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WBRE410019599
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BVerwG
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2. Senat
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20130514
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2 B 25/12
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Beschluss
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§ 12 Abs 1 S 1 Nr 1 BeamtVG
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 9. Januar 2012, Az: 3 A 1167/09, Urteil
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DEU
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Ruhegehaltfähige Dienstzeit; Ausbildungszeiten
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Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Der 1954 geborene Kläger ist Jurist; im 1. juristischen Staatsexamen musste er krankheitsbedingt die Aufsichtsarbeiten wiederholen und benötigte deshalb eine Prüfungszeit von einem Jahr und 51 Tagen. Er stand zuletzt als Finanzamtsvorsteher im Dienst des beklagten Landes, bevor er zum Jahresende 2007 auf seinen Antrag hin vorzeitig in den Ruhestand versetzt wurde. Bei der Festsetzung seiner Versorgungsbezüge wurden unter Einbeziehung einer halbjährigen Prüfungszeit vier Jahre Studium als ruhegehaltsfähige Dienstzeit anerkannt und ein Ruhegehaltssatz von 59 v.H. zugrunde gelegt. Sein Begehren, für sein Studium einschließlich der Prüfungszeit mindestens viereinhalb Jahre als ruhegehaltfähige Dienstzeit nach dem bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Recht anzuerkennen und u.a. deshalb einen Ruhegehaltssatz von mindestens 61 v.H. zugrunde zu legen, ist erfolglos geblieben.
Das Oberverwaltungsgericht hat hinsichtlich der Anerkennung der Prüfungszeit den Begriff der "üblichen Prüfungszeit" i.S.v. § 12 Abs. 1 Nr. 1 BeamtVG als hinreichend bestimmt angesehen, der Verlängerungen aufgrund individueller Gegebenheiten, wie Krankheit oder Wiederholung der Prüfung, nicht erfasse. Dass in der einschlägigen Verwaltungsvorschrift im Wege einer typisierenden Betrachtung eine übliche Prüfungszeit von sechs Monaten angenommen werde, sei nicht willkürlich. Allerdings sei von einer längeren Dauer des Prüfungsverfahrens auszugehen, wenn feststehe, dass eine solche üblich gewesen sei. Diese Üblichkeit im Sinne einer Standarddauer bestimme sich nach den Verhältnissen an der jeweiligen Ausbildungsstätte im Zeitpunkt der Prüfung.
2. Der geltend gemachte Revisionsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.
Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Rechtssache eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die bislang höchstrichterlich nicht geklärt ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18 und vom 2. Februar 2011 - BVerwG 6 B 37.10 - NVwZ 2011, 507; stRspr).
Die aufgeworfene Frage, ob der Begriff der üblichen Prüfungszeit in § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung verfassungsgemäß, insbesondere hinreichend bestimmt, ist, und - sofern dies zu bejahen ist - wie er auszulegen ist, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision.
§ 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung bestimmt - wortgleich mit der gegenwärtig geltenden Fassung -, dass die nach Vollendung des 17. Lebensjahres verbrachte Mindestzeit der außer der allgemeinen Schulbildung vorgeschriebenen Ausbildung als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden kann; zu der vorgeschriebenen Ausbildung zählt diese Bestimmung auch die "übliche Prüfungszeit".
Grundsätzlicher Klärungsbedarf hinsichtlich der Verfassungskonformität des Begriffs der "üblichen Prüfungszeit" in § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG im Hinblick auf seine hinreichende Bestimmtheit besteht nicht. Die Ermittlung des Inhalts dieses unbestimmten Rechtsbegriffs kann ohne Weiteres mit den Mitteln der Auslegung bewältigt werden; dementsprechend hat die Rechtsprechung auch des Bundesverwaltungsgerichts nie Zweifel an der hinreichenden Bestimmtheit dieses Begriffs geäußert (stRspr, vgl. nur Urteil vom 11. Dezember 2008 - BVerwG 2 C 9.08 - Buchholz 239.1 § 12 BeamtVG Nr. 17 Rn. 12, 21).
Klärungsbedürftigkeit besteht auch nicht hinsichtlich der Auslegung des Begriffs der "üblichen Prüfungszeit" in § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG. In der vom Kläger formulierten Allgemeinheit würde sie sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Wenn man sie zugunsten des Klägers dahin versteht, dass der Kläger geltend macht, dass auch krankheitsbedingte individuelle Verlängerungen der Prüfungszeit dem Begriff der "üblichen Prüfungszeit" unterfallen, bedarf es nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, um eine solche Auslegung auszuschließen. Sie wäre ersichtlich mit dem Wortlaut der Norm unvereinbar: Der Begriff "üblich" stellt gerade nicht die auf konkret-individuellen Verhältnisse des betreffenden Beamten ab, sondern auf losgelöst von der Person des jeweiligen Beamten bestehende tatsächliche Verhältnisse.
Eine solche Auslegung wäre auch mit dem Normzweck und der Systematik des Gesetzes nicht vereinbar. Der Zweck der Anrechnungsregelung des § 12 Abs. 1 BeamtVG besteht darin, Beamten, die eine für die Übernahme in das Beamtenverhältnis vorgeschriebene Ausbildung außerhalb des Beamtenverhältnisses durchlaufen haben, annähernd die Versorgung zu ermöglichen, die sie erhalten würden, wenn sie die Ausbildung im Beamtenverhältnis auf Widerruf absolviert hätten (Urteil vom 26. Januar 2012 - BVerwG 2 C 49.10 - Buchholz 239.1 § 67 BeamtVG Nr. 5). Damit erfasst dieser Normzweck nicht jedwede außerhalb des Beamtenverhältnisses durchlaufenen Ausbildungszeiten, sondern nach dem Wortlaut der Norm nur die Mindestzeiten einer vorgeschriebenen Ausbildung. So wie bei den Ausbildungszeiten individuelle Verhältnisse wie etwa eine krankheitsbedingte Verlängerung der Studienzeit sich nicht versorgungsrechtlich niederschlagen, so gilt dies auch für Prüfungszeiten.
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http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-WBRE410019599&psml=bsjrsprod.psml&max=true
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019600
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BVerwG
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5. Senat
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20130605
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5 B 7/13
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Beschluss
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§ 2 Abs 1 S 1 Nr 1aF AFBG, § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 AFBG, § 132 Abs 2 Nr 1 VwGO
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern, 21. November 2012, Az: 1 L 254/08, Urteil
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DEU
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Aufstiegsfortbildung; berufliche Vorqualifikation; grundsätzliche Bedeutung von auslaufenden oder ausgelaufenen Rechts
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Die gegen diese Entscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 25.02.2015 - 1 BvR 2257/13 - nicht zur Entscheidung angenommen.
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen führt auf keinen Revisionszulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO.
1. Die Revision ist nicht gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen der geltend gemachten Divergenz zuzulassen. Eine Divergenz ist gegeben, wenn das vorinstanzliche Gericht in Anwendung derselben Vorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden (abstrakten) Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung des übergeordneten Gerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgewichen ist. Die Beschwerdebegründung muss darlegen, dass und inwiefern dies der Fall ist (stRspr, vgl. z.B. Beschlüsse vom 11. August 1999 - BVerwG 11 B 61.98 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19 und vom 24. November 2009 - BVerwG 5 B 35.09 - juris).
Die Beschwerde genügt diesen Anforderungen nicht. Sie rügt eine Abweichung von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Dezember 2008 - BVerwG 5 C 17.08 - (BVerwGE 132, 339 = Buchholz 436.37 § 2 AFBG Nr. 3). Das Oberverwaltungsgericht verlange bei dem Vorqualifikationserfordernis des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr.1 des Gesetzes zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung (Aufstiegsfortbildungsgesetz) vom 31. Oktober 2006 (BGBl I S. 2407 - im Folgenden: AFBG a.F.) entscheidungstragend, dass der in der ersten Alternative dieser Bestimmung genannte Berufsabschluss im Hinblick auf die Fortbildungsmaßnahme einschlägig sei. Demgegenüber habe das Bundesverwaltungsgericht nur für die entsprechende berufliche Qualifikation - also für das in der dritten Alternative der Bestimmung genannte Merkmal - eine für den Fortbildungsabschluss einschlägige berufliche Vorerfahrung gefordert. Könne die Vorqualifikation durch einen formalen Berufsabschluss nachgewiesen werden, müsse dieser folglich nicht in einem Zusammenhang zum angestrebten Fortbildungsziel stehen.
Mit dieser Begründung kann eine Divergenz nicht nachgewiesen werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat in der herangezogenen Entscheidung bei der Auslegung der dritten Alternative des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AFBG a.F. zwar ausgeführt, dass eine entsprechende berufliche Qualifikation auch durch eine einschlägige mehrjährige Berufstätigkeit geführt werden könne. Eine Vollzeittätigkeit über einen Zeitraum, der das Zweifache der Mindestdauer einer berufsqualifizierenden Ausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz betrage, reiche jedenfalls aus, wenn die Berufstätigkeit einen fachlichen Bezug zu dem erstrebten Fortbildungsziel aufweise (Urteil vom 11. Dezember 2008 a.a.O. Rn. 28). Damit wird jedoch kein abstrakter Rechtssatz zur Auslegung der ersten Alternative des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AFBG a.F. aufgestellt und auch nichts darüber ausgesagt, ob in den dort genannten Fällen ein fachlicher Bezug erforderlich ist. Soweit das Oberverwaltungsgericht bei dieser Fallgruppe (ebenfalls) einen fachlichen Bezug gefordert hat, liegt keine Abweichung vor.
2. Die Revision kann auch nicht wegen der behaupteten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zugelassen werden. Die Beschwerde hält für den Fall, dass keine Divergenz anzunehmen ist, die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig:
"Reicht es für die Erfüllung des Vorqualifikationserfordernisses i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AFBG aus, wenn der Bildungsträger Teilnehmer zulässt, die im entscheidenden Zeitpunkt des Beginns der Maßnahme über irgendeinen qualifizierten Berufsabschluss verfügen, der aber nicht notwendig wesentliche inhaltliche Bezüge zu dem angestrebten Fortbildungsabschluss aufweist?"
Diese Frage rechtfertigt schon deshalb nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), weil es sich um eine solche ausgelaufenen Rechts handelt. Denn sie bezieht sich auf die Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AFBG a.F. Diese Fassung der Vorschrift ist - wie auch die Beschwerde nicht in Abrede stellt - im Rahmen der Novellierung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes durch das am 1. Juli 2009 in Kraft getretene Gesetz vom 18. Juni 2009 (BGBl I S. 1314) durch eine Neufassung ersetzt worden und damit ausgelaufen. Fragen auslaufenden oder ausgelaufenen Rechts verleihen einer Rechtssache jedoch regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil dieser Zulassungsgrund die Revision eröffnen soll, um Fragen zur Auslegung des geltenden Rechts mit Blick auf die Zukunft richtungweisend zu klären (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 29. Dezember 2010 - BVerwG 5 B 42.10 - juris Rn. 3 f. und vom 5. Oktober 2009 - BVerwG 6 B 17.09 - Buchholz 442.066 § 24 TKG Nr. 4).
Etwas anderes kann zwar dann gelten, wenn sich die als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage bei den gesetzlichen Bestimmungen, die den außer Kraft getretenen Vorschriften nachgefolgt sind, in gleicher Weise stellt. Dies muss jedoch offensichtlich sein, weil es nicht Aufgabe des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens ist, in diesem Zusammenhang mehr oder weniger komplexe Fragen des jetzt geltenden Rechts zu klären und die frühere mit der geltenden Rechtslage zu vergleichen (Beschluss vom 29. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 4). An dieser Offensichtlichkeit fehlt es hier. Die Beschwerde weist zwar mit Recht darauf hin, dass durch das Aufstiegsfortbildungsänderungsgesetz nur die dritte Alternative des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AFBG a.F. geändert worden ist. Der Gesetzgeber hat jedoch durch die Neuformulierung "eine diesen Berufsabschlüssen entsprechende berufliche Qualifikation" eine deutliche Verknüpfung zwischen der ersten und der dritten Alternative des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AFBG geschaffen und in der Gesetzesbegründung zur Änderung der dritten Alternative die Notwendigkeit einer fachlich einschlägigen Vorbefassung in Anlehnung an § 45 Abs. 2 BBiG hervorgehoben (BTDrucks. 16/10996 S. 20). Diese engere Alternativenverknüpfung im Wortlaut und der Entstehungsgeschichte kann bei der Auslegung der ersten Alternative des nunmehr geltenden § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AFBG dafür sprechen, dass auch in diesem Bereich für die Aufstiegsfortbildungsförderung ein fachlich einschlägiger Berufsabschluss zu fordern ist. Daher ist es jedenfalls nicht evident, dass sich die von der Beschwerde als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage bei der neuen Gesetzeslage in gleicher Weise stellt wie nach altem Recht.
Unabhängig von dem Umstand, dass es sich um ausgelaufenes Recht handelt, kommt eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) auch deshalb nicht Betracht, weil die Beschwerde eine den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügende Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache vermissen lässt. Dies setzt neben der Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Frage des revisiblen Rechts außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (Beschlüsse vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 13 <S. 14> und vom 9. August 2011 - BVerwG 5 B 15.11 - juris Rn. 2). Dazu bedarf es insbesondere der substantiierten Auseinandersetzung mit den Gründen des Berufungsurteils (Beschlüsse vom 8. Juni 2006 - BVerwG 6 B 22.06 - Buchholz 442.066 § 78 TKG Nr. 1 und vom 14. Januar 2013 - BVerwG 5 B 99.12 - juris Rn. 2).
Die Beschwerde begnügt sich jedoch mit der formelhaften Feststellung, dass die aufgeworfene Frage bislang vom Bundesverwaltungsgericht nicht entschieden sei und sich auch nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergebe. Sie befasst sich nicht mit dem Argument des Berufungsgerichts, dass Gegenstand der Förderung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AFBG a.F. nur Maßnahmen der Fortbildung und nicht solche der beruflichen Erstausbildung sein könnten und dass der Begriff der beruflichen Fortbildung nach § 1 Abs. 3 und 4 BBiG zu bestimmen sei. Von einer Erhaltung, Anpassung und Erweiterung der beruflichen Handlungsfähigkeit oder einen beruflichen Aufstieg könne aber nicht gesprochen werden, wenn der Berufsabschluss - hier eines Feinmechanikers - keinen Bezug zum Fortbildungsziel - Fachwirt für Finanzberatung - aufweise (UA S. 11). Die Beschwerde befasst sich ferner nicht mit der weiteren Begründung des Berufungsgerichts, dass ein entsprechender fachlicher Bezug des vorangegangenen Berufsabschlusses zur Fortbildungsmaßnahme auch in den zum Zeitpunkt der Zulassung des Klägers maßgeblichen Rechtsvorschriften für die Fortbildungsprüfung zum Fachwirt für Finanzberatung der Industrie- und Handelskammer Berlin vom 12. Dezember 1997 gefordert werde (UA S. 9). Die Beschwerde legt nicht dar, dass das vom Oberverwaltungsgericht vertretene Verständnis des Begriffs der "Fortbildungsmaßnahme" im Schrifttum oder in der Rechtsprechung umstritten sei oder dass gewichtige Gründe dagegen sprächen. Es wird auch sonst nicht plausibel gemacht, aus welchen Gründen Vorgänge, die nach § 1 Abs. 5 BBiG als berufliche Umschulung zu werten wären, im Rahmen des Aufstiegsfortbildungsgesetzes als berufliche Fortbildung angesehen werden müssten.
Schließlich wird die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragen für eine Vielzahl künftiger Fälle auch nicht ausreichend dargelegt. Die Beschwerde befasst sich nicht mit dem Hinweis des Berufungsgerichts, dass nach der für zukünftige Fälle geltenden "Verordnung über die Prüfung zu anerkannten Fortbildungsabschlüssen in der Finanzdienstleistungswirtschaft" vom 9. Februar 2012 (BGBl I S. 274) ebenfalls ein fachlich einschlägiger Berufsabschluss Zulassungsvoraussetzung für die Prüfung zum Fachwirt für Finanzdienstleistungen ist. Es wird auch nicht dargelegt, dass in anderen Fortbildungsprüfungsordnungen völlig fachfremde Berufsabschlüsse als Zugangsvoraussetzung genügten.
3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019601
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BVerwG
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5. Senat
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20130605
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5 B 11/13, 5 B 11/13, 5 PKH 14/13
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Beschluss
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§ 132 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 94 VwGO, § 96 VwGO, Art 103 Abs 1 GG
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vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 12. Dezember 2012, Az: 11 B 11.2542, Urteil
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DEU
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Rügefähigkeit der Aussetzungsentscheidung; informatorische Anhörung; Parteivernehmung; Ablehnung
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die behaupteten Zulassungsgründe im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO nicht ausreichend dargelegt sind oder nicht vorliegen.
1. Die Beschwerde legt die grundsätzliche Bedeutung des Falles nicht ausreichend dar. Eine den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügende Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Frage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (Beschlüsse vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 13 <S. 14> und vom 9. August 2011 - BVerwG 5 B 15.11 - juris Rn. 2). Dazu bedarf es der substantiierten Auseinandersetzung mit den Gründen des Berufungsurteils und bereits ergangener Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (Beschlüsse vom 8. Juni 2006 - BVerwG 6 B 22.06 - Buchholz 442.066 § 78 TKG Nr. 1, vom 11. August 2006 - BVerwG 1 B 105.06 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 20 und vom 14. Januar 2013 - BVerwG 5 B 99.12 - juris Rn. 2). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
a) Die Klägerin hält es für grundsätzlich klärungsbedürftig,
"ob § 100 Abs. 2 BVFG dadurch, dass er nur noch dann eine Feststellung der Vertriebeneneigenschaft vorsieht, wenn dies von einer leistungsgewährenden Behörde beantragt wird und deshalb dem Betroffenen keine Möglichkeit der eigenen Antragstellung und gerichtlichen Überprüfung gewährt, verfassungsgemäß ist oder nicht."
Damit wird zwar eine abstrakte Rechtsfrage aufgeworfen. Es wird aber nicht dargelegt, inwieweit sie im vorliegenden Fall entscheidungserheblich ist und aus welchen Gründen die angegriffene Regelung verfassungswidrig sein soll. Die Beschwerde lässt in diesem Zusammenhang jede Befassung mit den Ausführungen des Berufungsurteils zur Verfassungsmäßigkeit des § 100 Abs. 2 BVFG (UA S. 24 f.) vermissen, in denen ausführlich auf die Entstehungsgeschichte der Norm und deren Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG eingegangen wird. Schließlich erläutert die Beschwerde auch nicht, aus welchen Gründen die mittlerweile zwei Jahrzehnte alte Übergangsvorschrift heute noch für eine größere Zahl von Fällen klärungsbedürftig sein soll. Fragen auslaufenden oder ausgelaufenen Rechts verleihen einer Rechtssache regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil dieser Zulassungsgrund die Revision eröffnen soll, um Fragen zur Auslegung des geltenden Rechts mit Blick auf die Zukunft richtungweisend zu klären (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 5. Oktober 2009 - BVerwG 6 B 17.09 - Buchholz 442.066 § 24 TKG Nr. 4 und vom 22. Februar 2012 - BVerwG 5 B 3.12 - juris Rn. 3). Soweit ausgeführt wird, dass eine Kontroverse darüber bestehe, welche Behörden ausnahmsweise weiterhin antragsberechtigt seien, fehlt erkennbar jeder Bezug zum vorliegenden Revisionsverfahren.
b) Die Klägerin hält es weiterhin für grundsätzlich klärungsbedürftig,
"ob das gem. § 15 BVFG zur Entscheidung über die Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung berufene Gericht dann, wenn es im Laufe des Verfahrens zum Ergebnis kommt, die Voraussetzung 'im Wege des Aufnahmeverfahrens das Aussiedlungsgebiet verlassen' liege nicht vor, dennoch darüber entscheiden kann, ob der Kläger Spätaussiedler ist oder ob es das Verfahren bis zur Entscheidung gem. § 27 Abs. 2 BVFG aussetzen muss."
Insofern fehlt es bereits an der Formulierung einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage, weil die für die Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens maßgebliche Vorschrift des § 94 VwGO nicht erörtert wird und nicht aufgezeigt wird, inwieweit bei der Auslegung dieser Vorschrift ein grundsätzlicher Klärungsbedarf besteht. Ferner mangelt es an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der Frage und an der erforderlichen Befassung mit den Urteilsgründen des Berufungsgerichts. Aus § 94 VwGO ergibt sich eindeutig, dass ein Rechtsstreit nur dann bis zur Entscheidung einer Verwaltungsbehörde ausgesetzt werden kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von den Feststellungen der Verwaltungsbehörde abhängt. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Frage jedoch offengelassen, ob die Klägerin im Sinne des § 27 BVFG "Aufnahme" gefunden hat, weil die auf Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung gerichtete Klage schon mangels deutscher Volkszugehörigkeit im Sinne des § 6 BVFG a.F. keinen Erfolg haben könne (UA S. 18 Rn. 61). Es bedarf jedoch keiner grundsätzlichen Klärung in einem Revisionsverfahren, dass eine auf Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung gerichtete Verpflichtungsklage nicht zur Durchführung eines Aufnahmeverfahrens auszusetzen ist, wenn sie bereits aus anderen Gründen keinen Erfolg haben kann.
2. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Ein Verfahrensmangel ist nur dann im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ausreichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird. Die Pflicht zur Bezeichnung des Verfahrensmangels erfordert die schlüssige Darlegung einer Verfahrensrüge (vgl. Beschlüsse vom 19. August 1997 a.a.O., vom 1. Dezember 2000 - BVerwG 9 B 549.00 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 60 S. 17 <S. 18 f.>, vom 24. März 2000 - BVerwG 9 B 530.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 308 S. 15 und vom 28. November 2011 - BVerwG 5 B 55.11 - juris Rn. 2).
a) Soweit die Klägerin in der unterbliebenen Aussetzung des Prozesses einen Verfahrensfehler sieht, wird der behauptete Mangel schon deswegen nicht substantiiert dargelegt, weil die Beschwerde sich weder mit der maßgeblichen Vorschrift des § 94 VwGO noch mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts befasst, dass ein Verstoß gegen § 94 VwGO als solcher im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht als Verfahrensmangel rügefähig ist (Urteil vom 31. März 2011 - BVerwG 10 C 2.10 - BVerwGE 139, 272 Rn. 15 f. = Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 11). Die behauptete Verletzung des Gebots effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) und der von der Klägerin ebenfalls herangezogenen Art. 2 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG wird gleichfalls nicht schlüssig dargelegt, weil durchgreifende Gesichtspunkte für die Notwendigkeit einer Aussetzung des Verfahrens nicht vorgetragen werden.
b) Ein Verfahrensfehler wird ebenfalls nicht dargelegt, soweit die Klägerin eine unterbliebene Prüfung ihrer Volkszugehörigkeit am Maßstab des § 6 Abs. 1 BVFG rügt. Denn der von ihr behauptete Mangel betrifft nicht die fehlerhafte Anwendung prozessualer Vorschriften, sondern die inhaltliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung. Eine Verfahrensrüge kann jedoch nicht auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt werden (vgl. Beschluss vom 4. Juli 1968 - BVerwG 8 B 110.67 - BVerwGE 30, 111 <113> = Buchholz 448.0 § 34 WPflG Nr. 7). Abgesehen davon hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass es zugunsten der Klägerin eine Prüfung der Volkszugehörigkeit an dem für die Klägerin günstigeren § 6 Abs. 2 BVFG a.F. durchgeführt habe (UA S. 18 Rn. 61). Daher hätte die Klägerin substantiiert ausführen müssen, inwieweit das Urteil auf dem Rechtsfehler der unterbliebenen Prüfung des § 6 Abs. 1 BVFG beruhen kann. Dabei hätte sich die Klägerin insbesondere mit der vom Berufungsgericht zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts befassen müssen, dass § 6 Abs. 2 BVFG a.F. die günstigere Regelung darstellt (Urteil vom 13. September 2007 - BVerwG 5 C 38.06 - BVerwGE 129, 265 Rn. 16 ff. = Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 111).
c) Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt auch nicht darin, dass der Verwaltungsgerichtshof dem Hilfsbeweisantrag der Klägerin auf erneute persönliche Anhörung und auf erneute Vernehmung ihres Ehemanns als Zeugen nicht nachgekommen ist. Der verfassungsrechtlich durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Er gebietet in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines von den Fachgerichten als erheblich angesehenen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (stRspr, vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 30. Januar 1985 - 1 BvR 393/84 - BVerfGE 69, 141 <143 f.>; BVerwG, Beschluss vom 12. April 2006 - BVerwG 6 PB 1.06 - Buchholz 251.7 § 72 NWPersVG Nr. 35). Dafür ist hier nichts ersichtlich.
Der Verwaltungsgerichtshof hat das Vorbringen der Klägerin, dass sie sich bereits vor der Passänderung im Jahr 1992 bei Volkszählungen zum deutschen Volkstum bekannt habe, zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen. Er hat dieses Vorbringen im Hinblick darauf, dass solche Angaben von der Klägerin im gesamten bisherigen Verfahren nicht behauptet worden sind, nicht für glaubhaft erachtet (UA S. 22 Rn. 82). Soweit der Anwalt der Klägerin eine persönliche Anhörung seiner Mandantin beantragt hat, macht die Beschwerde schon nicht deutlich, ob damit eine informatorische Anhörung oder eine Parteivernehmung beantragt worden ist. Eine informatorische Anhörung kann nicht zum Gegenstand eines förmlichen Beweisantrags gemacht werden, weil die rein informatorische Anhörung nur der Klarstellung oder Ergänzung des Beteiligtenvorbringens dient und keinen darüber hinausgehenden Beweiswert besitzt (vgl. Beschluss vom 23. Januar 1981 - BVerwG 4 C 88.77 - Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 179). Ein hierauf gerichteter Beweisantrag kann daher als unzulässig abgelehnt werden. Soweit eine Parteivernehmung beantragt worden ist, ist die Vernehmung eines Beteiligten nach § 96 VwGO auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur subsidiär zulässig. Die Parteivernehmung dient als letztes Hilfsmittel zur Aufklärung des Sachverhalts, wenn trotz Ausschöpfung aller anderen Beweismittel noch Zweifel bestehen. Sie kann unterbleiben, wenn - wie hier - nichts an Wahrscheinlichkeit für die Behauptung der Partei erbracht ist (Urteil vom 22. August 1974 - BVerwG 3 C 15.73 - Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 17) oder Zeugen zur Verfügung stehen.
Die Ablehnung einer erneuten Vernehmung des Ehemanns der Klägerin als Zeugen findet ebenfalls im Prozessrecht eine ausreichende Stütze. Eine in der Vorinstanz durchgeführte Beweisaufnahme braucht vom Rechtsmittelgericht grundsätzlich nicht wiederholt zu werden. Namentlich für den Zeugenbeweis folgt aus § 98 VwGO i.V.m. § 398 Abs. 1 ZPO, wonach die erneute Zeugenvernehmung im Ermessen des Gerichts steht, dass ein bereits in der ersten Instanz gehörter Zeuge nicht stets in der Berufungsinstanz erneut zu vernehmen ist. Das Berufungsgericht darf seine Entscheidung vielmehr grundsätzlich ohne erneute Vernehmung auf das Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme stützen (vgl. Beschlüsse vom 11. November 1991 - BVerwG 7 B 123.91 - juris Rn. 3 und vom 7. September 2011 - BVerwG 9 B 61.11 - Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 61). Zur erneuten Beweisaufnahme verpflichtet ist das Berufungsgericht dagegen, wenn es an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen der Vorinstanz zweifelt, insbesondere wenn es die Glaubwürdigkeit eines Zeugen abweichend vom Erstrichter beurteilen will (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. November 2004 - 1 BvR 1935/03 - NJW 2005, 1487). Das ist hier nicht der Fall. Der Verwaltungsgerichtshof hat weder die Richtigkeit noch die Vollständigkeit der Feststellungen des Verwaltungsgerichts in Zweifel gezogen. In der Beschwerdeschrift werden auch sonst keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs für eine Verwertung des Sitzungsprotokolls ohne erneute Zeugenvernehmung eindeutig ermessensfehlerhaft gewesen wäre.
3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
4. Dem Kläger kann auch keine Prozesskostenhilfe bewilligt und kein Rechtsanwalt beigeordnet werden, weil das eingelegte Rechtsmittel keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und aussichtslos erscheint (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO).
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019602
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BVerwG
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5. Senat
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20130614
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5 B 41/13
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Beschluss
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Art 103 Abs 1 GG, § 185 GVG, § 55 VwGO
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vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 7. März 2013, Az: 1 S 617/12, Urteil
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DEU
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Gewährung rechtlichen Gehörs; Hinzuziehung eines Dolmetschers
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Die Beschwerde ist unzulässig. Denn sie legt den geltend gemachten Verfahrensmangel einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dar.
Die Beschwerde rügt, dass die mündliche Verhandlung unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ohne Beiziehung eines Dolmetschers erfolgt sei. Der Kläger - ein aus Ägypten stammender Imam - sei mit schwierigen, theologisch bedeutsamen Fragen des Verhältnisses von Islam und freiheitlich-demokratischer Grundordnung konfrontiert worden, die sein Sprachniveau eindeutig überschritten hätten. Wäre eine solche Befragung auch nur annähernd angekündigt worden, wäre die Zuziehung eines Dolmetschers beantragt worden, soweit es um schwierige theologische und wissenschaftliche Fragen gehe.
Damit wird ein Verfahrensfehler nicht ausreichend dargetan. Bei der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs gehört zu der von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO geforderten Darlegung des Verfahrensmangels eine substantiierte Schilderung der Maßnahmen, durch die das Tatsachengericht das rechtliche Gehör verletzt hat. Ferner ist darzulegen, was der Beteiligte bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und inwieweit der weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (Beschluss vom 19. März 1991 - BVerwG 9 B 56.91 - Buchholz 310 § 104 VwGO Nr. 25 S. 12). Daran fehlt es.
Die Schilderung des Klägers lässt schon nicht auf einen Gehörsverstoß schließen. Zwar ist nach § 55 VwGO in Verbindung mit § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG ein Dolmetscher hinzuzuziehen, wenn unter Beteiligung von Personen verhandelt wird, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Ein fremdsprachiger Beteiligter soll die ihn betreffenden Verfahrensvorgänge verstehen und sich in der Verhandlung verständlich machen können. Bei diesen Vorschriften handelt es sich auch im hier vorliegenden Zusammenhang um eine spezielle Form der Gewährung des durch Art. 103 Abs. 1 GG garantierten rechtlichen Gehörs (Beschlüsse vom 10. November 1981 - BVerwG 9 C 474.80 - BayVBl 1982, 349 und vom 29. April 1983 - BVerwG 9 B 1610.81 - Buchholz 310 § 55 VwGO Nr. 6 S. 1). Der Kläger verfügt jedoch über für eine Einbürgerung ausreichende deutsche Sprachkenntnisse; der Mitwirkung eines Dolmetschers bedarf es jedenfalls grundsätzlich nicht, wenn ein Beteiligter die deutsche Sprache zwar nicht beherrscht, sie aber in einem die Verständigung mit ihm in der mündlichen Verhandlung ermöglichenden Maße spricht und versteht (Beschluss vom 11. September 1990 - BVerwG 1 CB 6.90 - Buchholz 300 § 185 GVG Nr. 2 S.1). Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgeführt, dass eine hinreichende Verständigung mit dem Kläger möglich gewesen ist (UA S. 16). Das dies tatsächlich nicht der Fall gewesen sei, trägt die Beschwerde nicht ausreichend substantiiert vor. Insbesondere legt sie nicht dar, dass der Kläger noch etwas hätte vortragen wollen, aber mangels ausreichender Deutschkenntnisse nicht habe vortragen können. Es fehlen jedwede Ausführungen dazu, was der Kläger mithilfe eines Dolmetschers noch vorgetragen hätte und inwieweit die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs auf der mangelnden Berücksichtigung dieses Vortrags beruhen kann.
Schließlich kann die Gehörsrüge auch deswegen keinen Erfolg haben, weil der Kläger ausweislich des Sitzungsprotokolls der mündlichen Verhandlung vom 7. März 2013 die Hinzuziehung eines Dolmetschers nicht beantragt hat, obwohl dazu jedenfalls in dem sich unmittelbar an die Anhörung des Klägers anschließenden Verfahrensabschnitt Gelegenheit bestanden hätte. Er hat damit sein Rügerecht gemäß § 295 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 173 VwGO verloren (vgl. Urteil vom 6. Juli 1998 - BVerwG 9 C 45.97 - BVerwGE 107, 128 <132> = Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 297 S. 46; Beschluss vom 29. April 1983 a.a.O. S. 2).
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO abgesehen.
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Deutschland
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public
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WBRE410019603
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BVerwG
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7. Senat
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20130605
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7 B 1/13
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Beschluss
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§ 22 Abs 1a BImSchG, § 3 Abs 1 BImSchG
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vorgehend Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, 24. Oktober 2012, Az: 8 A 10301/12, Urteil
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DEU
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Kinderspielplatz; Lärmauswirkungen einer Seilbahn
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I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Lärmauswirkungen des Betriebs einer ca. 30 m langen Seilbahn auf einem zum Baugebiet "In der Acht" gehörenden Kinderspielplatz; diese ist unmittelbar entlang der Südgrenze des von ihr bewohnten Grundstücks errichtet worden.
Die auf Beseitigung, hilfsweise auf Unterlassung der Nutzung der Seilbahn gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht ab. Die hiergegen eingelegte Berufung hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen. Die Nutzung der Seilbahn auf dem benachbarten Kinderspielplatz stelle für die Klägerin schon deshalb keine schädlichen Umwelteinwirkungen dar, weil sie nach § 22 Abs. 1a BImSchG zur Duldung der hierdurch entstehenden Lärmbeeinträchtigung verpflichtet sei. Bei der Nutzung der Seilbahn handele es sich um einen gesetzlichen Regelfall, so dass eine einzelfallbezogene Güterabwägung nicht erforderlich sei. Von einem atypischen Sonderfall könne nicht ausgegangen werden; während der Nachmittagsstunden hielten sich Kinder nur vereinzelt auf dem Spielplatz auf, vormittags werde er nur gelegentlich von einer Kindergartengruppe genutzt.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
II.
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.
1. Die von der Beschwerde als rechtsgrundsätzlich aufgeworfenen Frage,
ob § 22 Abs. 1a BImSchG auch Geräuscheinwirkungen, die durch die Spielgeräte selbst bedingt sind, privilegiert oder entsprechend seinem Wortlaut nur durch Kinder hervorgerufene Geräuscheinwirkungen,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Denn sie lässt sich ohne Weiteres aus dem Gesetz beantworten und ist deshalb nicht klärungsbedürftig.
Nach dem Gesetzeswortlaut werden Geräuscheinwirkungen, die von Kinderspielplätzen durch Kinder hervorgerufen werden, insoweit privilegiert, als sie im Regelfall nicht als schädliche Umwelteinwirkung gelten. Schon durch das Abstellen auf die (bloße) Ursächlichkeit des Verhaltens von Kindern ergibt sich, dass hiervon nicht nur der unmittelbar von Kindern bei Nutzung der Einrichtung erzeugte Lärm erfasst wird, sondern auch die zusätzlichen Lärmemissionen, die sich mit der bestimmungsgemäßen Nutzung eines Kinderspielplatzes verbinden. Zu den von Anliegern im Regelfall zu duldenden Geräuscheinwirkungen zählen somit nicht allein solche, die durch kindliche Laute wie Schreien oder Singen sowie durch körperliche Aktivitäten der Kinder wie Spielen, Laufen, Springen und Tanzen hervorgerufen werden; ebenso gehören hierzu das Sprechen und Rufen von Betreuerinnen und Betreuern sowie das Nutzen kindgerechter Spielzeuge und Spielgeräte (BTDrucks 17/4836 S. 6). Gleichermaßen gilt dies daher auch für die Nutzung der hier streitbefangenen, zum Standard der Ausgestaltung eines Kinderspielplatzes gehörenden Seilbahn. Mit dieser Privilegierung der Geräuscheinwirkungen von Kinderspielplätzen wird aber nicht die Verpflichtung des Anlagenbetreibers gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 BImSchG eingeschränkt, die Anlage Kinderspielplatz mit Gerätschaften zu bestücken, die dem Stand der Technik zur Lärmminderung entsprechen; denn die Privilegierung bezieht sich nur auf die mit dem Betrieb eines Kinderspielplatzes einhergehenden unvermeidbaren Geräuscheinwirkungen, nicht aber auf nach dem Stand der Technik vermeidbare (vgl. BTDrucks 17/4836 S. 6).
2. Die weitere von der Beschwerde als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage,
welche Umstände vorliegen müssen, dass selbst von § 22 Abs. 1a BImSchG erfasste Geräuscheinwirkungen gleichwohl schädliche Umwelteinwirkungen darstellen, also dass kein Regelfall gegeben ist,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, weil sie keinen grundsätzlichen Charakter hat, sondern die konkrete Rechtsanwendung durch das Berufungsgericht betrifft.
§ 22 Abs. 1a Satz 1 BImSchG bestimmt, dass von Kinderspielplätzen hervorgerufene Geräuscheinwirkungen im Regelfall keine schädliche Umwelteinwirkung sind. Mit diesem Abstellen auf den Regelfall wird keine Regelung getroffen, die den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkung gemäß § 3 Abs. 1 BImSchG modifiziert und darüber hinaus das Vorliegen einer schädlichen Umwelteinwirkung kategorisch ausschließt. Als eine auch dem Drittschutz betroffener Nachbarn verpflichtete Regelung ermöglicht die Vorschrift für besondere Ausnahmesituationen eine einzelfallbezogene Prüfung, ob selbst bei Zugrundelegung eines weiten Maßstabs noch erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen angenommen werden können. Ein Ausnahmefall, der eine Sonderprüfung gebietet, liegt beispielsweise vor, wenn ein Kinderspielplatz in unmittelbarer Nachbarschaft zu sensiblen Nutzungen wie Krankenhäusern oder Pflegeanstalten gelegen ist (BTDrucks 17/4836 S. 7).
Schon vor Einfügen der Privilegierungsregelung des § 22 Abs. 1a in das Bundes-Immissionsschutzgesetz entsprach es der Rechtslage, dass die Errichtung eines Kinderspielplatzes sowohl in reinen als auch in allgemeinen Wohngebieten grundsätzlich zulässig war. Nur in besonders gelagerten Einzelfällen konnten derartige Einrichtungen nach § 15 Abs. 1 Baunutzungsverordnung (BauNVO) unzulässig sein oder unterlagen - um Interessenskonflikte auszugleichen - Nutzungsbeschränkungen beispielsweise in zeitlicher Hinsicht. Dies zu beurteilen war regelmäßig Sache der Tatsachengerichte (Urteil vom 12. Dezember 1991 - BVerwG 4 C 5.88 - Buchholz 406.12 § 3 BauNVO Nr. 7 S. 4). Nichts anderes gilt in Bezug auf das Vorliegen von Ausnahmefällen nach der erfolgten Gesetzesergänzung. Auch die Frage, ob vom Betrieb eines Kinderspielplatzes herrührende Geräuscheinwirkungen über den Rahmen des Üblichen hinausgehen und damit nicht als Regelfall der Nutzung im Sinne von § 22 Abs. 1a BImSchG zu verstehen sind, kann nur auf der Grundlage einer abwägenden, die Umstände des konkreten Falles berücksichtigenden Beurteilung beantwortet werden. Eine derart wertende Gesamtschau entzieht sich daher einer rechtsgrundsätzlichen Klärung. Insoweit fehlt es an der Formulierung und Darlegung einer verallgemeinerungsfähigen konkreten Rechtsfrage, die in dem angestrebten Revisionsverfahren geklärt werden könnte (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 19. September 1991 - BVerwG 1 CB 24.91 - Buchholz 402.5 WaffG Nr. 60 S. 44 und vom 8. Oktober 2012 - BVerwG 1 B 18.12 - juris Rn. 4).
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WBRE410019604
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BVerwG
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7. Senat
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20130528
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7 B 39/12
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Beschluss
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§ 132 Abs 2 Nr 2 VwGO
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vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 19. Juni 2012, Az: 22 A 11.40018, Urteil
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DEU
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Abweichungsrüge; unrichtige oder unterlassene Anwendung der vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Rechtssätze
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I.
Die Kläger wenden sich gegen den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten, der die Erneuerung eines ca. 4,0 km langen Abschnitts der bestehenden 220/380-kV-Leitung D. - N., Anlage 0329, zum Gegenstand hat. Mit diesem Vorhaben soll u.a. der Stromkreis der Anlage durchgehend auf 380 kV umgestellt werden; um zwischen Mast Nr. 27 A und Mast Nr. 32 A von der nach Süden unmittelbar angrenzenden Bebauung abzurücken, wird in diesem Bereich die Trassenführung um ca. 200 m nach Norden verschwenkt (sog. Grüne Trasse).
Der Kläger zu 1 ist Pächter einer Teilfläche des Grundstücks Flur Nr. ... der Gemarkung F.; die dort bestehende Sportanlage wird aufgrund der veränderten Trassenführung der Hochspannungsfreileitung nunmehr überspannt. Er erhob gegen die ausgelegten Pläne Einwendungen: Durch die Trassenverschiebung werde die Sportausübung massiv gefährdet. Die Abstrahlungen der Hochspannungsfreileitung würden insbesondere Kinder, die dort zwei- bis dreimal in der Woche mehrere Stunden lang Sport trieben, in ihrer Gesundheit gefährden.
Die Klägerin zu 2 ist Eigentümerin des landwirtschaftlich genutzten Grundstücks Flur Nr. ... der Gemarkung G., das aufgrund der geänderten Trassenführung in voller Länge überspannt wird und an dessen westlicher Grenze der Mast Nr. 31 B zur Ausführung gelangen soll. Sie wandte ein, dass das Vorhaben zu einem merklichen Wertverlust des genannten Grundstücks und des ebenfalls in ihrem Eigentum stehenden schon bisher in halber Länge überspannten Flurstücks ... führen würde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die gegen den Planfeststellungsbeschluss erhobenen Klagen abgewiesen. Bei der Entscheidung für die planfestgestellte Trasse habe berücksichtigt werden dürfen, dass hierdurch Menschen, die bisher in nahe an die Stromleitung angrenzenden Baugebieten wohnten und arbeiteten, durch elektromagnetische Felder geringer beeinträchtigt würden; dies gelte ungeachtet der Tatsache, dass dort auch bei Beibehaltung der bisherigen Trasse Überschreitungen der Grenzwerte des § 3 der 26. BImSchV nicht zu besorgen seien. Denn anders als auf dem nunmehr überspannten Sportplatzgelände hielten sich Menschen dort nicht nur vorübergehend auf. Nicht zu beanstanden sei auch, dass in die Trassenauswahlentscheidung städtebauliche Entwicklungsabsichten der Stadt S. Eingang gefunden hätten. Die Beeinträchtigung landwirtschaftlich genutzter Grundstücke durch eine Überspannung mit Stromleitungen sei nur geringfügig und habe daher keine besondere Beachtung finden müssen. Eine weitere Verschiebung der Trasse nach Norden (sog. Blaue Trasse) sei aus Kostengründen rechtsfehlerfrei abgelehnt worden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen; hiergegen wenden sich die Beschwerden der Kläger.
II.
Die Beschwerden sind unzulässig und daher zu verwerfen. Die mit ihnen geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der Abweichung des angefochtenen Urteils von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind nicht ordnungsgemäß dargelegt.
1. Die Divergenzrügen genügen nicht den formellen Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Eine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist nur dann gegeben, wenn das Tatsachengericht sich in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz in Widerspruch gesetzt hat zu einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz. Um dem Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO zu genügen, muss der Zulassungsgrund in der Beschwerdebegründung durch Angabe der höchstrichterlichen Entscheidungen, von denen das Tatsachengericht abgewichen sein soll, und durch Darlegung der als solche miteinander in unmittelbarem Widerspruch stehenden, entscheidungstragenden Rechtssätze bezeichnet werden (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 9 S. 14 und vom 14. Februar 1997 - BVerwG 1 B 3.97 - juris Rn. 3). Daran fehlt es hier.
Die Beschwerden nennen unter den Punkten "Schreiben der Stadt S. vom 6. Mai 2009", "Vorbelastung" und "Abwägungsergebnis" zwar zahlreiche Urteile und Beschlüsse der Fachplanungssenate des Bundesverwaltungsgerichts, zeigen aber in Bezug auf keine dieser Entscheidungen auf, inwiefern der Verwaltungsgerichtshof Rechtssätze aufgestellt haben soll, die von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweichen. Die Beschwerden machen nicht geltend, dass die Vorinstanz die Rechtsauffassung, die den von ihnen zitierten Entscheidungen zu Grunde liegt, als solche in Abrede gestellt habe. Vielmehr bringen sie in Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils nach Art eines zulassungsfreien oder zugelassenen Rechtsmittels zum Ausdruck, dass der Verwaltungsgerichtshof aus den Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit den von ihnen angesprochenen Fragenkreisen formuliert hat, nicht die rechtlichen Folgerungen gezogen habe, die nach ihrer Einschätzung geboten gewesen wären. Die bloß unrichtige oder die unterlassene Anwendung vom Bundesverwaltungsgericht entwickelter Rechtsgrundsätze bedeutet für sich genommen indes noch keine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 4 B 280.95 - juris Rn. 2 f. und vom 17. Januar 1995 - BVerwG 6 B 39.94 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 342 = juris Rn. 1 f.). Diese Regelung dient vor allem der Wahrung der Einheit der Rechtsprechung. Dieser Zweck wird nur gefährdet, wenn der Tatrichter dem Bundesverwaltungsgericht in einer abstrakten Rechtsfrage die Gefolgschaft verweigert, nicht dagegen, wenn er einen höchstrichterlichen Rechtssatz, den er grundsätzlich akzeptiert, falsch auf den Einzelfall anwendet oder übergeht.
2. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt in diesem Zusammenhang die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll (Beschlüsse vom 14. Februar 1997 a.a.O. Rn. 5 und vom 6. Juni 2012 - BVerwG 7 B 68.11 - UPR 2013, 107 m.w.N.). Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann (Beschluss vom 8. Oktober 2012 - BVerwG 1 B 18.12 - juris Rn. 2 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügen die Beschwerdebegründungen nicht. Die Beschwerden benennen lediglich vier bzw. drei für das streitgegenständliche Verfahren erhebliche Rechtsfragen, ohne aber über den Einzelfallbezug hinaus nur ansatzweise darzulegen, dass und warum diese Fragen revisionsgerichtlich geklärt werden müssten.
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BMJV
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BVerwG
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7. Senat
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20130527
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7 B 30/12
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Beschluss
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§ 4 Abs 1 PresseG NW, § 2 Abs 1 S 1 InfFrG NW, Art 5 Abs 1 S 2 GG, § 55a WDRG NW
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 9. Februar 2012, Az: 5 A 166/10, Urteil
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DEU
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Informationszugang; öffentlich-rechtlicher Rundfunk; Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit durch den Gesetzgeber; Schutzbereich der Rundfunkfreiheit
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I.
Der Kläger, ein freier Journalist, begehrt von der beklagten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt im Einzelnen spezifiziert Auskunft über die Auftragsvergabe "im nicht journalistisch-redaktionellen Bereich" an bestimmte Unternehmen und Personen. Das Verwaltungsgericht wies die sowohl auf das Presserecht als auch auf das Informationsfreiheitsrecht gestützte Klage ab. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht das erstinstanzliche Urteil geändert. In Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht hat es zwar den Auskunftsanspruch nach § 4 Abs. 1 des Pressegesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen - PresseG NRW - verneint, einen Anspruch auf Neubescheidung des Auskunftsbegehrens auf der Grundlage von § 4 des Gesetzes über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land Nordrhein-Westfalen (Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen - IFG NRW -) in Verbindung mit § 55a des Gesetzes über den Westdeutschen Rundfunk - WDRG - aber bejaht: Dem Informationsanspruch stehe die Subsidiaritätsklausel des § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW nicht entgegen. Der Beklagte sei informationspflichtig. Er sei eine öffentliche Stelle im Sinne von § 2 Abs. 1 IFG NRW; im Zusammenhang mit einer Auftragsvergabe übe er Verwaltungstätigkeit im Sinne dieser Vorschrift aus. Der weit auszulegende Begriff umfasse im Sinne des formellen Verwaltungsbegriffs die gesamte Tätigkeit der Exekutive sowie die Verwaltung im materiellen Sinne. Hierunter falle zunächst die gesamte Tätigkeit des Beklagten, dem die öffentliche Aufgabe übertragen sei, die unerlässliche Grundversorgung der Bevölkerung mit Rundfunkprogrammen sicherzustellen. Der Auskunftsanspruch scheide nicht deshalb aus, weil der Beklagte selbst Träger des Grundrechts der Rundfunkfreiheit sei. Denn der Gesetzgeber habe die Rundfunkfreiheit mit der Einräumung des eingeschränkten Informationsanspruchs, der den journalistisch-redaktionellen Bereich ausnehme, unter Beachtung der Rundfunkautonomie verfassungskonform ausgestaltet. Vom geschützten journalistisch-redaktionellen Bereich ließen sich andere Bereiche abgrenzen, die in keinem inhaltlichen Zusammenhang mit der Erfüllung der Programmgestaltung und -produktion stünden. Mit der Forderung nach größerer Transparenz sei kein unzulässiger Eingriff in den publizistischen Wettbewerb verbunden. Auch werde die Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch die sachlich begrenzte Eröffnung des Informationszugangs nicht gefährdet. Die Beklagte habe aber zu prüfen, ob dem Auskunftsanspruch die Ablehnungsgründe nach § 8 IFG NRW (Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen) und § 9 IFG NRW (Schutz personenbezogener Daten) entgegenstünden.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beklagten.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Vorbringen des Beklagten führt auf keinen der in Anspruch genommenen Zulassungsgründe.
1. Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten und deren Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (Beschlüsse vom 21. Juni 1995 - BVerwG 8 B 61.95 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 18, vom 13. Juli 1999 - BVerwG 8 B 166.99 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 9 und vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26). Mangels Identität von Rechtsfrage und von Rechtsnorm bleibt demnach die Divergenzrüge erfolglos, wenn die als abweichend gerügte Entscheidung - wie hier mit § 2 Abs. 1 IFG NRW - eine Vorschrift des nicht revisiblen Rechts betrifft (Beschlüsse vom 16. Februar 1976 - BVerwG 7 B 18.76 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 143 und vom 4. Februar 1999 - BVerwG 6 B 131.98 - Buchholz 251.8 § 94 RhPPersVG Nr. 1). Der Einwand der Beklagten, dass die Aussagen in den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts, von denen das Oberverwaltungsgericht abgewichen sei, aus dem Grundrecht der Rundfunkfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG abzuleiten und deswegen auch für die Auslegung des Landesrechts maßgeblich seien, verfängt nicht. Damit macht der Beklagte geltend, dass das Oberwaltungsgericht bei der Anwendung des irrevisiblen Landesrechts bundesverfassungsrechtliche Vorgaben nicht beachtet habe. Mit der - vermeintlich - fehlerhaften Anwendung bzw. unzureichenden Beachtung von Rechtssätzen, die sich auf höherrangiges Recht beziehen, wird eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO indessen nicht dargetan (Beschluss vom 19. August 1997 a.a.O.).
2. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. Der Beklagte legt nicht dar, dass diese Voraussetzungen in Bezug auf die von ihm ausdrücklich bzw. der Sache nach aufgeworfenen Fragen gegeben sind.
Der Beklagte macht geltend, dass die landesrechtlichen Vorschriften über den Informationszugang gegenüber dem Beklagten den Schutzwirkungen des Grundrechts der Rundfunkfreiheit nicht genügten. Die Rüge der Nichtbeachtung von Bundesrecht bei der Auslegung und Anwendung von Landesrecht vermag eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision aber nur dann zu begründen, wenn die Auslegung der - gegenüber dem Landesrecht als korrigierender Maßstab angeführten - bundesrechtlichen Normen ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (s. etwa Beschlüsse vom 15. Dezember 1989 - BVerwG 7 B 177.89 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 277, vom 30. Juni 2003 - BVerwG 4 B 35.03 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 26 und vom 17. März 2008 - BVerwG 6 B 7.08 - Buchholz 451.20 § 12 GewO Nr. 1). Das zeigt die Beschwerde nicht auf.
a) Die Frage,
ob es mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar ist, dass die gesamte Tätigkeit einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt einschließlich namentlich der Vergabe von Aufträgen, die eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt für erforderlich hält, um ihren gesetzlichen Aufgaben nachzukommen, in einer eine Auskunftsverpflichtung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt begründenden Weise als staatliche Verwaltungstätigkeit rechtlich eingeordnet wird,
rechtfertigt die Zulassung der Revision schon deswegen nicht, weil sie so nicht entscheidungserheblich ist. Denn das Oberverwaltungsgericht hat den Beklagten nach Maßgabe des § 55a WDRG lediglich in einem Teil seines Tätigkeitsbereichs und somit als - vorbehaltlich der Prüfung von Weigerungsgründen dem Grunde nach - partiell informationspflichtig angesehen.
Aber selbst wenn die Frage auf ihren entscheidungserheblichen Kern zurückgeführt würde, wäre damit eine Grundsatzfrage revisiblen Rechts nicht dargetan. Die Beschwerde zielt insoweit auf die zutreffende Auslegung des Begriffs der Verwaltungstätigkeit in § 2 Abs. 1 Satz 1 IFG NRW. An bundesrechtlichen Vorgaben muss sich indessen nur die Informationspflicht der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt als solche, nicht aber die Auslegung einzelner im Landesrecht aufgeführter tatbestandlicher Voraussetzungen dieser Pflicht messen lassen. Auf die Einordnung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in allgemeine staatsorganisationsrechtliche Kategorien kommt es folglich hier nicht an (siehe hierzu auch BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 20. Juli 1988 - 1 BvR 155/85 u.a. - NJW 1989, 382 und vom 15. Dezember 2003 - 1 BvR 2378/03 - NVwZ 2004, 472; Schoch, AfP 2010, 313 <317>).
b) Mit der Frage,
ob es sich im Rahmen der gesetzgeberischen Befugnis zur Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG hält, Dritten Auskunftsansprüche gegenüber öffentlich-rechtlich Rundfunkanstalten einzuräumen,
wird ein Klärungsbedarf ebenso wenig aufgezeigt. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die Voraussetzungen, unter denen der (Landes-)Gesetzgeber seine Ausgestaltungsbefugnis in Anspruch nehmen darf, bereits geklärt.
Die Rundfunkfreiheit bedarf als der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung dienende Freiheit der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG enthält einen Auftrag zur Gewährleistung der Rundfunkfreiheit, der auf eine Ordnung zielt, die durch materielle, organisatorische und Verfahrensregelungen sicherstellt, dass die Vielfalt der bestehenden Meinungen im Rundfunk in möglichster Breite und Vollständigkeit Ausdruck findet. Danach muss sich die Ausgestaltung des Rundfunks am Ziel der Gewährleistung einer freien, umfassenden und wahrheitsgemäßen individuellen und öffentlichen Meinungsbildung orientieren. Kommunikations- und rundfunkbezogene Vorschriften, die den rechtlichen Rahmen der Rundfunkfreiheit regeln, sind am Maßstab des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gemessen nicht zu beanstanden, wenn sie geeignet sind, das Ziel der Rundfunkfreiheit zu fördern, und die von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Interessen angemessen berücksichtigen (BVerfG, Urteile vom 16. Juni 1981 - 1 BvL 89/78 - BVerfGE 57, 295 <319 f.>; vom 4. November 1986 - 1 BvF 1/84 - BVerfGE 73, 118 <166>; Beschluss vom 26. Februar 1997 - 1 BvR 2172/96 - BVerfGE 95, 220 <235> und Urteil vom 12. März 2008 - 2 BvF 4/03 - BVerfGE 121, 30 <51, 59>).
Danach ist zur Unterscheidung zwischen Ausgestaltungen und Beschränkungen der Rundfunkfreiheit auf den Regelungszweck abzustellen. Die Ausgestaltung darf allein auf die Sicherung der Rundfunkfreiheit gerichtet sein. Gesetzliche Regelungen sind nur dann der Ausgestaltung zuzuordnen, wenn sie dazu dienen, dass der Rundfunk seine verfassungsrechtliche Aufgabe erfüllen kann. Demgegenüber setzen Eingriffsregelungen der Rundfunkfreiheit im Interesse anderer Rechtsgüter Schranken und verfolgen insofern den Schutz externer Zwecke.
Ob das angefochtene Urteil die Regelung in § 55a WDRG gemessen an diesen Vorgaben unzutreffend eingeordnet hat, ist für die Frage der Zulassung der Revision ohne Bedeutung.
c) Die Frage,
ob es mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar ist, Dritten Auskunftsansprüche gegenüber öffentlich-rechtlich Rundfunkanstalten einzuräumen,
genügt ebenso wenig den Anforderungen an die Darlegung einer Grundsatzbedeutung. Denn insoweit werden klärungsbedürftige Fragen der bundesverfassungsrechtlichen Maßstabsnorm nicht ansatzweise aufgezeigt.
d) Die im Anschluss hieran mit dem Ziel der gebotenen Präzisierung der bundesrechtlichen Vorgaben formulierte Frage nach dem Umfang des Schutzbereichs der Rundfunkfreiheit, nämlich
ob sich der Schutzbereich der Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG auf den Schutz des Redaktionsgeheimnisses und das Verbot der inhaltlichen Einflussnahme auf das Programm beschränkt oder ob der Grundrechtsschutz aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG auch die Organisation der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wie zum Beispiel programmfernere Fragen der finanziellen und frequenztechnischen Ausstattung, der internen Verfahrensabläufe und der Beschaffung umfasst,
rechtfertigt ebenso wenig die Zulassung der Revision. Der erforderliche Klärungsbedarf ist nicht ersichtlich. Vielmehr ist der Schutzbereich der Rundfunkfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - jedenfalls soweit hier entscheidungserheblich - hinreichend geklärt.
Die Rundfunkfreiheit ist in ihrem Kern Programmfreiheit. Diese Programmautonomie umfasst Auswahl, Inhalt und Ausgestaltung des Programms, die Sache des Veranstalters unter Abwehr nicht nur staatlicher, sondern jeder fremden Einflussnahme sein müssen (BVerfG, Beschluss vom 13. Januar 1982 - 1 BvR 848/77 u.a. - BVerfGE 59, 231 <258>). Geschützt sind alle Phasen der Entstehung und Vorbereitung des Programms bis zur Verbreitung der Nachricht und Meinung und damit alle Tätigkeiten und Verhaltensweisen, die zur Gewinnung und rundfunkspezifischen Verbreitung von Nachrichten und Meinungen im weitesten Sinne gehören (stRspr, BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 1994 - 1 BvR 1595, 1606/92 - BVerfGE 91, 125 <134 f.>; Urteil vom 24. Januar 2001 - 1 BvR 2623/95, 622/99 - BVerfGE 103, 44 <59>; Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 620/07 - BVerfGE 119, 309 <318>; Urteil vom 12. März 2008 a.a.O. S. 58). Sie gewährleistet den Schutz der redaktionellen Arbeit, etwa auch durch Zeugnisverweigerungsrechte, Durchsuchungs- und Beschlagnahmeverbote. Voraussetzungen und Hilfstätigkeiten, ohne die der Rundfunk seine Funktion nicht in angemessener Weise erfüllen kann, werden ebenfalls geschützt (BVerfG, Urteil vom 12. März 2003 - 1 BvR 330/96, 348/99 - BVerfGE 107, 299 <309 f.>). In den Schutzbereich der Rundfunkfreiheit fallen schließlich auch die Organisation und die Finanzierung des Rundfunkbetriebs, soweit sie Rückwirkungen auf die Programmtätigkeit haben können (BVerfG, Beschluss vom 13. Januar 1982 a.a.O. S. 259 f.; Urteil vom 5. Februar 1991 - 1 BvF 1/85, 1/88 - BVerfGE 83, 238 <310 f.>; Beschluss vom 5. Oktober 1993 - 1 BvL 35/81 - BVerfGE 89, 144 <153>; Urteil vom 22. Februar 1994 - 1 BvL 30/88 - BVerfGE 90, 60 <88>).
Hieraus folgt, dass der Schutzbereich am Programmbezug der jeweiligen Tätigkeiten ausgerichtet ist; diese müssen zur inhaltlichen Gestaltung des Rundfunks beitragen. Von einem Schutz, der undifferenziert die gesamte Tätigkeit einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt umfasst, geht die Rechtsprechung nicht aus. Gegenteiliges folgt insbesondere nicht aus der Entscheidung zur Konkursunfähigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten; denn dort hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich auf die Möglichkeit einer unzulässigen Einflussnahme des Konkursverwalters auf das Programm abgestellt (Beschluss vom 5. Oktober 1993 a.a.O. S. 153).
e) Schließlich verhilft auch die Frage,
ob es mit der materiell-rechtlichen und der verfahrensrechtlichen Garantie der Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar ist, dass Tätigkeiten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auskunftspflichtig sein sollen, die nicht dem journalistisch-redaktionellen Bereich zuzurechnen sind,
der Beschwerde nicht zum Erfolg. Nach Ansicht des Beklagten gibt es zur Unterscheidung zwischen auskunftspflichtigen und nicht auskunftspflichtigen Tätigkeitsfeldern nach Maßgabe des "journalistisch-redaktionellen Bereichs" keine operationalisierbare Grenzziehung, die eine praktikable und rechtssichere Rechtsanwendung ermöglicht.
In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist indessen - wie oben ausgeführt - geklärt, dass der Schutzbereich der Rundfunkfreiheit auf die Sicherung der besonderen Aufgabe der Rundfunkveranstalter ausgerichtet und folglich programmbezogen zu bestimmen ist. Auf der Grundlage dieses nicht institutions- sondern funktionsbezogenen Ansatzes geht die Rechtsprechung davon aus, dass innerhalb des Handelns einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt verschiedene Bereiche unterscheidbar und abzugrenzen sind (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 13. Januar 1982 a.a.O. S. 260 f.). Dass es bei dieser Unterscheidung neben wohl eindeutigen Fallgestaltungen wie etwa der von der Vergaberichtlinie erfassten Gebäudereinigung (siehe EuGH, Urteil vom 13. Dezember 2007 - Rs. C-337/06, Bayerischer Rundfunk u.a./GEWA - Slg. 2007, I-11173; dazu Degenhart, HGR IV, 2011, § 105 Rn. 57) auch Grenzfälle gibt, die im Hinblick auf die Gefahr einer mittelbaren Beeinträchtigung der Programmfreiheit näherer Untersuchung bedürfen, stellt den - auch vom Gesetzgeber in § 55a WDRG verfolgten - Ansatz einer Unterscheidbarkeit nicht in Frage. Welche Tätigkeitsfelder im Einzelnen den spezifischen Programmbezug aufweisen, ist eine Frage, die nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise, sondern nur unter Würdigung auch der Umstände des Einzelfalles zu entscheiden ist und deswegen einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019606
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BVerwG
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7. Senat
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20130528
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7 B 46/12
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Beschluss
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§ 132 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 86 Abs 1 VwGO, § 3 EBKrG, § 13 EBKrG, § 11 Abs 6 EBO
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern, 12. September 2012, Az: 1 L 62/08, Urteil
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DEU
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Kostentragung bei Ausbau eines Bahnübergangs; Sachverhaltsaufklärung; Substantiierungsgebot
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I.
Die Klägerin hat eine noch von der ehemaligen Deutschen Reichsbahn der DDR errichtete Sicherungsanlage an einem Bahnübergang einer Gemeindestraße durch eine neue Anlage ersetzt, die auch mit einem neu errichteten elektronischen Stellwerk kompatibel ist. Sie fordert von der straßenbaulastpflichtigen Beklagten auf der Grundlage von §§ 3, 13 des Gesetzes über Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen - Eisenbahnkreuzungsgesetz (EKrG) - eine Kostenbeteiligung in Höhe von einem Drittel des aufgewendeten Betrags. Das Oberverwaltungsgericht hat im Berufungsrechtszug der Klage mit Ausnahme eines Teils der Zinsforderung stattgegeben: Die Anspruchsvoraussetzungen nach § 3 EKrG lägen vor. Die Sicherheit des Verkehrs erfordere eine Baumaßnahme, wenn zusätzliche Anforderungen erfüllt werden sollten, die dem heute üblichen Standard entsprechen. Das zuvor installierte Blinklicht habe § 11 Abs. 6 EBO nicht genügt. Die Kosten des Umbaus seien in voller Höhe erstattungsfähig. Ein kostengünstigeres Verfahren sei nicht ersichtlich. Die Klägerin sei auch nicht verpflichtet gewesen, ein kostengünstigeres technisches Verfahren erst zu entwickeln. Der Senat habe auch keinen hinreichenden Anlass anzunehmen, dass die Errichtung der neuen Anlage durch den gleichzeitig erfolgten Neubau des Stellwerks teurer ausgefallen sei als bei Beibehaltung der bisherigen mechanischen Technik.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beklagten.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Revision ist nicht wegen des geltend gemachten Verfahrensfehlers zuzulassen. Ein Verfahrensmangel ist im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nur dann bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird. Dem wird das Vorbringen der Beklagten nicht gerecht.
1. Zur Darlegung eines Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) muss substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärungspflicht getroffen worden wären. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht insbesondere durch die Stellung eines unbedingten Beweisantrags oder zumindest durch eine bloße Beweisanregung in Gestalt eines sogenannten Hilfsbeweisantrags auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben gerügt wird, hingewirkt worden ist und die Ablehnung der Beweiserhebung im Prozessrecht keine Stütze findet, oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. zuletzt Beschlüsse vom 15. Februar 2013 - BVerwG 8 B 58.12 - juris Rn. 23, vom 17. Januar 2013 - BVerwG 7 B 18.12 - juris Rn. 15, vom 24. September 2012 - BVerwG 5 B 30.12 - juris Rn. 4, vom 20. Dezember 2011 - BVerwG 7 B 43.11 - Buchholz 445.4 § 58 WHG Nr. 1 Rn. 20, vom 19. Oktober 2011 - BVerwG 8 B 37.11 - ZOV 2011, 264 <juris Rn. 13> und vom 19. August 2010 - BVerwG 10 B 22.10 - juris Rn. 10).
2. Das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass ein kostengünstigeres Verfahren zu der im Interesse der Verkehrssicherheit erforderlichen Anpassung der Bahnübergangssicherungsanlage nicht gegeben sei. Den Vortrag der Beklagten zu einer Möglichkeit, die Regelungstechnik der alten Anlage den Sicherheitsanforderungen anzupassen, hat es mangels weiterer Ausführungen als spekulativ bezeichnet. Damit hat das Oberverwaltungsgericht der Sache nach darauf abgestellt, dass es das bereits mit Schriftsatz vom 28. August 2012 unterbreitete und in der mündlichen Verhandlung wiederholte Beweisangebot der Beklagten insoweit für unsubstantiiert erachtet hat. Dieser Einwand rechtfertigt es grundsätzlich, von weiterer Sachverhaltsaufklärung abzusehen (stRspr, Beschluss vom 29. März 1995 - BVerwG 11 B 21.95 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 266). Die Beklagte zeigt nicht auf, dass dieser Ablehnungsgrund hier nicht trägt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Substantiierungsanforderungen, die sich auch nach der konkreten prozessualen Situation richten, nicht überspannt.
Die gebotene Substantiierung erschöpft sich nicht in der Nennung eines bestimmten Beweismittels und der Behauptung einer bestimmten Tatsache, die das Beweisthema bezeichnet. Vielmehr verlangt das Substantiierungsgebot, dass die Tatsache vom Beteiligten mit einem gewissen Maß an Bestimmtheit als wahr und mit dem angegebenen Beweismittel beweisbar behauptet wird (Beschluss vom 2. November 2007 - BVerwG 7 BN 3.07 - juris Rn. 5). Der Beteiligte darf sich insoweit zwar insbesondere dann mit einer Vermutung begnügen, wenn die zu beweisenden Tatsachen nicht in seinen eigenen Erkenntnisbereich fallen (Beschluss vom 19. Oktober 2011 - BVerwG 8 B 37.11 - ZOV 2011, 264 = <juris Rn. 13>). Auch setzt ein Antrag auf Sachverständigenbeweis nicht voraus, dass einzelne konkrete Tatsachen in das Wissen der auskunftgebenden Stellen gestellt werden, da der Sachverständige sein Gutachten über das Beweisthema gegebenenfalls aufgrund eigener Tatsachenermittlungen zu erstatten hat (Beschluss vom 27. März 2000 - BVerwG 9 B 518.99 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60). Wenn die Gegenseite der Vermutung aber mit einer plausiblen Erklärung entgegengetreten ist, darf diese nicht einfach ignoriert werden. Der Beteiligte muss sich damit auseinandersetzen und greifbare Anhaltspunkte benennen, die für seine Vermutung oder gegen die Erklärung der Gegenseite sprechen. Einer ohne Auseinandersetzung mit den Gegenargumenten "ins Blaue hinein" aufrechterhaltenen Behauptung braucht das Gericht nicht nachzugehen (Beschluss vom 25. Januar 1988 - BVerwG 7 CB 81.87 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 196 S. 14 = <juris Rn. 11>).
Hiernach musste das Oberverwaltungsgericht das Vorbringen der Beklagten nicht zum Anlass für eine weitere Sachaufklärung nehmen. Das Oberverwaltungsgericht hat auf eine Stellungnahme des Eisenbahn-Bundesamts vom 1. Juli 2008 verwiesen. Danach waren zwei Unternehmen für sogenannte Nachrüstsätze für die auch am betroffenen Bahnübergang verwendete Sicherungsanlage der Bauart HS/HL 64b in den Jahren 1998 und 2001 Serienzulassungen erteilt worden. An mehrgleisigen Strecken seien die Umrüstungen wegen der dann nicht mehr gewährleisteten Mindesträumzeit bereits aufgrund eines Erlasses vom August 2001 bauaufsichtlich nicht mehr freigegeben worden (siehe Schreiben des EBA vom 28. August 2001). Die folglich erforderliche Weiterentwicklung der Nachrüstsätze sei nicht mehr vorgenommen worden. Die Beklagte trägt hierzu der Sache nach vor, dass der beanstandete sicherheitstechnische Unterschied von geringem Ausmaß und deswegen wohl behebbar gewesen sei. Sie zeigt indessen keinerlei Anhaltspunkte dafür auf, dass ungeachtet der Auskunft der zuständigen Aufsichtsbehörde eine genehmigungsfähige Umrüstungstechnik am Markt tatsächlich verfügbar gewesen sein könnte. Dafür ist vielmehr nichts ersichtlich. Denn ohne behördliche Zulassung, für die allein das Eisenbahn-Bundesamt zuständig ist, wäre eine gegebenenfalls kostspielige technische Entwicklung wirtschaftlich wertlos.
Vor diesem Hintergrund zielt das Vorbringen der Beklagten angesichts der im Schreiben des Eisenbahn-Bundesamts vom 28. August 2001 geäußerten Bitte um Prüfung, ob eine Ergänzung der für mehrgleisige Strecken unzureichenden Umrüstung der Anlagen technisch möglich sei, darauf ab, dass die Klägerin ein solches Verfahren selbst hätte entwickeln (lassen) müssen. Das Oberverwaltungsgericht ist indessen davon ausgegangen, dass die Klägerin hierzu nicht verpflichtet war. Dieser rechtliche Standpunkt des Oberverwaltungsgerichts ist allein maßgeblich für den Umfang der Aufklärungspflicht (stRspr, vgl. Urteil vom 14. Januar 1998 - BVerwG 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119> = Buchholz 451.171 § 7 AfG Nr. 5 S. 59).
3. Hinsichtlich der kostenmäßigen Auswirkungen der gleichzeitigen Inbetriebnahme des elektronischen Stellwerks dringt die Beklagte mit ihrer Aufklärungsrüge ebenso wenig durch. Auch insoweit hat das Oberverwaltungsgericht eine substantiierte Beweisanregung vermisst. Das hierauf bezogene Beschwerdevorbringen führt nicht zur Zulassung der Revision.
Das Oberverwaltungsgericht hat, wie oben dargelegt, verfahrensfehlerfrei festgestellt, dass es mangels einer genehmigungsfähigen Möglichkeit einer Umrüstung der bestehenden Sicherungsanlage eines vollständigen Neubaus bedurfte. Bei der Beantwortung der anschließenden, bereits vom Eisenbahn-Bundesamt mit Schreiben vom 1. Juli 2008 aufgeworfenen Frage, ob die Anbindung an das erneuerte Stellwerk zu nicht nach §§ 3, 13 EKrG umlagefähigen Zusatzkosten geführt habe, ist die Klägerin in ihren Erläuterungen im Schriftsatz vom 27. August 2012 - im Anschluss an die Ausführungen im Erläuterungsbericht des Eisenbahn-Bundesamts von 16. Januar 2004 (Ziff. 1.3) - offensichtlich davon ausgegangen, dass als Ersatz lediglich die Errichtung einer elektronischen Bahnübergangssicherungsanlage in Betracht gekommen sei. Nur über die Kosten der Anbindung einer technisch so ausgestatteten Anlage an das Stellwerk hat sie Ausführungen gemacht. Dass die Einbindung in ein mechanisches Stellwerk wegen der dann unterschiedlichen technischen Standards kostenaufwändiger ist, erscheint nachvollziehbar. Hiergegen bringt die Beklagte substantiiert nichts vor.
Allerdings mag fraglich erscheinen, ob die Klägerin mit ihrer Antwort - und im Anschluss daran das Oberverwaltungsgericht - insoweit dem eigentlichen Anliegen der Beklagten Rechnung getragen haben. Der schon im Schriftsatz vom 28. August 2012 formulierte Einwand könnte auch in Zweifel ziehen, dass die Ersetzung der alten Bahnübergangssicherungsanlage durch eine den nunmehr gültigen Sicherheitsanforderungen genügende, technisch aber dem bisherigen Standard - Betrieb mit Relaistechnik - entsprechende und mit der alten Stellwerktechnik kompatible Anlage dieselben Kosten verursacht hätte wie die nach dem neuen technischen Standard errichtete. Die Beklagte trägt indessen nicht vor, dass sie als Reaktion auf die schriftsätzlichen Einlassungen der Klägerin bereits in der mündlichen Verhandlung gegebenenfalls klarstellend auf dieses Verständnis hingewiesen hat; das ist auch sonst nicht ersichtlich. Ein solcher Einwand, der auch dem Vorbringen im Beschwerdeverfahren nur bei wohlwollender Auslegung entnommen werden kann, ist jedenfalls im jetzigen Verfahrensstand unbeachtlich. Denn die Verfahrensrüge ist auch insoweit kein Mittel, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren (stRspr, siehe etwa Beschluss vom 20. Dezember 2011 - BVerwG 7 B 43.11 - Buchholz 445.4 § 58 WHG Nr. 1 Rn. 26 m.w.N.).
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019607
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BVerwG
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9. Senat
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20130523
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9 B 45/12
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Beschluss
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§ 74 Abs 1 VwVfG, § 75 Abs 1 VwVfG, § 41 Abs 2 StVO
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vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 9. August 2012, Az: 8 A 11.40036, Urteil
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DEU
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Plangenehmigung zur Vorbereitung einer temporären Freigabe eines Seitenstreifens als Fahrstreifen
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Die auf alle Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die von der Beschwerde als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichneten Fragen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) führen nicht zur Zulassung der Revision.
a) Die Frage,
"ob entgegen der Konzentrationswirkung der §§ 74 Abs. 1, 75 Abs. 1 Satz 1 VwVfG die erforderliche Regelung der Nutzung einer Straßenbaumaßnahme von der Genehmigung des Straßenbauvorhabens abgekoppelt und in einem gesonderten Verfahren geregelt werden darf",
rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, weil sie - jedenfalls soweit sie einer verallgemeinerbaren Antwort zugänglich ist - bereits auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantwortet werden kann. Danach kann aufgrund der formellen Konzentrationswirkung des Planfeststellungsbeschlusses nach § 75 Abs. 1 VwVfG, durch die die Zuständigkeitsgrenzen zwischen Straßenbau- und Straßenverkehrsbehörden überbrückt werden, je nach den Umständen des Einzelfalls im Planfeststellungsbeschluss auch über die Anordnung der zur Ausstattung der straßennotwendigen Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen zu entscheiden sein; denn neben der Planfeststellung entfallen alle nach anderen Vorschriften erforderlichen öffentlich-rechtlichen Genehmigungen, Erlaubnisse oder sonstige Hoheitsakte. Geboten ist eine solche Mitregelung im Planfeststellungsbeschluss insbesondere dann, wenn das Straßenbauvorhaben nur zusammen mit einer entsprechenden Beschilderung oder einer Lichtsignalanlage seiner baulichen Bestimmung gemäß sicher benutzt werden kann (Beschluss vom 7. Juli 2000 - BVerwG 4 B 94.99 - juris Rn. 17).
Hiervon ausgehend macht der Kläger zu Unrecht geltend, die temporäre Freigabe eines Seitenstreifens, die durch die streitige Plangenehmigung vom 8. Oktober 2010 vorbereitet werden soll, sei "nicht notwendige Folgemaßnahme des plangenehmigten Vorhabens, sondern Teil der funktionellen Einheit des plangenehmigten Vorhabens selbst" und hätte deshalb aufgrund der Konzentrationswirkung zwingend mitgeregelt werden müssen. Bei der Freigabe des Seitenstreifens als Fahrstreifen handelt es sich um eine zeitlich nachgelagerte straßenverkehrsrechtliche Anordnung nach § 41 Abs. 2 StVO (vgl. Zeichen 223.1 bis 223.3 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO), die nach den Feststellungen der Vorinstanz hier lediglich temporär (in Spitzenverkehrszeiten und zudem nur tagsüber) erfolgen soll und die für die sichere Benutzung der in Rede stehenden baulichen Anlagen (Beschleunigungs- und Verzögerungsstreifen sowie Haltebuchten) - anders als in dem soeben genannten Beispiel einer Beschilderung oder Beampelung - gerade nicht erforderlich ist.
b) Die des Weiteren vom Kläger als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage,
"ob die dauerhafte Umwandlung einer Standspur, die von den Hauptfahrspuren durch entsprechende Markierungen getrennt ist, in eine Hauptfahrbahn die Voraussetzungen einer Änderung einer Straße im Sinne von § 17 Satz 1 FStrG erfüllt und planfeststellungsbedürftig ist",
rechtfertigt mangels Entscheidungserheblichkeit ebenfalls nicht die Zulassung der Revision. Die Frage würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen, denn die vom Kläger angefochtene Plangenehmigung hat - wie unter a) ausgeführt - lediglich die Vorbereitung einer temporären Freigabe eines Seitenstreifens, nicht aber die dauerhafte Umwandlung einer Standspur in eine Hauptfahrbahn zum Gegenstand.
2. Auch die Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) bleibt ohne Erfolg.
Eine Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt nicht den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 m.w.N.).
Diese Darlegungsanforderungen erfüllt die Beschwerde, die sich auf eine Abweichung von dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Juli 2010 - BVerwG 9 B 103.09 - (Buchholz 316 § 75 VwVfG Nr. 35) beruft, nicht. Zwar benennt sie einen in dieser Entscheidung aufgestellten Rechtssatz ("Folgemaßnahmen sind zu treffen, um die Probleme zu lösen, die durch das Vorhaben für die Funktionsfähigkeit der anderen Anlagen (...) entstehen." Sie erkennt aber selbst, dass der Verwaltungsgerichtshof auf den genannten Beschluss ausdrücklich Bezug nimmt und dem dort aufgestellten Rechtssatz folgt. Soweit die Beschwerde dennoch kritisiert, das Gericht habe "die straßenverkehrsrechtliche Anordnung der Seitenstreifenfreigabe in der Plangenehmigung aber trotzdem nicht für erforderlich gehalten", sowie im Folgenden unter I.1.2 in der Art einer Revisionsbegründung Einzelheiten der gerichtlichen Bewertung des Lärmschutzgutachtens problematisiert, rügt sie letztlich die fehlerhafte Anwendung höchstrichterlicher Rechtsprechung auf den Einzelfall. Damit kann eine Divergenzrüge nicht begründet werden.
Hiervon unabhängig vermag aber auch die inhaltliche Kritik nicht zu überzeugen. Unterstellt man, dass es sich bei der temporären Seitenstreifenfreigabe um eine notwendige Folgemaßnahme handelt, was die Beschwerde jedenfalls im Zusammenhang mit der Divergenzrüge bejaht (anders allerdings im Zusammenhang mit der Grundsatzrüge, s.o.), dann ist eine Abweichung von dem Gebot, notwendige Folgemaßnahmen mitzuregeln, nicht erkennbar, denn das Gericht geht ausdrücklich davon aus, dass die Planfeststellungsbehörde die von der Seitenstreifenfreigabe ausgehenden Lärmbelastungen, wie es das Gebot der Konfliktbewältigung erfordere, untersucht und bei der Abwägung berücksichtigt habe (Urteil Rn. 29 f. und 32).
3. Schließlich greift auch die Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht durch.
Der Kläger rügt eine Verletzung des sogenannten Überzeugungsgrundsatzes (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Gegen diesen habe das Gericht dadurch verstoßen, dass es von einem falschen Sachverhalt ausgegangen sei. Es habe trotz der unmissverständlichen Formulierung in der Plangenehmigung, dass "die temporäre Freigabe der Seitenstreifen als Fahrstreifen nicht Gegenstand dieses Plangenehmigungsverfahrens" sei (vgl. Plangenehmigung vom 8. Oktober 2010, S. 19 Mitte), angenommen, die Beschränkung der Seitenstreifenfreigabe auf die Tageszeit sei rechtsverbindlicher Inhalt der Plangenehmigung (Urteil Rn. 31).
Damit ist eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes nicht dargetan. Zwischen der Feststellung des Verwaltungsgerichtshofs und der zitierten Passage in der Plangenehmigung besteht kein offensichtlicher Widerspruch. Letztere stellt lediglich den Regelungsumfang der Genehmigung klar; dieser umfasst allein die baulichen Maßnahmen, die sich aus dem Tenor der Plangenehmigung (A 1.) ergeben, nicht aber die temporäre Seitenstreifenfreigabe als solche, die mit den baulichen Maßnahmen lediglich vorbereitet werden soll (vgl. auch Ziff. C 2.3.2. = Seite 24 unten der Plangenehmigung). Diesem Regelungsumfang der Plangenehmigung widerspricht die Annahme des Gerichts nicht, die Beschränkung der Seitenstreifenfreigabe auf die Tageszeit sei rechtsverbindlicher Inhalt der Plangenehmigung geworden. Vielmehr hat das Gericht, ausgehend von seiner Rechtsauffassung, bei der Seitenstreifenfreigabe handele es sich um eine notwendige Folgemaßnahme, die die Planfeststellungsbehörde wegen des Gebots der Konfliktbewältigung bei der Abwägung habe mitberücksichtigen müssen, konsequenterweise geprüft, ob die durch die Seitenstreifenfreigabe hervorgerufenen Lärmbelastungen mit in den Blick genommen worden sind (vgl. Urteil Rn. 29). Dies hat es bejaht und in diesem Zusammenhang festgestellt, dass die Beschränkung der Seitenstreifenfreigabe auf die Tageszeit ausweislich des Erläuterungsberichts, der zum Bestandteil der Genehmigung gehöre, rechtsverbindlicher Inhalt der Plangenehmigung geworden sei (Urteil Rn. 31). Das bedeutet, dass die Plangenehmigung die straßenverkehrsrechtliche Anordnung der Seitenstreifenfreigabe zwar nicht bereits einschließt, ihr aber die zeitliche Beschränkung verbindlich vorgibt.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019608
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BVerwG
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9. Senat
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20130523
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9 B 46/12
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Beschluss
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§ 82 Abs 1 S 1 VwGO, § 82 Abs 1 S 2 VwGO, § 86 Abs 3 VwGO
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vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 9. August 2012, Az: 8 A 10.40050, Urteil
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DEU
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Formelle Anforderungen der Klage; Erfordernis eines bestimmten Klageantrags; Hinweispflicht des Gerichts
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Die auf alle Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage mit mehreren selbstständig tragenden Erwägungen abgewiesen: Sie sei wegen nicht hinreichender Bestimmtheit des Klageantrags sowie wegen fehlender Klagebefugnis unzulässig, darüber hinaus sei sie aus verschiedenen Gründen unbegründet. Bei einer solchen Mehrfachbegründung kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (stRspr, vgl. Beschluss vom 8. August 2008 - BVerwG 9 B 31.08 - Buchholz 310 § 137 Abs. 1 VwGO Nr. 33 S. 8). Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor. Denn bereits mit der gegen die erste Begründung gerichteten Verfahrensrüge dringt die Klägerin nicht durch. Auf die weiteren (Grundsatz- und Divergenz-)Rügen, die sich auf die anderen tragenden Erwägungen beziehen, kommt es mithin nicht mehr an.
Die Klägerin wendet sich erfolglos mit der Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gegen die Abweisung der Klage als unzulässig wegen Unbestimmtheit des Klageantrags.
Ein Verfahrensmangel ist nicht darin zu sehen, dass eine Anordnung nach § 82 Abs. 2 Satz 1 VwGO unterblieben ist. Danach hat der Vorsitzende oder der Berichterstatter den Kläger zu der erforderlichen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern, wenn die Klage den Anforderungen des § 82 Abs. 1 VwGO nicht entspricht. Die Ergänzungsaufforderung bezieht sich in erster Linie auf die in § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO enthaltenen Mindestangaben (Bezeichnung des Klägers, des Beklagten und des Gegenstands des Klagebegehrens); insoweit war die am 12. November 2010 zunächst nur fristwahrend und noch ohne Ankündigung eines bestimmten Antrags erhobene Klage jedoch nicht unvollständig. Sie genügte vielmehr den rein formellen Anforderungen. Weitergehende materiellrechtlich bedingte Ergänzungen hat die Vorschrift demgegenüber nicht im Blick (BVerfG, Beschluss vom 8. Mai 1991 - 2 BvR 170/85 - NVwZ 1992, 259 <260>). Im Übrigen wurde die Klägerin mit der Eingangsverfügung vom 18. November 2010 ausdrücklich darum gebeten, innerhalb der Frist des § 17e Abs. 5 FStrG einen Antrag zu stellen und diesen zu begründen.
Bei dem Erfordernis eines bestimmten Klageantrags nach § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO handelt es sich um eine Sollvorschrift. Der Antrag dient zunächst der Verdeutlichung des Klagebegehrens; er wird lediglich angekündigt und erst in der mündlichen Verhandlung gestellt (vgl. § 103 Abs. 3 VwGO). Insoweit genügt es, dass der Vorsitzende - jedenfalls in einfach gelagerten Fällen wie hier - spätestens in der mündlichen Verhandlung auf Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit des Antrags hinweist (vgl. zur Hinweispflicht § 86 Abs. 3 VwGO). Dies ist hier ausweislich der Niederschrift der mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß geschehen. Er musste die Klägerin insbesondere nicht bei der Formulierung des Klageantrags beraten, weil diese durch einen Rechtsanwalt vertreten war (vgl. BVerfG a.a.O.; BVerwG, Beschlüsse vom 14. Februar 1984 - BVerwG 3 B 111.81 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 34 und vom 21. März 1989 - BVerwG 2 B 27.89 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 38). Soweit die Klägerin bemängelt, ihr sei auf den erst in der mündlichen Verhandlung erfolgten Hinweis eine Bezeichnung der konkret zu schützenden Baugebiete "schlichtweg unmöglich" gewesen, kann dem schon deshalb nicht gefolgt werden, weil die drei betroffenen Gemeindeteile bereits in der Klagebegründung vom 30. Dezember 2010 (S. 4) bezeichnet worden sind. Hiervon abgesehen hätte es ihr freigestanden, um eine Bedenkzeit zur Klarstellung des Antrags zu bitten. Sie hat indessen noch nicht einmal geltend gemacht, dass sie den Antrag nicht konkretisieren kann oder ihr dies in der Kürze der Zeit in der mündlichen Verhandlung nicht möglich gewesen wäre (vgl. UA S. 7).
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019609
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BVerwG
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9. Senat
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20130523
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9 B 47/12
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Beschluss
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vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 9. August 2012, Az: 8 A 10.40048, Urteil
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DEU
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Die auf alle Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage mit mehreren selbstständig tragenden Erwägungen abgewiesen: Sie sei wegen nicht hinreichender Bestimmtheit des Klageantrags sowie wegen fehlender Klagebefugnis unzulässig, darüber hinaus sei sie aus verschiedenen Gründen unbegründet. Bei einer solchen Mehrfachbegründung kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (stRspr, vgl. Beschluss vom 8. August 2008 - BVerwG 9 B 31.08 - Buchholz 310 § 137 Abs. 1 VwGO Nr. 33 S. 8). Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor. Denn bereits mit der gegen die erste Begründung gerichteten Verfahrensrüge dringt die Klägerin nicht durch. Auf die weiteren (Grundsatz- und Divergenz-)Rügen, die sich auf die anderen tragenden Erwägungen beziehen, kommt es mithin nicht mehr an.
Die Klägerin wendet sich erfolglos mit der Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gegen die Abweisung der Klage als unzulässig wegen Unbestimmtheit des Klageantrags.
Ein Verfahrensmangel ist nicht darin zu sehen, dass eine Anordnung nach § 82 Abs. 2 Satz 1 VwGO unterblieben ist. Danach hat der Vorsitzende oder der Berichterstatter den Kläger zu der erforderlichen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern, wenn die Klage den Anforderungen des § 82 Abs. 1 VwGO nicht entspricht. Die Ergänzungsaufforderung bezieht sich in erster Linie auf die in § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO enthaltenen Mindestangaben (Bezeichnung des Klägers, des Beklagten und des Gegenstands des Klagebegehrens); insoweit war die am 3. November 2010 zunächst nur fristwahrend und noch ohne Ankündigung eines bestimmten Antrags erhobene Klage jedoch nicht unvollständig. Sie genügte vielmehr den rein formellen Anforderungen. Weitergehende materiellrechtlich bedingte Ergänzungen hat die Vorschrift demgegenüber nicht im Blick (BVerfG, Beschluss vom 8. Mai 1991 - 2 BvR 170/85 - NVwZ 1992, 259 <260>). Im Übrigen wurde die Klägerin mit der Eingangsverfügung vom 9. November 2010 ausdrücklich darum gebeten, innerhalb der Frist des § 17e Abs. 5 FStrG einen Antrag zu stellen und diesen zu begründen.
Bei dem Erfordernis eines bestimmten Klageantrags nach § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO handelt es sich um eine Sollvorschrift. Der Antrag dient zunächst der Verdeutlichung des Klagebegehrens; er wird lediglich angekündigt und erst in der mündlichen Verhandlung gestellt (vgl. § 103 Abs. 3 VwGO). Insoweit genügt es, dass der Vorsitzende - jedenfalls in einfach gelagerten Fällen wie hier - spätestens in der mündlichen Verhandlung auf Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit des Antrags hinweist (vgl. zur Hinweispflicht § 86 Abs. 3 VwGO). Dies ist hier ausweislich der Niederschrift der mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß geschehen. Er musste die Klägerin insbesondere nicht bei der Formulierung des Klageantrags beraten, weil diese durch einen Rechtsanwalt vertreten war (vgl. BVerfG a.a.O.; BVerwG, Beschlüsse vom 14. Februar 1984 - BVerwG 3 B 111.81 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 34 und vom 21. März 1989 - BVerwG 2 B 27.89 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 38). Soweit die Klägerin bemängelt, ihr sei auf den erst in der mündlichen Verhandlung erfolgten Hinweis eine Bezeichnung der konkret zu schützenden Baugebiete "schlichtweg unmöglich" gewesen, kann dem schon deshalb nicht gefolgt werden, weil die betroffenen Gemeindeteile bereits in der Klagebegründung vom 13. Dezember 2010 (S. 4 f.) bezeichnet worden sind. Hiervon abgesehen hätte es ihr freigestanden, um eine Bedenkzeit zur Klarstellung des Antrags zu bitten. Sie hat indessen noch nicht einmal geltend gemacht, dass sie den Antrag nicht konkretisieren kann oder ihr dies in der Kürze der Zeit in der mündlichen Verhandlung nicht möglich gewesen wäre (vgl. UA S. 7).
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019610
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BVerwG
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3. Senat
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20130507
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3 B 61/12
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Beschluss
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§ 133 VwGO
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 25. Mai 2012, Az: 13 A 1384/10, Urteil
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DEU
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Nichtzulassungsbeschwerde; Zulässigkeitsvoraussetzung der Beschwer des Rechtsmittelführers
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Die Kläger betreiben eine zahnärztliche Gemeinschaftspraxis. Die Beklagte untersagte ihnen mit Bescheid vom 16. September 2008, ihre Praxis in der Außendarstellung als "Kinderzahnarztpraxis" und sich oder ihre Beschäftigten als "Kinderzahnarzt" zu bezeichnen; des Weiteren verbot sie den Klägern, die Internetadresse "www.kinder...de" für ihre Praxishomepage zu verwenden. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Bezeichnung "Kinderzahnarzt" oder "Kinderzahnarztpraxis" irreführend sei, weil bei Patienten der falsche Eindruck entstehen könne, im Bereich der Zahnmedizin existiere eine entsprechende fachzahnärztliche Qualifikation. Die Klage blieb vor dem Verwaltungsgericht ohne Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat die erstinstanzliche Entscheidung geändert und den angefochtenen Bescheid aufgehoben, soweit den Klägern für sämtliche Formen der Außendarstellung untersagt worden ist, in ihrer Praxis Beschäftige als "Kinderzahnarzt" zu bezeichnen; im Übrigen hat es die Berufung der Kläger zurückgewiesen.
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat keinen Erfolg. Weder die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch die gerügte Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) rechtfertigen die Zulassung der Revision.
1. a) Soweit sich die Begründung der einschränkungslos erhobenen Beschwerde auf den klageabweisenden Teil des Berufungsurteils bezieht, ergibt sich die Erfolglosigkeit des Rechtsbehelfs schon daraus, dass die Beklagte durch diesen Teil des Urteils nicht beschwert ist.
Die für ein Rechtsmittel des Klägers oder des Beklagten erforderliche Beschwer kann grundsätzlich nicht schon in den Gründen der angefochtenen Entscheidung liegen, sondern nur gegeben sein, wenn die Entscheidung im Ergebnis von dem Antrag des Verfahrensbeteiligten zu dessen Lasten abweicht (vgl. Beschluss vom 18. Februar 2002 - BVerwG 3 B 149.01 - NJW 2002, 2122 = juris Rn. 1 m.w.N.; zur - hier nicht einschlägigen - Ausnahme im Fall der Abweisung einer unzulässigen Klage als unbegründet: Beschluss vom 2. November 2011 - BVerwG 3 B 54.11 - Buchholz 310 § 133 <nF> VwGO Nr. 96 Rn. 4, 6). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Die Beklagte wendet sich gegen die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, mit der Angabe "Kinderzahnarzt" oder "Kinderzahnarztpraxis" würden die Patienten nicht über das Führen einer - nach der zahnärztlichen Berufsordnung nicht vorgesehenen - Fachzahnarztbezeichnung getäuscht. Damit ist das Gericht zwar den Gründen des angefochtenen Bescheids nicht gefolgt. Gleichwohl ergibt sich hieraus für die Beklagte keine Beschwer; denn das Oberverwaltungsgericht ist unabhängig davon aus anderen Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt, dass die Bezeichnung der Kläger als "Kinderzahnarzt"/"Kinderzahnärzte" und ihrer Praxis als "Kinderzahnarztpraxis" irreführend sei, und hat insoweit die Untersagungsverfügung der Beklagten als rechtmäßig und die Klage als unbegründet erachtet (vgl. Urteilsabdruck S. 14, S. 19 ff.).
b) Soweit sich die Beschwerde gegen den Teil des Urteils richtet, mit dem der Klage stattgegeben worden ist, ist die Beklagte als Unterlegene zwar beschwert; dennoch kann ihr Rechtsbehelf auch hier keinen Erfolg haben, weil er an den tragenden Gründen der Entscheidung vorbeigeht. Die Stattgabe der Klage beruht nicht auf der von der Beklagten beanstandeten Auffassung des Berufungsgerichts, die Bezeichnung als "Kinderzahnarzt" sei zulässig, sofern der Betroffene eine Qualifikation in Form des Tätigkeitsschwerpunktes "Kinderzahnheilkunde" aufweise. Das Oberverwaltungsgericht hat die angenommene teilweise Rechtswidrigkeit der Untersagungsverfügung vielmehr ausschließlich darauf gestützt, dass die in Rede stehende Regelung inhaltlich zu unbestimmt sei, weil nicht deutlich werde, welche Beschäftigten konkret-individuell von der Untersagung betroffen seien (Urteilsabdruck S. 25 f.). Dagegen hat die Beklagte keine Zulassungsgründe geltend gemacht.
2. Aber auch ungeachtet dessen zeigt die Beschwerde nicht auf, dass der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zukommt. Die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob die als Werbung genutzte Bezeichnung "Kinderzahnarzt" irreführend ist, weil damit beim Patienten eine fehlerhafte Vorstellung über die Existenz einer entsprechenden fachzahnärztlichen Qualifikation hervorgerufen wird, würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Das Beschwerdevorbringen geht daran vorbei, dass das Oberverwaltungsgericht eine Irreführung der Patientenschaft aus anderen Gründen bejaht hat. Es hat darauf abgestellt, dass das Publikum mit der Bezeichnung "Kinderzahnarzt" zwar nicht zwingend eine Fachzahnarztqualifikation nach dem zahnärztlichen Weiterbildungsrecht verbinde, jedenfalls aber eine nachhaltige Tätigkeit im Bereich der Kinderzahnheilkunde erwarte. Ausgehend davon liege hier eine Irreführung vor, weil die Bezeichnung suggeriere, dass die Kläger jeweils über eine personenbezogene Qualifikation in Form des Tätigkeitsschwerpunktes "Kinderzahnheilkunde" verfügten, was nicht der Fall sei. Dementsprechend sei auch die Angabe "Kinderzahnarztpraxis" irreführend, weil nicht sämtliche in der Praxis tätigen Zahnärzte eine solche Berufsqualifikation aufwiesen (vgl. Urteilsabdruck S. 14, S. 19 ff.). Die der berufungsgerichtlichen Würdigung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen binden den Senat; die Beschwerde hat sie nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen (§ 137 Abs. 2 VwGO).
Auch die als klärungsbedürftig bezeichnete Frage,
"in welcher Weise eine Einschränkung der über Artikel 12 GG geschützten Berufsfreiheit in Bezug auf die konkrete Rechtsfrage der Zulässigkeit einer Selbstbezeichnung als "Kinderzahnarzt" möglicherweise aus Patientensicht und mit Blick auf die Patientengesundheit schützenswerten Gemeinwohlinteressen und damit dem Schutzzweck des Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG dient",
verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zum Werberecht der ärztlichen Berufe, insbesondere zu den durch die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG gezogenen Grenzen für Werbeverbote und zu den Voraussetzungen einer berufswidrigen Werbung, sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung hinlänglich geklärt (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 11. Februar 1992 - 1 BvR 1531/90 - BVerfGE 85, 248 <257, 260 f.>; Kammerbeschluss vom 14. Juli 2011 - 1 BvR 407/11 - NJW 2011, 3147 = juris Rn. 21; BVerwG, Urteil vom 24. September 2009 - BVerwG 3 C 4.09 - Buchholz 418.00 Ärzte Nr. 110 Rn. 14 ff.) und lassen sich aus Anlass des Streitfalls nicht weiter fallübergreifend klären. Ob sich gemessen an diesen Rechtsprechungsvorgaben - von denen auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen ist - eine Werbemaßnahme als irreführend und daher berufswidrig darstellt, ist eine Frage der tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall.
3. Auch die Divergenzrüge greift nicht durch. Eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt vor, wenn sich die Vorinstanz mit einem ihre Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz in Widerspruch gesetzt hat zu einem ebensolchen Rechtssatz, der in der Rechtsprechung eines Divergenzgerichts in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt worden ist, und wenn das angefochtene Urteil auf dieser Abweichung beruht (stRspr, vgl. z.B. Beschluss vom 11. August 1999 - BVerwG 11 B 61.98 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19 m.w.N.). Den sich daraus ergebenden Darlegungsanforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht.
Die Beklagte trägt vor, das angefochtene Urteil weiche von dem Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Juni 2011 - 1 BvR 233/10 u.a. - (NJW 2011, 2636) ab. Dort habe das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Auffassung eines Gerichts, die Bezeichnung "Zahnarzt für Implantologie" suggeriere eine Nähe und Vergleichbarkeit mit einer Fachzahnarztbezeichnung und sei deshalb irreführend, ebenso vertretbar sei wie die dieser Auffassung zugrunde liegende Prämisse, ein verständiger Patient wisse nicht, dass die Weiterbildungsordnung den Begriff "Zahnarzt für Implantologie" nicht verwende. In Widerspruch dazu habe das Oberverwaltungsgericht angenommen, dass Patienten hinter der Bezeichnung "Kinderzahnarzt" keine entsprechende Fachzahnarztqualifikation vermuteten. Damit arbeitet die Beschwerde keine einander widersprechenden abstrakten Rechtssätze der Entscheidungen heraus. Die in Bezug genommenen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts a.a.O. S. 2638 = juris Rn. 68) betreffen keine rechtlichen Obersätze, sondern verhalten sich zu der im dortigen Verfahren zur Überprüfung gestellten tatrichterlichen Sachverhaltswürdigung. Dasselbe gilt für die von der Beschwerde beanstandeten Erwägungen in dem Berufungsurteil; auch diese sind Teil der Subsumtion. Mit der behaupteten Abweichung könnte die Beklagte daher allenfalls einen Subsumtionsfehler aufzeigen, der keine die Revision eröffnende Divergenz begründet. Abgesehen davon würde das Berufungsurteil auf der geltend gemachten Divergenz auch nicht beruhen, weil das Oberverwaltungsgericht - wie gezeigt - im Ergebnis ebenfalls von einer irreführenden, berufswidrigen Werbung ausgegangen ist.
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Deutschland
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public
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WBRE410019611
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BVerwG
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3. Senat
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20130516
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3 B 82/12
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Beschluss
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§ 124a Abs 3 S 1 VwGO, § 58 Abs 2 S 1 VwGO
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vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 28. Juni 2012, Az: 10 A 1481/11, Urteil
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DEU
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Berufungsbegründungsfrist; unrichtig erteilte Rechtsmittelbelehrung; Folgen
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der behauptete Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor; die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und eine Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO) sind bereits nicht in der gebotenen Weise dargelegt.
1. Mit ihrer Verfahrensrüge macht die Klägerin geltend, das Berufungsgericht habe die Berufung der Beklagten zu Unrecht als zulässig angesehen. Diese Rüge ist nicht begründet.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist zwar davon auszugehen, dass die Beklagte ihre Berufung nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils begründet hat. Jedoch hatte die Berufungsbegründungsfrist des § 124a Abs. 3 Satz 1 VwGO mangels ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung nicht zu laufen begonnen, sondern die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat (UA S. 7 f.).
Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin führt die Belehrung über das unzutreffende Rechtsmittel des Antrags auf Zulassung der Berufung zur Rechtzeitigkeit der Berufungsbegründung und damit zur Zulässigkeit der Berufung, auch wenn die Beklagte dieses, in der Rechtsmittelbelehrung fälschlicherweise angegebene Rechtsmittel selbst nicht (fristgerecht) eingelegt hat; denn die in § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO geregelten Folgen einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung hängen nach dem klaren Gesetzeswortlaut nicht davon ab, dass der Rechtsmittelführer einer unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung folgt. Ebenso wenig beschränkt sich die Anwendung des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO auf den rechtsschutzsuchenden Bürger; sie gilt gleichermaßen gegenüber allen Verfahrensbeteiligten, unabhängig von deren abstrakten oder konkreten Schutzwürdigkeit (vgl. zum Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten Urteil vom 30. Juni 1998 - BVerwG 9 C 6.98 - BVerwGE 107, 117).
2. Der Revisionsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist ebenso wenig dargelegt, wie eine Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
a) Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Wird eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend gemacht, so ist dies in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise darzulegen. Das setzt die Formulierung einer bestimmten, jedoch fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (stRspr, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90, vom 7. Juni 1996 - BVerwG 1 B 127.95 - Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 32 und vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO <n.F.> Nr. 26).
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Abgesehen davon, dass mit einer pauschalen Verweisung auf das Urteil des Verwaltungsgerichts, wie eingangs der Beschwerdebegründung erfolgt, den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht genügt wird (Beschluss vom 19. November 1993 - BVerwG 1 B 179.93 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 13), macht sie sich mit ihren weiteren Ausführungen die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts zu eigen und greift auf dieser Grundlage das Berufungsurteil als rechtsfehlerhaft an. Eine fallübergreifende entscheidungserhebliche Rechtsfrage wird hingegen auch ansatzweise nicht formuliert. Damit verkennt die Beschwerde den grundsätzlichen Unterschied zwischen der Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde und der Begründung einer Revision.
b) Auch mit dem pauschalen Vorwurf, das Berufungsurteil widerspreche der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, ist eine Divergenz nicht bezeichnet.
Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz formuliert, mit dem das Berufungsgericht einem ebensolchen benannten Rechtssatz des Bundesverfassungsgerichts widerspricht (Beschlüsse vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 9 S. 14 und vom 19. August 1997 a.a.O.). Dem wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Sie beschränkt sich auf die Behauptung einer Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes, ohne sich mit dem Urteil des Berufungsgerichts, das auf eine Reihe von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bezug nimmt (UA S. 12 f.), und mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts näher auseinanderzusetzen und widersprechende Rechtssätze aufzuzeigen.
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http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-WBRE410019611&psml=bsjrsprod.psml&max=true
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019612
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BVerwG
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1. Senat
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20130514
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1 C 13/12
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Urteil
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Art 83 Abs 1 AEUV, § 11 Abs 1 S 1 AufenthG 2004, § 11 Abs 1 S 2 AufenthG 2004, § 11 Abs 1 S 3 AufenthG 2004, § 11 Abs 1 S 4 AufenthG 2004, § 51 Abs 1 Nr 5 AufenthG 2004, § 55 AufenthG 2004, § 56 AufenthG 2004, § 84 AufenthG 2004, Art 7 EWGAssRBes 1/80, Art 13 EWGAssRBes 1/80, Art 14 Abs 1 EWGAssRBes 1/80, Art 9 EWGRL 221/64, Art 12 Abs 4 EGRL 109/2003, Art 31 EGRL 38/2004, Art 11 Abs 2 EGRL 115/2008, Art 41 Abs 1 EWGAbkTURZProt, Art 59 EWGAbkTURZProt, Art 8 MRK, Art 2 Abs 1 GG, Art 3 Abs 1 GG, Art 6 GG, § 68 VwGO, Art 7 EUGrdRCh
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 22. März 2012, Az: 18 A 951/09, Urteil vorgehend VG Minden, 18. März 2009, Az: 7 K 3073/08, Urteil
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DEU
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Befristung der Wirkungen einer Ausweisung; Dauer; Drogenkriminalität; Assoziationsrecht
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1. Die Befristung der Wirkungen einer Ausweisung (§ 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG <juris: AufenthG 2004>) dient allein spezialpräventiven Zwecken. Sie beruht auf der Prognose, wie lange das Verhalten des Ausländers, das der Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag.
2. Bei der Bemessung der Sperrfrist sind einerseits das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der Ausweisungszweck zu berücksichtigen, andererseits verfassungs-, unions- und völkerrechtliche Wertentscheidungen zum Schutz der Belange des Ausländers (Einzelfall einer Befristung auf sieben Jahre bei Drogenkriminalität).
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Der im Jahr 1974 in Deutschland geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine Ausweisung.
Der Kläger wuchs bei seinen Eltern im Bundesgebiet auf. Er besuchte zunächst eine Förderschule und im Anschluss daran das Berufsgrundschuljahr, das er ohne Abschluss beendete. Eine Berufsausbildung absolvierte er nicht. Er arbeitete jeweils nur für kurze Zeiträume, war überwiegend arbeitslos. Ihm wurden mehrere befristete Aufenthaltserlaubnisse erteilt, zuletzt bis zum 20. Oktober 1999. Sein Verlängerungsantrag vom 12. Oktober 1999 wurde nicht mehr beschieden.
Der unverheiratete und kinderlose Kläger ist drogenabhängig. Er konsumierte nach eigenen Angaben seit seinem dreizehnten Lebensjahr zunächst Haschisch und seit seinem sechzehnten Lebensjahr Heroin. Seit mehr als 20 Jahren ist er immer wieder straffällig geworden, überwiegend wegen Drogen- und Eigentumsdelikten. Er verbrachte viele Jahre in Strafhaft und begann mehrfach Drogentherapien, allerdings ohne Erfolg. Im Juni 2007 wurde er zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt, u.a. wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wofür eine Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und einem Monat verhängt wurde.
Die Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 16. September 2008 aus und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei an. Über die Ausweisung des Klägers sei nach Ermessen zu entscheiden, weil er als Kind türkischer Arbeitnehmer ein aus dem Assoziationsratsbeschluss ARB 1/80 abgeleitetes Aufenthaltsrecht besitze. Zudem genieße er aufgrund seiner Geburt in Deutschland besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Sein in den begangenen Straftaten zum Ausdruck gekommenes Verhalten stelle eine hinreichend schwere Gefährdung dar. Er sei in der Vergangenheit mehrfach straffällig geworden und habe sich dabei weder durch strafrechtliche Verurteilungen noch durch ausländerbehördliche Ermahnungen und Hinweise auf die Konsequenzen erneuten strafbaren Verhaltens von der Verübung weiterer Taten abhalten lassen. Zudem habe er in den letzten Jahren keine ernsthaften Bemühungen unternommen, um von seinem Drogenkonsum loszukommen.
Das Verwaltungsgericht hat die gegen den Ausweisungsbescheid gerichtete Klage abgewiesen, das Oberverwaltungsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung mit Urteil vom 22. März 2012 zurückgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hält die Ausweisung auch ohne Durchführung eines Widerspruchsverfahrens für formell rechtmäßig, weil trotz der Rechtsstellung des Klägers nach Art. 7 Satz 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 die Richtlinie 64/221/EWG auf ihn nicht mehr anwendbar sei. Wegen der fortbestehenden Gefahr der Betäubungsmittelkriminalität des Klägers sei die Ausweisung auch materiell rechtmäßig nach § 55 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80. Der Kläger habe neben dem Besitz sog. harter Drogen auch mit Heroin gehandelt, um seinen eigenen Drogenbedarf zu finanzieren. Von ihm gehe die Gefahr weiterer erheblicher Straftaten aus. Er habe seit nunmehr über 22 Jahren immer wieder Straftaten begangen und sich davon durch Ermahnungen, Verurteilungen, Strafhaft und Anhörungen zur drohenden Ausweisung nicht abhalten lassen. Die Ermessensentscheidung der Beklagten sei auch unter Berücksichtigung der Tatsache nicht zu beanstanden, dass der Kläger sein ganzes Leben in Deutschland verbracht habe und hier seine Mutter und seine erwachsenen Geschwister lebten. Die Ausweisung sei trotz Fehlens einer Befristung mit Art. 11 der Richtlinie 2008/115/EG vereinbar.
Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger weiterhin die Aufhebung der Ausweisung. Hilfsweise erstrebt er die Befristung ihrer Wirkungen auf maximal vier Jahre. Er begründet dies im Wesentlichen damit, die Ausweisung sei formell rechtswidrig, weil kein Widerspruchsverfahren durchgeführt worden sei. Das verstoße gegen Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG. Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 8. Dezember 2011 in der Sache Ziebell stehe dem nicht entgegen, denn es beziehe sich nur auf die materiellen Voraussetzungen der Ausweisung. Der Wegfall des Widerspruchsverfahrens verstoße zudem gegen die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80. Die Fortgeltung der Verfahrensgarantien für türkische Staatsangehörige, die eine geschützte Rechtsstellung nach dem Assoziationsrecht besitzen, verstoße nicht gegen das Besserstellungsverbot des Art. 59 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen vom 12. September 1963, denn freizügigkeitsberechtigte EU-Staatsangehörige hätten einen höheren materiellen Ausweisungsschutz. Das angefochtene Urteil verletze Bundesrecht auch deshalb, weil es eine unbefristete Ausweisung bestätige. Das verstoße gegen § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG und gegen Art. 11 der Richtlinie 2008/115/EG. Der deutsche Gesetzgeber habe nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Ausländer, die aufgrund einer strafgerichtlichen Verurteilung ausgewiesen werden, grundsätzlich von der in der Richtlinie vorgegebenen Höchstfrist von fünf Jahren für die zu verhängende Einreisesperre auszunehmen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Im Verlauf des Revisionsverfahrens hat sie mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2012 die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf einen Zeitraum von sieben Jahren, beginnend mit der Ausreise oder Abschiebung des Klägers, befristet. Der Kläger ist dem entgegengetreten und hält allenfalls eine Befristung von maximal vier Jahren für zulässig.
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Die zulässige Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat ohne Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) die Ausweisung (1.) und die Abschiebungsandrohung (3.) als rechtmäßig angesehen. Der Kläger hat auch keinen Anspruch darauf, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf einen Zeitraum von weniger als sieben Jahren zu befristen (2.).
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung und der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (stRspr, vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 12 m.w.N.). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O.). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der hier maßgeblichen Bestimmungen aber nicht geändert.
1. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 55 Abs. 1, § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation - ARB 1/80.
1.1 Der Kläger besitzt eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80. Er ist nach den Feststellungen der Vorinstanzen im Bundesgebiet bei seinen Eltern aufgewachsen, sein Vater war mindestens von 1969 bis 1990 türkischer Arbeitnehmer. Demzufolge kann der Kläger gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422). Das ist hier der Fall. Damit liegen auch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG vor.
1.2 Der Kläger begeht seit vielen Jahren regelmäßig Drogenstraftaten, die ihre Ursache in seiner Drogenabhängigkeit haben. Dazu zählen nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts neben Straftaten des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln auch solche des unerlaubten Handeltreibens mit Heroin (in zwei Fällen) und der unerlaubten Abgabe von Heroin (in einem Fall). Die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, sind schwerwiegend und berühren ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die betroffenen Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit der Bürger nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen hohen Rang ein. Der Gerichtshof der Europäischen Union sieht in der Rauschgiftsucht ein "großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit" (vgl. EuGH, Urteil vom 23. November 2010 - Rs. C-145/09, Tsakouridis - NVwZ 2011, 221 Rn. 47). Die Mitgliedstaaten dürfen daher die unerlaubte Verwendung von Betäubungsmitteln als eine Gefahr für die Gesellschaft ansehen, die besondere Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Ordnung gegen Ausländer rechtfertigt, die gegen Vorschriften über Betäubungsmittel verstoßen. Dabei zählt der illegale Drogenhandel zu den Straftaten, die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV als Bereiche besonders schwerer Kriminalität genannt werden. Diese können als schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses angesehen werden und die Ausweisung von Personen rechtfertigen, die entsprechende Straftaten begangen haben (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Mai 2012 - Rs. C-348/09, P.I. - NVwZ 2012, 1095 Rn. 28). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sieht den Handel mit Betäubungsmitteln als schwerwiegende Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Interessen an (vgl. Urteile vom 3. November 2011 - Nr. 28770/05, Arvelo Aponte/Niederlande - Rn. 58 und vom 12. Januar 2010 - Nr. 47486/06, Khan/Vereinigtes Königreich - InfAuslR 2010, 369 Rn. 40 m.w.N.).
Nach diesen Maßstäben stellt das persönliche Verhalten des Klägers eine schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft im Sinne des Art. 14 ARB 1/80 dar. Die meisten der von ihm begangenen Drogenstraftaten beschränken sich zwar auf den unerlaubten Erwerb und Besitz von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum. Der Kläger hat sich aber auch am unerlaubten Handel und der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln an Dritte beteiligt, wobei es sich bei der gehandelten bzw. abgegebenen Droge überwiegend um das besonders gefährliche Heroin handelte.
1.3 Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise für den Kläger die Gefahr der Wiederholung seines strafbaren Verhaltens sowohl im Bereich der Beschaffungskriminalität als auch im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität bejaht. Seine Prognose hat das Berufungsgericht aus dem Fehlen einer grundlegenden Verhaltensänderung des Klägers abgeleitet, insbesondere aus dem Fehlen nachhaltiger Bemühungen, sich durch geeignete Therapiemaßnahmen aus der Betäubungsmittelabhängigkeit zu lösen. Die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten der beschriebenen Art stellt - wie ausgeführt - eine schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar. Von den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Senat - nachdem der Kläger keine Verfahrensrügen erhoben hat - gemäß § 137 Abs. 2 VwGO auszugehen.
1.4 Die Ausweisung des Klägers erweist sich auch unter Würdigung seiner schützenswerten Belange als unerlässlich, um das oben näher beschriebene Grundinteresse der Gesellschaft zu wahren (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 86). Das Berufungsgericht hat die schützenswerten Belange des Klägers, die sich auf sein Privat- und Familienleben beziehen, unter Zugrundelegung der in der Rechtsprechung des EGMR entwickelten Kriterien umfassend gewürdigt. Es hat in den Blick genommen, dass der Kläger in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, die deutsche Sprache beherrscht und seine gesamte Erziehung und Sozialisation in Deutschland erfahren hat. Das Gericht hat auch die familiären Bindungen des Klägers an seine in Deutschland lebende Mutter und seine erwachsenen Geschwister berücksichtigt. Bei der Bewertung der Integration des Klägers in Deutschland war für das Berufungsgericht von Bedeutung, dass er hier keinen Schulabschluss erzielte, keine Berufsausbildung absolviert hat und einer Berufstätigkeit allenfalls kurzzeitig nachgegangen ist. Für die Möglichkeit eines Lebens in der Türkei spielte für das Gericht eine Rolle, dass der Kläger nach den getroffenen Feststellungen über türkische Sprachkenntnisse verfügt und mit den Gepflogenheiten in der Türkei vertraut ist, was sich auch darin zeige, dass er in der Vergangenheit versucht habe, eine türkischsprachige Therapieeinrichtung zu finden, in der auf seine Suchtproblematik unter Berücksichtigung seiner kulturellen Herkunft eingegangen werden könne. Zudem lebten in der Türkei ihm bekannte Personen, die ihm jedenfalls in der ersten Zeit der Eingewöhnung zur Seite stehen könnten. Die unter Abwägung der öffentlichen und privaten Belange getroffene Wertung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger eine Ausreise in die Türkei zuzumuten sei, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
1.5 Die Ermessensausübung der Beklagten im Ausweisungsbescheid vom 16. September 2008 lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Die Beklagte geht von einem aus dem Assoziationsrecht abgeleiteten Aufenthaltsrecht des Klägers nach Art. 7 ARB 1/80 aus und misst die Rechtmäßigkeit der Ausweisung am Maßstab des Art. 14 ARB 1/80. Sie erkennt die Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung und beachtet deren gesetzliche Grenzen. Die erfolgte Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Abwehr der vom Kläger ausgehenden konkreten Gefahr für die hochrangigen Rechtsgüter Leben und Gesundheit im Fall der Fortsetzung des illegalen Drogenhandels gegen das Interesse des Klägers an einem Verbleib in Deutschland ist rechtlich nicht zu beanstanden. Bei der Begründung des öffentlichen Interesses stützt sich die Beklagte ausschließlich auf Gefahren, die vom Kläger selbst ausgehen und nicht auf generalpräventive Gründe.
1.6 Entgegen der Auffassung der Revision ist auch das Ausweisungsverfahren fehlerfrei durchgeführt worden.
Zwar war das in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltene "Vier-Augen-Prinzip" auf assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige zu übertragen. In dem hier vorliegenden Fall hat die Beklagte den angefochtenen Bescheid aber am 16. September 2008 und damit erst nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG zum 30. April 2006 (Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG) erlassen. Zu diesem Zeitpunkt galt Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG nicht mehr.
Es kann offenbleiben, ob sich für assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige die unionsrechtlichen Anforderungen an den Rechtsschutz gegen Ausweisungsentscheidungen nunmehr nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG (betreffend langfristig Aufenthaltsberechtigte) oder nach Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG (betreffend Unionsbürger) bestimmen. Denn in keiner dieser Vorschriften ist die Beteiligung einer unabhängigen Stelle im Ausweisungsverfahren zur Prüfung der Zweckmäßigkeit der Maßnahme vorgeschrieben. Das hat der Senat in dem mit den Parteien in der mündlichen Verhandlung erörterten Urteil vom 13. Dezember 2012 (BVerwG 1 C 20.11 - NVwZ 2013, 733 Rn. 29 f.) näher dargelegt; darauf wird Bezug genommen.
Im Übrigen trifft die vom Kläger in der Revisionsbegründung vertretene Auffassung nicht zu, eine verfahrensmäßige Besserstellung von assoziationsrechtlich begünstigten türkischen Staatsangehörigen verstoße nicht gegen das Besserstellungsverbot des Art. 59 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl 1972 II S. 385) - ZP, weil freizügigkeitsberechtigte EU-Staatsangehörige gegenüber den assoziationsrechtlich Begünstigten einen höheren materiellen Ausweisungsschutz besäßen. Denn soweit Unionsbürger nach der Richtlinie 2004/38/EG gegenüber Berechtigten nach dem Assoziationsrecht EWG-Türkei einen erhöhten materiellen Ausweisungsschutz genießen, beruht dieser nicht auf dem wirtschaftlich begründeten Freizügigkeitsrecht von Staatsangehörigen der EU-Mitgliedstaaten, sondern auf der besonderen Rechtsstellung der Unionsbürger, mit der die assoziationsrechtlich begünstigten türkischen Staatsangehörigen keine Gleichstellung verlangen können (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2013, 422 Rn. 68 - 74). Dem stehen auch die durch das Assoziationsrecht getroffenen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Union zum Stillstandsgebot nicht entgegen. Jedenfalls in dem Umfang, in dem sich die Vertragsparteien EWG und Türkei in Art. 59 ZP völkerrechtlich zur Beachtung des Besserstellungsverbots verpflichtet haben, durfte die Union den Wegfall einer Regelung zum außergerichtlichen Rechtsschutz, der für die Angehörigen ihrer Mitgliedstaaten geschaffen worden war, auch mit Wirkung für die Berechtigten nach dem ARB 1/80 entfallen lassen (so schon Beschluss vom 15. April 2013 - BVerwG 1 B 22.12 - Rn. 14). Einer von der Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angeregten Klärung durch ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH bedarf es insoweit nicht, da die Rechtslage aufgrund der bereits ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs offenkundig ist ("acte clair").
Auch aus den Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 ZP ergibt sich nicht, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG bei der Ausweisung assoziationsrechtlich privilegierter türkischer Staatsangehöriger weiterhin anzuwenden ist. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 22 ff.; vom 13. Dezember 2012 a.a.O. Rn. 33 und vom 15. Januar 2013 - BVerwG 1 C 10.12 - NVwZ-RR 2013, 435 Rn. 23 f.) und wurde ebenfalls bereits in seinem Urteil vom 13. Dezember 2012 (a.a.O. Rn. 33) näher dargelegt; auf diese Ausführungen wird Bezug genommen.
Der Rechtsauffassung der Kommission in ihrer Stellungnahme vom 15. Dezember 2006 in der Rechtssache Polat (Rs. C-349/06), auf die sich die Prozessbevollmächtigte des Klägers bezogen hat, wonach die Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG durch die Unionsbürgerrichtlinie auf die Auslegung des Assoziationsabkommens und die auf seiner Grundlage erlassenen Rechtsakte keinen Einfluss habe, ist der EuGH nicht gefolgt. Vielmehr hat er für Regelungen zum Ausweisungsschutz, bei denen die für Unionsbürger geltenden Bestimmungen der Richtlinie 2004/38/EG im Hinblick auf ihren Gegenstand und Zweck nicht auf Berechtigte nach dem Assoziationsrecht EWG - Türkei übertragbar sind, Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG als neuen unionsrechtlichen Bezugsrahmen bestimmt, nicht aber die außer Kraft getretenen Bestimmungen der Richtlinie 64/221/EWG zugunsten der assoziationsrechtlich Begünstigten für weiterhin anwendbar angesehen (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 74 - 79).
Ohne Erfolg rügt der Kläger einen Verstoß gegen die Stillhalteklauseln durch den Wegfall des nationalen Widerspruchsverfahrens gegen Ausweisungsentscheidungen in Nordrhein-Westfalen seit 1. November 2007. Zum einen stellte die Durchführung des Widerspruchsverfahrens nach §§ 68 ff. VwGO keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Ausweisung dar, sondern - anders als Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG - lediglich eine Prozessvoraussetzung für die Erhebung einer Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht. Zum anderen betrifft der Wegfall des Widerspruchsverfahrens türkische Assoziationsberechtigte und Unionsbürger in gleicher Weise. Nach der Rechtsprechung des EuGH steht der Erlass oder Wegfall von Regelungen, die - wie hier - in gleicher Weise auf türkische Staatsangehörige und auf Gemeinschaftsangehörige Anwendung finden, nicht im Widerspruch zu den Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 ZP. Auch dies hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 13. Dezember 2012 (a.a.O. Rn. 34) - dort bezogen auf den Wegfall des Widerspruchsverfahrens in Baden-Württemberg - im Einzelnen dargelegt; auf diese Ausführungen wird Bezug genommen.
1.7 Der Rechtmäßigkeit der Ausweisung steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte die gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG nicht bereits bei Erlass der Ausweisungsverfügung befristet hat. Seit Inkrafttreten des § 11 AufenthG in der Neufassung durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) - Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 - haben Ausländer zwar grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit einer Ausweisung zugleich das daran geknüpfte gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie die Titelerteilungssperre befristet (Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 30). Fehlt die notwendige Befristung der Ausweisung, hat das aber auch nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht zur Folge, dass die - als solche - rechtmäßige Ausweisung aufzuheben ist. Vielmehr ist in der Anfechtung der Ausweisung zugleich - als Minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ein (Hilfs-)Antrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung ihrer Wirkungen zu sehen (Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 39).
1.8 Schließlich verstößt die Ausweisung nicht gegen die Richtlinie 2008/115/EG - Rückführungsrichtlinie. Dabei kann dahinstehen, ob sie an den Bestimmungen dieser Richtlinie zu messen ist. Denn selbst wenn man die intertemporale Geltung und die sachliche Anwendbarkeit der Rückführungsrichtlinie auf die Ausweisung bejaht, verhilft das der Anfechtungsklage gegen die Ausweisung nicht zum Erfolg. Da der Kläger mittels seines Hilfsantrags die gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. gebotene Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung zusammen mit deren gerichtlicher Prüfung durchsetzen kann, wird den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie im Ergebnis Genüge getan (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 45).
2. Der Hilfsantrag des Klägers, mit dem dieser die Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von maximal vier Jahren begehrt, ist zulässig, aber nicht begründet.
2.1 Der erst in der Revisionsinstanz gestellte Hilfsantrag ist zulässig. Nach der neueren Rechtsprechung des Senats kann ein Kläger seit Inkrafttreten des § 11 AufenthG in der Neufassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 auch noch in der Revisionsinstanz einen Hilfsantrag auf Befristung der Wirkungen der von ihm angefochtenen Ausweisungsentscheidung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG stellen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 28). Er verfolgt damit nur den bereits in seinem Anfechtungsbegehren gegen die Ausweisung für den Fall der Abweisung enthaltenen Hilfsantrag weiter, den das Berufungsgericht hier der Sache nach abgewiesen hat. Erachtet das Gericht die Ausweisung für rechtmäßig, hat es auf den Hilfsantrag des Betroffenen hin die Befristungsentscheidung der Ausländerbehörde im Rahmen des durch die Antragstellung begrenzten Streitgegenstandes vollumfänglich zu überprüfen. Hat eine Ausländerbehörde eine zu lange Frist festgesetzt oder fehlt eine behördliche Befristungsentscheidung, hat das Gericht über die konkrete Dauer einer angemessenen Frist selbst zu befinden und die Ausländerbehörde zu einer entsprechenden Befristung der Ausweisung zu verpflichten (Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 40).
2.2 Der Hilfsantrag ist aber unbegründet.
Nachdem die Beklagte während des Revisionsverfahrens eine Befristung für die Dauer von sieben Jahren, beginnend mit der Ausreise oder Abschiebung des Klägers ausgesprochen hat, war vom Senat nur noch zu entscheiden, ob der Kläger - bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz - einen Anspruch auf Festsetzung einer kürzeren Frist von maximal vier Jahren hat. Dies ist nicht der Fall.
Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm wird nach Satz 2 der Vorschrift auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt. Satz 3 der Vorschrift ordnet an, dass diese kraft Gesetzes eintretenden Wirkungen auf Antrag befristet werden. Die Frist ist gemäß Satz 4 unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Bei Bemessung der Länge der Frist wird berücksichtigt, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist (Satz 5). Die Frist beginnt nach Satz 6 mit der Ausreise. Nach Satz 7 erfolgt keine Befristung, wenn ein Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG aus dem Bundesgebiet abgeschoben wurde.
Unter Zugrundelegung der Maßstäbe des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ergibt sich im vorliegenden Fall kein Anspruch auf Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf weniger als die von der Ausländerbehörde zwischenzeitlich festgesetzten sieben Jahre. Die allein unter präventiven Gesichtspunkten zu bestimmende Frist darf hier fünf Jahre schon deshalb überschreiten, weil von dem Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht in der Person des Klägers weiterhin die Gefahr der Begehung von Straftaten im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität - einschließlich des Handels mit Heroin - und damit eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung.
Bei der Bemessung der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Dabei bedarf es der prognostischen Einschätzung, wie lange das Verhalten des Klägers, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Der Senat geht davon aus, dass in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischerweise noch gestellt werden kann. Weiter in die Zukunft lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung kaum abschätzen, ohne spekulativ zu werden (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2012 - BVerwG 1 C 20.11 - NVwZ 2013, 733 Rn. 40). Im vorliegenden Fall geht es vorrangig um die Abwehr von Gefahren für das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung durch den Handel mit Heroin durch den Kläger. Dabei handelt es sich um hochrangige Rechtsgüter. Der Kläger ist drogenabhängig und hat zur Beschaffung von Betäubungsmitteln über die Dauer von mehr als 20 Jahren regelmäßig Straftaten begangen. Dazu gehörten neben Eigentumsdelikten mehrere Straftaten wegen Erwerbs, Besitzes, Abgabe und Handels mit Betäubungsmitteln, vornehmlich mit Heroin. Im Juni 2007 wurde er wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (Heroin und Kokain) zu einer Einzelstrafe von zwei Jahren und einem Monat verurteilt, was verdeutlicht, dass es sich nicht um Bagatellkriminalität handelte. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht beim Kläger eine erhöhte Rückfallgefahr. Denn er ist seit vielen Jahren heroinabhängig, mehrere Therapieversuche blieben ohne Erfolg und er verfügt über keine Berufsausbildung, um sich eine Existenzgrundlage außerhalb der Kriminalität aufzubauen. In seinem Fall ist ein Ende der von ihm ausgehenden Gefahren für Leben und Gesundheit der Bevölkerung infolge des Handels mit Drogen nicht absehbar. Die von der Beklagten zwischenzeitlich festgesetzte Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots von sieben Jahren ist unter Berücksichtigung der gefährdeten Rechtsgüter und der hohen Rückfallgefahr nicht überhöht.
Allerdings muss sich die nach der Gefahr für die öffentliche Ordnung ermittelte Frist an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK, messen lassen. Sie ist daher gegebenenfalls in einem zweiten Schritt zu relativieren. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen sowie gegebenenfalls seiner engeren Familienangehörigen zu begrenzen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 42 m.w.N.). Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen. Im vorliegenden Fall ist der Kläger zwar in Deutschland geboren und hat hier nahezu sein ganzes Leben verbracht. Familiäre Bindungen hat er allerdings - anders als in dem vom Senat mit Urteil vom 13. Dezember 2012 entschiedenen Fall eines nach islamischem Ritus verheirateten Klägers, dessen Frau ein Kind von ihm erwartete (a.a.O. Rn. 42) - nur an seine Mutter und seine erwachsenen Geschwister. Zudem hat der Kläger sein Leben im Wesentlichen in Strafhaft, in verschiedenen Wohn- und Therapieeinrichtungen und in der Drogenszene verbracht, sodass das Maß seiner Integration in das legale gesellschaftliche Leben in Deutschland gering ist. Die Festsetzung einer Sperrfrist von weniger als sieben Jahren kommt unter Zugrundelegung der vom Senat entwickelten Kriterien daher nicht in Betracht.
Der Senat weist darauf hin, dass der Kläger jederzeit einen Antrag auf Verkürzung der von der Beklagten festgesetzten Frist nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG stellen kann, wenn sich die für die Festsetzung maßgeblichen Tatsachen nachträglich ändern sollten, etwa weil sich seine Rückfallgefahr infolge einer erfolgreichen Drogentherapie deutlich vermindert hat.
3. Die Abschiebungsandrohung in der in der Berufungsverhandlung abgeänderten Fassung ist rechtmäßig. Der Kläger ist ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1 AufenthG), da infolge der Ausweisung seine aufgrund des rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrags gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG als fortbestehend geltende Aufenthaltserlaubnis erloschen ist (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Die von der Beklagten für den Fall der Haftentlassung getroffene Festsetzung der Ausreisefrist von einem Monat legt der Senat in Übereinstimmung mit § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zugunsten des Klägers dahingehend aus, dass ihm eine Frist von 30 Tagen für die freiwillige Ausreise zur Verfügung steht.
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Deutschland
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BMJV
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public
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WBRE410019613
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BVerwG
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2. Senat
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20130531
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2 C 6/11
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Beschluss
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§ 119 Abs 1 VwGO, § 314 ZPO, § 320 ZPO
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern, 28. Oktober 2009, Az: 2 L 209/06, Urteil vorgehend VG Greifswald, 4. Mai 2006, Az: 6 A 1096/03
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DEU
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Tatbestandsberichtigung; Revisionsurteil; Beurkundungsfunktion des Tatbestandes
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Der Tatbestand eines Revisionsurteils unterliegt grundsätzlich nicht der Tatbestandsberichtigung gemäß § 119 Abs. 1 VwGO. Anders ist dies nur, soweit das Revisionsurteil urkundliche Beweiskraft entfaltet, so etwa bei der Wiedergabe der Revisionsanträge oder sonstiger, in der Revisionsinstanz abgegebener Prozesserklärungen (im Anschluss an Beschlüsse vom 8. Oktober 1986 - BVerwG 4 C 21.84 - juris m.w.N. und vom 16. Mai 1960 - BVerwG 3 ER 404.60 - Buchholz 427.3 § 339 LAG Nr. 101 S. 127; stRspr).
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Der Antrag des Klägers auf Tatbestandsberichtigung ist unzulässig.
Der Tatbestand eines Revisionsurteils unterliegt grundsätzlich nicht der Tatbestandsberichtigung gemäß § 119 Abs. 1 VwGO (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 16. Mai 1960 - BVerwG 3 ER 404.60 - Buchholz 427.3 § 339 LAG Nr. 101 S. 127 und vom 8. Oktober 1986 - BVerwG 4 C 21.84 - juris LS und Rn. 1 m.w.N.; ebenso: BFH, Beschlüsse vom 11. Februar 1965 - IV 102/64 U - BFHE 82, 62, vom 24. August 1967 - IV 410/61 - BFHE 89, 565, vom 19. März 1982 - VI R 180/78 - juris Rn. 3, zuletzt vom 9. Oktober 2008 - V R 45/06 - BFH/NV 2009, 39 = juris Rn. 3 f.; BGH, Beschlüsse vom 27. Juni 1956 - IV ZR 317/55 - NJW 1956, 1480, zuletzt vom 29. Mai 2012 - I ZR 6/10 - GRUR-RR 2012, 496; BAG, Beschlüsse vom 27. April 1982 - 4 AZR 272/79 - BAGE 38, 316, zuletzt vom 19. Dezember 1996 - 6 AZR 125/95 - juris Rn. 8).
Die Tatbestandsberichtigung nach § 119 VwGO ist vom Gesetzgeber mit Rücksicht auf die urkundliche Beweiskraft, die dem Tatbestand nach § 173 VwGO i.V.m. § 314 ZPO zukommt, zugelassen worden. Es soll verhindert werden, dass infolge dieser Beweiskraft ein unrichtig beurkundeter Prozessstoff Grundlage für die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts wird (vgl. nur BFH, Beschluss vom 24. August 1967 a.a.O.). Das Revisionsgericht trifft aber keine eigenen Feststellungen, sondern ist an die in der angegriffenen Entscheidung enthaltenen Feststellungen gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO). Sofern diese nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen worden sind, bilden allein sie die Grundlage des Revisionsurteils.
Anderes gilt nur, soweit das Revisionsurteil urkundliche Beweiskraft entfaltet, so etwa bei der Wiedergabe der Revisionsanträge oder sonstiger, in der Revisionsinstanz abgegebener Prozesserklärungen. Von dieser Ausnahme abgesehen hat der in einem Revisionsurteil enthaltene Tatbestand keine selbstständige Bedeutung. Er dient lediglich dazu, das Verständnis der nachfolgenden Revisionsgründe zu erleichtern, die sich allein auf die von dem Berufungsgericht in dem angefochtenen Urteil festgestellten Tatsachen stützen.
Etwas anderes gilt auch nicht im Hinblick auf eine etwa im Anschluss beabsichtigte Verfassungsbeschwerde gegen das Revisionsurteil, da das Bundesverfassungsgericht an die Wiedergabe der Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz im Revisionsurteil nicht über eine § 137 Abs. 2 VwGO vergleichbare Norm gebunden wäre (ebenso: BFH, Beschlüsse vom 9. Oktober 2008 a.a.O. Rn. 3 und vom 20. Dezember 1983 - VII R 33 - 34/82 - juris Rn. 4 ; offengelassen: BGH, Beschluss vom 6. Juli 1998 - II ZR 117/97 - juris Rn. 3).
Die vom Kläger beanstandeten Textpassagen im Revisionsurteil betreffen keine einer Tatbestandsberichtigung zugängliche Darstellung von Prozesserklärungen oder Verfahrenshandlungen in der Revisionsinstanz, sondern allein die informatorische Wiedergabe der wesentlichen Gründe des Eilbeschlusses des Berufungsgerichts vom 10. Oktober 2003 - 2 M 88/03.
Im Übrigen hat auch der Senat die Unterbrechung des Stellenbesetzungsverfahrens zugunsten von M ausdrücklich als rechtswidrige Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs (auch) des Klägers angesehen (Urteil vom 29. November 2012 - BVerwG 2 C 6.11 - Rn. 23 ff.).
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Deutschland
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BMJV
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public
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WBRE410019614
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BVerwG
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1. Senat
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20130522
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1 B 25/12
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Beschluss
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Art 6 Abs 1 GG, Art 8 MRK, § 7 Abs 2 S 2 AufenthG 2004
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vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 19. September 2012, Az: 11 S 397/12, Urteil vorgehend VG Stuttgart, 24. Oktober 2011, Az: 11 K 1597/11
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DEU
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Vorliegen einer ehelichen Lebensgemeinschaft; Bewertungskriterium; nachträgliche Befristung einer Aufenthaltserlaubnis; maßgeblicher Zeitpunkt
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1. Für das Vorliegen einer ehelichen Lebensgemeinschaft, die aufenthaltsrechtlichen Schutz nach Art. 6 GG genießt, kommt es auf den nachweisbar betätigten Willen beider Eheleute an, ein gemeinsames Leben zu führen. Bei der im jeweiligen Einzelfall vorzunehmenden Bewertung, ob eine aufenthaltsrechtlich beachtliche tatsächliche Lebensgemeinschaft vorliegt oder lediglich eine Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen, verbietet sich eine schematisierende Betrachtung.
2. Bei der nachträglichen Verkürzung der Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis auf den Zeitpunkt der Zustellung des Befristungsbescheids nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG (juris: AufenthG 2004) ist dieser Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich, wenn er vor dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Tatsachengerichts liegt.
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Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und der Divergenz gestützte Beschwerde ist unbegründet.
Der Kläger, ein serbischer Staatsangehöriger, reiste im Jahre 2001 nach Deutschland ein. Er ist seit Januar 2007 mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet und beantragte im Juli 2007 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug. Im Februar 2008 wurde ihm eine bis Ende Juni 2008 befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt, die vor Ablauf um drei Jahre verlängert wurde. Im Hinblick darauf, dass seine Ehefrau im Laufe des Jahres 2009 die gemeinsame Wohnung in Stuttgart verließ und nach Heilbronn zog, verkürzte die Beklagte durch Bescheid vom 14. Oktober 2010 gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG die Befristung der Aufenthaltserlaubnis nachträglich auf den Zeitpunkt der Zustellung dieses Bescheides. Nach Erhebung der Anfechtungsklage stellte der Kläger im Juni 2011 einen Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Klage und Berufung des Klägers blieben sowohl hinsichtlich der nachträglichen Verkürzung der Frist als auch der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis erfolglos.
1. Die Grundsatzrügen des Klägers greifen nicht durch. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Beantwortung nicht zugänglich ist.
1.1 Die Frage,
"welches Maß der tatsächlichen Verbundenheit zwischen den Ehegatten den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG auslöst",
lässt sich, soweit sie nicht bereits geklärt ist und soweit eine abstrakte Beantwortung überhaupt möglich ist, ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens ohne Weiteres beantworten. Aufenthaltstitel für den Familiennachzug zu Deutschen werden zur Herstellung und Wahrung der familiären bzw. ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet erteilt (§ 27 Abs. 1 AufenthG). Allein das formale Band der Ehe reicht daher für sich genommen nicht aus, um aufenthaltsrechtliche Wirkungen zu entfalten. Erst der bei beiden Eheleuten bestehende Wille, die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet tatsächlich herzustellen oder aufrechtzuerhalten, löst den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG aus; die Beweislast für das Bestehen dieses Herstellungswillens als einer inneren Tatsache trägt der Ausländer (Urteile vom 22. Juni 2011 - BVerwG 1 C 11.10 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u Asylrecht Nr. 53 Rn. 14 ff. und vom 30. März 2010 - BVerwG 1 C 7.09 - BVerwGE 136, 222 Rn. 15 = Buchholz 402.242 § 27 AufenthG Nr. 2). Allerdings verbietet es sich angesichts der Vielfalt der von Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Ausgestaltungsmöglichkeiten der familiären Lebensgemeinschaft, schematische oder allzu enge Mindestvoraussetzungen für das Vorliegen einer ehelichen Lebensgemeinschaft zu formulieren (BVerfG, Kammerbeschluss vom 30. Januar 2002 - 2 BvR 231/00 - NVwZ 2002, 849, Rn. 22). Selbst wenn Eheleute typischerweise ihren Lebensmittelpunkt in einer gemeinsamen Wohnung haben, kann eine eheliche Lebensgemeinschaft auch dann bestehen, wenn die Eheleute - etwa aus beruflichen Gründen - in getrennten Wohnungen leben oder aus gewichtigen Gründen - Berufstätigkeit, Inhaftierung - wenig persönlichen Kontakt haben. In einem derartigen Fall ist allerdings erforderlich, dass das Bestehen einer über eine bloße Begegnungsgemeinschaft hinausreichenden familiären Beistandsgemeinschaft auf andere Weise erkennbar sichergestellt ist, etwa durch eine jedenfalls erforderliche intensive Kommunikation zwischen den Eheleuten als Indiz für eine gemeinsame Lebensgestaltung, durch Beistandsleistungen oder Besuche im Rahmen des Möglichen (Urteil vom 22. Juni 2011 a.a.O. Rn. 18; im Übrigen vgl. auch Marx, in: Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht in der anwaltlichen Praxis, 4. Aufl. 2011, § 5 Rn. 12 ff., 32 ff., 90 ff.). Maßgeblich ist der nachweisbar betätigte Wille, mit der Partnerin bzw. dem Partner als wesentlicher Bezugsperson ein gemeinsames Leben zu führen. Ob dieser Wille vorliegt und praktiziert wird, ist allerdings eine Frage des jeweiligen Einzelfalls; die abstrakte Festlegung weiterer, über die vom Berufungsgericht zutreffend zugrunde gelegten Obersätze hinausgehender Kriterien für das Maß an tatsächlicher Verbundenheit zwischen den Eheleuten ist nicht möglich.
Von diesen Grundsätzen ausgehend und unter Berücksichtigung der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG, wirft die Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht keine rechtsgrundsätzlich bedeutsamen Fragen auf. Insbesondere besteht angesichts der in der mündlichen Verhandlung nach eingehender Anhörung des Klägers sowie seiner Ehefrau als Zeugin festgestellten Tatsachen kein Anlass, weitere Mindestvoraussetzungen für das Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft aufzustellen. Denn das Berufungsgericht hat festgestellt, dass im entscheidungserheblichen Zeitpunkt zwischen den Eheleuten dauerhaft keine auf eine Lebens- oder Beistandsgemeinschaft deutenden Kontakte mehr bestanden, ohne dass hiergegen eine durchgreifende Verfahrensrüge erhoben worden wäre.
1.2 Auch die weitere Frage,
"welcher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei Klagen, die sich gegen die nachträgliche Verkürzung der Geltungsdauer eines Aufenthaltstitels richten und bei denen der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nach Ablauf der Geltungsdauer des Aufenthaltstitels liegt, maßgeblich ist",
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, weil sie sich anhand der Rechtsprechung ohne Weiteres beantworten lässt. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Aufenthaltsrecht beruht auf der Annahme, dass im Streit um das Fortbestehen eines Aufenthaltsrechts aus materiell-rechtlichen Gründen auf einen möglichst späten Beurteilungszeitpunkt abzustellen ist, um die Berücksichtigung aktueller tatsächlicher Entwicklungen etwa im Lichte des Art. 8 EMRK oder des Art. 6 GG zu ermöglichen. Deshalb sind Ausweisungen ebenso wie Abschiebungsandrohungen oder Ermessensentscheidungen über die Erteilung und Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis sowie Entscheidungen über die Rücknahme oder den Widerruf eines unbefristeten Aufenthaltstitels auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zu überprüfen, wie sie sich im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz darstellt (Urteile vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 12 = Buchholz 402.242 § 55 AufenthG Nr. 7; vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 37 f. = Buchholz 402.242 § 32 AufenthG Nr. 4; vom 13. April 2010 - BVerwG 1 C 10.09 - Buchholz 402.242 § 51 AufenthG Nr. 1 und vom 22. März 2012 - BVerwG 1 C 3.11 - BVerwGE 142, 179 Rn. 13 = Buchholz 402.242 § 23 AufenthG Nr. 3). Diese Gründe treffen auf eine durch nachträgliche Verkürzung der Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis bewirkte zeitliche Verkürzung des Aufenthaltsrechts in gleicher Weise zu. Einer Einbeziehung tatsächlicher Entwicklungen nach Erlass des angegriffenen Verwaltungsaktes bedarf es allerdings nicht, wenn die nachträglich eingetretenen Tatsachen sich auf den angegriffenen Verwaltungsakt nicht mehr auswirken können, sondern - insbesondere nach dem Wegfall des Aufenthaltsrechts und dem Entstehen einer Ausreisepflicht - Bedeutung lediglich für die Neuerteilung eines Titels oder die Verlängerung des abgelaufenen Titels haben. Bei der nachträglichen Verkürzung der Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis auf den Zeitpunkt der Zustellung eines Befristungsbescheids nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist deshalb dieser Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich, wenn er vor der letzten mündlichen Verhandlung des Tatsachengerichts bzw. der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung liegt (ebenso Discher, in: GK zum Aufenthaltsgesetz II, § 7 Rn. 508; vgl. auch VGH Mannheim, Urteil vom 15. Juli 2009 - 13 S 2372/08 - NVwZ 2009, 1380 Rn. 42; sowie VGH München, Beschluss vom 16. August 2011 - 10 CS 11.432 - BayVBl 2012, 210 Rn. 30).
Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage würde sich im Übrigen - unabhängig von ihrer mangelnden grundsätzlichen Bedeutung - in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Denn das Berufungsgericht hat für den Zeitraum von November 2009 bis Juni 2012 festgestellt, dass eine eheliche Lebensgemeinschaft zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau nicht mehr bestand, ohne dass durchgreifende Verfahrensrügen hiergegen erhoben wären. Diese Feststellung umfasst alle in Betracht kommenden Zeitpunkte (19. Oktober 2010: Zustellung des angegriffenen Bescheids über die nachträgliche Befristung, 17. Juni 2011: Ablauf des ursprünglichen Aufenthaltstitels und 19. September 2012: mündliche Verhandlung in der Berufungsinstanz).
2. Die vom Kläger behauptete Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) des Berufungsurteils von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Januar 2002 - 2 BvR 231/00 - führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision.
Eine Divergenz im Sinne der genannten Vorschrift ist gegeben, wenn das Berufungsgericht in dem angefochtenen Urteil einen das Urteil tragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, mit dem es einem Rechtssatz widersprochen hat, den eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat.
Die Divergenzrüge ist schon unzulässig, da sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entspricht. Sie rügt zwar eine Abweichung des Berufungsgerichts von der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, arbeitet jedoch die abstrakten, entscheidungstragenden Rechtssätze der beiden Entscheidungen nicht heraus, deren Divergenz der Kläger geltend machen möchte. Hiervon unabhängig liegt die gerügte Divergenz weder ausdrücklich noch unausgesprochen vor. Vielmehr stützt sich das Berufungsgericht auf die von der Beschwerde benannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und legt seinem Urteil insbesondere die Annahme zugrunde, dass für das Bestehen einer familiären bzw. ehelichen Lebensgemeinschaft nicht zwingend eine häusliche Gemeinschaft erforderlich ist, sondern es im Kern auf den betätigten Willen ankommt, ein gemeinsames Leben zu führen. Dieser Obersatz genügt dem Rechtssatz des Bundesverfassungsgerichts, eine schematische Einordnung und Qualifizierung einer tatsächlichen Situation als aufenthaltsrechtlich schutzwürdige Lebensgemeinschaft oder als bloße Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen verbiete sich angesichts der Vielfalt der von Art. 6 GG erfassten Gestaltungsmöglichkeiten.
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Deutschland
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WBRE410019615
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BVerwG
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6. Senat
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20130425
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6 C 5/12
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Urteil
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Art 3 Abs 1 GG, Art 21 Abs 1 GG, § 124 VwGO, § 124a VwGO, § 48 Abs 1 VwVfG, § 49a VwVfG, § 18 Abs 3 S 1 Nr 3 PartG vom 31.01.1994, § 19 PartG vom 31.01.1994, § 23a Abs 1 S 1 PartG vom 31.01.1994, § 23a Abs 2 PartG vom 31.01.1994, § 25 Abs 1 S 2 Nr 5 PartG vom 31.01.1994, § 25 Abs 1 S 2 Nr 6 PartG vom 31.01.1994, § 23a Abs 1 S 3 PartG vom 28.06.2002, § 23b Abs 2 S 1 PartG vom 28.06.2002, § 24 Abs 2 PartG vom 28.06.2002, § 39 Abs 3 PartG vom 28.06.2002, § 25 PartG vom 28.06.2002, § 31b PartG vom 28.06.2002, § 31c Abs 1 PartG vom 28.06.2002, § 31a Abs 1 PartG vom 28.06.2002, § 31a Abs 2 PartG vom 28.06.2002
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vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 28. November 2011, Az: OVG 3a B 2.11, Urteil vorgehend VG Berlin, 8. Dezember 2009, Az: 2 K 126.09, Urteil
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DEU
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Politische Partei; staatliche Teilfinanzierung; anonymer Spender; Sanktionsbescheid; Rückerstattung; Selbstanzeige
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1. Für die nach § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 PartG 1994 bzw. § 25 Abs. 2 Nr. 6 PartG 2002 erforderliche Feststellung der Identität des Spenders kommt es dann nicht auf die Kenntnis einer zur Entgegennahme, Verwaltung und Verwendung der Spende berechtigten Person im Zeitpunkt der Annahme der Spende an, wenn diese Person in kollusivem Zusammenwirken mit dem Spender ihr Wissen gegenüber der Partei gezielt verbirgt (Fortentwicklung der Senatsrechtsprechung, vgl. Urteil vom 26. Juli 2006 - BVerwG 6 C 20.05 - BVerwGE 126, 254 <271 f.>).
2. Der auf § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 gestützten Rücknahme eines Bescheides über die Gewährung staatlicher Mittel steht nicht die zeitliche Grenze für die Prüfungsbefugnis des Präsidenten des Deutschen Bundestages nach § 23a Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 24 Abs. 2 PartG 2002 entgegen.
3. Die in § 23b Abs. 2 Satz 1 PartG 2002 geregelte Möglichkeit einer sanktionsbefreienden Selbstanzeige besteht auch bei Verstößen gegen die Annahme oder Veröffentlichung von Spenden, wenn die Sachverhalte vor Inkrafttretung der Regelung abgeschlossen waren und daher noch auf der Grundlage der früheren Rechtslage durch (teilweise) Rücknahme der betreffenden Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel nach § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 zu sanktionieren sind.
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Die Klägerin ist eine politische Partei. Auf der Grundlage der von ihr jährlich eingereichten Rechenschaftsberichte bewilligte ihr der Präsident des Deutschen Bundestages für die Jahre 1997 bis 2001 und 2003 jeweils staatliche Teilfinanzierung.
Mit Bescheid vom 2. Juli 2009 nahm der Präsident des Deutschen Bundestages nach Anhörung der Klägerin die Bescheide zur Gewährung staatlicher Mittel teilweise zurück und setzte gegen die Klägerin Rückerstattungs- und Abführungspflichten in Höhe von insgesamt 3 463 148,79 € fest. Zur Begründung führte er aus, dass der Landesverband Nordrhein-Westfalen der Klägerin in den Jahren 1996 bis 2000 und 2002 Barspenden von seinem damaligen Vorsitzenden M. unter Verstoß gegen ein gesetzliches Spendenannahmeverbot angenommen und mangels unverzüglicher Weiterleitung an den Präsidenten des Deutschen Bundestages rechtswidrig erlangt habe. Ferner habe der Landesverband in den Jahren 1998 und 2000 Sachspenden seines Vorsitzenden angenommen, ohne dass diese in den jeweiligen Rechenschaftsberichten der Klägerin unter Angabe des Namens und der Anschrift des Spenders verzeichnet worden seien. Nach den anzuwendenden Vorschriften des Parteiengesetzes in der Fassung von 1994 verliere die Klägerin daher den Anspruch auf staatliche Mittel in Höhe des Zweifachen der rechtswidrig erlangten oder nicht den Vorschriften des Parteiengesetzes entsprechend veröffentlichten Beträge. Da die rechtswidrig angenommenen Spenden zudem an das Präsidium des Deutschen Bundestages abzuführen seien, seien die Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel jeweils in Höhe des Dreifachen der genannten Beträge zurückzunehmen und entsprechende Rückzahlungsverpflichtungen festzusetzen. Besonderheiten, die ausnahmsweise für ein Absehen von der Teilrücknahme der Bewilligungsbescheide sprechen könnten, weise der Sachverhalt nicht auf.
Auf die von der Klägerin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 8. Dezember 2009 die Klage im Wesentlichen abgewiesen. Zwar sei der angefochtene Bescheid teilweise aufzuheben, soweit die Beklagte die fraglichen Bewilligungsbescheide im Hinblick auf die Pflicht zum Abführen rechtswidrig erlangter Spenden in Höhe von mehr als dem Zweifachen der Spendenbeträge zurückgenommen habe. Insoweit finde die Festsetzung der Zahlungspflicht jedoch ihre Rechtsgrundlage in der gesetzlichen Pflicht zum Abführen rechtswidrig erlangter Spenden.
Die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 28. November 2011 zurückgewiesen: Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel für die Jahre 1997 bis 2001 und 2003 sei § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG in der Fassung von 1994. Die im Januar 2003 in Kraft getretene Regelung des § 31c Abs. 1 PartG sei auf die Sanktionierung der in den Jahren 1996 bis 2000 und im Jahr 2002 von der Klägerin erlangten Spenden nicht anzuwenden. Die Bewilligungsbescheide seien in Höhe des Zweifachen des von der Klägerin rechtswidrig erlangten oder nicht den Vorschriften des Parteiengesetzes entsprechend veröffentlichten Betrages rechtswidrig. Insoweit habe die Beklagte staatliche Teilfinanzierung gewährt, obwohl die Klägerin ihren Anspruch auf staatliche Teilfinanzierung kraft Gesetzes verloren habe.
Die Klägerin habe Barspenden rechtswidrig erlangt, die der frühere Landesvorsitzende M. an Herrn K. übergeben habe, der in der Zeit von Mai 1996 bis 2000 Schatzmeister des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen der FDP und vom 1. April 2000 bis zu seiner Entlassung im November 2002 dessen Hauptgeschäftsführer sowie Leiter des Referats "Finanzen und Verwaltung" gewesen sei. Die Annahme dieser Spenden habe gegen das in § 25 Abs. 2 Nr. 6 Alt. 1 PartG 2002 bzw. § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 PartG 1994 geregelte Spendenannahmeverbot verstoßen, weil für die Partei im Zeitpunkt der Annahme der Spende der Spender nicht feststellbar gewesen sei. Es sei nicht ausreichend, dass K. die Identität des Spenders gekannt habe. Denn für die für die Rechenschaftslegung verantwortlichen Organe der Partei sei die wirkliche Identität des Spenders im Zeitpunkt der Annahme der Spende nicht feststellbar gewesen. Eine Wissenszurechnung an die Partei sei dann ausnahmsweise nicht gerechtfertigt, wenn die zur Entgegennahme der Spende berechtigte Person im Zeitpunkt der Annahme der Spende mit dem Spender zum Nachteil des Transparenz- und Publizitätsgebots des Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG in der Weise zusammenwirke, dass der wirkliche Spender weder der Partei noch der Öffentlichkeit im Rechenschaftsbericht bekannt werden solle. Da die Verantwortung für den Rechenschaftsbericht und die Prüfungspflicht für die ordnungsgemäße Rechenschaftslegung der Spende miteinander korrespondieren müssten, müsse die Person des Spenders für die Vorstandsmitglieder etwa anhand von Akten und Kontoführungsunterlagen oder zumindest durch einfache Rückfragen feststellbar sein. Anderenfalls könnte auch die innerparteiliche Transparenz der Herkunft von Spenden nicht wirksam gesichert werden.
Zudem habe die Klägerin die in den Jahren 1996 bis 2000 von M. erlangten Barspenden nicht der Vorschrift des § 25 Abs. 2 PartG 1994 entsprechend unter Angabe des Namens und der Anschrift des tatsächlichen Spenders sowie der Gesamthöhe der Spende in den Rechenschaftsberichten der Jahre 1996 bis 2000 verzeichnet. Gleiches gelte in Bezug auf die der Klägerin in den Jahren 1998 und 2000 von M. zugewandten Sachspenden.
Der Rücknahme der Bewilligungsbescheide über staatliche Mittel für die Jahre 1997 und 1998 stehe nicht das Überschreiten einer gesetzlich geregelten Zehn-Jahres-Zeitgrenze entgegen. Weder der Rücknahmeausschluss des § 31a Abs. 2 i.V.m. § 24 Abs. 2 PartG 2002 noch die zeitliche Begrenzung der Befugnis zur Prüfung von Rechenschaftsberichten nach § 23a Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 24 Abs. 2 PartG 2002 seien hier anwendbar. Der Rücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel stehe ferner kein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin entgegen. Bei der Bewertung des öffentlichen Interesses an der Rücknahme der Bewilligungsbescheide seien der zwingende Charakter des § 23a Abs. 1 PartG 1994 sowie der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien zu berücksichtigen. Demgegenüber seien die Auswirkungen der Rücknahme für die Klägerin angesichts ihrer im Jahr 2009 erzielten Gesamteinnahmen nicht unverhältnismäßig hoch. Die teilweise Rücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel sei schließlich nicht ermessensfehlerhaft. Dem zwingenden Charakter des § 23a Abs. 1 PartG 1994 müsse auch im Rahmen der Rücknahmeentscheidung Rechnung getragen werden. Die Berücksichtigung der Aufklärungsbemühungen der Klägerin wäre nur möglich gewesen, wenn die Regelungen des Parteiengesetzes in der Fassung von 1994 hierfür einen rechtlichen Ansatz geboten hätten. Die Regelung des § 23b Abs. 2 PartG 2002 über Sanktionsfreiheit nach Selbstanzeige sei indes erst im Juli 2002 in Kraft getreten und deshalb auf die staatlichen Reaktionen auf die zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossenen Spendenfälle nicht anwendbar. Das Verwaltungsgericht habe die Klage auch insoweit zu Recht abgewiesen, als in dem angefochtenen Bescheid Rückerstattungs- und Abführungsverpflichtungen in einer Gesamthöhe von 3 463 148,79 € festgesetzt worden seien.
Gegen das Berufungsurteil hat die Klägerin die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt, hiervon jedoch den an die Sachspenden aus dem Rechnungsjahr 2000 anknüpfenden, einem Betrag in Höhe von 450 706,25 € entsprechenden Teil des Sanktionsbescheides ausgenommen. Zur Begründung der Revision macht sie im Wesentlichen geltend: Bei jeder der Spenden, die K. für ihren Landesverband Nordrhein-Westfalen entgegengenommen habe, sei im Zeitpunkt der Annahme deren Spender feststellbar im Sinne des § 25 Abs. 2 Nr. 6 Alt. 1 PartG 2002 bzw. des § 25 Abs. 2 Nr. 5 Alt. 1 PartG 1994 gewesen. Denn in allen Fällen habe die nach dem Organisationsrecht der Partei zur Entgegennahme und Verwaltung von Spenden berechtigte Person schon bei Entgegennahme der Barspenden den Spender positiv gekannt. Werde für die Feststellbarkeit eines Spenders die Kenntnisnahmemöglichkeit aller Vorstandsmitglieder anhand von Akten oder Kontoführungsunterlagen verlangt, führe dies zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Verlagerung des rechtlich maßgeblichen Zeitpunkts in die Zukunft. Jedenfalls müsse dann die Konsequenz gezogen werden, dass für 2002 wegen zeitnaher Feststellung des Spenders M. für jedes Vorstandsmitglied in Folge einer am 25. November 2002 abgegebenen Erklärung der Anwälte von M. ein Eingreifen des Annahmeverbots ausgeschlossen sei.
Im Zeitpunkt des Bescheiderlasses am 2. Juli 2009 sei für die Jahre 1996 bis 1998 ferner die Zehn-Jahres-Zeitgrenze für die Prüfungsbefugnis des Präsidenten des Deutschen Bundestages nach § 23a Abs. 1 Satz 3 PartG i.V.m. § 24 Abs. 2 PartG 2002 bereits abgelaufen gewesen. Diese zeitliche Grenze gelte auch für Rechenschaftsberichte, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vorschrift am 1. Januar 2003 schon eingereicht gewesen seien, da die Norm den Parteien keine Pflichten auferlege, sondern lediglich ein zeitlich nach Inkrafttreten der Norm liegendes Verhalten des Präsidenten des Deutschen Bundestages als zuständiger Behörde steuere. Dass § 23a PartG 2002 mit Ausnahme des Absatz 3 nicht auf die Prüfung von Rechenschaftsberichten ab dem Rechenschaftsjahr 2002 begrenzt sei, sondern auch für schon eingereichte Rechenschaftsberichte gelte, folge zudem aus der Übergangsregelung des § 39 Abs. 3 Satz 1 PartG 2002. Der Gesetzgeber habe mit § 23a Abs. 1 Satz 3 PartG 2002 eine allgemeine Wertung zum Ausdruck gebracht, dass nach Ablauf von zehn Jahren die Rechtssicherheit den Vorrang gegenüber der Durchsetzung des materiellen Rechts haben solle. Dieses Ziel habe er zusätzlich in den Regelungen des § 31a Abs. 2, § 31b Satz 4 und § 31c Abs. 1 Satz 4 PartG 2002 umgesetzt. Der Gesetzgeber habe Prüfungen der Rechenschaftsberichte nach einer so langen Zeit als nicht opportun angesehen, weil eine seinerzeit etwa eingetretene Verletzung des Wettbewerbsverhältnisses zwischen den Parteien verblasst sei und daran gleichwohl noch anknüpfende belastende Maßnahmen einen nicht mehr zu rechtfertigenden staatlichen Eingriff in das aktuelle, von der Chancengleichheit der politischen Parteien geprägte Wettbewerbsverhältnis zwischen ihnen darstelle.
Hinsichtlich der Transparenzverstöße im Zusammenhang mit den Geldspenden der Jahre 1999 und 2000 lägen die Voraussetzungen des § 23b Abs. 2 PartG 2002 vor, weil die Klägerin die entsprechenden Unrichtigkeiten in ihren Rechenschaftsberichten über diese Jahre beim Präsidenten des Deutschen Bundestages zu einem Zeitpunkt angezeigt habe, zu dem weder diesem noch der Öffentlichkeit konkrete Anhaltspunkte für diese unrichtigen Angaben bekannt gewesen seien. § 23b Abs. 2 PartG 2002 sei auch in zeitlicher Hinsicht anwendbar, da die Regelung für die Parteien keine neuen Pflichten begründe, sondern eine rein begünstigende Regelung sei. Jedenfalls wäre die in der Vorschrift zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertung bei der Ausübung eines nach § 48 Abs. 1 VwVfG eröffneten Ermessens zu berücksichtigen.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung der Urteile des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. November 2011 - OVG 3a B 2.11 - und des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8. Dezember 2009 - VG 2 K 126/09 - den Bescheid des Präsidenten des Deutschen Bundestages vom 2. Juli 2009 aufzuheben, soweit darin auch nach der Teilaufhebung durch das Urteil des Verwaltungsgerichts
1. der Bescheid über die Gewährung staatlicher Mittel für das Jahr 2003 vom 10. Februar 2004 in Höhe von 213 000 € zurückgenommen und eine Rückzahlungsverpflichtung in Höhe von 319 500 € festgesetzt worden ist,
2. der Bescheid über die Gewährung staatlicher Mittel für das Jahr 2001 vom 10. Februar 2002 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 10. Februar 2004 in Höhe von 1 963 500 DM (2 845 004,78 DM minus 881 504,78 DM) zurückgenommen und eine Rückzahlungsverpflichtung in Höhe von 1 505 882,41 € (= 3 x 981 750 DM) festgesetzt worden ist,
3. der Bescheid über die Gewährung staatlicher Mittel für das Jahr 2000 vom 13. Februar 2001 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 11. Juli 2002 und 10. Februar 2004 in Höhe von 390 000 DM zurückgenommen und eine Rückzahlungsverpflichtung in Höhe von 299 105,75 € festgesetzt worden ist,
4. der Bescheid über die Gewährung staatlicher Mittel für das Jahr 1999 vom 14. Februar 2000 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 10. Februar 2004 in Höhe von 1 354 687,66 DM zurückgenommen und eine Rückzahlungsverpflichtung in Höhe von 712 325,63 € festgesetzt worden ist,
5. der Bescheid über die Gewährung staatlicher Mittel für das Jahr 1998 vom 9. Februar 1999 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 10. Februar 2004 in Höhe von 105 500 DM zurückgenommen und eine Rückzahlungsverpflichtung in Höhe von 80 911,94 € festgesetzt worden ist,
6. der Bescheid über die Gewährung staatlicher Mittel für das Jahr 1997 vom 13. Februar 1998 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 10. Februar 2004 in Höhe von 123 500 DM zurückgenommen und eine Rückzahlungsverpflichtung in Höhe von 94 716,82 € festgesetzt worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
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Die zulässige Revision der Klägerin ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet und im Übrigen unbegründet. Das Oberverwaltungsgericht hat ohne Verstoß gegen revisibles Recht festgestellt, dass der Bescheid des Präsidenten des Deutschen Bundestages vom 2. Juli 2009 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt, soweit er die im Berufungsverfahren allein noch streitige Teilrücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel an die Klägerin für die Jahre 1997 bis 1999 in Höhe des Zweifachen des Betrages rechtswidrig erlangter oder nicht den Vorschriften des Parteiengesetzes entsprechend veröffentlichter Spenden enthält und eine Zahlungsverpflichtung in Höhe von 1 596 117,02 € festsetzt (1.). Auf der Verletzung revisiblen Rechts beruht das Berufungsurteil hingegen, soweit es die Teilrücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel an die Klägerin für die Jahre 2000, 2001 und 2003 betrifft; denn insoweit hat das Oberverwaltungsgericht nicht - wie den Umständen nach erforderlich - geprüft, ob die Voraussetzungen einer sanktionsbefreienden Selbstanzeige im Sinne des § 23b Abs. 2 Satz 1 PartG 2002 vorliegen (2.). Nicht zu beanstanden ist schließlich die Annahme des Berufungsgerichts, dass die in dem angefochtenen Bescheid enthaltene Festsetzung von Abführungspflichten hinsichtlich der von der Klägerin erlangten Barspenden rechtmäßig ist (3.).
1. a) Rechtsgrundlage für die Teilrücknahme der Bewilligungsbescheide für die Jahre 1997 bis 1999 ist § 48 Abs. 1 VwVfG. Danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Satz 1); ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt) darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden (Satz 2). Der Prüfung der Rechtswidrigkeit der zurückgenommenen Bewilligungsbescheide ist für die hier zu beurteilenden Spendenfälle aus den Jahren 1996 bis 1998 die Regelung des § 23a Abs. 1 Satz 1 des Parteiengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Januar 1994 (BGBl I S. 149) - PartG 1994 - zugrunde zu legen. Danach verliert eine Partei den Anspruch auf staatliche Mittel in Höhe des Zweifachen des rechtswidrig erlangten oder nicht den Vorschriften des Gesetzes entsprechend veröffentlichten Betrages, wenn sie Spenden rechtswidrig erlangt oder nicht den Vorschriften dieses Gesetzes entsprechend im Rechenschaftsbericht veröffentlicht hat (Satz 1).
Nicht anwendbar ist die Sanktionsregelung des § 31c Abs. 1 PartG in der durch Art. 2 Nr. 11 des Achten Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes vom 28. Juni 2002 (BGBl I S. 2268 <2275>) - PartG 2002 - geänderten Fassung, nach der gegen eine Partei ein Zahlungsanspruch in Höhe des Dreifachen von unter Verstoß gegen § 25 Abs. 2 PartG angenommenen und nicht gemäß § 25 Abs. 4 PartG an den Präsidenten des Deutschen Bundestages weitergeleiteten Spenden entsteht. Zwar ist diese Bestimmung gemäß Art. 6 Abs. 2 des genannten Änderungsgesetzes am 1. Januar 2003 und damit vor Erlass des angefochtenen Bescheides in Kraft getreten. Sie ist jedoch für die bis zum Ende des Jahres 2002 erlangten Spenden nicht maßgeblich (Urteil vom 26. Juli 2006 - BVerwG 6 C 20.05 - BVerwGE 126, 254 Rn. 83).
b) Nach § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 verliert eine Partei den Anspruch auf staatliche Mittel in Höhe des Zweifachen des Betrages von Spenden, die sie rechtswidrig erlangt oder nicht den Vorschriften dieses Gesetzes entsprechend im Rechenschaftsbericht veröffentlicht hat (§ 25 Abs. 2 PartG 1994). Im Fall eines solchen unmittelbar kraft Gesetzes eintretenden Anspruchsverlusts war der Präsident des Deutschen Bundestages verpflichtet, die staatlichen Mittel für die Partei, über deren Höhe er auf der Grundlage des Rechenschaftsberichtes für das Vorjahr zu entscheiden hatte (§ 19 Abs. 2 und 3 PartG 1994), um den zweifachen Betrag einer in diesem Jahr rechtswidrig angenommenen (oder nicht ordnungsgemäß veröffentlichten) Spende zu kürzen. Unterblieb - wie hier - eine solche Kürzung, weil dem Präsidenten des Deutschen Bundestages die rechtswidrige Annahme der Spende im Vorjahr nicht bekannt war, so war die Bewilligung der Mittel für das laufende Jahr in Höhe des Kürzungsbetrages rechtswidrig (Urteil vom 26. Juli 2006 a.a.O. Rn. 98).
