufführung. Er läuft im Original. Für Zuschauer ohne Kenntnis von 1000 Worten Englisch wird eine deutsche Erklärung auf die Leinwand projiziert.Im Erklärertext heißt es u. a.: »Die ungewohnte exotische Umgebung, der immerwährende Wind und die Einsamkeit üben auf die Ordensschwestern einen verwirrenden Einfluß aus und stellen sie in schwerste seelische Konflikte.«Fünf Nonnen werden vom Drehbuchautor von ihrem Standort in Kalkutta in den Hymalaja beordert. In einem malerischen Kloster auf hohem Berggipfel sollen sie die Eingeborenen schulen. Sie scheitern hundertprozentig. Schuld daran haben die Männer. Der eine ist ein zähneblitzender junger Filmgott aus merry old England (David Farrar), der andere ein märchenhaft glänzender indischer Jung-Fürst. Sein Taschentuch duftet nach Bondstreet-Parfüm Marke »Black narzissus«. Die Nonnen ertragen den Geruch nicht. Er umnebelt sie mit Erinnerungen.Zwei von ihnen, die reizende Deborrah Kerr als jugendliche Oberin mit Vorleben und die temperamentvolle Kathleen Byron als Sister Ruth, werden zu Rivalinnen um den Filmgott. Auf einer Felsklippe kämpfen sie um ihr Leben. Ruth will die Rivalin herunterstürzen, sie bricht sich selbst das Genick. Vorher hatte sie sich in der Zelle die Lippen rot gefärbt und weltliche Modegarnituren angelegt.Eine dritte Schwester älteren Semesters erinnert sich in der schwülen Atmosphäre ebenfalls vergangener Zeiten. Bei ihr ist es harmlos. In ihrer Verwirrung pflanzt sie Blumen statt Gemüse in den Klostergarten. Hoch zu Esel reiten die Nonnen zurück nach Kalkutta.Der ganze Hintertreppenzauber verblaßt vor den Farben. Die Kamera schwelgt in den satten Kontrasten der indischen Hochgebirgslandschaft und in dem phantasievollen Bunt der Kostüme. Hohe Farbfilm-Kunst, keine hohe Film-Kunst. Michael Power und Emmeric Preßburger, die den Film gedreht haben, hatten als Vorlage einen Roman von Rumer Godden. Der muß sehr aufregend zu lesen sein.
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Politik
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1948-07-09T13:00:00+02:00
1948-07-09T13:00:00+02:00
https://www.spiegel.de/politik/rote-lippen-auf-felsenklippen-a-72d9ff09-0002-0001-0000-000044417603?context=issue
Nachfolge: Wie der nächste Papst gewählt wird
In dem Augenblick des Todes von Johannes Paul II. hat sich hinter den Mauern des Vatikans ein mächtiges Mühlwerk aus 92, zum Teil jahrhundertealten Traditionen und Regeln in Bewegung gesetzt.Als erstes wird der Leichnam des Pontifex untersucht, um den Tod festzustellen. Der Papst wird dreimal mit seinem Namen angerufen, dann wird ihm ein silberner Spiegel vorgehalten, um den Atem zu kontrollieren. Früher wurde den Verstorbenen mit einem kleinen Hämmerchen dreimal gegen die Stirn geklopft. Nach diesem Ritual stellt der Camerlengo, der Kardinalskämmerer der Heiligen Römischen Kirche, die amtliche Todesurkunde aus. Eine Obduktion ist nicht vorgesehen. Noch kein Papst wurde nach seinem Tod ärztlich begutachtet. Der Camerlengo nimmt den Fischerring des Verstorbenen an sich, das Symbol der päpstlichen Macht, und zerstört ihn mit einem Hammer. Dann versiegelt er die Schlafgemächer des Papstes im Apostolischen Palast. Für wenige Tage steigt der Kämmerer zum wichtigsten Mann des Vatikanstaats auf. Denn: Alle anderen Leiter der Vatikanbehörden treten geschlossen zurück. Bis der Nachfolger des Kirchenvaters feststeht, übernimmt der Camerlengo die Verwaltung der Kirche und der päpstlichen Paläste. Dann regelt er die Beisetzung von Johannes Paul II., die zwischen dem vierten und dem sechsten Tag nach dem Tod erfolgen muss. Der Camerlengo beruft die 117 wahlberechtigten Kardinäle aus aller Welt nach Rom. Frühestens 15 Tage nach dem Dahinscheiden des Papstes legen die kirchlichen Würdenträger ihren Talar mit der roten Schärpe an und ziehen vom Gästehaus der Heiligen Martha zum Apostolischen Palast und zur Sixtinischen Kapelle. 1978, als Johannes Paul II. gewählt wurde, mussten sie dort während dem so genannten Konklave (cum clave = mit Schlüssel) zwei Tage eingeschlossen verharren, bis der neue Kirchenfürst feststand. In der Sommerhitze war es in dem Palast heiß und stickig, Bäder und Toiletten waren nur wenige vorhanden. Statt im Gästehaus wurde auf hastig aufgestellten Feldbetten geschlafen. Diesmal werden es die Kardinäle bequemer haben: Johannes Paul II. ließ das Gästehaus im Vatikan modernisieren. Vor dem Konklave durchsuchen Techniker die Sixtinische Kapelle nach Wanzen. Nichts soll von den Beratungen der Kardinäle nach außen dringen. Die Wählenden selbst werden nicht nur von der Öffentlichkeit völlig abgeschottet, sondern sie müssen auch absolute Geheimhaltung schwören. Handys, Kameras und Mikrofone sind strikt verboten.Nach den vorbereitenden Beratungen beginnen die eigentlichen Wahlgänge. Es wird nicht viel gesprochen auf dieser außergewöhnlichen Versammlung: Kandidatenreden und Gegenreden sind nicht mehr gestattet. Der Papst soll in geheimer Abstimmung und mit Zweidrittel-Mehrheit bestimmt werden. Dazu erhalten die Kardinäle einen Stimmzettel mit der Aufschrift "Eligo in Summum Pontificem - Zum Papst wähle ich". Sie tragen den Namen ihres Kandidaten ein, falten das Papier, legen den Stimmzettel auf einen Hostienteller und werfen ihn anschließend in einen Kelch. So soll verhindert werden, dass ein Kandidat mehrere Zettel abgibt. Die Namen werden schließlich laut vorgelesen, ein Wahlhelfer durchsticht sie mit einer Nadel und reiht sie auf eine Schnur. Sobald das Ergebnis des Wahlgangs feststeht, werden die Zettel in einem Kanonenofen verbrannt, dessen Rohr die einzige Verbindung in die Außenwelt ist. Hat sich keine klare Mehrheit für einen Kandidaten ergeben, mischen die Helfer den Wahlzetteln etwas Pech bei, so dass schwarzer Rauch aufsteigt. Dann beginnt ein neuer Wahlgang, solange, bis sich die Kardinäle schließlich für einen Anwärter entschieden haben. Das kann bis zu 30 Mal geschehen und etwa zwei Wochen dauern. Erst beim 31. Mal genügt die einfache Mehrheit. Täglich gibt es maximal vier Wahlgänge. Steht ein Wahlsieger fest, werden die Zettel ohne Beigaben im Ofen verbrannt: Weißer Rauch steigt dann über dem Dach des Apostolischen Palastes auf und zeigt den Gläubigen an, dass eine Entscheidung gefallen ist.Der Kardinalsdekan fragt den Gewählten, ob er das Amt annimmt und welchen Namen er sich geben möchte. Während der Päpstliche Zeremonienmeister eine Urkunde des Vorgangs anfertigt, zieht der neue Papst in einem Nebenraum ein weißes Gewand und eine wertvolle alte Stola an. Die Kardinäle geloben ihm Gehorsam, dann tritt er auf die Loggia der Petersbasilika hinaus, während ein Kardinal den draußen auf dem Petersplatz versammelten Gläubigen zuruft: "Habemus papam!" Die katholische Kirche hat wieder ein Oberhaupt. "Wir haben einen Papst", lautet die Botschaft.
Mit dem Tod des Papstes steht die katholische Welt für eine kurze Zeitspanne still. Aber in spätestens einem Monat wird das Machtvakuum gefüllt sein und ein neuer Pontifex über den Vatikan und fast eine Milliarde Gläubige regieren - so wollen es die Gesetze der katholischen Kirche.
[ "Papst Benedikt XVI." ]
Panorama
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2005-04-02T23:10:23+02:00
2005-04-02T23:10:23+02:00
https://www.spiegel.de/panorama/nachfolge-wie-der-naechste-papst-gewaehlt-wird-a-345596.html
Spanische Liga: David Alaba schießt Real Madrid mit erstem Ballkontakt zum Sieg
Champions-League-Sieger Real Madrid ist erfolgreich in die neue Ligasaison gestartet. Vier Tage nach dem Supercup-Triumph gegen Eintracht Frankfurt wendete der spanische Meister eine Blamage im zweiten Durchgang ab und gewann auch dank eines Freistoßtreffers von David Alaba am Sonntagabend mit 2:1 (0:1) beim Aufsteiger UD Almería. Gleich mit dem ersten Vorstoß schockte der Belgier Largie Ramazani das Starensemble aus Madrid (6.). Der Außenseiter spielte befreit auf, kam immer wieder zu vielversprechenden Gelegenheiten.Real übernahm erwartungsgemäß die Spielkontrolle, konnte in Person von Lucas Vázquez jedoch erst in der 61. Minute den erlösenden Ausgleich erzielen. Nur wenige Sekunden nach seiner Einwechslung verwandelte dann der Ex-Münchener Alaba mit seinem ersten Ballkontakt einen direkten Freistoß aus 20 Metern zum Siegtreffer (75.). Schon beim Supercup gegen Frankfurt war der Verteidiger erfolgreich gewesen. Madrid legt damit bei der Mission Titelverteidigung vor. Erzrivale Barcelona um Neuzugang Robert Lewandowski kam zum Auftakt am Samstag nicht über ein 0:0 gegen Rayo Vallecano hinaus.