Die hier relevanten Barspenden in den Jahren 1996 bis 1998 hat die Klägerin sowohl rechtswidrig erlangt (aa) als auch nicht den Vorschriften des Gesetzes entsprechend im Rechenschaftsbericht veröffentlicht (bb). Ein Verstoß gegen das Veröffentlichungsgebot liegt auch hinsichtlich der Sachspenden im Jahr 1998 vor (cc).
aa) Die Klägerin hat in den Jahren 1996 bis 1998 Barspenden des seinerzeitigen Vorsitzenden ihres Landesverbandes Nordrhein-Westfalen im Sinne des § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 rechtswidrig erlangt. Nach den gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts übergab dieser an den Schatzmeister des Landesverbandes im Jahr 1996 einen Betrag in Höhe von 61 750 DM, im Jahr 1997 einen Betrag in Höhe von 52 750 DM und im Jahr 1998 einen Betrag in Höhe von 38 500 DM. Die aus dem Privatvermögen des M. stammenden Geldbeträge wurden von K. unter Einschaltung Dritter - in kleineren Teilbeträgen - auf Konten des Landesverbandes eingezahlt bzw. überwiesen.
Als rechtswidrig erlangt gelten gemäß § 23a Abs. 2 PartG 1994 Spenden im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 2 PartG 1994, soweit sie entgegen der Vorschrift des § 25 Abs. 3 PartG 1994 nicht unverzüglich an das Präsidium des Deutschen Bundestages weitergeleitet werden. Eine solche Weiterleitung ist hinsichtlich der in den Jahren 1996 bis 1998 erlangten Barspenden unstreitig nicht erfolgt. Nach § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 PartG 1994 sind von der Befugnis der Parteien, Spenden anzunehmen (vgl. § 25 Abs. 1 Satz 1 PartG 1994), solche ausgenommen, die im Einzelfall mehr als 1 000 DM betragen und deren Spender nicht feststellbar sind. Die Bagatellgrenze von 1 000 DM ist hier jeweils überschritten. Für die nach § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 PartG 1994 deshalb entscheidende Frage der Feststellbarkeit des Spenders kommt es nach der Rechtsprechung des Senats auf die Kenntnis der zur Entgegennahme, Verwaltung und Verwendung der Spende berechtigten Personen im Zeitpunkt der Annahme der Spende an (Urteil vom 26. Juli 2006 a.a.O. Rn. 92 f.). Dies folgt insbesondere aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift, die dem durch Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG vorgegebenen Ziel der Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit durch frühzeitige Herstellung von Transparenz bereits im innerparteilichen Bereich dient. Die Kenntnis von der Identität des Spenders muss allerdings nicht bereits im Zeitpunkt der Entgegennahme der Spende vorliegen, sondern erst nach Ablauf einer gewissen Überprüfungsfrist. Die zur Entgegennahme, Verwaltung und Verwendung der Spenden befugten Parteimitglieder dürfen eine Spende nur dann nicht annehmen, wenn sie dasjenige, was ihnen nicht bekannt ist, im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Annahme der Spende nicht noch ermitteln können (Urteil des Senats vom 26. Juli 2006 a.a.O. Rn. 92).
Für die nach § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 PartG 1994 erforderliche Feststellung der Identität des Spenders kommt es allerdings dann nicht auf die Kenntnis einer zur Entgegennahme, Verwaltung und Verwendung der Spende berechtigten Person im Zeitpunkt der Annahme der Spende an, wenn diese Person in kollusivem Zusammenwirken mit dem Spender ihr Wissen gegenüber der Partei gezielt verbirgt. Dass die Kenntnis der Personen maßgeblich ist, die auf Grund des Organisationsrechts der Partei oder infolge ihrer parteiinternen Bestellung befugt sind, Spenden entgegenzunehmen, zu verwalten und zu verwenden, beruht auf der Prämisse, dass bei dem genannten Personenkreis in aller Regel davon auszugehen ist, dass er seine Kenntnis von der Herkunft der Mittel bei pflichtgemäßer Amtsführung der Partei und letztlich auch der außerparteilichen Öffentlichkeit vermittelt. Nur wenn diese Voraussetzung vorliegt, ist die Annahme gerechtfertigt, dass "der Partei" der wirkliche Spender bekannt ist.
Nach den gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, die die Klägerin nicht mit Verfahrensrügen angegriffen hat, waren die hier zu beurteilenden Spendenfälle dadurch geprägt, dass die von dem Landesvorsitzenden M. an den Schatzmeister bzw. Hauptgeschäftsführer K. übergebenen Spenden auf der Grundlage einer Absprache zwischen diesen beiden Personen als Kleinspenden gestückelt und unter Verwendung falscher Spendenbezeichnungen bzw. durch als vermeintliche Spender auftretende "Strohmänner" auf Konten des Landesverbandes eingezahlt bzw. überwiesen wurden. Mit diesem Vorgehen wollten M. und K. verhindern, dass die Identität des Spenders der Partei oder der Öffentlichkeit bekannt wird. Das Wissen der Personen, die auf Grund des Organisationsrechts der Partei oder infolge ihrer parteiinternen Bestellung befugt sind, Spenden entgegenzunehmen, zu verwalten und zu verwenden, auch in einem solchen Ausnahmefall der Partei zuzurechnen, führt zu Ergebnissen, die mit dem Gesetzeszweck nicht vereinbar sind.
Das Spendenannahmeverbot des § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 PartG 1994 dient neben dem Ziel der Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit (Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG) auch der innerparteilichen Transparenz und damit dem Schutz der innerparteilichen Demokratie (Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG); denn erst die Offenlegung von Finanzströmen macht diese nachvollziehbar und entschärft sie als Instrument innerparteilicher Machtsicherung (BVerfG, Beschluss vom 17. Juni 2004 - 2 BvR 383/03 - BVerfGE 111, 54 <90>). Das Verbot, anonyme Spenden anzunehmen, ist deshalb zwar notwendig, um die Pflicht zur Rechenschaftslegung nicht umgehen zu können (vgl. Morlok, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 21 Rn. 114); seine Funktion erschöpft sich aber nicht in der Sicherung der zukünftigen Rechenschaftslegung, sondern soll darüber hinaus zum Schutz der innerparteilichen Demokratie sachfremde Einflüsse Dritter auf den Willensbildungsprozess der Partei abwehren, die nur bestimmten Führungspersonen bekannt sind und deren Herrschaftsansprüche stärken (Urteil vom 26. Juli 2006 - BVerwG 6 C 20.05 - BVerwGE 126, 254 Rn. 91). Wäre bei der Frage der Feststellbarkeit des Spenders auch in solchen Fällen allein auf die Kenntnis der die Spende entgegennehmenden Person abzustellen, in denen diese in kollusivem Zusammenwirken mit dem Spender ihr Wissen gegenüber der Partei gezielt verbirgt, dürften Spenden nach § 25 Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 angenommen werden, die in besonders hohem Maße die innerparteiliche Transparenz beeinträchtigen und damit die innerparteiliche Demokratie gefährden. Dies wäre mit Sinn und Zweck der Spendenannahmeverbote des § 25 Abs. 1 Satz 2 PartG 1994 nicht vereinbar.
Danach liegt hinsichtlich der in den Jahren 1996 bis 1998 von der Klägerin erlangten Spenden ein Verstoß gegen das Spendenannahmeverbot des § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 PartG 1994 vor. Denn nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts hatte im Zeitpunkt der Annahme der Barspenden außer K. keine andere zur Entgegennahme, Verwaltung und Verwendung der Spenden berechtigte Personen Kenntnis von der Person des Spenders. Dieser Verstoß ist der Klägerin auch mit der Folge zuzurechnen, dass er die Verhängung der Sanktionen nach § 23a Abs. 1 PartG 1994 rechtfertigt. Denn die Vorschrift des § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 PartG 1994 (§ 25 Abs. 2 Nr. 6 PartG 2002) lässt mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, dass die Annahme von Spenden, bei denen über die Identität der Spender Ungewissheit besteht, verboten ist. Der für die Klägerin verantwortlich handelnde Schatzmeister konnte sein Verhalten auf dieses Verbot einrichten und hat in vorwerfbarer Weise hiergegen verstoßen, indem er nach der Annahme der Geldspenden sein Wissen nicht weitergegeben, sondern im Gegenteil durch Stückelung der Spenden und sowie durch Einschaltung von "Strohmännern" aktiv verhindert hat, dass andere Vorstandsmitglieder der Partei Kenntnis von dem Namen des Spenders erhielten.
bb) Die Voraussetzungen des § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 liegen auch hinsichtlich der zweiten Alternative vor; denn die Klägerin hat die in den Jahren 1996 bis 1998 von M. erlangten Barspenden nicht den Vorschriften des Parteiengesetzes entsprechend in den jeweiligen Rechenschaftsberichten veröffentlicht.
Nach § 25 Abs. 2 PartG 1994 sind Spenden an eine Partei oder einen oder mehrere ihrer Gebietsverbände, deren Gesamtwert in einem Kalenderjahr (Rechnungsjahr) 20 000 DM übersteigt, unter Angabe des Namens und der Anschrift des Spenders sowie der Gesamthöhe der Spende im Rechenschaftsbericht zu verzeichnen. Die von M. in den Jahren 1996 bis 2000 übergebenen Barspenden, die jeweils den Betrag von 20 000 DM überstiegen, waren nicht diesen Anforderungen entsprechend in den Rechenschaftsberichten der Klägerin für die Jahre 1996 bis 2000 verzeichnet, sondern nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts - in Teilbeträge gestückelt - anderen Spendern zugeordnet.
cc) Ein nach der zweiten Alternative des § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 zu sanktionierender Verstoß gegen die in § 25 Abs. 2 PartG 1994 geregelte Veröffentlichungspflicht liegt auch hinsichtlich der Sachspenden des M. im Jahr 1998 vor.
Nach den von der Revision nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und daher gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat M. an die Klägerin im Jahr 1998 Sachspenden im Wert von insgesamt 638 843,83 DM geleistet. Diese Sachspenden bestanden darin, dass er im Zusammenwirken mit dem geschäftsführenden Gesellschafter der Firma Ma. GmbH, G., die Klägerin von bestehenden Verbindlichkeiten durch Zahlungen gegenüber Dritten befreite oder der Klägerin zuzurechnende Wahlkampfmaßnahmen finanzierte. Im Rahmen des Bundestagswahlkampfes 1998 trug er die Kosten der Aufstellung von vom Landesverband Nordrhein-Westfalen der Klägerin konzipierten Großplakatwänden in Höhe von 348 000 DM sowie verschiedener Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften in Höhe von insgesamt 290 843,83 DM, indem er die zunächst von der Firma Ma. GmbH bezahlten Rechnungsbeträge durch Zahlungen aus seinem Privatvermögen über die Firma "C. AG" in Liechtenstein ausglich. Im Rechenschaftsbericht der Klägerin für das Jahr 1998 ist indes weder die Zuwendung in Höhe von 348 000 DM noch diejenige in Höhe von 290 843,83 DM enthalten. Unter Angabe des Namens und der Anschrift des M. ist lediglich eine Spende in Höhe von 63 195,48 DM aufgeführt.
c) Entgegen der Auffassung der Revision steht der Teilrücknahme der Bewilligungsbescheide über staatliche Mittel für die Jahre 1997 und 1998 nicht der Ablauf einer dem Parteiengesetz zu entnehmenden zeitlichen Grenze von zehn Jahren entgegen.
aa) Aus § 31c Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 31a Abs. 2 und § 24 Abs. 2 PartG 2002 ergibt sich keine Ausschlussfrist für die auf § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 gestützte Teilrücknahme der Bewilligungsbescheide.
Die nach Art. 1 Nr. 10 und Art. 6 Abs. 1 des Achten Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes (BGBl I S. 2268) am 1. Juli 2002 in Kraft getretene Vorschrift des § 31a Abs. 2 PartG 2002 bestimmt, dass die Rücknahme nach Ablauf der in § 24 Abs. 2 PartG 2002 bestimmten Frist ausgeschlossen ist. Nach § 24 Abs. 2 Satz 2 PartG 2002 in der gemäß Art. 2 Nr. 4 und Art. 6 Abs. 2 des Änderungsgesetzes zwar erst am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen, in § 31a Abs. 2 PartG 2002 aber offensichtlich gemeinten Fassung sind Rechnungsunterlagen, Bücher, Bilanzen und Rechenschaftsberichte zehn Jahre aufzubewahren; die Aufbewahrungsfrist beginnt mit Ablauf des Rechnungsjahres (§ 24 Abs. 2 Satz 3 PartG 2002). Die Zehn-Jahres-Frist gilt nicht nur für die in § 31a Abs. 1 PartG 2002 geregelte Rücknahme der gemäß § 19a Abs. 1 PartG 2002 erfolgten Festsetzung der staatlichen Mittel bei im Rechenschaftsbericht zu Unrecht ausgewiesenen Zuwendungen, sondern gemäß § 31c Abs. 1 Satz 4 PartG 2002, der gemäß Art. 2 Nr. 11 und Art. 6 Abs. 2 des Achten Änderungsgesetzes am 1. Januar 2003 in Kraft getreten ist, entsprechend auch für die in § 31c Abs. 1 Satz 1 bis 3 PartG 2002 als Sanktion festzusetzenden Zahlungspflichten einer Partei in den Fällen, dass die Partei Spenden unter Verstoß gegen § 25 Abs. 2 PartG 2002 angenommen und nicht gemäß § 25 Abs. 4 PartG 2002 an den Präsidenten des Deutschen Bundestages weitergeleitet hat oder Spenden nicht den Vorschriften dieses Gesetzes entsprechend im Rechenschaftsbericht veröffentlicht hat (§ 25 Abs. 3 PartG 2002).
Die in der genannten Normenkette enthaltene Regelung, dass der Präsident des Deutschen Bundestages die Bescheide über die Festsetzung der staatlichen Mittel auch bei Verstößen gegen Spendenannahmeverbote oder Veröffentlichungspflichten nur innerhalb einer Ausschlussfrist von zehn Jahren zurücknehmen darf, ist auf die hier angefochtenen Teilrücknahmen nicht anwendbar. Es handelt sich insoweit weder um eine auf § 31a Abs. 1 PartG 2002 gestützte Rücknahme von Zuwendungsbescheiden wegen im Rechenschaftsbericht zu Unrecht ausgewiesener Zuwendungen noch um eine auf § 31c Abs. 1 Satz 1 bis 3 PartG 2002 gestützte Festsetzung einer Zahlungspflicht bei rechtswidrig erlangten oder nicht veröffentlichten Spenden. § 31a Abs. 2 und § 31c Abs. 1 Satz 4 PartG 2002 beziehen sich nach Wortlaut und Systematik nicht auf Rücknahmebescheide, die noch auf § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 gestützt werden.
Eine analoge Anwendung der Regelung des § 31c Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 31a Abs. 2 und § 24 Abs. 2 PartG 2002 auf solche Fälle kommt nicht in Betracht. Die richterliche Rechtsfortbildung im Wege der Analogie darf nur einsetzen, wenn das Gericht aufgrund einer Betrachtung des einfachen Gesetzesrechts eine Gesetzeslücke feststellt. Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, dürfen die Gerichte diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern oder durch eine judikative Lösung ersetzen (Urteil vom 27. Oktober 2004 - BVerwG 6 C 30.03 - BVerwGE 122, 130 <133>). Eine Gesetzeslücke, die von den Gerichten im Wege der Analogie geschlossen werden darf, liegt nur dann vor, wenn der Anwendungsbereich der Norm wegen eines versehentlichen, mit dem Normzweck unvereinbaren Regelungsversäumnisses des Normgebers unvollständig ist und sich aufgrund der gesamten Umstände feststellen lässt, dass der Normgeber die von ihm angeordnete Rechtsfolge auch auf den nicht erfassten Sachverhalt erstreckt hätte, wenn er diesen bedacht hätte (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2012 - BVerwG 2 C 71.10 - juris Rn. 18). Eine derartige Feststellung kann hier nicht getroffen werden. Wie der Senat im Urteil vom 26. Juli 2006 - BVerwG 6 C 20.05 - (BVerwGE 126, 254 Rn. 83) ausgeführt hat, ist das "Sanktionensystem" durch das Achte Gesetz zur Änderung des Parteiengesetzes grundlegend umgestaltet worden. Bei der Zehn-Jahres-Grenze des § 31c Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 31a Abs. 2 und § 24 Abs. 2 PartG 2002 handelt es sich um ein Element dieses umgestalteten Gesamtsystems. Dass der Gesetzgeber lediglich übersehen hat, diese zeitliche Grenze auf Sanktionen nach altem Recht zu erstrecken, kann daher nicht angenommen werden.
bb) Der auf § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 gestützten Rücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel für die Jahre 1997 und 1998 steht auch nicht die zeitliche Grenze für die Prüfungsbefugnis des Präsidenten des Deutschen Bundestages nach § 23a Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 24 Abs. 2 PartG 2002 entgegen.
§ 23a Abs. 1 Satz 3 PartG 2002 in der gemäß Art. 2 Nr. 3 und Art. 6 Abs. 2 des Achten Änderungsgesetzes am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Fassung bestimmt, dass eine erneute Prüfung der Rechenschaftsberichte einer Partei nur vor Ablauf der in § 24 Abs. 2 PartG 2002 geregelten Zehn-Jahres-Frist zulässig ist. Die Vorschrift schließt jedoch weder nach ihrem sachlichen Regelungsinhalt noch in zeitlicher Hinsicht die auf § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 gestützte Rücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel für die Jahre 1997 bis 1999 aus. Geht es um die rückwirkende Anwendung einer die Partei ausschließlich begünstigenden Regelung wie der hier in Rede stehenden zeitlichen Begrenzung der Sanktionsbefugnis der Behörde ist mangels gegenteiliger gesetzlicher Anhaltspunkte zwar von der Regel auszugehen, dass bei der Beurteilung der Begründetheit einer Anfechtungsklage im Allgemeinen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen ist. Die Auslegung des § 23a Abs. 1 Satz 3 PartG 2002 ergibt jedoch, dass die darin geregelte zeitliche Beschränkung der Befugnis zur Prüfung der vorgelegten Rechenschaftsberichte der Rücknahme von Bewilligungsbescheiden über staatliche Mittel, deren Erlass länger als zehn Jahre zurückliegt, nicht entgegengehalten werden kann.
(1) Dem Gesetzeswortlaut ist kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass die in § 23a Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 24 Abs. 2 PartG 2002 geregelte Zehn-Jahres-Frist die auf § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 gestützte Rücknahme von Bescheiden über die Gewährung staatlicher Mittel ausschließt, deren Erlass zum Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung mehr als zehn Jahre zurückliegt. § 23a Abs. 1 Satz 3 PartG 2002 begrenzt bei wörtlicher Auslegung in zeitlicher Hinsicht lediglich die im Parteiengesetz geregelte Befugnis des Präsidenten des Deutschen Bundestages zu einer (erneuten) Prüfung, nicht jedoch seine sich aus dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht (§ 48 Abs. 1 VwVfG) ergebende Befugnis, rechtswidrige Verwaltungsakte zurückzunehmen, oder den nach § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 kraft Gesetzes eintretenden Verlust des Anspruchs auf staatliche Mittel.
(2) Die Wortlautauslegung wird durch die systematische Stellung des § 23a Abs. 1 Satz 3 PartG 2002 innerhalb des § 23a PartG 2002 bestätigt. Die Regelung schließt an die ersten beiden Sätze des § 23a Abs. 1 PartG 2002 an. Danach prüft der Präsident des Deutschen Bundestages den vorgelegten Rechenschaftsbericht auf formale und inhaltliche Richtigkeit und stellt fest, ob der Rechenschaftsbericht den Vorschriften des Fünften Abschnitts entspricht. Das Prüfungsverfahren wird in § 23a Abs. 2 bis 6 PartG 2002 sodann näher ausgestaltet. Die zwischen der grundsätzlichen Kompetenzbestimmung in § 23a Abs. 1 Satz 1 und 2 PartG 2002 und den detaillierten Verfahrensregelungen in § 23a Abs. 2 bis 6 PartG 2002 eingefügte Bestimmung des § 23a Abs. 1 Satz 3 PartG 2002, nach der eine erneute Prüfung nur vor Ablauf der in § 24 Abs. 2 PartG 2002 bestimmten Frist zulässig ist, kann sich demnach bei systematischer Auslegung nur auf das Verfahren zur Prüfung der von den Parteien vorgelegten Rechenschaftsberichte beziehen, das in § 23a PartG 2002 in der gemäß Art. 2 Nr. 3 und Art. 6 Abs. 2 des Achten Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Fassung normiert worden ist. Ist dieses mehrstufige Verfahren durchgeführt und mit dem Feststellungsbescheid des Präsidenten des Deutschen Bundestages nach § 23a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4 PartG 2002 abgeschlossen worden, darf es nur vor Ablauf der in § 24 Abs. 2 PartG 2002 bestimmten Aufbewahrungsfrist wiederholt werden. Nach ihrer systematischen Stellung nicht vom Anwendungsbereich der Fristbestimmung erfasst sind hingegen Prüfungen von Rechenschaftsberichten auf der Grundlage früherer Fassungen des Parteiengesetzes. Erst recht bezieht sich die Regelung nicht auf die dem Präsidenten des Deutschen Bundestages nach allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht zustehende Befugnis, rechtswidrige Verwaltungsakte zurückzunehmen.
Ein anderes Ergebnis der Auslegung folgt nicht aus dem systematischen Zusammenhang mit § 39 Abs. 3 PartG 2002 in der gemäß Art. 1 Nr. 15 und Art. 6 Abs. 1 des Achten Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes am 1. Juli 2002 in Kraft getretenen Fassung. Diese Übergangsregelung bestimmt, dass § 23a Abs. 3 PartG 2002 auf die Prüfung von Rechenschaftsberichten ab dem Rechenschaftsjahr 2002 Anwendung findet. Hiermit ist ersichtlich nicht der am 1. Juli 2002 noch geltende § 23a Abs. 3 PartG 1994 gemeint, sondern die - wie ausgeführt - am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Regelung des § 23a Abs. 3 PartG 2002, nach deren Satz 1 der Präsident des Deutschen Bundestages im Einvernehmen mit der Partei einen Wirtschaftsprüfer oder eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft seiner Wahl mit der Prüfung beauftragen kann, ob der Rechenschaftsbericht der Partei den Vorschriften des Fünften Abschnitts entspricht, falls die nach § 23a Abs. 2 PartG 2002 verlangte Stellungnahme die dem Präsidenten des Deutschen Bundestages vorliegenden konkreten Anhaltspunkte für Unrichtigkeiten im Rechenschaftsbericht nicht ausräumt.
Entgegen der Auffassung der Klägerin bringt § 39 Abs. 3 PartG 2002 mit der ausdrücklichen Bestimmung, dass die Regelung über die Fremdwirtschaftsprüfer in § 23a Abs. 3 PartG 2002 auf die Prüfung von Rechenschaftsberichten ab dem Rechenschaftsjahr 2002 Anwendung findet, nicht im Umkehrschluss zugleich zum Ausdruck, dass die übrigen Bestimmungen des in § 23a PartG 2002 geregelten mehrstufigen Prüfungsverfahrens einschließlich der in § 23a Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 24 Abs. 2 PartG 2002 geregelten Zehn-Jahres-Frist für die erneute Prüfung auch für Rechenschaftsberichte gelten, die weiter zurückliegende Rechnungsjahre betreffen. Dass der Gesetzgeber es für angezeigt gehalten hat, ausdrücklich klarzustellen, ab welchem Rechenschaftsjahr die Regelung über die Beauftragung eines (Fremd-)Wirtschaftsprüfers Anwendung findet, lässt keinen zwingenden Rückschluss darauf zu, ob und inwieweit auch die - die Parteien begünstigende - zeitliche Begrenzung der Prüfungsbefugnis des Präsidenten des Deutschen Bundestages auf vor dem Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 2003 bereits eingereichte Rechenschaftsberichte anzuwenden sein soll. Da die Partei dem vom Präsidenten des Deutschen Bundestages bestellten Wirtschaftsprüfer Zugang und Einsicht in die zur Prüfung erforderlichen Unterlagen und Belege zu gewähren hat (§ 23a Abs. 3 Satz 2 PartG 2002), handelt es sich um eine - wie die Klägerin selbst einräumt - "für die politischen Parteien besonders einschneidende Kontrollmöglichkeit". Eine punktuelle Bestimmung des zeitlichen Geltungsbereichs dieser besonders eingriffsintensiven Regelung erschien dem Gesetzgeber zur Vermeidung von Streitigkeiten offenbar sachgerecht. Ein Anhaltspunkt dafür, dass die in § 23a Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 24 Abs. 2 PartG 2002 geregelte Zehn-Jahres-Grenze auch die dem Präsidenten des Deutschen Bundestages nach § 48 Abs. 1 VwVfG zustehende Befugnis begrenzt, rechtswidrige Verwaltungsakte zurückzunehmen, ist der Übergangsregelung des § 39 Abs. 3 PartG 2002 deshalb nicht zu entnehmen.
(3) Die Auffassung der Klägerin, dass die in § 23a Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 24 Abs. 2 PartG 2002 geregelte Zehn-Jahres-Frist auch der auf § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 gestützten Rücknahme derjenigen Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel entgegengehalten werden kann, deren Erlass zum Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung mehr als zehn Jahre zurückliegt, lässt sich auch nicht auf Sinn und Zweck der Norm stützen. Die Zehn-Jahres-Frist für die erneute Prüfung von Rechenschaftsberichten dient der Rechtssicherheit und dem Vertrauensschutz der rechenschaftspflichtigen Partei. Nach Ablauf der Frist hat die Partei ein uneingeschränkt schützenswertes Vertrauen darauf, dass die Richtigkeit des Rechenschaftsberichts nicht mehr in Frage gestellt wird (vgl. Rixen, in: Kersten/Rixen, PartG, 2009, § 23a Rn. 13). Dieser Vertrauensschutz ist nach der gesetzlichen Konzeption jedoch gerade deshalb gerechtfertigt, weil mit der Durchführung des in § 23a PartG 2002 geregelten mehrstufigen Verfahrens der Prüfung des von einer Partei vorgelegten Rechenschaftsberichts und gegebenenfalls dem Erlass des in § 23a Abs. 1 Satz 2 PartG 2002 vorgesehenen Feststellungsbescheids über dessen Gesetzeskonformität eine verfahrensrechtliche Grundlage für ein solches Vertrauen besteht. Dies ist in Bezug auf ältere Rechenschaftsberichte, die noch nicht in dem Verfahren nach § 23a PartG 2002 geprüft worden sind, jedenfalls nicht in gleichem Maße der Fall. Zwar hatte der Präsident des Deutschen Bundestages auch nach § 23 Abs. 3 PartG 1994 zu prüfen, ob der Rechenschaftsbericht den Vorschriften des Fünften Abschnitts entspricht. Es mangelte jedoch an einem formalisierten Überprüfungsverfahren, das mit dem in § 23a PartG 2002 geregelten, mehrfach gestuften Verfahren vergleichbar wäre. Insbesondere sah das frühere Recht nicht den Erlass eines die Gesetzeskonformität des Rechenschaftsberichts feststellenden Bescheids vor, wie ihn der Präsident des Deutschen Bundestages nach § 23a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4 PartG 2002 zu erlassen hat. Auch standen dem Präsidenten des Deutschen Bundestages nach dem früheren Parteienrecht keine Zwangsbefugnisse zur weiteren Aufklärung zu (vgl. Depenheuer/Grzeszick, DVBl 2000, 736 <738>); insbesondere fehlte es an der in § 23a Abs. 3 PartG 2002 vorgesehenen Befugnis des Präsidenten des Deutschen Bundestages, den vorgelegten Rechenschaftsbericht unter bestimmten Voraussetzungen von einem Wirtschaftsprüfer seiner Wahl überprüfen zu lassen.
Darüber hinaus wird durch die Neufassung des § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 2002 klargestellt, dass der Präsident des Deutschen Bundestages den vorgelegten Rechenschaftsbericht nicht nur auf formale, sondern auch auf inhaltliche Richtigkeit überprüft. Diese Erstreckung der Überprüfung auf die inhaltliche Richtigkeit der Rechenschaftsberichte war vor dem Inkrafttreten des Achten Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes nicht ausdrücklich geregelt. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht aus der Rechenschaftspflicht gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG abgeleitet, dass nur ein materiell richtiger Rechenschaftsbericht den Vorschriften des Fünften Abschnitts des Parteiengesetzes (§§ 23 bis 31 PartG 1994) entspricht und Grundlage einer Festsetzung staatlicher Mittel nach § 23 Abs. 4 Satz 1, § 19 Abs. 4 Satz 3 PartG 1994 sein kann (BVerfG, Beschluss vom 17. Juni 2004 - 2 BvR 383/03 - BVerfGE 111, 54 <86 ff.>). In der parteienrechtlichen Literatur wurde dies jedoch zuvor zum Teil anders gesehen. Vor allem unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte und Systematik der §§ 19, 23 PartG 1994 wurde die Auffassung vertreten, dass die Überprüfung auf die Übereinstimmung mit den Vorschriften des Fünften Abschnitts durch den Bundestagspräsidenten keine Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit des Rechenschaftsberichts verlange (vgl. Depenheuer/Grzeszick a.a.O., Koch, NJW 2000, 1004 <1005 f.>). Vor diesem Hintergrund kann nicht vorausgesetzt werden, dass die vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung und damit auch vor der erwähnten Klarstellung durch das Bundesverfassungsgericht eingereichten Rechenschaftsberichte der Parteien durchgehend auch auf ihre inhaltliche Richtigkeit geprüft worden sind, wie dies nunmehr § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 2002 vorschreibt. Ein diesbezügliches Vertrauen der rechenschaftspflichtigen Parteien, an das die in § 23a Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 24 Abs. 2 PartG 2002 geregelte Zehn-Jahres-Frist generalisierend anknüpfen könnte, konnte sich daher in Bezug auf die noch auf der Grundlage der alten Rechtslage eingereichten Rechenschaftsberichte nicht bilden.
(4) Schließlich spricht auch die Entstehungsgeschichte nicht für die Anwendbarkeit der Ausschlussfrist des § 23a Abs. 1 Satz 3 PartG 2002 auf die Rücknahme von Bescheiden über die Gewährung staatlicher Mittel nach § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994. Ausweislich der Begründung des Gesetzesentwurfs der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP zum Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes (BTDrucks 14/8778 S. 18. re. Sp.) wird durch die Neufassung des § 23a PartG das Verfahren der Prüfung der Richtigkeit der eingereichten Rechenschaftsberichte durch den Bundestagspräsidenten formalisiert und gilt "sowohl für die aktuell eingereichten als auch für die für vorangegangene Festsetzungsjahre eingereichten Rechenschaftsberichte der letzten zehn Jahre". Ferner wird ausgeführt (BTDrucks a.a.O. S. 19, li. Sp.), es diene "ebenfalls dem Rechtsfrieden", dass "Rechnungsperioden, die länger als zehn Jahre zurückliegen, nicht mehr der Prüfung unterliegen"; die auf ihnen beruhenden Bescheide blieben "daher in jedem Fall unangetastet". Hieraus kann nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber die Regelung des § 23a Abs. 1 Satz 3 PartG 2002, wonach eine erneute Prüfung nur vor Ablauf der in § 24 Abs. 2 PartG 2002 bestimmten Frist zulässig ist, auf alle Rechenschaftsberichte für die vorangegangenen zehn Festsetzungsjahre angewendet wissen wollte, unabhängig davon, ob diese Rechenschaftsberichte nach altem oder bereits nach neuem Recht geprüft worden sind. Aus den weiteren Ausführungen in der Gesetzesbegründung folgt vielmehr das Gegenteil. Danach soll die als Verwaltungsakt zu erlassende Feststellung des Bundestagspräsidenten "für Rechtsfrieden sorgen, da in Zukunft alle Verdächtigungen, Vorwürfe etc. bezüglich der Richtigkeit der Rechenschaftsberichte umfassend und zeitnah geprüft werden" könnten. Hieraus wird erkennbar, dass die Gesetzesverfasser davon ausgingen, dass sich Rechtsfrieden in erster Linie durch den Erlass des Feststellungsbescheides nach § 23a Abs. 1 Satz 2 PartG 2002 erreichen lässt. Dass Bescheide auch ohne eine formelle und materielle Prüfung in dem Verfahren nach § 23a PartG 2002 "in jedem Fall unangetastet" bleiben sollen, lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen.
d) Die Klägerin kann sich hinsichtlich der angefochtenen Teilrücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel für die Jahre 1997 bis 1999 nicht auf Vertrauensschutz berufen. Nach § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, wenn er den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Hinsicht unrichtig sind. In Bezug auf die Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel für die Jahre 1997 bis 2001 hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Ausschlussgrund des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG vorliegt. Dies ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Nach den von der Klägerin nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und daher gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin in ihren Rechenschaftsberichten für die Jahre 1996 bis 1998 unvollständige Angaben gemacht, indem sie die von M. nach § 23a Abs. 1 Satz 1, § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 PartG 1994 rechtswidrig erlangten Barspenden nicht angegeben und es unterlassen hat, entsprechend § 25 Abs. 2 PartG 1994 die angenommenen Sachspenden in der vorgeschriebenen Weise im Rechenschaftsbericht zu veröffentlichen. Auf diese Weise hat die Klägerin gegenüber dem Präsidenten des Deutschen Bundestages den Eindruck erweckt, dass ihr Anspruch auf staatliche Mittel nicht nach § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 in Höhe des Zweifachen der rechtswidrig erlangten Barspendenbeträge bzw. Sachspenden entfallen war. Dies hat sich unmittelbar auf die Festsetzung der staatlichen Mittel ausgewirkt, die nach § 18 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, § 19 Abs. 3 und 4 PartG 1994 u.a. auf der Grundlage der in den Rechenschaftsberichten veröffentlichten Zuwendungen erfolgt sind. Da es insoweit allein auf die objektive Unrichtigkeit der Angaben ankommt (vgl. Urteil vom 14. August 1986 - BVerwG 3 C 9.85 - BVerwGE 74, 357 <364>), ist es unerheblich, ob alle Vorstandsmitglieder der Klägerin die objektive Unrichtigkeit der Angaben bei Abgabe der jeweiligen Rechenschaftsberichte kannten oder nicht.
e) Die Teilrücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel für die Jahre 1997 bis 1999 ist auch nicht ermessensfehlerhaft.
Die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts steht nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ("kann") im Ermessen der Behörde. Nach allgemeiner Ansicht bleibt das der zuständigen Behörde zustehende Rücknahmeermessen zwar grundsätzlich auch in den Fällen unberührt, in denen - wie hier in Bezug auf die Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel für die Jahre 1997 bis 1999 - ein Ausschlussgrund für den Vertrauensschutz nach § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG vorliegt (vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 48 Rn. 148; Ziekow, VwVfG, 2. Aufl. 2010, § 48 Rn. 29). In diesen Fällen ist das der Behörde in § 48 Abs. 1 VwVfG eingeräumte Ermessen allerdings dahingehend reduziert, dass im Regelfall eine Rücknahmepflicht besteht (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG). Bei der Rücknahme von Bescheiden über die Bewilligung der Parteienfinanzierung ist das Ermessen nach der Rechtsprechung des Senats darüber hinaus unabhängig von den Fällen des § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG dahingehend eingeschränkt, dass dem Präsidenten des Deutschen Bundestages regelmäßig keine andere Entscheidung als die Rücknahme verbleibt. Denn der Verstoß gegen das Verbot der Annahme rechtswidriger Spenden führt zu einem zwingenden Verlust des Anspruchs auf Parteienfinanzierung in Höhe des Zweifachen des rechtswidrig erlangten Betrages und zur Pflicht zur Abführung der rechtswidrig angenommenen Spenden an das Präsidium des Deutschen Bundestages. Diesem zwingenden Charakter des § 23a Abs. 1 PartG 1994 muss grundsätzlich auch im Rahmen der Rücknahmeentscheidung Rechnung getragen werden (Urteil vom 26. Juli 2006 - BVerwG 6 C 20.05 - BVerwGE 126, 254 Rn. 105).
Die Ausführungen in dem Urteil vom 26. Juli 2006 geben dem Senat allerdings Anlass zu der Klarstellung, dass in diesen Fällen das Rücknahmeermessen nicht ausnahmslos, sondern nur in der Regel auf Null reduziert ist. Die Annahme eines vollständigen Ausschlusses des Ermessens unterläge verfassungsrechtlichen Bedenken. Da § 23a PartG 1994 darauf gerichtet ist, eine Normverletzung rückblickend repressiv zu ahnden, hat die Regelung Sanktionscharakter (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Juni 2004 - 2 BvR 383/03 - BVerfGE 111, 54 <102>). Zwar handelt es sich bei § 23a PartG 1994 um eine auf Prävention angelegte, vom Gesetzgeber nicht als Strafvorschrift ausgestaltete und daher auch nicht etwa dem Schuldgrundsatz unterliegende verwaltungsrechtliche Sanktionsnorm. Denn diese Regelung hat ebenso wenig wie § 31b Satz 1 PartG 2002 (vgl. hierzu: Urteil vom 12. Dezember 2012 - BVerwG 6 C 32.11 - juris Rn. 65) einen rechtsethischen Schuldvorwurf gegen die Partei als Rechtsperson zum Gegenstand, sondern bezweckt die Einhaltung der Regeln zur Sicherung des Transparenzgebots in Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG. Gleichwohl muss aber im Rahmen ihrer Anwendung insbesondere dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip Rechnung getragen werden. Die konkreten Auswirkungen der in § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 geregelten Sanktion können angesichts der Bedeutung der staatlichen Parteienfinanzierung für den Handlungsspielraum der politischen Parteien jedenfalls in besonders gelagerten Einzelfällen zu einem Eingriff in den Schutzbereich der Betätigungsfreiheit der betroffenen Partei nach Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG führen, dessen Schwere bei einer Gesamtabwägung außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht (vgl. Urteil vom 12. Dezember 2012 a.a.O. Rn. 66, zu § 31b PartG 2002, der allerdings keinen Verlust des Anspruchs auf staatliche Mittel, sondern einen unmittelbaren Zahlungsanspruch als Sanktion begründet).
Dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip kann und muss gegebenenfalls im Rahmen der nach § 48 Abs. 1 VwVfG zu treffenden Ermessensentscheidung Rechnung getragen werden. Ungeachtet des zwingenden Charakters des § 23a Abs. 1 PartG 1994 muss das dem Präsidenten des Deutschen Bundestages in § 48 Abs. 1 VwVfG eingeräumte Ermessen die Abwägung derjenigen rechtlichen Gesichtspunkte ermöglichen, die im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung relevant sind und für deren Berücksichtigung der Wortlaut des § 23a Abs. 1 PartG 1994 keinen Ansatzpunkt enthält.
Hiervon ausgehend hat das Berufungsgericht einen Ermessensfehler bei der Entscheidung über die teilweise Rücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel für die Jahre 1997 bis 1999 jedenfalls im Ergebnis (§ 144 Abs. 4 VwGO) zu Recht verneint. Der Präsident des Deutschen Bundestages hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides ausgeführt, dass in Fällen eines Verstoßes gegen ein Spendenannahmeverbot das Rücknahmeermessen zur Gewährleistung der strikten und formalen Gleichbehandlung aller Parteien und des zwingenden Charakters des § 23a Abs. 1 PartG 1994 regelmäßig insoweit eingeschränkt sei, dass keine andere Entscheidung als die Rücknahme bleibe; Besonderheiten, die in Ansehung dieser Rechtsprechung gleichwohl ausnahmsweise für ein Absehen von der Rücknahme der genannten Bewilligungsbescheide sprechen könnten, weise der Sachverhalt nicht auf.
Diese Ermessensausübung der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Insbesondere bot der Zeitablauf zwischen den Rechtsverstößen und der Rücknahme der Bewilligungsbescheide für sich genommen keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Annahme eines atypischen Falles. Je größer der zeitliche Abstand zwischen den durch die sanktionierten Rechtsverstöße erlangten Wettbewerbsvorteilen einerseits und der den Ausgleich dieser Vorteile bezweckenden Sanktion andererseits wird, desto eher besteht zwar die Gefahr, dass die Sanktion ihrerseits zu einer mit dem Grundsatz der Chancengleichheit unvereinbaren Beeinträchtigung der Partei im gegenwärtigen und zukünftigen Konkurrenzkampf führt. Andererseits kann eine undifferenzierte Berücksichtigung des Zeitablaufs aber auch zu einer sachwidrigen Bevorzugung von Parteien führen, denen es gelingt, die von ihnen begangenen Rechtsverstöße möglichst lange vor dem Präsidenten des Deutschen Bundestages und der Öffentlichkeit verborgen zu halten. Vor diesem Hintergrund kann auch nicht ohne Weiteres der Rechtsgedanke des § 23a Abs. 1 Satz 3 PartG 2002 im Rahmen des Ermessens herangezogen werden. Die darin geregelte Zehn-Jahres-Frist für die erneute Prüfung von Rechenschaftsberichten dient - wie ausgeführt - der Rechtssicherheit und dem Vertrauensschutz der rechenschaftspflichtigen Partei. Dieser Vertrauensschutz findet seine Grundlage jedoch nicht im bloßen Zeitablauf, sondern in der Durchführung des in § 23a PartG 2002 geregelten mehrstufigen Verfahrens der Prüfung des von einer Partei vorgelegten Rechenschaftsberichts und gegebenenfalls dem Erlass des in § 23a Abs. 1 Satz 2 PartG 2002 vorgesehenen Feststellungsbescheids über dessen Gesetzeskonformität. Da der Gesetzgeber in Bezug auf ältere Rechenschaftsberichte, die noch nicht in dem Verfahren nach § 23a PartG 2002 geprüft worden sind, eine vergleichbare zeitliche Grenze - wie ausgeführt - bewusst nicht vorgesehen hat, kann der Zeitablauf regelmäßig auch nicht im Rahmen der nach § 48 Abs. 1 VwVfG zu treffenden Ermessensentscheidung berücksichtigt werden, zumal diese Vorschrift in § 48 Abs. 2 VwVfG einen näher geregelten Vertrauensschutz bietet.
f) Ist die Teilrücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel für die Jahre 1997 bis 1999 in Höhe des Zweifachen des rechtswidrig erlangten oder nicht den Vorschriften des Parteiengesetzes entsprechend veröffentlichten Betrages rechtmäßig, gilt dies auch für die in dem angefochtenen Bescheid enthaltene Festsetzung entsprechender Rückzahlungsverpflichtungen. Nach § 49a Abs. 1 Satz 1 VwVfG sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder widerrufen worden oder infolge Eintritts einer auflösenden Bedingung unwirksam geworden ist. Für den Umfang der Erstattung gelten nach § 49a Abs. 2 Satz 1 VwVfG die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung entsprechend. Auf den Wegfall der Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) kann sich die Klägerin nach den gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, die die Klägerin nicht mit Verfahrensrügen angegriffen hat, nicht berufen. Die Beklagte hat demnach zu Recht eine Rückerstattungspflicht in Höhe von 63 144,55 € hinsichtlich des Bescheides über die Gewährung staatlicher Mittel für das Jahr 1997, in Höhe von 53 941,29 € hinsichtlich des Bescheides über die Gewährung staatlicher Mittel für das Jahr 1998 und in Höhe von 692 640,80 € hinsichtlich des Bescheides über die Gewährung staatlicher Mittel für das Jahr 1999 festgesetzt.
2. Das Berufungsurteil beruht jedoch auf der Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO), soweit es die Teilrücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel an die Klägerin für die Jahre 2000, 2001 und 2003 betrifft. Zwar liegen auch insoweit die Voraussetzungen eines Anspruchsverlusts nach § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 vor, da die Klägerin in den jeweils vorangegangenen Jahren Barspenden rechtswidrig erlangt und - mit Ausnahme der Spende aus dem Jahr 2002 - nicht den Vorschriften des Gesetzes entsprechend im Rechenschaftsbericht veröffentlicht hat (a). Das Oberverwaltungsgericht hat jedoch nicht - wie den Umständen nach erforderlich - geprüft, ob der entsprechenden Teilrücknahme der Bewilligungsbescheide die Voraussetzungen einer sanktionsbefreienden Selbstanzeige im Sinne des § 23b Abs. 2 Satz 1 PartG 2002 entgegenstehen (b).
a) Auch die Teilrücknahme der Bewilligungsbescheide für die Jahre 2000, 2001 und 2003 findet ihre Rechtsgrundlage in § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 PartG 1994. Die Sanktionsnorm des § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 ist auf die hier relevanten Spendenvorgänge bis 2002 in zeitlicher Hinsicht noch anwendbar, weil die Neufassung des § 23a PartG ebenso wie die inzwischen einschlägige spezielle Sanktionsnorm des § 31c Abs. 1 PartG 2002 erst am 1. Januar 2003 in Kraft getreten sind. Die Klägerin hat in den Jahren 1999, 2000 und 2002 Barspenden rechtswidrig erlangt (aa) und - mit Ausnahme der Spende aus dem Jahr 2002 - zudem nicht den Vorschriften des Gesetzes entsprechend im Rechenschaftsbericht veröffentlicht (bb).
aa) Die Klägerin hat in den Jahren 1999, 2000 und 2002 Barspenden des M. im Sinne des § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 rechtswidrig erlangt.
Nach den gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts übergab M. an K. als Schatzmeister und späterem Hauptgeschäftsführer des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen der Klägerin im Jahr 1999 einen Betrag in Höhe von 195 000 DM und im Jahr 2000 einen Betrag in Höhe von 981 750 DM. Wie schon in den vorangegangenen Jahren wurden die Geldbeträge auf Konten des Landesverbandes eingezahlt bzw. überwiesen und standen damit für Parteizwecke zur Verfügung. Am 14. September 2002 überreichte M. in seiner Privatwohnung in Mü. dem K. ferner einen aus seinem Privatvermögen stammenden Betrag in Höhe von 1 000 000 € in bar zur Finanzierung eines Wahlkampf-Flyers mit dem Titel "Klartext.Mut.M." und der Aufforderung "Unterstützen Sie M. mit Ihrer Stimme für die FDP". Nach Rückgabe eines nicht benötigten Teilbetrages in Höhe von 20 000 € an M. wurde der verbleibende Betrag in Höhe von 980 000 € im Zeitraum vom 16. September bis 8. Oktober 2002 in einer Vielzahl von Teilbeträgen auf ein von M. eingerichtetes Sonderkonto und ein Konto des Landesverbandes eingezahlt und zur Bezahlung der Druck- und Versandkosten verwandt. Am 15. November 2002 leitete die Klägerin einen Teilbetrag von 873 500 € an den Präsidenten des Deutschen Bundestages weiter, den sie mit Schreiben ihres Bundesschatzmeisters vom 4. Dezember 2002 als Spende des M. anzeigte. Damit stand noch ein Teilbetrag der Spende in Höhe von 106 500 € in ihrer Verfügungsbefugnis, der für die Herstellung des Flyers und damit für Parteizwecke verwendet wurde.
Die Klägerin hat die erwähnten Barspenden unter Verstoß gegen ein gesetzliches Spendenannahmeverbot und damit rechtswidrig erlangt. Ob die Voraussetzungen eines Annahmeverbotes vorliegen, bestimmt sich bei den Spendenvorgängen aus den Jahren 1999 und 2000 - wie hinsichtlich der vorangegangenen Jahre - nach § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 PartG 1994. Auf die oben stehenden Ausführungen zur Überschreitung der Bagatellgrenze von 1 000 DM und zur fehlenden Feststellbarkeit des Spenders kann insoweit verwiesen werden. Hinsichtlich der im September 2002 erlangten Barspende kommt indes bereits die - inhaltlich weitgehend identische - Regelung des § 25 Abs. 2 Nr. 6 PartG 2002 zur Anwendung, die gemäß Art. 1 Nr. 8 und Art. 6 Abs. 1 des Achten Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes am 1. Juli 2002 in Kraft getreten ist. Nach dieser Bestimmung sind von der Befugnis der Parteien, Spenden anzunehmen, solche ausgenommen, die im Einzelfall - wie hier - mehr als 500 € betragen und deren Spender nicht feststellbar sind. Dabei muss die Kenntnis von der Identität des Spenders auch nach § 25 Abs. 2 Nr. 6 PartG 2002 nicht bereits im Zeitpunkt der Entgegennahme der Spende, sondern erst nach Ablauf einer Überprüfungsfrist vorliegen. Da nach § 25 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 2 PartG 2002 unverzüglich nach ihrem Eingang an den Spender zurückgeleitete Spenden als nicht von der Partei "erlangt" gelten, findet die bereits nach der früheren Rechtslage vorausgesetzte Möglichkeit von Ermittlungen und Nachprüfungen in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Entgegennahme der Spende nunmehr einen positiven Anhaltspunkt im geänderten Parteiengesetz.
Bis zu dem danach maßgeblichen Zeitpunkt war die Person des Spenders für die Klägerin auch hinsichtlich der im Jahr 2002 von M. erlangten Barspende nicht feststellbar. Auch für die nach § 25 Abs. 2 Nr. 6 PartG 2002 erforderliche Feststellung der Identität des Spenders kommt es nicht auf die Kenntnis einer zur Entgegennahme, Verwaltung und Verwendung der Spende berechtigten Person im Zeitpunkt der Annahme der Spende an, wenn diese Person in kollusivem Zusammenwirken mit dem Spender ihr Wissen gegenüber der Partei gezielt verbirgt. Außer K., der sein diesbezügliches Wissen gegenüber der Partei und der Öffentlichkeit in Absprache mit dem Spender gezielt und aktiv verborgen hielt, hatte auch hinsichtlich der im Jahr 2002 von M. übergebenen Barspende im Zeitpunkt der Annahme keine andere zur Entgegennahme, Verwaltung und Verwendung der Spende berechtigte Person Kenntnis von der Identität des Spenders. Die übrigen Vorstandsmitglieder der Partei erlangten frühestens mit der Erklärung des M. in seinem anwaltlichen Schriftsatz vom 25. November 2002, d.h. mehr als zwei Monate nach der Entgegennahme der Spende durch K. am 14. September 2002 Kenntnis von der Identität des Spenders. Entgegen der Auffassung der Klägerin war die durch § 25 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 2 PartG 2002 vorausgesetzte Überprüfungsfrist zu diesem Zeitpunkt bereits verstrichen. Ein solcher zeitlicher Abstand zwischen der Entgegennahme einer Spende und der Kenntniserlangung von der Person des Spenders kann regelmäßig nicht mehr als "unverzüglich" gewertet werden.
bb) Hinsichtlich der in den Jahren 1999 und 2000 erlangten Barspenden liegen ferner die Voraussetzungen der zweiten Alternative des § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 vor; denn die Klägerin hat diese Spenden, deren Gesamtwert in einem Kalenderjahr (Rechnungsjahr) jeweils 20 000 DM überstieg, nicht den Anforderungen des § 25 Abs. 2 PartG 1994 entsprechend unter Angabe des Namens und der Anschrift des Spenders sowie der Gesamthöhe der Spende in ihren jeweiligen Rechenschaftsberichten verzeichnet. Die Beträge wurden nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts nicht als Spenden des M. ausgewiesen, sondern - in Teilbeträge gestückelt - anderen Spendern zugeordnet.
b) Gegen revisibles Recht verstößt allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, es bedürfe auch hinsichtlich der Teilrücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel an die Klägerin für die Jahre 2000, 2001 und 2003 keiner Prüfung, ob die Klägerin die tatbestandlichen Voraussetzungen einer sanktionsbefreienden Selbstanzeige nach § 23b Abs. 2 PartG 2002 hinreichend dargetan habe, weil diese Regelung auf vor ihrem Inkrafttreten abgeschlossene Spendenfälle nicht anwendbar sei.
§ 23b Abs. 2 Satz 1 PartG 2002 bestimmt, dass die Partei bei einer von ihr angezeigten Unrichtigkeit nicht den Rechtsfolgen des § 31b PartG 2002 oder des § 31c PartG 2002 unterliegt, wenn im Zeitpunkt des Eingangs der Anzeige konkrete Anhaltspunkte für diese unrichtigen Angaben öffentlich nicht bekannt waren oder weder dem Präsidenten des Deutschen Bundestages vorgelegen haben noch in einem amtlichen Verfahren entdeckt waren und die Partei den Sachverhalt umfassend offen legt und korrigiert. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts kann die Anwendbarkeit dieser Vorschrift im vorliegenden Fall nicht deshalb verneint werden, weil sie erst am 1. Juli 2002 in Kraft getreten ist. Bei der Beurteilung der Begründetheit einer Klage ist auf die Sach- und Rechtslage abzustellen, auf die es nach dem Streitgegenstand und dem darauf anwendbaren materiellen Recht für die Entscheidung ankommt. Danach ergibt sich für die Anfechtungsklage im Allgemeinen, dass die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich ist, es sei denn, das materielle Recht regelt etwas Abweichendes. Fehlt es an gegenteiligen gesetzlichen Anhaltspunkten, so ist allerdings von der erwähnten Regel auszugehen (Urteil vom 26. Juli 2006 - BVerwG 6 C 20.05 - BVerwGE 126, 254 Rn. 81 m.w.N.). Im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides war die Vorschrift des § 23b Abs. 2 PartG 2002, auf die sich die Klägerin beruft, bereits in Kraft. Bei der sanktionsbefreienden Selbstanzeige nach § 23b Abs. 2 PartG handelt es sich um eine die Partei ausschließlich begünstigende Regelung, durch deren Anwendung auf Spendenfälle, die sich unter der Geltung des alten Rechts ereignet haben, der Schutz des Vertrauens in den Fortbestand der früheren Rechtslage nicht berührt wird. Das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot steht ihrer Anwendung daher nicht entgegen.
Allerdings spricht der Wortlaut des § 23b Abs. 2 Satz 1 PartG 2002 gegen die sachliche Anwendbarkeit der Vorschrift auf Sachverhalte, die noch dem alten Sanktionensystem vor der Umgestaltung durch das Achte Gesetz zur Änderung des Parteiengesetzes unterliegen. Denn § 23b Abs. 2 Satz 1 PartG 2002 nimmt ausschließlich auf die "Rechtsfolgen des § 31b oder des § 31c" Bezug. Die betreffenden Bestimmungen sind gemäß Art. 2 Nr. 10 und 11 sowie Art. 6 Abs. 2 des Achten Änderungsgesetzes erst am 1. Januar 2003 in Kraft getreten. Dass eine Partei unter den in § 23b Abs. 2 Satz 1 PartG 2002 genannten Voraussetzungen nicht der Rechtsfolge einer - dem neuen Sanktionensystem fremden - Rücknahme nach § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 unterliegt, lässt sich dem Wortlaut der Vorschrift nicht entnehmen.
Anders als in Bezug auf die Zehn-Jahres-Zeitgrenze des § 23a Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 24 Abs. 2 PartG 2002 besteht bei § 23b PartG 2002 jedoch das Erfordernis einer analogen Anwendung der Regelung dahingehend, dass die darin geregelte Möglichkeit einer sanktionsbefreienden Selbstanzeige auch bei Spendensachverhalten besteht, die vor ihrem Inkrafttreten abgeschlossen waren und daher noch auf der Grundlage der früheren Rechtslage durch (teilweise) Rücknahme der betreffenden Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel nach § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 zu sanktionieren sind. Das Gesetz enthält insoweit eine planwidrige Regelungslücke, die nur durch die erwähnte analoge Anwendung geschlossen werden kann. Dies ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang zwischen den beiden Absätzen des § 23b PartG 2002 sowie aus Sinn und Zweck der als Einheit zu sehenden Vorschrift.
Der vom Gesetzgeber angestrebte Regelungsgehalt des § 23b Abs. 2 PartG 2002 erschließt sich aus dem Zusammenhang mit Absatz 1 der Vorschrift. Erlangt danach eine Partei Kenntnis von Unrichtigkeiten in ihrem bereits frist- und formgerecht beim Präsidenten des Deutschen Bundestages eingereichten Rechenschaftsbericht, hat sie diese unverzüglich dem Präsidenten des Deutschen Bundestages schriftlich anzuzeigen. Dieser Begründung einer Anzeigepflicht der Partei ist die in Absatz 2 geregelte Sanktionsbefreiung funktional untergeordnet. Dies geht nicht nur aus der amtlichen Überschrift ("Anzeigepflicht bei Unrichtigkeiten im Rechenschaftsbericht") hervor, sondern ergibt sich auch aus den Gesetzgebungsmaterialien. Bereits im Allgemeinen Teil der Begründung des Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes (BTDrucks 14/8778 S. 13 re. Sp.) wird hervorgehoben, dass den Parteien die Pflicht aufgegeben wird, auch Fehler in bereits beim Bundestagspräsidenten eingereichten Rechenschaftsberichten nach ihrer Aufdeckung unverzüglich zu korrigieren. In der Einzelbegründung zu Art. 1 Nr. 5 (§ 23b PartG 2002) wird sodann ausgeführt, dass es im Interesse einer größtmöglichen Transparenz der Parteienfinanzen liege, dass eine Partei Unrichtigkeiten, die weder sie noch der Wirtschaftsprüfer bei der Aufstellung bzw. der Prüfung des Rechenschaftsberichts erkannt hat, korrigieren kann, ohne staatliche Sanktionen fürchten zu müssen. Die Vorschrift sehe daher vor, dass in Zukunft alle von der Partei entdeckten aber bis zur Meldung beim Präsidenten des Deutschen Bundestages bis dahin noch unbekannten Fehler sanktionslos berichtigt werden können. Es liege daher in Zukunft im Verantwortungsbereich der für die Finanzangelegenheiten zuständigen Vorstandsmitglieder der Parteien, die Richtigkeit der Angaben im Rechenschaftsbericht fortlaufend zu überwachen und hieraus ohne Zögern die notwendigen Konsequenzen zu ziehen (BTDrucks 14/8778 S. 16). Hieraus ergibt sich, dass die Möglichkeit der sanktionsbefreienden Selbstanzeige nach § 23b Abs. 2 PartG 2002 einen Anreiz für die Befolgung der in Absatz 1 der Vorschrift geregelten Anzeigepflicht durch die Parteien schaffen soll.
Die in § 23b Abs. 1 PartG 2002 geregelte Pflicht zur unverzüglichen Anzeige von Unrichtigkeiten in einem bereits frist- und formgerecht beim Präsidenten des Deutschen Bundestages eingereichten Rechenschaftsbericht ist ihrerseits nicht auf Rechenschaftsberichte beschränkt, die nach Inkrafttreten der Regelung eingereicht worden sind. Für einen Ausschluss der noch nach alter Rechtslage erstellten und eingereichten Rechenschaftsberichte von dem Anwendungsbereich der Vorschrift findet sich im Gesetzeswortlaut kein Anhaltspunkt. Eine dahingehende Auslegung widerspräche offensichtlich auch dem in der Gesetzesbegründung - wie erwähnt - zum Ausdruck kommenden Regelungsziel "größtmöglicher Transparenz der Parteienfinanzen". Besteht danach die in § 23b Abs. 1 PartG 2002 geregelte Pflicht zur unverzüglichen Anzeige von Unrichtigkeiten im Rechenschaftsbericht unabhängig davon, ob der Rechenschaftsbericht auf der Grundlage der alten oder der neuen Rechtslage erstellt und eingereicht worden ist, kann schon im Hinblick auf den Gesichtspunkt der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber die mit der Anzeigepflicht unmittelbar verbundene begünstigende Regelung einer sanktionsbefreienden Selbstanzeige nach § 23b Abs. 2 PartG 2002 bewusst auf die in der Zeit nach dem Inkrafttreten der Regelung eingereichten Rechenschaftsberichte beschränkt hat. Soweit in § 23b Abs. 2 Satz 1 PartG 2002 nur die am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen "Rechtsfolgen des § 31b oder des § 31c", nicht aber die entsprechenden Sanktionsregelungen nach der früheren Rechtslage ausdrücklich erwähnt werden, ist deshalb von einem bloßen Versehen des Gesetzgebers auszugehen. Es handelt sich mithin um eine planwidrige Regelungslücke, die nur im Wege einer analogen Anwendung des § 23b Abs. 2 Satz 1 PartG 2002 bei Sachverhalten, die noch auf der Grundlage der früheren Rechtslage zu sanktionieren sind, geschlossen werden kann.
Trotz der durch das Achte Gesetz zur Änderung des Parteiengesetzes vom 28. Juni 2002 erfolgten Umgestaltung des Sanktionensystems fügt sich die in § 23b Abs. 2 Satz 1 PartG 2002 getroffene Regelung problemlos in das alte Regelungsgefüge ein. Bei den "Rechtsfolgen des § 31b oder des § 31c", die unter den in § 23b Abs. 2 Satz 1 PartG 2002 geregelten Voraussetzungen ausgeschlossen werden, handelt es sich um die Zahlungsansprüche in im Einzelnen bestimmter Höhe, die gegen eine Partei bei Verstößen gegen parteienfinanzierungsrechtliche Vorschriften entstehen. Dies umfasst sowohl den Fall, dass der Präsident des Deutschen Bundestages im Rahmen seiner Prüfung nach § 23a PartG 2002 Unrichtigkeiten im Rechenschaftsbericht feststellt (§ 31b PartG 2002), als auch die Fälle, dass eine Partei Spenden unter Verstoß gegen § 25 Abs. 2 PartG 2002 angenommen und nicht gemäß § 25 Abs. 4 PartG 2002 an den Präsidenten des Deutschen Bundestages weitergeleitet (§ 31c Abs. 1 Satz 1 PartG 2002) oder nicht den Vorschriften des Gesetzes entsprechend im Rechenschaftsbericht veröffentlicht hat (§ 31c Abs. 1 Satz 2 PartG 2002). Den genannten Sanktionen entspricht nach früherer Rechtslage die auf § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 gestützte Rücknahme der jeweiligen Bescheide des Präsidenten des Deutschen Bundestages über die Gewährung staatlicher Mittel an die Klägerin in Höhe des Zweifachen Betrages einer in den betreffenden Jahren rechtswidrig angenommenen oder nicht ordnungsgemäß veröffentlichten Spende. Die entsprechende Teilrücknahme eines Bewilligungsbescheides ist demnach ausgeschlossen, wenn eine Partei Unrichtigkeiten im Rechenschaftsbericht anzeigt und im Zeitpunkt des Eingangs der Anzeige konkrete Anhaltspunkte für diese unrichtigen Angaben öffentlich nicht bekannt waren und weder dem Präsidenten des Deutschen Bundestages vorgelegen haben noch in einem amtlichen Verfahren entdeckt waren und die Partei den Sachverhalt umfassend offen legt und korrigiert. Aus der in § 23b Abs. 2 Satz 1 PartG 2002 enthaltenen Bezugnahme auf § 31c PartG 2002 ergibt sich darüber hinaus, dass die Sanktionsbefreiung nicht nur bei einer rechtzeitigen Anzeige von Unrichtigkeiten im Rechenschaftsbericht, sondern auch in denjenigen Fällen gewährt wird, in denen eine Partei Spenden unter Verstoß gegen ein Spendenannahmeverbot nach § 25 Abs. 2 PartG 2002 bzw. § 25 Abs. 1 Satz 2 PartG 1994 erlangt hat und dies zu einem Zeitpunkt umfassend offen legt, in dem konkrete Anhaltspunkte für den Rechtsverstoß weder der Öffentlichkeit noch dem Präsidenten des Deutschen Bundestages oder einer anderen Behörde bekannt waren.
Ob die Voraussetzungen des § 23b Abs. 2 Satz 1 PartG 2002 einer Teilrücknahme der Bescheide über die Gewährung staatlicher Mittel für die Jahre 2000, 2001 und 2003 entgegenstehen, kann der Senat mangels entsprechender tatsächlicher Feststellungen nicht selbst entscheiden. Anders als in Bezug auf die Bewilligungsbescheide für die Jahre 1997 bis 1999 hat die Klägerin insoweit Anhaltspunkte dargelegt, dass sie die entsprechenden Unrichtigkeiten in ihren Rechenschaftsberichten für die Jahre 2000 und 2001 sowie den im Jahr 2002 begangenen Verstoß gegen das Verbot, anonyme Spenden anzunehmen, beim Präsidenten des Deutschen Bundestages jeweils zu einem Zeitpunkt angezeigt hat, zu dem weder diesem noch der Öffentlichkeit konkrete Anhaltspunkte für diese unrichtigen Angaben bzw. Rechtsverstöße bekannt gewesen sind. Diesem Vortrag ist das Oberverwaltungsgericht seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig nicht nachgegangen.
Ob die behaupteten Aufklärungsbemühungen der Klägerin die Voraussetzungen einer sanktionsbefreienden Selbstanzeige nach § 23b Abs. 2 Satz 1 PartG 2002 erfüllen, ist eine Frage der Sachverhaltswürdigung, die dem Tatsachengericht aufgetragen ist. Der Rechtsstreit ist insoweit nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.
3. Ohne Verstoß gegen revisibles Recht hat das Berufungsgericht schließlich angenommen, dass die in dem angefochtenen Bescheid vom 2. Juli 2009 enthaltene Festsetzung von Abführungspflichten hinsichtlich der in den Jahren 1996 bis 2000 und 2002 erlangten Barspenden rechtmäßig ist.
Rechtsgrundlage der im Bescheid vom 2. Juli 2009 festgesetzten Verpflichtung zur Abführung der von der Klägerin erlangten Barspenden ist § 23a Abs. 1 Satz 2 PartG 1994. Danach sind die rechtswidrig angenommenen Spenden an das Präsidium des Deutschen Bundestages abzuführen. Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Regelung sind erfüllt. Wie ausgeführt, hat die Klägerin in den Jahren 1996 bis 2000 sowie 2002 verschiedene Barspenden unter Verstoß gegen das Spendenannahmeverbot des § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 PartG 1994 bzw. § 25 Abs. 2 Nr. 6 PartG 2002 und damit rechtswidrig im Sinne des § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 erlangt. Nach den tatrichterlichen Feststellungen geht es hierbei im Einzelnen um Beträge in Höhe von 61 750 DM im Jahr 1996, in Höhe von 52 750 DM im Jahr 1997, in Höhe von 38 500 DM im Jahr 1998, in Höhe von 195 000 DM im Jahr 1999, in Höhe von 981 750 DM im Jahr 2000 und in Höhe von 106 500 € im Jahr 2002, insgesamt also um umgerechnet 786 390,33 €. Auf der Rechtsfolgenseite sieht § 23a Abs. 1 Satz 2 PartG 1994 kein behördliches Ermessen vor, sondern ordnet die Abführung der rechtswidrig erlangten Spenden als zwingende Rechtsfolge an. Dies ist auch unter dem Gesichtspunkt des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht zu beanstanden. Anders als der in § 23a Abs. 1 Satz 1 PartG 1994 geregelte Verlust des Anspruchs auf staatliche Mittel in Höhe des Zweifachen des rechtswidrig erlangten oder nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprechend veröffentlichten Betrages handelt es sich bei § 23a Abs. 1 Satz 2 PartG 1994 nicht um eine Sanktionsregelung. Vielmehr dient die Vorschrift lediglich der Abschöpfung der unter Verstoß gegen die parteienrechtlichen Spendenannahmeverbote erlangten Vermögensvorteile. Der Höhe nach geht die Verpflichtung zur Abführung der Spenden nicht über den Betrag des rechtswidrig erlangten Vermögensvorteils hinaus. Vor diesem Hintergrund bedarf auch die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung dahingehend, ob die Behörde in Ausnahmefällen von der Festsetzung der Abführungspflicht ganz oder teilweise absehen kann, keiner näheren Prüfung. Dass der angefochtene Bescheid der Beklagten insoweit keine Ermessenserwägungen enthält, ist deshalb nicht zu beanstanden.
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http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-WBRE410019615&psml=bsjrsprod.psml&max=true
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019616
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BVerwG
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10. Senat
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20130617
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10 B 1/13
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Beschluss
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§ 3 AufenthG 2004, § 5 Abs 1 Nr 4 AufenthG 2004, § 1 Abs 3 Nr 2 AufenthV, § 3 Abs 1 AufenthV, § 3 Abs 3 Nr 1 AufenthV, Art 28 FlüAbk, § 86 Abs 1 VwGO, § 132 Abs 2 Nr 3 VwGO
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vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 23. Oktober 2012, Az: OVG 2 B 13.10, Urteil vorgehend VG Berlin, 25. November 2008, Az: 38 V 98.08
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DEU
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Passpflicht; Identitätssicherung; Reiseausweis für Flüchtlinge; Wiederaufnahmepflicht des ausstellenden Staates
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Die Erfüllung der Passpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG (juris: AufenthG 2004) dient nicht allein der Feststellung der Identität des Passinhabers. Vielmehr gewährleisten ein gültiger Pass oder Passersatz wie der Reiseausweis nach Art. 28 GFK (juris: FlüAbk) auch die Verpflichtung zur Wiederaufnahme der betreffenden Person durch den das Dokument ausstellenden Staat.
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Die Beschwerde der Beklagten ist begründet. Die Beklagte rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts verletzt hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 86 Abs. 1 VwGO). Wegen dieses Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruht, verweist der Senat die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO im Interesse der Verfahrensbeschleunigung unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Berufungsgericht zurück.
Die Beklagte beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht es unterlassen hat, von Amts wegen aufzuklären, ob der Kläger zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Passpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erfüllte. Zwar verletzt ein Gericht seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer sich nicht aufdrängenden Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter oder - wie hier - ein Behördenvertreter nicht ausdrücklich beantragt hat. Die Tatsache, dass ein Beweisantrag nicht gestellt wurde, ist aber dann unerheblich, wenn sich dem Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag eine weitere Sachverhaltsermittlung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen (stRspr, etwa Urteil vom 29. Mai 2008 - BVerwG 10 C 11.07 - BVerwGE 131, 186 = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 21 jeweils Rn. 13 m.w.N.). Das ist hier der Fall.
Das Berufungsgericht hätte Anlass zur Aufklärung der Frage sehen müssen, ob der französische Reiseausweis für Flüchtlinge gemäß Art. 28 GFK, den der Bevollmächtigte des Klägers dem Gericht mit Schriftsatz vom 27. Januar 2011 in Kopie vorgelegt hat (Bl. 195 <199> d.A.), zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch gültig war. Die Beklagte weist in der Beschwerdebegründung mit Recht darauf hin, dass die Erfüllung der Passpflicht eine Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG darstellt. Der Kläger kann seiner Passpflicht auch durch Vorlage eines gültigen Passersatzes nachkommen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Als Passersatz gilt nach § 3 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 1 Abs. 3 Nr. 2 AufenthV auch der Reiseausweis für Flüchtlinge im Sinne von Art. 28 GFK. Einen solchen hat der Kläger zwar in Kopie vorgelegt. Die Vertreterin der Beklagten hat das Berufungsgericht ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung aber darauf hingewiesen, "es sei noch genau zu klären, ob ein aktuelles visierfähiges Reisedokument des Klägers vorliege" (S. 2 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 23. Oktober 2012). Spätestens aufgrund dieses Hinweises hätte sich dem Gericht eine entsprechende Aufklärung aufdrängen müssen, denn der in Kopie überreichte Reiseausweis gemäß Art. 28 GFK war bis zum 21. Oktober 2011 befristet (Bl. 199 d.A.).
Zutreffend weist die Beklagte in ihrer Beschwerdebegründung des Weiteren darauf hin, dass die vom Kläger in Kopie vorgelegte, bis 2015 gültige französische Aufenthaltserlaubnis kein Reisedokument darstellt. Zwar kann die Identität des Klägers auch durch andere Dokumente als den Reiseausweis nach Art. 28 GFK nachgewiesen werden. Der Gesetzgeber verlangt aber in § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG die Erfüllung der Passpflicht als weitere, zur Identitätsklärung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG hinzutretende Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Denn nur ein Pass oder ein Passersatz wie der Reiseausweis nach Art. 28 GFK gewährleisten im Rahmen ihrer Geltungsdauer auch die Verpflichtung zur Wiederaufnahme der betreffenden Person durch den das Dokument ausstellenden Staat im Fall der Notwendigkeit oder des Wunsches zur Rückkehr (vgl. hierzu Ziffer 3.04 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009, GMBl 2009, 877 und Paragraph 13 des Anhangs zur GFK, BGBl II 1953, 559 <585>).
Auf die von der Beschwerde weiter geltend gemachten Zulassungsgründe kommt es nicht mehr entscheidend an.
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http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-WBRE410019616&psml=bsjrsprod.psml&max=true
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019617
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BVerwG
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3. Senat
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20130425
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3 C 1/12
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Urteil
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Art 27 Abs 2 EGV 882/2004, Art 27 Abs 4 EGV 882/2004, Art 12 S 1 EGV 882/2004, Anh VI EGV 882/2004
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 16. November 2011, Az: 17 A 576/09, Urteil vorgehend VG Minden, 22. Januar 2009, Az: 9 K 86/08, Urteil
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DEU
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Fleischhygienekontrollen; Gebührenbemessung; Anrechnung von allgemeinen Verwaltungskosten; Verstoß gegen Veröffentlichungs- und Notifikationspflicht
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1. Die gemäß Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 882/2004 zum Zwecke von amtlichen Fleischhygienekontrollen erhobenen Gebühren dürfen im Wege der Vorauskalkulation ("ex ante") ermittelt werden.
2. Bei der Berechnung von Gebühren für amtliche Kontrollen nach Art. 27 Abs. 2, Abs. 4 i.V.m. Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 sind allgemeine Verwaltungspersonal- und -sachkosten berücksichtigungsfähig, die im Zusammenhang mit der amtlichen Überwachung anfallen (Bestätigung des Urteils vom 26. April 2012 - BVerwG 3 C 20.11 - Buchholz 418.5 Fleischbeschau Nr. 31).
3. Ein Verstoß des Mitgliedstaates gegen die Pflicht zur Veröffentlichung und Mitteilung der Methode für die Berechnung der Gebühren nach Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Gebührenfestsetzung gegenüber dem einzelnen Gebührenschuldner.
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Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung von Gebühren für fleischhygienerechtliche Kontrollen.
Sie unterhält einen gewerblichen Schlachtbetrieb im Landkreis G. Mit Bescheid vom 14. Dezember 2007 setzte der Beklagte für im Monat November 2007 vorgenommene Fleischuntersuchungen Gebühren in Höhe von 39 841,93 € fest. Zur Begründung stützte er sich auf die Satzung des Kreises G. vom 20. November 2006 über die Erhebung von Gebühren für Amtshandlungen auf dem Gebiet der Fleischhygiene i.d.F. der 1. Änderungssatzung (im Folgenden: Gebührensatzung).
Mit der Klage hat die Klägerin den Gebührenbescheid angefochten, soweit die festgesetzten Gebühren über 24 286,75 € hinausgehen, und Erstattung der entsprechenden Gebührenzahlung (15 555,18 €) nebst Zinsen begehrt. Sie hat geltend gemacht, die Gebührensatzung sei wegen Verstoßes gegen Art. 27 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 unanwendbar. Die Kostenkalkulation des Beklagten sei fehlerhaft. Er habe zu Unrecht allgemeine Verwaltungskosten berücksichtigt; denn nach Art. 27 Abs. 4 i.V.m. Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 seien nur solche Kosten umlagefähig, die unmittelbar durch die amtlichen Kontrollen verursacht würden. Des Weiteren sei entgegen Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 die Methode für die Berechnung der Gebühren weder veröffentlicht noch der Europäischen Kommission bekanntgegeben worden. Mangels Anwendbarkeit der Gebührensatzung könne der Beklagte allein die in Anhang IV Abschnitt B Kap. I VO (EG) Nr. 882/2004 bestimmten Mindestgebühren, also 24 286,75 € verlangen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. Januar 2009 abgewiesen. Der angefochtene Gebührenbescheid sei rechtmäßig. Er finde seine Rechtsgrundlage in § 5 der Gebührensatzung. Die Berücksichtigung allgemeiner Verwaltungskosten bei der Gebührenbemessung sei nicht zu beanstanden. Der Kostenbegriff in Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 sei weit zu verstehen. Die Vorschriften über die Finanzierung amtlicher Kontrollen in Art. 26 ff. VO (EG) Nr. 882/2004 bezweckten, durch die Erhebung kostendeckender Gebühren ausreichende Finanzmittel für die Durchführung der amtlichen Kontrollen bereit zu stellen. Dementsprechend seien für die Gebührenbemessung sämtliche Kosten zu berücksichtigen, die durch die amtlichen Untersuchungen anfielen. Es sei auch nicht fehlerhaft, dass die festgelegten Gebührensätze auf einer Prognose der im Erhebungszeitraum anfallenden Kosten beruhten. Art. 27 Abs. 4 Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 verbiete nicht, die Gebühren auf der Grundlage einer Vorauskalkulation festzusetzen. Schließlich könne sich die Klägerin nicht auf eine Verletzung der Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten nach Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 berufen. Der Verordnungsgeber habe die Einhaltung dieser mitgliedstaatlichen Obliegenheiten nicht zur Voraussetzung für die Gebührenerhebung gemacht.
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ihr Vorbringen vertieft und ergänzt. Das mit der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 verfolgte Ziel transparenter und einheitlicher Kriterien für die Gebührenbemessung spreche für eine enge Auslegung des Anhangs VI der Verordnung und für den Ausschluss von mittelbaren Personalkosten und Allgemeinkosten. Darauf lasse auch der Wortlaut der Bestimmung schließen, der anders als noch die Vorgängerregelung in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 85/73/EWG den Begriff der Verwaltungskosten nicht mehr verwende. Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 entfalte nicht nur Rechtswirkungen im Verhältnis von Mitgliedstaat und Kommission, sondern schütze auch den einzelnen Gebührenschuldner. Es sei zudem zweifelhaft, ob die Gebührensatzung des Beklagten hinreichend bestimmt sei. Für den Gebührenschuldner sei nicht erkennbar, ob die Gebühren nach Art. 27 Abs. 4 Buchst. a oder Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 erhoben würden.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 16. November 2011 zurückgewiesen. Der Beklagte habe die Kosten für die amtlichen Fleischuntersuchungen im Jahr 2007 auf der Basis der im Zeitraum September 2005 bis August 2006 angefallenen Ausgaben prognostisch ermittelt und die Gebühren in pauschalierter Form festgesetzt. Das stehe in Einklang mit Art. 27 Abs. 4 Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004, wonach die Behörde die Gebühr auf der Grundlage der von ihr während eines bestimmten Zeitraums getragenen Kosten als Pauschale erheben dürfe. Eine erst im Nachhinein vorzunehmende Abrechnung verlange Art. 27 VO (EG) Nr. 882/2004 nicht. Nur über eine Vorauskalkulation lasse sich das Ziel der Kostendeckung erreichen. Zudem verfügten die Mitgliedstaaten über einen weiten methodischen Gestaltungsspielraum. Zu Recht sei das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Berücksichtigung allgemeiner Verwaltungspersonal- und -sachkosten von Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 gedeckt sei. Die Verordnung habe zum Ziel, effektive amtliche Kontrollen zu gewährleisten und dazu durch Erhebung kostendeckender Gebühren oder Kostenbeiträge angemessene finanzielle Mittel bereit zu stellen. Das lege nahe, dass der Personalbegriff in Anhang VI nicht nur die unmittelbar mit den Kontrollen befassten Tierärzte und Fachassistenten meine, sondern auch die Bediensteten, die für die verwaltungsmäßige Erfassung und Umsetzung der Kontrollen zuständig seien. Soweit der Verordnungsgeber die frühere Unterscheidung in Untersuchungs- und Verwaltungspersonal sowie Untersuchungs- und Verwaltungskosten zugunsten der Oberbegriffe "Personal" und "Ausgaben" (Löhne, Gehälter und Kosten) aufgegeben habe, habe er damit nicht von den bisherigen Grundsätzen abrücken wollen. Schließlich könne die Klägerin die geltend gemachte Rechtswidrigkeit der Gebührenerhebung auch nicht auf Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 stützen. Zwar sei zweifelhaft, ob die Bundesrepublik Deutschland ihrer Pflicht zur Veröffentlichung der Berechnungsmethode und zur Mitteilung an die Kommission hinreichend nachgekommen sei. Jedoch handele es sich um rein bipolar gestaltete Rechtsverpflichtungen der Mitgliedstaaten gegenüber der Kommission, die allein der Vollzugskontrolle und nicht dem Schutz des einzelnen Gebührenschuldners dienten. Das werde bestätigt durch den Vergleich mit der abweichend geregelten Berichtspflicht in Art. 27 Abs. 6 VO (EG) Nr. 882/2004.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Der Streitfall werfe mehrere Fragen zur Auslegung von Art. 27 VO (EG) Nr. 882/2004 auf, die eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof erforderten. Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, Art. 27 Abs. 4 i.V.m. Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 umfasse auch Verwaltungspersonal- und -sachkosten, gehe am Wortlaut der Norm vorbei und sei daher eine Auslegung "contra legem". Der Verordnungsgeber bezwecke offensichtlich eine enge Kausalität zwischen den umlagefähigen Kosten und den durchzuführenden amtlichen Kontrollen. Der Kostenmaßstab des Anhangs VI solle zu einer unmittelbaren Begrenzung der Gebührenhöhe im Sinne eines Realkostengebots führen. Das Normverständnis des Berufungsgerichts stehe zudem in Widerspruch zu dem risikobezogenen Ansatz im europäischen Lebensmittelrecht. Hiernach solle ein Unternehmer, der Gefahren für die Lebensmittelhygiene durch betriebliche Maßnahmen reduziere und sich also risikominimierend verhalte, durch einen geringeren Kontrollaufwand und eine niedrigere Gebührenlast belohnt werden. Allgemeine Verwaltungskosten fielen jedoch unabhängig vom jeweiligen Betriebsrisiko an. Das Berufungsurteil überzeuge auch nicht, soweit es eine Vorauskalkulation der Gebühren für zulässig erachte. Der Wortlaut des Art. 27 Abs. 4 Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 spreche für eine Ermittlung der Kosten "ex post". Das werde bestätigt durch das Realkostengebot in Art. 27 Abs. 4 Buchst. a VO (EG) Nr. 882/2004; denn die Einhaltung der dort vorgegebenen Gebührenobergrenze könne nur sinnvoll umgesetzt werden, wenn die tatsächliche Kostenhöhe feststehe. Durch den Europäischen Gerichtshof sei ferner zu beantworten, wie der Begriff des "bestimmten Zeitraums" in Art. 27 Abs. 4 Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 zu verstehen sei. Schließlich habe das Oberverwaltungsgericht Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 fehlerhaft ausgelegt. Es habe sich nicht damit auseinander gesetzt, dass die Notifizierungspflicht des Mitgliedstaates erkennbar im Zusammenhang mit der Prüfungspflicht der Kommission nach Art. 27 Abs. 12 Satz 2 VO (EG) Nr. 882/2004 stehe, die ihrerseits drittschützend zugunsten der Gebührenschuldner wirke. Außerdem werde gerügt, dass das Berufungsgericht nicht auf Art. 27 Abs. 5 VO (EG) Nr. 882/2004 eingegangen sei, obwohl die Klägerin geltend gemacht habe, dass in Bezug auf ihren Betrieb Art. 27 Abs. 5 Buchst. a und Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 einschlägig sein könnten. Insoweit liege auch ein Begründungsmangel vor.
Der Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hält das angefochtene Urteil in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz für unionsrechtskonform. Das Ministerium habe mitgeteilt, dass die Kommission im Verlauf der Beratungen zur Verordnung (EG) Nr. 882/2004 im Rat keinen Zweifel daran gelassen habe, die Gebührenregelungen der Richtlinie 85/73/EWG lediglich in einen neuen Rechtsakt überführen zu wollen. Das gelte auch für die Kriterien des Art. 5 Abs. 1 RL 85/73/EWG i.d.F. der Richtlinie 96/43/EG, die in Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 beibehalten werden sollten.
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Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Berufungsurteil beruht nicht auf einer Verletzung von Unionsrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die angefochtene Gebührenerhebung mit der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 vereinbar ist (1.). Die Verfahrensrüge bleibt ohne Erfolg (2.).
1. Nach der für den Senat bindenden Auslegung des Landesrechts durch die Vorinstanz (§ 137 Abs. 1 VwGO, § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO) findet der angegriffene Gebührenbescheid seine Rechtsgrundlage in § 5 Abs. 1 Satz 1 der Gebührensatzung des Beklagten. Hiernach wird für Amtshandlungen im Zusammenhang mit der Fleischuntersuchung in öffentlichen Schlachthöfen je Rind, Schwein/Wildschwein, Schaf, Ziege, Wildwiederkäuer und Einhufer die Gebühr erhoben, die sich aus den anliegenden Tabellen (Blätter 1 bis 6) ergibt. Das Oberverwaltungsgericht hat das Landesrecht ohne Verstoß gegen Unionsrecht - eine Verletzung von Bundesrecht ist weder geltend gemacht noch sonst erkennbar - ausgelegt und angewendet.
a) Einschlägig ist die Verordnung (EG) Nr. 882/2004 vom 29. April 2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz (ABl Nr. L 165 S. 1, ber. ABl Nr. L 191 S. 1) i.d.F. der Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 vom 20. November 2006 (ABl Nr. L 363 S. 1). Art. 26 ff. der Verordnung regeln die Finanzierung der amtlichen Kontrollen. Zu den Kontrollen im Sinne der Verordnung gehören unter anderem Fleischhygieneuntersuchungen in Schlachtbetrieben (vgl. Art. 2 Satz 2 Nr. 1, Anhang IV Abschnitt A Nr. 1 VO <EG> Nr. 882/2004 i.V.m. Art. 1 und Anhang A Kap. I RL 85/73/EWG; Art. 5 der Verordnung <EG> Nr. 854/2004 vom 29. April 2004 mit besonderen Verfahrensvorschriften für die amtliche Überwachung von zum menschlichen Verzehr bestimmten Erzeugnissen tierischen Ursprungs, ABl Nr. L 139 S. 206). Art. 26 ff. VO (EG) Nr. 882/2004 ersetzen die Richtlinie 85/73/EWG vom 29. Januar 1985 über die Finanzierung der veterinär- und hygienerechtlichen Kontrollen nach den Richtlinien 89/662/EWG, 90/425/EWG, 90/675/EWG und 91/496/EWG (ABl Nr. L 32 S. 14, zuletzt geändert durch die Richtlinie 97/79/EG vom 18. Dezember 1997, ABl Nr. L 24 S. 31), die mit Wirkung vom 1. Januar 2008 aufgehoben wurde (Art. 61 Abs. 1 Satz 2 VO <EG> Nr. 882/2004). Sie gilt ab dem 1. Januar 2006 mit Ausnahme der Art. 27 und 28, die ab dem 1. Januar 2007 anwendbar sind (Art. 67 VO <EG> Nr. 882/2004). Danach unterliegt die Gebührenerhebung für die im November 2007 im Betrieb der Klägerin durchgeführten amtlichen Kontrollen dem sachlichen und zeitlichen Anwendungsbereich des Art. 27 VO (EG) Nr. 882/2004.
b) In Übereinstimmung mit Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 882/2004 ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Beklagte in die der Gebührensatzung zugrundeliegende Kalkulation allgemeine Verwaltungspersonal- und -sachkosten einstellen durfte.
Art. 27 Abs. 2 VO (EG) Nr. 882/2004 verpflichtet die Mitgliedstaaten, Gebühren zur Deckung der Kosten zu erheben, die durch amtliche fleischhygienerechtliche Kontrollen entstehen. Gemäß Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 882/2004 dürfen die Gebühren nicht höher sein als die von den zuständigen Behörden getragenen Kosten in Bezug auf die Ausgaben gemäß Anhang VI (Buchst. a); sie können auf der Grundlage der von den zuständigen Behörden während eines bestimmten Zeitraums getragenen Kosten als Pauschale festgesetzt werden oder gegebenenfalls den in Anhang IV Abschnitt B bzw. Anhang V Abschnitt B festgelegten (Mindest-)Beträgen entsprechen (Buchst. b). Nach Anhang VI sind bei der Berechnung der Gebühren zu berücksichtigen: 1. Löhne und Gehälter des für die amtlichen Kontrollen eingesetzten Personals, 2. Kosten für das für die amtlichen Kontrollen eingesetzte Personal, einschließlich der Kosten für Anlagen, Hilfsmittel, Ausrüstung und Schulung sowie der Reise- und Nebenkosten und 3. Kosten für Probenahme und Laboruntersuchung.
In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass zu den berücksichtigungsfähigen Kosten im Sinne von Art. 27 Abs. 4 i.V.m. Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 auch allgemeine Verwaltungspersonal- und -sachkosten gehören, wenn und soweit sie der zuständigen Behörde im Zusammenhang mit der Durchführung der amtlichen Kontrollen entstehen (Urteil vom 26. April 2012 - BVerwG 3 C 20.11 - Buchholz 418.5 Fleischbeschau Nr. 31). Anhang VI knüpft an den Kostenmaßstab des Art. 5 Abs. 1 RL 85/73/EWG an. Es ist nicht ersichtlich, dass der Verordnungsgeber von den bisherigen Grundsätzen abweichen wollte und nur noch solche Kosten umlagefähig sein sollten, die für das bei den amtlichen Kontrollen eingesetzte Untersuchungspersonal (Tierärzte und Fachassistenten) anfallen. Gegen diese Auslegung spricht namentlich, dass Ausgaben für verwaltungsmäßige Aufgaben ansatzfähig wären, wenn die Verwaltungstätigkeit vom Untersuchungspersonal selbst wahrgenommen würde, während diese Kosten unberücksichtigt bleiben müssten, wenn dafür Verwaltungspersonal eingesetzt würde. Es liegt auf der Hand, dass ein solches Ergebnis widersinnig ist und das Ziel der Verordnung konterkariert, zur Gewährleistung effektiver Kontrollen eine kostendeckende Finanzierung sicherzustellen. Der Ansatz allgemeiner Verwaltungskosten steht auch weder im Widerspruch zum Wortlaut des Anhangs VI VO (EG) Nr. 882/2004 noch dazu, dass Art und Umfang der amtlichen Kontrollen nach Art. 3 Abs. 1 und Art. 27 Abs. 5 Buchst. a VO (EG) Nr. 882/2004, Art. 4 Abs. 9 und Art. 5 Nr. 5 Buchst. b VO (EG) Nr. 854/2004 von einer behördlichen Risikobewertung des betroffenen Unternehmens abhängen (vgl. im Einzelnen Urteil vom 26. April 2012 a.a.O. Rn. 18 ff.).
Die Urteilskritik der Klägerin (unter Hinweis auf Zeitzmann/Gräsel, LMuR 2012, 220 und LMuR 2013, 41) gibt keine Veranlassung zu einer Änderung der Senatsrechtsprechung. Sie vermag insbesondere nicht zu entkräften, dass der Zweck der Gebührenerhebung, wie gezeigt, klar für eine Berücksichtigungsfähigkeit allgemeiner Verwaltungspersonal- und -sachkosten streitet. Nicht überzeugend sind auch die Schlussfolgerungen, die die Klägerin aus dem Vergleich des Personalbegriffs in Anhang VI mit Begrifflichkeiten in anderen Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 ("Personal der zuständigen Behörde"; "Kontrollpersonal"; "Personal für die Durchführung amtlicher Kontrollen") ziehen will. Hätte der Verordnungsgeber bezweckt, das Verwaltungspersonal aus dem Kostenmaßstab in Anhang VI auszuklammern, hätte es nahegelegen, dies durch eine entsprechende Formulierung klar zu stellen. Im Übrigen spricht der Umstand, dass mit dem Begriff der amtlichen Kontrolle nach Art. 2 Satz 2 Nr. 1 VO (EG) Nr. 882/2004 alle Tätigkeiten gemeint sind, die im Zusammenhang mit den Kontrollaufgaben anfallen (vgl. Art. 6 Buchst. a und Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Anhang II Kap. I und Kap. II, Art. 9, Art. 10 VO <EG> Nr. 882/2004), gerade für eine weite Auslegung des Personalbegriffs in Anhang VI. Schließlich besteht auch nicht die von der Klägerin besorgte Gefahr einer willkürlichen Gebührenbemessung. Die Behörde darf allgemeine Verwaltungspersonal- und -sachausgaben nur insoweit berücksichtigen, als sie durch die amtlichen Kontrollen anteilig entstehen, das heißt ihnen zugerechnet werden können. Ob die behördliche Gebührenberechnung (Kalkulation) dem entspricht, ist eine Frage des Einzelfalls und im Streitfall von den Tatsachengerichten zu überprüfen. Dabei obliegt es der Behörde, die in die Berechnung eingestellten Kostenpositionen nach Art und Höhe plausibel zu machen.
Der von der Klägerin angeregten Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs nach Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) bedarf es nicht. An der Umlagefähigkeit allgemeiner Verwaltungskosten bestehen - wie gezeigt - keine vernünftigen Zweifel ("acte clair", EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs. C-283/81, Cilfit u.a. - Slg. 1982, 3415 Rn. 16; BVerwG, Urteil vom 26. April 2012 a.a.O. Rn. 32).
c) Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, der Beklagte dürfe die Gebühren auf der Grundlage einer Vorauskalkulation der zu deckenden Kosten erheben, ist aus Sicht des Unionsrechts ebenfalls nicht zu beanstanden.
In Bezug auf die Gebühr nach Anhang A Kap. I Nr. 4 RL 85/73/EWG i.d.F. der Richtlinie 96/43/EG vom 26. Juni 1996 (ABl Nr. L 162 S. 1) hat der Senat bereits wiederholt entschieden, dass deren Höhe auf der Basis im Vorhinein kalkulierter Kosten ermittelt werden durfte und es nicht etwa einer nachträglichen Kostenabrechnung jedes Einzelfalls bedurfte (Beschlüsse vom 21. Dezember 2010 - BVerwG 3 B 64.10 - juris Rn. 4 und vom 31. August 2012 - BVerwG 3 B 26.12 - juris Rn. 5; Urteil vom 20. Dezember 2007 - BVerwG 3 C 50.06 - Buchholz 418.5 Fleischbeschau Nr. 27 Rn. 28). Das wird bestätigt durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der sich keine Anhaltspunkte für eine Unzulässigkeit der Gebührenvorauskalkulation entnehmen lassen (vgl. z.B. Urteile vom 19. März 2009 - Rs. C-270/07 und Rs. C-309/07 - Slg. 2009, I-1983 und I-2077 und vom 9. September 1999 - Rs. C-374/97 - Slg. 1999, I-5153, jeweils zur Richtlinie 85/73/EWG; Urteil vom 7. Juli 2011 - Rs. C-523/09 - LMuR 2011, 100 - zu Art. 27 VO <EG> Nr. 882/2004).
Für die Gebührenerhebung nach Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 882/2004 kann nichts Anderes gelten. Wie die Vorgängerregelung der Richtlinie 85/73/EWG schließt Art. 27 VO (EG) Nr. 882/2004 eine Festsetzung von Gebührensätzen, die auf einer Kalkulation "ex ante" beruht, nicht aus. Das Unionsrecht macht den Mitgliedstaaten in dieser Hinsicht keine Vorgaben. Soweit Art. 27 Abs. 4 Buchst. b bestimmt, dass die Gebühren "auf der Grundlage der von den zuständigen Behörden während eines bestimmten Zeitraums getragenen Kosten" festgesetzt werden können, lässt sich daraus kein Verbot der Vorauskalkulation der Gebühren ableiten. Die Formulierung knüpft an den Grundsatz der Kostendeckung an (Art. 27 Abs. 1 und Erwägungsgrund 32 VO <EG> Nr. 882/2004) und besagt nicht mehr, als dass sich die Gebühr an den Kosten auszurichten hat und es deshalb sachgerecht ist, die Gebühren für den zukünftigen Erhebungszeitraum anhand der feststehenden Kosten der abgeschlossenen Erhebungsperiode zu kalkulieren. Dem Kostendeckungsgrundsatz entspricht des Weiteren, absehbare Kostensteigerungen oder -senkungen bei der Kalkulation zu berücksichtigen. Diesen Maßgaben wird die Gebührenkalkulation des Beklagten nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts gerecht (Urteilsabdruck, S. 10 unten sowie S. 23).
Ist die unionsrechtliche Zulässigkeit der Gebührenvorauskalkulation hiernach nicht zweifelhaft, ist eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nicht erforderlich. Dasselbe gilt für die von der Klägerin aufgeworfene Frage zu dem Zeitraum, auf den Art. 27 Abs. 4 Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 abstellt. Es ist offenkundig, dass die Zeitspanne von zwölf Monaten, die der Beklagte seiner Kalkulation zugrunde gelegt hat, unionsrechtskonform ist. Der Verordnungsgeber lässt den Mitgliedstaaten auch bei der Bestimmung der geeigneten Kalkulationsperiode zur Ermittlung der anfallenden Kosten freie Hand. Die Klägerin zeigt nicht ansatzweise auf, dass der Zeitraum eines Kalenderjahres sachwidrig und deshalb von Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 882/2004 nicht mehr gedeckt sein könnte.
d) Schließlich ist der angefochtene Gebührenbescheid nicht deshalb rechtswidrig, weil die Bundesrepublik Deutschland gegen die Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten nach Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 verstoßen hat.
Gemäß Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 veröffentlichen die Mitgliedstaaten die Methode für die Berechnung der Gebühren und geben sie der Kommission bekannt (Satz 1). Die Kommission prüft, ob die Gebühren den Anforderungen der Verordnung entsprechen (Satz 2). Das Oberverwaltungsgericht hat Bedenken, ob die Bundesrepublik Deutschland der Veröffentlichungs- und Notifikationspflicht hinreichend nachgekommen ist. Es meint, die Publikation der Gebührensatzung ohne die zugrunde liegende Gebührenkalkulation genüge nicht, weil sich anhand der Satzung nicht beurteilen lasse, ob die Vorgaben des Art. 27 Abs. 4 i.V.m. Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 eingehalten seien. Ebenso wenig ließen sich dem Schreiben des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vom 4. April 2008, mit dem der Kommission das Ergebnis einer Länderabfrage zur Methode der Gebührenberechnung übermittelt worden sei, die erforderlichen Informationen entnehmen; die Aussagen zur Gebührenerhebung in Nordrhein-Westfalen seien sehr allgemein. Allerdings verlangt Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 nicht die Bekanntgabe der konkreten Berechnungsgrundlagen, sondern beschränkt sich auf die Mitteilung der Berechnungsmethode. Zudem dürfte es einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten, eine Vielzahl einzelner Gebührenkalkulationen zur Überprüfung zu stellen. Auch wäre zu erwarten gewesen, dass die Kommission das Notifizierungsschreiben vom 4. April 2008 als ungenügend beanstandet, wenn sie die Angaben als nicht ausreichend beurteilt hätte.
Die Frage nach den Anforderungen an die Veröffentlichungs- und Mitteilungspflicht bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung. Selbst wenn von einem Verstoß gegen Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 auszugehen sein sollte, führt das nicht zur Rechtswidrigkeit der angegriffenen Gebührenerhebung. Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 betrifft ausschließlich das Rechtsverhältnis zwischen Mitgliedstaat und Kommission und begründet keine Rechte des einzelnen Gebührenschuldners. Das zeigt schon der Vergleich mit Art. 27 Abs. 6 VO (EG) Nr. 882/2004. Darin wird für die Zulässigkeit von niedrigeren Gebühren als den nach Anhang IV Abschnitt B und Anhang V Abschnitt B festgesetzten Mindestbeträgen ausdrücklich vorausgesetzt, dass der Mitgliedstaat der Kommission einen Bericht übermittelt, der über die Methode für die Berechnung der reduzierten Gebühr Auskunft gibt. Vergleichbares sieht Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 882/2004 nicht vor.
Die Folgenlosigkeit eines Verstoßes gegen Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 für die Rechtmäßigkeit des Gebührenbescheides ergibt sich darüber hinaus aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Verletzung von Notifizierungspflichten. Die Nichteinhaltung einer den Mitgliedstaaten obliegenden Verpflichtung zur Unterrichtung der Kommission führt nur dann zur Rechtswidrigkeit oder Ungültigkeit einer nationalen Maßnahme, wenn der in Rede stehenden unionsrechtlichen Vorschrift diese Rechtsfolge zu entnehmen ist. Das setzt voraus, dass die Wirksamkeit der innerstaatlichen Regelung vom Einverständnis oder dem fehlenden Widerspruch der Kommission abhängig gemacht wird (EuGH, Urteil vom 21. Juli 2011 - Rs. C-2/10, Azienda Agro-Zootecnica Franchini u.a. - Rn. 53 sowie Schlussanträge des Generalanwalts vom 14. April 2011 Rn. 38; Urteil vom 30. April 1996 - Rs. C-194/94, CIA Security International - Slg. 1996, I-2201 Rn. 49 f.). Hingegen zieht die Verletzung der Notifizierungspflicht nicht die Rechtswidrigkeit der nationalen Maßnahme nach sich, wenn die Mitteilungspflicht allein den Zweck hat, die Kommission zu informieren und ihr die Prüfung zu ermöglichen, ob das Unionsrecht eingehalten wird (EuGH, Urteile vom 13. Juli 1989 - Rs. C-380/87, Enichem Base u.a. - Slg. 1989, I-2491 Rn. 19 ff., vom 23. Mai 2000 - Rs. C-209/98, Sydhavnens Sten & Grus - Slg. 2000, I-3743 Rn. 96 ff. und vom 6. Juni 2002 - Rs. C-159/00, Sapod Audic - Slg. 2002, I-5031 Rn. 58 ff.). So liegt der Fall hier. Wie Art. 27 Abs. 12 Satz 2 VO (EG) Nr. 882/2004 deutlich macht, dient die Mitteilungspflicht nach Satz 1 allein dazu, dass die Kommission die nationalen Gebühren auf ihre Vereinbarkeit mit den Anforderungen der Verordnung überprüfen kann. Die Gebührenerhebung ist nicht an das Einverständnis oder den fehlenden Widerspruch der Kommission geknüpft.
Der von der Klägerin angeregten Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs bedarf es nicht. Die Voraussetzungen, unter denen die Verletzung einer Notifizierungspflicht die Rechtswidrigkeit einer nationalen Maßnahme zur Folge hat, sind in der Rechtsprechung des Gerichtshofs - wie gezeigt - geklärt. Es ist auch nicht zweifelhaft, dass Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 dem einzelnen Gebührenschuldner kein Recht verleiht, auf das er sich vor den nationalen Gerichten berufen könnte, um die Rechtswidrigkeit der Gebührenerhebung geltend zu machen.
2. Die Verfahrensrüge greift nicht durch. Das angegriffene Urteil leidet weder an dem geltend gemachten Begründungsmangel noch liegt ein Gehörsverstoß vor. Bereits das Verwaltungsgericht hat sich mit dem Einwand der Klägerin auseinander gesetzt, es sei zu prüfen, ob in ihrem Fall betriebsbezogene Sondertatbestände nach Art. 27 Abs. 5 VO (EG) Nr. 882/2004 vorlägen. Es hat dazu ausgeführt, die Klägerin habe nicht dargelegt, dass die Gebührensatzung des Beklagten die in Art. 27 Abs. 5 VO (EG) Nr. 882/2004 genannten Aspekte nicht berücksichtige. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ihr Vorbringen nicht konkretisiert. Ebenso wenig ist sie in der mündlichen Verhandlung auf die Einwendung zurückgekommen (vgl. Sitzungsprotokoll vom 16. November 2011, Bl. 198 ff. der Gerichtsakte). Für das Oberverwaltungsgericht hat daher keine Veranlassung bestanden, auf diesen Gesichtspunkt weiter einzugehen. Eine ausdrückliche Befassung musste sich auch sonst nicht aufdrängen; denn die vom Verwaltungsgericht angenommene Vereinbarkeit der Gebührensatzung mit Art. 27 Abs. 5 VO (EG) Nr. 882/2004 unterliegt keinen rechtlichen Bedenken. Der Satzungsgeber hat in den Blick genommen, dass die Gebührensätze unter Berücksichtigung der Kriterien nach Art. 27 Abs. 5 VO (EG) Nr. 882/2004 zu erheben sind (vgl. § 1 Abs. 1 Unterabs. 1 der Gebührensatzung). Den in Art. 27 Abs. 5 Buchst. a und Buchst. b genannten betriebsbezogenen Aspekten hat er Rechnung getragen, indem bei den Gebührensätzen nach Kleinbetrieben, Großbetrieben und öffentlichen Schlachthöfen sowie nach Schlachtzahlstaffeln differenziert wird.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019618
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BVerwG
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6. Senat
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20130618
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6 PB 14/13
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Beschluss
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§ 34 Abs 1 S 2 MBG SH, § 34 Abs 1 S 3 MBG SH, § 34 Abs 1 S 4 MBG SH, § 34 Abs 2 MBG SH
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vorgehend Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, 27. Februar 2013, Az: 8 Bf 197/12.PVL, Beschluss vorgehend VG Hamburg, 9. Juli 2012, Az: 26 FL 12/12
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DEU
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Personalratsbeschluss; Bereitstellung von Büropersonal; Bestellung eines Sachbearbeiters zum Intranetredakteur
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Ein Beschluss des Personalrats, durch welchen ein in der Dienststelle beschäftigter Sachbearbeiter zum Intranetredakteur bestellt wird, ist für die Dienststelle nicht verbindlich.
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Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Oberverwaltungsgericht gemäß § 88 Abs. 2 MBGSH i.V.m. § 92a Satz 1 ArbGG hat keinen Erfolg. Die allein erhobene Grundsatzrüge gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG greift nicht durch. Die in der Beschwerdebegründung aufgeworfene Rechtsfrage hat keine grundsätzliche Bedeutung.
Der Antragsteller will geklärt wissen, ob und in welchem Umfang ein nicht offensichtlich rechtswidriger Personalratsbeschluss auch dann Bindungswirkung für die Dienststelle entfaltet, wenn es sich nicht um einen Beschluss handelt, der kostenauslösender Natur im Sinne von § 34 MBGSH ist. Die Frage ist in diesem weitformulierten Umfang nicht entscheidungserheblich. Wie der Antragsteller ausdrücklich klargestellt hat (Seite 6 seiner Beschwerdebegründung vom 10. Juni 2013), bezieht sich seine Nichtzulassungsbeschwerde ausschließlich auf den in den Vorinstanzen gestellten Antrag zu 1. Dieser war auf die Verpflichtung der Beteiligten gerichtet, dem vom Antragsteller bestellten Intranetredakteur, Herrn Bernd W., seine Aufgabenerfüllung für den Antragsteller rechtlich, technisch und tatsächlich zu ermöglichen. Bei dem genannten Beschäftigten handelt es sich nach Feststellung des Oberverwaltungsgerichts um einen Sachbearbeiter im Team der IT-Verbindungsstelle der Deutschen Rentenversicherung Nord (BA S. 9). Angesichts dessen kann den Ausführungen der Beschwerdebegründung allenfalls sinngemäß als entscheidungserhebliche Rechtsfrage entnommen werden, ob ein Beschluss des Personalrats, einen in der Dienststelle beschäftigten Sachbearbeiter zum Intranetredakteur zu bestellen, für die Dienststelle verbindlich ist. Diese Frage ist mit dem Oberverwaltungsgericht offensichtlich zu verneinen, sodass es ihrer Klärung in einem Rechtsbeschwerdeverfahren nicht bedarf.
Dies ergibt sich bereits aus Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte der Regelung in § 34 MBGSH. In Absatz 1 Satz 1 der Vorschrift ist grundlegend bestimmt, dass die Dienststelle die durch die Tätigkeit des Personalrats entstehenden Kosten trägt. Welche Kosten dazugehören, ist dem nicht abschließenden, aus sechs Nummern bestehenden Katalog in § 34 Abs. 1 Satz 2 MBGSH zu entnehmen. Im Anschluss daran bestimmt § 34 Abs. 1 Satz 3 und 4 MBGSH: "In den Fällen des Satzes 2 Nr. 3 bis 6 sind Beschlüsse des Personalrates für die Dienststelle bindend, soweit sie sich im Rahmen der für den Personalrat bereitgestellten Haushaltsmittel halten, es sei denn, dass das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht sie auf Antrag der Dienststelle aufhebt. Der Antrag ist innerhalb von zehn Arbeitstagen nach Unterrichtung der Dienststelle über den Beschluss des Personalrates zu stellen."
Danach sind Beschlüsse des Personalrats zu Reisekosten sowie zu Kosten des sachlichen Geschäftsbedarfs und des Informationsbedarfs für die Dienststelle unter dem Vorbehalt verbindlich, dass sie die bereitgestellten Haushaltsmittel nicht überschreiten und nicht auf Initiative der Dienststelle vom Verwaltungsgericht aufgehoben werden. In allen anderen, nicht von § 34 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 bis 6 MBGSH erfassten Fällen muss der Dienststellenleiter Beschlüsse des Personalrats nicht befolgen, wenn er der Auffassung ist, dass sie mit dem geltenden Recht nicht im Einklang stehen. Dies gilt daher auch hinsichtlich der Regelungen in § 34 Abs. 2 MBGSH, wonach die Dienststelle für die laufende Geschäftsführung des Personalrats in erforderlichem Umfang Büropersonal zur Verfügung zu stellen hat. In dieser Hinsicht ist es dem Personalrat freilich unbenommen, seine Ansprüche im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren durchzusetzen (§ 88 Abs. 1 Nr. 5 MBGSH).
Die beschriebene Rechtslage unterscheidet sich nicht von derjenigen, wie sie auch sonst im Personalvertretungsrecht zur Bereitstellung von Büropersonal für den Personalrat besteht (vgl. § 44 Abs. 2 BPersVG und entsprechende Bestimmungen der Landespersonalvertretungsgesetze). Der Senat hat entschieden, dass die Entscheidung, welchen Beschäftigten der Dienststellenleiter damit beauftragt, der Personalvertretung als Bürokraft Hilfe zu leisten, allein ihm obliegt, so dass er auch über die Beendigung dieses Auftrages ohne Beteiligung der Personalvertretung entscheiden kann (Beschluss vom 21. März 1984 - BVerwG 6 P 3.82 - Buchholz 238.37 § 40 NWPersVG Nr. 2 S. 12). Dem gegenüber wird in der Kommentarliteratur durchweg vertreten, dass dem Personalrat bei der Auswahl des Büropersonals wegen des erforderlichen Vertrauensverhältnisses ein Mitspracherecht zusteht (vgl. Gerhold, in: Lorenzen/Etzel/Gerhold/Schlatmann/Rehak/Faber, Bundespersonalvertretungsgesetz, § 44 Rn. 45a; Kröll, in: Altvater/Baden/Kröll/Lemcke/Peiseler, Bundespersonalvertretungsgesetz, 7. Aufl. 2011, § 44 Rn. 65; Ilbertz, in: Ilbertz/Widmaier/Sommer, Bundespersonalvertretungsgesetz, 12. Aufl. 2012, § 44 Rn. 45; Fischer/Goeres/Gronimus, in: GKÖD Bd. V, K § 44 Rn. 75a; Jacobs, in: Richardi/Dörner/Weber, Personalvertretungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 44 Rn. 93; Donalies/Hübner-Berger, Mitbestimmungsgesetz Schleswig-Holstein, § 34 Rn. 2.2; ebenso VGH München, Beschluss vom 7. Oktober 2010 - 17 PC 10.1580 - juris Rn. 22; zum Betriebsverfassungsrecht: BAG, Beschluss vom 5. März 1997 - 7 ABR 3/96 - AP Nr. 56 zu § 40 BetrVG 1972). Das die Dienststelle eine Auswahlentscheidung des Personalrats bis zu einer gegenteiligen rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung befolgen muss, scheidet dagegen in jedem Fall aus. Durch die Auswahl des Büropersonals wird die in Verantwortung des Dienststellenleiters stehende Personalhoheit berührt. Es handelt sich daher nicht um eine Angelegenheit, welche der autonomen Willensbildung des Personalrats zugewiesen und vom Dienststellenleiter hinzunehmen ist (vgl. zur Auswahl freizustellender Personalratsmitglieder: Beschluss vom 10. Mai 1984 - BVerwG 6 P 33.83 - BVerwGE 69, 222 <224> = Buchholz 238.3 A § 46 BPersVG Nr. 15 S. 11 f.).
Erst recht muss die Dienststelle einer Personalvorstellung des Personalrats nicht Folge leisten, welche das Qualifikationsniveau überschreitet, das durch den Begriff "Büropersonal" definiert ist. Diesen Begriff hat der Schleswig-Holsteinische Landesgesetzgeber bei der Verabschiedung seines Mitbestimmungsgesetzes vom 11. Dezember 1990 bereits in § 44 Abs. 2 des Bundespersonalvertretungsgesetzes vom 15. März 1974 vorgefunden, sodass mangels entgegenstehender Anhaltspunkte von einem gleichartigen Verständnis auszugehen ist. Im Entwurf des Bundespersonalvertretungsgesetzes war noch der Begriff "Bürohilfskräfte" verwandt und in der Begründung dazu klargestellt worden, dass Sachbearbeiter nicht zur Verfügung zu stellen sind (BTDrucks 7/176 S. 10 und 30 zu § 43). Auf Initiative des Innenausschusses hat der Bundestag den Begriff "Bürohilfskräfte", um einer damit etwa verbundenen Diskriminierung vorzubeugen, durch den Begriff "Büropersonal" ersetzt, ohne dass damit eine materielle Änderung beabsichtigt war (vgl. BTDrucks 7/1339 S. 18; 7/1373 S. 4 zu § 43). Es entspricht daher einhelliger Auffassung, dass die Dienststelle nicht verpflichtet ist, dem Personalrat Sachbearbeiter zur Verfügung zu stellen (vgl. Beschluss vom 21. März 1984 a.a.O. S. 10; VGH München, Beschluss vom 8. April 2008 - 18 P 07.1370 - juris Rn. 14; Gerhold, a.a.O. § 44 Rn. 44; Kröll, a.a.O. § 44 Rn. 63; Fischer/Goeres/Gronimus, a.a.O. K § 44 Rn. 74; Ilbertz, a.a.O. § 44 Rn. 45; Jacobs, a.a.O. § 44 Rn. 91). Da der Personalrat in dieser Hinsicht über keine Rechtsposition verfügt, kann sein Beschluss, ihm einen in der Dienststelle beschäftigten Sachbearbeiter zur Verfügung zu stellen, für die Dienststelle keine Verbindlichkeit entfalten.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019619
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BVerwG
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2. Senat
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20130618
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2 B 12/13
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Beschluss
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§ 40 Abs 2 BBesG, § 70 Abs 1 EStG
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 14. November 2012, Az: 1 A 739/11, Urteil vorgehend VG Köln, 21. Februar 2011, Az: 27 K 3130/09
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DEU
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Kindergeldberechtigung; kinderbezogener Teil des Familienzuschlags
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Der kinderbezogene Teil des Familienzuschlags nach § 40 Abs. 2 Satz 1 BBesG wird nicht gewährt, wenn die Kindergeldberechtigung unanfechtbar abgelehnt worden ist. Dies gilt auch, wenn der ablehnende Bescheid auf die Verletzung der Mitwirkungspflicht gestützt ist und der Betroffene hiergegen keinen Einspruch eingelegt hat (im Anschluss an Urteil vom 26. August 1993 - BVerwG 2 C 16.92 - BVerwGE 94, 98).
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Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers kann keinen Erfolg haben. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass der geltend gemachte Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gegeben ist.
Der Kläger wendet sich gegen die Rückforderung des kinderbezogenen Familienzuschlags der Stufe 2 für das Jahr 2007. Die Rückforderung beruht darauf, dass die hierfür zuständige Familienkasse die Festsetzung des Kindergeldes für 2007 aufgehoben und das Kindergeld zurückgefordert hatte, weil der Kläger trotz entsprechender Aufforderungen die Unterlagen zu den Einkommensverhältnissen seines Sohnes nicht vorgelegt hatte. Der Kläger legte gegen diesen Bescheid keinen Einspruch ein, sodass er bestandskräftig wurde.
Das Oberverwaltungsgericht hat die erstinstanzlich erfolgreiche Klage in der Berufungsinstanz abgewiesen. In dem Berufungsurteil heißt es, unanfechtbare Entscheidungen der Familienkasse über das Kindergeld seien für den Anspruch auf Zahlung des kinderbezogenen Teils des Familienzuschlags vorgreiflich. Der Besoldungsstelle sei es verwehrt, die Kindergeldberechtigung eigenverantwortlich zu prüfen. Dies gelte unabhängig davon, aus welchen Gründen die Familienkasse die Berechtigung bejaht oder verneint habe. Daher stehe aufgrund der Bestandskraft der ablehnenden Entscheidung über die Kindergeldberechtigung des Klägers für 2007 bindend fest, dass der Kläger auch den kinderbezogenen Teil des Familienzuschlags für dieses Jahr zu Unrecht erhalten habe.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde wirft der Kläger die Frage als rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf, ob eine ablehnende Verwaltungsentscheidung über die Kindergeldberechtigung auch dann Bindungswirkung für die Gewährung des kindergeldbezogenen Teils des Familienzuschlags entfaltet, wenn sie ausschließlich auf die fehlende Mitwirkung des Beamten oder Soldaten bei der Feststellung des Sachverhalts gestützt ist. Der Kläger macht geltend, es verstoße gegen das rechtsstaatliche Gebot der materiellen Gerechtigkeit und den Alimentationsgrundsatz, dass auch einem materiell Kindergeldberechtigten wegen eines Verstoßes gegen die Mitwirkungspflicht nicht nur das Kindergeld, sondern auch ein Teil der ihm zustehenden Alimentation verloren gehe.
Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass der Beschwerdeführer aufzeigt, dass eine von ihm bezeichnete Rechtsfrage sowohl im konkreten Fall entscheidungserheblich als auch allgemein klärungsbedürftig ist. Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage durch die bundesgerichtliche Rechtsprechung bereits geklärt ist oder auf ihrer Grundlage beantwortet werden kann (stRspr; vgl. Beschluss vom 24. Januar 2011 - BVerwG 2 B 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4 <insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 237.7 § 15 NWLBG Nr. 9>) zu.
Die vom Kläger aufgeworfene Frage ist nicht klärungsbedürftig, weil sich die Antwort ohne Weiteres aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Verhältnis von Kindergeldberechtigung und Gewährung des kinderbezogenen Teils des Familienzuschlags ergibt:
Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 des Soldatenversorgungsgesetzes sind auf den Familienzuschlag der versorgungsberechtigten ehemaligen Soldaten die für Soldaten geltenden Vorschriften des Bundesbesoldungsgesetzes anzuwenden. Nach § 40 Abs. 2 Satz 1 BBesG erhalten auch Soldaten, die zur Stufe 1 des Familienzuschlags (§ 40 Abs. 1 BBesG) gehören, den kinderbezogenen Teil dieses Zuschlags nach Stufe 2 und den folgenden Stufen für jedes Kind, für das ihnen Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz oder dem Bundeskindergeldgesetz zusteht.
Der Bedeutungsgehalt des § 40 Abs. 2 Satz 1 BBesG ist in der Senatsrechtsprechung geklärt (Urteile vom 26. August 1993 - BVerwG 2 C 16.92 - BVerwGE 94, 98 <99 f.> = Buchholz 240 § 40 BBesG Nr. 27 S. 41 f. und vom 21. Dezember 2000 - BVerwG 2 C 39.99 - BVerwGE 112, 308 <311 f.> = Buchholz 237.95 § 95 SHLBG Nr. 3 S. 4 f.; Beschluss vom 13. Februar 2007 - BVerwG 2 B 65.06 - Buchholz 240 § 40 BBesG Nr. 40 Rn. 6 f.). Danach bringt der gesetzliche Begriff des "Zustehens" von Kindergeld zum Ausdruck, dass der Besoldungsgesetzgeber die Gewährung des kinderbezogenen Teils des Familienzuschlags von der Kindergeldberechtigung nach den Regelungen des Einkommensteuergesetzes oder des Kindergeldgesetzes abhängig gemacht hat. Der besoldungs- bzw. versorgungsrechtliche Anspruch setzt zwingend die förmliche Feststellung eines Anspruchs auf Kindergeld voraus. Diese Koppelung trägt dem Umstand Rechnung, dass beide Leistungen dem gleichen sozialpolitischen Zweck, nämlich dem Familienlastenausgleich für den durch Kinder verursachten Mehraufwand, zu dienen bestimmt sind. Daher sollen divergierende Auffassungen von Familienkasse und Besoldungsstelle über die Kindergeldberechtigung vermieden werden.
Aus der in § 40 Abs. 2 Satz 1 BBesG angeordneten Akzessorietät der Besoldungs- bzw. Versorgungsleistung und aus dem Umstand, dass die Entscheidung über die Kindergeldberechtigung in einem förmlichen, durch Bescheid abzuschließenden Verfahren ergeht (vgl. § 70 Abs. 1 EStG), hat der Senat den Schluss gezogen, dass dieser Entscheidung nach Eintritt der Unanfechtbarkeit Bindungswirkung (Tatbestandswirkung) für die Gewährung des kinderbezogenen Teils des Familienzuschlags zukommt. Für die Kindergeldberechtigung ist ausschließlich die Familienkasse zuständig. Die Besoldungsstelle ist an deren unanfechtbare Entscheidung und, falls der Betroffene den Rechtsweg beschreitet, an die Entscheidung des Finanzgerichts gebunden; eine gesonderte Prüfung der Rechtmäßigkeit in einem besoldungs- bzw. versorgungsrechtlichen Verfahren findet nicht statt. Diese Bindungswirkung besteht, solange und soweit die Familienkasse den unanfechtbaren Verwaltungsakt über die Kindergeldberechtigung nicht aufgehoben oder sich dieser nicht auf andere Weise erledigt hat (vgl. zur Tatbestandswirkung von Verwaltungsakten: Urteile vom 17. Januar 1980 - BVerwG 7 C 63.77 - BVerwGE 59, 310 <315> = Buchholz 442.151 § 45 StVG Nr. 7 S. 19 und vom 23. April 1980 - BVerwG 8 C 82.79 - BVerwGE 60, 111 <116 f.> = Buchholz 454.44 GebBefrG Nr. 1 S. 6).
Demnach wirkt sich die Entscheidung über die Kindergeldberechtigung nach Eintritt der Unanfechtbarkeit unmittelbar kraft Gesetzes auf die Gewährung des kinderbezogenen Teils des Familienzuschlags aus. Im Falle der Anerkennung der Kindergeldberechtigung ist auch der entsprechende Familienzuschlag zu gewähren. Umgekehrt steht aufgrund einer ablehnenden Entscheidung fest, dass ein Anspruch auf den kinderbezogenen Teil des Familienzuschlags nicht besteht. Jede nachträgliche Änderung der Entscheidung der Familienkasse für einen bestimmten Zeitraum wirkt sich im Falle ihrer Bestandskraft nachträglich auf die Zuschlagsgewährung aus.
Daraus folgt, dass unanfechtbare Entscheidungen über die Kindergeldberechtigung unabhängig von ihrer Richtigkeit Bindungswirkung entfalten. Der kinderbezogene Teil des Familienzuschlags kann auch bei rechtswidriger, aber bestandskräftiger Ablehnung der Kindergeldberechtigung nicht gewährt werden. Auf die Art des Rechtsfehlers kommt es hierbei nicht an. Die gesetzliche Regelung des § 40 Abs. 2 Satz 1 BBesG bietet keine Handhabe, um danach zu unterscheiden, ob es sich um einen Rechtsfehler bei der Ermittlung und Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen handelt, wozu auch ein rechtsfehlerhafter Verzicht auf eine weitere Sachaufklärung wegen unterbliebener Mitwirkung gehört, oder ob der Familienkasse ein Fehler bei der Rechtsanwendung unterlaufen ist. Es kann nicht darauf ankommen, ob dies dem Betroffenen besoldungs- oder versorgungsrechtlich zum Vorteil oder zum Nachteil gereicht.
Der Kläger hat keine Gesichtspunkte aufgezeigt, die Anlass zu einem Überdenken der Senatsrechtsprechung zu § 40 Abs. 2 Satz 1 BBesG in einem Revisionsverfahren geben könnten. Die in der Beschwerdebegründung angesprochenen verfassungsrechtlichen Grundsätze sind nicht geeignet, die Senatsrechtsprechung in Frage zu stellen:
Es verstößt nicht gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit, einer unanfechtbaren Ablehnung der Kindergeldberechtigung, die auf das Fehlen von Angaben des Betroffenen zu den Einkommensverhältnissen des Kindes gestützt ist, nach § 40 Abs. 2 Satz 1 BBesG Bindungswirkung zuzuerkennen. Dies folgt schon daraus, dass gegen die ablehnende Entscheidung Rechtsschutzmöglichkeiten eröffnet sind. Der Betroffene kann hiergegen Einspruch einlegen, um die fehlenden Angaben im Einspruchsverfahren nachzuholen. Gegebenenfalls muss er nach Zurückweisung seines Einspruchs das Finanzgericht anrufen. Entscheidet sich ein Betroffener bewusst gegen die Inanspruchnahme von Rechtsschutz oder versäumt er die Einspruchs- oder Klagefrist, so kann es nicht als unbillig angesehen werden, dass er die Entscheidung und die daran geknüpften gesetzlichen Rechtsfolgen aus Gründen der Rechtssicherheit gegen sich gelten lassen muss (BVerfG, Beschlüsse vom 17. Dezember 1969 - 2 BvR 23/65 - BVerfGE 27, 297 <305 f.>, vom 20. April 1982 - 2 BvL 26/81 - BVerfGE 60, 253 <269 f.> und vom 27. Februar 2007 - 1 BvR 1982/01 - BVerfGE 117, 302 <315>).
Der Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit gebietet nicht, eine zusätzliche Möglichkeit des Rechtsschutzes in einem Verfahren zu eröffnen, das gesetzlich hierfür nicht vorgesehen ist. Vielmehr ist der Betroffene darauf verwiesen, auf eine Änderung der bestandskräftigen Ablehnung der Kindergeldberechtigung nach §§ 173 f. der Abgabenordnung hinzuwirken.
Die Abhängigkeit des Anspruchs auf Gewährung des kinderbezogenen Teils des Familienzuschlags von der unanfechtbaren Entscheidung über die Kindergeldberechtigung verstößt auch nicht gegen Art. 14 Abs. 1 GG, der für die Besoldung und Altersversorgung der Soldaten an die Stelle des hergebrachten Grundsatzes der amtsangemessenen Alimentation nach Art. 33 Abs. 5 GG tritt. Der Anspruch auf Altersversorgung genießt verfassungsrechtlichen Schutz, weil ihn die Berechtigten während der aktiven Dienstzeit erdient haben. Seine Höhe ergibt sich aus den Regelungen der Versorgungsgesetze, durch die der Gesetzgeber seinen verfassungsrechtlichen Gestaltungsspielraum ausgefüllt hat (Urteil vom 27. Januar 2011 - BVerwG 2 C 25.09 - Buchholz 449.4 § 55b SVG Nr. 1 Rn. 22).
Es ist von diesem Gestaltungsspielraum gedeckt, dass der Gesetzgeber die Gewährung eines Besoldungs- und Versorgungszuschlags zur Deckung des durch ein Kind verursachten Mehraufwands an die Entscheidung über die Gewährung des dem gleichen Zweck dienenden Kindergeldes koppelt. Er kann Vorkehrungen treffen, um eine Prüfung der Kindergeldberechtigung in zwei Verfahren und unterschiedliche Entscheidungen darüber zu vermeiden. Darin liegt schon deshalb kein Vorenthalten eines Teils der Bezüge, weil zwischen Besoldung und Dienstleistung kein Gegenseitigkeitsverhältnis wie zwischen Vergütung und Arbeitsleistung in Arbeitsverhältnissen besteht. Dies gilt gleichermaßen für die lebenslange Altersversorgung. Vielmehr sollen Besoldung und Altersversorgung Beamten und Soldaten eine amts- bzw. dienstgradgemäße Lebensführung als Gegenleistung dafür ermöglichen, dass sie sich dem Dienstherrn mit der ganzen Persönlichkeit zur Verfügung gestellt und die übertragenen Aufgaben nach besten Kräften erfüllt haben. Die Zahlung eines Zuschlags, der der persönlichen Lebenssituation des Berechtigten Rechnung tragen soll, kann von der Erfüllung einer Mitwirkungspflicht abhängig gemacht werden, wenn sie sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig ist (Urteil vom 27. Mai 2010 - BVerwG 2 C 33.09 - Buchholz 11 Art. 33 Abs. 5 GG Nr. 117 Rn. 18).
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WBRE410019620
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BVerwG
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7. Senat
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20130314
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7 C 34/11
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Urteil
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§ 4 Abs 2 Nr 3 AtG, § 4 Abs 2 Nr 5 AtG, § 7 Abs 2 Nr 3 AtG, § 7 Abs 2 Nr 5 AtG, § 6 Abs 2 Nr 2 AtG, § 6 Abs 2 Nr 4 AtG, Art 2 Abs 2 S 1 GG, Art 14 Abs 1 GG, § 49 StrlSchV, § 47 StrlSchV, § 3 GefahrgutG, § 1 Abs 3 Nr 1 GGVSE, § 1 Abs 3 Nr 3 GGVSE
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vorgehend OVG Lüneburg, 30. August 2011, Az: 7 LB 58/09, Urteil vorgehend OVG Lüneburg, 30. August 2011, Az: 7 LB 59/09, Urteil vorgehend VG Braunschweig, 15. Oktober 2004, Az: 1 A 231/03, Urteil vorgehend VG Braunschweig, 15. Oktober 2004, Az: 1 A 232/03, Urteil
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DEU
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Anwohnerklage gegen Castor-Transporte
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Die Regelung über die Gewährleistung der erforderlichen Vorsorge gegen Schäden durch die Beförderung von Kernbrennstoffen in § 4 Abs. 2 Nr. 3 AtG wie auch die Regelung über die Gewährleistung des erforderlichen Schutzes gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter in § 4 Abs. 2 Nr. 5 AtG dienen auch dem Schutz individueller Rechte von Dritten, die in der Nähe einer Umschlaganlage oder einer von dort ins Transportbehälterlager führenden Straße wohnen.
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Die Kläger wenden sich gegen eine atomrechtliche Beförderungsgenehmigung des Bundesamtes für Strahlenschutz vom 30. April 2003 (i.d.F. des Bescheides vom 13. Oktober 2003), mit der der Beigeladenen die Erlaubnis erteilt worden ist, bis zum 31. Dezember 2003 HAW(high active waste)-Glaskokillen aus der Wiederaufbereitungsanlage in La Hague in maximal 12 Behältern der Bauart Castor HAW 20/28 CG von der deutsch-französischen Grenze ins Transportbehälterlager (TBL) G. zu befördern. Eine verbindliche Strecke für den Schienentransport legt der Bescheid nicht fest. Nach Abschluss des Transports im Dezember 2003 begehren die Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit dieses Bescheides.
Glaskokillen enthalten die nicht wiederverwertbaren Spaltprodukte aus abgebrannten Kernbrennelementen. Mit einem Glasgranulat verschmolzen werden sie in zylindrische Behälter aus Edelstahl verfüllt und mit einem Edelstahldeckel verschweißt. Zum Transport werden die Glaskokillen in Lagerbehälter des Typs Castor eingestellt. Seit 2007 kommt der Castor der Baureihe HAW 20/28 CG für den Transport ins TBL G. nicht mehr zum Einsatz; er ist durch eine neue Baureihe ersetzt worden.
Der Kläger zu 1 ist Eigentümer eines von ihm bewohnten Hauses, das in einer Entfernung von ca. 650 m nördlich der Umschlagsanlage auf dem Bahnhof D. liegt; der Umschlag der Castorbehälter von den Spezialeisenbahnwagen auf Schwerlastkraftfahrzeuge findet in einem dort gelegenen Gebäude statt. Die Klägerin zu 2 ist Miteigentümerin eines von ihr bewohnten Hauses, das ca. 26 m entfernt von dem auf einer Deichkrone verlaufenden Transportweg liegt, der bisher - ebenso wie die Umschlagsanlage in D. - stets für den Transport der Castorbehälter ins Behälterlager genutzt worden ist.
Nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren wies das Verwaltungsgericht die Klagen als unzulässig ab. Die Anträge der Kläger auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht ab. Es bestünden weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils noch komme der Rechtssache eine grundsätzliche Bedeutung zu. Das Bundesverfassungsgericht hob die beiden Beschlüsse über die Nichtzulassung der Berufung auf und verwies die Streitsachen an das Oberverwaltungsgericht zurück. Durch die Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts würden die Kläger in ihrem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verletzt.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Kläger nach deren Zulassung zurückgewiesen. Zu Recht sei das Verwaltungsgericht von der Unzulässigkeit der Klagen ausgegangen.
Unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr sei die Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig. Zwar werde der hier streitige Behältertyp Castor HAW 20/28 CG für künftige Transporte ins TBL G. nicht mehr eingesetzt. Doch müsse die stetige Möglichkeit eines Rücktransports der Behälter gewährleistet sein, was das Fortsetzungsfeststellungsinteresse begründe.
Die Kläger seien nicht Adressaten der Transportgenehmigung. Sie seien daher nur dann klagebefugt, wenn die als verletzt gerügte Vorschrift drittschützenden Charakter habe und sie dem durch die Vorschrift geschützten Personenkreis angehörten. § 4 Abs. 2 Nr. 3 und 5 AtG sei nicht drittschützend. Das in Nummer 3 in Bezug genommene Gefahrgutbeförderungsrecht, somit das Gesetz über die Beförderung gefährlicher Güter sowie die Gefahrgutverordnung Straße, Eisenbahn und Binnenschifffahrt, die hinsichtlich der innerstaatlichen Beförderung auf der Straße auf Vorschriften des Europäischen Übereinkommens vom 30. September 1957 über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße (ADR) und hinsichtlich der Beförderung mit der Eisenbahn auf die Ordnung für die internationale Eisenbahnbeförderung gefährlicher Güter (RID) als Anlage I zum Anhang B des Übereinkommens über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) vom 9. Mai 1980 verweise, habe mit gleichlautenden Vorschriften das Ziel, Personen, Eigentum und die Umwelt vor den Strahlungseinflüssen bei der Beförderung radioaktiver Stoffe zu schützen. Zur Vorsorge gegen Schäden durch die Beförderung von Kernbrennstoffen sei eine höchstzulässige Dosisleistung an der Außenfläche des Versandstücks und des Transportfahrzeugs von 2 mSv/h und in einem Abstand von 2 m von der Außenfläche des Transportfahrzeugs von 0,1 mSv/h einzuhalten. Auch hinsichtlich etwaiger Oberflächenkontaminationen gebe es einen behälterbezogenen Grenzwert. Damit liege den gefahrgutrechtlichen Regelungen ein anderes Schutzsystem zugrunde als der Strahlenschutzverordnung, die auf eine effektive Dosis sowie auf eine Organdosis bei Einzelpersonen an der ungünstigsten Einwirkungsstelle in der Umgebung einer Anlage oder Einrichtung bezogen auf ein Jahr abstelle; dieses auf Einzelpersonen bezogene Schutzkonzept begründe den Drittschutz für Anwohner von Kernkraftwerken und Zwischenlagern. Die gefahrgutrechtlichen Regelungen stellten hingegen mit ihrem Schutzkonzept generalisierend und nicht akzeptorbezogen auf die Dosisleistung unmittelbar am Transportbehälter und bezogen auf eine Stunde ab. Hiermit würden auch unterschiedliche Geschwindigkeiten des Transports und unterschiedliche Einwirkungszeiten vorsorgend abgedeckt. Ein Schutz von Streckenanliegern über den der Allgemeinheit zukommenden Schutz hinaus sei damit nicht beabsichtigt.
Für die Anfechtung der einem Dritten erteilten Genehmigung setze die zur Begründung der Klagebefugnis erforderliche Betroffenheit ein besonderes Verhältnis des Klägers zum Genehmigungsgegenstand im Sinne einer engeren räumlichen und zeitlichen Beziehung voraus. Letztere bestehe nur, wenn der von der Genehmigung Betroffene auf eine gewisse Dauer Einwirkungen ausgesetzt sei, denen er sich nachhaltig nicht entziehen könne, und damit ein über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehendes Opfer zu erbringen habe. Dieser Grundsatz des Immissionsschutzrechts gelte auch für die atomrechtliche Beförderungsgenehmigung. Die zur Vorsorge gegen Schäden durch die Beförderung von Kernbrennstoffen einzuhaltenden Vorschriften von ADR und RID ermöglichten es nicht, einen abgrenzbaren Kreis von Betroffenen zu bestimmen. Abstellend auf die höchstzulässige Dosisleistung an den Außenflächen der Transportfahrzeuge und Versandstücke einen Korridor Betroffener entlang der Transportstrecke zu bilden, scheide auch angesichts von etwa 445 000 Transporten radioaktiver Stoffe im Jahr im gesamten öffentlichen Schienen-, Straßen- und Binnenwassernetz in Deutschland aus. Ein dynamischer Beförderungsvorgang sei nicht vergleichbar mit einer ortsfesten Anlage, in deren Einwirkungsbereich Grundstücke auf Dauer belastet würden. Die Klägerin zu 2 habe bei der Vorbeifahrt des genehmigten Transports eine Strahlenexposition zu erwarten, die weit unterhalb der regionalen Schwankungsbreiten der natürlichen Strahlenexposition liege, selbst wenn es störungsbedingt zu einem vorübergehenden Stillstand des Transports kommen sollte.
Für SEWD-Fälle sei die Rechtsprechung zu § 6 Abs. 2 Nr. 4 und § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG, die - soweit eine Zuordnung zum Restrisiko ausscheide - einen Drittschutz bejahe, auf § 4 Abs. 2 Nr. 5 AtG nicht übertragbar; sie erweitere auch lediglich die Rügebefugnis der Betroffenen im Hinblick auf den Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter, nicht hingegen den Kreis der Drittschutzberechtigten. Insbesondere gehörten die sicherheitstechnischen Anforderungen an Behälter und Inventar auch im Hinblick auf SEWD-Fälle nicht zum Entscheidungsprogramm der Genehmigungsbehörde, weil hierfür in der Versandstückmusterzulassung eine abschließende Regelung getroffen sei. Der ADR seien diesbezüglich zuletzt Vorschriften für die Sicherung der Transporte vor Missbrauch gefährlicher Güter auch zu terroristischen Zwecken angefügt worden. Wegen der nicht näher bestimmten Transportstrecken und der geringen Zeitdauer, in der die Kläger Einwirkungen aus vorbeifahrenden Transporten ausgesetzt seien, lasse sich auch aus § 4 Abs. 2 Nr. 5 AtG Drittschutz nicht herleiten. Eine Risikoermittlung und -bewertung stehe den Gerichten wegen der Einschätzungsprärogative der Beklagten nicht zu. Ob diese Risikoeinschätzung auf einer ausreichenden Datenbasis beruhe und ob das konkret angeordnete integrierte Sicherungs- und Schutzkonzept dem Stand von Wissenschaft und Technik zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung entspreche, müsse mangels Drittschutzes nicht weiter geprüft werden.
Auch aus den Grundrechten der Kläger nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 14 GG lasse sich eine Klagebefugnis nicht herleiten. Derartiges komme nur in Betracht, wenn staatliche Organe gänzlich untätig geblieben oder die getroffenen Maßnahmen völlig ungeeignet und unzulässig seien. Wegen der Begrenzung der Dosisleistung an der Oberfläche und im Nahbereich eines Versandstücks fehle es aber weder an einem Schutzkonzept noch sei dieses im Hinblick auf die Kläger unzureichend.
Gegen diese Urteile wenden sich die vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revisionen der Kläger. Zu deren Begründung tragen sie vor:
Bereits das Bundesverfassungsgericht habe darauf hingewiesen, dass sich angesichts der wortgleichen Formulierung des § 4 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 2 und Nr. 5 AtG wie des § 6 Abs. 2 Nr. 2 und 4 sowie des § 7 Abs. 2 Nr. 3 und 5 AtG die Frage aufdränge, ob nicht die für die letztgenannten Vorschriften geltenden Grundsätze auf die entsprechenden Regelungen des § 4 AtG übertragen werden müssten. Diese Frage sei zu bejahen. Das gelte umso mehr, als allen drei Bestimmungen der gleiche Schutzstandard zugrunde liege. Auch § 4 AtG sei auf den Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtG bezogen zu verstehen.
Das in § 4 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 1 AtG in Bezug genommene Gefahrgutbeförderungsrecht diene ebenso dem Schutz von Einzelpersonen. Wie bei einem Reaktorunfall seien bei einem Versagen des Transportbehälters Einzelpersonen im näheren Umfeld betroffen. Dass Schutz nach dem Recht der Gefahrgutbeförderung auf andere Weise bewirkt werde als nach der Strahlenschutzverordnung, bedeute nicht, dass dieses andere Konzept als nicht drittschützend anzusehen sei. Das Berufungsgericht schließe zu Unrecht vom Fehlen einer untergesetzlichen Ausfüllung des normativen Schutzanspruchs aus § 4 Abs. 2 Nr. 3 AtG durch Dosisgrenzwerte auf das Fehlen von Drittschutz; es lasse die individuelle Betroffenheit der Streckenanlieger in einem Kollektivrisiko untergehen.
Die zum Immissionsschutzrecht entwickelten Maßstäbe der Drittbetroffenheit durch den Betrieb ortsfester Anlagen auf die Beförderung von Kernbrennstoffen zu übertragen, gehe fehl, da der Gesetzgeber das Risikopotenzial der Kernenergienutzung generell als schwerwiegender ansehe. Insbesondere sei das spezifische Gefährdungspotenzial der Beförderung von Kernbrennstoffen von anderer Qualität. Das Berufungsgericht verharmlose das von Castor-Transporten ausgehende Gefährdungspotenzial, wenn es dieses mit dem von unter das Immissionsschutzrecht fallenden Anlagen vergleiche.
Die Beförderungsgenehmigung lege zwar keine abschließende Transportroute fest; dies sei für die Klagebefugnis aber ohne Bedeutung, da mit dem Ziel des TBL G. ein Zwangspunkt verbunden sei. Streitgegenstand seien nicht genehmigungspflichtige Beförderungsvorgänge im Allgemeinen, sondern allein die Rechtmäßigkeit eines bestimmten Beförderungsvorgangs, der wie in den letzten Jahren zur Umladestation in D. geführt und damit die Grundstücke der Kläger zwangsweise unmittelbar betroffen habe.
Die räumliche und zeitliche Komponente einer Betroffenheit werde verkannt. Im Falle der Atomtransporte sei die potenziell beeinträchtigende Einwirkung zwar eher flüchtig. Hierauf könne es aber nicht ankommen, weil andernfalls vollkommen ungeschützt erheblich strahlende Atomtransporte unmittelbar an den Grundstücken der Kläger vorbeigeführt werden könnten, ohne dass eine Möglichkeit bestünde, sich hiergegen zur Wehr zu setzen. Das Erfordernis der räumlichen Abgrenzbarkeit sei im Atomrecht stark relativiert. Es sei ausreichend, wenn einer Schutznorm entnommen werden könne, dass die Beeinträchtigung privater Belange potenziell Betroffener tunlichst zu vermeiden sei. Die enge räumliche Betroffenheit ergebe sich vorliegend daraus, dass das Wohngrundstück des Klägers zu 1 nur ca. 650 m von der Umladestation entfernt liege und die Transportstrecke zum Transportbehälterlager unmittelbar am Anwesen der Klägerin zu 2 vorbeiführe.
Zwar sei für die Bauartprüfung zulassungspflichtiger Versandstücke nicht die Genehmigungsbehörde zuständig. Dies schließe aber nicht aus, dass erkannte Sicherheitsdefizite, die geeignet seien, die Streckenanlieger zu gefährden, im Rahmen der Erteilung einer Transportgenehmigung beachtlich blieben. Die Genehmigungsbehörde müsse nicht sehenden Auges eine Gefährdung von Streckenanliegern in Kauf nehmen. Es würde gegen § 1 Nr. 2 AtG verstoßen, müsste die Genehmigungsbehörde den Transport mit ungeeigneten Behältern genehmigen, nur weil diese über eine Zulassung verfügten.
Auch aus § 4 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 2 AtG lasse sich Drittschutz ableiten. Da die transportrechtlichen Vorschriften Lücken aufwiesen, müssten diese mit Rückgriff auf die genannte gesetzliche Regelung geschlossen werden. Für den Transport von Kernbrennstoffen sei von dem übergreifenden Schutzstandard des Atomgesetzes auszugehen; den Beförderungsvorgängen sei die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden zugrunde zu legen. Dieser Standard sei auch bei Anwendung gefahrgutrechtlicher Vorschriften zu gewährleisten.
§ 4 Abs. 2 Nr. 5 AtG vermittele ebenso wie § 7 Abs. 2 Nr. 5 und § 6 Abs. 2 Nr. 4 AtG Drittschutz und erweitere nicht lediglich die Rügebefugnis Betroffener. Die Vorschriften zur Versandstückmusterzulassung enthielten keine behälterbezogenen Regelungen für SEWD-Fälle. Der Beschuss eines Transportbehälters mit panzerbrechenden Waffen werde bei der Bauart- und Behälterzulassung nicht geprüft.
Die Klagen seien auch begründet. Beim Castor HAW 20/28 CG liege eine Fehlkonstruktion der Stoßdämpfer vor. Bei Fallversuchen mit Castorbehältern sei es daher zu Leckagen gekommen. Gleichfalls fehle es an dem gebotenen Schutz vor Störmaßnahmen und Einwirkungen Dritter.
Die Kläger beantragen,
die angefochtenen Urteile des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg und des Verwaltungsgerichts Braunschweig aufzuheben und festzustellen, dass die Beförderungsgenehmigung vom 30. April 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. November 2003 rechtswidrig war.
Die Beklagte beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.
Sie macht sich die Begründung der angegriffenen Urteile zu eigen und trägt vertiefend und ergänzend im Wesentlichen vor: Wollte man für das Beförderungsgenehmigungsverfahren auf das Erfordernis der Abgrenzbarkeit eines mit besonderen Rechten ausgestatteten Personenkreises von der Allgemeinheit verzichten, müsste Drittschutz im Gefahrgutbeförderungsrecht generell bejaht werden; dies liefe darauf hinaus, Straßenanliegern eine Klagebefugnis in Bezug auf jedes Unfallrisiko zuzuerkennen. Ein derartiges Kollektivrisiko sei aber nicht wehrfähig. Eine Duldungspflicht der Streckenanlieger in Bezug auf Gefahrguttransporte ergebe sich im Übrigen aus der Widmung des Verkehrswegs. Die Klagebefugnis lasse sich auch nicht aus grundrechtlichen Schutzpflichten ableiten. Dem Gesetzgeber komme bei der Erfüllung dieser Pflichten ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu. Dieser Spielraum umfasse auch die Wahl, ob der Gesetzgeber seinen Schutzpflichten durch rein objektiv-rechtliche Regelungen genüge oder Dritten ein subjektives Rügerecht einräume. Das Atomrecht enthalte zahlreiche Regelungen, die wie etwa das Strahlenminimierungsgebot keinen Drittschutz vermittelten.
Für die Klagen bestehe auch kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Es fehle eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die inzwischen nicht mehr zum Einsatz kommenden Behälter vom Typ Castor HAW 20/28 CG aus G. wieder abtransportiert würden.
Die Beigeladene beantragt gleichfalls,
die Revisionen zurückzuweisen.
Sie tritt ebenso wie der Vertreter des Bundesinteresses dem Vorbringen der Revisionen entgegen und verteidigt die angegriffenen Urteile.
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Die Revisionen der Kläger sind begründet. Die auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der erteilten Beförderungsgenehmigung gerichteten Klagen sind zulässig. Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse bejaht (1). Dagegen verstößt gegen Bundesrecht, dass das Gericht die drittschützende Wirkung sowohl des § 4 Abs. 2 Nr. 3 AtG (2) als auch des § 4 Abs. 2 Nr. 5 AtG (3) verneint und deshalb die Klagen wegen fehlender Klagebefugnis für unzulässig erachtet hat. Da das Oberverwaltungsgericht die für eine materiellrechtliche Prüfung erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nicht getroffen hat, kann der Senat nicht beurteilen, ob die erteilte Beförderungsgenehmigung dem Schutzerfordernis des § 4 AtG genügt; dies zwingt zur Zurückverweisung der Sache (4).
1. Rechtsgrundlage der angegriffenen Beförderungsgenehmigung ist § 4 Abs. 1 des Gesetzes über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz <AtG>). Danach bedarf die Beförderung von Kernbrennstoffen außerhalb eines abgeschlossenen Geländes, auf dem Kernbrennstoffe staatlich verwahrt werden oder eine nach den §§ 6, 7 und 9 AtG genehmigte Tätigkeit ausgeübt wird, der Genehmigung. Diese wird dem Absender oder demjenigen erteilt, der es übernimmt, die Versendung oder Beförderung der Kernbrennstoffe zu besorgen. Die Beigeladene hat in Abstimmung mit der Betreiberin des Transportbehälterlagers die Verbringung hochradioaktiver Abfälle nach G. übernommen. Die gegen die erteilte Beförderungsgenehmigung erhobene Anfechtungsklage hat sich mit Abschluss des Transports im Dezember 2003 erledigt, was die Kläger veranlasst hat, die Feststellung der Rechtswidrigkeit der erteilten Genehmigung zu beantragen, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO.
Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht das Fortbestehen eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses bejaht (vgl. zu diesem Erfordernis BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77; BVerwG, Urteil vom 23. März 1999 - BVerwG 1 C 12.97 - Buchholz 402.44 VersG Nr. 12 S. 3 f.; Beschluss vom 5. Januar 2012 - BVerwG 8 B 62.11 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 39 Rn. 11 f.). Zwar werden Transporte von HAW-Glaskokillen im Behältertyp Castor HAW 20/28 CG in das TBL G. künftig schon deshalb nicht mehr erfolgen, weil diese Baureihe durch einen neuen Behältertyp abgelöst worden ist. Da HAW-Glaskokillen im Transportbehälterlager aber nur zwischengelagert werden und nach Maßgabe der Aufbewahrungsgenehmigung deren Abtransport in den streitbefangenen Castorbehältern jederzeit möglich sein muss, rechtfertigt dies bereits die Annahme eines berechtigten Interesses unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr. Auch unabhängig von den zum Einsatz kommenden Behältertypen und deren etwaigen, von den Klägern gerügten Konstruktionsmängeln wird sich zudem für einen künftigen Abtransport der Behälter die Frage stellen, ob hinreichender Schutz der Transportvorgänge gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter (SEWD-Fälle) gewährleistet ist. Die Frage, ob das TBL G. künftig noch Ziel weiterer Castortransporte sein wird, kann daher dahinstehen.
2. Mit Bundesrecht unvereinbar ist die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, dass die der angefochtenen Beförderungsgenehmigung zugrunde liegende Vorschrift des § 4 Abs. 2 Nr. 3 AtG nicht drittschützend sei. Dagegen sprechen sowohl Erwägungen der Gesetzessystematik (a) als auch Sinn und Zweck der Regelung (b). Ihr Verständnis als Schutznorm scheitert auch nicht an dem Erfordernis eines abgrenzbaren Personenkreises (c).
a) Rechtssystematisch ist vor allem von Bedeutung, dass § 4 Abs. 2 Nr. 3 AtG einen mit § 7 Abs. 2 Nr. 3 und § 6 Abs. 2 Nr. 2 AtG vergleichbaren Regelungsgehalt aufweist. Alle drei Vorschriften machen die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden zur Genehmigungsvoraussetzung für verschiedene Ausprägungen des Umgangs mit Kernbrennstoffen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vermittelt § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG mit dem Gebot der erforderlichen Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb kerntechnischer Anlagen Drittschutz, da hiermit nicht nur die Allgemeinheit, sondern auch der Einzelne vor den Gefahren und Risiken der Kernenergie bewahrt werden soll (Urteile vom 17. Juli 1980 - BVerwG 7 C 101.78 - BVerwGE 60, 297 <301, 305> = Buchholz 451.171 AtG Nr. 6, vom 19. Dezember 1985 - BVerwG 7 C 65.82 - BVerwGE 72, 300 <310, 318> = Buchholz 451.171 AtG Nr. 15 und vom 17. Dezember 1986 - BVerwG 7 C 29.85 - BVerwGE 75, 285 <289 ff.> = Buchholz 451.171 AtG Nr. 17). Welches Risiko Drittbetroffenen zugemutet werden darf, konkretisieren zwar für ihren Anwendungsbereich die in der Strahlenschutzverordnung festgelegten Dosisgrenzwerte (§ 47 StrlSchV) und Störfallplanungswerte (§ 49 StrlSchV). Das ändert entgegen der Auffassung der Beklagten aber nichts daran, dass der Drittschutz schon in § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG selbst verankert ist. Für die Aufbewahrung bestrahlter Brennelemente außerhalb der staatlichen Verwahrung gilt unter dem Gesichtspunkt des Drittschutzes nichts anderes. Gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 2 AtG ist auch insoweit die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge zu leisten, womit sich der Schutz Drittbetroffener verbindet (Beschluss vom 5. Januar 2005 - BVerwG 7 B 135.04 - Buchholz 451.171 § 6 AtG Nr. 3 S. 4).
§ 4 Abs. 2 Nr. 3 AtG unterscheidet sich in seiner Grundstruktur nicht von den beiden vorgenannten Bestimmungen. Er macht die Beförderungsgenehmigung für Kernbrennstoffe von der Gewährleistung abhängig, dass die Kernbrennstoffe unter Beachtung der für den jeweiligen Verkehrsträger geltenden Rechtsvorschriften über die Beförderung gefährlicher Güter befördert werden oder, soweit solche Vorschriften fehlen, auf andere Weise die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Beförderung getroffen ist. Trotz der Aufgliederung in zwei Regelungsalternativen erhebt auch diese Vorschrift die erforderliche Schadensvorsorge in beiden Alternativen zur Genehmigungsvoraussetzung und richtet den gebotenen Schutzstandard am jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik aus. Das ergibt sich zwingend aus der Formulierung der zweiten Alternative, wonach - soweit Gefahrgutvorschriften fehlen - die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Schadensvorsorge "auf andere Weise" getroffen sein muss. Beide Alternativen verpflichten also zur Gewährleistung der erforderlichen Schadensvorsorge; sie unterscheiden sich lediglich darin, dass in der ersten Alternative zur Konkretisierung auf das Gefahrgutrecht verwiesen wird, während in der zweiten Alternative die Vorsorgeanforderungen auf andere Weise durch die Exekutive konkretisiert werden müssen. Ist der Regelungsgehalt des § 4 Abs. 2 Nr. 3 AtG demnach im Wesentlichen dem des § 7 Abs. 2 Nr. 3 und des § 6 Abs. 2 Nr. 2 AtG vergleichbar, so kann die Frage nach dem Schutznormcharakter dieser Regelung schwerlich anders beantwortet werden als für die beiden anderen, unstreitig als Schutznormen zu qualifizierenden Vorschriften.
Dem kann nicht entgegen gehalten werden, dass das Schutzkonzept des Gefahrgutrechts, auf dessen Vorschriften § 4 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 1 AtG Bezug nimmt, sich wesentlich von dem in den drittschützenden Grenzwertregelungen der Strahlenschutzverordnung gewählten Ansatz unterscheidet. Während § 47 Abs. 1 und § 49 Abs. 1 StrlSchV Dosisgrenzwerte für Einwirkungsorte jenseits des Anlagengeländes festlegen und damit namentlich den Schutz für Anwohner im Umfeld der Anlage konkretisieren, ist das Schutzkonzept des Gefahrgutrechts auf das Ziel hin ausgestaltet, unterschiedslos für jedermann, der in die Nähe der Transportstrecke gelangt, unabhängig von der Aufenthaltshäufigkeit und -dauer einen dem gesetzlichen Sicherheitsstandard entsprechenden Schutz zu gewährleisten. Einschlägig sind die Bestimmungen in den Teilen 1 bis 9 der Anlagen A und B zu dem Europäischen Übereinkommen vom 30. September 1957 über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße (ADR) sowie die Teile 1 bis 7 der Anlage der Ordnung für die internationale Eisenbahnbeförderung gefährlicher Güter (RID) - Anlage I zu Anhang B des Übereinkommens über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) vom 9. Mai 1980. Auf diese beiden, weitgehend identisch gegliederten und ausformulierten Regelwerke verweist § 1 Abs. 3 Nr. 1 und 3 der Gefahrgutverordnung Straße und Eisenbahn vom 1. Januar 2003 - GGVSE - (in der Fassung vom 10. September 2003, BGBl I S. 1913 - seit 2009 Gefahrgutverordnung Straße, Eisenbahn und Binnenschifffahrt - GGVSEB - BGBl I S. 14, zuletzt in der Fassung vom 22. Januar 2013, BGBl I S. 110), die auf der Grundlage von § 3 Abs. 1 des Gefahrgutbeförderungsgesetzes vom 14. August 1998 - GGBefG - (BGBl I S. 3114) erlassen worden ist. Zur Begrenzung der Strahlenexposition bestimmen Abschnitt 2.2.7.8.2 und Abschnitt 7.5.11 CV 33 (3.3 b/c) und 3.5 b und c ADR/RID, dass während der Beförderung radioaktiver Stoffe die Dosisleistung auf der Außenfläche des Versandstücks bzw. des Fahrzeugs an keinem Punkt 2 mSv/h und in einem Abstand von 2 m vom Fahrzeug an keinem Punkt 0,1 mSv/h überschreiten darf. Im Gegensatz zu den immissionsbezogenen Grenzwerten der Strahlenschutzverordnung bestimmen diese Grenzwerte das noch hinzunehmende Maß von Emissionen der Versandstücke und Transportfahrzeuge.
Diese Ausgestaltung des Gefahrgutrechts rechtfertigt es indes nicht, § 4 Abs. 2 Nr. 3 AtG eine drittschützende Wirkung abzusprechen. Zum einen ist das festgelegte Schutzkonzept in seiner behälterbezogenen Ausrichtung jedenfalls geeignet, den Schutz von Anliegern mit zu gewährleisten. Zum anderen hat die Auslegung des § 4 Abs. 2 Nr. 3 AtG sich primär an dem Sinngehalt dieser Vorschrift selbst und ihrem systematischem Zusammenhang mit den Vorschriften des Atomgesetzes im Übrigen und nicht an den lediglich zur Konkretisierung der erforderlichen Schadensvorsorge in Bezug genommenen Bestimmungen des Gefahrgutrechts zu orientieren. Auch wenn das Gefahrgutrecht als solches keinen Drittschutz gewährt, besagt dies nicht, dass die darauf verweisende und durch dessen sicherheitsrechtliche Vorgaben angereicherte Genehmigungsvoraussetzung des § 4 Abs. 2 Nr. 3 AtG ebenfalls keinen Drittschutz vermitteln könnte. Allein das Atomgesetz und nicht nachgeordnetes oder in Bezug genommenes Recht entscheidet mit dem von ihm verfolgten Gesetzeszweck über die Schutzwirkung zugunsten Dritter.
b) Der Sinn und Zweck des § 4 Abs. 2 Nr. 3 AtG bestätigt den Schutznormcharakter dieser Vorschrift. Sie ist ebenso wie die Parallelregelungen in § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG und § 6 Abs. 2 Nr. 2 AtG vor dem Hintergrund der Schutzzweckbestimmung des § 1 Nr. 2 AtG zu verstehen. Das Atomgesetz bezweckt hiernach ausdrücklich - und zwar vorrangig vor einer Förderung der Atomenergienutzung -, Leben, Gesundheit und Sachgüter vor den Gefahren der Kernenergie zu schützen (BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 1979 - 1 BvR 385/77 - BVerfGE 53, 30 <58>; BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 1985 - BVerwG 7 C 65.82 - BVerwGE 72, 300 <310> = Buchholz 451.171 AtG Nr. 15 S. 41). Maßgeblich gestützt auf diese Schutzzielbestimmung hat das Bundesverfassungsgericht dem Begriff der nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlichen Schadensvorsorge den Grundsatz bestmöglicher Gefahrenabwehr und Schadensvorsorge entnommen (BVerfG, Beschluss vom 8. August 1978 - 2 BvL 8/77 - BVerfGE 49, 89 <138 f.>). Danach müssen Schäden durch den der Genehmigung unterworfenen Vorgang praktisch ausgeschlossen sein (a.a.O. S. 143). Mit Rücksicht auf die in § 1 Nr. 2 AtG benannten Individualrechtsgüter drängt es sich auf, diesen Grundsatz zugunsten potenziell Betroffener als drittschützend zu verstehen, gleichviel ob er in Bezug auf den Betrieb kerntechnischer Anlagen, die Aufbewahrung von Kernbrennstoffen oder den Transport von Kernbrennstoffen verwendet wird. Dies gilt umso mehr im Hinblick auf das hohe Gefährdungspotenzial der in Rede stehenden Vorgänge, das sich im Falle einer Freisetzung mit schwerstwiegenden Schadensfolgen aktualisieren würde.
Grundrechtliche Erwägungen bestätigen dieses Ergebnis. Die Regelungen über die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Schadensvorsorge hat der Gesetzgeber in Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten getroffen, die sich ihrerseits aus dem objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte des Art. 2 Abs. 2 und des Art. 14 Abs. 1 GG ergeben (BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 1979 a.a.O. S. 57 f.). Dass dies auch für § 4 Abs. 2 Nr. 3 AtG gilt, stellt das Oberverwaltungsgericht nicht infrage. Es zieht daraus indessen nicht die Konsequenz, die betreffenden einfachrechtlichen Regelungen als drittschützend zu qualifizieren, sondern nimmt an, grundrechtliche Positionen würden als Reflex mit geschützt. Diese Argumentation ist unschlüssig. Der grundrechtlichen Schutzpflicht des Staates entspricht ein grundrechtlicher Schutzanspruch des durch die schutzgebietende Tätigkeit betroffenen Grundrechtsträgers (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 1987 - 2 BvR 624/83 u.a. - BVerfGE 77, 170 <214>). Dem Staat steht bei der Erfüllung seiner grundrechtlichen Schutzpflichten allerdings ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu. Kommt der Gesetzgeber der Schutzpflicht - wie hier - im Rahmen dieses Spielraums durch Regelungen nach, die ihrerseits noch umsetzungsbedürftig sind, so erledigt der Schutzanspruch sich dadurch aber nicht einfach; an die Stelle des zunächst grundrechtsunmittelbaren Anspruchs tritt vielmehr ein Schutzanspruch aus der konkretisierenden einfachrechtlichen Regelung. Das Bundesverfassungsgericht spricht insoweit von einem einfachgesetzlich konkretisierten Grundrechtsschutz (BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 1988 - 1 BvR 1561/82 - BVerfGE 77, 381 <405>; in diesem Sinne auch BVerwG, Urteil vom 17. Juli 1980 - BVerwG 7 C 101.78 - BVerwGE 60, 297 <301> = Buchholz 451.171 AtG Nr. 6 S. 8).
Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Oktober 1987 (a.a.O.) folgt nichts anderes. Das Gericht hat es in dieser Entscheidung abgelehnt, aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein Recht auf Verfahrensteilhabe Betroffener vor Zustimmung des Gesetzgebers zu völkerrechtlichen Verträgen abzuleiten, die ausländischen Truppen die Lagerung chemischer Waffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erlauben. Es ging also um die Frage, ob der Gesetzgeber seiner grundrechtlichen Schutzpflicht - auch - durch Erlass verfahrensrechtlicher Regelungen zu genügen habe. Diese Fragestellung unterscheidet sich deutlich von der hier maßgeblichen, ob in Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten geschaffene grundrechtskonkretisierende Regelungen drittschützend sind und deshalb nach Art. 19 Abs. 4 GG, § 42 Abs. 2 VwGO potenziell Betroffenen gerichtlichen Rechtsschutz eröffnen.
c) In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist allerdings anerkannt, dass atomrechtliche Vorschriften einen grundrechtskonkretisierenden subjektivrechtlichen Gehalt nur insoweit aufweisen, als sie neben dem geschützten Recht auch einen bestimmten und abgrenzbaren Kreis der hierdurch Berechtigten erkennen lassen (Urteil vom 10. April 2008 - BVerwG 7 C 39.07 - BVerwGE 131, 129 Rn. 19 = Buchholz 451.171 § 6 AtG Nr. 4); dies betrifft zuvörderst Menschen, die im Gefahrenbereich einer genehmigungsbedürftigen Anlage wohnen oder arbeiten und deshalb des Schutzes vor den Gefahren der Kernenergie und der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen bedürfen (Urteil vom 16. März 1972 - BVerwG 1 C 49.70 - Buchholz 451.170 AtG Nr. 1 S. 4, juris Rn. 32). Dabei ist eine Rechtsverletzung erst in Betracht zu ziehen, wenn an einem für den Betroffenen "bedeutsamen Standort", also an seinem Wohnort, Arbeitsplatz oder Aufenthaltsort radioaktive Konzentrationen zu erwarten sind, die nach den Wertungen des Atomgesetzes nicht hingenommen werden müssen (Urteil vom 11. Januar 1985 - BVerwG 7 C 74.82 - BVerwGE 70, 365 <369> = Buchholz 451.171 AfG Nr. 13a S. 22). Mit dem jeweiligen Einwirkungsbereich einer Anlage verbindet sich also ein bestimmbarer Kreis betroffener Personen (Urteil vom 10. April 2008 a.a.O. Rn. 22).
Wenn das Oberverwaltungsgericht ausgehend von dieser zu den §§ 6 und 7 AtG ergangenen Rechtsprechung die für die Begründung der Klagebefugnis erforderliche Voraussetzung einer engeren räumlichen Beziehung der in einer Entfernung von ca. 650 m zur Eisenbahnstrecke bzw. in einer Entfernung von ca. 26 m zur Straße nach G. wohnenden Kläger zu den Castortransporten ins Transportbehälterlager G. verneint, weil angesichts im gesamten öffentlichen Schienen- und Straßennetz möglicher Transporte von Kernbrennstoffen ein abgrenzbarer und individualisierbarer Personenkreis nicht betroffen sein könne, lässt es Folgendes außer Acht: Die Kläger haben ihren Lebensmittelpunkt auf in ihrem Eigentum stehenden Wohngrundstücken im näheren Umgriff der stationären Verladestelle am Bahnhof D. bzw. unmittelbar angrenzend an die von dort zum Transportbehälterlager führende Straße, über die mit Schwerlastkraftfahrzeugen der Transportvorgang zum Abschluss gebracht wird. Die von der Beklagten betonte Vielzahl möglicher Transportwege verengt sich hier also nach Art eines Flaschenhalses auf eine nahezu zwangsläufig zu benutzende Strecke. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Transportbehälterlager nicht über einen Gleisanschluss verfügt, weshalb ein Umschlag auf dem Lagergelände mit anschließender Lagerung der Transportbehälter in der hierfür vorgesehenen Halle ausscheidet. Dieser den Transportvorgang zu Ende führende Umschlag mit der abschließenden Verbringung der Versandstücke in die Lagerhalle beginnt daher bereits am Bahnhof D., wofür insbesondere auch spricht, dass die Betreiberin des Transportbehälterlagers ebenso die Umschlaganlage am Bahnhof D. betreibt und ausweislich des Bescheides über die Beförderungsgenehmigung schon für den Umschlag Verantwortung trägt. Diese Umstände rechtfertigen die Annahme, dass die Betroffenheit der Kläger sich deutlich abhebt von der sonstiger (potenzieller) Anlieger einer bescheidmäßig nicht festgelegten Beförderungsstrecke von der deutsch-französischen Grenze nach D. Eine engere räumliche Beziehung zwischen den Wohnorten der Kläger und dem Transportvorgang kann danach nicht zweifelhaft sein.
Das Kriterium eines für den Betroffenen bedeutsamen Standortes enthält neben der räumlichen auch eine zeitliche Komponente, wie die Beispiele des Wohnens und Arbeitens im Einwirkungsbereich einer nach § 7 AtG genehmigungsbedürftigen Anlage zeigen. Auch in dieser Hinsicht ist eine hinreichende Beziehung der Kläger zu den Transportvorgängen zu bejahen. Zwar ist ein mit dem Transport von Kernbrennstoffen verbundener dynamischer Beförderungsvorgang mit dem Betrieb einer ortsfesten Anlage zur Spaltung oder Aufbewahrung von Kernbrennstoffen nicht voll vergleichbar; mit ersterem verbinden sich keine dauerhaften oder über längere Zeiträume sich erstreckenden Einwirkungen wie mit dem Betrieb einer Anlage. Doch kann bezogen auf die in D. betriebene Verladestelle nicht außer Acht bleiben, dass die Transporte der HAW-Glaskokillen bislang stets den Weg über diese Verladestelle ins Transportbehälterlager genommen haben und auf sie sowie die von dort zu dem Lager führende Straße angewiesen sind. Für den Kläger zu 1 kommt hinzu, dass die Verweildauer der Transporte in der Umschlaganlage deren Nachbarschaft als abgrenzbaren Kreis Betroffener abhebt von den Anliegern des Schienenweges, auf dem das Transportgut in einem mehr oder weniger flüchtigen Beförderungsvorgang vorbeigeführt wird.
Soweit die Kläger auf die befürchtete Höhe von Schäden infolge eines Beförderungsunfalls hinweisen, rechtfertigt dies allein allerdings nicht bereits die Annahme der Möglichkeit einer Rechtsverletzung. Ausreichend ist jedoch ihr substantiierter Vortrag, dass infolge der Konstruktionsfehler an den Stoßdämpfern ein zu Schäden führendes Risiko bestehe und hierfür Vorsorge im Sinne von § 4 Abs. 2 Nr. 3 AtG getroffen werden müsse. Insoweit machen sie geltend, dass ihnen durch die angefochtene Genehmigung ein höheres Risiko zugemutet wird, als sie nach der Schutzbestimmung des Atomrechts tragen müssen (Urteil vom 21. August 1996 - BVerwG 11 C 9.95 - BVerwGE 101, 347 <350 f.> = Buchholz 451.171 § 7 AtG Nr. 3).
3. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass mit dem nach § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG zu gewährleistenden Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter ein Vorsorge- und Schutzstandard bestimmt wird, der mit demjenigen des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG übereinstimmt und ebenso Drittschutz vermittelt (Urteil vom 9. Juli 1982 - BVerwG 7 C 54.79 - Buchholz 451.171 AtG Nr. 12, juris Rn. 16). Der "erforderliche" Schutz ist beide Male ein "vorsorgender" Schutz, wie auch das Maß des Erforderlichen jeweils nach dem Stand von Wissenschaft und Technik zu bestimmen ist. Demgemäß müssen Gefahren und Risiken auch durch Störmaßnahmen und sonstige Einwirkungen Dritter praktisch ausgeschlossen sein (Urteil vom 19. Januar 1989 - BVerwG 7 C 31.87 - BVerwGE 81, 185 <191 f.> = Buchholz 451.171 AtG Nr. 27 S. 58 f.). Dasselbe gilt für die gleich lautenden Vorschriften der § 6 Abs. 2 Nr. 4 und § 6 Abs. 2 Nr. 2 AtG und deren Verhältnis zueinander. Der von einem terroristischen Anschlag auf ein Kernkraftwerk oder ein Aufbewahrungslager betroffene Personenkreis ist nach dem Einwirkungsbereich, somit ebenfalls nach den möglichen Auswirkungen eines derartigen Ereignisses bestimmbar (Urteil vom 10. April 2008 a.a.O. Rn. 21 f.). Der Umstand, dass die gerichtliche Überprüfung namentlich wegen notwendiger Geheimhaltung von Einzelheiten des Sicherungs- und Schutzkonzepts eingeschränkt ist, rechtfertigt es nicht, den Betroffenen Rechtsschutz im Bereich der erforderlichen Schadensvorsorge gegen terroristische Einwirkungen Dritter vollständig zu versagen. Soweit die Behörde Schadensvorsorge für erforderlich hält, steht Betroffenen ein entsprechender Genehmigungsabwehranspruch zur Seite, wenn ein hinreichend wahrscheinlicher Geschehensablauf vorgetragen wird, bei dem trotz der getroffenen Vorsorge eine Rechtsverletzung möglich erscheint (Urteil vom 10. April 2008 a.a.O. Rn. 33).
Dieselben Grundsätze müssen für die gleich lautende Vorschrift des § 4 Abs. 2 Nr. 5 AtG und dessen Verhältnis zu § 4 Abs. 2 Nr. 3 AtG gelten. Die Kläger haben zur Begründung der Klagebefugnis auch in ausreichender Weise vorgetragen, dass es bei einem Beschuss der Castorbehälter mit Doppelhohlladungsgeschossen in der Umschlaganlage oder während des abschließenden Transportes auf der Straße ins Transportbehälterlager zu einer erheblichen Freisetzung ionisierender Strahlung und massiven Verseuchung der Umgebung kommen würde. Ein derartiger Vorgang mag zwar unwahrscheinlich sein; es ist aber nicht von vornherein ersichtlich, dass ein solches Anschlagsszenario mit den genannten Folgen praktisch ausgeschlossen wäre.