kjo/dpa
Champions-League-Sieger Real Madrid tat sich gegen Aufsteiger Almeria lange schwer. Erst ein Zauberfreistoß von David Alaba brachte den Sieg und sorgte für einen gelungenen Saisonstart. Barcelona dagegen patzte.
[ "Real Madrid", "David Alaba" ]
Sport
Fußball-News
2022-08-15T08:28:42+02:00
2022-08-15T08:28:42+02:00
https://www.spiegel.de/sport/fussball/spanische-liga-david-alaba-schiesst-real-madrid-mit-erstem-ballkontakt-zum-sieg-a-e62f3f44-61d5-4363-a38e-065d2213ea9b
Rumänen kontern britische Kampagnenpläne
London/Sofia - Wer will da schon hin? Dauernd regnet es, die Arbeitslosigkeit ist hoch und die U-Bahn funktioniert nicht - mit einer Imagekampagne der etwas anderen Art will Großbritannien Einwanderer aus Rumänien und Bulgarien vor dem Schritt auf die Insel abhalten. Was bisher nur ein Gedankenspiel ist, sorgt in den betroffenen Ländern für Ärger. Eine solche Kampagne entspreche "weder den Werten noch den Prinzipien der EU", sagt Bulgariens Außenminister Nikolai Mladenow. Die einflussreiche Zeitung "24 Tschassa" schimpfte: "Die Briten werden zu Europäern, wenn es um die Freizügigkeit von Kapital und Finanzdienstleistungen geht. Wenn es um EU-weite Regelungen geht, sind sie eine Insel." Londons Zynismus könne fremdenfeindliche Gefühle wecken. Die britische Botschaft in Sofia bemühte sich am Freitag um Schadensbegrenzung: Von 2014 an werde es keine Unterschiede mehr geben, etwa zwischen Bulgaren und Franzosen. Die britische Zeitung "Guardian" hatte ihre Leser zu einem ironischen Ideenwettbewerb aufgerufen, wie mögliche Werbeplakate aussehen könnten. "Come here and clean the loo" ("Kommt her und macht die Klos sauber") steht auf einem. Die Kampagne ist Ausdruck einer populistisch angehauchten Debatte im Königreich, wo Einwanderung früher einmal zum guten Ton gehörte. "Wir unterstützen die Einwanderung talentierter Menschen", ließ sich Londons konservativer Bürgermeister Boris Johnson im Lokalblatt "Evening Standard" zitieren. "Aber ich bin besorgt, dass die Einwanderung aus Rumänien und Bulgarien, wenn sie nicht richtig gehandhabt wird, zu einem Anstieg der Obdachlosigkeit in der Art führen wird, wie wir es bei früheren Beitrittsländern gesehen haben." In Rumänien antwortete eine Zeitung mit einer Gegenkampagne und lud britische Touristen zum Urlaub ein: "Die Hälfte unserer Frauen sieht so aus wie Kate, die andere Hälfte wie ihre Schwester", steht auf einem Plakat mit dem Konterfei der Middleton-Schwestern. Auf der Nachrichtenseite Gandul prangt der Spruch "Ihr habt schlechtes Wetter, keine Jobs und keine Häuser? Das klingt übel. Warum kommt ihr dann nicht lieber zu uns?"
cte/dpa
Eine geplante britische Kampagne, die Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien fernhalten soll, stößt dort auf Unverständnis - aber auch Belustigung. Eine rumänische Zeitung kontert: "Die Hälfte unserer Frauen sieht aus wie Kate."
[ "Wirtschaft in Großbritannien", "Großbritannien", "Arbeitsmigration", "Gastarbeiter" ]
Wirtschaft
Soziales
2013-02-01T17:17:00+01:00
2013-02-01T17:17:00+01:00
https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/rumaenen-kontern-britische-kampagnenplaene-a-881047.html
Wenn es regnet
Die Frage schien bestellt, so sehr paßte sie Herbert Wehner in den Kram.Auf der Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion am vergangenen Dienstag im Berliner Reichstag erkundigte sich der Abgeordnete Helimut Sieglerschmidt, ob Meldungen zuträfen, wonach der Fraktionsvorsitzende die Bundespräsenz in der alten Hauptstadt heftig kritisiert habe. Endlich konnte Wehner nun auch vor den Genossen der Fraktion das loswerden, was er seit der Abreise des sowjetischen Staats- und Parteichefs Leonid Breschnew in Interviews und Statements bereits öffentlich gemacht hatte: seine große Sorge, die Bundesregierung könne durch demonstrative Akte das Viermächte-Abkommen so strapazieren, daß die deutsch-sowjetischen Beziehungen erneut belastet werden und die Lage Berlins sich verschlechtert. Berlin, so hämmerte der Genosse nun auch den Abgeordneten jenen Satz aus dem Abkommen ein, »ist kein konstitutiver Teil der Bundesrepublik«. Deshalb habe die Bundesregierung auch die Pflicht, jeden Anschein zu vermeiden, sie betrachte West-Berlin als elftes Bundesland. In Anspielung an die Errichtung des Umweltbundesamtes, die 1974 zu schweren Verstimmungen mit Moskau führte, raunzte Wehner: »Ich halte nichts von neuen Messingschildern in Berlin.«Aber auch die Einbeziehung Berlins in die Wahlen zum Europa-Parlament, in das die Teilstadt drei vom Abgeordnetenhaus bestimmte Vertreter entsenden soll, hält Wehner für problematisch. Und besonders belastend für das deutsch-sowjetische Verhältnis erscheint ihm die für November turnusgemäß anstehende Wahl des Regierenden Bürgermeisters Dietrich Stobbe zum Bundesrats-Präsidenten: »Wenn es demnächst hier regnet und Unwetter losbrechen, dann soll man nicht so tun, als hätte man das nicht voraussehen können.«Mit offizieller Verwunderung weisen Kanzleramt, Außenministerium und Stobbe die Mahnungen des SPD-Alten als unbegründet zurück: Neue Bundesbehörden ständen überhaupt nicht zur Debatte, und die Konfliktpunkte Bundesrat und Europa seien sowohl in der Vierergruppe mit den westlichen Alliierten als auch in Gesprächen mit dem Bonn-Besucher Leonid Breschnew erörtert worden. Die Alliierten seien einverstanden, und mit den Sowjets werde es wohl »noch einiges Geräusch geben« (ein Kanzlerberater), aber keine schwerwiegenden Verstimmungen. Zum Beleg führen die Wehner-Kritiker an, die Sitzung der SPD-Fraktion in Berlin mit dem Bundeskanzler einen Tag nach dem Breschnew-Abschied sei ohne Moskauer Protestecho geblieben, weil sie dem sowjetischen Gast zuvor als Routine-Angelegenheit erläutert worden war.Den Grund für Wehners überraschende Ausfälle sehen führende Sozialdemokraten in der latenten Sorge ihres Fraktionschefs, der FDP-Vorsitzende Hans-Dietrich Genscher könnte das beim Breschnew-Besuch erreichte milde Klima schon bald wieder mit starken Worten und überzogener Auslegung des Viermächte-Abkommens beeinträchtigen.Der Fraktionschef fürchtet, daß der Liberale schon bald wieder jene Melodie spielen möchte, von der ihn erst der Bundeskanzler unmittelbar vor Breschnews Eintreffen in Bonn abgebracht hatte -- daß nämlich das Verhalten der Sowjets gegenüber West-Berlin der alleinige und der entscheidende »Störfaktor« (AA-Jargon) in den deutsch-sowjetischen Beziehungen sei. Sein Mißtrauen begründete Wehner letzte Woche in Berlin mit dem Hinweis auf Genschers Gebaren, als Anfang 1976 der Breschnew-Besuch zum ersten Mal avisiert worden war. Damals hatte der Außenminister seinen Ministerialdirektor Günther van Weil jene »Störfaktor«-These entwickeln lassen, die prompt zu Differenzen zwischen Bonn und Moskau führte.Im Dezember 1976, so Wehner, habe Genscher einen Rückzieher gemacht: Da sei »im engsten Koalitionskreis« propagiert worden, Berlin nicht zum Erfolgsmesser einer Breschnew-Visite zu machen. Wehner: »Ich habe das damals mit Interesse und wohlgefällig angehört.