4. Das Oberverwaltungsgericht hat, von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent, die Begründetheit der Klage noch nicht geprüft und insbesondere noch keine tatsächlichen Feststellungen zu der Frage getroffen, ob die Kläger durch die angegriffene Genehmigung unter den Aspekten eines Transportunfalls oder des Szenariums terroristischer Einwirkungen in Form eines Hohlladungsbeschusses der Castorbehälter in ihren Rechten verletzt werden. Die Sache ist daher nicht spruchreif und deshalb nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019621
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BVerwG
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6. Senat
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20130618
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6 C 21/12
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Beschluss
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§ 65 Abs 2 VwGO, § 61 Nr 3 VwGO
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vorgehend Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 20. Juli 2011, Az: 3 L 167/10, Urteil vorgehend VG Halle (Saale), 26. November 2009, Az: 3 A 95/07, Urteil
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DEU
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Notwendige Beiladung im Revisionsverfahren; Verteilung eines Landeszuschusses für die Jüdische Gemeinschaft
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I.
Der Kläger, der Synagogengemeinde zu ... e.V., begehrt von dem beklagten Landesverband Jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalt einen höheren Anteil an den finanziellen Leistungen, die das Land Sachsen-Anhalt auf der Grundlage eines Staatsvertrages mit der Jüdischen Gemeinschaft in Sachsen-Anhalt dieser gewährt. Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 des Staatsvertrages beteiligt sich das Land mit einem Zuschuss an den Ausgaben der Jüdischen Gemeinschaft, die ihr für in Sachsen-Anhalt lebende jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger durch die Erfüllung von religiösen und kulturellen Bedürfnissen entstehen. Dieser Landeszuschuss wird an den beklagten Landesverband gezahlt. Er verteilt ihn an die Jüdischen Gemeinden, die nach dem Staatsvertrag anspruchsberechtigt sind. Zu ihnen gehört der Kläger. Nach Absatz 4 des Schlussprotokolls zu Art. 13 Abs. 1 des Staatsvertrages erhalten der beklagte Landesverband einen Sockelbetrag von 10 v.H. und die anspruchsberechtigten Gemeinden einen Sockelbetrag von jeweils 5 v.H. des Landeszuschusses zur Abdeckung der fixen Kosten. Für die weitere Verteilung ist die Gesamtzahl der Gemeindemitglieder maßgebend, soweit sie ihren Hauptwohnsitz im Land Sachsen-Anhalt haben. Der beklagte Landesverband ist zur Bekanntgabe der durch den Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland schriftlich bestätigten Mitgliederzahlen an das Land verpflichtet.
Nach Aufhebung und Änderung früherer Bescheide setzte der beklagte Landesverband den Anteil des Klägers am Landeszuschuss unter Berücksichtigung einer Zahl von 41 Mitgliedern fest. Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein. Er bezog sich auf ein Schreiben des Generalsekretärs des Zentralrats der Juden in Deutschland, der ihr eine Zahl von 183 Mitgliedern bestätige. Dieser legte in einem späteren Schreiben dar: Die für das Jahr 2006 mitgeteilten Zahlen hätten unter dem Vorbehalt der Vorläufigkeit gestanden. Das Material, das der Kläger vorgelegt habe, sei mit erheblichen Unsicherheiten behaftet gewesen. Mangels einer eigenen Ermittlungsabteilung sei er weder personell in der Lage noch gewillt, die Zuverlässigkeit der Mitgliederlisten des Klägers weiter zu überprüfen. Die mitgeteilten Zahlen seien nunmehr als verbindlich anzusehen, da der Kläger auch keine weiteren Angebote zur Klärung der offenen Fragen unterbreitet habe.
Der Kläger hat, nachdem der beklagte Landesverband über seinen Widerspruch nicht entschieden hatte, Untätigkeitsklage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat unter Abweisung der Klage im Übrigen den beklagten Landesverband verpflichtet, den Kläger wegen seines Anspruchs auf den nach der Mitgliederzahl festzusetzenden Anteil am Landeszuschuss unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des beklagten Landesverbandes und die Anschlussberufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat, soweit hier von Interesse, zur Begründung ausgeführt: Soweit Abs. 4 Satz 6 des Schlussprotokolls zu Art. 13 Abs. 1 des Staatsvertrages bestimme, dass der beklagte Landesverband verpflichtet sei, dem Land die Mitgliederzahlen bekannt zu geben, die der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland schriftlich bestätigt habe, erschöpfe sich dessen Aufgabe nicht in einer internen Mitwirkung bei der Mitteilungspflicht gegenüber dem Land. Zweck der Regelung sei es vielmehr, mit der Bestätigung der Anzahl der Gemeindemitglieder deren Feststellung der Entscheidungsbefugnis des beklagten Landesverbandes zu entziehen und auf den Generalsekretär des Zentralrats zu übertragen. Dadurch sollten die innerreligiösen Fragen der Zugehörigkeit zum Judentum und der Doppelmitgliedschaften in mehreren Gemeinden durch den Generalsekretär als neutrale Prüfinstanz mit Verbindlichkeit für die beteiligten Gemeinden geklärt werden. Diese Bestätigung entfalte Bindungswirkung auch im Verhältnis zu dem beklagten Landesverband. Ihm stehe kein eigenes Prüfungsrecht zu. Hierfür sei unerheblich, dass der Generalsekretär nicht Partei des Staatsvertrages sei. Die nach dem Schlussprotokoll notwendige Bestätigung der Mitgliederlisten durch den Generalsekretär liege für das Jahr 2006 nicht vor. Die Sache sei deshalb nicht spruchreif. Mit seinem letzten Schreiben hierzu habe der Generalsekretär zum Ausdruck gebracht, dass die Prüfung nicht abgeschlossen sei, sondern abgebrochen werde.
Auf die Beschwerde des beklagten Landesverbandes hat das Bundesverwaltungsgericht die Revision gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts zur Klärung der Frage zugelassen, ob es mit der Justizgewährungspflicht (Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 92 GG) vereinbar ist, wenn eine staatsvertragliche Regelung über einen Landeszuschuss für jüdische Gemeinden dahin ausgelegt wird, dass für die Verteilung maßgebliche Erfordernisse der ausschließlichen Prüfungskompetenz eines Dritten unterliegen.
Während des Revisionsverfahrens haben der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland und der Zentralrat der Juden in Deutschland ihre Beiladung zum Verfahren beantragt.
II.
Die Beiladungsanträge sind unbegründet. Weder der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland noch der Zentralrat der Juden in Deutschland können im Revisionsverfahren noch beigeladen werden. Eine Beiladung ist im Revisionsverfahren nur dann zulässig, wenn sie im Sinne des § 65 Abs. 2 VwGO notwendig ist (§ 142 Abs. 1 VwGO). Weder für den Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland noch für den Zentralrat der Juden in Deutschland liegen die Voraussetzungen einer notwendigen Beiladung vor.
1. Entgegen der Auffassung des beklagten Landesverbandes fehlt es bezogen auf den Generalsekretär des Zentralrats allerdings nicht schon deshalb an den Voraussetzungen einer Beiladung überhaupt und damit auch an den Voraussetzungen einer notwendigen Beiladung, weil er nicht im Sinne des § 61 VwGO fähig ist, am Verfahren beteiligt zu sein.
Zwar soll nach dem Sinn des Beiladungsantrags nicht der seinerzeitige oder der derzeitige Inhaber des Amtes als Person beigeladen werden. Der Beiladungsantrag bezieht sich mithin nicht auf eine konkrete natürliche Person, die als solche Beteiligte des Verfahrens werden soll (§ 61 Nr. 1 VwGO). Beigeladen werden soll das von der Person des jeweiligen Inhabers losgelöste Amt des Generalsekretärs, das in der Satzung des Zentralrats vorgesehen und mit bestimmten Funktionen ausgestattet ist. Entweder ergibt sich insoweit die Beteiligungsfähigkeit aus einer analogen Anwendung des § 61 Nr. 3 VwGO, bei der die satzungsgemäß vorgesehenen Funktionsträger der Körperschaft des öffentlichen Rechts "Zentralrat" als dessen "Behörden" angesehen werden. Oder der Zentralrat ist nicht neben, sondern an Stelle des Generalsekretärs als Träger dieser Funktion beizuladen, zumal er - wenn überhaupt - allein in dieser Eigenschaft an dem streitigen Rechtsverhältnis beteiligt sein und beigeladen werden könnte.
2. Eine Beiladung im Revisionsverfahren scheitert jedoch daran, dass weder der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland noch der Zentralrat der Juden in Deutschland an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 65 Abs. 2 VwGO).
a) Die Beiladung ist notwendig, wenn die vom Kläger begehrte Sachentscheidung nicht getroffen werden kann, ohne dass dadurch gleichzeitig unmittelbar Rechte des Beizuladenden gestaltet, bestätigt oder festgestellt, verändert oder aufgehoben werden (Urteil vom 19. Januar 1984 - BVerwG 3 C 88.82 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 49; Beschluss vom 9. Januar 1999 - BVerwG 11 C 8.97 - NVwZ 1999, 296), oder anders gewendet, wenn die Entscheidung unmittelbar Rechte oder Rechtsbeziehungen Dritter gestalten soll, sie aber ohne deren Beteiligung am Verfahren nicht wirksam gestalten kann (Beschluss vom 12. August 1981 - BVerwG 7 B 195.80 - Buchholz 310 § 65 VwGO Nr. 60).
b) Im Rahmen der Verpflichtungsklage liegen diese Voraussetzungen dann vor, wenn der Kläger den Erlass eines Verwaltungsakts begehrt, der gegen einen Dritten gerichtet sein und diesen belasten soll, ferner dann, wenn der erstrebte Verwaltungsakt zugleich den Kläger begünstigt und den Dritten belastet, wenn also die rechtsgestaltende Wirkung des erstrebten Verwaltungsakts einen Dritten unmittelbar in dessen Rechtsposition betrifft, weil er Adressat des angestrebten Verwaltungsakts sein soll. Eine derartige Fallgestaltung liegt hier nicht vor.
c) Bei der Verpflichtungsklage ist die Beiladung eines Dritten ferner dann notwendig, wenn diese auf den Erlass eines mehrstufigen Verwaltungsakts gerichtet ist. Dieser ist dadurch gekennzeichnet, dass er kraft Gesetzes nur mit Zustimmung oder im Einvernehmen eines anderen, insoweit selbständigen Rechtsträgers oder dessen Behörde erlassen werden darf. In diesem Falle ist die Zustimmung oder das Einvernehmen Bestandteil des streitigen Rechtsverhältnisses derart, dass es im Falle seiner Verweigerung durch das verwaltungsgerichtliche Urteil ersetzt wird.
Auch eine solche Fallgestaltung liegt hier nicht vor. Die Festsetzung und Zahlung eines Anteils des Klägers an dem Landeszuschuss hängt nach dem Staatsvertrag nicht von der Zustimmung oder dem Einvernehmen des Generalsekretärs des Zentralrats ab. Nach der Auslegung des Staatsvertrags durch das Oberverwaltungsgericht hat der Generalsekretär lediglich die Stellung einer neutralen Instanz, die vergleichbar einem Schiedsgutachter für die Beteiligten verbindlich prüfen soll, ob eine einzelne Tatbestandsvoraussetzung für den geltend gemachten Anspruch vorliegt oder nicht vorliegt. Die Klärung eines streitanfälligen Sachverhalts soll auf einen neutralen Dritten übertragen und dem beklagten Landesverband entzogen werden, weil dieser selbst durch die Verteilung der Mittel betroffen und insoweit Partei ist. Zwar ist nach der Auslegung des Staatsvertrags durch das Oberverwaltungsgericht die Beurteilung des Sachverhalts durch den Generalsekretär für die Beteiligten und auch für das Gericht verbindlich. Diese Verbindlichkeit begründet aber bezogen auf die streitige Verteilung des Landeszuschusses kein Recht des Generalsekretärs, das im Wege der notwendigen Beiladung prozessual zur Geltung gebracht werden müsste. Als lediglich neutrale Instanz zwischen den Beteiligten sind ihm gerade keine spezifisch ihn berührenden Belange zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung anvertraut.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019647
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BVerwG
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5. Senat
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20130619
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5 B 58/12, 5 B 58/12 (5 C 26/13)
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Beschluss
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§ 17 Abs 2 S 1 Halbs 2 KHEntgG
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vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 17. April 2012, Az: 2 S 1730/11, Urteil
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DEU
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Beihilfe; Wahlleistung
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Die Beschwerde des Beklagten ist zulässig und begründet. Die Revision ist nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Die Revision kann dem Senat Gelegenheit geben, Fragen der Auslegung des § 17 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KHEntgG im Hinblick auf die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für Wahlleistungen zu klären.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019648
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BVerwG
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2. Senat
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20130619
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2 B 45/12
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Beschluss
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Art 33 Abs 5 GG, § 63 Abs 1 S 3 EStG, § 1 Abs 2 EStG, § 50 BeamtVG
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vorgehend Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, 2. März 2012, Az: 1 Bf 209/08, Urteil
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DEU
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Versorgung von Ruhestandsbeamten; Alimentationsprinzip; kinderbezogene Versorgungszuschläge
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Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Der im Jahre 1925 geborene Kläger war zuletzt Oberrechnungsrat (Besoldungsgruppe A 13) beim Rechnungshof der Beklagten und wurde 1986 in den Ruhestand versetzt. Nach der Scheidung von seiner früheren Ehefrau wurden 1991 seine Versorgungsbezüge gemäß § 57 BeamtVG gekürzt; seine frühere Ehefrau ist 2005 verstorben. Der Kläger nahm 1988 seinen Wohnsitz zunächst in Mexiko und dann seit 1991 in Kanada; seit 1999 ist der Kläger wieder verheiratet. Drei in den Jahren 1982, 1988 und 1989 auf den Philippinen geborene Kinder, für die er 1998 die Vaterschaft anerkannt hat, leben auf den Philippinen. Kindergeld für sie hat er nie bezogen; 1998 hat er beantragt, sie bei der Festsetzung seiner Bezüge zu berücksichtigen.
Der Kläger begehrt, ihm im Hinblick auf die drei auf den Philippinen lebenden Kinder eine höhere Versorgung und höhere jährliche Sonderzuwendungen zu zahlen sowie ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als ob alle Voraussetzungen der Kindergeldbewilligung erfüllt wären. Außerdem erstrebt er die Gewährung von Beihilfeleistungen ohne Abzug von Eigenbeteiligungen und die Aufhebung der Kürzung seiner Versorgungsbezüge nach § 57 BeamtVG mit Wirkung ab dem Tode seiner früheren Ehefrau. Klage und Berufung blieben in beiden Instanzen erfolglos.
Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor.
Es kann dahinstehen, inwieweit die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt. Sie formuliert keine zu klärenden Fragen und setzt sich nur bei der ersten Rüge im Einzelnen und auf den jeweiligen Streitgegenstand bezogen mit den tragenden Gründen des Berufungsurteils auseinander. Aber auch soweit man dem klägerischen Vortrag Fragestellungen entnehmen kann, rechtfertigen sie nicht die Zulassung der Revision.
Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Rechtssache eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die bislang höchstrichterlich nicht geklärt ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18 und vom 2. Februar 2011 - BVerwG 6 B 37.10 - NVwZ 2011, 507; stRspr).
1. Hinsichtlich des Versorgungsanspruchs des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht aus dem Zusammenspiel der Bestimmungen des Versorgungsrechts (§ 50 BeamtVG 1997), Besoldungsrechts (§ 40 BBesG 1997) und Steuerrechts (§§ 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 i.V.m. § 1 und § 32 EStG 1997) abgeleitet, dass dem Kläger einfachrechtlich kein Kindergeldanspruch und damit auch kein höherer Familienzuschlag bei der Versorgung zusteht. Der Besoldungsgesetzgeber macht die Gewährung des kinderbezogenen Teils des Familienzuschlags davon abhängig, dass der Besoldungsempfänger nach den Regelungen des Einkommensteuergesetzes oder des Kindergeldgesetzes kindergeldberechtigt ist. Der besoldungs- bzw. versorgungsrechtliche Anspruch setzt zwingend die Kindergeldberechtigung, d.h. einen Anspruch auf Kindergeld voraus. Diese Verknüpfung macht deutlich, dass beide Leistungen den gleichen sozialpolitischen Zweck, nämlich den Familienlastenausgleich für den Mehraufwand von Kindern, verfolgen. Daher sollen divergierende Auffassungen von Familienkasse und Besoldungsstelle über die Kindergeldberechtigung vermieden werden (stRspr, vgl. zuletzt Beschluss vom 18. Juni 2013 - BVerwG 2 B 12.13 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung Buchholz vorgesehen).
Dieses Ergebnis stellt der Kläger nicht in Frage, meint aber, dass es hiermit im Besoldungs- und Versorgungsrecht im Hinblick auf das Alimentationsprinzip nicht sein Bewenden haben dürfe; in verfassungskonformer Auslegung des § 1 Abs. 2 EStG müsse für den Anspruch auf den kindbezogenen Familienzuschlag auf die Wohnsitzvoraussetzung des § 63 Abs.1 Satz 3 EStG dann verzichtet werden, wenn der Kindergeldanspruch nur wegen der Nichterfüllung dieser Voraussetzung scheitere. Er wirft sinngemäß die Frage auf, ob das Alimentationsprinzip es gewährleistet, dass der Familienzuschlag bei Kindern, für die Unterhalt geleistet wird, unabhängig davon zu gewähren ist, wo die Kinder leben und ob für sie ein Kindergeldanspruch besteht.
Das Alimentationsprinzip gehört zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG. Es verpflichtet den Dienstherrn, dem Beamten und seiner Familie angemessenen Unterhalt zu leisten. Deshalb muss ein Beamter seine Unterhaltspflichten gegenüber seiner Familie erfüllen können. Zu seiner Familie gehören auch die in häuslicher Gemeinschaft mit dem Beamten lebenden Kinder (BVerfG, Beschluss vom 9. Juni 1979 - 2 BvL 14/66 - BVerfGE 29, 1 <9>; Kammerbeschluss vom 8. November 2007 - 2 BvR 2466/06 - FamRZ 2008, 487 Rn. 23).
Das Oberverwaltungsgericht hat dahinstehen lassen, ob es das Alimentationsprinzip darüber hinausgehend auch gebietet, einem im außereuropäischen Ausland lebenden Versorgungsempfänger einen kinderbezogenen Familienzuschlag für Kinder zu zahlen, die zwar nicht mit ihm in einem Haushalt leben, mit denen er aber eine familiäre Lebensgemeinschaft pflege; denn der Kläger habe nicht geltend gemacht, dass er jemals eine familiäre Beistands- oder Umgangsgemeinschaft mit seinen auf den Philippinen lebenden Kindern gepflegt oder zu ihnen regelmäßige (Besuchs-)Beziehungen unterhalten habe. Es hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Kläger gegenüber den auf den Philippinen lebenden Kindern, für die er die Vaterschaft erst lange nach deren Geburt anerkannt hat, unterhaltspflichtig war und ist, ohne dass der Kläger dem mit einer (begründeten) Verfahrensrüge entgegengetreten ist. Jedenfalls für den Fall des Fehlens einer Umgangsgemeinschaft und einer Unterhaltspflicht stellt sich nicht die verfassungsrechtliche Frage, ob das Alimentationsprinzip auch die Berücksichtigung von nicht im Haushalt lebenden Kindern eines im außereuropäischen Ausland lebenden Versorgungsempfängers gebietet.
2. Das Oberverwaltungsgericht hat weiter zutreffend ausgeführt, dass die Kürzung der Versorgungsbezüge des Klägers gemäß § 57 BeamtVG nach dessen Ehescheidung im Jahre 1991 und dem seinerzeit durchgeführten Versorgungsausgleich mit der Übertragung von Versorgungsanwartschaften auf die frühere Ehefrau des Klägers nicht deshalb rückgängig zu machen ist, weil die Ehefrau im Jahre 2005 - und damit nach einem etwa vierzehnjährigen Rentenbezug aufgrund des Versorgungsausgleichs - verstorben ist. Der Kläger wirft insoweit keine aus seiner Sicht klärungsbedürftige Frage auf und setzt sich auch nicht mit den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts auseinander, sondern beklagt lediglich in zwei Sätzen, dass er sich damit unter der Pfändungsfreigrenze bewege. Das genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 VwGO.
Abgesehen davon weist das Oberverwaltungsgericht zu Recht auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hin, wonach es nicht gegen Art. 14 GG oder Art. 33 Abs. 5 GG verstößt, dass beim Vorversterben des ausgleichsberechtigten Ehegatten die Kürzung der Versorgung des Ausgleichsverpflichteten nur dann entfällt, wenn die aufgrund des Versorgungsausgleichs gewährten Leistungen innerhalb der von § 4 Abs. 2 des Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich - VAHRG - bestimmten Grenzen (zwei Jahresbeträge einer auf das Ende des Leistungsbezugs berechneten Rente) liegen (Urteil vom 5. Juli 1989 - 1 BvL 11/87 u.a. - BVerfGE 80, 297 <308 ff.>). Damit hat das Bundesverfassungsgericht die gesetzliche Regelung in § 4 Abs. 2 VAHRG gebilligt, die im Hinblick darauf erlassen worden ist, dass das Bundesverfassungsgericht zuvor gesetzliche Regelungen zur Vermeidung nachträglich eintretender grundrechtswidriger Auswirkungen des Versorgungsausgleichs verlangt hatte (Urteil vom 28. Februar 1980 - 1 BvL 17/77 u.a. - BVerfGE 53, 257 <302 ff.>). Das Oberverwaltungsgericht hat auch zu Recht angenommen, dass angesichts des vierzehnjährigen Leistungsbezugs der früheren Ehefrau des Klägers der Fortbestand der Kürzung der Versorgungsbezüge des Klägers auch über den Tod seiner früheren Ehefrau hinaus nicht unverhältnismäßig war.
3. Schließlich hat das Oberverwaltungsgericht ausführlich dargelegt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung von Beihilfeleistungen ohne den Abzug von Eigenanteilen hat. Es hat ausgeführt, dass die Versorgungsbezüge des Klägers im streitigen Zeitraum deutlich über der Höhe des Mindestruhegehalts als der nach Landesrecht maßgeblichen Grenze lagen, bis zu der ein Eigenbehalt nicht abzuziehen war. Angesichts der jährlichen Eigenanteile zwischen 30 und 202 € liege auch kein atypischer Fall vor, bei dem eine Kürzung der Beihilfe um Eigenanteile unbillig wäre. Die Beschwerde formuliert auch hierzu keine Frage und setzt sich ebenfalls nicht mit den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts auseinander, sondern beklagt pauschal den Härtefall, der sich daraus ergebe, dass er die ihm verbleibenden Mittel auch im Krankheitsfall bzw. für dessen Vorsorge einsetzen müsse. Das genügt ebenfalls nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Im Übrigen ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass die in Art. 33 Abs. 5 GG verankerte Pflicht des Dienstherrn zur Sicherstellung des amtsangemessenen Lebensunterhalts sich auch auf Lebenslagen erstreckt, die einen erhöhten Bedarf begründen. Die verfassungsrechtliche Alimentationspflicht gebietet dem Dienstherrn, Vorkehrungen zu treffen, dass die notwendigen und angemessenen Maßnahmen im Falle von Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Geburt und Tod nicht aus wirtschaftlichen Gründen unterbleiben, weil sie der Beamte mit der Regelalimentation nicht bewältigen kann, oder dass der amtsangemessene Lebensunterhalt wegen der finanziellen Belastungen in diesen Ausnahmesituationen nicht gefährdet wird (stRspr, vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 15. Mai 1985 - 2 BvL 24/82 - BVerfGE 70, 69 <79> und vom 7. November 2002 - 2 BvR 1053/98 - BVerfGE 106, 225 <232>; BVerwG, Urteil vom 24. Januar 2012 - BVerwG 2 C 24.10 - Buchholz 238.927 § 12 BVO NRW Nr. 1 Rn. 15 m.w.N.).
Ob die Fürsorge in Krankheits- und Pflegefällen durch Beihilfeleistungen, durch Mittel der Regelalimentation zur Finanzierung einer Krankenversicherung oder nicht versicherbarer Belastungen oder durch eine Kombination aus diesen Elementen unter Wahrung der Amtsangemessenheit der Alimentation sichergestellt wird, ist dem Gesetzgeber überlassen (BVerfG, Beschluss vom 7. November 2002 - 2 BvR 1053/98 - BVerfGE 106, 225 <232 f.> und Kammerbeschluss vom 2. Oktober 2007 - 2 BvR 1715/03 u.a. - DVBl 2007, 1493 <1495>; BVerwG, Urteil vom 28. April 2011 - BVerwG 2 C 51.08 - ZBR 2011, 379 Rn. 14 m.w.N.). Der Spielraum des Gesetzgebers bei der Gestaltung des Besoldungsrechts wird grundsätzlich erst durch Maßnahmen überschritten, die sich als evident sachwidrig erweisen (BVerfG, Beschlüsse vom 4. April 2001 - 2 BvL 7/98 - BVerfGE 103, 310 <320> und vom 6. Mai 2004 - 2 BvL 16/02 - BVerfGE 110, 353 <364>; BVerwG, Urteile vom 20. März 2008 - BVerwG 2 C 49.07 - BVerwGE 131, 20 = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 5 Nr. 94, jeweils Rn. 27, vom 25. März 2010 - BVerwG 2 C 52.08 - Buchholz 271 LBeihilfeR Nr. 36 Rn. 13 und vom 28. April 2011 a.a.O.; stRspr).
Dem Beamten, der sein grundrechtsgleiches Recht auf amtsangemessene Alimentation geltend machen will, ist es aber verwehrt, durch eine Klage auf Gewährung von Fürsorgeleistungen ohne gesetzliche Grundlage in den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers einzugreifen. Vielmehr muss der betroffene Beamte seinen auf eine höhere Alimentation zielenden Anspruch prozessual durch eine Feststellungsklage geltend machen (BVerwG, Urteil vom 28. April 2011 a.a.O. Rn. 15; stRspr).
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019660
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BVerwG
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6. Senat
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20130710
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6 PB 13/13, 6 PB 13/13 (6 P 11/13)
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Beschluss
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vorgehend OVG Lüneburg, 13. März 2013, Az: 17 LP 15/11, Beschluss
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DEU
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Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 bis 3 ist gemäß § 83 Abs. 2 BPersVG i.V.m. § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG zuzulassen. Die vorliegende Sache gibt dem Senat Gelegenheit, die Rechtseinheit hinsichtlich der Frage herzustellen, unter welchen Umständen im Verhinderungsfall nachgerückter Ersatzmitglieder der Jugendvertretung den Weiterbeschäftigungsschutz nach § 9 BPersVG genießen (vgl. Beschlüsse vom 25. Juni 1986 - BVerwG 6 P 27.84 - BVerwGE 74, 280 und vom 28. Februar 1990 - BVerwG 6 P 21.87 - BVerwGE 85, 5 einerseits sowie BAG, Urteil vom 13. März 1986 - 6 AZR 207/85 - BAGE 51, 261 andererseits).
Das Beschwerdeverfahren wird nunmehr als Rechtsbeschwerdeverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 6 P 11.13 fortgesetzt. Mit der Zustellung dieses Beschlusses beginnt die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist von 2 Monaten (§ 72a Abs. 6, § 74 Abs. 1, § 92 Abs. 2 Satz 1, § 92a Satz 2 ArbGG).
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Deutschland
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BMJV
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public
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WBRE410019661
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BVerwG
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2. Senat
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20130620
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2 B 71/12
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Beschluss
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§ 55 Abs 2 BeamtVG, § 12a BeamtVG, § 4 Abs 1 StUG, § 6 Abs 9 StUG, § 19 Abs 1 StUG, § 20 Abs 1 Nr 9 StUG, § 30 BBesG
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vorgehend Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 19. Juli 2012, Az: 1 L 70/11, Urteil vorgehend VG Halle (Saale), 23. Februar 2011, Az: 5 A 320/08 HAL
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DEU
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Zugang öffentlicher Stellen zu den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes; Anerkennung von Beschäftigungszeiten; ehemalige Angehörige des Staatssicherheitsdienstes
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1. Auch frühere inoffizielle Mitarbeiter sind ehemalige Angehörige des Staatssicherheitsdienstes im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG.
2. Der Begriff der Tätigkeit "für" das Ministerium für Staatssicherheit im Sinne von § 30 Abs. 1 Satz 1 BBesG setzt eine bewusste und finale Unterstützung der Arbeit dieser Organisation voraus.
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Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützte Beschwerde des Klägers ist unbegründet (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
1. Der 1943 geborene Kläger stand als Kriminaloberkommissar im Dienst des Landes Sachsen-Anhalt. Mit Ablauf des Monats Juli 2003 trat er in den Ruhestand. Seit Mai 1969 war der Kläger in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) als Volkspolizist tätig gewesen, zuletzt im Rang eines Hauptmanns. Unter Berufung darauf, dass der Kläger in der Zeit vom 16. Oktober 1986 bis 24. November 1989 als inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit zur Sicherung der Konspiration/Sonstiges erfasst war, ließ die Beklagte bei der Berechnung der fiktiven ruhegehaltfähigen Dienstzeit im Rahmen der Bestimmung der Höchstgrenze nach § 55 Abs. 2 BeamtVG diesen Zeitraum sowie sämtliche davor liegende Zeiten unberücksichtigt. Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht Erfolg. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Die maßgeblichen Vorschriften ließen es unverändert zu, dass die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR durch öffentliche Stellen für die Anerkennung von Beschäftigungszeiten sowie für die Zahlung und Überführung der Renten ehemaliger Angehöriger des Staatssicherheitsdienstes verwendet werden. Nach den verwertbaren Unterlagen sei der Kläger in der Zeit vom Oktober 1986 bis November 1989 als inoffizieller Mitarbeiter für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) tätig gewesen. Damit seien dieser Zeitraum und sämtliche davor liegenden Zeiten bei der Berechnung der fiktiven ruhegehaltfähigen Dienstzeit im Rahmen der Bestimmung der Höchstgrenze nach § 55 BeamtVG nicht zu berücksichtigen.
2. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache liegen nicht vor.
Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des Revisionsgerichts erheblich sein wird (stRspr, u.a. Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.> = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18).
Die Beschwerde bezeichnet ausdrücklich folgende Fragen als rechtsgrundsätzlich:
"Können die Daten und Unterlagen aus dem Bestand des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik noch heute für die Anerkennung von Beschäftigungszeiten und die Berechnung ruhegehaltfähiger Dienstzeiten angefordert werden?
Wenn nein, können Behörden und Dienststellen die Daten und Unterlagen des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik verwenden, die sich aus früheren Anfragen noch in ihrem Besitz befinden oder unterliegen diese einem Vorhalte- und Verwertungsverbot?
Unterliegen tatsächlich sämtliche Zeiten einer Tätigkeit eines Beschäftigten für den früheren Staatssicherheitsdienst und die davor liegenden Dienstzeiten ohne jedwedes Differenzierungskriterium den besoldungs- und versorgungsrechtlichen Bestimmungen der § 55 BeamtVG, § 30 BBesG und § 12a BeamtVG und führen zur Verringerung der ruhegehaltfähigen Dienstzeit?"
a) Die erste Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht, weil sie sich nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts in einem Revisionsverfahren nicht stellen würde.
Das "Anfordern" von Daten und Unterlagen aus dem Bestand des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR setzt voraus, dass sich die für die Festsetzung der Versorgungsbezüge zuständige öffentliche Stelle an den Bundesbeauftragten wendet und diesen um Mitteilung oder um die Herausgabe von dort vorhandenen Unterlagen ersucht. Hier hat sich die Beklagte aber nicht an den Bundesbeauftragten gewandt, sondern hat beim Land Sachsen-Anhalt vorhandene Unterlagen aus dem Verfahren zur Überprüfung der weiteren Beschäftigung des Klägers im öffentlichen Dienst verwendet. Diese Unterlagen hat die Beklagte dem Gericht zum Nachweis der Rechtmäßigkeit ihrer Bescheide vorgelegt.
Im Übrigen lässt sich die aufgeworfene Frage auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens unmittelbar anhand des Gesetzeswortlauts bejahen.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik vom 20. Dezember 1991 (- StUG -, BGBl I S. 2272), zuletzt geändert durch das Achte Gesetz zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes vom 22. Dezember 2011 (BGBl I S. 3106), haben öffentliche Stellen nur Zugang zu den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes und dürfen sie nur verwenden, soweit dieses Gesetz es erlaubt oder anordnet. Nach § 6 Abs. 9 Satz 1 StUG umfasst die Verwendung von Unterlagen neben der Weitergabe von Unterlagen die Übermittlung von Informationen aus den Unterlagen sowie die sonstige Verarbeitung und die Nutzung von Informationen. Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 StUG macht der Bundesbeauftragte Mitteilungen an öffentliche Stellen, gewährt ihnen Einsicht in Unterlagen und gibt ihnen Unterlagen heraus, soweit deren Verwendung nach den §§ 20 bis 23, 25 und 26 StUG zulässig ist. § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG bestimmt ausdrücklich, dass Unterlagen, soweit sie, wie hier, keine personenbezogenen Informationen über Betroffene oder Dritte enthalten, durch öffentliche Stellen für die Anerkennung von Beschäftigungszeiten, Zahlung und Überführung der Renten ehemaliger Angehöriger des Staatssicherheitsdienstes verwendet werden dürfen. § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG unterliegt nicht der Stichtagsregelung des § 20 Abs. 3 StUG.
b) Damit stellt sich die zweite Frage, die ausdrücklich nur für den Fall der Verneinung der ersten Frage aufgeworfen worden ist, nicht.
c) Die Beschwerdebegründung lässt aber erkennen, dass der Kläger die rechtsgrundsätzliche Bedeutung der Rechtssache - auch - in der Frage sieht, ob unter "Angehörige des Staatssicherheitsdienstes" im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG ausschließlich dessen hauptamtliche Mitarbeiter zu verstehen oder auch inoffizielle Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes erfasst sind. Wird zu Gunsten des Klägers angenommen, dass die rechtsgrundsätzliche Bedeutung auch dieser Frage in der Beschwerdebegründung den Anforderungen des § 133 Abs. 3 VwGO entsprechend dargelegt ist, so rechtfertigt sie dennoch nicht die Zulassung der Revision. Denn sie kann aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden.
Bereits der Wortlaut des Gesetzes und seine Systematik sprechen gegen die vom Kläger vertretene Auffassung, unter "Angehöriger" im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG seien lediglich die hauptamtlichen Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes zu verstehen, d.h. Personen, die in einem offiziellen Arbeits- oder Dienstverhältnis des Staatssicherheitsdienstes gestanden haben und Offiziere des Staatssicherheitsdienstes im besonderen Einsatz. Denn dann hätte der Gesetzgeber in § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG diesen in § 6 Abs. 4 Nr. 1 StUG gesetzlich definierten Begriff des hauptamtlichen Mitarbeiters verwendet.
Auch der erkennbare Gesetzeszweck spricht dagegen, § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG auf hauptamtliche Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes zu beschränken und bereits den Kreis der inoffiziellen Mitarbeiter auszuschließen, dem der Kläger nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zuzurechnen ist.
§ 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG gestattet die Verwendung von Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, die, wie hier, keine personenbezogenen Informationen über Betroffene oder Dritte enthalten, für die Anerkennung von Beschäftigungszeiten sowie für die Zahlung und Überführung der Renten ehemaliger Angehöriger des Staatssicherheitsdienstes. Bezogen auf Beamte geht es dabei um den Vollzug von Vorschriften, die, wie etwa § 12a BeamtVG, vorsehen, dass Zeiten nach § 30 des Bundesbesoldungsgesetzes nicht ruhegehaltfähig sind. § 30 Abs. 1 BBesG bestimmt, dass die Vorschrift des § 28 Abs. 1 Satz 1 BBesG über die berücksichtigungsfähigen Zeiten nicht gilt für Zeiten einer Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit oder das Amt für Nationale Sicherheit sowie für die vor einer solchen Tätigkeit zurückgelegte Zeiten. Auch § 26 des Gesetzes zur Neuregelung des Besoldungsrechts des Landes Sachsen-Anhalt vom 8. Februar 2011 (GVBl LSA, S. 68) trifft eine vergleichbare Regelung.
Für das nach diesen Normen entscheidende Merkmal einer Tätigkeit für das MfS oder das Amt für Nationale Sicherheit kommt es nach Wortlaut und Systematik der Norm nicht darauf an, in welcher Stellung die Tätigkeit ausgeübt wurde. § 30 Abs. 1 BBesG findet auch auf Beamte Anwendung, die in der ehemaligen DDR für das MfS als inoffizielle Mitarbeiter tätig gewesen sind (BVerfG, Beschluss vom 4. April 2001 - 2 BvL 7/98 - BVerfGE 103, 310 <312>; vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1992, BTDrucks 12/3629, S. 27 zu Nr. 1).
Dies lässt sich auch den Materialien der Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes entnehmen. Ursprünglich regelte § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG in der Fassung des Gesetzes vom 20. Dezember 1991 lediglich die Verwendung der Unterlagen für die "Anerkennung ruhegehaltfähiger Zeiten". Diese Regelung hatte der Gesetzgeber als Auffangregelung für die Mitteilung auch für "inoffizielle Tätigkeiten für das MfS" konzipiert. Sie erschien dem Gesetzgeber jedoch als zu eng gefasst, weil sie wegen des Begriffs der ruhegehaltfähigen Zeiten nur auf Beamte anwendbar war. Öffentliche wie nichtöffentliche Stellen sollten in die Lage versetzt werden, aufgrund der Mitteilungen auch zu inoffiziellen Tätigkeiten für das MfS Entscheidungen über die Festsetzung von Beschäftigungszeiten von sonstigen Arbeitnehmern treffen zu können (Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses, BTDrucks 13/5816, S. 9 zu Nr. 4a und 4b). Dementsprechend wurden durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes vom 20. Dezember 1996 (BGBl I S. 2026) die Worte "ruhegehaltfähiger Zeiten" durch die Worte "von Beschäftigungszeiten" ersetzt.
d) Bei der letzten Frage geht es dem Kläger nach der Beschwerdebegründung um die Klärung, ob die Anwendung des § 30 Abs. 1 Satz 1 BBesG vom Umfang der Tätigkeit des Betreffenden für das MfS oder das Amt für Nationale Sicherheit, vom Ausmaß der Schädigung Dritter durch diese Tätigkeit oder von der Möglichkeit des Betroffenen abhängt, sich einer solchen Mitarbeit zu entziehen. Auch diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, weil sich die rechtsgrundsätzliche Bedeutung des Begriffs der "Tätigkeit für das MfS oder das Amt für Nationale Sicherheit" im Sinne von § 30 Abs. 1 Satz 1 BBesG ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens auf der Grundlage der bestehenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts klären lässt.
Grundgedanke des § 12a BeamtVG i.V.m. § 30 Abs. 1 BBesG ist es, Zeiten im öffentlichen Dienst der DDR, die durch eine in verschiedener Weise herausgehobene Nähe zum Herrschaftssystem des Landes gekennzeichnet waren, von der Anerkennung als ruhegehaltfähig auszunehmen. Die Regelung geht davon aus, dass solche Dienstzeiten, während derer der Beamte außerhalb des Rahmens einer rechtsstaatlichen Verwaltung handelte, nicht mit Tätigkeiten in der rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichteten öffentlichen Verwaltung der Bundesrepublik Deutschland gleichgestellt und deshalb nicht als ruhegehaltfähig anerkannt werden dürfen. Vor dem Hintergrund seines weiten Gestaltungsspielraums kann sich der Gesetzgeber für diese Differenzierung auf vernünftige, nachvollziehbare Gründe von hinreichendem Gewicht berufen. Die Tätigkeit des Beamten für das MfS begründet Zweifel an seiner persönlichen Eignung im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG. Diese Zweifel sind zwar nach der Einschätzung des Dienstherrn aufgrund der vorzunehmenden Einzelfallprüfung nicht so schwerwiegend, dass sie zu einer Entlassung z.B. nach dem Sonderkündigungstatbestand des Absatzes 5 Nr. 2 der Anlage I, Kapitel XIX, Sachgebiet A, Abschnitt III Nr. 1 des Einigungsvertrages geführt haben. Sie schließen jedoch eine Honorierung solcher Dienstzeiten durch eine Gleichstellung mit Zeiten einer Tätigkeit in einer rechtsstaatlichen Verwaltung aus. Dadurch, dass diese Zeiten nicht berücksichtigt werden, kommt zum Ausdruck, dass sie sich im Gesamtgefüge der nach Dienstdauer abgestuften Höhe der Versorgung nicht auch noch positiv auswirken sollen. Dieser Überlegung liegt letztlich - ähnlich wie den Sonderkündigungstatbeständen nach dem Einigungsvertrag - die Einschätzung zugrunde, dass ein Beamter, der für das MfS tätig war, jedenfalls für die Dauer dieser Tätigkeit in der Regel nicht die Voraussetzungen des Art. 33 Abs. 2 GG für eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst der Bundesrepublik Deutschland erfüllt hat (BVerfG, Beschluss vom 4. April 2001 a.a.O. S. 324 bis 327).
Diese Gleichgerichtetheit der Sonderkündigungstatbestände nach dem Einigungsvertrag mit den Vorschriften über nicht zu berücksichtigende Arbeits- oder Dienstzeiten wird auch in der Entstehungsgeschichte des § 30 Abs. 1 Satz 1 BBesG deutlich. § 30 BBesG wurde durch das Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1992 vom 23. März 1993 (BGBl I S. 342) eingefügt. Hintergrund war die Tarifabrede vom September 1991, nach der von ehemaligen Angehörigen des öffentlichen Dienstes in der DDR zurückgelegte Arbeitszeiten nur eingeschränkt anrechenbar sein sollten (Bekanntmachung des Bundesministeriums des Innern vom 18. Dezember 1991, GMBl 1992, S. 90 f.). Die Regelung des § 30 BBesG war in einen systematischen Zusammenhang mit inhaltsgleichen Rechtsnormen, wie § 2 Abs. 2 und 3 der 2. BesÜV (Art. 8 des Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetzes 1992), eingebunden. In der Gesetzesbegründung (Entwurf der Bundesregierung, BTDrucks 12/3629, S. 27) wird durch die Bezugnahme auf die Bekanntmachung des BMI vom 18. Dezember 1991 (GMBl 1992, S. 91 f. unter B.I.3.d) der Zusammenhang zwischen den Kündigungstatbeständen nach den Übergangsvorschriften des Einigungsvertrages und den Regelungen über die Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten hervorgehoben. Übe der Arbeitgeber das ihm zustehende Recht zur außerordentlichen Kündigung nicht aus, so seien die Zeiten einer entsprechenden Tätigkeit und die vorher zurückgelegten Zeiten nicht als Beschäftigungszeit anzuerkennen.
Danach ist der Begriff der "Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit" in § 30 Abs. 1 Satz 1 BBesG ebenso auszulegen wie das entsprechende Merkmal der Sonderkündigungstatbestände nach dem Einigungsvertrag. Es sollen diejenigen Angehörigen des öffentlichen Dienstes erfasst werden, die in die Machenschaften des MfS verstrickt waren (Urteil vom 3. Dezember 1998 - BVerwG 2 C 26.97 - BVerwGE 108, 64 <67> = Buchholz 111 Art. 20 EV Nr. 4). Zu den Sonderkündigungstatbeständen ist in der Rechtsprechung geklärt, dass nicht nur die Tätigkeit von hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern des MfS im Sinne des § 6 Abs. 4 StUG erfasst werden. Auch die Zuarbeit aufgrund dienstlicher Verpflichtung erfüllt dieses Tatbestandsmerkmal ohne Rücksicht darauf, ob sie im Einzelfall oder allgemein angeordnet war, ob sie routinemäßig vorgenommen wurde oder ob sie für das Ministerium wichtig und erforderlich war (Urteil vom 27. April 1999 - BVerwG 2 C 26.98 - BVerwGE 109, 59 <66> = Buchholz 111 Art. 20 EV Nr. 5). "Für" das Ministerium für Staatssicherheit war jemand tätig, wenn er dieses bewusst und final unterstützt hat. In objektiver Hinsicht ist hierfür erforderlich, dass der Beamte Beiträge im Interesse des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR geleistet hat. Durch die Verwendung der Präposition "für" wird in den gesetzlichen Tatbestand jegliche Tätigkeit einbezogen, die einen finalen Bezug zur Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit und seiner Nachfolgeorganisation hatte. In subjektiver Hinsicht ist erforderlich, dass der spätere Beamte wissentlich und willentlich für das Ministerium tätig geworden ist (Urteile vom 3. Dezember 1998 a.a.O. S. 67, vom 27. April 1999 a.a.O., vom 6. April 2000 - BVerwG 2 C 2.99 - Buchholz 111 Art. 20 EV Nr. 9 S. 20 f. und vom 13. Juli 2000 - BVerwG 2 C 26.99 - Buchholz 111 Art. 20 EV Nr. 10 S. 23; Beschluss vom 28. Januar 1998 - BVerwG 6 P 2.97 - BVerwGE 106, 153 <158 f.> = Buchholz 250 § 47 Nr. 9; BAG, Urteil vom 26. August 1993 - 8 AZR 561/92 - BAGE 74, 120).
Ist danach der Tatbestand einer Tätigkeit für das MfS gegeben, ist nach Wortlaut und Systematik der Vorschrift kein Raum mehr für eine Prüfung der Umstände des konkreten Einzelfalls, wie etwa das Ausmaß oder die Dauer der früheren Tätigkeit des Beamten für das MfS oder die damit für Dritte verbundenen nachteiligen Folgen. Bei Bestimmungen des Besoldungs- und Versorgungsrechts steht dem Gesetzgeber ein verhältnismäßig weiter Gestaltungsspielraum zu. Dabei darf der Gesetzgeber generalisieren und typisieren. Die sich daraus ergebenden Unebenheiten, Friktionen und Mängel sowie gewisse Benachteiligungen in besonders gelagerten Einzelfällen müssen hingenommen werden, sofern sich für die Gesamtregelung, wie hier, ein vernünftiger Grund anführen lässt. Die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers ist hier umso größer als der Gesetzgeber gezwungen ist, in der Vergangenheit liegende Vorgänge, die durch ein von der Bundesrepublik Deutschland verschiedenes Herrschafts- und Gesellschaftssystem vollkommen andersartig geprägt waren, für die Überleitung in das andere Rechtssystem der Bundesrepublik normativ zu erfassen und zu bewerten. Zudem geht es dem Gesetzgeber zulässigerweise darum, durch die pauschale Regelung der Rechtssicherheit abträgliche Abgrenzungsprobleme zu vermeiden (BVerfG, Beschluss vom 4. April 2001 a.a.O. S. 324 f.).
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WBRE410019662
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BVerwG
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5. Senat
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20130516
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5 C 22/12
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Urteil
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§ 2 Abs 1 Nr 2 BAföG, § 5 Abs 5 BAföG, Art 20 Abs 2 Buchst a AEUV, Art 21 Abs 1 AEUV, Art 165 Abs 1 AEUV
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 4. Juni 2012, Az: 12 A 1565/11, Urteil vorgehend VG Münster, 17. Mai 2011, Az: 6 K 919/08, Urteil
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DEU
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Ausbildungsförderung für Praktikum im Ausland
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Die Förderungsvoraussetzung des § 5 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG, dass Ausbildungsförderung für die Teilnahme an einem Praktikum im Ausland an Auszubildende von Berufsfachschulen nur zu leisten ist, wenn der Unterrichtsplan der Berufsfachschule die Durchführung des Praktikums zwingend im Ausland vorschreibt, verletzt das unionsrechtliche Freizügigkeitsrecht und ist demzufolge nicht anzuwenden.
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Die Klägerin begehrt Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) für ein Berufspraktikum in den Niederlanden.
Die Klägerin ist deutsche Staatsangehörige. Sie besitzt die Fachhochschulreife. Anfang August 2005 begann sie an einer im Inland gelegenen Berufsfachschule eine Ausbildung im Bildungsgang allgemeine Hochschulreife und Erzieherin. Dieser Bildungsgang besteht aus einem theoretischen und einem fachpraktischen Ausbildungsabschnitt. Den theoretischen Abschnitt beendete die Klägerin im Juni 2008. Den fachpraktischen Abschnitt führte sie vom 1. September 2008 bis zum 31. August 2009 an einer in den Niederlanden gelegenen Schule durch. Hierfür hatte sie im März 2008 Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz beantragt und eine Bescheinigung der Berufsfachschule vorgelegt. In dieser erkannte die Berufsfachschule an, dass die fachpraktische Ausbildung an der in den Niederlanden gelegenen Schule den Anforderungen der Prüfungsordnung an die Praktikantenstelle genüge. Ferner bestätigte sie, dass das Praktikum in Ausbildungsbestimmungen inhaltlich geregelt und der Besuch der in den Niederlanden gelegenen Ausbildungsstätte für die Ausbildung der Klägerin in der Fachrichtung Erziehung und Soziales förderlich sei.
Mit Bescheid vom 3. April 2008 lehnte die Beklagte die Gewährung von Ausbildungsförderung ab, weil der Unterrichtsplan der Berufsfachschule entgegen § 5 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG nicht vorschreibe, dass das Praktikum zwingend im Ausland durchzuführen sei.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgeben und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin für die Durchführung ihres Berufspraktikums in den Niederlanden in der Zeit vom 1. September 2008 bis zum 31. August 2009 Ausbildungsförderung in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Zwar sei die Voraussetzung des § 5 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG nicht erfüllt. Diese Vorschrift sei aber wegen Verstoßes gegen das unionsrechtliche Freizügigkeitsrecht nach Art. 20 Abs. 2 Buchst. a, Art. 21 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union nicht anwendbar. Weitere Umstände, die einer Gewährung der Ausbildungsförderung entgegenstehen könnten, seien weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
Das Oberverwaltungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Es ist der Auffassung, dass die Beschränkung der Ausbildungsförderung gemäß § 5 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG auf Praktika, deren Durchführung im Ausland durch den Unterrichtsplan der jeweiligen Berufsfachschule zwingend vorgeschrieben werde, mit Unionsrecht vereinbar und daher anzuwenden sei.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Sie rügt eine Verletzung des Unionsrechts.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
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Die Revision der Klägerin ist begründet. Die entscheidungstragende Annahme des Oberverwaltungsgerichts, das nationale Recht stehe mit dem unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht in Einklang, soweit vorausgesetzt werde, dass der Unterrichtsplan der Berufsfachschule die Durchführung des Praktikums zwingend im Ausland vorschreibt, verletzt revisibles Recht im Sinne des § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO.
Die Klägerin, deren ausbildungsförderungsrechtliches Verpflichtungsbegehren sich nach der im streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum geltenden Sach- und Rechtslage beurteilt (vgl. Urteil vom 10. Januar 2013 - BVerwG 5 C 19.11 - zur Veröffentlichung in Buchholz vorgesehen = juris Rn. 10), hat einen Anspruch auf Ausbildungsförderung für die Teilnahme an dem im Zeitraum vom 1. September 2008 bis 31. August 2009 in den Niederlanden durchgeführten Praktikum aus § 2 Abs. 1 Nr. 2 und § 5 Abs. 5 des Bundesgesetzes über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAföG -) in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. Juni 1983 (BGBl I S. 645), zuletzt geändert durch Art. 1 des Zweiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes - 22. BAföG-ÄndG - vom 23. Dezember 2007 (BGBl I S. 3254).
Danach wird Ausbildungsförderung auch für die Teilnahme an einem Praktikum im Ausland geleistet, das im Zusammenhang mit dem Besuch einer im Inland gelegenen Berufsfachschule nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 BAföG gefordert wird, wenn die Ausbildungsstätte oder die zuständige Prüfungsstelle anerkennt, dass diese fachpraktische Ausbildung den Anforderungen der Prüfungsordnung an die Praktikantenstelle genügt, und ausreichende Sprachkenntnisse vorhanden sind; bei dem Besuch einer Berufsfachschule muss zudem nach deren Unterrichtsplan die Durchführung des Praktikums zwingend im Ausland vorgeschrieben sein (§ 5 Abs. 5 Satz 1 BAföG). Das Praktikum im Ausland muss der Ausbildung nach dem Ausbildungsstand förderlich sein und mindestens zwölf Wochen dauern (§ 5 Abs. 5 Satz 2 BAföG).
Wie mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erörtert, gehen diese zu Recht übereinstimmend davon aus, dass alle Anspruchsvoraussetzungen nach nationalem Recht mit Ausnahme der Förderungsvoraussetzung des § 5 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG erfüllt sind. Danach muss bei dem Besuch einer Berufsfachschule in deren Unterrichtsplan die Durchführung eines Praktikums zwingend im Ausland vorgeschrieben sein. Diese Voraussetzung erfüllt die Klägerin nicht, weil der Unterrichtsplan des von ihr besuchten Berufskollegs Entsprechendes nicht vorsieht, sodass ein Anspruch auf Ausbildungsförderung hieran scheitern würde. Die nach nationalem Recht entscheidungserhebliche Regelung des § 5 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG ist jedoch mit dem unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht nach Art. 20 Abs. 2 Buchst. a, Art. 21 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV - in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 2008 (ABl EU Nr. C 115 vom 9. Mai 2008 S. 47 und BGBl II 2008 S. 1038 <1054>; in Kraft für die Bundesrepublik Deutschland seit dem 1. Dezember 2009, BGBl II S. 1223), zuletzt geändert durch Art. 2 ÄndBeschl 2012/419/EU vom 11. Juli 2012 (ABl EU L 204 S. 131) nicht vereinbar. Die Förderungsvoraussetzung des § 5 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG stellt eine Beschränkung des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts dar (1.), die nach unionsrechtlichen Maßstäben nicht gerechtfertigt ist (2.). Einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV bedarf es nicht (3.). Der Vorrang des Unionsrechts führt dazu, dass die Vorschrift nicht anzuwenden ist (4.).
1. Die Förderungsvoraussetzung des § 5 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG beschränkt das unionsrechtliche Freizügigkeitsrecht nach Art. 20 Abs. 2 Buchst. a, Art. 21 Abs. 1 AEUV, das im Wesentlichen wortgleich ist mit dem im Bewilligungszeitraum noch geltenden Art. 18 Abs. 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Union in der Fassung des Vertrages von Nizza vom 26. Februar 2001 (ABl EG Nr. C 80 vom 10. März 2001 S. 1, ber. ABl EG Nr. C 96 vom 27. März 2001 S. 27 und BGBl II 2001 S. 1666; in Kraft für die Bundesrepublik Deutschland seit dem 1. Februar 2003, BGBl II 2003 S. 1477), zuletzt geändert durch den Beitrittsvertrag vom 25. April 2005 (ABl EU Nr. L 157 vom 21. Juni 2005 S. 11, ber. ABl EU Nr. L 149 vom 9. Juni 2007 S. 18 und BGBl II 2006 S. 1146, ber. BGBl II 2008 S. 1236; in Kraft für die Bundesrepublik Deutschland seit dem 1. Januar 2007, BGBl II 2007 S. 127).
Nach diesen Bestimmungen hat jeder Unionsbürger und damit auch jeder deutsche Staatsangehörige das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Auf dieses Recht kann sich ein Unionsbürger auch gegenüber seinem Herkunftsmitgliedstaat berufen. Die Mitgliedstaaten sind zwar nach Art. 165 Abs. 1 AEUV für die Lehrinhalte und die Gestaltung ihrer jeweiligen Bildungssysteme zuständig. Sie müssen aber diese Zuständigkeit unter Beachtung des Unionsrechts ausüben, und zwar insbesondere unter Beachtung des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts nach Art. 20 Abs. 2 Buchst. a, Art. 21 Abs. 1 AEUV. Eine Beschränkung dieses Rechts stellt es dar, wenn eine nationale Regelung eines Ausbildungsförderungssystems bestimmte eigene Staatsangehörige allein deswegen benachteiligt, weil sie von ihrer Freiheit, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben sowie sich dort frei zu bewegen und aufzuhalten, Gebrauch machen. Die von Art. 20 Abs. 2 Buchst. a, Art. 21 Abs. 1 AEUV auf dem Gebiet der Freizügigkeit den Unionsbürger gewährten Erleichterungen könnten nämlich nicht ihre volle Wirkung entfalten, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats von ihrer Wahrnehmung durch Hindernisse abgehalten werden könnte, die seinem Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat infolge einer Regelung seines Herkunftsstaats entgegenstehen, die Nachteile allein daran knüpft, dass er von ihnen Gebrauch gemacht hat. Dies gilt angesichts des mit Art. 165 Abs. 2 Spiegelstrich 2 AEUV verfolgten Ziels, die Mobilität von Lernenden und Lehrenden zu fördern, besonders im Bereich der Bildung. Ein Mitgliedstaat hat daher, wenn er ein Ausbildungsförderungssystem vorsieht, wonach Auszubildende bei einer Ausbildung in einem anderen Mitgliedstaat eine Ausbildungsförderung in Anspruch nehmen können, dafür Sorge zu tragen, dass die Modalitäten der Bewilligung dieser Förderung das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, nicht ungerechtfertigt beschränken (vgl. EuGH, Urteil vom 23. Oktober 2007 - Rs. C-11/06 und C-12/06, Morgan und Bucher - Slg. 2007, I-9161 Rn. 22 und 24 - 28 m.w.N.).
Nach Maßgabe dieser unionsrechtlichen Vorgaben liegt in der Förderungsvoraussetzung des § 5 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG eine Beschränkung des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts. Das Erfordernis, dass die Durchführung des Praktikums im Ausland nach dem Unterrichtsplan der Berufsfachschule zwingend vorgeschrieben sein muss, um Ausbildungsförderung erhalten zu können, ist geeignet, Unionsbürger von der Inanspruchnahme ihres Rechts auf Freizügigkeit abzuhalten. Denn die Aussicht, keine Förderung zu bekommen, sondern die Kosten für ein Praktikum im Ausland selbst aufbringen zu müssen, kann dazu führen, dass in der Bundesrepublik Deutschland lebende Unionsbürger davon absehen, ihr Praktikum in einem anderen Mitgliedstaat zu absolvieren.
2. Die Beschränkung des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts ist nicht gerechtfertigt. Hierfür ist nach Unionsrecht erforderlich, dass die Beschränkung der Freizügigkeit auf objektiven von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen des Allgemeininteresses beruht und in angemessenem Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht legitimerweise verfolgten Zweck steht. Das verlangt, dass die Beschränkung der Freizügigkeit zur Erreichung des nach Unionsrecht zulässigen ("legitimen") Ziels geeignet ist und nicht über das hinausgeht, was dazu notwendig ist (vgl. EuGH, Urteil vom 23. Oktober 2007 a.a.O. Rn. 33 m.w.N.). Das Oberverwaltungsgericht hat das Vorliegen dieser Voraussetzungen fehlerhaft bejaht.
Die Beschränkung der Förderungsfähigkeit gemäß § 5 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG auf solche Praktika, deren Durchführung im Ausland nach dem Unterrichtsplan der Berufsfachschule zwingend vorgeschrieben ist, soll ausweislich der Gesetzesmaterialien (vgl. BTDrucks 16/5172 S. 32) gewährleisten, dass sich die Auslandspraktika fachlich-inhaltlich sinnvoll in die Gesamtausbildung einfügen (a) und zu einem Ausbildungsmehrwert führen (b) sowie die Kostenbelastung der öffentlichen Hand durch die Förderung von Auslandspraktika im Zusammenhang mit dem Besuch einer Berufsfachschule möglichst gering halten (c). Soweit damit aus unionsrechtlicher Sicht ein legitimer Zweck verfolgt wird und die Beschränkung der unionsrechtlichen Freizügigkeit zu dessen Erreichung geeignet ist, fehlt es an der Erforderlichkeit.
a) Das gesetzgeberische Motiv, die Förderungsfähigkeit bei dem Besuch einer Berufsfachschule auf solche Auslandspraktika zu beschränken, die sich fachlich-inhaltlich sinnvoll in die Gesamtausbildung einfügen, ist zwar ein legitimer Zweck im Sinne des Unionsrechts. Denn damit soll auf ein zielgerichtetes Praktikum hingewirkt werden, welches die Gewähr dafür bietet, dass die Auszubildenden an Berufsfachschulen ihre vergleichsweise kurzen Ausbildungsgänge in der dafür vorgesehenen Zeit erfolgreich abschließen. Dies entspricht dem in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union als legitim anerkannten Anliegen, sicherzustellen, dass Ausbildungsförderung nur denjenigen Auszubildenden gewährt wird, die zu einem erfolgreichen Studium in der Lage sind und ihren Willen unter Beweis stellen, ihre Ausbildung erfolgreich und zügig zu absolvieren und zum Abschluss zu bringen (vgl. EuGH, Urteil vom 23. Oktober 2007 a.a.O. Rn. 36 m.w.N).
Die gesetzliche Anordnung, die Durchführung des Praktikums im Ausland müsse im Unterrichtsplan der Berufsfachschule zwingend vorgeschrieben sein und der damit einhergehende Eingriff in die unionsrechtliche Freizügigkeit, sind auch geeignet, um die angestrebte Beschränkung der Förderungsfähigkeit auf Auslandspraktika, die sich fachlich-inhaltlich sinnvoll in die Gesamtausbildung einfügen, zu verwirklichen. Dafür reicht es aus, dass die Anordnung den angestrebten Erfolg fördern kann. Dass dies der Fall ist, liegt auf der Hand und bedarf keiner näheren Begründung.
Die Beschränkung der unionsrechtlichen Freizügigkeit erweist sich jedoch zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels als nicht erforderlich. Erforderlich in diesem Sinne ist eine gesetzliche Regelung, wenn der Gesetzgeber nicht eine andere, gleich wirksame, aber die unionsrechtliche Freizügigkeit nicht oder weniger stark einschränkende Förderungsvoraussetzung hätte wählen können (stRspr des EuGH, vgl. z.B. Urteil vom 8. Juli 2010 - Rs. C-343/09, Afton Chemical - Slg. 2010, I-7027 Rn. 45 sowie Schlussantrag der Generalanwältin Kokott vom 2. Oktober 2012 in der Rs. C-286/12, Kommission/Ungarn, zur Veröffentlichung in der Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts Erster Instanz 2012 vorgesehen = juris Rn. 32 jeweils m.w.N. s.a. zum grundrechtseinschränkenden Gesetz BVerfG, Beschluss vom 9. März 1994 - 2 BvL 43/92 u.a. - BVerfGE 90, 145 <173>). So verhält es sich hier nicht.
Dem Anliegen des Gesetzgebers, dass sich Auslandspraktika fachlich-inhaltlich sinnvoll in die Gesamtausbildung einfügen, wird bereits durch die in § 5 Abs. 5 Satz 2 Alt. 1 BAföG für alle Auslandspraktika geforderte allgemeine Förderlichkeit wirkungsvoll und hinreichend Rechnung getragen. Damit ist gemeint, dass der Auszubildende über die reine Erweiterung seines Fachwissens hinaus durch Einblick in einen anderen Lebens- und Kulturkreis eine allgemeine Horizonterweiterung erfährt, die ihm in seinem späteren Berufsleben von Nutzen sein kann. Da dies verlangt, dass die inländische Ausbildung des Bewerbers für ein Auslandspraktikum einen gewissen Stand erreicht, der Auszubildende also an einer inländischen Ausbildungsstätte in der gewählten Fachrichtung bereits (theoretische) Grundkenntnisse erworben hat (vgl. Urteil vom 12. Juli 2012 - BVerwG 5 C 14.11 - BVerwGE 143, 314 Rn. 14 = Buchholz 436.36 § 5 BAföG Nr. 10 jeweils m.w.N.), wird zugleich sichergestellt, dass der fachpraktische Ausbildungsabschnitt im Ausland fachlich-inhaltlich sinnvoll in die Gesamtausbildung eingegliedert wird.
b) Das weitere gesetzgeberische Ziel des "Ausbildungsmehrwertes" ist je nachdem, wie der Begriff verstanden wird, aus unionsrechtlicher Sicht entweder kein legitimer Zweck oder die Förderungsvoraussetzung des § 5 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG geht über das zu seiner Verwirklichung Notwendige hinaus, weshalb letztlich offenbleiben kann, welches Begriffsverständnis der Gesetzgeber zugrunde gelegt hat.
Sofern mit dem Oberverwaltungsgericht davon auszugehen wäre, dass für den Ausbildungsmehrwert eine vergleichende Betrachtung zwischen einem im Inland und einem in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchgeführten Praktikum geboten und der geforderte Ausbildungsmehrwert nur gegeben ist, wenn das Auslandspraktikum einen größeren Nutzen für die Ausbildung erwarten lässt als ein im Inland durchgeführtes Praktikum, wäre dies kein legitimer Zweck im Sinne des Unionsrechts, sondern eine nicht gerechtfertigte Diskriminierung. Damit würde das nationale Recht einen grenzüberschreitenden Vorgang notwendig schlechter als einen rein internen behandeln. Es sind keine hinreichenden Gründe des Allgemeinwohls erkennbar, die es rechtfertigen, dass der nationale Gesetzgeber, der grundsätzlich sowohl für die Teilnahme an einem Praktikum im Inland (nach § 2 Abs. 4 BAföG) als auch für die Teilnahme an einem Praktikum, das in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführt wird, einen Anspruch auf Ausbildungsförderung einräumt, letztere auf solche Auslandspraktika beschränkt, die ein Mehr an fachlichen und beruflichen Kenntnissen als ein vergleichbares Inlandspraktikum vermitteln.
Sollte mit dem Ausbildungsmehrwert hingegen das Gleiche gemeint sein wie mit der allgemeinen Förderlichkeit im Sinne des § 5 Abs. 5 Satz 2 Alt. 1 BAföG, erweist sich die Beschränkung der Freizügigkeit zur Erreichung des Ausbildungsmehrwertes aus den bereits dargelegten Gründen als nicht erforderlich.
c) Die mit der Einfügung des § 5 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG verfolgte Absicht des Gesetzgebers, die Kosten, die durch die staatliche Förderung von Auslandspraktika im Rahmen des Besuchs einer Berufsfachschule entstehen, möglichst gering zu halten, bildet kein legitimes Anliegen im Sinne des Unionsrechts.
Es handelt sich dabei um ein rein wirtschaftliches Motiv. Ein derartiges Motiv kann nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union keinen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen, der eine Beschränkung einer vom Vertrag garantierten Grundfreiheit rechtfertigen könnte (vgl. z.B. Urteile vom 11. März 2010 - C-384/08, Attanasio Group - Slg. 2010, I-2055 Rn. 55 und vom 17. März 2005 - C-109/04, Kranemann - Slg. 2005, I-2421 Rn. 34 m.w.N.).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, dass es legitim sein kann, dass ein Mitgliedstaat die Gewährung von Ausbildungsförderung an Auszubildende, die eine Ausbildung in anderen Mitgliedstaaten absolvieren möchten, einschränkt, um zu verhindern, dass sie zu einer übermäßigen Belastung wird, die Auswirkungen auf das gesamte Niveau der Beihilfe haben könnte, die der Mitgliedstaat gewähren kann (vgl. Urteil vom 23. Oktober 2007 a.a.O. Rn. 43 - 44 m.w.N.). Es wurde nicht geltend gemacht und ist auch nicht erkennbar, dass dieser Ausnahmefall vorliegt.
3. Der Senat kann ohne Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Union entscheiden, dass das unionsrechtliche Freizügigkeitsrecht der Anwendung des nationalen Rechts entgegensteht.
Der unionsrechtliche Maßstab für die Annahme einer Beschränkung des Freizügigkeitsrechts nach Art. 20 Abs. 2 Buchst. a, Art. 21 Abs. 1 AEUV und deren Rechtfertigung lässt sich gerade auch in Bezug auf nationale Regelungen der Ausbildungsförderung - wie dargelegt - bereits aus der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union klar und eindeutig ("acte clair") entnehmen, sodass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs. C-283/81, Cilfit - Slg. 1982, 3415 Rn. 16 und 21). Die davon zu unterscheidende Frage, ob die nationale Vorschrift des § 5 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG und ihre Anwendungspraxis tatsächlich den Zielen, die sie rechtfertigen könnten, entspricht und ob die damit verbundene Beschränkung der unionsrechtlichen Freizügigkeit nicht im Hinblick auf diese Ziele unverhältnismäßig sind, ist vom nationalen Gericht zu beantworten (stRspr des EuGH, vgl. z.B. Urteil vom 3. Juni 2010 - Rs. C-258/08, Ladbrokes - Slg. 2010, I-4757 Rn. 22 m.w.N.; s.a. BVerwG, Urteile vom 24. November 2010 - BVerwG 8 C 15.09 - NWVBl 2011, 307 und vom 26. Oktober 1995 - BVerwG 2 C 18.94 - Buchholz 232 § 80b BBG Nr. 2 = DVBl 1996, 513).
4. Die Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit Art. 20 Abs. 2 Buchst. a, Art. 21 Abs. 1 AEUV führt mangels einer möglichen unionsrechtskonformen Auslegung zu einem Anwendungsverbot des § 5 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG.
Eine unionsrechtskonforme Auslegung findet ihre Grenze in dem Wortlaut der jeweiligen Vorschrift und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers (vgl. Urteil vom 25. November 2004 - BVerwG 2 C 49.03 - BVerwGE 122, 244 <249> = Buchholz 239.1 § 4 BeamtVG Nr. 2 S. 5). Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 5 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG setzt die Bewilligung von Ausbildungsförderung voraus, dass nach dem Unterrichtsplan der Berufsfachschule die Durchführung des Praktikums zwingend im Ausland vorgeschrieben ist. Dieser Wortlaut und der klar erkennbare Wille des Gesetzgebers schließen es aus, Ausbildungsförderung für die Teilnahme an einem Praktikum im Ausland auch bei freiwilligen Auslandspraktika zu leisten.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist das nationale Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden hat, gehalten, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede - auch spätere - entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewandt lässt (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Februar 2013 - Rs. C-617/10, Aklagaren/Fransson - NVwZ 2013, 561 m.w.N.).
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http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-WBRE410019662&psml=bsjrsprod.psml&max=true
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019663
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BVerwG
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9. Senat
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20130328
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9 A 22/11
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Urteil
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Art 1 Buchst e FFHRL, Art 6 Abs 3 FFHRL, Art 6 Abs 4 FFHRL, Art 16 Abs 1 FFHRL, § 34 BNatSchG, § 44 BNatSchG, § 45 Abs 7 BNatSchG, § 2 Abs 1 UVPG, § 16 Abs 2 UVPG
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DEU
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Klage gegen Teilabschnitt der Bundesautobahn A 44; Verträglichkeit des Abschnitts mit den Erhaltungszielen von FFH-Gebieten; Artenschutzrecht
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1. Maßnahmen zur Umsiedlung von Arten mit einem kleinen Aktionsradius (hier: Kammmolch) können bereits im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung zu berücksichtigende Schadensvermeidungsmaßnahmen darstellen, wenn die funktionelle Verbindung zu einer Fortpflanzungs- oder Ruhestätte erhalten bleibt und diese nach Durchführung der Maßnahmen mindestens die gleiche (oder eine größere) Ausdehnung und eine gleiche (oder bessere) Qualität für die zu schützende Art hat.
2. Bei der nach Art. 1 Buchst. e) FFH-RL (juris: FFHRL) vorzunehmenden Prüfung der Auswirkungen eines Projekts auf die charakteristischen Arten eines Lebensraumtyps ist zu untersuchen, ob der Erhaltungszustand der Arten gerade in den Lebensraumtypen, für die sie charakteristisch sind, günstig bleibt.
3. Die Prüfung einer zumutbaren Alternative i.S.d. § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG darf auch dann, wenn auf den vorgelagerten Planungsstufen noch keine korridorübergreifende FFH-Verträglichkeitsprüfung durchgeführt werden musste, nicht auf den "Planungskorridor" beschränkt werden, sondern hat - unter summarischer Würdigung des jeweiligen Beeinträchtigungspotenzials - Trassen in Alternativkorridoren einzubeziehen.
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Der Kläger ist nach § 3 UmwRG als Naturschutzvereinigung anerkannt. Er wendet sich gegen den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten vom 28. Oktober 2011 für den Neubau der Bundesautobahn A 44 Kassel - Herleshausen, Teilabschnitt zwischen Anschlussstelle Waldkappel und Hoheneiche (VKE 40.1).
Die A 44 ist Teil des Verkehrsprojektes Deutsche Einheit Nr. 15: "Autobahn A 44 Kassel - Eisenach und A 4 Eisenach - Görlitz" und soll eine Lücke im Netz der Bundesautobahnen auf der Achse Ruhrgebiet - Kassel - Dresden zwischen der A 7 bei Kassel und der A 4 bei Wommen schließen. Darüber hinaus ist sie Bestandteil des transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN). Im Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen ist der vierstreifige Bau der A 44 zwischen Kassel und Herleshausen in der Stufe des vordringlichen Bedarfs ausgewiesen. Die Gesamtplanung der A 44 gliedert sich in elf als Verkehrskosteneinheiten (VKE) bezeichnete Planungsabschnitte. Auf dem Streckenabschnitt der VKE 31 (Ortsumfahrung Walberg) ist der Verkehr bereits seit 2005 freigegeben; andere Abschnitte sind planfestgestellt und teilweise im Bau, weitere Abschnitte befinden sich noch in der Planfeststellung.
Der planfestgestellte Abschnitt führt auf einer Gesamtlänge von 7,2 km durch das Wehretal. Die Trasse beginnt im Westen im Anschluss an den bereits planfestgestellten Teilabschnitt der VKE 33 westlich von Waldkappel-Bischhausen mit der Anschlussstelle Waldkappel Nord. Sie verläuft sodann am Nordhang des Wehretals in östlicher Richtung, wodurch die Ortschaften Waldkappel-Bischhausen und Wehretal-Oetmannshausen umfahren werden. In Höhe des Trimberges ist ein Tunnelbauwerk vorgesehen, welches zugleich der Unterfahrung des FFH-Gebietes "Trimberg bei Reichensachsen" dient. Es folgen eine Anschlussstelle an die B 27 sowie die Wehretalbrücke, durch die die B 27, die Bahnstrecke Göttingen - Bebra, die Wehre sowie deren Talraum und die B 452 überquert werden. Danach verschwenkt die Trasse in südlicher Richtung und unterfährt durch ein zweites Tunnelbauwerk den Spitzenberg und das FFH-Gebiet "Werra- und Wehretal". Nach dem Tunnel verläuft die Trasse weiter in südlicher Richtung, östlich der Bahnlinie Göttingen - Bebra und der B 7/B 27 dem Sontratal folgend. Der Teilabschnitt endet bei Baukilometer 47+240 an der Anschlussstelle Hoheneiche.
Die Trasse verläuft in unmittelbarer Nähe von zwei FFH-Gebieten. Das FFH-Gebiet DE 4825-301 "Trimberg bei Reichensachsen" wurde im Jahr 2003 zunächst in den Grenzen des gleichnamigen Naturschutzgebietes mit einer Fläche von ca. 62,1 ha an die EU gemeldet und im Dezember 2004 durch die EU-Kommission in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen. Das aus mehreren Teilgebieten bestehende FFH-Gebiet DE 4825-302 "Werra- und Wehretal" wurde seit 1999 in vier Tranchen - zuletzt im November 2004 - an die EU-Kommission gemeldet; es wurde ebenfalls in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen.
Im Zuge der Bestandserfassung für die Planung der VKE 40.1 stellte die Vorhabenträgerin im Jahr 2004 fest, dass der damals außerhalb des FFH-Gebietes liegende Bereich der geplanten Anschlussstelle Eschwege durch eine Kammmolchpopulation als Landlebensraum genutzt wurde. Unter dem Betreff "BAB 44, VKE 40.1, AS Waldkappel-Bischhausen/Antrag auf Genehmigung von Baumaßnahmen und Monitoring" erteilte das Regierungspräsidium Kassel der Vorhabenträgerin auf deren Antrag unter dem 30. Dezember 2005 eine naturschutzrechtliche/artenschutzrechtliche Genehmigung bzw. Befreiung zur frühzeitigen Herstellung von Ersatzhabitaten sowie zur Umsiedlung der Kammmolche. Der Bescheid war befristet bis zum Ergehen des Planfeststellungsbeschlusses. Die in der Genehmigung genannten Maßnahmen - insbesondere die Herstellung von Ersatzlebensräumen durch Steinschüttungen und Gehölzflächen, die Errichtung eines nur einseitig überwindbaren Amphibienschutzzaunes sowie ein jährlich vorgesehenes Monitoring zur Überprüfung der Wirksamkeit der Maßnahmen - wurden ab dem Jahr 2006 umgesetzt.
Im Januar 2008 erfolgte eine Anpassung der Gebietsgrenzen durch die Natura 2000-Verordnung des Landes Hessen. Dabei wurden die ab 2006 hergestellten Ersatz-Landlebensräume für den Kammmolch in das FFH-Gebiet "Trimberg bei Reichensachsen" einbezogen, nicht aber die früher vom Kammmolch genutzten "ausgezäunten" Bereiche. Weiterhin wurden bisher in dem FFH-Gebiet "Werra- und Wehretal" liegende Landhabitate des Kammmolches und Laichgewässer der Art in das FFH-Gebiet "Trimberg bei Reichensachsen" eingegliedert. Dieses FFH-Gebiet umfasst nunmehr in den Grenzen der Natura 2000-Verordnung eine Fläche von 158,8 ha. Das FFH-Gebiet "Werra- und Wehretal" weist insgesamt eine Größe von 24 482 ha auf.
Für die Trasse der A 44 wurden zwei aufeinander aufbauende Raumordnungsverfahren, die in den Jahren 1994 und 1998 mit Landesplanerischen Beurteilungen abgeschlossen wurden, sowie ein im Dezember 1998 abgeschlossenes Linienbestimmungsverfahren durchgeführt. Die damals ermittelte Vorzugsvariante entspricht im hier zu prüfenden Abschnitt der planfestgestellten Linienführung.
Das Verwaltungsverfahren nahm im Wesentlichen folgenden Verlauf:
Die Vorhabenträgerin beantragte Ende Juli 2002 die Durchführung des Anhörungsverfahrens. Die Planunterlagen wurden vom 30. September bis 30. Oktober 2002 ausgelegt. Nachdem die FFH-Gebiete "Trimberg bei Reichensachsen" und "Werra- und Wehretal" im Jahre 2004 in die Kommissionsliste aufgenommen worden waren, änderte die Vorhabenträgerin ihre Planung und beantragte im April 2006 eine erneute Anhörung; die früheren Unterlagen wurden vollständig ersetzt und vom 6. Juni bis 6. Juli 2006 neu ausgelegt. Im September 2009 beantragte die Vorhabenträgerin eine 2. Planänderung. Am 10., 17. und 20. Mai 2010 wurde ein Erörterungstermin durchgeführt, an dem auch der Kläger teilnahm. Im März 2011 beantragte die Vorhabenträgerin die 3. und im August 2011 die 4. Planänderung. Der Kläger nahm zu der vorgenannten Planung einschließlich der Planänderungen, soweit er hierzu angehört wurde, Stellung; lediglich die 4. Planänderung wurde ohne Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt.
Mit Beschluss vom 28. Oktober 2011 stellte der Beklagte den Plan für den Neubau der A 44 im Abschnitt der VKE 40.1 fest. Wesentliche Bestandteile des Vorhabens sind neben der Trasse eine Anschlussstelle an die B 7 nordwestlich des Stadtteils Waldkappel-Bischhausen, zwei Tunnelbauwerke mit jeweils zwei getrennten Röhren zur Unterfahrung des Trimberges und des Spitzenberges, eine Anschlussstelle an die B 27 im Wehretal sowie eine Talbrücke zur Überquerung der Wehre sowie deren Talraum und verschiedener Verkehrswege. Gegenstand der Planung sind ferner naturschutzfachliche Maßnahmen zur Vermeidung und Minimierung von Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft sowie zur Kompensation der mit dem Vorhaben verbundenen unvermeidbaren Eingriffe. Der Planfeststellungsbeschluss enthält des Weiteren verschiedene naturschutzrechtliche Ausnahmen.
Hinsichtlich des FFH-Gebiets "Trimberg bei Reichensachsen" verneint der Planfeststellungsbeschluss eine erhebliche Beeinträchtigung. Demgegenüber nimmt er hinsichtlich des FFH-Gebiets "Werra- und Wehretal" eine erhebliche Beeinträchtigung einer Teilfläche des Lebensraumtyps "Hainsimsen-Buchenwald" (LRT 9110) an, lässt das Vorhaben aber nach § 34 Abs. 3 BNatSchG unter Hinweis auf verkehrliche Belange zu; entsprechende Kohärenzsicherungsmaßnahmen werden festgelegt.
Der Kläger hat am 5. Dezember 2011 - fristgerecht - Klage erhoben. Er hält den Planfeststellungsbeschluss sowohl formell als auch materiell für rechtswidrig. Die formelle Rechtswidrigkeit ergebe sich u.a. daraus, dass der Planfeststellungsbeschluss zu Unrecht unter Berufung auf die bereits im Raumordnungsverfahren in den Jahren 1993 und 1996 durchgeführten Umweltverträglichkeitsstudien auf eine eigenständige weitere Umweltverträglichkeitsprüfung verzichte und zudem von der im fernstraßenrechtlichen Linienbestimmungsverfahren festgelegten Linie abweiche. Auch sei der Genehmigungs-/Befreiungsbescheid des Regierungspräsidiums Kassel vom 30. Dezember 2005 u.a. wegen fehlender Beteiligung des Klägers rechtswidrig; dieser Beteiligungsfehler schlage als Verfahrensfehler auf das Planfeststellungsverfahren durch. Außerdem liege ein Verstoß gegen das Benehmenserfordernis des § 17 Abs. 1 BNatSchG vor. Die materielle Rechtswidrigkeit ergebe sich im Wesentlichen aus der mangelnden Planrechtfertigung, einem Verstoß gegen die gebiets- und artenschutzbezogenen Vorschriften des Naturschutzrechts und dem Fehlen eines adäquaten Risikomanagements.
Der Beklagte hat auf Anregung des Senats den Planfeststellungsbeschluss mit Schriftsatz vom 11. März 2013 um verschiedene Unterlagen, die im Verfahren ausgelegen haben und Grundlage der Planfeststellung sowie Gegenstand der Verfahrensakten waren, ergänzt. Des Weiteren hat er den Planfeststellungsbeschluss in der mündlichen Verhandlung um verschiedene Nebenbestimmungen zugunsten einzelner Arten (Gelbbauchunke, Fledermäuse, Wildkatze, Luchs, Zauneidechse, Schlingnatter, bestimmte Vögel) ergänzt.
Der Kläger beantragt,
1. den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten für den Neubau der Bundesautobahn A 44, Teilabschnitt Waldkappel - Hoheneiche (VKE 40.1), vom 28. Oktober 2011 in der Fassung der mit Schriftsatz des Beklagten vom 11. März 2013 und der in der mündlichen Verhandlung vom 13./14. März 2013 erklärten Ergänzungen aufzuheben,
2. hilfsweise,
festzustellen, dass der Planfeststellungsbeschluss rechtswidrig und nicht vollziehbar ist, bis die Mängel durch ein ergänzendes Verfahren behoben sind,
3. äußerst hilfsweise,
das Verfahren auszusetzen und dem Europäischen Gerichtshof die als Anlage 7 dem Protokoll beigefügten Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er macht im Wesentlichen geltend: Die Umweltverträglichkeitsprüfung sei ordnungsgemäß nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UVPG durchgeführt worden. Der Vorwurf der geänderten Linienführung betreffe die hier nicht streitgegenständlichen Abschnitte VKE 50 und VKE 60. Der Genehmigungs-/Befreiungsbescheid vom 30. Dezember 2005 stelle einen eigenständigen Verwaltungsakt außerhalb des streitgegenständlichen Planfeststellungsbeschlusses dar. Im Übrigen sei das Vorbringen hierzu jedenfalls verwirkt, da der Kläger nach seinem eigenen Vortrag bereits spätestens im Oktober 2009 von der Genehmigung Kenntnis erlangt habe. Das Benehmen nach § 17 Abs. 1 BNatSchG sei ordnungsgemäß hergestellt worden. Darüber hinaus sei der Planfeststellungsbeschluss auch materiell rechtmäßig.
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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der Planfeststellungsbeschluss, der in der Fassung gilt und angefochten ist, die er zuletzt durch die in der mündlichen Verhandlung erklärten Ergänzungen erhalten hat, leidet an keinem zur Aufhebung des Beschlusses oder zur Feststellung seiner Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit führenden Rechtsfehler. Er verstößt nicht in einer diese Rechtsfolgen rechtfertigenden Weise gegen Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes, gegen Vorschriften, die aufgrund oder die im Rahmen dieses Gesetzes erlassen worden sind oder fortgelten, oder gegen andere Rechtsvorschriften, die bei Erlass der Entscheidung zu beachten waren und zumindest auch den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu dienen bestimmt sind (§ 64 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG).
A. Der Planfeststellungsbeschluss weist keine formellen Mängel auf.
I. Ein Verstoß gegen § 16 Abs. 2 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung - UVPG - oder sonstige Bestimmungen dieses Gesetzes liegt nicht vor.
Nach § 16 Abs. 2 UVPG kann im nachfolgenden Zulassungsverfahren die Prüfung der Umweltverträglichkeit auf zusätzliche oder andere erhebliche Umweltauswirkungen des Vorhabens beschränkt werden. Während nach heute geltendem Recht für das vorgelagerte Raumordnungs- und das Linienbestimmungsverfahren im Zusammenhang mit dem Bau einer Bundesautobahn nicht nur eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung besteht (§§ 15, 16 UVPG), sondern nach § 36 Satz 1 BNatSchG bzw. § 7 Abs. 6 ROG auch eine solche zur Prüfung der Verträglichkeit mit Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung i.S.d. Art. 4 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl EG Nr. L 206 S. 7 - FFH-RL) - künftig: FFH-Gebiete -, gab es zum Zeitpunkt des hier durchgeführten Raumordnungs- und Linienbestimmungsverfahrens (1994 bis 1998) eine solche Pflicht noch nicht; erst im Jahr 2004 veröffentlichte die Kommission eine noch vorläufige Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung. Insofern ist die Bezugnahme auf § 16 Abs. 2 UVPG im Planfeststellungsbeschluss (S. 84) missverständlich, denn von der Abschichtungsmöglichkeit konnte mangels Vorliegens von FFH-Gebieten bzw. FFH-Verträglichkeitsprüfungen auf den vorgelagerten Prüfungsstufen kein Gebrauch gemacht werden. Entgegen der Auffassung des Klägers besteht aber keine Pflicht zur erneuten Durchführung eines Linienbestimmungsverfahrens, um eine korridorübergreifende FFH-Verträglichkeitsprüfung sicherzustellen. Hiergegen spricht bereits, dass es dem nationalen Gesetzgeber frei steht, auf ein vorgelagertes Verfahren der Linienbestimmung zu verzichten. Dann ist nicht einzusehen, warum Abweichendes gelten sollte, wenn ein vorgelagertes Linienbestimmungsverfahren zu einer Zeit durchgeführt worden ist, zu der Art. 6 Abs. 3 FFH-RL mangels Listung der betroffenen Gebiete noch nicht anwendbar war (vgl. hierzu bereits Urteil vom 12. März 2008 - BVerwG 9 A 3.06 - BVerwGE 130, 299 Rn. 33 mit näherer Begründung). Den Anforderungen des FFH-Rechts ist allerdings im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens Rechnung zu tragen, d.h. der jeweilige Abschnitt - das Projekt i.S.d. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL - ist mit seinen Auswirkungen auf die von ihm betroffenen FFH-Gebiete in den Blick zu nehmen. Hiervon geht auch der Planfeststellungsbeschluss zutreffend aus, der ausdrücklich darauf hinweist, dass die Alternativenprüfung im Hinblick auf den europäischen Habitatschutz zu erfolgen habe, und der diese Überprüfung auch in dem erforderlichen Umfang durchführt (S. 85 und S. 296 ff.).
Eine Pflicht zur Wiederholung des Raumordnungs- oder Linienbestimmungsverfahrens ergibt sich auch nicht daraus, dass in den sich (süd-)östlich anschließenden Planungsabschnitten VKE 50 und 60 eine Abweichung der Trassenführung von der linienbestimmten Trasse geplant ist. Zum einen betrifft diese Abweichung nicht den planfestgestellten Abschnitt VKE 40.1, sondern spätere Folgeabschnitte, zum anderen ist ein Planfeststellungsbeschluss nicht deshalb rechtswidrig, weil ihm kein Linienbestimmungsverfahren vorangegangen ist oder weil er von der festgelegten Linie abweicht. Umgekehrt lässt sich die Planung Dritten gegenüber nicht allein damit rechtfertigen, dass sie den ministeriellen Vorgaben entspricht. Vielmehr muss die Entscheidung der Planfeststellungsbehörde aus sich heraus den rechtlichen Anforderungen genügen (Urteil vom 12. August 2009 - BVerwG 9 A 64.07 - BVerwGE 134, 308 Rn. 26 m.w.N.). Insofern kann der Auffassung des Prozessbevollmächtigten des Beklagten, der Beklagte sei an die frühere Linienbestimmung "gebunden", so dass der Planfeststellungsbeschluss sich bei der Alternativensuche vollständig auf den vorgegebenen Korridor hätte beschränken dürfen, nicht gefolgt werden. Von diesem eingeschränkten Prüfungsansatz ist der Planfeststellungsbeschluss allerdings - wie soeben ausgeführt - auch nicht ausgegangen. Vielmehr hat er die Alternativenprüfung im Rahmen der Ausnahmeprüfung nach § 34 Abs. 3 BNatSchG ausdrücklich auch auf den vom Kläger bevorzugten Netra-Korridor erstreckt.
Auch die weiteren Anforderungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung werden eingehalten. FFH-Verträglichkeitsprüfungen zur jetzigen Vorzugstrasse, landespflegerischer Begleitplan sowie eine allgemein verständliche Zusammenfassung (§§ 6, 9 UVPG) sind Bestandteil der planfestgestellten Unterlagen.
Damit liegt entgegen der Auffassung des Klägers eine formal ordnungsgemäße Umweltverträglichkeitsprüfung und nicht eine "während des Verfahrens nachgeholte Umweltverträglichkeitsprüfung" vor, so dass hinsichtlich der vom Kläger angeführten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, die betont, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung "vor Erteilung der Genehmigung des Projekts" durchgeführt werden muss (EuGH, Urteil vom 24. November 2011 - Rs. C-404/09 <"Alto Sil"> - NuR 2012, 42 Rn. 93) keine Bedenken bestehen.
II. Der Vorwurf des Klägers, die Planfeststellungsbehörde habe das Umweltministerium im Zusammenhang mit der Herstellung des Benehmens gem. § 17 Abs. 1 BNatSchG nur unvollständig informiert, ihm eine zu kurze Frist gesetzt und zudem zu Unrecht die einzelnen "Maßgaben" der Zustimmungsentscheidung des Ministeriums nicht im Planfeststellungsbeschluss umgesetzt, trifft nicht zu. Da das hessische Landesrecht keine weitergehende Form der Beteiligung vorschreibt (vgl. § 7 Abs. 3 des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Bundesnaturschutzgesetz vom 20. Dezember 2010, GVBl S. 629), musste die Planfeststellungsbehörde lediglich "das Benehmen" mit dem zuständigen Ministerium herstellen, d.h. ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geben (vgl. Urteil vom 29. April 1993 - BVerwG 7 A 2.92 - BVerwGE 92, 258 <262>). Daran, dass dies in ordnungsgemäßer Weise geschehen ist, bestehen nach der eindeutigen Erklärung des Ministeriums (vgl. Anlage B 1 zur Klageerwiderung) keine Zweifel.
Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler von der Rügebefugnis des Klägers umfasst wäre.
B. Der Planfeststellungsbeschluss leidet im Ergebnis auch nicht an materiellen Rechtsfehlern, die zum Erfolg der Klage führen könnten.
I. Der Planfeststellungsbeschluss weist weder in Bezug auf die Planrechtfertigung noch hinsichtlich der Kosten-Nutzen-Analyse oder der Dimensionierung Mängel auf.
Ob das Erfordernis der Planrechtfertigung für ein Vorhaben auf die Klage eines anerkannten Naturschutzvereins hin trotz dessen beschränkter Rügebefugnis zu prüfen ist, kann (weiterhin) offenbleiben (vgl. hierzu Urteil vom 12. März 2008 a.a.O. Rn. 42). Denn die Planrechtfertigung ist für das planfestgestellte Vorhaben gegeben. Es ist im Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen zum Fernstraßenausbaugesetz i.d.F. vom 20. Januar 2005 (BGBl I S. 201) - FStrAbG - als Vorhaben des vordringlichen Bedarfs enthalten und damit gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 FStrAbG gemessen an den Zielsetzungen des § 1 Abs. 1 FStrG vernünftigerweise geboten. Die gesetzliche Feststellung des Bedarfs ist für die Planfeststellung wie auch das gerichtliche Verfahren verbindlich. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit der Bedarfsfeststellung für die A 44 die Grenzen seines gesetzgeberischen Ermessens überschritten hat, sind nicht ersichtlich. Davon wäre nur auszugehen, wenn die Bedarfsfeststellung evident unsachlich wäre, weil es für die Aufnahme des Vorhabens in den Bedarfsplan im Hinblick auf die bestehende oder künftig zu erwartende Verkehrsbelastung oder auf die verkehrliche Erschließung eines zu entwickelnden Raumes an jeglicher Notwendigkeit fehlte oder wenn sich die Verhältnisse seit der Bedarfsentscheidung des Gesetzgebers so grundlegend gewandelt hätten, dass das angestrebte Planungsziel unter keinen Umständen auch nur annähernd erreicht werden könnte (stRspr; vgl. nur Urteil vom 12. März 2008 a.a.O. Rn. 43 - zur A 44 VKE 20).
Davon ist bei der geplanten Autobahn nicht auszugehen. Hiergegen spricht schon die aktuelle Überprüfung des Bedarfsplans für die Bundesfernstraßen vom 11. November 2010, die ergeben hat, dass Anpassungen nicht erforderlich sind. Zwar wurde die Überprüfung aufgrund der Vielzahl der Projekte nicht für Einzelmaßnahmen vorgenommen. Allerdings wurde - der hier vorliegenden Fragestellung entsprechend - untersucht, ob sich die seinerzeit der Bewertung zugrunde gelegten verkehrlichen Rahmenbedingungen so gravierend verändert haben, dass der Projektbedarf grundsätzlich in Frage gestellt werden muss. Dies wurde verneint. Dass sich die Prognosezahlen seit Beginn der Planung Ende der 1990er Jahre (mehrfach) verringert haben, wird im Übrigen im Planfeststellungsbeschluss nicht übersehen, sondern ausdrücklich zugrunde gelegt. Danach belegen auch die geringeren Zahlen einen hinreichenden Verkehrswert der geplanten Bundesautobahn. Zwar gehe die fortgeschriebene Dimensionierungsprognose 2025 von einem nochmals reduzierten Durchgangsverkehr von nunmehr 13 600 Kfz/d von der A 7 in Kassel bis zum Anschluss an die A 4 aus. Dennoch habe das Vorhaben weiterhin eine große Fernverkehrsrelevanz. Diese komme neben dem Durchgangsverkehr auch in dem Fernverkehrsanteil (Fahrten über 50 km) zum Ausdruck, der auf der A 44 zwischen 47 % (westlich Kaufungen) und 88 % (westlich Herleshausen) betrage. Die meisten Streckenabschnitte wiesen einen Fernverkehrsanteil von über 70 % aus. Auch die weiteren Ziele (besondere regionale Erschließungswirkung, Entlastung des vorhandenen Straßennetzes und damit verbunden die Erhöhung der Verkehrssicherheit) blieben erreichbar. Im Prognose-Nullfall 2025 wäre die B 7 im Raum Bischhausen und Oetmannshausen mit ca. 12 900 Kfz/d und die B 27 im Raum Hoheneiche mit ca. 19 300 Kfz/d belastet. Im Planfall 2025 sei für denselben Bereich mit einer Verkehrsabnahme um 89 % auf 1 400 Kfz/d bzw. um 95 % auf 1 000 Kfz/d zu rechnen. Die Verkehrsbelastung für den Streckenabschnitt zwischen der AS Waldkappel und der AS Eschwege im Jahr 2025 werde ca. 28 000 Kfz/d betragen mit einem Schwerverkehrsanteil von ca. 23 % (ca. 6 500 SV/d). Zwischen den Anschlussstellen AS Eschwege und AS Wichmannshausen (VKE 40.2) werde die Verkehrsbelastung ca. 33 000 Kfz/d und der Schwerverkehrsanteil ca. 24 % (ca. 8 000 SV/d) betragen (vgl. im Einzelnen Planfeststellungsbeschluss, S. 116 ff.).
Den Ausführungen in der Klageschrift zur Nutzen-Kosten-Neuberechnung muss vor dem Hintergrund des damit weiterhin gegebenen Bedarfs nicht weiter nachgegangen werden (Urteil vom 18. Juni 1997 - BVerwG 4 C 3.95 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 131 S. 204 f.).
Auch die Kritik des Klägers bezüglich der Dimensionierung des Vorhabens greift nicht durch. Dass hier statt des nach Verkehrsstärke und Straßenfunktion grundsätzlich vorgesehenen Regelquerschnitts RQ 31 aus topographischen und ökologischen Gründen der Sonderquerschnitt SQ 27 vorgesehen ist, ist nicht zu beanstanden. Den vom Kläger favorisierten Regelquerschnitt RQ 26 hat der Beklagte nachvollziehbar aus Sicherheitsgründen - wegen nicht ausreichend breiter Standstreifen für nothaltende LKW und Notfall- und Pannenfahrzeuge - abgelehnt. Zudem hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass auf den Teilabschnitten der A 44, die bereits bestandskräftig planfestgestellt worden sind (VKE 12, 20, 31, 32 und 33), ebenfalls der Sonderquerschnitt SQ 27 verwendet wurde. Auch dies spricht für den gewählten Querschnitt, damit auf den zusammenhängenden Netzabschnitten mit gleichbleibender Verbindungsfunktionsstufe durchgängig derselbe Querschnitt beibehalten wird (vgl. Richtlinien für die Anlage von Autobahnen <RAA> 2008 Nr. 4.3.1 zum Regelquerschnitt).
II. Der Planfeststellungsbeschluss verstößt nicht gegen Vorschriften, die dem Schutz von FFH-Gebieten dienen. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG, mit dem Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL umgesetzt worden ist, sind Projekte vor ihrer Zulassung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Natura 2000-Gebietes zu überprüfen. Sie dürfen nach § 34 Abs. 2 BNatSchG grundsätzlich nur zugelassen werden, wenn die Verträglichkeitsprüfung ergibt, dass das Projekt nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen eines solchen Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann. Abweichend von § 34 Abs. 2 BNatSchG darf ein Projekt nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 BNatSchG zugelassen werden.
Der Planfeststellungsbeschluss, der bezüglich des FFH-Gebiets "Trimberg bei Reichensachsen" eine Verträglichkeit des Autobahnprojekts mit den Erhaltungszielen des Gebiets angenommen hat (1.) und sich hinsichtlich des zweiten FFH-Gebiets "Werra- und Wehretal" wegen der Beeinträchtigung einer Teilfläche eines Lebensraumtyps auf eine Ausnahme stützt (2.), wird diesen Anforderungen gerecht.
1. Der Planfeststellungsbeschluss geht zutreffend von der Verträglichkeit des Vorhabens mit dem FFH-Gebiet "Trimberg bei Reichensachsen" aus. Der Senat kann offen lassen, ob die im Jahre 2008 erlassene Natura 2000-Verordnung des Landes Hessen das FFH-Gebiet zutreffend abgegrenzt hat (a), denn die Verträglichkeitsprüfung hat die nach Auffassung des Klägers zu Unrecht ausgeklammerte Fläche ausdrücklich in die Betrachtung miteinbezogen, so dass sie jedenfalls der Sache nach von einem zutreffenden Gebietsumgriff ausgeht (b). Die Kritik des Klägers, der Planfeststellungsbeschluss habe eine erhebliche Gebietsbeeinträchtigung in Bezug auf verschiedene Erhaltungsziele nicht verneinen dürfen, greift nicht durch; die diesbezüglichen Ausführungen des Planfeststellungsbeschlusses zum Schutz des Kammmolchs (c), der Gelbbauchunke (d), der Bechsteinfledermaus (e) und des Buchenwaldlebensraums LRT 9130 (f) sind nicht zu beanstanden.
a) Die Frage der zutreffenden Gebietsabgrenzung für das FFH-Gebiet "Trimberg bei Reichensachsen" durch die Natura 2000-Verordnung des Landes Hessen kann offen bleiben.
Die Maßstäbe für die Gebietsabgrenzung ergeben sich aus Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Anhang III Phase 1 FFH-RL. Diese Regelung ist nicht nur für die Identifizierung von FFH-Gebieten, sondern auch für deren konkrete Abgrenzung anzuwenden. Maßgebend sind ausschließlich die in Anhang III Phase 1 genannten naturschutzfachlichen Kriterien; Erwägungen, die auf Interessen gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Art abstellen, sind nicht statthaft. Für die Anwendung der Kriterien ist den zuständigen Stellen ein naturschutzfachlicher Beurteilungsspielraum eingeräumt. Zwingend ist eine Gebietsmeldung nur, wenn und soweit die fraglichen Flächen die von der Habitatrichtlinie vorausgesetzte ökologische Qualität zweifelsfrei aufweisen. Gebietsteile, die den Auswahlkriterien zweifelsfrei entsprechen, dürfen nicht ausgespart werden, auch nicht im Hinblick auf ein bestimmtes Vorhaben. Ein sich aufdrängender Korrekturbedarf muss im Planfeststellungsbeschluss berücksichtigt werden. Nach der Entscheidung der EU-Kommission über die Gebietslistung spricht eine tatsächliche Vermutung für die Richtigkeit der Gebietsabgrenzung. Deshalb bedürfen Einwände dagegen einer besonderen Substantiierung; sie müssen geeignet sein, die Vermutung zu widerlegen (Urteile vom 14. April 2010 - BVerwG 9 A 5.08 - BVerwGE 136, 291 Rn. 38 ff. und vom 6. November 2012 - BVerwG 9 A 17.11 - juris Rn. 22 <zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen>).
Ob dies dem Kläger hier gelungen ist, muss der Senat nicht entscheiden. Streit besteht zwischen den Beteiligten über eine Fläche, die aufgrund der im Jahre 2005 erteilten Genehmigung zur Umsiedlung der Kammmolche ausgezäunt worden ist. Der Kläger macht insoweit geltend, diese Fläche - Teil eines alten Bahndammes in der Nähe der Laichgewässer der Kammmolche - hätte wegen ihrer ökologischen Funktion als Landhabitat zwingend in das FFH-Gebiet einbezogen werden müssen. Demgegenüber vertritt der Beklagte die Auffassung, die Kammmolche seien zum fraglichen Zeitpunkt der Gebietsanpassung durch die Natura 2000-Verordnung (2008) bereits in das künstlich angelegte Ersatz-Landhabitat umgesiedelt worden, so dass es an der Erforderlichkeit der Einbeziehung weiterer Flächen gefehlt habe.
b) Auf die Frage der zutreffenden Gebietsabgrenzung kommt es hier deshalb nicht an, weil die FFH-Verträglichkeitsprüfung für das Gebiet "Trimberg bei Reichensachsen" (Unterlage 12.6, Endbericht 3. Februar 2011 S. 15 ff.) die außerhalb des FFH-Gebiets liegende ausgezäunte Fläche "aufgrund der funktionalen Beziehungen" ausdrücklich in die Beurteilung miteinbezogen hat. Die durch den bereits im Sommer 2006 errichteten Sperrzaun ausgezäunte Fläche hat danach eine Größe von rd. 2,9 ha; hinzu kommt ein baubedingter Verlust außerhalb des FFH-Gebiets von 1,2 ha (vgl. Tabelle auf S. 17 in Unterlage 12.6). Ebenso geht der Planfeststellungsbeschluss - wie es der Kläger für richtig hält - von einem Gesamteingriff von 4,1 ha aus, wobei lediglich die Flächenzuordnung etwas anders ausfällt (1 ha durch die noch bevorstehende Flächeninanspruchnahme zzgl. 3,1 ha durch "Flächeninanspruchnahme außerhalb des FFH-Gebietes auf Grundlage der Genehmigung vom 30.12.2005", vgl. Planfeststellungsbeschluss S. 203). Diesem Eingriff von 4,1 ha werden Schadensvermeidungsmaßnahmen im Umfang von 6,1 ha gegenübergestellt.
c) Der Planfeststellungsbeschluss verneint zu Recht eine erhebliche Beeinträchtigung des Kammmolchs.
Als für das Erhaltungsziel maßgebliche Bestandteile des FFH-Gebiets benennt der Planfeststellungsbeschluss in Bezug auf den Kammmolch die Teiche 1 bis 3, 6 und 7 als Laich- und Entwicklungsgewässer, den Landlebensraum im Umfeld dieser Gewässer und die Winterquartiere in Gehölzbeständen und in Form von Steingruben auf Sukzessionsflächen (S. 171). Für die Teiche sei eine Beeinträchtigung ihrer Qualität als Laichgewässer auszuschließen. Zwar komme es durch das Vorhaben zu einer baubedingten Flächeninanspruchnahme von ca. 1 ha strukturreicher Offenlandbereiche von mittlerer Bedeutung und von ca. 0,02 ha (200 qm) Gehölzflächen sehr hoher Bedeutung sowie zur baubedingten Zerschneidung von Landlebensräumen bzw. Wanderbeziehungen auf einer Länge von ca. 120 m am Ostportal des Tunnels Trimberg und auf einer Länge von 180 m im Bereich des Westportals (S. 196 ff.). Die Beeinträchtigungen seien aber nicht erheblich: Die Flächeninanspruchnahme liege unter 1 % der Habitatflächen von überwiegend mittlerer Bedeutung im FFH-Gebiet. Die baubedingte Inanspruchnahme erfolge für die Dauer von bis zu 5 Jahren. Danach stünden die Flächen der Population wieder zur Verfügung. Unabhängig von dieser Bewertung führten auch die von der Vorhabenträgerin geplanten Schutz- und Kompensationsmaßnahmen, die teilweise bereits aufgrund der Genehmigung vom 31. Dezember 2005 ausgeführt und aufgrund des festgelegten Monitorings überprüft worden seien, zu dem Ergebnis der Unerheblichkeit (vgl. im Einzelnen Planfeststellungsbeschluss S. 198 ff.).
Diese Bewertung ist nicht zu beanstanden. Ob ein Projekt ein FFH-Gebiet in seinen für die Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteilen erheblich beeinträchtigen kann, ist anhand seiner Auswirkungen auf den Erhaltungszustand der Gebietsbestandteile zu beurteilen. Maßgebliches Beurteilungskriterium ist der günstige Erhaltungszustand der geschützten Lebensräume und Arten im Sinne der Legaldefinitionen des Art. 1 Buchst. e) und i) FFH-RL; ein günstiger Erhaltungszustand muss trotz Durchführung des Vorhabens stabil bleiben, ein bestehender schlechter Erhaltungszustand darf jedenfalls nicht weiter verschlechtert werden (stRspr, vgl. zuletzt Urteil vom 6. November 2012 - BVerwG 9 A 17.11 - juris Rn. 35 m.w.N. <zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen>; vgl. zum Artenschutz EuGH, Urteil vom 14. Juni 2007 - Rs. C-342/05 - Slg. 2007, I-4713 Rn. 29). Das gemeinschaftsrechtliche Vorsorgeprinzip, das in Art. 6 Abs. 3 FFH-RL seinen Niederschlag gefunden hat (Art. 174 Abs. 2 Satz 2 EGV, vgl. EuGH, Urteil vom 7. September 2004 - Rs. C-127/02 - Slg. 2004, I-7405 Rn. 58), verlangt allerdings nicht, die Verträglichkeitsprüfung auf ein "Nullrisiko" auszurichten, weil hierfür ein wissenschaftlicher Nachweis nie geführt werden könnte. Ein Projekt ist vielmehr dann zulässig, wenn nach Abschluss der Verträglichkeitsprüfung aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel verbleibt, dass erhebliche Beeinträchtigungen vermieden werden (BVerwG, Urteil vom 6. November 2012 a.a.O. m.w.N.; ebenso EuGH, Urteil vom 26. Oktober 2006 - Rs. C-239/04 - Slg. 2006, I-10183 Rn. 20). Um zu einer verlässlichen Beurteilung zu gelangen, muss die Verträglichkeitsprüfung die "besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse" (vgl. EuGH, Urteil vom 7. September 2004 a.a.O. Rn. 54) berücksichtigen und setzt somit die "Ausschöpfung aller wissenschaftlichen Mittel und Quellen" voraus (vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott zu Rs. C-127/02, Slg. 2004, I-7405 Rn. 97; siehe auch BVerwG, Urteil vom 6. November 2012 a.a.O. m.w.N ). Unsicherheiten über Wirkungszusammenhänge, die sich auch bei Ausschöpfung der einschlägigen Erkenntnismittel derzeit nicht ausräumen lassen, müssen freilich kein unüberwindbares Zulassungshindernis darstellen. Insoweit ist es zulässig, mit Prognosewahrscheinlichkeiten und Schätzungen zu arbeiten, die kenntlich gemacht und begründet werden müssen (Urteil vom 17. Januar 2007 - BVerwG 9 A 20.05 - BVerwGE 128, 1 Rn. 64). Zugunsten des Projekts dürfen bei der Verträglichkeitsprüfung die vom Vorhabenträger geplanten oder im Rahmen der Planfeststellung behördlich angeordneten Schutz- und Kompensationsmaßnahmen berücksichtigt werden, sofern sie sicherstellen, dass erhebliche Beeinträchtigungen verhindert werden (stRspr, vgl. zuletzt Urteil vom 6. November 2012 a.a.O. m.w.N).
Hiervon ausgehend durfte der Planfeststellungsbeschluss die vorgezogen durchgeführten Maßnahmen zur Umsiedlung des Kammmolchs als Schadensvermeidungsmaßnahmen berücksichtigen (aa); die vom Kläger in diesem Zusammenhang angeregte Vorlage an den Europäischen Gerichtshof erübrigt sich damit (bb).
aa) Entgegen der Auffassung des Klägers handelt es sich bei den vorgezogen durchgeführten Maßnahmen zur Umsiedlung des Kammmolchs um bereits im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung zu berücksichtigende Schadensvermeidungsmaßnahmen, die eine erhebliche Beeinträchtigung ausschließen (Art. 6 Abs. 3 FFH-RL) und nicht um Maßnahmen zur Sicherung der Kohärenz im Sinne von Art. 6 Abs. 4 FFH-RL.
(1) Der Senat stützt sich bei seiner Bewertung auf den von der Kommission erstellten "Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie 92/43/EWG" von Februar 2007 (im Folgenden: Kommissionsleitfaden Artenschutz). Diese Auslegungshilfe geht gerade für Arten mit einem kleinen Aktionsradius wie dem Kammmolch davon aus, dass derartige Umsiedlungen Schadensvermeidungsmaßnahmen - dort funktionserhaltende Maßnahmen zur Sicherung der kontinuierlichen ökologischen Funktionalität von Fortpflanzungs- und Ruhestätten genannt - sein können, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Dabei kommt es entscheidend auf die funktionelle Verbindung zu einer Fortpflanzungs- oder Ruhestätte sowie darauf an, dass diese nach Durchführung der Maßnahmen mindestens die gleiche (oder eine größere) Ausdehnung und eine gleiche (oder bessere) Qualität für die zu schützende Art hat (Kommissionsleitfaden Artenschutz II.3.4.b) Rn. 53 und II.3.4.d) Rn. 72 ff.). Der Senat stützt sich zudem auf den Endbericht über ein FuE-Vorhaben im Rahmen des Umweltforschungsplanes des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz "Rahmenbedingungen für die Wirksamkeit von Maßnahmen des Artenschutzes bei Infrastrukturvorhaben" aus Juni 2010 (im Folgenden: Endbericht Rahmenbedingungen). Darin werden - zunächst allgemein - dem Kommissionsleitfaden vergleichbare Bedingungen für die Anerkennung vorgezogener Ausgleichsmaßnahmen als Schadensvermeidungsmaßnahmen formuliert (S. 35 ff.); speziell für den Kammmolch wird zudem sowohl die Anlage von Überwinterungsquartieren durch Gesteinsaufschüttungen als auch die Umsiedlung von Kammmolchen durch näher beschriebene Auszäunungsmaßnahmen als vorgezogene Ausgleichsmaßnahme mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit eingestuft, die jeweils durch ein geeignetes Monitoring zu begleiten seien (Endbericht Rahmenbedingungen, Artensteckbrief zum Kammmolch A 196 ff.; bei der Umsiedlung geht es allerdings um eine solche in neu geschaffene oder optimierte ältere Gewässer und nicht - wie im vorliegenden Fall - um eine Umsiedlung allein in neue Landhabitate).
Die neu angelegten Landhabitate erfüllen aufgrund der - sogar verbesserten - räumlichen Nähe zu den unverändert belassenen Laichgewässern und durch ihren Strukturreichtum, der künstlich durch die Anlage von Steingruben, Ruderalfluren, Extensivweiden, Gehölzstreifen, Krautsäumen etc. geschaffen wurde, die in dem Kommissionsleitfaden Artenschutz und dem Endbericht Rahmenbedingungen aufgestellten besonderen Anforderungen (vgl. Kommissionsleitfaden Artenschutz Rn. 74 sowie Endbericht Rahmenbedingungen, Artensteckbrief zum Kammmolch A 196 ff.); ein begleitendes jährliches Monitoring ist ebenfalls vorgesehen. Die der Umsiedlung der Kammmolche vorangegangene Genehmigung vom 30. Dezember 2005 spielt im vorliegenden Zusammenhang keine Rolle, denn sie war ausdrücklich bis zum Erlass des Planfeststellungsbeschlusses befristet, zeitigt also keine Rechtsfolgen mehr. Die Rechtsgrundlage für die Umsiedlungsmaßnahmen stellt nun - wie es aufgrund der Konzentrationswirkung des Planfeststellungsbeschlusses geboten ist - der Planfeststellungsbeschluss selbst dar. Sämtliche vorgezogenen Maßnahmen werden in den planfestgestellten Maßnahmeblättern (vgl. etwa Unterlage 12.0 Maßnahmen A 5.2 bis A 5.6 = Anlage von Steingruben, Ruderalfluren etc. sowie Maßnahme S 5.13 = dauerhafter Amphibienschutzzaun) geregelt; das auf die Ersatzhabitate bezogene Monitoring wird in Auflage A V 2.6 (Planfeststellungsbeschluss S. 39) fortgesetzt.
(2) Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass aufgrund dieser vorgezogenen Maßnahmen zur Schadensvermeidung eine vorhabenbedingte erhebliche Beeinträchtigung der Kammmolchpopulation ausgeschlossen ist.
Die in diesem Zusammenhang erhobene methodische Kritik des Klägers hinsichtlich der Erfassung der Molche bei der Grunddatenerhebung und bei der Erfolgskontrolle greift nicht durch. Die Methode der Bestandsaufnahme ist nicht normativ festgelegt; die Methodenwahl muss aber die für die Verträglichkeitsprüfung allgemein maßgeblichen Standards der "besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse" einhalten. In welchem Umfang und mit welchen Methoden die relevanten Daten erhoben werden, ist in diesem Rahmen eine naturschutzfachliche Frage. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass derartige Untersuchungen die betroffenen Tiere nicht unverhältnismäßig belasten dürfen. Das gilt insbesondere für Untersuchungsmethoden, die die Tiere in ihrer körperlichen Integrität beeinträchtigen können (vgl. Urteil vom 6. November 2012 - BVerwG 9 A 17.11 - juris Rn. 32 <zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen>).
Nach diesen Maßstäben ist das methodische Vorgehen hier nicht zu beanstanden. Die Grunddatenerfassung der Kammmolche erfolgte nach dem Standardprogramm in Hessen (Artleitfaden Hessen-Forst FIV 2006) durch den Einsatz von Reusenfallen. Dabei wurden die inhaltlichen und zeitlichen Vorgaben des Leitfadens eingehalten, die Anzahl der Fallen wurde jedoch erhöht. Da eine frühere Erfassung mit Trichterfallen und Fotodokumentation ergeben hatte, dass ein Wiederfang nur eine untergeordnete Rolle spielte, verzichtete man im vorliegenden Verfahren auf die Wiederfangmethode, berücksichtigte aber zur Vermeidung von Doppelerfassungen zwei näher beschriebene Parameter. Die Abschätzung der Populationsgröße wurde wie folgt vorgenommen: Die höchste Fangzahl je Gewässer innerhalb der Fangperiode eines Jahres diente als Grundlage für die Populationsermittlung. Dabei ging man von einem Anteil von 5 bis 10 % gefangener Tiere aus, je nach Größe des Gewässers und Anzahl der Fallen. Des Weiteren erfolgte 2004 eine Fangzaunkartierung sowie in den Jahren 2005 bis 2008 eine Fangkreuzerfassung der Offenland-Landlebensräume (vgl. genauer zum methodischen Vorgehen Verfahrensakte Ordner 5 Bl. 51 ff. sowie Unterlage 12.6, Verträglichkeitsprüfung für das Gebiet Trimberg, Endbericht 3. Februar 2011 S. 7 ff.). Dieselbe Methodik liegt den jährlichen Erfolgskontrollen der Schadensvermeidungsmaßnahmen zugrunde, wobei die Gutachter zuletzt klargestellt haben, dass es sich bei den abgeleiteten Werten für die Populationsgröße streng genommen um eine Abschätzung des zu einem bestimmten Zeitpunkt im Jahr im Gewässer befindlichen Populationsanteils handele; der Anteil der im Landlebensraum befindlichen Tiere werde mit den Reusen nicht erfasst (vgl. Erfolgskontrolle der Schadensvermeidungsmaßnahmen am Trimberg, Stand: 28. September 2011 <im Folgenden: Erfolgskontrolle 2011>, S. 6 = Verfahrensakte Ordner 8 Bl. 151 R). Zusätzlich zur Reusenerfassung werden zur Kontrolle der Funktionalität der Ersatzhabitate jährlich vier der künstlich angelegten Steingruben mit Fangzäunen versehen, um die abwandernden Tiere abzufangen. Dies dient einer stichprobenartigen Kontrolle der Aktivitätsdichte sowie zur Ableitung von Wanderkorridoren. Des Weiteren werden frei stehende, 20 m lange Fangzäune im Bereich der Sommerlebensräume errichtet, um die Aktivitätsdichte zu beobachten. Auf die in den Jahren 2005 bis 2008 ergänzend durchgeführte Erfassung mittels Amphibienkreuzen wird inzwischen verzichtet, da aus den gewonnenen Daten keine Aussagen zu der Aktivitätsdichte ableitbar war (Erfolgskontrolle 2011, a.a.O. S. 3 ff.; Unterlage 12.6, Verträglichkeitsprüfung für das Gebiet Trimberg, Endbericht 3. Februar 2011 S. 35 ff.).
Die methodische Kritik des Klägers an diesem Vorgehen ist nicht berechtigt. Zwar ist dem Kläger zuzugestehen, dass die Fangzahlen in den Gewässern von einer Vielzahl von Faktoren wie Witterung, Wasserstand, Vegetationsentwicklung, Standort der Fallen etc. beeinflusst wird. Auch kann die genaue Populationsgröße mit der gewählten Methode nicht festgestellt werden. Die Gutachter haben in der mündlichen Verhandlung aber nachvollziehbar erläutert, dass es für die hier vorliegende Fragestellung - Feststellung der Aktivitätsdichte - auf die Ermittlung der exakten Populationsgröße nicht ankam. Schwankungen der Erfassungseffektivität werden durch die lange Zeitreihe kompensiert und lassen jedenfalls Tendenzaussagen zu. Auf die vom Kläger favorisierte deutlich aufwändigere Fang-Wiederfang-Erfassung, bei der zur späteren Wiedererkennung das Bauchmuster der einzelnen Tiere nach einem ersten Fang fotografisch dokumentiert wird, die Tiere invasiv markiert werden oder ein Transponder implantiert werden muss (vgl. Ortmann, Kammmolch-Monitoring-Krefeld, Diss. 2009, S. 83), konnte deshalb verzichtet werden. Hiervon unabhängig kann entgegen der Auffassung des Klägers eine exakte Populationserfassung, die in der Literatur bei Kammmolchen als "kaum möglich" beschrieben wird (vgl. hierzu die Nachweise im Endbericht Rahmenbedingungen, Artensteckbrief zum Kammmolch A 192), selbst mit der Fang-Wiederfang-Methode nach Ortmann nicht sichergestellt werden. Abgesehen davon, dass es sich hierbei schon um keine Standardmethode, sondern um eine aufwändige Untersuchung für eine Doktorarbeit unter Einsatz selbst gebauter Molchreusen handelt, räumt der Verfasser am Ende seiner Arbeit selbstkritisch ein, dass die Erfassungsgenauigkeit nur sehr schwach mit der Erfassungsintensität korreliere. Offensichtlich spielten bislang nicht erforschte Faktoren eine wichtige Rolle; anders seien die auch bei seiner Untersuchung aufgetretenen starken Schwankungen in der Erfassungseffektivität nicht zu erklären (Ortmann, a.a.O. S. 216). Auch Ortmann geht im Übrigen davon aus, dass Unterwassertrichterfallen (Reusen) die bei weitem beste Methode sind, um eine möglichst hohe Zahl an Molchen mit vertretbarem Zeitaufwand zu untersuchen (a.a.O. S. 76); zudem weist er darauf hin, dass mit den herkömmlichen Abschätzmethoden die reale Gesamtpopulationsgröße eher unter- als überschätzt wird (a.a.O. S. 106 und S. 213). Schließlich spricht für die hier gewählte Methode auch, dass die EU-weite Bestandsaufnahme des Kammmolchs den Ausführungen der Gutachter in der mündlichen Verhandlung zufolge nach derselben Methode erfolgt.
Auch das Ergebnis der Gesamtbewertung - keine erhebliche Beeinträchtigung des Kammmolchs - ist nicht zu beanstanden.
Hinsichtlich der Wirksamkeit der vorgezogenen Maßnahmen zur Umsiedlung hat der Kläger - zuletzt in der mündlichen Verhandlung - eingeräumt, dass die angelegten Ersatzlebensräume von einem "gewissen Anteil der Kammmolch-Population" am Trimberg als Winterhabitat genutzt wird. Soweit er den Erfolg der Umsiedlung nicht für gesichert hält, da sich die Anzahl der Kammmolche nicht einmal näherungsweise quantifizieren lasse, kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden; selbst mit der vom Kläger vorgeschlagenen Methode ist eine exakte Bestimmung der Populationsgröße nicht zuverlässig möglich. Die anhand des Erfahrungswissens - so die Gutachter in der mündlichen Verhandlung - vorgenommene Abschätzung der Populationsgröße bzw. des Populationsanteils zeigt jedenfalls, dass weiterhin eine stabile Kammmolchpopulation vorhanden ist. Dies belegen die im Einzelnen in den Erfolgskontrollen dokumentierten Fangzahlen. So wurden etwa im Jahr 2009 bei nur drei Kontrollen in den Laichgewässern 169 adulte Kammmolche und 33 Larven in den Gewässern 1 bis 3 erfasst, im Jahre 2010 waren es 143 adulte Kammmolche und 146 Larven in den Gewässern 1 bis 7 und im Jahr 2011 229 adulte Kammmolche und 51 Larven in den Gewässern 1 bis 7 (vgl. Erfolgskontrolle 2011, a.a.O. S. 12, 19 und 28 f.). Zwar zeigen die Fangzahlen und die daraus abgeleiteten Schätzungen jährlich deutliche Schwankungen nach oben und unten (vgl. Tabelle im Planfeststellungsbeschluss S. 169) und liegen derzeit (Erfolgskontrolle zu Schadensvermeidungsmaßnahmen am Trimberg, Stand Januar 2012, S. 9, vgl. Anlage B 15 zum Schriftsatz des Beklagten vom 7. Februar 2013) mit nur noch 920 Tieren auf dem niedrigsten Stand seit Beginn der Erfassung. Diese Schwankungen dürften aber in erster Linie - wie oben ausgeführt - durch äußere Einflüsse bei der Erfassung wie Witterung, Wasserstand etc. verursacht werden. Darüber hinaus hängen sie, wie im Planfeststellungsbeschluss dargelegt wird (S. 171 f.) und von den Gutachtern in der mündlichen Verhandlung mit überzeugender Begründung bestätigt wurde, mit vorhabenexternen Gründen, insbesondere dem illegalen Fischbesatz in den Laichgewässern zusammen. Dass die neu angelegten Landhabitate (Steingruben mit Gehölzstrukturen) gut angenommen werden, zeigt nach Einschätzung der Gutachter insbesondere die (erhöhte) Zahl der von dort wandernden Tieren sowie die erst viele Jahre nach der Sperrzaunerrichtung ermittelte hohe Reproduktionsrate im Jahr 2011 (3 440 geschätzte Tiere). Gegen eine Überbewertung der Schwankungen spricht im Übrigen, dass es deutliche Schwankungen auch schon vor der Auszäunung gegeben hat (vgl. Planfeststellungsbeschluss S. 169: 1 710 Tiere im Jahr 2003 gegenüber 4 370 im Jahr 2004); insofern ist die Ausgangsthese des Klägers, die Zahlen seien bis einschließlich 2010 rückläufig, nicht zutreffend.
Durch die bereits im Jahre 2006 vorgezogen durchgeführten Maßnahmen wurden im Vergleich zum Gesamteingriff von ca. 4,1 ha neue Lebensräume für den Kammmolch in einem Umfang von ca. 6,1 ha geschaffen. Hinzu kommen die im Planfeststellungsbeschluss (S. 198 ff.) genannten weiteren Maßnahmen, die während und nach den Bauarbeiten geplant sind und sowohl zur Verhinderung von Individuenverlusten (vorübergehende Amphibienschutzzäune) als auch zur Stabilisierung der Population (etwa Anlage eines Umgehungsgerinnes zur Erhöhung der durchschnittlichen Wassertemperatur; verschiedene Maßnahmen zur Optimierung der Habitate) dienen sollen. Entgegen der Auffassung des Klägers erhöhen die Amphibienschutzzäune nicht das Mortalitätsrisiko, weil die Tiere dort verharren oder orientierungslos weiterwandern. Dies wird bereits im Planfeststellungsbeschluss ausgeführt (S. 199) und wurde durch die Gutachter in der mündlichen Verhandlung nachdrücklich bestätigt. Nach Abschluss der Bauarbeiten wird auf den ehemaligen Bauflächen zudem neuer Lebensraum für Amphibien - u.a. den Kammmolch - entwickelt. Vorgesehen sind Sukzessionsflächen mit linearen Gehölzstrukturen und Steingruben im Umfang von insgesamt ca. 2 ha (Planfeststellungsbeschluss S. 200). Schließlich wird an dem jährlichen Monitoring zur Kontrolle der Funktionsfähigkeit der Ersatzhabitate und der Populationsentwicklung bis zum Abschluss der Bauarbeiten festgehalten. Für den Fall des Eintritts unvorhersehbarer Veränderungen der Populationsentwicklung des Kammmolchs ist in Abstimmung mit der oberen Naturschutzbehörde die Anlage neuer Laichgewässer als Auflage festgelegt worden (vgl. Auflage A V 2.6 = Planfeststellungsbeschluss S. 39). Die Formulierung der Nebenbestimmung ist entgegen der Auffassung des Klägers hinreichend bestimmt. Zwar fehlt eine nähere Angabe, worauf sich die jährliche Kontrolle beziehen soll. Angesichts der seit vielen Jahren stattfindenden Erfolgskontrollen kann zur Auslegung aber ohne Weiteres auf S. 200, 2. Absatz, des Planfeststellungsbeschlusses zurückgegriffen werden. Dort werden die Berichte und Stellungnahmen, aus denen sich Einzelheiten zur Wirksamkeit der Erfolgskontrollen ergeben, in Bezug genommen.
bb) Aus dem Vorstehenden folgt, dass der Senat dem Europäischen Gerichtshof nicht - wie vom Kläger angeregt - die Frage zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vorlegen muss, ob im Rahmen einer Prüfung der FFH-Verträglichkeit eines Projekts im Sinne von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL die von einer Projektplanung vorgesehene Durchführung von Maßnahmen zur Schaffung oder Verbesserung von Habitatstrukturen von Arten nach Anhang II bereits auf der Ebene der Bewertung der Verträglichkeit der Auswirkungen berücksichtigt werden darf. Der Kläger geht bei seiner Fragestellung zu Unrecht davon aus, dass im vorliegenden Fall Maßnahmen zur Kohärenzsicherung, die erst im Rahmen einer Ausnahmeprüfung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zu beachten sind, systemwidrig bereits auf der Ebene der Verträglichkeitsprüfung (Art. 6 Abs. 3 FFH-RL) berücksichtigt worden sind. Dies ist jedoch - wie soeben ausgeführt - nicht der Fall.
d) Die Einschätzung des Planfeststellungsbeschlusses, eine erhebliche Beeinträchtigung der Population der Gelbbauchunke - ebenfalls ein Erhaltungsziel im FFH-Gebiet "Trimberg bei Reichensachsen" - könne ausgeschlossen werden, ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
Zwar kommt es durch das Vorhaben zu einer baubedingten Flächeninanspruchnahme von ca. 1 ha potentiell geeigneten Landlebensraums (vgl. genauer Planfeststellungsbeschluss S. 205 f.). Auch insoweit dürfen aber die vorgezogen durchgeführten Kompensationsmaßnahmen für den Kammmolch als Schadensvermeidungsmaßnahmen berücksichtigt werden. Dass diese Maßnahmen aufgrund ihrer Nähe zu den Laichgewässern auch für die Gelbbauchunke wirksam werden, wird im Planfeststellungsbeschluss näher ausgeführt (S. 207); der Kläger stellt dies auch nicht grundsätzlich in Frage. Soweit er - wie schon beim Kammmolch - auch bezüglich der Gelbbauchunke bemängelt, es lägen keine gesicherten Aussagen über die absolute Größe der Population vor, richtigerweise hätte man auch die Gelbbauchunke mit der Fang-Wiederfang-Methode erfassen müssen, kann auf die obenstehenden Ausführungen zum Kammmolch verwiesen werden. Dabei ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass Nachweise der Gelbbauchunke im Rahmen der Grunderfassung sowie bei den jährlichen Erfolgskontrollen auch durch Sichtbeobachtungen und Verhören erbracht wurden; im Übrigen wurde die Gelbbauchunke im Rahmen der oben beschriebenen Methodik zur Erfassung der Kammmolche mitberücksichtigt.
Anders als beim Kammmolch ist bei der Gelbbauchunke allerdings keine stabile Populationsgröße festzustellen. Vielmehr macht der Kläger zu Recht geltend, dass die Anzahl der im Rahmen der Erfolgskontrollen erfassten Individuen trotz der lebensraumverbessernden Maßnahmen stetig zurückgegangen ist. Immerhin konnten allerdings im Jahre 2010 erstmals in größerer Zahl auch juvenile und nicht nur adulte Tiere gefunden werden. Auch zeigte sich im Jahr 2011 eine leichte Bestandserholung, wenngleich auf einem insgesamt sehr niedrigen Niveau (vgl. Erfolgskontrolle der Schadensvermeidungsmaßnahmen am Trimberg, Stand: 28. September 2011, S. 36 = Verfahrensakte Ordner 8 Bl. 166 R). Der Bestandsrückgang ist jedoch nach den plausiblen Ausführungen der Gutachter in der mündlichen Verhandlung nicht auf das Vorhaben, sondern auf den illegalen Fischbesatz in den Gewässern, dem man mit einer Elektrobefischung entgegenzuwirken versucht, sowie insbesondere auf die direkte Nachbarschaft mit dem Kammmolch, der die Larven der Gelbbauchunken frisst, zurückzuführen. Die Rüge des Klägers, eine erhebliche Beeinträchtigung der Gelbbauchunke durch das Vorhaben könne schon deshalb nicht ausgeschlossen werden, weil deren Bestand im nunmehr ausgezäunten, als Habitat geeigneten Bereich nicht erfasst worden sei, kann nicht durchdringen. Der Gutachter des Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass es im ausgezäunten Bereich im Unterschied zum Kammmolch keine Nachweise der Gelbbauchunke gegeben habe, was sich mit dem Umstand decke, dass die Entfernung von dort zu den Teichen für diese nicht wandernden Tiere zu groß wäre. Der Kläger ist diesen überzeugenden Ausführungen nicht substantiiert entgegengetreten.
Den Bedenken des Klägers, dass das bislang in der Auflage A V 2.6 (Planfeststellungsbeschluss S. 39) vorgesehene jährliche Monitoring ausschließlich den Kammmolch und nicht auch die Gelbbauchunke erfasse, hat der Beklagte dadurch Rechnung getragen, dass er den Planfeststellungsbeschluss durch eine weitere Nebenbestimmung "2.7 Risikomanagement Gelbbauchunke" ergänzt hat (Anlage 1 zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13. März 2013).
e) Der Planfeststellungsbeschluss hat die in der Natura 2000-Verordnung nicht als Erhaltungsziel enthaltene Bechsteinfledermaus aufgrund des im Jahr 2010 ermittelten signifikanten Vorkommens der Art vorsorglich in die Verträglichkeitsprüfung einbezogen. Er geht ohne Rechtsfehler davon aus, dass sich das Vorhaben zwar im geringen Maße auf die Flugwege der Bechsteinfledermaus in der Zeit nach der Wochenstubenphase auswirken kann. Da Bechsteinfledermäuse sich bei ihren Flügen stark an Strukturen orientieren und zur Querung von Verkehrsstraßen insbesondere Unterführungen nutzen, können diese Beeinträchtigungen aber durch die für das Große Mausohr vorgesehenen schadensvermeidenden Schutzmaßnahmen (Unterführungsbauwerke sowie begleitende Kollisionsschutz- und Leiteinrichtungen) verhindert werden. Hinsichtlich der Einzelheiten dieses Schutzkonzepts und der hierauf bezogenen Kritik des Klägers wird auf die Ausführungen zu 2.b) verwiesen.
Der Auffassung des Klägers, die Trasse durchschneide zusätzlich zu den Annahmen des Planfeststellungsbeschlusses auch den südlichen Bereich des nachgewiesenen Aktionsraums ("MCP") der Bechsteinfledermaus-Kolonie, da der Bereich des Sengelbachs und weiter östlich der Bereich "Auf dem Sommergehau" als Nahrungsraum genutzt werde, ist nicht zu folgen. Ebenso wenig hat der Planfeststellungsbeschluss betriebsbedingte Störwirkungen auf Nahrungsräume in diesem Bereich übersehen. Die südlich an die Wälder angrenzenden Gehölzstrukturen wurden dem Gutachten des Instituts für Tierökologie und Naturbildung, Fledermauskundliche Untersuchungen, Dezember 2010 (künftig: Fledermausgutachten) zufolge lediglich kurzfristig durch eine besenderte Fledermaus aufgesucht; von einem essentiellen Jagdgebiet kann daher keine Rede sein. Selbst wenn man dies anders sähe, wäre im Übrigen mit der großdimensionierten Unterführung am Sengelbach (LH 13 m/LW 43 m) eine gefahrlose Unterquerung möglich (vgl. Planfeststellungsbeschluss S. 218 sowie Fledermausgutachten S. 101 f.).
f) Die Verträglichkeitsprüfung und ihr folgend der Planfeststellungsbeschluss haben die vorhabenbedingten Auswirkungen durch Stickstoffdepositionen nach dem Konzept der sog. Critical Loads (abgekürzt: CL) bewertet. Die Kritik des Klägers, die Prüfung der erheblichen Beeinträchtigung des Lebensraumtyps Waldmeister-Buchenwald (LRT 9130) durch Stickstoffeinträge sei fehlerhaft erfolgt, greift im Ergebnis nicht durch. Dabei kann der Senat offen lassen, ob das dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde gelegte methodische Konzept (sog. modellierte CL) in jeder Hinsicht bedenkenfrei ist (aa), denn eine erhebliche Belastung des hier konkret in Rede stehenden LRT 9130 kann schon auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung zu empirischen CL zuverlässig ausgeschlossen werden (bb). Angesichts dessen erübrigt sich die vom Kläger angeregte Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (cc).
aa) Critical Loads (CL) sollen naturwissenschaftlich begründete Belastungsgrenzen für Vegetationstypen oder andere Schutzgüter umschreiben, bei deren Einhaltung eine Luftschadstoffdeposition auch langfristig keine signifikant schädlichen Effekte erwarten lässt. Um CL zu ermitteln, werden unterschiedliche methodische Ansätze verfolgt (empirische und modellierte CL). Als empirische CL werden die im sog. ICP-Manual veröffentlichten Arbeiten der Arbeitsgruppe Bobbink bezeichnet, die auf Erfahrungen und Felduntersuchungen beruhen. Sie benennen für 25 repräsentative europäische Vegetationstypen Spannbreiten der CL für eutrophierenden Stickstoffeintrag. Die empirischen CL werden auch als "Berner Liste" bezeichnet, da sie im Jahre 2002 in Bern im Rahmen eines Experten-Workshops beraten und angenommen wurden. Die Liste beruht auf einer vergleichsweise dünnen Datenbasis empirischer Untersuchungen; den Wissenslücken wird durch die Einstufung der CL in drei "Zuverlässigkeits-Klassen" Rechnung getragen. 2010 wurde in Noordwijkerhout (Niederlande) ein weiterer Experten-Workshop durchgeführt; die dort revidierte "Berner Liste" spiegelt den gegenwärtigen Erkenntnisstand in Bezug auf empirische CL wider. Demgegenüber werden modellierte CL aufgrund eines komplexen Rechenwerks standortbezogen ermittelt (vgl. zum Vorstehenden Planfeststellungsbeschluss S. 139 f.).
Das hier zugrunde gelegte Konzept geht von folgenden Prüfungsschritten aus: Zunächst wurde die Einhaltung der empirischen CL geprüft. Soweit für Lebensraumtypen keine empirischen CL vorlagen - etwa im Falle des prioritären Lebensraumtyps 91 E0 (Auenwälder mit Alnus glutinosa und Fraxinus excelsior) - oder der empirische CL in einer Größenordnung von über 3 % bzw. der Wert von 0,30 kg N/ha/a für den niedrigsten empirischen CL von 10 kg N/ha/a durch die vorhabenbezogene Zusatzbelastung überschritten wurde, erfolgte eine vertiefende Prüfung der Planungsauswirkungen auf der Grundlage der standortspezifisch modellierten (dynamischen) CL. Die Modellierung erfolgte durch die Ö. GmbH auf der Grundlage des BERN-Modells in Verbindung mit dem DECOMP-Modell (vgl. genauer Fachgutachten zur Ermittlung der Irrelevanzschwelle als Teil der Bewertung der FFH-Verträglichkeit bei Stickstoffdepositionen, bezogen auf die FFH-Gebiete "Trimberg bei Reichensachsen" und "Werra- und Wehretal", September 2011, S. 5 ff.). Die Grundlage für die Ermittlung der Hintergrundbelastung bildete der im Internet verfügbare Datensatz des Umweltbundesamtes für das Jahr 2007. Die konkrete Hintergrundbelastung im Prognosenullfall und im Planungsfall 2025 wurde - ebenfalls durch die Ö. GmbH - auf der Grundlage des sog. MFR-Szenariums (Most Feasible Reduction) ermittelt. Dieses Szenarium berücksichtigt bei der zukünftigen Emissionsentwicklung die gegenwärtig vorhandenen technischen Reduzierungsmöglichkeiten der Stickstoffemissionen (z.B. Anwendung des aktuell besten technischen Standards bei der Abluftfilterung). Bezüglich der Beurteilung der Erheblichkeit der Beeinträchtigung folgt die Planfeststellungsbehörde der Einschätzung der Fachgutachter hinsichtlich der Annahme einer 3 %-Irrelevanzschwelle eines CL; nach gesicherter fachwissenschaftlicher Einschätzung seien Zusatzbelastungen in dieser Größenordnung nicht in der Lage, signifikante Veränderungen des Ist-Zustandes auszulösen oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes signifikant einzuschränken (Planfeststellungsbeschluss S. 139 ff.).
Für den hier in Rede stehenden LRT 9130 wurde ein Stickstoffeintrag von 0,30 kg N/ha/a ermittelt, d.h. die 3 %-Schwelle von 0,30 kg N/ha/a für den niedrigsten empirischen CL von 10 kg N/ha/a wurde erreicht, aber nicht überschritten. Dennoch wurde vorsorglich ein standortspezifischer CL in Höhe von 17,9 kg N/ha/a berechnet. Als Hintergrundbelastung 2007 wurde ein Wert von 21,3 kg N/ha/a (modellierte Hintergrundbelastung für den Planfall 2025: 18,4 kg N/ha/a) angenommen. Der Anteil der vorhabenbedingten Zusatzdeposition wurde mit nur 1,2 % des CL als vernachlässigbar gering eingestuft (Planfeststellungsbeschluss S. 186 f.).
Der Senat hält die vorstehend beschriebene Modellierung von standortspezifischen CL im Ansatz für schlüssig und nachvollziehbar. Das Bemühen um eine standortbezogene Präzisierung innerhalb der recht weiten Spanne empirischer CL auf einer größeren und genaueren Datenbasis leuchtet im Prinzip ebenso ein wie die Herleitung von CL für solche Lebensraumtypen, für die ein empirischer CL nicht vorliegt. Ebenso hält der Senat im Grundsatz die Berücksichtigung solcher Entlastungen im Rahmen der Prüfung der Hintergrundbelastung für überzeugend, die - etwa aufgrund bestehender gesetzlicher Vorgaben - gesichert zu erwarten sind. Allerdings handelt es sich bei dem zugrunde gelegten Konzept sogenannter modellierter/dynamischer CL des Unternehmens Ö. GmbH nach den Erkenntnissen des Senats noch nicht um eine Standard-Methode. Vielmehr steht eine breite wissenschaftliche Diskussion über die Belastbarkeit der Ergebnisse noch aus (ebenso Balla/Müller-Pfannenstiehl/Lüttmann/Uhl, NuR 2010, 616 <621>). Von daher ist zweifelhaft, ob sich der Planfeststellungsbeschluss tragend auf diese Methode stützen kann.
bb) Darauf kommt es allerdings nicht an, weil eine erhebliche Belastung des hier in Rede stehenden LRT 9130 schon auf der Grundlage empirischer CL zuverlässig ausgeschlossen werden kann. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Bewertung von Stickstoffdepositionen nach dem Konzept der empirischen CL bereits in früheren Entscheidungen gebilligt (Urteile vom 12. März 2008 - BVerwG 9 A 3.06 - BVerwGE 130, 299 Rn. 109, vom 14. April 2010 - BVerwG 9 A 5.08 - BVerwGE 136, 291 Rn. 87 und vom 29. September 2011 - BVerwG 7 C 21.09 - Buchholz 406.254 URG Nr. 4 Rn. 41); auch der Kläger wendet gegen diese Methode der Ermittlung von CL nichts ein. Ebenfalls hat der Senat bereits anerkannt, dass es nach neuestem wissenschaftlichen Erkenntnisstand eine Irrelevanzschwelle gibt; erst oberhalb dieser Schwelle ist die Zunahme der Stickstoffbelastung, zumal gegenüber einer ohnehin schon hohen Vorbelastung, als signifikant verändernd einzustufen (Urteil vom 6. November 2012 - BVerwG 9 A 17.11 - juris Rn. 62 und 93 <zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen>; ebenso OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 8 D 58/08 - NuR 2012, 342 = juris Rn. 602 f. und 732).
An dieser Einschätzung hält der Senat im vorliegenden Verfahren fest. Auch hier überschreitet die derzeitige Vorbelastung den niedrigsten empirischen CL-Wert deutlich. Dieser Wert liegt für sämtliche Buchenwald-Lebensraumtypen bei 10 kg N/ha/a, wobei die Spanne bis 20 kg N/ha/a reicht. Dabei berücksichtigt der Senat, dass die Zugrundelegung des Wertes 10 kg N/ha/a innerhalb der für alle europäischen Vegetationstypen geltenden Spannbreite schon einen erheblichen Sicherheitspuffer einschließt, zumal nach den überzeugenden Ausführungen der Gutachter des Beklagten wegen der regionalen Verhältnisse (hohe Niederschlagsmenge) ein Ansatz im oberen Bereich der Spannbreite des CL gerechtfertigt gewesen wäre. Die vorhabenbedingte Zusatzbelastung liegt hier bei genau 0,30 kg N/ha/a. Nach den Ausführungen der Gutachter in der mündlichen Verhandlung kann ausgeschlossen werden, dass es bei einer derart geringen Zusatzbelastung zu einer auch nur messbaren zusätzlichen Beeinträchtigung des LRT 9130 kommt (vgl. auch Balla/Müller-Pfannenstiehl/Lüttmann/Uhl, a.a.O. <623> "nicht mehr mit vertretbarer Genauigkeit berechenbar und von der Hintergrundbelastung abgrenzbar").
cc) Schon deshalb musste die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob die Bewertung der FFH-Verträglichkeit eines Projekts ausschließlich an wissenschaftlichen Kriterien ausgerichtet sein muss oder ob sie Verhältnismäßigkeitserwägungen einbeziehen darf, nicht dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt werden. Aus demselben Grund muss der Senat sich nicht näher mit dem in der mündlichen Verhandlung in englischer Sprache überreichten Auszug aus "Nitrogen Deposition and Natura 2000" - einer Zusammenfassung der Ergebnisse eines Workshops, der im Mai 2009 in Brüssel stattfand - befassen, der nach Auffassung des Klägers belegen soll, dass es für Irrelevanzschwellen ("de minimis criteria") keine wissenschaftlichen - wohl besser: keine naturfachlichen ("in the absence of any sound ecological justification") -, sondern allein politische Gründe geben kann.
Soweit der Kläger im Zusammenhang mit der von ihm angeregten Vorlage an den Europäischen Gerichtshof ergänzend darauf hinweist, dass die Irrelevanzschwelle insbesondere beim Zusammentreffen mit weiteren Projekten zu Problemen führt, ist dies allerdings nicht von der Hand zu weisen. Überschreitet schon die Vorbelastung eines Natura 2000-Gebiets mit Schadstoffen die durch CL markierte Erheblichkeitsschwelle des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL, so sind zur Beurteilung der Frage, ob Zusatzbelastungen des Gebiets durch ein zur Genehmigung gestelltes Projekt ausnahmsweise irrelevant und damit gebietsverträglich sind, neben den Auswirkungen dieses Projekts summativ auch diejenigen anderer bereits hinreichend verfestigter Projekte zu berücksichtigen (Beschluss vom 5. September 2012 - BVerwG 7 B 24.12 - NuR 2012, 784 Rn. 12). Für den vorliegenden Fall sind die hiermit verbundenen Fragen jedoch nicht entscheidungserheblich. Der Planfeststellungsbeschluss hat - wie es rechtlich geboten ist - für beide FFH-Gebiete untersucht, ob kumulativ zu prüfende andere Projekte zu einer erheblichen Beeinträchtigung führen (Planfeststellungsbeschluss S. 221 ff. und S. 281 f.); im Schriftsatz vom 25. Februar 2013 hat der Beklagte ergänzend klargestellt, dass sich die durchgeführte Kumulationsprüfung auch auf die Stickstoffbelastung von Lebensraumtypen erstreckt habe. Der Kläger ist dem nicht entgegengetreten.
2. Hinsichtlich des weiteren FFH-Gebiets "Werra- und Wehretal" geht der Planfeststellungsbeschluss in Bezug auf den LRT 9110 (a) zutreffend von einer erheblichen Beeinträchtigung einer Teilfläche im Umfang von 1,03 ha infolge von Flächenverlust und Stickstoffeintrag aus (aa), eine erhebliche Gebietsbeeinträchtigung infolge einer Beeinträchtigung der charakteristischen Arten wird hingegen zu Recht verneint (bb). Auch die Ausführungen zum Großen Mausohr und zur Bechsteinfledermaus (b) sind nicht zu beanstanden. Soweit der Planfeststellungsbeschluss eine erhebliche Beeinträchtigung einer Teilfläche des LRT 9110 angenommen hat, durfte er sich auf eine Ausnahme stützen (c).
a) Die Annahmen des Planfeststellungsbeschlusses in Bezug auf den LRT 9110 (Hainsimsen-Buchenwald) sind insgesamt nicht zu beanstanden.
aa) Bezüglich einer Teilfläche des LRT 9110 von insgesamt 1,03 ha geht der Planfeststellungsbeschluss zu Recht von einer erheblichen Beeinträchtigung aus, und zwar im Umfang von 0,55 ha infolge einer Flächeninanspruchnahme sowie im Umfang von 0,48 ha infolge vorhabenbedingter Stickstoffdepositionen (1). Die Kritik des Klägers, zusätzlich hätten die Auswirkungen aufgrund des Waldrandanschnitts als erheblich bewertet werden müssen, greift nicht durch (2).
(1) Am Lerchenberg (nördliches Tunnelportal "Spitzenberg") ist eine Teilfläche des LRT 9110 durch anlagebedingte (0,52 ha) und baubedingte (0,03 ha durch einen 5 m breiten Baustreifen) Flächeninanspruchnahme sowie durch vorhabenbedingte Stickstoffdeposition (0,48 ha) betroffen. Hinsichtlich der letztgenannten Annahme kommt es auch hier - ebenso wie bereits beim LRT 9130 im FFH-Gebiet "Trimberg bei Reichensachsen" - nicht auf die Einzelheiten des zugrunde gelegten Konzepts modellierter CL an; das Projekt ist sowohl bei Anwendung der vom Kläger grundsätzlich akzeptierten empirischen CL (niedrigster Wert 10 kg N/ha/a) als auch bei Zugrundelegung der vorhabenbezogen ermittelten modellierten CL (hier: 16,4 kg N/ha/a) in dem genannten Umfang unverträglich.
Die beschriebenen Flächenverluste und -beeinträchtigungen hat der Planfeststellungsbeschluss aufgrund der für eine mögliche Regeneration notwendigen langen Zeiträume zu Recht - unter Bezugnahme auf die Bagatellschwellen in der Fachkonvention von Lambrecht/Trautner (Fachinformationssystem und Fachkonvention zur Bestimmung der Erheblichkeit im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung von Lambrecht und Trautner, Schlussstand 2007) - als erheblich bewertet. Ob die Beeinträchtigungen durch Schadensvermeidungsmaßnahmen - insbesondere durch die geplante Gebietserweiterung im Umfang von insgesamt 3,34 ha am Schlierbachswald - hätten ausgeglichen werden können, kann offen bleiben, denn der Planfeststellungsbeschluss hat dies vorsorglich verneint und die Maßnahme als bloße Kohärenzsicherungsmaßnahme bewertet (Planfeststellungsbeschluss S. 252 ff. mit näherer Begründung).
(2) Ebenfalls zutreffend hat der Planfeststellungsbeschluss die Auswirkungen aufgrund des Waldrandanschnitts bewertet. Insoweit geht er ohne Rechtsfehler davon aus, dass auf der bereits durch vorhabenbezogene Stickstoffdepositionen betroffenen Fläche von 0,48 ha zusätzliche Beeinträchtigungen durch erforderliche Rodungsmaßnahmen im Umfang von 0,38 ha entstehen, die allerdings nicht erheblich ins Gewicht fallen (Planfeststellungsbeschluss S. 246, 252, 254).
Die - ausgehend von einer konkret festgestellten Windwurffläche im Bereich der A 44 VKE 12 - geäußerte Kritik des Klägers, der Planfeststellungsbeschluss habe die Auswirkungen von Waldrandanschnitten grundsätzlich nur unzureichend in die Prüfung eingestellt, und sehe für den Fall von Sturmschäden keinerlei Risikomanagement vor, greift nicht durch. Die Problematik des Waldrandanschnitts wird im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung durchaus erkannt. Anders als in der Literatur teilweise vertreten - hier reicht die Wirktiefe je nach Autor von 50 bis 100 m - haben die Gutachter die Frage der anzunehmenden Reichweite solch eines Waldrandanschnitts hier aber nicht abstrakt beantwortet. Vielmehr haben sie die besonders empfindlichen Buchenwaldlebensraumtypen LRT 9110, 9130 und 9150 einer Einzelfallprüfung unterzogen und die Auswirkungen des Waldrandanschnitts jeweils in Abhängigkeit vom Waldtyp und der Exposition des Anschnittes bewertet (FFH-Verträglichkeitsprüfung für das Gebiet "Werra- und Wehretal" = Unterlage 12.5 S. 60, 159, Planfeststellungsbeschluss S. 147 f.). Die Bewertung der Erheblichkeit wurde - ebenso wie bei den Auswirkungen durch Stickstoffeinträge - anhand der Bagatellflächen-Vorschläge für den direkten Flächenverlust in der Konvention von Lambrecht/Trautner vorgenommen. Dagegen ist methodisch nichts zu erinnern.
Auch die konkrete Bewertung des Waldrandanschnittes weist keine Fehler auf. Insoweit wurde eine Wirktiefe der mit dem Waldrandanschnitt einhergehenden Waldrandeffekte bis zu maximal 50 m in den Bestand angenommen. Weitergehende Wirkungen wurden von den Fachgutachtern verneint, da es sich hier um einen westexponierten Waldrandanschnitt mit vergleichsweise geringer Sonneneinstrahlung handelt (Planfeststellungsbeschluss S. 246). Auch das überzeugt. Hinsichtlich der Schadensvermeidungsmaßnahmen führt der Planfeststellungsbeschluss (S. 252) nachvollziehbar aus, dass negative Standortveränderungen im Bereich des Waldrandanschnitts durch die geplante Waldrandunterpflanzung (Maßnahme M 10 - Anlage eines bis zu 10 m breiten Waldrandes, vgl. Unterlage 12.0 Maßnahmenblatt A 6.11) vermindert werden. Besondere Maßnahmen zum Risikomanagement waren daher nicht erforderlich.
bb) Eine erhebliche Beeinträchtigung des LRT 9110 in Bezug auf die charakteristischen Arten Schwarzspecht und Grauspecht hat der Planfeststellungsbeschluss ebenfalls zu Recht verneint.
Für die Verträglichkeitsprüfung sind auch die in den einschlägigen Lebensraumtypen vorkommenden charakteristischen Arten maßgeblich (Art. 1 Buchst. e) FFH-RL). Der Planfeststellungsbeschluss behandelt Schwarz- und Grauspecht als charakteristische Arten der Buchenwaldlebensräume. Diese Auswahl ist nicht zu beanstanden (1), ebenso wenig der zugrunde gelegte Prüfungsmaßstab und das methodische Vorgehen (2) sowie die konkrete Prüfung der erheblichen Beeinträchtigung der beiden Spechtarten (3). Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zur Klärung des genauen Bezugspunktes beim Schutz charakteristischer Arten erübrigt sich damit.
(1) Entgegen der Auffassung des Klägers durfte der Beklagte sich hinsichtlich der Buchenwaldlebensräume LRT 9110, 9130 und 9150 auf den Schwarz- und Grauspecht als charakteristische Arten beschränken.
Charakteristische Arten sind solche Pflanzen- und Tierarten, anhand derer die konkrete Ausprägung eines Lebensraums und dessen günstiger Erhaltungszustand in einem konkreten Gebiet und nicht nur ein Lebensraumtyp im Allgemeinen gekennzeichnet wird. Es sind deshalb diejenigen Arten auszuwählen, die einen deutlichen Vorkommensschwerpunkt im jeweiligen Lebensraumtyp aufweisen bzw. bei denen die Erhaltung der Populationen unmittelbar an den Erhalt des jeweiligen Lebensraumtyps gebunden ist und die zugleich eine Indikatorfunktion für potenzielle Auswirkungen des Vorhabens auf den Lebensraumtyp besitzen (Urteile vom 12. März 2008 - BVerwG 9 A 3.06 - BVerwGE 130, 299 Rn. 79, vom 14. April 2010 - BVerwG 9 A 5.08 - BVerwGE 136, 291 Rn. 55 und vom 6. November 2012 - BVerwG 9 A 17.11 - juris Rn. 52 <zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen>).
Danach behandelt der Planfeststellungsbeschluss zu Recht die beiden Spechtarten als charakteristische Arten der hier als Erhaltungsziel ausgewiesenen Buchenwaldlebensräume. Denn sie sind repräsentativ für Buchenwälder, befinden sich in einem günstigen Erhaltungszustand und sind durch Höhlenbau maßgeblich an der Gestaltung des Lebensraums beteiligt; an ihnen lässt sich die Empfindlichkeit der Lebensraumtypen für die vom Vorhaben ausgehenden Wirkprozesse dokumentieren. Demgegenüber verfängt der Verweis des Klägers auf weitere charakteristische Tierarten, die im BfN-Handbuch (Das europäische Schutzgebietssystem Natura 2000, BfN-Handbuch zur Umsetzung der Fauna Flora Habitat Richtlinie und der Vogelschutzrichtlinie, 1998) oder im Standardwerk von Flade (Die Brutvogelgemeinschaften Mittel- und Norddeutschlands, 1994) zu den jeweiligen Lebensraumtypen genannt werden, nicht, weil weder das Handbuch noch sonstige Standardwerke die konkrete Ausprägung eines Lebensraumtyps in einem konkreten Gebiet berücksichtigen können. Die weiteren vom Kläger benannten Vogelarten können aufgrund ihrer zum Teil niedrigeren, zum Teil weniger spezifischen Lebensraumansprüche keine zusätzlichen lebensraumtypischen Erkenntnisse beitragen. Gleiches gilt für die vom Kläger genannten Pilzarten, Landschnecken und Nachtfalter.
(2) Der Planfeststellungsbeschluss hat auch - jedenfalls im Ergebnis - einen zutreffenden Prüfungsmaßstab zugrunde gelegt, indem er untersucht hat, ob der Erhaltungszustand der charakteristischen Spechtarten innerhalb des FFH-Gebiets, und zwar unter besonderer Berücksichtigung der Buchenwald-Lebensraumtypen günstig bleibt. Die methodische Kritik des Klägers führt nicht auf einen Fehler.
Nach Art. 1 Buchst. e) FFH-RL wird der Erhaltungszustand eines natürlichen Lebensraums u.a. als günstig erachtet, wenn "der Erhaltungszustand der für ihn charakteristischen Arten im Sinne des Buchstabens i) günstig ist." Der Planfeststellungsbeschluss (S. 150 f.) bewertet die Auswirkungen auf die charakteristischen Spechtarten unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Senatsurteil vom 12. März 2008 (a.a.O. Rn. 132). Danach führen Verluste von Habitatflächen nicht ohne Weiteres zu einer Verschlechterung des Erhaltungszustandes. Maßgeblich ist, ob die Stabilität der Population erhalten bleibt. Das ist der Fall, wenn eine Population für ihren dauerhaften Bestand auf die bisherige Quantität und Qualität der verlorengehenden Fläche nicht angewiesen ist oder auf andere Flächen ausweichen kann (ebenso Urteil vom 24. November 2011 - BVerwG 9 A 23.10 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 219 Rn. 40). Dem Kläger ist zuzugeben, dass die Berufung auf die genannte Rechtsprechung im vorliegenden Zusammenhang missverständlich ist, denn sie betrifft den Verlust von Habitatflächen geschützter Arten, nicht aber den Flächenverlust für charakteristische Arten als "Zeigerarten" bestimmter Lebensraumtypen, um den es hier geht. Der Sache nach hat der Planfeststellungsbeschluss allerdings zutreffend untersucht, ob der Erhaltungszustand der Spechtarten gerade in den Lebensraumtypen, für die sie charakteristisch sind, günstig bleibt (s. unten (3)), so dass sich ein etwaiges Missverständnis hinsichtlich des Bezugspunktes der Prüfung jedenfalls im Ergebnis nicht ausgewirkt hat.
Auch soweit der Planfeststellungsbeschluss annimmt, die Fachkonvention von Lambrecht/Trautner (Fachinformationssystem und Fachkonvention zur Bestimmung der Erheblichkeit im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung von Lambrecht und Trautner, Schlussstand 2007) habe nicht zugrunde gelegt werden müssen, da sie nur Bagatellschwellen für unmittelbare Auswirkungen durch Flächeninanspruchnahme, nicht aber für mittelbare Beeinträchtigungen durch Lärm enthalte (Planfeststellungsbeschluss S. 152), kann dem nicht gefolgt werden. Denn die Fachkonvention enthält im Kapitel H (S. 83) durchaus "Hinweise zur etwaigen Anwendung der Fachkonventionsvorschläge bei graduellen Funktionsverlusten". Danach kann die Fachkonvention jedenfalls dann angewendet werden, wenn die jeweilige Intensität des Wirkfaktors - wie etwa bei Lärm - skaliert werden kann. Es ist allerdings auch insoweit nicht erkennbar, dass sich die Nichtanwendung der Konvention im Ergebnis ausgewirkt haben könnte. Denn der Planfeststellungsbeschluss hat den graduellen Funktionsverlust des Gebiets durch Verlärmung nicht ungeprüft gelassen. Vielmehr hat er die betriebsbedingten Auswirkungen anhand der Arbeitshilfe Vögel und Straßenverkehr, herausgegeben vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Ausgabe 2010, Ergebnis des Forschungs- und Entwicklungsvorhabens FE 02.286/2007 LRB, bearbeitet von A. Garniel und Dr. U. Mierwald (künftig: Arbeitshilfe Vögel und Straßenverkehr) ermittelt und im Rahmen der Erheblichkeitsprüfung bewertet (Planfeststellungsbeschluss S. 185).
(3) Der Planfeststellungsbeschluss geht im Ergebnis zutreffend davon aus, dass das Vorhaben für die Spechte, die gemäß Roter Liste des Werra-Meißner-Kreises in der Region aktuell als ungefährdet eingestuft sind (vgl. Planfeststellungsbeschluss S. 251), allenfalls zu einer Verschiebung der genutzten Aktionsräume führen wird, sie aber in den Buchenwald-Lebensräumen, für die sie charakteristisch sind, ausreichend Lebensraum haben, so dass ihr Erhaltungszustand günstig bleibt.
Bereits die Kartierungen der Spechte in dem genannten Gebiet führten zu keinen eindeutigen Ergebnissen. Im Jahr 2005 wurde ein Revier des Schwarzspechtes am südlichen Tunnelportal "Spitzenberg" nachgewiesen, im Jahr 2008 wurde ein Höhlenzentrum im Bereich der Einschnittsböschung am Lerchenberg (nördliches Tunnelportal "Spitzenberg") kartiert, das jedoch keiner bestimmten Spechtart zugeordnet werden konnte. Im Jahr 2010 wurde das Revier des Schwarzspechtes nicht mehr nachgewiesen. Seine Existenz wurde aber für die Prüfung der Beeinträchtigung der charakteristischen Arten vorsorglich als aktuelles Vorkommen unterstellt. Im Jahr 2010 wurde ein neues Revier des Grauspechtes am Spitzenberg - hier im Bereich einer als LRT 9130 und LRT 9150 kartierten Fläche - erfasst (Planfeststellungsbeschluss S. 248 f.).
Anlage- und baubedingt gehen im Bereich des Lerchenberges sowie im Bereich der Einschnittsböschungen nördlich des Spitzenbergtunnels Habitate des Schwarzspechtes und des Grauspechtes bzw. Teile eines Höhlenzentrums im Umfang von 2,4 ha verloren. Insoweit ist auch die Fläche des LRT 9110 (0,55 ha) betroffen, da das Höhlenzentrum in den Bereich des LRT 9110 hineinragt. In diesem Bereich konnte allerdings noch kein Schwarz- bzw. Grauspecht nachgewiesen werden (Planfeststellungsbeschluss S. 249). Im Übrigen wurde wegen dieses Flächenverlustes im Umfang von 0,55 ha des LRT 9110 ohnehin eine erhebliche Beeinträchtigung angenommen, für die sich der Beklagte auf eine Ausnahme stützt (s.o.).
Hinzu kommen betriebsbedingte Auswirkungen durch Lärm, die nach der Arbeitshilfe Vögel und Straßenverkehr bewertet wurden. Danach befinden sich die betroffenen Reviere beider Spechtarten innerhalb der Effektdistanzen von 300 bzw. 400 m. Das betroffene Revier des Schwarzspechts im Bereich des Spitzenberges befindet sich in einem Abstand von ca. 250 m zur bestehenden B 27 und von ca. 120 m zur geplanten Trasse und damit innerhalb der Effektdistanz von 300 m; es ist damit also bereits jetzt nicht unwesentlich durch Lärm vorbelastet. Aufgrund der Größe der Schwarzspechtreviere von 250 bis 400 ha lassen sich zumindest randliche Störungen des Vorkommens nicht sicher ausschließen. Das betroffene Revier des Grauspechts, das 2010 im Bereich des Spitzenberges nachgewiesen wurde, liegt in ca. 380 m Entfernung zur Trasse und damit ebenfalls noch innerhalb der kritischen Effektdistanz von 400 m. Hierdurch und aufgrund der Größe des Reviers von ca. 200 ha können auch hier vorhabenbedingte Störungen im Randbereich des Reviers nicht ausgeschlossen werden (Planfeststellungsbeschluss S. 250).
Die beschriebenen Beeinträchtigungen sind aber nicht erheblich. Die Fachgutachter haben sowohl in der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung (FFH-Verträglichkeitsprüfung für das Gebiet "Werra- und Wehretal") als auch in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar ausgeführt, dass aufgrund der Größe der Reviere des Schwarzspechtes von ca. 250 bis 400 ha und des Grauspechtes von ca. 200 ha sowie in Anbetracht der lediglich randlichen Betroffenheit der Reviere eine erhebliche Beeinträchtigung der beiden Arten ausgeschlossen werden kann. Denn es bestehen genügend Ausweichmöglichkeiten in die angrenzenden Waldbestände im FFH-Gebiet, die ebenfalls durch Buchenwaldlebensräume geprägt sind. Gerade der hier in Rede stehende LRT 9110 ist der am häufigsten vertretene Lebensraumtyp im FFH-Gebiet "Werra- und Wehretal"; das Gesamtareal dieses Lebensraumtyps beläuft sich auf rund 4 360 ha. Das Vorhaben wird deshalb allenfalls zu einer Verschiebung der genutzten Aktionsräume von einer regelmäßigen zu einer fakultativen Nutzung, nicht jedoch zu einer vollständigen Aufgabe der Reviere in diesem Lebensraumtyp führen (vgl. Planfeststellungsbeschluss S. 251 sowie S. 236 f.). Den Spechtarten wird danach ein ausreichend großer Lebensraum verbleiben, der langfristig ihren günstigen Erhaltungszustand im FFH-Gebiet in den vorhandenen Buchenwald-Lebensraumtypen sichert. Eine erhebliche Beeinträchtigung des LRT 9110 kann also auch unter diesem Gesichtspunkt ausgeschlossen werden.
Selbst wenn man dies anders sähe und insoweit eine erhebliche Beeinträchtigung des LRT 9110 annähme, wäre diese durch die vorgesehene Kohärenzsicherungsmaßnahme FFH 28 am Schlierbachswald (vgl. hierzu Planfeststellungsbeschluss S. 252 ff.) ausgeglichen. Denn die Maßnahme dient wegen der vorhandenen Altholzbestände zugleich der Habitatoptimierung für den Grau- und Schwarzspecht.
b) Unter Berücksichtigung der angeordneten Schutzmaßnahmen und ergänzenden Vorkehrungen sind bezogen auf die Fledermausarten Großes Mausohr und Bechsteinfledermaus weder bau- noch anlage- oder betriebsbedingt erhebliche Beeinträchtigungen zu besorgen.
Soweit der Kläger methodische Mängel bei der Erfassung des Bestands des Großen Mausohrs und der Bechsteinfledermaus sowie ihrer Habitatnutzung geltend macht, überzeugt dies nicht. Für beide Fledermausarten wurden Erkenntnisse zu Vorkommen und Habitatnutzung durch einen Methodenmix, bestehend aus flächendeckender bioakustischer Erfassung entlang von Transekten, automatischer akustischer Erfassung durch Batcorder und Horchboxen, Netzfängen sowie Quartiersuche während der frühmorgendlichen Schwarmphase gewonnen (vgl. genauer Fledermausgutachten S. 17 ff.). Dass nur stichprobenartig bestimmte Transekte untersucht wurden, spricht nicht gegen die wissenschaftliche Qualität des Gutachtens, denn der Beklagte hat überzeugend dargelegt, dass die Ergebnisse aufgrund der Stichprobengröße belastbar sind und insgesamt eine überdurchschnittlich hohe Untersuchungstiefe aufweisen. Da bei den älteren Untersuchungen Bechsteinfledermausvorkommen nicht nachgewiesen waren, wurde neben den genannten Verfahren die Telemetrie reproduktiver Weibchen zur Lokalisation von Wochenstubenstandorten und Bestimmung der Koloniegröße sowie zur Ermittlung der Raumnutzung eingesetzt. Die Gutachter haben - zuletzt in der mündlichen Verhandlung - nachvollziehbar und überzeugend erläutert, warum es für die Großen Mausohren demgegenüber keiner Telemetrierung bedurfte: Durch die ganznächtliche automatische Erfassung der Flugaktivität mit Hilfe von 18 Batcordern pro Kolonie habe man an bereits bekannten sowie potentiellen Flugwegen entlang von Gehölzlinien und unstrukturierten Acker- und Wiesenstandorten quartiernahe Flugwege effizienter identifizieren und die Frequentierung bestimmen können ("akustisches Messband") als mit Hilfe der Telemetrie. Mit dieser könnten immer nur einzelne Tiere besendert und gemessen werden. Der Kläger hat nicht dargetan, welche konkreten Erkenntnisse er in dieser Hinsicht vermisst.
Der Planfeststellungsbeschluss hat entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht das Ausmaß der Beeinträchtigung in fehlerhafter Weise unterschätzt. Aufgrund der aktuellen Fledermausuntersuchungen sowie der ausgewerteten Fachliteratur durfte er - wie geschehen - davon ausgehen, dass das Offenland im Trassenbereich weitgehend keine Bedeutung als Nahrungsraum für das Große Mausohr hat und stattdessen die untersuchten Wälder rund um die bekannten Wochenstubenkolonien in Bischhausen und Hoheneiche intensiv als Nahrungshabitate genutzt werden. Dass die Gutachter bei ihrer Bewertung teilweise zu anderen Ergebnissen als frühere Gutachter (Bach/Limpens, Fachbeitrag Fledermäuse, Faunistische Sonderuntersuchung zum LPB BAB 44, September 1998) gelangt sind, haben sie überzeugend damit erklärt, dass - jedenfalls aus heutiger Sicht - damals nur technisch eingeschränkte Möglichkeiten zur Fledermauserfassung bestanden. Auch die Kritik des Klägers, die Angaben zum Aktionsraum der beiden betroffenen Mausohr-Kolonien seien spekulativ und deutlich zu hoch angesetzt, greift nach den überzeugenden Ausführungen der Gutachter in der mündlichen Verhandlung nicht durch. Danach entspricht der Wert von 10 km einer eher vorsorglichen Annahme, da Große Mausohren Flugdistanzen bis zu 20 km in ihre Nahrungshabitate bewältigen können. Hinsichtlich des - unterstellten - vorhabenbedingten Wegfalls von Quartieren von Bechsteinfledermausmännchen (Höhlenbäume) hat der Gutachter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt, dass diese Quartiere für den Erhalt der Population im FFH-Gebiet irrelevant sind, weil die Weibchen der Bechsteinfledermaus das Gebiet zur Paarung großräumig verlassen.