« Nachdem aber jetzt, im Vorfeld des Breschnew-Besuchs, das Van-Well-Stück wieder aufgeführt wurde, hielt Wehner offenbar eine neue Genscher-Vermahnung für nötig. Ein SPD-Bundesminister: »Wehners Mahnungen gehen nicht in Richtung Sowjets, sondern er will jetzt die Kalten Krieger bei uns als Vertragsbrecher darstellen, und damit meint er auch den Genscher; hier liegt ein großer Koalitionskrach in der Luft.« Der Krach könnte sich am leichtesten an der unterschiedlichen Einschätzung jener deutsch-sowjetischen Abkommen entzünden, die wegen Berlin seit Jahren auf Eis liegen. Während das sozialdemokratisch regierte Kanzleramt nur eine Erfolgschance sieht, wenn zuvor das deutsch-sowietische Verhältnis stabilisiert wird. möchte das FDP-geführte Auswärtige Amt die Qualität der Beziehungen zu Moskau am liebsten von der vorherigen Unterzeichnung der Verträge abhängig machen.In der Tat würden die Sowjets erst mit ihrer Unterschrift zu erkennen geben, daß sie die Bindungen Berlins an den Bund in der Praxis akzeptieren. Das bereits beim ersten Breschnew-Besuch in Bonn 1973 abgezeichnete Kulturabkommen etwa funktioniert deshalb nicht, weil Moskau sich weigert, einer Programmvereinbarung zuzustimmen, in deren Rahmen sowjetische Ensembles bei einer Tournee sowohl in der Bundesrepublik als auch in West-Berlin auftreten könnten. Beim Abkommen über technischwissenschaftliche Zusammenarbeit sperren sich die Sowjets, Repräsentanten der in Berlin residierenden Bundesbehörden als Vertreter der Bundesrepublik anzuerkennen. Bei der Rechtshilfe wollen sie nicht zulassen, daß West-Berlin durch Bundesbehörden, etwa das Bundesjustizministerium, vertreten wird. Sie verlangen, daß in West-Berliner Angelegenheiten die West-Berliner Justizbehörden sich unmittelbar mit Moskau in Verbindung setzen.Im Verkehrsabkommen ist die Einbeziehung West-Berlins zu Wasser, zu Erde und zu Luft umstritten. Bei den Wasserstraßen etwa reklamieren die Sowjets Hoheitsrechte für die DDR. Für die West-Berliner Straßen und die Straßen nach West-Berlin wollen sie eine Zuständigkeit Bonns erst recht nicht einsehen. Und auch beim jüngsten Wirtschaftsabkommen, das samt Berlin-Klausel vorletzte Woche beim Breschnew-Besuch unterzeichnet wurde, liegen die Dinge nur scheinbar unkomplizierter. Zwar heißt es dort in Artikel 7: »Entsprechend dem Viermächte-Abkommen vom 3. September 1971 wird dieses Abkommen in Übereinstimmung mit den festgelegten Verfahren auf Berlin (West) ausgedehnt.«Doch dies muß nichts bedeuten. Auch in die bisherigen Wirtschaftsvereinbarungen war Berlin mit eingeschlossen, trotzdem blieben die West-Berliner Unternehmen bei deutschsowjetischen Großgeschäften meist außen vor.Bei Herbert Wehner und seinen Gefolgsleuten festigt sich der Eindruck, daß Genscher unter Hinweis auf die unausgeräumten Querelen versucht, seine Eigenständigkeit gegenüber dem Koalitionspartner SPD und möglicherweise gar eine Öffnung hin zur Union durch eine harte Deutschland- und Berlin-Position nachzuweisen; zumal auf anderen Profil-Feldern, etwa in der Wirtschaftspolitik. seit dem Amtsantritt von Otto Graf Lambsdorff viele frühere, ideologisch befrachtete Konfliktpunkte, wie sie Lambsdorff-Vorgänger Hans Friderichs oft genug ins Koalitionsspiel gebracht hatte, ausgeräumt sind. Gerade deshalb schien es Wehner offensichtlich geboten, den Spielraum der Liberalen in der heiklen Berlin-Frage auch für die Zukunft einzuengen und für eventuelle Störungen bereits vorab den Schuldigen auszumachen. Kaum hatte Breschnew am vorletzten Sonntag Helmut Schmidts Heim in Hamburg-Langenhorn verlassen, startete der Sozialdemokrat mit einem Interview die konfliktträchtige Kampagne. Wehner noch am selben Nachmittag im ZDF: »Statt fortgesetzt von Berlin zu reden, sollten wir das tun, was das Viermächte-Abkommen möglich macht.«Was seiner Meinung nach vielleicht möglich, in jedem Fall aber unnötig ist, enthüllte er vergangene Woche in Berlin -die anstehende Wahl Dietrich Stobbes zum Bundesratspräses. Wehner: »Ich bedaure, daß der Turnus so ist. Das ist eine Sache, die ich nicht ändern kann, die andere nicht ändern können oder nicht wollen.« Zu denen, die nichts ändern wollen, gehören nicht nur AA-Chef Genscher, sondern auch Kanzler Helmut Schmidt und der Regierende Bürgermeister. Deren Haltung erläuterte ein AA-Mitarbeiter bündig: »Das ist gewachsene Politik, daran können wir doch nichts drehen.«Der Berliner Stobbe ließ an der einmütigen Absicht keinerlei Zweifel aufkommen und erklärte vor Wehner und der Fraktion, er habe sich bereits festgelegt und beabsichtige, das Amt anzutreten. Dem Fraktionschef blieb da nichts als die Warnung, dann möge man aber wenigstens den Bundesratspräsidenten Stobbe nicht ohne Not als Stellvertreter des Bundespräsidenten tätig werden lassen, was nach dem Grundgesetz zulässig ist. Wehners kategorischer Imperativ: »Die Grenze der Empfindlichkeit besteht darin, daß wir uns auch mit gutem Gewissen morgen vor dem Rasierspiegel sagen können, von uns aus ist nichts getan worden, was das Viermächte-Abkommen verletzt.«
Aus Furcht vor deutschlandpolitischen Eskapaden des Koalitionspartners Hans-Dietrich Genscher löste SPD-Fraktionschef Herbert Wehner einen Berlin-Streit aus.
[ "SPD", "Hans-Dietrich Genscher", "Herbert Wehner", "Berlin", "Bonn", "Moskau", "West-Berlin" ]
Politik
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1978-05-14T13:00:00+01:00
1978-05-14T13:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/wenn-es-regnet-a-c9ec55cc-0002-0001-0000-000040615420?context=issue
Was am 19.7. wichtig wird: Angela Merkel in der BPK, CSU-Parteitag
Jetzt spricht die Kanzlerin Nahezu jeden Tag kommen im Spähskandal neue Details ans Licht - doch die Bundesregierung tut wenig, um die Vorwürfe aufzuklären. Vor allem die Kanzlerin und Innenminister Friedrich stehen in der Kritik. An diesem Freitag stellt sich Angela Merkel vor der Sommerpause in einer großen Pressekonferenz den Fragen der Hauptstadtjournalisten. SPIEGEL ONLINE berichtet ab 9:30 Uhr live. Anschließend startet Merkel zu ihrer Sommertour und besucht die Nordseeinsel Borkum, Neuharlingersiel und St. Peter-Ording. Unsere Reporterin ist dabei. Mehr zum NSA-Spähskandal finden Sie hier...CSU startet in den Wahlkampf Jetzt geht's los: Die CSU will am Freitag mit ihrem Parteitag in München den "Startschuss für den Landtags- und Bundestagswahlkampf geben". Auf dem Programm steht die Verabschiedung des Regierungsprogramms. Parteichef Horst Seehofer hatte sich zwar zuletzt "Schüchternheit" auferlegt, wird aber trotzdem eine Rede halten. Unser München-Korrespondent Björn Hengst ist dabei.Mehr zur CSU finden Sie hier...Nach Moskau! Erst Athen, jetzt Moskau: Nach seiner Griechenlandreise fährt Wolfgang Schäuble zum Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs der G20-Staaten, der 20 wichtigsten Wirtschaftsmächte. Dort will Schäuble vor allem für einen Aktionsplan des Industriestaaten-Clubs OECD werben, mit dem Steuerschlupflöcher für multinationale Konzerne geschlossen werden sollen. Unser Wirtschaftsressort berichtet.Mehr zum Thema G20 finden Sie hier...Der Ball rollt wieder Zwar lassen sich die Clubs der ersten Liga noch etwas Zeit, aber in der 2. Bundesliga wird die Fußballsaison 2013/2014 am Freitag mit drei Partien eröffnet: In Ingolstadt (gegen Erzgebirge Aue) und Sandhausen (gegen VfR Aalen) wird der Anfang gemacht. Später folgt mit dem Duell zwischen dem FC St. Pauli und 1860 München am ausverkauften Millerntor bereits das erste Top-Spiel der Saison. SPIEGEL ONLINE berichtet live aus allen drei Stadien.Mehr über die Zweite Bundesliga finden Sie hier...Debatte des Tages: Kommt Griechenland voran?Griechenlands wirtschaftliche und politische Entwicklung ist ein Dauerthema. Während des Besuchs von Wolfgang Schäuble in Athen gab es in der griechischen Bevölkerung heftigen Protest. Im SPIEGEL-ONLINE-Forum wird das Thema kontrovers diskutiert.