Der Planfeststellungsbeschluss durfte des Weiteren davon ausgehen, dass die Beeinträchtigungen der Fledermäuse durch die vorgesehenen Schadensvermeidungsmaßnahmen verhindert werden können. Nach der "Arbeitshilfe Fledermäuse und Straßenverkehr" des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Entwurf Oktober 2011, künftig: Arbeitshilfe Fledermäuse), der als Ergebnis sachverständiger Erkenntnisse besondere Bedeutung bei der Bewertung der Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen zukommt, hängt die Wirksamkeit vieler Maßnahmen in hohem Maß von ihrer Einbettung in ein Gesamtkonzept ab (Arbeitshilfe Fledermäuse S. 51). Ein solches Gesamtkonzept, bestehend aus Querungshilfen in Verbindung mit entsprechenden Leit- und Sperreinrichtungen wurde hier unter Beachtung der Flugrouten und des strukturgebundenen Flugverhaltens der Fledermäuse entwickelt und im Planfeststellungsbeschluss festgelegt; die Empfehlungen im Fledermausgutachten zur weiteren Optimierung dieses Konzepts (vgl. Fledermausgutachten S. 104 ff.) wurden nahezu vollständig umgesetzt. So wurden beispielsweise die Dasbach-Unterführung (BW 40.1-03) aufgeweitet und die Querungshilfen am Schlangengraben neu geplant (Fledermausgutachten S. 104 f., Planfeststellungsbeschluss S. 267 ff.). Lediglich die im Einschnitt zwischen der Weisenbach-Unterführung und der Unterführung "Im Brückenthale" vorgesehene Baumreihe konnte wegen nicht ausreichender Breite des Mittelstreifens nur in einer Länge von 270 m statt 350 m umgesetzt werden. Die planfestgestellten Querungsbauwerke erfüllen hinsichtlich der lichten Höhe und Weite sämtlich die Anforderungen des Merkblatts zur Anlage von Querungshilfen für Tiere und zur Vernetzung von Lebensräumen an Straßen (MAQ), Stand: September 2008. Die lichtundurchlässigen und schallreduzierenden Kollisionsschutzwände auf dem Bauwerk sollen vermeiden, dass die Tiere bei ihren Pendelflügen zwischen Quartier und Jagdhabitat mit dem Kfz-Verkehr kollidieren. Sie sind parallel zur Straße in mindestens 4 m Höhe geplant. Weitere Schadensvermeidungsmaßnahmen sind die Tunnel Trimberg und Spitzenberg, die Wehretalbrücke, die Überflughilfe Erosionsrinne westlich Schlangengraben und am Schlangengraben (Hop-over), die Verwallungen an der Trasse, die Kollisionsschutzzäune, Leitpflanzungen und Bauzeitenbeschränkung (vgl. zum Vorstehenden Planfeststellungsbeschluss S. 267 ff.).
Nach der Arbeitshilfe Fledermäuse ist die Prognosesicherheit bezüglich der Wirksamkeit bei Unterführungen mit geeignetem Querschnitt - wie hier - sehr hoch (Arbeitshilfe Fledermäuse S. 34 f.). Soweit der Kläger in Bezug auf die Wirksamkeit der Leit- und Sperreinrichtungen wissenschaftlich bisher nicht zu beseitigende Unsicherheiten geltend gemacht hat (vgl. hierzu Arbeitshilfe Fledermäuse S. 68), hat der Beklagte dem in der mündlichen Verhandlung durch die nachträgliche Anordnung eines Risikomanagements (vgl. hierzu näher Urteile vom 12. März 2008 - BVerwG 9 A 3.06 - BVerwGE 130, 299 Rn. 105 und vom 6. November 2012 - BVerwG 9 A 17.11 - juris Rn. 48 <zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen>) Rechnung getragen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Anlage 1 zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14. März 2013 Bezug genommen, in der die Nebenbestimmung A V Nr. 2.5 Ziff. 1 klargestellt und umfangreich ergänzt worden ist. Zwar enthält die Nebenbestimmung auch in ihrer Neufassung keine Folgenregelung für den Fall, dass die angeordneten Kontrollen Defizite ergeben sollten. Auf der Grundlage des Vorbehalts, weitere Nebenbestimmungen erlassen zu können (Nr. A V 10 = Planfeststellungsbeschluss S. 53), hat der Beklagte jedoch hinreichende Möglichkeiten, etwaigen Fehlentwicklungen gegenzusteuern.
Bezüglich der bereits im Zusammenhang mit den Optimierungsvorschlägen des Fledermausgutachtens erwähnten Baumreihe im Bereich der Unterführung "Im Brückenthale", die wegen nicht ausreichender Breite des Mittelstreifens nicht vollständig realisiert werden kann, hat der Beklagte erläutert, dass die Gefahr von Kollisionsverlusten durch die tiefe Einschnittslage weitgehend gemindert sei. Durch die vorsorglich vorgesehene 270 m lange Bepflanzung mit Bäumen werde diese Gefahr vollständig ausgeräumt. Auch in der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte daran festgehalten. Ungeachtet dessen hat er jedoch das in der mündlichen Verhandlung in Bezug auf die Fledermausarten vorgesehene Monitoring ausdrücklich auf den Bereich "Im Brückenthale" erstreckt, um letzte Risiken auszuschließen. Auch hier soll eine stichprobenhafte akustische und optische Kontrolle in einem näher festgelegten Turnus durchgeführt werden. Wie der Beklagte in der mündlichen Verhandlung erläutert hat, würde er im Falle festgestellter Defizite nachträglich anstelle der zunächst vorgesehenen Baumreihe eine Kollisionsschutzwand errichten.
c) Soweit der Planfeststellungsbeschluss in Bezug auf eine Teilfläche des LRT 9110 eine erhebliche Beeinträchtigung angenommen hat, durfte er sich auf eine Ausnahme nach § 34 Abs. 3 BNatSchG stützen. Für das planfestgestellte Vorhaben streiten zwingende verkehrliche Gründe, die die konkrete Beeinträchtigung überwiegen (aa), eine zumutbare Alternative liegt nicht vor (bb), und die erforderlichen Kohärenzsicherungsmaßnahmen werden festgesetzt (cc).
aa) Für das planfestgestellte Vorhaben streiten zwingende verkehrliche Gründe innerhalb des deutschen wie des europäischen Netzes, die die konkrete Beeinträchtigung des FFH-Gebiets deutlich überwiegen.
Als Abweichungsgründe kommen für ein Vorhaben, das - wie hier - nur nicht prioritäre Lebensraumtypen oder Arten erheblich beeinträchtigen kann, neben solchen sozialer oder wirtschaftlicher Art sowie den benannten Abweichungsgründen des Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 2 FFH-RL auch vielfältige andere Gründe in Betracht. Damit sich die Gründe gegenüber dem Belang des Gebietsschutzes durchsetzen können, müssen keine Sachzwänge vorliegen, denen niemand ausweichen kann; Art. 6 Abs. 4 FFH-RL setzt lediglich ein durch Vernunft und Verantwortungsbewusstsein geleitetes staatliches Handeln voraus (Urteil vom 12. März 2008 a.a.O. Rn. 153). Welche Faktoren für das Gewicht des öffentlichen Interesses an einem Vorhaben maßgebend sind, lässt sich nicht abschließend bestimmen. Gesetzliche Vorgaben - wie etwa im Fall der gesetzlichen Bedarfsfeststellung - entfalten ein höheres Gewicht als politisch wirkende Planungsdirektiven, die in der Regel von eher allgemein gehaltenen Bedarfsvorstellungen geleitet sind (Urteil vom 9. Juli 2009 - BVerwG 4 C 12.07 - BVerwGE 134, 166 Rn. 16). Sowohl die Zugehörigkeit zu den "Verkehrsprojekten Deutsche Einheit" als auch zum "Transeuropäischen Verkehrsnetz" stellen Gewichtungsvorgaben dar, die in der Interessenabwägung mit hohem Gewicht zu Buche schlagen (Urteil vom 12. März 2008 a.a.O. Rn. 159). Das Gewicht, mit dem das Integritätsinteresse in die Abwägung einzustellen ist, hängt entscheidend vom Ausmaß der Beeinträchtigungen ab. Erforderlich ist eine Beurteilung der Beeinträchtigung in qualitativer und quantitativer Hinsicht. Grundlage der Bewertung ist die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung. Fehlerhafte Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung schlagen deshalb auf die Abwägung durch, es sei denn, im Wege der Wahrunterstellung würden der Abwägung hilfsweise die tatsächlich in Rechnung zu stellenden Beeinträchtigungen qualitativ und quantitativ zutreffend zugrunde gelegt (Urteil vom 12. März 2008 a.a.O. Rn. 154).
Hiervon ausgehend ist die Abwägungsentscheidung nicht zu beanstanden. Der Planfeststellungsbeschluss hat das Ausmaß der Beeinträchtigung - ausgehend von der FFH-Verträglichkeitsprüfung - näher quantifiziert und im Einzelnen gewichtet. Es geht um eine mit 1,03 ha relativ kleine Teilfläche des in dem FFH-Gebiet großflächig vorkommenden nichtprioritäten LRT 9110, die am Rande des FFH-Gebietes liegt und der keine besondere Bedeutung zukommt. Angesichts dieses geringen Umfangs der Beeinträchtigung kann der Senat offen lassen, ob der Beklagte bei seiner Gewichtung des Ausmaßes der Beeinträchtigung die Kohärenzsicherungsmaßnahme (Gebietserweiterung am Schlierbachswald) mindernd berücksichtigen durfte, weil diese Maßnahme zugleich einen Beitrag zur Erhaltung der Integrität des FFH-Gebiets leisten soll (vgl. hierzu Urteil vom 9. Juli 2009 a.a.O. Rn. 28).
Bezieht man in die Abwägungsentscheidung wegen der mit der Vorzugstrasse verbundenen Festlegung auf den Sontrakorridor die Folgeabschnitte VKE 40.2, 50 und 60 mit ein, so ist nach den nicht substantiiert angegriffenen Feststellungen des Beklagten von einer zusätzlichen erheblichen Beeinträchtigung des FFH-Gebiets "Werra- und Wehretal" sowie des FFH-Gebiets 4926-305 "Wälder und Kalkmagerrasen der Ringgau-Südabdachung" im Umfang von ca. 2 ha auszugehen, wobei es sich ebenfalls um Waldrandbereiche von Buchenwaldlebensraumtypen ohne besondere funktionale Bedeutung für den Erhalt und die weitere Entwicklung des Gebietes handelt (vgl. Planfeststellungsbeschluss S. 312 f., 337).
Demgegenüber durfte der Beklagte dem öffentlichen Interesse an dem Vorhaben, dem hier aufgrund der gesetzlichen Bedarfsfeststellung ein besonderes Gewicht zukommt, den Vorrang einräumen. Das Straßenbauvorhaben ist sowohl Bestandteil des transeuropäischen Verkehrsnetzes als auch der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit; das konkrete Projekt soll die Regionen Ruhrgebiet und Sachsen verbinden. Dass der A 44 gegenüber der in der Nähe verlaufenden A 38 entgegen der Auffassung des Klägers insoweit eigenständige Bedeutung zukommt, hat der Gutachter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargetan. Darüber hinaus werden regional bedeutsame Planungsziele (regionale Erschließung und Wirtschaftsförderung, verbesserte Erreichbarkeit der Mittelzentren Eschwege und Sontra, Erschließung des strukturschwachen Werra-Meißner-Kreises) verfolgt.
Vor diesem Hintergrund einer im Ergebnis nicht zu beanstandenden Abwägungsentscheidung kommt es nicht darauf an, ob der Planfeststellungsbeschluss von fehlerhaften Annahmen zur Prüfung der sog. Nullvariante ausgegangen ist (vgl. Planfeststellungsbeschluss S. 287), denn diese haben sich jedenfalls nicht ausgewirkt. Insoweit ist klarstellend anzumerken, dass die Planfeststellungsbehörde trotz der verbindlichen Feststellung des Verkehrsbedarfs verpflichtet ist zu prüfen, ob dem Vorhaben womöglich wegen der erst auf späteren Planungsstufen gewonnenen Erkenntnisse unüberwindliche Belange des Habitatschutzes entgegenstehen, die dazu nötigen, letztlich doch von der Planung Abstand zu nehmen (vgl. Urteile vom 10. April 1997 - BVerwG 4 C 5.96 - BVerwGE 104, 236 <249 f.>, vom 9. Juni 2004 - BVerwG 9 A 11.03 - juris Rn. 86 <insoweit nicht abgedruckt in BVerwGE 121, 72> und vom 17. Januar 2007 - BVerwG 9 A 20.05 - BVerwGE 128, 1 Rn. 131). Wenn jedoch - wie hier - für das Vorhaben zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses streiten, stellt sich nicht mehr die Frage, ob auf das Vorhaben insgesamt verzichtet werden kann; es darf dann entweder wie geplant oder im Rahmen einer zumutbaren Alternativlösung verwirklicht werden (Urteil vom 17. Januar 2007 a.a.O. Rn. 142).
bb) Eine zumutbare Alternative liegt nicht vor.
Lässt sich das Planungsziel an einem günstigeren Standort oder mit geringerer Eingriffsintensität verwirklichen, so muss der Projektträger von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Ein Ermessen wird ihm insoweit nicht eingeräumt. Bereits aufgrund seines Ausnahmecharakters begründet Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 1 FFH-RL ein strikt zu beachtendes Vermeidungsgebot. Nur gewichtige "naturschutzexterne" Gründe können es danach rechtfertigen, zulasten des Integritätsinteresses des durch Art. 4 FFH-RL festgelegten kohärenten Systems die Möglichkeit einer Alternativlösung auszuschließen. Der Vorhabenträger darf von einer ihm technisch an sich möglichen Alternative erst Abstand nehmen, wenn diese ihm unverhältnismäßige Opfer abverlangt oder andere Gemeinwohlbelange erheblich beeinträchtigt. Demnach können bei der Trassenwahl auch finanzielle Erwägungen ausschlaggebende Bedeutung erlangen. Ob Kosten außer Verhältnis zu dem nach Art. 6 FFH-RL festgelegten Schutzregime stehen, ist am Gewicht der beeinträchtigten relevanten Schutzgüter zu messen. Richtschnur hierfür sind die Schwere der Gebietsbeeinträchtigung, Anzahl und Bedeutung etwa betroffener Lebensraumtypen oder Arten sowie der Grad der Unvereinbarkeit mit den Erhaltungszielen. Der Vorhabenträger braucht sich auch nicht auf eine Alternativlösung verweisen zu lassen, wenn sich die naturschutzrechtlichen Schutzvorschriften am Alternativstandort als ebenso wirksame Zulassungssperre erweisen wie an dem von ihm gewählten Standort. Zudem darf die Alternativlösung verworfen werden, wenn sie sich aus naturschutzexternen Gründen als unverhältnismäßiges Mittel erweist. Schließlich braucht sich ein Vorhabenträger nicht auf eine Planungsvariante verweisen zu lassen, die auf ein anderes Projekt hinausläuft (stRspr, vgl. zuletzt Urteil vom 6. November 2012 - BVerwG 9 A 17.11 - juris Rn. 70 m.w.N. <zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen>). Berühren sowohl die planfestgestellte Lösung als auch eine Planungsalternative FFH-Gebiete, so ist im Rahmen einer Grobanalyse allein auf die Schwere der Beeinträchtigung nach Maßgabe der Differenzierungsmerkmale des Art. 6 FFH-RL abzustellen, d.h. es ist nur zu untersuchen, ob Lebensraumtypen des Anhangs I oder Tierarten des Anhangs II der FFH-Richtlinie beeinträchtigt werden und ob die beeinträchtigten Lebensraumtypen prioritär oder nicht prioritär sind. Demgegenüber haben die bei der Gebietsmeldung zu beachtenden Feindifferenzierungskriterien (Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 FFH-RL i.V.m. Anhang III Phase 1) beim Trassenvergleich außer Betracht zu bleiben; innerhalb der genannten Gruppen ist also nicht nochmals nach der Wertigkeit und der Anzahl der betroffenen Lebensraumtypen oder Arten sowie der jeweiligen Beeinträchtigungsintensität zu differenzieren (Urteil vom 12. März 2008 - BVerwG 9 A 3.06 - BVerwGE 130, 299 Rn. 170 f.).
Wie bereits im Zusammenhang mit dem Raumordnungs- und Linienbestimmungsverfahren erwähnt (s.o. A.I.), darf die Alternativenprüfung auch dann, wenn auf den vorgelagerten Planungsstufen noch keine korridorübergreifende FFH-Verträglichkeitsprüfung durchgeführt werden musste, nicht auf den "Planungskorridor" beschränkt werden. Vielmehr kommen grundsätzlich auch Trassen in einem Alternativkorridor in Betracht. Da solche Trassen außerhalb des Planungskorridors regelmäßig nicht im Einzelnen untersucht worden sind, reicht insoweit eine summarische Würdigung des Beeinträchtigungspotenzials aus (vgl. Urteil vom 12. März 2008 a.a.O. Rn. 270 zur Vorausschau der habitatrechtlichen Realisierbarkeit der Folgeabschnitte nach Art eines "vorläufigen positiven Gesamturteils").
Ausgehend von den o.g. Maßstäben musste die Planfeststellungsbehörde damit im vorliegenden Fall, in dem das planfestgestellte Vorhaben keinen prioritären Lebensraum beeinträchtigt, lediglich solchen Alternativen näher nachgehen, bei denen eine erhebliche Beeinträchtigung von FFH-Gebieten gänzlich ausgeschlossen werden kann. Diese Voraussetzung nimmt der Planfeststellungsbeschluss mit nachvollziehbarer Begründung für drei der vom Kläger vorgeschlagenen Alternativtrassen an, sofern die Tunnelbauwerke verlängert werden (S. 313 ff.); zusätzlich geht er näher auf die Alternativtrasse RegioConsult 2011 ein (S. 296). Demgegenüber kommt es im Rahmen der Alternativenprüfung nicht auf die vom Kläger mit Schriftsatz vom 8. März 2013 aufgeworfene Frage an, ob die Plantrasse unter wirtschaftlichen und verkehrlichen Gesichtspunkten optimiert wurde und ob mit ihr im Vergleich zu den Alternativtrassen ein Umweg von 12 km verbunden ist.
Der Planfeststellungsbeschluss kommt ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis, dass keine der untersuchten Alternativtrassen vorzugswürdig ist, weil mit ihnen gravierende, die nur geringfügige erhebliche Beeinträchtigung des LRT 9110 deutlich überwiegende Nachteile verbunden sind.
Die Alternativtrasse RegioConsult 2011, die der Planfeststellungstrasse ähnelt, hat zwar den Vorzug, dass sie von den sensiblen Bereichen Trimberg und Spitzenberg abrückt. Sie kollidiert aber mit der bebauten Ortslage von Oetmannshausen, insbesondere wenn an der aus Verkehrsgründen zweckmäßigen Anschlussstelle Eschwege festgehalten wird (vgl. Stellungnahme der Vorhabenträgerin, Anlage B 20 zum Schriftsatz des Beklagten vom 4. März 2013, unter 3.2; das ergibt sich auch aus der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung überreichten Karte). Des Weiteren müsste der alte Bahndamm, der unbestritten einen wichtigen Habitatraum für verschiedene Arten darstellt, in Anspruch genommen sowie ein Fortfall der Bestandstrasse der B 7/B 27 in Kauf genommen werden, die nach der jetzigen Planung abgestuft, aber erhalten bleiben soll. Bei Wegfall der B 7/B 27 würde für Kraftfahrzeuge, die gemäß § 18 StVO von der Benutzung einer Bundesautobahn ausgeschlossen sind, keine klassifizierte Verbindung mehr von Hoheneiche Richtung Süden (nach Wichmannshausen) bestehen. Um dies auszugleichen, müsste die K 8 von Hoheneiche nach Süden verlängert und planfrei über die Eisenbahntrasse geführt werden (Planfeststellungsbeschluss S. 295).
Mit drei der vom Kläger vorgestellten und in der mündlichen Verhandlung näher betrachteten Alternativtrassen (BUND 2002_4 NK, BUND 2009 NK und BUND 2011 NK) ließe sich zwar bei Verlängerung der Tunnelbauwerke eine erhebliche Beeinträchtigung des FFH-Gebiets "Werra- und Wehretal" vermeiden (vgl. Planfeststellungsbeschluss S. 328). Diese Trassen dürften aber schon aus den im Planfeststellungsbeschluss (S. 328 ff.) sowie in der mündlichen Verhandlung näher erläuterten Kostengründen ausscheiden. Der Beklagte hat nachvollziehbar ausgeführt, dass die zwischen den Beteiligten bestehenden Auffassungsunterschiede in Bezug auf die Kostenhöhe in erster Linie damit zusammenhängen, dass der Kläger einige der allein aus topographischen Gründen erforderlichen Tunnel - bereits im früheren Raumordnungsverfahren, also noch vor der Ausweisung von FFH-Gebieten, waren insgesamt 14 Tunnel vorgesehen - nicht in seine Berechnung eingestellt hat; insbesondere die Tunnel Pfifferberg und Rittmannshausen sind entgegen den Annahmen des Klägers nicht entbehrlich (vgl. hierzu auch Stellungnahme der Vorhabenträgerin, Anlage B 20 zum Schriftsatz des Beklagten vom 4. März 2013, unter 3.3.2 mit näheren Ausführungen zur Grundwasserproblematik im Einschnittsbereich). Nicht gefolgt werden kann dem Kläger auch darin, dass der im Bereich der VKE 50 geplante Tunnel Holstein deutlich teurer werde als bislang geplant. Denn die vom Kläger aufgezeigten geologischen und hydrologischen Schwierigkeiten waren den Angaben des Beklagten in der mündlichen Verhandlung zufolge bereits aufgrund des 2008 eingeholten geologischen Gutachtens (A. Consult GmbH) bekannt; auf dieser Grundlage seien die Kosten abgeschätzt worden. Außerdem beruhen die unterschiedlichen Kostenansätze offenbar darauf, dass der Beklagte bei der Gegenüberstellung der anfallenden Kosten bezüglich der Plantrasse und der verschiedenen in Betracht kommenden Alternativtrassen einheitliche Planungsparameter, etwa in Bezug auf den Abstand zur Wohnbebauung und den hiermit verbundenen Lärmschutz, in Bezug auf die Planungsentscheidung Tunnel oder Einschnitt sowie in Bezug auf die Bewältigung wasserrechtlicher Probleme angelegt hat (vgl. genauer Planfeststellungsbeschluss S. 330 ff.). Das ist nicht zu beanstanden.
Die Einzelheiten können indes offen bleiben, denn jedenfalls verfehlen die Alternativtrassen sämtlich die mit der Plantrasse ausdrücklich beabsichtigte Anbindung des Mittelzentrums Sontra. Dieser Anbindung, die auch im Regionalplan Nordhessen verankert ist (vgl. Planfeststellungsbeschluss S. 115), kommt insbesondere im Zusammenhang mit der Erschließung der ehemaligen Husaren-Kaserne ein besonderer Stellenwert zu, wie in der mündlichen Verhandlung erläutert wurde. Weitere Planungsziele würden zudem nur noch eingeschränkt erreicht. So würde die Entlastung des nachgeordneten Straßennetzes und der Ortsdurchfahrten geringer ausfallen (vgl. Planfeststellungsbeschluss S. 335: Entlastung der B 27 von ca. 7 900 bis 11 500 Kfz/d und der B 400 von ca. 500 bis 2 500 Kfz bei der Plantrasse gegenüber einer Entlastung der B 7 bei den Alternativvarianten von nur ca. 1 700 Kfz/d). Ebenso könnte die Neuzerschneidung und Neubelastung bisher unzerschnittener Landschafts- und Naturräume sowie die Bündelung von Verkehrsfunktionen nur in geringerem Ausmaß erreicht werden. Die Vorzugstrasse läuft auf großen Strecken entlang schon vorhandener Verkehrswege (Vorbelastungsband der B 27 und B 400). Zwar sollen die Alternativtrassen ihrerseits entlang der B 7 verlaufen; die B 400, die ein außerordentliches Schwerverkehrsaufkommen aufweist und nachgewiesenermaßen vom Fernverkehr genutzt wird, kann jedoch mit der B 7 nicht gleichgesetzt werden (Planfeststellungsbeschluss S. 335 f.).
cc) Die nach § 34 Abs. 5 BNatSchG erforderlichen Kohärenzsicherungsmaßnahmen sind in dem Maßnahmenblatt FFH 28, ergänzt durch die Auflage A V 2.3 Nr. 24 (Planfeststellungsbeschluss S. 38), planfestgestellt worden. Vorgesehen ist eine Gebietserweiterung des FFH-Gebietes "Werra- und Wehretal" im Bereich des Schlierbachswaldes im Umfang von insgesamt 3,34 ha. Dabei soll die auf einer Teilfläche von 1,03 ha beeinträchtigte Funktion des Hainsimsenbuchenwaldes (LRT 9110) mit dem Erhaltungszustand "B" durch eine neu in das FFH-Gebiet aufzunehmende Teilfläche von 1,99 ha - ebenfalls mit dem Erhaltungszustand "B" - übernommen werden. Der Erweiterungsbereich soll künftig in das Natura 2000-Gebiet einbezogen werden (vgl. genauer Planfeststellungsbeschluss S. 338 f.).
III. Das Vorhaben widerspricht ferner nicht in einer das Klagebegehren rechtfertigenden Weise den Anforderungen des Artenschutzrechts.
Bei der Prüfung, ob artenschutzrechtliche Verbotstatbestände erfüllt sind, steht der Planfeststellungsbehörde eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative sowohl bei der ökologischen Bestandsaufnahme als auch bei deren Bewertung zu, namentlich bei der Quantifizierung möglicher Betroffenheiten und bei der Beurteilung ihrer populationsbezogenen Wirkungen. Die gerichtliche Kontrolle ist darauf beschränkt, ob die Einschätzungen der Planfeststellungsbehörde im konkreten Einzelfall naturschutzfachlich vertretbar sind und nicht auf einem unzulänglichen oder gar ungeeigneten Bewertungsverfahren beruhen (Urteile vom 9. Juli 2008 - BVerwG 9 A 14.07 - BVerwGE 131, 274 Rn. 65 und vom 6. November 2012 - BVerwG 9 A 17.11 - juris Rn. 100 <zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen>).
Hiervon ausgehend führen die auf eine Vielzahl von Tierarten bezogenen Rügen des Klägers in der Sache nicht auf entscheidungserhebliche Fehler. Die artenschutzrechtliche Behandlung der Säugetiere (1.), der Amphibien (2.), Reptilien (3.) und der europäischen Vogelarten (4.) ist nicht zu beanstanden.
1. Zu den näher geprüften Säugetieren zählen Wildkatze (a), Luchs (b), verschiedene Fledermausarten (c) und Haselmaus (d).
a) Hinsichtlich der Wildkatze ist der Planfeststellungsbeschluss zu Recht davon ausgegangen, dass keiner der Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG erfüllt ist.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist der Tatbestand des Tötungsverbots (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG) mit Blick auf die bei einem Bauvorhaben nie völlig auszuschließende Gefahr von Kollisionen geschützter Tiere mit Kraftfahrzeugen erst dann erfüllt, wenn das Vorhaben dieses Risiko in einer für die betroffene Tierart signifikanten Weise erhöht (stRspr, vgl. nur Urteile vom 9. Juli 2008 a.a.O. Rn. 91 und vom 14. Juli 2011 - BVerwG 9 A 12.10 - BVerwGE 140, 149 Rn. 99). Dabei sind Maßnahmen, mittels derer solche Kollisionen vermieden werden können, in die Betrachtung einzubeziehen. Der Störungstatbestand des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG kann vor allem durch bau- und betriebsbedingte Beeinträchtigungen der geschützten Tierarten in Gestalt von akustischen und optischen Störwirkungen (Urteile vom 9. Juli 2008 a.a.O. Rn. 104 f. und vom 9. Juni 2010 - BVerwG 9 A 20.08 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 208 Rn. 49), aber auch durch Trennwirkungen erfüllt werden, die von der vorgesehenen Trasse ausgehen (Urteile vom 9. Juli 2008 a.a.O. Rn. 105 und vom 14. April 2010 - BVerwG 9 A 5.08 - BVerwGE 136, 291 Rn. 114). Dabei enthält das Störungsverbot bereits im Wortlaut einen populationsbezogenen Ansatz. Eine erhebliche Störung liegt nach der Definition des § 44 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 BNatSchG vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert (Urteil vom 12. März 2008 - BVerwG 9 A 3.06 - BVerwGE 130, 299 Rn. 258). Der Begriff der "Fortpflanzungsstätte" in § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG ist eng auszulegen. Dies folgt zum einen aus der scharfen systematischen Trennung zwischen der Teilregelung des Beschädigungs- und Zerstörungstatbestandes in § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG, der die eingriffsbetroffenen Lebensstätten nennt, und der ergänzenden Regelung in § 44 Abs. 5 BNatSchG, die im Rahmen einer funktionalen Betrachtung den räumlichen Zusammenhang einbezieht. Dasselbe folgt zum anderen daraus, dass es § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG auch verbietet, Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, und damit dem Wortlaut nach eine enge Auslegung des Begriffs der Fortpflanzungs- oder Ruhestätte nahelegt, die jeden einer solchen Entnahme zugänglichen, als Ort der Fortpflanzung oder Ruhe dienenden Gegenstand - wie einzelne Nester oder Höhlenbäume - einschließt. In zeitlicher Hinsicht betrifft die Verbotsnorm primär die Phase aktueller Nutzung der Lebensstätte. Unter Berücksichtigung des verfolgten Zwecks der Regelung, die Funktion der Lebensstätte für die geschützte Art zu sichern, ist dieser Schutz aber auszudehnen auf Abwesenheitszeiten der sie nutzenden Tiere einer Art, sofern nach den Lebensgewohnheiten der Art eine regelmäßig wiederkehrende Nutzung zu erwarten ist (Urteil vom 18. März 2009 - BVerwG 9 A 39.07 - BVerwGE 133, 239 Rn. 66).
Dem Planfeststellungsbeschluss zufolge wird das Kollisionsrisiko für die Wildkatze durch geeignete Vermeidungsmaßnahmen, insbesondere durch die als Maßnahme S 22.3 planfestgestellten wildkatzensicheren Schutzzäune entlang der gesamten Trasse ausgeschlossen. Das Vorhaben werde auch nicht zu einer erheblichen Störung der Wildkatze nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG führen. Zwar sei das prognostizierte Verkehrsaufkommen mit Störwirkungen durch Lärm und Licht verbunden, die zu randlichen Meidungseffekten durch die Wildkatzen führen könnten; auch sei von einer vorhabenbedingten Zerschneidung der Migrations- und Streifräume auszugehen. Eine erhebliche Beeinträchtigung des Erhaltungszustandes der lokalen Population werde aber nicht bewirkt, da der Wildkatze - ihrem vereinzelten Vorkommen und dem Fehlen bedeutsamer Wanderkorridore angemessen - ausreichende Möglichkeiten zur Trassenquerung eröffnet würden. Zudem würden durch die Maßnahmen A 1.2 und A 2.7 (Entwicklung eines Uferrandstreifens sowie Optimierung Dasbach) die Leitstrukturen an Gewässerläufen verbessert und dadurch Zerschneidungseffekte ausgeglichen. Schließlich werde auch nicht gegen § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG verstoßen. Es gehe lediglich ca. 2,2 ha Lebensraum der Wildkatze verloren. Auf diesen Flächen sei aber kein Nachweis für Ruhe- oder Fortpflanzungsstätten der Art erbracht. In Anbetracht der durchschnittlichen Größe des Streifgebiets einer Wildkatze zwischen 300 und 1 500 ha hätten diese Flächenverluste keine Auswirkung auf einzelne Individuen oder die lokale Population (Planfeststellungsbeschluss S. 344 ff.).
Diese Bewertung des Planfeststellungsbeschlusses, die sich bereits ausführlich mit den Erwägungen des Klägers auseinandersetzt (insbesondere S. 347), lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Insbesondere nach dem im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Gutachten von Georgii zur naturschutzfachlichen Bewertung des Störungstatbestandes gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG für die Art Wildkatze in den Planfeststellungsbeschlüssen zu A 44 VKE 40.1 und VKE 40.2 aus Dezember 2012 (Anlage B 16 zum Schriftsatz des Beklagten vom 7. Februar 2013), das dieser in der mündlichen Verhandlung näher erläutert hat, bestehen aus Sicht des Senats weder Bedenken hinsichtlich der Konfliktdarstellung und -bewertung noch hinsichtlich der Wirksamkeit der zugunsten der Wildkatze vorgesehenen Maßnahmen. Den dennoch fortbestehenden Zweifeln des Klägers hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung Rechnung getragen, indem er den Planfeststellungsbeschluss um eine Monitoringbestimmung zugunsten der Wildkatze ergänzt hat (Anlage 5 zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14. März 2013). Danach sind die aus Sicht des Klägers hinsichtlich ihrer Dimensionierung problematischen Querungsbauwerke BW 40.1-03 (Dasbach), BW 40.1-07 (Sengelbach), BW 40.1-06 (Sommergehau) und BW 40.1.04 (Erosionsrinne östlich Dasbachtal) sowie die o.g. Leitstrukturen (Maßnahmen A 1.2 und A 2.7) mittels Fotofallen auf die Anwesenheit der Wildkatze zu untersuchen. Des Weiteren ist insgesamt dreimal eine näher beschriebene Lockstock-Kartierung durchzuführen.
b) Vergleichbar verhält es sich mit dem Luchs; auch insoweit sind die Annahmen des Planfeststellungsbeschlusses im Wesentlichen nicht zu beanstanden; Restzweifel werden durch ein nachträglich angeordnetes Monitoring ausgeräumt.
Zwar erfüllt der wildkatzensichere Schutzzaun, der eine Höhe von 1,80 m aufweist, unstreitig nicht die Vorgaben des Merkblatts zur Anlage von Querungshilfen für Tiere und zur Vernetzung von Lebensräumen an Straßen (MAQ), Stand: September 2008, das für den Luchs 2,50 m hohe Wildschutzzäune mit einem ca. 50 cm langem Übersteigschutz empfiehlt (MAQ S. 59). Auch stehen streifenden Luchsen mit den Querungsbauwerken Sengelbach (BW 40.1-07) und Dasbach (BW 40.1-03) nur in Nord-Süd-Richtung ausreichende Querungsmöglichkeiten, in Ost-West-Richtung mit dem Spitzenbergtunnel (BW 40.1-12) aber nur eine eingeschränkte Möglichkeit zur Querung zur Verfügung (Planfeststellungsbeschluss S. 352). Dennoch kann dem Planfeststellungsbeschluss im Ergebnis darin gefolgt werden, dass es wegen des extrem seltenen Nachweises der Art im Untersuchungsgebiet - nur ein einziger Luchs wurde mehrere Kilometer östlich der Trasse bei Datterode beobachtet - jedenfalls derzeit nicht erforderlich ist, die Wildschutzzäune vorsorglich zu erhöhen, zumal den Wildkatzenzäunen auch für den Luchs schon jetzt immerhin die Funktion einer Leiteinrichtung zukommt, die das Kollisionsrisiko vermindert. Außerdem weist der Planfeststellungsbeschluss (S. 352) zu Recht ergänzend auf die Maßnahmen S 22.1 und S. 22.2 hin; die dort vorgesehenen 4 m hohen Kollisionsschutzwände zum Fledermausschutz dienen zugleich dem Kollisionsschutz von Wildkatze und Luchs. Vor diesem Hintergrund sind weitergehende Maßnahmen, die der Kläger fordert, insbesondere die Erhöhung des Schutzzaunes und die Schaffung einer Grünbrücke von mindestens 130 m (s. MAQ S. 38), die "in einem Kerngebiet mit etablierter Population notwendig" (vgl. Unterlage 12.4 S. 9) sind, hier nicht erforderlich, da es um ein solches Gebiet unstreitig nicht geht.
Ähnlich wie bei der Wildkatze hat der Beklagte im Übrigen auch bezüglich des Luchses in der mündlichen Verhandlung nachträglich ein Monitoring vorgesehen (vgl. Ergänzung der Nebenbestimmung A V um eine neue Nr. 2.7 "Beobachtung Luchs", Anlage 2 zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14. März 2013). Danach ist die Vorhabenträgerin verpflichtet, in den Bereichen bestimmter - genau bezeichneter - Forstämter die Verbreitung des Luchses zu dokumentieren. Sollte diese Dokumentation ergeben, dass der Luchs entgegen den jetzigen Erkenntnissen dort doch regelmäßig vorkommt oder reproduziert, sind die trassenbegleitenden Zäune luchssicher auszugestalten. Dass die Dokumentation "bis ein Jahr vor Inbetriebnahme der VKE 40.1" - und nicht länger - zu erfolgen hat, hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung überzeugend damit erklärt, dass für die Ausschreibung etwaiger Baumaßnahmen etwa ein Jahr Vorlaufzeit benötigt werde. Wandert der Luchs erst nach Baubeginn ein, ist das dem Vorhabenträger nicht mehr zuzurechnen, so dass eine nachträgliche Schutzzaunerhöhung nicht veranlasst ist.
c) Auch für Fledermäuse brauchte der Beklagte die Verwirklichung artenschutzrechtlicher Verbotstatbestände nicht in Rechnung zu stellen.
Wie bereits oben im Zusammenhang mit der Bechsteinfledermaus und dem Großen Mausohr ausgeführt, hat der Beklagte den Bestand dieser Kolonien im Vorhabengebiet in rechtlich nicht zu beanstandender Art und Weise erfasst und bewertet. Gleiches gilt für die Untersuchung des Vorkommens der weiteren im Planfeststellungsbeschluss genannten Fledermausarten. Hinsichtlich des Eingreifens der Zugriffsverbote durfte der Planfeststellungsbeschluss sich auf die generell für alle Fledermausarten vorgesehenen Vermeidungs-, Schutz- und Kompensationsmaßnahmen, auf die für bestimmte Fledermausarten (Bechsteinfledermaus, das Braune Langohr, die Fransenfledermaus, das Große Mausohr, den Großen Abendsegler, die kleine Bartfledermaus, den kleinen Abendsegler und die Wasserfledermaus) vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen sowie schließlich auf habitatverbessernde Wirkungen einzelner landschaftspflegerischer Maßnahmen stützen (Planfeststellungsbeschluss S. 357 ff.).
Soweit der Kläger das Schutzkonzept als unzureichend kritisiert hat, weil es hinsichtlich der Wirksamkeit von Kollisionsschutzwänden nicht von sicheren Annahmen ausgehe und im Übrigen die Vorgaben des Fledermausgutachtens nicht vollständig umgesetzt habe, kann ebenfalls auf die Ausführungen zum Großen Mausohr und zur Bechsteinfledermaus im FFH-Gebiet "Werra- und Wehretal" - insbesondere auf das dort näher beschriebene nachträglich angeordnete Monitoring - verwiesen werden.
Der Kritik des Klägers bezüglich der vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen A 23.2 für projektbedingte Quartierverluste im Bereich Spitzenberg und Hofgut A. (vgl. hierzu Planfeststellungsbeschluss S. 359) ist der Beklagte bereits in der Klageerwiderung überzeugend entgegengetreten: Bei vorsorglicher Betrachtung sei im Trassenbereich von einem Verlust von 31 Bäumen mit Höhlen auszugehen. Da eine aktuelle Quartiernutzung nicht habe nachgewiesen werden können, handele es sich um potentielle Höhlenbäume. Von der Rodung betroffen seien allein Bechsteinfledermäuse, und zwar im Wesentlichen Männchen. Diese seien trotz ihrer ebenfalls traditionellen Nutzung von Quartieren deutlich flexibler in der Quartierwahl, so dass sie auch über Distanzen von 2,5 km und mehr ausweichen könnten. Es sei schon nicht zu erwarten, dass alle Baumhöhlen zum Zeitpunkt des Eingriffes durch Fledermäuse besetzt seien. Entsprechend sei die Anzahl von 30 auszubringenden Nistkästen (fünf Stück pro Hektar) gemäß Maßnahmeblatt A 24 im Bereich der Maßnahmefläche A 23.2 für den Eingriff ausreichend. Hiervon ausgehend komme es auf den räumlichen Zusammenhang zwischen Eingriff und Ausgleich entgegen der Auffassung des Klägers schon nicht an. Im Übrigen sei der Zusammenhang jedoch gegeben. Das Maßnahmegebiet A 23.2 liege nordöstlich von Bischhausen, d.h. ca. 2,5 km von dem Eingriffsbereich entfernt (vgl. planfestgestelltes Maßnahmeblatt A 23.2) und damit durchaus noch im Aktionsradius der Bechsteinfledermaus. Etwaige ökologische Beeinträchtigungen von Lebensraumfunktionen durch den Entfall der als geeignet zu bewertenden, aktuell aber nicht besiedelten Baumhöhlen im räumlichen Zusammenhang würden damit vollständig kompensiert.
In der mündlichen Verhandlung haben die anwesenden Gutachter des Beklagten die vorgenannten Angaben bestätigt. Soweit der Kläger sich für seine Auffassung, der räumliche Zusammenhang fehle, auf den im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz erstellten Endbericht "Rahmenbedingungen für die Wirksamkeit von Maßnahmen des Artenschutzes bei Infrastrukturvorhaben" aus Juni 2010 stütze, der für vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen durch Fledermauskästen einen Radius von nur ca. 100 m angebe (vgl. Endbericht Rahmenbedingungen, Artensteckbrief Bechsteinfledermaus A 40), sei zu beachten, dass dieser Endbericht keinen Konventionscharakter habe. Im Übrigen sei der angegebene Wert fachlich nicht ableitbar und jedenfalls für Bechsteinfledermäuse, um die es hier gehe, erheblich zu niedrig angesetzt. Angesichts deren Aktionsradius sei die hier in Rede stehende Entfernung unproblematisch. Der Senat hält diese Bewertung für nachvollziehbar, zumal sich die Angaben zum Aktionsradius mit denen in dem Endbericht Rahmenbedingungen decken; dort werden Aktionsräume zwischen ca. 50 und 1 200 ha beschrieben. Warum für Ausgleichsmaßnahmen dennoch ein derart enger Radius vorgeschlagen wird, wird nicht näher begründet und ist auch nicht ersichtlich. Soweit der Kläger im Zusammenhang mit Höhlenverlusten infolge des Wegfalls des Hofguts A. kritisiert hat, auf der Fläche der Ausgleichsmaßnahme A 23.2 gebe es keinen Ersatz in Form geeigneter Gebäude, hat sich in der mündlichen Verhandlung herausgestellt, dass die Formulierung auf S. 359 des Planfeststellungsbeschlusses missverständlich ist. Aus dem dort in Bezug genommenen Artenschutzbeitrag zum LBP (Unterlage 12.4 S. 36, 62 und 72) ergibt sich, dass von den auf Gebäude angewiesenen Fledermausarten im Untersuchungsgebiet das Graue Langohr gar nicht, die Nordfledermaus lediglich einmal und nur die Zwergfledermaus fast flächendeckend gefunden wurde; bezüglich der letztgenannten Art muss deshalb hinsichtlich des Abrisses des Hofes A. zwar von der Zerstörung potentieller Quartiere ausgegangen werden, aufgrund der Häufigkeit und Anpassungsfähigkeit der Art bestehen aber hinreichende Ausweichmöglichkeiten im Bereich der Ortschaften, so dass der Schädigungstatbestand nicht eingreift (Unterlage 12.4. S. 72).
d) Auch hinsichtlich der Haselmaus kann dem Planfeststellungsbeschluss gefolgt werden. Er hat sowohl die Auswirkungen des Vorhabens auf die Haselmaus zutreffend festgestellt (aa) als auch zu Recht eine Ausnahme von den artenschutzrechtlichen Zugriffsverboten des § 44 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 BNatSchG zugelassen (bb).
aa) Der Planfeststellungsbeschluss stellt den Umfang der Beeinträchtigungen der Haselmaus zutreffend fest.
Er geht davon aus, dass bei der Freimachung des Baufeldes sowie im Rahmen der geplanten Umsiedlung mit Individuenverlusten zu rechnen sei. Dem Eintritt des Tötungsverbots werde aber durch das rechtzeitige Ausbringen von 30 Nisthilfen/ha im Bereich der bereits im Jahre 2006 - in erster Linie für die Kammmolche - neu angelegten Gehölzflächen A 5.3 und A 5.6 entgegengewirkt. Die Zahl der Nisthilfen sei viermal höher als in der Literatur vorgeschlagen; durch das Überangebot soll eine möglichst vollständige Umsiedlung in die künstlichen Niststellen erreicht werden. Allerdings könnten die Haselmäuse lediglich am Trimberg in bisher nicht besiedelte Bereiche umgesiedelt werden; alle anderen müssten in vermutlich bereits besiedelte oder in noch zu entwickelnde Flächen verbracht werden. Da wegen der Entwicklungszeit von mehreren Jahren nicht sicherzustellen sei, dass kurzfristig eine Habitatverbesserung hergestellt werden könne, sei eine Ausnahme erforderlich. Zudem gingen baubedingt maximal vier bis fünf Reviere und hiermit verbunden auch Fortpflanzungs- und Ruhestätten verloren. Dies liege an dem kleinen Aktionsradius der Haselmaus (4 000 qm), der Barrierewirkung selbst kleiner Hindernisse und der aktuell fehlenden Eignung angrenzender Flächen sowie sicher nachgewiesener eingriffsnaher Umsiedlungsmöglichkeiten (vgl. zum Vorstehenden Planfeststellungsbeschluss S. 353 ff.). Soweit der Kläger kritisiert, das Ausmaß der Beeinträchtigung werde unterschätzt, da die anlagebedingte funktionale Abtrennung des von Gehölzen geprägten und von Haselmäusen besiedelten Bahndammes außer Acht gelassen werde, hat der Beklagte sich hinsichtlich eines Teils der alten Bahndammfläche (nördlich der bestehenden B 7) auf entgegenstehende Kartiernachweise berufen und die methodische Vorgehensweise im Einzelnen dargelegt (Anlage B 4 zur Klageerwiderung S. 26 ff.). Dem hat der Kläger nicht widersprochen. Demgegenüber sieht auch der Beklagte den Bereich des alten Bahndamms zwischen der Anschlussstelle Wehretal und dem Sengelbach durchaus als geeigneten Lebensraum der Haselmaus an und nimmt insoweit - wie es der Kläger für richtig hält - nicht nur Habitatverluste, sondern auch Trennwirkungen an. Diese durfte er jedoch aufgrund der bereits vorgreiflich durchgeführten und der noch geplanten Maßnahmen (etwa Maßnahme A 11.8 - Gehölzabpflanzung, E 5.9 - gelenkte Sukzession und Anlage von Gehölzstreifen zugunsten der Fledermäuse) sowie wegen der Größe der verbleibenden Gehölzflächen, die z.T. weiter optimiert werden sollen, insgesamt als nicht erheblich ansehen. Immerhin übersteigt der Maßnahmenumfang den Eingriffsumfang um das ca. 1,9 fache (Anlage B 4 zur Klageerwiderung S. 28).
Angesichts der mit der geplanten Umsiedlung verbundenen Unsicherheiten hat der Beklagte den Planfeststellungsbeschluss in der mündlichen Verhandlung um ein nachträgliches Monitoring ergänzt (Anlage 3 zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14. März 2013). Danach ist nun vorgesehen, dass die Maßnahmenflächen A 5.3, A 5.6 und A 24 im zweijährigen Turnus über einen Zeitraum von sechs Jahren nach der Umsiedlung auf Besatz durch die Haselmaus zu überprüfen sind. In diesem Zuge sind die Nisthilfen instandzuhalten und zu säubern. Auch insoweit ist auf den im Planfeststellungsbeschluss enthaltenen allgemeinen Auflagenvorbehalt (Planfeststellungsbeschluss S. 53) hinzuweisen, der dem Beklagten ermöglicht, etwaigen Fehlentwicklungen entgegenzusteuern.
bb) Die Voraussetzungen für eine Ausnahme nach § 45 Abs. 7 BNatSchG liegen vor.
Nach § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG können die nach Landesrecht für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden - wegen der Konzentrationswirkung des Planfeststellungsbeschlusses also auch die Planfeststellungsbehörden - im Einzelfall Ausnahmen von den Verboten des § 44 BNatSchG aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art zulassen. Darüber hinaus erfordert eine Ausnahme nach § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG, dass zumutbare Alternativen nicht gegeben sind und sich der Erhaltungszustand der Populationen einer Art nicht verschlechtert.
Anders als beim Verbotstatbestand des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG ist im Rahmen der Ausnahme nicht der Erhaltungszustand des von dem Vorhaben unmittelbar betroffenen lokalen Vorkommens maßgeblich, sondern eine gebietsbezogene Gesamtbetrachtung anzustellen, die auch die anderen (Teil-)Populationen der Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet in den Blick nimmt. Entscheidend ist, ob die Gesamtheit der Populationen in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet, das über das Plangebiet hinausreicht, als lebensfähiges Element erhalten bleibt. Für die Beurteilung, ob dies zutrifft, ist der Planfeststellungsbehörde ein Beurteilungsspielraum eingeräumt (Urteil vom 9. Juni 2010 - BVerwG 9 A 20.08 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 208 Rn. 60). Im Falle eines ungünstigen Erhaltungszustands der Populationen der betroffenen Art sind Ausnahmen nach Art. 16 Abs. 1 FFH-RL zulässig, wenn sachgemäß nachgewiesen ist, dass sie weder den ungünstigen Erhaltungszustand dieser Populationen weiter verschlechtern noch die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands behindern; darüber hinaus müssen keine "außergewöhnlichen Umstände" vorliegen (Urteil vom 14. April 2010 - BVerwG 9 A 5.08 - BVerwGE 136, 291 Rn. 141). Hängt die artenschutzrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens von Ausnahmen für mehrere Beeinträchtigungen ab, die dieselbe Art betreffen, so sind die Ausnahmevoraussetzungen in einer Gesamtschau der artenschutzwidrigen Beeinträchtigungen zu prüfen, weil sich nur so das für den Ausnahmegrund zu berücksichtigende Gewicht der Beeinträchtigungen und deren Auswirkungen auf den Erhaltungszustand der Populationen sachgerecht erfassen lassen. Deshalb sind in die Ausnahmeprüfung etwa die dem Tötungsverbot zuwiderlaufende Baufeldfreimachung und möglicherweise dem Fangverbot widersprechende CEF-Maßnahmen einzubeziehen (Urteil vom 14. Juli 2011 - BVerwG 9 A 12.10 - BVerwGE 140, 149 Rn. 146).
Hiervon ausgehend durfte der Planfeststellungsbeschluss für die Haselmaus eine Ausnahme von den artenschutzrechtlichen Zugriffsverboten nach § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5, Satz 2 BNatSchG zulassen (vgl. Planfeststellungsbeschluss S. 24 sowie S. 453 ff.). Da die Tatbestandsmerkmale des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG (zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses) denen des § 34 Abs. 3 BNatSchG entsprechen, kann insoweit auf die obenstehenden Ausführungen zur Ausnahmeprüfung im Zusammenhang mit dem FFH-Gebiet "Werra- und Wehretal" verwiesen werden. Eine zumutbare Alternative ist auch im Rahmen der artenschutzrechtlichen Prüfung nicht erkennbar. Zu den möglichen anderen zufriedenstellenden Lösungen i.S.d. Art. 16 Abs. 1 FFH-RL können alternative Standorte (oder Trassen), andere Größenordnungen oder alternative Aktivitäten, Prozesse oder Methoden gehören (vgl. Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie 92/43/EWG, Februar 2007, III 2.2 Rn. 37). Andere Trassenalternativen wurden bereits oben ausgeschieden. Dass für die in Rede stehenden Prozesse - hier die Freimachung des Baufeldes, der Bau selbst sowie die Verbringung der Tiere im Rahmen der geplanten Umsiedlung - weniger eingreifende Varianten zur Verfügung stünden, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Schließlich wird sich auch der Erhaltungszustand der betroffenen Populationen nicht verschlechtern. Der Planfeststellungsbeschluss geht davon aus, dass durch die geplanten Maßnahmen in ausreichendem Umfang Lebensräume aufgewertet und neu geschaffen würden, so dass mittelfristig eine Stützung der lokalen Population erfolge. Die Maßnahmen seien auch sämtlich durchführbar und fachlich geeignet, insbesondere befänden sich die Eingriffsflächen in enger räumlicher Verbindung zu den CEF-Maßnahmeflächen (Planfeststellungsbeschluss S. 356). Diese Bewertung ist nicht zu beanstanden.
2. Auch hinsichtlich der artenschutzrechtlichen Bewertung der Amphibien (Kammmolche und Gelbbauchunken) kann dem Planfeststellungsbeschluss, der davon ausgeht, dass Zugriffsverbote nach § 44 Abs. 1 BNatSchG nicht verwirklicht werden (S. 391), jedenfalls im Ergebnis gefolgt werden. Hinsichtlich der Wirksamkeit der bereits durchgeführten vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen kann auf die Ausführungen im Zusammenhang mit dem FFH-Gebiet "Trimberg bei Reichensachsen" verwiesen werden. Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung im Rahmen der artenschutzrechtlichen Erörterung bekräftigt, dass ein Verbleib von Tieren im Trassenbereich aufgrund der Errichtung des nur einseitig überwindbaren Sperrzauns sowie der zur Laichzeit im Frühsommer vor Baubeginn aufzustellenden Baustellenabzäunung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne (vgl. hierzu auch Planfeststellungsbeschluss S. 392 f.); die Zäune würden im Rahmen der Funktionskontrolle auch regelmäßig überprüft. Soweit der Planfeststellungsbeschluss dennoch auf möglicherweise im Trassenbereich verbliebene Einzelexemplare hinweise und sich insoweit auf § 44 Abs. 5 Satz 2, 3 BNatSchG stütze (S. 393), seien diese Ausführungen rein vorsorglich zu verstehen. Angesichts dessen geht der Senat davon aus, dass es sich allenfalls um einige wenige Tiere handelt, für die jedenfalls eine objektive Ausnahmelage vorläge (vgl. hierzu etwa Urteile vom 9. Juli 2008 - BVerwG 9 A 14.07 - BVerwGE 131, 274 Rn. 131 und vom 14. Juli 2011 a.a.O. Rn. 148). Ob der Planfeststellungsbeschluss sich insoweit zu Recht auf die Privilegierungsvorschrift des § 44 Abs. 5 Satz 2, 3 BNatSchG berufen hat (vgl. hierzu Urteil vom 14. Juli 2011 a.a.O. Rn. 119; ausführlich zur Problematik Fellenberg, UPR 2012, 321 <324, Fn. 31>), kann deshalb offen bleiben.
3. In Bezug auf die Schlingnatter und die Zauneidechse ist der Planfeststellungsbeschluss von Auswirkungen des Vorhabens ausgegangen, die den artenschutzrechtlichen Verboten des § 44 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BNatSchG unterfallen, hat aber jeweils eine Ausnahme zugelassen. Das ist nach den nachvollziehbaren Ausführungen im Planfeststellungsbeschluss, die die Gutachter in der mündlichen Verhandlung bestätigt haben, im Ergebnis ebenfalls nicht zu beanstanden.
Aufgrund des vorgesehenen Amphibienschutzzaunes (Schutzmaßnahmen S 5.11, S 5.12 und S 5.13) können zwar betriebsbedingte Verluste von Individuen ausgeschlossen werden, nicht aber Tötungen aufgrund von Beschädigungen, Entnahmen oder Zerstörungen von Fortpflanzungs- und Ruhestätten, die im Zusammenhang mit der geplanten Umsiedlung der Zauneidechse und der Schlingnatter bewirkt werden können. Da der Erfolg des Einsammelns und Umsetzens der Tiere in die bereits hergestellten oder herzustellenden neuen bzw. verbesserten Habitate nach den gutachterlichen Feststellungen nicht sicher ist, scheiden die vorgesehenen Maßnahmen (A 3.6, A 3.7, A 3.8, A 4.2, A 5.2 und A 5.8 = Anlage von Geröllfeldern und Steingruben) als vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen aus. Darüber hinaus erfüllt das Vorhaben durch die vorhabenbedingten Zerschneidungswirkungen in Verbindung mit dem unsicheren Erfolg der Umsiedlung auch den Störungstatbestand i.S.v. § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG. Des Weiteren wird gegen § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG verstoßen, da vorhabenbedingt im Planfeststellungsbeschluss näher bezeichnete Fortpflanzungs- und Ruhestätten in Anspruch genommen werden. Aufgrund der Ortstreue der Art, ihres Aktionsradius und der Qualität der den Eingriffsbereich umgebenden Habitate ist ein Fortbestand der ökologischen Funktionen im räumlichen Zusammenhang nicht sicher zu erwarten.
Die unter verschiedenen Gesichtspunkten geübte Kritik des Klägers an dieser Bewertung greift nicht durch. Ihm kann zunächst nicht darin gefolgt werden, dass die Bestandsaufnahme unzureichend sei. Die Erfassung von repräsentativen Probeflächen, wie sie hier erfolgt ist, ist methodisch nicht zu beanstanden; eine vollständige Bestandsaufnahme, wie sie der Kläger für die Zauneidechsen fordert, ist demgegenüber unverhältnismäßig. Im Übrigen legt der Kläger auch nicht dar, weshalb die gewählte repräsentative Methode unzureichend sein soll.
Auch bezüglich der Wirksamkeit des Maßnahmenkonzeptes, das im Einzelnen mit der Oberen Naturschutzbehörde abgestimmt worden ist, bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Der Umsiedlung von Reptilien wird im Endbericht Rahmenbedingungen des o.g. FuE-Vorhabens eine "sehr hohe Erfolgswahrscheinlichkeit als vorgezogene Ausgleichsmaßnahme" zugebilligt (Artensteckbrief zur Zauneidechse A 173). Dass entgegen der klägerischen Einschätzung Extensivgrünland als Lebensraum für die Arten Zauneidechse und Schlingnatter und zur Herstellung eines Verbundes geeignet sei, hat der Beklagte bereits in der Klageerwiderung näher dargelegt. Danach handelt es sich bei der konkret vorgesehenen Maßnahme um Extensivweiden mit geringer Besatzdichte sowie Extensivwiesen mit einem den Reptilien angepassten Mahdregime. Auch die Maßnahme A 3.6 ist - zusammen mit den bereits vorlaufend angelegten Gehölzstrukturen - für einen funktionsfähigen Verbund geeignet. Die Gutachter haben ihre Annahmen in der mündlichen Verhandlung anhand von Kartenmaterial zu den südexponierten Maßnahmeflächen nachvollziehbar belegt.
Die für die Zauneidechse vorgesehene Nebenbestimmung A V 2.5 Nr. 3 (Planfeststellungsbeschluss S. 39) dürfte der Kläger allerdings zu Recht kritisiert haben. Die zunächst vorgesehene bloße Funktionskontrolle des Ersatzhabitats erscheint problematisch, da Rückwanderbewegungen denkbar sind, ein Fortschreiten der Sukzession zum Verlust der Lebensraumeignung in den Ersatzlebensräumen führen kann und außerdem Unsicherheiten bezüglich der Dimensionierung der Ausgleichsmaßnahme bestehen können, falls deutlich mehr Tiere bei der Umsiedlung gefangen werden als angenommen. Der Beklagte hat dem jedoch in der mündlichen Verhandlung durch die Ergänzung der Nebenbestimmung um zwei weitere Regelungen (vgl. A V 2.5 Nr. 4 und 5, Anlage 4 zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14. März 2013) Rechnung getragen. Danach sind die jeweiligen Maßnahmenflächen vom Zeitpunkt der Umsetzung an in einem zweijährigen Turnus über einen Zeitraum von sechs Jahren auf die Präsenz von Zauneidechse und Schlingnatter durch einen erfahrenen Herpetologen zu überprüfen. Hierdurch werden die Bedenken des Klägers hinreichend ausgeräumt; hinsichtlich etwaiger Reaktionsmöglichkeiten ist erneut auf den allgemeinen Auflagenvorbehalt (Planfeststellungsbeschluss S. 53) zu verweisen.
Hinsichtlich der nach § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5, Satz 2 BNatSchG erteilten Ausnahme von den Zugriffsverboten des § 44 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BNatSchG gelten die Ausführungen zur Haselmaus entsprechend. Dabei kann der Senat weiterhin offen lassen, ob das Fangen wild lebender Tiere neben dem Entzug der Bewegungsfreiheit als solchem eine gewisse Dauer des Entzugs voraussetzt (Urteil vom 14. Juli 2011 - BVerwG 9 A 12.10 - BVerwGE 140, 149 Rn. 130). Denn selbst wenn entgegen der Auffassung des Planfeststellungsbeschlusses (vgl. dort S. 404) eine Ausnahme erforderlich wäre, läge insoweit eine objektive Ausnahmelage vor, sodass der etwaige Mangel unerheblich wäre (vgl. Urteil vom 14. April 2010 - BVerwG 9 A 5.08 - BVerwGE 136, 291 Rn. 147).
4. Bezogen auf die verschiedenen Vogelarten ergeben sich ebenfalls keine Verstöße gegen artenschutzrechtliche Bestimmungen. Sowohl die vereinfachte (a) als auch die vertiefte (b) Prüfung der Vogelarten weist keine durchgreifenden Mängel auf.
a) Im Untersuchungsraum wurden zahlreiche Europäische Vogelarten teilweise nur als Nahrungsgäste oder als Durchzügler nachgewiesen. Auf der Grundlage einer vereinfachten Überprüfung hat der Beklagte für 67 Vogelarten den vorhabenbedingten Eintritt der Zugriffsverbote des § 44 Abs. 1 BNatSchG ausgeschlossen, darunter - unter Berücksichtigung der CEF-Maßnahme FFH 28 - auch für den Schwarzspecht. Aufgrund der Häufigkeit ihres Vorkommens, der Anpassungsfähigkeit dieser Arten, der konkreten Lebensraumsituation vor Ort und/oder der geringen vorhabenbedingten Betroffenheit der genannten Arten sowie unter Berücksichtigung der für andere Vogelarten planfestgestellten landschaftspflegerischen Maßnahmen könne gesichert davon ausgegangen werden, dass der Tötungstatbestand ausgeschlossen ist, die ökologischen Funktionen ihrer Fortpflanzungs- und Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin gewahrt sind und keine Verschlechterung des Erhaltungszustandes der lokalen Population eintritt (vgl. genauer Planfeststellungsbeschluss S. 408 f.).
Diese Annahmen sind nicht zu beanstanden. Bezüglich des Ortolans kann entgegen der Auffassung des Klägers dahinstehen, ob ein Brutverdacht angesichts der Beobachtungen im Jahre 2010 - der in Hessen als ausgestorben geltende Vogel wurde viermalig Balzrufe ausstoßend verhört - zu Recht verneint worden ist oder nicht (vgl. Planfeststellungsbeschluss S. 409); nach Auffassung des Beklagten hat es sich hierbei um eine bloße Durchzugsbeobachtung gehandelt. Denn der Kläger hat auch in der mündlichen Verhandlung nicht aufzeigen können, welche (weitergehenden) Konsequenzen die Annahme eines solchen Brutverdachts gehabt hätte. Immerhin gab es im Mai/Juni 2011 eine zusätzliche Kontrollbegehung, bei der kein Nachweis des Ortolans erbracht werden konnte (s. hierzu Stellungnahme der Oberen Naturschutzbehörde vom 29. August 2011, Verfahrensakte Ordner 5 Bl. 350).
b) Für 40 Europäische Vogelarten erfolgte in der Unterlage 12.4 (Artenschutzbeitrag zum LBP, Kapitel 3.2, S. 77 bis 197) eine vertiefte artbezogene Betrachtung. Danach werden 22 Arten aufgrund der Ausführung des Vorhabens und der verfügten Bauzeitenregelungen (vgl. hierzu Planfeststellungsbeschluss A V 2.2 = S. 33 ff.) ohne jede weitere landschaftspflegerische Maßnahme vorhabenbedingt nicht von den Verbotstatbeständen des § 44 Abs. 1 BNatSchG betroffen, darunter Girlitz und Kolkrabe (Planfeststellungsbeschluss S. 412). Auch diese Einschätzung weist keine Fehler auf.
Soweit der Kläger für den Girlitz eine Verletzung des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG geltend macht, berücksichtigt er schon nicht den Unterschied zwischen Fortpflanzungs-/Ruhestätten und Brutrevier. Das Zugriffsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG schützt die konkret benutzte (oder wieder zu nutzende) Fortpflanzungsstätte, nicht das Revier. Von einem Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG kann daher allenfalls dann ausgegangen werden, wenn bei reviertreuen Vogelarten, die zwar ihre Brutplätze, nicht aber ihre Brutreviere regelmäßig wechseln, in einem regelmäßig belegten Brutrevier alle als Standort von Nestern geeigneten Brutplätze verloren gehen (Urteil vom 18. März 2009 - BVerwG 9 A 39.07 - BVerwGE 133, 239 Rn. 75; ebenso Leitfaden für die artenschutzrechtliche Prüfung in Hessen, Stand Mai 2011, S. 17). Auf Fortpflanzungs- und Ruhestätten des Girlitz wird nicht unmittelbar zugegriffen. Zwar sind - ausgehend von der Arbeitshilfe Vögel und Straßenverkehr - Störungen für zwei Reviere des schwach lärmempfindlichen Girlitz - Gruppe 4 nach der Arbeitshilfe - innerhalb des 100 m- bzw. 200 m-Wirkbandes zu prognostizieren. Eine vertiefte Raumanalyse (vgl. hierzu Arbeitshilfe Vögel und Straßenverkehr, S. 47 ff.) hat aber gezeigt, dass diese Störungen aufgrund der hohen Vorbelastungen durch die B 7 sowie der Fähigkeit der Art, jedes Jahr neue Nester anzulegen und Reviere kleinräumig zu verlagern, nicht zu einer Verschlechterung des Erhaltungszustandes der lokalen Population führen werden (vgl. hierzu genauer Anlage B 4 zur Klageerwiderung S. 47 ff.). Ähnlich verhält es sich mit dem Kolkraben. Auch hier hat eine vertiefte Raumanalyse ergeben, dass erhebliche optische Störungen für diese nicht lärmempfindliche Art - Gruppe 5 nach der Arbeitshilfe - durch die Einschnittslage der Trasse, die Hanglage und die abschirmende Wirkung der zwischen Trasse und Waldrand gelegenen Gehölze des Bahndammes zu verneinen sind (vgl. zum Vorstehenden Planfeststellungsbeschluss S. 412 f. sowie Anlage B 4 zur Klageerwiderung S. 49 ff.). Die Gutachter, darunter der Mitautor der genannten Arbeitshilfe, Dr. M., haben diese Bewertung in der mündlichen Verhandlung bestätigt.
Weitere achtzehn Vogelarten wurden vertieft betrachtet (vgl. hierzu Planfeststellungsbeschluss S. 413 ff.). Auch insoweit greift die hinsichtlich einiger Arten geäußerte Kritik des Klägers nicht durch.
Wie im Fall des Girlitz wird auch beim Gartenrotschwanz auf eine Fortpflanzungsstätte nicht unmittelbar zugegriffen. Vorhabenbedingt kommt es ausschließlich zu mittelbaren Wirkungen durch Lärm, die zwar als Störung, wegen der weiträumig - vergleichbar mit der Größe eines Landkreises - abzugrenzenden lokalen Population allerdings nicht als erhebliche Störung zu qualifizieren sind. Denn es stehen durch die Maßnahme A 24 (Ausbringen von zehn Nistkästen) ausreichend neue Fortpflanzungsstätten zur Verfügung. Da die konkrete Fortpflanzungsstätte des Gartenrotschwanzes nicht zerstört wird, kommt es auf die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob die zehn Nistkästen räumlich funktional zur Fortpflanzungsstätte stehen, schon nicht entscheidungserheblich an; wegen der (räumlichen) Größe der Population ist dieser Zusammenhang allerdings zu bejahen (vgl. zum Vorstehenden Planfeststellungsbeschluss S. 420 unter Bezugnahme auf die Stellungnahme der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland vom 14. September 2011 sowie Anlage B 4 zur Klageerwiderung S. 54 ff.).
Ebenso überzeugend ist die Behandlung des Gelbspötters. Zwar ist insoweit von einem Verlust von drei Revieren durch Überbauung auszugehen. Die ökologische Funktion der vorhabenbedingt in Anspruch genommenen Fortpflanzungs- und Ruhestätten der Art wird aber durch die vorgesehenen Ausgleichsmaßnahmen (A 2.3 - Anlage von Strauchhecken in Kombination mit Extensivwiesen, A 3.0 - Entwicklung einer Extensivwiese und Aufbau eines Waldrandes sowie eines Gehölzstreifens und A 3.5 - Anlage eines Gehölzstreifens) weiterhin erfüllt. Daneben führen auch die planfestgestellten Kompensationsmaßnahmen A 2.2, A 3.2 und A 3.6 (Anlage von Strauchhecken) zu einer weiteren dauerhaften Verbesserung der Habitate. Entgegen der Auffassung des Klägers können die geplanten CEF-Maßnahmen auch - wie von der Planung angenommen - innerhalb von zwei Jahren wirksam werden. Dies wird durch den Einsatz entsprechender Pflanzqualitäten (bestimmte vom Gelbspötter bevorzugte Straucharten in einer Mindesthöhe von 1 m bis 1,50 m) sichergestellt (vgl. im Einzelnen Planfeststellungsbeschluss S. 421 f. und Anlage B 4 zur Klageerwiderung S. 56 f.).
Ähnlich verhält es sich mit dem Grauspecht. Auch insoweit überzeugen die Annahmen des Beklagten; der Kläger bestreitet erfolglos die Wirksamkeit der vorgesehenen Maßnahmen. Zwar werden randliche Störungen von Revieren des Grauspechts nicht ausgeschlossen. Aufgrund des großen Aktionsraums dieser Art von bis zu 500 ha pro Revier bewirken diese jedoch keine Verschlechterung des Erhaltungszustands der lokalen Population. Auch bezüglich des anlagebedingten Wegfalls geeigneter Höhlenbäume im Bereich der Portale des Spitzenbergtunnels, ist ein Eintritt des Verbotstatbestandes (§ 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG) zu verneinen, weil geeignete Habitate im räumlichen Zusammenhang vorliegen. Insoweit kann zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die Ausführungen im Zusammenhang mit der Prüfung der charakteristischen Arten Grau- und Schwarzspecht im FFH-Gebiet "Werra- und Wehretal" Bezug genommen werden. Dort wurde bereits auf die Maßnahme FFH 28 nördlich von Datterode (FFH-Gebietserweiterung zur Sicherung des günstigen Erhaltungszustandes für den LRT 9110) hingewiesen, die zugleich eine vorgezogene Ausgleichsmaßnahme für den Schwarzspecht darstellt; hiervon profitiert auch der Grauspecht. Daneben kommt dem Grauspecht die zugunsten von Fledermäusen vorgesehene vorgezogene Ausgleichsmaßnahme A 23.2 am Eddertalsgraben (Sicherung eines 5,88 ha großen Altholzbestandes) zugute. Die mit dieser Maßnahme verbundene Entlassung aus der geregelten Bewirtschaftung ist sofort wirksam, so dass die Bedenken des Klägers hinsichtlich der Wirksamkeit der Maßnahme nicht durchgreifen (vgl. genauer Planfeststellungsbeschluss S. 423 ff.).
Bezüglich des Raubwürgers durfte der Beklagte die artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote ebenfalls verneinen. Dem Planfeststellungsbeschluss zufolge führen die anlage- und betriebsbedingten Beeinträchtigungen aufgrund der speziellen Vermeidungsmaßnahmen für den Raubwürger (Maßnahmen A 4.6, A 4.7, A 4.8, A 4.9, A 4.10 - Pflege und Ergänzung vorhandener sowie Anlage neuer Streuobstwiesen, gelenkte Sukzession und Anlage von Extensivweiden), durch die ohne zeitliche Funktionslücke auf 10,6 ha ein Optimalhabitat für den Raubwürger in unmittelbarer Nähe zu seinem derzeitigen Reviermittelpunkt sowie außerhalb der artspezifischen Effektdistanz von 300 m geschaffen werde, nicht zu einer erheblichen Störung. Eine weitere Aufwertung des Lebensraumes erfolge durch die nachgelagerten FCS-Maßnahmen A 4.4 und A 4.1 (Anlage von Extensivweide für Schlingnatter und Zauneidechse); da hierdurch die Habitate angrenzend zu den Vermeidungsmaßnahmen-Flächen verbessert würden, kämen diese Maßnahmen auch dem Raubwürger zugute. Eine 100%-ige Verschlechterung der Habitateignung sei entgegen der Unterlage 12.4 nicht anzunehmen, denn das Revierzentrum befinde sich knapp außerhalb der artspezifischen Effektdistanz. Selbst wenn man dies anders bewerten wolle, wären jedoch die vorgesehenen Vermeidungsmaßnahmen ebenfalls geeignet, die ökologische Funktionalität im räumlichen Zusammenhang aufrechtzuerhalten (vgl. im Einzelnen Planfeststellungsbeschluss S. 434 ff., u.a. unter Hinweis auf die Stellungnahme der Staatlichen Vogelschutzwarte vom 14. September 2011). Weitergehende Maßnahmen seien entgegen der Auffassung des Klägers nicht erforderlich. Durch die Anlage/Optimierung und Entwicklung der Streuobstwiesen könne kurzfristig das Angebot an Sitzwarten erhöht werden. Für die Anlage des Nestes geeignete Gehölzstrukturen seien außerhalb der Effektdistanz von 300 m bereits vorhanden. Diese würden auch nicht beschädigt. Dem Einwand des Klägers, der Lebensraumverlust für den Raubwürger liege nach seiner Einschätzung bei etwa 27 ha, dem stünden aber nur CEF-Maßnahmen im Umfang von 10,6 ha gegenüber, sei entgegenzutreten. Der Verlust von Habitatflächen innerhalb des ca. 100 ha großen Raubwürger-Reviers lasse sich nicht exakt bestimmen; man gehe insoweit von ca. 7 ha Flächenverlust aus. Dabei habe man die betroffenen Habitatstrukturen aus der Biotoptypenkartierung berücksichtigt (Anlage B 4 zur Klageerwiderung S. 59 f.). Die Gutachter des Vorhabenträgers sowie der Vertreter der Staatlichen Vogelschutzwarte haben diese Annahmen in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Sie haben überzeugend dargelegt, dass die vorgesehenen Maßnahmen zugunsten des Raubwürgers sowohl qualitativ als auch quantitativ ausreichend sind, um die mit ihnen beabsichtigten Effekte zu erzielen.
Auch bezüglich der Rauchschwalbe greift die Kritik des Klägers nicht durch. Zwar werden vorhabenbedingt 15 der insgesamt 37 Reviere zerstört. Dem Planfeststellungsbeschluss (vgl. S. 439 ff.) kann aber darin gefolgt werden, dass angesichts der sehr großräumig abzugrenzenden Population die ökologische Funktion der anlage- und baubedingt in Anspruch genommenen Fortpflanzungs- und Ruhestätten am Gebäude des Hofes A. durch die vorgesehene Ausbringung von 75 Nisthilfen an Gebäuden innerhalb der Ortslagen von Bischhausen, Oetmannshausen, Reichensachsen und Hoheneiche - bevorzugt an Höfen mit Viehhaltung - (Maßnahme A 24) im räumlichen Zusammenhang gewahrt bleibt (vgl. hierzu die ausführliche Begründung in Anlage B 4 zur Klageerwiderung S. 61 ff. unter Bezugnahme auf die Stellungnahme der Staatlichen Vogelschutzwarte vom November 2010).
Ebenso ist die lokale Population der Turteltaube großräumig abzugrenzen. Hierdurch und aufgrund des hohen Habitatangebotes geht der Planfeststellungsbeschluss zu Recht von einer nicht erheblichen Störung von fünf Revieren aus. Die Turteltaube profitiert zudem von den für andere Arten konzipierten Maßnahmen zur Habitataufwertung. Soweit der Kläger die kurzfristige Wirksamkeit der Maßnahmen in Frage stellt und deren Gesamtumfang als unzureichend kritisiert, ist dem bereits die Staatliche Vogelschutzwarte in ihrer Stellungnahme vom 14. September 2011 mit überzeugender Begründung entgegengetreten (vgl. im Einzelnen Planfeststellungsbeschluss S. 444 ff. und Anlage B 4 zur Klageerwiderung S. 65 f.). Dem schließt sich der Senat an.
Im Übrigen ist hinsichtlich der zuletzt betrachteten Gruppe der vertieft untersuchten Vogelarten zu beachten, dass der Beklagte in der mündlichen Verhandlung die Nebenbestimmungen A V Nr. 2 um die weitere Regelung "Nr. 2.9 Avifauna (Baumfalke, Gelbspötter, Kuckuck, Neuntöter, Raubwürger, Turteltaube)" ergänzt hat (Anlage 6 zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14. März 2013). Danach sind bestimmte näher aufgeführte Maßnahmen zur Anlage von Gehölz- und Grünlandhabitaten im Rahmen der Kontrollpflicht nach § 17 Abs. 7 BNatSchG zu genauer bestimmten Zeitpunkten auf das Vorhandensein artgerechter Habitatstrukturen sowie das Vorliegen der Voraussetzungen für die Nutzung durch die Arten zu überprüfen. Die mit der Maßnahme A 24 geschaffenen Nistkästen, die u.a. für den Gartenrotschwanz und die Rauchschwalbe vorgesehen sind, sind jährlich instandzuhalten und zu säubern.
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http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-WBRE410019663&psml=bsjrsprod.psml&max=true
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019664
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BVerwG
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Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO
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20130619
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20 F 10/12
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Beschluss
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§ 99 Abs 2 VwGO
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vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 2. August 2012, Az: 27 F 96/11, Beschluss
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DEU
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Zur Abwägung von Schutz- und Geheimhaltungsbedürftigkeit schutzwürdiger Angaben bei einem die Rechte und Interessen des Beteiligten betreffenden Verwaltungsverfahren; zum Prüfprogramm des Fachsenats
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I.
Der Kläger begehrt mit dem diesem Zwischenverfahren zugrundeliegenden Verfahren auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes (IFG) Einsicht in Unterlagen der beklagten Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, die im Rahmen der Aufsicht über drei Finanzdienstleistungsunternehmen angefallen sind; eine der Gesellschaften ist zwischenzeitlich im Handelsregister gelöscht, über das Vermögen der beiden anderen ist das Konkursverfahren nach österreichischem Recht eröffnet worden.
Mit Beschluss vom 12. August 2010, ergänzt durch Beschluss vom 18. Oktober 2010, forderte der Verwaltungsgerichtshof als Gericht der Hauptsache im Berufungsverfahren die Beklagte auf, im Einzelnen benannte Unterlagen vorzulegen. Da der Informationszugangsanspruch nicht bereits an anderen Bestimmungen - wie insbesondere § 3 Nr. 1 Buchst. d IFG oder § 7 Abs. 2 IFG - scheitere, komme es entscheidungserheblich darauf an, ob die Beklagte sich zu Recht auf den Weigerungsgrund nach § 3 Nr. 4 IFG i.V.m. § 9 KWG bzw. § 8 Abs. 1 Satz 1 WpHG berufen könne. Diese Vorschriften erfassten über die beispielhaft genannten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse hinaus auch personenbezogene Daten und enthielten somit eine § 5 und § 6 Satz 2 IFG verdrängende Spezialregelung. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der drei Gesellschaften unterlägen allerdings nicht mehr der Verschwiegenheitspflicht; denn eine sei bereits im Handelsregister gelöscht, und für die anderen hätten sowohl der Konkursverwalter als auch die Vorstände in eine Akteneinsicht eingewilligt bzw. Einwände gegen die Informationsweitergabe nicht erhoben.
Daraufhin gab der Beigeladene zu 3 als oberste Aufsichtsbehörde unter dem 9. Dezember 2010 eine Sperrerklärung bezüglich der angeforderten Unterlagen ab. Die Geheimhaltungsbedürftigkeit der gesperrten Akten gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ergebe sich primär aus § 8 Abs. 1 Satz 1 WpHG, § 9 Abs. 1 KWG und § 5b InvG als gesetzliche Verschwiegenheitspflichten und daneben aus dem Wesen der begehrten Information selbst. Die vorzulegenden Unterlagen enthielten Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse der Unternehmen und/oder dritter Personen liege, insbesondere Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sowie personenbezogene Daten. Der Verschwiegenheitsschutz zu Gunsten des Unternehmens entfalle weder deswegen, weil der Konkursverwalter keine Einwendungen gegen die Informationsweitergabe erhoben habe noch deswegen, weil ein Verdacht von Rechtsverstößen bestehe. Die Geheimhaltungsbedürftigkeit folge teilweise auch aus dem Umstand, dass die Informationen vertraulich übermittelt worden seien. Die Abwägung im Rahmen der Ermessensentscheidung führe zur Sperrung der Akten. Gewichtige - grundrechtlich geschützte - private sowie öffentliche Geheimhaltungsinteressen sprächen gegen eine Preisgabe der gesperrten Aktenteile. Bei der Würdigung der rechtsschutzverkürzenden Wirkung der Nichtvorlage der geheim zu haltenden Aktenteile sei zu berücksichtigen, dass der Kläger im Rahmen des Zwischenverfahrens wegen teilweiser Überschneidung der Prüfungsgegenstände die Möglichkeit habe, eine gerichtliche Überprüfung der Voraussetzungen des § 8 WpHG/§ 9 KWG zu erreichen.
Mit Beschluss vom 2. August 2012 hat der Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs den Antrag des Klägers im Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO insoweit abgelehnt, als er festgestellt hat, dass die Verweigerung der Vorlage im Einzelnen bezeichneter Unterlagen wegen des Schutzes personenbezogener Daten insgesamt rechtmäßig sei. Bezüglich weiterer Unterlagen sei die Verweigerung der Nennung schutzwürdiger Daten Dritter rechtmäßig; sie sei durch Schwärzung zu gewährleisten. Hierunter fielen nur Daten, die juristischen oder natürlichen Personen zuzuordnen seien, die nicht Mitarbeiter der beteiligten Behörden oder der beigeladenen (insolventen) Firmen seien bzw. gewesen seien. Franchisenehmer, Vertreter oder ähnliche Personen, die für diese Firmen selbstständig tätig geworden seien, gälten als Dritte im Sinne dieser Regelung. Im Übrigen hat er festgestellt, dass die Verweigerung der Vorlage der begehrten Unterlagen rechtswidrig sei. Zur Begründung hat er ausgeführt: In der Sperrerklärung seien nur teilweise Tatbestandsmerkmale, die die Verweigerung der Vorlage zuließen, in der erforderlichen Weise substantiiert dargelegt. Die Unterlagen seien nicht gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 VwGO nach einem Gesetz geheim zu halten. Die in § 9 Abs. 1 KWG, § 8 Abs. 1 Satz 1 WpHG und § 5b InvG angeordnete Verschwiegenheitspflicht erfülle diese Voraussetzung nicht. Personenbezogene Informationen über Dritte und Geschäftsgeheimnisse seien zwar grundsätzlich ihrem Wesen nach geheim zu halten. Allerdings werde ein insbesondere nach Eröffnung des Konkursverfahrens fortbestehendes Interesse an der Geheimhaltung betriebsinterner Vorgänge nicht dargelegt. Die Durchsicht der Unterlagen ergebe indessen, dass darin schützenswerte Daten Dritter enthalten seien. Nur bei einem Teil der Unterlagen könne das berechtigte Geheimhaltungsbedürfnis schon durch eine Schwärzung der Namen oder sonstiger personenbezogener Hinweise effektiv gewährleistet werden. Nicht schützenswert seien jedoch mangels besonderer, die Geheimhaltungsbedürftigkeit begründender Umstände die Namen von Behördenmitarbeitern oder die Namen der direkten Mitarbeiter der betroffenen Firmen. Hinsichtlich der schützenswerten Daten seien die Ermessenserwägungen wegen des Verweises auf die fachgesetzlichen Geheimhaltungsvorschriften zwar fehlerhaft. Dies sei jedoch unbeachtlich, da das Ermessen wegen des Schutzes der Grundrechte Dritter aus Gründen der Verhältnismäßigkeit gebunden sei.
Hiergegen wenden sich die Beschwerden der Beklagten und des Beigeladenen zu 3.
II.
Die zulässigen Beschwerden, mit denen die Beschwerdeführer sich lediglich insoweit gegen den angefochtenen Beschluss wenden, als darin den Daten von Mitarbeitern am Verwaltungsverfahren beteiligter Behörden, von Mitarbeitern der beteiligten (insolventen) Firmen und von sonstigen Dritten der Schutz versagt wird, sind nur zum Teil begründet.
Auf den zulässigen Antrag nach § 99 Abs. 2 VwGO hat der Verwaltungsgerichtshof bei seinen verbindlichen Vorgaben für die Vornahme von Schwärzungen zum Schutz der Belange Dritter einen unzutreffenden, bei personenbezogenen Daten zu engen rechtlichen Maßstab angelegt. Insoweit können die Beschwerdeführer eine Änderung des angefochtenen Beschlusses verlangen (1.). Ohne Erfolg begehren sie jedoch, die Teilablehnung des Antrags in Ziffer 2 des Entscheidungsausspruchs auch auf weitere Unterlagen zu erstrecken. In dieser Hinsicht war der Entscheidungsausspruch zu korrigieren (2.).
1. Der Verwaltungsgerichtshof ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats zutreffend davon ausgegangen, dass die Weigerung, die angeforderten Unterlagen vorzulegen, nicht auf § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 VwGO in Verbindung mit § 9 Abs. 1 KWG und § 8 Abs. 1 WpHG gestützt werden kann (stRspr, Beschlüsse vom 23. Juni 2011 - BVerwG 20 F 21.10 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 64 Rn. 10 ff. und zuletzt vom 5. April 2013 - BVerwG 20 F 4.12 - juris Rn. 9 m.w.N.). Nichts anderes gilt für die Verschwiegenheitspflicht nach § 5b des Investmentgesetzes - InvG -, der auf § 9 KWG verweist. Schutzwürdigen Belangen Betroffener ist vielmehr im Rahmen des Weigerungsgrundes der wesensmäßigen Geheimhaltungsbedürftigkeit (§ 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO) Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006 - 1 BvR 2087/03 u.a. - BVerfGE 115, 205 <241>), den die Sperrerklärung ebenfalls in Anspruch nimmt. Hierzu zählen neben Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen auch die durch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten personenbezogenen Daten Dritter (stRspr, vgl. etwa Beschlüsse vom 10. Januar 2012 - BVerwG 20 F 1.11 - AfP 2012, 298 Rn. 25 und vom 6. April 2011 - BVerwG 20 F 20.10 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 63 Rn. 12). Hierunter sind Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person zu verstehen (vgl. BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 u.a. - BVerfGE 65, 1 <42>; siehe auch § 3 Abs. 1 BDSG). Soweit der Verwaltungsgerichtshof bei der Erläuterung des Begriffs der "schutzwürdigen Daten Dritter" auch auf juristische Personen Bezug nimmt, ist der Schutz personenbezogener Daten demnach nur dann einschlägig, wenn diese Ausführungen so zu verstehen sind, dass die Daten in erster Linie natürliche Personen betreffen und nur in dieser Weise vermittelt auch einer juristischen Person zuzuordnen sind. Ansonsten kann sich eine juristische Person allein auf den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen berufen.
Zu beanstanden ist hingegen, dass der Verwaltungsgerichtshof, der insoweit der Sache nach einen Bescheidungstenor formuliert hat, den personenbezogenen Daten von Mitarbeitern bei Behörden und bei der Aufsicht der Beklagten unterliegenden Unternehmen den Schutz versagt.
Personenbezogene Angaben wie Namen, Funktionsbezeichnungen, Telefonnummern und sonstige Angaben zu Telekommunikationsverbindungen werden vom Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts erfasst. Daran ändert nichts, dass Behördenmitarbeiter in Wahrnehmung öffentlich-rechtlicher Aufgaben und somit in ihrer Eigenschaft als Amtswalter tätig werden. Denn auch insoweit bleiben sie Träger von Grundrechten.
Allerdings kann es an der Schutzwürdigkeit solcher Angaben fehlen, etwa wenn die Daten schon anderweitig öffentlich bekannt sind, was insbesondere bei den Namen von in herausgehobener Stellung Beschäftigten in Betracht kommt, oder wenn die Daten in allgemein zugänglichen Quellen - wie etwa in öffentlichen Registern oder in der Presse - erwähnt wurden oder - wie Informationsmaterial und werbende Prospekte von Unternehmen - anderweitig an eine breite Öffentlichkeit gerichtet waren. Indessen bleibt gegebenenfalls zu prüfen, ob sich gerade aus dem Zusammenhang, in den die betreffenden Daten in den vorzulegenden Akten gestellt sind, Hinweise auf eine gleichwohl gegebene Schutzwürdigkeit ergeben (vgl. Beschlüsse vom 19. April 2010 - BVerwG 20 F 13.09 - BVerwGE 136, 345 Rn. 22 und vom 10. Januar 2012 a.a.O. Rn. 34).
Die Schutz- und Geheimhaltungsbedürftigkeit schutzwürdiger Angaben bestimmt sich nach einer Abwägung mit den entgegenstehenden Informationsinteressen. Dabei ist insbesondere der Bezug der am Gerichtsverfahren Beteiligten zu dem betreffenden Aktenbestand von Bedeutung. Beziehen sich die Akten auf ein die Rechte und Interessen des Beteiligten betreffendes Verwaltungsverfahren und wird hierüber im gerichtlichen Verfahren gestritten, so besteht ein besonders gewichtiges Interesse, dass die Akten im Verwaltungsprozess im Original und ohne Schwärzung von Namen vorgelegt werden. Ausnahmen bedürfen dann einer besonderen Rechtfertigung.
Diese spezifische Nähe zu den in den Verwaltungsakten dokumentierten Vorgängen fehlt demgegenüber im Allgemeinen bei den voraussetzungslosen Informationszugangsansprüchen, so dass hier die Vermutung für ein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse hinsichtlich der personenbezogenen Daten der Behördenmitarbeiter und um so mehr hinsichtlich der Mitarbeiter der beaufsichtigten Unternehmen streitet (siehe Beschlüsse vom 23. Juni 2011 - BVerwG 20 F 21.10 - NVwZ 2012, 112 Rn. 22 <insoweit in Buchholz nicht veröffentlicht>, vom 25. April 2012 - BVerwG 20 F 6.11 - juris Rn. 12 und vom 12. April 2013 - BVerwG 20 F 6.12 - juris Rn. 15). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Zugangsanspruch, wie in der Regel anzunehmen, sich auf die in den Akten enthaltenen Sachinformationen konzentriert. Allerdings kann sich ein gesteigertes Interesse gerade auch auf die für die Behörde handelnden Personen richten. Dafür ist hier nichts ersichtlich; vielmehr macht der Kläger sich in der Beschwerdeerwiderung die oben genannte Rechtsprechung zu eigen.
2. Im Anschluss an den Verwaltungsgerichtshof, der bei schutzwürdigen personenbezogenen Daten insoweit die Rechtmäßigkeit der Vorlageverweigerung festgestellt und den Antrag insoweit abgelehnt hat, begehren die Beschwerdeführer eine solche Entscheidung auch bezüglich solcher Unterlagen, bei denen der Verwaltungsgerichtshof die Schutzwürdigkeit verneint hat.
Dieser Antrag kann keinen Erfolg haben, denn er überschreitet das Prüfprogramm des Fachsenats. Folglich ist der angefochtene Beschluss in Ziffer 2 des Entscheidungsausspruchs ungeachtet der insoweit fehlenden Beschwer der Beschwerdeführer von Amts wegen abzuändern. Die Sperrerklärung wird im Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO in der Gestalt überprüft, die sie von der obersten Aufsichtsbehörde erhalten hat. Es ist nicht Aufgabe des Fachsenats, die Rechtmäßigkeit einer möglichen Ausgestaltung der Sperrerklärung vorab festzustellen. Vielmehr hat die oberste Aufsichtsbehörde auch insoweit der Abgabe einer Sperrerklärung unter Würdigung entgegenstehender Rechtspositionen eine Ermessensentscheidung zu treffen. Fehlt es an dieser, ist auf Antrag die Rechtswidrigkeit der Vorlageverweigerung festzustellen (Beschluss vom 5. April 2013 - BVerwG 20 F 7.12 - juris Rn. 11).
Der Schutz personenbezogener Daten kann zwar über eine (Teil-)Schwärzung hinaus auch die Verweigerung der Vorlage von Unterlagen rechtfertigen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Schutz der geheim zu haltenden Daten nur um den Preis der Offenlegung eines letztlich inhaltsleeren und nichtssagenden Restbestandes geleistet werden könnte. Eine Schwärzung, die aber lediglich Seiten ohne Informationsgehalt und demnach nichts Verwertbares übrig lässt oder zu einer Verfälschung des Aussagegehalts und damit zu Missverständnissen führt, muss nicht in Erwägung gezogen werden (Beschluss vom 5. April 2013 - BVerwG 20 F 7.12 - juris Rn. 10). Dass eine solche Bewertung - über die vom Verwaltungsgerichtshof in Ziffer 1 des Entscheidungsausspruchs aufgeführten Unterlagen hinaus - bei den vom Beschwerdeantrag erfassten Aktenteilen in Betracht kommt, behaupten aber auch die Beschwerdeführer nicht.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019665
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BVerwG
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4. Senat
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20130627
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4 B 37/12
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Beschluss
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§ 4 Abs 1 S 1 UmwRG, § 5 Abs 1 UmwRG, § 4 Abs 3 UmwRG, § 15 BImSchG, § 132 Abs 2 Nr 1 VwGO
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vorgehend Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 25. April 2012, Az: 2 L 192/09, Urteil
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DEU
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Anforderung an die grundsätzliche Bedeutung bei Übergangsregelungen; maßgeblicher Zeitpunkt für die Stichtagsregelung des § 5 Abs. 1 UmwRG; Aufhebung einer Genehmigungsentscheidung ohne Umweltverträglichkeitsprüfung
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Die auf den Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde, über die der Senat ohne Einbeziehung der neuerlichen Stellungnahme des Klägers vom 25. Juni 2013 entschieden hat, bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.
a) Für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig hält die Beschwerde die Fragen,
ob ein Verfahren im Sinne des § 5 UmwRG auch dann nach dem 25. Juni 2005 eingeleitet worden ist, wenn zwar nach diesem Zeitpunkt ein Baugenehmigungsantrag gestellt worden ist, dieser jedoch Folge einer Freistellungserklärung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG war, die auf eine vor diesem Zeitpunkt gestellte Anzeige eines Änderungsvorhabens hin ergangen ist,
und ggf., ob die Regelung des § 5 UmwRG mit Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/35/EG vom 26. Mai 2003 vereinbar ist.
Diese Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision.
aa) Die Frage, ob hinsichtlich der Stichtagsregelung im Sinne des § 5 Abs. 1 UmwRG auf eine Anzeige nach § 15 BImSchG abzustellen ist, ist nicht rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig.
Rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf ist schon nicht in einer den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargelegt. Übergangsregelungen kommt regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung zu (Beschlüsse vom 10. Juli 1986 - BVerwG 5 B 99.85 - Buchholz 436.36 § 66a BAföG Nr. 1 und vom 9. Juni 2000 - BVerwG 4 B 19.00 - juris m.w.N.). Gründe für eine Ausnahme von dieser Regel hat die Beschwerde nicht dargetan. Dass noch Fälle abzuwickeln sind, in denen die Übergangsvorschrift des § 5 Abs. 1 UmwRG noch von Bedeutung ist, reicht hierfür nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, dass sich die aufgeworfene Rechtsfrage für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft weiter stellen kann (Beschluss vom 8. März 2000 - BVerwG 2 B 64.99 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 21). Das Vorliegen einer solchen Sachlage muss die Beschwerde genau und im Einzelnen darlegen. Daran fehlt es hier. Die Beschwerde hat zwar behauptet, dass die Frage nicht nur wenige auslaufende Fälle betrifft. Sie hat es ferner als ein gängiges Geschehen bezeichnet, dass je nach dem Ergebnis der nach § 15 BImSchG vorzunehmenden Prüfung ein an sich UVP-pflichtiges Vorhaben entweder zum Gegenstand eines Baugenehmigungsverfahrens oder eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens gemäß § 16 BImSchG gemacht werde. Ausführungen dazu, inwieweit die aufgeworfene Rechtsfrage für einen nicht überschaubaren Personenkreis auch heute noch relevant sein könnte, obwohl der in § 5 Abs. 1 UmwRG genannte Stichtag bereits mehr als acht Jahre zurückliegt, fehlen indes gänzlich. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, von Amts wegen aufzuklären, in welchem Umfang eine Revisionsentscheidung insoweit noch grundsätzlich klärend wirken könnte (vgl. Beschluss vom 13. August 1993 - BVerwG 11 B 65.93 - MDR 1994, 319). Der unter Bezugnahme auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom "8. Dezember 2011" <richtig: 1. Dezember 2011> - 8 D 58/08.AK - (juris Rn. 93 <insoweit nicht veröffentlicht in NuR 2012, 342>) gegebene Hinweis auf das Scoping-Verfahren nach § 2a der 9. BImSchV ist insoweit unbehelflich, weil das Oberverwaltungsgericht gerade offen gelassen hat, ob die Unterrichtung der Genehmigungsbehörde mit dem Ziel der Durchführung eines Scoping-Verfahrens eine Einleitung des Verfahrens im Sinne des § 5 Abs. 1 UmwRG darstellt.
Im Übrigen lässt sich die aufgeworfene Rechtsfrage mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation auch ohne Weiteres beantworten (vgl. z.B. Beschluss vom 28. Mai 1997 - BVerwG 4 B 91.97 - NVwZ 1998, 172). Der Gesetzeswortlaut ist eindeutig: Die Stichtagsregelung des § 5 Abs. 1 UmwRG gilt für "Verfahren nach § 1 Absatz 1 Satz 1", mithin für Entscheidungen im Sinne von § 2 Abs. 3 des UVPG über die Zulässigkeit von Vorhaben (§ 2 Abs. 1 Satz 1 UVPG), für die eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen kann. Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 3 Nr. 1 UVPG sind "Entscheidungen" - neben den vorliegend nicht relevanten Linienbestimmungen und Entscheidungen im vorgelagerten Verfahren nach den §§ 15 und 16 Abs. 1 bis 3 UVPG (Nr. 2) sowie Satzungsbeschlüsse über Bebauungspläne (Nr. 3) - "Bewilligung, Erlaubnis, Genehmigung, Planfeststellungsbeschluss und sonstige behördliche Entscheidungen über die Zulässigkeit von Vorhaben, die in einem Verwaltungsverfahren getroffen werden, mit Ausnahme von Anzeigeverfahren". Ein Anzeigeverfahren nach § 15 BImSchG, das nicht auf eine behördliche Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens, sondern auf eine Entscheidung über dessen immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbedürftigkeit gerichtet ist, fällt damit bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht hierunter. Anzeigeverfahren und Baugenehmigungsverfahren sind auch nicht Teile eines einheitlichen verfahrensrechtlichen Geschehensablaufs, wie etwa der Umstand, dass die Freistellungserklärung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG etwaige nach anderen Fachgesetzen bestehende Genehmigungserfordernisse, wie z.B. die Notwendigkeit einer Baugenehmigung, unberührt lässt (Urteil vom 7. August 2012 - BVerwG 7 C 7.11 - juris Rn. 19), und das selbständige Antragserfordernis für das Baugenehmigungsverfahren belegen. Es unterliegt deshalb keinen Zweifeln, dass es hinsichtlich der Stichtagsregelung des § 5 Abs. 1 UmwRG allein auf den Zeitpunkt der Bauantragstellung und nicht auf die Anzeige nach § 15 BImSchG ankommt.
bb) Die weitere von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob § 5 UmwRG mit Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/35/EG vom 26. Mai 2003 vereinbar ist, ist ausdrücklich nur unter der - soeben verneinten - Prämisse formuliert, dass bereits in der Änderungsanzeige nach § 15 BImSchG eine Einleitung des Verfahrens im Sinne des § 5 Abs. 1 UmwRG zu sehen wäre.
b) Rechtsgrundsätzliche Bedeutung misst die Beschwerde ferner der Frage bei,
ob eine Genehmigungsentscheidung, die ohne Durchführung einer erforderlichen Umweltverträglichkeitsprüfung erteilt worden ist, auf die Klage eines Dritten hin nach § 4 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 UmwRG allein deswegen aufzuheben ist oder nur dann, wenn nach den Umständen des Falles die konkrete Möglichkeit besteht, dass die angegriffene Entscheidung ohne den Verfahrensfehler anders ausgefallen wäre, und wenn durch den Verfahrensfehler zudem zugleich eine dem Kläger zustehende materielle Rechtsposition betroffen ist.
Auch diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Sie lässt sich ebenfalls mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation beantworten und ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 20. Dezember 2011 - BVerwG 9 A 30.10 - Buchholz 310 § 42 Abs. 2 VwGO Nr. 33 Rn. 21 f. und - BVerwG 9 A 31.10 - BVerwGE 141, 282 Rn. 34) überdies bereits beantwortet worden:
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 UmwRG kann die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG verlangt werden, wenn eine erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder UVP-Vorprüfung nicht durchgeführt und nicht nachgeholt worden ist. Anknüpfungspunkt für die Rechtsfolge einer Aufhebung der Zulassungsentscheidung ist mithin eine fehlerhaft unterbliebene UVP oder UVP-Vorprüfung. Diese Fehler sind erheblich, ohne dass es darauf ankommt, ob die verletzten Verfahrensvorschriften der Gewährleistung eines materiellen subjektiven Rechts dienen und ob die Fehler die Sachentscheidung beeinflusst haben können, wie es § 46 VwVfG sonst voraussetzt. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber (vgl. Begründung des Gesetzesentwurfs, BTDrucks 16/2495 S. 14) der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 7. Januar 2004 - Rs. C-201/02, Wells - Slg. 2004, I-723 Rn. 54 ff.) Rechnung tragen, der das fehlerhafte Unterbleiben einer UVP vor Genehmigungserteilung als wesentlichen Verfahrensfehler behandelt hat, auf den sich der von der Genehmigung Betroffene ohne Weiteres berufen kann. Die Fehlerfolgenregelung des § 4 Abs. 1 UmwRG gilt in erster Linie für die umweltrechtliche Verbandsklage, ist aber gemäß § 4 Abs. 3 UmwRG auf Rechtsbehelfe von Beteiligten nach § 61 Nr. 1 und 2 VwGO entsprechend anwendbar mit der Folge, dass die genannten Verfahrensfehler auch insoweit unabhängig von den sonst geltenden einschränkenden Maßgaben (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) zur Begründetheit der Klage führen. Darin erschöpft sich allerdings der Regelungsgehalt der Bezugnahme. Weder der Gesetzeswortlaut noch die Stellung der Vorschrift im Gesetz deuten darauf hin, dass die Berufung auf die in Rede stehenden Verfahrensfehler weitergehend auch solchen Personen eröffnet werden sollte, die nicht schon aufgrund einer möglichen Betroffenheit in einem materiellen Recht klagebefugt im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO sind. Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage lässt sich daher ohne Weiteres dahingehend beantworten, dass eine Genehmigungsentscheidung, die ohne UVP erteilt worden ist, auf die Klage eines klagebefugten Dritten nach § 4 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 UmwRG allein wegen dieses Fehlers aufzuheben ist.
Entgegen der Behauptung der Beschwerde hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Vorabentscheidungsersuchen vom 10. Januar 2012 - BVerwG 7 C 20.11 - (NVwZ 2012, 448) diese Frage weder offen gelassen noch sich gar der zitierten Rechtsprechung des 9. Senats widersetzt. Der 7. Senat hat die Bestimmung des § 4 Abs. 1 UmwRG vielmehr ebenfalls als eindeutig angesehen und ausdrücklich bestätigt, dass im Fall einer nicht durchgeführten UVP oder UVP-Vorprüfung ohne Weiteres ein Aufhebungsanspruch besteht (Beschluss vom 10. Januar 2012 a.a.O. Rn. 31). Soweit die Beschwerde Gegenteiliges aus Rn. 39 des Vorlagebeschlusses herzuleiten sucht, verkennt sie, dass sich die dort niedergelegten Ausführungen auf den Fall einer zwar durchgeführten, aber fehlerhaften UVP beziehen. Ausschließlich für diesen Fall hat der 7. Senat den Europäischen Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung um Klärung der Frage gebeten, ob Unionsrecht die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Rechtsfolgenregelung des § 4 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 UmwRG hierauf zu erstrecken (Beschluss vom 10. Januar 2012 a.a.O. Vorlagefrage 2). Nur auf diesen - hier nicht streitgegenständlichen - Fall einer fehlerhaft durchgeführten UVP bezieht sich die Formulierung des 7. Senats (Beschluss vom 10. Januar 2012 a.a.O. Rn. 39 m.w.N.), dass nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Rechtsverletzung nur vorliegen kann, wenn die konkrete Möglichkeit besteht, dass die angefochtene Entscheidung ohne den Verfahrensmangel anders ausgefallen wäre. Von unterschiedlichen Aussagen zweier Senate des Bundesverwaltungsgerichts zu derselben Norm aufgrund gleicher Sachverhalte kann deshalb keine Rede sein.
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4. Senat
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20130627
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4 B 38/12
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vorgehend Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 25. April 2012, Az: 2 L 193/09, Urteil
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DEU
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Die auf den Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde, über die der Senat ohne Einbeziehung der neuerlichen Stellungnahme der Klägerin vom 25. Juni 2013 entschieden hat, bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.
a) Für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig hält die Beschwerde die Fragen,
ob ein Verfahren im Sinne des § 5 UmwRG auch dann nach dem 25. Juni 2005 eingeleitet worden ist, wenn zwar nach diesem Zeitpunkt ein Baugenehmigungsantrag gestellt worden ist, dieser jedoch Folge einer Freistellungserklärung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG war, die auf eine vor diesem Zeitpunkt gestellte Anzeige eines Änderungsvorhabens hin ergangen ist,
und ggf., ob die Regelung des § 5 UmwRG mit Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/35/EG vom 26. Mai 2003 vereinbar ist.
Diese Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision.
aa) Die Frage, ob hinsichtlich der Stichtagsregelung im Sinne des § 5 Abs. 1 UmwRG auf eine Anzeige nach § 15 BImSchG abzustellen ist, ist nicht rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig.
Rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf ist schon nicht in einer den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargelegt. Übergangsregelungen kommt regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung zu (Beschlüsse vom 10. Juli 1986 - BVerwG 5 B 99.85 - Buchholz 436.36 § 66a BAföG Nr. 1 und vom 9. Juni 2000 - BVerwG 4 B 19.00 - juris m.w.N.). Gründe für eine Ausnahme von dieser Regel hat die Beschwerde nicht dargetan. Dass noch Fälle abzuwickeln sind, in denen die Übergangsvorschrift des § 5 Abs. 1 UmwRG noch von Bedeutung ist, reicht hierfür nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, dass sich die aufgeworfene Rechtsfrage für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft weiter stellen kann (Beschluss vom 8. März 2000 - BVerwG 2 B 64.99 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 21). Das Vorliegen einer solchen Sachlage muss die Beschwerde genau und im Einzelnen darlegen. Daran fehlt es hier. Die Beschwerde hat zwar behauptet, dass die Frage nicht nur wenige auslaufende Fälle betrifft. Sie hat es ferner als ein gängiges Geschehen bezeichnet, dass je nach dem Ergebnis der nach § 15 BImSchG vorzunehmenden Prüfung ein an sich UVP-pflichtiges Vorhaben entweder zum Gegenstand eines Baugenehmigungsverfahrens oder eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens gemäß § 16 BImSchG gemacht werde. Ausführungen dazu, inwieweit die aufgeworfene Rechtsfrage für einen nicht überschaubaren Personenkreis auch heute noch relevant sein könnte, obwohl der in § 5 Abs. 1 UmwRG genannte Stichtag bereits mehr als acht Jahre zurückliegt, fehlen indes gänzlich. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, von Amts wegen aufzuklären, in welchem Umfang eine Revisionsentscheidung insoweit noch grundsätzlich klärend wirken könnte (vgl. Beschluss vom 13. August 1993 - BVerwG 11 B 65.93 - MDR 1994, 319). Der unter Bezugnahme auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom "8. Dezember 2011" <richtig: 1. Dezember 2011> - 8 D 58/08.AK - (juris Rn. 93 <insoweit nicht veröffentlicht in NuR 2012, 342>) gegebene Hinweis auf das Scoping-Verfahren nach § 2a der 9. BImSchV ist insoweit unbehelflich, weil das Oberverwaltungsgericht gerade offen gelassen hat, ob die Unterrichtung der Genehmigungsbehörde mit dem Ziel der Durchführung eines Scoping-Verfahrens eine Einleitung des Verfahrens im Sinne des § 5 Abs. 1 UmwRG darstellt.
Im Übrigen lässt sich die aufgeworfene Rechtsfrage mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation auch ohne Weiteres beantworten (vgl. z.B. Beschluss vom 28. Mai 1997 - BVerwG 4 B 91.97 - NVwZ 1998, 172). Der Gesetzeswortlaut ist eindeutig: Die Stichtagsregelung des § 5 Abs. 1 UmwRG gilt für "Verfahren nach § 1 Absatz 1 Satz 1", mithin für Entscheidungen im Sinne von § 2 Abs. 3 des UVPG über die Zulässigkeit von Vorhaben (§ 2 Abs. 1 Satz 1 UVPG), für die eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen kann. Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 3 Nr. 1 UVPG sind "Entscheidungen" - neben den vorliegend nicht relevanten Linienbestimmungen und Entscheidungen im vorgelagerten Verfahren nach den §§ 15 und 16 Abs. 1 bis 3 UVPG (Nr. 2) sowie Satzungsbeschlüsse über Bebauungspläne (Nr. 3) - "Bewilligung, Erlaubnis, Genehmigung, Planfeststellungsbeschluss und sonstige behördliche Entscheidungen über die Zulässigkeit von Vorhaben, die in einem Verwaltungsverfahren getroffen werden, mit Ausnahme von Anzeigeverfahren". Ein Anzeigeverfahren nach § 15 BImSchG, das nicht auf eine behördliche Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens, sondern auf eine Entscheidung über dessen immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbedürftigkeit gerichtet ist, fällt damit bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht hierunter. Anzeigeverfahren und Baugenehmigungsverfahren sind auch nicht Teile eines einheitlichen verfahrensrechtlichen Geschehensablaufs, wie etwa der Umstand, dass die Freistellungserklärung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG etwaige nach anderen Fachgesetzen bestehende Genehmigungserfordernisse, wie z.B. die Notwendigkeit einer Baugenehmigung, unberührt lässt (Urteil vom 7. August 2012 - BVerwG 7 C 7.11 - juris Rn. 19), und das selbständige Antragserfordernis für das Baugenehmigungsverfahren belegen. Es unterliegt deshalb keinen Zweifeln, dass es hinsichtlich der Stichtagsregelung des § 5 Abs. 1 UmwRG allein auf den Zeitpunkt der Bauantragstellung und nicht auf die Anzeige nach § 15 BImSchG ankommt.
bb) Die weitere von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob § 5 UmwRG mit Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/35/EG vom 26. Mai 2003 vereinbar ist, ist ausdrücklich nur unter der - soeben verneinten - Prämisse formuliert, dass bereits in der Änderungsanzeige nach § 15 BImSchG eine Einleitung des Verfahrens im Sinne des § 5 Abs. 1 UmwRG zu sehen wäre.
b) Rechtsgrundsätzliche Bedeutung misst die Beschwerde ferner der Frage bei,
ob eine Genehmigungsentscheidung, die ohne Durchführung einer erforderlichen Umweltverträglichkeitsprüfung erteilt worden ist, auf die Klage eines Dritten hin nach § 4 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 UmwRG allein deswegen aufzuheben ist oder nur dann, wenn nach den Umständen des Falles die konkrete Möglichkeit besteht, dass die angegriffene Entscheidung ohne den Verfahrensfehler anders ausgefallen wäre, und wenn durch den Verfahrensfehler zudem zugleich eine dem Kläger zustehende materielle Rechtsposition betroffen ist.
Auch diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Sie lässt sich ebenfalls mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation beantworten und ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 20. Dezember 2011 - BVerwG 9 A 30.10 - Buchholz 310 § 42 Abs. 2 VwGO Nr. 33 Rn. 21 f. und - BVerwG 9 A 31.10 - BVerwGE 141, 282 Rn. 34) überdies bereits beantwortet worden:
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 UmwRG kann die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG verlangt werden, wenn eine erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder UVP-Vorprüfung nicht durchgeführt und nicht nachgeholt worden ist. Anknüpfungspunkt für die Rechtsfolge einer Aufhebung der Zulassungsentscheidung ist mithin eine fehlerhaft unterbliebene UVP oder UVP-Vorprüfung. Diese Fehler sind erheblich, ohne dass es darauf ankommt, ob die verletzten Verfahrensvorschriften der Gewährleistung eines materiellen subjektiven Rechts dienen und ob die Fehler die Sachentscheidung beeinflusst haben können, wie es § 46 VwVfG sonst voraussetzt. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber (vgl. Begründung des Gesetzesentwurfs, BTDrucks 16/2495 S. 14) der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 7. Januar 2004 - Rs. C-201/02, Wells - Slg. 2004, I-723 Rn. 54 ff.) Rechnung tragen, der das fehlerhafte Unterbleiben einer UVP vor Genehmigungserteilung als wesentlichen Verfahrensfehler behandelt hat, auf den sich der von der Genehmigung Betroffene ohne Weiteres berufen kann. Die Fehlerfolgenregelung des § 4 Abs. 1 UmwRG gilt in erster Linie für die umweltrechtliche Verbandsklage, ist aber gemäß § 4 Abs. 3 UmwRG auf Rechtsbehelfe von Beteiligten nach § 61 Nr. 1 und 2 VwGO entsprechend anwendbar mit der Folge, dass die genannten Verfahrensfehler auch insoweit unabhängig von den sonst geltenden einschränkenden Maßgaben (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) zur Begründetheit der Klage führen. Darin erschöpft sich allerdings der Regelungsgehalt der Bezugnahme. Weder der Gesetzeswortlaut noch die Stellung der Vorschrift im Gesetz deuten darauf hin, dass die Berufung auf die in Rede stehenden Verfahrensfehler weitergehend auch solchen Personen eröffnet werden sollte, die nicht schon aufgrund einer möglichen Betroffenheit in einem materiellen Recht klagebefugt im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO sind. Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage lässt sich daher ohne Weiteres dahingehend beantworten, dass eine Genehmigungsentscheidung, die ohne UVP erteilt worden ist, auf die Klage eines klagebefugten Dritten nach § 4 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 UmwRG allein wegen dieses Fehlers aufzuheben ist.
Entgegen der Behauptung der Beschwerde hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Vorabentscheidungsersuchen vom 10. Januar 2012 - BVerwG 7 C 20.11 - (NVwZ 2012, 448) diese Frage weder offen gelassen noch sich gar der zitierten Rechtsprechung des 9. Senats widersetzt. Der 7. Senat hat die Bestimmung des § 4 Abs. 1 UmwRG vielmehr ebenfalls als eindeutig angesehen und ausdrücklich bestätigt, dass im Fall einer nicht durchgeführten UVP oder UVP-Vorprüfung ohne Weiteres ein Aufhebungsanspruch besteht (Beschluss vom 10. Januar 2012 a.a.O. Rn. 31). Soweit die Beschwerde Gegenteiliges aus Rn. 39 des Vorlagebeschlusses herzuleiten sucht, verkennt sie, dass sich die dort niedergelegten Ausführungen auf den Fall einer zwar durchgeführten, aber fehlerhaften UVP beziehen. Ausschließlich für diesen Fall hat der 7. Senat den Europäischen Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung um Klärung der Frage gebeten, ob Unionsrecht die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Rechtsfolgenregelung des § 4 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 UmwRG hierauf zu erstrecken (Beschluss vom 10. Januar 2012 a.a.O. Vorlagefrage 2). Nur auf diesen - hier nicht streitgegenständlichen - Fall einer fehlerhaft durchgeführten UVP bezieht sich die Formulierung des 7. Senats (Beschluss vom 10. Januar 2012 a.a.O. Rn. 39 m.w.N.), dass nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Rechtsverletzung nur vorliegen kann, wenn die konkrete Möglichkeit besteht, dass die angefochtene Entscheidung ohne den Verfahrensmangel anders ausgefallen wäre. Von unterschiedlichen Aussagen zweier Senate des Bundesverwaltungsgerichts zu derselben Norm aufgrund gleicher Sachverhalte kann deshalb keine Rede sein.
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BVerwG
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4. Senat
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20130625
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4 BN 6/13
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Beschluss
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, 20. August 2012, Az: 1 KN 15/11, Urteil
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DEU
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Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die rechtsgrundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst. Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwendung einer Vorschrift enthält gleichzeitig eine gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erst im Revisionsverfahren zu klärende Fragestellung.
Die Fragen,
"Setzt die (auch) auf die zweite Alternative des § 172 Abs. 3 Satz 1 BauGB gestützte Erhaltungssatzung gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB zu ihrer Wirksamkeit voraus, dass die baulichen Anlagen, die sonst von städtischer, insbesondere geschichtlicher oder künstlerischer Bedeutung sind, ihrerseits, d.h. für sich allein genommen im Satzungsgebiet zur städtebaulichen Gestalt in dem Sinne beitragen, dass das Gebiet eine besondere städtebauliche Eigenart aufweist?
Oder reicht es zur Annahme des Tatbestandsmerkmals 'der städtebaulichen Eigenart des Gebiets' (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB) aus, wenn die Gemeinde Erhaltungsschutz nach ihren städtebaulichen Vorstellungen für erforderlich hält und ist die Erhaltungssatzung unwirksam nur, wenn in dem Gebiet Erhaltungsschutz unter keinem denkbaren Gesichtspunkt erforderlich und daher die Vermutung unabweisbar ist, dass die Gemeinde mit der Erhaltungssatzung in Wirklichkeit andere als die in § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 BauGB genannten Ziele verfolgt?" (Klammerzusätze im Original)
versteht der Senat als Frage nach dem bundesrechtlichen Maßstab zur Abgrenzung der Tatbestandsalternativen des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB. Damit wird jedoch kein höchstrichterlicher Klärungsbedarf aufgezeigt. Die Frage lässt sich anhand des Gesetzes und auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantworten. Dem Oberverwaltungsgericht ist zuzustimmen, dass § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 BauGB zwar keine Prägung des Ortsbildes, der Stadtgestalt oder des Landschaftsbildes verlangt. Eine auf diese Alternative gestützte Erhaltungssatzung setzt aber voraus, dass bauliche Anlagen vorhanden sind, die allein oder mit anderen baulichen Anlagen zur besonderen städtebaulichen Gestalt des Gebiets beitragen.
In einer Erhaltungssatzung ist gemäß § 172 Abs. 1 BauGB (nur) zu regeln, in welchem Gebiet und aus welchen der in Satz 1 Nr. 1 bis 3 BauGB genannten Gründe das Erfordernis eines besonderen Genehmigungsverfahrens für den Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen statuiert werden soll (Urteil vom 3. Juli 1987 - BVerwG 4 C 26.85 - BVerwGE 78, 23 <26>). Die Gründe für städtebaulichen Erhaltungsschutz hat der Gesetzgeber abschließend festgelegt und durch die Versagungsgründe in § 172 Abs. 3 bis 5 BauGB konkretisiert. Nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB kann eine Erhaltungssatzung zur Erhaltung der städtebaulichen Eigenart des Gebiets aufgrund seiner städtebaulichen Gestalt erlassen werden. Städtebaulicher Erhaltungsschutz i.S.d. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB zielt auf Wahrung der städtebaulichen Funktion der baulichen Anlage(n). Die zu erhaltenden baulichen Anlagen sind in ihrer Beziehung zur Stadtstruktur und in ihrer stadträumlichen Funktion zu beurteilen. Durch die ausdrückliche Inbezugnahme des Absatzes 3 wird die geschichtliche oder künstlerische Bedeutung der von dem Erhaltungsgebot betroffenen baulichen Anlage - allein oder im Zusammenhang mit anderen baulichen Anlagen - hervorgehoben. Derartige bauliche Anlagen können nicht nur aus städtebaulichen, sondern zugleich auch aus Gründen des Denkmalschutzes erhaltungswürdig sein. Dagegen erfüllt nicht jede aus Gesichtspunkten des Denkmalschutzes bedeutsame bauliche Anlage die Voraussetzungen, um den Erlass einer Erhaltungssatzung zu rechtfertigen (Beschluss vom 23. Juni 1992 - BVerwG 4 NB 9.92 - juris Rn. 7; so auch der von der Beschwerde in Bezug genommene Beschluss des OVG Münster vom 10. April 2007 - 10 A 305/05 - juris Rn. 3; das ebenfalls in Bezug genommene Urteil des VGH Kassel vom 9. November 1995 - 4 UE 2704/90 - verhält sich nicht zur zweiten Alternative des § 172 Abs. 3 Satz 1 BauGB <juris Rn. 68>).
Die Notwendigkeit des städtebaulichen Bezugs gilt für beide in § 172 Abs. 3 Satz 1 BauGB genannten Alternativen. Gemeinsam ist ihnen der Schutz städtebaulicher Belange. Während die erste Alternative voraussetzt, dass die bauliche Anlage allein oder im Zusammenhang mit anderen baulichen Anlagen das Ortsbild, die Stadtgestalt oder das Landschaftsbild prägt, verlangt die zweite Alternative lediglich einen "Beitrag" der baulichen Anlage zur städtebaulichen Gestalt des Gebiets. Auch in diesem Fall geht es nicht - wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - um den Erhalt der baulichen Anlagen um ihrer selbst willen. Nicht jede bauliche Anlage mit geschichtlicher oder künstlerischer Bedeutung hat zugleich städtebauliche Bedeutung; sie muss vielmehr einen Beitrag zur Stadtgestaltung leisten. Die zweite Alternative des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 BauGB hat eine Auffangfunktion (Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand September 2012, § 172 Rn. 160); sie trägt dem Umstand Rechnung, dass es bauliche Anlagen gibt, die zwar nicht die Kraft haben, die städtebauliche Gestalt des Gebiets zu prägen, die aber als einzelne Bauwerke gleichwohl eine besondere städtebauliche Funktion haben.
2. Die unter Ziffer 2 der Beschwerdebegründung (S. 9 - 14) aufgeworfene Frage nach Kriterien zur weiteren Konkretisierung der Mitgestaltung des Erscheinungsbilds und der besonderen städtebaulichen Eigenart rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision. Ob bauliche Anlagen die Eigenschaft haben, die Eigenart des Satzungsgebiets städtebaulich mitzugestalten, beurteilt sich nach den örtlichen Gegebenheiten der Planungssituation im konkreten Einzelfall und ist einer revisionsgerichtlichen Klärung nicht zugänglich. Darüber hinaus hat das Oberverwaltungsgericht nicht - wie mit der Grundsatzrüge formuliert - die Feststellung getroffen, dass "jedenfalls etwa die Hälfte der Wohnhäuser im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung ... nach Ermittlungen der Gemeinde architektonisch-historische und ... zugleich städtebaulich bedeutsame Gestaltungsmerkmale aufweisen". Der Vortrag der Antragsgegnerin stellt sich ungeachtet der allgemein gehaltenen Formulierungen als schlichte Kritik an der tatrichterlichen Würdigung durch das Oberverwaltungsgericht in diesem konkreten Einzelfall dar.
3. Die unter Ziffer 3 der Beschwerdebegründung (S. 15 - 19) aufgeworfene Frage, in welchem Umfang nicht erhaltenswerte Gebäude eine unterstützende Wirkung entfalten können, entzieht sich ebenfalls revisionsgerichtlicher Klärung. Auch in diesem Fall formuliert die Beschwerde in tatsächlicher Hinsicht Annahmen, von denen das Oberverwaltungsgericht nicht ausgegangen ist. Das Oberverwaltungsgericht hat keine Feststellung dazu getroffen, dass bauliche Anlagen im Gebiet vorhanden sind, die sich "in ihren Stilformen an die benachbarten und erhaltenswerten Anlagen anpassen bzw. diesen nicht signifikant entgegenstehen" (Beschwerdebegründung S. 15).
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BVerwG
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8. Senat
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20130627
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8 AV 2/12
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Beschluss
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§ 83 S 1 VwGO, § 17a Abs 2 S 3 GVG
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vorgehend VG Frankfurt, 9. November 2012, Az: 9 K 3854/12.F, Beschluss
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DEU
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Zur Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses
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I.
Die Klägerin, ein Wertpapierhandelsunternehmen, hat nach erfolglosem Widerspruchsverfahren beim Verwaltungsgericht Berlin Klage gegen die Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen (EdW) mit dem Begehren erhoben, den von der EdW erlassenen Beitragsbescheid vom 2. März 2010 über 316 527,24 € sowie den Widerspruchsbescheid der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vom 2. Februar 2011 aufzuheben, mit dem diese den im Ausgangsbescheid geforderten Betrag auf 312 722,67 € ermäßigt, eine Widerspruchsgebühr von 9 800 € festgesetzt und die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu 98,8 % der Klägerin und zu 1,2 % der EdW auferlegt hatte. Mit Bescheid vom 15. August 2012 hat die BaFin die Widerspruchsgebühr auf 7 000 € ermäßigt.
Nachdem die Klägerin auf gerichtliche Anregung - unter Aufrechterhaltung ihres gegen den Beitragsbescheid der EdW vom 2. März 2010 gerichteten Begehrens - mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2012 ihre Klage gegen die Festsetzung der Widerspruchsgebühr nunmehr allein gegen die BaFin gerichtet hatte, hat das Verwaltungsgericht Berlin nach Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 16. Oktober 2012 das Klageverfahren gegen die BaFin über die Festsetzung der Widerspruchsgebühr im Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2011 in Gestalt des Abänderungsbescheides vom 15. August 2012 abgetrennt, sich dafür für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit insoweit an das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main verwiesen. Dieses hat sich seinerseits mit Beschluss vom 9. November 2012 für örtlich unzuständig erklärt und zur Feststellung der örtlichen Zuständigkeit gemäß § 53 VwGO das Bundesverwaltungsgericht angerufen.
II.
Der Antrag ist unzulässig. Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat eine nach § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a GVG nicht vorgesehene und damit rechtswidrige Entscheidung getroffen.
Nach § 53 Abs. 3 VwGO hat u.a. auf Anrufung eines mit dem Rechtsstreit befassten Gerichts das nächsthöhere Gericht oder das Bundesverwaltungsgericht das zuständige Gericht innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit (nur) unter den in § 53 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 VwGO normierten Voraussetzungen zu bestimmen. Eine Entscheidung nach § 53 VwGO ist ausgeschlossen, wenn das zuständige Gericht feststeht oder sich ohne Anrufung des nächsthöheren oder des Bundesverwaltungsgerichts ermitteln lässt. § 53 VwGO durchbricht nicht die Regelung über den gesetzlichen Richter, sondern ergänzt sie für den Fall, dass das Prozessrecht keine oder keine widerspruchsfreie Zuweisung enthält. Es ist nicht der Sinn des § 53 VwGO, dem Bundesverwaltungsgericht die Entscheidung von Zweifelsfragen, die sich aus der Auslegung von § 52 VwGO oder anderen Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung ergeben, gleichsam in der Art einer Vorabentscheidung zuzuweisen (vgl. u.a. Beschlüsse vom 7. Februar 2006 - BVerwG 1 AV 1.06 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 30 m.w.N. und vom 4. Juni 2007 - BVerwG 2 AV 1.07 - juris m.w.N.).
Für das allein auf die Festsetzung der Widerspruchsgebühr im Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2011 in Gestalt des Abänderungsbescheides vom 15. August 2012 bezogene und isoliert gegen die BaFin gerichtete Klagebegehren, auf das sich der Vorlagebeschluss ausschließlich bezieht, steht das örtlich zuständige Gericht bereits fest, so dass der Antrag auf Bestimmung des örtlich zuständigen Verwaltungsgerichts unzulässig ist.
Das Verwaltungsgericht Berlin hat sich mit seinem Beschluss vom 16. Oktober 2012 hinsichtlich des Verfahrens gegen die beklagte BaFin in Bezug auf deren Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2011 in Gestalt ihres Abänderungsbescheides vom 15. August 2012 betreffend die Widerspruchsgebühr für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit gemäß § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main verwiesen. Dieser gemäß § 83 Satz 2 VwGO unanfechtbare Beschluss ist für das Gericht, an das verwiesen worden ist, hinsichtlich der Zuständigkeit bindend (§ 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG). Auch das Bundesverwaltungsgericht hat die durch den vorangegangenen Verweisungsbeschluss ausgelöste Bindungswirkung zu beachten, und zwar unabhängig davon, ob dieser Beschluss sachlich richtig gewesen ist (vgl. Beschlüsse vom 4. Juni 1993 - BVerwG 9 A 1.93 - juris, vom 15. Juni 1993 - BVerwG 9 A 2.93 - und vom 8. November 1994 - BVerwG 9 AV 1.94 - Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 13).
Ob eine Vorlage an das Bundesverwaltungsgericht ausnahmsweise dann in Betracht kommt, wenn Streit über die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses entsteht (vgl. Beschluss vom 5. März 1993 - BVerwG 11 ER 400.93 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 21), bedarf aus Anlass der vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung. Eine Durchbrechung der Bindungswirkung ist allenfalls bei "extremen Verstößen" denkbar (vgl. Beschlüsse vom 14. November 1975 - BVerwG 6 ER 403.75 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 10, vom 1. Dezember 1992 - BVerwG 7 A 4.92 - DÖV 1993, 388 = Buchholz 407.3 VerkPBG Nr. 3, vom 4. Juni 1993 a.a.O. und vom 15. Juni 1993 a.a.O. m.w.N.; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 53 Rn. 11). Solche liegen hier nicht vor.
Das örtlich zuständige Verwaltungsgericht bestimmt sich bei Anfechtungsklagen gegen den Verwaltungsakt einer Bundesbehörde oder einer bundesunmittelbaren Anstalt des öffentlichen Rechts gemäß § 52 Nr. 2 Satz 1 VwGO nach deren Sitz. Die Klägerin hat im Wege der objektiven Klagehäufung (§ 44 VwGO) Anfechtungsklagen sowohl gegen die im Bescheid der EdW vom 2. März 2010 in der Gestalt von Ziffer 1 des Widerspruchsbescheides der BaFin getroffene Sachregelung (Beitragsfestsetzung) als auch - mit gesonderter gebührenrechtlicher Begründung - gegen die in Ziffer 4 des genannten Widerspruchsbescheides der BaFin in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 15. August 2012 festgesetzte Widerspruchsgebühr erhoben. Das Verwaltungsgericht Berlin hat angenommen, dass sich das örtlich zuständige Gericht für die Anfechtungsklage gegen die Widerspruchsgebühr unabhängig von der Anfechtungsklage gegen die Sachregelung bestimme, und deshalb insoweit das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main als das Verwaltungsgericht, in dessen Bezirk die BaFin ihren Sitz hat, für zuständig angesehen. Eine willkürliche Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 VwGO (vgl. dazu u.a. Kraft, in: Eyermann, a.a.O. § 53 Rn. 11 m.w.N.) kann darin nicht gesehen werden.
Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main meint zwar sinngemäß, das Verwaltungsgericht Berlin habe die Anfechtungsklage gegen die Widerspruchsgebühr von derjenigen gegen die Sachregelung nicht trennen dürfen, weil diese für jene vorgreiflich sei. Ob dem zu folgen wäre, stehe dahin, keinesfalls ergäbe sich hieraus eine willkürliche Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter oder ein sonstiger "extremer Verstoß" gegen die geltenden Zuständigkeitsvorschriften. Richtig ist, dass die Anfechtungsklage gegen die Sachregelung insofern vorgreiflich ist, als bei deren Erfolg die Festsetzung der Widerspruchsgebühr ohne Rücksicht auf die von der Klägerin zusätzlich erhobenen gebührenrechtlichen Einwände keinen Bestand haben könnte. Dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main ist aber unbenommen, diesem Umstand dadurch Rechnung zu tragen, dass es das bei ihm anhängige Verfahren bis zur Entscheidung über die Klage gegen die Sachregelung aussetzt (§ 94 VwGO).
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Deutschland
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BVerwG
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6. Senat
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20130529
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6 C 10/11
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Urteil
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§ 143b GG, § 19 PostG 1998, § 20 Abs 1 PostG 1998, § 20 Abs 2 PostG 1998, § 21 Abs 3 PostG 1998, § 22 Abs 1 PostG 1998, § 23 PostG 1998, § 28 Abs 2 S 1 PostG 1998, § 29 Abs 1 S 1 PostG 1998, § 29 Abs 1 S 2 PostG 1998, § 31 Abs 2 PostG 1998, § 44 PostG 1998, § 31 TKG 2004, § 32 Abs 1 S 1 TKG 2004, § 35 Abs 5 TKG 2004, § 37 TKG 2004, § 24 VwVfG, § 26 Abs 2 VwVfG, § 48 VwVfG, § 49 VwVfG, § 2 Abs 1 PEntgV, § 2 Abs 2 PEntgV, § 2 Abs 3 PEntgV, § 3 Abs 4 PEntgV, § 3 Abs 2 PEntgV, § 2 Abs 3 TEntgV
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 10. März 2011, Az: 13 A 3211/06, Urteil vorgehend VG Köln, 27. Juni 2006, Az: 22 K 1644/02, Urteil
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DEU
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Postrechtliche Entgeltgenehmigung; Postfachzugang
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Ein genehmigungsbedürftiges postrechtliches Entgelt ist in formeller Hinsicht nur dann genehmigungsfähig, wenn das regulierte Unternehmen die entstehenden Kosten im Genehmigungsverfahren vollständig durch die erforderlichen Nachweise und Unterlagen darlegt.
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Die Klägerin, die Deutsche Post AG, erbringt lizenzpflichtige Postdienstleistungen. Sie unterhielt in der hier maßgeblichen Zeit der Jahre 2002 bis 2004 Postfachanlagen in eigenen Filialen (Unternehmensbereich - UB - Filiale), als sogenannte briefbetriebene Anlagen (Unternehmensbereich - UB - Brief) und in Partnerfilialen (Agenturen). Zu diesen Anlagen musste sie gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 PostG anderen Anbietern von Postdienstleistungen gegen Entrichtung eines Entgelts Zugang gewähren. Dieses Entgelt war gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 PostG i.V.m. § 28 Abs. 2 Satz 1 PostG genehmigungsbedürftig, weil die Klägerin das entsprechende Leistungsangebot in ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen aufgenommen hatte. Die Klägerin begehrt die Verpflichtung der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation und Eisenbahnen zur Genehmigung eines höheren Entgelts als die Behörde unter ihrer früheren Bezeichnung Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post für den genannten Zeitraum bewilligt hat.
Unter dem 3. Dezember 2001 beantragte die Klägerin bei der Regulierungsbehörde, ihr als Entgelt für die Gewährung des Zugangs zu Postfachanlagen den Fixbetrag von 3,17 DM (1,62 €) pro Einlieferungsvorgang sowie als zusätzlichen variablen Entgeltbestandteil 0,15 DM (0,08 €) pro eingelieferter Sendung zu genehmigen.
In den der Regulierungsbehörde mit dem Entgeltantrag vorgelegten Kostennachweisen berechnete die Klägerin für den Postfachzugang in dem UB Filiale und in dem UB Brief Personalkostenstundensätze. Sie berücksichtigte dabei ausgehend von den Werten der Kosten- und Ergebnisrechnung des Jahres 2000 und unter der Annahme prozentualer Steigerungen für die Jahre 2001 und 2002 diejenigen Besoldungs- und Tarifgruppen bis zur Stufe A 8 bzw. BAT IV, deren Vertreter tatsächlich Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Postfachzugang ausführten, entsprechend ihrem Anteil an dem gesamten Personalbestand der beiden Unternehmensbereiche. Durch eine Multiplikation der Personalkostenstundensätze mit zuvor ermittelten unterschiedlichen Zeitansätzen für fixe und variable Elemente der Annahme sowie für variable Elemente der Einsortierung wies die Klägerin - jeweils getrennt für den UB Filiale und den UB Brief - Personalkosten für die Annahme und für die Einsortierung von Postfachsendungen aus, erstere in Gestalt eines Fixbetrags je Annahmevorgang und eines variablen Betrags je 1 000 Sendungen, letztere nur in Form eines derartigen variablen Betrags. Auf diese Personalkosten erhob die Klägerin prozentuale Zuschläge für anteilige Gemeinkosten in Form von Sach- und Kapitalkosten, Kosten der Abteilungsleitung sowie Kosten für Leitung und Service. Die Kosten des Postfachzugangs in den Agenturen bestimmte die Klägerin nach den mit diesen vereinbarten Vergütungen, die aus einem festen Entgelt für jeden Einlieferungsvorgang und einem variablen Entgelt für die Einsortierung von Postfachsendungen bestanden. Um zu einem einheitlichen Preis zu kommen, nahm die Klägerin eine Gewichtung der Kosten vor, deren Maßstab die Anzahl der Postfächer bildete, die sie jeweils dem UB Filiale, dem UB Brief und den Agenturen zugeordnet hatte. Dabei zog sie die fixen Kosten für die Annahme von Postfachsendungen in dem UB Filiale und dem UB Brief sowie die mit den Agenturen vereinbarten Annahmekosten zu einem fixen Betrag pro Einlieferungsvorgang zusammen. Die variablen Kosten für die Annahme von Postfachsendungen in dem UB Filiale und dem UB Brief addierte sie mit den variablen Kosten für die Einsortierung von Postfachsendungen in diesen beiden Unternehmensbereichen und in den Agenturen zu einem variablen Betrag pro eingelieferter Sendung. Schließlich ergänzte die Klägerin die so gewonnenen Summen um einen von ihr als angemessen erachteten Gewinnzuschlag.
Mit Beschluss vom 6. Februar 2002 genehmigte die Beschlusskammer der Regulierungsbehörde lediglich ein Entgelt in Höhe von 1,14 DM (0,58 €) pro Einlieferungsvorgang und 0,08 DM (0,04 €) pro eingelieferter Sendung und lehnte den Entgeltantrag im Übrigen ab. Die Regulierungsbehörde akzeptierte zwar das zweigliedrige Entgeltmodell der Klägerin - das heißt die Aufteilung des Entgelts in einen fixen und einen variablen Teil - sowie deren Zeitansätze für die Annahme und die Einsortierung von Postfachsendungen in dem UB Filiale und in dem UB Brief. Sie sah jedoch die von der Klägerin eingereichten Kalkulationsunterlagen in Teilen als unstimmig und lückenhaft an und griff deshalb auch auf Unterlagen aus einem Verfahren nach § 31 Abs. 2 PostG zurück, das sie im Jahr 2001 gegen die Klägerin geführt hatte. Die Behörde gelangte hiernach zu dem Schluss, dass sich das beantragte Entgelt, soweit es die genehmigte Höhe übersteige, entgegen dem Gebot des § 20 Abs. 1 PostG nicht an den Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung orientiere. Sie rügte, die von der Klägerin für den UB Filiale und den UB Brief geltend gemachten Personalkostenstundensätze wichen in nicht nachvollziehbarer Weise von den Ansätzen in dem Verfahren aus dem Jahr 2001 ab, beruhten auf einer nicht gerechtfertigten Einbeziehung der Personalkosten für im Hinblick auf die Aufgabenwahrnehmung überqualifizierte, nach der Besoldungsgruppe A 8 bzw. entsprechend tariflich vergütete Kräfte und nähmen für das Jahr 2002 eine Personalkostensteigerung in unrealistischer Höhe an. Weiter sei gegen Zuschläge für Gemeinkosten zwar dem Grunde nach nichts einzuwenden, jedoch widersprächen die von der Klägerin geforderten Beträge der Höhe nach dem Kostenverursachungsprinzip. Anstelle der von der Klägerin ausgewiesenen prozentualen Zuschläge veranschlagte die Regulierungsbehörde in Anlehnung an das Verfahren aus dem Jahr 2001 einen festen Zuschlagsbetrag pro Sendung. Sie führte weiter aus, die von der Klägerin beanspruchten Kosten des Postfachzugangs in den Agenturen überstiegen diejenigen, die in dem UB Filiale entstünden, und genügten schon aus diesem Grund nicht dem Effizienzmaßstab. Bei der Gewichtung der geltend gemachten Kosten habe die Klägerin den UB Filiale, der im Vergleich mit dem UB Brief mit höher besoldeten Kräften besetzt sei, überbetont. Schließlich könne ein Gewinnzuschlag nicht zugebilligt werden.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, mit der die Klägerin ihr Begehren auf Erteilung einer Genehmigung der Entgelte in der von ihr beantragten Höhe weiterverfolgt hat. Der Berufung der Klägerin gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil hat das Oberverwaltungsgericht insoweit stattgegeben, als es den Beschluss der Regulierungsbehörde vom 6. Februar 2002, soweit in diesem die von der Klägerin geltend gemachten Gemeinkostenzuschläge in Form der Sach- und Kapitalkosten nicht anerkannt worden waren, aufgehoben und die Beklagte insoweit zur Neubescheidung verpflichtet hat. Die Regulierungsbehörde habe diese Zuschläge nicht ohne Weiteres durch die in dem Verfahren aus dem Jahr 2001 auf Grund einer anderen Berechnungsmethodik gewonnenen Werte ersetzen dürfen. Im Übrigen ist die Berufung erfolglos geblieben. Insoweit hat das Berufungsgericht über die Begründung des angefochtenen Beschlusses hinaus auch auf eine unzureichende Darlegung der umstrittenen Kostenpositionen durch die Klägerin verwiesen.
Gegen das Berufungsurteil haben beide Beteiligten die von dem Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt.
Die Klägerin hält das Berufungsurteil zum einen deshalb für fehlerhaft, weil das Oberverwaltungsgericht hinsichtlich der von ihm beanstandeten Behandlung der beantragten Gemeinkostenzuschläge für Sach- und Kapitalkosten lediglich ein Bescheidungsurteil erlassen, nicht aber die Beklagte zur Entgeltgenehmigung verpflichtet habe. Der Regulierungsbehörde stehe ein Beurteilungsspielraum, auf den eine derartige prozessuale Handhabung gestützt werden könne, bei der postrechtlichen Entgeltkontrolle nicht zu. Auch habe das Oberverwaltungsgericht den nach Maßgabe seiner Entscheidung zu genehmigenden Entgeltbetrag durchaus berechnen können. Zum anderen habe das Oberverwaltungsgericht, soweit es den zur Prüfung gestellten Kostenansätzen nicht gefolgt sei, die maßgeblichen formellen und materiellen Maßstäbe für die Genehmigung postrechtlicher Entgelte verkannt oder jedenfalls falsch angewandt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. März 2011 sowie das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 27. Juni 2006 zu ändern und die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Beschlusses der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post vom 6. Februar 2002 zu verpflichten, ihr die unter dem 3. Dezember 2001 beantragte Entgeltgenehmigung für den Zugang zu Postfachanlagen in Höhe von 3,17 DM (1,62 €) pro Einlieferungsvorgang sowie 0,15 DM (0,08 €) pro eingelieferter Sendung für den Zeitraum vom 1. April 2002 bis zum 30. Juni 2004 zu erteilen,
hilfsweise,
die genannten Urteile zu ändern, den Beschluss der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post vom 6. Februar 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie gemäß ihrem Antrag vom 3. Dezember 2001 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. März 2011 zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 27. Juni 2006 auch insoweit zurückzuweisen, als das Oberverwaltungsgericht den Beschluss der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post vom 6. Februar 2002 hinsichtlich der Nichtanerkennung der von der Klägerin geltend gemachten Gemeinkostenzuschläge in Form der Sach- und Kapitalkosten aufgehoben und sie verpflichtet hat, den Antrag der Klägerin vom 3. Dezember 2001 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte wendet gegen den der Berufung der Klägerin stattgebenden Teil des vorinstanzlichen Urteils ein, zwar sei das Oberverwaltungsgericht zu Recht von einem Beurteilungsspielraum der Regulierungsbehörde bei der Prüfung genehmigungsbedürftiger Entgelte im Postmarkt ausgegangen, es habe jedoch auch ein Bescheidungsurteil nicht erlassen dürfen, weil der Entgeltantrag hinsichtlich der beantragten Sach- und Kapitalkosten mangels Vorlage einer Gesamtschau der bei der Klägerin anfallenden Kosten nicht genehmigungsfähig gewesen sei. Im Übrigen habe das Oberverwaltungsgericht die Berufung der Klägerin zu Recht zurückgewiesen, da die in dem angefochtenen Beschluss vorgenommenen Streichungen und Kürzungen geltend gemachter Kostenpositionen - vor allem auch wegen nicht hinreichender Nachweise - nicht zu beanstanden seien.
Die Beteiligten treten jeweils der Revision der Gegenseite entgegen und beantragen deren Zurückweisung.
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Die zulässige Revision der Klägerin ist mit dem Hauptantrag teilweise begründet und kann mit dem Hilfsantrag keinen weitergehenden Erfolg haben. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO), soweit das Oberverwaltungsgericht angenommen hat, die Regulierungsbehörde habe den von der Klägerin für den UB Filiale und den UB Brief geltend gemachten Personalkosten - mit Ausnahme der Personalkostensteigerung für das Jahr 2002 - und dem Kostenansatz der Klägerin für die Agenturen die Anerkennung (teilweise) versagen dürfen. Gleiches gilt, soweit das Berufungsgericht hinsichtlich der Gemeinkostenzuschläge für Sach- und Kapitalkosten in dem UB Filiale und dem UB Brief, die es der Klägerin antragsgemäß in Übereinstimmung mit Bundesrecht zuerkannt hat, anstelle eines Verpflichtungsurteils nur ein Bescheidungsurteil erlassen hat. Der Senat kann insoweit nach § 144 Abs. 3 Satz 1 VwGO in der Sache selbst entscheiden und die Beklagte zur Erteilung einer entsprechenden Entgeltgenehmigung verpflichten. Demgegenüber hat das Oberverwaltungsgericht den angegriffenen Beschluss der Regulierungsbehörde vom 6. Februar 2002 ohne Verstoß gegen Bundesrecht als rechtmäßig beurteilt, soweit dieser die auf den UB Filiale und den UB Brief bezogenen Ansätze der Klägerin betreffend die Personalkostensteigerung für das Jahr 2002 und die Gemeinkostenzuschläge für Abteilungsleitung und für Leitung und Service, die von der Klägerin vorgenommene Kostengewichtung sowie deren Forderung nach einem Gewinnzuschlag abgelehnt hat. Insoweit ist die Revision der Klägerin unbegründet und gemäß § 144 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
Weil das Oberverwaltungsgericht der Klägerin die Gemeinkostenzuschläge für Sach- und Kapitalkosten in dem UB Filiale und dem UB Brief im Einklang mit Bundesrecht zugebilligt hat, ist die zulässige Revision der Beklagten zur Gänze unbegründet und unterliegt deshalb der Zurückweisung nach § 144 Abs. 2 VwGO.
Das Oberverwaltungsgericht hätte darauf erkennen müssen, dass die Klägerin, deren Klage trotz Ablaufs des Geltungszeitraums der streitgegenständlichen Entgeltgenehmigung nicht erledigt ist (1.), nach § 21 Abs. 3 PostG Anspruch auf Genehmigung eines Entgelts hat, in das über die Maßgaben des angegriffenen regulierungsbehördlichen Beschlusses hinaus nicht nur die von dem Berufungsgericht zuerkannten Gemeinkostenzuschläge für Sach- und Kapitalkosten in dem UB Filiale und dem UB Brief, sondern in dem genannten Umfang weitere Kosten nach Maßgabe ihrer Berechnung durch die Klägerin Eingang finden müssen (2.). Für den der Berufung der Klägerin stattgebenden Teil seiner Entscheidung hätte sich das Oberverwaltungsgericht nicht auf ein Bescheidungsurteil beschränken dürfen, sondern ein Verpflichtungsurteil erlassen müssen (3.).
1. Das Rechtsschutzbedürfnis für die von der Klägerin erhobene Klage ist nicht entfallen, obwohl die Geltungsdauer der Entgeltgenehmigung vom 6. Februar 2002, deren betragsmäßige Aufstockung die Klägerin erstrebt, mit dem 30. Juni 2004 abgelaufen ist. Denn die Klägerin kann auf Grund einer in Vollzug eines stattgebenden Urteils zu erteilenden Genehmigung eines höheren Entgelts nachträglich einen finanziellen Ausgleich zu ihren Gunsten mit den Wettbewerbern, denen sie Zugang zu ihren Postfachanlagen gewährt hat, herbeiführen.
Nach § 23 Abs. 1 und 2 PostG hat eine postrechtliche Entgeltgenehmigung, die einem Lizenznehmer erteilt wird, zur Folge, dass dieser nur die genehmigten Entgelte verlangen darf. Ferner sind Verträge über Dienstleistungen, die andere als die genehmigten Entgelte enthalten, nur mit der Maßgabe wirksam, dass das genehmigte Entgelt an die Stelle des vereinbarten Entgelts tritt; derartige Verträge sind unwirksam, wenn es trotz bestehender Genehmigungsbedürftigkeit an einem genehmigten Entgelt fehlt.
Eine Entgeltgenehmigung, die kraft Gesetzes derartige Wirkungen entfaltet, hat einen privatrechtsgestaltenden Charakter. Dies hat der Senat in ständiger Rechtsprechung (Urteile vom 10. Oktober 2002 - BVerwG 6 C 8.01 - BVerwGE 117, 93 <113> = Buchholz 442.066 § 30 TKG Nr. 1 S. 16, vom 25. Februar 2009 - BVerwG 6 C 25.08 - Buchholz 442.066 § 37 TKG Nr. 2 Rn. 15, 19, vom 25. März 2009 - BVerwG 6 C 3.08 - Buchholz 442.066 § 35 TKG Nr. 2 Rn. 14, 21, 29, vom 25. November 2009 - BVerwG 6 C 34.08 - Buchholz 442.066 § 31 TKG Nr. 1 Rn. 13, 30, vom 14. Dezember 2011 - BVerwG 6 C 36.10 - Buchholz 442.066 § 30 TKG Nr. 5 Rn. 12 und vom 9. Mai 2012 - BVerwG 6 C 3.11 - BVerwGE 143, 87 = Buchholz 442.066 § 37 TKG Nr. 4 Rn. 16) für die telekommunikationsrechtliche Entgeltgenehmigung unter Bezugnahme auf die mit § 23 PostG im Kern wortgleiche Vorschrift des § 29 des am 26. Juni 2004 außer Kraft getretenen Telekommunikationsgesetzes vom 25. Juli 1996 (BGBl I S. 1120 - TKG 1996) und die an deren Stelle getretene Bestimmung des § 37 des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (BGBl I S. 1190, zuletzt geändert durch Gesetz vom 3. Mai 2012, BGBl I S. 958 - TKG 2004) entschieden. Eng verknüpft mit dieser Einschätzung hat der Senat bereits vor der Aufnahme einer entsprechenden ausdrücklichen Regelung in § 35 Abs. 5 TKG 2004 angenommen, dass eine telekommunikationsrechtliche Entgeltgenehmigung Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses entfaltet (Urteile vom 21. Januar 2004 - BVerwG 6 C 1.03 - BVerwGE 120, 54 <58 ff.> = Buchholz 442.066 § 33 TKG Nr. 3 S. 45 ff., vom 25. März 2009 a.a.O. Rn. 25 und vom 9. Mai 2012 a.a.O. Rn. 59; für Entgeltanordnungen nach § 25 Abs. 5 TKG 2004: Urteil vom 23. Juni 2010 - BVerwG 6 C 36.08 - Buchholz 442.066 § 38 TKG Nr. 2 Rn. 16). Es spricht nichts dagegen, diese Maßstäbe auf die postrechtliche Entgeltgenehmigung zu übertragen.
2. Die Regulierungsbehörde hat über die Genehmigung, der das Entgelt, das der Klägerin nach § 29 Abs. 1 Satz 1 PostG für die Gewährung des Postfachzugangs zusteht, gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 28 Abs. 2 Satz 1 PostG bedarf, auf der Grundlage des § 21 Abs. 3 PostG zu entscheiden. Der Regelungsgehalt dieser Vorschrift bestimmt sich unter Berücksichtigung ihrer Einbettung in die Systematik der Normen, die die postrechtliche Entgeltgenehmigung prägen (a). Auf dieser Grundlage ergibt sich die Berücksichtigungsfähigkeit der von der Klägerin geltend gemachten Kostenpositionen in dem eingangs beschriebenen Umfang (b). Entsprechend ist das der Klägerin zustehende Entgelt zu berechnen (c).
a) Die Bestimmung des § 21 Abs. 3 PostG besagt in ihrem hier allein relevanten Satz 1 unter Berücksichtigung der in ihr enthaltenen unmittelbaren und mittelbaren Verweise auf § 21 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 PostG sowie auf § 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 PostG, dass die Entgeltgenehmigung in dem hier in Rede stehenden Einzelgenehmigungsverfahren zu versagen ist, wenn das Entgelt dem Maßstab der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung und dem Verbot nur auf Grund einer marktbeherrschenden Stellung durchsetzbarer Aufschläge nicht entspricht oder gegen andere Rechtsvorschriften verstößt. Die aus dem Regelungszusammenhang der Norm ableitbaren Maßgaben (aa) bilden die Grundlage für die in ihr ausdrücklich genannten Voraussetzungen (bb).
aa) Aus § 21 Abs. 3 Satz 1 PostG ergibt sich nicht nur eine behördliche Befugnis zur Ablehnung einer beantragten Entgeltgenehmigung, sondern - obwohl die Vorschrift dies insoweit übereinstimmend mit § 27 Abs. 3 TKG 1996 und anders als § 35 Abs. 3 Satz 1 TKG 2004 nicht ausdrücklich bestimmt - auch ein Anspruch auf deren Erteilung, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt bzw. Versagungsgründe nicht gegeben sind. Denn ohne einen solchen Anspruch fehlte es der in § 23 PostG geregelten privatrechtsgestaltenden Wirkung der Entgeltgenehmigung an einer tragfähigen Grundlage und Rechtfertigung (vgl. in diesem Sinne den Genehmigungsanspruch für das frühere Telekommunikationsrecht voraussetzend: Urteil vom 21. Januar 2004 a.a.O. S. 58 ff. bzw. S. 45 ff.; für das Postrecht: Lübbig, in: Badura/v. Danwitz/Herdegen/Sedemund/Stern, Beck'scher PostG-Kommentar, 2. Aufl. 2004, § 22 Rn. 2).
Für diesen Genehmigungsanspruch bestehen von § 21 Abs. 3 Satz 1 PostG vorausgesetzte formelle Voraussetzungen. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 PostG ist die Entgeltgenehmigung als Verwaltungsakt an einen in schriftlicher Form zu stellenden Antrag des regulierten Unternehmens gebunden. Zusammen mit diesem Antrag sind im Einzelgenehmigungsverfahren gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 der auf der Ermächtigungsgrundlage des § 21 Abs. 4 PostG erlassenen Post- Entgeltregulierungsverordnung (PEntgV) vom 22. November 1999 (BGBl I S. 2386) alle Unterlagen und Nachweise vorzulegen, die die Regulierungsbehörde instand setzen, eine vollständige materielle Prüfung des beantragten Entgelts durchzuführen. Die beigebrachten Unterlagen und Nachweise müssen nach Art, Anzahl und Inhalt - das heißt in quantitativer und qualitativer Hinsicht - sowohl die geltend gemachten Kosten belegen als auch die rechnerische Ermittlung der beantragten Entgeltbeträge in nachvollziehbarer Form darstellen (so für die inhaltsgleiche Regelung in § 28 TKG 1996 und § 2 Abs. 1 und Abs. 2 der am 22. Juni 2004 außer Kraft getretenen Telekommunikations- Entgeltregulierungsverordnung <TEntgV> vom 1. Oktober 1996 <BGBl S. 1492>: Schuster/Stürmer, in: Büchner/Ehmer/Geppert/Kerkhoff/Piepenbrock/Schütz/Schuster, Beck'scher TKG-Kommentar, 2. Aufl. 2000, § 27 Rn. 28 f.; zu § 33 Abs. 1 und 4 TKG 2004 <a.F.>, aber ausdrücklich auch für den vorherigen Rechtszustand: Hölscher/Lünenbürger, in: Scheurle/Mayen, TKG, 2. Aufl. 2008, § 33 Rn. 8, 41 f.).
Die allgemeine Amtsermittlungspflicht aus § 24 VwVfG wird hiernach durch eine dem antragstellenden Unternehmen auferlegte Mitwirkungslast im Sinne des § 26 Abs. 2 VwVfG begrenzt (vgl. Lübbig, in: Badura/v. Danwitz/Herdegen/Sedemund/Stern, a.a.O. § 22 Rn. 12 f. und zu §§ 28 TKG 1996, 2 TEntgV: Schuster/Stürmer, in: Büchner u.a., a.a.O. § 28 Rn. 15d, 15e). Dies geschieht, um der Regulierungsbehörde die von § 22 Abs. 2 PostG im Interesse des Unternehmens (BTDrucks 13/7774 S. 25; Lübbig, in: Badura/v. Danwitz/Herdegen/Sedemund/Stern, a.a.O. § 22 Rn. 26) geforderte Entscheidung innerhalb einer Frist von grundsätzlich nur sechs Wochen zu ermöglichen und innerhalb dieser Frist die Beteiligungsrechte Dritter - vor allem der nach § 44 Satz 2 PostG i.V.m. § 74 Abs. 2 Nr. 3 TKG 1996 auf Antrag beizuladenden Wettbewerber - zu wahren (vgl. zu §§ 28 TKG 1996, 2 TEntgV: Schuster/Stürmer, in: Büchner u.a., a.a.O. § 28 Rn. 15e).
Unterlagen und Nachweise, die das regulierte Unternehmen erst nach Abgabe des Antrags einreicht, muss die Regulierungsbehörde deshalb nur berücksichtigen, wenn dadurch die Einhaltung der Frist des § 22 Abs. 2 PostG und die Wahrung der Rechte Dritter nicht gefährdet werden. Eine solche Gefährdung wird regelmäßig nur ausgeschlossen werden können, wenn das Unternehmen unverzüglich nachbessert (zu §§ 28 TKG 1996, 2 TEntgV: Schuster/Stürmer, in: Büchner u.a., a.a.O. § 28 Rn. 4, 15e). Wenn die Regulierungsbehörde ihrerseits im Verlauf der Kostenprüfung Lücken oder Unstimmigkeiten der eingereichten Unterlagen und Nachweise erkennt, hat sie zu prüfen, ob sie innerhalb der für die Genehmigung verbleibenden Frist von dem Unternehmen noch eine nähere Aufklärung erreichen kann. Allerdings muss jedwede Aufklärungsmaßnahme mit dem im Interesse des regulierten Unternehmens äußerst eng gezogenen zeitlichen Rahmen des Entgeltgenehmigungsverfahrens und mit den in diesem Rahmen zu wahrenden Beteiligungsrechten Dritter vereinbar sein. Dies wird etwa dann angenommen werden können, wenn das Unternehmen das Gerüst für die Kostenprüfung im Wesentlichen bereitgestellt hat und lediglich noch konkretisierende Angaben fehlen, deren Prüfung keinen großen Zeitaufwand erfordert.
Ist nach diesen Maßgaben innerhalb der zur Verfügung stehenden Frist keine Vervollständigung der erforderlichen Unterlagen und Nachweise erreichbar und kann sich die Regulierungsbehörde die nötigen Informationen auch nicht ohne Weiteres - etwa durch einen Rückgriff auf aussagekräftige und geeignete Kostenunterlagen aus anderen Genehmigungsverfahren - selbst verschaffen, ist sie zur (teilweisen) Ablehnung des Entgeltantrags entsprechend den bestehenden Nachweislücken befugt und verpflichtet. Dies verdeutlicht die Vorschrift des § 2 Abs. 3 PEntgV. Wenn diese der Regulierungsbehörde ein Versagungsermessen bei nicht vollständiger Vorlage der erforderlichen Unterlagen und Nachweise einräumt, bringt sie damit lediglich den Vorrang einer behördlichen Selbstbeschaffung von Informationen vor einer Versagung der Genehmigung zum Ausdruck, lässt jedoch unberührt, dass über einen Entgeltantrag, soweit es diesem an der erforderlichen Datengrundlage fehlt, nicht positiv entschieden werden darf (so für die bedeutungsgleichen Bestimmungen in § 2 Abs. 3 TEntgV und § 35 Abs. 3 Satz 3 TKG 2004: Urteil vom 25. November 2009 - BVerwG 6 C 34.08 - Buchholz 442.066 § 31 TKG Nr. 1 Rn. 29, Beschlüsse vom 16. Juni 2010 - BVerwG 6 B 81.09 - juris Rn. 6 und vom 30. Juni 2010 - BVerwG 6 B 7.10 - juris Rn. 10).
Genehmigungsfähig sind hiernach von vornherein nur diejenigen Entgelte, die das regulierte Unternehmen insbesondere im Hinblick auf die entstehenden Kosten vollständig durch die erforderlichen Nachweise und Unterlagen unterlegt hat. Das Unternehmen trägt die formelle Darlegungslast und insoweit grundsätzlich auch die materielle Beweislast für die Kostengerechtigkeit des zur Genehmigung gestellten Entgelts (für § 27 TKG 1996, §§ 2 und 3 TEntgV: Beschluss vom 15. Dezember 2005 - BVerwG 6 B 70.05 - juris Rn. 9 f.; vgl. auch Beschluss vom 5. Januar 2006 - BVerwG 6 B 80.05 - BA S. 4 f.).
Da das regulierte Unternehmen seinen Obliegenheiten innerhalb der der Regulierungsbehörde zur Verfügung stehenden Entscheidungsfrist des § 22 Abs. 2 PostG genügen muss, ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit des beantragten Entgelts in einem gerichtlichen Verfahren über eine gegen eine Entgeltgenehmigung angestrengte (Verpflichtungs-) Klage der Abschluss des Verwaltungsverfahrens (zur Maßgeblichkeit der Sachlage bei Erlass einer angefochtenen telekommunikationsrechtlichen Regulierungsverfügung als Dauerverwaltungsakt: Urteil vom 14. Dezember 2011 - BVerwG 6 C 36.10 - Buchholz 442.066 § 30 TKG Nr. 5 Rn. 26 f.; vgl. allgemein zur Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Klageverfahren durch das materielle Recht die Nachweise bei Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 113 Rn. 90 ff.). Das Unternehmen kann deshalb im regulierungsbehördlichen Genehmigungsverfahren unvollständig gebliebene Nachweise und Unterlagen nicht im gerichtlichen Verfahren vervollständigen.
Auch von der Regulierungsbehörde kann das Unternehmen vor Ablauf der Geltungsdauer einer erteilten Entgeltgenehmigung nicht allein durch Stellung eines auf bisher nicht beigebrachte Nachweise und Unterlagen gestützten neuen Entgeltantrags die Genehmigung eines höheren Entgelts verlangen. Es muss vielmehr zuvor eine Aufhebung der bestehenden Genehmigung nach §§ 48, 49 VwVfG erreichen. Lediglich im Fall einer vollständigen Ablehnung eines Entgeltantrags auf der Grundlage des § 2 Abs. 3 PEntgV ist wegen der nicht bestehenden Gefahr inhaltlich widersprüchlicher Entscheidungen ein Neuantrag ohne Bindung an die Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG möglich (vgl. dazu für das in gleicher Weise strukturierte telekommunikationsrechtliche Entgeltgenehmigungsverfahren: Urteil vom 9. Mai 2012 - BVerwG 6 C 3.11 - BVerwGE 143, 87 = Buchholz 442.066 § 37 TKG Nr. 4 Rn. 15 ff.).
bb) Von den in § 21 Abs. 3 Satz 1 PostG genannten bzw. in Bezug genommenen materiellen Entgeltgenehmigungsvoraussetzungen der Einhaltung des Maßstabs der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung im Sinne des § 20 Abs. 1 PostG und des Aufschlagsverbots nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 PostG kommt dem erstgenannten Maßstab eine selbständige und die im Ergebnis entscheidende Bedeutung zu. Nach der Entwicklung der Rechtsprechung des Senats im Telekommunikationsrecht, die sich nicht nur auf die neuere Vorschrift des § 31 Abs. 1 Satz 2 TKG 2004 (dazu Urteile vom 2. April 2008 - BVerwG 6 C 15.07 - BVerwGE 131, 41 = Buchholz 442.066 § 10 TKG Nr. 1 Rn. 76 und vom 20. Oktober 2010 - BVerwG 6 C 18.09 - Buchholz 442.066 § 28 TKG Nr. 3 Rn. 20), sondern auch auf die mit § 20 Abs. 1 und Abs. 2 PostG weithin wortgleichen Bestimmungen in § 24 Abs. 1 und Abs. 2 TKG 1996 (dazu Urteil vom 23. November 2011 - BVerwG 6 C 11.10 - Buchholz 442.066 § 24 TKG Nr. 5 Rn. 33; Beschluss vom 16. Juni 2010 a.a.O. Rn. 5) bezieht, bestimmt der Maßstab der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung zugleich den Inhalt des Aufschlagsverbots bzw. rechtfertigt jedenfalls im Fall seiner Überschreitung für sich allein die (teilweise) Versagung der Entgeltgenehmigung.
Die Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung ergeben sich gemäß § 3 Abs. 2 PEntgV aus den langfristigen zusätzlichen Kosten der Leistungsbereitstellung und einem angemessenen Zuschlag für leistungsmengenneutrale Gemeinkosten, jeweils einschließlich eines dem unternehmerischen Risiko angemessenen Gewinnzuschlags und vorbehaltlich ihrer Notwendigkeit für die Leistungsbereitstellung. Jenseits dieser Grenzen sind Entgelte, auch soweit sie auf nachgewiesenen Kosten beruhen, in materieller Hinsicht grundsätzlich nicht genehmigungsfähig.
Etwas anderes gilt nur im Hinblick auf den in § 20 Abs. 2 Satz 1 a.E. PostG ausdrücklich aufgenommenen Vorbehalt einer nachgewiesenen rechtlichen Verpflichtung oder eines nachgewiesenen sonstigen sachlich gerechtfertigten Grundes, dessen Eingreifen nach § 3 Abs. 4 Satz 1 und 2 PEntgV zur Folge hat, dass auch für die effiziente Leistungsbereitstellung nicht notwendige und andere neutrale Aufwendungen in die Entgeltgenehmigung Eingang finden. Diesem allgemeinen Vorbehalt ordnen § 20 Abs. 2 Satz 2 PostG und § 3 Abs. 4 Satz 3 PEntgV konkretisierend insbesondere die in angemessener Weise zu berücksichtigenden Kosten für die wesentlichen, im lizenzierten Bereich üblichen Arbeitsbedingungen, für die flächendeckende Versorgung mit Postdienstleistungen und für die Versorgungslasten der Beschäftigten der ehemaligen Deutschen Bundespost zu. Bereits nach dem Wortlaut dieser Zuordnung haben die in ihr genannten Kosten nur einen beispielhaften Charakter. Nach dem Willen des Gesetzgebers (Begründung für den Vorschlag des Bundesrates zur Änderung des Gesetzentwurfs, auf den die zum Gesetz gewordene Fassung im Wesentlichen zurückgeht, BTDrucks 13/7774 S. 39) sollen hierdurch unter Aufhebung der in dem allgemeinen Vorbehalt enthaltenen Beweislastverteilung alle Sonderverpflichtungen erfasst werden, denen die Deutsche Post AG - die Klägerin - unterworfen ist, soweit sie diese nicht durch zusätzliches ineffektives Wirtschaften erhöht hat (für diese Einschränkung: Sedemund, in: Badura/v. Danwitz/Herdegen/Sedemund/Stern, a.a.O. § 20 Rn. 135). Das größte Gewicht kommt dabei den Sonderlasten zu, die sich daraus ergeben, dass unter anderem der Klägerin verfassungsrechtlich durch Art. 143b GG und gesetzlich durch § 2 Abs. 1 und 3 des Postumwandlungsgesetzes sowie §§ 2, 14 ff., 21 ff. des Postpersonalrechtsgesetzes (in der Ursprungsfassung Art. 3 und 4 des Gesetzes zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation vom 14. September 1994, BGBl S. 2325) die Übernahme des Vermögens und des Personals der vormaligen Deutschen Bundespost auferlegt worden ist (Sedemund, in: Badura/v. Danwitz/Herdegen/Sedemund/Stern, a.a.O. § 20 Rn. 39 f., 127 ff., 135 f., Anh. § 21 <§ 2 Rn. 16, 18>).
Die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage, ob und inwieweit bei der Bestimmung der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung als dem zentralen Maßstab der regulierungsbehördlichen Entgeltkontrolle im Post- und Telekommunikationssektor ein Beurteilungsspielraum besteht, ist in der Rechtsprechung des Senats bisher nicht abschließend geklärt. Der Senat hat lediglich entschieden (Urteil vom 24. Juni 2009 - BVerwG 6 C 19.08 - Buchholz 442.066 § 35 TKG Nr. 3 Rn. 21, Beschluss vom 30. Juni 2010 a.a.O. Rn. 4), dass bei der Überprüfung von Kostenpositionen auf Richtigkeit und Erforderlichkeit, wie sie die Effizienzkontrolle regelmäßig kennzeichnen, die Anerkennung eines gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren behördlichen Entscheidungsspielraums jedenfalls nicht durchgängig geboten, sondern allenfalls in Bezug auf abgrenzbare Teilaspekte angezeigt ist. In Betracht kommen nur in besonderer Weise durch eine Abwägung gegenläufiger Regulierungsziele sowie ökonomische Wertungen und Prognosen geprägte Elemente der Kostenkontrolle, die - wie die weiteren Darlegungen ergeben werden - hier nicht in Rede stehen.
Die Anerkennung eines weitergehenden behördlichen Letztentscheidungsrechts ist auch in dem Urteil des Senats vom 23. November 2011 (a.a.O. Rn. 36 ff.) nicht angelegt. Zwar hat der Senat dort zu § 24 Abs. 1 Satz 1 TKG 1996 im Zusammenhang mit der Berechnung des Anlagevermögens als Grundlage für die Ermittlung von Zinsen und Abschreibungen im Rahmen der Genehmigung von Entgelten für den Zugang zur Teilnehmeranschlussleitung ausgeführt, der Regulierungsbehörde stehe bezogen auf das Erfordernis, Entgelte an den Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung zu orientieren, ein - auf der Nahtstelle zum Regulierungsermessen stehender - Beurteilungsspielraum zu. Hierdurch hat der Senat jedoch lediglich die Vorgaben, die der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. April 2008 - Rs. C-55/06 - (Slg. 2008, I-2931) für die in Rede stehende Berechnung im Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2887/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2000 über den entbündelten Zugang zum Teilnehmeranschluss (ABl EU Nr. L 336 S. 4) - das heißt in Bezug auf den Zugang durch Kupferleitungen - entwickelt hatte, auf die unionsrechtlich nicht geregelte Bemessung der Entgelte für den Zugang durch Glasfaserleitungen auf Grund der allgemeinen telekommunikationsrechtlichen Kostenvorschrift übertragen. Eine über diese begrenzte Problematik hinausgehende Bedeutung kommt der Entscheidung nicht zu.
b) Nach diesen Maßstäben kann die Klägerin die Genehmigung eines Entgelts für die Gewährung des Postfachzugangs beanspruchen, das die von ihr geltend gemachten Personalkosten des UB Filiale und des UB Brief mit Ausnahme der für das Jahr 2002 vorgesehenen Steigerung (aa) und von den angesetzten Zuschlägen für Gemeinkosten in den beiden Unternehmensbereichen diejenigen für Sach- und Kapitalkosten (bb), nicht jedoch diejenigen für Abteilungsleitung (cc) und für Leitung und Service (dd) umfasst. Weiter anzuerkennen sind die von der Klägerin für die Agenturen aufgewandten Kosten (ee), wogegen die Klägerin die Anerkennung der von ihr vorgenommenen Kostengewichtung (ff) sowie eines Gewinnzuschlags (gg) nicht verlangen kann.
aa) Die Personalkosten des UB Filiale und des UB Brief hat die Klägerin mit Personalkostenstundensätzen von ... DM bzw. ... DM ausgewiesen und mittels zwischen den Beteiligten nicht umstrittener Zeitansätze dem Postfachzugang als Einzelkosten im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 PEntgV in Gestalt fixer und variabler Annahmekosten sowie variabler Einsortierungskosten zugeordnet. Demgegenüber hat die Regulierungsbehörde unbeanstandet von dem Oberverwaltungsgericht lediglich Personalkostenstundensätze von ... DM bzw. ... DM anerkannt. Die Diskrepanz beruht darauf, dass die Regulierungsbehörde die von der Klägerin ermittelten Ausgangswerte für die Bestimmung der Personalkostenstundensätze und die von der Klägerin für das Jahr 2002 zu Grunde gelegte Personalkostensteigerung gekürzt hat. Die Kürzung der Ausgangswerte ist rechtswidrig (aaa), wogegen die Verminderung der für das Jahr 2002 prognostizierten Personalkostensteigerung nicht zu beanstanden ist (bbb).
aaa) Die von der Klägerin mit ... DM pro Stunde in dem UB Filiale und von ... DM pro Stunde in dem UB Brief errechneten Ausgangswerte hat die Regulierungsbehörde unter Berufung auf eine nicht nachvollziehbare Abweichung von den Ansätzen des Verfahrens aus dem Jahr 2001 und die Einbeziehung der nach der Besoldungsgruppe A 8 bzw. tariflich in entsprechender Weise vergüteten Kräfte auf Stundensätze von ... DM bzw. ... DM herabgesetzt. Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
Die Klägerin hat die von ihr angesetzten Personalkosten in formeller Hinsicht mit nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 2 PEntgV hinreichenden Kostennachweisen belegt. Sie hat in dem Entgeltantrag und nochmals mit Schreiben vom 3. Januar 2002 auf die unter dem 12. Dezember 2001 gehaltene schriftliche Nachfrage der Regulierungsbehörde hin dargetan, dass sie für die Bestimmung der Ausgangswerte darauf abgestellt hat, welche Besoldungs- und Tarifgruppen in dem Personalbestand, der in den von ihr betriebenen Postfachanlagen für den Postfachzugang tätig wird, überhaupt - das heißt unabhängig von der Zusammensetzung des Personals in einzelnen Anlagen - vertreten sind. Diese Besoldungs- und Tarifgruppen - solche bis zur Besoldungsgruppe A 8 bzw. der entsprechenden Tarifgruppe - hat sie in Entsprechung zu deren Anteil an dem gesamten Personalbestand in dem UB Filiale bzw. dem UB Brief mit den in der Kosten- und Ergebnisrechnung des Jahres 2000 ausgewiesenen Personalkosten bei der Berechnung des Stundensatzes berücksichtigt.