Angela Merkel stellt sich in Berlin den Fragen der Hauptstadtjournalisten, die CSU startet auf ihrem Parteitag den Bundestagswahlkampf, die 2. Bundesliga beginnt die neue Saison - diese Themen werden am Freitag wichtig.
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Ausland
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2013-07-18T18:08:00+02:00
2013-07-18T18:08:00+02:00
https://www.spiegel.de/politik/ausland/was-am-19-7-wichtig-wird-angela-merkel-in-der-bpk-csu-parteitag-a-911905.html
Eiskalter Rapper: Vanilla Ice wird nach Angriff auf seine Frau verhaftet
Palm Beach - Er hatte nur einen großen Hit, dafür aber eine eine umso größere Klappe. Manchmal lässt Vanilla Ice, alias Robert Van Winkle, allerdings lieber seine Fäuste sprechen. Zum wiederholten Mal soll der einstige Rapstar auf seine Frau losgegangen sein. Der 40-Jährige wurde Donnerstagnacht von Polizeibeamten vorübergehend festgenommen. Wie aus der Polizeiakte hervorgeht, wird ihm häusliche Gewalt vorgeworfen.Seine Frau rief die Polizei und gab an, der Musiker habe sie getreten und geschlagen. Später erklärte sie laut Polizeibericht nur noch, ihr Mann habe sie geschubst. Vanilla Ice wies den Vorwurf zurück.Für die Polizei von Palm Beach im US-Bundesstaat Florida ist Vanilla Ice jedoch ein alter Bekannter: Bereits 2001 ist er wegen eines tätlichen Angriffs auf seine Frau zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Doch trotz der wiederholten Attacken, hat Laura ihren Mann nie verlassen: Die beiden sind seit über zehn Jahren verheiratet und haben zwei Töchter. Vanilla Ice, der sich früher in seinen Musikvideos gerne lässig und selbstverliebt zeigte, soll in Wahrheit schwer depressiv gewesen sein: Vier Jahre nach seinem musikalischen Durchbruch 1990 mit "Ice, ice Baby" soll der 40-Jährige nach eigenen Angaben versucht haben, sich umzubringen.Nach einer gerichtlichen Anhörung wurde Vanilla Ice wieder aus dem Gefängnis entlassen.bel/ddp/AP
Erst hip, dann hopp: Mit dem Song "Ice, Ice Baby" rappte Vanilla Ice sich 1990 in die Charts. Als der Ruhm schwandt, schlug er sich im US-Fernsehen als Promi-Boxer durch. Jetzt sollen dem 40-Jährigen Zuhause die Fäuste ausgerutscht sein.
[]
Panorama
Leute
2008-04-11T19:47:06+02:00
2008-04-11T19:47:06+02:00
https://www.spiegel.de/panorama/leute/eiskalter-rapper-vanilla-ice-wird-nach-angriff-auf-seine-frau-verhaftet-a-546791.html
Waffenrecht: EU einigt sich auf schärfere Richtlinie
Es waren lange und zähe Verhandlungen, doch nun wird das Waffenrecht in der EU teils deutlich verschärft: Am Dienstag teilten Vertreter der EU-Mitgliedstaaten mit, dass man sich mit der Kommission und dem Europaparlament auf die Neufassung der Waffenrichtlinie geeinigt habe. Die EU-Kommission hatte nach dem Terroranschlag von Paris im November 2015 die Überarbeitung der Richtlinie vorgeschlagen. Ein zentrales Ziel war das Verbot halbautomatischer Sturmgewehre. Während Vollautomaten im Dauerfeuer schießen, sobald man den Auslöser betätigt, feuern Halbautomaten nur einen Schuss ab und laden dann selbst nach. Das ermöglicht eine große Präzision bei immer noch schneller Schussfolge. Derartige Zivilmarkt-Versionen von Kriegswaffen - bekannte Beispiele sind die Kalaschnikow- oder die amerikanischen AR-15-Sturmgewehre - wurden wiederholt bei Amokläufen und Terroranschlägen eingesetzt, auch in Paris wurden mit solchen Waffen Dutzende Menschen umgebracht. Allerdings konnte die Kommission sich nicht damit durchsetzen, alle Varianten der Kalaschnikow- und AR-15-Gewehre in der Richtlinie ausdrücklich zu nennen. Für Privatleute verboten sind nun künftig: vollautomatische und militärische Waffen,vollautomatische Waffen, die zu halbautomatischen umgebaut wurden, Kurzwaffen mit Magazinen von mehr als 20 Schuss und Langwaffen mit mehr als zehn Schuss,halbautomatische Langwaffen, die ohne Änderung ihrer Funktion auf eine Gesamtlänge von weniger als 60 Zentimeter verkürzt werden können.Darüber