Die derart belegten Kosten entsprechen auch materiell dem - erweiterten - Maßstab der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung aus § 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 a.E. und 2 PostG sowie § 3 Abs. 2 und Abs. 4 Satz 2 und 3 PEntgV.
Die Klägerin hat die Personalkosten, die ihr für die Gewährung des Postfachzugangs entstehen, im Sinne eines Vollkostenansatzes nach der tatsächlichen Personalkostenstruktur in dem UB Filiale und dem UB Brief bestimmt. Dass dieser Vollkostenansatz als solcher einen anerkannten betriebswirtschaftlichen Grundsatz zur Kostenermittlung und Kostenberechnung im Sinne des § 3 Abs. 3 Satz 1 PEntgV darstellt und damit zur Ausfüllung des Maßstabs der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung geeignet ist, stellt auch die Beklagte der Sache nach nicht in Abrede. Denn die Regulierungsbehörde hat in dem angefochtenen Beschluss nicht nur die von der Klägerin im Rahmen des hiesigen Verfahrens erstmals zur Genehmigung gestellte zweigliedrige Entgeltstruktur - das heißt die Kombination aus einem fixen, sendungsmengenunabhängigen und einem variablen, sendungsmengenabhängigen Entgeltanteil - akzeptiert, die von ihrer Anlage her einen Vollkostenansatz voraussetzt. Die Behörde hat vielmehr zusätzlich hervorgehoben, das zweigliedrige Entgelt sei kostengerechter als ein auf Grund der Annahme einer bestimmten Sendungsmenge berechnetes Pauschalentgelt. Sie hat sich damit zugleich gegen die als Alternative zu einem Vollkostenansatz in Betracht kommende Orientierung an den nach einem Teilkostenansatz bestimmten Stückkosten gewandt. Denn eben diese Kalkulationsmethode lag dem von der Behörde mit dem Begriff des Pauschalentgelts in Bezug genommenen eingliedrigen, pro eingelieferter Sendung bemessenen (Stück-) Entgelt zu Grunde, das die Klägerin in der Vergangenheit für den - unter anderem in dem Verfahren aus dem Jahr 2001 - nach § 31 Abs. 2 PostG angeordneten Postfachzugang erhoben hatte.
Um diesen von ihr im Grundsatz anerkannten Gleichlauf zwischen zweigliedrigem Entgelt und Vollkostenansatz bei der konkreten Berechnung der Ausgangswerte für die Bestimmung der Personalkostenstundensätze einzuhalten, hätte die Regulierungsbehörde nicht systemwidrig auf den für das frühere eingliedrige Entgelt der Klägerin verwandten Stück- bzw. Teilkostenansatz zurückgreifen dürfen. Dies hat sie jedoch getan, indem sie die von der Klägerin ausgewiesenen Sätze denjenigen des Verfahrens aus dem Jahr 2001 angeglichen hat.
Soweit die Regulierungsbehörde den von der Klägerin für den UB Filiale und den UB Brief geltend gemachten Personalkosten die Anerkennung unter Verweis auf einen nicht kosteneffizienten Einsatz von nach der Besoldungsgruppe A 8 oder entsprechend tariflich vergüteten Kräften versagt hat, kann dies ebenfalls keinen Bestand haben.
Das Oberverwaltungsgericht hat in tatsächlicher Hinsicht mit für den Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO bindender Wirkung festgestellt, dass die berufliche Qualifikation, die den in der beschriebenen Weise vergüteten Mitarbeitern der Klägerin zur Verfügung steht, für die Ausführung der mit dem Postfachzugang verbundenen Tätigkeiten nicht erforderlich ist. Wäre allein dieser Umstand maßgeblich, träfe die Beurteilung der Regulierungsbehörde zu, dass die insofern aufgewandten Personalkosten nicht dem Maßstab der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung im Sinne des § 20 Abs. 1 PostG und des § 3 Abs. 2 PEntgV entsprechen. Denn Sinn des Effizienzmaßstabs in seiner reinen Form ist es, einen Als-ob-Wettbewerbspreis zu simulieren, das heißt mit dem regulierten Entgelt den Preis vorwegzunehmen, der sich in einem wirksamen Wettbewerbsumfeld durch den Zwang zu optimaler Nutzung der vorhandenen Ressourcen auf Grund der Marktkräfte einstellen würde (vgl. für das Telekommunikationsrecht: Urteile vom 24. Juni 2009 - BVerwG 6 C 19.08 - Buchholz 442.066 § 35 TKG Nr. 3 Rn. 18 und vom 25. November 2009 - BVerwG 6 C 34.08 - Buchholz 442.066 § 31 TKG Nr. 1 Rn. 19). Ein Einsatz von für die konkrete Aufgabenwahrnehmung überqualifizierten und entsprechend zu hoch entlohnten Kräften wäre auf einem funktionierenden Markt unwirtschaftlich und damit auf Dauer nicht darstellbar.
Hiermit kann es jedoch in Anbetracht der normativen Erweiterungen des Maßstabs der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung - vor allem in Gestalt der Vorschriften des § 20 Abs. 2 Satz 2 PostG und des § 3 Abs. 4 Satz 3 PEntgV - nicht sein Bewenden haben. Wie bereits dargelegt, besteht der Zweck dieser Regelungen unter anderem darin, die Berücksichtigungsfähigkeit der Sonderlasten, die sich für die Klägerin aus der Übernahme des Personals der vormaligen Deutschen Bundespost ergeben, im Rahmen der Genehmigung postrechtlicher Entgelte sicherzustellen. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf die in den Vorschriften ausdrücklich genannten Versorgungslasten, sondern auch generell für ein erhöhtes Niveau der Personalkosten aus den übernommenen Beamtenverhältnissen und Arbeitsverträgen (Sedemund, in: Badura/v. Danwitz/Herdegen/Sedemund/Stern, a.a.O. § 20 Rn. 129).
Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig und daher im Revisionsverfahren auch ohne entsprechende tatrichterliche Feststellung zu beachten, dass nach der Besoldungsgruppe A 8 oder in entsprechender Weise tariflich vergütete Kräfte, die - jedenfalls was die Beamten anbelangt - zwingend aus dem Kreis der früheren Bundespostbediensteten stammen müssen, in dem UB Filiale und dem UB Brief vorhanden sind und dort jedenfalls auch für die Gewährung des Postfachzugangs eingesetzt werden. Diese Tätigkeit entspricht nach der tatsächlichen Feststellung des Oberverwaltungsgerichts nicht der beruflichen Qualifikation der Betroffenen. Dieser Sachverhalt bildet eine hinreichende Grundlage dafür, den nicht effizienten Einsatz der in Rede stehenden Bediensteten - für die Beamten auch unter Berücksichtigung von § 6 Postpersonalrechtsgesetz - der überkommenen Personalstruktur der Klägerin zuzuordnen und deshalb die insoweit entstehenden Personalkosten im Rahmen der der Klägerin zu erteilenden Entgeltgenehmigung zu berücksichtigen. Denn der Gesetzgeber wollte, wie bereits ausgeführt, mit der Vorschrift des § 20 Abs. 2 Satz 2 PostG, die durch § 3 Abs. 4 Satz 3 PEntgV aufgenommen wird, der Klägerin vor allem die Geltendmachung der mit den Sonderlasten aus der Rechtsnachfolge der Deutschen Bundespost verbundenen Kosten erleichtern und ihr insbesondere insoweit keine Beweislast auferlegen (vgl. dazu: Sedemund, in: Badura/v. Danwitz/Herdegen/Sedemund/Stern, a.a.O. § 20 Rn. 136, Anh. § 21, § 2 PEntgV, Rn. 24).
bbb) Die Klägerin hat in ihrem Entgeltantrag für das Jahr 2002 eine Personalkostensteigerung von ... % zu Grunde gelegt. Demgegenüber hat die Regulierungsbehörde nur eine Steigerung von ... % anerkannt und darauf verwiesen, die Klägerin habe in ihrer der Behörde bekannten internen Personalplanung jedenfalls für den UB Brief lediglich eine Personalkostensteigerung von ... % prognostiziert. Das Oberverwaltungsgericht hat die Kürzung tragend mit der Begründung bestätigt, die Klägerin habe die von ihr angesetzte höhere Steigerungsrate nicht mit belastbaren Zahlenwerten belegt. Die Klägerin ist mit der von ihr angesetzten Steigerungsrate zu Recht nicht durchgedrungen.
Das Oberverwaltungsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Klägerin schon die tatsächliche Grundlage für die von ihr prognostizierte Personalkostensteigerung nicht in der von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und Abs. 2 PEntgV geforderten Weise nachgewiesen hat. Denn sie hat in ihrem Entgeltantrag insoweit lediglich auf ihre interne Planung verwiesen. Konkretisierende Belege für diese pauschale Angabe hat sie trotz entsprechender Aufforderung der Regulierungsbehörde vom 12. Dezember 2001 auch im Rahmen ihres Schreibens vom 3. Januar 2002 im Genehmigungsverfahren im Ergebnis nicht beigebracht.
bb) Die von ihrem Entgeltantrag als Gemeinkosten für den UB Filiale und den UB Brief erfassten Sach- und Kapitalkosten - letztere beschränkt auf Abschreibungen - hat die Klägerin in Form von prozentualen Zuschlägen auf die von ihr errechneten Personalkosten geltend gemacht. Sie hat für Sachkosten im UB Filiale ... % und im UB Brief ... % sowie für Kapitalkosten im UB Filiale ... % und im UB Brief ... % angesetzt. Die Regulierungsbehörde hat stattdessen für beide Kostenarten entsprechend der Handhabung in dem Verfahren aus dem Jahr 2001 nur einen einheitlichen Zuschlag von ... DM pro eingelieferter Sendung bewilligt. Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung der Klägerin gegen das diese behördliche Entscheidung bestätigende Urteil des Verwaltungsgerichts stattgegeben und die prozentualen Zuschläge anerkannt. Diese Anerkennung ist nicht zu beanstanden.
Die Klägerin hat die entstehenden Sach- und Kapitalkosten in Form der ausgeworfenen Zuschläge als Gemeinkosten entsprechend den Anforderungen aus § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und Abs. 2 PEntgV belegt und dem Postfachzugang zugeordnet. Die Klägerin hat in ihrem Entgeltantrag eingehend beschrieben, dass und wie sie im Rahmen der Kalkulation ihres zweigliedrigen Entgelts die Zuschläge auf Grund eines Vollkostenansatzes berechnet hat. Sie ist danach zu den genannten Prozentsätzen gelangt, indem sie bezogen auf alle den Postfachzugang gewährenden Organisationseinheiten des UB Filiale und des UB Brief auf der Grundlage der Werte der Kosten- und Ergebnisrechnung für das Jahr 2000 das Verhältnis zwischen den gesamten unmittelbaren Personalkosten dieser Einheiten sowie deren gesamten postfachbezogenen Sachkosten und gesamten unmittelbaren Abschreibungen gebildet hat. Die Klägerin hat weiter ausgeführt, dass sich die Abschreibungen in den betroffenen Einheiten des UB Filiale im Wesentlichen auf Schalteranlagen, IT-Einrichtungen und Betriebs- und Geschäftsausstattung sowie in denjenigen des UB Brief im Wesentlichen auf Gebäude, IT-Einrichtungen und Betriebsausstattung bezogen. Sie hat hierzu jeweils gerundete Beträge angegeben. Die Klägerin hat ferner dargelegt, dass sie bei den Sachkosten der betroffenen Einheiten im UB Filiale Aufwendungen für Kassendifferenzen und im UB Brief Ausgaben für fremdbezogene Leistungen als nicht postfachbezogen unberücksichtigt gelassen hat, so dass im UB Filiale im Wesentlichen Aufwendungen für Reise- und Fahrtkosten, Dienstbedarf, Telekommunikation und Energie und Reinigung sowie im UB Brief vor allem Aufwendungen für Reise- und Fahrtkosten, Dienstbedarf, Dienstkleidung, Telekommunikation, Instandhaltung und Energie und Reinigung in die Berechnung des Zuschlagswertes eingegangen sind. Auch diese Angaben hat die Klägerin mit gerundeten Beträgen unterlegt. Diese Darlegungen reichen in formeller Hinsicht aus. Das Prinzip für die Kalkulation und die Zuordnung der Kosten wird durch diese Angaben hinreichend verdeutlicht. Die von der Beklagten im Revisionsverfahren erhobene Forderung nach einer weitaus detaillierteren Aufschlüsselung und letztlich einer Gesamtschau sämtlicher in dem Unternehmen der Klägerin anfallenden Kosten führt ersichtlich zu weit.
Die Zuschläge sind in der von der Klägerin ermittelten Höhe auch materiell angemessen im Sinne des § 3 Abs. 2 PEntgV und damit Teil der in dieser Vorschrift definierten Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung gemäß § 20 Abs. 1 PostG. Die hierzu von der Regulierungsbehörde in dem angefochtenen Beschluss und von der Beklagten im Gerichtsverfahren erhobenen Einwände gehen ins Leere.
Die Beklagte gesteht zu, dass das Verfahren, Gemeinkosten im Wege der Zuschlagskalkulation den Personalkosten zuzuordnen, ein in der betrieblichen Praxis weit verbreitetes und aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht zu beanstandendes Kalkulationsverfahren darstellt. Die Methode ist überdies eng mit der auf einem Vollkostenansatz beruhenden zweigliedrigen Struktur des von der Klägerin zur Genehmigung gestellten Entgelts verbunden, die die Beklagte, wie bereits ausgeführt, ebenfalls im Grundsatz akzeptiert hat. Hiernach ist es - noch deutlicher als in dem bereits dargestellten Zusammenhang der Personalkosten - bereits im Ausgangspunkt verfehlt, wenn die Beklagte die Höhe der von der Klägerin angesetzten Sach- und Kapitalkosten durch einen Vergleich mit den Ansätzen für diese Kosten in dem Verfahren aus dem Jahr 2001 in Frage zu stellen sucht. Denn Gegenstand jenes Verfahrens war anders als hier keine aus einem fixen, sendungsmengenunabhängigen und einem variablen, sendungsmengenabhängigen Teil zusammengesetzte, auf einem Vollkostenansatz und in Bezug auf die Gemeinkosten auf einer Zuschlagskalkulation beruhende Vergütung. Das seinerzeitige Verfahren bezog sich vielmehr auf ein eingliedriges, pro eingelieferter Sendung bemessenes und an den nach einem Teilkostenansatz bestimmten Stückkosten orientiertes (Stück-) Entgelt. Systemimmanente Einwendungen gegen die Effizienz der von der Klägerin als Gemeinkosten geltend gemachten Sach- und Kapitalkosten hat weder die Beklagte erhoben noch sind diese sonst ersichtlich.
cc) Als weitere Art von Gemeinkosten hat die Klägerin für den UB Filiale und den UB Brief in ihrem Entgeltantrag Kosten der Abteilungsleitung (Filialbezirksleitung bzw. Abteilungsleitung Auslieferung) ausgewiesen. Sie hat diese als Zuschläge auf sämtliche zuvor dargestellten Kosten in Höhe von ... % in dem UB Filiale und ... % in dem UB Brief angesetzt. Die Regulierungsbehörde ist dem nicht gefolgt und hat wiederum in Anlehnung an das Verfahren aus dem Jahr 2001 nur einen weiteren Zuschlag von ... DM pro eingelieferter Sendung anerkannt. Dies hat vor dem Oberverwaltungsgericht Bestand gehabt. Hiergegen ist im Ergebnis nichts zu erinnern.
Die Klägerin hat für diese Gemeinkosten bereits die formellen Genehmigungsvoraussetzungen aus § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und Abs. 2 PEntgV verfehlt. Sie hat zwar in dem Entgeltantrag nachvollziehbar beschrieben, dass sie die prozentualen Zuschläge für die Erhebung dieser Kosten berechnet hat, indem sie nach den Werten der Kosten- und Ergebnisrechnung für das Jahr 2000 die von ihr als postfachrelevant erachteten Kosten der Filialbezirksleitung bzw. der Abteilungsleitung Auslieferung in Relation zu den unmittelbaren Kosten der Leistungserstellung in ihren sämtlichen Filialen - ergänzt um die Vergütungen für die Agenturen - bzw. in der Auslieferung gesetzt hat.
Der Klägerin hätte es jedoch darüber hinaus oblegen, jedenfalls in einem Maße, wie sie es im Hinblick auf die Zuschläge für Sach- und Kapitalkosten erfüllt hat, die Bestandteile der Bezugsgrößen für die Zuschlagsberechnung - hier also der Kosten der Filialbezirksleitung bzw. der Abteilungsleitung Auslieferung einerseits und der unmittelbaren Kosten der Leistungserstellung andererseits - anzugeben. Dies hat sie versäumt. Weiterhin hat die Klägerin ungeachtet des von ihr zu Grunde gelegten Vollkostenansatzes sowohl bei der Berechnung der Zuschläge für Sach- und Kapitalkosten als auch bei der hier in Rede stehenden Berechnung der Zuschläge für Kosten der Abteilungsleitung jeweils als nicht postfachbezogen eingestufte Kostenpositionen aus der Kalkulation ausgesondert. Diese Positionen hat sie hier anders als dort jedoch nicht benannt. In Anbetracht dieser gravierenden Unvollständigkeit der Kostenunterlagen bestand in dem fristgebundenen Genehmigungsverfahren kein Raum für eine weitere behördliche Aufklärung.
dd) Als dritte Art von Gemeinkosten hat die Klägerin für den UB Filiale und den UB Brief in ihrem Entgeltantrag Kosten für Leitung und Service durch Zuschläge von ... % bzw. ... % auf die zuvor ermittelten Kosten geltend gemacht. Die Regulierungsbehörde hat auch diesen Ansatz verworfen und eine relevante Kostenbelastung durch den von ihr für die Kosten der Abteilungsleitung zugebilligten Zuschlag von ... DM pro eingelieferter Sendung erfasst gesehen. Das Oberverwaltungsgericht hat dies nicht beanstandet. Dieses Entscheidungsergebnis hat Bestand.
Dem Entgeltantrag der Klägerin fehlt es wie im Fall der Kosten der Abteilungsleitung an der nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und Abs. 2 PEntgV erforderlichen Datengrundlage. Zwar ergibt sich aus den Darlegungen der Klägerin wieder die von ihr angewandte Methode für die Berechnung der Zuschläge. Denn nach den Erläuterungen in ihrem Entgeltantrag hat sie hierzu auf der Grundlage der Kosten- und Ergebnisrechnung des Jahres 2000 die Kosten für Leitung und Service für die Unternehmensbereiche Filiale und Brief in Bezug zu den gesamten Wertschöpfungskosten in diesen Bereichen gesetzt.
Die Klägerin hat aber auch hier die Bezugsgrößen der Zuschlagskalkulation nicht mit der für die materielle Kostenprüfung erforderlichen Detailliertheit umschrieben. Für sie war ohne Weiteres erkennbar, dass sich diese Prüfung in Anbetracht der beträchtlichen Höhe der ausgeworfenen Gemeinkostenzuschläge vor allem auf die Frage zu erstrecken hatte, ob sich hinter den als Gemeinkosten behandelten Daten etwa Positionen verbargen, die als Einzelkosten hätten behandelt werden müssen. Insoweit reicht die Angabe von 21 bzw. 26 in ihrer Bezeichnung überdies nicht durchweg verständlicher Kostenpositionen für den UB Filiale bzw. den UB Brief in dem Entgeltantrag nicht aus. Zudem hat die Klägerin wiederum ihrer Einschätzung nach nicht postfachbezogene Kostenpositionen bei der Berechnung des Zuschlags nicht berücksichtigt, diese jedoch in offensichtlicher Weise nicht abschließend benannt und auch insoweit keine tragfähige Grundlage für eine Überprüfung zur Verfügung gestellt.
ee) Die Kosten für die Agenturen hat die Klägerin in ihrem Entgeltantrag auf der Grundlage der mit ihren Partnern geschlossenen Verträge angesetzt. Der Kostenansatz stimmt in seiner Struktur mit den Ansätzen für den UB Filiale und den UB Brief insoweit überein, als die Kosten der Einsortierung von Postfachsendungen variabel bestimmt sind. Demgegenüber wird anders als bei den eigenen Unternehmensbereichen der Klägerin hinsichtlich der Kosten der Annahme von Postfachsendungen nicht zwischen einem fixen und einem variablen Kostenbestandteil unterschieden, sondern nur ein Fixbetrag ausgewiesen. Die Regulierungsbehörde hat den Kostenansatz der Klägerin für die Agenturen unabhängig von seiner Struktur wegen seiner Höhe als unvereinbar mit dem Maßstab der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung bewertet, weil er die Kosten des Postfachzugangs selbst im Vergleich mit dem gegenüber dem UB Brief teureren UB Filiale überschreite. Die Behörde hat die Kosten der Agenturen im Wesentlichen nach den Maßgaben der von ihr für den UB Filiale festgelegten Konditionen berücksichtigt. Das Oberverwaltungsgericht ist dem beigetreten. Diese Entscheidung kann keinen Bestand haben.
Die Klägerin kann die Anerkennung ihrer Kostenansätze für die Agenturen beanspruchen. Sie hat in formeller Hinsicht nachgewiesen, dass ihr die entsprechenden Kosten auf Grund der vertraglichen Absprachen mit ihren Partnern entstehen. Materiell können die Kosten nicht als ineffizient beurteilt werden.
Die Argumentation, die Agenturen verursachten nach den Ansätzen der Klägerin höhere Kosten für den Postfachzugang als die Aufgabenerledigung durch die Klägerin selbst, und sei es durch den im Vergleich zu dem UB Brief teureren UB Filiale, ist nicht haltbar. Bei einem abstrakten Vergleich der von der Klägerin für die Agenturen und für den UB Filiale ausgeworfenen Kostensätze sind die Kosten der Agenturen zwar im Hinblick auf die fixen Kosten der Annahme höher als diejenigen des UB Filiale. Allerdings ist bereits insoweit zu berücksichtigen, dass bei den Agenturen keine variablen Kosten der Annahme anfallen. Was die Kosten der Einsortierung anbelangt, sind die Agenturen dann deutlich günstiger als der UB Filiale. Zudem hat die Klägerin von der Beklagten unwidersprochen vorgetragen, in der praktischen Anwendung wirke sich die unterschiedliche Gewichtung von fixen und variablen Elementen in der Kostenkalkulation für die Agenturen einerseits und für die eigenen Unternehmensbereiche der Klägerin andererseits dahingehend aus, dass die Kosten in den Agenturen bereits ab einer Menge von 18 Sendungen pro Einlieferungsvorgang unter denjenigen des UB Filiale lägen und dass diese Grenze selbst im Hinblick auf den kostengünstigeren UB Brief immerhin schon bei 72 Sendungen erreicht werde. Diese Auswirkungen der eigenständigen Kostenkalkulation der Klägerin für die Agenturen sind im Rahmen des Maßstabs der effizienten Leistungsbereitstellung hinzunehmen.
ff) Die unterschiedlichen Kostensätze des UB Filiale, des UB Brief und der Agenturen hat die Klägerin in ihrem Entgeltantrag gewichtet und zu einem Fixbetrag pro Einlieferungsvorgang und einem variablen Betrag pro eingelieferter Sendung zusammengeführt. Sie hat für diese Gewichtung ... Postfächer (... %) dem UB Filiale, ... Postfächer (... %) dem UB Brief und ... Postfächer (... %) den Agenturen zugewiesen. Die Regulierungsbehörde hat diese Gewichtung zu Gunsten des kostengünstigeren UB Brief verschoben und die Postfächer nach Art einer Mischkalkulation zu ... % dem UB Filiale, zu ... % dem UB Brief und zu ... % den Agenturen zugeordnet. Das Oberverwaltungsgericht hat diese Gewichtung übernommen. Es besteht kein Anlass für eine Korrektur seitens des Senats.
Die Klägerin hat die beantragte, für sie günstige Gewichtung mit dem Schwerpunkt auf dem UB Filiale nicht mit hinreichenden Nachweisen und Unterlagen im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 PEntgV belegt. Die Regulierungsbehörde hat ihr im Genehmigungsverfahren mit Schreiben vom 12. Dezember 2001 vorgehalten, sie habe in dem Verfahren aus dem Jahr 2001 dem UB Brief weitaus größeres Gewicht als in dem aktuellen Entgeltantrag beigemessen. Die Klägerin hat dies mit Schreiben vom 3. Januar 2002 vor allem damit gerechtfertigt, sie habe nunmehr anders als seinerzeit nicht auf die Postfachanlagen und deren Standort abgestellt, sondern die Anzahl der Postfächer in den Blick genommen und es für entscheidend erachtet, welchem Bereich die Kräfte zuzuordnen seien, die die Leistung des Postfachzugangs bezogen auf die Postfächer tatsächlich erbrächten. Die überwiegende Zahl der briefbetriebenen Postfächer werde wegen einer bestehenden Verbindung mit einem Filialstandort und der eingeschränkten Sortierzeiten des Personals des UB Brief faktisch nahezu ausschließlich von Kräften des UB Filiale betreut. Auf weitere Nachfrage der Regulierungsbehörde in der mündlichen Verhandlung vom 8. Januar 2002 hin hat die Klägerin mit Schreiben vom 16. Januar 2002 insbesondere Angaben zur Lage der Sortierzeiten in dem UB Brief gemacht, jedoch keinen näheren Bezug zu bestimmten Mengen von Postfachsendungen hergestellt.
Diese Angaben gestatten nur den Schluss, dass die Klägerin durch das Abstellen auf die Zuordnung des tatsächlich mit dem Postfachzugang befassten Personals zwar ein geeignetes Kriterium für die Gewichtung der in dem UB Filiale, dem UB Brief und den Agenturen entstehenden Kosten gefunden haben mag, dass sie dieses aber nicht durch belastbare Nachweise ausfüllen konnte. Durch den Umstand, dass die Regulierungsbehörde das Kriterium - wenn auch nicht in dem von der Klägerin beantragten Ausmaß - übernommen hat, wird die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt.
gg) Als letzte Position hat die Klägerin in ihrem Entgeltantrag einen Gewinnzuschlag von ... % in Ansatz gebracht. Die Regulierungsbehörde hat diesem Zuschlag die Anerkennung versagt, das Oberverwaltungsgericht ist dem gefolgt. Diese Entscheidungen sind zu Recht ergangen.
Zwar umfasst der Maßstab der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung im Postsektor nach der ausdrücklichen Bestimmung des § 3 Abs. 2 PEntgV auch einen dem unternehmerischen Risiko angemessenen Gewinnzuschlag und ist hier vom Ansatz her weiter gefasst als im Telekommunikationssektor, für den § 32 Abs. 1 Satz 1 TKG 2004 - wie zuvor schon § 3 Abs. 2 TEntgV - nur eine angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals vorsieht. Die Klägerin kann den begehrten Zuschlag jedoch bereits deshalb nicht verlangen, weil sie im Genehmigungsverfahren keinerlei Nachweise zum Beleg eines entsprechenden Anspruchs beigebracht, sondern sich auf die Bemerkung beschränkt hat, sie betrachte den Zuschlag in der genannten Höhe als angemessen.
c) Nach alledem ist das der Klägerin zustehende Entgelt wie folgt zu berechnen:
...
...
...
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Im Ergebnis kann die Klägerin danach die Genehmigung eines Entgelts in Höhe von netto 2,04 DM (1,04 €) pro Einlieferungsvorgang und von netto 0,08 DM (0,04 €) pro eingelieferter Sendung beanspruchen.
3. Aus den bisherigen Darlegungen folgt zugleich, dass das Oberverwaltungsgericht, soweit es in Bezug auf die Gemeinkostenzuschläge für Sach- und Kapitalkosten in dem UB Filiale und dem UB Brief dem durch den angefochtenen regulierungsbehördlichen Beschluss vom 6. Februar 2002 nicht erfüllten Genehmigungsanspruch der Klägerin Rechnung getragen hat, die Sache hätte spruchreif machen und die Beklagte zur Erteilung einer entsprechenden Genehmigung hätte verpflichten müssen und sich nicht auf den Erlass eines bloßen Bescheidungsurteils beschränken durfte.
Ein Beurteilungsspielraum steht, wie ausgeführt, nicht inmitten. Auch bedarf es für die Errechnung des der Klägerin zustehenden Entgelts auf der Grundlage der anzuerkennenden Kostenpositionen keiner neuerlichen Befassung der Regulierungsbehörde.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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||||||||
WBRE410019670
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BVerwG
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5. Senat
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20130516
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5 C 28/12
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Urteil
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Art 3 Abs 1 GG, § 1 Abs 1 UhVorschG, § 1 Abs 3 UhVorschG, § 6 Abs 1 UhVorschG, § 7 UhVorschG
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vorgehend VG Freiburg (Breisgau), 14. August 2012, Az: 3 K 1614/11, Urteil
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DEU
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Anspruch auf Unterhaltsleistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz; durch anonyme Samenspende gezeugtes Kind; im Ausland bezogene Samenspende
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Kinder, die im Wege der heterologen Insemination durch das Sperma eines anonymen Spenders gezeugt wurden, haben keinen Anspruch auf Unterhaltsleistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz, wenn die Feststellung der Vaterschaft im Einzelfall von vornherein aussichtslos ist.
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Die Klägerin begehrt die Verpflichtung des Beklagten zur Gewährung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für ihren im Oktober 2005 geborenen Sohn.
Dieser wurde im Wege einer heterologen Insemination mit dem von einer dänischen Samenbank bezogenen Sperma eines anonymen, der Klägerin unbekannten Spenders gezeugt. Antrag, Widerspruch und Klage blieben erfolglos. Zur Begründung seines Urteils hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz. Einem aus einer anonymen heterologen Insemination hervorgegangenen Kind stünden Unterhaltsleistungen im Sinne des Gesetzes nicht zu. Seinem Sinn und Zweck zufolge knüpfe das Unterhaltsvorschussgesetz die Entlastung des alleinerziehenden Elternteils an die potentielle Möglichkeit der öffentlichen Hand, den anderen Elternteil auf Erstattung der gewährten Unterhaltsleistung in Anspruch zu nehmen. Diese Möglichkeit bestehe in den Fällen der Zeugung eines Kindes im Wege einer anonymen Samenspende nicht. Die Leistungsgewährung würde sich in dieser Konstellation entgegen der gesetzgeberischen Konzeption von vornherein als "verlorener Zuschuss" darstellen. Der alleinerziehende Elternteil dürfe sich nicht willentlich in eine Situation begeben, die die Ermittlung des anderen Elternteils unmöglich mache. Hierin liege keine unzumutbare Benachteiligung von Frauen, die den Wunsch hätten, mit Hilfe einer anonymen Samenspende Mutter zu werden.
Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz lägen vor. Deren Versagung überschreite die Grenzen richterlicher Gesetzesauslegung und verstoße insoweit gegen das Rechtsstaatsprinzip, insbesondere gegen den Vorrang des Gesetzes und die Bindung an Recht und Gesetz. Ebenso wenig wie das Unterhaltsvorschussgesetz eine Trennung der Elternteile nach längerfristiger Beziehung oder das Alleinerziehungsmerkmal voraussetze, erhebe es die tatsächliche Unterhaltspflicht des anderen Elternteils zur Bedingung für die Leistungsberechtigung gegenüber der Unterhaltsvorschusskasse. Unmaßgeblich sei daher, dass der andere Elternteil erst nach Anerkennung der Vaterschaft oder deren gerichtlicher Feststellung auf Unterhalt in Anspruch genommen werden könne. Die Anerkennung beziehungsweise Feststellung der Vaterschaft sei nicht Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz. Die Annahme, die Leistungsgewährung setze das Bestehen zumindest der Möglichkeit voraus, den anderen Elternteil auf Erstattung der gewährten Unterhaltsleistung in Anspruch zu nehmen, lasse unberücksichtigt, dass das Unterhaltsvorschussgesetz gerade für den Fall einer Leistungsunfähigkeit des anderen Elternteils die Gewährung von Unterhaltsausfallleistungen vorsehe. Das Phänomen "verlorener Zuschüsse" sei im Unterhaltsvorschussrecht bekannt, da die anderen Elternteile nicht selten wirtschaftlich leistungsunfähig seien. Dessen ungeachtet wäre ein Unterhaltsverzicht für die Zukunft zivilrechtlich unwirksam. Er stünde einem gesetzlichen Anspruchsübergang auf die Unterhaltsvorschusskasse nicht entgegen. Das Unterhaltsvorschussgesetz beschränke die Leistungsgewährung nicht auf die Fälle der Planwidrigkeit des Unterhaltsausfalls. Nicht nur für den Fall des Todes des anderen Elternteiles sehe das Gesetz die Gewährung von Unterhaltsausfallleistungen vor. Ebenso wenig setze ein unterhaltsvorschussrechtlicher Leistungsanspruch ungeschrieben das Bestehen einer von dem Antragsteller nicht selbst herbeigeführten prekären Lage voraus. Die Auslegung des Unterhaltsvorschussgesetzes durch den Beklagten und das Verwaltungsgericht stelle Kinder, die mittels anonymer heterologer Insemination gezeugt würden, in sachlich nicht gerechtfertigter Weise schlechter als andere Kinder. Die Klägerin erfülle auch nicht den Ausschlussgrund der Verletzung von Mitwirkungspflichten, da ihr damit ein Verhalten noch vor der Zeugung ihres Sohnes vorgehalten würde.
Der Beklagte und der Vertreter des Bundesinteresses verteidigen das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts.
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Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat in der Sache angenommen, § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder -ausfallleistungen (Unterhaltsvorschussgesetz - UVG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 17. Juli 2007 (BGBl I S. 1446), geändert durch Gesetz vom 21. Dezember 2007 (BGBl I S. 3194), sei im Wege der teleologischen Reduktion dahin einzuschränken, dass ein Anspruch auf Unterhaltsanspruch ausscheide, wenn der öffentlichen Hand nicht die "potentielle Möglichkeit" eröffnet sei, ihre Aufwendungen für die Gewährung der Unterhaltsleistung von dem anderen Elternteil erstattet zu bekommen. Dies steht mit Bundesrecht nicht im Einklang (1.). Die Entscheidung stellt sich indes im Sinne von § 144 Abs. 4 VwGO im Ergebnis als richtig dar (2.).
1. Das Verwaltungsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass § 1 Abs. 1 UVG nach seinem eindeutigen Wortlaut dem Sohn der Klägerin einen Rechtsanspruch auf Gewährung einer Unterhaltsleistung vermittelt (a). Es hat jedoch zu Unrecht entschieden, dass § 1 Abs. 1 UVG teleologisch zu reduzieren ist, indem die dort normierten Anspruchsvoraussetzungen um das Erfordernis ergänzt werden, dass der Rückgriff des Landes bei dem anderen Elternteil grundsätzlich möglich sei muss (b).
a) Nach § 1 Abs. 1 UVG hat u.a. Anspruch auf Unterhaltsvorschuss oder Unterhaltsausfallleistung nach diesem Gesetz wer das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat (Nr. 1), im Geltungsbereich dieses Gesetzes bei einem seiner Elternteile lebt, der ledig ist (Nr. 2) und nicht Unterhalt von dem anderen Elternteil mindestens in der in § 2 Abs. 1 und 2 UVG bezeichneten Höhe erhält (Nr. 3 a). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Sohn der Klägerin war im Zeitpunkt der Antragstellung fünf Jahre alt, lebte bei der Klägerin, die zu diesem Zeitpunkt ledig war, und erhielt von dem anderen Elternteil keinen Unterhalt.
b) Die Voraussetzungen der vom Verwaltungsgericht angenommen teleologischen Reduktion liegen nicht vor.
(aa) Die Befugnis zur Korrektur des Wortlauts einer Vorschrift steht den Gerichten nur begrenzt zu (vgl. Urteil vom 27. Oktober 2010 - BVerwG 6 C 12.09 - Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 58 Rn. 32). Sie setzt unabhängig von dem in Betracht kommenden methodischen Mittel der richterlichen Rechtsfortbildung (teleologische Reduktion oder Analogie) eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus (vgl. Urteile vom 18. April 2013 - BVerwG 5 C 18.12 - zur Veröffentlichung in Buchholz vorgesehen, juris Rn. 22 und vom 15. November 2012 - BVerwG 3 C 12.12 - LKV 2013, 78). Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, dürfen die Gerichte diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern oder durch eine judikative Lösung ersetzen (vgl. Urteile vom 18. April 2013 a.a.O. Rn. 22 und vom 27. Oktober 2004 - BVerwG 6 C 30.03 - BVerwGE 122, 130 <133> = Buchholz 355 RBerG Nr. 52 S. 10; BVerfG, Beschluss vom 9. März 1995 - 2 BvR 1437/93 - NStZ 1995, 399 <400>). Ob eine planwidrige Gesetzeslücke vorliegt, ist nach dem Plan des Gesetzgebers zu beurteilen, der dem Gesetz zugrunde liegt. Sie ist unter anderem zu bejahen, wenn festzustellen ist, dass eine gesetzliche Vorschrift nach ihrem Wortlaut Sachverhalte erfasst, die sie nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht erfassen soll (vgl. Urteile vom 18. April 2013 a.a.O. Rn. 22 und vom 20. Juni 2000 - BVerwG 10 C 3.99 - BVerwGE 111, 255 <257> = Buchholz 261 § 12 BUKG Nr. 3 S. 2 sowie Beschluss vom 17. August 2004 - BVerwG 6 B 49.04 - juris Rn. 10 m.w.N.).
(1) Das Unterhaltsvorschussgesetz enthält keine Regelung, nach der Kinder, die im Wege der heterologen Insemination mit dem Sperma eines anonymen Spenders gezeugt wurden und im Einzelfall aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen von vornherein endgültig keine Möglichkeit haben, den Namen ihres leiblichen Vaters in Erfahrung zu bringen, keinen Anspruch auf Unterhaltsleistung haben. In einem solchen Fall - und so auch hier - ist der Anspruch insbesondere nicht nach § 1 Abs. 3 Alt. 2 UVG ausgeschlossen.
Nach § 1 Abs. 3 Alt. 2 UVG besteht ein Anspruch auf Unterhaltsleistung nach diesem Gesetz dann nicht, wenn der in Absatz 1 Nr. 2 bezeichnete Elternteil sich weigert, die Auskünfte, die zur Durchführung dieses Gesetzes erforderlich sind, zu erteilen oder bei der Feststellung der Vaterschaft oder des Aufenthalts des anderen Elternteils mitzuwirken. In seiner unmittelbaren Anwendung erlaubt § 1 Abs. 3 Alt. 2 UVG demnach die Zurechnung eines Verhaltens des alleinerziehenden Elternteils im Verwaltungsverfahren. Zur Mitwirkung bei der Feststellung der Vaterschaft oder des Aufenthalts des anderen Elternteils gehören grundsätzlich auch Angaben zur Bestimmung der Person des Vaters. Denn sie sind erforderlich, damit das Land Unterhaltsansprüche gegen den Vater nach § 7 UVG auf sich überleiten und auf diesem Wege Erstattung der vorgeleisteten Gelder von ihm verlangen kann. Die Mitwirkungspflicht aus § 1 Abs. 3 Alt. 2 UVG trifft die Mutter im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren (vgl. Urteil vom 21. November 1991 - BVerwG 5 C 13.87 - BVerwGE 89, 192 <195 f.> = Buchholz 436.0 § 2 BSHG Nr. 9 S. 3 unter Bezugnahme auf BTDrucks 8/1952 S. 7). Was der Mutter möglich und zumutbar ist, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Daran gemessen hat die Klägerin das ihr im Verwaltungsverfahren Mögliche und Zumutbare getan.
Nach den für den Senat bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts hat die Klägerin mitgeteilt, dass ihr Sohn im Wege der heterologen Insemination mit einem von der von ihr namentlich bezeichneten dänischen Samenbank bezogenen Sperma eines anonymen Spenders gezeugt wurde. Wie mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erörtert, gehen diese übereinstimmend davon aus, dass die von der Klägerin namentlich bezeichnete Samenbank in Dänemark im konkreten Fall tatsächlich keine nähere Auskunft über den anonymen Spender erteilen kann. Aus diesem Grund kann dahinstehen, ob einem Kind, das im Wege der künstlichen Befruchtung mit einer anonymen Samenspende aus dem Ausland gezeugt wurde - und so auch dem Sohn der Klägerin - in der Regel ein (durchsetzbarer) Auskunftsanspruch gegen die ausländische Samenbank auf Namensnennung des leiblichen Vaters zusteht (vgl. zum Anspruch gegen eine inländische Samenbank OLG Hamm, Urteil vom 6. Februar 2013 - I-14 U 7/12 - NJW 2013, 1167). Des Weiteren ist nicht zu entscheiden, ob und welche Auswirkungen ein solcher Anspruch auf die Gewährung der öffentlichen Unterhaltsleistung nach § 1 Abs. 1 UVG hätte.
(2) Das Fehlen eines Anspruchsausschlusses erweist sich hingegen nicht deshalb als planwidrig, weil dem Unterhaltsvorschussgesetz der Wille des Gesetzgebers zu entnehmen wäre, dass Unterhaltsvorschuss nur im Fall des Bestehens einer Rückgriffsmöglichkeit gegenüber dem anderen Elternteil zu gewähren ist.
Nach der Konzeption des Unterhaltsvorschussgesetzes soll die öffentliche Unterhaltsleistung zwar in erster Linie als Unterhaltsvorschuss gezahlt werden. Der Gesetzgeber nimmt aber in Kauf, dass dem anspruchsberechtigten Kind auch in den Fällen eine Unterhaltsleistung aus öffentlichen Mitteln gezahlt wird, in denen das Land hierfür im Einzelfall keinen Rückgriff bei dem barunterhaltspflichtigen Elternteil nehmen kann. Darauf weist schon die Gesetzesüberschrift ("Gesetz zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter oder Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder -ausfallleistungen") hin, in der die Unterhaltsausfallleistung namentlich erwähnt wird. Vor allem ergibt sich der Wille des Gesetzgebers, die Unterhaltsleistung gegebenenfalls auch in Form einer Ausfallleistung zu erbringen, aus § 1 Abs. 1 UVG, der die Unterhaltsleistung ausdrücklich auch als Unterhaltsausfallleistung definiert. Mit der Verankerung der Unterhaltsausfallleistung in § 1 Abs. 1 UVG hat der Gesetzgeber - der sozialen Realität Rechnung tragend - für eine in der Verwaltungspraxis nicht zu vernachlässigenden Anzahl von Fällen anerkannt, dass ein Rückgriff bei dem anderen Elternteil nicht selten zumindest vorübergehend - etwa in den Fällen der wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit -, gelegentlich auch dauerhaft - wie im Fall des Versterbens des anderen Elternteils -, unmöglich ist. In Übereinstimmung damit hat er die Anspruchsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 UVG durchweg als Anforderungen formuliert, die in der Person des Kindes erfüllt sein müssen (vgl. "... wer ... noch nicht vollendet hat ... bei einem seiner Elternteile lebt ... nicht oder nicht regelmäßig ... Unterhalt von dem anderen Elternteil ... erhält."). Dies steht der Annahme entgegen, es habe dem Plan des Gesetzgebers entsprochen, die Gewährung von Unterhalt nach § 1 Abs. 1 UVG setze voraus, dass der öffentlichen Hand "in jedem (Einzel-)Fall" (vgl. so ausdrücklich VGH Mannheim, Urteil vom 3. Mai 2012 - 12 S 2935/11 - ZFSH/SGB 2012, 409 <413> und ihm nachfolgend das Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Urteil) die potentielle Möglichkeit eröffnet sei, ihre Aufwendungen von dem anderen Elternteil erstattet zu bekommen. Mithin kann eine entsprechende Einschränkung dem § 1 Abs. 1 UVG auch nicht im Wege einer teleologischen Reduktion hinzugefügt werden.
2. Die Entscheidung stellt sich jedoch im Ergebnis als richtig dar. Die Gesetzeslücke erweist sich aus einem anderen als dem vom Verwaltungsgericht angenommenen Grund als planwidrig (a). Sie ist mittels einer analogen Anwendung des § 1 Abs. 3 UVG zu schließen (b).
a) Die Lücke des Gesetzes entspricht nicht dem Willen des Gesetzgebers. Dies folgt zwar nicht daraus, dass nach dem Gesetzeszweck eine Unterhaltsleistung nur zu gewähren wäre, wenn der seitens des anderen Elternteils geschuldete Unterhalt "planwidrig" ausbleibt (aa) oder wenn der alleinerziehende Elternteil die prekäre Erziehungssituation nicht selbst herbeigeführt hat (bb). Die Planwidrigkeit ergibt sich vielmehr daraus, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, die Unterhaltsleistung solle vorrangig als Vorschuss gewährt werden (cc).
aa) Der in Rechtsprechung und Literatur vertretene Ansatz, die Voraussetzung des § 1 Abs. 1 Nr. 3 a) UVG sei nur dann als erfüllt anzusehen, wenn der zivilrechtlich geschuldete Unterhalt des anderen Elternteils "planwidrig" ausbleibe (vgl. etwa VG Aachen, Urteil vom 26. Januar 2012 - 2 K 384/10 - juris Rn. 23 f.; VG Frankfurt, Urteil vom 23. Februar 2011 - 3 K 4145/10.F - NJW 2011, 2603; OVG Lüneburg, Beschluss vom 12. Februar 2007 - 4 LA 94/07 - NVwZ-RR 2007, 394 <395>; VGH Kassel, Beschluss vom 1. Juli 2004 - 10 UZ 1802/03 - FamRZ 2005, 483 und VGH Mannheim, Urteil vom 8. November 1995 - 6 S 1945/95 - NJW 1996, 946; Grube, UVG, 2009, § 1 Rn. 3 und 99; DIV-Gutachten vom 18. Mai 1999, DAVorm 1999, 841 <843> und DIJuF-Rechtsgutachten vom 6. März 2006, JAmt 2006, 301 <302> jeweils m.w.N.), wobei die geforderte "Planwidrigkeit" anhand einer objektiven Betrachtung aus der Sicht des alleinerziehenden Elternteils beurteilt und angenommen wird, wenn der alleinerziehende Elternteil - anders als hier - Unterhaltsleistungen von dem anderen Elternteil erwarten durfte (vgl. zur fehlenden Planwidrigkeit etwa OVG Lüneburg a.a.O.; VGH Kassel a.a.O. und VGH Mannheim a.a.O. S. 946 f.), erweist sich als nicht vereinbar mit der gesetzgeberischen Konzeption.
Diese erkennt an, dass der alleinerziehende Elternteil sein Kind in der Regel unter erschwerten Bedingungen erziehen muss und sich diese Situation noch verschärft, wenn der zivilrechtlich geschuldete Barunterhalt des anderen Elternteils ausbleibt. Der mit dem Kind zusammenlebende Elternteil muss dann nicht nur Alltag und Erziehung auf sich gestellt bewältigen, sondern im Rahmen seiner eigenen Leistungsfähigkeit zudem für den vom anderen Elternteil geschuldeten Unterhalt aufkommen. Die öffentliche Unterhaltsleistung nach dem Unterhaltsvorschussgesetz soll diese finanzielle Belastung des alleinerziehenden Elternteils mildern, indem sie ihn für eine Übergangszeit von der Notwendigkeit befreit, den finanziellen Ausfall des anderen Elternteils aufzufangen (vgl. BTDrucks 8/1952 S. 1 und 6 und BTDrucks 8/2774 S. 11). Zur Begründung des Anspruchs auf öffentliche Unterhaltsleistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ist somit erforderlich, aber auch ausreichend, dass zusätzlich zu der bei Alleinerziehenden typischerweise gegebenen Erziehungssituation der Unterhalt des anderen Elternteils ausfällt. Ob der alleinerziehende Elternteil erwarten durfte, dass der andere Elternteil seiner zivilrechtlichen Unterhaltspflicht nachkommen wird, und diese Erwartung enttäuscht wird, spielt nach der Vorstellung des Gesetzgebers erkennbar keine Rolle.
bb) Die Konzeption des Unterhaltsvorschussgesetzes steht auch der Annahme entgegen, der Gesetzgeber habe einen Anspruch in den Fällen ausschließen wollen, in denen der alleinerziehende Elternteil die prekäre Lage (vgl. zu diesem Begriff BTDrucks 8/1952 S. 7; Urteil vom 2. Juni 2005 - BVerwG 5 C 24.04 - Buchholz 436.45 § 1 UVG Nr. 2 S. 7 und BVerfG, Kammerbeschluss vom 3. März 2004 - 1 BvL 13/00 - NJW-RR 2004, 1154) selbst herbeigeführt habe.
Der Anspruch auf Unterhaltsleistung knüpft an die in § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 UVG beschriebene Bedarfslage an, die das anspruchsberechtigte Kind im Blick hat. Der Gesetzgeber hat es zwar für sachgerecht gehalten, diesem ein mit der gesetzlichen Konzeption nicht zu vereinbarendes Verhalten des alleinerziehenden Elternteils zuzurechnen, weil die Unterhaltsleistung in erster Linie eine wirtschaftliche Entlastung des alleinerziehenden Elternteils bedeutet und im wirtschaftlichen Ergebnis ihm zugute kommt (vgl. Urteil vom 21. November 1991 - BVerwG 5 C 13.87 - BVerwGE 89,192 <197> = Buchholz 436.0 § 2 BSHG Nr. 9 S. 5). Diese Zurechnung erfolgt im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3 UVG, nach dem der Anspruch auf Unterhaltsleistung nicht besteht, wenn der alleinerziehende Elternteil es an der notwendigen Mitwirkung beim Vollzug des Gesetzes hat fehlen lassen. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber den Anspruch auch dann ausschließen wollte, wenn der alleinerziehende Elternteil die prekäre Lage bewirkt hat.
(cc) Das Fehlen eines Anspruchsausschlusses bei der hier gegebenen Fallgestaltung erweist sich als planwidrig, weil es dem gesetzgeberischen Leitbild der öffentlichen Unterhaltsleistung nach § 1 Abs. 1 UVG als Unterhaltsvorschuss zuwiderläuft.
Die Unterhaltsleistung nach dem Unterhaltsvorschussgesetz soll nach dem Plan des Gesetzgebers "ausbleibende Zahlungen" der Unterhaltsverpflichteten aus öffentlichen Mitteln übernehmen, um sie sodann von Amts wegen beim säumigen zahlungsverpflichteten Elternteil wieder einzuziehen. Die Gewährung von Unterhalt als Ausfallleistung für den Fall, dass ein Rückgriff auf den anderen Elternteil nicht möglich oder erfolgreich ist, soll die Ausnahme bleiben. Bereits die amtliche Kurzbezeichnung des Gesetzes ("Unterhaltsvorschussgesetz") selbst und die Begriffsbestimmung in § 1 Abs. 1 UVG, wonach es sich bei dem Anspruch auf "Unterhaltsleistung" nach diesem Gesetz um einen Anspruch "auf Unterhaltsvorschuss oder -ausfallleistung" handelt, verdeutlichen diese Zielsetzung (vgl. Urteil vom 23. November 1995 - BVerwG 5 C 29.93 - BVerwGE 100, 42 <48> = Buchholz 436.45 § 5 UVG Nr. 1 S. 5 unter Bezugnahme auf BTDrucks 8/1952 S. 1). Bestätigt wird der Gesetzeszweck durch den in § 7 UVG normierten gesetzlichen Forderungsübergang, der den Nachrang der Unterhaltsleistung dadurch sichern soll, dass Unterhaltsansprüche des berechtigten Kindes "für die Zeit, für die ihm die Unterhaltsleistung nach diesem Gesetz gezahlt wird", auf das Land übergehen (vgl. Urteil vom 23. November 1995 a.a.O. S. 49 bzw. S. 6). Des Weiteren spricht für den Unterhaltsvorschuss als gesetzgeberisches Leitbild, dass das Unterhaltsvorschussgesetz beide Elternteile in die Pflicht nimmt, um den Rückgriff des Landes zu erleichtern. § 1 Abs. 3 UVG begründet u.a. die Obliegenheit des Elternteils, bei dem das Kind lebt, Auskünfte, die zur Durchführung des Gesetzes erforderlich sind, zu erteilen und bei der Feststellung der Vaterschaft oder des Aufenthalts des anderen Elternteils mitzuwirken. Letzterer ist gemäß § 6 Abs. 1 UVG verpflichtet, der zuständigen Stelle auf Verlangen die Auskünfte zu erteilen, die zur Durchführung dieses Gesetzes erforderlich sind.
Die gesetzgeberische Konzeption, die öffentliche Unterhaltsleistung in erster Linie als Vorschuss zu zahlen und von dem säumigen zum Barunterhalt verpflichteten anderen Elternteil zurückzufordern, wird von der Erwartung getragen, dass sich der Elternteil, bei dem das Kind lebt, in der Regel so verhält, dass die Unterhaltsvorschussleistung nicht zur Unterhaltsausfallleistung wird. Das belegt vor allem die Sanktionsregelung des § 1 Abs. 3 UVG. In die gleiche Richtung weisen die Anzeigepflicht des alleinerziehenden Elternteils nach § 6 Abs. 4 UVG sowie dessen Ersatz- und Rückzahlungspflicht nach § 5 UVG.
Abgesehen von den in diesen Vorschriften beschriebenen Fällen wird der besagten Erwartung auch dann nicht Rechnung getragen, wenn der Elternteil, bei dem das Kind lebt, durch ein bewusstes und gewolltes Verhalten vor der Geburt des Kindes eine Situation schafft, in der die Feststellung der Vaterschaft und damit des barunterhaltspflichtigen anderen Elternteils von vornherein aussichtslos ist und deshalb die öffentliche Unterhaltsleistung nur als Ausfallleistung gewährt werden kann. Auch in diesem Fall steht die Gewährung einer Unterhaltsleistung mit der Intention des Gesetzgebers nicht im Einklang.
Die letztgenannte Sachverhaltskonstellation liegt hier vor. Nach den den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts wurde der Sohn der Klägerin - wie dargelegt - im Wege der heterologen Insemination mit einem von einer dänischen Samenbank bezogenen Sperma eines anonymen Spenders gezeugt, dessen Ermittlung unmöglich ist.
c) Die planwidrige Lücke ist durch analoge Anwendung des Anspruchsausschlusses nach § 1 Abs. 3 Alt. 2 UVG zu schließen. Die Rechtsfolge des § 1 Abs. 3 Alt. 2 UVG, dass der Unterhaltsanspruch nach § 1 Abs. 1 UVG nicht besteht, ist auf den hier zur Beurteilung stehenden Sachverhalt übertragbar, weil eine vergleichbare Sach- und Interessenlage besteht.
Sowohl in den in § 1 Abs. 3 Alt. 2 UVG geregelten Fallkonstellationen als auch in dem nicht geregelten Fall, dass die Feststellung der Vaterschaft infolge der Zeugung mittels einer anonymen Samenspende aus dem Ausland im Einzelfall von vornherein aussichtslos ist, legt das Verhalten der Mutter die wesentliche Grundlage dafür, dass das Land die gewährte Unterhaltsleistung von dem zum Barunterhalt verpflichteten anderen Elternteil nicht zurückfordern kann und damit die Unterhaltsvorschussleistung zur Unterhaltsausfallleistung wird. Unter Wertungsgesichtspunkten besteht kein sachlicher Unterschied, ob der Rückgriff auf den anderen Elternteil durch ein Verhalten der alleinerziehenden Mutter nach der Geburt oder dadurch, dass sie durch ein bewusstes und gewolltes Verhalten vor der Geburt des Kindes eine Situation schafft, in der die Feststellung der Vaterschaft von vornherein ausgeschlossen ist, vereitelt wird. Dass dem Kind gemäß § 1 Abs. 3 Alt. 2 UVG das Verhalten des alleinerziehenden Elternteils im Verwaltungsverfahren mit anspruchsausschließender Wirkung zugerechnet wird, beruht - wie dargelegt - darauf, dass die Unterhaltsleistung in erster Linie eine wirtschaftliche Entlastung des alleinerziehenden Elternteils bedeutet und im wirtschaftlichen Ergebnis ihm zugute kommt. Dieser Grundgedanke trifft auch für die Fälle zu, in denen sich die alleinerziehende Mutter für eine Zeugung des Kindes im Wege der heterologen Insemination mit dem Sperma eines anonymen Spenders entschieden hat.
Der Analogieschluss erstreckt sich nicht auf das im Rahmen des § 1 Abs. 3 Alt. 2 UVG zu prüfende Merkmal der Zumutbarkeit. Dessen Prüfung gründet unmittelbar in dem Tatbestandsmerkmal "Weigerung". Der Analogieschluss ist indes durch eine Übertragung der Rechtsfolge, nicht hingegen auch der tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm gekennzeichnet. Dessen ungeachtet knüpft das Merkmal der Zumutbarkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 Alt. 2 UVG maßgeblich an das Bestehen einer persönlichen Konfliktlage der Kindesmutter an, die dieser die Erteilung der an sich geforderten Auskünfte und insbesondere die Benennung des leiblichen Vaters des Kindes unzumutbar macht (Urteil vom 21. November 1991 BVerwGE 89, 192 S. 195 f. = Buchholz 436.0 § 2 BSHG Nr. 9 S. 3 f.). An einer derartigen auf die Mitwirkung an der Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes und der Feststellung der Vaterschaft bezogenen Zwangslage fehlt es in den Fällen der anonymen heterologen Insemination schon wegen der mangelnden Kenntnis von der Identität des Samenspenders.
c) Der Ausschluss eines Anspruchs auf Unterhaltsleistung im vorliegenden Fall steht mit Verfassungsrecht im Einklang. Insbesondere ist der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht verletzt.
Dieser gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das Grundrecht ist daher vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können. Im Rahmen seines Gestaltungsauftrags ist der Gesetzgeber grundsätzlich frei bei seiner Entscheidung, an welche tatsächlichen Verhältnisse er Rechtsfolgen anknüpft und wie er von Rechts wegen zu begünstigende Personengruppen definiert. Eine Grenze ist jedoch dann erreicht, wenn durch Bildung einer rechtlich begünstigten Gruppe andere Personen von der Begünstigung ausgeschlossen werden und sich für diese Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund finden lässt. Im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit unterliegt die Abgrenzung der begünstigten Personenkreise zwar einer weitgehenden Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Aber auch hier muss die von ihm getroffene Regelung durch hinreichend gewichtige Gründe gerechtfertigt sein (stRspr, vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10. November 1998 - 1 BvL 50/92 - BVerfGE 99, 165 <177 f.>; BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2011 - BVerwG 5 C 24.10 - juris Rn. 15).
Die Gleichbehandlung eines im Wege einer anonymen heterologen Insemination gezeugten Kindes mit einem Kind, dessen Mutter sich weigert, an der Feststellung der Vaterschaft mitzuwirken, stellt keine sachlich nicht gerechtfertigte Gleichbehandlung dar. Der allgemeine Gleichheitssatz dient in diesem Zusammenhang gerade als Maßstab für die Zulässigkeit des vorstehenden Analogieschlusses. Ergibt die Ähnlichkeitsprüfung, dass ein gleichartiger Fall vorliegt, so ist die Gleichbehandlung beider Fallgestaltungen geboten.
Die durch die Nichtgewährung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz bewirkte Benachteiligung eines im Wege einer anonymen heterologen Insemination gezeugten Kindes, dessen leiblicher Vater infolge des Verzichts der Kindesmutter auf die Kenntnisnahme von der Identität des Samenspenders nicht festzustellen ist, gegenüber einem Kind, dessen anderer Elternteil bekannt ist, ist sachlich dadurch gerechtfertigt, dass in der erstgenannten Fallgestaltung der Elternteil, bei dem das Kind lebt, seine Obliegenheit verletzt hat, alles zu unternehmen, damit ein Unterhaltsvorschuss nicht zu einer Unterhaltsausfallleistung mutiert. Aus denselben Erwägungen erweist sich auch die Ungleichbehandlung eines im Wege einer anonymen Samenspende gezeugten Kindes mit einem auf natürlichem Wege gezeugten Kind, dessen leiblicher Vater nicht feststellbar ist, ohne dass dieses auf ein bewusstes und gewolltes Verhalten der Kindesmutter zurückzuführen ist, als sachlich gerechtfertigt. Die Differenzierung stellt sich auch im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes jedenfalls deshalb nicht als unangemessen dar, weil die Versagung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz nicht den Ausschluss der Gewährung anderer Sozialleistungen, insbesondere von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch nach sich zieht (Urteil vom 21. November 1991 a.a.O. S. 198 bzw. S. 5), mithin die Sicherstellung des Unterhaltes des betroffenen Kindes aus öffentlichen Mitteln gewährleistet ist.
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BVerwG
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6. Senat
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20130619
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6 PB 18/12
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Beschluss
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§ 8 PersVG SN, § 45 Abs 1 S 2 PersVG SN, § 5 Abs 3 RKG SN 2008
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vorgehend Sächsisches Oberverwaltungsgericht, 11. September 2012, Az: PL 9 A 403/09, Beschluss vorgehend VG Dresden, 17. August 2007, Az: PL 9 K 201/07, Beschluss
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DEU
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Erstattung von Reisekosten für freigestellte Personalratsmitglieder
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§ 45 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 8 SächsPersVG (juris: PersVG SN) gebieten nicht, dass überwiegend freigestellte Mitglieder von Personalvertretungen, die vom Sitz der Personalvertretung außerhalb ihres Dienst- und Wohnorts täglich mit ihrem Personenkraftwagen an ihren Wohnort zurückkehren, Wegstreckenentschädigung in einer Höhe erhalten, mit der die Kosten der Kraftfahrzeughaltung vollumfänglich abgedeckt werden.
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Im Hinblick auf den Antrag, festzustellen, dass bis zum 21. November 2010 auch im Einzugsgebiet im Sinne des § 2a Abs. 1 SächsTGV wohnende Mitglieder des Antragstellers einen Anspruch auf Erstattung der durch die Tätigkeit im Lehrerhauptpersonalrat entstehenden Fahrtkosten haben, war das Verfahren aufgrund der übereinstimmenden Teilerledigungserklärungen der Verfahrensbeteiligten einzustellen; § 95 Satz 4 i.V.m. § 83a Abs. 2 Satz 1 ArbGG. Insoweit sind die vorinstanzlichen Entscheidungen unwirksam.
Im Hinblick auf die übrigen, von den Teilerledigungserklärungen unberührten Feststellungsbegehren hat die Beschwerde keinen Erfolg.
1. Im Hinblick auf den Antrag,
"festzustellen, dass die Mitglieder des Antragstellers bei der Erstattung von Reisekosten von anfallenden Steuern und Sozialabgaben freizustellen sind, insbesondere nicht auf eine nachträgliche Erstattung von abgeführten Steuern verwiesen werden dürfen, sowie auch von Steuern und Sozialabgaben freizustellen sind, die auf gezahlte Ausgleichsbeiträge entfallen",
erweist sich die Beschwerde als unbegründet, da keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe vorliegt.
a. Das Oberverwaltungsgericht hat diesem Antrag das Feststellungsinteresse abgesprochen. Die Feststellungsklage sei nicht zur Klärung einer abstrakten Rechtsfrage ohne konkreten Hintergrund gedacht. Sie müsse ein konkretes Rechtsverhältnis zum Gegenstand haben. Der Beteiligte habe dargelegt, dass auf Grundlage des Erlasses des Staatsministeriums der Finanzen eine Abrechnung im Einklang mit der Rechtsprechung vorgenommen werde (BA S. 10).
b. Soweit der Antragsteller hierin eine Abweichung von dem Beschluss des Senats vom 28. Juni 2002 - BVerwG 6 P 1.02 - (Buchholz 251.4 § 88 HmbPersVG Nr. 1) sieht (Beschwerdebegründung S. 7 f.), kann er hiermit keinen Erfolg haben. Der Senat hat in diesem Beschluss einen Bedarf an gerichtlicher Klärung hinsichtlich von Fallgestaltungen verneint, die zwischen den Beteiligten nicht im Streit stehen (a.a.O. S. 2). Auf eben diese Maßgabe zielt der angefochtene Beschluss mit seiner Aussage, eine "abstrakte Rechtsfrage ohne konkreten Hintergrund" begründe kein Feststellungsinteresse. Hiermit war ersichtlich gemeint, ein Feststellungsinteresse setze voraus, dass das Bestehen oder der Umfang personalvertretungsrechtlicher Rechte und Pflichten zwischen den Beteiligten tatsächlich im Streit befindlich ist. Auch der Antragsteller versteht den angefochtenen Beschluss wohl in diesem Sinne (Beschwerdebegründung S. 8). Die von ihm angeführte Rechtsprechung zur Zulässigkeit sog. Globalanträge (Überblick bei Widmaier, in: Ilbertz/ders./Sommer, Bundespersonalvertretungsgesetz, 12. Aufl. 2012, § 83 Rn. 23) betrifft die anders gelagerte Frage, inwieweit die Anerkennung eines Feststellungsinteresses voraussetzt, dass ein - tatsächlich bestehender - Streit zwischen den Beteiligten sich auf einen manifest gewordenen bzw. noch aktuell fortwirkenden einzelnen Lebenssachverhalt bezieht. Diese Frage ist hier nicht von Interesse, da das Oberverwaltungsgericht schon das Bestehen rechtlicher Meinungsverschiedenheiten zwischen den Beteiligten verneint hat.
c. Auch die vom Antragsteller erhobene Gehörsrüge greift nicht durch. Das Oberverwaltungsgericht hat bei Verneinung des Feststellungsinteresses keinen entscheidungserheblichen Vortrag des Antragstellers unberücksichtigt gelassen.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör fordert, dass das Gericht die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nimmt und in Erwägung zieht. Als Regel ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich auseinanderzusetzen. Geht ein Gericht allerdings auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht ein, so lässt dies grundsätzlich auf die Nichtberücksichtigung dieses Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfG, Kammerbeschluss vom 23. Juli 2003 - 2 BvR 624/01 - BVerfGK 1, 259 <263>; stRspr).
Im Lichte dieser Maßgaben ist dem Oberverwaltungsgericht nicht als Gehörsverstoß anzulasten, dass es das Vorliegen eines Streits zwischen den Verfahrensbeteiligten und demzufolge ein Feststellungsinteresse verneint hat, ohne hierbei ausdrücklich auf das Monitum des Antragstellers einzugehen, zum Ausgleich der Steuer- und Sozialabgabenpflichtigkeit von Leistungen zur Reisekostenerstattung gezahlte Beträge seien ihrerseits mit Steuern und Sozialabgaben belegt worden bzw. der Ausgleich tatsächlich eingetretener Abgabenbelastungen sei erst verspätet erfolgt (Schriftsatz vom 5. Juli 2011 - GA II 265; siehe auch Schriftsatz vom 31. August 2010 - GA II 217 f. - sowie die Niederschrift über die Anhörung vom 12. Juli 2011 - GA II 275). Der Antragsteller hat als konkreten Beleg für den von ihm in diesen Punkten unterstellten Dissens zum Beteiligten lediglich auf eine um den Jahreswechsel 2009/2010 gegenüber seinem Vorsitzenden praktizierte Verfahrensweise verwiesen (Schriftsatz vom 31. August 2010 - GA II 217 f.; Bezugnahme hierauf im Schriftsatz vom 5. Juli 2011 - GA II 265). Der Beteiligte hat ausweislich der Niederschrift über die Anhörung vom 12. Juli 2011 ausdrücklich nicht bestritten, dass freigestellten Mitgliedern der Personalvertretungen bei den Reisekostenabrechnungen die Steuern und Sozialabgaben zu erstatten seien (a.a.O.). Zuvor hatte er bereits unter Verweis auf einen Erlass des Sächsischen Staatsministeriums der Finanzen vom 23. November 2006 (GA II 225 ff.) vorgetragen, der Anspruch des Antragstellers werde nicht bestritten, so dass kein Feststellungsinteresse bestehe (Schriftsätze vom 5. Juli 2010 - GA II 205 f., vom 16. Februar 2011 - GA II 224 und vom 24. März 2011 - GA II 240 f.). Diesem Erlass ist zu entnehmen, dass die Staatsregierung die Gefahr einer Veranlagung von Ausgleichsbeträgen durchaus erkannt hat und ihr durch eine Verfahrensweise begegnet, welche die Ausgleichsleistung im Berechnungswege steuerlich bzw. abgabenrechtlich neutralisiert ("Nettolohnversteuerung"), d.h. im Ergebnis sicherstellt, dass der Erstattungsbetrag ohne Zeitverzug in ungeschmälerter Höhe dem Berechtigten zufließt und dort verbleibt. Dass der Antragsteller die durch den Erlass vorgegebene Verfahrensweise dem Grunde nach akzeptiert und in Wahrheit im Rahmen des Beschlussverfahrens nicht mehr als ihre Anwendung in einem Einzelfall kritisiert hat, wird durch seinen Schriftsatz vom 31. August 2010 (GA II 217) bestätigt; dort heißt es, der monatliche "Mehrbelastungsausgleich" führe "im Rahmen des rechnerisch Möglichen zu einer weitgehenden Entlastung der Personalratsmitglieder"; es sei allerdings im Hinblick auf seinen Vorsitzenden im Dezember 2009 zu einer "abweichenden Verfahrensweise" gekommen.
Vor diesem Hintergrund durfte das Oberverwaltungsgericht davon ausgehen, dass die Vorgaben zur steuer- bzw. abgabenrechtlichen Handhabung der Erstattung von Reisekosten sich zwischen den Verfahrensbeteiligten nicht generell im Streit befinden, und den gegenteiligen Vortrag des Antragstellers als unbelegte Pauschalbehauptung und mithin als offensichtlich unsubstantiiert werten. Eines vorherigen Hinweises hierauf bedurfte es schon deshalb nicht, weil der Antragsteller im Lichte des Vortrags des Beteiligten damit zu rechnen hatte, dass das Gericht hierauf gestützt sein Feststellungsinteresse verneinen könnte. Eine solche Erwartung lag für den Antragsteller nahe, weil der hier in Rede stehende Antrag zu 2 nicht etwa darauf gerichtet war, einer konkreten Benachteiligung seines Vorsitzenden abzuhelfen, sondern auf eine abstrakte Feststellung zugunsten aller seiner ganz oder überwiegend freigestellten Mitglieder abzielte. In dieser Hinsicht war der zitierte Erlass vom 23. November 2006 aber darauf angelegt, dass der Erstattungsbetrag - ganz im Sinne des mit dem Antrag zu 2 verfolgten Anliegens - tatsächlich vollständig, d.h. von Steuern und Sozialabgaben ungeschmälert, zur Verfügung stand.
2. Die in Bezug auf die vom Oberverwaltungsgericht ausgesprochene Ablehnung des Antrags,
festzustellen, dass die überwiegend freigestellten Personalratsmitglieder einen Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen für Fahrten mit dem privaten PKW vom Wohnsitz zum Sitz des Antragstellers in Höhe von 0,30 € pro gefahrenen Kilometer haben,
vom Antragsteller erhobenen Grundsatzrügen greifen nicht durch.
a. Der Antragsteller sieht rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf zum einen im Hinblick auf die Frage, ob freigestellte bzw. überwiegend freigestellte Mitglieder des Personalrats eine typischerweise im Außendienst ausgeübte Tätigkeit im Sinne von § 5 Abs. 3 SächsRKG - der einen Entschädigungssatz von 0,30 €/Kilometer vorsieht - wahrnehmen. Das Oberverwaltungsgericht hat diese Frage verneint und im vorliegenden Fall auf eine Wegstreckenentschädigung nach Maßgabe von § 5 Abs. 2 SächsRKG (0,25 €/Kilometer) erkannt.
Die Grundsatzrüge greift schon deshalb nicht durch, da sich die gestellte Frage auf Basis des Gesetzeswortlauts und vorliegender Rechtsprechung des Senats eindeutig im Sinne des Oberverwaltungsgerichts beantwortet. § 5 Abs. 3 SächsRKG gilt ausweislich seines Satzes 1 für "typischerweise im Außendienst ausgeübte Tätigkeiten". Gemäß Satz 2 der Vorschrift wird eine Tätigkeit typischerweise im Außendienst ausgeübt, wenn die Arbeitsinhalte durch nicht nur gelegentlichen Außendienst bestimmt werden oder die Wahrnehmung der Dienstaufgaben regelmäßig nur außerhalb der Dienststelle möglich ist. Es liegt auf der Hand, dass diese Voraussetzungen bei der Tätigkeit der Mitglieder von Personalvertretungen im Allgemeinen nicht erfüllt sind.
Eine entsprechende Anwendung von § 5 Abs. 3 SächsRKG ist nicht im Lichte des in der Senatsrechtsprechung entwickelten Grundsatzes geboten, wonach bei Anwendung reisekostenrechtlicher Bestimmungen über die Fahrtkostenerstattung aufgrund des personalvertretungsrechtlichen Benachteiligungsverbots (§ 8 SächsPersVG) zu vermeiden ist, dass Mitglieder von Personalvertretungen mandatsbedingte, unvermeidbare Aufwendungen selbst tragen und auf diese Weise als Folge des Personalratsamts einen Teil ihres Einkommens "zuschießen" müssen (vgl. hierzu im Einzelnen Beschlüsse vom 28. November 2012 - BVerwG 6 P 3.12 - juris Rn. 16 ff., vom 21. Mai 2007 - BVerwG 6 P 5.06 - Buchholz 251.5 § 42 HePersVG Nr. 1 Rn. 24 ff. und vom 27. Januar 2004 - BVerwG 6 P 9.03 - Buchholz 250 § 44 BPersVG Nr. 33 S. 14 f.). Der Senat hat in seinem Beschluss vom 28. Januar 2010 - BVerwG 6 P 1.09 - (Buchholz 251.91 § 45 SächsPersVG Nr. 1) im Detail ausgeführt, dass die Wegstreckenentschädigung nach § 6 Abs. 1 SächsRKG a.F., die in ihrem Kern in § 5 Abs. 2 SächsRKG überführt worden ist, auf einen pauschalisierten Aufwendungsersatz zielt, der die durchschnittlichen Kosten des Betriebs und der Instandhaltung voll, dagegen diejenigen der Kraftfahrzeughaltung nur anteilig abdecken soll (a.a.O. Rn. 31). Demgegenüber zielt die Wegstreckenentschädigung nach § 6 Abs. 2 Satz 1 SächsRKG a.F., an die § 5 Abs. 3 SächsRKG wertungsmäßig anknüpft, auf die volle Berücksichtigung der Anschaffungs-, Unterhaltungs- und Betriebskosten und der Abnutzung des Kraftfahrzeugs, schließt also auch die Betriebskosten übersteigende Kosten wie beispielsweise diejenigen für Versicherung, Kraftfahrzeugsteuer und Garage ein (vgl. a.a.O. Rn. 32). Die vergleichsweise geringere Höhe des Entschädigungssatzes nach § 6 Abs. 1 SächsRKG a.F. bzw. § 5 Abs. 2 SächsRKG folgt der Erwägung, dass ein privates Kraftfahrzeug ungeachtet seiner periodischen Nutzung zu dienstlichen Zwecken seinem Halter regelmäßig privaten Nutzen stiftet, der es rechtfertigt, diesem einen Teil der Haltungskosten zu belassen (vgl. a.a.O. Rn. 31). Ausgehend hiervon begegnet es keinen Bedenken, dass das Oberverwaltungsgericht mit § 5 Abs. 2 SächsRKG diejenige Regelung für anwendbar gehalten hat, die für sämtliche Bediensteten gilt, die aus triftigen Gründen - d.h. aus dringenden dienstlichen oder in Ausnahmefällen dringenden persönlichen Gründen (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 2 SächsRKG) - Dienstfahrten mit privaten Kraftfahrzeugen zurücklegen. Es ist nicht zu erkennen, inwiefern Mitgliedern von Personalvertretungen entgegen § 8 SächsPersVG spezifisch mandatsbedingte Nachteile gegenüber anderen Bedienstetengruppen zugefügt werden könnten, wenn die Fahrtkostenerstattung wie im Falle gewöhnlicher Dienstfahrten der Maßgabe folgt, dass im Gegensatz zu den durch die Fahrt verursachten Betriebs- und Instandhaltungskosten, die vollständig abgedeckt werden, die anteilig auf die Wegstrecke berechneten Haltungskosten, bei denen es sich in wesentlichen Teilen um Fixkosten handelt, nicht in voller Höhe zu berücksichtigen sind. Diese Maßgabe erscheint insbesondere auch nicht geeignet, qualifizierte Personen von der Wahrnehmung personalvertretungsrechtlicher Ämter abzuhalten (vgl. hierzu Beschluss vom 28. November 2012 a.a.O. Rn. 18).
Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ergibt sich ferner nicht aus dem von der Beschwerde angesprochenen Beschluss des Senats vom 12. November 2009 - BVerwG 6 PB 17.09 - (Buchholz 251.92 § 42 SAPersVG Nr. 1); ebenso wenig ergibt sich hieraus eine Divergenz im Sinne von § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG. Der Senat hat dort für den Fall, dass dem Personalratsmitglied die tägliche Rückkehr zu seinem Wohnort zuzumuten ist, die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel jedoch ausscheidet, die auf einen Entschädigungssatz in Höhe von 0,30 €/Kilometer zielende Regelung des § 5 Abs. 2 BRKG - anders als die mit § 5 Abs. 1 BRKG eröffnete Regelungsalternative (0,20 €/Kilometer) - für geeignet angesehen, entsprechend den Vorgaben des personalvertretungsrechtlichen Benachteiligungsverbots den Beschäftigten vor der Tragung von Kosten zu bewahren, die er bei ordnungsgemäßer Wahrnehmung seines Personalratmandats nicht vermeiden kann (a.a.O. Rn. 19). Damit ist nicht zum Ausdruck gebracht worden, Entschädigungssätze unterhalb dieser Höhe würden dieses Gebot verletzen. Welche konkrete Höhe Entschädigungssätze der hier in Rede stehenden Art aufweisen müssen, um Bediensteten entstehende Fahrtkosten hinreichend auszugleichen, obliegt in erster Linie der Entscheidung des Gesetzgebers, der bei Erlass reisekostenrechtlicher bzw. trennungsgeldrechtlicher Vorschriften über beträchtliche Einschätzungs- und Typisierungsspielräume verfügt. Daher ist auch hinzunehmen, dass bundesweit keine einheitlichen Sätze gelten.
Soweit die Beschwerde eine uneinheitliche Verwaltungspraxis im Freistaat Sachsen moniert, legt sie nicht hinreichend dar, inwiefern sich hieraus - in Bezug auf die Vorschrift des Art. 3 Abs. 1 GG - rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf ergeben könnte.
b. Zum zweiten macht der Antragsteller unter verschiedenen Aspekten rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf in Bezug auf die Regelung in § 2a Abs. 2 SächsTGV geltend, wonach die tägliche Rückkehr zum Wohnort in der Regel nicht zuzumuten ist, wenn beim Benutzen regelmäßig verkehrender Beförderungsmittel die Abwesenheit von der Wohnung mehr als zwölf Stunden oder die benötigte Zeit für das Zurücklegen der Strecke zwischen Wohnung und Dienststätte und zurück mehr als drei Stunden beträgt. Der Senat hat zur inhaltsgleichen Vorschrift des § 3 Abs. 1 Satz 2 TGV in seinem bereits erwähnten Beschluss vom 12. November 2009 ausgeführt, dieser Regelvermutungstatbestand stelle auf die Benutzbarkeit regelmäßig verkehrender öffentlicher Verkehrsmittel ab und greife in der atypischen Konstellation nicht, dass das Angebot öffentlicher Verkehrsmittel völlig unzureichend sei (a.a.O. Rn. 29 f.). Stehen öffentliche Verkehrsmittel nicht zur Verfügung oder sind solche nur zu unangemessenen Bedingungen verfügbar - was der Fall ist, wenn der mit ihrer Benutzung einhergehende Zeitaufwand in keinem Verhältnis zur zurückzulegenden Strecke steht -, ist einem Bediensteten die tägliche Rückkehr unter Nutzung seines privaten Kraftfahrzeugs zuzumuten, wenn hierdurch die durch die Norm gesetzten zeitlichen Grenzen eingehalten werden (a.a.O. Rn. 30). Ausgehend von dieser Maßgabe hat das Oberverwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss hinsichtlich des Beschäftigten H. angenommen, diesem sei die tägliche Rückkehr zu seinem Wohnort nicht zuzumuten, da die lange Fahrtdauer nicht aus einer unzulänglichen Verbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln, sondern aus der Länge der Wegstrecke (150 KM) resultiere.
Die Beschwerde setzt an dieser Annahme der Vorinstanz an und zielt darauf, im Rahmen eines Rechtsbeschwerdeverfahrens die genannte Maßgabe aus dem Beschluss des Senats vom 12. November 2009 anhand verschiedener Fallgruppen - keine tägliche Präsenz am Dienstort, Existenz familiärer Pflichten am Wohnort - auszudifferenzieren und darüber hinaus das Kriterium zu präzisieren, wonach der mit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel einhergehende Zeitaufwand in einem angemessenen Verhältnis zur zurückzulegenden Strecke stehen muss. Sie kann hiermit deshalb keinen Erfolg haben, weil die insoweit aufgezeigten Rechtsfragen keine über den Einzelfall hinausweisende Bedeutung haben. Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 12. November 2009 hervorgehoben, dass die Frage, wann eine atypische Konstellation vorliegt und demzufolge der in Rede stehende Regelvermutungstatbestand nicht greift, von den Tatsacheninstanzen anhand aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ist (a.a.O. Rn. 31). Der Senat hält daran fest, dass die vom Antragsteller erwünschten Konkretisierungen auf einer fallübersteigenden Ebene nicht möglich sind.
Im Hinblick auf den von der Beschwerde in diesem Zusammenhang weiter aufgeworfenen Fall des Beschäftigten W. sind die genannten Fragen schon nicht entscheidungserheblich, weil das Oberverwaltungsgericht insoweit ein Feststellungsinteresse verneint hat.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019672
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BVerwG
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10. Senat
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20130701
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10 B 4/13, 10 B 4/13 (10 C 6/13)
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Beschluss
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§ 60 Abs 7 S 2 AufenthG 2004, § 132 Abs 2 Nr 2 VwGO
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vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 17. Januar 2013, Az: 20 B 12.30349, Urteil
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DEU
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Unionsrechtliches Abschiebungsverbot; ernsthafte individuelle Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt; Divergenzrüge
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Die Beschwerde der Beklagten ist zulässig und begründet.
Das Berufungsurteil weicht im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Begriff der ernsthaften individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt als Voraussetzung für die Feststellung des unionsrechtlichen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ab, wie die Beschwerde zutreffend rügt. Der Verwaltungsgerichtshof hat seiner Entscheidung ersichtlich den Rechtssatz zugrunde gelegt, dass es für die Erfüllung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG genügt, dass im Herkunftsstaat des Ausländers ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt besteht, der zu permanenten Gefährdungen der Bevölkerung und schweren Menschenrechtsverletzungen führt (UA S. 7), es für die individuelle Betroffenheit von der Gefahr aber keiner Feststellungen zur Gefahrendichte bedarf, die jedenfalls auch eine quantitative Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos zu umfassen hat. Das Berufungsurteil setzt sich damit zu einem Rechtssatz der von der Beschwerde angeführten Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 - (BVerwGE 136, 360 = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 38) und vom 17. November 2011 - BVerwG 10 C 13.10 - (Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 58) in Widerspruch.
Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs beruht auf dieser Abweichung.
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Deutschland
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BMJV
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public
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WBRE410019673
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BVerwG
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6. Senat
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20130703
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6 PB 12/13, 6 PB 12/13 (6 P 10/13)
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Beschluss
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§ 9 BPersVG
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vorgehend OVG Lüneburg, 13. März 2013, Az: 17 LP 14/11, Beschluss
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DEU
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Zulassung der Rechtsbeschwerde; Weiterbeschäftigungsschutz von Ersatzmitgliedern der Jugendvertretung
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Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 bis 3 ist gemäß § 83 Abs. 2 BPersVG i.V.m. § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG zuzulassen. Die vorliegende Sache gibt dem Senat Gelegenheit, die Rechtseinheit hinsichtlich der Frage herzustellen, unter welchen Umständen im Verhinderungsfall nachgerückter Ersatzmitglieder der Jugendvertretung den Weiterbeschäftigungsschutz nach § 9 BPersVG genießen (vgl. Beschlüsse vom 25. Juni 1986 - BVerwG 6 P 27.84 - BVerwGE 74, 280 und vom 28. Februar 1990 - BVerwG 6 P 21.87 - BVerwGE 85, 5 einerseits sowie BAG, Urteil vom 13. März 1986 - 6 AZR 207/85 - BAGE 51, 261 andererseits).
Das Beschwerdeverfahren wird nunmehr als Rechtsbeschwerdeverfahren unter dem Az.: BVerwG 6 P 10.13 fortgesetzt. Mit der Zustellung dieses Beschlusses beginnt die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist von 2 Monaten (§ 72a Abs. 6, § 74 Abs. 1, § 92 Abs. 2 Satz 1, § 92a Satz 2 ArbGG).
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019674
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BVerwG
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6. Senat
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20130628
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6 PB 8/13
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Beschluss
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§ 73 Abs 2 S 1 PersVG SN, § 73 Abs 1 Nr 2 PersVG SN
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vorgehend Sächsisches Oberverwaltungsgericht, 23. Januar 2013, Az: PL 9 A 580/11, Beschluss
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DEU
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Kein umfassender Unterrichtungsanspruch der Personalvertretung
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Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage im Sinne von § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Der Antragsteller wendet sich dagegen, dass das Oberverwaltungsgericht entgegen der erstinstanzlichen Feststellung des Verwaltungsgerichts keine Verletzung eines Unterrichtungsanspruchs des Antragstellers gemäß § 73 Abs. 2 Satz 1 SächsPersVG darin gesehen hat, dass dieser über die Einstellung bestimmter leitender Bühnentechniker vom Beteiligten nicht vor ihrer Einstellung unter Vorlage der abzuschließenden Verträge unterrichtet worden ist. Eine solche Unterrichtungspflicht des Beteiligten hat das Oberverwaltungsgericht unter Verweis darauf verneint, dass wegen § 82 Abs. 1 SächsPersVG kein Mitbestimmungsrecht nach § 80 Abs. 1 Nr. 1, 2 SächsPersVG bestanden habe und folglich keine Aufgabe des Personalrats berührt gewesen sei. Dies wirft nach Auffassung des Antragstellers die rechtsgrundsätzliche Frage auf, "ob zum Informationsanspruch des Personalrats Informationen gehören, die es dem Personalrat erst ermöglichen, festzustellen, ob ein Mitbestimmungstatbestand vorliegt" (Beschwerdebegründung S. 4).
2. Diese Frage ist nicht im Rahmen eines Rechtsbeschwerdeverfahrens klärungsbedürftig, da sie - soweit für den vorliegenden Fall entscheidungserheblich - bereits als geklärt gelten kann:
Zu den Aufgaben des Personalrats im Sinne von § 73 Abs. 2 Satz 1 SächsPersVG zählt auch die Wahrnehmung von Beteiligungsrechten. Die Informationen, die er hierfür benötigt, hat die Dienststelle ihm rechtzeitig zur Verfügung zu stellen. Unterliegen Maßnahmen der Dienststelle nicht der Beteiligung der Personalvertretung, darf die Dienststelle sie vornehmen, ohne vorab den Personalrat hierüber zu informieren. § 73 Abs. 2 Satz 1 SächsPersVG begründet keinen umfassenden Unterrichtungsanspruch im Hinblick auf sämtliche Vorgänge in der Dienststelle. Der Unterrichtungsanspruch der Personalvertretung ist nach dieser Vorschrift streng aufgabenakzessorisch ausgestaltet (vgl. Beschlüsse vom 13. September 2010 - BVerwG 6 P 14.09 - Buchholz 251.92 § 71 PersVG LSA Nr. 2 Rn. 15 und vom 29. August 1990 - BVerwG 6 P 30.87 - Buchholz 251.8 § 68 RhPPersVG Nr. 3 S. 8; stRspr).
Ob Beteiligungstatbestände erfüllt sind, ist allerdings nicht stets auf Anhieb eindeutig zu beantworten. Die Beteiligungsrechte des Personalrats wären nicht hinreichend effektiv, wäre die Dienststelle in sämtlichen tatsächlichen oder rechtlichen Zweifelsfällen der Pflicht ledig, dem Personalrat durch vorherige Unterrichtung die Möglichkeit zu verschaffen, sich durch Vornahme einer eigenen Prüfung selbst ein Urteil darüber zu bilden, ob ein Beteiligungstatbestand eröffnet und hiermit eine Aufgabe der Personalvertretung berührt ist oder nicht. In der betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsprechung zur Parallelvorschrift in § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ist dementsprechend anerkannt, dass, sofern den Umständen nach eine "gewisse Wahrscheinlichkeit" für das Bestehen eines Beteiligungsrechts besteht, der Betriebsrat auch dann unterrichtet werden muss, wenn der Arbeitgeber selbst das Bestehen des Rechts im Ergebnis verneint; kommt ein Beteiligungsrecht offensichtlich nicht in Betracht, besteht hingegen keine Unterrichtungspflicht (BAG, Beschlüsse vom 23. März 2010 - 1 ABR 81/08 - AP Nr. 72 zu § 80 BetrVG 1972 und vom 15. Dezember 1998 - 1 ABR 9/98 - BAGE 90, 288 <295 f.>; stRspr). Es sind keine Gründe ersichtlich, die ein abweichendes Rechtsverständnis im Rahmen des Personalvertretungsrechts gebieten könnten.
Durch die Pflicht der Dienststelle zur Vorabunterrichtung des Personalrats bei Überschreiten der genannten Wahrscheinlichkeitsschwelle erhält der Personalrat Gelegenheit, seine unter Umständen abweichende Sicht der Dinge rechtzeitig, d.h. im Vorfeld einer Maßnahme diskursiv einzubringen. Insofern tritt ein Bezug zum Gebot einer vertrauensvollen Zusammenarbeit in der Dienststelle zutage (§ 2 Abs. 1 SächsPersVG; in diesem Sinne auch BAG, Beschluss vom 15. Dezember 1998 a.a.O.). Die Unterrichtspflicht enthebt die Dienststelle nicht ihrer Auslegungs- und Subsumtionszuständigkeit, erweitert ihre hieraus folgende Verantwortung aber im Interesse eines partnerschaftlichen Zusammenwirkens bei der personalvertretungsrechtlichen Rechtsanwendung in bestimmten schwierig oder unübersichtlich gelagerten Fällen. In Wahrnehmung dieser erweiterten Verantwortung hat sich die Dienststelle zu fragen, ob der Personalrat bei Kenntnis der Sachlage mit hinreichender Berechtigung zu einer anderen rechtlichen Beurteilung als sie selbst gelangen könnte. Wann dies der Fall ist, kann auf einer abstrakten Ebene nicht beantwortet werden, sondern ist tatrichterlich anhand der jeweiligen Einzelumstände zu klären.
3. Sollte die Beschwerde die Frage für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig halten, ob ein Unterrichtungsanspruch des Personalrats - jenseits rechtlicher oder tatsächlicher Zweifelsfälle - allgemein zur Überprüfung der Anwendung von Beteiligungsvorschriften durch die Dienststelle - selbst in objektiv eindeutig gelagerten Fällen - besteht, so würde diese Frage keine Zulassung der Rechtsbeschwerde rechtfertigen, da sie auf Grundlage der gesetzlichen Vorschriften unter Beachtung der üblichen Regeln juristischer Methodik ohne weiteres verneint werden kann.
a. Die Konsequenzen einer dahingehenden Rechtsauffassung lassen sich anhand des vorliegenden Falls illustrieren. Die hier betroffenen Bühnentechniker fielen nach ihrer arbeitsvertraglich festgelegten Funktion unter den persönlichen Geltungsbereich des Normalvertrags Bühne. Dies ergab sich - wie beide Vorinstanzen zu Recht angenommen haben - für einen von ihnen bereits aus seiner Anstellung als technischer Leiter Bühne (§ 1 Abs. 3 Satz 1 NV Bühne) und für die beiden anderen aus ihrer Anstellung als Bühnen- bzw. Beleuchtungsmeister sowie der zusätzlichen arbeitsvertraglichen Vereinbarung einer überwiegend künstlerischen Tätigkeit, § 1 Abs. 3 Satz 2 NV Bühne (vgl. Beschluss vom 7. Oktober 2003 - BVerwG 6 P 4.03 - Buchholz 251.7 § 72 NWPersVG Nr. 31 S. 54 f.). Da die Bühnentechniker keinen Antrag auf Beteiligung des Antragstellers gestellt hatten, stand somit - was die Beschwerde nicht in Abrede stellt - in rechtlicher wie in tatsächlicher Hinsicht zweifelsfrei fest, dass ihre Einstellung gemäß § 82 Abs. 1 SächsPersVG nicht der Mitbestimmung des Antragstellers unterfiel. Eine Vorab-Unterrichtungspflicht der Dienststelle hätte dem Personalrat lediglich Gelegenheit verschafft, die rein abstrakte Möglichkeit auszuschließen, dass die Dienststelle - etwa durch absichtliches oder versehentliches Unterlassen der vertraglichen Vereinbarung einer überwiegend künstlerischen Tätigkeit - die Mitbestimmungsfreiheit der Einstellung zu Unrecht reklamiert hat. So verstanden würde die Unterrichtungspflicht nicht der partnerschaftlichen Bewältigung von Rechtsanwendungsproblemen dienen, sondern sich zu einem allgemeinen Instrument präventiver Kontrolle der Rechtmäßigkeit der personalvertretungsrechtlichen Rechtsanwendung durch die Dienststelle weiten.
b. Ein solches Verständnis würde den durch § 73 SächsPersVG gezogenen Rahmen überschreiten:
Die Möglichkeit, dass Maßnahmen der Dienststelle vorsätzlich oder fahrlässig Beteiligungsrechte des Personalrats verletzen, gewinnt einen Bezug zum Aufgabenkreis des Personalrats über dessen in § 73 Abs. 1 Nr. 2 SächsPersVG normierte Aufgabe, darüber zu wachen, dass die zugunsten der Beschäftigten geltenden Rechtsbestimmungen durchgeführt werden. Diese Kontrollaufgabe nimmt der Personalrat vorwiegend durch Nutzung von Beteiligungsrechten wahr. Würden diese ihrerseits verletzt, könnte er die Kontrollaufgabe zugunsten der Beschäftigten nicht vollumfänglich wahrnehmen. Im Lichte dessen wird man § 73 Abs. 1 Nr. 2 SächsPersVG bei weiter Auslegung auch eine Aufgabe des Personalrats entnehmen können, darüber zu wachen, dass seine eigenen Beteiligungsrechte nicht verletzt werden. Hieraus begründen sich Unterrichtungsansprüche im Sinne von § 73 Abs. 2 SächsPersVG dann, wenn ihm konkrete Anhaltspunkte für mögliche - drohende oder bereits eingetretene - Verletzungen von Beteiligungsrechten vorliegen. Ob der Personalrat auch dann, wenn er nicht über solche Anhaltspunkte verfügt, Unterrichtungsverlangen an die Dienststelle richten darf, um sich allgemein oder bezogen auf bestimmte Einzelfälle der Rechtmäßigkeit des dienststellenseitigen Verkehrs mit ihm zu vergewissern, bedarf anhand des vorliegenden Falls keiner Klärung. Jedenfalls hat er keinen Anspruch darauf, dass die Dienststelle ihn über Einzelmaßnahmen, die objektiv eindeutig nicht seiner Beteiligung unterfallen - d.h. bei denen im konkreten Fall keine Auslegungs- oder Subsumtionszweifel bestehen -, systematisch vorab und eigeninitiativ nur wegen der abstrakten Möglichkeit unterrichtet, dass bei Prüfung der Beteiligungspflichtigkeit einer Maßnahme durch die Dienststelle willentlich oder unwillentlich Fehler auftreten können. In dieser weiten Fassung wäre ein Informationsanspruch für die Dienststelle praktisch kaum handhabbar. Vor allem aber würde ihm die sachliche Rechtfertigung fehlen, da er - geradezu entgegen dem Gebot vertrauensvoller Zusammenarbeit in der Dienststelle - von der Vorstellung getragen wäre, die Bereitschaft bzw. Fähigkeit der Dienststelle zur Einhaltung des Personalvertretungsrechts sei prinzipiell zweifelhaft und ihre personalvertretungsrechtliche Rechtsanwendung aus diesem Grund lückenloser, jeden Einzelschritt umfassender Kontrolle zu unterwerfen. Eine so weitgefasste Vorstellung lässt sich mit § 73 Abs. 1 Nr. 2 SächsPersVG ebenso wenig in Verbindung bringen wie etwa die Vorstellung, sämtliche Personalmaßnahmen der Dienststelle - unabhängig von ihrer Beteiligungspflichtigkeit - bedürften aufgrund von § 73 Abs. 1 Nr. 2 SächsPersVG einer präventiven Kontrolle seitens des Personalrats daraufhin, ob sie möglicherweise Beschäftigtenrechte verletzen. Im einen wie im anderen Fall würde der Personalrat in die Nähe eines allgemeinen Kontrollorgans der Dienststelle rücken, was er seiner Stellung und seinem Auftrag nach nicht ist (Beschluss vom 29. August 1990 a.a.O.).
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WBRE410019675
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BVerwG
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4. Senat
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20130701
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4 BN 11/13
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Beschluss
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§ 1 Abs 5 BauNVO
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vorgehend Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, 31. Oktober 2012, Az: 2 E 7/11.N, Urteil
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DEU
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Zum Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben in einem Gewerbegebiet zur Freihaltung von Flächen für das produzierende Gewerbe
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Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde der Antragstellerin bleibt ohne Erfolg.
1. Mit den Rügen gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wird ein grundsätzlicher Klärungsbedarf nicht aufgezeigt.
1.1 Die Frage,
Ist die Erforderlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB für einen allgemeinen Einzelhandelsausschluss in einem Gewerbegebiet zu bejahen, wenn der Plangeber Ausnahmen nach § 1 Abs. 9 BauNVO vom allgemeinen Einzelhandelsausschluss zulässt, obwohl er mit der Planung das Ziel verfolgt, die Flächen dem produzierenden Gewerbe vorzuhalten?,
lässt sich, soweit sie überhaupt einer fallübergreifenden Klärung zugänglich ist, auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne weiteres bejahen.
Wie die Beschwerde selbst ausgeführt hat, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass es grundsätzlich zulässig ist, auf der Grundlage des § 1 Abs. 5 BauNVO einen völligen Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben in einem Gewerbegebiet mit dem Ziel der Freihaltung von Flächen für das produzierende Gewerbe festzusetzen (Beschlüsse vom 3. Mai 1993 - BVerwG 4 NB 13.93 - Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 16, vom 11. Mai 1999 - BVerwG 4 BN 15.99 - Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 27 und vom 25. April 2002 - BVerwG 4 BN 20.02 - juris Rn. 6). Für die Abweichung von den nach der Baunutzungsverordnung vorgegebenen Gebietstypen bedarf es in allen Fällen einer städtebaulichen Begründung, die sich aus der jeweiligen konkreten Planungssituation ergeben muss und die Abweichung rechtfertigt. Ebenso ist geklärt, dass der vollständige Ausschluss einer Nutzungsart durch Gegenausnahmen für bestimmte Arten von Anlagen der betreffenden Nutzungsart wieder ein Stück zurückgenommen werden kann. Insoweit muss die Gemeinde darlegen, warum das von ihr gewählte Abgrenzungskriterium marktüblichen Gegebenheiten entspricht und die Feindifferenzierung durch besondere städtebauliche Gründe gerechtfertigt ist (Urteil vom 26. März 2009 - BVerwG 4 C 21.07 - BVerwGE 133, 310 Rn. 13). Diese Grundsätze gelten generell, also auch für den Fall, dass die Gemeinde mit der Planung das städtebauliche Ziel der Freihaltung von Flächen für das produzierende Gewerbe verfolgt. Ob sich die von den Gemeinden festgesetzten Ausnahmen auf der Grundlage des § 1 Abs. 9 BauNVO - wie im vorliegenden Fall vom Oberverwaltungsgericht angenommen (UA S. 27 - 51) - rechtfertigen lassen, ist im Lichte des Planungskonzepts mit Blick auf die konkrete Planungssituation zu beurteilen und entzieht sich einer grundsätzlichen Klärung.
1.2 Die Frage, welche Anforderungen an die Darstellung der Bedarfssituation im Rahmen der Abwägung gestellt werden, verleiht der Rechtssache ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung.
Die Frage, in welchem Umfang die Gemeinde ihre städtebaulichen Ziele darlegen, insbesondere, inwieweit sie ihre städtebauliche Konzeption mit hinreichend belegten Tatsachen oder Prognosen untermauern muss, lässt sich fallübergreifend nicht beantworten, sondern hängt ebenfalls maßgebend von den tatsächlichen Umständen der jeweiligen Planungssituation ab. Das gilt nicht nur bei der Prüfung der Erforderlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB, sondern auch wenn es um die Gewichtung mit ggf. entgegenstehenden privaten Belangen gemäß § 1 Abs. 7 BauGB geht.
Im Übrigen hat das Oberverwaltungsgericht auf den Einwand der Antragstellerin, es bestehe kein Bedarf an Gewerbeflächen, unter dem Gesichtspunkt der städtebaulichen Rechtfertigung eines Einzelhandelsausschlusses (vgl. dazu Urteil vom 27. März 2013 - BVerwG 4 C 13.11 - zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung vorgesehen - juris Rn. 8) ausgeführt, das Eingeständnis des Plangebers, für eine Prognose der Gesamtnachfrage nach gewerblichen Bauflächen über einen Zeitraum von 15 Jahren gebe es (bislang) keine detaillierte und verlässliche Datengrundlage, sei unschädlich. Denn die Antragsgegnerin könne für die Notwendigkeit des Einzelhandelsausschlusses darauf verweisen, dass sie gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB die Bebauungspläne aus dem Flächennutzungsplan zu entwickeln habe, der die Änderungsbereiche im Plangebiet des Bebauungsplans als gewerbliche Bauflächen darstelle. Im Erläuterungsbericht zum Flächennutzungsplan werde insoweit ausgeführt, dass die jährliche Nachfrage nach privaten und städtischen gewerblichen Bauflächen in Hamburg voraussichtlich deutlich über 30 ha liegen werde (UA S. 34). Danach liegen Angaben zur Bedarfslage vor. Ob es sich dabei um aussagekräftige Angaben handelt, ist eine Frage, die der Tatrichter zu beurteilen hat.
1.3 Hinsichtlich der Frage, ob das Interesse am erweiterten Bestandsschutz je nachdem, ob das Grundstück durch den Eigentümer selbst genutzt werde oder nicht, unterschiedlich zu gewichten sei, fehlt es an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit. Das Oberverwaltungsgericht hat - wie die Anmerkung "Hinzu kommt" deutlich macht (UA S. 44) - lediglich ergänzend darauf verwiesen, dass die Antragstellerin als bloße Grundstückseigentümerin, die das Geschäft der Immobilienverwaltung betreibe, wirtschaftlich nur mittelbar in ihrem Verwertungsinteresse an dem Grundstück betroffen werde. Entscheidend für das Oberverwaltungsgericht ist, dass die Antragstellerin in ihrer Stellungnahme vom 4. August 2008 nur allgemein auf die Möglichkeit zur Festsetzung eines erweiterten Bestandsschutzes nach § 1 Abs. 10 BauNVO hingewiesen und ein konkretes betriebliches Bedürfnis des auf ihrem Grundstück niedergelassenen Lebensmittel-Discountmarktes für diese Festsetzung nicht aufgezeigt habe (UA S. 43).
1.4 Schließlich dient auch die Frage, ob eine planende Gemeinde, wenn der Planbetroffene hierzu nicht umfassend vorgetragen hat, das Interesse am erweiterten Bestandsschutz von sich aus als Belang in das Abwägungsmaterial einbeziehen müsse, letztlich nur dazu, im Gewand der Grundsatzrüge einzelfallbezogen Kritik zu üben. Seit der Senatsentscheidung vom 12. Dezember 1969 - BVerwG 4 C 105.66 - (BVerwGE 34, 301) ist es gefestigte Rechtsprechung, dass das Abwägungsgebot verletzt ist, wenn in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, oder der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Wie das Oberverwaltungsgericht ausgeführt hat, hat die Antragstellerin in ihrer von der Antragsgegnerin gewürdigten Stellungnahme vom 4. August 2008 kein konkretes betriebliches Bedürfnis des auf ihrem Grundstück niedergelassenen Lebensmittel-Discountmarktes für diese Festsetzung aufgezeigt (UA S. 43). Danach bestand nach Lage der Dinge kein Anlass zu weiteren Ermittlungen. Gründe, warum sich die Antragstellerin gehindert gesehen hätte, substantiiert zu ihrer Situation vorzutragen, sind dem Oberverwaltungsgericht nicht vorgetragen worden. Auch die Beschwerde erschöpft sich in der schlichten Behauptung, eine Festsetzung nach § 1 Abs. 10 BauNVO hätte zu einer Verbesserung der städtebaulichen Situation geführt.
2. Die Divergenzrüge unter II. genügt nicht den Darlegungsanforderungen im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Zunächst wird nicht beachtet, dass der von der Beschwerde zitierte Rechtssatz aus der in Bezug genommenen Entscheidung des Senats vom 16. April 1971 - BVerwG 4 C 66.67 - (Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 90 S. 32) erkennbar nicht entscheidungstragend ist, sondern zu den Hinweisen gehört, die der Senat aufgrund der Zurückverweisung zur Beachtung bei der weiteren Behandlung der Sache gegeben hat. Unabhängig davon fehlt es an der Benennung eines Rechtssatzes des Oberverwaltungsgerichts, der in Widerspruch zu dem zitierten Rechtssatz steht. Der von der Beschwerde zitierte Rechtssatz auf S. 43 des angefochtenen Urteils steht nicht im Widerspruch zu dem in Bezug genommenen Rechtssatz des Senats, sondern zu den Schlussfolgerungen, die die Beschwerde hieraus sieht. Eine Aussage zu § 3 Abs. 2 BauGB findet sich weder in dem Urteil vom 16. April 1971 noch in dem von der Antragstellerin zitierten Beschluss vom 8. September 1988 - BVerwG 4 NB 15.88 - (Buchholz 406.11 § 1 BBauG/BauGB Nr. 34).
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BVerwG
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4. Senat
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20130701
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4 B 12/13
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Beschluss
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vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 14. November 2012, Az: OVG 2 B 5.11, Urteil
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DEU
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Die gegen diese Entscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 14.09.2014 - 1 BvR 2252/13 - nicht zur Entscheidung angenommen.
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Kläger beimessen.
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), d.h. näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, so bereits Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>; siehe auch Beschluss vom 1. Februar 2011 - BVerwG 7 B 45.10 - juris Rn. 15). Daran fehlt es hier.
Die Beschwerde hält folgende Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig:
Ist bei der Beurteilung, ob aus einer Wohnsiedlungsgenehmigung ein Bauanspruch abgeleitet werden kann, auf sämtliche für das Wohnsiedlungsgesetz erhebliche siedlungspolitische oder bodenrechtliche Interessen abzustellen oder lediglich darauf, ob das Vorhaben in aufschließungsrechtlicher, also erschließungsrechtlicher Hinsicht andere Anforderungen stellt?
Mit dieser Fragestellung möchten die Kläger, wie sie in ihrem Schriftsatz vom 19. Mai 2013 im Hinblick auf die entsprechenden Ausführungen des Beklagten dargelegt haben, nicht geklärt wissen, "ob eine Baugenehmigung (richtig: ein Bauvorbescheid) nach Erteilung einer Wohnsiedlungsgenehmigung noch aus Gründen abgelehnt werden kann, die Gegenstand der Prüfung im Wohnsiedlungsverfahren waren", sondern vielmehr, "welche Gründe, die nicht bereits im Rahmen des Wohnsiedlungsverfahrens behandelt wurden, der Erteilung eines späteren Bauvorbescheids entgegen gehalten werden können, insbesondere, ob dies nur aufschließungsrechtliche bzw. erschließungsrechtliche Gründe sein können oder auch andere Gründe". Es kann offen bleiben, in welchem Sinne die von den Klägern gestellte Frage auszulegen ist, denn sie könnte sich sowohl in der vom Beklagten angenommenen als auch in der von den Klägern erläuterten Fassung in einem Revisionsverfahren allenfalls dann stellen, wenn das umstrittene Vorhaben mit dem Vorhaben, das den Gegenstand der Wohnsiedlungsgenehmigung bildet, identisch oder ihm gegenüber ein "Minus" ist. Das ist jedoch nicht der Fall. Nach der tatrichterlichen Würdigung, an die der Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden ist, ist das den Gegenstand des Vorbescheids bildende Vorhaben der Kläger gegenüber dem Vorhaben, das im Wohnsiedlungsverfahren genehmigt worden ist, ein "aliud".
Vor diesem Hintergrund müsste die Frage lauten, ob im Fall einer Änderung der Bauabsichten in einem Vorbescheidsverfahren gegenüber dem Verfahren auf Erteilung einer Wohnsiedlungsgenehmigung die Versagung des Bauvorbescheids nur gerechtfertigt ist, wenn das den Gegenstand des Vorbescheidsantrages bildende Vorhaben in erschließungsrechtlicher Hinsicht andere Anforderungen stellt als das ursprünglich beabsichtigte Vorhaben. Diese Frage ist zu verneinen. Einer Wohnsiedlungsgenehmigung kommt Bindungswirkung hinsichtlich solcher baurechtlicher Ansprüche zu, die Gegenstand der Prüfung im Wohnsiedlungsverfahren waren (Beschluss vom 9. November 1967 - BVerwG 4 B 113.66 - Buchholz 406.20 § 4 WSG Nr. 5). Gelockert bzw. aufgehoben wird die Bindung, wenn eine Änderung der Bauabsichten nach Art und Umfang die für das Wohnsiedlungsgesetz erheblichen siedlungspolitischen oder bodenrechtlichen Interessen wesentlich berührt (vgl. Urteil vom 4. März 1960 - BVerwG 1 C 43.59 - BVerwGE 10, 202 <208>). Entfällt aus diesem Grund die Bindungswirkung, wie das nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts hier der Fall ist (UA S. 17, 18), ist im Verfahren auf Erteilung eines Vorbescheids alles das zu prüfen, was nach dem jeweiligen Landesrecht geprüft werden muss. Das ist eindeutig und bedarf keiner Bekräftigung in einem Revisionsverfahren.
2. Auch der geltend gemachte Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor; das Oberverwaltungsgericht hat nicht gegen § 86 Abs. 3 VwGO verstoßen.
Gemäß § 86 Abs. 3 VwGO hat der Vorsitzende unter anderem darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt bzw. unklare Anträge erläutert werden. Durch die in dieser Vorschrift zur Pflicht gemachten Hinweise müssen die Verwaltungsgerichte aufgrund ihres besseren Überblicks dem Kläger bei der Rechtsverfolgung behilflich sein und ihm den rechten Weg weisen, wie er im Rahmen der jeweils gegebenen Möglichkeiten das erstrebte Ziel am besten und zweckmäßigsten erreichen kann (Urteil vom 28. April 1981 - BVerwG 2 C 18.80 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 31 S. 5). Die Hinweispflicht umfasst je nach der Lage des Einzelfalles auch den Hinweis auf solche als sachdienlich angesehenen Anträge, die nur im Rahmen der Klageänderung in den anhängigen Rechtsstreit eingeführt werden können (Beschluss vom 20. Oktober 1976 - BVerwG 7 B 57.75 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 18 S. 2). Der Vorsitzende darf jedoch auf keinen Fall die Stellung eines Sachantrages, der über das von den Beteiligten angestrebte Rechtsschutzziel hinausgeht, oder einen zusätzlichen, auf ein weiteres Ziel gerichteten Sachantrag anregen, denn das Rechtsschutzziel bestimmen die dispositionsbefugten Beteiligten (Dawin, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand August 2012, § 86 Rn. 143). Die Pflicht des Vorsitzenden, auf sachdienliche Anträge hinzuwirken, erstreckt sich auch nicht auf die Anregung zur Stellung von seiner Meinung nach offensichtlich unbegründeten oder aussichtslosen Anträgen (Beschluss vom 10. März 1977 - BVerwG 6 B 38.76 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 21 S. 5 m.w.N.) sowie solchen Anträgen, die er nicht für sachdienlich halten darf, weil sie ohne weiteres als unzulässig abgewiesen werden müssten (Beschluss vom 16. Januar 1968 - BVerwG 2 B 65.67 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 2 S. 2). Ist der Kläger anwaltlich vertreten, so ist die Belehrungspflicht ihrem Umfang nach zwar geringer als sonst; sie ist jedoch nicht etwa von vornherein ausgeschlossen (stRspr, seit Urteil vom 10. Juni 1965 - BVerwG 2 C 195.62 - BVerwGE 21, 217 <218>, siehe auch Beschlüsse vom 20. Oktober 1976 a.a.O. und vom 21. März 1989 - BVerwG 2 B 27.89 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 38). Allerdings verpflichtet § 86 Abs. 3 VwGO den Vorsitzenden nicht, einen anwaltlich vertretenen Kläger in allen möglichen, denkbaren materiellen Richtungen zu beraten und ihn z.B. zur Änderung des Klagegrundes zu veranlassen (Beschluss vom 14. Februar 1984 - BVerwG 3 B 111.81 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 34). Die Unterlassung einer Anregung zur Änderung eines Klagantrages stellt einen Verfahrensmangel nur dann dar, wenn sich eine solche Anregung dem Vorsitzenden nach der eindeutigen Sach- und Rechtslage aufdrängen musste (stRspr, z.B. Urteile vom 10. Juni 1965 a.a.O. und vom 28. April 1981 a.a.O. m.w.N.; BVerfG, Beschluss vom 8. Mai 1991 - 2 BvR 170/85 - NVwZ 1992, 259 <260>).
Unter Anwendung vorstehender Grundsätze kann ein Verstoß gegen § 86 Abs. 3 VwGO im vorliegenden Fall schon deshalb nicht festgestellt werden, weil die Kläger nicht dargetan haben, dass sich die Umstellung/Ergänzung der Berufungsanträge in Richtung auf die Erteilung eines Vorbescheids mit einem Inhalt, wie er von den Klägern in ihrem Schriftsatz zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde vom 18. Januar 2013 dargelegt wird, der Vorsitzenden des erkennenden Senats des Oberverwaltungsgerichts nach der eindeutigen Sach- und Rechtslage hätte aufdrängen müssen. Dafür ist auch nichts ersichtlich. Die Anregung, einen Vorbescheid mit dem Inhalt zu beantragen, dass die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit einer Wohnbebauung als solche oder aber lediglich festgestellt wird, dass aufgrund der Bindungswirkung der Wohnsiedlungsgenehmigung ein Bauvorbescheid nicht aus Gründen versagt werden darf, die im Rahmen der Erteilung der Wohnsiedlungsgenehmigung geprüft worden waren, wäre aus Sicht des Oberverwaltungsgerichts vielmehr erkennbar sachwidrig gewesen, weil sie unter Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung nicht zu einer Verbesserung der Rechtsposition der Kläger beigetragen hätte. Die Errichtung mehrerer Wohngebäude (hier drei Einfamilienhäuser und vier Doppelhaushälften) ist nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts unzulässig, weil die Baugrundstücke im Außenbereich liegen, die den Gegenstand des Vorbescheidsantrages bildenden Vorhaben sonstige Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB sind und ihre Ausführung zumindest öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB beeinträchtigt (UA S. 12, 13); die Feststellung, dass aufgrund der Bindungswirkung der Wohnsiedlungsgenehmigung ein Bauvorbescheid nicht aus Gründen versagt werden darf, die im Rahmen der Erteilung der Wohnsiedlungsgenehmigung geprüft worden waren, scheitert daran, dass der Wohnsiedlungsgenehmigung nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts keine Bindungswirkung zukommt (UA S. 16 ff.).
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4. Senat
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vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 14. November 2012, Az: OVG 2 B 4.11, Urteil
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Die gegen diese Entscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 14.09.2014 - 1 BvR 2252/13 - nicht zur Entscheidung angenommen.
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Kläger beimessen.
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), d.h. näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, so bereits Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>; siehe auch Beschluss vom 1. Februar 2011 - BVerwG 7 B 45.10 - juris Rn. 15). Daran fehlt es hier.
Die Beschwerde hält folgende Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig:
Ist bei der Beurteilung, ob aus einer Wohnsiedlungsgenehmigung ein Bauanspruch abgeleitet werden kann, auf sämtliche für das Wohnsiedlungsgesetz erhebliche siedlungspolitische oder bodenrechtliche Interessen abzustellen oder lediglich darauf, ob das Vorhaben in aufschließungsrechtlicher, also erschließungsrechtlicher Hinsicht andere Anforderungen stellt?
Mit dieser Fragestellung möchten die Kläger, wie sie in ihrem Schriftsatz vom 19. Mai 2013 im Hinblick auf die entsprechenden Ausführungen des Beklagten dargelegt haben, nicht geklärt wissen, "ob eine Baugenehmigung nach Erteilung einer Wohnsiedlungsgenehmigung noch aus Gründen abgelehnt werden kann, die Gegenstand der Prüfung im Wohnsiedlungsverfahren waren", sondern vielmehr, "welche Gründe, die nicht bereits im Rahmen des Wohnsiedlungsverfahrens behandelt wurden, der Erteilung einer späteren Baugenehmigung entgegen gehalten werden können, insbesondere, ob dies nur aufschließungsrechtliche bzw. erschließungsrechtliche Gründe sein können oder auch andere Gründe". Es kann offen bleiben, in welchem Sinne die von den Klägern gestellte Frage auszulegen ist, denn sie könnte sich sowohl in der vom Beklagten angenommenen als auch in der von den Klägern erläuterten Fassung in einem Revisionsverfahren allenfalls dann stellen, wenn das umstrittene Vorhaben mit dem Vorhaben, das den Gegenstand der Wohnsiedlungsgenehmigung bildet, identisch oder ihm gegenüber ein "Minus" ist. Das ist jedoch nicht der Fall. Nach der tatrichterlichen Würdigung, an die der Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden ist, ist das geplante Bauvorhaben der Kläger gegenüber dem Vorhaben, das im Wohnsiedlungsverfahren genehmigt worden ist, ein "aliud".
Vor diesem Hintergrund müsste die Frage lauten, ob im Fall einer Änderung der Bauabsichten im Baugenehmigungsverfahren gegenüber dem Verfahren auf Erteilung einer Wohnsiedlungsgenehmigung die Versagung der Baugenehmigung nur gerechtfertigt ist, wenn das neue Bauvorhaben in erschließungsrechtlicher Hinsicht andere Anforderungen stellt als das ursprünglich beabsichtigte Vorhaben. Diese Frage ist zu verneinen. Einer Wohnsiedlungsgenehmigung kommt Bindungswirkung hinsichtlich solcher baurechtlicher Ansprüche zu, die Gegenstand der Prüfung im Wohnsiedlungsverfahren waren (Beschluss vom 9. November 1967 - BVerwG 4 B 113.66 - Buchholz 406.20 § 4 WSG Nr. 5). Gelockert bzw. aufgehoben wird die Bindung, wenn eine Änderung der Bauabsichten nach Art und Umfang die für das Wohnsiedlungsgesetz erheblichen siedlungspolitischen oder bodenrechtlichen Interessen wesentlich berührt (vgl. Urteil vom 4. März 1960 - BVerwG 1 C 43.59 - BVerwGE 10, 202 <208>). Entfällt aus diesem Grund die Bindungswirkung, wie das nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts hier der Fall ist (UA S. 17), ist im Baugenehmigungsverfahren alles das zu prüfen, was nach dem jeweiligen Landesrecht geprüft werden muss. Das ist eindeutig und bedarf keiner Bekräftigung in einem Revisionsverfahren.
2. Auch der geltend gemachte Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor; das Oberverwaltungsgericht hat nicht gegen § 86 Abs. 3 VwGO verstoßen.
Gemäß § 86 Abs. 3 VwGO hat der Vorsitzende unter anderem darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt bzw. unklare Anträge erläutert werden. Durch die in dieser Vorschrift zur Pflicht gemachten Hinweise müssen die Verwaltungsgerichte aufgrund ihres besseren Überblicks dem Kläger bei der Rechtsverfolgung behilflich sein und ihm den rechten Weg weisen, wie er im Rahmen der jeweils gegebenen Möglichkeiten das erstrebte Ziel am besten und zweckmäßigsten erreichen kann (Urteil vom 28. April 1981 - BVerwG 2 C 18.80 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 31 S. 5). Die Hinweispflicht umfasst je nach der Lage des Einzelfalles auch den Hinweis auf solche als sachdienlich angesehenen Anträge, die nur im Rahmen der Klageänderung in den anhängigen Rechtsstreit eingeführt werden können (Beschluss vom 20. Oktober 1976 - BVerwG 7 B 57.75 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 18 S. 2). Der Vorsitzende darf jedoch auf keinen Fall die Stellung eines Sachantrages, der über das von den Beteiligten angestrebte Rechtsschutzziel hinausgeht, oder einen zusätzlichen, auf ein weiteres Ziel gerichteten Sachantrag anregen, denn das Rechtsschutzziel bestimmen die dispositionsbefugten Beteiligten (Dawin, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand August 2012, § 86 Rn. 143). Die Pflicht des Vorsitzenden, auf sachdienliche Anträge hinzuwirken, erstreckt sich auch nicht auf die Anregung zur Stellung von seiner Meinung nach offensichtlich unbegründeten oder aussichtslosen Anträgen (Beschluss vom 10. März 1977 - BVerwG 6 B 38.76 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 21 S. 5 m.w.N.) sowie solchen Anträgen, die er nicht für sachdienlich halten darf, weil sie ohne weiteres als unzulässig abgewiesen werden müssten (Beschluss vom 16. Januar 1968 - BVerwG 2 B 65.67 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 2 S. 2). Ist der Kläger anwaltlich vertreten, so ist die Belehrungspflicht ihrem Umfang nach zwar geringer als sonst; sie ist jedoch nicht etwa von vornherein ausgeschlossen (stRspr, seit Urteil vom 10. Juni 1965 - BVerwG 2 C 195.62 - BVerwGE 21, 217 <218>, siehe auch Beschlüsse vom 20. Oktober 1976 a.a.O. und vom 21. März 1989 - BVerwG 2 B 27.89 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 38). Allerdings verpflichtet § 86 Abs. 3 VwGO den Vorsitzenden nicht, einen anwaltlich vertretenen Kläger in allen möglichen, denkbaren materiellen Richtungen zu beraten und ihn z.B. zur Änderung des Klagegrundes zu veranlassen (Beschluss vom 14. Februar 1984 - BVerwG 3 B 111.81 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 34). Die Unterlassung einer Anregung zur Änderung eines Klagantrages stellt einen Verfahrensmangel nur dann dar, wenn sich eine solche Anregung dem Vorsitzenden nach der eindeutigen Sach- und Rechtslage aufdrängen musste (stRspr, z.B. Urteile vom 10. Juni 1965 a.a.O. und vom 28. April 1981 a.a.O. m.w.N.; BVerfG, Beschluss vom 8. Mai 1991 - 2 BvR 170/85 - NVwZ 1992, 259 <260>).
Unter Anwendung vorstehender Grundsätze kann ein Verstoß gegen § 86 Abs. 3 VwGO im vorliegenden Fall schon deshalb nicht festgestellt werden, weil die Kläger nicht dargetan haben, dass sich die Umstellung/Ergänzung der Berufungsanträge in Richtung auf die Erteilung eines Vorbescheids mit einem Inhalt, wie er von den Klägern in ihrem Schriftsatz zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde vom 18. Januar 2013 dargelegt wird, der Vorsitzenden des erkennenden Senats des Oberverwaltungsgerichts nach der eindeutigen Sach- und Rechtslage hätte aufdrängen müssen. Dafür ist auch nichts ersichtlich. Die Anregung, einen Vorbescheid mit dem Inhalt zu beantragen, dass die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit einer Wohnbebauung als solche oder aber lediglich festgestellt wird, dass aufgrund der Bindungswirkung der Wohnsiedlungsgenehmigung eine Baugenehmigung nicht aus Gründen versagt werden darf, die im Rahmen der Erteilung der Wohnsiedlungsgenehmigung geprüft worden waren, wäre aus Sicht des Oberverwaltungsgerichts vielmehr erkennbar sachwidrig gewesen, weil sie unter Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung nicht zu einer Verbesserung der Rechtsposition der Kläger beigetragen hätte. Die Errichtung eines Wohngebäudes (hier Doppelhaushälfte) ist nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts unzulässig, weil das Baugrundstück im Außenbereich liegt, das Bauvorhaben ein sonstiges Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB ist sowie seine Ausführung zumindest öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB beeinträchtigt (UA S. 12), und die Feststellung, dass aufgrund der Bindungswirkung der Wohnsiedlungsgenehmigung eine Baugenehmigung nicht aus Gründen versagt werden darf, die im Rahmen der Erteilung der Wohnsiedlungsgenehmigung geprüft worden waren, scheitert daran, dass der Wohnsiedlungsgenehmigung nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts keine Bindungswirkung zukommt (UA S. 16 f.).
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BMJV
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WBRE410019678
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BVerwG
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4. Senat
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20130701
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4 B 10/13
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Beschluss
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WoSdlG, § 86 Abs 3 VwGO
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vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 14. November 2012, Az: OVG 2 B 3.11, Urteil
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DEU
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Folgen einer Lockerung und Aufhebung der Bindungswirkung einer Wohnsiedlungsgenehmigung; Anforderungen an die richterliche Hinweispflicht
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Die gegen diese Entscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 14.09.2014 - 1 BvR 2252/13 - nicht zur Entscheidung angenommen.
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Kläger beimessen.
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), d.h. näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, so bereits Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>; siehe auch Beschluss vom 1. Februar 2011 - BVerwG 7 B 45.10 - juris Rn. 15). Daran fehlt es hier.
Die Beschwerde hält folgende Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig:
Ist bei der Beurteilung, ob aus einer Wohnsiedlungsgenehmigung ein Bauanspruch abgeleitet werden kann, auf sämtliche für das Wohnsiedlungsgesetz erhebliche siedlungspolitische oder bodenrechtliche Interessen abzustellen oder lediglich darauf, ob das Vorhaben in aufschließungsrechtlicher, also erschließungsrechtlicher Hinsicht andere Anforderungen stellt?
Mit dieser Fragestellung möchten die Kläger, wie sie in ihrem Schriftsatz vom 19. Mai 2013 im Hinblick auf die entsprechenden Ausführungen des Beklagten dargelegt haben, nicht geklärt wissen, "ob eine Baugenehmigung nach Erteilung einer Wohnsiedlungsgenehmigung noch aus Gründen abgelehnt werden kann, die Gegenstand der Prüfung im Wohnsiedlungsverfahren waren", sondern vielmehr, "welche Gründe, die nicht bereits im Rahmen des Wohnsiedlungsverfahrens behandelt wurden, der Erteilung einer späteren Baugenehmigung entgegen gehalten werden können, insbesondere, ob dies nur aufschließungsrechtliche bzw. erschließungsrechtliche Gründe sein können oder auch andere Gründe". Es kann offen bleiben, in welchem Sinne die von den Klägern gestellte Frage auszulegen ist, denn sie könnte sich sowohl in der vom Beklagten angenommenen als auch in der von den Klägern erläuterten Fassung in einem Revisionsverfahren allenfalls dann stellen, wenn das umstrittene Vorhaben mit dem Vorhaben, das den Gegenstand der Wohnsiedlungsgenehmigung bildet, identisch oder ihm gegenüber ein "Minus" ist. Das ist jedoch nicht der Fall. Nach der tatrichterlichen Würdigung, an die der Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden ist, ist das geplante Bauvorhaben der Kläger gegenüber dem Vorhaben, das im Wohnsiedlungsverfahren genehmigt worden ist, ein "aliud".
Vor diesem Hintergrund müsste die Frage lauten, ob im Fall einer Änderung der Bauabsichten im Baugenehmigungsverfahren gegenüber dem Verfahren auf Erteilung einer Wohnsiedlungsgenehmigung die Versagung der Baugenehmigung nur gerechtfertigt ist, wenn das neue Bauvorhaben in erschließungsrechtlicher Hinsicht andere Anforderungen stellt als das ursprünglich beabsichtigte Vorhaben. Diese Frage ist zu verneinen. Einer Wohnsiedlungsgenehmigung kommt Bindungswirkung hinsichtlich solcher baurechtlicher Ansprüche zu, die Gegenstand der Prüfung im Wohnsiedlungsverfahren waren (Beschluss vom 9. November 1967 - BVerwG 4 B 113.66 - Buchholz 406.20 § 4 WSG Nr. 5). Gelockert bzw. aufgehoben wird die Bindung, wenn eine Änderung der Bauabsichten nach Art und Umfang die für das Wohnsiedlungsgesetz erheblichen siedlungspolitischen oder bodenrechtlichen Interessen wesentlich berührt (vgl. Urteil vom 4. März 1960 - BVerwG 1 C 43.59 - BVerwGE 10, 202 <208>). Entfällt aus diesem Grund die Bindungswirkung, wie das nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts hier der Fall ist (UA S. 17), ist im Baugenehmigungsverfahren alles das zu prüfen, was nach dem jeweiligen Landesrecht geprüft werden muss. Das ist eindeutig und bedarf keiner Bekräftigung in einem Revisionsverfahren.
2. Auch der geltend gemachte Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor; das Oberverwaltungsgericht hat nicht gegen § 86 Abs. 3 VwGO verstoßen.
Gemäß § 86 Abs. 3 VwGO hat der Vorsitzende unter anderem darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt bzw. unklare Anträge erläutert werden. Durch die in dieser Vorschrift zur Pflicht gemachten Hinweise müssen die Verwaltungsgerichte aufgrund ihres besseren Überblicks dem Kläger bei der Rechtsverfolgung behilflich sein und ihm den rechten Weg weisen, wie er im Rahmen der jeweils gegebenen Möglichkeiten das erstrebte Ziel am besten und zweckmäßigsten erreichen kann (Urteil vom 28. April 1981 - BVerwG 2 C 18.80 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 31 S. 5). Die Hinweispflicht umfasst je nach der Lage des Einzelfalles auch den Hinweis auf solche als sachdienlich angesehenen Anträge, die nur im Rahmen der Klageänderung in den anhängigen Rechtsstreit eingeführt werden können (Beschluss vom 20. Oktober 1976 - BVerwG 7 B 57.75 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 18 S. 2). Der Vorsitzende darf jedoch auf keinen Fall die Stellung eines Sachantrages, der über das von den Beteiligten angestrebte Rechtsschutzziel hinausgeht, oder einen zusätzlichen, auf ein weiteres Ziel gerichteten Sachantrag anregen, denn das Rechtsschutzziel bestimmen die dispositionsbefugten Beteiligten (Dawin, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand August 2012, § 86 Rn. 143). Die Pflicht des Vorsitzenden, auf sachdienliche Anträge hinzuwirken, erstreckt sich auch nicht auf die Anregung zur Stellung von seiner Meinung nach offensichtlich unbegründeten oder aussichtslosen Anträgen (Beschluss vom 10. März 1977 - BVerwG 6 B 38.76 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 21 S. 5 m.w.N.) sowie solchen Anträgen, die er nicht für sachdienlich halten darf, weil sie ohne weiteres als unzulässig abgewiesen werden müssten (Beschluss vom 16. Januar 1968 - BVerwG 2 B 65.67 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 2 S. 2). Ist der Kläger anwaltlich vertreten, so ist die Belehrungspflicht ihrem Umfang nach zwar geringer als sonst; sie ist jedoch nicht etwa von vornherein ausgeschlossen (stRspr, seit Urteil vom 10. Juni 1965 - BVerwG 2 C 195.62 - BVerwGE 21, 217 <218>, siehe auch Beschlüsse vom 20. Oktober 1976 a.a.O. und vom 21. März 1989 - BVerwG 2 B 27.89 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 38). Allerdings verpflichtet § 86 Abs. 3 VwGO den Vorsitzenden nicht, einen anwaltlich vertretenen Kläger in allen möglichen, denkbaren materiellen Richtungen zu beraten und ihn z.B. zur Änderung des Klagegrundes zu veranlassen (Beschluss vom 14. Februar 1984 - BVerwG 3 B 111.81 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 34). Die Unterlassung einer Anregung zur Änderung eines Klagantrages stellt einen Verfahrensmangel nur dann dar, wenn sich eine solche Anregung dem Vorsitzenden nach der eindeutigen Sach- und Rechtslage aufdrängen musste (stRspr, z.B. Urteile vom 10. Juni 1965 a.a.O. und vom 28. April 1981 a.a.O. m.w.N.; BVerfG, Beschluss vom 8. Mai 1991 - 2 BvR 170/85 - NVwZ 1992, 259 <260>).
Unter Anwendung vorstehender Grundsätze kann ein Verstoß gegen § 86 Abs. 3 VwGO im vorliegenden Fall schon deshalb nicht festgestellt werden, weil die Kläger nicht dargetan haben, dass sich die Umstellung/Ergänzung der Berufungsanträge in Richtung auf die Erteilung eines Vorbescheids mit einem Inhalt, wie er von den Klägern in ihrem Schriftsatz zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde vom 18. Januar 2013 dargelegt wird, der Vorsitzenden des erkennenden Senats des Oberverwaltungsgerichts nach der eindeutigen Sach- und Rechtslage hätte aufdrängen müssen. Dafür ist auch nichts ersichtlich. Die Anregung, einen Vorbescheid mit dem Inhalt zu beantragen, dass die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit einer Wohnbebauung als solche oder aber lediglich festgestellt wird, dass aufgrund der Bindungswirkung der Wohnsiedlungsgenehmigung eine Baugenehmigung nicht aus Gründen versagt werden darf, die im Rahmen der Erteilung der Wohnsiedlungsgenehmigung geprüft worden waren, wäre aus Sicht des Oberverwaltungsgerichts vielmehr erkennbar sachwidrig gewesen, weil sie unter Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung nicht zu einer Verbesserung der Rechtsposition der Kläger beigetragen hätte. Die Errichtung eines Wohngebäudes (hier Doppelhaushälfte) ist nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts unzulässig, weil das Baugrundstück im Außenbereich liegt, das Bauvorhaben ein sonstiges Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB ist sowie seine Ausführung zumindest öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB beeinträchtigt (UA S. 12), und die Feststellung, dass aufgrund der Bindungswirkung der Wohnsiedlungsgenehmigung eine Baugenehmigung nicht aus Gründen versagt werden darf, die im Rahmen der Erteilung der Wohnsiedlungsgenehmigung geprüft worden waren, scheitert daran, dass der Wohnsiedlungsgenehmigung nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts keine Bindungswirkung zukommt (UA S. 16 f.).
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WBRE410019679
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BVerwG
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4. Senat
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20130625
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4 BN 3/13
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Beschluss
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, 20. August 2012, Az: 1 KN 20/11, Urteil
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DEU
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Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die rechtsgrundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst. Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwendung einer Vorschrift enthält gleichzeitig eine gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erst im Revisionsverfahren zu klärende Fragestellung.
Die Fragen,
"Setzt die (auch) auf die zweite Alternative des § 172 Abs. 3 Satz 1 BauGB gestützte Erhaltungssatzung gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB zu ihrer Wirksamkeit voraus, dass die baulichen Anlagen, die sonst von städtischer, insbesondere geschichtlicher oder künstlerischer Bedeutung sind, ihrerseits, d.h. für sich allein genommen im Satzungsgebiet zur städtebaulichen Gestalt in dem Sinne beitragen, dass das Gebiet eine besondere städtebauliche Eigenart aufweist?
Oder reicht es zur Annahme des Tatbestandsmerkmals 'der städtebaulichen Eigenart des Gebiets' (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB) aus, wenn die Gemeinde Erhaltungsschutz nach ihren städtebaulichen Vorstellungen für erforderlich hält und ist die Erhaltungssatzung unwirksam nur, wenn in dem Gebiet Erhaltungsschutz unter keinem denkbaren Gesichtspunkt erforderlich und daher die Vermutung unabweisbar ist, dass die Gemeinde mit der Erhaltungssatzung in Wirklichkeit andere als die in § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 BauGB genannten Ziele verfolgt?" (Klammerzusätze im Original)
versteht der Senat als Frage nach dem bundesrechtlichen Maßstab zur Abgrenzung der Tatbestandsalternativen des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB. Damit wird jedoch kein höchstrichterlicher Klärungsbedarf aufgezeigt. Die Frage lässt sich anhand des Gesetzes und auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantworten. Dem Oberverwaltungsgericht ist zuzustimmen, dass § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 BauGB zwar keine Prägung des Ortsbildes, der Stadtgestalt oder des Landschaftsbildes verlangt. Eine auf diese Alternative gestützte Erhaltungssatzung setzt aber voraus, dass bauliche Anlagen vorhanden sind, die allein oder mit anderen baulichen Anlagen zur besonderen städtebaulichen Gestalt des Gebiets beitragen.
In einer Erhaltungssatzung ist gemäß § 172 Abs. 1 BauGB (nur) zu regeln, in welchem Gebiet und aus welchen der in Satz 1 Nr. 1 bis 3 BauGB genannten Gründe das Erfordernis eines besonderen Genehmigungsverfahrens für den Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen statuiert werden soll (Urteil vom 3. Juli 1987 - BVerwG 4 C 26.85 - BVerwGE 78, 23 <26>). Die Gründe für städtebaulichen Erhaltungsschutz hat der Gesetzgeber abschließend festgelegt und durch die Versagungsgründe in § 172 Abs. 3 bis 5 BauGB konkretisiert. Nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB kann eine Erhaltungssatzung zur Erhaltung der städtebaulichen Eigenart des Gebiets aufgrund seiner städtebaulichen Gestalt erlassen werden. Städtebaulicher Erhaltungsschutz i.S.d. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB zielt auf Wahrung der städtebaulichen Funktion der baulichen Anlage(n). Die zu erhaltenden baulichen Anlagen sind in ihrer Beziehung zur Stadtstruktur und in ihrer stadträumlichen Funktion zu beurteilen. Durch die ausdrückliche Inbezugnahme des Absatzes 3 wird die geschichtliche oder künstlerische Bedeutung der von dem Erhaltungsgebot betroffenen baulichen Anlage - allein oder im Zusammenhang mit anderen baulichen Anlagen - hervorgehoben. Derartige bauliche Anlagen können nicht nur aus städtebaulichen, sondern zugleich auch aus Gründen des Denkmalschutzes erhaltungswürdig sein. Dagegen erfüllt nicht jede aus Gesichtspunkten des Denkmalschutzes bedeutsame bauliche Anlage die Voraussetzungen, um den Erlass einer Erhaltungssatzung zu rechtfertigen (Beschluss vom 23. Juni 1992 - BVerwG 4 NB 9.92 - juris Rn. 7; so auch der von der Beschwerde in Bezug genommene Beschluss des OVG Münster vom 10. April 2007 - 10 A 305/05 - juris Rn. 3; das ebenfalls in Bezug genommene Urteil des VGH Kassel vom 9. November 1995 - 4 UE 2704/90 - verhält sich nicht zur zweiten Alternative des § 172 Abs. 3 Satz 1 BauGB <juris Rn. 68>).
Die Notwendigkeit des städtebaulichen Bezugs gilt für beide in § 172 Abs. 3 Satz 1 BauGB genannten Alternativen. Gemeinsam ist ihnen der Schutz städtebaulicher Belange. Während die erste Alternative voraussetzt, dass die bauliche Anlage allein oder im Zusammenhang mit anderen baulichen Anlagen das Ortsbild, die Stadtgestalt oder das Landschaftsbild prägt, verlangt die zweite Alternative lediglich einen "Beitrag" der baulichen Anlage zur städtebaulichen Gestalt des Gebiets. Auch in diesem Fall geht es nicht - wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - um den Erhalt der baulichen Anlagen um ihrer selbst willen. Nicht jede bauliche Anlage mit geschichtlicher oder künstlerischer Bedeutung hat zugleich städtebauliche Bedeutung; sie muss vielmehr einen Beitrag zur Stadtgestaltung leisten. Die zweite Alternative des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 BauGB hat eine Auffangfunktion (Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand September 2012, § 172 Rn. 160); sie trägt dem Umstand Rechnung, dass es bauliche Anlagen gibt, die zwar nicht die Kraft haben, die städtebauliche Gestalt des Gebiets zu prägen, die aber als einzelne Bauwerke gleichwohl eine besondere städtebauliche Funktion haben.
2. Die unter Ziffer 2 der Beschwerdebegründung (S. 9 - 14) aufgeworfene Frage nach Kriterien zur weiteren Konkretisierung der Mitgestaltung des Erscheinungsbilds und der besonderen städtebaulichen Eigenart rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision. Ob bauliche Anlagen die Eigenschaft haben, die Eigenart des Satzungsgebiets städtebaulich mitzugestalten, beurteilt sich nach den örtlichen Gegebenheiten der Planungssituation im konkreten Einzelfall und ist einer revisionsgerichtlichen Klärung nicht zugänglich. Darüber hinaus hat das Oberverwaltungsgericht nicht - wie mit der Grundsatzrüge formuliert - die Feststellung getroffen, dass "jedenfalls etwa die Hälfte der Wohnhäuser im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung ... nach Ermittlungen der Gemeinde architektonisch-historische und ... zugleich städtebaulich bedeutsame Gestaltungsmerkmale aufweisen". Der Vortrag der Antragsgegnerin stellt sich ungeachtet der allgemein gehaltenen Formulierungen als schlichte Kritik an der tatrichterlichen Würdigung durch das Oberverwaltungsgericht in diesem konkreten Einzelfall dar.
3. Die unter Ziffer 3 der Beschwerdebegründung (S. 15 - 19) aufgeworfene Frage, in welchem Umfang nicht erhaltenswerte Gebäude eine unterstützende Wirkung entfalten können, entzieht sich ebenfalls revisionsgerichtlicher Klärung. Auch in diesem Fall formuliert die Beschwerde in tatsächlicher Hinsicht Annahmen, von denen das Oberverwaltungsgericht nicht ausgegangen ist. Das Oberverwaltungsgericht hat keine Feststellung dazu getroffen, dass bauliche Anlagen im Gebiet vorhanden sind, die sich "in ihren Stilformen an die benachbarten und erhaltenswerten Anlagen anpassen bzw. diesen nicht signifikant entgegenstehen" (Beschwerdebegründung S. 15).
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BVerwG
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4. Senat
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20130625
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4 BN 2/13
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Beschluss
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§ 172 Abs 1 S 1 Nr 1 BauGB, § 172 Abs 3 S 1 BauGB
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, 20. August 2012, Az: 1 KN 16/11, Urteil
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DEU
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Zum Abgrenzungsmaßstab der Tatbestandsalternativen für Erhaltungssatzungen
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Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die rechtsgrundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst. Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwendung einer Vorschrift enthält gleichzeitig eine gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erst im Revisionsverfahren zu klärende Fragestellung.
Die Fragen,
"Setzt die (auch) auf die zweite Alternative des § 172 Abs. 3 Satz 1 BauGB gestützte Erhaltungssatzung gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB zu ihrer Wirksamkeit voraus, dass die baulichen Anlagen, die sonst von städtischer, insbesondere geschichtlicher oder künstlerischer Bedeutung sind, ihrerseits, d.h. für sich allein genommen im Satzungsgebiet zur städtebaulichen Gestalt in dem Sinne beitragen, dass das Gebiet eine besondere städtebauliche Eigenart aufweist?
Oder reicht es zur Annahme des Tatbestandsmerkmals 'der städtebaulichen Eigenart des Gebiets' (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB) aus, wenn die Gemeinde Erhaltungsschutz nach ihren städtebaulichen Vorstellungen für erforderlich hält und ist die Erhaltungssatzung unwirksam nur, wenn in dem Gebiet Erhaltungsschutz unter keinem denkbaren Gesichtspunkt erforderlich und daher die Vermutung unabweisbar ist, dass die Gemeinde mit der Erhaltungssatzung in Wirklichkeit andere als die in § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 BauGB genannten Ziele verfolgt?" (Klammerzusätze im Original)
versteht der Senat als Frage nach dem bundesrechtlichen Maßstab zur Abgrenzung der Tatbestandsalternativen des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB. Damit wird jedoch kein höchstrichterlicher Klärungsbedarf aufgezeigt. Die Frage lässt sich anhand des Gesetzes und auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantworten. Dem Oberverwaltungsgericht ist zuzustimmen, dass § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 BauGB zwar keine Prägung des Ortsbildes, der Stadtgestalt oder des Landschaftsbildes verlangt. Eine auf diese Alternative gestützte Erhaltungssatzung setzt aber voraus, dass bauliche Anlagen vorhanden sind, die allein oder mit anderen baulichen Anlagen zur besonderen städtebaulichen Gestalt des Gebiets beitragen.
In einer Erhaltungssatzung ist gemäß § 172 Abs. 1 BauGB (nur) zu regeln, in welchem Gebiet und aus welchen der in Satz 1 Nr. 1 bis 3 BauGB genannten Gründe das Erfordernis eines besonderen Genehmigungsverfahrens für den Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen statuiert werden soll (Urteil vom 3. Juli 1987 - BVerwG 4 C 26.85 - BVerwGE 78, 23 <26>). Die Gründe für städtebaulichen Erhaltungsschutz hat der Gesetzgeber abschließend festgelegt und durch die Versagungsgründe in § 172 Abs. 3 bis 5 BauGB konkretisiert. Nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB kann eine Erhaltungssatzung zur Erhaltung der städtebaulichen Eigenart des Gebiets aufgrund seiner städtebaulichen Gestalt erlassen werden. Städtebaulicher Erhaltungsschutz i.S.d. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB zielt auf Wahrung der städtebaulichen Funktion der baulichen Anlage(n). Die zu erhaltenden baulichen Anlagen sind in ihrer Beziehung zur Stadtstruktur und in ihrer stadträumlichen Funktion zu beurteilen. Durch die ausdrückliche Inbezugnahme des Absatzes 3 wird die geschichtliche oder künstlerische Bedeutung der von dem Erhaltungsgebot betroffenen baulichen Anlage - allein oder im Zusammenhang mit anderen baulichen Anlagen - hervorgehoben. Derartige bauliche Anlagen können nicht nur aus städtebaulichen, sondern zugleich auch aus Gründen des Denkmalschutzes erhaltungswürdig sein. Dagegen erfüllt nicht jede aus Gesichtspunkten des Denkmalschutzes bedeutsame bauliche Anlage die Voraussetzungen, um den Erlass einer Erhaltungssatzung zu rechtfertigen (Beschluss vom 23. Juni 1992 - BVerwG 4 NB 9.92 - juris Rn. 7; so auch der von der Beschwerde in Bezug genommene Beschluss des OVG Münster vom 10. April 2007 - 10 A 305/05 - juris Rn. 3; das ebenfalls in Bezug genommene Urteil des VGH Kassel vom 9. November 1995 - 4 UE 2704/90 - verhält sich nicht zur zweiten Alternative des § 172 Abs. 3 Satz 1 BauGB <juris Rn. 68>).
Die Notwendigkeit des städtebaulichen Bezugs gilt für beide in § 172 Abs. 3 Satz 1 BauGB genannten Alternativen. Gemeinsam ist ihnen der Schutz städtebaulicher Belange. Während die erste Alternative voraussetzt, dass die bauliche Anlage allein oder im Zusammenhang mit anderen baulichen Anlagen das Ortsbild, die Stadtgestalt oder das Landschaftsbild prägt, verlangt die zweite Alternative lediglich einen "Beitrag" der baulichen Anlage zur städtebaulichen Gestalt des Gebiets. Auch in diesem Fall geht es nicht - wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - um den Erhalt der baulichen Anlagen um ihrer selbst willen. Nicht jede bauliche Anlage mit geschichtlicher oder künstlerischer Bedeutung hat zugleich städtebauliche Bedeutung; sie muss vielmehr einen Beitrag zur Stadtgestaltung leisten. Die zweite Alternative des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 BauGB hat eine Auffangfunktion (Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand September 2012, § 172 Rn. 160); sie trägt dem Umstand Rechnung, dass es bauliche Anlagen gibt, die zwar nicht die Kraft haben, die städtebauliche Gestalt des Gebiets zu prägen, die aber als einzelne Bauwerke gleichwohl eine besondere städtebauliche Funktion haben.
2. Die unter Ziffer 2 der Beschwerdebegründung (S. 9 - 14) aufgeworfene Frage nach Kriterien zur weiteren Konkretisierung der Mitgestaltung des Erscheinungsbilds und der besonderen städtebaulichen Eigenart rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision. Ob bauliche Anlagen die Eigenschaft haben, die Eigenart des Satzungsgebiets städtebaulich mitzugestalten, beurteilt sich nach den örtlichen Gegebenheiten der Planungssituation im konkreten Einzelfall und ist einer revisionsgerichtlichen Klärung nicht zugänglich. Darüber hinaus hat das Oberverwaltungsgericht nicht - wie mit der Grundsatzrüge formuliert - die Feststellung getroffen, dass "jedenfalls etwa die Hälfte der Wohnhäuser im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung ... nach Ermittlungen der Gemeinde architektonisch-historische und ... zugleich städtebaulich bedeutsame Gestaltungsmerkmale aufweisen". Der Vortrag der Antragsgegnerin stellt sich ungeachtet der allgemein gehaltenen Formulierungen als schlichte Kritik an der tatrichterlichen Würdigung durch das Oberverwaltungsgericht in diesem konkreten Einzelfall dar.
3. Die unter Ziffer 3 der Beschwerdebegründung (S. 15 - 19) aufgeworfene Frage, in welchem Umfang nicht erhaltenswerte Gebäude eine unterstützende Wirkung entfalten können, entzieht sich ebenfalls revisionsgerichtlicher Klärung. Auch in diesem Fall formuliert die Beschwerde in tatsächlicher Hinsicht Annahmen, von denen das Oberverwaltungsgericht nicht ausgegangen ist. Das Oberverwaltungsgericht hat keine Feststellung dazu getroffen, dass bauliche Anlagen im Gebiet vorhanden sind, die sich "in ihren Stilformen an die benachbarten und erhaltenswerten Anlagen anpassen bzw. diesen nicht signifikant entgegenstehen" (Beschwerdebegründung S. 15).
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BVerwG
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4. Senat
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20130625
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4 BN 5/13
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Beschluss
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, 20. August 2012, Az: 1 KN 18/11, Urteil
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DEU
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Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die rechtsgrundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst. Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwendung einer Vorschrift enthält gleichzeitig eine gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erst im Revisionsverfahren zu klärende Fragestellung.
Die Fragen,
"Setzt die (auch) auf die zweite Alternative des § 172 Abs. 3 Satz 1 BauGB gestützte Erhaltungssatzung gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB zu ihrer Wirksamkeit voraus, dass die baulichen Anlagen, die sonst von städtischer, insbesondere geschichtlicher oder künstlerischer Bedeutung sind, ihrerseits, d.h. für sich allein genommen im Satzungsgebiet zur städtebaulichen Gestalt in dem Sinne beitragen, dass das Gebiet eine besondere städtebauliche Eigenart aufweist?
Oder reicht es zur Annahme des Tatbestandsmerkmals 'der städtebaulichen Eigenart des Gebiets' (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB) aus, wenn die Gemeinde Erhaltungsschutz nach ihren städtebaulichen Vorstellungen für erforderlich hält und ist die Erhaltungssatzung unwirksam nur, wenn in dem Gebiet Erhaltungsschutz unter keinem denkbaren Gesichtspunkt erforderlich und daher die Vermutung unabweisbar ist, dass die Gemeinde mit der Erhaltungssatzung in Wirklichkeit andere als die in § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 BauGB genannten Ziele verfolgt?" (Klammerzusätze im Original)
versteht der Senat als Frage nach dem bundesrechtlichen Maßstab zur Abgrenzung der Tatbestandsalternativen des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB. Damit wird jedoch kein höchstrichterlicher Klärungsbedarf aufgezeigt. Die Frage lässt sich anhand des Gesetzes und auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantworten. Dem Oberverwaltungsgericht ist zuzustimmen, dass § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 BauGB zwar keine Prägung des Ortsbildes, der Stadtgestalt oder des Landschaftsbildes verlangt. Eine auf diese Alternative gestützte Erhaltungssatzung setzt aber voraus, dass bauliche Anlagen vorhanden sind, die allein oder mit anderen baulichen Anlagen zur besonderen städtebaulichen Gestalt des Gebiets beitragen.
In einer Erhaltungssatzung ist gemäß § 172 Abs. 1 BauGB (nur) zu regeln, in welchem Gebiet und aus welchen der in Satz 1 Nr. 1 bis 3 BauGB genannten Gründe das Erfordernis eines besonderen Genehmigungsverfahrens für den Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen statuiert werden soll (Urteil vom 3. Juli 1987 - BVerwG 4 C 26.85 - BVerwGE 78, 23 <26>). Die Gründe für städtebaulichen Erhaltungsschutz hat der Gesetzgeber abschließend festgelegt und durch die Versagungsgründe in § 172 Abs. 3 bis 5 BauGB konkretisiert. Nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB kann eine Erhaltungssatzung zur Erhaltung der städtebaulichen Eigenart des Gebiets aufgrund seiner städtebaulichen Gestalt erlassen werden. Städtebaulicher Erhaltungsschutz i.S.d. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB zielt auf Wahrung der städtebaulichen Funktion der baulichen Anlage(n). Die zu erhaltenden baulichen Anlagen sind in ihrer Beziehung zur Stadtstruktur und in ihrer stadträumlichen Funktion zu beurteilen. Durch die ausdrückliche Inbezugnahme des Absatzes 3 wird die geschichtliche oder künstlerische Bedeutung der von dem Erhaltungsgebot betroffenen baulichen Anlage - allein oder im Zusammenhang mit anderen baulichen Anlagen - hervorgehoben. Derartige bauliche Anlagen können nicht nur aus städtebaulichen, sondern zugleich auch aus Gründen des Denkmalschutzes erhaltungswürdig sein. Dagegen erfüllt nicht jede aus Gesichtspunkten des Denkmalschutzes bedeutsame bauliche Anlage die Voraussetzungen, um den Erlass einer Erhaltungssatzung zu rechtfertigen (Beschluss vom 23. Juni 1992 - BVerwG 4 NB 9.92 - juris Rn. 7; so auch der von der Beschwerde in Bezug genommene Beschluss des OVG Münster vom 10. April 2007 - 10 A 305/05 - juris Rn. 3; das ebenfalls in Bezug genommene Urteil des VGH Kassel vom 9. November 1995 - 4 UE 2704/90 - verhält sich nicht zur zweiten Alternative des § 172 Abs. 3 Satz 1 BauGB <juris Rn. 68>).
Die Notwendigkeit des städtebaulichen Bezugs gilt für beide in § 172 Abs. 3 Satz 1 BauGB genannten Alternativen. Gemeinsam ist ihnen der Schutz städtebaulicher Belange. Während die erste Alternative voraussetzt, dass die bauliche Anlage allein oder im Zusammenhang mit anderen baulichen Anlagen das Ortsbild, die Stadtgestalt oder das Landschaftsbild prägt, verlangt die zweite Alternative lediglich einen "Beitrag" der baulichen Anlage zur städtebaulichen Gestalt des Gebiets. Auch in diesem Fall geht es nicht - wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - um den Erhalt der baulichen Anlagen um ihrer selbst willen. Nicht jede bauliche Anlage mit geschichtlicher oder künstlerischer Bedeutung hat zugleich städtebauliche Bedeutung; sie muss vielmehr einen Beitrag zur Stadtgestaltung leisten. Die zweite Alternative des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 BauGB hat eine Auffangfunktion (Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand September 2012, § 172 Rn. 160); sie trägt dem Umstand Rechnung, dass es bauliche Anlagen gibt, die zwar nicht die Kraft haben, die städtebauliche Gestalt des Gebiets zu prägen, die aber als einzelne Bauwerke gleichwohl eine besondere städtebauliche Funktion haben.
2. Die unter Ziffer 2 der Beschwerdebegründung (S. 9 - 14) aufgeworfene Frage nach Kriterien zur weiteren Konkretisierung der Mitgestaltung des Erscheinungsbilds und der besonderen städtebaulichen Eigenart rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision. Ob bauliche Anlagen die Eigenschaft haben, die Eigenart des Satzungsgebiets städtebaulich mitzugestalten, beurteilt sich nach den örtlichen Gegebenheiten der Planungssituation im konkreten Einzelfall und ist einer revisionsgerichtlichen Klärung nicht zugänglich. Darüber hinaus hat das Oberverwaltungsgericht nicht - wie mit der Grundsatzrüge formuliert - die Feststellung getroffen, dass "jedenfalls etwa die Hälfte der Wohnhäuser im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung ... nach Ermittlungen der Gemeinde architektonisch-historische und ... zugleich städtebaulich bedeutsame Gestaltungsmerkmale aufweisen". Der Vortrag der Antragsgegnerin stellt sich ungeachtet der allgemein gehaltenen Formulierungen als schlichte Kritik an der tatrichterlichen Würdigung durch das Oberverwaltungsgericht in diesem konkreten Einzelfall dar.
3. Die unter Ziffer 3 der Beschwerdebegründung (S. 15 - 19) aufgeworfene Frage, in welchem Umfang nicht erhaltenswerte Gebäude eine unterstützende Wirkung entfalten können, entzieht sich ebenfalls revisionsgerichtlicher Klärung. Auch in diesem Fall formuliert die Beschwerde in tatsächlicher Hinsicht Annahmen, von denen das Oberverwaltungsgericht nicht ausgegangen ist. Das Oberverwaltungsgericht hat keine Feststellung dazu getroffen, dass bauliche Anlagen im Gebiet vorhanden sind, die sich "in ihren Stilformen an die benachbarten und erhaltenswerten Anlagen anpassen bzw. diesen nicht signifikant entgegenstehen" (Beschwerdebegründung S. 15).
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4. Senat
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20130625
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4 BN 4/13
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Beschluss
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, 20. August 2012, Az: 1 KN 17/11, Urteil
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DEU
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Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die rechtsgrundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst. Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwendung einer Vorschrift enthält gleichzeitig eine gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erst im Revisionsverfahren zu klärende Fragestellung.
Die Fragen,
"Setzt die (auch) auf die zweite Alternative des § 172 Abs. 3 Satz 1 BauGB gestützte Erhaltungssatzung gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB zu ihrer Wirksamkeit voraus, dass die baulichen Anlagen, die sonst von städtischer, insbesondere geschichtlicher oder künstlerischer Bedeutung sind, ihrerseits, d.h. für sich allein genommen im Satzungsgebiet zur städtebaulichen Gestalt in dem Sinne beitragen, dass das Gebiet eine besondere städtebauliche Eigenart aufweist?
Oder reicht es zur Annahme des Tatbestandsmerkmals 'der städtebaulichen Eigenart des Gebiets' (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB) aus, wenn die Gemeinde Erhaltungsschutz nach ihren städtebaulichen Vorstellungen für erforderlich hält und ist die Erhaltungssatzung unwirksam nur, wenn in dem Gebiet Erhaltungsschutz unter keinem denkbaren Gesichtspunkt erforderlich und daher die Vermutung unabweisbar ist, dass die Gemeinde mit der Erhaltungssatzung in Wirklichkeit andere als die in § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 BauGB genannten Ziele verfolgt?" (Klammerzusätze im Original)
versteht der Senat als Frage nach dem bundesrechtlichen Maßstab zur Abgrenzung der Tatbestandsalternativen des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB. Damit wird jedoch kein höchstrichterlicher Klärungsbedarf aufgezeigt. Die Frage lässt sich anhand des Gesetzes und auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantworten. Dem Oberverwaltungsgericht ist zuzustimmen, dass § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 BauGB zwar keine Prägung des Ortsbildes, der Stadtgestalt oder des Landschaftsbildes verlangt. Eine auf diese Alternative gestützte Erhaltungssatzung setzt aber voraus, dass bauliche Anlagen vorhanden sind, die allein oder mit anderen baulichen Anlagen zur besonderen städtebaulichen Gestalt des Gebiets beitragen.
In einer Erhaltungssatzung ist gemäß § 172 Abs. 1 BauGB (nur) zu regeln, in welchem Gebiet und aus welchen der in Satz 1 Nr. 1 bis 3 BauGB genannten Gründe das Erfordernis eines besonderen Genehmigungsverfahrens für den Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen statuiert werden soll (Urteil vom 3. Juli 1987 - BVerwG 4 C 26.85 - BVerwGE 78, 23 <26>). Die Gründe für städtebaulichen Erhaltungsschutz hat der Gesetzgeber abschließend festgelegt und durch die Versagungsgründe in § 172 Abs. 3 bis 5 BauGB konkretisiert. Nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB kann eine Erhaltungssatzung zur Erhaltung der städtebaulichen Eigenart des Gebiets aufgrund seiner städtebaulichen Gestalt erlassen werden. Städtebaulicher Erhaltungsschutz i.S.d. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB zielt auf Wahrung der städtebaulichen Funktion der baulichen Anlage(n). Die zu erhaltenden baulichen Anlagen sind in ihrer Beziehung zur Stadtstruktur und in ihrer stadträumlichen Funktion zu beurteilen. Durch die ausdrückliche Inbezugnahme des Absatzes 3 wird die geschichtliche oder künstlerische Bedeutung der von dem Erhaltungsgebot betroffenen baulichen Anlage - allein oder im Zusammenhang mit anderen baulichen Anlagen - hervorgehoben. Derartige bauliche Anlagen können nicht nur aus städtebaulichen, sondern zugleich auch aus Gründen des Denkmalschutzes erhaltungswürdig sein. Dagegen erfüllt nicht jede aus Gesichtspunkten des Denkmalschutzes bedeutsame bauliche Anlage die Voraussetzungen, um den Erlass einer Erhaltungssatzung zu rechtfertigen (Beschluss vom 23. Juni 1992 - BVerwG 4 NB 9.92 - juris Rn. 7; so auch der von der Beschwerde in Bezug genommene Beschluss des OVG Münster vom 10. April 2007 - 10 A 305/05 - juris Rn. 3; das ebenfalls in Bezug genommene Urteil des VGH Kassel vom 9. November 1995 - 4 UE 2704/90 - verhält sich nicht zur zweiten Alternative des § 172 Abs. 3 Satz 1 BauGB <juris Rn. 68>).
Die Notwendigkeit des städtebaulichen Bezugs gilt für beide in § 172 Abs. 3 Satz 1 BauGB genannten Alternativen. Gemeinsam ist ihnen der Schutz städtebaulicher Belange. Während die erste Alternative voraussetzt, dass die bauliche Anlage allein oder im Zusammenhang mit anderen baulichen Anlagen das Ortsbild, die Stadtgestalt oder das Landschaftsbild prägt, verlangt die zweite Alternative lediglich einen "Beitrag" der baulichen Anlage zur städtebaulichen Gestalt des Gebiets. Auch in diesem Fall geht es nicht - wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - um den Erhalt der baulichen Anlagen um ihrer selbst willen. Nicht jede bauliche Anlage mit geschichtlicher oder künstlerischer Bedeutung hat zugleich städtebauliche Bedeutung; sie muss vielmehr einen Beitrag zur Stadtgestaltung leisten. Die zweite Alternative des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 BauGB hat eine Auffangfunktion (Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand September 2012, § 172 Rn. 160); sie trägt dem Umstand Rechnung, dass es bauliche Anlagen gibt, die zwar nicht die Kraft haben, die städtebauliche Gestalt des Gebiets zu prägen, die aber als einzelne Bauwerke gleichwohl eine besondere städtebauliche Funktion haben.
2. Die unter Ziffer 2 der Beschwerdebegründung (S. 9 - 14) aufgeworfene Frage nach Kriterien zur weiteren Konkretisierung der Mitgestaltung des Erscheinungsbilds und der besonderen städtebaulichen Eigenart rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision. Ob bauliche Anlagen die Eigenschaft haben, die Eigenart des Satzungsgebiets städtebaulich mitzugestalten, beurteilt sich nach den örtlichen Gegebenheiten der Planungssituation im konkreten Einzelfall und ist einer revisionsgerichtlichen Klärung nicht zugänglich. Darüber hinaus hat das Oberverwaltungsgericht nicht - wie mit der Grundsatzrüge formuliert - die Feststellung getroffen, dass "jedenfalls etwa die Hälfte der Wohnhäuser im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung ... nach Ermittlungen der Gemeinde architektonisch-historische und ... zugleich städtebaulich bedeutsame Gestaltungsmerkmale aufweisen". Der Vortrag der Antragsgegnerin stellt sich ungeachtet der allgemein gehaltenen Formulierungen als schlichte Kritik an der tatrichterlichen Würdigung durch das Oberverwaltungsgericht in diesem konkreten Einzelfall dar.
3. Die unter Ziffer 3 der Beschwerdebegründung (S. 15 - 19) aufgeworfene Frage, in welchem Umfang nicht erhaltenswerte Gebäude eine unterstützende Wirkung entfalten können, entzieht sich ebenfalls revisionsgerichtlicher Klärung. Auch in diesem Fall formuliert die Beschwerde in tatsächlicher Hinsicht Annahmen, von denen das Oberverwaltungsgericht nicht ausgegangen ist. Das Oberverwaltungsgericht hat keine Feststellung dazu getroffen, dass bauliche Anlagen im Gebiet vorhanden sind, die sich "in ihren Stilformen an die benachbarten und erhaltenswerten Anlagen anpassen bzw. diesen nicht signifikant entgegenstehen" (Beschwerdebegründung S. 15).
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Deutschland
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public
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WBRE410019683
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BVerwG
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9. Senat
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20130704
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9 A 7/13, 9 A 7/13 (9 A 17/11)
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Beschluss
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Art 103 Abs 1 GG, § 104 Abs 1 VwGO, § 34 Abs 4 BNatSchG, § 34 Abs 3 BNatSchG
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DEU
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Planfeststellungsverfahren; Anhörungsrüge; Umfang der Erörterung; Gründe des Gesundheitsschutzes - BNatSchG
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Der Umfang der Erörterung nach § 104 Abs. 1 VwGO in der mündlichen Verhandlung ist an der jeweiligen konkreten Sachlage auszurichten und schließt ein, dass im Interesse der Übersichtlichkeit der Verhandlung der Vorsitzende die Erörterung auf Schwerpunkte beschränken darf. Das Gericht ist insbesondere bei Planfeststellungsverfahren mit umfangreichem Tatsachenvortrag nicht verpflichtet, mit den durch einen Rechtsanwalt vertretenen Beteiligten ein erschöpfendes Rechtsgespräch über alle von der Streitsache berührten oder für die Entscheidung der Streitsache erheblichen Rechtsfragen zu führen, wenn bereits hinreichend Gelegenheit bestand, zu bestimmten Gesichtspunkten Stellung zu nehmen oder diese sonst auf der Hand liegen.
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Die gegen diese Entscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 18.04.2016 - 1 BvR 2308/13 - nicht zur Entscheidung angenommen.
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Die Anhörungsrüge ist unbegründet.
1. Auf die Rüge eines durch eine letztinstanzliche gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist das Verfahren nach § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO fortzuführen, wenn das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Daran fehlt es. Weder hat der Senat bei der Beurteilung der Voraussetzungen für die Begründetheit der Klage entscheidungserheblichen Vortrag nicht zur Kenntnis genommen, noch es versäumt, ihn in Erwägung zu ziehen.
a) Der Kläger rügt, der Senat habe ihm das rechtliche Gehör dadurch versagt, dass er seinen umfangreichen Vortrag dazu, Gründe der Gesundheit rechtfertigten eine Ausnahme i.S.d. § 34 Abs. 3 und 4 BNatSchG hier deshalb nicht, weil der Überschreitung der NO2-Werte in Halle schon durch aktuell geplante Maßnahmen begegnet werde und deshalb die Beeinträchtigung prioritärer Lebensraumtypen nicht durch den Bau der Autobahn gerechtfertigt werden könne, nicht zur Kenntnis genommen habe. Der Kläger habe in seinen Schriftsätzen ausführlich dargelegt, dass die Stadt Halle Lösungen vorgesehen habe, die den Grenzwert der NO2-Emissionen bis spätestens Mitte 2014 unter die nach § 3 Abs. 2 39. BImSchV i.V.m. der Luftqualitätsrahmenrichtlinie 2008/50/EG zulässigen Grenzwerte absenke. Dies werde durch eine Zwischenlösung in Form einer einseitigen Sperrung der Ortsdurchfahrt Halle für Lkw verbunden mit einer Umleitung bis zum Bau einer bereits geplanten Entlastungsstraße bewirkt. Die Entlastungsstraße könne auch den nach Fertigstellung des vorhergehenden Trassenabschnitts am Schnatweg in Künsebeck auflaufenden Verkehr aufnehmen. Der Bau des streitigen Trassenabschnitts sei deshalb nicht aus Gründen des Gesundheitsschutzes zwingend erforderlich. Der Kläger habe auch in der mündlichen Verhandlung seinen Standpunkt nicht mit dem Senat erörtern dürfen.
Damit kann der Kläger nicht durchdringen. Der Gehörsgrundsatz verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht jedoch, den Vorstellungen eines Beteiligten zu folgen (vgl. BVerfG, Urteil vom 7. Juli 1992 - 1 BvL 51/86, 50/87 und 1 BvR 873/90, 761/91 - BVerfGE 87, 1 <33>; Beschluss vom 3. Juni 1987 - 1 BvR 313/85 - BVerfGE 75, 369 <381 f.>). Ebenso wäre es von vornherein verfehlt, aus der Nichterwähnung einzelner Vortragselemente eines sehr umfangreichen Verfahrens zu folgern, das Gericht habe sich mit den darin enthaltenen Argumenten nicht befasst. Art. 103 Abs. 1 GG vermittelt keinen Schutz davor, dass ein Gericht aus Gründen des materiellen Rechts Parteivorbringen nicht weiter aufnimmt (BVerfG, Beschlüsse vom 21. April 1982 - 2 BvR 810/81 - BVerfGE 60, 305 <310> m.w.N. und vom 30. Januar 1985 - 1 BvR 393/84 - BVerfGE 69, 141 <143 f.>). Aus Art. 103 Abs. 1 GG folgt keine Pflicht der Gerichte, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Art. 103 Abs. 1 GG ist erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall aus besonderen Umständen klar ergibt, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 22. November 1983 - 2 BvR 399/81 - BVerfGE 65, 293 <295>, vom 8. Oktober 1985 - 1 BvR 33/83 - BVerfGE 70, 288 <293> und vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <145 f.>; stRspr).
Das Vorbringen des Klägers zu den fehlenden Gründen des Gesundheitsschutzes i.S.d. § 34 Abs. 3 und 4 BNatSchG konnte angesichts seines Umfanges nicht übersehen werden und wurde auch nicht übersehen. Jedoch hat der Senat die Bemühungen der Stadt Halle, schon 2014 die Grenzwerte für Luftschadstoffe einzuhalten, anders bewertet als der Kläger.
Wie auch der Kläger selbst einräumt, lag im Zeitraum vor Erlass des Planfeststellungsbeschlusses die Stickstoffdioxidbelastung in der Ortsdurchfahrt Halle über den nach § 3 Abs. 2 der 39. BImSchV zulässigen Grenzwerten, die dem Schutz der Gesundheit des Menschen dienen. Der Bau der Autobahn wird die Belastung zweifellos unter diesen Wert sinken lassen. Allerdings muss die Stadt Halle den Grenzwert von 40 µg/cbm schon vor der Inbetriebnahme des hier streitigen Trassenabschnitts einhalten, was durch vorübergehende Behelfsmaßnahmen bewirkt werden soll, für die aber zum Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses noch nicht einmal ein Bebauungsplan erlassen war. Anders als der Kläger ist der Senat allerdings der Auffassung, dass diese Maßnahmen - die Teilsperrung der Durchgangsstraße B 68 mit Umleitungen für den Lkw-Verkehr sowie der Bau einer innerörtlichen Entlastungsstraße, die den Lkw-Verkehr um den Ortskern herumleitet - die Gründe des Gesundheitsschutzes auch bei Anlegung eines strengen Maßstabes, wie er im Urteil vom 27. Januar 2000 - BVerwG 4 C 2.99 - (BVerwGE 110, 302 <313 ff.>) entwickelt worden ist, nicht entfallen lassen.
Da mit "zwingenden" Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses nicht das Vorliegen unausweichlicher Sachzwänge gemeint ist, sondern ein durch Vernunft und Verantwortungsbewusstsein geleitetes staatliches Handeln (Urteil vom 27. Januar 2000 a.a.O. S. 314), muss sich die Planfeststellungsbehörde in Bezug auf den Schutz der Gesundheit nicht auf Behelfslösungen verweisen lassen, die gleichzeitig Belastungen für Menschen an anderer Stelle hervorrufen. Die hier ins Auge gefassten Maßnahmen sind von vornherein nicht als Dauerlösung geeignet, die B 68 insbesondere nach der Fertigstellung des vorhergehenden Abschnittes der A 33 mit der Anschlussstelle Schnatweg in Künsebeck dauerhaft vom Durchgangsverkehr zu entlasten. Der Senat hat das Vorbringen des Klägers bei der Alternativenprüfung, mit der es zumindest auch im Zusammenhang steht, aufgegriffen und erwogen, im Urteil aber anders gewichtet, als dies der Kläger für richtig gehalten hat. Das begründet keinen Gehörsverstoß.
b) Eine Gehörsversagung liegt auch nicht darin, dass der Senat anders als der Kläger Gründe der Verkehrssicherheit als Ausnahmegründe i.S.d. § 34 Abs. 3 und 4 BNatSchG angenommen hat. Der Kläger meint, er habe umfangreich ausgeführt, dass die Verbesserung der Verkehrssicherheit nicht hinreichend belegt sei. Ohne sich mit seinem Vortrag auseinanderzusetzen, weiche der Senat von den Substantiierungsanforderungen ab, die in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Januar 2000 (a.a.O.) aufgestellt worden seien. Darin zeige sich, dass der Senat den umfänglichen Vortrag des Klägers nicht zur Kenntnis genommen und nicht erwogen habe. Das trifft nicht zu. Der Senat, der den entscheidungserheblichen Sachverhalt - anders als in dem Urteil vom 27. Januar 2000 zugrunde liegenden Fall - in tatsächlicher Hinsicht selbst würdigen konnte und musste, hat vielmehr die Anforderungen an die Gefahrenträchtigkeit der bestehenden, durch das beidseitige Heranrücken der Autobahn noch verschärften Situation, gemessen an der o.g. Entscheidung, für erfüllt und den Sicherheitsgewinn durch die Verlagerung des erheblich von Schwerverkehr bestimmten Verkehrs von der Ortsdurchgangsstraße auf die Autobahn für evident gehalten. Mit seiner Rüge greift der Kläger letztlich die Würdigung der Sach- und Rechtslage durch den Senat an und versucht auf diese Weise, eine erneute Überprüfung der abgewiesenen Klage zu erreichen. Ein Gehörsverstoß ist damit nicht dargetan.
c) Der Kläger kann schließlich die behauptete Gehörsverletzung auch nicht daraus herleiten, dass der Senat die Frage der Ausnahme aus Gründen des Gesundheitsschutzes und der Verkehrssicherheit in der mündlichen Verhandlung nur angesprochen, aber unter Hinweis darauf, dass von den Beteiligten ausführlich dazu vorgetragen worden war und der Senat dazu keinen Erörterungsbedarf sah, nicht mit den Beteiligten im Rechtsgespräch vertieft hat.
Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Anspruch der Beteiligten, sich zur Sach- und Rechtslage äußern zu können und zu Wort zu kommen. Nach § 104 Abs. 1 VwGO hat der Vorsitzende die Streitsache mit den Beteiligten tatsächlich und rechtlich zu erörtern. Der Umfang der tatsächlichen und rechtlichen Erörterungen ist nicht formell festgelegt, sondern an der jeweiligen konkreten Sachlage auszurichten (Beschlüsse vom 30. Oktober 1987 - BVerwG 2 B 85.87 - Buchholz 310 § 104 VwGO Nr. 20 S. 1 und vom 16. Juni 2003 - BVerwG 7 B 106.02 - Buchholz 303 § 279 ZPO Nr. 1 S. 1; Ortloff, in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand August 2012, § 104 Rn. 60) und schließt ein, dass der Vorsitzende im Interesse der Übersichtlichkeit der Verhandlung die Erörterung auf Schwerpunkte beschränken darf. Das Gericht ist insbesondere bei Planfeststellungsverfahren mit umfangreichem Tatsachenvortrag nicht verpflichtet, mit den durch einen Rechtsanwalt vertretenen Beteiligten ein erschöpfendes Rechtsgespräch über alle von der Streitsache berührten oder für die Entscheidung der Streitsache erheblichen Rechtsfragen zu führen, wenn bereits hinreichend Gelegenheit bestand, zu bestimmten Gesichtspunkten Stellung zu nehmen oder diese sonst auf der Hand liegen (Beschlüsse vom 5. März 1980 - BVerwG 3 B 2.79 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 115 S. 41 und vom 19. März 2007 - BVerwG 9 B 20.06 - juris Rn. 10; Dolderer, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 3. Aufl. 2010, § 104 Rn. 18 f.). Das gilt insbesondere für den vorliegenden Fall, in dem beide Beteiligten durch zahlreiche ausführliche Schriftsätze die rechtlich und tatsächlich relevanten Umstände aus ihrer Sicht dargelegt haben. Bei erstinstanzlichen Planfeststellungsverfahren mit umfangreichem tatsächlichen und rechtlichen Vorbringen der Beteiligten ist es sachgerecht, die mündliche Verhandlung auf die Tatsachen- und Rechtsfragen zu konzentrieren, die dem Gericht durch die eingereichten Schriftsätze noch nicht hinreichend geklärt und deshalb erörterungsbedürftig erscheinen (vgl. Beschluss vom 27. Juli 2010 - BVerwG 9 B 108.09 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 86 Rn. 4).
Die Frage der Ausnahme nach § 34 Abs. 3 und 4 BNatSchG ist vom Kläger mehrfach ausführlich in seinen Schriftsätzen behandelt worden, der Beklagte hat hierauf ebenso ausführlich erwidert, so dass aus der Sicht des Senats weitere Beiträge der Beteiligten entbehrlich waren. Der Kläger hat auch in der mündlichen Verhandlung nicht darauf verwiesen, dass er etwa neue Tatsachen oder neue Erkenntnisse, die in seinen Stellungnahmen noch nicht zur Sprache gekommen waren, darlegen wolle. An einem derartigen Vortrag war er keineswegs gehindert. Unabhängig davon war es dem Kläger unbenommen, am Ende der Verhandlung im Rahmen eines Schlussplädoyers auf diesen ihm wichtigen Punkt einzugehen. Das ist jedoch nicht erfolgt, obwohl - wie stets - der Vorsitzende auf die Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme hingewiesen hat.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019684
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BVerwG
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2. Senat
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20130530
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2 C 68/11
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Urteil
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§ 53 BG BW vom 19.03.1996, § 55 BG BW vom 19.03.1996, § 45 VwVfG BW, § 46 VwVfG BW
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vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 11. Oktober 2011, Az: 4 S 2663/09, Urteil vorgehend VG Stuttgart, 20. Februar 2009, Az: 9 K 4079/08, Urteil
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DEU
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Zurruhesetzung eines Beamten wegen Dienstunfähigkeit; Verweigerung der ärztlichen Begutachtung; formelle und inhaltliche Anforderungen an die Untersuchungsaufforderung; anderweitige Verwendung
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1. Die Rechtmäßigkeit einer vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand wegen der Weigerung, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, setzt die Rechtmäßigkeit der Aufforderung voraus. Die Aufforderung unterliegt im Rahmen der Anfechtungsklage gegen die Zurruhesetzungsverfügung der vollen gerichtlichen Nachprüfung.
2. Die Untersuchungsaufforderung muss sich auf solche Umstände beziehen, die bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen, der betroffene Beamte sei dienstunfähig (im Anschluss an das Urteil vom 26. April 2012 - BVerwG 2 C 17.10 -).
3. Die Pflicht zur Suche nach der Möglichkeit für eine anderweitige Verwendung eines dienstunfähigen Beamten gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Dienstunfähigkeit aus der Verweigerung einer ärztlichen Begutachtung geschlossen wird.
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Die Klägerin wendet sich gegen ihre vorzeitige Versetzung in den Ruhestand.
Die 1946 geborene Klägerin stand seit 1973 als beamtete Realschullehrerin im Dienst des Beklagten. Zuletzt war sie an einer Realschule in Teilzeitbeschäftigung in den Fächern Englisch, Französisch und Bildende Kunst tätig.
Seit März 2008 bemängelten der Schulleiter und Elternvertreter den Englischunterricht der Klägerin. Beratungsgespräche und Unterrichtsbesuche führten nicht zu einer Verbesserung. Da sich die Beschwerden häuften und wegen der Fehlzeiten der Klägerin von 21 Arbeitstagen innerhalb eines Schuljahres forderte das Regierungspräsidium das Gesundheitsamt des Landkreises auf, die Klägerin amtsärztlich zu untersuchen sowie festzustellen, welche gesundheitlichen Probleme die Klägerin habe und gegebenenfalls Behandlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Diese Aufforderung wurde der Klägerin nachrichtlich übersandt. Sie leistete weder dieser noch einer zweiten Untersuchungsaufforderung Folge.
Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage gegen die Untersuchungsaufforderung erklärte die Klägerin vor dem Verwaltungsgericht aufgrund eines gerichtlichen Hinweises für erledigt; der Beklagte stimmte zu.
Auf die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht die Zurruhesetzungsverfügung aufgehoben. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt:
Der Verstoß gegen die besondere Pflicht zur Anhörung vor Erlass der Zurruhesetzungsverfügung sei unbeachtlich. Der Beklagte habe von der Dienstunfähigkeit der Klägerin ausgehen können, weil diese zweimal die angeordnete Untersuchung verweigert habe. Die Untersuchungsaufforderung könne nicht mehr inhaltlich untersucht werden, weil sie bestandskräftig geworden sei.
Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 11. Oktober 2011 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20. Februar 2009 zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt revisibles Landesbeamtenrecht (§ 63 Abs. 3 Satz 2 BeamtStG; § 127 Nr. 2 BRRG). Die Versetzung der Klägerin in den Ruhestand verstößt gegen §§ 53 und 55 des Landesbeamtengesetzes Baden-Württemberg - LBG BW - in der hier anwendbaren Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des Landesbeamtengesetzes vom 19. März 1996 (GBl S. 285), geändert durch das Gesetz zur Änderung des Landesbeamtengesetzes, des Landespersonalvertretungsgesetzes und anderer Vorschriften vom 3. Mai 2005 (GBl S. 321).
Die angegriffene Verfügung hat sich nicht dadurch erledigt, dass die Klägerin inzwischen die gesetzliche Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand erreicht hat. Denn die vorzeitige Zurruhesetzung entfaltet weiterhin Rechtswirkungen. Zum einen bleibt der Zeitraum bis zum Erreichen der Altersgrenze für die Bemessung des Ruhegehalts außer Betracht. Auch ist sie Grundlage für die Einbehaltung eines Teils ihrer Bezüge (§ 55 Satz 3 LBG BW).
Für die Rechtmäßigkeit einer Versetzung in den Ruhestand kommt es auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung an (Urteile vom 16. Oktober 1997 - BVerwG 2 C 7.97 - BVerwGE 105, 267 <269 ff.> = Buchholz 232 § 42 BBG Nr. 22 S. 4 f.; vom 26. März 2009 - BVerwG 2 C 73.08 - BVerwGE 133, 297 = Buchholz 232 § 42 BBG Nr. 25 jeweils Rn. 12, vom 26. Januar 2012 - BVerwG 2 C 7.11 - Buchholz 237.95 § 208 SHLBG Nr. 1 Rn. 11 und vom 26. April 2012 - BVerwG 2 C 17.10 - Buchholz 237.6 § 226 NdsLBG Nr. 1 Rn. 9).
Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 LBG BW ist der Beamte auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn er wegen seines körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) ist. Nach Satz 3 ist der Beamte, sofern Zweifel über seine Dienstunfähigkeit bestehen, verpflichtet, sich nach Weisung der Behörde ärztlich untersuchen und, falls ein Amtsarzt dies für erforderlich hält, auch beobachten zu lassen. Entzieht sich der Beamte trotz zweimaliger schriftlicher Aufforderung, ohne hierfür einen hinreichenden Grund nachzuweisen, der Verpflichtung, sich nach Weisung der Behörde untersuchen oder beobachten zu lassen, so kann er nach Satz 4, wenn er die Versetzung in den Ruhestand nicht beantragt hat, so behandelt werden, als ob seine Dienstunfähigkeit amtsärztlich festgestellt worden wäre. Satz 5 verpflichtet den Dienstherrn, den Beamten auf die Rechtsfolge des Satzes 4 hinzuweisen.
Die Zurruhesetzung der Klägerin ist rechtswidrig, weil die Annahme der Dienstunfähigkeit der Klägerin entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichtshofs nicht auf § 53 Abs. 1 Satz 4 LBG BW gestützt werden kann. Denn die zugrundeliegende Untersuchungsaufforderung vom März 2008 ist ihrerseits rechtswidrig (1). Zudem hat das Regierungspräsidium die Klägerin entgegen § 55 Satz 2 LBG BW vor Erlass der Verfügung nicht angehört (2) sowie der Suchpflicht des § 53 Abs. 3 LBG BW nicht genügt (3).
1. Der Behörde ist durch § 53 Abs. 1 Satz 4 LBG BW kein Ermessen eröffnet, dessen Ausübung an den Anforderungen des § 40 LVwVfG BW zu messen oder nach § 39 Abs. 1 Satz 3 LVwVfG BW zu begründen wäre. Das Wort "kann" in § 53 Abs. 1 Satz 4 LBG BW bringt die Berechtigung der Behörde zum Ausdruck, von der Verweigerung der geforderten Begutachtung auf die - amtsärztlich festgestellte - Dienstunfähigkeit des Beamten zu schließen. Die Regelung des § 53 Abs. 1 Satz 4 LBG BW stellt vergleichbar mit dem allgemeinen Rechtsgedanken der §§ 427, 444 und 446 ZPO eine Beweisregel dar. Sie gestattet, im Rahmen der Beweiswürdigung Schlüsse aus dem Verhalten des Beamten zu ziehen, der die rechtmäßig abverlangte Mitwirkung an der Klärung des Sachverhalts verweigert hat. Auch wenn die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 Satz 4 LBG BW erfüllt sind, darf die Behörde den Beamten nicht schematisch in den Ruhestand versetzen. Vielmehr muss sie die Gründe, die der Beamte für sein Verhalten angegeben hat, berücksichtigen und in die Entscheidungsfindung einbeziehen (vgl. Urteile vom 26. Januar 2012 - BVerwG 2 C 7.11 - a.a.O. Rn. 14 und vom 26. April 2012 - BVerwG 2 C 17.10 - a.a.O. Rn. 12). Dies wird durch die Begründung des Entwurfs des Gesetzes, durch das § 53 Abs. 1 Satz 4 und 5 LBG BW angefügt worden sind (LTDrucks 11/6585, S. 28 zu Nr. 11 a), bestätigt. Danach soll die Regelung des Satzes 4 die Grundlage bieten, die Dienstunfähigkeit des betreffenden Beamten vermuten zu können. Daraus folgt, dass die Vermutung widerlegt werden kann.
Die Dienstunfähigkeit der Klägerin kann hier nicht auf § 53 Abs. 1 Satz 4 LBG BW gestützt werden. Da die erste Untersuchungsaufforderung rechtswidrig ist, musste die Klägerin ihr nicht Folge leisten (Urteile vom 26. Januar 2012 a.a.O. Rn. 15 und vom 26. April 2012 a.a.O. Rn. 13).
Der Senat ist an der Prüfung der Rechtmäßigkeit der ersten Untersuchungsaufforderung nicht gehindert. Diese konnte nicht in Bestandskraft erwachsen, weil es sich nicht um einen Verwaltungsakt handelt. Die Anordnung ist nicht auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet, wie dies die Begriffsbestimmung gemäß § 35 Satz 1 LVwVfG BW als Merkmal eines Verwaltungsaktes verlangt. Dieses Merkmal fehlt Maßnahmen gegenüber Beamten, die nach ihrem objektiven Sinngehalt auf organisationsinterne Wirkung abzielen, weil sie dazu bestimmt sind, den Beamten nicht als Träger subjektiver Rechte, sondern als Amtswalter und Glied der Verwaltung anzusprechen (Urteil vom 2. März 2006 - BVerwG 2 C 3.05 - BVerwGE 125, 85 = Buchholz 237.8 § 84 RhPLBG Nr. 1 jeweils Rn. 10). Die Aufforderung zur Untersuchung regelt lediglich einen einzelnen Schritt in einem gestuften Verfahren, das bei Feststellung der Dienstunfähigkeit mit der Zurruhesetzung endet (Urteil vom 26. April 2012 a.a.O. Rn. 14 f.). Eine Maßnahme, die kein Verwaltungsakt ist, wird auch nicht dadurch zu einem solchen, dass über sie durch Widerspruchsbescheid entschieden oder sie von der Widerspruchsbehörde als solcher bezeichnet wurde (Urteil vom 2. März 2006 a.a.O. Rn. 11) oder die Behörde ihren Sofortvollzug angeordnet hat.
Die erste Untersuchungsaufforderung vom März 2008 konnte den Schluss auf die Dienstunfähigkeit der Klägerin nach § 53 Abs. 1 Satz 4 LBG BW aus mehreren Gründen nicht rechtfertigen. Sie war nicht an die Klägerin, sondern an das Gesundheitsamt des Landratsamts adressiert. Dieser wurde lediglich eine Mehrfertigung übersandt. Wegen ihrer weitgehenden Wirkungen muss die vollständig begründete Untersuchungsaufforderung an den Beamten gerichtet sein. Denn Adressat ist der Betroffene; dieser muss in die Lage versetzt werden, an Hand ihrer konkreten Begründung ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen.
Die Aufforderung genügt auch nicht den inhaltlichen und formellen Anforderungen (Urteil vom 26. April 2012 a.a.O. Rn. 17 f.).
Nach § 53 Abs. 1 Satz 3 LBG BW ist die Behörde zu einer Untersuchungsaufforderung berechtigt, wenn Zweifel über die Dienstunfähigkeit des Beamten bestehen. Aufgrund hinreichend gewichtiger tatsächlicher Umstände muss zweifelhaft sein, ob der Beamte wegen seines körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, die Dienstpflichten seines abstrakt-funktionellen Amtes zu erfüllen (vgl. Urteile vom 28. Juni 1990 - BVerwG 2 C 18.89 - Buchholz 237.6 § 56 NdsLBG Nr. 1, vom 23 September 2004 - BVerwG 2 C 27.03 - BVerwGE 122, 53 <55> = Buchholz 239.1 § 36 BeamtVG Nr. 2 und vom 3. März 2005 - BVerwG 2 C 4.04 - Buchholz 237.7 § 194 NWLBG Nr. 2 Rn. 10). Dies ist anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen, der betroffene Beamte sei dienstunfähig. Der Aufforderung müssen tatsächliche Feststellungen zugrunde liegen, die die Dienstunfähigkeit des Beamten als nahe liegend erscheinen lassen (BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 1993 - 1 BvR 689/92 - BVerfGE 89, 69 <85 f.>; Beschluss vom 20. Juni 2002 - 1 BvR 2062/96 - NJW 2002, 2378; BVerwG, Urteil vom 26. April 2012 a.a.O. Rn. 19). Die Feststellung, die für die Anordnung sprechenden Gründe "seien nicht aus der Luft gegriffen", reicht für die Rechtmäßigkeit der Aufforderung nicht aus.
Die Behörde muss die tatsächlichen Umstände, auf die sie die Zweifel an der Dienstfähigkeit stützt, in der Aufforderung angeben. Der Beamte muss anhand dieser Begründung die Auffassung der Behörde nachvollziehen und prüfen können, ob die angeführten Gründe tragfähig sind (Urteil vom 23. Oktober 1980 - BVerwG 2 A 4.78 - Buchholz 232 § 42 BBG Nr. 14 S. 6). Er muss erkennen können, welcher Vorfall oder welches Ereignis zur Begründung der Aufforderung herangezogen wird. Die Behörde darf insbesondere nicht nach der Überlegung vorgehen, der Adressat werde schon wissen, "worum es geht".
Eine unzureichende Begründung kann nicht durch das Nachschieben weiterer Gründe geheilt werden. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob zum Zeitpunkt der Anordnung tatsächliche Umstände vorlagen, die den Schluss auf Zweifel eine Dienstfähigkeit gerechtfertigt hätten. Für eine Anwendung des § 45 Abs. 1 Nr. 2 LVwVfG BW ist wegen des Zwecks der Untersuchungsaufforderung kein Raum. Erkennt die Behörde die Begründungsmängel der ersten Aufforderung zur Untersuchung, kann sie eine neue Aufforderung mit verbesserter Begründung erlassen.
Ferner muss die Anordnung Angaben zu Art und Umfang der ärztlichen Untersuchung enthalten. Die Behörde darf dies nicht dem Arzt überlassen. Dies gilt insbesondere, wenn sich der Beamte einer fachpsychiatrischen Untersuchung unterziehen soll. Erhebungen des Psychiaters zum Lebenslauf des Beamten, wie etwa Kindheit, Ausbildung, besondere Krankheiten, und zum konkreten Verhalten auf dem Dienstposten stehen dem Bereich privater Lebensgestaltung noch näher als die rein medizinischen Feststellungen, die bei der angeordneten Untersuchung zu erheben sind. Deshalb sind die mit einer solchen Untersuchung verbundenen Eingriffe in das Recht des Beamten aus Art. 2 Abs. 2 GG wie auch in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht regelmäßig weitgehend (BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 1993 a.a.O. S. 82 ff.; BVerwG, Urteil vom 26. April 2012 a.a.O. Rn. 17).
Nur wenn in der Aufforderung selbst Art und Umfang der geforderten ärztlichen Untersuchung nachvollziehbar sind, kann der Betroffene auch nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ihre Rechtmäßigkeit überprüfen. Dementsprechend muss sich der Dienstherr bereits im Vorfeld des Erlasses nach entsprechender sachkundiger ärztlicher Beratung zumindest in den Grundzügen darüber klar werden, in welcher Hinsicht Zweifel am körperlichen Zustand oder der Gesundheit des Beamten bestehen und welche ärztlichen Untersuchungen zur endgültigen Klärung geboten sind.
Danach ist die Untersuchungsaufforderung vom März 2008 bereits deshalb rechtswidrig, weil das Regierungspräsidium Art und Umfang der Untersuchung nicht einmal in den Grundzügen bestimmt, sondern diese vollständig dem Gesundheitsamt überlassen und damit der Klägerin die inhaltliche Prüfung der Anordnung unmöglich gemacht hat.
Zur Begründung der Aufforderung hat das Regierungspräsidium auf Klagen von Elternvertretern und Schülern über die nachlassende Qualität des Unterrichts der Klägerin sowie auf deren wiederholte Krankmeldungen und die damit verbundenen unterrichtlichen Defizite verwiesen. Zudem sei das Verhältnis zum Schulleiter durch die Beratungsgespräche belastet worden, weil die Klägerin Vereinbarungen und Ratschläge nicht annehme. Durch die ständigen dienstlichen Auseinandersetzungen seien das Schulklima außerordentlich belastet und der Schulfrieden gefährdet.
Diese Umstände sind in der Aufforderung vom März 2008 nicht in einer Weise dargestellt und belegt, dass der Klägerin die Prüfung ihrer inhaltlichen Richtigkeit möglich gewesen wäre.
Zwar können Fehlzeiten grundsätzlich Zweifel an der Dienstfähigkeit des Beamten im Sinne von § 53 Abs. 1 Satz 3 LBG BW begründen. Dies muss aber schlüssig dargelegt werden. Denn Fehlzeiten können auch auf Erkrankungen zurückzuführen sein, die die Dienstfähigkeit eines Beamten tatsächlich nicht dauerhaft berühren. Zur Klärung hätte das Regierungspräsidium den Schulleiter beauftragen können, die Klägerin nach den Ursachen ihrer Fehlzeiten zu befragen. Sollte das Regierungspräsidium Zweifel an der Belastbarkeit der privatärztlichen Bescheinigungen über die Dienstunfähigkeit der Klägerin gehabt haben, so wäre es in Betracht gekommen, dieser aufzuerlegen, künftig zum Nachweis ihrer Dienstunfähigkeit ein amtsärztliches Attest ab dem ersten Werktag vorzulegen (Beschluss vom 23. Februar 2006 - BVerwG 2 A 12.04 - Buchholz 232 § 73 BBG Nr. 29).
2. Die Zurruhesetzungsverfügung ist auch deshalb rechtswidrig, weil das Regierungspräsidium die Klägerin vor ihrem Erlass entgegen § 55 Satz 2 LBG BW nicht angehört hat.
§ 55 Satz 2 LBG BW schreibt vor, dass der Beamte Gelegenheit erhält, sich zu den für die Zurruhesetzung erheblichen Tatsachen innerhalb eines Monats schriftlich zu äußern. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und deshalb bindenden tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs (§ 137 Abs. 2 VwGO) hat das Regierungspräsidium die Klägerin vor der Bekanntgabe der Verfügung nicht nach § 55 Satz 2 LBG BW angehört. Die besondere Anhörung nach § 55 Satz 2 LBG BW ist auch den Fällen des § 53 Abs. 1 Satz 4 LBG BW geboten. Ist der Beamte der zweimaligen Aufforderung zu einer ärztlichen Untersuchung nicht nachgekommen, so kann er im Rahmen der Anhörung geltend machen, die Untersuchungsanordnung als solche genüge nicht den formellen oder inhaltlichen Anforderungen mit der Folge, dass aus der Verweigerung der Untersuchung nicht auf seine Dienstunfähigkeit geschlossen werden dürfe.
Die Anhörung nach § 55 Satz 2 LBG BW konnte nicht nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 LVwVfG BW im Widerspruchsverfahren nachgeholt werden. Der Gesetzgeber hat durch mehrere gegenüber dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht spezielle Regelungen, wie das zwingende Erfordernis einer Anhörung, die Schriftform und die Anhörungsfrist, deutlich gemacht, dass der Beamte vor der Entscheidung über seine Zurruhesetzung anzuhören ist (LTDrucks 13/3783, S. 20).
§ 46 LVwVfG BW ist aber auf den festgestellten Verstoß gegen § 55 Satz 2 LBG BW nicht anwendbar. Nach § 46 LVwVfG BW kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 44 LVwVfG BW nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Die Annahme der "Offensichtlichkeit" im Sinne von § 46 LVwVfG BW ist aber bereits dann ausgeschlossen, wenn nach den Umständen des Falles die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den Verfahrensfehler eine andere Entscheidung getroffen worden wäre (Urteile vom 8. Juni 1995 - BVerwG 4 C 4.94 - BVerwGE 98, 339 <361 f.>, vom 25. Januar 1996 -BVerwG 4 C 5.95 - BVerwGE 100, 238 <250>, vom 13. Dezember 2007 - BVerwG 4 C 9.06 - BVerwGE 130, 83 Rn. 38 und vom 26. Januar 2012 - BVerwG 2 C 7.11 - a.a.O. Rn. 20 und 23).
Sind im Verfahren der Zurruhesetzung ärztliche Gutachten erstellt worden, so scheidet die Anwendung von § 46 LVwVfG BW regelmäßig aus. Die Entscheidung über die Dienstunfähigkeit des Beamten anhand dieser Gutachten ist in der Regel tatsächlich und rechtlich schwierig. Die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung aufgrund einer Stellungnahme des Betroffenen zu diesen ärztlichen Feststellungen ist nicht auszuschließen. Aber auch in den Fällen, in denen der Beamte die Begutachtung verweigert hat, kann die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung aufgrund der Angaben des Beamten im Rahmen seiner Anhörung nicht ausgeschlossen werden. Die gesetzliche Regelung des § 53 Abs. 1 Satz 4 LBG BW ist Ausdruck des allgemeinen, aus §§ 427, 444 und 446 ZPO abgeleiteten Rechtsgrundsatzes, wonach das die Beweisführung vereitelnde Verhalten eines Beteiligten zu dessen Nachteil berücksichtigt werden kann. Dieser Schluss ist aber auch bei einer gesetzlichen Regelung nicht zwingend vorgegeben, so dass die Behörde auch hier sämtliche Umstände zu würdigen hat (Urteil vom 26. April 2012 a.a.O. Rn. 23 m.w.N.).
Hier lässt es sich nicht ausschließen, dass die Klägerin im Falle ihrer Anhörung nach § 55 Satz 2 LBG BW vor Erlass der Verfügung geltend gemacht hätte, die konkrete Untersuchungsanordnung genüge nicht den an sie zu stellenden formellen und inhaltlichen Anforderungen und das Regierungspräsidium deshalb vom Erlass der Zurruhesetzungsverfügung abgesehen hätte.
3. Die Zurruhesetzungsverfügung ist schließlich deshalb rechtswidrig, weil das Regierungspräsidium nicht der Suchpflicht des § 53 Abs. 3 LBG BW genügt hat.
Nach § 53 Abs. 3 Satz 1 LBG BW soll von der Versetzung des Beamten in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit abgesehen werden, wenn ihm ein anderes Amt derselben oder einer anderen Laufbahn übertragen werden kann. Dem Gesetz ist nicht zu entnehmen, dass der Vorrang der Weiterverwendung eines Beamten vor seiner Versorgung nicht gelten soll, wenn die Annahme der Dienstunfähigkeit des Beamten auf der Verweigerung einer von der Behörde angeordneten ärztlichen Begutachtung beruht.
§ 53 Abs. 3 Satz 1 LBG BW begründet für den Dienstherrn die Pflicht, nach einer anderweitigen Verwendung des Beamten zu suchen. Die Soll-Vorschrift gestattet eine Abweichung von der gesetzlichen Regel nur in atypischen Ausnahmefällen, in denen das Festhalten an diese Regel auch unter Berücksichtigung des Willens des Gesetzgebers nicht gerechtfertigt ist. Wie sich aus § 53 Abs. 3 Satz 2 LBG BW ergibt, ist die Suche nach einer anderweitigen Verwendung regelmäßig auf den gesamten Bereich des Dienstherrn zu erstrecken. Da es um Vorgänge aus dem Verantwortungsbereich des Dienstherrn geht, die dem Einblick des betroffenen Beamten in aller Regel entzogen sind, ist es Sache des Dienstherrn, schlüssig darzulegen, dass er entsprechend § 53 Abs. 3 LBG BW nach einer Möglichkeit einer anderweitigen Verwendung des dienstunfähigen Beamten gesucht hat (Urteil vom 26. März 2009 - BVerwG 2 C 73.08 - BVerwGE 133, 297 = Buchholz 232 § 42 BBG Nr. 25 jeweils Rn. 20 ff.).
Aus den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs und auch aus den Verwaltungsakten, auf die der Verwaltungsgerichtshof nach § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO verwiesen hat, ergibt sich nicht, dass der Beklagte als Dienstherr der ihm obliegenden Suchpflicht Genüge getan hat.
4. Ist eine Verwaltungsentscheidung, wie hier nach § 53 Abs. 1 Satz 1 LBG BW, gebunden und trifft die von der Behörde gegebene Begründung nicht zu, so obliegt dem Gericht nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO die Prüfung, ob der Verwaltungsakt aus anderen als den von der Behörde genannten Gründen rechtmäßig ist (Urteil vom 19. August 1988 - BVerwG 8 C 29.87 - BVerwGE 80, 96).
Hier scheidet jedoch die Prüfung im gerichtlichen Verfahren aus, ob die Klägerin zum Zeitpunkt der Zustellung des Widerspruchsbescheids nach § 53 Abs. 1 Satz 1 LBG dienstunfähig war. Denn hierfür bestand kein tatsächlicher Anhaltspunkt.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019685
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BVerwG
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2. Senat
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20130606
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2 B 50/12
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Beschluss
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§ 56 BDG, § 13 Abs 1 S 2 BDG, § 77 Abs 1 BBG, § 108 Abs 2 VwGO, § 132 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 132 Abs 2 Nr 3 VwGO
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 12. März 2012, Az: 3d A 906/10.BDG, Urteil vorgehend VG Münster, 18. März 2010, Az: 20 K 460/08.BDG
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DEU
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Beschränkung des Disziplinarverfahrens; rechtliches Gehör; Zugriffsdelikt; Erkrankung als Milderungsgrund
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1. Das Disziplinargericht kann nach § 56 Satz 1 BDG nur Tathandlungen aus dem Disziplinarverfahren ausscheiden, die für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt ins Gewicht fallen können.
2. Beabsichtigt das Gericht eine Beschränkung nach § 56 Satz 1 BDG, muss es hierauf die Beteiligten hinweisen und ihnen Gelegenheit zur Äußerung geben.
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Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 69 BDG) und des Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 69 BDG) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Der 1960 geborene Beklagte ist als Postbetriebsinspektor der Deutschen Post AG zur Dienstleistung zugewiesen. Er war zuletzt in der Leitung eines Zustellstützpunktes tätig. Im Januar 2006 öffnete der Beklagte einen Fangbrief und entnahm den in ihm enthaltenen 20 €-Schein. In dem daraufhin eingeleiteten Disziplinarverfahren wurde ihm vorgeworfen, mehrfach unbefugt Geldscheine aus Briefen entwendet zu haben. Das Strafverfahren stellte die Staatsanwaltschaft nach § 153a StPO gegen Zahlung eines Geldbetrages ein.
Mit der Disziplinarklage lastete die Post dem Beklagten an, in 30 Fällen Geldscheine im Wert von insgesamt 210 € aus Briefen genommen zu haben. Das Verwaltungsgericht hat die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis schon wegen der Geldentnahme aus dem Fangbrief nach dessen Öffnung für geboten gehalten. Den 29 weiteren Vorwürfen ist es nicht nachgegangen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen, weil es sämtliche 30 Vorwürfe für erwiesen gehalten hat.
2. Der Beklagte hält die Frage für rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO:
ob eine schwere depressive Erkrankung unterhalb der Schwelle einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit nicht zumindest bei Zugriffsdelikten unterhalb eines Schadensbetrages von 200 € einen einem anerkannten Milderungsgrund vergleichbaren Umstand bilden kann.
Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Rechtssache eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die bislang höchstrichterlich nicht geklärt ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18; Beschluss vom 2. Februar 2011 - BVerwG 6 B 37.10 - NVwZ 2011, 507 Rn. 2; stRspr).
Mit der von ihm gestellten Frage kann der Beklagte die Revisionszulassung nicht erreichen. Sie ist geklärt, soweit sie einen verallgemeinerungsfähigen Inhalt hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann eine Erkrankung im Tatzeitraum als mildernder Umstand bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme nach § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG berücksichtigt werden. Ob sie entscheidend ins Gewicht fällt, hängt von den konkreten Umständen ab und entzieht sich einer generellen Bewertung.
Der Senat hat die Bemessungsregelungen des § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG dahingehend konkretisiert, dass die Veruntreuung amtlich anvertrauter Wertsachen (sog. Zugriffsdelikt) so schwer wiegt, dass sie die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis rechtfertigt, wenn dem Beamten weder ein anerkannter Milderungsgrund zugute kommt noch mildernde Umstände von insgesamt vergleichbarem Gewicht vorliegen (Urteile vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <260 f.> = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1 Rn. 27 f. und vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 20 f.; Beschluss vom 23. Februar 2012 - BVerwG 2 B 143.11 - juris Rn. 11).
Das Gewicht derartiger Umstände muss umso größer sein, je schwerer das Zugriffsdelikt aufgrund der Höhe des Schadens, der Anzahl und Häufigkeit der Zugriffshandlungen und der Begehung von "Begleitdelikten" und anderer belastender Gesichtspunkte im Einzelfall wiegt (Urteile vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 23 und vom 24. Mai 2007 - BVerwG 2 C 25.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 4 Rn. 22). Danach kommt jedenfalls bei einem einmaligen Fehlverhalten mit einem Schaden von weniger als 200 € ernsthaft in Betracht, von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abzusehen (Beschluss vom 23. Februar 2012 a.a.O. Rn. 13). Lässt sich nach erschöpfender Sachaufklärung das Vorliegen eines mildernden Umstands nicht ohne vernünftigen Zweifel ausschließen, ist dieser Umstand nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" in die Gesamtwürdigung einzustellen. Er tritt zu einem anerkannten Milderungsgrund hinzu oder verstärkt das Gewicht der Umstände, die das Fehlen eines derartigen Grundes kompensieren können (Urteile vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 17 und vom 29. Mai 2008 - BVerwG 2 C 59.07 - Buchholz 235.1 § 70 BDG Nr. 3 Rn. 27; Beschluss vom 23. Februar 2012 a.a.O. Rn. 14).
Die auch bei Zugriffsdelikten gebotene prognostische Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände folgt aus dem Zweck der Disziplinarbefugnis als einem Mittel der Funktionssicherung des öffentlichen Dienstes. Danach ist Gegenstand der disziplinarrechtlichen Betrachtung und Wertung die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der gesamten Persönlichkeit des Beamten (§ 13 Abs. 1 Satz 3 BDG) geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrechtzuerhalten (Urteil vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 16; Beschluss vom 23. Februar 2012 a.a.O. Rn. 12).
Eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Beamten im Sinne von §§ 20, 21 StGB zur Tatzeit stellt einen mildernden Umstand dar, der die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis regelmäßig ausschließt (Urteile vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 30 f. und vom 25. März 2010 - BVerwG 2 C 83.08 - BVerwGE 136, 173 Rn. 29 f., Rn. 34). Dies kann für psychische Erkrankungen ohne Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit nicht in gleicher Weise gelten. Sie sind in die Gesamtwürdigung nach § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG einzustellen, wobei ihre Bedeutung von den Umständen des Einzelfalles abhängt. Davon ist auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen.
3. Die vom Beklagten aufgeworfene Frage,
ob eine Beschränkung des Disziplinarverfahrens nach § 56 BDG auch noch im Urteil erfolgen kann,
rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 69 BDG). Die Frage könnte in einem Revisionsverfahren nicht beantwortet werden, weil das Verwaltungsgericht keine Beschränkung nach § 56 BDG vorgenommen hat.
Nach § 56 Satz 1 BDG kann das Gericht das Disziplinarverfahren beschränken, indem es solche Handlungen ausscheidet, die für die Art und Höhe der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht oder voraussichtlich nicht ins Gewicht fallen. Die ausgeschiedenen Handlungen können nach Satz 2 nicht wieder in das Disziplinarverfahren einbezogen werden, es sei denn, die Voraussetzungen für die Beschränkungen entfallen nachträglich.
§ 56 Satz 1 BDG ermöglicht aus Gründen der Verfahrensökonomie das Ausscheiden von Tathandlungen, deren Bedeutung für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme bereits während des anhängigen Verfahrens nach jeder Betrachtungsweise sicher ausgeschlossen werden kann. Dagegen ermöglicht es § 56 Satz 1 BDG nicht, dass das Gericht Vorwürfe nicht behandelt, weil es sie nach seiner Einschätzung für weniger schwerwiegend hält. Insbesondere darf es den Sach- und Streitstoff nicht verkürzen, indem es für einen Vorwurf oder einen Teil der Vorwürfe die Höchstmaßnahme verhängt. Die gesetzliche Beschränkungsmöglichkeit führt weder das Opportunitätsprinzip ein noch ermöglicht sie eine Beschränkung unter dem Gesichtspunkt der Verständigung der Beteiligten ("Deal").
Diese Auslegung des § 56 Satz 1 BDG ergibt sich aus Gesetzeswortlaut und -zweck. Die Regelung knüpft an den Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens an. Nach diesem in § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG verankerten Grundsatz begehen Beamte ein Dienstvergehen (Einzahl), wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten (Mehrzahl) verletzen. Der gesetzliche Begriff des Dienstvergehens umfasst alle disziplinarrechtlich bedeutsamen Dienstpflichtverletzungen des Beamten. Diese werden durch eine einheitliche Disziplinarmaßnahme geahndet, die aufgrund des Verhaltens und der Persönlichkeit des Beamten zu bestimmen ist (Urteile vom 14. Februar 2007 - BVerwG 1 D 12.05 - BVerwGE 128, 125 Rn. 22 = Buchholz 232 § 77 BBG Nr. 26 und vom 28. Juli 2011 - BVerwG 2 C 16.10 - BVerwGE 140, 185 Rn. 19). Der Grundsatz bringt zum Ausdruck, dass Gegenstand der disziplinarrechtlichen Betrachtung und Wertung die Frage ist, ob ein Beamter, der in vorwerfbarer Weise gegen Dienstpflichten verstoßen hat, nach seiner Persönlichkeit noch im Beamtenverhältnis tragbar ist und falls das zu bejahen ist, durch welche Disziplinarmaßnahme auf ihn eingewirkt werden muss, um weitere Pflichtenverstöße zu verhindern (stRspr; vgl. zuletzt Urteil vom 28. Februar 2013 - BVerwG 2 C 62.11 - Rn. 34 m.w.N., zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung Buchholz vorgesehen). Der Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens verlangt, dass über alle Pflichtverletzungen grundsätzlich eine einheitliche Maßnahme bestimmt wird.
Allerdings hat der Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts für die Berufungsinstanz aus prozessökonomischen Gründen zugelassen, dass nicht alle Tatvorwürfe geprüft werden müssen, wenn bereits einzelne festgestellte Pflichtverletzungen die Verhängung der disziplinaren Höchstmaßnahme gebieten (Urteil vom 27. November 1996 - BVerwG 1 D 28.95 - BVerwGE 113, 32 <35 f.>).
Die Beschränkungsmöglichkeit nach § 56 Satz 1 BDG bezweckt in Anknüpfung an die hierzu ergangene Rechtsprechung die Beschleunigung der Disziplinarverfahren durch die instanzenübergreifende Möglichkeit, einzelne Handlungen auszuscheiden, die für die zu erwartende Disziplinarmaßnahme voraussichtlich nicht ins Gewicht fallen (BTDrucks 14/4659 S. 40 und S. 49). Das Disziplinarverfahren soll von überflüssigem Ballast befreit werden können, muss aber weiterhin die gebotene Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Beamten (vgl. § 13 BDG) ohne Abstriche ermöglichen.
Das Verwaltungsgericht hat das gerichtliche Disziplinarverfahren nicht auf den von ihm geprüften Tatvorwurf beschränkt. Es hat weder § 56 BDG zitiert noch ausdrücklich eine Beschränkung ausgesprochen, sondern ausgeführt, dass eine abschließende Feststellung, ob der Beklagte in insgesamt 30 Fällen widerrechtlich Briefe geöffnet und hieraus insgesamt 210 € Bargeld entnommen habe, entbehrlich sei, weil er hinsichtlich des Fangbriefes zweifelsfrei überführt sei. Es hat nicht zuvor auf eine etwaige Absicht einer Beschränkung hingewiesen, wozu es im Hinblick auf die erforderliche Gewährung des rechtlichen Gehörs, Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO, verpflichtet gewesen wäre, wenn es denn hätte beschränken wollen.
Im Übrigen kann nicht zweifelhaft sein, dass die Nichtbehandlung von 29 von 30 Tatvorwürfen von § 56 Satz 1 BDG nicht gedeckt gewesen wäre. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, der als erwiesen erachtete Tatvorwurf gebiete die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, ist im Rahmen des § 56 Satz 1 BDG unbeachtlich. Dies folgt daraus, dass eine abweichende Gesamtwürdigung des vom Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalts, in Ansehung der Persönlichkeit des Beklagten, jedenfalls ernsthaft in Betracht kam.
4. Schließlich liegt auch der geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 69 BDG wegen Verstoßes gegen § 86 Abs. 1 VwGO, § 3 BDG nicht vor.
Der Beklagte rügt als Verfahrensmangel, dass es das Oberverwaltungsgericht unterlassen habe, den Kammervorsitzenden des Verwaltungsgerichts dazu anzuhören, ob das Verwaltungsgericht das Disziplinarverfahren beschränkt hat; deshalb sei das Oberverwaltungsgericht zu dem unzutreffenden Ergebnis gekommen, dass das Verwaltungsgericht keine Beschränkung des Disziplinarverfahrens vorgenommen habe. Damit kann er ersichtlich nicht durchdringen. Eine derartige Anhörung hätte nichts zur Entscheidungsfindung beitragen können. Die Frage, ob das Verwaltungsgericht eine Beschränkung nach § 56 Satz 1 BDG vorgenommen hat, ist ausschließlich aufgrund der gerichtlichen Entscheidungen zu beantworten. Ein mitwirkender Richter kann nicht im Nachhinein erläutern, welche Entscheidungen das Gericht getroffen hat bzw. welchen Inhalt sie haben.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019686
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BVerwG
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3. Senat
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20130530
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3 C 18/12
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Urteil
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§ 11 Abs 8 FeV, § 46 Abs 1 FeV, § 46 Abs 5 FeV, § 3 StVG, Art 1 Abs 2 EWGRL 439/91, Art 7 Abs 1 Buchst b EWGRL 439/91, Art 9 Abs 1 EWGRL 439/91, Art 8 Abs 2 EWGRL 439/91, Art 8 Abs 4 EWGRL 439/91
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vorgehend Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 14. März 2012, Az: 3 L 56/09, Urteil vorgehend VG Magdeburg, 19. Januar 2009, Az: 1 A 88/08 MD, Urteil
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DEU
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Anerkennung einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis; unionsrechtliche Wohnsitzvoraussetzung; unbestreitbare Information; Aufenthaltsbescheinigung
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Die in einem anderen EU-Mitgliedstaat erteilte Fahrerlaubnis muss in Deutschland nicht anerkannt werden, wenn sich aus einer aus dem Ausstellermitgliedstaat beigebrachten Aufenthaltsbescheinigung unbestreitbar ergibt, dass der Inhaber dieser Fahrerlaubnis dort zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis nicht seinen ordentlichen Wohnsitz hatte.
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Die Klägerin wendet sich gegen die Aberkennung des Rechts, von einer in Polen erworbenen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen.
Der Klägerin wurde im Juni 2000 ihre deutsche Fahrerlaubnis entzogen, da sie der Anordnung nicht nachgekommen war, an einem Aufbauseminar für wiederholt im Straßenverkehr auffällig gewordene Kraftfahrer teilzunehmen. Sie wurde in den folgenden Jahren mehrfach wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt.
Im September 2004 legte die Klägerin der Fahrerlaubnisbehörde in Gütersloh eine am 4. August 2004 vom Landkreis Jeleniogorski erteilte polnische Fahrerlaubnis der Klasse B vor; im Führerschein ist ein Wohnsitz in Polen angegeben. Die Klägerin wurde daraufhin vom Kreis Gütersloh mit Schreiben vom 20. April 2005 unter Hinweis auf die wiederholten Verkehrsverstöße in den Jahren 2000 bis 2002 aufgefordert, ein Fahreignungsgutachten vorzulegen. Aufgrund des Umzugs der Klägerin nach Magdeburg wurden ihre Fahrerlaubnisunterlagen im Mai 2005 an die Beklagte weitergeleitet.
Mit Bescheid vom 24. März 2006 erkannte die Beklagte der Klägerin das Recht ab, von ihrer polnischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen. Sie habe das angeforderte Gutachten nicht fristgerecht vorgelegt. Außerdem forderte die Beklagte die Klägerin auf, den polnischen Führerschein zur Eintragung der Aberkennung vorzulegen; sie ordnete die sofortige Vollziehung der Verfügung an und drohte für den Fall der nicht fristgerechten Vorlage des Führerscheins ein Zwangsgeld an. Der Widerspruch gegen diesen Bescheid blieb erfolglos.
Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid vom 24. März 2006 aufgehoben, soweit der Klägerin die Vorlage des Führerscheins aufgegeben und ihr ein Zwangsgeld angedroht wurde. Die Beklagte sei örtlich nicht zuständig gewesen, da die Klägerin zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides an ihren Prozessbevollmächtigten ihren Wohnsitz wieder in Gütersloh gehabt habe. Das führe zur Rechtswidrigkeit der Aufforderung zur Vorlage des Führerscheins sowie der Zwangsgeldandrohung, da es sich hierbei nicht um gebundene Entscheidungen handele. Anders liege es bei der auf § 11 Abs. 8 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) gestützten Aberkennungsentscheidung; insofern sei die örtliche Unzuständigkeit gemäß § 1 VwVfG LSA i.V.m. § 46 VwVfG unbeachtlich.
Mit Schreiben vom 27. März 2009 hat das Kraftfahrt-Bundesamt der Beklagten eine am 9. Juni 2004 ausgestellte Bescheinigung der Verwaltung in Jelenia Góra über einen Aufenthalt der Klägerin in Polen in der Zeit vom 9. Juni 2004 bis zum 8. September 2004 übersandt. Dem Berufungsgericht sind außerdem Auskünfte von Interpol Warschau, dem Gemeinsamen Zentrum der deutsch-polnischen Polizei- und Zollzusammenarbeit sowie eine weitere Bescheinigung der Kreisverwaltung in Jelenia Góra vorgelegt worden.
Das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt hat das erstinstanzliche Urteil geändert und den angegriffenen Bescheid auch hinsichtlich der Aberkennungsentscheidung aufgehoben. Die zulässige Klage sei auch insofern begründet. Zwar hätten die innerstaatlichen Voraussetzungen für eine Aberkennung des Rechts vorgelegen, von der polnischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen; die Beklagte habe gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung der Klägerin schließen dürfen. Doch widerspreche die Aberkennung dem unionsrechtlichen Anerkennungsgrundsatz. Ein Zugriffsrecht bestehe danach dann, wenn der ausländische Führerschein unter Missachtung des Wohnsitzerfordernisses ausgestellt worden sei und dieser Verstoß aufgrund von Angaben im Führerschein selbst oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststehe. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor. Als Nachweis für einen Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis komme nur die Bescheinigung aus Jelenia Góra in Betracht, wonach die Klägerin vom 9. Juni 2004 bis zum 8. September 2004 unter der im Führerschein genannten Adresse in Polen gemeldet gewesen sei. Dass die Klägerin nach dieser Bescheinigung dort nur drei Monate gemeldet gewesen und der Führerschein nur knapp zwei Monate nach Beginn dieses Zeitraums ausgestellt worden sei, sei zwar ein Indiz dafür, dass die Klägerin am 4. August 2004 ihren ordentlichen Wohnsitz nicht in Polen gehabt habe, sondern sich dort nur zum Erwerb einer Fahrerlaubnis angemeldet habe. Doch werde damit das Fehlen eines ordentlichen Wohnsitzes in Polen nicht in unbestreitbarer Weise belegt. Art. 9 der Richtlinie 91/439/EWG sei nicht so zu verstehen, dass ein ordentlicher Wohnsitz im Sinne dieser Regelung erst dann bestehe, wenn eine Person bereits 185 Tage an dem betreffenden Ort gewohnt habe. Hiergegen spreche bereits der Wortlaut der Regelung. Das Merkmal "gewöhnlich" werde dahin konkretisiert, dass sich der Betroffene an mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr an dem Ort in einer Weise aufhalten müsse, die als Wohnen bezeichnet werden könne. Das setze nicht zwingend voraus, dass die 185 Tage zum Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung bereits verstrichen seien. Lasse sich eine Person an einem Ort, an dem sie über die erforderlichen Bindungen verfüge, in einer Weise nieder, die es als gesichert erscheinen lasse, dass sie dort während des Kalenderjahres an 185 Tagen wohnen werde, sei davon auszugehen, dass sie schon mit dem Beginn der Aufenthaltsnahme dort einen ordentlichen Wohnsitz begründet haben könne.
Die Auffassung der Beklagten führe dazu, dass ein Mitgliedstaat einem Zugezogenen erst nach 185 Tagen eine Fahrerlaubnis erteilen dürfe, auch wenn dessen Bindungen bereits am Tag der Aufenthaltsnahme zweifelsfrei im Zuzugsstaat lägen. Das sei mit dem Grundsatz der Freizügigkeit der Unionsbürger nicht vereinbar. Es könne nicht als unbestreitbar gesichert gelten, dass der Zeitpunkt der behördlichen Anmeldung einer Person mit dem Tag identisch sei, an dem sie dort einen ordentlichen Wohnsitz im Sinne von Art. 9 der Führerscheinrichtlinie begründet habe. Der Richtliniengeber habe für die Definition des "ordentlichen" Wohnsitzes nicht auf die melderechtlichen Bestimmungen verwiesen. Die von der Verwaltung von Jelenia Góra stammenden Informationen seien daher allenfalls ein Indiz dafür, dass sich die Klägerin dort nicht 185 Tage aufgehalten habe. Diese Information sei aber nicht unbestreitbar. Möglich sei nämlich auch, dass sich die Klägerin unter Verstoß gegen die melderechtlichen Vorschriften in Polen aufgehalten habe.
Zur Begründung ihrer Revision macht die Beklagte geltend: Das Berufungsgericht lege Art. 9 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/439/EWG unzutreffend aus. Diese Regelungen seien so zu verstehen, dass der Betroffene seinen Wohnsitz bereits seit mindestens 185 Tagen im Ausstellermitgliedstaat gehabt haben müsse, damit ihm dort eine Fahrerlaubnis erteilt werden dürfe.
Die Klägerin tritt der Revision entgegen. Es gebe keine unbestreitbaren Informationen aus dem Ausstellermitgliedstaat, dass sie zum Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung ihren ordentlichen Wohnsitz nicht in Polen gehabt habe. Aus der Meldebescheinigung könne ein solcher Schluss nicht gezogen werden, weil Art. 9 der Richtlinie 91/439/EWG das Vorliegen eines ordentlichen Wohnsitzes nicht von den melderechtlichen Bestimmungen abhängig mache. Es sei davon auszugehen, dass die polnische Fahrerlaubnisbehörde die Einhaltung des Wohnsitzerfordernisses überprüft habe.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hält das Urteil des Berufungsgerichts für unzutreffend. Er ist in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung der Auffassung, Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG setze für einen ordentlichen Wohnsitz im Ausstellermitgliedstaat voraus, dass der Betroffene dort schon vor der Erteilung der Fahrerlaubnis an mindestens 185 Tagen gewohnt habe.
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Die Revision der Beklagten ist begründet; sie führt zur Änderung des Berufungsurteils und zur Zurückweisung der Berufung der Klägerin. Die Annahme des Berufungsgerichts, es verletze den unionsrechtlichen Anerkennungsgrundsatz, wenn der Klägerin das Recht aberkannt werde, von ihrer polnischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, ist unzutreffend (§ 137 Abs. 1 VwGO). Diese Auffassung beruht auf einem fehlerhaften Verständnis des Erfordernisses der Unbestreitbarkeit der aus dem Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen, aus denen sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ein Verstoß gegen das unionsrechtliche Wohnsitzerfordernis ergeben muss.
Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Aberkennung des Rechts, von der polnischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung, hier also des Widerspruchbescheids vom 20 Februar 2008 (stRspr; vgl. u.a. Urteil vom 25. Februar 2010 - BVerwG 3 C 15.09 - BVerwGE 136, 149 Rn. 10 m.w.N).
Zugrunde zu legen sind danach das Straßenverkehrsgesetz (StVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 2003 (BGBl I S. 310, ber. S. 919), bis dahin zuletzt geändert durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes und anderer versicherungsrechtlicher Vorschriften vom 10. Dezember 2007 (BGBl I S. 2833) und die Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) vom 18. August 1998 (BGBl I S. 2214), bis dahin zuletzt geändert durch das Gesetz zur Einführung eines Alkoholverbots für Fahranfänger und Fahranfängerinnen vom 29. Juli 2007 (BGBl I S. 1460). Der unionsrechtliche Maßstab ergibt sich aus der Richtlinie des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein 91/439/EWG (ABl EG L Nr. 237 S.1). Dagegen ist die sog. 3. EU-Führerscheinrichtlinie, die Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (ABl EU L Nr. 403 S. 18) nicht anwendbar. Das gilt unabhängig davon, ob - wie bislang vom erkennenden Senat - auf den Zeitpunkt der Erteilung der ausländischen EU-Fahrerlaubnis abgestellt wird, der hier lange vor dem in Art. 18 der Richtlinie 2006/126/EG genannten 19. Januar 2009 liegt, oder aber - wie vom Gerichtshof der Europäischen Union (vgl. etwa Urteil vom 26. April 2012 - Rs. C-419/10, Hofmann - NJW 2012, 1935 Rn. 34 f.) - auf den Zeitpunkt der von der Fahrerlaubnisbehörde ergriffenen Maßnahmen.
1. Das Berufungsgericht nimmt ohne Verstoß gegen Bundesrecht an, dass die innerstaatlichen Voraussetzungen des § 3 StVG sowie von § 46 Abs. 1 und 5 i.V.m. § 11 Abs. 8 FeV für die Aberkennung des Rechts der Klägerin, von ihrer polnischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, erfüllt waren. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die insoweit zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz Bezug.
2. Die Gutachtensanforderung und die auf die Nichtbeibringung dieses Gutachtens gestützte Aberkennungsentscheidung stehen - entgegen der Annahme des Berufungsgerichts - darüber hinaus auch mit dem Unionsrecht, namentlich dem Grundsatz der Anerkennung ausländischer EU-Fahrerlaubnisse, in Einklang.
Zwar knüpfen die Eignungszweifel, die zur Gutachtensanforderung geführt haben, ausschließlich an ein Verhalten der Klägerin an, das zeitlich vor der Erteilung ihrer polnischen Fahrerlaubnis am 4. August 2004 lag (zum Erfordernis eines zumindest partiellen Bezugs zu einem nach der Fahrerlaubniserteilung liegenden Verhalten: EuGH, Beschluss vom 2. Dezember 2010 - Rs. C-334/09, Scheffler - NJW 2011, 587 Rn. 76). Das führt hier aber deshalb nicht zur Unionsrechtswidrigkeit der Gutachtensanforderung und der daran anknüpfenden Aberkennungsentscheidung, weil die polnische Fahrerlaubnis der Klägerin nicht anerkannt werden muss.
a) Nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG werden die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine gegenseitig anerkannt. Dabei regelt das Unionsrecht selbst zugleich die Mindestvoraussetzungen, die für die Erteilung einer Fahrerlaubnis erfüllt sein müssen. So muss nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 91/439/EWG die Fahreignung durch das Bestehen einer Prüfung nachgewiesen werden, außerdem hängt die Ausstellung des Führerscheins gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. b vom Vorhandensein eines ordentlichen Wohnsitzes im Ausstellermitgliedstaat ab. Als ordentlicher Wohnsitz im Sinne dieser Richtlinie gilt nach deren Art. 9 der Ort, an dem ein Führerscheininhaber wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder - im Falle eines Führerscheininhabers ohne berufliche Bindungen - wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen dem Führerscheininhaber und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d.h. während mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr, wohnt.
Es ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union Aufgabe des Ausstellermitgliedstaates zu prüfen, ob die im Unionsrecht aufgestellten Mindestvoraussetzungen, insbesondere diejenigen hinsichtlich des Wohnsitzes und der Fahreignung, erfüllt sind und ob somit die Erteilung einer Fahrerlaubnis gerechtfertigt ist. Wenn die Behörden eines Mitgliedstaates einen Führerschein gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG ausgestellt haben, sind die anderen Mitgliedstaaten nicht befugt, die Beachtung der in dieser Richtlinie aufgestellten Ausstellungsvoraussetzungen zu prüfen. Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ist als Nachweis dafür anzusehen, dass der Inhaber des Führerscheins am Tag der Erteilung diese Voraussetzungen erfüllte (stRspr; vgl. EuGH, Beschluss vom 9. Juli 2009 - Rs. C-445/08, Wierer - NJW 2010, 217 Rn. 39 f.; Urteile vom 19. Februar 2009 - Rs. C-321/07, Schwarz - Slg. 2009, I-1113 Rn. 76 f., vom 26. Juni 2008 - Rs. C-329/06 und C-343/06, Wiedemann u.a. - Slg. 2008, I-4635 = NJW 2008, 2403 Rn. 52 f. und - Rs. C-334/06 bis C-336/06, Zerche u.a. - Slg. 2008, I-4691 Rn. 49 f., unter Bezugnahme auf die Beschlüsse vom 6. April 2006 - Rs. C-227/05, Halbritter - Slg. 2006, I-49 Rn. 34 und vom 28. September 2006 - Rs. C-340/05, Kremer - Slg. 2006, I-98 Rn. 27). Dementsprechend sind die Befugnisse der Mitgliedstaaten nach Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG eingeschränkt. Die genannten Vorschriften sind - wie der Gerichtshof der Europäischen Union mehrfach entschieden hat - als Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz der Anerkennung der Führerscheine eng auszulegen.
b) Ein Zugriffsrecht des Aufnahmemitgliedstaats - und damit hier die Befugnis der deutschen Fahrerlaubnisbehörde, von der Klägerin trotz der inzwischen erfolgten Fahrerlaubniserteilung in Polen gestützt allein auf zeitlich davor liegende Vorfälle die Vorlage eines Fahreignungsgutachtens anzufordern - besteht jedoch dann, wenn der neue Führerschein unter Missachtung der in der Richtlinie aufgestellten Wohnsitzvoraussetzung ausgestellt worden ist. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union verwehren es Art. 1 Abs. 2, 7 Abs. 1 sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG einem Mitgliedstaat nicht, es abzulehnen, in seinem Hoheitsgebiet die Fahrberechtigung anzuerkennen, die sich aus einem von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt, wenn auf der Grundlage von Angaben in diesem Führerschein oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins sein Inhaber seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaates hatte. Die Aufzählung der vom Europäischen Gerichtshof als zulässig angesehenen Erkenntnisquellen ist abschließend. Zur Begründung verweist der Gerichtshof auf den Beitrag, den die Wohnsitzvoraussetzung zur Bekämpfung des Führerscheintourismus zu leisten habe, nachdem eine vollständige Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Regelungen zu den Voraussetzungen für die Fahrerlaubniserteilung bislang fehle. Zudem sei diese Voraussetzung unerlässlich, um die Kraftfahreignung zu überprüfen. Auch im Hinblick auf Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 91/439/EWG, wonach jede Person nur Inhaber eines einzigen von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins sein kann, komme der Wohnsitzvoraussetzung, nach der sich der Ausstellermitgliedstaat bestimme, eine besondere Bedeutung im Verhältnis zu den übrigen in der Richtlinie aufgestellten Voraussetzungen zu (EuGH, stRspr seit den Urteilen vom 26. Juni 2008 - Rs. C-329/06 und C-343/06, Wiedemann u.a. - a.a.O. Rn. 68 ff. sowie - Rs. C-334/06 bis C-336/06, Zerche u.a. - a.a.O. Rn. 65 ff.).
Zugleich geht der Gerichtshof davon aus, dass es Sache des nationalen Gerichts sei zu prüfen, ob die verwendeten Informationen als aus dem Ausstellermitgliedstaat herrührende Informationen eingestuft werden können. Das nationale Gericht müsse die genannten Informationen gegebenenfalls auch bewerten und beurteilen, ob es sich um unbestreitbare Informationen handelt, die beweisen, dass der Inhaber des Führerscheins zu dem Zeitpunkt, als er ihn erhielt, seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaates hatte. Das nationale Gericht könne im Rahmen seiner Beurteilung der ihm vorliegenden, vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen alle Umstände des bei ihm anhängigen Verfahrens berücksichtigen. Es könne insbesondere den etwaigen Umstand berücksichtigen, dass diese Informationen darauf hinwiesen, dass sich der Inhaber des Führerscheins im Gebiet dieses Staates nur für ganz kurze Zeit aufgehalten und dort einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck errichtet habe, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Mitgliedstaat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen (EuGH, Urteil vom 1. März 2012 - Rs. C-467/10, Akyüz - NJW 2012, 1341 Rn. 74 f.; ebenso - zusammenfassend - Urteil vom 26. April 2012, Wierer a.a.O. Rn. 20).
c) Danach durfte die Beklagte der polnischen Fahrerlaubnis der Klägerin die Anerkennung versagen.
Offen bleiben kann, ob die in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG genannten 185 Tage bei der Erteilung der ausländischen EU-Fahrerlaubnis - wie die Beklagte und der Vertreter des Bundesinteresses in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung annehmen - bereits verstrichen sein müssen, damit ein ordentlicher Wohnsitz im Sinne dieser Regelung besteht, oder aber ob - wie das Berufungsgericht meint - davon auszugehen ist, dass ein ordentlicher Wohnsitz bereits mit dem Zeitpunkt der Aufenthaltsnahme begründet werden kann, wenn sich eine Person an einem Ort, an dem sie über persönliche und gegebenenfalls zusätzlich über berufliche Bindungen verfügt, in einer Weise niederlässt, die es als gesichert erscheinen lässt, dass sie dort während des Kalenderjahrs an 185 Tagen wohnen wird. Selbst wenn man der weniger strengen Auffassung des Berufungsgerichts folgte, lässt sich hier aus vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen entnehmen, dass das unionsrechtliche Wohnsitzerfordernis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Erteilung der polnischen Fahrerlaubnis an die Klägerin nicht erfüllt war.
Bei der von der Verwaltung in Jelenia Góra erteilten Bescheinigung über einen Aufenthalt der Klägerin in Polen vom 9. Juni 2004 bis zum 8. September 2004 handelt es sich um eine aus dem Ausstellermitgliedstaat stammende Information. Diese Information ist, auch wenn sie erst während des gerichtlichen Verfahrens im Ausstellermitgliedstaat eingeholt wurde, sowohl nach dem Unionsrecht als auch nach dem innerstaatlichen deutschen Recht für die Entscheidung über die Anerkennung der ausländischen EU-Fahrerlaubnis verwertbar (EuGH, Beschluss vom 9. Juli 2009, Wierer a.a.O. Rn. 58 sowie BVerwG, Urteil vom 25. Februar 2010 a.a.O. Rn. 19 ff.). Für eine Nachfrage im Ausstellermitgliedstaat bestand hinreichend Anlass, nachdem die Klägerin trotz der nachvollziehbaren Zweifel an der Erfüllung des Wohnsitzerfordernisses auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren keine näheren Angaben zu Beginn und Ende sowie den näheren Umständen ihres Aufenthalts in Polen, insbesondere zu den Bindungen, die zum im Führerschein angegebenen Wohnort bestanden, gemacht hat.
Die in der Aufenthaltsbescheinigung angegebene Aufenthaltsdauer enthält - würdigt man diese Mitteilung anhand der sonstigen Umstände des anhängigen Verfahrens - unbestreitbare Informationen im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, aus denen entnommen werden darf, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung am 4. August 2004 ihren ordentlichen Wohnsitz nicht in Polen hatte.
Die Bewertung, inwieweit aus dem Ausstellermitgliedstaat herrührende Informationen unbestreitbar sind, weist der Gerichtshof der Europäischen Union - wie bereits gezeigt - den nationalen Gerichten zu (vgl. u.a. Beschluss vom 9. Juli 2009, Wierer a.a.O. Rn. 60; ebenso Urteil vom 1. März 2012, Akyüz a.a.O. Rn. 74). Dabei handelt es sich in erster Linie um eine vom Tatsachengericht vorzunehmende Würdigung dieser Informationen auf ihre Aussagekraft und Verlässlichkeit, was die Erfüllung des Wohnsitzerfordernisses angeht. An solche tatsächlichen Feststellungen ist das Revisionsgericht grundsätzlich gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO). Anders liegt es, wenn das Berufungsgericht den für diese Würdigung maßgeblichen rechtlichen Rahmen verfehlt.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Meldebescheinigung aus Jelenia Góra könne deshalb nicht als unbestreitbare Information über die Nichteinhaltung des Wohnsitzerfordernisses angesehen werden, weil nicht als gesichert gelten könne, dass der Zeitpunkt der behördlichen Anmeldung einer Person an einem Ort mit dem Tag identisch sei, an dem sie dort einen ordentlichen Wohnsitz im Sinne von Art. 9 der Richtlinie 91/439/EWG begründet habe. Die darauf aufbauenden Schlussfolgerungen in Bezug auf die Erfüllung der Wohnsitzvoraussetzung durch die Klägerin halten der revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.
Zwar mag es durchaus Fälle geben, in denen eine Person den Schwerpunkt ihrer persönlichen und beruflichen Interessen bereits in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, den formalen Akt einer nach dem Melderecht des neuen Aufenthaltstaates vorgesehenen behördlichen Anmeldung aber noch nicht vorgenommen hat. Genauso vorstellbar ist freilich umgekehrt auch der Ablauf, dass bei der Meldebehörde zwar formal eine Anmeldung erfolgt ist, der Betroffene dort aber entweder von vornherein nur einen Scheinwohnsitz zur Erlangung einer Fahrerlaubnis begründet hat oder aber nach der Anmeldung zum maßgeblichen Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung seinen tatsächlichen Aufenthalt schon wieder an einen anderen Ort verlegt hat, ohne sich bei der zuständigen Meldebehörde abzumelden. Gegenüber solchen theoretisch in Betracht kommenden Abläufen muss indes grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der Betroffene seinen melderechtlichen Verpflichtungen, soweit solche im Ausstellermitgliedstaat bestehen, nachkommt und dass insofern eine von den Behörden des Ausstellermitgliedstaates auf dieser Grundlage erteilte Aufenthaltsbescheinigung seinen Aufenthaltsstatus zutreffend wiedergibt. Diesem Ansatz folgt auch der Gerichtshof der Europäischen Union. So heißt es in seinem Beschluss vom 9. Juli 2009 in der Rechtssache Wierer, es sei nicht ausgeschlossen, dass die bei den Einwohnermeldebehörden des Ausstellermitgliedstaats erlangten Informationen als solche - also aus dem Ausstellermitgliedstaat stammende unbestreitbare - Informationen angesehen werden können (a.a.O. Rn. 61).
Ausgehend davon erweist es sich als rechtlich fehlerhaft, dass das Berufungsgericht die in der Aufenthaltsbescheinigung dokumentierte Aufenthaltsdauer, die mit nur 92 Tagen für die Annahme eines ordentlichen Wohnsitzes im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG nicht ausreicht, allein deshalb nicht für eine unbestreitbare Information hält, weil es auch möglich sei, dass sich die Klägerin unter Verstoß gegen die dortigen melderechtlichen Vorschriften länger in Polen aufgehalten habe. Dem liegt ein unzutreffendes Verständnis des Erfordernisses der Unbestreitbarkeit einer aus dem Ausstellermitgliedstaat stammenden Information zugrunde. Die bloße Möglichkeit eines weiteren trotz bestehender Meldepflicht nicht angemeldeten Aufenthalts im Ausstellermitgliedstaat genügt nicht, um die von einer Meldebescheinigung ausgehende Indizwirkung in Bezug auf die Aufenthaltsdauer in Zweifel zu ziehen.
Hier wurde der Klägerin von der Verwaltung in Jelenia Góra unter dem 9. Juni 2004 lediglich bescheinigt, dass sie vom 9. Juni 2004 bis zum 8. September 2004 einen vorläufigen Aufenthalt in Polen nimmt, oder - genau genommen - zu nehmen beabsichtigt, da diese Bescheinigung am ersten Tag des in der Bescheinigung angegebenen Zeitraums und nicht etwa im Nachhinein ausgestellt wurde. Die Feststellung des Berufungsgerichts, die Bescheinigung datiere vom 17. März 2009, ist aktenwidrig und daher in der Revision nicht bindend. Von diesem Tag stammt lediglich die auf der vorgelegten Bescheinigung angebrachte Bestätigung, dass die Bescheinigung mit dem Original übereinstimme. Darauf wurden die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hingewiesen; sie haben dem nicht widersprochen. Wird in einer von einer Behörde des Ausstellermitgliedstaates herrührenden Aufenthaltsbescheinigung aber nicht nur eine kürzere als die nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG erforderliche Aufenthaltsdauer ausgewiesen, sondern darüber hinaus nur ein von vornherein als vorübergehend beabsichtigter Aufenthalt, liegt es auf der Hand, dass die durch den Führerschein des Ausstellermitgliedstaates begründete Annahme, das Wohnsitzerfordernis sei zum Ausstellungszeitpunkt erfüllt gewesen, erschüttert ist, mit anderen Worten: unter solchen Voraussetzungen kann allein damit, dass der Betroffene einen Führerschein unter Eintragung eines Wohnsitzes im Ausstellermitgliedstaat erhalten hat, nicht mehr der Nachweis geführt werden, dass das unionsrechtliche Wohnsitzerfordernis erfüllt war. Vielmehr obliegt es dem Fahrerlaubnisinhaber, beharrt er trotz der das Gegenteil ausweisenden Aufenthaltsbescheinigung darauf, das Wohnsitzerfordernis eingehalten zu haben, substantiierte und verifizierbare Angaben zu Beginn und Ende seines Aufenthalts im Ausstellermitgliedstaat im Zusammenhang mit der Fahrerlaubniserteilung sowie zu den persönlichen und beruflichen Bindungen zu machen, die im maßgeblichen Zeitraum zu dem im Führerschein angegebenen Wohnort bestanden. Seine Angaben sind für die Beurteilung der Unbestreitbarkeit der aus dem Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen auch verwertbar. Der Europäische Gerichtshof geht - wie gezeigt - in mittlerweile gefestigter Rechtsprechung davon aus, dass das nationale Gericht im Rahmen der ihm obliegenden Beurteilung der aus dem Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen alle Umstände des bei ihm anhängigen Verfahrens berücksichtigen kann, also durchaus auch den Wahrheitsgehalt divergierender Informationen aus dem Ausstellermitgliedstaat ermitteln und würdigen darf.
Substantiierte Angaben zu ihrem Aufenthalt in Polen im Jahr 2004 hat die Klägerin jedoch weder im Verwaltungs- noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gemacht, obwohl die in Rede stehende Aufenthaltsbescheinigung dem Berufungsgericht schon im April 2009 zugegangen war und die Beklagte bereits im Berufungszulassungsverfahren und ebenso im anschließenden Berufungsverfahren geltend gemacht hat, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung ihren ordentlichen Wohnsitz nicht in Polen gehabt habe.
Nachdem der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat keine konkreten Anhaltspunkte für einen längeren Aufenthalt der Klägerin in Polen und - damit verbunden - zumindest Anknüpfungspunkte für eine weitere Sachverhaltsaufklärung vorgetragen hat, war für eine Zurückverweisung an das Berufungsgericht zur weiteren Verhandlung und Entscheidung kein Raum. Im Berufungsverfahren waren über Interpol Warschau und das Gemeinsame Zentrum der deutsch-polnischen Polizei- und Zollzusammenarbeit bereits ergänzende Auskünfte aus Polen eingeholt worden; sie haben nach der insoweit nicht zu beanstandenden Würdigung durch das Berufungsgericht indes keinen weiteren Aufschluss zur Frage des Wohnsitzes der Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung erbracht. Soweit es ein Beteiligter unterlässt, zur Klärung der ihn betreffenden, insbesondere der für ihn günstigen Tatsachen beizutragen, gebietet es auch der Amtsermittlungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO nicht, allen auch nur denkbaren Möglichkeiten nachzugehen.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019687
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BVerwG
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9. Senat
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20130503
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9 A 16/12
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Urteil
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§ 17a FStrG, § 73 VwVfG, Art 6 Abs 3 FFHRL, Art 6 Abs 4 FFHRL, § 64 Abs 2 BNatSchG, § 34 BNatSchG, § 32 BNatSchG, § 44 BNatSchG, § 13 BNatSchG, § 15 BNatSchG, § 3 Abs 2 VerkPBG
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DEU
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Klage einer Naturschutzvereinigung gegen Teilabschnitt der A 14; Einwendungsfrist; Begriff "Ökostern"; Umsetzungszeitpunkt für Schutz- und Ausgleichsmaßnahmen
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1. In Fällen unterschiedlich laufender Auslegungsfristen im Sinne des § 73 Abs. 4 Satz 1 VwVfG steht es einer anerkannten Naturschutzvereinigung frei, die ausgelegten Unterlagen in der Gemeinde einzusehen, die sie zuerst auslegt, und für die Abgabe der Einwendung die zuletzt auslaufende Frist zu nutzen.
2. Der durch einen sogenannten "Ökostern" im Bedarfsplan für die Bundesautobahn kenntlich gemachte besondere naturschutzfachliche Planungsauftrag bedeutet nicht mehr als einen Hinweis des bedarfsfeststellenden Gesetzgebers an die weiteren Ebenen der Planung, dass bei den gekennzeichneten Vorhaben eine erhöhte naturschutzfachliche Problematik besteht, die jedoch im Rahmen der normalen Vorhabenplanung abzuarbeiten ist.
3. Einer genauen zeitlichen Festlegung des Umsetzungszeitpunkts für artenschutzrechtliche Schutz- und Ausgleichsmaßnahmen im Planfeststellungsbeschluss bedarf es dann nicht, wenn auf andere Weise die vollständige Umsetzung und Funktionalität der Maßnahmen vor dem Eingriff sichergestellt ist.
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Der Kläger, ein im Land Brandenburg anerkannter Naturschutzverein, wendet sich gegen den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten vom 30. März 2012 für den Neubau der Bundesautobahn A 14 Magdeburg - Schwerin im Teilabschnitt Anschlussstelle Karstädt bis zur Landesgrenze Brandenburg/Mecklenburg-Vorpommern (Verkehrskosteneinheit 1155 - VKE 1155).
Die neue Autobahn soll eine Lücke im Autobahnnetz zwischen der A 2 beim Autobahnkreuz Magdeburg und der A 24 bei Schwerin schließen. Das rund 155 km lange Gesamtvorhaben führt durch die Bundesländer Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Es beginnt nordwestlich von Magdeburg, verläuft in nördlicher Richtung - u.a. westlich von Stendal und Wittenberge - und endet am Autobahndreieck Schwerin (A 24) südlich von Schwerin. Im Fernstraßenbedarfsplan 2004 ist die A 14 als vierstreifige Autobahn "mit besonderem naturschutzfachlichen Planungsauftrag" in die Kategorie "vordringlicher Bedarf" eingestuft.
Der hier in Rede stehende Abschnitt (VKE 1155) ist 12,626 km lang und soll im vierstreifigen Regelquerschnitt 28 (RQ 28) gebaut werden. Er nimmt die aus Richtung Süden kommende Trasse an der vorhandenen L 131 auf und schwenkt dann in nordwestliche Richtung. Nördlich der Ortschaft Karstädt quert die geplante Trasse auf einem 197 m langen Brückenbauwerk das FFH-Gebiet "Mittlere und Obere Löcknitz" (DE 2836-301) und verläuft ab der Löcknitzniederung auf einer Strecke von neun km in Parallellage zur bisherigen B 5 bis zur Landesgrenze mit Mecklenburg-Vorpommern bei Groß Warnow durch das westliche Teilgebiet des EU-Vogelschutzgebiets (SPA) "Agrarlandschaft Prignitz-Stepenitz" (DE 2738-421). Im Bereich der Anschlussstelle Karstädt reicht die vorgesehene Trasse bis auf etwa 120 m an das EU-Vogelschutzgebiet (SPA) "Unteres Elbtal" (DE 3036-401) heran. An den beiden Endpunkten des planfestgestellten Abschnitts führt die Trasse jeweils mehrere hundert Meter über die vorgesehenen Anschlussstellen hinaus.
Mit Schreiben vom 18. Dezember 2008 leitete der Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg als Vorhabenträger dem Landesamt für Bauen und Verkehr als Anhörungsbehörde den von ihm aufgestellten Plan zu und beantragte die Durchführung des Anhörungsverfahrens. Das Landesamt forderte die Behörden und Stellen, deren Aufgabenbereich durch das Vorhaben berührt wird, zur Stellungnahme auf und veranlasste, dass der Plan nach vorheriger ortsüblicher Bekanntmachung, in der auf die Einwendungsfrist und den Ausschluss verspäteter Einwendungen hingewiesen wurde, in der Gemeinde Karstädt, dem Amt Putlitz-Berge und dem Amt Grabow vom 11. Mai 2009 bis zum 10. Juni 2009 und in den Städten Perleberg und Neuruppin vom 25. Mai 2009 bis zum 24. Juni 2009 ausgelegt wurde. Den anerkannten Naturschutzverbänden in Brandenburg wurden von der Anhörungsbehörde über ihr Landesbüro die Planunterlagen am 21. April 2009 unter Hinweis auf die Auslegungen in den betroffenen Gemeinden in Kopie übersandt. Mit Schreiben vom 24. Juni 2009 kritisierte das Landesbüro, dass im Übergabeschreiben kein verbindlicher Abgabetermin für die Stellungnahme angegeben worden sei. Da in den Bekanntmachungen der betroffenen Gemeinden zum einen der 24. Juni 2009 und zum anderen der 8. Juli 2009 als Frist für die Abgabe von Einwendungen genannt werde, bestehe seitens der Verbände Unsicherheit, welche Einwendungsfrist gelte. Gleichzeitig wies das Landesbüro darauf hin, dass gegenüber dem Vorhaben unter dem Gesichtspunkt des Bedarfs, der Eingriffe in Natur und Landschaft und der damit verbundenen Vernichtung wertvoller Lebensräume bedrohter Pflanzen- und Tierarten sowie der drohenden Minderung der Lebensqualität für die Menschen der Region durch Verkehrslärm und Abgasbelästigung erhebliche Bedenken bestünden.
Mit Stellungnahme vom 5. Juli 2009, eingegangen bei der Anhörungsbehörde am 8. Juli 2009, wandte sich der Kläger umfassend gegen das Vorhaben und machte u.a. eine unzureichende Abarbeitung des naturschutzrechtlichen Planungsauftrags, eine fehlerhafte Bedarfsprognose, Trassenauswahl und Abschnittsbildung, eine unzureichende Berücksichtigung der Schutzgebiete und eine mangelhafte Untersuchung verschiedener Tierarten geltend.
In der Folgezeit brachte der Vorhabenträger aufgrund der eingegangenen Einwendungen und Stellungnahmen eine überarbeitete Deckblattfassung der Planunterlagen ein. Die Deckblätter betrafen im Wesentlichen Änderungen des Straßenquerschnittes und der Gradiente, die Anpassung der Planung an die Verkehrszahlen für das Prognosejahr 2025, die Überarbeitung des Entwässerungskonzeptes sowie daraus folgende Anpassungen hinsichtlich des Immissionsschutzes und der landschaftspflegerischen Begleitplanung. Die vorgenommenen Planänderungen führten insbesondere zu einer Verringerung des erforderlichen Flächenbedarfs und der Baukosten. Das Landesamt für Bauen und Verkehr führte daraufhin ein ergänzendes Anhörungsverfahren durch. Der Kläger machte von der ihm unter Hinweis auf den Ausschluss verspäteter Einwendungen eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme fristgerecht mit Schreiben vom 11. Mai 2011 unter weitgehender Wiederholung seines Vorbringens aus dem Schriftsatz vom 5. Juli 2009 Gebrauch.
Mit Beschluss vom 30. März 2012 stellte der Beklagte den Plan für den Neubau der A 14 im Abschnitt der VKE 1155 fest. Der Plan enthält zahlreiche Regelungen, die u.a. den Naturschutz, den Gewässerschutz und die Bauausführung betreffen. Zu den planfestgestellten Unterlagen gehören der landschaftspflegerische Begleitplan (LBP) und die Verträglichkeitsprüfung für das FFH-Gebiet und die Vogelschutzgebiete. Gestützt auf diese Unterlagen und die darin vorgesehenen Schutz-, Vermeidungs- und vorgezogenen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen stellt der Planfeststellungsbeschluss fest, dass die unmittelbar durch das planfestgestellte Vorhaben berührten Natura 2000-Gebiete nicht in ihren für die Erhaltung oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen erheblich beeinträchtigt werden. Die vom Kläger in seinem Schreiben vom 24. Juni 2009 erhobenen Einwendungen wies der Planfeststellungsbeschluss als unsubstantiiert zurück. Eine konkrete Auseinandersetzung mit den ausgelegten Unterlagen erfolge in diesem das Vorhaben lediglich pauschal kritisierenden Schreiben nicht. Die Einwendungen in der Stellungnahme vom 5. Juli 2009 wies der Beschluss als verfristet zurück. Der Kläger könne sich nicht darauf berufen, dass bei unterschiedlichen Äußerungsfristen lediglich das Versäumen der letzten Frist zur Präklusion führe. Bei Naturschutzvereinigungen komme es für den Fristbeginn auf die Auslegung in den Gemeinden an, die örtlich von dem Straßenbauvorhaben an sich betroffen seien und nicht nur von in Nebenbestimmungen getroffenen Entscheidungen, die sich örtlich vom Straßenbauvorhaben mehr oder weniger entfernen könnten. Vom Straßenbau betroffen sei allein das Gemeindegebiet der Gemeinde Karstädt. In den Gemeinden Perleberg und Neuruppin seien nur externe Kompensationsmaßnahmen vorgesehen, gegen die sich der Kläger in seiner Stellungnahme nicht gewandt habe. Auch die im Rahmen der Planänderung abgegebene Stellungnahme habe die einmal eingetretene Präklusion nicht wieder entfallen lassen können. Durch die Änderung sei im Wesentlichen der Straßenquerschnitt modifiziert worden; eine stärkere oder andersartige Belastung des Klägers sei nicht erkennbar.
Der Kläger hat am 7. Juni 2012 gegen den ihm am 7. Mai 2012 über das Landesbüro mit Empfangsbekenntnis zugestellten und mit Wirkung vom 7. Juni bzw. 8. Juni 2012 öffentlich bekannt gemachten Planfeststellungsbeschluss Klage erhoben, die er mit Schriftsatz vom 19. Juli 2012 begründet hat. Er ist der Auffassung, dass er mit seinen Einwendungen nicht präkludiert sei. Eine gesetzliche Regelung, die ihm aufgeben würde, bei mehreren offenen Einwendungsfristen diejenige zu wahren, die für die Gemeinde läuft, auf deren Gebiet das Vorhaben hauptsächlich realisiert werde, finde im Gesetz keine Stütze. Der im Bedarfsplan ausgewiesene besondere naturschutzrechtliche Planungsauftrag sei nicht abgearbeitet worden. Die Abschnittsbildung sei fehlerhaft, da für die über die Anschlussstellen hinausgehenden Straßenabschnitte am nördlichen und südlichen Ende der Vorhabentrasse keine rechtlich zulässige Verklammerung mit den jeweiligen Nachbarabschnitten vorgesehen sei. Das Vorhaben sei verkehrlich nicht zu rechtfertigen. Die der Planfeststellung zugrunde gelegte Verkehrsprognose weise zahlreiche methodische Mängel auf. Das Prognosegutachten beruhe außerdem auf vollkommen unrealistischen Annahmen hinsichtlich des zu erwartenden Verkehrsaufkommens. Deshalb sei auch die Variantenprüfung fehlerhaft. Die Belastungen für Natur und Landschaft hätten durch eine "Null-Plus-Variante" zum ganz überwiegenden Teil verhindert werden können. Die gegen das Vorhaben streitenden Naturschutzbelange seien in vielfacher Hinsicht fehlerhaft ermittelt und bewertet worden. Entgegen den Feststellungen in dem Planfeststellungsbeschluss sei von erheblichen Beeinträchtigungen des FFH-Gebiets "Mittlere und Obere Löcknitz" und der Vogelschutzgebiete "Unteres Elbtal" und "Agrarlandschaft Prignitz-Stepenitz" auszugehen. Die artenschutzrechtliche Untersuchung weise eine Vielzahl von Ermittlungs- und Prüfungsdefiziten auf; mehrere der vorgesehenen Querungshilfen entsprächen nicht den Vorgaben der einschlägigen Regelwerke.
Der Kläger beantragt,
den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten für den Neubau der Bundesautobahn A 14 im Teilabschnitt zwischen der Anschlussstelle Karstädt und der Landesgrenze Brandenburg/Mecklenburg-Vorpommern vom 30. März 2012 aufzuheben,
hilfsweise, den Planfeststellungsbeschluss für rechtswidrig und nicht vollziehbar zu erklären,
weiter hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, den Kläger hinsichtlich der von ihm geforderten Maßnahmen zum Schutz von Natur und Landschaft erneut zu bescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verteidigt den Planfeststellungsbeschluss.
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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der Planfeststellungsbeschluss in der Gestalt der in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Protokollerklärungen leidet an keinem Rechtsfehler, den der Kläger mit der Folge einer vollständigen oder teilweisen Aufhebung des Beschlusses oder der Feststellung seiner Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit geltend machen kann. Er verstößt nicht in einer diese Rechtsfolgen rechtfertigenden Weise gegen Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes, gegen Vorschriften, die aufgrund oder die im Rahmen dieses Gesetzes erlassen worden sind oder fortgelten, oder gegen andere Rechtsvorschriften, die bei Erlass der Entscheidung zu beachten waren und zumindest auch den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu dienen bestimmt sind (vgl. § 64 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG).
1. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der Kläger mit den in seiner Stellungnahme vom 5. Juli 2009 vorgebrachten Einwendungen nicht deswegen nach § 17a Nr. 7 FStrG ausgeschlossen, weil die Stellungnahme erst nach Ablauf der in der Gemeinde Karstädt geltenden Einwendungsfrist bei der Anhörungsbehörde eingegangen ist. Denn zur Fristwahrung genügte der Eingang des Schreibens innerhalb der in den Gemeinden Perleberg und Neuruppin geltenden Frist.
Die Frist, um Einwendungen gegen den Plan zu erheben, endet zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist (§ 17a Nr. 3 FStrG i.V.m. § 73 Abs. 4 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 VwVfGBbg). Sie wird nur in Lauf gesetzt, wenn auf die Rechtsfolgen der Fristversäumnis in der Bekanntmachung der Auslegung hingewiesen wird (§ 17a Nr. 7 FStrG). Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 VerkPBG, § 73 Abs. 1 und 5 Satz 1 VwVfG ist die Auslegung des Plans von den Gemeinden bekanntzugeben, in denen sich das Vorhaben voraussichtlich auswirkt. Welche Auslegung für den Fristbeginn maßgeblich ist, wenn sich das Vorhaben auf das Gebiet mehrerer Gemeinden auswirkt und es - wie hier - in den betroffenen Gemeinden zu zeitlich abweichenden Auslegungen kommt, ist gesetzlich nicht geregelt.
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit der Begründung, dass sich die Bekanntmachung nach § 73 Abs. 5 Satz 1 und 3 VwVfG bzw. § 3 Abs. 2 Satz 2 VerkPBG an die ortsansässigen Betroffenen richtet und für diese die Anstoßwirkung der Auslegung der Planunterlagen erreicht werden soll, entschieden, dass in Fällen abweichender Fristen die Auslegungsfrist im Sinne des § 73 Abs. 4 Satz 1 VwVfG gerade die konkrete Frist ist, die in der jeweiligen Gemeinde, in der der Betroffene ortsansässig ist oder in der sein Grundstück liegt, vorgesehen ist und durch Bekanntmachung ausgelöst wird. Ob in anderen Gemeinden eine zeitlich abweichende Bekanntmachung vorgenommen wurde, ist danach unerheblich (Gerichtsbescheid vom 16. März 1998 - BVerwG 4 A 31.97 - Buchholz 316 § 73 VwVfG Nr. 27 S. 35).
Diese Überlegungen lassen sich entgegen der vom Beklagten im Planfeststellungsbeschluss vertretenen Auffassung nicht auf Verbandsklagen anerkannter Naturschutzvereinigungen übertragen. Die Annahme der Planfeststellungsbehörde, dass sich die Einwendungsfrist nach der Auslegung in der Gemeinde richtet, auf deren Gebiet die von der Naturschutzvereinigung konkret mit Einwendungen angegriffene Maßnahme verwirklicht werden soll, vermag nicht zu überzeugen. Die danach entscheidende "Belegenheit der Einwendung" liefe darauf hinaus, die Bestimmung der Frist nicht von einfach festzustellenden äußeren Umständen, sondern vom Inhalt der Einwendung selbst abhängig zu machen. Damit würde wegen der nicht immer einfachen Beurteilung des räumlichen Bezugs einer Einwendung das mit der Einwendungspräklusion angestrebte Ziel verfehlt, dem Vorhabenträger Klarheit darüber zu verschaffen, mit welchem Sachvortrag er im gerichtlichen Verfahren zu rechnen hat. Hinzu kommt, dass, bezogen auf die Naturschutzvereinigung, jede Auslegungsbekanntmachung eine auf das gesamte Plangebiet bezogene Anstoßwirkung entfaltet, so dass es der Vereinigung mangels anderslautender gesetzlicher Regelungen frei steht, in welcher Gemeinde sie die ausgelegten Unterlagen einsieht. Zwar hat dies zur Folge, dass die Vereinigung bei mehreren Bekanntmachungen mit unterschiedlichem Fristbeginn die Einwendungsfrist faktisch dadurch verlängern kann, dass sie die Unterlagen in der Gemeinde einsieht, die sie zuerst auslegt und für die Abgabe der Einwendung die zuletzt auslaufende Frist nutzt. Die sich daraus ergebende Ungleichbehandlung zwischen Naturschutzvereinigungen und privaten Einwendern findet ihren sachlichen Grund jedoch darin, dass der Private regelmäßig nur Betroffener eines Bekanntmachungsgebietes ist, während die Naturschutzvereinigung in ihrer Eigenschaft als Sachwalterin der Natur in allen Bekanntmachungsgebieten "betroffen" ist. Nur insoweit es um dasselbe Bekanntmachungsgebiet geht, ist es aber ein Gebot der Gleichbehandlung, dass jedem Betroffenen derselbe Zeitraum zur Verfügung steht, um Einwendungen geltend zu machen (Gerichtsbescheid vom 16. März 1998 a.a.O.). Es ist daher Sache des Gesetzgebers, hier eine Änderung vorzunehmen, etwa indem die Einwendungsfrist nach der Gemeinde bestimmt wird, in der die Naturschutzvereinigung tatsächlich zuerst Einsicht in die Unterlagen genommen hat.
2. Die Planrechtfertigung für das planfestgestellte Vorhaben ist gegeben. Es kommt daher nicht darauf an, ob das Erfordernis der Planrechtfertigung auf die Klage einer anerkannten Naturschutzvereinigung hin trotz deren beschränkter Rügebefugnis (§ 64 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG) überhaupt zu prüfen ist (verneinend Beschluss vom 1. Juli 2003 - BVerwG 4 VR 1.03 - Buchholz 406.400 § 61 BNatSchG 2002 Nr. 3 S. 22 f.; offen lassend Urteile vom 9. Juni 2004 - BVerwG 9 A 11.03 - Buchholz 406.400 § 61 BNatSchG 2002 Nr. 5 S. 41 <insoweit nicht veröffentlicht in BVerwGE 121, 72> und vom 12. März 2008 - BVerwG 9 A 3.06 - BVerwGE 130, 299 Rn. 42).
Die Planrechtfertigung folgt aus der gesetzlichen Bedarfsfeststellung, die für die Planfeststellung und das gerichtliche Verfahren verbindlich ist (stRspr; vgl. etwa Urteile vom 8. Juni 1995 - BVerwG 4 C 4.94 - BVerwGE 98, 339 <345 ff.> und vom 19. März 2003 - BVerwG 9 A 33.02 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 173 S. 157). Der vierstreifige Bau der A 14 zwischen Magdeburg und Schwerin ist im Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen zum Fernstraßenausbaugesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 20. Januar 2005 (BGBl I S. 201) - FStrAbG - als Vorhaben des vordringlichen Bedarfs enthalten und damit gemessen an den Zielsetzungen des § 1 Abs. 1 FStrG vernünftigerweise geboten.
a) Der im Bedarfsplan durch entsprechende "Ökosterne" entlang der geplanten Trasse der A 14 kenntlich gemachte "besondere naturschutzfachliche Planungsauftrag" für das Vorhaben betrifft entgegen der Auffassung des Klägers nicht die Ebene der gesetzlichen Bedarfsfeststellung. Richtig ist allerdings, dass die mit "Ökosternen" gekennzeichneten Vorhaben des vordringlichen Bedarfs ausweislich einer Fußnote im Bedarfsplan ursprünglich erst mit der Einstellung in den Straßenbauplan als Anlage zum Bundeshaushalt als Vorhaben des vordringlichen Bedarfs galten (Anl. zu § 1 Abs. 1 FStrAbG i.d.F. der Bekanntmachung vom 20. Januar 2005 a.a.O.). Hiernach kamen den Vorhaben alle Eigenschaften des vordringlichen Bedarfs mit Ausnahme der unmittelbaren Realisierbarkeit zu, die von der Erbringung des Nachweises der planerischen Bewältigung der naturschutzfachlichen Konflikte und der daran anknüpfenden Aufnahme in den Straßenbauplan abhing (vgl. BTDrucks 15/1803 S. 2 rechte Spalte zu Nr. 10). Bereits durch Art. 12 Nr. 1 Buchst. a) und b) des Gesetzes zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben vom 9. Dezember 2006 (BGBl I S. 2833, berichtigt am 9. Mai 2007, BGBl I S. 691) ist die erwähnte Fußnote wieder gestrichen worden, um die mit ihr verbundene Rechtsunsicherheit und -unklarheit zu beseitigen. Geblieben ist die Kennzeichnung bestimmter Vorhaben mit dem "Ökostern" als Vorhaben mit besonderem naturschutzfachlichem Planungsauftrag. Daraus leiten sich aber keine besonderen Anforderungen an die Planrechtfertigung ab.
Aus der Formulierung in den Gesetzesmaterialien zur Streichung der Fußnote zum "Ökostern" ergibt sich, dass dieser Begriff nicht mehr als einen Hinweis des bedarfsfeststellenden Gesetzgebers an die weiteren Ebenen und Phasen der Planung darstellt, dass bei den gekennzeichneten Vorhaben eine erhöhte naturschutzfachliche Problematik besteht, die im Rahmen der normalen Vorhabenplanung abzuarbeiten ist (BTDrucks 16/3158 S. 46 linke Spalte). Das Gesetz stellt weder in verfahrensrechtlicher noch in materiell-rechtlicher Hinsicht weitergehende Anforderungen an die naturschutzfachliche oder -rechtliche Prüfung, als sie sich aus den insoweit ohnehin zu beachtenden Vorschriften des Unionsrechts und des nationalen Rechts ergeben; es bedarf namentlich keiner zusätzlichen Bedarfsprüfung. Mit anderen Worten handelt es sich um nicht mehr als ein "Ausrufezeichen" des Gesetzgebers, das auf eine bereits auf dieser Ebene erkennbare besondere naturschutzfachliche Problematik hinweisen will. Für die gegenteilige Ansicht des Klägers bieten die Gesetzesmaterialien keinen Anhaltspunkt. Dies gilt auch für das in den Gesetzesmaterialien aufgeführte Prüfkriterium, ob "verkehrlich gleichwertige Alternativplanungen, vor allem aber der Ausbau des vorhandenen Straßennetzes, verwirklicht werden können" (BTDrucks a.a.O.). Die Verpflichtung der Planfeststellungsbehörde, bei der vorzunehmenden Abwägung der einzustellenden Belange rechtsmindernde Eingriffe nach Möglichkeit zu vermeiden und in diesem Rahmen alternative Planungen auf ihre jeweilige Eingriffsintensität bei gleicher planerischer Zielsetzung zu prüfen und gegebenenfalls auch offen zu sein für eine "Null-Variante", ist ohnehin geltendes Recht (vgl. Urteil vom 22. März 1985 - BVerwG 4 C 15.83 - BVerwGE 71, 166 <172>; Beschluss vom 26. Juni 1992 - BVerwG 4 B 1-11.92 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 89 S. 86 <91>) und von dem Beklagten - wie weiter unten (5.) dargelegt wird - beachtet worden.
b) Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit der Bedarfsfeststellung für die A 14 die Grenzen seines gesetzgeberischen Ermessens überschritten hat, sind nicht ersichtlich. Davon wäre nur auszugehen, wenn die Bedarfsfeststellung evident unsachlich wäre, weil es für die Aufnahme des Vorhabens in den Bedarfsplan im Hinblick auf die bestehende oder künftig zu erwartende Verkehrsbelastung oder auf die verkehrliche Erschließung eines zu entwickelnden Raumes an jeglicher Notwendigkeit fehlte oder wenn sich die Verhältnisse seit der Bedarfsentscheidung des Gesetzgebers so grundlegend gewandelt hätten, dass das angestrebte Planungsziel unter keinen Umständen auch nur annähernd erreicht werden könnte (vgl. Urteil vom 8. Juni 1995 a.a.O. S. 347, Beschluss vom 30. Dezember 1996 - BVerwG 11 VR 21.95 - UPR 1997, 153 und Urteil vom 22. Januar 2004 - BVerwG 4 A 32.02 - BVerwGE 120, 87 <100>). Solche Gründe liegen nicht vor.
aa) Der Kläger hält das Vorhaben jedenfalls nördlich der B 190 und im gesamten Bereich des Landes Brandenburg für verkehrlich nicht zu rechtfertigen. Die der Planfeststellung zugrunde gelegte Verkehrsprognose der Ingenieurgruppe IVV sei methodisch fehlerhaft und die prognostizierten Verkehrszahlen unrealistisch. Mit diesem Vorbringen kann er keinen Erfolg haben.
Der Bundesverkehrswegeplanung und der gesetzlichen Bedarfsfeststellung 2004 lag eine Prognose der bundesweiten Verkehrsverflechtungen bezogen auf das Jahr 2015 zugrunde, deren Kernstück deutschlandweite räumliche Verflechtungsmatrizen im Personen- und im Güterverkehr bilden (zu den Grundlagen der Bedarfsplanung vgl. bereits Urteil vom 22. März 1985 a.a.O. S. 169 f.). Diese Prognose über die zukünftige Verkehrsentwicklung ist gemäß dem in § 4 Satz 1 FStrAbG enthaltenen Prüfauftrag im Jahr 2010 durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung überprüft worden. Auf der Grundlage eines Vergleichs der bei der Aufstellung des Bedarfsplans 2004 herangezogenen bundesweiten Verkehrsprognose 2015 mit der insbesondere die demografischen Leitdaten berücksichtigenden bundesweiten Verkehrsprognose 2025 auf der räumlichen Ebene des Bundes, der Bundesländer und von Teilregionen kommt die Überprüfung zu dem Ergebnis, dass die seinerzeit festgestellten Bedarfseinstufungen für die Bundesfernstraßen auch bei Ansatz der aktuellen Verkehrsentwicklung gelten. Gegenstand der Bedarfsplanüberprüfung war nicht die Überprüfung oder Neubewertung der Straßenbauprojekte im Einzelnen, sondern ausschließlich, ob sich - bezogen auf Raumeinheiten oder Netzbereiche - die seinerzeit der Bewertung zugrunde gelegten verkehrlichen Rahmenbedingungen so grundlegend geändert haben, dass der Projektbedarf grundsätzlich in Frage gestellt werden muss. Dies ist nicht der Fall. In allen Bundesländern mit Ausnahme Berlins kommt die Untersuchung zu Mehrbelastungen auf den Autobahnabschnitten insbesondere durch den Güterverkehr (Ergebnisse der Überprüfung der Bedarfspläne für die Bundesschienenwege und die Bundesfernstraßen vom 11. November 2010 S. 16 f.).
Der Vortrag des Klägers ist nicht geeignet, diese Grundlagen der gesetzlichen Bedarfsfeststellung und -überprüfung in Frage zu stellen. Da die gesetzliche Bedarfsfeststellung durch die Prognose künftiger Verkehrsströme beeinflusst wird, zielt die angeordnete Bindungswirkung darauf ab, das straßenrechtliche Planfeststellungsverfahren und damit ebenso einen anschließenden Verwaltungsprozess von einem Gutachterstreit über die "richtigere" Verkehrsprognose zu entlasten. Dieser Zweck des § 1 Abs. 2 FStrAbG schließt es somit aus, den Abwägungsvorgang, den der Gesetzgeber auf dieser Stufe vollzogen hat, unter dem Blickwinkel fachlich zu überprüfen, ob eine andere Verkehrsprognose vorzugswürdig sein könnte. Entscheidend ist allein, ob das Ergebnis der Normsetzung den anzulegenden verfassungsrechtlichen Maßstäben genügt (Urteil vom 17. Januar 2007 - BVerwG 9 A 20.05 - BVerwGE 128, 1 Rn. 26). Hiernach ist die vom Kläger im Prozess vorgelegte Stellungnahme von RegioConsult Verkehrs- und Umweltmanagement (RegioConsult), mit der methodische Mängel der projektbezogenen Verkehrsprognose der Ingenieurgruppe IVV gerügt werden, nicht geeignet, die gesetzliche Bedarfsfeststellung in Zweifel zu ziehen. Zum einen würden die behaupteten Mängel der projektbezogenen Prognose - ihr Vorliegen unterstellt - schon keine Rückschlüsse auf die den Verkehrsprognosen des Bedarfsplans und dessen Überprüfung zugrunde liegenden Verkehrprognosen zulassen. Zum anderen fehlt es auch nach der Stellungnahme von RegioConsult nicht an jeglichem Verkehrsbedarf für eine vierstreifige Autobahn. Auf dem Abschnitt Wittenberge - Ludwigslust kommt diese Untersuchung bezogen auf den Prognosezeitpunkt 2025 zu einer (geschätzten) Verkehrsbelastung von 14 330 Kfz/24h. Dass bei einer solchen Verkehrsbelastung jegliche verkehrliche Notwendigkeit für den Bau einer Autobahn fehlt, ist nicht ersichtlich. Nach den von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen im Auftrag des Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung erarbeiteten Richtlinien für die Anlage von Autobahnen (RAA) ist bereits ab einer Verkehrsstärke von 18 000 Kfz/24h der Einsatzbereich des Regelquerschnitts RQ 31 erreicht (RAA S. 22). Die A 14 soll dagegen mit Blick auf die geringere Verkehrsbelastung in dem deutlich kleineren, in erster Linie für autobahnähnliche und nur ausnahmsweise für Autobahnen in Betracht kommenden RQ 28 hergestellt werden (RAA S. 23). Bei dieser Sachlage musste der Senat dem Begehren des Klägers, dem Beklagten aufzugeben, ihm die computergestützten Berechnungen zur Verkehrsprognose von IVV vorzulegen bzw. Einsicht in diese Berechnungen zu gewähren bzw. zu verschaffen, nicht entsprechen.
bb) Auch die über die Bewältigung des Verkehrs hinausgehenden Ziele der gesetzlichen Bedarfsfeststellung sind nicht obsolet oder unerreichbar geworden. Wie schon die Anfangs- und Endpunkte der A 14 bei Magdeburg und Schwerin zeigen, verfolgt der Gesetzgeber vornehmlich das Ziel, eine Lücke im Autobahnnetz im Verlauf der weiträumigen Nord-Süd-Verbindung zwischen Wismar - Magdeburg - Leipzig - Dresden durch eine leistungsfähige Autobahn zu schließen. Damit soll - wie der Planfeststellungsbeschluss unter Hinweis auf Beratungen im Verkehrsausschuss des Bundesrates darlegt (S. 81) - eine möglichst gute Verbindung nach Wismar an den zentralen Punkt des auf europäischer Ebene in der Abstimmung befindlichen Transeuropäischen Netzes zwischen Schweden und der Adria hergestellt werden. Ausweislich der im Vorfeld der Bedarfsüberprüfung des Bundesverkehrswegeplans 2004 erstellten Verkehrsuntersuchung Nordost (VUNO 1995/2002) stellt die A 14 zugleich einen Teil der auch den Neubau der A 39 zwischen Wolfsburg und Lüneburg in Niedersachsen umfassenden Gesamtkonzeption zur Verbesserung der Fernverkehrserreichbarkeit im Großraum zwischen Berlin, Hamburg und Hannover dar. Die schlechte Erreichbarkeit insbesondere des Kerngebiets des Planungsraums der A 14 gilt als ein wesentliches Hindernis für eine nachhaltige Raum- und Regionalentwicklung der einen ausgeprägten wirtschaftlichen Entwicklungsrückstand aufweisenden Region Altmark und Prignitz mit den Mittelzentren Salzwedel, Stendal und Wittenberge. Trotz nachträglicher Änderungen der Prognosedaten sind diese Ziele weder obsolet noch unerreichbar geworden. Dass der Kläger unter Hinweis auf Untersuchungen zu den wirtschaftlichen Auswirkungen von neu gebauten Bundesautobahnen in unterentwickelten Regionen anderer Bundesländer eine nachhaltige Verbesserung der regionalen Wirtschaftslage durch den Autobahnneubau bezweifelt, genügt angesichts des anzulegenden Evidenzmaßstabs nicht, um die Bedarfsfeststellung in Frage zu stellen.
3. Den besonderen Anforderungen an den Schutz von FFH-Gebieten und Europäischen Vogelschutzgebieten trägt der Planfeststellungsbeschluss ausreichend Rechnung. Er verstößt insbesondere nicht gegen die der Umsetzung von Art. 6 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl EG Nr. L 206 S. 7 - Habitatrichtlinie - FFH-RL) dienende Vorschrift des § 34 BNatSchG. Nach Absatz 1 dieser Vorschrift sind Projekte vor ihrer Zulassung oder Durchführung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Gebiets von gemeinschaftlicher Bedeutung zu überprüfen. Sie dürfen nach § 34 Abs. 2 BNatSchG grundsätzlich nur zugelassen werden, wenn die Verträglichkeitsprüfung ergibt, dass das Projekt einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen und Projekten zu keinen erheblichen Beeinträchtigungen des jeweiligen Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann. Sind nach den Ergebnissen der Verträglichkeitsprüfung erhebliche Beeinträchtigungen zu besorgen, ist das Projekt vorbehaltlich einer Abweichungsprüfung unzulässig.
a) Eine FFH-Verträglichkeitsprüfung nach § 34 BNatSchG hat hinsichtlich des besonderen Schutzgebiets "Mittlere und Obere Löcknitz" (DE 2836-301) stattgefunden. Nach den dieser Prüfung zugrunde liegenden Erkenntnissen durfte der Beklagte davon ausgehen, dass das Vorhaben für sich oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen und Projekten mit den Erhaltungszielen des Gebiets verträglich ist.
Ob ein Projekt ein FFH-Gebiet in seinen für die Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteilen erheblich beeinträchtigen kann, ist anhand seiner Auswirkungen auf den Erhaltungszustand der Gebietsbestandteile zu beurteilen. Maßgebliches Beurteilungskriterium ist der günstige Erhaltungszustand der geschützten Lebensräume und Arten im Sinne der Legaldefinitionen des Art. 1 Buchst. e und i FFH-RL; ein günstiger Erhaltungszustand muss trotz Durchführung des Vorhabens stabil bleiben, ein bestehender schlechter Erhaltungszustand darf jedenfalls nicht weiter verschlechtert werden (stRspr, vgl. zuletzt Urteil vom 6. November 2012 - BVerwG 9 A 17.11 - juris Rn. 35 <zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen>). Um zu einer verlässlichen Beurteilung zu gelangen, muss die Verträglichkeitsprüfung die "besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse" berücksichtigen und setzt somit die "Ausschöpfung aller wissenschaftlichen Mittel und Quellen" voraus (vgl. Urteile vom 17. Januar 2007 - BVerwG 9 A 20.05 - BVerwGE 128, 1 Rn. 62 m.w.N. und vom 12. März 2008 - BVerwG 9 A 3.06 - BVerwGE 130, 299 Rn. 73). Zugunsten des Projekts dürfen bei der Verträglichkeitsprüfung die vom Vorhabenträger geplanten oder im Rahmen der Planfeststellung behördlich angeordneten Schutz- und Kompensationsmaßnahmen berücksichtigt werden, sofern sie sicherstellen, dass erhebliche Beeinträchtigungen verhindert werden (Urteile vom 17. Januar 2007 und vom 12. März 2008 a.a.O. Rn. 53 und Rn. 94).
Unter Berücksichtigung der angeordneten Schutzmaßnahmen sind bezogen auf die zu den Erhaltungszielen des FFH-Gebiets "Mittlere und Obere Löcknitz" gehörende Gemeine Flussmuschel und das in der Verträglichkeitsprüfung als charakteristische Art behandelte Bachneunauge weder bau- noch anlage- oder betriebsbedingte erhebliche Beeinträchtigungen zu besorgen.
aa) Die baubedingten Auswirkungen auf den Lebensraum der Flussmuschel, die Löcknitz, werden durch die im Maßnahmenblatt S9(M) ASB festgelegten Maßnahmen zum Staubschutz beim Abriss der vorhandenen Brücke über die Löcknitz begrenzt. Klarstellend hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll erklärt, dass ergänzend zu den im Maßnahmenblatt S9(M) ASB ausdrücklich erwähnten Maßnahmen alle in der FFH-Verträglichkeitsprüfung benannten Schutzmaßnahmen angewendet und die Brückenwiderlager zwar oberhalb, aber nicht unterhalb der Wasserlinie entfernt werden. Die Anordnung eines besonderen Staubschutzes beim Abriss der Brückenfahrbahn war nicht erforderlich, da es sich - wie in der mündlichen Verhandlung durch den Vorhabenträger erläutert wurde - um ein Fertigbauteil handelt, das ohne Staubentwicklung herausgehoben werden kann.
Es bestehen auch keine Zweifel an einem ausreichenden Havarieschutz im Bereich der Löcknitzbrücke. Der Beklagte hat auf die schon bestehenden Havariepläne und die vorgesehene Auffangmaßnahme (Auffangbecken aus Beton) für durch eine Havarie verunreinigtes Straßenoberflächenwasser verwiesen. Dass es sich bei den Fahrzeugrückhaltesystemen auf der Brücke nicht - wie der Kläger vermutet - um die hierfür ungeeigneten Spritzschutzwände, sondern um die auf Brückenbauwerken obligatorischen Schutz- und Leitplanken handelt, hat der Beklagte ebenfalls erläutert.
bb) Soweit die Verträglichkeitsprüfung erhebliche Beeinträchtigungen der Flussmuschel und des Bachneunauges durch Nitratbelastungen verneint, greifen die Einwendungen des Klägers ebenfalls nicht durch.
Die Verträglichkeitsprüfung (Unterlage 12.4.1. S. 57) hat die Nitratdeposition im trassennahen Bereich ausgehend von der im Rahmen der lufttechnischen Untersuchung auf der Basis der nach dem Berechnungsverfahren des Merkblatts über Luftverunreinigungen an Straßen ohne oder mit lockerer Randbebauung - MLuS (Fassung 2005) - berechneten Luftkonzentration von Stickstoff und Stickstoffdioxid unter Zuhilfenahme eines einfachen Rechenmodells nach Balla mit 2 kg NO x pro Hektar und Jahr prognostiziert. Um hieraus die Stickstoffkonzentration in der Löcknitz zu ermitteln, wurde die Depositionsmenge mit Hilfe eines weiteren Rechenmodells aus der Vollzugshilfe des Landesumweltamts Brandenburg (Rechenmodell zur Umrechnung von Schadstoffdepositionen in Wasserkonzentrationen für stehende Gewässer) in eine zu erwartende Zusatzbelastung der Löcknitz von 0,02 mg pflanzenverfügbarem Stickstoff je Liter (Nitrat-N/l) umgerechnet. Ausgehend von einem Richtwert von 1,8 mg Nitrat-N/l hat der Planfeststellungsbeschluss die Zusatzbelastung mit Stickstoff als nicht erheblich für die Wassergüte und damit für den Erhaltungszustand der Flussmuschel bewertet.
In der mündlichen Verhandlung hat der Gutachter des Beklagten, Dr. L., die dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde liegenden Berechnungen erläutert und ergänzend dargelegt, dass sich bei deren Überprüfung anhand des auf dem Forschungsbericht "Untersuchung und Bewertung von straßenverkehrsbedingten Nährstoffeinträgen in empfindliche Biotope" aufbauenden neuesten Methodenhandbuchs der Bundesanstalt für Straßenbau (BASt) eine deutlich geringere Zusatzbelastung der Löcknitz durch den ungefilterten Eintrag von lediglich 0,00018 mg/l ergebe. Die auffällige Diskrepanz zu der in der Verträglichkeitsprüfung ermittelten Zusatzbelastung hat er überzeugend damit erklärt, dass das der Verträglichkeitsprüfung zugrunde liegende Rechenmodell sehr konservativ gewählt gewesen sei, weil es den Abfluss in Fließgewässern vollständig unberücksichtigt gelassen habe. Ergänzend hat der Gutachter die gefilterten Einträge über das gesamte Einzugsgebiet der Trasse berechnet und ist im Ergebnis dieser Berechnung zu einer Gesamtzusatzbelastung von maximal 0,03 mg/l gekommen. Schließlich hat er darauf hingewiesen, dass durch die aufgrund der Ersatz- und Vermeidungsmaßnahmen E11 ASB , E12 ASB , E13 ASB und V10/A ASB auf insgesamt 80 ha vorgesehene Extensivierung landwirtschaftlicher Flächen im Trassenbereich der Nitrateintrag im Sickerwasser um 2 400 kg pro Jahr reduziert und damit der gesamte vorhabenbedingte Zusatzeintrag von 1 640 kg pro Jahr überkompensiert werde.
Der Bewertung der Zusatzbelastung als unerheblich steht auch nicht entgegen, dass bei den vom Landsumweltamt Brandenburg durchgeführten Messungen bereits neun der insgesamt 36 Messwerte den Richtwert von 1,8 mg Nitrat-N/l überschritten haben und der Spitzenwert mehr als das Doppelte des Richtwerts betrug. Dr. L. hat in der mündlichen Verhandlung zu diesem Punkt erläutert, dass für das pflanzenverfügbare Nitrat in der Literatur sogar zulässige Maximalwerte von 8 - 10 mg Nitrat-N/l diskutiert werden und nach neueren Untersuchungen aus dem Jahr 2010 jedenfalls Werte zwischen 2,0 mg und 4,3 mg einem guten Erhaltungszustand eines Gewässers nicht entgegenstünden.
cc) Die Verträglichkeitsprüfung verneint auch ohne Rechtsfehler eine erhebliche Beeinträchtigung des FFH-Gebiets "Mittlere und Obere Löcknitz" durch vorhabenbedingte Chlorideinträge. Die Einhaltung des Schwellenwertes von 50 mg/l, ab dem Schädigungen der besonders empfindlichen Larven des Bachneunauges nicht mehr ausgeschlossen werden können, wird durch das planfestgestellte Entwässerungskonzept sichergestellt.
(1) Entgegen der Auffassung des Klägers ist es nicht zu beanstanden, dass das vom Vorhabenträger in Auftrag gegebene Gutachten zur Chloridbelastung der Löcknitz durch den Winterdienst aus dem Jahr 2008 (Chlorid-Gutachten, Unterlage 12.4.1. Anlage 2) bei seinen Berechnungen von einer durchschnittlichen Tausalzmenge pro Autobahnkilometer von 15 t ausgegangen ist. Dieser Wert entspricht der in den Jahren 1999 bis 2007 durchschnittlich ausgebrachten Tausalzmenge pro Streckenkilometer einer vierstreifigen Autobahn in Brandenburg. Dass in den Wintern nach Erstellung des Gutachtens teilweise erheblich höhere Tausalzmengen eingesetzt werden mussten, macht die Heranziehung des langjährigen Durchschnittswerts nicht fehlerhaft.
Ausweislich der vom Vorhabenträger vorgelegten Übersicht lag zwar der Tausalzverbrauch in den Wintern 2009/2010 bis 2012/2013 im Durchschnitt über dem langjährigen Mittel, aber auch in diesen Wintern traten starke Schwankungen auf. So lag der Verbrauch in dem dem Erlass des Planfeststellungsbeschlusses unmittelbar vorausgehenden Winter 2011/2012 deutlich unter dem langjährigen Durchschnittswert von 15 t. Danach bestand für den Beklagten kein Anlass, eine Aktualisierung der Tatsachengrundlage vor Erlass des Planfeststellungsbeschlusses zu fordern. Dies wird bestätigt durch die Aussage des Beklagten in seinem Schriftsatz vom 19. April 2013, dass auch bei einer Betrachtung der zwanzig Jahre von 1993 bis 2013 der Durchschnittsverbrauch an Tausalz auf Autobahnen in Brandenburg unter 15 t lag. Es ist auch nicht damit zu rechnen, dass wegen erhöhter Vereisungsgefahr auf der Brücke über die Löcknitz der Taumitteleinsatz im Bereich des FFH-Gebiets besonders hoch sein wird. Der Beklagte ist entsprechenden Befürchtungen des Klägers mit dem Hinweis entgegengetreten, dass eine besondere Vereisungsgefahr nur bei (überwiegenden) Stahlkonstruktionen bestehe, die Brücke über die Löcknitz aber auf einer 40 cm dicken Betonplatte ruhe und ihr Verhalten bei Frost daher sehr ähnlich dem der freien Strecke sei. In diesem Zusammenhang hat der Beklagte auch klargestellt, dass auf der Brücke wie auf der gesamten Trasse kein offenporiger Asphalt verwendet wird.
Gegen die Berücksichtigung langjähriger Durchschnittswerte statt der Spitzenbelastungen spricht schließlich auch nicht die toxische Wirkung des Chlorids für das Bachneunauge und andere Wasserlebewesen. Allerdings sah das ursprüngliche Entwässerungskonzept des Vorhabenträgers neben der Versickerung auch eine Sammlung des anfallenden Straßenoberflächenwassers in drei Regenrückhaltebecken und von dort aus die direkte Einleitung in die Löcknitz vor. Dieses Konzept hätte zu einer deutlichen Erhöhung der durchschnittlichen Chloridkonzentration in der Löcknitz geführt und Anlass zu einer Berücksichtigung der Spitzenverbrauchswerte beim Tausalzeinsatz gegeben. In dem planfestgestellten Entwässerungskonzept hat der Beklagte jedoch auf den Bau von Regenrückhaltebecken und eine direkte Einleitung des Überlaufs zugunsten der vollständigen Versickerung entlang der Trasse verzichtet. Er ist damit einem Vorschlag des Chlorid-Gutachtens zur Verminderung des Chlorideintrags in die Löcknitz gefolgt. Durch die weiträumige Versickerung des Straßenoberflächenwassers durch Versickerungsgräben, Versickerungsmulden und Rigolensysteme entlang der Trasse wird sichergestellt, dass das versickerte Straßenoberflächenwasser mit seiner Chloridfracht nicht direkt, gewissermaßen "jahrgangsweise", in die Löcknitz gelangt, sondern nach Erreichen eines Gleichgewichtszustandes der Bodenbelastung mit Tausalz ein konstanter Austrag in die Löcknitz über die Grundwasserleiter mit jahrelanger und zum Teil jahrzehntelanger Verzögerung und entsprechender laufender Verdünnung durch Niederschlagswasser und andere Grundwasserzuflüsse erfolgt. Belastungsspitzen in einzelnen Jahren wirken sich somit nicht auf den Chlorideintrag aus.
Soweit der Kläger in seinem nachgelassenen Schriftsatz im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zur Verdriftung von Aerosolen dieses Konzept mit der Behauptung angreift, bei einem nicht abgedeckten Grundwasserleiter müsse von einer direkten Einleitung des Tausalzes in das Grundwasser ausgegangen werden, fehlt es an einer Auseinandersetzung mit dem die geologischen und die Grundwasserverhältnisse im Trassenbereich ausführlich beschreibenden Chlorid-Gutachten. Das Gutachten ermittelt auf der Grundlage der Durchlässigkeit des Untergrundes, der Grundwasserfließwege und des Grundwassergefälles zur Löcknitz die Fließgeschwindigkeit des Grundwassers. Es kommt dabei zu dem Ergebnis, dass Tausalz, das am Trassenbeginn in etwa 2 000 m Entfernung von der Löcknitz infolge des Winterdienstes in den Boden gelangt, erst nach 36 Jahren Fließzeit die Löcknitz erreichen wird. Tausalz, das auf näher an der Löcknitz liegende Flächen der Trasse aufgebracht werde, erreiche den Fluss früher, Taumittelbelastungen aus weiter entfernten Flächen entsprechend später.
(2) Diese Planung wird auch durch die Kritik des Klägers, die durch die Änderung des Entwässerungskonzeptes anfallenden zusätzlichen Einträge auf dem Grundwasserpfad seien nicht berechnet worden, weshalb nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststehe, ob der Schwellenwert von 50 mg Cl/l eingehalten werde, nicht in Frage gestellt. Nach dem Chlorid-Gutachten ist für die Gesamtstrecke des Vorhabens mit einem Gesamteintrag von 71,1 t Cl/a zu rechnen. Hiervon entfielen nach dem ursprünglichen Konzept lediglich 7,1 t Cl/a auf den Abfluss aus den Regenrückhaltebecken (Chlorid-Gutachten S. 27). Gleichwohl führte der Zufluss aus den Regenrückhaltebecken bei Mittelwasser zu einer Erhöhung der Chloridbelastung um 10,4 mg Cl/s auf 53,6 mg Cl/l, während die neunmal größere Menge Tausalz, die versickert und über den Grundwasserpfad der Löcknitz zufließt, nur zu einer geringfügigen Zusatzbelastung von 1,1 mg Cl/l und damit zu einer Erhöhung der Chloridbelastung der Löcknitz bei Karstädt von 43,2 mg Cl/l auf 44,3 mg Cl/l führt (Chlorid-Gutachten S. 38 f.). Bei Niedrigwasser erreicht die Zusatzbelastung durch Versickerung von 64 t Tausalz über den Grundwasserpfad 5,4 mg Cl/l, so dass die Gesamtbelastung bei 48,6 mg Cl/l liegt. Dieser Vergleich zeigt, dass eine zusätzliche Versickerung der nach dem ursprünglichen Konzept aus den Regenrückhaltebecken zufließenden Wassermengen nicht zu einer kritischen Gesamtbelastung führen wird, sondern im Gegenteil zu deren deutlicher Reduzierung, die damit klar unter dem Vorsorgewert bleibt. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn die Einträge über den Luftpfad berücksichtigt werden.
Ausgehend von den nachvollziehbaren Angaben in dem Chlorid-Gutachten ist mit einem Austrag durch Anhaftungen an Fahrzeugen und auf dem Luftweg von maximal 10 % des ausgebrachten Tausalzes zu rechnen (S. 18). Dieser Wert steht in Übereinstimmung mit den vom Kläger im nachgelassenen Schriftsatz zitierten Untersuchungen, wonach im innerstädtischen Bereich 5 bis 15 % der Streumenge aufgewirbelt und verfrachtet werden. Soweit der Kläger höhere Verwirbelungen durch höhere Geschwindigkeiten auf der Autobahn vermutet, berücksichtigt er nicht die beidseits der Fahrbahnen angebrachten Spritzschutzwände und die durch Protokollerklärung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung verbesserten Spritzschutzmaßnahmen am Lichtspalt zwischen den Fahrbahnen. Dass auch bei einer unterstellten Tausalzmenge von 79 t (71,1 t zuzüglich 7,9 t <10 %> über den Luftpfad) der Chloridgehalt den Vorsorgewert nicht erreichen wird, wird deutlich, wenn man die erhöhte Tausalzmenge von 79 t in die im Chlorid-Gutachten auf S. 28 aufgeführte Rechenformel einstellt. Danach erhöht sich bei Mittelwasser die Zusatzbelastung von 1,1 mg Cl/l auf 1,36 mg Cl/l (79x109/365x24x3 600 = 2 505 mg/1 836 l/s = 1,36 mg) und bei Niedrigwasser rechnerisch von 5,4 mg Cl/l auf 6,7 mg Cl/l (2 505mg/375 l/s). In beiden Fällen wird der Vorsorgewert nicht erreicht, wobei allerdings die Gesamtbelastung bei Niedrigwasser sehr nahe an den Grenzwert heranreicht (43,2+6,7 = 49,9). Das ist jedoch schon deswegen unbedenklich, weil im Chlorid-Gutachten nachvollziehbar dargelegt wird (S. 28), dass es sich bei der Zusatzbelastung bei Niedrigwasser um einen rechnerischen Wert handele, der nicht berücksichtige, dass bei Niedrigwasser zwangsläufig auch die Grundwasserzuflüsse reduziert seien und damit die Cl-Konzentrationserhöhungen in der Löcknitz bei Niedrigwasser geringer ausfielen als die rechnerisch nachgewiesenen.
(3) Das Entwässerungskonzept scheitert auch nicht an wasserrechtlichen Anforderungen. Die erforderlichen Erlaubnisse und Bewilligungen gemäß §§ 8, 10 WHG sind im Planfeststellungsbeschluss erteilt worden. Nach Auskunft des Beklagten in der mündlichen Verhandlung hat die zuständige Wasserbehörde auch unter dem Gesichtspunkt des Verschlechterungsverbots für Grundwasser (§ 47 Abs. 1 Nr. 1 WHG) keine Bedenken gegen das Konzept erhoben. Darüber hinaus hat der Beklagte durch das angeordnete und in der mündlichen Verhandlung auf zehn Jahre mit Verlängerungsoption ausgedehnte Grundwassermonitoring und die darin für den Fall einer Verschlechterung der Wasserqualität vorgesehenen Maßnahmen zur Verbesserung der Vorreinigung des zu versickernden Wassers, langfristige Vorsorge getroffen für den Fall, dass die angeordneten Maßnahmen sich als unzureichend erweisen sollten.
dd) Auch für den zu den Erhaltungszielen gehörenden Fischotter sind keine erheblichen Beeinträchtigungen zu befürchten, da etwaige Anlockungswirkungen der Trassenböschungen durch den planfestgestellten trassenbegleitenden Wildschutzzaun wirksam entgegengewirkt wird. Dass dieser auch gegenüber Fischottern und Bibern einen ausreichenden Untergrabschutz bietet, ist von der Beklagtenseite in der mündlichen Verhandlung einleuchtend dargelegt worden.
ee) Soweit der Kläger rügt, der Hirschkäfer sei bei der Verträglichkeitsprüfung nicht berücksichtigt worden, muss er sich entgegenhalten lassen, dass diese Art weder im FFH-Gebiet "Mittlere und Obere Löcknitz" noch in dem in etwa einem Kilometer Entfernung von der Trasse liegenden FFH-Gebiet "Bootzer Torfloch" zu den Erhaltungszielen gehört und sich bisher keine Nachweise seines Vorkommens im Wirkraum der Trasse finden ließen. Lediglich potentiell zukünftig einwandernde Anhang II-Arten müssen von der Verträglichkeitsprüfung nicht erfasst werden.
b) Die auf § 34 Abs. 1 und 2 BNatSchG gestützte Beurteilung der Verträglichkeit des Vorhabens mit den Erhaltungszielen des mit Verordnung vom 15. Dezember 2008 (GVBl für das Land Brandenburg Teil II 2009 S. 38) zum Landschaftsschutzgebiet erklärten Vogelschutzgebiets "Agrarlandschaft Prignitz-Stepenitz" (Art. 7 FFH-RL) begegnet ebenfalls keinen Bedenken.
Die bau-, anlage- und betriebsbedingten Wirkungen des Vorhabens auf die nach der Verordnung als Brut-, Nahrungs- und Rastgebiete bestimmter Vogelarten geschützten Lebensräume insbesondere durch Flächeninanspruchnahmen, Lärmimmissionen und optische Störungen sind untersucht und bezogen auf die jeweilige Vogelart bewertet worden. Die Verträglichkeitsprüfung gelangt zu dem Ergebnis, dass der Neubau der A 14 unter Berücksichtigung des vorgesehenen Schutzkonzeptes zu keinen erheblichen Beeinträchtigungen der Erhaltungsziele führe. Dies gelte auch für den Ortolan. Für diese Art könne zwar allein durch die in die Planung integrierten Schadensbegrenzungsmaßnahmen und die vorgesehenen bautechnischen und bauzeitlichen Vermeidungs- und Minderungsmaßnahmen eine erhebliche Beeinträchtigung des Erhaltungszustands der Art nicht ausgeschlossen werden. Durch die mit dem Maßnahmenblatt A9(M) ASB zusätzlich angeordnete Anlage und dauerhafte Bewirtschaftung von Ackerstreifen entlang von Gehölzstrukturen mit potentieller Eignung als Teilhabitat des Ortolans könnten die Beeinträchtigungen aber auf ein nicht erhebliches Maß gesenkt werden. Diese Einschätzung ist weder hinsichtlich des rechtlichen Maßstabs für die Feststellung der Verträglichkeit noch in der Sache zu beanstanden.
Der Kritik des Klägers, in der Verträglichkeitsprüfung hätten neben der Bestandserfassung aus dem Jahr 2010 auch die Ergebnisse der 2005 durchgeführten Kartierung des Ortolans berücksichtigt werden müssen, ist der Beklagte in der mündlichen Verhandlung mit dem Hinweis entgegengetreten, die Kartierung 2005 sei von der Naturschutzfachbehörde als methodisch fehlerhaft und veraltet kritisiert worden, weshalb 2010 eine neue Kartierung mit der empfohlenen Methodik durchgeführt worden sei. Es habe daher kein Anlass bestanden, abweichend vom Ergebnis der aktuellen, besten wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechenden Bestandserfassung zusätzlich auf ältere Daten zurückzugreifen. Auch die Kritik des Klägers an dem Schutz- und Kompensationsmaßnahmenkonzept zugunsten des Ortolans ist der Beklagte in seiner Klageerwiderung in allen Punkten überzeugend entgegengetreten. Er hat im Einzelnen dargelegt, dass das Konzept auf den neuesten wissenschaftlichen Untersuchungen zu den Habitatpräferenzen des Ortolans in der Prignitz beruhe und Lage und Größe der zur ortolangerechten Bewirtschaftung vorgesehenen Ackerflächen sowie die für diese Flächen vorgesehenen Bewirtschaftungsbeschränkungen vollumfänglich den Empfehlungen dieser Untersuchungen entsprächen. Dem ist der Kläger weder schriftsätzlich noch in der mündlichen Verhandlung entgegengetreten.
Hinsichtlich der in der Verträglichkeitsprüfung wegen noch fehlender aussagekräftiger Unterlagen unberücksichtigt gebliebenen möglichen kumulativen Beeinträchtigungen für den Ortolan durch eine am Ortsrand der Stadt Putlitz geplante Biogasanlage hat der Beklagte klargestellt, dass bereits im Jahr 2010 durch die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Putlitz beschlossen worden ist, die Bebauungsplanung für das Projekt nicht weiter zu verfolgen.
Schließlich kann der Kläger auch mit seiner Rüge, die Feldlerche und weitere Vogelarten hätten bei den in § 3 der Verordnung über das Landschaftsschutzgebiet "Agrarlandschaft Prignitz-Stepenitz" (a.a.O.) genannten Arten aufgeführt werden müssen, keinen Erfolg haben, da er keine besonderen Umstände aufzeigt, die die Vermutung der Sachgerechtigkeit der Auswahl der wertgebenden Avifauna nach Abschluss des Melde- und Gebietsausweisungsverfahrens in Frage stellen könnten (vgl. zur Gebietsauswahl und -abgrenzung von Vogelschutzgebieten Urteil vom 21. Juni 2006 - BVerwG 9 A 28.05 - BVerwGE 126, 166 Rn. 20 f. = Buchholz 406.400 § 42 BNatSchG 2002 Nr. 1; Beschluss vom 13. März 2008 - BVerwG 9 VR 9.07 - Buchholz 451.91 Europ. UmweltR Nr. 33 Rn. 16).
c) Soweit die Verträglichkeitsprüfung für das von dem Vorhaben nicht unmittelbar berührte EU-Vogelschutzgebiet "Unteres Elbtal" nach einer Vorprüfung bau-, anlage- oder betriebsbedingte erhebliche Beeinträchtigungen der im Standard-Datenbogen aufgeführten Vögel nach Anhang I der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl EG Nr. L 20 S. 7 - Vogelschutz-RL) sowie der Zugvögel nach Art. 4 Abs. 2 Vogelschutz-RL verneint, greifen die dagegen erhobenen Einwendungen des Klägers nicht durch.
aa) Für Vogelschutzgebiete, die noch nicht nach § 32 Abs. 2 BNatSchG zu besonderen Schutzgebieten im Sinne von Art. 7 FFH-RL erklärt worden sind, beurteilt sich die Rechtmäßigkeit von Planfeststellungsbeschlüssen nach Art. 4 Abs. 4 Vogelschutz-RL und nicht nach dem weniger strengen Regime, das Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL und die seiner Umsetzung dienende Vorschrift des § 34 BNatSchG errichten (vgl. Urteil vom 1. April 2004 - BVerwG 4 C 2.03 - BVerwGE 120, 276 <282 >). Nach Art. 4 Abs. 4 Satz 1 Vogelschutz-RL treffen die Mitgliedstaaten in den Schutzgebieten geeignete Maßnahmen, um die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume sowie die Belästigung der Vögel, sofern sich diese auf die Zielsetzung dieses Artikels erheblich auswirken, zu vermeiden. Mit diesen Anforderungen erschöpft sich Art. 4 Abs. 4 Satz 1 Vogelschutz-RL nicht in der Normierung einer Dauerpflicht, sondern bildet zugleich den Maßstab für die Zulässigkeit von Infrastrukturvorhaben im Einzelfall vergleichbar dem Zulassungstatbestand des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL (Urteil vom 1. April 2004 a.a.O. S. 289). Vorhaben dürfen nur zugelassen werden, wenn sie nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen und Störungen führen. Die Schwelle der Erheblichkeit ist dabei nicht erst dann erreicht, wenn die Verwirklichung von Erhaltungszielen unmöglich oder unwahrscheinlich gemacht wird. Die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus Art. 3 und 4 Vogelschutz-RL bestehen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bereits, bevor eine Verringerung der Anzahl von Vögeln oder die konkrete Gefahr des Aussterbens einer geschützten Art nachgewiesen wird (EuGH, Urteil vom 2. August 1993 - Rs. C-355/90 - Slg. 1993 I-4272 Rn. 15).
Ohne Erfolg bleibt der Einwand des Klägers, die Verträglichkeitsprüfung habe diesen rechtlichen Maßstab verfehlt und ausschließlich auf das Schutzregime des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL abgestellt. Zwar trifft es zu, dass in der Vorprüfung bezüglich des EU-Vogelschutzgebiets "Unteres Elbtal" nicht ausdrücklich auf das strenge Schutzregime des Art. 4 Abs. 4 Vogelschutz-RL Bezug genommen wird; dies allein lässt aber nicht den vom Kläger gezogenen Schluss zu. Die unterschiedliche rechtliche Stellung der beiden Gebiete wie auch die unterschiedlichen Schutzregimes sind bei der Verträglichkeitsprüfung erkannt worden, wie die ausdrückliche Erwähnung des Schutzregimewechsels für das Vogelschutzgebiet "Agrarlandschaft Prignitz-Stepenitz" in der Verträglichkeitsprüfung (Unterlage 12.4.2. S. 6, 7) und der Hinweis auf das lediglich faktische Vogelschutzgebiet "Unteres Elbtal" im Planfeststellungsbeschluss zeigen (S. 38).
bb) Bedenken gegen die der Vorprüfung zugrunde liegende Bestandserfassung bestehen nicht. Dem Vorwurf, die Ergebnisse der Kartierungen des Rotmilans sowie des Schwarz- und Mittelspechts aus den Jahren 2003 und 2009 seien unberücksichtigt geblieben, ist der Beklagte mit dem Hinweis entgegengetreten, dass 2010 auf Veranlassung der Naturschutzfachbehörde eine deutlich höheren methodischen Standards genügende Brutvogelkartierung durchgeführt worden sei, die die 2003 und 2009 nachgewiesenen Brutplätze nicht bestätigen konnte. Dass die Ackerlandschaft rund um Karstädt grundsätzlich als Habitat für den Rotmilan und die Spechtarten geeignet ist, stellt der Beklagte nicht in Frage, verneint aber eine Beeinträchtigung durch das Vorhaben mit Blick auf die große Entfernung der zuletzt kartierten Brutplätze von der geplanten Trasse und der Möglichkeit der Vogelarten, in trassenfernere Bereiche auszuweichen. Dies überzeugt.
cc) Auch die speziell zum Rotmilan erhobenen weiteren Rügen des Klägers ändern an der Beurteilung der Vereinbarkeit des Vorhabens mit den Erhaltungszielen nichts. Mit der in dem Maßnahmenblatt E13 ASB festgesetzten Extensivierungsmaßnahme einer insgesamt 54,5 ha großen Fläche wird für den Rotmilan trassenfern ein attraktives Nahrungshabitat geschaffen bzw. die vorhandene Fläche aufgewertet. Der Kritik des Klägers, die vorgesehene Schaffung von Feuchtgrünland führe allenfalls zu einer marginalen Verbesserung des Nahrungsangebotes für den Rotmilan, ist der Gutachter Dr. L. in der mündlichen Verhandlung entgegengetreten. Es sei nur eine Wiedervernässung eines Teils der Fläche zur Stärkung des lokalen Wasser- und Bodenhaushalts vorgesehen, die weder zu großflächigen Staubildungen führen noch die landwirtschaftliche Nutzung der Wiesen beeinträchtigen werde. Der Rotmilan, der aufgrund seines Jagdverhaltens freie Sicht bis in die Bodenschicht brauche, bejage Wiesen ohnehin nur 2 - 3 Wochen nach der Mahd. In der übrigen Zeit bejage er seine bevorzugte Beute (Mäuse) in der Ackerlandschaft und jeder anderen freie Sicht gewährenden Struktur.
Es bestehen nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung auch keine vernünftigen Zweifel daran, dass der Rotmilan keinem erhöhten Kollisionsrisiko ausgesetzt sein wird. Der Gutachter Dr. L. hat unter Berücksichtigung des artspezifischen Verhaltens des Rotmilans, der landschaftsbezogenen Faktoren und der Projektmerkmale dargelegt, dass der Rotmilan durch die geplante Trasse nicht erheblich gefährdet werden wird. Die normale Flughöhe, insbesondere beim Suchflug während der Jagd, liege zwischen 10 und 50 m, niedrigere Flughöhen seien Ausreißer. Um Beute zu greifen, stürze sich der Rotmilan fast senkrecht hinab und fliege unmittelbar nach der Ergreifung des Beutetiers wieder weg. Die Gefährdung durch den Straßenverkehr korreliere mit dem Nahrungsangebot, wie die hohen Rotmilanverluste in Spanien zeigten. Dort sei das Nahrungsangebot schlecht, weshalb die Rotmilane während ihres Aufenthalts dort verstärkt Aas von der Straße aufnähmen. In der Prignitz herrsche dagegen ein gutes Nahrungsangebot, das durch die festgesetzte Maßnahme E13 ASB trassenfern noch verbessert werde. Durch die im Maßnahmenblatt G1/V(M) ASB vorgesehene und im Erläuterungsbericht zum Landschaftspflegerischen Begleitplan (LPB) näher beschriebene mäusefeindliche Gestaltung der Mittelstreifen der Autobahn und der Bankette sowie die gezielte Bewirtschaftung der Trassenböschung und -begleitflächen mit langgrasigem Bewuchs und hochwüchsigen Strukturen (G2, G3/A), die die Sicht auf mögliche Beutetiere erschwerten, würden Fallensituationen gezielt reduziert.
Diese Ausführungen stehen in Übereinstimmung mit der vom Beklagten mit der Klageerwiderung vorgelegten gutachterlichen Stellungnahme des Kieler Instituts für Landschaftsökologie. Darin wird zwar die Aussage des Klägers bestätigt, dass der Rotmilan aktiv Straßen anfliege, um dort nach Nahrung zu suchen und deshalb grundsätzlich ein erhöhtes Kollisionsrisiko in Betracht zu ziehen sei. Gleichzeitig wird die Notwendigkeit der Bewertung der strukturellen Raumausstattung und der vorgesehenen Schutz- und Vermeidungsmaßnahmen betont und aufgrund des Jagdverhaltens eine erhöhte Gefährdung durch den Straßenverkehr verneint. Vor diesem Hintergrund ist der Hinweis des Klägers auf 25 im Laufe von 20 Jahren dokumentierte Totfunde entlang eines Abschnitts des Berliner Rings nicht geeignet, Zweifel daran zu wecken, dass erhebliche Beeinträchtigungen des Rotmilans durch das streitgegenständliche Vorhaben nicht auftreten werden. Dass der Berliner Ring allein von der Verkehrsbelegung her in keiner Weise mit dem streitgegenständlichen Vorhaben vergleichbar ist, sei nur ergänzend erwähnt.
4. Der Planfeststellungsbeschluss verstößt auch nicht gegen Regelungen des Artenschutzes und der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung.
a) Die Beurteilung der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände durch die Planfeststellungsbehörde beruht auf einer ordnungsgemäßen Bestandserfassung.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt die Prüfung, ob einem Planvorhaben artenschutzrechtliche Verbote nach § 44 BNatSchG entgegenstehen, eine ausreichende Ermittlung und Bestandsaufnahme der im Trassenbereich vorhandenen Tierarten und ihrer Lebensräume voraus, wobei ihr sowohl bei der ökologischen Bestandsaufnahme als auch bei deren Bewertung, namentlich bei der Quantifizierung möglicher Betroffenheiten, eine Einschätzungsprärogative zukommt. Die gerichtliche Kontrolle ist darauf beschränkt, ob die Einschätzungen der Planfeststellungsbehörde im konkreten Einzelfall naturschutzfachlich vertretbar sind und nicht auf einem unzulänglichen oder gar ungeeigneten Bewertungsverfahren beruhen (vgl. zu den Anforderungen Urteile vom 9. Juli 2008 - BVerwG 9 A 14.07 - BVerwGE 131, 274 Rn. 66 f. m.w.N. und vom 12. August 2009 - BVerwG 9 A 64.07 - BVerwGE 134, 308 Rn. 38). Diesen Anforderungen werden die Untersuchungen der im Trassenbereich vorhandenen Arten, die in den Anwendungsbereich der Verbote fallen, und ihrer Lebensräume gerecht.
aa) Der Kläger rügt allerdings nicht zu Unrecht, dass die faunistische Untersuchung zum Vorkommen des Eremiten im Bereich der VKE 1155 vom Oktober 2010 (Unterlage 12.0A) hinsichtlich des Untersuchungsgebiets und der angewandten Methodik nur sehr knappe und teilweise lückenhafte Angaben macht und die Ergebnisse der Erfassung missverständlich formuliert. Der Beklagte hat jedoch in der mündlichen Verhandlung die Angaben ergänzt, so dass für den Senat im Ergebnis keine Zweifel an einer ausreichenden Bestandserfassung und einer zutreffenden naturschutzfachlichen Bewertung bestehen. Danach hat der beauftragte Fachgutachter bei insgesamt fünf Begehungen im August 2010 nicht nur den Trassenbereich selbst, sondern darüber hinaus das gesamte Baufeld einschließlich der Nebenanlagen auf Vorkommen des Eremiten abgesucht. Bei allen in diesem Bereich vorhandenen Laub- und Nadelbäumen mit geeigneten Strukturen sind die Höhlen u.a. mit Hilfe von Leitern in Augenschein und der Mulmbereich untersucht worden. Eine 2012 durchgeführte gezielte Nachschau im Baufeld, bei der u.a. Hubfahrzeuge zum Einsatz gekommen sind, ist nach Angaben des Beklagten ebenfalls ohne Befund geblieben. Auch bei dem durch die Schutzmaßnahme S5 ASB vorgeschriebenen Absuchen des Baufelds vor der Baufeldfreimachung seien keine Vorkommen festgestellt worden. Im Lichte dieser Erläuterungen erweist sich die Formulierung in der Untersuchung vom Oktober 2010, dass weder der Eremit nachgewiesen noch potentielle Lebensräume vorhanden seien, zwar als missverständlich, aber im Ergebnis nicht geeignet, die Methodik der Bestandserfassung in Zweifel zu ziehen. Feste methodische Standards für die Erfassung des Eremiten gibt es, wie der Gutachter des Beklagten, Dr. L., in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, ohnehin noch nicht.
bb) Entgegen der Auffassung des Klägers sind die methodischen Standards und der Ermittlungsumfang zur Erfassung der Schmetterlingsarten Großer Feuerfalter und Nachtkerzenschwärmer ebenfalls nicht zu beanstanden.
Durch eine spezielle faunistische Kartierung sind die Verkehrskosteneinheiten 1153, 1154 und 1155 im Sommer 2010 auf Vorkommen der beiden Schmetterlingsarten des Anhangs IV der FFH-RL untersucht worden. Vorangegangen war eine Tagfalterkartierung im Jahre 2003, durch die keine Anhang IV-Arten nachgewiesen werden konnten. Die faunistische Untersuchung 2010 hat unter Berücksichtigung des Verbreitungsgebiets, der Raupenfutterpflanzen und der Lebensräume der Schmetterlinge in dem streitgegenständlichen Abschnitt lediglich drei geeignete Flächen für den Nachtkerzenschwärmer und eine für den Großen Feuerfalter identifiziert und näher untersucht. Hierbei wurde u.a. auf die im Rahmen der Umweltverträglichkeitsuntersuchung angefertigte Biotoptypenkartierung zurückgegriffen und Begehungen des Untersuchungsgebiets vorgenommen. Diese Vorgehensweise ist nicht zu beanstanden.
Die vom Kläger gerügten unterschiedlichen Angaben hinsichtlich der Untersuchungsflächen im Artenschutzbeitrag und der faunistischen Untersuchung beruhen - wie der Beklagte eingeräumt hat - auf einer ungenauen Formulierung im Artenschutzbeitrag. Zu einem inhaltlichen Mangel der Bestandserfassung führt dies aber nicht. Insbesondere ist die kleine Zahl untersuchter Flächen im Gebiet der VKE 1155 für sich nicht geeignet, die fachwissenschaftliche Vertretbarkeit in Frage zu stellen. Lassen bereits die vorhandenen Vegetationsstrukturen sichere Schlüsse auf die faunistische Ausstattung des Lebensraums zu, so bedarf es keiner weiterführenden Untersuchungen "ins Blaue hinein" (Urteil vom 9. Juli 2008 a.a.O. Rn. 54). Auch durch den Einwand in der vom Kläger vorgelegten gutachterlichen Stellungnahme des Dipl. Biol. Dr. K., die Suche nach Imagines des Großen Feuerfalters im Bereich der Futterpflanzen bringe meist keinen Erfolg, wird die methodische Vertretbarkeit der Bestandserfassung nicht in Frage gestellt. Gerade wegen der Schwierigkeiten, die oft in sehr geringer Populationsdichte auftretende Art tagsüber beim Blütenbesuch zu beobachten, sind in der Schmetterlingskartierung ergänzend die Raupenfutterpflanzen einbezogen und bei zwei Begehungen auf abgelegte Eier untersucht worden. Entgegen der Kritik von Dr. K. ist nicht nur der Flussampfer als geeignete Futterpflanze des Großen Feuerfalters untersucht worden. In der Kartierung findet sich lediglich der Hinweis darauf, dass die Populationen des Großen Feuerfalters in Nord-Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern bisher nur am Flussampfer beobachtet worden seien. Dass der erwähnte Gutachter des Klägers eine aufwändigere mehrjährige Untersuchung sowohl für den Großen Feuerfalter als auch für den Nachtkerzenschwärmer fordert, ist für sich genommen nicht geeignet, der dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde liegenden Untersuchung die fachwissenschaftliche Eignung abzusprechen (vgl. Urteil vom 9. Juli 2008 a.a.O. Rn. 66), zumal bereits die Untersuchung im Jahr 2003 ohne Nachweis der beiden Arten geblieben ist.
Die der faunistischen Kartierung zugrunde liegenden Erfassungszeiträume begegnen ebenfalls keinen fachlichen Bedenken. Der Gutachter des Klägers, dem zu dieser Frage hinsichtlich des Großen Feuerfalters in der mündlichen Verhandlung Schriftsatznachlass eingeräumt worden ist, bestätigt in seiner dem nachgelassenen Schriftsatz beigefügten Stellungnahme die Richtigkeit des Erfassungszeitraums für den Großen Feuerfalter ausdrücklich. Soweit er in dieser Stellungnahme seine Kritik erneuert, die Erfassung des Nachtkerzenschwärmers habe nach der Falterflug- und Raupenphase stattgefunden, hat der Gutachter des Beklagten dem entgegengehalten, die Erfassung zwischen dem 30. Juni und 7. Juli habe zwar nicht im Flugzeithöhepunkt, aber im erweiterten Erfassungszeitraum des Falters und der Puppe sowie im Kernerfassungszeitraum von Ei und Raupe gelegen. Die zweite Begehung am 24. August, bei der die Futterpflanzen nach Raupen abgesucht wurden, habe ebenfalls im erweiterten Erfassungszeitraum gelegen. Danach ist auch bezüglich des Erfassungszeitraums des Nachtkerzenschwärmers kein fachliches Defizit erkennbar, das die Verwertbarkeit der Bestandserfassung in Frage stellen könnte. Das gilt auch für die von den Gutachtern des Beklagten und des Klägers jeweils unterschiedlich beurteilte Frage, ob der Lichtfang eine geeignete Erfassungsmethode für den Nachtkerzenschwärmer darstellt. Auch insoweit ist nicht erkennbar, dass der Gutachter des Beklagten einen fachwissenschaftlich nicht zumindest vertretbaren Standpunkt einnimmt. Dies gilt entsprechend für die Bewertung einer möglichen Betroffenheit des in mehreren Kilometern von der geplanten Trasse nachgewiesenen Vorkommens des Großen Feuerfalters.
cc) Die Bestandserfassung der Libellen weist ebenfalls keinen Fehler auf. Dass der Meynbach am nördlichen Ende der Trasse ausgespart worden ist, hat der Beklagte mit der Berücksichtigung dieses Gebiets im Planfeststellungsverfahren zu der auf mecklenburgisch-vorpommerscher Seite liegenden VKE 6 gerechtfertigt. Der Gutachter des Beklagten, Dr. L., hat in der mündlichen Verhandlung ergänzend dargelegt, dass alle für Libellen geeigneten Lebensräume im Trassenbereich ergebnislos auf Vorkommen europäisch geschützter Arten untersucht worden seien. Die abschließende Bewertung des Meynbachs habe daher dem Planfeststellungsbeschluss im Folgeabschnitt überlassen werden können.
b) Es ist nicht zu befürchten, dass durch das Vorhaben bau- oder betriebsbedingt der Verbotstatbestand des § 44 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. BNatSchG erfüllt wird.
Durch das aus zahlreichen unterschiedlichen Querungshilfen, Leit- und Sperreinrichtungen sowie Gestaltungsmaßnahmen bestehende Schutzkonzept des Planfeststellungsbeschlusses wird eine signifikante Erhöhung des verkehrsbedingten Kollisionsrisikos ausgeschlossen. Das gilt namentlich für den Wolf. Abgesehen davon, dass territoriale Wölfe im Trassenbereich bisher nicht nachgewiesen worden sind und daher allenfalls mit durchziehenden Tieren zu rechnen ist, wird durch den vorgesehenen Wildschutzzaun ein Betreten der Trasse durch den Wolf wirksam verhindert. Soweit der Kläger zuletzt noch gerügt hat, dass in dem Bereich, in dem die bisherige B 5 in sehr geringem Abstand parallel zur Trasse der A 14 verläuft, ein erhöhtes Kollisionsrisiko trotz des stark zurückgehenden Verkehrsaufkommens auf der B 5 deshalb bestehe, weil der Wolf nach dem Überqueren der B 5 an dem Wildschutzzaun der A 14 umkehren und erneut die Trasse der B 5 queren werde, hat der Beklagte dem durch die Anordnung eines Wolfsmonitorings für den Bereich zwischen der bestehenden B 5 und der zu bauenden A 14 Rechnung getragen. Für den Fall, dass ein Wolfsvorkommen festgestellt wird, kommt die Einzäunung auch der B 5 als Schutzmaßnahme in Betracht.
Auch für den Fischotter und den Biber werden durch die vorgesehenen Schutzzäune - wie im Zusammenhang mit dem Habitatrecht dargelegt - Kollisionen mit Fahrzeugen auf der Autobahn verhindert.
Dass die Planfeststellungsbehörde den Tötungstatbestand des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG für den Rotmilan angesichts des bereits im Zusammenhang mit dem Habitatrecht gewürdigten Flug- und Jagdverhaltens dieser Art in der Prignitz und der ebenfalls bereits erörterten Schutzmaßnahmen verneint hat, ist durch ihren naturschutzfachlichen Einschätzungsspielraum gedeckt.
c) Erhebliche Störungen, die den Erhaltungszustand der lokalen Population der Feldlerche verschlechtern könnten, § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG, treten nach der naturschutzfachlich vertretbaren Einschätzung des Beklagten nicht auf. Die Annahme des Artenschutzbeitrags, 36 von 78 im Abstand zwischen 100 und 500 m von der Trasse liegende Brutreviere der Feldlerche würden aufgrund ihrer optisch deutlich von der Trasse abgeschirmten Lage keinen artenschutzrechtlich relevanten Störungen ausgesetzt, entspricht dem aktuellen fachwissenschaftlichen Erkenntnisstand. In der von Garniel und Mierwald 2010 erstellten "Arbeitshilfe Vögel und Straßenverkehr" weisen die Autoren darauf hin, dass die der Ermittlung der 78 betroffenen Brutreviere zugrunde liegende Standard-Prognose einen artspezifischen Orientierungswert bietet, der landschaftsspezifische Besonderheiten nicht berücksichtigt und deshalb zu einer Überschätzung des tatsächlichen Störpotentials führen könne. Abschirmwirkungen durch die Gestaltung der betroffenen Landschaft könnten dagegen durch eine vertiefte Raumanalyse erfasst werden. Für die Feldlerche zeigt die Arbeitshilfe sodann beispielhaft auf, wie sich das Störpotential einer gegenüber dem Brutplatz tieferliegenden Straße verringert (S. 47 f.). Diesem Ansatz ist der Beklagte gefolgt. Dem Einwand des Klägers, dass Feldlerchen bei ihrem Singflug auch größere Höhen als 50 m erreichen, sind die Gutachter des Beklagten, F. und Dr. L., in der mündlichen Verhandlung mit dem Hinweis entgegengetreten, dass beim Übersteigen der mittleren Singhöhe die Wahrnehmung von Unruhe durch den Straßenverkehr für die Feldlerche entsprechend abnehme und deshalb der rechnerischen Ermittlung der Störwirkung die mittlere Singhöhe zugrunde gelegt werden durfte.
Auch die Rüge des Klägers, die im Maßnahmenblatt E13 ASB vorgesehene Entwicklung eines struktur- und artenreichen Feuchtgrünlandkomplexes in der Löcknitzniederung als avifaunistischer Lebens- und Nahrungsraum sei für die Feldlerche nicht geeignet, greift nicht. Die Gutachter des Beklagten haben einleuchtend erläutert, dass die geplante Anhebung des Grundwasserstandes nicht zu großflächigen Stauungen führen werde und insbesondere während der Brutzeit der Feldlerche (Spätfrühjahr und Sommer) keinerlei Beeinträchtigungen durch Nässe zu befürchten seien.
d) Die Kritik des Klägers, die im Artenschutzbeitrag zur Bewältigung der Zugriffsverbote und der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung (§ 13 Satz 2, § 15 Abs. 2 BNatSchG) vorgesehenen Schutz- und Ausgleichsmaßnahmen seien in zeitlicher Hinsicht zu unbestimmt, hat keinen Erfolg.
aa) Soweit in den als Anlage 1A zum LPB planfestgestellten Maßnahmenblättern in Übereinstimmung mit dem Erläuterungsbericht zum LPB davon die Rede ist, dass die vorgesehenen Maßnahmen unmittelbar nach Erlangung der planungsrechtlichen Genehmigung (Maßnahmenblätter V7/A ASB , V10/A ASB , V14/A ASB , A7 ASB , A8 ASB , A9(M) ASB , A11 ASB , A12 ASB , E12 ASB , E13 ASB ) umzusetzen sind, während im Erläuterungsbericht zum Artenschutzbeitrag im Hinblick auf eine rechtzeitige Funktionserfüllung verlangt wird, die betreffenden Maßnahmen "mindestens 1 Vegetationsperiode vor Baufeldräumung in den betroffenen Trassenabschnitten durchzuführen" (S. 24, 27), führt dies nicht zur mangelnden zeitlichen Festlegung des Durchführungszeitpunkts der Schutz- und Ausgleichsmaßnahmen. Beide Maßgaben stehen nicht in Widerspruch zueinander, sondern in einem Verhältnis der Ergänzung. Die Maßnahmenblätter legen fest, wann mit der Umsetzung der dort als CEF-Maßnahmen bezeichneten Schutz- und Ausgleichsmaßnahmen (vgl. zur Begrifflichkeit Urteil vom 9. Juli 2008 - BVerwG 9 A 14.07 - BVerwGE 131, 274 Rn. 98; und Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 2011, § 44 Rn. 42) begonnen werden darf und muss, während der Artenschutzbeitrag hiervon ausgehend für einige Maßnahmen den Mindestzeitraum festlegt, der einzuhalten ist, um die Funktionsfähigkeit der Maßnahme im Zeitpunkt der auszugleichenden Beeinträchtigung sicherzustellen. Das vom Kläger angesprochene Problem eines Vorrangs der Maßnahmenblätter gegenüber den Anforderungen im Artenschutzbeitrag stellt sich somit nicht.
Die Angabe des Artenschutzbeitrags, dass die Maßnahmen "mindestens 1 Vegetationsperiode vor Baufeldräumung" durchzuführen sind, ist auch hinreichend bestimmt. Das Bestimmtheitsgebot des § 37 VwVfG verlangt zum einen, dass der Adressat in der Lage sein muss zu erkennen, was von ihm gefordert wird. Zum anderen muss der Verwaltungsakt geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein können. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden und mit dem Verwaltungsakt umzusetzenden Rechts (vgl. Urteil vom 18. April 1997 - BVerwG 8 C 43.95 - BVerwGE 104, 301 <317> = Buchholz 401.0 § 191 AO Nr. 7 <13>). Mit der Festlegung eines Mindestzeitraums, der zwischen der Durchführung der Maßnahme und der Baufeldfreimachung liegen muss, trägt der Planfeststellungsbeschluss dem Umstand Rechnung, dass die individuenbezogenen artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände eine Umsetzung der Schutz- und Ausgleichsmaßnahmen ohne zeitliche Lücke zwischen Wirksamwerden der Maßnahme und Realisierung des Eingriffs, mithin als artenschutzrechtliche Vorabmaßnahmen erfordern (Urteil vom 9. Juni 2010 - BVerwG 9 A 20.08 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 208 Rn. 65; Beschluss vom 30. März 2012 - BVerwG 9 VR 5.12 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 223 Rn. 7 f.).
Durch den Zusatz "mindestens" in den Maßnahmenblättern wird darüber hinaus deutlich gemacht, dass auch längere Zeiträume für die Herstellung der vollen Funktionalität im Zeitpunkt des Eingriffs in Betracht kommen können. Umgekehrt ist die Formulierung bei der gebotenen Auslegung anhand ihrer objektiven Erklärungsbedeutung, wie sie der Empfänger verstehen musste (stRspr, Urteil vom 2. September 1999 - BVerwG 2 C 22.98 - BVerwGE 109, 283 <286>), nicht so zu begreifen, dass unabhängig von der Art der Maßnahme immer mindestens eine Vegetationsperiode zwischen der Umsetzung der Maßnahme und dem Beginn der Baufeldfreimachung, die gemäß Maßnahmenblatt S3(M) ASB grundsätzlich nur im Zeitraum zwischen dem 1. Oktober und dem 28. Februar zulässig ist, liegen muss. Erreicht eine Maßnahme bereits in der Vegetationsperiode, in der sie umgesetzt wird, ihre volle Funktionalität, besteht keine naturschutzfachliche Erforderlichkeit, mit dem Baubeginn zuzuwarten.
Einer weitergehenden Festlegung des erforderlichen zeitlichen Vorlaufs bedurfte es im Planfeststellungsbeschluss nicht. Die Planfeststellungsbehörde hat sich zwar Gewissheit darüber zu verschaffen, dass für die durch das Vorhaben aufgeworfenen artenschutzrechtlichen Probleme geeignete Lösungen zur Verfügung stehen und muss sie im Planfeststellungsbeschluss verbindlich regeln. Einer genauen zeitlichen Festlegung des Umsetzungszeitpunkts für jede einzelne artenschutzrechtliche Schutz- und Ausgleichsmaßnahme bedarf es aber dann nicht, wenn auf andere Weise die vollständige Umsetzung und Funktionalität der Maßnahmen vor Baubeginn sichergestellt wird (vgl. zur technischen Ausführungsplanung Urteile vom 3. März 2011 - BVerwG 9 A 8.10 - BVerwGE 139, 150 Rn. 21, vom 18. März 2009 - BVerwG 9 A 39.07 - BVerwGE 133, 239 Rn. 97 und vom 5. März 1997 - BVerwG 11 A 5.96 - Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 44 S. 25 f.). Dies ist hier der Fall. Nach den Nebenbestimmungen im Planfeststellungsbeschluss zu Naturschutz und Landschaftspflege (S. 37) sind die zuständigen Naturschutzbehörden rechtzeitig vorher über den Baubeginn einschließlich der Baufeldfreimachung zu informieren. Vor Beginn der bauvorbereitenden Maßnahmen sind die im Planfeststellungsbeschluss zugrunde gelegten Informationen zu den betroffenen Nist-, Brut-, Ruhe- und Zufluchtstätten der geschützten Tierarten durch geeignete Personen zu überprüfen und zu aktualisieren. Durch eine naturschutzfachlich qualifizierte Baubetreuung ist sodann die vollständige Umsetzung der planfestgestellten Maßnahmen zu überwachen und sicherzustellen. Dies schließt die Prüfung ein, ob die jeweilige Maßnahme rechtzeitig vor der Baufeldfreimachung ihre volle Wirksamkeit erreicht hat.
Entgegen der Ansicht des Klägers kann diese Prüfung jeweils gesondert für den von der Maßnahme betroffenen Trassen- und Bauabschnitt vorgenommen werden. Dass bestimmte Konflikte entlang der ganzen Trasse auftreten, bedeutet nicht, dass die Baufeldfreimachung erst dann begonnen werden darf, wenn alle Schutz- und Ausgleichsmaßnahmen erfolgreich umgesetzt wurden. Entscheidend ist allein, das in dem Bereich, in dem ein Baubeginn erfolgt, die für die Kompensation der Eingriffe in diesem räumlichen Umfeld erforderliche Maßnahme bereits wirksam geworden ist.
bb) Die zur Vermeidung von Zerschneidungswirkungen vorgesehenen Querungsbauwerke entsprechen den Anforderungen, die das Merkblatt zur Anlage von Querungshilfen für Tiere und zur Vernetzung von Lebensräumen an Straßen (MAQ) vorsieht. Die Brücke über die Löcknitz wird durch eine Reduzierung der Höhe des Brückenüberbaus über 185 m von 197 m die nach den MAQ für Gewässer- und Wildunterführungen vorgeschriebene Mindesthöhe von 5 m erreichen und damit für alle Großsäuger mit Ausnahme des Rothirsches eine besonders großzügige Querungsmöglichkeit darstellen und den Biotopverbund zwischen den Gewässer- und Auensystemen von Elbe und Eder sicherstellen. Dass die Löcknitzbrücke nicht die für den Rothirsch erforderliche lichte Höhe von 10 m aufweist, ist entgegen der Auffassung des Klägers unbeachtlich. In dem zur Bewertung der Beeinträchtigungen der faunistischen Mobilität durch Zerschneidungseffekte eingeholten Fachgutachten der Universität Rostock (Anhang 1 des LPB) wird ausgeführt, dass kein Bewegungskorridor des Rothirsches der A 14 in der Löcknitzniederung verläuft, sondern weiter nordwestlich vor und hinter Garlin. Dort wird durch die 56 m breite Grünbrücke (BW 21Ü5) eine für den Rothirsch geeignete Querungsmöglichkeit geschaffen. Diese Brücke sichert auch für das Reh neben der Löcknitzniederung eine weitere Querungsmöglichkeit der Trasse. Der 20 m breiten Grünbrücke BW 21Ü1 kommt für das Reh und weitere Kleinsäuger nur zusätzliche Bedeutung zu, weshalb ihre Dimensionierung und ihr für das Reh und andere Tierarten nicht optimaler Standort keinen Bedenken begegnet.
e) Der Planfeststellungsbeschluss genügt den Anforderungen an die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung (§§ 13 ff. BNatSchG) auch hinsichtlich der Trassendimensionierung.
Durch die Wahl des eigentlich nur für autobahnähnliche Straßen vorgesehenen kleinen Trassenquerschnitts RQ 28 ist in ausdrücklicher Abarbeitung des besonderen naturschutzfachlichen Planungsauftrags (PFB S. 83) der Forderung nach einer Minimierung des Flächenverbrauchs und einer Reduzierung der Eingriffe in Natur und Landschaft Rechnung getragen worden. Den Rügen des Klägers, die Dammhöhen insbesondere im Bereich des Bauwerks 20 (Überführungsbauwerk über die L 13n) seien nicht auf das absolut notwendige Maß reduziert worden und die Kompensation der Beeinträchtigung des Landschaftsbildes sei unzureichend, ist der Beklagte mit dem Hinweis auf die zur Unterführung von Wirtschaftswegen sowie aus habitat- und artenschutzrechtlichen Gesichtspunkten erforderliche lichte Höhe der Brücke über die Löcknitz und die bei einer kompletten Verschiebung des Kreuzungspunktes der A 14 mit der L 13n nach Süden stark erhöhte Flächenversiegelung überzeugend entgegengetreten.
Dass die vorgesehene Trasse im streitgegenständlichen Abschnitt über die beiden im Norden und Süden liegenden Anschlussstellen hinausreicht und "auf der grünen Wiese" endet, führt ebenfalls nicht zu einem vermeidbaren Eingriff im Sinne des § 13 Satz 1, § 15 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG. Der Beklagte hat die Fortführung über die Anschlussstellen hinaus sachlich mit der Verknüpfung des südlichen Abschnittsendes mit dem Ende der Einfädelungsspur der zum planfestgestellten Abschnitt gehörenden Anschlussstelle Karstädt und im Norden mit dem Anschluss an die Landesgrenze begründet. Eine abwägungsfehlerhafte Abschnittsbildung und ein im Sinne der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung vermeidbarer Eingriff läge daher nur dann vor, wenn die beiden "Stummelstrecken" aufgrund des Planfeststellungsbeschlusses gebaut werden dürften, bevor ihnen eine (eigenständige) Verkehrsfunktion zukommt (vgl. zur Verkehrsfunktion bei der Abschnittsbildung Urteil vom 25. Januar 1996 - BVerwG 4 C 5.95 - BVerwGE 100, 238 <255> m.w.N.). Dies ist jedoch nicht der Fall. Durch die Vorbehaltsentscheidung im Planfeststellungsbeschluss (S. 54) wird sichergestellt, dass mit dem Bau der Trassenenden erst dann begonnen werden darf, wenn ein Planfeststellungsbeschluss für die jeweils anschließenden Verkehrskosteneinheiten ergangen und sofern und solange dieser auch vollziehbar ist. Soweit der Kläger rügt, nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteile vom 25. Januar 1996 a.a.O. S. 256 und vom 7. März 1997 - BVerwG 4 C 10.96 - BVerwGE 104, 144 <152> ) sei es erforderlich, dass die Planfeststellungsbeschlüsse der Folgeabschnitte Bestandskraft erlangt haben, übersieht er, dass der erkennende Senat mit Blick auf die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Folgeabschnitte in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren überprüfen zu lassen, bereits im Beschluss vom 4. August 2004 - BVerwG 9 VR 13.04 - (Buchholz 316 § 78 VwVfG Nr. 9 S. 2 ff.) hiervon abgerückt ist und die sofortige Vollziehbarkeit in den Fällen als ausreichende Verklammerung der angrenzenden Abschnitte hat genügen lassen, in denen der Gesetzgeber mit dem Ziel der beschleunigten Umsetzung der Vorhaben die sofortige Vollziehbarkeit der Planfeststellungsbeschlüsse als Regelfall vorsieht (§ 5 Abs. 2 Satz 1 VerkPBG, § 17e Abs. 2 Satz 1 FStrG).