hinaus sollen Waffen, die zu Schreckschusswaffen umgebaut wurden, in ihrer vorherigen Verbotskategorie verbleiben. Bisher waren sie nach dem Umbau komplett unreguliert, mit oft tragischen Folgen. Beim Amoklauf von München im August etwa benutzte der 18-jährige David S. eine reaktivierte Theaterwaffe, mit der er neun Menschen und sich selbst tötete. Zudem müssen künftig alle wichtigen Teile von Schusswaffen markiert werden, vor allem, um die Ermittlungen nach Verbrechen zu erleichtern. Um entsprechende Datenbanken aufzubauen, müssen Händler in den EU-Staaten jede Transaktion elektronisch registrieren. Museen und Sammler, deren Waffenkäufe auf EU-Ebene bisher nicht reguliert waren, fallen nun zwar ebenfalls unter die Richtlinie. Allerdings dürfen sie unter Auflagen weiterhin Kriegswaffen kaufen, darunter Maschinengewehre oder Granatwerfer. Auch Sportschützen ist es noch immer erlaubt, sich halbautomatische Pistolen und Sturmgewehre zuzulegen. Aggressive Lobbyarbeit von Sportschützen und JagdverbändenJagdverbände und Sportschützen waren zuvor aggressiv gegen die neue Richtlinie vorgegangen, EU-Beamte berichteten gar von Gewaltandrohungen. Die Gegner der Richtlinie behaupteten unter anderem, die EU-Kommission wolle Waffen beschlagnahmen, was allerdings nicht geplant war. Der europäische Jägerverband FACE sagte nach der Einigung, es gebe "keine Verbindung zwischen dem Besitz legaler ziviler Feuerwaffen für Jagd oder Sport und kriminellem Verhalten und Terrorismus". Die Realität sieht allerdings oft anders aus. Erst am vergangenen Donnerstag erschoss ein Arzt in Marburg einen Kollegen und dann sich selbst. Der Täter war Sportschütze, die Waffe besaß er nach Angaben der Staatsanwaltschaft legal. Elf Tage zuvor hatte ein 43-jähriger Sportschütze aus Mönchengladbach seine ehemalige Lebensgefährtin und deren 17-jährigen Sohn getötet, bevor er seine - ebenfalls legale - Waffe gegen sich selbst richtete. Auch das halbautomatische Ruger-Gewehr und die Glock-Pistole, mit denen Anders Breivik im November 2011 auf der norwegischen Insel Utoya ein Massaker mit 67 Toten anrichtete, hatte er sich legal besorgt. Um an die Pistole zu kommen, war er eigens einem Schützenverein beigetreten. Wie stark die EU-Richtlinie sich in den einzelnen Mitgliedstaaten auswirkt, hängt vom jeweils dort gültigen Waffenrecht ab. In Deutschland ist es in den meisten Punkten schon jetzt strenger und muss dementsprechend nicht geändert werden.Die neuen Regeln müssen vom Europaparlament und den Mitgliedstaaten nun noch offiziell gebilligt werden, was allerdings als Formalie gilt. Die EU-Kommission spricht insgesamt von einem Erfolg, auch wenn sie sich nicht mit allen Vorschlägen durchsetzen konnte. "Wir haben hart für eine ehrgeizige Vereinbarung gekämpft, die die Gefahr von Schießereien in Schulen, Ferienlagern oder von Terrorattacken mit legalen Feuerwaffen senkt", sagte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Er wäre gern weiter gegangen, doch auch die nun gefundene Einigung sei "ein Meilenstein bei der Waffenkontrolle in der EU." Zusammengefasst: Die EU-Kommission hat sich nach langem Ringen mit den EU-Staaten und dem Europaparlament auf eine Verschärfung des Waffenrechts verständigt. Bei der Regulierung von Schusswaffen gibt es nun deutliche Fortschritte, allerdings auch weiterhin Ausnahmen insbesondere für Sportschützen.
Markus Becker
Die Regeln für Schusswaffen werden strenger: Nach langen Verhandlungen haben sich EU-Kommission, Europaparlament und Mitgliedstaaten auf neue Regeln geeinigt - auch als Reaktion auf den Terroranschlag von Paris.
[ "Terrorserie in Paris", "Europäische Union", "Waffenhandel", "Anschlag auf »Charlie Hebdo«", "Deutsches Waffenrecht", "Waffenrecht in den USA" ]
Ausland
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2016-12-20T20:31:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/ausland/waffenrecht-eu-einigt-sich-auf-schaerfere-richtlinie-a-1126771.html