5. Der angefochtene Planfeststellungsbeschluss leidet auch mit Blick auf die unterlassene Prüfung der Null-Variante nicht an einem Mangel der nach § 17 Satz 2 FStrG gebotenen Abwägung.
a) Das folgt allerdings nicht bereits daraus, dass das Vorhaben in dem gesetzlichen Bedarfsplan als Projekt des vordringlichen Bedarfs aufgenommen ist. Die Planfeststellungsbehörde ist trotz der verbindlichen Feststellung des Verkehrsbedarfs durch § 1 Abs. 2 FStrAbG verpflichtet zu prüfen, ob dem Vorhaben womöglich wegen der erst auf späteren Planungsstufen gewonnenen Erkenntnisse unüberwindliche Belange entgegenstehen, die dazu nötigen, letztlich doch von der Planung Abstand zu nehmen (vgl. Urteile vom 10. April 1997 - BVerwG 4 C 5.96 - BVerwGE 104, 236 <249 f.> und vom 9. Juni 2004 - BVerwG 9 A 11.03 - juris Rn. 86 <insoweit nicht veröffentlicht in BVerwGE 121, 72 und Buchholz 406.400 § 61 BNatSchG 2002 Nr. 5>). Die Aussage im Erläuterungsbericht, auf den der Planfeststellungsbeschluss insoweit vollinhaltlich Bezug nimmt (S. 86), die Null-Variante sei wegen der Aufnahme des Vorhabens in den vordringlichen Bedarf nicht zu prüfen, erweist sich somit als unzutreffend. Dies lässt jedoch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Planfeststellungsbeschlusses im Übrigen nicht den Schluss zu, der Beklagte habe sich durch die gesetzliche Bedarfsfeststellung einer abwägenden Beurteilung der Frage enthoben gesehen, ob wegen sich erst im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens herausstellender unüberwindlicher Hindernisse auf das Projekt zu verzichten ist. Das Gegenteil folgt aus den Ausführungen zur Planrechtfertigung auf S. 82 des Planfeststellungsbeschlusses. Dort wird ausdrücklich hervorgehoben, die gesetzgeberische Bedarfsentscheidung verleihe den durch die Planung begünstigten Belangen besonderes Gewicht, diese Belange könnten aber dennoch durch Gegengründe, die ihrerseits über ein entsprechendes Gewicht verfügten, überwunden werden. Dass der Beklagte den Umweltbelangen angesichts des Ergebnisses der Verträglichkeitsprüfung kein solches Gewicht beigemessen hat, ist eine von seiner planerischen Gestaltungsfreiheit offensichtlich gedeckte Entscheidung.
b) Die Alternativenprüfung ist auch im Übrigen nicht zu beanstanden. Bei der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials müssen alle ernsthaft in Betracht kommenden Alternativen berücksichtigt werden und mit der ihnen zukommenden Bedeutung in die vergleichende Prüfung der von den möglichen Alternativen berührten öffentlichen und privaten Belange eingehen. Ist dies geschehen, sind die Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit bei der Auswahl zwischen verschiedenen Trassenvarianten erst dann erreicht, wenn eine andere als die gewählte Linienführung sich unter Berücksichtigung aller abwägungserheblichen Belange eindeutig als die bessere, weil öffentliche und private Belange insgesamt schonendere darstellen würde, wenn sich mit anderen Worten diese Lösung der Behörde hätte aufdrängen müssen (Urteile vom 25. Januar 1996 a.a.O. S. 249 f. und vom 20. Mai 1999 - BVerwG 4 A 12.98 - NVwZ 2000, 555 <556>). Läuft eine Variante auf ein anderes Projekt hinaus, kann von einer Alternative nicht mehr gesprochen werden (vgl. Urteile vom 19. Mai 1998 - BVerwG 4 A 9.97 - BVerwGE 107, 1 <13 f.> und vom 17. Mai 2002 - BVerwG 4 A 28.01 - BVerwGE 116, 254 <259 ff.>). So verhält es sich mit der vom Kläger favorisierten sogenannten "Null-Plus-Variante".
Diese Variante stellt bereits wegen des danach vorgesehenen Verzichts auf einen durchgängigen vierstreifigen und kreuzungsfreien Ausbau keine Alternative dar. Zwar sind gewisse Abstriche am Grad der Zielvollkommenheit als typische Folge des Gebots, Alternativen zu prüfen, hinzunehmen (Urteil vom 17. Mai 2002 a.a.O. S. 262). Die hier vorgeschlagene Alternative geht darüber aber erheblich hinaus. Dass mit einem Ausbau im Bestandsnetz und einer Abwicklung des Verkehrs auf einer zweistreifigen Bundesstraße hinsichtlich der Leichtigkeit und Sicherheit des Verkehrs sowie der Reisegeschwindigkeit nicht annähernd das gleiche Niveau erreicht werden kann, wie mit dem Bau einer kreuzungsfreien Autobahn, liegt auf der Hand und wird in der vom Kläger eingereichten Stellungnahme von Prof. B. vom Institut für Verkehrsplanung und Straßenverkehr der TU Dresden vom 10. Juli 2005 bestätigt. Diese Stellungnahme kommt zu dem Ergebnis, dass eine Null-Plus-Variante nicht die Geschwindigkeiten bieten könne, wie eine neu trassierte Autobahn und sie - mit nachteiligen Wirkungen für die Bevölkerung - länger werden und stärker in das nachgeordnete Straßennetz eingreifen müsse.
Die Null-Plus-Variante hat aber jedenfalls deswegen ein anderes Verkehrsprojekt zum Gegenstand, weil nach der gesetzlichen Bedarfsplanung ein vierstreifiger Neubau vorgesehen ist. Die davon abweichende Null-Plus-Variante kann das mit dem Neubau verfolgte Ziel, das Autobahnnetz zwischen Magdeburg und Schwerin zu schließen und damit insbesondere eine schnelle und leistungsfähige Nord-Süd-Verbindung von Wismar und den Ostseehäfen über Magdeburg bis nach Dresden herzustellen, nicht erreichen. Auch das weitere Ziel, die Einbindung des Planungsraums der A 14 in das (internationale) Autobahnnetz zu verbessern und damit die Erreichbarkeitsdefizite zu verringern, könnte nicht oder nur in einer nicht vergleichbaren Weise erreicht werden. Dass der Kläger die Möglichkeiten, durch den geplanten Bau der A 14 die wirtschaftlichen Entwicklungsrückstände abzubauen, anders beurteilt als der Beklagte, ist - wie bereits im Zusammenhang mit der Planrechtfertigung erwähnt - nicht geeignet, die Entscheidung des Gesetzgebers in Frage zu stellen.
Auch mit der Rüge, im südlichen Bereich der Trasse hätte eine weitergehende Trassenbündelung erfolgen müssen, zeigt der Kläger einen Abwägungsfehler nicht auf. Der Beklagte ist dem Einwand überzeugend mit dem Hinweis entgegengetreten, dass die Trasse der A 14 zwischen dem Bahnhof Dergenthin und der Kreuzung der L 131 gebündelt mit der Bahnstrecke Berlin-Hannover verlaufe und anschließend in westliche Richtung schwenke, um die Siedlungsgebiete der Gemeinde Karstädt zu umgehen. Eine weitere Bündelung der Trasse im Siedlungsbereich sei wegen der damit einhergehenden Beeinträchtigungen dort wohnender Menschen nicht möglich. Dem ist der Kläger, der in seiner Stellungnahme vom 24. Juni 2009 selbst auf die Beeinträchtigung der Lebensqualität für Menschen durch das Vorhaben hingewiesen hat, nicht entgegengetreten.
6. Soweit der Kläger mit seinem zweiten Hilfsantrag eine Neubescheidung hinsichtlich der von ihm geforderten zusätzlichen Maßnahmen zum Schutz von Natur und Landschaft begehrt, muss ihm ebenfalls der Erfolg versagt bleiben. Wie sich aus dem oben Dargelegten ergibt, sind die angeordneten Schutzmaßnahmen nicht zu beanstanden.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019688
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BVerwG
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9. Senat
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20130503
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9 A 17/12
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Urteil
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§ 1 Abs 1 FStrG, § 2 Abs 6 S 2 FStrG, § 2 FStrG, Art 74 Abs 1 Nr 22 GG, § 3 StrG BB 2009, § 7 Abs 2 StrG BB 2009, § 7 Abs 6 StrG BB 2009
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DEU
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Entscheidung im Planfeststellungsbeschluss; Umstufung einer Bundesstraße wegen Parallellage zur Bundesautobahn in eine Kreisstraße
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1. Die Verfahrensregelung des § 2 Abs. 6 FStrG ist, soweit sie sich auf die Neueinteilung entbehrlicher Bundesstraßen in eine Straßenklasse nach dem Landesrecht erstreckt, kraft Sachzusammenhangs von der Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG gedeckt.
2. Eine dem weiträumigen Verkehr dienende und bislang zu dienen bestimmte Straße bleibt auch dann Bundesstraße, wenn die zuständige Behörde mit ihrer Konzeption, der Straße die Bestimmung für den weiträumigen Verkehr zu nehmen, scheitert (wie Beschluss vom 23. Oktober 2002 - BVerwG 4 B 49.02 - juris).
3. Eine in Parallellage und unmittelbarer räumlicher Nähe zu einer neu gebauten Autobahn verlaufende Bundesstraße verliert regelmäßig die Bestimmung, dem weiträumigen Verkehr zu dienen.
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Der Kläger, ein Landkreis, wendet sich gegen den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten vom 30. März 2012 für den Neubau der Bundesautobahn A 14 Magdeburg - Schwerin im Teilabschnitt Anschlussstelle Karstädt bis zur Landesgrenze Brandenburg/Mecklenburg-Vorpommern (Verkehrskosteneinheit 1155 - VKE 1155), soweit er die Umstufung der bestehenden Bundesstraße 5 zur Kreisstraße zwischen der Landesstraße 13 bei Karstädt und der Landesstraße 134 bei Groß Warnow sowie der Landesstraße 133 zwischen der Bundesstraße 5 (alt) und Reckenzin jeweils zu Kreisstraßen festsetzt.
Der hier in Rede stehende Planungsabschnitt ist 12,626 km lang. Er nimmt die aus Richtung Süden kommende Trasse an der vorhandenen L 131 bei Karstädt auf und schwenkt dann in nordwestliche Richtung. Nach der Querung der Löcknitzniederung verläuft die Trasse über rund neun Kilometer in nordöstlicher Parallellage zur bisherigen B 5 und umfährt mit einem Linksbogen die Ortslage Groß Warnow. Das Bauende liegt an der Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern. An den Endpunkten des planfestgestellten Abschnitts wird über die Anschlussstelle Karstädt im Süden und Groß Warnow im Norden die Anbindung an das nachgeordnete Straßennetz hergestellt. Der Folgeabschnitt der Autobahn in Mecklenburg-Vorpommern (VKE 6) ist mit mittlerweile bestandskräftigem Beschluss vom 23. November 2012 planfestgestellt worden. Für den im Süden von Karstädt anschließenden Abschnitt (VKE 1154) ist das Planfeststellungsverfahren eingeleitet.
Mit seiner am 21. Juni 2012 eingegangenen Klage rügt der Kläger im wesentlichen Folgendes: Der Beklagte habe die vorgesehene Abstufung nicht ausreichend angekündigt und eine Abwägung mit den Interessen des Klägers unterlassen. Die Voraussetzungen für eine Abstufung der B 5 (alt) lägen nicht vor, da sie zwischen Groß Warnow und Karstädt trotz der Parallellage mit der A 14 auch weiterhin überwiegend einem weiträumigen Verkehr dienen werde. Dies gelte insbesondere für den Mautvermeidungsverkehr. Folge man der Argumentation des Beklagten, dann erfülle die B 5 (alt) künftig auch nicht die Vorraussetzungen einer Kreisstraße, da die dann als ausschließlich auf dem Gemeindegebiet der Gemeinde Karstädt verlaufende Straße nur Bedeutung für diese Gemeinde habe.
Der Kläger beantragt,
den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten für den Neubau der Bundesautobahn 14 im Teilabschnitt zwischen der Anschlussstelle Karstädt und der Landesgrenze Brandenburg/Mecklenburg-Vorpommern vom 30. März 2012 insoweit aufzuheben, als er die Umstufung der Bundesstraße 5 zwischen der Landesstraße 13 und der Landesstraße 134 sowie der Landesstraße 133 zwischen der Bundesstraße 5 (alt) und Reckenzin jeweils zur Kreisstraße festsetzt.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er führt aus: Die Abstufung unterliege nicht dem Abwägungsgebot, sondern sei zu verfügen, wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen dafür vorlägen. Dies sei hier aufgrund der Parallellage der B 5 (alt) mit der A 14 der Fall. Die bisherige Fernverkehrsfunktion der Bundesstraße werde durch die Bundesautobahn übernommen. Der umzustufende Teilabschnitt der B 5 (alt) erfülle die gesetzlichen Voraussetzungen einer Kreisstraße. Eine weitere Abstufung zu einer Gemeindestraße komme dagegen nicht in Betracht. Die B 5 (alt) sei in dem in Rede stehenden Abschnitt weder eine Gemeindeverbindungsstraße noch eine Ortsstraße. Mit der Abstufung der B 5 (alt) zur Kreisstraße verliere die L 133 ihre Anbindung an das Bundesfernstraßennetz. Ihre Funktion werde von den Landesstraßen 134 und 131, die den neuen Anschlussstellen der A 14 zugeführt würden, übernommen.
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Die zulässige Klage ist begründet. Die Abstufungsentscheidungen sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. § 2 Abs. 4 FStrG bietet die Rechtsgrundlage dafür, eine Bundesstraße, bei der die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 FStrG weggefallen sind, entweder einzuziehen oder dem Träger der Straßenbaulast zu überlassen, der sich nach Landesrecht bestimmt (Abstufung). Die Abstufungsentscheidung setzt aus verfassungsrechtlichen Gründen ein Einvernehmen zwischen dem Bund und der für die Abstufungsentscheidung gemäß § 2 Abs. 6 FStrG zuständigen obersten Landesstraßenbehörde voraus. Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 3. Juli 2000 - 2 BvG 1/96 - (BVerfGE 102, 167 <173 f.>) entschieden hat, reicht die Verwaltungszuständigkeit des Bundes für "Bundesautobahnen und sonstige Bundesstraßen des Fernverkehrs" im Sinne von Art. 90 Abs. 2 GG nicht weiter als die damit korrespondierende Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG. Danach kann der Bund dem Land gegenüber keine Weisung zur Abstufung einer Bundesstraße in eine Straßenklasse nach Landesrecht erteilen. Dem Bund steht daher lediglich die Möglichkeit offen, eine als Bundesstraße entbehrlich gewordene Straße zu entwidmen oder dem Land nach Vereinbarung zu überlassen. Diesen Vorgaben hat der Gesetzgeber mit der durch Gesetz vom 11. Oktober 2002 (BGBl I S. 4015) geänderten Fassung des § 2 Abs. 4 FStrG Rechnung getragen (vgl. Sauthoff, in: Müller/Schulz, Bundesfernstraßengesetz, § 2 Rn. 35 f.).
Die oberste Landesstraßenbaubehörde hat die vom (damaligen) Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen im Rahmen der Linienbestimmung geäußerte Einschätzung, dass die B 5 (alt) nach Fertigstellung und Verkehrsfreigabe der Neubautrasse ihre Funktion als Straße des weiträumigen Verkehrs verliert, geteilt und im Planfeststellungsbeschluss in einer den Geboten der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit (noch) genügenden Weise ausgesprochen. Dass eine Abstufung der B 5 (alt) Folge des Neubaus ist, ist zwar nicht - wie es wünschenswert gewesen wäre - im verfügenden Teil des Planfeststellungsbeschlusses geregelt worden, sondern lediglich dem Bauwerksverzeichnis unter der Nr. 126 und der Bezugnahme hierauf im Erläuterungsbericht (S. 141 f.) zu entnehmen. Die dortige Formulierung, dass die im planfestgestellten Abschnitt gelegene Teilstrecke der B 5 mit der Fertigstellung der Baumaßnahme und der Ingebrauchnahme für den neuen Verkehrszweck entsprechend ihrer zukünftigen Verkehrsbedeutung abgestuft und dem Träger der Straßenbaulast überlassen wird, der sich nach dem Landesrecht bestimmt, bringt die Regelungsabsicht des Beklagten jedoch hinreichend deutlich zum Ausdruck. Gleiches gilt für die weitere Entscheidung, die überlassene Teilstrecke als Kreisstraße umzustufen.
2. Gegen die in § 2 Abs. 6 Satz 2 FStrG enthaltene Ermächtigung der obersten Landesstraßenbaubehörde, die Abstufungsentscheidung im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens zu treffen, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar greift die verfahrensrechtliche Regelung des § 2 Abs. 6 FStrG bezogen auf die in einer Umstufung (Abstufung) als Teilregelung enthaltene Entscheidung über die Einstufung der entbehrlich gewordenen Bundesstraße in eine Straßenklasse nach Landesrecht in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder ein, soweit sie bestimmt, welche Landesbehörde insoweit zuständig ist und indem sie das bundesfernstraßenrechtliche Planfeststellungsverfahren hierfür öffnet (vgl. BVerfG, Urteil vom 3. Juli 2000 a.a.O. S. 174). Gleichwohl ist die Regelung kompetenzrechtlich nicht zu beanstanden. Wenn - wie hier - zwischen Bund und Land eine Vereinbarung über die "Überlassung" der Straße getroffen worden ist, geht es um eine einheitliche Entscheidung über die Abstufung und Neueinstufung, die nur in ihrer Gesamtheit gerichtlich überprüft und gegebenenfalls aufgehoben werden kann (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 21. Juni 1988 - 2 UE 2651/84 - NVwZ-RR 1989, 338, 339). Es wäre daher sachwidrig für die beiden Teilregelungen getrennte Entscheidungen mit jeweils eigenen bundesrechtlichen und landesrechtlichen Verfahrensregelungen vorzusehen (vgl. Grupp, in: Marschall, Bundesfernstraßengesetz, 6. Aufl. 2012, § 2 Rn. 55). Daher ist die Verfahrensregelung des § 2 Abs. 6 FStrG, soweit sie sich auf die Neueinteilung entbehrlicher Bundesstraßen in eine Straßenklasse nach dem Landesrecht erstreckt, kraft Sachzusammenhangs von der Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG gedeckt (vgl. zur Kompetenz kraft Sachzusammenhangs BVerfG, Urteil vom 27. Oktober 1998 - 1 BvR 2306, 2314/96, 1108, 1109, 1110/97 - BVerfGE 98, 265 <299 f.> und Beschluss vom 3. März 2004 - 1 BvF 3/92 - BVerfGE 110, 33 <47 f.).
3. Die Abstufungsentscheidung weist keinen Verfahrensfehler auf. Der Kläger ist als Träger der Straßenbaulast für die Kreisstraßen vor der Entscheidung ordnungsgemäß angehört worden. Wie aus der vom Beklagten im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Einladung vom 14. Dezember 2006 zum Abstimmungstermin am 18. Januar 2007 hervorgeht, ist der Kläger im Rahmen der Planaufstellung vom Vorhabenträger ausdrücklich über das Umstufungskonzept des Beklagten informiert worden. Im Planfeststellungsverfahren ist der Kläger erneut förmlich beteiligt worden. Einer darüber hinausgehenden Beteiligung und einer Ankündigung der Abstufung nach § 2 Abs. 5 Satz 3 FStrG bedurfte es nicht. Diese allgemeine fernstraßenrechtliche Verfahrensregelung, wonach die beabsichtigte Abstufung nur zum Ende eines Rechnungsjahres ausgesprochen und drei Monate vorher angekündigt werden soll, wird durch die Sonderregelung des Absatzes 6 für Abstufungsentscheidungen innerhalb von Planfeststellungsbeschlüssen verdrängt. Die Ankündigung wird danach durch das planfeststellungsrechtliche Anhörungsverfahren (§ 17a FStrG i.V.m. § 73 VwVfG) ersetzt.
4. Die Annahme des Beklagten, dass die B 5 (alt) ihre Bedeutung für den weiträumigen Verkehr durch den Neubau verlieren wird, ist nicht zu beanstanden. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 FStrG sind Bundesstraßen des Fernverkehrs (Bundesfernstraßen) öffentliche Straßen, die ein zusammenhängendes Verkehrsnetz bilden (Netzzusammenhang) und einem weiträumigen Verkehr dienen oder zu dienen bestimmt sind (Verkehrsbedeutung). Aus der Verwendung der Konjunktion "oder" ergibt sich, dass die Verkehrsbedeutung einer Straße als Bundesfernstraße sowohl durch das tatsächliche Verkehrsaufkommen ("dienen") als auch durch die der Straße zugedachte Verkehrsfunktion ("zu dienen bestimmt") erreicht werden kann. Dass beide Kriterien einander nicht gleichzusetzen sind, sondern gleichberechtigt nebeneinander stehen (Grupp a.a.O. § 1 Rn. 22), entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers (vgl. im Einzelnen Beschluss vom 23. Oktober 2002 - BVerwG 4 B 49.02 - juris Rn. 4 f.). Nach diesen gesetzlichen Vorgaben bleibt eine dem weiträumigen Verkehr dienende und bislang zu dienen bestimmte Straße auch dann eine Bundesstraße, wenn die zuständige Behörde mit ihrer Konzeption, der Straße die Bestimmung für den weiträumigen Verkehr zu nehmen, scheitert. Dagegen dient die Straße nicht mehr dem weiträumigen Verkehr, wenn der Anteil dieses Verkehrs hinter dem Anteil jeder Art der übrigen Verkehrsvorgänge zurückbleibt (Herber, in: Kodal, Straßenrecht Handbuch, 7. Aufl. 2010, Kap. 9 Rn. 9.2 S. 342; Grupp a.a.O. § 1 Rn. 23). Sind bei einer Bundesstraße nach diesen Maßstäben "... die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 FStrG weggefallen", haben die Entscheidungsträger die Folgerungen aus dieser durch anderweitige rechtliche oder tatsächliche Entwicklungen einschließlich planerischer Entscheidungen entstandenen Änderung der Verkehrsbedeutung einer bisherigen Bundesfernstraße zu ziehen; eine planerische oder anderweit gestaltende Aufgabe ist ihnen insoweit nicht übertragen (vgl. zu § 2 Abs. 4 FStrG a.F. Urteil vom 22. August 1979 - BVerwG 4 C 34.76 - Buchholz 407.4 § 2 FStrG Nr. 1 S. 2 f.).
Ausgehend hiervon hat der Beklagte zu Recht den Verlust der weiträumigen Verkehrsfunktion der B 5 (alt) nach Ingebrauchnahme der A 14 bejaht. Eine in Parallellage und in unmittelbarer räumlicher Nähe zu einer neu gebauten Autobahn verlaufende Bundesstraße verliert regelmäßig die Bestimmung, dem weiträumigen Verkehr zu dienen. Nach der straßenplanerischen Konzeption soll beim Bau der Bundesautobahn parallel zu einer vorhandenen Bundesstraße die Bundesautobahn künftig die Fernverkehrsfunktion übernehmen, die bisher die Bundesstraße erfüllt hat. Die Bundesstraße ist nach dieser Konzeption nicht mehr dem Fernverkehr "zu dienen bestimmt" und wird wegen der Vorteile der besonderen baulichen Gestaltung von Autobahnen gerade für den weiträumigen Verkehr auch tatsächlich diesem regelmäßig nicht mehr (überwiegend) "dienen" (vgl. Herber a.a.O. Kap. 10 Rn. 17 S. 385 f.; OVG Greifswald, Urteil vom 10. Mai 2005 - 1 L 293.03 - NordÖR 2005, 323). So liegt es auch hier.
Dass der Neubauabschnitt der A 14 zur Aufnahme des weiträumigen Verkehrs bestimmt ist, wird schon aus seinen Anfangs- und Endpunkten im Autobahnnetz mit direkter Anbindung an die A 24 in der Nähe von Schwerin und die A 2 bei Magdeburg deutlich. Die neue Autobahn soll ausweislich der Begründung im Planfeststellungsbeschluss (S. 81) dazu beitragen, eine Lücke im Autobahnnetz im Verlauf der weiträumigen Nord-Süd-Verbindung zwischen Wismar im Norden und Dresden im Südosten zu schließen, und die Anbindung des Autobahnnetzes an das Transeuropäische Netz sowie die Fernstraßenerreichbarkeit im Großraum zwischen den Metropolräumen Berlin - Hamburg - Hannover verbessern. Gleichzeitig folgt aus dem Verlauf der zukünftigen Autobahn in unmittelbarer Nähe und "absoluter" Parallellage zur B 5 (alt), dass diese zukünftig ihre bisherige Bestimmung, den weiträumigen Verkehr aufzunehmen, verlieren soll. Dies gilt nicht nur für den Nord-Süd-Verkehr zwischen Schwerin und Magdeburg, der in beide Richtungen auf den Folgeabschnitten der A 14 weitergeführt wird, sondern auch für den Ost-West-Verkehr zwischen Berlin und Hamburg. Auch für diese Verkehrsrelation wird die Fernverkehrsfunktion der B 5 (alt) in dem hier in Rede stehenden Abschnitt durch die A 14 "unterbrochen".
Die autobahnparallele B 5 (alt) wird nach Ingebrauchnahme der A 14 im Abschnitt zwischen den Anschlussstellen Karstädt und Groß Warnow auch tatsächlich nicht mehr dem weiträumigen Verkehr dienen. Der Gutachter des Beklagten, der für den Vorhabenträger die Verkehrsprognosen erstellt hat, hat in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass die Vorteile einer Autobahn hinsichtlich der Leichtigkeit und Sicherheit des Verkehrs sowie der erzielbaren Reisegeschwindigkeit so deutlich ausfielen, dass sich der weiträumige Verkehr einschließlich des mautpflichtigen Verkehrs bei der Routenwahl regelmäßig für die in Parallellage und in unmittelbarer räumlicher Nähe verlaufende Autobahn entscheiden werde. Dies hätten die für den streitgegenständlichen Abschnitt durchgeführten Modellberechnungen bestätigt. Danach habe der nach Fertigstellung der VKE 1155 und der B 5 (alt) zu erwartende Verkehr unterhalb der Nachweisgrenze gelegen, d.h. es sei mit maximal 2 000 Kfz/24 h zu rechnen. Wegen der Vorteile, die die Autobahn gegenüber einer lediglich zweistreifigen Bundesstraße biete, sei auch der Umstand, dass der von der B 5 aus südlicher Richtung kommende Verkehr nicht direkt auf die Anschlussstelle Karstädt geführt werden könne, sondern einen kurzen Zubringer (B 5 n) benutzen müsse, unerheblich. Angesichts dieser eindeutigen Aussagen des Verkehrsgutachters hat der Senat keine Zweifel daran, dass der B 5 (alt) im Abschnitt zwischen Karstädt und Groß Warnow künftig keine Bedeutung mehr für den weiträumigen Verkehr zukommt. Der Beklagte musste daher entgegen der Ansicht des Klägers die Abstufungsentscheidung nicht bis zur Fertigstellung der Autobahn zurückstellen, um durch Verkehrszählungen festzustellen, wie sich der Verkehr tatsächlich entwickelt. Ebenso wenig musste mit der Entscheidung bis zur Fertigstellung weiterer Abschnitte der A 14 zugewartet werden.
5. Als rechtsfehlerhaft erweist sich jedoch die Einstufung der B 5 (alt) zur Kreisstraße nach dem Brandenburgischen Straßengesetz (i.d.F. der Bekanntmachung vom 28. Juli 2009, GVBl I S. 358, zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. Oktober 2011 - GVBl I Nr. 24 - BbgStrG), dessen Anwendung in erstinstanzlichen Verfahren durch das Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen ist (Urteil vom 5. Oktober 1993 - BVerwG 4 A 9.93 - Buchholz 406.401 § 29 BNatSchG Nr. 3). Keinen Bedenken unterliegt es allerdings, dass der Beklagte das Vorliegen der Voraussetzungen einer Landesstraße nach § 3 Abs. 2 BbgStrG verneint hat. Danach sind Landesstraßen Straßen mit mindestens regionaler Verkehrsbedeutung, die innerhalb des Landesgebietes untereinander oder zusammen mit Bundesfernstraßen ein Verkehrsnetz bilden und überwiegend dem über das Gebiet benachbarter Landkreise und kreisfreier Städte hinausgehenden Verkehr, insbesondere den durchgehenden Verkehrsbeziehungen dienen oder zu dienen bestimmt sind. Nach den Ausführungen des Gutachters zur zukünftigen Verkehrsbedeutung der B 5 (alt) besteht für den Senat kein Zweifel, dass der B 5 (alt) auch für den übergreifenden durchgehenden Verkehr im Sinne der genannten Definition keine Bedeutung zukommen soll und sie diese auch tatsächlich nicht mehr haben wird. Dies gilt unabhängig davon, in welche Klasse die Straße im Folgeabschnitt auf dem Gebiet von Mecklenburg-Vorpommern nach den dortigen landesrechtlichen Bestimmungen eingestuft worden ist. Nach Auskunft des Beklagten in der mündlichen Verhandlung ist die B 5 (alt) dort in dem Planfeststellungsbeschluss für die VKE 6 in eine Landesstraße abgestuft worden. Auch wenn dieser Entscheidung die Annahme eines weiträumigen oder zumindest regional durchgehenden Verkehrs in Mecklenburg-Vorpommern zugrunde liegt, stellt dies nicht in Frage, dass der regionale Durchgangsverkehr in dem hier maßgeblichen Bereich über den in unmittelbarer Parallellage geplanten Abschnitt der A 14 abgewickelt wird.
Fehlerhaft ist die Entscheidung allerdings, soweit sie die B 5 (alt) als Kreisstraße klassifiziert. Nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 BbgStrG sind Kreisstraßen solche Straßen, die überwiegend dem überörtlichen Verkehr innerhalb eines Landkreises oder zwischen benachbarten Landkreisen und kreisfreien Städten dienen oder zu dienen bestimmt sind. Indem § 3 Abs. 3 Nr. 1 BbgStrG auf den überörtlichen Verkehr abstellt, grenzt er die Kreisstraßen von den Gemeindestraßen ab, die als Gemeindeverbindungsstraßen dem Verkehr zwischen benachbarten Gemeinden oder Gemeindeteilen und als Ortsstraßen überwiegend dem Verkehr innerhalb geschlossener Ortslagen dienen oder zu dienen bestimmt sind (§ 3 Abs. 4 BbgStrG). Das Umstufungskonzept hat den Verkehr zwischen den der Gemeinde Karstädt zugehörenden Ortsteilen Karstädt und Groß Warnow für den Zweck der Klassifizierung der künftigen Verkehrsbedeutung der B 5 als "überörtlich" gewertet, obwohl es ihn gleichzeitig "seiner räumlichen Funktion" nach als örtlichen "Nachbarschaftsverkehr" einstuft. Dies steht mit der gesetzlichen Konzeption des Brandenburgischen Straßengesetzes zur Einteilung der öffentlichen Straßen in verschiedene Klassen nicht in Einklang. Nach § 3 Abs. 2 bis 4 BbgStrG knüpfen die gesetzlichen Definitionen der Straßenklassen maßgeblich daran an, ob sich der Verkehr innerhalb der Grenzen einer Gebietskörperschaft (Land, Kreis, Gemeinde) abspielt oder über das Gebiet einer oder mehrerer Gebietskörperschaften hinausreicht. Diese Einstufungskriterien verlören ihre Funktion, wenn der Ziel- und Quellverkehr innerhalb einer Gebietskörperschaft als durchgehender überörtlicher Verkehr behandelt werden könnte. Nach der Legaldefinition in § 3 Abs. 4 Nr. 1 BbgStrG sind Gemeindeverbindungsstraßen Straßen, die bestimmungsgemäß überwiegend den Verkehrsbeziehungen zwischen benachbarten Gemeinden oder zwei Ortsteilen einer Gemeinde dienen, ohne dass Raum für die vom Beklagten in seinem Umstufungskonzept vorgenommene Umdeutung eines innerhalb einer Gemeinde stattfindenden oder zwischengemeindlichen Verkehrs in einen Durchgangsverkehr bestünde. Dass sich das Umstufungskonzept, das der Beklagte seiner Entscheidung zugrunde legt, von den gesetzlichen Vorgaben des Brandenburgischen Straßengesetzes löst, wird ferner daraus deutlich, dass die Abstufung zur Gemeindestraße mit der Begründung verneint wurde, die Verkehrsanbindung der vorhandenen B 5 diene auch nach einem Neubau der A 14 "nicht nur dem Verkehr benachbarter Gemeinden" (S. 8 unten). Mit dieser Formulierung übersieht das Konzept, dass eine Gemeindeverbindungsstraße nicht "nur", sondern lediglich "überwiegend" dem örtlichen Verkehr zu dienen bestimmt sein muss.
Auch im gerichtlichen Verfahren ist es dem Beklagten nicht gelungen, plausibel zu machen, dass der Abschnitt der B 5 (alt) seiner (Netz-)Funktion nach einem überörtlichen Verkehr zu dienen bestimmt ist oder diesem jedenfalls tatsächlich dienen wird. Der Verkehr von den Ortsteilen Karstädt und Groß Warnow sowie dem zwischen diesen liegenden Ortsteil Garlin in die Nachbarstädte Grabow im Norden und Perleberg im Süden über die B 5 (alt) stellt einen solchen überörtlichen Verkehr nicht dar, sondern Verkehr zwischen benachbarten Gemeinden im Sinne des § 3 Abs. 4 Nr. 1 BbgStrG. Daran ändert nichts, dass mit dem Verkehr in diese benachbarten Gemeinden gleichzeitig Landes- und Kreisgrenzen überschritten werden. Hierdurch wird der Verkehr zwischen benachbarten Gemeinden nicht zum überörtlichen Durchgangsverkehr (so zutreffend OVG Koblenz, Urteil vom 29. August 1996 - 1 A 12998/95 - juris Rn. 30 ff.). Für die über die benachbarten Städte hinausgehenden Fahrten werden die Bewohner von Groß Warnow bzw. Karstädt die A 14 benutzen. Allein für den Verkehr aus dem Ortsteil Garlin mag anderes gelten. Dafür, dass dieser Verkehr den örtlichen Verkehr überwiegt, spricht aber nichts. Schließlich spielt die B 5 (alt) auch für den überörtlichen Verkehr in Ost-West-Richtung erkennbar keine Rolle. Groß Warnow ist insoweit an die L 134 und Karstädt an die L 13 angebunden. Über die Kreisstraße 7047 ist auch der Ortsteil Garlin an die L 13 angebunden.
6. Erweist sich die Abstufungsentscheidung hinsichtlich der Einstufung der B 5 (alt) zwischen Karstädt und Groß Warnow in eine Kreisstraße als fehlerhaft, so ergreift dieser Fehler auch die ausschließlich nach Landesrecht (§ 7 Abs. 2 und 6 i.V.m. § 6 Abs. 5 BbgStrG) zu beurteilende Umstufungsentscheidung hinsichtlich der Landesstraße L 133 zwischen der Bundessstraße 5 (alt) und Reckenzin (Bauwerksverzeichnis lfd. Nr. 250). Diese stellt sich nämlich lediglich als Folgeentscheidung der Abstufung der B 5 (alt) dar, mit der der Beklagte der Tatsache Rechnung trägt, dass mit der Abstufung der B 5 (alt) zur Kreisstraße die L 133 (alt) ihren zweiten Anschluss an das Bundes- und Landesstraßennetz verliert und ihre Eigenschaft als Zubringer zu einer Bundesstraße von den Landesstraßen 134 und 131 übernommen wird, die an die neuen Anschlussstellen der A 14 angebunden werden. Ergänzend sei erwähnt, dass hinsichtlich der Mitregelung der Abstufung von Landesstraßen durch den auf Bundesrecht gestützten Planfeststellungsbeschluss keine Bedenken bestehen. Zum einen ist § 7 Abs. 6 i.V.m. § 6 Abs. 5 BbgStrG nicht zu entnehmen, dass diese Vorschrift nur Planfeststellungsverfahren nach Landesrecht erfassen soll, zum anderen ist § 2 Abs. 6 Satz 2 FStrG nicht als abschließende Regelung zu verstehen, die solche landesrechtlichen Vorschriften, die den Maßgaben des § 2 Abs. 6 FStrG im Übrigen entsprechen, sperrt (Art. 72 Abs. 1 GG).
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019689
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BVerwG
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9. Senat
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20130711
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9 VR 5/13
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Beschluss
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§ 50 Abs 1 Nr 6 VwGO, § 123 Abs 1 S 2 VwGO, § 17a Abs 2 GVG
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DEU
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Zur sachlichen Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts in fernstraßenrechtlichen Planfeststellungsverfahren
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Die sachliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts für Streitigkeiten über fernstraßenrechtliche Planfeststellungsverfahren gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO umfasst nicht Streitigkeiten darüber, ob die konkrete Bauausführung sich im Rahmen des Planfeststellungsbeschlusses hält.
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I.
Die Bezirksregierung Düsseldorf erließ am 21. Februar 2007 den Planfeststellungsbeschluss für den Neubau der Bundesautobahn A 44 zwischen Ratingen und Velbert. Auf die Klage zweier Grundstückseigentümer stellte das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 18. März 2009 - BVerwG 9 A 40.07 - die Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses in der Fassung der bis dahin erfolgten Änderungen und Ergänzungen fest, weil die Kläger jenes Verfahrens durch naturschutzrechtliche Kompensationsmaßnahmen unzumutbar betroffen würden. Die übrigen Klagen (BVerwG 9 A 31.07, 32.07 und 34.07 bis 39.07 sowie 41.07) wurden durch Urteile vom selben Tag abgewiesen.
Der Antragsteller zu 1) des vorliegenden Rechtsstreits, eine Naturschutzvereinigung, war an den vorgenannten Klageverfahren nicht beteiligt; bei dem Antragsteller zu 2) handelt es sich um einen der Kläger des damaligen Klageverfahrens BVerwG 9 A 31.07. Die Antragsteller machen geltend, wegen eines in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 19. Februar 2009 zu Protokoll erklärten Entscheidungsvorbehaltes dürfe der Antragsgegner als Vorhabenträger Bauarbeiten nicht durchführen. Die in Auftrag gegebenen Bauarbeiten wichen in wesentlichen Punkten vom Planfeststellungsbeschluss ab und bedürften teilweise zusätzlich einer wasserrechtlichen Erlaubnis, die nicht erteilt sei.
Die Antragsteller beantragen,
dem Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben,
1. Bauarbeiten im Bereich der geplanten Trasse der BAB A 44 von Bau-km 18+973 (Brücke L 156 über A 44) bis Bau-km 23+708 (B 227 Velbert) zu unterlassen, bis er der Planfeststellungsbehörde die geprüften Ausführungsunterlagen vorgelegt und diese die im Planfeststellungsbeschluss vorbehaltene Entscheidung getroffen hat,
2. die Errichtung einer Umfahrung der B 227 im Bereich der geplanten Anschlussstelle Heiligenhaus-Hetterscheidt bei Bau-km 23+708 zu unterlassen, bis er insoweit über eine genehmigte Änderungsplanung verfügt,
3. es zu unterlassen, das für die bauzeitliche Entwässerung geplante provisorische Regenrückhaltebecken im Bereich des RRB 3b nebst der Einleitungsstelle zu errichten und das in der provisorischen Regenrückhaltung gesammelte Wasser in den Laubecker Bach einzuleiten, bis er über die erforderliche Genehmigung hierfür verfügt.
Ferner stellen die Antragsteller mehrere Hilfsanträge. Der Antragsgegner tritt dem entgegen und bezweifelt die sachliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts.
Der Senat hat die Beteiligten zu der beabsichtigten Verweisung des Rechtsstreits angehört.
II.
Die Verweisung beruht auf § 83 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG.
1. Das Bundesverwaltungsgericht ist für die Entscheidung des Rechtsstreits sachlich unzuständig. Der als Zuständigkeitsnorm allein in Betracht kommende § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO, wonach das Bundesverwaltungsgericht im ersten und letzten Rechtszug über sämtliche Streitigkeiten entscheidet, die Planfeststellungsverfahren für die dort näher bezeichneten Fernstraßenvorhaben betreffen, erfasst den hier vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Sicherungsanordnung (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO) nicht. Zuständigkeitsbestimmend ist dabei allein das mit den Hauptanträgen verfolgte Begehren, während die Hilfsanträge insoweit außer Betracht bleiben (vgl. auch Ehlers, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand August 2012, § 41 Rn. 26 m.w.N.).
Der Zweck des § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO besteht darin, durch die Verkürzung des Verwaltungsgerichtsverfahrens auf eine Instanz die Verwirklichung der von der Vorschrift erfassten Infrastrukturvorhaben zu beschleunigen. Zugleich sollen durch die Konzentration der Streitsachen beim Bundesverwaltungsgericht divergierende Entscheidungen vermieden werden. Diesem Gesetzeszweck wird eine Auslegung der Vorschrift gerecht, die alle Rechtsstreitigkeiten erfasst, die einen unmittelbaren Bezug zu konkreten Planfeststellungs- (oder Plangenehmigungs-)Verfahren für Vorhaben nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO haben, also die genehmigungsrechtliche Bewältigung des Vorhabens betreffen (Beschluss vom 12. Juni 2007 - BVerwG 7 VR 1.07 - Buchholz 310 § 50 VwGO Nr. 25 Rn. 8; ähnlich bereits zu § 5 VerkPBG: Beschluss vom 18. Mai 2000 - BVerwG 11 A 6.99 - Buchholz 407.3 § 5 VerkPBG Nr. 11 S. 2, jeweils m.w.N.). Das gilt nicht nur für Anfechtungsklagen gegen den Planfeststellungsbeschluss bzw. Anträge Dritter nach § 80a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Aussetzung der Vollziehung oder - in entsprechender Anwendung dieser Vorschriften - auf Feststellung mangelnder Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses (s. etwa Beschluss vom 4. Juli 2012 - BVerwG 9 VR 6.12 - NVwZ 2012, 1126 Rn. 5). Der unmittelbare Bezug zu einem Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahren ist darüber hinaus beispielsweise auch vorhanden, wenn um Maßnahmen gestritten wird, die einem solchen Verfahren zeitlich und sachlich vorausgehen und seiner Vorbereitung dienen oder einen Ausschnitt der in einem laufenden Planfeststellungsverfahren zu lösenden Probleme darstellen, desgleichen, wenn der Streit die Frage betrifft, ob bestimmten Baumaßnahmen an dem betreffenden Verkehrsweg ein Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahren hätte vorausgehen müssen. Dagegen fehlt ein unmittelbarer Bezug in dem vorgenannten Sinne, wenn ein Kläger nach Unanfechtbarkeit eines Planfeststellungsbeschlusses nachträgliche Schutzauflagen gemäß § 75 Abs. 2 Satz 2 bis 4 VwVfG verlangt (Beschluss vom 18. Mai 2000 a.a.O. m.w.N.). Ebenso wird auch das Begehren, eine vermeintlich planwidrige Verwirklichung des bestandskräftig planfestgestellten Vorhabens zu verhindern, nicht von § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO erfasst (Beschlüsse vom 15. Juni 2011 - BVerwG 7 VR 8.11 - Buchholz 407.3 § 5 VerkPBG Nr. 20 Rn. 6 und vom 9. Oktober 2012 - BVerwG 7 VR 10.12 - Buchholz 310 § 50 VwGO Nr. 31 Rn. 5; anders noch zu dem früheren § 5 VerkPBG: Beschluss vom 31. Juli 2006 - BVerwG 9 VR 11.06 - Buchholz 406.400 § 61 BNatSchG 2002 Nr. 6 Rn. 2). Denn Auseinandersetzungen darüber beziehen sich nicht auf die genehmigungsrechtliche Bewältigung des Vorhabens, sondern allein auf dessen Umsetzung. Auch treffen die Erwägungen, die die beschleunigende Konzentration der richterlichen Überprüfung wichtiger Infrastrukturvorhaben auf eine Instanz rechtfertigen, auf Streitigkeiten über die Vollziehung eines bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses nicht oder nur eingeschränkt zu (vgl. auch zu § 48 Abs. 1 VwGO OVG Berlin, Beschluss vom 13. Dezember 1990 - 2 A 9.90 - DÖV 1991, 559; VGH Mannheim, Beschluss vom 20. Oktober 2010 - 5 S 2335/10 - NVwZ 2011, 126).
Gemessen an diesem Maßstab fehlt es hier an der sachlichen Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts. Die Antragsteller berufen sich darauf, dass der Antragsgegner mit den von ihm in Auftrag gegebenen Baumaßnahmen die Grenzen des Planfeststellungsbeschlusses vom 21. Februar 2007 überschreite. Die Streitigkeit betrifft damit nicht im Sinne des § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO das Planfeststellungsverfahren selbst, sondern lediglich die konkrete Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses. Auch soweit die Antragsteller monieren, dass für eine während der Bauzeit vorgesehene provisorische Entwässerungsmaßnahme die wasserrechtliche Erlaubnis fehle und die Ausführungsplanung darüber hinaus an anderer Stelle von der gleichzeitig mit dem Planfeststellungsbeschluss erteilten wasserrechtlichen Erlaubnis abweiche, mangelt es an dem notwendigen unmittelbaren Bezug zum Planfeststellungsverfahren. Nichts anderes gilt schließlich auch, soweit sie sich auf die in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 19. Februar 2009 abgegebene Protokollerklärung berufen, in der die Planfeststellungsbehörde die Vorlage der geprüften Ausführungsunterlagen vor Baubeginn angeordnet und sich eine abschließende Entscheidung für den Fall vorbehalten hat, dass Zweifel an der Durchführbarkeit des Vorhabens in technischer oder in verfahrensrechtlicher Hinsicht bestehen. Zwar kann ein Rechtsstreit um eine im Sinne von § 74 Abs. 3 VwVfG vorbehaltene Entscheidung von der Zuweisung gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO erfasst sein (vgl. zu § 48 VwGO auch VGH Mannheim, Urteil vom 11. Juli 1995 - 8 S 434/95 - NVwZ-RR 1996, 69; Bier/Panzer, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand August 2012, § 48 Rn. 9). Doch geht es darum hier nicht. Die erwähnte Protokollerklärung vom 19. Februar 2009 sollte nicht die Entscheidung über den Autobahnbau ganz oder teilweise offenhalten, sondern eine abschließende Prüfung ermöglichen, ob die Ausführungsplanung technisch geeignet ist und sich im Rahmen der Planfeststellung hält; der ergänzend formulierte Vorbehalt einer Planänderung bezieht sich lediglich auf einen nach ingenieurwissenschaftlicher Einschätzung nicht absehbaren Eventualfall, für den in der Planfeststellung keine Vorsorge getroffen werden musste (s. Urteil vom 18. März 2009 - BVerwG 9 A 39.07 - BVerwGE 133, 239 Rn. 100, wörtlich in Bezug genommen in dem den Antragsteller zu 2) betreffenden Urteil vom selben Tag - BVerwG 9 A 31.07 - dort Rn. 27). Auch im Zusammenhang mit der Protokollerklärung betrifft der vorliegende Rechtsstreit daher nicht gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO das Planfeststellungsverfahren, sondern die Frage, ob die umstrittenen Baumaßnahmen von dem vollziehbaren Planfeststellungsbeschluss gedeckt sind oder nicht.
2. Der Rechtsstreit ist an das Verwaltungsgericht Düsseldorf zu verweisen, das sachlich (§ 45 VwGO) und örtlich (§ 52 Nr. 1 VwGO) für die Entscheidung zuständig ist. Die Entscheidung über die Kosten bleibt gemäß § 83 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 17b Abs. 2 GVG der Endentscheidung vorbehalten.
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Deutschland
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BMJV
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public
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WBRE410019690
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BVerwG
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3. Senat
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20130530
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3 C 9/12
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Urteil
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§ 52 Abs 4 Nr 1 StVZO, § 70 Abs 1 Nr 1 StVZO, § 35 Abs 6 S 1 StVO, § 38 Abs 3 StVO
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vorgehend OVG Lüneburg, 8. Dezember 2011, Az: 12 LC 91/09, Urteil vorgehend VG Oldenburg (Oldenburg), 20. März 2009, Az: 7 A 2050/08, Urteil
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DEU
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Ausrüstung von Müllfahrzeugen mit gelbem Blinklicht (Rundumlicht); gewerbliche Sammlung von Altmetallen und Schrott; Ausnahmegenehmigung
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"Fahrzeuge, die der Müllabfuhr dienen" im Sinne von § 52 Abs. 4 Nr. 1 StVZO und § 35 Abs. 6 StVO sind nur die zur Abfallentsorgung eingesetzten Fahrzeuge der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger oder Dritter, denen die Abfallentsorgungsverpflichtung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers übertragen worden ist.
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Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin einen im Rahmen ihrer gewerblichen Tätigkeit zum Einsammeln von Schrott und Altmetallen eingesetzten LKW mit einem gelben Blinklicht (Rundumlicht) ausrüsten darf.
Die Klägerin, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, betreibt auf gewerblicher Basis den An- und Verkauf von Altmetallen und die Schrottentsorgung. Dazu werden Haushalte durch Postwurfsendungen aufgefordert, an den mitgeteilten Tagen solche Materialien zur Abholung bereitzustellen. Am angekündigten Tag fährt ein mit rot-weißen Warnmarkierungen gemäß DIN 30710 versehener LKW der Klägerin, ein offener Kastenwagen, die Straßen ab und die bereitgestellten Materialien werden aufgeladen. Das Sammelgut verkauft die Klägerin an ein zertifiziertes Entsorgungsunternehmen. Im Juni 2007 ließ die Klägerin auf dem Führerhaus ihres LKW ein gelbes Blinklicht anbringen.
Der Landkreis A. erteilte der Klägerin im April 2008 für seinen Zuständigkeitsbereich eine auf § 70 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) gestützte Ausnahmegenehmigung für die Ausstattung ihres LKW mit einem gelben Blinklicht.
Den bei ihr gestellten Antrag auf Erteilung einer solchen Genehmigung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 2. Juni 2008 ab. Die Klägerin übe eine gewerbliche Tätigkeit aus und betreibe keine Müllentsorgung im Sinne von § 52 Abs. 4 Nr. 1 StVZO. Metalle seien kein Müll im Sinne von § 52 Abs. 4 StVZO. Die Klägerin habe außerdem die Möglichkeit, mit ihren Kunden Termin und Ort der Abholung zu vereinbaren, so dass keine Gefährdung der übrigen Verkehrsteilnehmer eintrete. Die Ausnahmegenehmigung des Landkreises führe nicht dazu, dass eine weitere Ausnahmegenehmigung zu erteilen sei.
Das Verwaltungsgericht hat diesen Bescheid aufgehoben und festgestellt, dass die Klägerin ihren LKW mit einem gelben Blinklicht (Rundumleuchte) ausrüsten darf. Ein der Müllabfuhr dienendes Fahrzeug im Sinne von § 52 Abs. 4 Nr. 1 StVZO sei jedes Fahrzeug, mit dem verwertbare oder unverwertbare Abfälle im Sinne des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes (KrW-/AbfG) rechtmäßig in der Weise eingesammelt würden, dass "müllabfuhrtypische" Gefahren für den Straßenverkehr entstünden. Zu diesen Gefahren zählten insbesondere das langsame Fahren von einer Aufladestelle zur nächsten, verbunden mit häufigem Anhalten am Straßenrand sowie mit häufigem Ab- und Aufsteigen von Arbeitern zum Verladen der Abfälle. Ein Grund, das gewerbliche Einsammeln von Abfall hier anders zu behandeln als die öffentlich-rechtliche Abfallsammlung durch einen öffentlichen Entsorgungsträger, sei nicht ersichtlich. Die für den Straßenverkehr entstehenden Gefahren seien dieselben.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht die erstinstanzliche Entscheidung geändert und die Klage sowohl im Haupt- als auch im Hilfsantrag abgewiesen. Zur Begründung wird ausgeführt:
Die Klägerin dürfe nicht, wie mit dem Hauptantrag geltend gemacht, ihr Fahrzeug gemäß § 52 Abs. 4 Nr. 1 StVZO mit einem gelben Blinklicht ausstatten. Zwar umfasse der Begriff der Müllabfuhr im Sinne von § 52 Abs. 4 Nr. 1 StVZO entgegen der Annahme der Beklagten auch die Abfuhr verwertbarer Stoffe. Doch fielen aus systematischen und teleologischen Erwägungen nur Fahrzeuge unter diese Regelung, die von den nach § 15 KrW-/AbfG zur Verwertung oder Beseitigung verpflichteten öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgabe in der Weise betrieben würden, dass "müllabfuhrtypische" Gefahren entstünden; ebenso würden Fahrzeuge Dritter erfasst, denen die Entsorgungsverpflichtung nach § 16 KrW-/AbfG übertragen worden sei. Zur Vermeidung eines Gewöhnungseffekts müsse der übermäßige Gebrauch von gelbem Blinklicht verhindert werden. Außerdem sei die korrespondierende Bestimmung des § 35 Abs. 6 StVO zu berücksichtigen, in der derselbe Begriff verwendet werde. Nach dem Willen des Verordnungsgebers habe der Begriff in beiden Regelungen die gleiche Bedeutung. Aus der Entstehungsgeschichte von § 35 Abs. 6 Satz 1 StVO ergebe sich, dass hierunter nur Fahrzeuge öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger oder von ihnen beauftragter Dritter fielen. Von einer Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben sei im Bereich der Abfallentsorgung auszugehen, wenn die nach § 15 KrW-/AbfG zur Verwertung oder Beseitigung von Abfällen verpflichteten öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger tätig würden oder Dritte, denen diese Verpflichtung nach § 16 KrW-/AbfG übertragen worden sei. Anders liege es bei gewerblichen Sammlungen, wie sie die Klägerin durchführe. Darüber hinaus fehle eine weitere Voraussetzung für die Anwendbarkeit von § 52 Abs. 4 Nr. 1 StVZO. Bei einer gewerblichen Abfallsammlung wie der der Klägerin entstünden nicht regelmäßig die gleichen "müllabfuhrtypischen" Gefahren wie bei der öffentlich-rechtlichen Abfallentsorgung. Diese typischen Gefahren lägen in notwendigen - teilweise unter Inanspruchnahme von Sonderrechten erfolgenden - kurzfristigen Stopps und einem Anfahren über kurze Strecken bis zur nächsten Müllaufnahme und dem plötzlichen Hervortreten von Personen, die ihr Augenmerk in erster Linie auf ihre Arbeit richteten und deswegen nicht primär auf den Verkehr achten könnten. Mit dieser Gefahrenkonstellation sei regelmäßig bei einem für ein ganzes Entsorgungsgebiet zuständigen und auf eine Anfahrt möglichst aller Grundstücke angewiesenen Abfallentsorger zu rechnen, insbesondere dann, wenn es sich bei dem Müllfahrzeug um einen Hecklader handele. Gewerbliche Sammlungen dürften aber aus rechtlichen Gründen nicht wie die öffentlich-rechtliche Entsorgungstätigkeit in dauerhaften Strukturen auf ein gesamtes Entsorgungsgebiet ausgerichtet sein. Den Betreibern hierfür eingesetzter Fahrzeuge stünden auch keine Sonderrechte zu. Daher seien beide Entsorgungsformen auch im Rahmen von § 52 Abs. 4 Nr. 1 StVZO unterschiedlich zu behandeln. Ohne Erfolg bleibe auch das hilfsweise verfolgte Begehren der Klägerin auf Neubescheidung ihres Antrags auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 70 Abs. 1 Nr. 1 StVZO. Die behördliche Ermessensentscheidung habe sich daran auszurichten, ob ihr LKW wie die von § 52 Abs. 4 Nr. 1 StVZO erfassten Fahrzeuge typischerweise in Situationen eingesetzt werde, in denen die Verwendung des gelben Blinklichts vorgesehen sei. Das sei aus den genannten Gründen nicht der Fall. Im Übrigen gebe es keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin bei der Durchführung ihrer Sammlungen drohende Gefahren nicht auf andere Weise abwenden könne. Es sei ihr möglich, ihr Fahrzeug ausschließlich über die rechte Bordwand, also ohne ein Betreten der Straße, zu beladen. Selbst wenn in bestimmten Fällen ein Betreten der Straße erforderlich werde, unterscheide sich das Erscheinungsbild dieser Tätigkeit und das damit einhergehende Gefahrenpotenzial erheblich von dem der Müllabfuhr.
Zur Begründung ihrer Revision macht die Klägerin geltend: In Bezug auf die beim Einsammeln von Abfällen entstehenden Gefahren könne nicht zwischen öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Abfallentsorgung getrennt werden. § 38 StVO enthalte keine solche Unterscheidung, sondern stelle allgemein auf die Warnfunktion des gelben Blinklichts ab. Ebenfalls fehlerhaft sei die Annahme, sie werde in erheblich geringerem Umfang tätig als öffentlich-rechtliche Abfallentsorger. Auch bei einer Beladung ausschließlich über die rechte Bordwand könnten Gefahren, etwa für Radfahrer, entstehen. Weil der Landkreis A. ihr eine Ausnahmegenehmigung erteilt habe, sei das Ermessen der Beklagten reduziert.
Die Beklagte tritt der Revision entgegen.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung der Auffassung, die Klägerin könne sich nicht auf § 52 Abs. 4 Nr. 1 StVZO berufen. Aus seiner Sicht spreche aber Einiges dafür, dass der Klägerin eine Sondergenehmigung nach § 70 StVZO zu erteilen sei. Es liege ein atypischer Sonderfall vor, weil ihr Fahrzeug beim Einsammeln des bereit gestellten Schrotts ähnlich wie ein öffentlich-rechtlicher Entsorger von Grundstück zu Grundstück fahre. Es sei auch möglich, dass ihr Fahrzeug - anders als etwa das eines Entrümpelungsunternehmens, das gezielt nur bestimmte Grundstücke anfahre - an jedem Grundstück halte. Hinzu komme, dass die Verwendung des gelben Blinklichts bei ungewöhnlich langsam fahrenden Fahrzeugen zulässig sei; das könne auch auf das Fahrzeug der Klägerin zutreffen. Bei einem Konflikt zwischen den Zielen, die Zahl von Fahrzeugen mit gelbem Blinklicht zu begrenzen, andererseits aber die Verkehrssicherheit zu fördern, sei der Verkehrssicherheit der Vorrang einzuräumen.
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Die Revision der Klägerin ist nur hinsichtlich des Hilfsantrags begründet. Ihre Klage ist nach wie vor zulässig (1.). Ohne Verstoß gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO) hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Klägerin ihren LKW nicht genehmigungsfrei auf der Grundlage von § 52 Abs. 4 Nr. 1 StVZO mit einem gelben Blinklicht (Rundumlicht) ausrüsten darf (2.). Über den Hilfsantrag der Klägerin, mit dem sie die erneute Bescheidung ihres Antrags auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 70 Abs. 1 Nr. 1 StVZO erstrebt, kann nicht abschließend entschieden werden. Es fehlt an hinreichenden tatsächlichen Feststellungen dazu, inwieweit sich die gewerblichen Sammlungen der Klägerin nach ihrem konkreten Erscheinungsbild von dem der öffentlich-rechtlichen Abfallentsorgung unterscheiden und sich das auf die straßenverkehrsrechtliche Gefährdungssituation auswirkt. Die Sache ist insoweit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (3.).
1. Die Klage ist weder im Haupt- noch im Hilfsantrag dadurch unzulässig geworden, dass die Klägerin, wie die Beklagte im Revisionsverfahren mitgeteilt hat, ihren LKW mit dem Kennzeichen ... , den sie mit einem gelben Blinklicht ausgestattet hatte, zum 18. November 2010 außer Betrieb genommen hat. Ihr Prozessbevollmächtigter hat dem Senat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, die Klägerin nutze nun ein ähnliches Fahrzeug. Daher hat die Klägerin nach wie vor ein hinreichendes Interesse an der mit ihrem Hauptantrag begehrten Feststellung. In Bezug auf den hilfsweise gestellten Antrag auf Neubescheidung ihres Antrags auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 70 Abs. 1 Nr. 1 StVZO kann sich die Klägerin wegen Wiederholungsgefahr auf ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO in entsprechender Anwendung) berufen.
2. Der Hauptantrag ist unbegründet. Das Berufungsgericht nimmt zu Recht an, dass die Voraussetzungen des § 52 Abs. 4 Nr. 1 StVZO im Fall der Klägerin nicht erfüllt sind.
Nach dieser Bestimmung dürfen Fahrzeuge, die dem Bau, der Unterhaltung oder Reinigung von Straßen oder von Anlagen im Straßenraum oder die der Müllabfuhr dienen und durch rot-weiße Warnmarkierungen (Sicherheitskennzeichnung), die dem Normblatt DIN 30710, Ausgabe März 1990, entsprechen müssen, gekennzeichnet sind, mit einer oder, wenn die horizontale und vertikale Sichtbarkeit (geometrische Sichtbarkeit) es erfordert, mehreren Kennleuchten für gelbes Blinklicht (Rundumlicht) ausgerüstet sein. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist die Ausrüstung eines solchen Fahrzeugs mit einem gelben Blinklicht gestattet, ohne dass es hierfür noch einer gesonderten Genehmigung bedarf.
a) Der Begriff des Mülls oder Abfalls ist im Sinne der abfallrechtlichen Bestimmungen zu verstehen. Danach hindert, wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, allein der Umstand, dass die Klägerin verwertbare Materialien sammelt, die Anwendung der genannten Regelungen nicht, wenn sich - wie hier - die Besitzer dieser Stoffe entledigen wollen.
Nach § 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen (Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz - KrW-/AbfG) vom 27. September 1994 sind Abfälle im Sinne dieses Gesetzes die beweglichen Sachen, die unter die in Anhang I aufgeführten Gruppen fallen und deren sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss. Satz 2 unterscheidet zwischen Abfällen zur Verwertung, d.h. Abfällen, die verwertet werden, und Abfällen zur Beseitigung; das sind Abfälle, die nicht verwertet werden. In beiden Fällen handelt es sich aber um Abfall. Dieser umfassende Abfallbegriff spiegelt sich in § 3 Abs. 7 KrWG-/AbfG wider, wonach die Abfallentsorgung die Verwertung und Beseitigung von Abfällen umfasst.
An diesem weiten Verständnis der Begriffe "Abfall" und "Abfallentsorgung" hat sich mit der Ablösung dieses Gesetzes durch das am 1. Juni 2012 in Kraft getretene Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen - Kreislaufwirtschaftsgesetz - (KrWG) vom 24. Februar 2012 (BGBl I S. 212) nichts geändert. Die Definition des Begriffs "Abfall" ist - soweit hier von Belang - beibehalten worden. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 KrWG sind Abfälle im Sinne des Gesetzes alle Stoffe oder Gegenstände, derer sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss. Nach Satz 2 sind Abfälle zur Verwertung Abfälle, die verwertet werden; Abfälle, die nicht verwertet werden, sind Abfälle zur Beseitigung. "Abfallentsorgung" im Sinne des Kreislaufwirtschaftsgesetzes sind - wie der Legaldefinition in § 3 Abs. 22 KrWG zu entnehmen ist - Verwertungs- und Beseitigungsverfahren, einschließlich der Vorbereitung vor der Verwertung oder Beseitigung. Gesondert definiert wird in § 3 Abs. 18 KrWG nun auch der Begriff der "gewerblichen Sammlung" von Abfällen; darunter wird eine Sammlung verstanden, die zum Zweck der Einnahmeerzielung erfolgt. Solche gewerblichen Sammlungen sind gemäß § 18 Abs. 1 KrWG nun anzeigepflichtig.
b) Ist das für solche Zwecke eingesetzte Fahrzeug, wie in § 52 Abs. 4 Nr. 1 StVZO außerdem vorgegeben wird, mit rot-weißen Warnmarkierungen nach dem Normblatt DIN 30710 versehen, hängt die Anwendbarkeit der Regelung und damit die Befugnis der Klägerin, ihr Fahrzeug auch ohne Ausnahmegenehmigung mit einem gelben Blinklicht auszustatten, allein noch davon ab, ob nur Müllfahrzeuge öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger und solcher privater Dritter unter § 52 Abs. 4 Nr. 1 StVZO fallen, die ihrerseits mit der Erfüllung der Abfallentsorgungsverpflichtung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers beauftragt wurden. Dass eine solche einschränkende Auslegung geboten ist, ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte, der Systematik sowie dem Sinn und Zweck der Regelungen, die bei bestimmten Fahrzeugen die Anbringung eines gelben Blinklichts gestatten (§ 52 Abs. 4 Nr. 1 StVZO) und die diesen Fahrzeugen Sonderrechte im Straßenverkehr gewähren (§ 35 Abs. 6 Satz 1 StVO).
aa) Der Begriff der "Fahrzeuge, die der Müllabfuhr" dienen, wurde in dem hier in Rede stehenden straßenverkehrsrechtlichen Zusammenhang erstmals nicht in der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung, sondern in der Straßenverkehrs-Ordnung verwendet. Er hat dort Eingang in die Regelung gefunden, mit der den dort aufgeführten Fahrzeugen bestimmte Sonderrechte im Straßenverkehr eingeräumt werden. Durch die Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung und der Straßenverkehrs-Ordnung vom 24. August 1953 (BGBl I S. 1131 <1146>) wurde der damalige § 46 Abs. 1 StVO folgendermaßen gefasst: "Von den Vorschriften der §§ 8, 10 und 15 sind Fahrzeuge befreit, die der Straßenunterhaltung, der Straßenreinigung, der Müllabfuhr oder ähnlichen Zwecken dienen, soweit die Erfüllung ihrer Aufgaben es erfordert". Diese Bestimmung wurde später in § 35 Abs. 6 Satz 1 der Straßenverkehrs-Ordnung vom 16. November 1970 (BGBl I S. 1565 <1578>) überführt; danach dürfen Fahrzeuge, die dem Bau, der Unterhaltung oder der Reinigung der Straßen und Anlagen im Straßenraum oder der Müllabfuhr dienen und die durch einen weiß-roten Anstrich oder durch weiß-rot-weiße Warnfahnen gekennzeichnet sind, auf allen Straßen und Straßenteilen und auf jeder Straßenseite in jeder Richtung zu allen Zeiten fahren und halten, soweit ihr Einsatz dies erfordert. Diese Regelung gilt - von geringfügigen redaktionellen Änderungen abgesehen - nach wie vor.
In die Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung fand der hier maßgebliche Begriff erst im Jahr 1973 Aufnahme. Der die Ausrüstung mit einem gelben Blinklicht gestattende § 52 Abs. 4 Nr. 1 StVZO wurde durch die Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom 20. Juni 1973 (BGBl I S. 638 <649>) neu gefasst; er lautete danach wie folgt: "1. Fahrzeuge, die dem Bau, der Unterhaltung oder Reinigung von Straßen oder von Anlagen im Straßenraum oder die der Müllabfuhr dienen und durch einen weiß-roten Anstrich oder durch weiß-rot-weiße Warnfahnen gekennzeichnet sind". Diese Änderung sollte nach der hierfür in den Materialien gegebenen Begründung den durch § 35 Abs. 6 StVO bevorrechtigten Kreis der Fahrzeuge erfassen (VkBl 1973, 410); insoweit sollte ein Gleichklang hergestellt werden. Daraus ist zu schließen, dass nach der Vorstellung des Verordnungsgebers die Befugnis zur Anbringung eines gelben Blinklichts grundsätzlich mit der Möglichkeit einhergehen soll, von den in § 35 Abs. 6 StVO genannten Sonderrechten Gebrauch zu machen, um dadurch entstehenden Gefährdungslagen Rechnung zu tragen.
Ausgehend davon ist der Kreis der nach § 52 Abs. 4 Nr. 1 StVZO mit einem gelben Blinklicht ausrüstbaren Fahrzeuge danach zu bestimmen, welche Fahrzeuge von den in Rede stehenden Sonderrechten Gebrauch machen dürfen. Diese Befugnis ist, soweit es um die in § 52 Abs. 4 Nr. 1 StVZO und § 35 Abs. 6 Satz 1 StVO aufgeführten Fahrzeuge geht, auf solche Fahrzeuge beschränkt, die entweder unmittelbar von Trägern öffentlicher Verwaltung selbst oder aber von ihnen beauftragten Dritten bei der Wahrnehmung von Aufgaben der staatlichen Daseinsvorsorge eingesetzt werden.
Diese Einschränkung ergibt sich zum einen aus der normativen Entwicklung, die § 52 Abs. 4 Nr. 1 StVZO hinsichtlich der dort genannten zweiten Gruppe - der Fahrzeuge, die dem Bau, der Unterhaltung oder Reinigung von Straßen oder von Anlagen im Straßenraum dienen - erfahren hat. Unter die ursprünglich in § 52 Abs. 4 StVZO a.F. genannten Fahrzeuge, die mit einem gelben Blinklicht ausgerüstet werden durften, fielen nach der Verordnung zur Änderung von Vorschriften des Straßenverkehrsrechts vom 14. März 1956 (BGBl I S. 199 <202>) lediglich "Kraftfahrzeuge des Straßenwinterdienstes der öffentlichen Verwaltungen" und nach der Neufassung dieser Bestimmung durch die Verordnung zur Änderung von Vorschriften des Straßenverkehrsrechts vom 7. Juli 1960 (BGBl I S. 485 <508 f.> nur "Kraftfahrzeuge des Straßendienstes der öffentlichen Verwaltungen". Die jetzige, mehr auf die Funktion als auf die organisatorische Zuordnung dieser Fahrzeuge abstellende Formulierung erhielt § 52 Abs. 4 Nr. 1 StVZO erst mit der bereits genannten Verordnung vom 20. Juni 1973. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass für Aufgaben des Straßendienstes der öffentlichen Verwaltung zunehmend Fahrzeuge verwendet würden, deren Halter nicht die öffentliche Verwaltung, sondern ein von der Verwaltung mit der Wahrnehmung der entsprechenden Aufgabe beauftragter privater Dritter sei (BRDrucks 223/73 S. 49 i.V.m. S. 46 f.). Daraus folgt, dass auch mit dieser Erweiterung des Kreises der Berechtigten zusätzlich nur von der Verwaltung beauftragte und nicht auch sonstige private Dritte begünstigt werden sollten. Übertragen auf die hier zu definierenden "Fahrzeuge, die der Müllabfuhr dienen" bedeutet das, dass Fahrzeugen zur Durchführung gewerblicher Sammlungen, die außerhalb der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsverpflichtung tätig werden, Sonderrechte nach § 35 Abs. 6 StVO grundsätzlich nicht eröffnet werden.
Zum selben Schluss führen die Änderungen, die § 35 Abs. 7 StVO erfahren hat. Er verleiht Sonderrechte im Straßenverkehr - hier die Befugnis, auf allen Straßen und Straßenteilen zu allen Zeiten zu fahren und zu halten - mittlerweile nur noch den Messfahrzeugen der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (§ 66 des Telekommunikationsgesetzes). Vor dieser Beschränkung des Anwendungsbereichs durch die Dreiunddreißigste Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (33. ÄndVStVR) vom 11. Dezember 2000 (BGBl I S. 1690 <1691>) waren nach der Fassung dieser Regelung durch das Begleitgesetz zum Telekommunikationsgesetz (BegleitG) vom 17. Dezember 1997 (BGBl I S. 3108) auch die Postunternehmen begünstigt, die Grundversorgungsleistungen nach dem Postgesetz erbrachten. Davon hat der Verordnungsgeber mit der Begründung Abstand genommen (VkBl 2001 S. 9), dass § 35 StVO Sonderrechte nur Institutionen zugestehe, die hoheitlich tätig würden; privaten Dienstleistern hätten diese nie zugestanden (vgl. dazu auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Juni 1993 - 2 Ss 81/93 - juris Rn. 11, das der Entstehungsgeschichte von § 35 StVO ebenfalls entnimmt, nicht hoheitlich tätigen Versorgungs- und Beförderungsunternehmen hätten keine Sonderrechte eingeräumt werden sollen).
Der Beschränkung der genannten Regelungen auf Fahrzeuge, die in Wahrnehmung der öffentlich-rechtlichen Abfallentsorgungspflicht eingesetzt werden, kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass § 52 Abs. 4 StVZO in anderen der dort aufgeführten Nummern auch für Fahrzeuge privater Dritter die Befugnis erteilt, ein gelbes Blinklicht anzubringen. Nach der Nummer 2 dieser Regelung ist ein gelbes Blinklicht bei Kraftfahrzeugen gestattet, die nach ihrer Bauart oder Einrichtung zur Pannenhilfe geeignet sind; die Nummer 3 enthält ein solches Recht für Fahrzeuge mit ungewöhnlicher Breite oder Länge oder mit ungewöhnlich breiter oder langer Ladung; die Nummer 4 gibt die Befugnis bei Fahrzeugen, die aufgrund ihrer Ausrüstung als Schwer- oder Großraumtransport-Begleitfahrzeuge ausgerüstet sind. Doch ist die Befugnis zur Anbringung eines gelben Blinklichts in diesen Fällen an eine behördliche Anerkennung oder gar Vorgabe gebunden. So muss nach der Nummer 2 das Fahrzeug nach dem Fahrzeugschein als Pannenhilfsfahrzeug anerkannt sein; eine Anerkennung im Fahrzeugschein wird auch in der Nummer 4 für Schwer- oder Großraumtransport-Begleitfahrzeuge vorausgesetzt. Bei Fahrzeugen mit ungewöhnlicher Breite oder Länge oder solcher Ladung ist sogar erforderlich, dass die genehmigende Behörde die Führung der Kennleuchten vorgeschrieben hat. Die Kriterien für eine Anerkennung der genannten Fahrzeuge als solche im Sinne von § 52 Abs. 4 Nr. 2 und 4 StVZO sind fahrzeugbezogen; zu überprüfen ist die Eignung der Fahrzeuge zum entsprechenden Zweck als Pannenhilfs- bzw. Begleitfahrzeug. Dem kann die für die Abfallentsorgung in § 18 KrWG nun vorgesehene Pflicht, gewerbliche Sammlungen anzuzeigen, nicht gleichgestellt werden. Die damit verbundenen Mitteilungspflichten sind, wie § 18 Abs. 2 KrWG belegt, sammlungsbezogen; es geht dabei insbesondere um den Umfang der Sammlung und die ordnungsgemäße Verwertung der eingesammelten Abfälle. Damit scheidet das Argument aus, die behördliche Billigung einer solchen gewerblichen Sammlung führe zu einer § 52 Abs. 4 Nr. 2 und 4 StVZO vergleichbaren Anerkennung der dabei eingesetzten Fahrzeuge.
Dass Fahrzeuge, die zu gewerblichen Sammlungen eingesetzt werden, nicht unter den Begriff der "Fahrzeuge, die der Müllabfuhr dienen", im Sinne von § 52 Abs. 4 Nr. 1 StVZO und § 35 Abs. 6 StVO fallen, deckt sich schließlich mit der Auffassung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, und damit des Ministeriums, das auf der Grundlage von § 6 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StVG - mit Zustimmung des Bundesrates - die hier in Rede stehende Regelung erlassen hat. In seiner Stellungnahme weist das Ministerium auf die der Regelung zugrunde liegende Absicht hin, die Ausrüstung von Fahrzeugen mit gelbem Blinklicht möglichst restriktiv zu handhaben, damit die Warnwirkung erhalten bleibe und kein Gewöhnungseffekt der Verkehrsteilnehmer eintrete.
bb) In dieser Ungleichbehandlung einer gewerblichen Sammlung mit der im Rahmen der Daseinsvorsorge erfolgenden öffentlich-rechtlichen Abfallentsorgung (vgl. etwa die Materialien zum Kreislaufwirtschaftsgesetz in BTDrucks 17/6052: "Dienstleistung im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse") liegt kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Die vom Normgeber vorgenommene Differenzierung ist von seiner Typisierungsbefugnis gedeckt. In der Überlassungspflicht des Abfallbesitzers einerseits (vgl. § 17 KrWG) und der korrespondierenden Entsorgungspflicht des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers andererseits (vgl. § 20 KrWG), die sich regelmäßig auch auf den Umfang und auf das Erscheinungsbild der jeweiligen Sammeltätigkeit auswirken, liegt ein auch im Blick auf straßenverkehrsrechtliche Gefährdungslagen relevanter Unterschied zu gewerblichen Sammlungen verwertbarer Abfälle. Ähnlich wie beim Blaulicht (vgl. dazu Urteil vom 26. Januar 2012 - BVerwG 3 C 1.11 - BVerwGE 141, 376 Rn. 14 und 22 m.w.N. zu Mietfahrzeugen für den Notarzteinsatz) ist es auch in Bezug auf die Ausstattung mit einem gelben Blinklicht geboten, die Zahl mit solchen Warnsignalen ausgerüsteter Fahrzeuge möglichst gering zu halten, um deren Wirkung nicht dadurch zu beeinträchtigen, dass durch eine zu hohe Verbreitung die Akzeptanz in der Bevölkerung schwindet und deswegen - insbesondere bei der Inanspruchnahme von Sonderrechten nach § 35 Abs. 6 StVO - die Gefahr von Unfällen zunimmt. Schließlich bleibt der Klägerin dadurch, dass sie sich nicht auf § 52 Abs. 4 Nr. 1 StVZO berufen kann, die Möglichkeit der Anbringung eines gelben Blinklichts nicht gänzlich verschlossen. Sie kann, wenn die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen, also insbesondere eine entsprechende Gefährdungslage gegeben ist, eine solche Befugnis im Wege einer Ausnahmegenehmigung auf der Grundlage von § 70 Abs. 1 Nr. 1 StVZO erhalten.
cc) Die Beschränkung von § 52 Abs. 4 Nr. 1 StVZO und § 35 Abs. 6 StVO auf zur Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsverpflichtung eingesetzte Fahrzeuge ist auch ansonsten mit den Grundrechten der Klägerin, insbesondere ihrer durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsausübungsfreiheit vereinbar. Sie wird durch die fehlende Befugnis, ein gelbes Blinklicht an ihrem LKW anzubringen, nicht an der Durchführung gewerblicher Abfallsammlungen gehindert. Es verbleibt für sie lediglich beim Status eines "normalen" Verkehrsteilnehmers. Umgekehrt bestehen - wie bereits dargestellt - hinreichende sachliche Gründe dafür, die genehmigungsfreie Ausstattung von Fahrzeugen mit gelbem Blinklicht nur unter engen Voraussetzungen zuzulassen.
3. Zu Unrecht nimmt das Berufungsgericht in Bezug auf den Hilfsantrag der Klägerin an, die Beklagte habe die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 70 Abs. 1 Nr. 1 StVZO rechtsfehlerfrei abgelehnt. Für eine solche abschließende Entscheidung reichen die bisherigen tatsächlichen Feststellungen zur Sammeltätigkeit der Klägerin und der sich daraus ergebenden straßenverkehrsrechtlich relevanten Gefährdungssituation nicht aus.
a) Gemäß § 70 Abs. 1 Nr. 1 StVZO können die höheren Verwaltungsbehörden in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte einzelne Antragsteller Ausnahmen von den Vorschriften - unter anderem - des § 52 StVZO genehmigen. In § 70 Abs. 5 StVZO werden die Landesregierungen ermächtigt, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass abweichend von Absatz 1 Nr. 1 an Stelle der höheren Verwaltungsbehörde andere Behörden zuständig sind. Das ist hier durch § 3 Abs. 2 Nr. 3 der Niedersächsischen Verordnung über Zuständigkeiten im Bereich Verkehr (ZustVO-Verkehr) vom 3. August 2009 (GVBl S. 316) geschehen, der die Genehmigung von Ausnahmen nach § 70 Abs. 1 Nr. 1 StVZO auf die Landkreise und kreisfreien Städte überträgt.
Auf eine solche Ausnahmegenehmigung besteht kein Rechtsanspruch; ihre Erteilung liegt im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde. Mit der Ausnahmegenehmigung soll besonderen Ausnahmesituationen Rechnung getragen werden können, die bei strikter Anwendung der Bestimmungen nicht hinreichend berücksichtigt werden könnten. Ob ein solcher besonderer Ausnahmefall vorliegt, bemisst sich nach dem Ergebnis eines Vergleichs der Umstände des konkreten Falls mit dem typischen Regelfall, der dem generellen Verbot zugrunde liegt. Das so gewonnene Merkmal einer Ausnahmesituation ist sodann unverzichtbarer Bestandteil der einheitlich zu treffenden Ermessensentscheidung. Die Ausnahmegenehmigung müsste demnach geboten sein, um ansonsten nicht beherrschbaren Gefahren begegnen zu können (vgl. u.a. Urteil vom 21. Februar 2002 - BVerwG 3 C 33.01 - NZV 2002, 426 <427> = DAR 2002, 281).
b) Die Beklagte lehnt die beantragte Erteilung einer Ausnahmegenehmigung im Wesentlichen mit der Begründung ab, die Klägerin habe die Möglichkeit, mit ihren Kunden Termin und Ort der Abholung zu vereinbaren, ohne dadurch eine Gefährdung der übrigen Verkehrsteilnehmer zu verursachen oder darzustellen; sie bedürfe deshalb der mit dem Einsatz eines Gelblichts verbundenen Sonderrechte nicht. Das Berufungsgericht lässt diese Erwägung im Ergebnis unbeanstandet; das Fahrzeug der Klägerin werde nicht typischerweise in Situationen eingesetzt, in denen für Müllfahrzeuge öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger oder Dritter, denen die Entsorgungsverpflichtung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers übertragen wurde, die Verwendung des gelben Blinklichts vorgesehen sei.
Diese Einschätzung stützt das Berufungsgericht vor allem darauf, dass sich die gewerblichen Sammlungen der Klägerin schon aus rechtlichen Gründen von der Tätigkeit eines öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers und der von ihnen Beauftragten unterscheiden müssten. Dazu verweist das Berufungsgericht auf das noch zum Kreislaufwirtschafts- und Abfallbeseitigungsgesetz ergangene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Juni 2009 - BVerwG 7 C 16.08 - (BVerwGE 134, 154). Dort hatte der 7. Senat ausgeführt, die öffentlich-rechtliche Entsorgungstätigkeit der hiermit Beauftragten sei dadurch gekennzeichnet, dass sie auf vertraglichen Grundlagen und regelmäßig dauerhaften Strukturen wiederkehrende Entsorgungsleistungen erbrächten; dagegen seien gewerbliche Sammlungen typischerweise ein allgemeines, auf freiwilliger Basis unterbreitetes Angebot der unentgeltlichen Überlassung verwertbarer Abfälle (a.a.O. Rn. 31). Insoweit ist jedoch eine Änderung der Rechtslage eingetreten. In § 3 Abs. 18 Satz 2 des am 1. Juni 2012 in Kraft getretenen Kreislaufwirtschaftsgesetzes ist nun - in bewusster Reaktion auf das genannte Urteil - geregelt, dass die Sammeltätigkeit auf der Grundlage vertraglicher Bindungen zwischen dem Sammler und der privaten Haushaltung in dauerhaften Strukturen einer gewerblichen Sammlung nicht entgegenstehe.
Ausgehend davon reichen die Feststellungen des Berufungsgerichts nicht aus, um eine abweichende, das heißt geringere Gefährdung des Straßenverkehrs bei den von der Klägerin durchgeführten Sammlungen belegen zu können; denn Grundlage der dahingehenden Einschätzung des Berufungsgerichts ist das überholte rechtliche Bild einer gewerblichen Sammlung, das weitgehend durch an diesem Bild ausgerichtete tatsächliche Annahmen untermauert wird, nicht aber in dem für eine ordnungsmäßige Überzeugungsbildung erforderlichen Umfang auf von dieser Vorgabe unabhängigen Tatsachen beruht. So fehlt es insbesondere an hinreichenden tatsächlichen Feststellungen dazu, inwieweit bei dem von der Klägerin betriebenen Sammeln von Schrott und Altmetallen tatsächlich in erheblich geringerem Umfang als bei der öffentlich-rechtlichen Abfallentsorgung und/oder in größerer Entfernung voneinander Grundstücke angefahren werden. Nicht hinreichend geklärt ist außerdem, inwieweit sich die Fahrweise und die jeweiligen Beladevorgänge in einer Weise unterscheiden, die für eine mögliche Gefährdung des dabei eingesetzten Personals einerseits und der übrigen Verkehrsteilnehmer - also etwa vorbeifahrender Kraftfahrzeuge oder Fahrradfahrer - andererseits von Bedeutung ist. So schließt es auch das Berufungsgericht selbst nicht aus, dass das für die Klägerin tätige Personal in bestimmten Fällen zum Aufladen doch die Straße betreten muss, und stellt damit seine zuvor als wesentlichen Unterschied zur öffentlich-rechtlichen Müllabfuhr herausgestellte Annahme, es sei möglich, das Fahrzeug der Klägerin ausschließlich vom Bürgersteig über die rechte Bordwand zu beladen, wieder in Frage. Es bleibt im Unklaren, in welchem Umfang das geschieht.
Wegen des Fehlens hinreichender tatsächlicher Feststellungen zum Vorliegen der in § 70 Abs. 1 Nr. 1 StVZO vorausgesetzten Ausnahmesituation ist es dem Senat verwehrt, abschließend über das von der Klägerin hilfsweise geltend gemachte Bescheidungsbegehren, nunmehr in Gestalt eines Fortsetzungsfeststellungsantrags, zu entscheiden. Die Sache ist deshalb insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
c) Zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings der von der Klägerin in der Revision erneut vorgetragenen Auffassung nicht gefolgt, die vom Landkreis A. - und damit von einer anderen Behörde für ihren Zuständigkeitsbereich - erteilte Ausnahmegenehmigung habe eine Ermessensreduzierung bei der Beklagten zur Folge. Eine solche Ermessensreduzierung oder gar -bindung vermittelt über den allgemeinen Gleichheitssatz könnte nur durch das eigene Handeln der Beklagten bewirkt worden sein, nicht aber durch das Handeln eines anderen Trägers öffentlicher Gewalt (stRspr; vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 7. November 2002 - 2 BvR 1053/98 - BVerfGE 106, 225 <241> m.w.N., dort zur Frage eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG durch unterschiedliche landesgesetzliche Regelungen).
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019691
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BVerwG
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6. Senat
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20130529
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6 C 18/12
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Urteil
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Art 12 Abs 1 GG, Art 3 Abs 1 GG, § 5a Abs 2 S 4 DRiG, § 5 Abs 1 Halbs 2 DRiG, § 5d Abs 1 S 2 DRiG, MannhJuSPO BW 2003
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vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 16. Februar 2012, Az: 9 S 2003/11, Urteil vorgehend VG Karlsruhe, 30. Juni 2010, Az: 7 K 3369/09, Urteil nachgehend BVerfG, 26. Juni 2015, Az: 1 BvR 2218/13, Stattgebender Kammerbeschluss
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DEU
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Universitäre Schwerpunktbereichsprüfung; prüfungsrechtliche Bestehensregelungen; Teilprüfungen; prüfungsrechtliche Gewichtungsregelung
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1. Eine Regelung, nach der das Nichtbestehen einer Teilprüfung zum Nichtbestehen der Gesamtprüfung führen soll, genügt den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG, wenn die Teilprüfung schon für sich genommen eine zuverlässige Grundlage für die Beurteilung der Eignung des Prüflings bietet. Ob dies der Fall ist, obliegt regelmäßig in weitem Umfang der eigenen Einschätzung des Normgebers, die gerichtlich nur beanstandet werden darf, wenn sie offenkundig sachlich unvertretbar ist. Im Falle der universitären Schwerpunktbereichsprüfung nach § 5 Abs. 1 Halbs. 2 DRiG unterliegt der Normgeber wegen der Verklammerung dieser Prüfung mit der staatlichen Pflichtfachprüfung zur ersten juristischen Prüfung allerdings engeren grundrechtlichen Bindungen. Soweit die universitäre Schwerpunktbereichsprüfung die staatliche Pflichtfachprüfung lediglich fächerbezogen ergänzt und dieser damit in ihrer grundsätzlichen Anlage gleicht, hat sich der Normgeber an der Höhe derjenigen Eignungsanforderungen zu orientieren, die in der Ausgestaltung der Bestehensregelung für die staatliche Pflichtfachprüfung zum Ausdruck kommen.
2. Es ist Sache der Beurteilung durch den prüfungsrechtlichen Normgeber, welches Gewicht Einzelleistungen im Rahmen der Gesamtwertung zugewiesen wird. Solange die entsprechende Regelung von sachlichen Erwägungen getragen wird, ist sie gerichtlich nicht zu beanstanden, auch wenn sich eine andere Gewichtung denken ließe.
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Das Revisionsverfahren betrifft die Frage, ob Bestimmungen der Studien- und Prüfungsordnung der Beklagten für den Studiengang Rechtswissenschaft vom 12. August 2003 (Juristen-Studien- und Prüfungsordnung - JuSPO) in der auf den Fall des Klägers anzuwendenden Fassung der 3. Änderungssatzung vom 5. Dezember 2007 über die Ausgestaltung der universitären Schwerpunktbereichsprüfung im Sinne von § 5 Abs. 1 Halbs. 2 DRiG - im Folgenden "Universitätsprüfung" - mit bundesrechtlichen Maßgaben im Einklang stehen. Der Kläger bestreitet dies insbesondere im Hinblick auf die Regelung in §§ 14 Abs. 1, 17 Abs. 3 JuSPO, wonach die Universitätsprüfung nur besteht, wer sämtliche ihrer drei Teilprüfungen - Studienarbeit, Aufsichtsarbeit, mündliche Prüfung (vgl. § 10 Abs. 2 JuSPO) - bestanden hat.
Der Kläger studierte seit 2007 bei der Beklagten im Studiengang Rechtswissenschaft. Im Wintersemester 2008/2009 nahm er an der Universitätsprüfung im Schwerpunktbereich "Wirtschaftsrecht" teil. Seine Studienarbeit wurde mit fünf Punkten bewertet, seine Aufsichtsarbeit zunächst mit zwei Punkten und sodann in der Wiederholungsprüfung mit einem Punkt.
Anschließend exmatrikulierte sich der Kläger und schrieb sich an einer anderen Universität ein.
Das vom Kläger angerufene Verwaltungsgericht hat antragsgemäß festgestellt, der Kläger sei zur Fortsetzung der Universitätsprüfung bei der Beklagten berechtigt. Die Bestehensregelung in §§ 14 Abs. 1, 17 Abs. 3 JuSPO sei wegen Verstoßes gegen höherrangiges Landesrecht unwirksam. Aufgrund von § 32 Abs. 1 der Verordnung des Justizministeriums über die Ausbildung und Prüfung der Juristen (Juristenausbildungs- und Prüfungsordnung - JAPrO BW) dürfe es ausschließlich darauf ankommen, dass die Gesamtnote mindestens im Bereich der Notenstufe "ausreichend" liege. Dem universitären Normgeber sei es danach verwehrt, die weitergehende Bestehensanforderung aufzustellen, dass sämtliche Teilprüfungen bestanden sein müssten. Die Exmatrikulation des Klägers habe nicht zum Erlöschen seines Prüfungsanspruchs geführt.
Der Kläger legte in der Folgezeit bei der Beklagten die mündliche Prüfung ab und erzielte hierbei eine Benotung mit fünf Punkten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit dem angefochtenen Urteil der Berufung der Beklagten stattgegeben. § 32 Abs. 1 JAPrO BW belasse den Universitäten die Befugnis, das Bestehen der Universitätsprüfung von der weiteren Voraussetzung abhängig zu machen, dass sämtliche ihrer Teilprüfungen bestanden sein müssen. Diese Maßgabe verstoße nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Zumindest im Fall des von der Beklagten eingerichteten Schwerpunktbereichs Wirtschaftsrecht rechtfertige das Versagen in einer der Teilprüfungen bereits den Schluss, der Prüfling sei nicht hinreichend qualifiziert, um das Gesamtziel des Studiums und den damit verbundenen berufsqualifizierenden Abschluss zu erreichen. Sämtliche Teilprüfungen würden große Teile des Stoffes abdecken. Jede der hierbei abgeprüften Fähigkeiten könne als für das Berufsbild des umfassend ausgebildeten Juristen auf der Stufe der Ersten Prüfung wesentlich angesehen werden. Der Kläger habe, nachdem er die im ersten Anlauf nichtbestandene Aufsichtsarbeit auch im zweiten Anlauf nicht bestanden habe, die Universitätsprüfung endgültig nicht bestanden, so dass sein Prüfungsanspruch erloschen sei. Für eine Wiederholung der Gesamtprüfung lasse die JuSPO keinen Raum.
Der Kläger verfolgt mit der Revision sein Feststellungsbegehren weiter. §§ 14 Abs. 1, 17 Abs. 3 JuSPO verstoßen nach seiner Auffassung gegen § 5d Abs. 1 Satz 2 DRiG, gegen Art. 3 Abs. 1 GG sowie gegen Art. 12 Abs. 1 GG.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und hält §§ 14 Abs. 1, 17 Abs. 3 JuSPO für bundesrechtskonform, insbesondere auch im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG: Sämtliche Teilprüfungen würden Kenntnisse und Fähigkeiten abfordern, die im Lichte des Studienziels des Schwerpunktstudiums als unabdingbar anzusehen seien und daher als für die Beurteilung der Qualifikation der Kandidaten ausschlaggebend behandelt werden dürften.
Der Beigeladene hat sich in der mündlichen Verhandlung der Auffassung der Beklagten im Wesentlichen angeschlossen.
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Die zulässige Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO) und erweist sich nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die durch die Vorinstanz getroffenen Tatsachenfeststellungen bieten für den Senat eine ausreichende Grundlage, um in der Sache selbst zu entscheiden (§ 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO). Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils des Verwaltungsgerichts.
1. Die entscheidungstragende Annahme im angefochtenen Urteil, der Prüfungsanspruch des Klägers sei bereits infolge seines Scheiterns in der Aufsichtsarbeit erloschen, verletzt Bundesrecht. Denn die Bestehensregelung aus §§ 14 Abs. 1, 17 Abs. 3 JuSPO, auf die der Verwaltungsgerichtshof diese Annahme gestützt hat, verstößt - legt man die durch §§ 5 f. DRiG mitgeprägte Zweckrichtung der Universitätsprüfung zugrunde - gegen Art. 12 Abs. 1 GG (unten c.). Hingegen verstößt sie weder gegen § 5d Abs. 1 Satz 2 DRiG (unten a.) noch gegen Art. 3 Abs. 1 GG (unten b.).
a. § 5d Abs. 1 Satz 2 DRiG, der gebietet, die Einheitlichkeit der Prüfungsanforderungen und der Leistungsbewertung zu gewährleisten, steht §§ 14 Abs. 1, 17 Abs. 3 JuSPO nicht entgegen.
Es erscheint bereits zweifelhaft, ob der Kläger sich auf diese Bestimmung berufen kann. Ausweislich ihrer Entstehungsgeschichte zielt sie aus im Wesentlichen prüfungs- bzw. berufspolitischen Gründen darauf ab, die inhaltliche Gleichwertigkeit der Abschlüsse im Bundesgebiet zu sichern (Urteil vom 21. März 2012 - BVerwG 6 C 19.11 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 412 Rn. 29 m.w.N.). Dies lässt die Deutung zu, der Bundesgesetzgeber habe mit ihr rein objektiv-rechtliche Bindungen der Normgeber in den Ländern schaffen wollen, zumal zur Wahrung der subjektiven Belange der Prüfungsteilnehmer in Gestalt der insbesondere aus Art. 12 Abs. 1 GG sowie aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitenden allgemeinen Grundsätze des Prüfungsrechts bereits ein ebenso umfangreiches wie inhaltlich ausdifferenziertes Bündel an Vorgaben existiert, in dessen Licht für den Bundesgesetzgeber Bedarf am Erlass zusätzlicher einfachgesetzlicher Schutznormen kaum ersichtlich sein konnte. Reglementierungsbedarf dürfte der Bundesgesetzgeber ohnehin weniger im Hinblick auf vereinzelte Überhöhungen prüfungsrechtlicher Anforderungen gesehen haben, denen Betroffene regelmäßig schon durch Verlegung des Ausbildungs- und Prüfungsorts ausweichen können, als vielmehr im Hinblick auf die Gefahr regionaler Niveauabflachungen, welche die Wertigkeit andernorts erworbener Abschlüsse auszuhöhlen drohen und nicht hinreichend qualifizierten Personen den Zugang zum Richteramt (vgl. § 5 Abs. 1 Halbs. 1 DRiG) ebnen könnten. Dieser Gefahr kann bezeichnenderweise mit Mitteln subjektiven Rechtsschutzes nicht begegnet werden.
Zweifelhaft ist des Weiteren, ob eine prüfungsrechtliche Bestehensregelung der hier in Rede stehenden Art als "Prüfungsanforderung" im Sinne von § 5d Abs. 1 Satz 2 DRiG anzusehen ist. Der Wortsinn dieses Begriffs wie auch die prüfungs- bzw. berufspolitische Zweckrichtung der Vorschrift legen nahe, hierunter nur solche Vorgaben zu fassen, die den Prüfungsinhalt betreffen, d.h. Gegen-stand und Umfang der abgeforderten Prüfungsleistungen festlegen und so unmittelbar die inhaltliche Aussagekraft des Abschlusses prägen.
Beide Fragen können jedoch auf sich beruhen, da ein Verstoß gegen § 5d Abs. 1 Satz 2 DRiG jedenfalls aus anderen Gründen ausscheidet. § 5d Abs. 1 Satz 2 DRiG gebietet nach der Rechtsprechung des Senats keine strikte Uniformität. Die Vorschrift steht begrenzten Abweichungen zwischen verschiedenen Prüfungsordnungen nicht entgegen (Urteil vom 21. März 2012 a.a.O. Rn. 30; Beschluss vom 9. Juni 1995 - BVerwG 6 B 100.94 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 350 S. 80). Im Lichte der mit Einführung der Universitätsprüfung verfolgten Absichten gewinnt dies erhöhte Bedeutung. Dem Gesetzgeber stand hier vor Augen, die Variationsbreite im juristischen Ausbildungs- und Prüfungswesen zu erhöhen und den Fakultäten Spielräume zu eröffnen, um unter ihnen den "Qualitätswettbewerb" zu stärken (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 17. Oktober 2001, BTDrucks 14/7176 S. 1, 9; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks 14/8629 S. 2, 11 f.). § 5d Abs. 1 Satz 2 DRiG bedarf daher gerade in Bezug auf Universitätsprüfungen einer zurückhaltenden Auslegung, zumal der Gesetzgeber eigens für diese eine Reihe prüfungsrechtlicher Vorgaben (§§ 5d Abs. 2 Satz 2 DRiG, § 5d Abs. 2 Satz 4 DRiG, § 5d Abs. 1 Satz 3 DRiG) geschaffen hat, welche die Spielräume der zuständigen Normgeber bereits zielgerichtet begrenzen. Die Vorschrift könnte daher, wäre sie überhaupt anzuwenden, allenfalls solchen universitären Bestehensregelungen entgegenstehen, die sich in gravierender Weise vom bundesüblichen Standard abheben, so dass sich in ihnen ein regelrechter Systembruch manifestiert. Diese Voraussetzung wird durch §§ 14 Abs. 1, 17 Abs. 3 JuSPO nicht erfüllt. Im juristischen Prüfungswesen - auch auf universitärer Ebene - sind Bestimmungen, die für das Bestehen einer Prüfung nicht nur einen ausreichenden Gesamtdurchschnitt der erzielten Einzelnoten fordern, sondern darüber hinausgehende, auf das Bestehen einzelner Teilprüfungen bezogene Anforderungen aufstellen, vielfach verbreitet. Mögen §§ 14 Abs. 1, 17 Abs. 3 JuSPO insoweit auch eine besonders weitreichende Gestaltung vornehmen, so manifestiert sich in ihnen zwar eine Abweichung vom bundesüblichen Standard, jedoch kein Systembruch.
b. §§ 14 Abs. 1, 17 Abs. 3 JuSPO verstoßen entgegen der Auffassung des Klägers nicht deshalb gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil sie von den an anderen Universitäten in Baden-Württemberg für rechtswissenschaftliche Studiengänge geltenden Bestehensregelungen abweichen. Der Kläger verkennt, dass die Ausgestaltung der Prüfung durch andere Universitäten keinen im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG relevanten Vergleichsmaßstab abgibt. Der in Art. 3 Abs. 1 GG wurzelnde Gleichheitsanspruch richtet sich nur gegen den nach der Kompetenzverteilung zuständigen Träger öffentlicher Gewalt. Regeln verschiedene Hoheitsträger vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich, so liegt hierin keine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung der jeweiligen Normadressaten im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 7. November 2002 - 2 BvR 1053/98 - BVerfGE 106, 225 <241>, vom 7. November 1995 - 2 BvR 413/88, 1300/93 - BVerfGE 93, 319 <351> und vom 23. November 1988 - 2 BvR 1619, 1628/83 - BVerfGE 79, 127 <158>; Kischel, in: Epping/Hillgruber, Beck-OK GG, Stand 01.01.2013, Art. 3 Rn. 95 f.).
c. §§ 14 Abs. 1, 17 Abs. 3 JuSPO verstoßen jedoch gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Sie sind nicht hinreichend geeignet, den Zweck der Universitätsprüfung zu verwirklichen, und erweisen sich insofern als unverhältnismäßig. Der Zweck der Universitätsprüfung wird maßgeblich mit durch die in §§ 5 ff. DRiG vorgenommene Verklammerung von Universitätsprüfung und staatlicher Pflichtfachprüfung zur ersten juristischen Prüfung bestimmt. Danach dient auch die Universitätsprüfung der Feststellung, ob der Prüfling für den juristischen Vorbereitungsdienst (§ 5b DRiG) geeignet ist. Der universitäre Normgeber darf die Universitätsprüfung nicht an Qualifikationsmaßstäben ausrichten, die strukturell von den für die staatliche Pflichtfachprüfung geltenden Qualifikationsmaßstäben abweichen und denen insofern eine andere Vorstellung von der Eignung zugrunde liegt, die für den Eintritt in den Vorbereitungsdienst erforderlich sein soll. Tut er dies - wie hier durch Erlass der §§ 14 Abs. 1, 17 Abs. 3 JuSPO - dennoch, wird die mit einer negativen Prüfungsentscheidung verbundene Aussage, der Prüfling weise nicht die mit der Prüfung nachzuweisende Befähigung auf, nicht auf einer durch den Prüfungszweck gedeckten Grundlage getroffen. Im Einzelnen:
aa. Regelungen, die für die Aufnahme eines Berufs den Nachweis erworbener Fähigkeiten durch Bestehen einer Prüfung verlangen, greifen in die Freiheit der Berufswahl ein und bedürfen daher einer den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG genügenden Rechtfertigung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. April 1991 - 1 BvR 1529/84, 138/87 - BVerfGE 84, 59 <72>; BVerwG, Urteil vom 21. März 2012 a.a.O. Rn. 21, stRspr). Dies gilt auch für Bestimmungen, welche im Detail diejenigen Anforderungen festlegen, die erfüllt sein müssen, um eine solche Prüfung mit Erfolg abzulegen. Einzuschließen ist der Fall, dass eine Prüfung - so wie hier die Universitätsprüfung - zwar selbst noch nicht unmittelbar den Zugang zu einem reglementierten Beruf eröffnet, ihr Bestehen aber Voraussetzung für den Eintritt in weitere Ausbildungs- und Prüfungsetappen auf dem Weg dorthin bildet (vgl. etwa für studienbegleitende Leistungskontrollen: Beschluss vom 3. November 1986 - BVerwG 7 B 108.86 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 233 S. 297).
bb. Die Anforderung, dass Eingriffe in die Berufsfreiheit einer gesetzlichen Grundlage bedürfen (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG), ist im vorliegenden Fall erfüllt.
(1) Die für die Universitätsprüfung geltenden Bestehensregelungen musste der parlamentarische Gesetzgeber nicht selbst festlegen. Das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratieprinzip des Grundgesetzes verpflichten ihn zwar, in dem durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Grundrechtsbereich die wesentlichen Entscheidungen über die Ausbildung und Prüfung selbst zu treffen (stRspr; vgl. nur Beschluss vom 17. September 1987 - BVerwG 7 B 160.87 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 244 S. 28 m.w.N.; vgl. allgemein BVerfG, Urteil vom 3. März 2009 - 2 BvC 3/07, 4/07 - BVerfGE 123, 39 <78>). Durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist jedoch geklärt, dass neben Vorschriften über den Prüfungsstoff, das Prüfungssystem und die Einzelheiten des Prüfungsverfahrens auch die Festlegung der Bestehensvoraussetzungen in aller Regel nicht zu diesen dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehaltenen Leitentscheidungen gehören (Beschluss vom 17. September 1987 a.a.O. m.w.N.). Insoweit wird den Anforderungen von Rechtsstaats- und Demokratieprinzip bereits dadurch hinreichend Genüge getan, dass der parlamentarische Gesetzgeber durch die Vorgabe von Ziel und Inhalt der Ausbildung - wie hier insbesondere in §§ 5 Abs. 1 Halbs. 2, 5a Abs. 2 Satz 4 DRiG geschehen - die Regelungen auf untergesetzlicher Ebene nach Tendenz und Programm begrenzt und berechenbar macht (vgl. Urteil vom 7. Oktober 1983 - BVerwG 7 C 54.82 - BVerwGE 68, 69 <72> = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 186 S. 153), zumal die prüfungsrechtliche Rechtsetzung auch auf untergesetzlicher Ebene in weitreichendem Maße bereits durch Grundsätze gesteuert wird, die sich unmittelbar aus Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG und aus dem Rechtsstaatsprinzip ergeben (vgl. Urteil vom 7. Oktober 1983 a.a.O. S. 74 bzw. 154).
(2) Auch Satzungsvorschriften weisen den von Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG geforderten Rechtssatzcharakter auf (BVerfG, Beschluss vom 9. Mai 1972 - 1 BvR 518/62, 308/64 - BVerfGE 33, 125 <155>; BVerwG, Beschluss vom 22. November 1994 - BVerwG 6 B 80.94 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 341). Ebenso gilt dies für Verordnungsvorschriften. Die vom Verwaltungsgerichtshof offen gelassene Frage, ob der Erlass der Prüfungsordnung dem Bereich der akademischen Selbstverwaltung zuzurechnen ist oder es sich um einen Fall der Rechtssetzung im staatlichen Aufgabenbereich auf der Grundlage einer entsprechenden Delegation staatlicher Befugnisse handelt - was dann dafür sprechen könnte, der JuSPO ungeachtet ihrer Bezeichnung Verordnungscharakter zuzusprechen - bedarf daher auch an dieser Stelle keiner Vertiefung.
(3) Der Kläger kann nicht mit Erfolg geltend machen, die Regelung der Bestehensvoraussetzungen für die Universitätsprüfung hätte abschließend auf Ebene der JAPrO BW erfolgen und nicht der Beklagten überlassen werden dürfen.
Das Bundesrecht enthält keine Vorgaben, die dem Gesetz- oder Verordnungsgeber im Land generell verwehren würden, die nähere Ausgestaltung der Universitätsprüfung - wie hier durch § 26 Abs. 2 JAPrO BW ausdrücklich vorgesehen - der Regelung auf Universitätsebene zu überlassen. Der Verweis auf das Landesrecht in § 5d Abs. 6 DRiG enthält kein Verbot der Weiterdelegation. Dem Bundesgesetzgeber ging es - wie bereits angesprochen - bei Einführung der Universitätsprüfung gerade darum, den Universitäten eigene Gestaltungsräume zu eröffnen.
Bundesrechtlich gefordert ist - als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips - alleine, dass die universitäre Regelungsbefugnis hinreichend bestimmt sachlich umrissen wird (vgl. Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, S. 9 Fn. 12). Hieran kann im vorliegenden Fall in Ansehung der zahlreichen Vorgaben der JAPrO BW zu Prüfungsziel (§ 1 Abs. 2 Satz 2), Prüfungsgegenstand und Umfang des Prüfungsstoffs (§§ 27 Abs. 1 und 2, 28, 29) sowie zur Zahl und Bewertung von Prüfungsleistungen (§ 33) kein Zweifel bestehen. Mit diesen Vorgaben hat der Verordnungsgeber entsprechend der - ihrerseits offenkundig den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen genügenden - Ermächtigung in § 9 Abs. 1 Nr. 6 des Gesetzes über die juristischen Prüfungen und den juristischen Vorbereitungsdienst (Juristenausbildungsgesetz - JAG BW) "Rahmenvorgaben für die Prüfung" erlassen, welche die Rechtssetzung auf Ebene der Universität eingrenzen und inhaltlich anleiten. Soweit der Universität noch Regelungsspielräume verbleiben, ergeben die engmaschigen prüfungsrechtlichen Grundsätze, die aus der Verfassung abzuleiten und in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Verwaltungsgerichte näher ausgeformt sind, zusätzliche Orientierungspunkte; dies gilt namentlich auch - wie sich im Weiteren erweisen wird - in Bezug auf den Erlass von Bestehensregelungen der hier in Rede stehenden Art.
cc. Grundrechtseingriffe müssen, um verfassungsrechtlich gerechtfertigt zu sein, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Dieser verlangt, dass der Grundrechtseingriff einem legitimen Zweck dient und als Mittel zu diesem Zweck geeignet, erforderlich und angemessen ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2008 - 1 BvR 370/07, 595/07 - BVerfGE 120, 274 <318 f.>; stRspr). Diesen Anforderungen genügen §§ 14 Abs. 1, 17 Abs. 3 JuSPO nicht in jeder Hinsicht.
(1) Ist die Durchführung einer Prüfung in mehreren Teilprüfungen vorgesehen, wird hierdurch die Beurteilungsgrundlage verbreitert und so die Treffsicherheit des Befähigungsurteils erhöht, das mit der Prüfungsentscheidung über den Prüfling ausgesprochen wird. Bestehensregelungen, die an den Misserfolg in einer Teilprüfung bereits das Nichtbestehen der Gesamtprüfung knüpfen, laufen Gefahr, die Treffsicherheit dieses Befähigungsurteils zu verringern. Denn danach reduziert sich unter Umständen - nämlich bei Nichtbestehen der Teilprüfung - seine empirische Basis auf eine bloße Teilmenge der im Prüfungsverfahren erbrachten Leistungen, während die übrigen erbrachten Leistungen im Rahmen der Prüfungsentscheidung gänzlich außer Betracht bleiben. Wie der Senat bereits früher entschieden hat, genügen solche Regeln den verfassungsrechtlichen Anforderungen nur, wenn die Teilprüfung, deren Nichtbestehen zum Nichtbestehen der Gesamtprüfung führen soll, schon für sich genommen eine zuverlässige Beurteilungsgrundlage bietet (Beschlüsse vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 3.95 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 347 S. 62 f. und vom 10. Oktober 1994 - BVerwG 6 B 73.94 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 338 S. 46 f.; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 14. März 1989 - 1 BvR 1033/82, 174/84 - BVerfGE 80, 1 <35>). Tut sie dies nicht, nimmt der Zufallsfaktor im Rahmen der Prüfungsentscheidung überhand und ist eine solche Regel daher schon nicht geeignet, den ihr zugedachten Zweck in rationaler Weise zu erfüllen, diejenigen Prüflinge zu ermitteln, die nicht die Tauglichkeit aufweisen, welche mit der Prüfung nachgewiesen werden sollen.
Eine zuverlässige Beurteilungsgrundlage kann eine Teilprüfung dann bieten, wenn gerade durch sie eine Fähigkeit nachgewiesen wird, die als unerlässlicher, nicht ausgleichsfähiger Bestandteil derjenigen Qualifikation anzusehen ist, die mit der Prüfung insgesamt nachgewiesen werden soll. Eine solche Fähigkeit mag beispielsweise in der Beherrschung einer bestimmten Fachmaterie oder, gegebenenfalls hiermit kombiniert, einer bestimmten Bearbeitungs- oder Darstellungsmethode bestehen, die nur in der betroffenen Teilprüfung abgeprüft werden. Der Normgeber mag aber auch die Auffassung verfolgen, ein positives Befähigungsurteil sei überhaupt nur bei durchgängiger Erzielung mindestens ausreichender Einzelleistungen gerechtfertigt; dann soll jede Teilprüfung mittelbar auch dem Nachweis der Fähigkeit zur fachbezogenen Leistungskonstanz dienen.
Ob einer dieser Begründungsansätze im konkreten Fall sachlich verfängt, obliegt in erster Linie der Beurteilung durch den Normgeber, dem Art. 12 Abs. 1 GG insoweit beträchtliche Einschätzungsspielräume eröffnet. Mit der Entscheidung, die Beherrschung einer bestimmten Fachmaterie, einer bestimmten methodischen Fertigkeit oder die Fähigkeit zur Leistungskonstanz seien für den Prüfungserfolg unverzichtbar, wird zugleich über Zuschnitt und Niveau der Befähigung entschieden, die mit der Ausbildung erworben und mit der Prüfung belegt werden soll, d.h. es werden hiermit berufliche oder akademische Qualifikationsanforderungen festgelegt. Diesbezüglich beschränkt sich aber die grundrechtliche Bindung des Normgebers auf das Gebot der Wahrung eines sachlichen Zusammenhangs mit den Anforderungen des betreffenden Berufs (vgl. Urteil vom 17. Juli 1987 - BVerwG 7 C 118.86 - BVerwGE 78, 55 <57> = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 242 S. 15). Sogar ein gewisser "Überschuss" an Ausbildungs- und Prüfungsanforderungen ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als zulässig zu erachten (vgl. Beschluss vom 1. Juli 1986 - 1 BvL 26/83 - BVerfGE 73, 301 <320> m.w.N.; aufgegriffen durch BVerwG, Urteil vom 17. Juli 1987 a.a.O. S. 57 bzw. 15). In dieser zurückhaltenden Linie kommt zum Ausdruck, dass die Definition beruflicher und akademischer Qualifikationsstandards vorwiegend Sache politisch wertender Gestaltung und durch die Verfassung im Kern nicht vorentschieden ist.
Zu verneinen ist die Frage, ob eine Teilprüfung eine zuverlässige Beurteilungsgrundlage bietet und insofern den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG standhält, im Allgemeinen daher nur dann, wenn die Einschätzung, gerade durch sie werde eine als unerlässlich einzustufende Fähigkeit abgeprüft, sachlich nicht vertretbar erscheint, d.h. wenn offenkundig ist, dass keiner der vorgenannten Begründungsansätze und auch kein nachvollziehbarer sonstiger Begründungsansatz sich im konkreten Fall als tragfähig erweist. Diese Maßgabe, mit der die Einstufung einer Bestehensregelung nach dem Muster von §§ 14 Abs. 1, 17 Abs. 3 JuSPO als ungeeignet im Ergebnis auf besonders gelagerte Ausnahmefälle beschränkt bleiben wird, steht im Einklang mit dem in der Grundrechtsjudikatur des Bundesverfassungsgerichts allgemein anerkannten Befund, dass die Verfassung dem Gesetzgeber für die Beurteilung der Eignung der von ihm für die Durchsetzung der gesetzgeberischen Regelungsziele gewählten Mittel einen Einschätzungsspielraum zubilligt (vgl. etwa BVerfG, Urteil vom 15. Januar 2002 - 1 BvR 1783/99 - BVerfGE 104, 337 <347 f.>). Sie fügt sich in die prüfungsrechtliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts insofern wertungssystematisch stimmig ein, als dort etwa im Hinblick auf die Zahl zugelassener Wiederholungsversuche, auf die Ausgestaltung von Gewichtungsregeln oder auf die Auswahl und Verteilung des Prüfungsstoffs - also im Hinblick auf Rahmenbedingungen, von denen die praktische Wirkungsschärfe einer Regel nach dem Muster von §§ 14 Abs. 1, 17 Abs. 3 JuSPO entscheidend mitbestimmt wird - gleichfalls durchgängig die Gestaltungsfreiheit des Normgebers bzw. der Prüfungsverwaltung betont worden ist (vgl. Beschlüsse vom 7. März 1991 - BVerwG 7 B 178.90 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 285 S. 167, vom 16. August 1985 - BVerwG 7 B 51, 58 u. 59.85 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 218 S. 256 und vom 13. April 1983 - BVerwG 7 B 25.82 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 173 S. 121).
(2) Speziell im hier betroffenen Fall der juristischen Universitätsprüfung unterliegt der universitäre Normgeber allerdings engeren Bindungen als ein prüfungsrechtlicher Normgeber im Normalfall. Die Eignungsziele, an denen das Schwerpunktbereichsstudium und die Universitätsprüfung auszurichten sind, stehen in bestimmten Eckdaten nicht zu seiner Disposition. § 5 Abs. 1 Halbs. 2 DRiG legt fest, dass die Universitätsprüfung zusammen mit der staatlichen Pflichtfachprüfung die erste juristische Prüfung bildet. Die Bestimmung richtet hiermit beide gemeinsam in erster Linie auf den Zweck aus, die Befähigung für den anschließenden juristischen Vorbereitungsdienst festzustellen (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 JAPrO BW). Hierdurch wird der Gestaltungsspielraum des universitären Normgebers im Ergebnis eingeengt. Er darf keine Bestehensregelung für die Universitätsprüfung erlassen, in der Eignungsanforderungen zum Ausdruck kommen, die nicht hinreichend auf diesen bundesrechtlich vorgegebenen Prüfungszweck der Universitätsprüfung abgestimmt sind.
(a) Gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 DRiG dienen die Schwerpunktbereiche der Ergänzung des Studiums, der Vertiefung der mit ihnen zusammenhängenden - den Gegenstand der staatlichen Pflichtfachprüfung bildenden - Pflichtfächer sowie der Vermittlung interdisziplinärer und internationaler Bezüge des Rechts. Die Ergänzungsfunktion des Schwerpunktbereichs setzen die universitären Studien- und Prüfungsordnungen durch die Anreicherung des Ausbildungs- und Prüfungsstoffs der Pflichtfächer um zusätzliche Ausbildungs- und Prüfungsinhalte um. Die in § 5a Abs. 2 Satz 4 DRiG weiter angelegte Vertiefungsfunktion des Schwerpunktbereichs zielt ausweislich des Gesetzeswortlauts sowie auch der Gesetzesmaterialien demgegenüber insbesondere auf die Erweiterung und Verfeinerung des allgemeinen wissenschaftlich-methodischen Rüstzeugs der Studierenden (vgl. den Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 20. März 2002, BTDrucks 14/8629 S. 12, sowie die dortigen Bezugnahmen auf die Reformforderungen des sog. Ladenburger Manifests, NJW 1997, 2935 ff., und die Vorschläge von Ernst-Wolfgang Böckenförde im Rahmen eines erweiterten Berichterstattergesprächs; vgl. insoweit auch die Stellungnahme Böckenfördes im Rahmen einer Sachverständigenanhörung des Rechtsausschusses im Jahr 2001, Anhang zum Protokoll der 83. Sitzung des Rechtsausschusses vom 16. Mai 2001, S. 64 f.).
(b) Soweit der Schwerpunktbereich, im Rahmen seiner Ergänzungsfunktion, den Pflichtfachbereich lediglich fächerbezogen um weitere Inhalte des Ausbildungs- und Prüfungsstoffs ergänzt und diesem damit in seiner grundsätzlichen Anlage gleicht, hat sich der universitäre Normgeber bei Ausgestaltung der Bestehensregelungen an der Höhe derjenigen Eignungsanforderungen zu orientieren, die in der Ausgestaltung der Bestehensregelung der staatlichen Pflichtfachprüfung zum Ausdruck kommen. Wäre er dieser Pflicht ledig, würde in beiden Abschnitten der ersten juristischen Prüfung - und zwar dort, wo sie strukturell vergleichbar sind - ein jeweils unterschiedliches Maß an juristischer Qualifikation über den Prüfungserfolg entscheiden. Dies wäre mit ihrer prüfungsrechtlichen Verklammerung und ihrer gemeinsamen Ausrichtung auf die Feststellung der Eignung für den juristischen Vorbereitungsdienst nicht in Einklang zu bringen. Dass gerade dem staatlichen Normgeber im Hinblick auf die Definition der Eignungsstandards das Primat gegenüber dem universitären Normgeber zukommt, ist in der Ergänzungsfunktion des Schwerpunktbereichs bereits logisch angelegt. Dementsprechend verweist § 5d Abs. 6 DRiG hinsichtlich der prüfungsrechtlichen Ausgestaltung beider Prüfungsabschnitte auf das "Landesrecht". Hieraus folgt - wie oben bereits ausgeführt - zwar kein prinzipielles Verbot der Weiterdelegation an den universitären Normgeber, wohl aber die Maßgabe, dass es dem Landesgesetzgeber zukommt, diesem wesentliche prüfungsrechtliche Eckdaten verbindlich vorzugeben.
(c) Soweit der Schwerpunktbereich den Pflichtfachbereich nicht lediglich um zusätzliche Fachmaterien ergänzt, sondern in ihm - im Rahmen der Vertiefungsfunktion - qualitativ eigenständige bzw. weitergehende Qualifikationsziele verfolgt werden, eröffnen sich dem Normgeber konsequenterweise breitere prüfungsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten. Den Regelungen der Pflichtfachprüfung sind insoweit keine bindenden Eignungsstandards zu entnehmen.
(3) Gemessen an den vorstehenden Maßstäben hat die Beklagte mit dem Erlass der §§ 14 Abs. 1, 17 Abs. 3 JuSPO ihren prüfungsrechtlichen Gestaltungsspielraum überschritten und eine Bestehensregelung erlassen, die nicht hinreichend geeignet ist, den der Universitätsprüfung im Lichte von §§ 5, 5a Abs. 2 DRiG zugedachten Zweck zu erfüllen, (nur) die für den juristischen Vorbereitungsdienst ungeeigneten Kandidaten zu ermitteln.
(a) Im Rahmen der staatlichen Pflichtfachprüfung lässt die JAPrO BW - nur leicht modifiziert durch die Regelung in ihrem § 16 - eine Kompensation nicht bestandener Teilprüfungen durch die in anderen Teilprüfungen erzielten Ergebnisse - auch fächerübergreifend - zu. Der staatliche Normgeber bringt hiermit zum Ausdruck, dass den in einzelnen Teilprüfungen jeweils abgeprüften fachlichen Kenntnissen bzw. Fertigkeiten nicht bereits für sich genommen, sondern nur in ihrer Summe Ausschlag gebendes Gewicht für die Beurteilung der Befähigung der Prüflinge zukommen darf. Hieraus tritt als Maßstab zutage, dass die Eignung für den Vorbereitungsdienst nicht entfällt, wenn der Prüfling nur partielle Leistungsschwächen in einzelnen Fachmaterien offenbart.
(b) Hingegen ist bei Zugrundelegung von §§ 14 Abs. 1, 17 Abs. 3 JuSPO einem Prüfling bereits wegen mangelhafter Beherrschung des Stoffs der obligatorischen Lehrveranstaltungen ("Allgemeiner Teil" - vgl. § 11 Abs. 1 Satz 3 JuSPO zur Aufsichtsarbeit) oder des Stoffs des Wahlbereichs ("Besonderer Teil" - vgl. § 12 Abs. 1 Satz 2 JuSPO zur mündlichen Prüfung) oder wegen des Nichtbestehens der Studienarbeit (vgl. § 13 JuSPO) der Erfolg in der Universitätsprüfung und hiermit - da das Bestehen der ersten juristischen Prüfung das Bestehen sowohl der Universitätsprüfung als auch der staatlichen Pflichtfachprüfung voraussetzt (§ 5d Abs. 2 Satz 4 DRiG) - der Eintritt in den Vorbereitungsdienst versagt. Einzelne Abschnitte des Prüfungsstoffs der Universitätsprüfung werden auf diese Weise hinsichtlich der ihnen vom universitären Normgeber beigemessenen Aussagekraft verabsolutiert. Von dem Ansatz der JAPrO BW, wonach zutage tretende partielle Leistungsschwächen die Eignung für den juristischen Vorbereitungsdienst noch nicht entfallen lassen, weicht dieser Ansatz ersichtlich ab.
(c) Im Lichte des oben Gesagten überschreitet der universitäre Normgeber mit diesem verabsolutierenden Ansatz seinen Gestaltungsspielraum nicht, soweit eine Teilprüfung in besonderer Weise auf die Ermittlung der wissenschaftlich-methodischen Fertigkeiten der Prüflinge ausgerichtet ist und sich mithin eindeutig der Vertiefungsfunktion des Schwerpunktbereichs zuordnen lässt. Dies ist hier im Hinblick auf die Studienarbeit der Fall, mit der nach § 13 Abs. 1 Satz 2 JuSPO der Prüfling zeigen soll, "dass er in der Lage ist, innerhalb der vorgesehenen Frist ein Thema (...) selbständig nach wissenschaftlichen Methoden zu bearbeiten". Hingegen tritt im Hinblick auf die Aufsichtsarbeit sowie im Hinblick auf die mündliche Prüfung schon aus dem Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen der §§ 11 f. JuSPO hervor, dass in ihnen vorwiegend - in einer den entsprechenden Teilprüfungen der staatlichen Pflichtfachprüfung strukturell vergleichbaren Weise - der Grad an fachlicher Stoffbeherrschung abgeprüft wird ("Gegenstand ... ist der Stoff der ..."). Sie sind daher stärker der Ergänzungsfunktion als der Vertiefungsfunktion des Schwerpunktbereichs zuzuordnen. Folglich greift hier das Erfordernis einer Kongruenz der Eignungsstandards zwischen Pflichtfach- und Universitätsprüfung - mit der Folge für den universitären Normgeber, dass er partielle Leistungsschwächen, die zum Nichtbestehen dieser Teilprüfungen führen, nicht dafür heranziehen darf, dem Prüfling insgesamt die Eignung für den Eintritt in den juristischen Vorbereitungsdienst abzusprechen. Insofern bilden weder die Aufsichtsarbeit noch die mündliche Prüfung für sich genommen bereits eine zuverlässige Grundlage für das Urteil, dass derjenige, der sie nicht besteht, deshalb nicht die mit der Universitätsprüfung nachzuweisende Eignung aufweist.
(d) Nichts anderes darf daraus hergeleitet werden, dass in Aufsichtsarbeit und mündlicher Prüfung unterschiedliche Arbeits- und Präsentationstechniken gefordert sind. Denn auch diesem Gesichtspunkt wird in den Bestimmungen der JAPrO BW über die staatliche Pflichtfachprüfung kein absoluter Stellenwert beigemessen. Die in ihnen eröffneten Kompensationsmöglichkeiten schließen ein, unzureichende Leistungen im einen Segment durch zureichende Leistungen im anderen Segment ausgleichen zu können.
(4) Zu keinem anderen Ergebnis führt der Umstand, dass § 5d Abs. 2 Satz 2 DRiG vorschreibt, in der Universitätsprüfung sei "mindestens eine schriftliche Leistung zu erbringen". Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich hieraus für den vorliegenden Fall nichts herleiten. Der Regelungsgehalt der Vorschrift besteht darin, die Durchführung der Universitätsprüfung rein auf mündlicher Basis zu verwehren. Im Übrigen wollte der Bundesgesetzgeber den Regelungsspielraum der Länder bzw. Universitäten nicht einschränken, ging aber gleichwohl von der Annahme aus, dass von ihnen eine Aufteilung der Prüfung in mehrere Teilprüfungen vorgenommen werden würde (vgl. BTDrucks 14/7176 S. 13: "... hinsichtlich der zu erbringenden Leistungen ..."). Eine Aussage im Hinblick auf die Zulässigkeit prüfungsrechtlicher Ausschlussklauseln nach Art von §§ 14 Abs. 1, 17 Abs. 3 JuSPO ist der Vorschrift vor diesem Hintergrund nicht zu entnehmen.
(5) Nichts anderes ergibt sich ferner aufgrund des Hinweises der Beklagten auf die grundrechtliche Lehrfreiheit, die nach ihrer Auffassung im vorliegenden Fall einen "zurückhaltenden Umgang mit den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes" gebietet. Verlagert der staatliche Normgeber die Regelung von Bestehensanforderungen bei Prüfungen, die in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG fallen, auf die Universitäten, verändert sich hierdurch grundsätzlich nichts am Umfang des grundrechtlichen Abwehrrechts der Prüfungsteilnehmer. Die oben aufgezeigten Anforderungen an die Zulässigkeit prüfungsrechtlicher Bestehensregeln könnten die Lehrfreiheit allenfalls dann beeinträchtigen - und so ausnahmsweise eine ausgleichsbedürftige grundrechtliche Kollisionslage herbeiführen -, wenn von ihnen Rückwirkungen auf die inhaltliche und methodische Gestaltung der Lehrveranstaltungen ausgingen (vgl. Beschlüsse vom 24. Mai 1991 - BVerwG 7 NB 5.90 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 134 S. 40 und vom 22. August 2005 - BVerwG 6 BN 1.05 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 263 S. 25). Es ist nicht ersichtlich, inwiefern dies hier der Fall sein könnte. Der Hinweis der Beklagten, Bestehensregeln könnten den Studierenden mittelbar den Bedeutungsgrad von Fachmaterien signalisieren, mag sachlich zutreffen, macht aber nicht deutlich, inwiefern sich hieraus eine Einschränkung der inhaltlichen und methodischen Gestaltungsfreiheit von Hochschullehrern in Bezug auf die von ihnen angebotenen Lehrveranstaltungen ergeben könnte.
(6) Unerheblich ist schließlich, dass nach der Darstellung der Beklagten in der Vergangenheit nur eine geringe Zahl von Prüflingen in der Universitätsprüfung gescheitert sein soll. Die Maßgabe, wonach eine Teilprüfung, deren Nichtbestehen zum Misserfolg der gesamten Prüfung führen soll, eine zuverlässige Beurteilungsgrundlage bieten muss, soll gewährleisten, dass die der Prüfung zugedachte Filterungsfunktion in rationaler, den Zufallsfaktor minimierender Weise erfüllt werden kann. Hierauf besteht - unter dem Aspekt der Eingriffsgeeignetheit - ein grundrechtlicher Anspruch auch im Falle einer niedrigen Durchfallquote.
dd. Nach den in § 139 BGB und § 44 Abs. 4 VwVfG niedergelegten Rechtsgrundsätzen ist ein Rechtsakt insgesamt unwirksam, wenn die Unwirksamkeitsgründe einen nicht abgrenzbaren Teil erfassen oder, sofern sie einen abgrenzbaren Teil erfassen, wenn nicht feststeht, dass der übrige Rechtsakt gegebenenfalls auch ohne diesen Teil erlassen worden wäre (vgl. Beschluss vom 11. Juli 2002 - BVerwG 3 B 84.02 - juris Rn. 3). Hieraus ergeben sich im vorliegenden Fall folgende Konsequenzen:
(1) §§ 14 Abs. 1, 17 Abs. 3 JuSPO sind insgesamt unwirksam. Es steht nicht mit hinreichender Sicherheit fest, dass die Beklagte die - nach dem oben Gesagten zulässige - Regelung, wonach ein Misserfolg in der Studienarbeit zum Misserfolg der Universitätsprüfung insgesamt führt, auch unter der Prämisse getroffen hätte, dass ihr entsprechende Regelungen in Bezug auf die Aufsichtsarbeit sowie in Bezug auf die mündliche Prüfung verwehrt sind.
(2) Die Unwirksamkeit der §§ 14 Abs. 1, 17 Abs. 3 JuSPO zieht die Unwirksamkeit der Regelung zur Prüfungswiederholung in § 17 Abs. 1 i.V.m. § 17 Abs. 3 JuSPO nach sich, die nach der Auslegung durch den Verwaltungsgerichtshof die Wiederholungsmöglichkeit abschließend auf die im ersten Anlauf nichtbestandenen Teilprüfungen beschränkt. Diese Regelung hängt gesetzessystematisch untrennbar mit der in §§ 14 Abs. 1, 17 Abs. 3 JuSPO getroffenen Anordnung zusammen, dass die Universitätsprüfung bereits bei endgültigem Nichtbestehen einer Teilprüfung nicht bestanden ist.
(3) Nicht von der Unwirksamkeit der §§ 14 Abs. 1, 17 Abs. 3 JuSPO betroffen ist die in § 14 Abs. 2 JuSPO niedergelegte Gewichtungsregelung.
§ 14 Abs. 2 JuSPO ist von der Regelung der §§ 14 Abs. 1, 17 Abs. 3 JuSPO logisch abgrenzbar. Es sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Beklagte diese Bestimmung nicht getroffen hätte, wenn ihr die Unzulässigkeit von §§ 14 Abs. 1, 17 Abs. 3 JuSPO bewusst gewesen wäre.
§ 14 Abs. 2 JuSPO verstößt nicht gegen Bundesrecht. In der prüfungsrechtlichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist wiederholt betont worden, dass es Sache der Beurteilung durch den Normgeber ist, welches Gewicht Einzelleistungen im Rahmen der Gesamtwertung zugewiesen wird. Solange die entsprechende Regelung von sachlichen Erwägungen getragen wird, ist sie gerichtlich nicht zu beanstanden, auch wenn sich eine andere Gewichtung denken ließe (vgl. etwa Beschlüsse vom 16. August 1985 a.a.O. S. 256 und vom 11. August 1980 - BVerwG 7 CB 81.79 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 130 S. 216). Ausgehend hiervon erheben sich dagegen, dass nach § 14 Abs. 2 JuSPO die Studienarbeit zu 30 %, die mündliche Prüfung zu 20 % und die Aufsichtsarbeit zu 50 % über die Gesamtnote der Universitätsprüfung bestimmen sollen, keine durchgreifenden Bedenken. Im Lichte dessen, dass der Schwerpunktbereich neben der fächerbezogenen Ergänzung des Pflichtfachstudiums insbesondere auch der vertieften Ausbildung wissenschaftlich-methodischer Kompetenz dient, hätte es zwar nicht ferngelegen, den Gewichtungsanteil der in besonderer Weise hierauf bezogenen Studienarbeit höher anzusetzen. Die Entscheidung der Beklagten bewegt sich aber noch innerhalb der Spannbreite vertretbarer Gestaltungen und beruht nicht auf offenkundig unsachlichen Erwägungen.
2. Das Urteil stellt sich nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Beklagte darf dem Kläger nicht entgegenhalten, sein Prüfungsanspruch sei infolge der Exmatrikulation erloschen. Der Kläger hat sich zur Exmatrikulation vor dem Hintergrund der Rechtsauffassung der Beklagten veranlasst gesehen, sein Prüfungsanspruch sei durch den zweimaligen Misserfolg in der Aufsichtsarbeit erloschen. Er hat durch seine Klageerhebung zu verstehen gegeben, das Prüfungsverfahren bei der Beklagten fortsetzen und dieser Rechtsauffassung entgegentreten zu wollen. Die Beklagte hat sich hierauf insofern eingelassen, als sie den Kläger unter dem Vorbehalt des Ausgangs des gerichtlichen Verfahrens zur mündlichen Prüfung zugelassen hat. Unter diesen Gesamtumständen würde die Beklagte treuwidrig handeln, wenn sie sich nunmehr - nachdem sich im gerichtlichen Verfahren die Richtigkeit der Rechtsauffassung des Klägers erwiesen hat - darauf berufen würde, das Prüfungsrechtsverhältnis sei infolge der Exmatrikulation erloschen.
3. Die Beklagte hat den danach nicht erloschenen Prüfungsanspruch des Klägers dadurch zu erfüllen, dass sie auf Grundlage einer rechtmäßigen, an die Stelle der §§ 14 Abs. 1, 17 Abs. 3 JuSPO tretenden Bestehensregelung ermittelt, ob der Kläger mit den von ihm erzielten Einzelnoten die Universitätsregelung mit Erfolg abgelegt hat. In Bezug auf den Kläger wie in Bezug auf andere Prüflinge ist die Beklagte im Interesse der Aufrechterhaltung des Prüfungsbetriebs übergangsweise berechtigt, hierfür auf die Regelung in § 32 Abs. 1 Satz 3 JAPrO BW zurückzugreifen, d.h. darauf abzustellen, ob in der Summe der Teilprüfungsergebnisse - unter Berücksichtigung der Gewichtungsregelung in § 14 Abs. 2 JuSPO - ein mindestens "ausreichendes" Ergebnis erzielt worden ist.
Sofern die Beklagte von dieser Möglichkeit in Bezug auf den Kläger Gebrauch machen sollte, würde sich erweisen, dass dieser die Universitätsprüfung im ersten Anlauf nicht bestanden hat. Denn ausgehend von der Gewichtungsregelung in § 14 Abs. 2 JuSPO hat der Kläger in den bereits abgelegten Teilprüfungen einen für die Note "ausreichend" nicht hinreichenden Punktedurchschnitt von 3,50 erzielt (vgl. § 19 Abs. 1 Satz 1 JuSPO, §§ 19 Abs. 3 Satz 1, 32 Abs. 1 JAPrO BW). Demnach bliebe der Kläger auf eine Wiederholungsmöglichkeit verwiesen, die er durch die bereits erfolgte, jedoch auf unwirksamer Rechtsgrundlage vorgenommene Wiederholung der Aufsichtsarbeit nicht ausgeschöpft hat. Die Beklagte wäre in seinem Fall - wie in den Fällen anderer Prüflinge - übergangsweise berechtigt, zur Durchführung von Wiederholungsprüfungen auf die Regelung in § 33 Abs. 3 JAPrO BW zurückzugreifen. Danach hätten der Kläger bzw. im gegebenen Fall andere Betroffene die Möglichkeit, in einem zweiten Anlauf sämtliche Einzelprüfungen - unter Einschluss der Aufsichtsarbeit - ein weiteres Mal abzulegen.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019692
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BVerwG
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2. Senat
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20130620
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2 VR 1/13
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Beschluss
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Art 33 Abs 2 GG, § 16 Abs 1 BBG, § 22 Abs 2 BBG, § 6 Abs 2 BLV, § 32 Nr 2 BLV, § 33 Abs 1 BLV, § 123 VwGO, § 133 BGB
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DEU
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Dienstpostenneubesetzung; Stellenausschreibung; Auswahlverfahren
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1. Die an Art. 33 Abs. 2 GG zu messende Auswahlentscheidung ist auf das Amt im statusrechtlichen Sinne bezogen und darf daher grundsätzlich nicht anhand der Anforderungen eines konkreten Dienstpostens erfolgen.
2. Ausnahmen hiervon sind nur zulässig, wenn die Wahrnehmung der Dienstaufgaben des ausgeschriebenen Dienstpostens zwingend besondere Kenntnisse oder Fähigkeiten voraussetzt, die ein Laufbahnbewerber regelmäßig nicht mitbringt und sich in angemessener Zeit und ohne unzumutbare Beeinträchtigung der Aufgabenwahrnehmung auch nicht verschaffen kann. Diese Voraussetzungen hat der Dienstherr darzulegen; sie unterliegen voller gerichtlicher Kontrolle.
3. Aus der Stellenausschreibung muss sich ergeben, welche Anforderungen von allen Bewerbern zwingend erwartet werden und welche Kriterien zwar nicht notwendig für eine Einbeziehung in das Auswahlverfahren sind, bei im Wesentlichen gleicher Eignung der Bewerber aber maßgeblich berücksichtigt werden.
4. Ob und in welchem Umfang ein Anforderungsprofil Bindungswirkung entfaltet, muss durch eine entsprechend § 133 BGB am objektiven Empfängerhorizont potentieller Bewerber orientierte Auslegung ermittelt werden.
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I.
Die Antragstellerin ist Regierungsdirektorin (Besoldungsgruppe A 15) im Dienst der Antragsgegnerin. Sie wendet sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die Besetzung des mit der Besoldungsgruppe A 16 bewerteten Dienstpostens des Referatsleiters "Rechtsangelegenheiten/G 10" (...) mit dem Beigeladenen, der ebenfalls das Amt eines Regierungsdirektors (Besoldungsgruppe A 15) innehat.
Zur Nachbesetzung des freiwerdenden Dienstpostens entwickelte die Antragsgegnerin aus einer Dienstpostenbeschreibung ein Anforderungsprofil und schrieb den Dienstposten im Juni 2012 entsprechend aus. Nach der Stellenausschreibung sind u.a. die Befähigung zum Richteramt gemäß § 5 DRiG, Führungskompetenz, eine mindestens sechsjährige Erfahrung in Führungspositionen im juristischen Bereich, Sprachkenntnisse Englisch entsprechend "SLP 3" und eine mindestens zweijährige Erfahrung in der Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten gefordert. Auf die Ausschreibung bewarben sich u.a. die Antragstellerin und der Beigeladene, die in ihren letzten Regelbeurteilungen beide das Gesamturteil 8 von 9 möglichen Punkten erzielt hatten. Die Antragsgegnerin entschied sich für den Beigeladenen und teilte nach Zustimmung des Bundeskanzleramts den anderen Bewerbern mit, dass die "förderliche Besetzung" des Dienstpostens mit dem Beigeladenen zum 1. Februar 2013 geplant sei.
Hiergegen hat die Antragstellerin Widerspruch eingelegt und die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt. Sie hält die Auswahlentscheidung für rechtswidrig, weil sie nur auf einzelne Merkmale des Anforderungsprofils abstelle, ohne hierfür eine ausreichende Begründung zu geben. Darüber hinaus sei dem Beigeladenen zu Unrecht ein Vorsprung im Merkmal Führungskompetenz zugesprochen worden. Sie sei hier besser beurteilt und verfüge auch über eine längere Führungserfahrung im rechtlichen Bereich. Die ebenfalls im Anforderungsprofil geforderten Sprachkenntnisse würden aktuell nur von ihr, nicht aber vom Beigeladenen erfüllt. Sie weise auch die geforderte Erfahrung in der Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten auf, weil sie als Sachgebietsleiterin die Ausrüstungs- und Ausbildungshilfe für ausländische Nachrichtendienste geplant und gesteuert habe und für die Entwicklung des AND-Policy-Konzepts zuständig gewesen sei.
Die Antragstellerin beantragt,
der Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu untersagen, den Dienstposten Referatsleiter Rechtsangelegenheiten/G 10 in der Abteilung ... mit dem Beigeladenen zu besetzen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie verteidigt die Auswahlentscheidung. Nur der Beigeladene erfülle alle Merkmale des Anforderungsprofils vollständig. Im Übrigen könne ein Vorsprung der Antragstellerin auch im Hinblick auf das Merkmal Führungskompetenz nicht festgestellt werden. Zwar sei der Beigeladene hier etwas schlechter beurteilt; es müsse jedoch berücksichtigt werden, dass er als Referatsleiter deutlich mehr Sach- und Personalverantwortung getragen und damit höhere Anforderungen zu erfüllen gehabt habe als die als Sachgebietsleiterin tätige Antragstellerin. Es könne daher davon ausgegangen werden, dass die leicht schlechtere Beurteilung bei höheren Anforderungen im Vergleich mit einer leicht besseren Beurteilung bei weniger hohen Anforderungen als im Wesentlichen gleich gut einzustufen sei.
Der Beigeladene hat sich nicht geäußert und auch keine Anträge gestellt.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Senatsakten sowie die vom Bundesnachrichtendienst übersandten Verwaltungsvorgänge verwiesen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, über den der Senat gemäß § 123 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO in erster und letzter Instanz entscheidet, ist zulässig und begründet. Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass durch die Besetzung des ausgeschriebenen Dienstpostens mit dem Beigeladenen die Verwirklichung eigener Rechte vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der Antragstellerin steht ein Anordnungsgrund gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Seite.
Zwar ist Gegenstand des Rechtsstreits nicht die Vergabe eines statusrechtlichen Amtes, die nach Ernennung des ausgewählten Bewerbers nach dem Grundsatz der Ämterstabilität nur noch rückgängig gemacht werden könnte, wenn der unterlegene Bewerber unter Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG an der Ausschöpfung seiner Rechtsschutzmöglichkeiten gehindert worden wäre (Urteil vom 4. November 2010 - BVerwG 2 C 16.09 - BVerwGE 138, 102 = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 47, jeweils Rn. 27). Die mit dem Eilantrag angegriffene Übertragung des Dienstpostens auf einen Mitbewerber kann nachträglich aufgehoben und der Dienstposten anderweitig besetzt werden, so dass der Antragstellerin auch nachgelagerter Rechtsschutz zur Verfügung steht (Beschluss vom 27. September 2011 - BVerwG 2 VR 3.11 - Buchholz 232.1 § 48 BLV Nr. 1 Rn. 19).
Die Auswahlentscheidung ist auch nicht auf die spätere Vergabe des Beförderungsamts gerichtet. Bereits der Text der Ausschreibung nimmt ausschließlich die Vergabe eines Dienstpostens in Bezug, so dass potentielle Bewerber, deren Interesse auf eine Beförderung gerichtet ist, nicht angesprochen und von einer Bewerbung abgehalten wurden. Ausweislich der Erwägungen des Auswahlvermerks hat der Präsident des Bundesnachrichtendienstes auch tatsächlich keine Entscheidung über die Vergabe des Beförderungsamts getroffen, sondern allein die Besetzung des Dienstpostens geregelt.
Soweit die Antragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren mitgeteilt hat, eine Beförderung des Beigeladenen sei im Falle seiner Bewährung nach rund einem Jahr beabsichtigt, fehlt es daher an einer hierauf bezogenen Auswahlentscheidung. Ob und unter welchen Voraussetzungen es zulässig wäre, mit der Dienstpostenvergabe auch eine unter der Bedingung einer erfolgreichen Erprobung (§ 22 Abs. 2 BBG, § 32 Nr. 2, § 34 Abs. 1 Satz 1 BLV) stehende Auswahlentscheidung für die erst zu einem ungewissen künftigen Zeitpunkt beabsichtigte Beförderung zu treffen, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Jedenfalls wäre der Verzicht auf ein weiteres Auswahlverfahren nur in einem engen zeitlichen Zusammenhang zu der Zuweisung des Beförderungsdienstpostens denkbar, um die Aktualität der dienstlichen Beurteilungen zu wahren (Urteil vom 11. Februar 2009 - BVerwG 2 A 7.06 - Buchholz 232 § 23 BBG Nr. 44 Rn. 20) und in der Zwischenzeit möglicherweise hinzukommende weitere Bewerber nicht ohne hinreichende Rechtfertigung vom Auswahlverfahren über das Beförderungsamt auszuschließen.
Die von der Antragsgegnerin getroffene Auswahlentscheidung für die Dienstpostenvergabe vermag die Rechtsstellung der Antragstellerin aus Art. 33 Abs. 2 GG aber dennoch zu beeinträchtigen, weil sie eine Vorauswahl für die Vergabe eines höheren Statusamts der Besoldungsgruppe A 16 trifft (vgl. Beschluss vom 25. Oktober 2011 - BVerwG 2 VR 4.11 - Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 50 Rn. 11 m.w.N.; hierzu auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. Oktober 2007 - 2 BvR 2457/04 - BVerfGK 12, 265 <268 f.> = juris Rn. 11). Art. 33 Abs. 2 GG gewährt jedem Deutschen ein grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Die Verbindlichkeit dieses verfassungsunmittelbar angeordneten Maßstabs gilt nicht nur für die unmittelbare Vergabe eines Amtes im statusrechtlichen Sinne, sondern auch für vorgelagerte Auswahlentscheidungen, durch die eine zwingende Voraussetzung für die nachfolgende Ämtervergabe vermittelt und die Auswahl für die Ämtervergabe damit vorweggenommen oder vorbestimmt wird (stRspr; vgl. Urteile vom 16. August 2001 - BVerwG 2 A 3.00 - BVerwGE 115, 58 <60> = Buchholz 232 § 8 BBG Nr. 54 S. 3, vom 16. Oktober 2008 - BVerwG 2 A 9.07 - BVerwGE 132, 110 = Buchholz 11 Art. 87a GG Nr. 6 jeweils Rn. 49 und vom 26. September 2012 - BVerwG 2 C 74.10 - NVwZ 2013, 80 Rn. 18).
Der von der Antragsgegnerin zur Neubesetzung ausgeschriebene und mit der Besoldungsgruppe A 16 bewertete Dienstposten des Referatsleiters "Rechtsangelegenheiten/G 10" stellt für die Antragstellerin und den Beigeladenen, die beide ein Amt der Besoldungsgruppe A 15 bekleiden, einen höherwertigen Dienstposten dar. Die Übertragung schafft daher die laufbahnrechtlichen Voraussetzungen für eine spätere Beförderung (§ 22 Abs. 2 BBG). Die Übertragung des höherwertigen Dienstpostens soll unter den Bedingungen praktischer Tätigkeit die Prognose bestätigen, dass der Inhaber des Dienstpostens - besser als etwaige Mitbewerber - den Anforderungen des Beförderungsamtes genügen wird. Nur der erfolgreich Erprobte hat die Chance der Beförderung. Andere Interessenten, die bislang nicht auf einem höherwertigen Dienstposten erprobt worden sind, kommen für eine Beförderung aus laufbahnrechtlichen Gründen nicht in Betracht. Damit wird die Auslese für Beförderungsämter vorverlagert auf die Auswahl unter den Bewerbern um "Beförderungsdienstposten".
Diese Vorwirkung begründet in Fällen der Übertragung eines Beförderungsdienstpostens an einen Mitbewerber für den Unterlegenen einen Anordnungsgrund und führt dazu, dass das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in diesen Fällen grundsätzlich die Funktion des Hauptsacheverfahrens übernimmt. Deshalb muss es den sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Anforderungen gerecht werden und darf nach Prüfungsmaßstab, -umfang und -tiefe nicht hinter einem Hauptsacheverfahren zurückbleiben. Vielmehr ist eine umfassende tatsächliche und rechtliche Überprüfung der Bewerberauswahl verfassungsrechtlich geboten, bei der die Anforderungen an einen Erfolg des unterlegenen Bewerbers nicht überspannt werden dürfen (Beschluss vom 25. Oktober 2011 a.a.O. Rn. 12, stRspr). Wird dabei eine Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs festgestellt, muss die Ernennung des ausgewählten Bewerbers bereits dann durch einstweilige Anordnung untersagt werden, wenn die Auswahl des Antragstellers bei rechtsfehlerfreier Auswahl jedenfalls möglich erscheint (BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. September 2002 - 2 BvR 857/02 - NVwZ 2003, 200 <201> = juris Rn. 13).
2. Der Antragstellerin steht auch ein Anordnungsanspruch zu, weil die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin für die Vergabe des Dienstpostens den Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin verletzt. Die Auswahlentscheidung beruht auf einem unzulässigen Anforderungsprofil (a) und einem fehlerhaften Leistungsvergleich (b). Es erscheint auch möglich, dass der Dienstposten im Falle einer fehlerfreien Wiederholung des Auswahlverfahrens an die Antragstellerin vergeben würde.
a) Auswahlentscheidungen sind grundsätzlich anhand aktueller dienstlicher Beurteilungen vorzunehmen, die auf das Statusamt bezogen sind und eine Aussage dazu treffen, ob und in welchem Maße der Beamte den Anforderungen seines Amts und dessen Laufbahn gewachsen ist (aa). Eine Einengung des Bewerberfelds anhand der Anforderungen eines bestimmten Dienstpostens ist hiermit nicht vereinbar (bb). Anderes gilt nur dann, wenn die Wahrnehmung der Aufgaben eines Dienstpostens zwingend besondere Kenntnisse oder Fähigkeiten voraussetzt, die ein Laufbahnbewerber regelmäßig nicht mitbringt und sich in angemessener Zeit und ohne unzumutbare Beeinträchtigung der Aufgabenwahrnehmung auch nicht verschaffen kann (cc). Diese Voraussetzungen liegen hinsichtlich der in der Stellenausschreibung vorausgesetzten juristischen Ausbildung vor, nicht aber im Hinblick auf die geforderte Erfahrung in der Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten (dd).
aa) Nach Art. 33 Abs. 2 GG dürfen öffentliche Ämter im statusrechtlichen Sinne nur nach Kriterien vergeben werden, die unmittelbar Eignung, Befähigung und fachliche Leistung betreffen. Hierbei handelt es sich um Gesichtspunkte, die darüber Aufschluss geben, in welchem Maße der Beamte oder Richter den Anforderungen seines Amts genügt und sich in einem höheren Amt voraussichtlich bewähren wird. Art. 33 Abs. 2 GG gilt für Beförderungen unbeschränkt und vorbehaltlos; er enthält keine Einschränkungen, die die Bedeutung des Leistungsgrundsatzes relativieren. Diese inhaltlichen Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG für die Vergabe höherwertiger Ämter machen eine Bewerberauswahl notwendig. Der Dienstherr muss Bewerbungen von Beamten oder Richtern um das höherwertige Amt zulassen und darf das Amt nur demjenigen Bewerber verleihen, den er aufgrund eines den Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG entsprechenden Leistungsvergleichs als den am besten geeigneten ausgewählt hat.
Art. 33 Abs. 2 GG dient dem öffentlichen Interesse an der bestmöglichen Besetzung der Stellen des öffentlichen Dienstes. Fachliches Niveau und rechtliche Integrität des öffentlichen Dienstes sollen gerade durch die ungeschmälerte Anwendung des Leistungsgrundsatzes gewährleistet werden. Zudem vermittelt Art. 33 Abs. 2 GG Bewerbern ein grundrechtsgleiches Recht auf leistungsgerechte Einbeziehung in die Bewerberauswahl. Jeder Bewerber um ein Amt hat einen Anspruch darauf, dass der Dienstherr seine Bewerbung nur aus Gründen zurückweist, die durch Art. 33 Abs. 2 GG gedeckt sind (sog. Bewerbungsverfahrensanspruch).
Der für die Bewerberauswahl maßgebende Leistungsvergleich ist anhand aktueller dienstlicher Beurteilungen vorzunehmen. Deren Eignung als Vergleichsgrundlage setzt voraus, dass sie inhaltlich aussagekräftig sind. Hierfür ist erforderlich, dass sie die dienstliche Tätigkeit im maßgebenden Beurteilungszeitraum vollständig erfassen, auf zuverlässige Erkenntnisquellen gestützt sind, das zu erwartende Leistungsvermögen in Bezug auf das angestrebte Amt auf der Grundlage der im innegehabten Amt erbrachten Leistungen hinreichend differenziert darstellen sowie auf gleichen Bewertungsmaßstäben beruhen. Maßgebend für den Leistungsvergleich ist in erster Linie das abschließende Gesamturteil, das durch eine Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen leistungsbezogenen Gesichtspunkte zu bilden ist (Urteil vom 4. November 2010 - BVerwG 2 C 16.09 - BVerwGE 138, 102 = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 47, jeweils Rn. 46; stRspr).
Der Inhalt dienstlicher Beurteilungen ist auf das Statusamt bezogen. Beurteilungen treffen eine Aussage, ob und in welchem Maße der Beamte den Anforderungen gewachsen ist, die mit den Aufgaben seines Amts und dessen Laufbahn verbunden sind. Sie tragen dem Umstand Rechnung, dass die Vergabe eines Statusamts nicht aufgrund der Anforderungen des Dienstpostens erfolgen soll, den der ausgewählte Bewerber nach der Vergabe des Statusamts oder vorher in einer Bewährungszeit wahrnehmen soll. Denn der ausgewählte Bewerber soll der am besten geeignete für jeden Dienstposten sein, der für einen Inhaber des höheren Statusamts amtsangemessen ist.
Über die Eignung des Bewerberfeldes kann der Dienstherr auch in einem gestuften Auswahlverfahren befinden. Bewerber, die die allgemeinen Ernennungsbedingungen oder die laufbahnrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllen oder die aus sonstigen Eignungsgründen für die Ämtervergabe von vornherein nicht in Betracht kommen, können in einer ersten Auswahl ausgeschlossen werden und müssen nicht mehr in den Leistungsvergleich einbezogen werden (Beschluss vom 6. April 2006 - BVerwG 2 VR 2.05 - Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 33 Rn. 7). Dies gilt grundsätzlich auch für Bewerber, die zwingende Vorgaben eines rechtmäßigen Anforderungsprofils nicht erfüllen (Beschluss vom 25. Oktober 2011 - BVerwG 2 VR 4.11 - Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 50 = juris Rn. 17 und 30).
bb) Bei der Bestimmung des Anforderungsprofils ist der Dienstherr aber an die gesetzlichen Vorgaben gebunden und damit, soweit eine an Art. 33 Abs. 2 GG zu messende Dienstpostenvergabe in Rede steht (vgl. Urteil vom 25. November 2004 - BVerwG 2 C 17.03 - BVerwGE 122, 237 <242> = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 31), auch zur Einhaltung des Grundsatzes der Bestenauswahl verpflichtet (Urteil vom 28. Oktober 2004 - BVerwG 2 C 23.03 - BVerwGE 122, 147 <153> = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 30). Hiermit ist eine Einengung des Bewerberfeldes aufgrund der besonderen Anforderungen eines bestimmten Dienstpostens grundsätzlich nicht vereinbar.
Zwar entscheidet der Dienstherr über die Einrichtung und nähere Ausgestaltung von Dienstposten innerhalb des von Verfassung und Parlament vorgegebenen Rahmens aufgrund der ihm zukommenden Organisationsgewalt nach seinen Bedürfnissen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. November 2011 - 2 BvR 2305/11 - NVwZ 2012, 368 <369>). Wie er seine Stellen zuschneidet, welche Zuständigkeiten er ihnen im Einzelnen zuweist und welche Fachkenntnisse er zur Erfüllung der daraus im Einzelnen resultierenden Aufgaben für erforderlich ansieht, fällt in sein Organisationsermessen, das gerichtlich nur auf sachfremde Erwägungen überprüfbar ist (Urteil vom 16. Oktober 2008 - BVerwG 2 A 9.07 - BVerwGE 132, 110 = Buchholz 11 Art. 87a GG Nr. 6, jeweils Rn. 54). Setzt ein Dienstposten nach seiner Funktionsbeschreibung spezifische Anforderungen voraus, die der Inhaber zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Dienstaufgaben erfüllen muss, können diese Kriterien im Rahmen der Stellenausschreibung verlangt werden.
Die Organisationsgewalt des Dienstherrn ist aber beschränkt und an die Auswahlgrundsätze des Art. 33 Abs. 2 GG gebunden, wenn - wie hier - mit der Dienstpostenzuweisung Vorwirkungen auf die spätere Vergabe des Amts im statusrechtlichen Sinne verbunden sind und die hierauf bezogene Auswahlentscheidung damit vorweggenommen oder vorbestimmt wird. Diese Bindung bereits der Auswahlentscheidung für die Dienstpostenvergabe an die Auswahlgrundsätze des Art. 33 Abs. 2 GG kann ein Dienstherr nur vermeiden, wenn er die Dienstpostenvergabe von der Auswahlentscheidung für die Vergabe des Statusamts entkoppelt.
In diesen Vorwirkungsfällen sind damit auch die Vorgaben des Anforderungsprofils den Maßstäben aus Art. 33 Abs. 2 GG unterworfen. Mit dem Anforderungsprofil wird die Zusammensetzung des Bewerberfeldes gesteuert und eingeengt. Durch die Bestimmung des Anforderungsprofils legt der Dienstherr die Kriterien für die Auswahl der Bewerber fest, an ihnen werden die Eigenschaften und Fähigkeiten der Bewerber um den Dienstposten gemessen. Fehler im Anforderungsprofil führen daher grundsätzlich auch zur Fehlerhaftigkeit des Auswahlverfahrens, weil die Auswahlerwägungen dann auf sachfremden, nicht am Grundsatz der Bestenauswahl orientierten Gesichtspunkten beruhen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. Oktober 2007 - 2 BvR 2457/04 - BVerfGK 12, 265 <270 f.> = juris Rn. 18).
Bezugspunkt der Auswahlentscheidung nach Art. 33 Abs. 2 GG ist aber nicht die Funktionsbeschreibung des konkreten Dienstpostens, sondern das angestrebte Statusamt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 7. März 2013 - 2 BvR 2582/12 - IÖD 2013, 98; zum Amtsbezug auch Urteil vom 24. September 2003 - 2 BvR 1436/02 - BVerfGE 108, 282 <296>). Hiermit ist nicht vereinbar, einen Bewerber vom Auswahlverfahren auszuschließen, nur weil er den besonderen Anforderungen des aktuell zu besetzenden Dienstpostens nicht entspricht. Dies steht mit dem Laufbahnprinzip nicht in Einklang. Danach wird ein Beamter aufgrund seiner Befähigung für eine bestimmte Laufbahn regelmäßig als geeignet angesehen, jedenfalls diejenigen Dienstposten auszufüllen, die seinem Statusamt entsprechen oder dem nächsthöheren Statusamt zugeordnet sind (vgl. § 16 Abs. 1, § 22 Abs. 3 BBG). Es kann grundsätzlich erwartet werden, dass der Beamte imstande ist, sich in die Aufgaben dieser Dienstposten einzuarbeiten (Beschluss vom 25. Oktober 2011 a.a.O. Rn. 15).
Eine Ausrichtung an den Anforderungen des konkreten Dienstpostens lässt überdies außer Acht, dass die Betrauung des Beamten mit einem bestimmten Dienstposten nicht von Dauer sein muss. Der Dienstherr kann den Aufgabenbereich des Beamten nach seinen organisatorischen Vorstellungen und Bedürfnissen jederzeit ändern, sofern ein sachlicher Grund hierfür vorliegt (Urteil vom 28. November 1991 - BVerwG 2 C 41.89 - BVerwGE 89, 199 = Buchholz 232 § 26 BBG Nr. 34). Der ausgewählte Bewerber soll daher der am besten geeignete für jeden Dienstposten sein, der für einen Inhaber des höheren Statusamts amtsangemessen ist. Schließlich ermöglicht die an den Anforderungen eines Dienstpostens orientierte Auswahlentscheidung eine vom Gesamturteil der dienstlichen Beurteilung unabhängige Ämtervergabe (vgl. zur Missbrauchsgefahr derartiger Auswahlentscheidungen Urteil vom 26. Januar 2012 - BVerwG 2 A 7.09 - BVerwGE 141, 361 = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 53).
Die an Art. 33 Abs. 2 GG zu messende Auswahlentscheidung darf daher grundsätzlich nicht anhand der Anforderungen eines konkreten Dienstpostens erfolgen.
cc) Ausnahmen hiervon sind nur zulässig, wenn die Wahrnehmung der Aufgaben eines Dienstpostens zwingend besondere Kenntnisse oder Fähigkeiten voraussetzt, die ein Laufbahnbewerber regelmäßig nicht mitbringt und sich in angemessener Zeit und ohne unzumutbare Beeinträchtigung der Aufgabenwahrnehmung auch nicht verschaffen kann. Diese Voraussetzungen hat der Dienstherr darzulegen, sie unterliegen voller gerichtlicher Kontrolle.
Macht ein Dienstherr im Rahmen der Stellenausschreibung (vgl. zur Dokumentationspflicht Urteil vom 3. März 2011 - BVerwG 5 C 16.10 - BVerwGE 139, 135 = Buchholz 436.62 § 82 SGB IX Nr. 1, jeweils Rn. 23) Vorgaben für die Vergabe eines Beförderungsdienstpostens, bleiben diese für das laufende Auswahlverfahren verbindlich (Urteil vom 16. August 2001 - BVerwG 2 A 3.00 - BVerwGE 115, 58 <60 f.> = Buchholz 232 § 8 BBG Nr. 54 S. 3; zur Rügefähigkeit der Nichtbeachtung von im Anforderungsprofil vorausgesetzten Merkmalen BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. Oktober 2007 a.a.O. S. 269 bzw. Rn. 14). Unzulässig ist es insbesondere, die Auswahlkriterien nachträglich dergestalt zu ändern, dass sich der Bewerberkreis erweitern würde, ohne dass mögliche Interessenten hiervon Kenntnis erhielten (BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. Februar 2007 - 2 BvR 2494/06 - BVerfGK 10, 355 <357 f.> = juris Rn. 7). Ob und in welchem Umfang ein Anforderungsprofil Bindungswirkung entfaltet, muss daher durch eine entsprechend § 133 BGB am objektiven Empfängerhorizont potentieller Bewerber orientierte Auslegung ermittelt werden (vgl. Beschluss vom 25. Oktober 2011 a.a.O. Rn. 18).
Hat der Dienstherr im Rahmen der Stellenausschreibung zwingende Vorgaben gemacht, die weder durch Art. 33 Abs. 2 GG noch als dienstpostenbezogene Ausnahme im Interesse der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung gerechtfertigt sind, ist das Auswahlverfahren fehlerhaft. Dieser Mangel kann nachträglich nicht geheilt werden, das Auswahlverfahren muss abgebrochen und die Stellenvergabe mit einer zulässigen Ausschreibung neu in Gang gesetzt werden.
Dienstpostenbezogene Ausnahmeanforderungen können sich insbesondere aus dem Erfordernis bestimmter Fachausbildungen ergeben (vgl. zur Fächerkombination bei Lehrern Urteil vom 25. Februar 2010 - BVerwG 2 C 22.09 - BVerwGE 136, 140 = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 45, jeweils Rn. 17). Je stärker die fachliche Ausdifferenzierung der Organisationseinheiten ist und je höher die Anforderungen an die Spezialisierung der dort eingesetzten Beamten sind, desto eher kann es erforderlich werden, im Interesse der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung besondere Qualifikationsanforderungen an die künftigen Stelleninhaber zu stellen. Bei technisch ausgerichteten Behörden etwa ist durchaus denkbar, dass die Aufgabenwahrnehmung bestimmter Dienstposten spezielle fachspezifische Vorkenntnisse erfordert (vgl. etwa OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 6. Februar 2012 - 10 B 11334/11 - DÖD 2012, 133 für einen Fachmann auf dem Gebiet Informationstechnik und Elektronik).
Die Schwierigkeit, dass tatsächlich nicht alle Laufbahnangehörigen in der Lage sind, die Aufgaben jedes ihrem Statusamt zugeordneten Dienstpostens auszufüllen, nimmt durch neuere Laufbahnregelungen zu, die ursprünglich fachspezifisch ausdifferenzierte Laufbahnen zusammenfassen (vgl. § 6 Abs. 2 der Bundeslaufbahnverordnung in der Fassung vom 12. Februar 2009, BGBl I S. 284). Der höhere naturwissenschaftliche Dienst des Bundes etwa umfasst Ämter, für die unterschiedliche Ausbildungen erforderlich sind und für die bislang eigenständige Laufbahnen im biologischen, chemischen, geographischen, geologischen, geophysikalischen, informationstechnischen, kryptologischen, lebensmittelchemischen, mathematischen, mineralogischen, ozeanographischen, pharmazeutischen oder physikalischen Dienst vorgesehen waren (vgl. Anlage 4 zur BLV); entsprechendes gilt auch für den sprach- und kulturwissenschaftlichen Dienst. Angesichts der in einer Laufbahn vereinigten unterschiedlichen Fachrichtungen mit der hierzu gehörenden Spezialisierung liegt aber auf der Hand, dass ein Dienstposten Eignungsanforderungen stellen kann, die nicht von jedem Laufbahnangehörigen erfüllt werden.
Aus den besonderen Aufgaben eines Dienstpostens können sich auch über die Festlegung der Fachrichtung hinaus Anforderungen ergeben, ohne deren Vorhandensein die zugeordneten Funktionen schlechterdings nicht wahrgenommen werden können. Obliegt einem Dienstposteninhaber etwa das Aushandeln und Abschließen von Verträgen mit ausländischen Partnern, sind die hierfür erforderlichen Sprachkenntnisse objektiv unabdingbar. Ein Bewerber, der für das Statusamt zwar grundsätzlich hervorragend geeignet ist, die notwendigen Sprachkenntnisse aber nicht aufweist, ist zur ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung auf diesem Dienstposten nicht in der Lage. Die Vorgabe spezifischer Eignungsanforderungen kann hier im Interesse der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung erforderlich werden. Andernfalls wäre der Dienstherr gezwungen, solche Dienstposten mit hierfür nicht geeigneten Bewerbern zu besetzen.
Ob die besonderen Anforderungen des konkret zu besetzenden Dienstpostens in Ausnahmefällen auch im Rahmen des eigentlichen Leistungsvergleichs berücksichtigt werden und ggf. eine Auswahlentscheidung rechtfertigen können, die nicht dem Gesamturteil der dienstlichen Beurteilung entspricht (vgl. hierzu Beschluss vom 25. Oktober 2011 a.a.O. Rn. 17; BVerfG, Kammerbeschluss vom 4. Oktober 2012 - 2 BvR 1120/12 - ZBR 2013, 126 Rn. 14 und 17), bedarf im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens keiner abschließenden Entscheidung. Die Antragstellerin und der Beigeladene sind im Wesentlichen gleich beurteilt worden. Angesichts der vorrangigen Bedeutung der dienstlichen Beurteilung für die Feststellung von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung (§ 33 Abs. 1 Satz 1 BLV) könnte derartiges insbesondere in Betracht kommen, wenn die Anforderungen des Dienstpostens eine Auswahl anhand von Kriterien erforderlich machen, die in der dienstlichen Beurteilung nicht vollständig berücksichtigt worden sind (vgl. Beschluss vom 27. September 2011 - BVerwG 2 VR 3.11 - Buchholz 232.1 § 48 BLV Nr. 1 Rn. 25).
dd) Die in der Stellenausschreibung zwingend geforderte Befähigung zum Richteramt gemäß § 5 DRiG entspricht diesen Anforderungen. Der von der Antragsgegnerin ausgeschriebene Dienstposten "Referatsleiter Rechtsangelegenheiten/G 10" ist im Kern mit der juristischen Kontrolle nach dem G 10-Gesetz und anderen Rechtsangelegenheiten betraut. Er setzt die durch eine entsprechende Ausbildung erworbenen Kenntnisse voraus (vgl. zur Prozessführungsbefugnis auch § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO), so dass sich diese Anforderung zwingend aus dem Aufgabenbereich des Dienstpostens ergibt. Bewerber, die zwar die Laufbahnbefähigung für den höheren nichttechnischen Verwaltungsdienst des Bundes besitzen, nicht aber die genannte juristische Qualifikation, sind zur Wahrnehmung der Kernaufgaben dieses Dienstpostens nicht geeignet.
Die Antragsgegnerin hat aber nicht dargetan, dass der Aufgabenbereich des ausgeschriebenen Dienstpostens die geforderte mindestens zweijährige praktische Erfahrung in der Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten zwingend erfordert (vgl. zum Maßstab auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. Oktober 2007 - 2 BvR 1846/07 u.a. - BVerfGK 12, 284 <289 f.> = juris Rn. 20 f.).
Dies ergibt sich zunächst bereits daraus, dass die "Außenvertretung in G 10-Angelegenheiten" insgesamt nur einen untergeordneten Ausschnitt der dem "Referatsleiter Rechtsangelegenheiten/G 10" zugewiesenen Fachaufgaben darstellt. Hauptauftrag des Dienstpostens ist ausweislich der Funktionsbeschreibung die Unterstützung der Abteilungsleitung in Rechtsangelegenheiten, die Bearbeitung von Rechtsangelegenheiten für die Abteilung sowie die Durchführung der juristischen Kontrolle nach dem G 10-Gesetz. Kernaufgaben sind damit die Teilnahme an Sitzungen der G 10-Kommission, die Berichterstellung für das Parlamentarische Kontrollgremium, die Erstellung von G 10-Beschränkungsanträgen, die Bearbeitung von G 10-Grundsatzangelegenheiten und abteilungsspezifischen Rechtsfragen. An diesen Hauptaufgaben sind die Eigenschaften und Fähigkeiten zu orientieren, die von einem Bewerber im Interesse der bestmöglichen Aufgabenwahrnehmung erwartet werden (Urteil vom 16. August 2001 a.a.O. S. 61 bzw. S. 3; hierzu auch Urteil vom 26. Januar 2012 - BVerwG 2 A 7.09 - BVerwGE 141, 361 = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 53, jeweils Rn. 23).
Im Hinblick auf diese maßgeblichen Kriterien der Funktionsbeschreibung ist die zwingende Forderung einer mindestens zweijährigen Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten nicht plausibel. Die Wahrnehmung der Außenvertretung in G 10-Angelegenheiten ist ein Randbereich der dem Dienstposten übertragenen Aufgaben, so dass nicht erkennbar ist, warum die hierfür wünschenswerten Anforderungen in der Stellenausschreibung eine derart maßgebliche Gewichtung erfahren haben. Dies gilt insbesondere, weil die Vorgabe zu einer weitreichenden und nicht am Kernbereich der Dienstaufgaben orientierten Verengung des Bewerberkreises führen kann (vgl. hierzu auch OVG Weimar, Beschluss vom 10. Januar 2012 - 2 EO 293/11 - ThürVBl 2013, 79 <81>). Sie schließt auch den für die Hauptaufgaben optimal geeigneten Bewerber aus, wenn er nicht zusätzlich bereits in einer Vorverwendung praktische Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten gesammelt hat. Für eine derartig weitreichende Eingrenzung des Bewerberfeldes bietet die maßgebliche Funktionsbeschreibung des Dienstpostens keine hinreichende Grundlage.
Selbst wenn man auf die dem Dienstposten ebenfalls übertragene Aufgabe der "Wahrnehmung der Außenvertretung in G 10-Angelegenheiten" abstellt, ergibt sich keine andere Bewertung. Denn dem Stelleninhaber sind nicht die Außenkontakte zu ausländischen Nachrichtendiensten generell zugewiesen. Sein Aufgabenbereich beschränkt sich vielmehr auf die "juristische Begleitung von AND-Besuchen zu G 10-Fragestellungen und vergleichbaren Rechtsfragen". Die Zusammenarbeit ist damit auf die Bewältigung von Rechtsfragen ausgerichtet. Aufgabe des Referates ist es dabei insbesondere, ausländischen Besuchern die dem Bundesnachrichtendienst gesetzten rechtlichen Grenzen für eine technische Aufklärung zu erläutern. Dies erfordert - wie die Antragsgegnerin selbst dargelegt hat - insbesondere die Vermittlung des spezifischen juristischen Fachwissens. Denn ausländische Nachrichtendienste unterliegen vergleichbaren Beschränkungen vielfach nicht. Hauptkriterium für diese Aufgabenstellung ist daher die Fähigkeit, die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Technische Aufklärung in Deutschland darstellen und vermitteln zu können. Warum hierfür eine bereits erworbene praktische Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten unabdingbar erforderlich sein soll, ist nicht erkennbar.
Dass auch im Rahmen dieser Fachbetreuung "unpassende" Auftritte gegenüber den Vertretern ausländischer Nachrichtendienste vermieden werden müssen, liegt auf der Hand und ist von der Antragsgegnerin eindrücklich beschrieben worden. Die hierfür maßgeblichen Anforderungsmerkmale sind auch Gegenstand der dienstlichen Beurteilung (vgl. etwa die aufgeführten Unterpunkte "soziale Kompetenz" und "Verhandlungsgeschick") und können so bei der Auswahlentscheidung berücksichtigt werden. Sie rechtfertigen indes nicht die zwingende Vorgabe einer mindestens zweijährigen Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten für die Vergabe des Dienstpostens "Referatsleiter Rechtsangelegenheiten/G 10".
Schließlich ist auch nicht dargetan, warum der Dienstposteninhaber die erwünschte praktische Erfahrung bereits zu seinem Dienstantritt erworben haben muss und eine entsprechende Einarbeitungszeit für ihn nicht organisierbar wäre. Angesichts der Funktionsbeschreibung ist weder ersichtlich, dass die juristische Begleitung ausländischer Besucher stets und ausschließlich durch den Referatsleiter persönlich durchgeführt werden müsste, noch dass dessen Heranführung an die praktischen Besonderheiten durch insoweit erfahrenere Mitarbeiter nicht in kurzer Zeit bewerkstelligt werden könnte.
b) Auch die der Auswahlentscheidung zugrunde liegenden Erwägungen zum Leistungsvergleich der Bewerber sind fehlerhaft. Die Antragsgegnerin hat die in der Stellenausschreibung vorgegebenen Kriterien beim Vergleich der im Wesentlichen gleich beurteilten Bewerber nicht hinreichend berücksichtigt (aa) und die Aussagen der dienstlichen Beurteilung im Rahmen des Leistungsvergleichs nicht beachtet (bb).
aa) Der Leistungsvergleich der (nach einer zulässigen Vorauswahl verbliebenen) Bewerber muss anhand aussagekräftiger, d.h. aktueller, hinreichend differenzierter und auf gleichen Bewertungsmaßstäben beruhender dienstlicher Beurteilungen vorgenommen werden. Maßgebend ist in erster Linie das abschließende Gesamturteil (Gesamtnote), das durch eine Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen leistungsbezogenen Gesichtspunkte zu bilden ist. Sind Bewerber mit dem gleichen Gesamturteil bewertet worden, muss der Dienstherr zunächst die Beurteilungen unter Anlegung gleicher Maßstäbe umfassend inhaltlich auswerten und Differenzierungen in der Bewertung einzelner Leistungskriterien oder in der verbalen Gesamtwürdigung zur Kenntnis nehmen (Urteil vom 30. Juni 2011 - BVerwG 2 C 19.10 - BVerwGE 140, 83 = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 49, jeweils Rn. 17; Beschluss vom 22. November 2012 - BVerwG 2 VR 5.12 - NVwZ-RR 2013, 267 Rn. 36; BVerfG, Kammerbeschluss vom 5. September 2007 - 2 BvR 1855/07 - BVerfGK 12, 106 <108 f.> = juris Rn. 8).
Zu einer Untersuchung der Begründungselemente gleichbewerteter Einzelkriterien ist der Dienstherr grundsätzlich nicht verpflichtet (BVerfG, Kammerbeschluss vom 4. Oktober 2012 - 2 BvR 1120/12 - ZBR 2013, 126 Rn. 17). Eine derartige Heranziehung von Teilelementen der Begründung widerspricht dem wertenden Charakter der dienstlichen Beurteilung als Gesamturteil (vgl. § 49 Abs. 3 Satz 1 BLV) und misst einzelnen Begründungselementen eine Bedeutung zu, die ihnen vom Beurteiler nicht zugedacht war. Ein Zwang zur vorrangigen Ausschöpfung aller Einzelfeststellungen liefe daher Gefahr, geringfügige und aus Sicht des Beurteilers möglicherweise unbedeutende Unterschiede überzubewerten.
Ergibt der Vergleich der Gesamturteile, dass mehrere Bewerber als im Wesentlichen gleich geeignet einzustufen sind, kann der Dienstherr auf einzelne Gesichtspunkte abstellen, wobei er deren besondere Bedeutung begründen muss. Die Entscheidung des Dienstherrn, welches Gewicht er den einzelnen Gesichtspunkten für das abschließende Gesamturteil und für die Auswahl zwischen im Wesentlichen gleich geeigneten Bewerbern beimisst, unterliegt nur einer eingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung. Jedoch muss er die dienstlichen Beurteilungen heranziehen, um festzustellen, ob und inwieweit die einzelnen Bewerber mit gleichem Gesamturteil diese Anforderungen erfüllen. Weitere Erkenntnisquellen können nur ergänzend herangezogen werden (stRspr; Urteil vom 30. Juni 2011 a.a.O. jeweils Rn. 20; Beschluss vom 25. Oktober 2011 - BVerwG 2 VR 4.11 - Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 50 Rn. 16).
Hat sich der Dienstherr vorab in der Stellenausschreibung durch die Vorgabe der beim künftigen Dienstposteninhaber erwünschten Kenntnisse und Fähigkeiten festgelegt, ist diese Entscheidung für das weitere Auswahlverfahren bindend. Der Dienstherr muss diesen Kriterien besondere Bedeutung zumessen, wenn die Bewerber im Wesentlichen gleich beurteilt sind. Aus der Stellenausschreibung muss sich ergeben, welche Anforderungen von allen Bewerbern zwingend erwartet werden, und welche Kriterien zwar nicht notwendig für eine Einbeziehung in das Auswahlverfahren sind, bei gleicher Eignung der Bewerber aber maßgeblich berücksichtigt werden.
Diesen Anforderungen genügt die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin nicht. Angesichts der Tatsache, dass die Antragstellerin und der Beigeladene im Wesentlichen gleich beurteilt waren, hätte es einer Festlegung der für die Auswahl maßgeblichen Gesichtspunkte bedurft. Diese Aufgabe vermag das in der Stellenausschreibung enthaltene Anforderungsprofil schon deshalb nicht zu erfüllen, weil es eine Vielzahl zum Teil unklarer Kriterien enthält, deren Bedeutung, Gewichtung und Beziehung zueinander offenbleibt. Dem damit maßgeblichen Auswahlvermerk kann ebenfalls nicht entnommen werden, auf welche Gesichtspunkte die Auswahlentscheidung tatsächlich gestützt war.
bb) Insbesondere aber ist der dem Beigeladenen zugesprochene Leistungsvorsprung hinsichtlich der Führungserfahrung nicht unter Beachtung der Aussagen der dienstlichen Beurteilungen zustande gekommen. In der Merkmalgruppe Führung hat der Beigeladene sechs Mal die Einzelnote 8 Punkte erhalten, die (statusgleiche) Antragstellerin ist aber je dreimal mit 8 und mit 9 Punkten bewertet worden.
Soweit die Antragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren die Auffassung vertreten hat, die schlechtere Beurteilung des Beigeladenen im Merkmal Führung sei im Hinblick auf die erhöhten Anforderungen seines Dienstpostens als im Wesentlichen gleich mit der Beurteilung der Antragstellerin einzustufen, ist dies unzutreffend. Die Argumentation überträgt den Grundsatz, dass bei gleicher Notenstufe die Beurteilung eines Beamten im höheren Statusamt grundsätzlich besser ist als diejenige eines für ein niedrigeres Statusamt beurteilten Konkurrenten (BVerfG, Kammerbeschluss vom 4. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 13 m.w.N.), in unzulässiger Weise auf die unterschiedlichen Anforderungen von Dienstposten im gleichen Statusamt (vgl. hierzu Urteil vom 17. August 2005 - BVerwG 2 C 37.04 - BVerwGE 124, 99 <103> = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 32 Rn. 20).
Zwar sind bei der Beurteilung die Aufgaben und Anforderungen des jeweiligen Dienstpostens in den Blick zu nehmen, weil nur so geprüft und bewertet werden kann, ob der Beamte die an ihn gestellten Anforderungen erfüllt (vgl. Nr. 11.4 Satz 1 der Bestimmungen über die Beurteilung der Beamtinnen, Beamten und Beschäftigten im Bundesnachrichtendienst vom 1. Juli 2009). Bezugspunkt der Beurteilung bleibt aber der Vergleich mit den anderen Mitarbeitern derselben Besoldungsgruppe (Nr. 11.7.2 Satz 1 und Nr. 1.3 Satz 1 der Beurteilungsbestimmungen). Mit dieser Anknüpfung an das Statusamt sollen die im Wesentlichen identischen Leistungsanforderungen den Maßstab bestimmen, anhand dessen die Arbeitsqualität und die Arbeitsquantität einzustufen sind (Urteil vom 24. November 2005 - BVerwG 2 C 34.04 - BVerwGE 124, 356 <361 f.> = Buchholz 232.1 § 41a BLV Nr. 1 Rn. 16 f.).
Weist ein Dienstposten daher Besonderheiten auf, die die typischerweise in der Vergleichsgruppe desselben Statusamts anzutreffenden Anforderungen übersteigen - wie im Falle des Beigeladenen die Leitung eines Referates und die damit verbundene Personalverantwortung für 27 Mitarbeiter -, ist dies bei der Leistungsbewertung zu berücksichtigen. Dementsprechend ist in der dienstlichen Beurteilung des Beigeladenen die nachgewiesene Eignung zum Referatsleiter auch ausdrücklich hervorgehoben worden. Das besondere Aufgabenprofil und die insoweit gezeigten Leistungen können bei der Beurteilung berücksichtigt werden. Eine zusätzliche Berücksichtigung dergestalt, dass die bereits in Ansehung der besonderen Aufgaben des Dienstpostens vergebene Note im Merkmal Führung gegenüber einem anderen Bewerber derselben Vergleichsgruppe, dessen Dienstposten diese Besonderheiten nicht aufwies, noch einmal "aufgewertet" wird, ist aber nicht zulässig. Sie widerspricht dem mit dem Bezugspunkt Statusamt vorgegebenen Vergleichsmaßstab der Beurteilung.
Eine derartige "Verrechnung" liegt der Auswahlentscheidung selbst indes auch nicht zugrunde: Der maßgebliche Auswahlvermerk stellt entsprechende Erwägungen nicht an. Die dortige Annahme, der Beigeladene weise die am deutlichsten ausgeprägte Führungserfahrung auf, beruht nicht auf den in den dienstlichen Beurteilungen vergebenen Noten, sondern ausschließlich auf dem Umstand, dass der Beigeladene breitere Vorverwendungen aufweisen könne und als einziger bereits Erfahrung im Führen eines Referats gesammelt habe.
Damit hat die Antragsgegnerin Kriterien zur Bewertung der Führungskompetenz den Ausschlag gegeben, die nicht mit den Aussagen der dienstlichen Beurteilungen in Einklang stehen. Sie hat damit das Gebot der umfassenden inhaltlichen Auswertung und "Ausschöpfung" der letzten dienstlichen Beurteilung verletzt (Urteil vom 30. Juni 2011 - BVerwG 2 C 19.10 - BVerwGE 140, 83 = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 49, jeweils Rn. 17; Beschluss vom 22. November 2012 a.a.O. Rn. 36).
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019693
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BVerwG
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6. Senat
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20130703
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6 P 2/13
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Beschluss
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§ 40 Abs 2 S 2 Halbs 1 PersVG NW 1974, § 1 AufwDeckV NW
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 11. Januar 2013, Az: 20 A 49/12.PVL, Beschluss vorgehend VG Gelsenkirchen, 28. November 2011, Az: 12c K 349/11.PVL, Beschluss
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DEU
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Aufwandsentschädigung des Personalrats; in der Regel vorhandene Beschäftigte; Stellenplan
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Die Aufwandsentschädigung des Personalrats bemisst sich gemäß § 40 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 NWPersVG (juris: PersVG NW) nach der Zahl der Regelbeschäftigten; die stattdessen auf den Stellenplan abstellende Bestimmung in § 1 Satz 2 AufwDeckV NW ist rechtsunwirksam.
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I.
In der LWL-Klinik Dortmund sind etwa 1 300 Beschäftigte tätig. Mit Schreiben vom 6. Oktober 2010 machte der Antragsteller geltend, die ihm zustehenden Aufwandsdeckungsmittel seien nach der tatsächlichen Beschäftigtenzahl zu berechnen. Dem trat die Beteiligte im Schreiben vom 26. Oktober 2010 unter Hinweis darauf entgegen, dass nach der Aufwandsdeckungsverordnung der Betrag nach der Zahl der im Stellenplan ausgebrachten Stellen zu berechnen sei. Mit Schreiben vom 10. Februar 2011 übersandte sie dem Antragsteller die Berechnung für die Aufwandsdeckungsentschädigung für das Kalenderjahr 2011, wobei 1 052,46 Stellen zugrunde gelegt wurden.
Das Begehren des Antragstellers auf Feststellung,
dass ihm die Beteiligte die Aufwandsdeckungsmittel gemäß § 40 Abs. 2 Satz 2 NWPersVG entsprechend der bei der letzten Personalratswahl im Wählerverzeichnis festgestellten Zahl der Regelbeschäftigten zur Verfügung zu stellen hat,
hat das Verwaltungsgericht abgelehnt. Die Beschwerde des Antragstellers hat das Oberverwaltungsgericht aus folgenden Gründen zurückgewiesen: Nach dem eindeutigen Wortlaut der Regelung in § 1 Satz 2 der Aufwandsdeckungsverordnung (AufwDeckV NW) sei als Bemessungsgrundlage für die Aufwandsentschädigung allein die rechnerisch ermittelte Zahl der im Stellenplan ausgebrachten Stellen zugrunde zu legen. Die Regelung halte sich im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung aus § 40 Abs. 2 Satz 2 NWPersVG. Diese Bestimmung verlange für die Bemessung des Aufwandsdeckungsbetrages lediglich die "Berücksichtigung" der Zahl der in der Regel in der Dienststelle vorhandenen Beschäftigten. Ausgehend davon sei es nicht zwingend, dass die Zahl der Regelbeschäftigten das ausschließliche oder allein maßgebliche Bemessungskriterium darstelle. Die Zahl der Regelbeschäftigten stehe in einem Zusammenhang mit der Zahl der im Stellenplan ausgebrachten Stellen. Denn bei der Ermittlung der Zahl der Regelbeschäftigten, auf welche das Landespersonalvertretungsgesetz auch sonst abstelle, sei grundsätzlich vom Stellenplan auszugehen. Von seiner gesamten Konzeption her beruhe der Aufwandsdeckungsbetrag auf dem Gedanken einer Pauschalierung des bei den einzelnen Personalräten entstehenden Kostenaufwands. Innerhalb dieser Konzeption halte es sich, wenn nicht stets alle Regelbeschäftigten bei der Berechnung der Höhe des Aufwandsdeckungsbetrages Berücksichtigung fänden. Die Bemessungsgrundlage der im Stellenplan ausgebrachten Stellen berücksichtige zwar nicht in vollem Umfang die Anzahl der Teilzeitbeschäftigten, habe aber auf der anderen Seite den Vorteil einer einfachen Feststellung.
Der Antragsteller trägt zur Begründung seiner vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde vor: Nach dem eindeutigen Wortlaut der Regelung in § 40 Abs. 2 Satz 2 NWPersVG sei von der Zahl der Regelbeschäftigten auszugehen und nicht von der Zahl der im Stellenplan ausgewiesenen Stellen. Dabei sei an die einzig vorhandene, verbindlich festgestellte Zahl der Regelbeschäftigten anzuknüpfen, wie sie sich aus dem zuletzt erlassenen Wahlausschreiben zur Einleitung der Personalratswahl ergebe. Der Verordnungsgeber sei an das gesetzlich feststehende Kriterium der Zahl der Regelbeschäftigten gebunden. Andere für die Berechnung der Aufwandsentschädigung maßgebliche Kriterien könne er festlegen. Bei der immer größer werdenden Zahl der Teilzeitbeschäftigten sei die Zahl der Regelbeschäftigten typischerweise wesentlich höher als die Zahl der im Stellenplan ausgewiesenen Stellen. Daher werde bei der Bemessung des Aufwandsdeckungsbetrages nach der Zahl der im Stellenplan ausgewiesenen Stellen der tatsächliche Aufwand des Personalrates nicht berücksichtigt.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und festzustellen, dass die Beteiligte ihm die Aufwandsdeckungsmittel gemäß § 40 Abs. 2 Satz 2 NWPersVG entsprechend der bei der letzten Personalratswahl im Wählerverzeichnis festgestellten Zahl der Regelbeschäftigten zur Verfügung zu stellen hat.
Die Beteiligte beantragt,
die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde des Antragstellers ist begründet. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts beruht auf der unrichtigen Anwendung von Rechtsnormen (§ 79 Abs. 2 NWPersVG vom 3. Dezember 1974, GV.NRW. S. 10514, zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 31. Januar 2012, GV.NRW. S. 90, in Verbindung mit § 93 Abs. 1 Satz 1 ArbGG). Er ist daher - ebenso wie der durch ihn bestätigte erstinstanzliche Beschluss - aufzuheben; da der Sachverhalt geklärt ist, entscheidet der Senat in der Sache selbst (§ 96 Abs. 1 Satz 2 ArbGG i.V.m. § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 3 ZPO). Danach ist festzustellen, dass die Beteiligte dem Antragsteller zur Deckung der diesem als Aufwand entstehenden Kosten Haushaltsmittel auf der Grundlage der bei der letzten Personalratswahl im Wählerverzeichnis festgestellten Zahl der in der Regel Beschäftigten zur Verfügung zu stellen hat.
Rechtsgrundlage für das streitige Begehren ist § 40 Abs. 2 NWPersVG. Danach sind dem Personalrat zur Deckung der ihm als Aufwand entstehenden Kosten Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen (Satz 1). Ihre Höhe ist unter Berücksichtigung der Zahl der in der Regel vorhandenen Beschäftigten zu bemessen; sie wird durch Rechtsverordnung der Landesregierung festgesetzt (Satz 2). Auf der Grundlage dieser gesetzlichen Ermächtigung ist die Verordnung über die Höhe der Aufwandsdeckung für Personalvertretungen (Aufwandsdeckungsverordnung - AufwDeckV NW) vom 25. Februar 1976, GV.NRW. S. 89, ergangen, die zuletzt durch Verordnung vom 11. Dezember 2012, GV.NRW. S. 650, geändert worden ist. § 1 AufwDeckV NW lautet:
Der Betrag, der dem Personalrat zur Deckung der als Aufwand entstehenden Kosten jährlich zur Verfügung zu stellen ist, wird in Dienststellen mit
1. bis zu 20 Beschäftigten auf 51,20 €,
2. mehr als 20 bis zu 100 Beschäftigten auf 76,70 €,
3. mehr als 100 bis zu 1 000 Beschäftigten auf 76,70 € für die ersten 100 Beschäftigten zugleich 0,60 € für jeden weiteren Beschäftigten,
4. mehr als 1 000 Beschäftigten auf 616,70 € für die ersten 1 000 Beschäftigten zuzüglich 0,30 € für jeden weiteren Beschäftigten, höchstens jedoch 2 556,50 €
festgesetzt. Er ist nach der Zahl der im Stellenplan ausgebrachten Stellen zu berechnen.
Die Beteiligte legt bei der Berechnung des Aufwandsdeckungsbetrages für den Antragsteller gemäß § 1 Satz 1 Nr. 4 AufwDeckV NW die Zahl der im Stellenplan der Klinik ausgebrachten Stellen zugrunde. Dies stimmt mit der Regelung in § 1 Satz 2 AufwDeckV NW überein. Zugleich steht diese Bestimmung der weitergehenden Vorstellung des Antragstellers entgegen, wonach sich der Aufwandsdeckungsbetrag nach der höheren Zahl der Regelbeschäftigten bemessen soll. § 1 Satz 2 AufwDeckV NW ist jedoch wegen Verstoßes gegen § 40 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 NWPersVG rechtsunwirksam.
1. Diese Bestimmung verlangt, dass bei der Bemessung des Aufwandsdeckungsbetrages die Zahl der in der Regel vorhandenen Beschäftigten zu berücksichtigen ist. Der Begriff der "in der Regel vorhandenen Beschäftigten" ist dabei gleichbedeutend mit dem Begriff der "in der Regel Beschäftigten" in § 13 Abs. 3 Satz 1 NWPersVG, welcher für die Größe des Personalrats maßgeblich ist.
a) § 13 Abs. 3 NWPersVG bestimmt die Größe des Personalrats in Abhängigkeit von der Zahl der dienststellenangehörigen Beschäftigten. Dieser Zusammenhang liegt auf der Hand, weil mit wachsender Zahl der dienststellenangehörigen Beschäftigten der Umfang der vom Personalrat wahrzunehmenden Aufgaben zunimmt. Demgemäß bezweckt die gesetzliche Regelung sicherzustellen, dass die Zahl der Personalratsmitglieder in einem angemessenen Verhältnis zur Zahl der Beschäftigten der Dienststelle steht. Indem § 13 Abs. 3 NWPersVG auf die "in der Regel" Beschäftigten als Bezugspunkt abstellt, wird eine Stärke des Personalrats erreicht, die während dessen Amtszeit nicht nur ein vorübergehendes, sondern ein nahezu ständiges echtes Spiegelbild der Anzahl der Beschäftigten in der Dienststelle wiedergibt (vgl. Beschlüsse vom 3. Juli 1991 - BVerwG 6 P 1.89 - Buchholz 251.7 § 13 NWPersVG Nr. 3 S. 4, vom 19. Dezember 2006 - BVerwG 6 PB 12.06 - Buchholz 250 § 17 BPersVG Nr. 4 Rn. 7 und vom 27. Mai 2010 - BVerwG 6 PB 2.10 - Buchholz 250 § 17 BPersVG Nr. 5 Rn. 4; Schlatmann, in: Lorenzen/Etzel/Gerhold/Schlatmann/Rehak/Faber, Bundespersonalvertretungsgesetz, § 12 Rn. 7; Sommer, in: Ilbertz/Widmaier/Sommer, Bundespersonalvertretungsgesetz, 12. Aufl. 2012, § 12 Rn. 5; Fischer/Goeres/Gronimus, in: GKÖD Bd. 5, K § 16 Rn. 10; Dörner, in: Richardi/Dörner/Weber, Personalvertretungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 16 Rn. 2; ebenso zum Betriebsverfassungsrecht: BAG, Beschlüsse vom 7. Mai 2008 - 7 ABR 17/07 - AP Nr. 12 zu § 9 BetrVG 1972 Rn. 17 und vom 12. November 2008 - 7 ABR 73/07 - juris Rn. 16 sowie Urteil vom 18. Oktober 2011 - 1 AZR 335/10 - AP Nr. 70 zu § 111 BetrVG 1972 Rn. 18 und 21).
b) Die nach § 40 Abs. 2 Satz 1 NWPersVG vorgesehene Aufwandsentschädigung soll nach dem Willen des Gesetzgebers der Abgeltung der Repräsentationskosten dienen, worunter Geschenke, Bewirtungen und ähnliches fallen (vgl. LTDrucks 7/4343 S. 8 und 17; Cecior/Vallendar/Lechtermann/Klein, Das Personalvertretungsrecht in Nordrhein-Westfalen, § 40 Rn. 54; ferner Beschluss vom 22. Juni 1984 - BVerwG 6 P 7.83 - Buchholz 238.3A § 46 BPersVG Nr. 16 S. 17). Die Höhe der Entschädigung hat der Gesetzgeber gemäß § 40 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 NWPersVG in Bezug zur Zahl der dienststellenangehörigen Beschäftigten gesetzt und damit zum Ausdruck gebracht, dass die Repräsentationskosten mit wachsender Beschäftigtenzahl zunehmen. Indem er auf die "in der Regel vorhandenen Beschäftigten" abstellt, ist auch hier ausgesagt, dass diejenige Personalstärke maßgeblich ist, welche die Dienststelle im Allgemeinen kennzeichnet. Der vom Gesetzgeber vorgegebene Zusammenhang zwischen der Höhe der Aufwandsdeckungspauschale und dem Regelstand ist eindeutig. Er wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Personalrat über die konkrete Mittelverwendung zu entscheiden und Rechnung zu legen hat (§ 40 Abs. 2 Satz 3 und 4 NWPersVG).
2. § 40 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 NWPersVG verlangt, dass die Höhe der Aufwandsentschädigung "unter Berücksichtigung" der Zahl der in der Regel vorhandenen Beschäftigten zu bemessen ist. Die Vorschrift enthält keine Festlegung zur absoluten Höhe des Aufwandsdeckungsbetrages. Sie benennt lediglich ein Differenzierungskriterium, nämlich die Zahl der in der Regel vorhandenen Beschäftigten. Der Wortlaut der Vorschrift ("unter Berücksichtigung") mag offen sein für weitere Differenzierungsmerkmale. Zum Gesichtspunkt der Beschäftigtenzahl trifft das Gesetz jedoch eine abschließende Regelung: Es kommt - in Anlehnung an die Regelung zur Personalratsstärke in § 13 Abs. 3 Satz 1 NWPersVG - auf die Zahl der in der Regel vorhandenen Beschäftigten an. Es gelten daher die dazu entwickelten Grundsätze. Ihnen muss die Verordnung nach § 42 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 NWPersVG entsprechen.
a) Zur Ermittlung des Regelstandes nach § 13 Abs. 3 NWPersVG hat der Senat im Anschluss an Ausführungen im bereits zitierten Beschluss vom 3. Juli 1991 (a.a.O. S. 5) in seiner neueren Rechtsprechung Folgendes klargestellt: Die gebotene prognostische Ermittlung der regelmäßigen Personalstärke ist in zwei Schritten vorzunehmen. Der erste Schritt besteht darin, die tatsächliche Personalstärke in der Dienststelle zum Zeitpunkt des Wahlausschreibens festzustellen. Die daraus resultierende Regelvermutung ist in einem zweiten Schritt zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren, wenn sich im Rahmen einer Rück- und Vorschau Anhaltspunkte dafür gewinnen lassen, dass die Verhältnisse im überwiegenden Teil der folgenden Amtsperiode von denen im Zeitpunkt des Wahlausschreibens abweichen werden. Im Rahmen dieses zweiten korrigierenden Schrittes kann der Stellenplan einen gewichtigen Anhalt für die Beantwortung der Frage liefern, ob und inwieweit eine im Zeitpunkt des Wahlausschreibens festzustellende Entwicklung der Personalstärke einem langfristigen Trend entspricht, der für die Verhältnisse jedenfalls im überwiegenden Teil der folgenden Amtsperiode des Personalrats Verbindlichkeit beanspruchen darf. Dagegen ist der Stellenplan angesichts der außerordentlichen Flexibilität des Haushaltsrechts kein taugliches Instrument, um im vorliegenden Zusammenhang eine Regelvermutung auszulösen (vgl. Beschlüsse vom 19. Dezember 2006 a.a.O. Rn. 5 und vom 27. Mai 2010 a.a.O. Rn. 4; vgl. dazu Schlatmann, a.a.O. § 12 Rn. 8; Sommer, a.a.O. § 12 Rn. 5; Fischer/Goeres/Gronimus, a.a.O. K § 16 Rn. 10a; Lemcke, in: Altvater/Baden/Kröll/Lemcke/Peiseler, Bundespersonalvertretungsgesetz, 7. Aufl. 2011, § 12 Rn. 4; Dörner, a.a.O. § 12 Rn. 8; zum Betriebsverfassungsrecht: BAG, Beschlüsse vom 7. Mai 2008 a.a.O. Rn. 17 und vom 12. November 2008 a.a.O. Rn. 16 sowie vom 18. Oktober 2011 a.a.O. Rn. 21).
b) In Zusammenhang mit der gruppenbezogenen Zusammensetzung des Personalrats, welche ebenfalls nach dem Grundsatz der regelmäßigen Personalstärke zu ermitteln ist (vgl. § 14 Abs. 2 NWPersVG), hat der Senat auf die haushaltsrechtliche Ermächtigung hingewiesen, Arbeitnehmer auf Beamtenstellen zu führen (vgl. Beschluss vom 19. Dezember 2006 a.a.O. Rn. 5). Der vorliegende Fall gibt Anlass, einen weiteren Umstand anzuführen, hinsichtlich dessen das Haushaltsrecht und die gebotene personalvertretungsrechtliche Bewertung auseinanderfallen. Das Haushaltsrecht gestattet es, jede Stelle mit mehreren Teilzeitbeschäftigten entsprechend dem Umfang ihrer Teilzeitbeschäftigung zu besetzen (vgl. § 17 Abs. 5 Satz 3 LHO). Doch verringert sich der Umfang der Personalratsarbeit in Bezug auf Teilzeitbeschäftigte nicht nach dem Maß der reduzierten Arbeitszeit. Es entspricht daher einhelliger Meinung, dass Teilzeitbeschäftigte bei der Berechnung der regelmäßigen Personalstärke in vollem Umfang mitzählen; ihre Zahl ist nicht etwa auf die entsprechende Zahl Vollzeitbeschäftigter umzurechnen (vgl. Schlatmann, a.a.O. § 12 Rn. 9; Sommer, a.a.O. § 12 Rn. 5; Fischer/Goeres/Gronimus, a.a.O. K § 16 Rn. 10b; Lemcke, a.a.O. § 12 Rn. 5; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, Betriebsverfassungsgesetz, 26. Auflage 2012, § 9 Rn. 17).
c) Demgemäß ist der Stellenplan bei der Ermittlung des Regelstandes weder Ausgangspunkt noch Hauptmerkmal, sondern lediglich ein mögliches Korrektiv, welches zudem nicht für sich allein, sondern nur mit anderen richtungsbestimmenden Faktoren tatsächlicher Art zu wirken vermag. Indem § 40 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 NWPersVG die regelmäßige Personalstärke zur verbindlichen Berechnungsgrundlage erklärt, verbietet er zugleich, alternative - insbesondere haushaltsbezogene - Modelle für die Bestimmung der maßgeblichen Beschäftigtenzahl heranzuziehen. Der Gesetzgeber will auch an dieser Stelle Verzerrungen vermeiden, die wegen der Abweichung des Stellenplans von der tatsächlichen Personalstärke in der Dienststelle auftreten.
3. Die vorstehende - systematische und teleologische - Auslegung der Regelung in § 40 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 NWPersVG wird durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätigt. § 42 Abs. 4 des Gesetzentwurfs der Koalitionsfraktionen vom 5. Februar 1974 sah - im Einklang mit § 46 Abs. 5 BPersVG - die Gewährung der Aufwandsentschädigung an freigestellte Personalratsmitglieder vor (LTDrucks 7/3543 S. 18). Wäre dieser Vorschlag Gesetz geworden, so hätte damit festgestanden, dass die Gesamthöhe aller Aufwandsentschädigungen von der Zahl der Regelbeschäftigten abhängig gewesen wäre. Denn eben danach bemisst sich die Zahl der Freistellungen (§ 42 Abs. 4 Satz 3 NWPersVG; ebenso § 46 Abs. 4 Satz 1 BPersVG). Bei der Gesetz gewordenen, bis heute fortgeltenden Regelung ging es dem Landesgesetzgeber darum, den Aufwandsdeckungsbetrag nicht einzelnen freigestellten Personalratsmitgliedern, sondern dem Personalrat insgesamt zur Verfügung zu stellen (vgl. LTDrucks 7/4343 S. 8 und S. 18 zu § 42 Abs. 4). Dafür, dass der Gesetzgeber die Höhe der Aufwandsentschädigung aus ihrer Abhängigkeit von der Zahl der Regelbeschäftigten lösen wollte, enthält die Entstehungsgeschichte keinen Anhalt. Im Gegenteil zeigt die vorgegebene Berücksichtigung "der Zahl der in der Regel vorhandenen Beschäftigten", dass diese Abhängigkeit im Ergebnis fortbestehen sollte.
4. Eine abweichende Auslegung der Regelung in § 40 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 NWPersVG ist nicht deswegen geboten, weil die Berechnung der Aufwandsentschädigung nach den Grundsätzen zur Ermittlung des Regelstandes mit einem unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand verbunden wäre. Letzteres ist nicht der Fall. Wie bereits ausgeführt, verweist § 40 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 NWPersVG auf die Ermittlung der Personalstärke, die vom Wahlvorstand nach Maßgabe von § 13 Abs. 3 NWPersVG bei der Vorbereitung jeder Personalratswahl vorzunehmen ist. Entgegen der Annahme des Oberverwaltungsgerichts hat der Wahlvorstand den Regelstand exakt festzustellen. Dieses ist normativ vorgegeben (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 der Wahlordnung zum Landespersonalvertretungsgesetz) und im Übrigen wegen der gruppenbezogenen Zusammensetzung des Personalrats in der Sache unvermeidlich (§ 14 Abs. 2 NWPersVG); das Abstellen auf "Bandbreiten" reicht nicht aus.
Der Zusammenhang der Regelungen in § 13 Abs. 3 Satz 1 und § 40 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 NWPersVG führt dazu, dass der vom Wahlvorstand ermittelte Regelstand der Berechnung der Aufwandsentschädigung für die gesamte Amtszeit des Personalrats zugrunde zu legen ist. Die von § 40 Abs. 2 NWPersVG erfassten Repräsentationskosten machen nur einen geringen Bruchteil der durch die Personalratstätigkeit verursachten Kosten aus. Es handelt sich um Beträge zwischen 51,20 € jährlich oder 4,27 € monatlich für Kleindienststellen mit bis zu 20 Beschäftigten und 2 556,50 € jährlich oder 213 € monatlich für Dienststellen mit 7 500 und mehr Beschäftigten (§ 1 Satz 1 AufwDeckV NW). Zur Ermittlung derart überschaubarer Beträge eine wiederholte, etwa jährliche Berechnung der Personalstärke durchzuführen, ist unverhältnismäßig. Deswegen ist es gerechtfertigt, die vom Wahlvorstand ermittelte Personalstärke unverändert zugrunde zu legen, bis die Amtszeit des Personalrats aufgrund regelmäßiger oder vorzeitiger Neuwahl endet (§§ 23, 24 NWPersVG). Der Grundsatz, dass Veränderungen des Regelstandes die Amtszeit des Personalrats nicht berühren (vgl. § 24 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a NWPersVG), wirkt im Sinne einer konstanten Bemessung der Aufwandsentschädigung während der Amtszeit.
5. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass § 1 Satz 2 AufwDeckV NW wegen Verstoßes gegen § 40 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 NWPersVG unwirksam ist. Die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen der Verordnung, insbesondere der Regelung in § 1 Satz 1 AufwDeckV NW, bleibt davon unberührt.
Nach den in § 139 BGB und § 44 Abs. 4 VwVfG niedergelegten Rechtsgrundsätzen ist eine Rechtsnorm dann nicht insgesamt unwirksam, wenn die Unwirksamkeitsgründe einen abgrenzbaren Teil erfassen und feststeht, dass die Rechtsnorm im Übrigen gegebenenfalls auch ohne diesen Teil erlassen worden wäre (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Mai 1993 - 2 BvF 2/90 u.a. - BVerfGE 88, 203 <333> und Beschluss vom 7. September 2010 - 2 BvF 1/09 - BVerfGE 127, 132 <223>; BVerwG, Beschluss vom 11. Juli 2002 - BVerwG 3 B 84.02 - juris Rn. 3 sowie Urteile vom 26. Juni 2008 - BVerwG 7 C 50.07 - BVerwGE 131, 251 = Buchholz 451.221 § 32 KrW-/AbfG Nr. 1 Rn. 21 und vom 26. September 2012 - BVerwG 2 C 74.10 - juris Rn. 28; zum Bauplanungsrecht: Beschluss vom 29. März 1993 - BVerwG 4 NB 10.91 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 75 S. 127 f.).
§ 1 Satz 2 AufwDeckV NW ist ein abgrenzbarer Teil der Verordnung. Die übrigen Bestimmungen ergeben ein sinnvolles Gesamtkonzept, wenn die Höhe des Aufwandsdeckungsbetrages nicht von der Zahl der im Stellenplan ausgebrachten Stellen, sondern nach dem Regelstand im Sinne von § 13 Abs. 3, § 40 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 NWPersVG berechnet wird.
Dass der Verordnungsgeber die Betragshöhe in § 1 Satz 1 AufwDeckV NW anders, insbesondere niedriger festgesetzt hätte, wenn ihm bewusst gewesen wäre, dass nicht vom Stellenplan, sondern vom Regelstand auszugehen ist, kann nicht angenommen werden. Dies ergibt sich bei einem Vergleich mit den durch die Aufwandsentschädigung verursachten Kosten im Bereich der Bundesverwaltung. Eine solche Vergleichsbetrachtung liegt nahe, weil das Bundespersonalvertretungsgesetz wegen der damaligen Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes Vorbildcharakter und der nordrhein-westfälische Landesgesetzgeber bei der Ausgestaltung der Regelung in § 40 Abs. 2 NWPersVG die entsprechende bundesrechtliche Regelung konkret vor Augen hatte (vgl. LTDrucks 7/4343 S. 8).
Unter Zugrundelegung der Regelung in § 1 Satz 1 AufwDeckV NW ergeben sich in Abhängigkeit von der Beschäftigtenzahl folgende Jahres- bzw. Monatsbeträge:
Für den Bereich der Bundesverwaltung bestimmt § 46 Abs. 5 Satz 1 BPersVG, dass die von ihrer dienstlichen Tätigkeit ganz freigestellten Personalratsmitglieder eine monatliche Aufwandsentschädigung erhalten. Diese beläuft sich nach § 46 Abs. 5 Satz 3 BPersVG in Verbindung mit § 1 der Verordnung vom 18. Juli 1974, BGBl I S. 1499, geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 3. Dezember 2001, BGBl I S. 3306, auf 26 €. Daraus ergeben sich mit Blick auf die Freistellungsstaffel nach § 46 Abs. 4 Satz 1 BPersVG folgende den freigestellten Personalratsmitgliedern zu gewährende Gesamtbeträge:
Es fällt auf, dass die jeweils für volle tausend Beschäftigte geltenden Beträge in beiden Tabellen nahezu gleich sind. In Wirklichkeit sind jedoch die im Lande Nordrhein-Westfalen entstehenden Kosten spürbar geringer, weil nach dem Pro-Kopf-System in § 1 Satz 1 Nr. 3 und 4 AufwDeckV NW die maßgeblichen Beträge sich erst mit wachsender Beschäftigtenzahl von unten dem für volle Tausend Beschäftigte geltenden Betrag nähern, während im Bereich der Bundesverwaltung der maßgebliche Betrag bereits bei angefangenen Tausend gezahlt wird. Jedenfalls zeigt die Vergleichsbetrachtung, dass die Aufwandsentschädigung für Personalräte in Nordrhein-Westfalen der Höhe nach im Rahmen dessen bleibt, was auch sonst im Personalvertretungsrecht als vertretbar angesehen wird.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019694
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BVerwG
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6. Senat
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20130703
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6 PB 10/13
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Beschluss
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§ 74 Abs 3 S 1 PersVG BB, § 95 Abs 1 Nr 7 PersVG BB
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vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 15. November 2012, Az: 61 PV 2.11, Beschluss vorgehend VG Potsdam, 30. August 2011, Az: 21 K 112/09.PVL
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DEU
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Rücknahme bzw. Unterlassung einer beteiligungspflichtigen Maßnahme; Rechtsanspruch des Personalrats
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§ 74 Abs. 3 BrbgPersVG (juris: PersVG BB) verleiht dem Personalrat keine einklagbaren Rechtsansprüche auf Unterlassung bzw. Rückgängigmachung beteiligungspflichtiger Maßnahmen.
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Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Die allein erhobene Grundsatzrüge gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG greift nicht durch.
Der Antragsteller macht rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf im Hinblick auf die Frage geltend, ob dem Personalrat aufgrund von § 95 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. § 74 Abs. 3 BrbgPersVG ein verwaltungsgerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Unterlassung bzw. Rückgängigmachung einer Maßnahme zusteht, sofern sein hinsichtlich einer solchen Maßnahme bestehendes Beteiligungsrecht nicht gewahrt ist (vgl. Beschwerdebegründung S. 6 f.). Diese Frage ist unter Berücksichtigung bereits vorliegender Senatsrechtsprechung zum vorliegenden Problemkreis mit dem Oberverwaltungsgericht eindeutig zu verneinen, so dass es zu ihrer Klärung der Durchführung eines Rechtsbeschwerdeverfahrens nicht bedarf.
Gemäß § 74 Abs. 3 Satz 1 BrbgPersVG ist u.a. die Durchführung von Maßnahmen unzulässig, die ohne die gesetzlich vorgeschriebene Beteiligung der Personalvertretung erfolgt. Gemäß § 74 Abs. 3 Satz 2 BrbgPersVG sind Maßnahmen, die entgegen Satz 1 der Vorschrift durchgeführt worden sind, zurückzunehmen, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Den danach begründeten Pflichten der Dienststelle stehen, wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, keine korrespondierenden Rechtsansprüche des Personalrats gegenüber:
1. Anders als bei § 101 Satz 1 BetrVG gibt bei § 74 Abs. 3 BrbgPersVG der Gesetzeswortlaut für eine subjektiv-rechtliche Ausdeutung der Vorschrift nichts her, wenngleich er diese nicht zwingend ausschließt. Dass § 74 Abs. 3 BrbgPersVG keine Rechtsansprüche des Personalrats begründet, ergibt sich aus der Zusammenschau mit § 95 Abs. 1 Nr. 7 BrbgPersVG.
Nach der letztgenannten Vorschrift entscheiden die Verwaltungsgerichte insbesondere über "die Pflicht zur Durchführung von Entscheidungen nach § 75" (bei der Inbezugnahme von § 75 handelt es sich offenkundig um ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers, der hier ersichtlich die Vorschrift des § 74 BrbgPersVG gemeint hat, vgl. OVG Frankfurt/Oder, Beschluss vom 10. Dezember 1998 - 6 A 210/97.PVL - juris Rn. 32). Eine Pflicht zur Entscheidungsdurchführung begründet § 74 BrbgPersVG aber lediglich in seinem Absatz 2. Absatz 1 der Vorschrift besagt bei Lichte besehen lediglich, dass die nach Abschluss eines Beteiligungsverfahrens bestehende Befugnis - nicht Pflicht - der Dienststelle zur Entscheidungsdurchführung durch Zeitablauf erlischt, wenn sie nicht binnen angemessener Frist ausgeübt wird (zutreffend: OVG Frankfurt/Oder, Beschluss vom 10. Dezember 1998 a.a.O. Rn. 33 f.). Absatz 3 der Vorschrift begründet keine Durchführungspflicht, sondern im Gegenteil eine Pflicht zur Unterlassung bzw. Rückgängigmachung, und spricht zudem nicht von "Entscheidungen", sondern von "Maßnahmen".
Vor diesem Hintergrund kann § 95 Abs. 1 Nr. 7 BrbgPersVG nicht die Aussage entnommen werden, dass die Pflicht der Dienststelle zur Unterlassung bzw. Rückgängigmachung gemäß § 74 Abs. 3 BrbgPersVG vom Inhaber des verletzten Beteiligungsrechts, dem Personalrat, gerichtlich durchgesetzt werden kann. Insofern offenbart sich ein Unterschied zur Gesetzeslage in Niedersachsen, die im Beschluss des Senats vom 11. Mai 2011 - BVerwG 6 P 4.10 - zu beleuchten war (Buchholz 251.6 § 75 NdsPersVG Nr. 6). Im Hinblick auf die mit § 74 Abs. 3 BrbgPersVG im Wesentlichen deckungsgleich formulierte Vorschrift in § 63 NdsPersVG hat der Senat in diesem Beschluss zur Begründung ihres subjektiv-rechtlichen Verständnisses u.a. auf die Vorschrift des § 83 NdsPersVG - dem § 95 BrbgPersVG entspricht - zurückgegriffen (Beschluss vom 11. Mai 2011 a.a.O. Rn. 11). Dort wird unter Nr. 5 die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte für "Streitigkeiten nach § 63" normiert. Da für solche Streitigkeiten nach Lage der Dinge als Antragsteller nur der Personalrat in Betracht kommt, ergibt sich aus dieser Vorschrift im Gegensatz zur brandenburgischen Parallelnorm ein Beleg dafür, dass dem Personalrat ein verwaltungsgerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Unterlassung bzw. Rückgängigmachung einer Maßnahme zustehen soll, sofern sein hinsichtlich dieser Maßnahme bestehendes Beteiligungsrecht nicht gewahrt ist.
2. Während sich den Gesetzesmaterialien zu § 63 NdsPersVG eindeutig ablesen lässt, dass der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift dem Personalrat einklagbare Rechtsansprüche verschaffen wollte (Beschluss vom 11. Mai 2011 a.a.O. Rn. 12 f.), lassen sich der Entstehungsgeschichte des § 74 BrbgPersVG keine Hinweise in diese Richtung entnehmen. Dabei stand, wie das Oberverwaltungsgericht unter Verweis auf die im Gesetzgebungsverfahren verschiedentlich zum Ausdruck gekommene Orientierung am Mitbestimmungsgesetz Schleswig-Holstein (MBGSH) angeführt hat, dem Brandenburgischen Gesetzgeber in Gestalt von § 88 Abs. 1 Nr. 9 und 10 MBGSH Vorschriften vor Augen, die zwischen den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungszuständigkeiten für Streitigkeiten über "die Pflicht zur Durchführung von Entscheidungen nach § 58 Abs. 2" (der Parallelvorschrift zu § 74 Abs. 2 BrbgPersVG) und für Streitigkeiten über "die Pflicht zur Zurücknahme von Maßnahmen nach § 58 Abs. 3" (der Parallelvorschrift zu § 74 Abs. 3 BrbgPersVG) ausdrücklich differenzieren. Vergleichbares Anschauungsmaterial bot sich dem Brandenburgischen Gesetzgeber auch in § 87 Abs. 1 Nr. 9 und 10 des bereits über vier Monate vor Vorlage des Brandenburgischen Regierungsentwurfs beschlossenen Personalvertretungsgesetzes für das Land Mecklenburg-Vorpommern sowie in dem zeitgleich vom Brandenburgischen Landtag beratenen Gesetzentwurf der Fraktion PDS-LL vom 12. Januar 1993 (LTDrucks 1/1606), der in seinem § 66 Abs. 1 Satz 2 ausdrücklich dem Personalrat einen "Anspruch auf Unterlassung" von Maßnahmen einräumen wollte, die seiner Mitbestimmung bedürfen würden. Bei dieser Sachlage konnte der Brandenburgische Gesetzgeber schwerlich davon ausgegangen sein, mit § 74 Abs. 3 i.V.m. § 95 Abs. 1 Nr. 7 BrbgPersVG gerichtlich einklagbare Rechtsansprüche des Personalrats zu normieren. Gegen diese Annahme spricht überdies, dass die Unterlassungs- bzw. Rücknahmepflicht nach § 74 Abs. 3 BrbgPersVG - anders als in § 63 NdsPersVG - nicht unter den Vorbehalt des Fehlens entgegenstehender öffentlicher Interessen gestellt worden ist. Hätte der Gesetzgeber einklagbare Unterlassungs- bzw. Rücknahmeansprüche des Personalrats begründen wollen, hätte es für ihn im Lichte der hiermit verbundenen demokratiestaatlichen Implikationen (vgl. hierzu Beschluss vom 11. Mai 2011 a.a.O. Rn. 15) nahegelegen, einen solchen Vorbehalt einzuführen.
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WBRE410019695
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BVerwG
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9. Senat
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20130612
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9 C 4/12
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Urteil
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§ 4 Nr 21 Buchst a UStG 1999, § 4 Nr 21 Buchst a DBuchst bb UStG 1999, § 171 Abs 10 AO, Art 132 Abs 1 Buchst i EGRL 112/2006
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 5. Oktober 2011, Az: 14 A 448/10, Urteil vorgehend VG Köln, 12. Januar 2010, Az: 23 K 4332/09, Urteil
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DEU
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Befreiung von der Umsatzsteuer; Bescheinigung für Berufswahlvorbereitung; Potentialcheck zur beruflichen Orientierung von Schülern
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1. Die Befreiung der schulischen und beruflichen Ausbildung durch private Träger von der Umsatzsteuer nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) UStG (juris: UStG 1999) bezweckt deren steuerliche Gleichbehandlung mit den hinsichtlich dieser Leistungen nicht der Umsatzsteuer unterliegenden öffentlich-rechtlichen Bildungsträgern (wie BFH, Urteil vom 18. Dezember 2003 - V R 62/02 - BFHE 204, 355 <359>).
2. Das Erfordernis einer Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG dient der Nutzung des Fachwissens der zuständigen Landesbehörde über Inhalt und Praxis der schulischen und beruflichen Ausbildung durch öffentliche Träger, das für die Beurteilung der "Ordnungsgemäßheit" entsprechender Leistungen privater Bildungsträger notwendig ist.
3. Bei der Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG handelt es sich um einen für das nachfolgende Verfahren der Steuerbefreiung durch die Finanzverwaltung verbindlichen Grundlagenbescheid i.S.d. § 171 Abs. 10 AO (wie BFH, Urteil vom 20. August 2009 - V R 25/08 - BFHE 226, 479 <484 f.>).
4. Die Klärung des unionsrechtlichen Anspruchs auf Befreiung von der Umsatzsteuer nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i) der Richtlinie 2006/112/EG (juris: EGRL 112/2006) (MWSt-RL) gehört nicht zum Regelungsgegenstand der Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG.
5. Die Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG ist gegebenenfalls auch hinsichtlich solcher Leistungen privater Bildungsträger zu erteilen, die nicht der Vorbereitung auf einen bestimmten Beruf, sondern der Vorbereitung auf die Wahl eines Berufs bzw. der beruflichen Orientierung dienen (Änderung der bisherigen Rechtsprechung, vgl. Urteil vom 3. Dezember 1976 - BVerwG 7 C 73.75 - Buchholz 401.2 § 4 UStG Nr. 1 S. 3).
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Die Klägerin führte an öffentlichen Schulen Testverfahren durch, um berufsübergreifend einsetzbare Kompetenzen und Neigungen der Schüler festzustellen. Diese sogenannten Potenzialchecks sind Teil der an öffentlichen Schulen in Nordrhein-Westfalen auch im Rahmen des Unterrichts stattfindenden Maßnahmen der beruflichen Orientierung, mit denen die Schüler in der Phase des Übergangs von der Schule in den Beruf zu einer fundierten Berufswahl befähigt werden sollen.
Der Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer - für die Befreiung von der Umsatzsteuer notwendigen - Bescheinigung hinsichtlich der ordnungsgemäßen Durchführung der Potenzialchecks ab. Das Verwaltungsgericht hat die auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung der beantragten Bescheinigung gerichtete Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin mit im Wesentlichen folgender Begründung zurückgewiesen: Voraussetzung für die Erteilung einer Bescheinigung sei nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG u.a., dass die Leistungen der privaten Einrichtung "auf einen Beruf vorbereiten". Von "Berufsvorbereitung" könne nur bei Leistungen gesprochen werden, die der Vermittlung spezieller, für die Ausübung bestimmter Berufe notwendiger Kenntnisse und Fertigkeiten dienten. Bei den von der Klägerin durchgeführten Potenzialchecks handle es sich hingegen um Hilfen zur - der "Berufsvorbereitung" zeitlich vorgelagerten - Berufswahl. Der Zweck des § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG gebiete ebenfalls keine Ausweitung der steuerlichen Begünstigung auf die Berufswahlvorbereitung. Mit der Steuerbefreiung solle neben der Förderung der schulischen und beruflichen Aus- und Fortbildung die steuerliche Gleichbehandlung der privaten und der nach § 2 Abs. 3 UStG nicht der Umsatzsteuer unterliegenden öffentlichen Schulen herbeigeführt werden. Dieser Zweck greife hier nicht, weil Hilfen zur beruflichen Orientierung nicht zum "klassischen" Bestandteil der Schulausbildung gehörten, sondern von den Schulen in Kooperation mit anderen Trägern erbracht würden. Gegen eine erweiternde Auslegung spreche außerdem die Zweistufigkeit des Verfahrens, nämlich die Entscheidung der zuständigen Landesbehörde über die vorliegend in Rede stehende Erteilung der Bescheinigung einer ordnungsgemäßen Aus- und Fortbildung auf der ersten Stufe und die nachfolgende, der Finanzverwaltung obliegende Entscheidung über die Umsatzsteuerbefreiung selbst auf der zweiten Stufe. Mit dieser Zweistufigkeit solle das spezifische Fachwissen der zuständigen Landesbehörde nutzbar gemacht werden, die im Unterschied zur Finanzverwaltung über die für eine Beurteilung der "Ordnungsgemäßheit" der Aus- und Fortbildung notwendigen Informationen und Kenntnisse verfüge. Diese Verfahrensgestaltung sei nur sinnvoll, soweit für einen bestimmten Beruf ein Ausbildungskanon vorhanden sei, mit dem die von der privaten Einrichtung erbrachte Leistung verglichen werden könne. Daran fehle es bei Maßnahmen, die lediglich der Vorbereitung der Berufswahl dienten. Auch Unionsrecht zwinge nicht zur Erteilung der begehrten Bescheinigung. Dabei könne offenbleiben, ob Maßnahmen privater Einrichtungen zur Vorbereitung der Berufswahl als solche oder als eng mit dem Schulunterricht verbundene Dienstleistungen nach der Mehrwertsteuersystemrichtlinie von der Umsatzsteuer befreit werden müssten. Denn eine diesem unionsrechtlichen Anspruch Rechnung tragende richtlinienkonforme Auslegung des § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG komme nicht in Betracht, weil sie weder mit dem Wortlaut der Vorschrift ("Berufsvorbereitung") noch mit Sinn und Zweck der Verfahrensstufung vereinbar wäre.
Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer Revision vor: Die Begrenzung des Bescheinigungsverfahrens auf die schulische Wissensvermittlung werde der heutigen Schulpraxis nicht gerecht. Die Heranführung der Schüler an den Beruf durch Maßnahmen der Berufsorientierung gehöre mittlerweile zum Schulalltag. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts stünden weder Wortlaut noch Sinn und Zweck des § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG einer Anwendung des Bescheinigungsverfahrens auf solche Maßnahmen entgegen, die ein notwendiges Bindeglied zwischen Schulausbildung und anschließender Berufsausbildung darstellten. Eine entsprechende erweiternde Auslegung sei unionsrechtlich geboten, um dem nach der Mehrwertsteuersystemrichtlinie gegebenen Anspruch auf Befreiung von Maßnahmen zur beruflichen Orientierung von Schülern von der Umsatzsteuer zur Durchsetzung zu verhelfen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. Oktober 2011 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 12. Januar 2010 zu ändern, den Bescheid der Bezirksregierung Köln vom 3. Juni 2009 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin zu bescheinigen, dass ihre im Antrag vom 2. Februar 2009 bezeichneten Maßnahmen auf einen Beruf ordnungsgemäß vorbereiten,
hilfsweise,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und stellt den Antrag,
die Revision zurückzuweisen.
Der Vertreter des Bundesinteresses stellt keinen Antrag.
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Die zulässige Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
Gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG sind steuerfrei die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten. Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, für die der beruflichen Orientierung der Schüler bzw. deren Vorbereitung auf die Berufswahl dienenden Leistungen der Klägerin könne eine Bescheinigung nicht erteilt werden. Dem Tatbestandsmerkmal "Vorbereitung auf einen Beruf" unterfielen nur solche Leistungen privater Einrichtungen, die einen Bezug zu einem bestimmten Beruf aufweisen. Das trifft nicht zu. Vielmehr ist § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG nach Sinn und Zweck der Vorschrift (1.) und unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Effektivitätsprinzips (2.) erweiternd dahin auszulegen, dass auch Leistungen privater Einrichtungen erfasst sind, die der "beruflichen Orientierung" bzw. der "Vorbereitung auf die Wahl eines Berufs" dienen (Änderung der bisherigen Rechtsprechung, vgl. Urteil vom 3. Dezember 1976 - BVerwG 7 C 73.75 - Buchholz 401.2 § 4 UStG Nr. 1 S. 3).
1. Die Befreiung der schulischen und beruflichen Ausbildung durch Privatschulen und andere vergleichbare Bildungseinrichtungen von der Umsatzsteuer nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) UStG bezweckt - neben der Förderung solcher Leistungen - deren steuerliche Gleichbehandlung mit den nach § 2 Abs. 3 UStG nicht der Umsatzsteuer unterliegenden öffentlich-rechtlichen Ausbildungsträgern (vgl. BFH, Urteil vom 18. Dezember 2003 - V R 62/02 - BFHE 204, 355 <359> m.w.N.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 4. Mai 2006 - BVerwG 10 C 10.05 - Buchholz 401.2 § 4 UStG Nr. 2 Rn. 17 und Beschluss vom 31. Juli 2008 - BVerwG 9 B 80.07 - Buchholz 401.2 § 4 UStG Nr. 5 Rn. 9 zu § 4 Nr. 20 Buchst. a) UStG). Dieses Ziel umsatzsteuerlicher Gleichbehandlung der in gleicher Weise von öffentlich-rechtlichen und von privaten Ausbildungsträgern erbrachten Leistungen wird verfehlt, wenn die Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG nur für Leistungen erteilt wird, die der Vorbereitung auf einen bestimmten Beruf dienen. Die öffentlich-rechtlichen Einrichtungen nehmen jedenfalls in der Phase des Übergangs der Schüler von der Schule in den Beruf mittlerweile Aufgaben wahr, die über den "klassischen" Schulunterricht hinausgehen. Nach § 5 Abs. 2 SchulG NRW sollen die Schulen in gemeinsamer Verantwortung mit den dort bezeichneten Trägern Hilfen zur beruflichen Orientierung geben. Die berufliche Orientierung von Schülern gehört zu den Aufgaben der Schule (vgl. LTDrucks 14/1572 S. 79). Die Veranstaltungen der Berufsorientierung in der Schule sind demgemäß Bestandteil des Schulunterrichts; die Schule ermöglicht die Durchführung von Gruppenveranstaltungen, individuellen Beratungsgesprächen sowie Eignungsuntersuchungen auch während der Unterrichtszeit im Einvernehmen mit der Schule (Runderlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom 6. November 2007 - ABl. NRW. 12/07). Damit stellt die Aufgabe der beruflichen Orientierung der Schüler ein Bindeglied zwischen "klassischer" Schulausbildung und anschließender Berufsausbildung dar. Die von der Klägerin durchgeführten Potenzialchecks mit anschließender individueller Beratung decken einen Teil dieses den Schulen zugewachsenen Aufgabenbereichs ab. Das Testverfahren ist in Nordrhein-Westfalen an private Einrichtungen ausgelagert, es wird nach den unbestrittenen Angaben des Vertreters des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in der mündlichen Verhandlung in anderen Bundesländern durch entsprechend geschulte Lehrer an den öffentlichen Schulen selbst wahrgenommen.
Aufgrund dieser Erweiterung des Bildungsauftrags der Schulen ist es gerechtfertigt und mit Blick auf die vom Gesetzgeber bezweckte steuerrechtliche Gleichbehandlung von allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen in öffentlich-rechtlicher und privater Trägerschaft geboten, das Merkmal "Vorbereitung auf einen Beruf" in § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG erweiternd auszulegen. Nicht nur die Vermittlung spezieller Kenntnisse und Fertigkeiten, die zur Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten notwendig sind, sondern auch die Vorbereitung auf einen Beruf schlechthin ist als steuerrechtlich begünstigte Berufsvorbereitung zu verstehen (Änderung der bisherigen Rechtsprechung, vgl. Urteil vom 3. Dezember 1976 a.a.O.) Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass es sich bei der Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG um einen für das weitere Verfahren verbindlichen Grundlagenbescheid i.S.d. § 171 Abs. 10 AO handelt (vgl. BFH, Urteil vom 20. August 2009 - V R 25/08 - BFHE 226, 479 <484 f.>). Lehnt die zuständige Landesbehörde die Erteilung der Bescheinigung für bestimmte Leistungen einer privaten Einrichtung ab, ist die Finanzverwaltung auch dann gehindert, diese Leistungen als umsatzsteuerfrei zu behandeln, wenn sie in gleicher Weise von öffentlich-rechtlichen, der Umsatzsteuer nicht unterliegenden Bildungsträgern erbracht werden (vgl. BFH, Urteil vom 23. August 2007 - V R 4/05 - BFHE 217, 327 <330 f.>; BVerwG, Urteil vom 4. Mai 2006 a.a.O. Rn. 21 zur Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a) UStG).
Die jeder Auslegung gesetzte Wortlautgrenze steht der Erteilung einer Bescheinigung für Leistungen zur Vorbereitung der Berufswahl nicht entgegen. Denn unter "Vorbereitung auf einen Beruf" i.S.d. § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG kann nach dem Wortsinn auch die Vorbereitung "auf irgendeinen Beruf" oder "auf das Berufsleben" verstanden werden (vgl. bereits VG Aachen, Urteil vom 22. Oktober 2010 - 7 K 1519/09 - juris Rn. 43 ff.). Auch der verfahrensrechtliche Zweck der Vorschrift, auf einer ersten, der Steuerbefreiung durch die Finanzverwaltung vorgelagerten Stufe das spezifische Fachwissen der zuständigen Landesbehörde über die ordnungsgemäße schulische und berufliche Ausbildung zu nutzen, erfordert nicht, den Anwendungsbereich des Bescheinigungsverfahrens auf Leistungen zur Vorbereitung auf einen bestimmten Beruf zu beschränken. Die Verfahrensstufung ist nicht nur dann sinnvoll, wenn es um die fachkundige Beurteilung geht, ob die Leistungen der privaten Einrichtung gemessen an einem bestimmten Ausbildungskanon oder einer bestimmten Prüfungsordnung öffentlich-rechtlicher Träger "ordnungsgemäß" sind, wie das Oberverwaltungsgericht meint. Vielmehr sind auch für die Beantwortung der Frage, ob die hier in Rede stehenden Maßnahmen der Berufsorientierung ebenso wie die die Maßnahmen anbietende (private) Einrichtung und das von ihr eingesetzte Personal die erforderliche Eignung aufweisen, um die Ziele der im Bereich der schulischen bzw. beruflichen Ausbildung tätigen öffentlich-rechtlichen Träger in vergleichbarer Weise zu erfüllen, spezifische Kenntnisse über deren Unterrichtsinhalte und deren Praxis hilfreich, wie sie bei der zuständigen Landesbehörde, nicht aber bei der Finanzverwaltung vorliegen. Zwar mag dieser Gesichtspunkt hier unschwer zu klären sein, weil die von der Klägerin vorgenommenen Potenzialchecks an öffentlichen Schulen stattfinden und in die von der Schule selbst durchgeführten Maßnahmen der Berufsorientierung eingebunden sind. Anders liegt es jedoch, wenn eine allein von einer privaten Einrichtung verantwortete und in ihren Räumen durchgeführte Maßnahme an der Praxis öffentlich-rechtlicher Einrichtungen zu messen ist.
2. Die Erweiterung des Anwendungsbereichs des Bescheinigungsverfahrens auf Leistungen zur beruflichen Orientierung ist - unter Berücksichtigung des Zwecks der in § 4 Nr. 21 Buchst. a) UStG normierten Verfahrensstufung - durch das unionsrechtliche Effektivitätsprinzip geboten.
Nach dem unionsrechtlichen Effektivitätsprinzip sind nationale Rechtsvorschriften so weit wie möglich dahin auszulegen, dass sie die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (EuGH, Urteile vom 2. Oktober 2003 - Rs. C-147/01, Webers Wine World u.a. - Slg. 2003, I-11365 Rn. 103, 117 und vom 13. März 2007 - Rs. C-432/05, Unibet - Slg. 2007, I-2271 Rn. 43 f.; stRspr). Wie bereits ausgeführt, handelt es sich bei der Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG um einen für die Finanzverwaltung verbindlichen Grundlagenbescheid. Daher sind die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift bis hin zur Wortlautgrenze so auszulegen, dass hinsichtlich aller Leistungen privater Einrichtungen, für die nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i) der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MWSt-RL) ein Anspruch auf Befreiung von der Umsatzsteuer in Betracht kommt, eine Bescheinigung erteilt werden kann. Dadurch wird zugleich dem Zweck der Verfahrensstufung möglichst weitgehend Rechnung getragen, dass vor der eigentlichen Steuerbefreiung durch die Finanzverwaltung zunächst die zuständige Landesbehörde ihr spezifisches Fachwissen über die Leistungsinhalte der öffentlich-rechtlichen Einrichtungen einbringt. Wie in Fällen zu verfahren ist, in denen der Wortlaut des § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG einer Anwendung des Bescheinigungsverfahrens auf Leistungen entgegensteht, die unionsrechtlich von der Umsatzsteuer zu befreien sind, bedarf keiner Erörterung; wie bereits ausgeführt, wird die Wortlautgrenze bezogen auf die hier in Rede stehenden Leistungen nicht überschritten (zur unmittelbaren Anwendung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i) MWSt-RL durch die Finanzverwaltung vgl. BFH, Urteile vom 21. März 2007 - V R 28/04 - BFHE 217, 59 <61 f.>, vom 10. Januar 2008 - V R 52/06 - BFHE 221, 295 <298> und vom 24. Januar 2008 - V R 3/05 - BFHE 221, 302 <306 f.>).
Es kann keine vernünftigen Zweifel darüber geben, dass Leistungen der beruflichen Orientierung bzw. zur Vorbereitung auf die Wahl eines Berufs unter den Begriff des "Schulunterrichts" i.S.d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i) MWSt-RL fallen können und damit von der Umsatzsteuer zu befreien sind. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist der autonome unionsrechtliche Begriff des "Schul- und Hochschulunterrichts" zur Vermeidung einer mit Blick auf die unterschiedliche Gestaltung der jeweiligen Unterrichtssysteme von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlichen Anwendung des Mehrwertsteuersystems nicht eng auszulegen. Der Begriff beschränkt sich nicht auf Unterricht, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt. Vielmehr schließt er andere Tätigkeiten ein, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler und Studenten zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben (EuGH, Urteile vom 14. Juni 2007 - Rs. C-445/05, Haderer - Slg. 2007, I-4844 Rn. 24, 26 und vom 28. Januar 2010 - Rs. C-473/08, Eulitz - Slg. 2010, I-907 Rn. 29 f.). Einzelne "in Schulen" geleistete Hilfen zur beruflichen Orientierung wie etwa das "Bewerbungstraining" oder die Vermittlung von Kenntnissen über das Verhalten bei Vorstellungsgesprächen, über bestimmte Berufsfelder oder über die Arbeitsmarktsituation stellen nach der weiten Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union zweifellos "Schulunterricht" dar. Es spricht einiges dafür, dass das auch für die von der Klägerin durchgeführten Potenzialchecks zutrifft. Denn bei diesen Testverfahren geht es nicht nur um die bloße Feststellung bereits vorhandener Kompetenzen und Neigungen der Schüler. Diese sollen vielmehr dazu befähigt werden, die Kenntnisse über ihre eigenen Kompetenzen und Interessen zielorientiert bei der Berufswahl einzusetzen.
Letztlich kann diese Frage jedoch offenbleiben. Entscheidend ist mit Blick auf das unionsrechtliche Effektivitätsprinzip, dass für Maßnahmen, die der Vorbereitung der Berufswahl dienen, ein Anspruch auf Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i) MWSt-RL bestehen kann. Es bedarf auch mit Blick auf die Harmonisierung der Umsatzsteuerbefreiung innerhalb der Europäischen Union (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Juni 2007 a.a.O. Rn. 17 und 26) keiner Klärung, ob bei sämtlichen Maßnahmen, die im Rahmen beruflicher Orientierung erbracht werden können, die Voraussetzungen des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i) MWSt-RL für eine Steuerbefreiung vorliegen. Denn die Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG trifft keine verbindliche Entscheidung darüber, ob die Leistungen der privaten Einrichtung, auf die sie sich bezieht, nach Unionsrecht von der Umsatzsteuer zu befreien sind oder nicht. Diese Frage unterliegt vielmehr der nachfolgenden eigenständigen Prüfung durch die Finanzverwaltung (vgl. BFH, Urteile vom 24. Januar 2008 a.a.O. S. 307 ff. und vom 10. Januar 2008 a.a.O. S. 298 ff.; zur Abgrenzung des Regelungsgehalts der Bescheinigung von den weiteren in § 4 Nr. 21 Buchst. a) UStG genannten Voraussetzungen vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1976 - BVerwG 7 C 73.75 - Buchholz 401.2 § 4 UStG Nr. 1 S. 4 und BFH, Urteil vom 3. Mai 1989 - V R 83/84 - BFHE 157, 458 <462 f.>). Zur Klarstellung sei angemerkt, dass der Antrag auf Erteilung einer Bescheinigung für Leistungen der beruflichen Orientierung wegen fehlenden Sachbescheidungsinteresses versagt werden kann, wenn die Voraussetzungen des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i) MWSt-RL für eine Befreiung von der Umsatzsteuer offensichtlich nicht vorliegen (vgl. auch Urteil vom 23. März 1973 - BVerwG 4 C 49.71 - BVerwGE 42, 115 <117>; Beschluss vom 20. Juli 1993 - BVerwG 4 B 110.93 - NVwZ 1994, 482 <483>).
3. Voraussetzung für die von der Klägerin begehrte Erteilung einer Bescheinigung ist nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG des Weiteren die "Ordnungsgemäßheit" der von ihr durchgeführten Leistungen. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Leistungen objektiv geeignet sind, der "Vorbereitung auf einen Beruf" zu dienen, von einem seriösen Institut erbracht werden und die eingesetzten Lehrkräfte die erforderliche Eignung besitzen (Urteil vom 3. Dezember 1976 a.a.O. S. 3). Das Oberverwaltungsgericht hat keine Feststellungen zum Vorliegen dieser qualitativen Anforderungen getroffen; die Beteiligten haben den insoweit relevanten Sachverhalt auch nicht im Revisionsverfahren unstreitig gestellt. Somit ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Klärung dieser Frage an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
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http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-WBRE410019695&psml=bsjrsprod.psml&max=true
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019696
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BVerwG
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6. Senat
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20130612
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6 C 10/12
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Urteil
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§ 2 Abs 2 TKG 2004, § 9 Abs 1 TKG 2004, § 10 Abs 1 TKG 2004, § 11 TKG 2004, § 13 Abs 1 S 1 TKG 2004, § 21 Abs 1 TKG 2004, § 21 Abs 2 Nr 3 TKG 2004, § 30 Abs 5 TKG 2004, § 39 Abs 1 S 1 TKG 2004, § 150 Abs 5 TKG 2004, Art 8 Abs 2 EGRL 19/2002, Art 12 EGRL 19/2002, Art 8 EGRL 21/2002, Art 16 Abs 4 EGRL 21/2002, Art 17 Abs 1 EGRL 22/2002
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vorgehend VG Köln, 25. April 2012, Az: 21 K 1142/10, Urteil
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DEU
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Telekommunikation; Regulierung; Auferlegung einer Zugangsverpflichtung; Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen
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1. Für die Auferlegung einer Zugangsverpflichtung ist keine auf sie bezogene spezifische Marktdefinition und -analyse erforderlich, sondern lediglich ein enger funktionaler Zusammenhang zwischen der Einrichtung, zu der Zugang zu gewähren ist, und dem Markt, für den ein Regulierungsbedarf festgestellt worden ist. Besteht der in der Marktanalyse festgestellte Regulierungsbedarf für einen Markt für Endkundenleistungen, ist von einem derartigen Zusammenhang auszugehen, wenn die Einrichtung, zu der auf der Vorleistungsebene Zugang zu gewähren ist, unmittelbar Bestandteil des regulierungsbedürftigen Marktes ist (Fortentwicklung der Senatsrechtsprechung, vgl. Urteil vom 27. Januar 2010 - BVerwG 6 C 22.08 - Buchholz 442.066 § 21 TKG Nr. 1 Rn. 30).
2. Das der Bundesnetzagentur im Rahmen ihrer Entscheidung über die Auferlegung der in § 13 TKG vorgesehenen Verpflichtungen eingeräumte Regulierungsermessen ist dahingehend eingeschränkt, dass Resale als Gegenstand einer Zugangsverpflichtung grundsätzlich zu Großhandelsbedingungen zu gewähren ist.
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Die Klägerin erbringt Telekommunikationsdienstleistungen für Großunternehmen und andere Telekommunikationsunternehmen. Zur Realisierung so genannter Corporate Networks bezieht sie Telefonanschlüsse von der Beigeladenen. Zudem überlässt sie im eigenen Namen und auf eigene Rechnung Telefonanschlüsse an andere Telekommunikationsunternehmen.
Nach Durchführung eines Marktdefinitions- und Marktanalyseverfahrens traf die Bundesnetzagentur im Jahr 2009 die Festlegung, dass die Beigeladene und die mit ihr verbundenen Unternehmen "auf dem regulierungsbedürftigen relevanten bundesweiten Markt für den Zugang von Privat- und Geschäftskunden zum öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten, mit Ausnahme derjenigen Zugangsleistungen, die im Rahmen von Gesamtverträgen mit einem einzelnen Kunden und einem Jahresumsatz von mehr als einer Million € ohne Mehrwertsteuer (d.h. netto) erbracht werden" (Markt 1), über beträchtliche Marktmacht verfügen. Auf dieser Grundlage veröffentlichte die Bundesnetzagentur im März 2009 den Entwurf für eine Regulierungsverfügung. Diese sah unter anderem die Verpflichtung der Beigeladenen vor, anderen Unternehmen Anschlüsse, die dem Markt 1 zugerechnet werden, wie sie Endnutzern angeboten werden, zur Verfügung zu stellen; die Entgelte für diese Zugangsleistung sollten der nachträglichen Entgeltregulierung nach Maßgabe des § 38 TKG unterliegen. Im Rahmen ihrer Stellungnahme beantragte die Klägerin unter 3.a), die Regulierungsverfügung um die Verpflichtung der Betroffenen zu ergänzen, anderen Unternehmen zum Zwecke des Weitervertriebs an Dritte gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG einen entbündelten Zugang zu öffentlichen Festnetzanschlüssen zu Großhandelsbedingungen zu gewähren. Unter 3.b) beantragte sie, dass die Entgelte für die Zugangsleistung in einem angemessenen Abstand, der eine Nachbildung der Anschlussprodukte der Betroffenen zu wirtschaftlichen Bedingungen ermöglicht, zu den entsprechenden AGB-Preisen der Betroffenen liegen; die Entgelte sollten der Genehmigung nach § 31 TKG unterworfen werden.
Im September 2009 verpflichtete sich die Beigeladene gegenüber der Bundesnetzagentur, Telekommunikationsdiensteanbietern AGB-Endkundenanschlüsse in den PSTN Stand Alone Varianten des Call Plus gemäß ihrem jeweiligen aktuellen Portfolio zum Zwecke der Überlassung an Endnutzer sowohl im Wege der Neubereitstellung als auch im Wege der Übernahme anzubieten. Für die Übernahme wurde die Anzeige eines Entgelts in Höhe von 30 € in Aussicht gestellt. Die Selbstverpflichtung sollte binnen eines Jahres nach einer entsprechenden Anzeige wesentlicher Änderungen rechtlicher oder tatsächlicher Umstände enden.
Durch Regulierungsverfügung vom 25. Januar 2010 erlegte die Bundesnetzagentur der Beigeladenen die Verpflichtung zur Betreiberauswahl und Betreibervorauswahl (Ziffer 1) sowie die nachträgliche Entgeltregulierung für Endnutzerleistungen (Ziffer 2) auf. Die "Anordnung eines Anschluss-Resale" behielt sie sich vor, "sofern die Entwicklung im Anschlussmarkt dies erforderlich macht" (Ziffer 3). Im Übrigen lehnte sie die Anträge der Klägerin und der weiteren Beteiligten ab (Ziffer 4).
Dass abweichend vom Konsultationsentwurf keine Verpflichtung zum Anschluss-Resale auferlegt wurde, begründete die Bundesnetzagentur im Wesentlichen unter Hinweis darauf, dass mit der Selbstverpflichtung der Beigeladenen den Regulierungszielen der Wahrung der Nutzer- und insbesondere der Verbraucherinteressen, der Sicherstellung eines chancengleichen Wettbewerbs und der Förderung nachhaltig wettbewerbsorientierter Märkte der Telekommunikation im Bereich der Telekommunikationsdienste und -netze sowie der zugehörigen Einrichtungen und Dienste, auch in der Fläche, und der Förderung effizienter Infrastrukturinvestitionen Rechnung getragen werde. Wettbewerber, die bereits in Infrastruktur investierten, müssten keine Entwertung ihrer Investitionen durch das vergleichsweise risikolosere, auf Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen basierende Geschäftsmodell von Resellern bzw. Diensteanbietern befürchten. Der Forderung nach Einräumung eines Rabatts auf die Endkundenpreise sei entgegenzuhalten, dass Geschäftsmodelle, die allein auf dem Einzelwiederverkauf von Telefonanschlüssen der Betroffenen basierten, nach dem Stand der erreichten Marktentwicklung nicht tragende Säulen einer weiteren Verfestigung wettbewerblicher Strukturen auf dem Telekommunikationsmarkt seien. Der Wiederverkauf von Telefonanschlüssen solle Anbietern vielmehr die Abdeckung auch derjenigen Gebiete ermöglichen, in denen noch kein eigener Infrastrukturausbau stattgefunden habe, und das Angebot von Bündeln ermöglichen.
Auf die hiergegen erhobene Klage der Klägerin hat das Verwaltungsgericht die Beklagte durch Urteil vom 25. April 2012 unter entsprechender Aufhebung von Ziffern 3 und 4 der Regulierungsverfügung vom 25. Januar 2010 verpflichtet, über den von der Klägerin im Verwaltungsverfahren mit Schriftsatz vom 16. April 2009 gestellten Antrag zu 3.a) erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei mit dem Hauptantrag unbegründet. Soweit die Klägerin die Auferlegung von Verpflichtungen zum Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen einschließlich der mit dem Klageantrag zugleich formulierten weiteren Modalitäten begehre, sei dieser Anspruch zwar nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil der in Rede stehende bundesweite Markt für den Zugang von Privat- und Geschäftskunden zum öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten ein Endkundenmarkt sei und die Klägerin der Sache nach eine Verpflichtung auf einem Vorleistungsmarkt begehre, für den eine beträchtliche Marktmacht der Beigeladenen bislang nicht festgestellt sei. Die Festlegung einer bestimmten Regulierungsverpflichtung erfordere keine auf sie bezogene spezifische Marktdefinition und -analyse; vielmehr genüge eine ausreichende Begründung dafür, dass die betreffende Verpflichtung im Verhältnis zum festgestellten Marktversagen sinnvoll und angemessen sei. Der erforderliche enge funktionale Zusammenhang zwischen der Überlassung von Teilnehmeranschlüssen zum Zwecke des Weiterverkaufs und dem in Rede stehenden Endkundenmarkt für den Zugang von Privat- und Geschäftskunden zum öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten liege vor. Das folge schon daraus, dass die für Zwecke des Resales begehrten Anschlüsse in technischer Hinsicht keine anderen seien als die auf dem Endkundenmarkt angebotenen AGB-Anschlüsse der Beigeladenen und deswegen von der Marktdefinition für den Markt 1 und der Feststellung der beträchtlichen Marktmacht der Beigeladenen erfasst würden.
Unter Beachtung des der Bundesnetzagentur bei der Entscheidung über die Auferlegung von Regulierungsverpflichtungen zustehenden weiten Ermessensspielraums sei der Rechtsstreit allerdings selbst bei Annahme von Ermessens- bzw. Abwägungsfehlern nicht spruchreif im Sinne von § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Dass als Reaktion auf das von der Bundesnetzagentur angenommene Marktversagen allein die Anordnung einer Verpflichtung zum Resale zu Großhandelsbedingungen nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG in Betracht komme, könne angesichts der Breite des der Regulierungsbehörde bei festgestelltem Marktversagen zur Verfügung stehenden Abhilfeinstrumentariums nicht angenommen werden. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten, die Entgelte für die Gewährung der begehrten Zugangsleistungen einem Genehmigungsverfahren zu unterziehen, sowie auf die Anordnung eines bestimmten Entgeltmaßstabs. Insoweit sei auch der hilfsweise erhobene Neubescheidungsantrag unbegründet.
Die Klage habe jedoch Erfolg, soweit sich der Hilfsantrag auf die Verpflichtung zur Neubescheidung des von der Klägerin im Verwaltungsverfahren gestellten Antrags auf Anordnung einer Verpflichtung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG beziehe. Die Entscheidung, der Beigeladenen nicht die Verpflichtung zur Gewährung eines Anschluss-Resales zu Großhandelsbedingungen aufzuerlegen, sei ermessensfehlerhaft. Ausgehend von ihrer Prämisse, dass die Möglichkeit des Anschluss-Resales für das Funktionieren des Marktes 1 erforderlich sei, hätte die Bundesnetzagentur in ihre Prüfung einstellen müssen, dass ein solches Anschluss-Resale eine Zugangsleistung darstelle, die grundsätzlich gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG "zu Großhandelsbedingungen" zu gewähren sei. Aus § 150 Abs. 5, § 21 Abs. 2 Nr. 3 und § 30 Abs. 5 TKG lasse sich nicht die Wertung entnehmen, dass ein Infrastrukturwettbewerb generell Vorrang vor einem Dienstewettbewerb genieße. Bei der Entscheidung über die Auferlegung einer Verpflichtung nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG seien alle Regulierungsziele des § 2 Abs. 2 TKG sowie alle Ziele und Belange nach § 21 Abs. 1 Satz 2 TKG grundsätzlich gleichrangig umfassend abzuwägen, wobei es für den Fall, dass der Förderung und dem Schutz von infrastrukturbasiertem Wettbewerb und Innovation allgemein und pauschal der Vorrang gegeben werde, zusätzlich einer Rechtfertigung dafür bedürfte, warum dieses auch nach Ablauf der Frist des § 150 Abs. 5 TKG noch geboten erscheine. An einer diesen Anforderungen genügenden Abwägung fehle es in dem angegriffenen Beschluss. Mit ihren allgemein gehaltenen Erwägungen gehe die Bundesnetzagentur nicht wesentlich über das hinaus, was den Gesetzgeber bewogen habe, die Möglichkeit der Auferlegung einer Verpflichtung zu entbündeltem Anschluss-Resale gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG bis zum 30. Juni 2008 auszusetzen. Jedenfalls nach Ablauf dieser Frist hätte es einer vertieften und konkreten Begründung dahingehend bedurft, weshalb gleichwohl die Notwendigkeit gesehen werde, vom Regelfall des Anschluss-Resales zu Großhandelsbedingungen zu Gunsten eines unrabattierten Anschluss-Resales abzusehen. Für die Annahme der Bundesnetzagentur, dass die Gefahren für den Wettbewerb auch zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Regulierungsverfügung noch fortbestünden und ihnen deshalb nach wie vor durch den Verzicht auf eine Verpflichtung zum Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen entgegenzuwirken sei, fehle es an hinreichend tragfähigen tatsächlichen Feststellungen. Denn die Bundesnetzagentur zeige selbst Entwicklungen auf, die dieser Annahme entgegen stünden.
Gegen dieses Urteil hat die Beigeladene die vom Verwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Auferlegung der Verpflichtung zum Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG auf die Marktdefinition und Marktanalyse des Marktes 1 gestützt werden könne, verstoße gegen § 13 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit §§ 10 und 11 TKG. An dem für die Auferlegung einer Zugangsverpflichtung erforderlichen engen funktionalen Zusammenhang zwischen der Einrichtung, zu der Zugang zu gewähren sei, und dem Markt, für den Regulierungsbedarf festgestellt worden sei, fehle es, wenn es um eine Zugangsverpflichtung auf der Vorleistungsebene gehe, der in der Marktanalyse festgestellte Regulierungsbedarf hingegen für einen Markt für Endkundenleistungen bestehe. Würde in Bezug auf die Auferlegung der Verpflichtung nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG ausschließlich auf den Endkundenmarkt abgestellt, bliebe unberücksichtigt, dass bereits ein Markt für rabattiertes Resale von Festnetzanschlüssen bestehe.
Soweit das Verwaltungsgericht mit der Annahme, die Beklagte habe in ihre Prüfung einstellen müssen, dass ein Anschluss-Resale eine Zugangsleistung darstellt, die grundsätzlich gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG "zu Großhandelsbedingungen" zu gewähren sei, eine Abwägungsregel aufstelle, nach der jede andere Form des Anschluss-Resale die rechtfertigungsbedürftige Ausnahme darstelle, verstoße es gegen das in § 21 Abs. 1 TKG verankerte und aus den Vorgaben des Unionsrechts folgende Gebot freien Regulierungsermessens bei der Auferlegung von Zugangsleistungen, welches gesetzlich nicht vorgesteuert werden dürfe. Aus § 150 Abs. 5 TKG a.F. lasse sich nicht schließen, dass es nach Ablauf der in der Vorschrift genannten Frist einer vertieften und konkreten Begründung dafür bedürfe, warum die Förderung und der Schutz von infrastrukturbasiertem Wettbewerb und Innovationen auch nach Ablauf dieser Frist noch geboten erscheine und vom Regelfall des Anschluss-Resales zu Großhandelsbedingungen gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG zu Gunsten eines unrabattierten Anschluss-Resales abgesehen worden sei. Soweit das Verwaltungsgericht ein Abwägungsdefizit wegen unzureichender Ermittlungen der Beklagten annehme, überspanne es die Anforderungen an das Abwägungsgebot und berücksichtige die der Abwägungsentscheidung der Beklagten zugrunde liegenden Erwägungen nur unzureichend.
Die Beigeladene beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 25. April 2012 (21 K 1142/10) aufzuheben und die Klage der Klägerin abzuweisen.
Die Beklagte unterstützt den Revisionsantrag der Beigeladenen, folgt jedoch dem Verwaltungsgericht in der Annahme, dass die Auferlegung der Verpflichtung zu Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG auf die Marktdefinition und Marktanalyse des Marktes für den Zugang von Privat- und Geschäftskunden zum öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten gestützt werden könne.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und führt ergänzend aus: Das Anschluss-Resale hätte zu Großhandelsbedingungen angeordnet werden müssen. Für eine Maßnahme nach § 21 Abs. 1 TKG bleibe im Fall eines Regelbeispiels nach § 21 Abs. 2 TKG kein Raum. Die Gewährung von Anschluss-Resale ohne Großhandelsbedingungen stelle einen Missbrauch im Sinne des Wettbewerbsrechts dar. Das Endkundenentgelt sei im Großhandelsbezug unangemessen. Anders als gegenüber typischen Endkunden vergrößere sich die Marge der Beigeladenen bei dem Vertrieb der Produkte an alternative Teilnehmernetzbetreiber erheblich, da bestimmte Leistungselemente wie Marketings-, Vertriebs-, Abrechnungs-, Inkasso- und Bonitätsprüfungskosten für das jeweilige Produkt nicht mehr erbracht werden müssten.
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Die Revision der Beigeladenen ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das angefochtene Urteil erweist sich, auch soweit es mit Bundesrecht nicht in vollem Umfang in Einklang steht, jedenfalls im Ergebnis als zutreffend (§ 144 Abs. 4 VwGO).
1. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht für insgesamt zulässig gehalten. Insbesondere ist die Klägerin klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO); denn sie kann sich auf eine öffentlich-rechtliche Norm stützen, die nach dem in ihr enthaltenen Entscheidungsprogramm (zumindest auch) sie als Dritte schützt. Die mit dem Hilfsantrag - soweit noch anhängig - begehrte Verpflichtung der Beigeladenen zur Gewährung von Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen wird auf § 21 des Telekommunikationsgesetzes - TKG - gestützt. Nach der Rechtsprechung des Senats ist diese Vorschrift zu Gunsten der Wettbewerber drittschützend (Urteil vom 28. November 2007 - BVerwG 6 C 42.06 - BVerwGE 130, 39 Rn. 13). Die Klägerin hat ferner - wie nach der Rechtsprechung des Senats bei Verpflichtungsklagen mit dem Ziel der Auferlegung von weitergehenden Regulierungsverpflichtungen erforderlich (Urteil vom 28. November 2007 a.a.O. Rn. 22) - bereits im Verwaltungsverfahren gegenüber der Bundesnetzagentur den Erlass derjenigen Regelungen beantragt, die im gerichtlichen Verfahren Gegenstand ihrer Verpflichtungsanträge sind.
2. Rechtsgrundlage für die von der Klägerin noch begehrte Verpflichtung der Beigeladenen zur Gewährung von Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen ist § 13 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 in Verbindung mit § 21 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (BGBl I S. 1190) - TKG -, das in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt des Beschlusses der Bundesnetzagentur vom 25. Januar 2010 zuletzt durch Gesetz vom 14. August 2009 (BGBl I S. 2821) geändert worden war.
Entgegen der Auffassung der Beigeladenen ist bei der gerichtlichen Beurteilung des vorliegenden Klagebegehrens nicht auf die inzwischen in Kraft getretene Fassung des Änderungsgesetzes vom 3. Mai 2012 (BGBl I S. 958) - TKG 2012 - abzustellen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage aus dem materiellen Recht (vgl. Urteil vom 24. Juni 2004 - BVerwG 2 C 45.03 - BVerwGE 121, 140 <143>). Für die Begründetheit einer auf § 13 TKG in Verbindung mit den in der Vorschrift genannten speziellen Rechtsgrundlagen gestützten Klage eines Wettbewerbers auf Ergänzung einer Regulierungsverfügung zu Lasten des marktbeherrschenden Unternehmens kann grundsätzlich nur die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses der Regulierungsverfügung maßgeblich sein; denn die Entscheidung über die Auferlegung von Regulierungsverpflichtungen ist das Ergebnis einer umfassenden und komplexen Abwägung, bei der gegenläufige öffentliche und private Belange einzustellen, zu gewichten und auszugleichen sind (Urteil vom 28. November 2007 a.a.O. Rn. 28). In einem auf die Auferlegung von (zusätzlichen) Regulierungsverpflichtungen gerichteten Verwaltungsprozess ist das Verwaltungsgericht auf die Überprüfung beschränkt, ob die Bundesnetzagentur die Interessen der Beteiligten ermittelt, alle erforderlichen tatsächlichen Erkenntnisse gewonnen, die für die Abwägung wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt und keine sachfremden Erwägungen angestellt hat (Urteil vom 28. November 2007 a.a.O. Rn. 31). Bei der Überprüfung der Behördenentscheidung kann daher nur diejenige Sach- und Rechtlage maßgeblich sein, die bereits im Verfahren vor der Bundesnetzagentur berücksichtigt werden konnte. Dass sich die Rechtmäßigkeit einer telekommunikationsrechtlichen Regulierungsverfügung ungeachtet einer etwaigen Dauerwirkung nach der Sachlage im Zeitpunkt ihres Erlasses beurteilt, hat der Senat bereits entschieden (vgl. Urteil vom 14. Dezember 2011 - BVerwG 6 C 36.10 - Buchholz 442.066 § 30 TKG Nr. 5 Rn. 26). Hinsichtlich der maßgeblichen Rechtslage gilt nichts anderes.
Dafür, dass die durch das Gesetz vom 3. Mai 2012 erfolgten Änderungen des Telekommunikationsgesetzes ausnahmsweise auf vor ihrem Inkrafttreten erlassene Regulierungsverfügungen der Bundesnetzagentur zurückwirken, sind keine Anhaltspunkte erkennbar. Auch die Beigeladene macht lediglich geltend, dass das TKG 2012 in "nochmals stärkerer Weise als das TKG 2004 den Vorrang des Infrastrukturausbaus in § 2 Abs. 2 Nr. 5 und Abs. 3 Nr. 3 und Nr. 4 sowie in § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 TKG" betone, darüber hinaus § 30 Abs. 5 TKG 2004 jetzt in § 31 Abs. 2 Nr. 1 TKG 2012 verortet und § 150 Abs. 5 TKG 2004 gestrichen worden sei. Diese Rechtsänderungen können sich auch nach dem Standpunkt der Revision allenfalls auf den gesetzlichen Rahmen der Ausübung des der Bundesnetzagentur eingeräumten Regulierungsermessens ausgewirkt, nicht aber zur Folge haben, dass die Auferlegung der beantragten (zusätzlichen) Regulierungsverpflichtungen zu Lasten der Beigeladenen nicht mehr in Betracht kommt. Das fortbestehende Erfordernis einer Ermessensentscheidung schließt die Annahme einer Rückwirkung aus. Soweit die Beigeladene ferner darauf verweist, dass auferlegte Verpflichtungen nach § 13 Abs. 1 Satz 1, § 14 Abs. 1 und 2 TKG geändert oder widerrufen werden müssten, wenn sich die Sach- oder Rechtslage geändert habe, vermengt sie die maßgeblichen normativen Ebenen. Die gesetzliche Pflicht der Bundesnetzagentur zu einer (Anlass- oder Regel-) Überprüfung von Marktdefinition, Marktanalyse und - nach neuer Rechtslage - Regulierungsverfügung ist von der Frage zu unterscheiden, auf welche Sach- und Rechtslage bei der gerichtlichen Überprüfung der Entscheidung der Bundesnetzagentur in einem auf die Auferlegung von (zusätzlichen) Regulierungsverpflichtungen gerichteten Verwaltungsprozess abzustellen ist.
3. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Auferlegung der von der Klägerin begehrten Verpflichtung der Beigeladenen zur Gewährung von Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen liegen vor.
Nach der Grundnorm des § 21 Abs. 1 Satz 1 TKG in der nach den oben stehenden Ausführungen maßgeblichen Fassung kann die Bundesnetzagentur unter den dort näher genannten Voraussetzungen Betreiber öffentlicher Telekommunikationsnetze, die über beträchtliche Marktmacht verfügen, verpflichten, anderen Unternehmen Zugang zu gewähren einschließlich einer nachfragegerechten Entbündelung. Die Zugangsverpflichtung kann sich gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG unter anderem auf den Zugang zu bestimmten vom Betreiber angebotenen Diensten, wie sie Endnutzern angeboten werden, zu Großhandelsbedingungen beziehen, um Dritten den Weitervertrieb im eigenen Namen und auf eigene Rechnung zu ermöglichen.
Etwaige Verstöße gegen die nach § 13 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 12 Abs. 1 und 2, § 135 TKG maßgeblichen Verfahrensbestimmungen sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
In materieller Hinsicht setzt die Auferlegung der von der Klägerin begehrten Verpflichtung der Beigeladenen zur Gewährung von Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen eine rechtmäßige Marktdefinition und -analyse im Sinne von §§ 10 und 11 TKG voraus, die die Feststellung enthält, dass das betreffende Unternehmen über beträchtliche Marktmacht verfügt. Dies folgt nicht nur aus § 13 Abs. 1 Satz 1 TKG, wonach die dort genannten Verpflichtungen "auf Grund einer Marktanalyse nach § 11" aufzuerlegen sind, sondern bereits aus dem Grundsatz des § 9 Abs. 1 TKG, dem zufolge der Marktregulierung nur solche Märkte unterliegen, auf denen die Voraussetzungen des § 10 TKG vorliegen und für die eine Marktanalyse nach § 11 TKG das Fehlen wirksamen Wettbewerbs ergeben hat.
Gemäß § 10 Abs. 1 TKG legt die Bundesnetzagentur die sachlich und räumlich relevanten Telekommunikationsmärkte fest, die für eine Regulierung nach den Vorschriften des Teils 2 in Betracht kommen. Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 TKG kommen für eine Regulierung Märkte in Betracht, die durch beträchtliche und anhaltende strukturell oder rechtlich bedingte Marktzutrittsschranken gekennzeichnet sind, längerfristig nicht zu wirksamem Wettbewerb tendieren und auf denen die Anwendung des allgemeinen Wettbewerbsrechts allein nicht ausreicht, um dem betreffenden Marktversagen entgegenzuwirken. An die Marktdefinition schließt sich die in § 11 TKG geregelte Marktanalyse an, d.h. die Prüfung der Regulierungsbehörde, ob auf dem untersuchten Markt ein wirksamer Wettbewerb besteht. Die Bundesnetzagentur hat im Rahmen der angefochtenen Regulierungsverfügung festgestellt, dass auf dem regulierungsbedürftigen relevanten bundesweiten Markt für den Zugang von Privat- und Geschäftskunden zum öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten, mit Ausnahme derjenigen Zugangsleistungen, die im Rahmen von Gesamtverträgen mit einem einzelnen Kunden und einem Jahresumsatz von mehr als einer Million € ohne Mehrwertsteuer (d.h. netto) erbracht werden, das Unternehmen Deutsche Telekom AG und die mit ihr verbundenen Unternehmen (§ 3 Nr. 29 TKG), derzeit insbesondere die Unternehmen Congstar GmbH und die Unternehmen der T-Systems Gruppe, im Sinne des § 11 TKG über beträchtliche Marktmacht verfügen. Dass die Bundesnetzagentur den sachlich und räumlich relevanten Markt gemäß § 10 Abs. 1 TKG fehlerhaft abgegrenzt hätte, die Überprüfung der Regulierungsbedürftigkeit des abgegrenzten Marktes anhand der in § 10 Abs. 2 TKG genannten drei Kriterien (beträchtliche und anhaltende Marktzutrittsschranke, längerfristig fehlende Tendenz zu wirksamem Wettbewerb, Insuffizienz des allgemeinen Wettbewerbsrechts) fehlerhaft durchgeführt hätte oder im Rahmen der nach Maßgabe des § 11 TKG durchgeführten Marktanalyse das Nichtbestehen wirksamen Wettbewerbs bzw. das Vorliegen einer beträchtlichen Marktmacht der Beigeladenen fehlerhaft festgestellt hätte, wird von der Revision nicht geltend gemacht. Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit der Marktdefinition und -analyse im Sinne von §§ 10 und 11 TKG sind im Übrigen auch nicht ersichtlich.
Das Revisionsvorbringen beschränkt sich an dieser Stelle auf den Einwand, dass der bundesweite Markt für den Zugang von Privat- und Geschäftskunden zum öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten, auf dem sie nach dem Ergebnis der Marktanalyse gemäß § 11 TKG über beträchtliche Marktmacht verfügt, nicht der für die Auferlegung der Verpflichtung zur Gewährung von Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen relevante Markt sei. Dem ist nicht zu folgen. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Auferlegung dieser Zugangsverpflichtung gemäß § 21 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 TKG auf die Marktdefinition und Marktanalyse des Marktes 1 gestützt werden könne, verstößt nicht gegen § 13 Abs. 1 Satz 1 TKG. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 27. Januar 2010 - BVerwG 6 C 22.08 - Buchholz 442.066 § 21 TKG Nr. 1 Rn. 30) erfordert die Festlegung einer bestimmten Regulierungsverpflichtung keine auf sie bezogene spezifische Marktdefinition und -analyse; vielmehr genügt eine ausreichende Begründung dafür, dass die betreffende Verpflichtung im Verhältnis zum festgestellten Marktversagen sinnvoll und angemessen ist. Erforderlich, aber auch ausreichend für die Auferlegung einer Zugangsverpflichtung ist daher ein enger funktionaler Zusammenhang zwischen der Einrichtung, zu der Zugang zu gewähren ist, und dem Markt, für den ein Regulierungsbedarf festgestellt worden ist.
Entgegen der Auffassung der Beigeladenen ist ein enger funktionaler Zusammenhang im Sinne der Rechtsprechung des Senats nicht nur bei "Annexleistungen" gegeben, "die selbst keine Telekommunikationsdienstleistungen sind, aber mit dem Zugang in einem so engen funktionalen Zusammenhang stehen, dass sie schon rechtlich dem Zugang zugeordnet sind". Zwar hat der Senat in dem erwähnten Urteil vom 27. Januar 2010 (a.a.O.) ausgeführt, dass in Bezug auf den dort in Rede stehenden Zugang zur Teilnehmeranschlussleitung der Zusammenhang, wie Art. 2 Satz 2 Buchst. a der Zugangsrichtlinie klarstelle, bei einer Einrichtung gegeben sei, die - wie im konkreten Fall der Zugang zu den Kabelkanälen zwischen den Kabelverzweigern und dem Hauptverteiler - erforderlich sei, um Dienste über den Teilnehmeranschluss zu erbringen. Hierdurch hat der Senat jedoch nicht zum Ausdruck gebracht, dass der geforderte enge funktionale Zusammenhang ausschließlich dann zu bejahen sei, wenn die Zugangsverpflichtung als Annex zu einer Zugangsleistung oder zu einer im Übrigen auferlegten Endkundenverpflichtung angesehen werden kann.
Der erforderliche enge funktionale Zusammenhang wird bei einer Zugangsverpflichtung auf der Vorleistungsebene nicht schon dadurch in Frage gestellt, dass der in der Marktanalyse festgestellte Regulierungsbedarf für einen Markt für Endkundenleistungen besteht. § 13 Abs. 1 Satz 1 TKG als Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der dort aufgeführten Regulierungsmaßnahmen unterscheidet nicht zwischen Vorleistungs- und Endkundenmärkten. Dem Gesetzeswortlaut kann folglich nicht entnommen werden, dass Zugangsverpflichtungen nach § 21 TKG nur auf der Grundlage eines nach § 11 TKG analysierten Vorleistungsmarktes aufzuerlegen wären. § 21 Abs. 1 Satz 1 TKG lässt ebenfalls offen, ob sich die beträchtliche Marktmacht auf den jeweiligen Zugangsmarkt oder einen nachgelagerten, damit korrespondierenden Endnutzermarkt beziehen muss (vgl. Neitzel, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 2. Aufl. 2011, TKG § 21 Rn. 5). Eine Differenzierung zwischen Endkunden- und Vorleistungsmärkten lässt sich auch nicht den entsprechenden unionsrechtlichen Vorschriften entnehmen. Stellt eine nationale Regulierungsbehörde fest, dass "auf einem relevanten Markt" kein wirksamer Wettbewerb herrscht, so ermittelt sie nach Art. 16 Abs. 4 der Rahmenrichtlinie (Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste <ABI L Nr. 108 S. 33>, geändert durch Richtlinie 2009/140/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 <ABI L Nr. 337 S. 37>), welche Unternehmen allein oder gemeinsam über beträchtliche Macht "auf diesem Markt" verfügen, und erlegt diesen Unternehmen geeignete spezifische Verpflichtungen auf bzw. ändert diese oder behält diese bei, wenn sie bereits bestehen. Wird ein Betreiber aufgrund einer Marktanalyse nach Art. 16 der Rahmenrichtlinie als Betreiber mit beträchtlicher Marktmacht "auf einem bestimmten Markt" eingestuft, so erlegt die nationale Regulierungsbehörde diesem gemäß Art. 8 Abs. 2 der Zugangsrichtlinie (Richtlinie 2002/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung <ABI L Nr. 108 S. 7>, geändert durch Richtlinie 2009/140/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009) im erforderlichen Umfang die in den Art. 9 bis 13 dieser Richtlinie genannten Verpflichtungen auf. Dass Maßnahmen auf der Vorleistungsebene eine den betreffenden Vorleistungsmarkt betreffende Marktanalyse voraussetzen, ergibt sich hieraus nicht.
Die von der Beigeladenen befürwortete Beschränkung der Befugnis der Bundesnetzagentur zur Auferlegung von Zugangsverpflichtungen im Sinne des § 21 TKG auf solche Betreiber öffentlicher Telekommunikationsnetze, die gemäß einer im Rahmen der Marktanalyse nach § 11 TKG getroffenen Feststellung auf dem jeweiligen Zugangsmarkt über beträchtliche Marktmacht verfügen, findet nicht nur in Gesetzeswortlaut und -systematik keine Grundlage, sondern widerspräche auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung dient die Norm der Umsetzung von Art. 12 der bereits erwähnten Zugangsrichtlinie (vgl. BTDrucks 15/2316 S. 64 re. Sp.). Nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie können die nationalen Regulierungsbehörden gemäß Art. 8 der Richtlinie Betreiber dazu verpflichten, berechtigten Anträgen auf Zugang zu bestimmten Netzkomponenten und zugehörigen Einrichtungen und auf deren Nutzung stattzugeben, unter anderem wenn die nationale Regulierungsbehörde der Auffassung ist, dass die Verweigerung des Zugangs oder die Gewährung zu unangemessenen Bedingungen mit ähnlicher Wirkung die Entwicklung eines nachhaltig wettbewerbsorientierten Marktes auf Endverbraucherebene behindern oder den Interessen der Endnutzer zuwiderlaufen würden. Aus der Benennung dieser Beispielsfälle, die § 21 Abs. 1 Satz 1 TKG aufgreift ("insbesondere wenn anderenfalls die Entwicklung eines nachhaltig wettbewerbsorientierten nachgelagerten Endnutzermarktes behindert oder diese Entwicklung den Interessen der Endnutzer zuwiderlaufen würde"), ergibt sich, dass die Zugangsregulierung kein Selbstzweck, sondern dem Wettbewerb auf den Endnutzermärkten zu dienen bestimmt ist (vgl. Thomaschki/Neumann, in: Berliner Kommentar zum TKG, 2. Aufl. 2009, § 21 Rn. 43; Mayen, in: Scheuerle/Mayen, TKG, 2. Aufl. 2008, § 21 Rn. 7). Dies beruht auf der Einsicht, dass Monopole auf Endkundenmärkten nur dann angreifbar sind, wenn Zugang zu den Vorleistungsmärkten gewährt wird (vgl. Piepenbrock/Attendorn, in: Beck'scher TKG-Kommentar, 3. Aufl. 2006, § 21 Rn. 11). Die effektive Förderung des Wettbewerbs auf den Endkundenmärkten wäre jedoch erheblich erschwert, wenn die Auferlegung von Zugangsverpflichtungen nach § 21 TKG stets von der zusätzlichen Feststellung fehlenden wirksamen Wettbewerbs auf dem betreffenden Vorleistungsmarkt abhinge, obwohl aufgrund der Marktanalyse nach § 11 TKG feststeht, dass der betreffende Betreiber auf dem korrespondierenden Endnutzermarkt über beträchtliche Marktmacht verfügt.
Der Annahme, dass Zugangsverpflichtungen auch auf die Feststellung einer beträchtlichen Marktmacht auf einem Endkundenmarkt gestützt werden können, steht § 39 Abs. 1 Satz 1 TKG systematisch nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift kann die Bundesnetzagentur Entgelte von Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht bezüglich des Angebots von Telekommunikationsdiensten für Endnutzer einer Entgeltgenehmigung unterwerfen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Verpflichtungen unter anderem im Zugangsbereich nicht zur Erreichung der Regulierungsziele führen würden. Aus § 39 Abs. 1 Satz 1 TKG ergibt sich - ebenso wie aus Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der Universaldienstrichtlinie (Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten <ABI L Nr. 108 S. 51>, geändert durch Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 <ABI L Nr. 337 S. 11>) - ein Nachrang der Regulierung der Endnutzermärkte (Urteil vom 29. Oktober 2008 - BVerwG 6 C 38.07 - Buchholz 442.066 § 10 TKG Nr. 2 Rn. 51). Aus der Vorgabe, dass einer beträchtlichen Marktmacht auf einem Endkundenmarkt vorrangig durch Auferlegung von Verpflichtungen im Zugangsbereich zu begegnen ist, folgt entgegen dem Revisionsvorbringen nicht, dass die betreffenden Zugangsverpflichtungen aufgrund einer eigenen Marktanalyse für diese Vorleistungsmärkte auferlegt werden. Für die Annahme einer solchen ungeschriebenen Voraussetzung ist weder dem Gesetzeswortlaut noch der Gesetzessystematik ein Anhaltspunkt zu entnehmen.
Die Auferlegung einer Verpflichtung zur Gewährung von Anschluss-Resale gemäß § 21 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 TKG auf der Grundlage der Marktdefinition und Marktanalyse des Marktes 1 wäre schließlich auch dann nicht ausgeschlossen, wenn sich, wie die Revision geltend macht, ein eigener Vorleistungsmarkt für rabattiertes Anschluss-Resale abgrenzen ließe. Wie der Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 28. Januar 2009 - BVerwG 6 C 39.07 - Buchholz 442.066 § 10 TKG Nr. 3 Rn. 19), kann für eine entsprechende Marktdefinition sogar ein lediglich "fiktiver" Markt ausreichen, auf dem ein Marktgeschehen tatsächlich nicht stattfindet. Hieraus folgt jedoch nicht, dass die Feststellung beträchtlicher Marktmacht auf einem in dieser Weise abgrenzbaren Vorleistungsmarkt zwingende Voraussetzung für die Auferlegung von Zugangspflichten ist, mit denen dem Marktversagen auf dem regulierungsbedürftigen (Endkunden-) Markt für den Zugang von Privat- und Geschäftskunden zum öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten begegnet werden soll.
Unberechtigt ist die Befürchtung der Beigeladenen, ohne die Feststellung beträchtlicher Marktmacht auf dem betreffenden Vorleistungsmarkt bliebe der Umstand unberücksichtigt, dass die Wettbewerber des auf dem regulierungsbedürftigen Endkundenmarkt marktbeherrschenden Unternehmens möglicherweise auf Alternativen im Zugangsbereich zurückgreifen könnten. Dieser Befürchtung wird ausreichend Rechnung getragen durch das in der Rechtsprechung des Senats anerkannte Erfordernis eines engen funktionalen Zusammenhangs zwischen der Einrichtung, zu der Zugang zu gewähren ist, und dem Markt, für den ein Regulierungsbedarf festgestellt worden ist. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist von einem engen funktionalen Zusammenhang allerdings dann auszugehen, wenn die Einrichtung, zu der Zugang zu gewähren ist, unmittelbar Bestandteil desjenigen Marktes ist, für den ein Regulierungsbedarf festgestellt worden ist. Denn in diesem Fall ist die im Rahmen der Marktabgrenzung des regulierungsbedürftigen Marktes grundsätzlich bereits erfolgte Prüfung der Austauschbarkeit der maßgeblichen Produkte oder Dienstleistungen auf den entsprechenden - realen oder fiktiven - Vorleistungsmarkt übertragbar. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt; denn nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts, denen die Beigeladene nicht mit Verfahrensrügen entgegengetreten ist, sind die für Zwecke des Resales begehrten Anschlüsse in technischer Hinsicht identisch mit den auf dem Endkundenmarkt angebotenen AGB-Anschlüssen der Beigeladenen. Sie werden deshalb von der Marktdefinition für den Markt 1 für den Zugang von Privat- und Geschäftskunden zum öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten sowie der Feststellung der beträchtlichen Marktmacht der Beigeladenen auf diesem Markt mit umfasst.
4. Der Anspruch der Klägerin als Wettbewerberin auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ihren im Verwaltungsverfahren gestellten Antrag, der Beigeladenen die Verpflichtung zur Gewährung eines Anschluss-Resales zu Großhandelsbedingungen aufzuerlegen, ist noch nicht erfüllt; der diesen ablehnende Beschluss die Bundesnetzagentur beruht auf Abwägungsdefiziten.
Im Rahmen ihrer Entscheidung über die Auferlegung der in § 13 TKG vorgesehenen Verpflichtungen verfügt die Bundesnetzagentur nach ständiger Rechtsprechung des Senats über ein Regulierungsermessen, das fehlerhaft ausgeübt wird, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattgefunden hat - Abwägungsausfall -, in die Abwägung nicht an Belangen eingestellt worden ist, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden musste - Abwägungsdefizit -, die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt worden ist - Abwägungsfehleinschätzung - oder der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen worden ist, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht - Abwägungsdisproportionalität - (Urteile vom 2. April 2008 - BVerwG 6 C 15.07 - BVerwGE 131, 41 Rn. 47, vom 29. Oktober 2008 - BVerwG 6 C 38.07 - Buchholz 442.066 § 10 TKG Nr. 2 Rn. 49, vom 28. Januar 2009 a.a.O. Rn. 33, vom 27. Januar 2010 - BVerwG 6 C 22.08 - Buchholz 442.066 § 21 TKG Nr. 1 Rn. 16, und vom 14. Dezember 2011 - BVerwG 6 C 36.10 - Buchholz 442.066 § 30 TKG Nr. 5 Rn. 25). Die gerichtliche Kontrolle der Ausübung des Regulierungsermessens hat sich dabei grundsätzlich auf diejenigen Erwägungen zu beschränken, die die Behörde zur Begründung ihrer Entscheidung dargelegt hat (Urteil vom 23. November 2011 - BVerwG 6 C 11.10 - Buchholz 442.066 § 24 TKG Nr. 5 Rn. 40).
Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht angenommen, dass der Beklagten bei ihrer Entscheidung, der Beigeladenen nicht die Verpflichtung zur Gewährung eines Anschluss-Resales zu Großhandelsbedingungen gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG aufzuerlegen, Abwägungsfehler unterlaufen sind. Die Annahme eines Abwägungsdefizits verstößt zwar gegen Bundesrecht, soweit das Verwaltungsgericht hierzu auf eine besondere Begründungspflicht nach Ablauf der Frist in § 150 Abs. 5 TKG verweist, der die Bundesnetzagentur nicht nachgekommen sei (a). Ohne Verstoß gegen revisibles Recht hat das Verwaltungsgericht die Annahme eines Abwägungsdefizits jedoch darüber hinaus mit der unterbliebenen Berücksichtigung einer Abwägungsregel, wonach Anschluss-Resale in der Regel zu Großhandelsbedingungen zu gewähren ist (b), sowie mit dem Fehlen ausreichender tatsächlicher Feststellungen (c) begründet.
a) Ein der angefochtenen Regulierungsverfügung zugrunde liegendes Abwägungsdefizit kann entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht in dem Fehlen einer (vertieften und konkreten) Begründung gesehen werden, warum es auch nach Ablauf der Frist des § 150 Abs. 5 TKG in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes vom 3. Mai 2012 geltenden Fassung noch geboten erscheine, den Zielen und Belangen nach § 2 Abs. 2 Nr. 3, § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 TKG (Förderung und Schutz von infrastrukturbasiertem Wettbewerb und Innovationen) allgemein und pauschal den Vorrang zu geben bzw. vom Regelfall des Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG zu Gunsten eines unrabattierten Anschluss-Resale abzusehen.
Aus dem Umstand des Ablaufs der in § 150 Abs. 5 TKG in der hier maßgeblichen Fassung genannten Frist können keine besonderen Begründungspflichten der Bundesnetzagentur im Rahmen des ihr eingeräumten Regulierungsermessens hergeleitet werden. Nach dieser - auf Vorschlag des Vermittlungsausschusses eingefügten (vgl. Scherer, in: Arndt/Fetzer/Scherer, TKG, 2008, § 150 Rn. 16; Müller, in: Berliner Kommentar zum TKG, 2. Aufl. 2009, § 150 Rn. 44) - Bestimmung wurde § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG bis zum 30. Juni 2008 mit der Maßgabe angewendet, dass Anschlüsse nur in Verbindung mit Verbindungsleistungen zur Verfügung gestellt werden müssen. Selbst wenn Hintergrund dieser befristeten Aussetzung der Pflicht zum entbündelten Anschluss-Resale - wie das Verwaltungsgericht ausführt - die Erkenntnis des Gesetzgebers gewesen sein sollte, dass von bestimmten, auf Anschluss-Resale beruhenden Geschäftsmodellen Gefahren für den infrastrukturbasierten Wettbewerb ausgehen können (vgl. hierzu sowie zu den intensiven Auseinandersetzungen um die Resale-Verpflichtung im Gesetzgebungsverfahren: Piepenbrock/Attendorn, in: Beck'scher TKG-Kommentar, 3. Aufl. 2006, § 21 Rn. 145; H. Jochum, in: Wilms/Masing/Jochum, TKG, Stand März 2007, § 21 Rn. 54; Müller, in: Berliner Kommentar zum TKG, 2. Aufl. 2009, § 150 Rn. 44), enthält die Vorschrift weder eine positive noch eine negative Aussage zu der Frage, ob ein Anschluss-Resale in der Regel zu Großhandelsbedingungen zu gewähren ist. Da sich ihr Regelungsgehalt vielmehr darauf beschränkt, den sachlichen Anwendungsbereich des § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG vorübergehend auf das (mit Verbindungsleistungen) gebündelte Anschluss-Resale zu beschränken, kann der Vorschrift nach ihrem Außerkrafttreten erst recht keine die Abwägung steuernde Wirkung in Bezug auf die Frage zukommen, ob entbündeltes Anschluss-Resale gegebenenfalls zu Großhandelsbedingungen oder zu Endkundenbedingungen zu gewähren ist.
b) Das Verwaltungsgericht hat ein Abwägungsdefizit jedoch zu Recht darin erkannt, dass die Bundesnetzagentur eine - ihr Ermessen einschränkende - gesetzliche Abwägungsregel nicht berücksichtigt hat, der zufolge die Zugangsleistung des Anschluss-Resale grundsätzlich gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG zu Großhandelsbedingungen zu gewähren ist. Weder die Annahme einer solchen Abwägungsregel (aa) noch die Würdigung, dass die Beklagte diese Abwägungsregel fehlerhaft nicht berücksichtigt habe (bb), sind aus revisionsgerichtlicher Sicht zu beanstanden.
aa) Der Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts, dass die Zugangsleistung des Anschluss-Resale grundsätzlich gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG zu Großhandelsbedingungen zu gewähren ist, verstößt nicht gegen revisibles Recht.
Die Regelbeispiele des § 21 Abs. 2 TKG sind zwar weder abschließend noch enthalten sie einen Typenzwang in dem Sinne, dass von der geregelten Ausgestaltung der Zugangsverpflichtungen nicht abgewichen werden dürfte. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut, dem systematischen Zusammenhang und der Entstehungsgeschichte der Norm: Nach § 21 Abs. 2 TKG kann die Bundesnetzagentur Betreibern öffentlicher Telekommunikationsnetze, die über beträchtliche Marktmacht verfügen, unter anderem die im Folgenden aufgezählten Zugangsverpflichtungen auferlegen. Hiervon unberührt bleibt die Grundnorm des § 21 Abs. 1 Satz 1 TKG, die auch andere oder in der Ausgestaltung von dem Katalog des § 21 Abs. 2 TKG abweichende Zugangsverpflichtungen zulässt. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung wird dem entsprechend zu der damals noch als § 19 in der Entwurfsfassung enthaltenen Vorschrift ausgeführt, dass Absatz 2 eine "nicht abschließende" Reihe von Verpflichtungen enthalte, die die Regulierungsbehörde Betreibern öffentlicher Telekommunikationsnetze mit beträchtlicher Marktmacht auferlegen könne; ferner werden "potentielle weitere Verpflichtungen" nach Absatz 1 Satz 1 erwähnt (vgl. BTDrucks 15/2316 S. 65, li. Sp.).
Das Verwaltungsgericht hat jedoch zu Recht angenommen, dass in § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG eine Zielvorstellung des Gesetzgebers zum Ausdruck kommt, die das der Bundesnetzagentur eingeräumte Regulierungsermessen dahingehend einschränkt, dass Resale als Gegenstand einer Zugangsverpflichtung grundsätzlich zu Großhandelsbedingungen zu gewähren ist. Diese Annahme verstößt entgegen der Auffassung der Beigeladenen nicht gegen die Grundsätze des Regulierungsermessens. Daraus, dass der Bundesnetzagentur bei der Frage, welche der in § 13 Abs. 1 und 3 TKG (bzw. § 13 Abs. 1 und 5 TKG 2012) vorgesehenen Maßnahmen sie ergreift und gegebenenfalls kombiniert, im Regelfall ein umfassender Auswahl- und Ausgestaltungsspielraum zusteht, folgt nicht, dass eine gesetzliche Einschränkung des Regulierungsermessens grundsätzlich ausgeschlossen ist. So hat der Senat etwa bereits entschieden, dass der Bundesnetzagentur bei der Auferlegung der Pflicht zur Betreiberauswahl und Betreibervorauswahl nach § 40 Abs. 1 TKG a.F. kein Auswahlermessen zusteht, sondern es sich hierbei um eine gebundene Entscheidung handelt (Urteil vom 29. Oktober 2008 a.a.O. Rn. 59 f.).
Dass eine normative Vorsteuerung des Regulierungsermessens zwingend ausgeschlossen ist, ergibt sich entgegen der Auffassung der Beigeladenen insbesondere auch nicht aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 3. Dezember 2009 - Rs. C-424/07 - (Slg. 2009, I-11431). Darin hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland durch den Erlass von § 9a TKG gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 8 Abs. 4 der Zugangsrichtlinie, aus den Art. 6 bis 8 Abs. 1 und 2, Art. 15 Abs. 3 und Art. 16 der Rahmenrichtlinie sowie aus Art. 17 Abs. 2 der Universaldienstrichtlinie verstoßen hat. Zur Begründung hat der Gerichtshof unter anderem ausgeführt, dass die nationalen Regulierungsbehörden bei der Wahrnehmung ihrer hoheitlichen Funktionen über eine weitreichende Befugnis verfügen, um die Regulierungsbedürftigkeit eines Marktes in jedem Einzelfall beurteilen zu können (Rn. 61). In diese weiten Befugnisse dürfe der nationale Gesetzgeber nicht dadurch eingreifen, dass er - wie durch § 9a TKG geschehen - die Regulierung neuer Märkte für den Regelfall ausschließt (Rn. 78). Da die nationalen Regulierungsbehörden verpflichtet seien, bei der Wahrnehmung der im gemeinsamen Rechtsrahmen genannten regulatorischen Aufgaben die in Art. 8 der Rahmenrichtlinie genannten Regulierungsziele zu fördern, stehe auch die Abwägung zwischen diesen Zielen bei der Definition und der Analyse eines für die Regulierung in Betracht kommenden relevanten Marktes den nationalen Regulierungsbehörden und nicht den nationalen Gesetzgebern zu (Rn. 91). Eine nationale Rechtsvorschrift wie § 9a Abs. 2 TKG, die für die Untersuchung der Regulierungsbedürftigkeit eines neuen Marktes durch die nationale Regulierungsbehörde die vorrangige Berücksichtigung eines der in der Rahmenrichtlinie anerkannten Ziele vorschreibe, nehme eine Abwägung dieser Ziele vor, obwohl diese Abwägung bei der Wahrnehmung der ihr übertragenen regulatorischen Aufgaben der nationalen Regulierungsbehörde zufalle (Rn. 93). Folglich verstoße § 9a Abs. 2 TKG, der einem bestimmten Regulierungsziel den Vorrang gebe, gegen Art. 8 Abs. 4 der Zugangsrichtlinie, Art. 8 Abs. 1 und 2 der Rahmenrichtlinie sowie Art. 17 Abs. 2 der Universaldienstrichtlinie und schränke das Ermessen der nationalen Regulierungsbehörde in einer mit diesen Richtlinien nicht vereinbaren Weise ein (Rn. 94). Zu der diesen Erwägungen zugrunde liegenden Annahme des Gerichtshofs, dass eine normative Vorsteuerung des unionsrechtlich vorgesehenen Regulierungsermessens durch den nationalen Gesetzgeber grundsätzlich ausgeschlossen ist, steht es indes nicht in Widerspruch, wenn das nationale Recht lediglich eine Einschränkung des Regulierungsermessens nachvollzieht, die bereits im Unionsrecht selbst angelegt ist. So verhält es sich aber mit der vom Verwaltungsgericht angenommenen Abwägungsregel. Die vom Verwaltungsgericht angenommene Einschränkung des Regulierungsermessens dahingehend, dass ein Anschluss-Resale in der Regel zu Großhandelsbedingungen zu gewähren ist, lässt sich nicht nur dem maßgeblichen nationalen Recht (1), sondern auch dem zugrunde liegenden Unionsrecht (2) durch Auslegung entnehmen.
(1) Die Annahme, dass nach nationalem Recht ein Anschluss-Resale in der Regel zu Großhandelsbedingungen zu gewähren ist, kann sich auf den Gesetzeswortlaut stützen. Die Formulierung des § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG verknüpft die Verpflichtung, "Zugang zu bestimmten vom Betreiber angebotenen Diensten, wie sie Endnutzern angeboten werden", zu gewähren, mit der weiter gehenden Verpflichtung, diesen Zugang "zu Großhandelsbedingungen" zu gewähren. Beide Verpflichtungen beziehen sich auf das in der Vorschrift genannte Ziel, Dritten den Weitervertrieb im eigenen Namen und auf eigene Rechnung zu ermöglichen. Diese Verknüpfung schließt es zwar - wie oben ausgeführt - nicht zwingend aus, dass nach der Grundnorm des § 21 Abs. 1 Satz 1 TKG auch eine Verpflichtung zum Anschluss-Resale ohne gleichzeitige Gewährung von Großhandelsbedingungen auferlegt werden könnte, lässt jedoch den Ausnahmecharakter einer Resale-Verpflichtung zu Endkundenbedingungen erkennen.
Der im Gesetzeswortlaut angelegte Ausnahmecharakter des Anschluss-Resale zu Endkundenbedingungen wird durch die innere Systematik des § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG bestätigt. Denn die Einschränkung der Zugangspflicht auf solche vom Betreiber angebotenen Dienste, die auch "Endnutzern angeboten werden", korrespondiert mit der Gewährung des Zugangs "zu Großhandelsbedingungen". Das marktmächtige Unternehmen soll einerseits nicht verpflichtet werden können, zum Zweck des Resale neue Produkte zu kreieren, sondern lediglich den Weitervertrieb von ihm selbst aktuell angebotener Endnutzerdienste ermöglichen müssen (vgl. Mayen, in: Scheuerle/Mayen, TKG, 2. Aufl. 2008, § 21 Rn. 98; Piepenbrock/Attendorn, a.a.O. § 21 Rn. 151; Börnsen/Coppik, MMR 2004, 143 <146>). Diesem Schutz der Produkthoheit des zugangsverpflichteten Unternehmens steht andererseits nach der Gesetzessystematik dessen Pflicht gegenüber, das Recht zum Weitervertrieb zu denjenigen (kommerziellen) Bedingungen zu gewähren, zu denen sich gewerbliche Anbieter von Telekommunikationsdiensten üblicherweise ihre Vorleistungen auf der vorgelagerten Wirtschaftsstufe beschaffen (vgl. Mayen, a.a.O. § 21 Rn. 104; Piepenbrock/Attendorn, a.a.O. § 21 Rn. 153), wobei sich Großhandelsbedingungen im Wesentlichen auf die Entgeltgestaltung beziehen, die in § 30 Abs. 5 TKG (bzw. § 31 Abs. 2 Nr. 1 TKG 2012) einer speziellen Regelung unterworfen worden ist (vgl. Thomaschki/Neumann, in: Berliner Kommentar zum TKG, 2. Aufl. 2009, § 21 Rn. 145). Der für den Bereich des Resale in § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG angelegte differenzierte Ausgleich zwischen der Gewährung von Endkundenbedingungen bei der Produktgestaltung einerseits und von Großhandelsbedingungen bei der Entgeltgestaltung andererseits lässt erkennen, dass der Gesetzgeber Abweichungen hiervon nur in atypischen Fällen zulassen will.
Gegen die Annahme, dass ein Anschluss-Resale in der Regel zu Großhandelsbedingungen zu gewähren ist, lässt sich aus systematischer Sicht nicht einwenden, dass die Auferlegung der in § 21 Abs. 2 TKG aufgeführten möglichen Zugangspflichten nicht - wie in den Fällen des § 21 Abs. 3 TKG - aufgrund einer Soll-Bestimmung erfolgt. Denn dass § 21 Abs. 2 TKG als Kann-Bestimmung ausgestaltet ist, hat lediglich zur Folge, dass ein Verzicht auf die Auferlegung der dort genannten Zugangspflichten nicht nur in atypischen Fällen möglich ist. Hinsichtlich der Frage, ob die Regulierungsbehörde dann, wenn sie sich für die Auferlegung einer Resale-Verpflichtung entscheidet, ohne weiteres von der Festlegung der Gewährung von Großhandelsbedingungen absehen kann, oder ob sie dies als Abweichung von dem gesetzlichen Regelfall besonders begründen muss, ist der Ausgestaltung als "Kann-" oder "Soll-Bestimmung" keine Aussage zu entnehmen.
Auch der Sinn und Zweck der in § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG geregelten Zugangsverpflichtung spricht dafür, dass ein Anschluss-Resale in der Regel zu Großhandelsbedingungen zu gewähren ist. Dieser Zweck besteht darin, es den Zugangsberechtigten zu ermöglichen, in einen unabhängigen chancengleichen Wettbewerb mit dem marktbeherrschenden Zugangsverpflichteten zu treten (vgl. Scherer, in: Arndt/Fetzer/Scherer, TKG, 2008, § 21 Rn. 27). Die wettbewerbsfördernde Wirkung des Resale beruht nach der Rechtsprechung des Senats im Wesentlichen darauf, dass die entsprechenden Anbieter unter Nutzung der nachgefragten Leistungen mit vergleichsweise geringen Kosten neue Produkte herstellen und auf den Markt bringen und bei niedrigen Investitionskosten kurzfristig und flächendeckend Telekommunikationsdienstleistungen zu günstigen Preisen anbieten können (Urteil vom 3. Dezember 2003 - BVerwG 6 C 20.02 - BVerwGE 119, 282 <296>). Da sich niedrige Endkundenpreise in erster Linie über niedrige Vorleistungspreise erzielen lassen (vgl. Börnsen/Coppik, a.a.O. S. 144), setzt dies voraus, dass der Zugangsberechtigte die Leistung zu einem günstigeren Preis beziehen kann als die Endkunden des marktbeherrschenden Unternehmens. Dass gerade die Entgeltgestaltung für die wettbewerbsfördernde Wirkung des Resale entscheidend ist, geht auch daraus hervor, dass der Gesetzgeber die Entgelte für Zugangsleistungen zu bestimmten vom marktbeherrschenden Netzbetreiber angebotenen Diensten zu Großhandelsbedingungen, die Dritten den Weitervertrieb im eigenen Namen und auf eigene Rechnung ermöglichen sollen, in § 30 Abs. 5 TKG (jetzt: § 31 Abs. 2 Nr. 1 TKG 2012) einem besonderen materiellen Maßstab unterworfen hat. Der üblichen Vorgehensweise in der kaufmännischen Praxis bei der Preisbestimmung von Wiederverkaufsleistungen entsprechend (vgl. Groebel/Seifert, in: Berliner Kommentar zum TKG, 2. Aufl. 2009, § 30 Rn. 45) ergibt sich danach das Entgelt aus einem Abschlag auf den Endnutzerpreis, der einem effizienten Anbieter von Telekommunikationsdiensten die Erzielung einer angemessenen Verzinsung des eingesetzten Kapitals auf dem Endnutzermarkt ermöglicht.
Dass durch ein Anschluss-Resale ohne Großhandelsbedingungen das mit der Auferlegung einer entsprechenden Regulierungsverpflichtung angestrebte Ziel der Chancengleichheit des Wettbewerbs in der Regel verfehlt werden dürfte, wird insbesondere auch an dem vom Verwaltungsgericht festgestellten und von der Beigeladenen nicht bestrittenen Umstand deutlich, dass sich auf Seiten des marktmächtigen Unternehmens bei der Bereitstellung von Leistungen zum Zwecke des Resale gegenüber der Bereitstellung für die eigenen Endkunden durch Verbundvorteile und Einsparungen beim Vertrieb und bei der Kundenbetreuung Kostenvorteile ergeben. Werden diese Kostenvorteile nicht im Wege der Einräumung eines Großhandelsrabatts an die Reseller weitergegeben, erhöht dies die Gewinnmarge des marktbeherrschenden Unternehmens, wodurch das Marktungleichgewicht, dem entgegengewirkt werden soll, im Ergebnis weiter vertieft wird.
(2) Die Einschränkung des Regulierungsermessens der Bundesnetzagentur dahingehend, dass ein Anschluss-Resale in der Regel zu Großhandelsbedingungen zu gewähren ist, ergibt sich in vergleichbarer Weise auch aus Art. 12 der Zugangsrichtlinie, dessen Umsetzung § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG - wie bereits ausgeführt - dient.
Gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 1 der Zugangsrichtlinie können die nationalen Regulierungsbehörden gemäß Art. 8 dieser Richtlinie Betreiber dazu verpflichten, berechtigten Anträgen auf Zugang zu bestimmten Netzkomponenten und zugehörigen Einrichtungen und auf deren Nutzung stattzugeben, unter anderem wenn die nationale Regulierungsbehörde der Auffassung ist, dass die Verweigerung des Zugangs oder unangemessene Bedingungen mit ähnlicher Wirkung die Entwicklung eines nachhaltig wettbewerbsorientierten Marktes auf Endverbraucherebene behindern oder den Interessen der Endnutzer zuwiderlaufen würden. Nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 Buchst. d der Zugangsrichtlinie darf Betreibern unter anderem die Verpflichtung auferlegt werden, "bestimmte Dienste zu Großhandelsbedingungen zwecks Weitervertrieb durch Dritte anzubieten". Wie § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG enthält zwar auch die zugrunde liegende Richtlinienbestimmung - wie die einleitenden Worte "unter anderem" anzeigen - keine abschließende Regelung, lässt jedoch ebenfalls erkennen, dass Dienste zum Zweck des Vertriebs durch Dritte in der Regel "zu Großhandelsbedingungen" anzubieten sind. Ihren Grund findet diese Verknüpfung ersichtlich in der Annahme des Richtliniengebers, dass das in Art. 12 Abs. 1 Satz 1 der Zugangsrichtlinie hervorgehobene Ziel der Entwicklung eines nachhaltig wettbewerbsorientierten Marktes auf Endverbraucherebene durch die Auferlegung der Verpflichtung zur Gewährung eines Weitervertriebs von Diensten ohne Großhandelsbedingungen regelmäßig nicht zu erreichen wäre, weil ein solches Angebot aus den oben dargelegten Gründen unter gewöhnlichen Umständen wirtschaftlich nicht rentabel wäre und für Wettbewerber des marktbeherrschenden Betreibers auf dieser Grundlage allenfalls in besonders gelagerten Ausnahmefällen ein Anreiz zu einem Markteintritt bestünde. Im Hinblick auf die von der nationalen Regulierungsbehörde nach Art. 8 Abs. 1 und 2 der Rahmenrichtlinie vorzunehmende Abwägung der Regulierungsziele bedeutet dies, dass die Regulierungsbehörde es - wie nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG - besonders zu begründen hat, wenn sie einem marktbeherrschenden Unternehmen die nicht mit der Gewährung von Großhandelsbedingungen verbundene Verpflichtung auferlegt, Dritten bestimmte Dienste zum Weitervertrieb zu Endkundenbedingungen anzubieten.
bb) Ist das Verwaltungsgericht mithin ohne Verstoß gegen revisibles Recht von dem Bestehen der genannten Abwägungsregel ausgegangen, ist auch die sich hieran knüpfende weitere Annahme, dass die Bundesnetzagentur diese Abwägungsregel nicht berücksichtigt habe, nicht zu beanstanden.
Dass die Bundesnetzagentur nicht etwa von einem Ausnahmecharakter des Anschluss-Resale zu Endkundenbedingungen, sondern von dessen grundsätzlicher Gleichrangigkeit mit einem Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen ausgegangen ist, ergibt sich aus dem Inhalt der Begründung der angefochtenen Regulierungsverfügung. So hat die Regulierungsbehörde darauf abgestellt, dass die Möglichkeit der unrabattierten Form des Wiederverkaufs von Telefonanschlüssen "ausreichend" sei, "um die Entwicklung eines nachhaltig wettbewerbsorientierten nachgelagerten Endkundenmarktes zu fördern und die Interessen der Endkunden zu wahren" (S. 28 des Beschlusses). Die Gewährung eines Rabattes sei "zur Erreichung dieses Ziels nicht erforderlich" (a.a.O.). Es sei "im Rahmen einer Abwägung von der Auferlegung eines rabattierten Anschluss-Resale abgesehen" worden (S. 28 f. des Beschlusses). Die Einführung eines Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen wäre nach Auffassung der Bundesnetzagentur "nicht das richtige Regulierungsinstrument" (S. 29 des Beschlusses).
In diesem Zusammenhang geht die Beklagte zwar auf den in den Stellungnahmen der Wettbewerber geäußerten Einwand ein, dass ohne rabattiertes Anschluss-Resale eine Nachbildbarkeit von Bündelprodukten nicht möglich sei; ihre diesbezüglichen Erwägungen bleiben jedoch im Wesentlichen allgemeiner Natur. So wird etwa ausgeführt, dass mit TAL und IP-Bitstrom zwei Vorleistungsprodukte existierten, auf denen unmittelbar aufbauend Unternehmen unter Verwendung eigener Infrastruktur langfristig und nachhaltig in Wettbewerb zur Betroffenen treten könnten. Im Gegensatz dazu sei derzeit davon auszugehen, dass ein rein auf dem Weiterverkauf rabattierter Telefonanschlüsse der Betroffenen aufbauendes Geschäftsmodell den Regulierungszielen des § 2 Abs. 2 TKG in geringerem Maße Rechnung tragen würde. Insbesondere bestehe bei derartigen Geschäftsmodellen keine zwingende Notwendigkeit und kaum ein Anreiz, in weitreichendem Umfang in den Ausbau von Infrastruktur zu investieren. Diesem Aspekt trage dagegen der reine Wiederverkauf von Telefonanschlüssen zu Endkundenbedingungen Rechnung, da allein darauf aufbauend kein tragfähiges Geschäftsmodell betrieben werden könne. Es bestehe somit ein Anreiz, weitergehende Investitionen in Gebieten zu tätigen, in denen zuvor unter Verwendung von Telefonanschlüssen der Betroffenen Kunden gewonnen werden konnten. Die Überprüfbarkeit der Nachbildbarkeit des entbündelten Anschlusses sei dadurch gewährleistet, dass die Regelungen des Telekommunikationsgesetzes, insbesondere § 28 TKG, möglichem Missbrauch durch die Betroffene in Form von Dumping und Preis-Kosten-Scheren bezogen auf den Anschluss vorbeugten. Ihre Einschätzung, dass die Einführung eines Anschluss-Resale zu Großkundenbedingungen "nicht zuletzt vor dem Hintergrund der bisherigen zu erwartenden Marktentwicklung nicht das richtige Regulierungsinstrument" wäre, begründet die Regulierungsbehörde mit der Erwägung, dass die Entwicklung zeige, dass mit zunehmender Wettbewerbsintensität die Abhängigkeit von Vorleistungen der Betroffenen abnehme, da Wettbewerber jeweils bei Erreichen einer kritischen Masse auf einer Stufe der Investitionsleiter Investitionen auf der nächst höheren Infrastrukturstufe vornähmen.
An keiner Stelle ihrer Begründung lässt die Behörde jedoch eine Auseinandersetzung mit dem Umstand erkennen, dass sowohl der nationale Gesetzgeber als auch der Richtliniengeber auf Unionsebene ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen dem Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen und dem unrabattierten Anschluss-Resale vorgegeben haben. Mit ihren allgemein gehaltenen regulierungspolitischen Erwägungen zu dem aus ihrer Sicht erforderlichen Schutz des infrastrukturbasierten Wettbewerbs vor Geschäftsmodellen, die auf dem Wiederverkauf von Telefonanschlüssen der Beigeladenen basieren, überschreitet die Bundesnetzagentur die ihrem Regulierungsermessen gezogenen Grenzen, indem sie im Ergebnis die vom Gesetzgeber durch die Regelung des § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG - in Kenntnis der aufgezeigten Gefahren (vgl. oben zu a) - getroffene Grundentscheidung für ein rabattiertes Anschluss-Resale revidiert. Unter Beachtung dieser gesetzgeberischen Grundentscheidung hätte die Bundesnetzagentur ihre in dem angefochtenen Beschluss getroffene Entscheidung, von der Verpflichtung der Beigeladenen zur Gewährung eines Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen ausnahmsweise zu Gunsten eines unrabattierten Anschluss-Resale abzusehen, in rechtlich zulässiger Weise nur mit einer atypischen Sachverhaltskonstellation oder etwa dem Eintritt einer vom Gesetzgeber nicht vorhergesehenen Marktentwicklung begründen können, die wegen unerwartet aufgetretener Beeinträchtigungen oder Risiken zu einer besonderen Schutzbedürftigkeit des infrastrukturbasierten Wettbewerbs führt. Für eine derartige Marktentwicklung sind der Beschlussbegründung indes keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte zu entnehmen.
c) In engem Zusammenhang mit dem Abwägungsfehler der mangelnden Berücksichtigung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses zwischen dem Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen und dem unrabattierten Anschluss-Resale steht das vom Verwaltungsgericht im Ergebnis ebenfalls zu Recht festgestellte weitere Abwägungsdefizit einer unzureichenden Sachverhaltsermittlung.
Tatsächliche Feststellungen hätte die Bundesnetzagentur nach Auffassung des Verwaltungsgerichts zum einen zu der Frage treffen müssen, ob "die skizzierten Gefahren für den Wettbewerb auch zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Regulierungsverfügung im vierten Quartal 2010 noch fortbestehen und ihnen deswegen nach wie vor durch den Verzicht auf eine Verpflichtung zum Anschlussresale zu Großhandelsbedingungen entgegenzuwirken ist". Für unvollständig ermittelt hält das Verwaltungsgericht den Sachverhalt darüber hinaus in Bezug auf die Frage, "ob die Entstehung eines maßgeblich auf Anschlussresale zu Großhandelsbedingungen basierenden Geschäftsmodells, von dem die gesehenen Wettbewerbsgefahren ausgehen könnten, bei der zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Regulierungsverfügung bestandenen Marktentwicklung und bei einer darüber hinausgehenden prognostischen Betrachtung überhaupt noch zu befürchten ist und ob ein solches Geschäftsmodell in der Breite Erfolg haben könnte".
Diese eng zusammenhängenden Fragen knüpfen an die das Abwägungsergebnis wesentlich tragenden Erwägungen der Bundesnetzagentur an, dass die Wettbewerber der Beigeladenen, die schon jetzt in Infrastruktur investierten, keine Entwertung ihrer Investitionen durch das vergleichsweise risikolosere, auf Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen basierende Geschäftsmodell von Resellern bzw. Diensteanbietern befürchten müssten (S. 28 des Beschlusses), dass ein Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen tendenziell die Rahmenbedingungen beeinträchtigen würde, unter denen Netzbetreiber in alternative Infrastruktur investiert hätten, und die Tragfähigkeit von infrastrukturbasierten Geschäftsmodellen belasten würden (a.a.O.), sowie dass durch den Verzicht auf die Anordnung eines Rabattes sichergestellt werden könne, dass der weitere Ausbau von Breitbandinfrastruktur nicht durch eine Bevorzugung von Anbietern mit schwächerem eigenen Infrastrukturausbau behindert werde (S. 27 des Beschlusses). Mit diesen Erwägungen bringt die Bundesnetzagentur ihre - das Abwägungsergebnis maßgeblich determinierende - Auffassung zum Ausdruck, dass von einer Verpflichtung zur Gewährung eines Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen Gefahren für den weiteren Infrastrukturausbau ausgehen würden, weil Wettbewerber der Beigeladenen die hierdurch geschaffene Möglichkeit "vergleichsweise risikoloserer" Geschäftsmodelle ergreifen und auf diese Weise zugleich die Rentabilität der Investitionen derjenigen Wettbewerber, deren Geschäftsmodell auf Infrastrukturausbau beruht, in erheblichem Umfang schmälern würden. Es gelte den "erreichten Erfolg" zu bewahren, der darin bestehe, dass sich "aufgrund der Entscheidungen der Bundesnetzagentur (...) durch den Wettbewerb auf TAL-Basis ein infrastrukturbasierter Wettbewerb entwickelt" habe, mit der Folge, dass eine Vielzahl von Unternehmen sich durch einen Ausbau von Infrastruktur in Richtung Endkunde unabhängiger von den Vorleistungen der Betroffenen machen könne, "soweit sie nicht durch Preissenkungen von stärker diensteorientierten Wettbewerbern unter Druck gesetzt" werde (S. 29 des Beschlusses).
Die wiedergegebenen Erwägungen in der Begründung der angefochtenen Regulierungsverfügung lassen erkennen, dass sich die Bundesnetzagentur im Rahmen der Abwägung maßgeblich auf eine Prognose der (nachteiligen) Auswirkungen einer Regulierungsverpflichtung zur Gewährung eines Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen auf die Investitionstätigkeit der Telekommunikationsunternehmen im Bereich des Infrastrukturausbaus stützt. Selbst wenn Prognosen der Behörde nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegen, hat das Gericht jedenfalls zu prüfen, ob die Prognose nach einer geeigneten Methode durchgeführt wurde, ob der zugrunde gelegte Sachverhalt zutreffend ermittelt wurde und ob das Ergebnis einleuchtend begründet ist (vgl. nur Urteil vom 13. Oktober 2011 - BVerwG 4 A 4001.10 - BVerwGE 141, 1 Rn. 59, m.w.N.). Das damit vorausgesetzte Mindestmaß an tatsächlichen Feststellungen ist bei der streitgegenständlichen Beschlusskammerentscheidung nicht erfüllt.
Die grundsätzlich erforderlichen Sachverhaltsfeststellungen waren nicht etwa deshalb ausnahmsweise entbehrlich, weil es sich bei der Annahme, dass ein Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen die Investitionstätigkeit der Telekommunikationsunternehmen im Bereich des Infrastrukturausbaus in relevantem Umfang beeinträchtigt, um eine allgemeinkundige Tatsache handeln würde. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, dass die Bundesnetzagentur selbst Entwicklungen aufgezeigt hat, die einer solchen Annahme entgegenstehen könnten. So hat die Bundesnetzagentur festgestellt, dass sich auf dem Telekommunikationsmarkt kein Wettbewerber der Beigeladenen betätige, der ein Geschäftsmodell verfolgt, welches ausschließlich den Vertrieb von Telefonanschlüssen zum Gegenstand habe, und dass in dem hier besonders betroffenen Marktsegment der Betreiber(vor)auswahl wegen der Bevorzugung von Bündelprodukten ein rückläufiger Trend zu beobachten sei. Sie hat weiter festgestellt, dass "nach dem Stand der erreichten Marktentwicklung" allein auf den Wiederverkauf von Anschlüssen basierende Geschäftsmodelle "nicht tragende Säulen einer weiteren Verfestigung wettbewerblicher Strukturen auf dem Telekommunikationsmarkt" seien und sich inzwischen ein infrastrukturbasierter Wettbewerb entwickelt habe mit der Folge, dass eine Vielzahl von Unternehmen in den Ausbau eigener Infrastruktur investiert habe. Diese von der Beschlusskammer selbst getroffenen Feststellungen lassen es zumindest als zweifelhaft erscheinen, ob eine Zugangsverpflichtung in Form des Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen ohne weiteres - d.h. insbesondere ohne Rücksicht auf die konkrete Entgeltgestaltung - zu dem von der Beschlusskammer befürchteten Rückgang der Investitionstätigkeit im Bereich des Infrastrukturausbaus führen würde. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Aufwendungen für die Errichtung, den Ausbau und die Unterhaltung der Netze Bestandteil der Kosten für die effiziente Leistungsbereitstellung sein können, an denen sich die Entgelte zu orientieren haben, die der Marktbeherrscher von den Wettbewerbern für die von ihm erstrebten Leistungen verlangen kann, und durch die Berücksichtigungsfähigkeit dieser Aufwendungen bei der Entgeltgestaltung den privaten Interessen der Anbieter mit eigener Netzstruktur Rechnung getragen wird (vgl. Urteil vom 3. Dezember 2003 - BVerwG 6 C 20.02 - BVerwGE 119, 282 <296>). Zur Stützung ihrer Prognose hätte die Bundesnetzagentur deshalb die Sachverhaltsfeststellungen treffen müssen, deren Fehlen das Verwaltungsgericht beanstandet hat.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, der auch zu Lasten des Drittbeteiligten Rechtsmittelführers gilt. Da die Beklagte als unterlegene Hauptbeteiligte keine eigene Revision eingelegt hat, kommt § 159 VwGO - anders als im erstinstanzlichen Verfahren - nicht zur Anwendung und erstreckt sich die Kostentragungspflicht der Beigeladenen auch auf die außergerichtlichen Kosten der Beklagten im Revisionsverfahren (Urteil vom 9. Mai 2012 - BVerwG 6 C 3.11 - Rn. 66).
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http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-WBRE410019696&psml=bsjrsprod.psml&max=true
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019697
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BVerwG
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6. Senat
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20130612
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6 C 11/12
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Urteil
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vorgehend VG Köln, 25. April 2012, Az: 21 K 1147/10, Urteil
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DEU
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1. Für die Auferlegung einer Zugangsverpflichtung ist keine auf sie bezogene spezifische Marktdefinition und -analyse erforderlich, sondern lediglich ein enger funktionaler Zusammenhang zwischen der Einrichtung, zu der Zugang zu gewähren ist, und dem Markt, für den ein Regulierungsbedarf festgestellt worden ist. Besteht der in der Marktanalyse festgestellte Regulierungsbedarf für einen Markt für Endkundenleistungen, ist von einem derartigen Zusammenhang auszugehen, wenn die Einrichtung, zu der auf der Vorleistungsebene Zugang zu gewähren ist, unmittelbar Bestandteil des regulierungsbedürftigen Marktes ist (Fortentwicklung der Senatsrechtsprechung, vgl. Urteil vom 27. Januar 2010 - BVerwG 6 C 22.08 - Buchholz 442.066 § 21 TKG Nr. 1 Rn. 30).
2. Das der Bundesnetzagentur im Rahmen ihrer Entscheidung über die Auferlegung der in § 13 TKG vorgesehenen Verpflichtungen eingeräumte Regulierungsermessen ist dahingehend eingeschränkt, dass Resale als Gegenstand einer Zugangsverpflichtung grundsätzlich zu Großhandelsbedingungen zu gewähren ist.
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Die Klägerin ist ein Telekommunikationsunternehmen, das von anderen Unternehmen Verbindungsleistungen bezieht, die sie im eigenen Namen und auf eigene Rechnung weiter verkauft. Sie strebt an, diese Verbindungsleistungen mit Anschlüssen, die sie von der Beigeladenen zum Zwecke des Resales erwerben möchte, zu bündeln und auf dem Markt anzubieten.
Nach Durchführung eines Marktdefinitions- und Marktanalyseverfahrens traf die Bundesnetzagentur im Jahr 2009 die Festlegung, dass die Beigeladene und die mit ihr verbundenen Unternehmen "auf dem regulierungsbedürftigen relevanten bundesweiten Markt für den Zugang von Privat- und Geschäftskunden zum öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten, mit Ausnahme derjenigen Zugangsleistungen, die im Rahmen von Gesamtverträgen mit einem einzelnen Kunden und einem Jahresumsatz von mehr als einer Million € ohne Mehrwertsteuer (d.h. netto) erbracht werden" (Markt 1), über beträchtliche Marktmacht verfügen. Auf dieser Grundlage veröffentlichte die Bundesnetzagentur im März 2009 den Entwurf für eine Regulierungsverfügung. Diese sah unter anderem die Verpflichtung der Beigeladenen vor, anderen Unternehmen Anschlüsse, die dem Markt 1 zugerechnet werden, wie sie Endnutzern angeboten werden, zur Verfügung zu stellen; die Entgelte für diese Zugangsleistung sollten der nachträglichen Entgeltregulierung nach Maßgabe des § 38 TKG unterliegen. Im Rahmen ihrer Stellungnahme beantragte die Klägerin unter 2. und 3., die Festlegung aufzuheben, wonach für das Anschluss-Resale keine preislichen Großhandelsbedingungen gelten dürften, und die für das Anschluss-Resale vorgesehene nachträgliche Entgeltkontrolle durch die Auferlegung der Entgeltregulierung nach § 30 Abs. 5 TKG zu ersetzen.
Im September 2009 verpflichtete sich die Beigeladene gegenüber der Bundesnetzagentur, Telekommunikationsdiensteanbietern AGB-Endkundenanschlüsse in den PSTN Stand Alone Varianten des Call Plus gemäß ihrem jeweiligen aktuellen Portfolio zum Zwecke der Überlassung an Endnutzer sowohl im Wege der Neubereitstellung als auch im Wege der Übernahme anzubieten. Für die Übernahme wurde die Anzeige eines Entgelts in Höhe von 30 € in Aussicht gestellt. Die Selbstverpflichtung sollte binnen eines Jahres nach einer entsprechenden Anzeige wesentlicher Änderungen rechtlicher oder tatsächlicher Umstände enden.
Durch Regulierungsverfügung vom 25. Januar 2010 erlegte die Bundesnetzagentur der Beigeladenen die Verpflichtung zur Betreiberauswahl und Betreibervorauswahl (Ziffer 1) sowie die nachträgliche Entgeltregulierung für Endnutzerleistungen (Ziffer 2) auf. Die "Anordnung eines Anschluss-Resale" behielt sie sich vor, "sofern die Entwicklung im Anschlussmarkt dies erforderlich macht" (Ziffer 3). Im Übrigen lehnte sie die Anträge der Klägerin und der weiteren Beteiligten ab (Ziffer 4).
Dass abweichend vom Konsultationsentwurf keine Verpflichtung zum Anschluss-Resale auferlegt wurde, begründete die Bundesnetzagentur im Wesentlichen unter Hinweis darauf, dass mit der Selbstverpflichtung der Beigeladenen den Regulierungszielen der Wahrung der Nutzer- und insbesondere der Verbraucherinteressen, der Sicherstellung eines chancengleichen Wettbewerbs und der Förderung nachhaltig wettbewerbsorientierter Märkte der Telekommunikation im Bereich der Telekommunikationsdienste und -netze sowie der zugehörigen Einrichtungen und Dienste, auch in der Fläche, und der Förderung effizienter Infrastrukturinvestitionen Rechnung getragen werde. Wettbewerber, die bereits in Infrastruktur investierten, müssten keine Entwertung ihrer Investitionen durch das vergleichsweise risikolosere, auf Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen basierende Geschäftsmodell von Resellern bzw. Diensteanbietern befürchten. Der Forderung nach Einräumung eines Rabatts auf die Endkundenpreise sei entgegenzuhalten, dass Geschäftsmodelle, die allein auf dem Einzelwiederverkauf von Telefonanschlüssen der Betroffenen basierten, nach dem Stand der erreichten Marktentwicklung nicht tragende Säulen einer weiteren Verfestigung wettbewerblicher Strukturen auf dem Telekommunikationsmarkt seien. Der Wiederverkauf von Telefonanschlüssen solle Anbietern vielmehr die Abdeckung auch derjenigen Gebiete ermöglichen, in denen noch kein eigener Infrastrukturausbau stattgefunden habe, und das Angebot von Bündeln ermöglichen.
Auf die hiergegen erhobene Klage der Klägerin hat das Verwaltungsgericht die Beklagte durch Urteil vom 25. April 2012 unter entsprechender Aufhebung von Ziffern 3 und 4 der Regulierungsverfügung vom 25. Januar 2010 verpflichtet, über den von der Klägerin im Verwaltungsverfahren mit Schriftsatz vom 15. April 2009 gestellten Antrag zu 2) erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei mit dem Hauptantrag unbegründet. Soweit die Klägerin die Auferlegung von Verpflichtungen zum Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen einschließlich der mit dem Klageantrag zugleich formulierten weiteren Modalitäten begehre, sei dieser Anspruch zwar nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil der in Rede stehende bundesweite Markt für den Zugang von Privat- und Geschäftskunden zum öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten ein Endkundenmarkt sei und die Klägerin der Sache nach eine Verpflichtung auf einem Vorleistungsmarkt begehre, für den eine beträchtliche Marktmacht der Beigeladenen bislang nicht festgestellt sei. Die Festlegung einer bestimmten Regulierungsverpflichtung erfordere keine auf sie bezogene spezifische Marktdefinition und -analyse; vielmehr genüge eine ausreichende Begründung dafür, dass die betreffende Verpflichtung im Verhältnis zum festgestellten Marktversagen sinnvoll und angemessen sei. Der erforderliche enge funktionale Zusammenhang zwischen der Überlassung von Teilnehmeranschlüssen zum Zwecke des Weiterverkaufs und dem in Rede stehenden Endkundenmarkt für den Zugang von Privat- und Geschäftskunden zum öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten liege vor. Das folge schon daraus, dass die für Zwecke des Resales begehrten Anschlüsse in technischer Hinsicht keine anderen seien als die auf dem Endkundenmarkt angebotenen AGB-Anschlüsse der Beigeladenen und deswegen von der Marktdefinition für den Markt 1 und der Feststellung der beträchtlichen Marktmacht der Beigeladenen erfasst würden.
Unter Beachtung des der Bundesnetzagentur bei der Entscheidung über die Auferlegung von Regulierungsverpflichtungen zustehenden weiten Ermessensspielraums sei der Rechtsstreit allerdings selbst bei Annahme von Ermessens- bzw. Abwägungsfehlern nicht spruchreif im Sinne von § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Dass als Reaktion auf das von der Bundesnetzagentur angenommene Marktversagen allein die Anordnung einer Verpflichtung zum Resale zu Großhandelsbedingungen nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG in Betracht komme, könne angesichts der Breite des der Regulierungsbehörde bei festgestelltem Marktversagen zur Verfügung stehenden Abhilfeinstrumentariums nicht angenommen werden. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten, die Entgelte für die Gewährung der begehrten Zugangsleistungen einem Verfahren der Entgeltkontrolle unter Anordnung eines bestimmten materiellen Prüfungsmaßstabs zu unterziehen. Insoweit sei auch der hilfsweise erhobene Neubescheidungsantrag unbegründet.
Die Klage habe jedoch Erfolg, soweit sich der Hilfsantrag auf die Verpflichtung zur Neubescheidung des von der Klägerin im Verwaltungsverfahren gestellten Antrags auf Anordnung einer Verpflichtung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG beziehe. Die Entscheidung, der Beigeladenen nicht die Verpflichtung zur Gewährung eines Anschluss-Resales zu Großhandelsbedingungen aufzuerlegen, sei ermessensfehlerhaft. Ausgehend von ihrer Prämisse, dass die Möglichkeit des Anschluss-Resales für das Funktionieren des Marktes 1 erforderlich sei, hätte die Bundesnetzagentur in ihre Prüfung einstellen müssen, dass ein solches Anschluss-Resale eine Zugangsleistung darstelle, die grundsätzlich gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG "zu Großhandelsbedingungen" zu gewähren sei. Aus § 150 Abs. 5, § 21 Abs. 2 Nr. 3 und § 30 Abs. 5 TKG lasse sich nicht die Wertung entnehmen, dass ein Infrastrukturwettbewerb generell Vorrang vor einem Dienstewettbewerb genieße. Bei der Entscheidung über die Auferlegung einer Verpflichtung nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG seien alle Regulierungsziele des § 2 Abs. 2 TKG sowie alle Ziele und Belange nach § 21 Abs. 1 Satz 2 TKG grundsätzlich gleichrangig umfassend abzuwägen, wobei es für den Fall, dass der Förderung und dem Schutz von infrastrukturbasiertem Wettbewerb und Innovation allgemein und pauschal der Vorrang gegeben werde, zusätzlich einer Rechtfertigung dafür bedürfte, warum dieses auch nach Ablauf der Frist des § 150 Abs. 5 TKG noch geboten erscheine. An einer diesen Anforderungen genügenden Abwägung fehle es in dem angegriffenen Beschluss. Mit ihren allgemein gehaltenen Erwägungen gehe die Bundesnetzagentur nicht wesentlich über das hinaus, was den Gesetzgeber bewogen habe, die Möglichkeit der Auferlegung einer Verpflichtung zu entbündeltem Anschluss-Resale gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG bis zum 30. Juni 2008 auszusetzen. Jedenfalls nach Ablauf dieser Frist hätte es einer vertieften und konkreten Begründung dahingehend bedurft, weshalb gleichwohl die Notwendigkeit gesehen werde, vom Regelfall des Anschluss-Resales zu Großhandelsbedingungen zu Gunsten eines unrabattierten Anschluss-Resales abzusehen. Für die Annahme der Bundesnetzagentur, dass die Gefahren für den Wettbewerb auch zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Regulierungsverfügung noch fortbestünden und ihnen deshalb nach wie vor durch den Verzicht auf eine Verpflichtung zum Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen entgegenzuwirken sei, fehle es an hinreichend tragfähigen tatsächlichen Feststellungen. Denn die Bundesnetzagentur zeige selbst Entwicklungen auf, die dieser Annahme entgegen stünden.
Gegen dieses Urteil hat die Beigeladene die vom Verwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Auferlegung der Verpflichtung zum Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG auf die Marktdefinition und Marktanalyse des Marktes 1 gestützt werden könne, verstoße gegen § 13 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit §§ 10 und 11 TKG. An dem für die Auferlegung einer Zugangsverpflichtung erforderlichen engen funktionalen Zusammenhang zwischen der Einrichtung, zu der Zugang zu gewähren sei, und dem Markt, für den Regulierungsbedarf festgestellt worden sei, fehle es, wenn es um eine Zugangsverpflichtung auf der Vorleistungsebene gehe, der in der Marktanalyse festgestellte Regulierungsbedarf hingegen für einen Markt für Endkundenleistungen bestehe. Würde in Bezug auf die Auferlegung der Verpflichtung nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG ausschließlich auf den Endkundenmarkt abgestellt, bliebe unberücksichtigt, dass bereits ein Markt für rabattiertes Resale von Festnetzanschlüssen bestehe.
Soweit das Verwaltungsgericht mit der Annahme, die Beklagte habe in ihre Prüfung einstellen müssen, dass ein Anschluss-Resale eine Zugangsleistung darstellt, die grundsätzlich gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG "zu Großhandelsbedingungen" zu gewähren sei, eine Abwägungsregel aufstelle, nach der jede andere Form des Anschluss-Resale die rechtfertigungsbedürftige Ausnahme darstelle, verstoße es gegen das in § 21 Abs. 1 TKG verankerte und aus den Vorgaben des Unionsrechts folgende Gebot freien Regulierungsermessens bei der Auferlegung von Zugangsleistungen, welches gesetzlich nicht vorgesteuert werden dürfe. Aus § 150 Abs. 5 TKG a.F. lasse sich nicht schließen, dass es nach Ablauf der in der Vorschrift genannten Frist einer vertieften und konkreten Begründung dafür bedürfe, warum die Förderung und der Schutz von infrastrukturbasiertem Wettbewerb und Innovationen auch nach Ablauf dieser Frist noch geboten erscheine und vom Regelfall des Anschluss-Resales zu Großhandelsbedingungen gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG zu Gunsten eines unrabattierten Anschluss-Resales abgesehen worden sei. Soweit das Verwaltungsgericht ein Abwägungsdefizit wegen unzureichender Ermittlungen der Beklagten annehme, überspanne es die Anforderungen an das Abwägungsgebot und berücksichtige die der Abwägungsentscheidung der Beklagten zugrunde liegenden Erwägungen nur unzureichend.
Die Beigeladene beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 25. April 2012 (21 K 1147/10) aufzuheben und die Klage der Klägerin abzuweisen.
Die Beklagte unterstützt den Revisionsantrag der Beigeladenen, folgt jedoch dem Verwaltungsgericht in der Annahme, dass die Auferlegung der Verpflichtung zu Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG auf die Marktdefinition und Marktanalyse des Marktes für den Zugang von Privat- und Geschäftskunden zum öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten gestützt werden könne.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
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Die Revision der Beigeladenen ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das angefochtene Urteil erweist sich, auch soweit es mit Bundesrecht nicht in vollem Umfang in Einklang steht, jedenfalls im Ergebnis als zutreffend (§ 144 Abs. 4 VwGO).
1. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht für insgesamt zulässig gehalten. Insbesondere ist die Klägerin klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO); denn sie kann sich auf eine öffentlich-rechtliche Norm stützen, die nach dem in ihr enthaltenen Entscheidungsprogramm (zumindest auch) sie als Dritte schützt. Die mit dem Hilfsantrag - soweit noch anhängig - begehrte Verpflichtung der Beigeladenen zur Gewährung von Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen wird auf § 21 des Telekommunikationsgesetzes - TKG - gestützt. Nach der Rechtsprechung des Senats ist diese Vorschrift zu Gunsten der Wettbewerber drittschützend (Urteil vom 28. November 2007 - BVerwG 6 C 42.06 - BVerwGE 130, 39 Rn. 13). Die Klägerin hat ferner - wie nach der Rechtsprechung des Senats bei Verpflichtungsklagen mit dem Ziel der Auferlegung von weitergehenden Regulierungsverpflichtungen erforderlich (Urteil vom 28. November 2007 a.a.O. Rn. 22) - bereits im Verwaltungsverfahren gegenüber der Bundesnetzagentur den Erlass derjenigen Regelungen beantragt, die im gerichtlichen Verfahren Gegenstand ihrer Verpflichtungsanträge sind.
2. Rechtsgrundlage für die von der Klägerin noch begehrte Verpflichtung der Beigeladenen zur Gewährung von Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen ist § 13 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 in Verbindung mit § 21 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (BGBl I S. 1190) - TKG -, das in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt des Beschlusses der Bundesnetzagentur vom 25. Januar 2010 zuletzt durch Gesetz vom 14. August 2009 (BGBl I S. 2821) geändert worden war.
Entgegen der Auffassung der Beigeladenen ist bei der gerichtlichen Beurteilung des vorliegenden Klagebegehrens nicht auf die inzwischen in Kraft getretene Fassung des Änderungsgesetzes vom 3. Mai 2012 (BGBl I S. 958) - TKG 2012 - abzustellen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage aus dem materiellen Recht (vgl. Urteil vom 24. Juni 2004 - BVerwG 2 C 45.03 - BVerwGE 121, 140 <143>). Für die Begründetheit einer auf § 13 TKG in Verbindung mit den in der Vorschrift genannten speziellen Rechtsgrundlagen gestützten Klage eines Wettbewerbers auf Ergänzung einer Regulierungsverfügung zu Lasten des marktbeherrschenden Unternehmens kann grundsätzlich nur die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses der Regulierungsverfügung maßgeblich sein; denn die Entscheidung über die Auferlegung von Regulierungsverpflichtungen ist das Ergebnis einer umfassenden und komplexen Abwägung, bei der gegenläufige öffentliche und private Belange einzustellen, zu gewichten und auszugleichen sind (Urteil vom 28. November 2007 a.a.O. Rn. 28). In einem auf die Auferlegung von (zusätzlichen) Regulierungsverpflichtungen gerichteten Verwaltungsprozess ist das Verwaltungsgericht auf die Überprüfung beschränkt, ob die Bundesnetzagentur die Interessen der Beteiligten ermittelt, alle erforderlichen tatsächlichen Erkenntnisse gewonnen, die für die Abwägung wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt und keine sachfremden Erwägungen angestellt hat (Urteil vom 28. November 2007 a.a.O. Rn. 31). Bei der Überprüfung der Behördenentscheidung kann daher nur diejenige Sach- und Rechtlage maßgeblich sein, die bereits im Verfahren vor der Bundesnetzagentur berücksichtigt werden konnte. Dass sich die Rechtmäßigkeit einer telekommunikationsrechtlichen Regulierungsverfügung ungeachtet einer etwaigen Dauerwirkung nach der Sachlage im Zeitpunkt ihres Erlasses beurteilt, hat der Senat bereits entschieden (vgl. Urteil vom 14. Dezember 2011 - BVerwG 6 C 36.10 - Buchholz 442.066 § 30 TKG Nr. 5 Rn. 26). Hinsichtlich der maßgeblichen Rechtslage gilt nichts anderes.
Dafür, dass die durch das Gesetz vom 3. Mai 2012 erfolgten Änderungen des Telekommunikationsgesetzes ausnahmsweise auf vor ihrem Inkrafttreten erlassene Regulierungsverfügungen der Bundesnetzagentur zurückwirken, sind keine Anhaltspunkte erkennbar. Auch die Beigeladene macht lediglich geltend, dass das TKG 2012 in "nochmals stärkerer Weise als das TKG 2004 den Vorrang des Infrastrukturausbaus in § 2 Abs. 2 Nr. 5 und Abs. 3 Nr. 3 und Nr. 4 sowie in § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 TKG" betone, darüber hinaus § 30 Abs. 5 TKG 2004 jetzt in § 31 Abs. 2 Nr. 1 TKG 2012 verortet und § 150 Abs. 5 TKG 2004 gestrichen worden sei. Diese Rechtsänderungen können sich auch nach dem Standpunkt der Revision allenfalls auf den gesetzlichen Rahmen der Ausübung des der Bundesnetzagentur eingeräumten Regulierungsermessens ausgewirkt, nicht aber zur Folge haben, dass die Auferlegung der beantragten (zusätzlichen) Regulierungsverpflichtungen zu Lasten der Beigeladenen nicht mehr in Betracht kommt. Das fortbestehende Erfordernis einer Ermessensentscheidung schließt die Annahme einer Rückwirkung aus. Soweit die Beigeladene ferner darauf verweist, dass auferlegte Verpflichtungen nach § 13 Abs. 1 Satz 1, § 14 Abs. 1 und 2 TKG geändert oder widerrufen werden müssten, wenn sich die Sach- oder Rechtslage geändert habe, vermengt sie die maßgeblichen normativen Ebenen. Die gesetzliche Pflicht der Bundesnetzagentur zu einer (Anlass- oder Regel-) Überprüfung von Marktdefinition, Marktanalyse und - nach neuer Rechtslage - Regulierungsverfügung ist von der Frage zu unterscheiden, auf welche Sach- und Rechtslage bei der gerichtlichen Überprüfung der Entscheidung der Bundesnetzagentur in einem auf die Auferlegung von (zusätzlichen) Regulierungsverpflichtungen gerichteten Verwaltungsprozess abzustellen ist.
3. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Auferlegung der von der Klägerin begehrten Verpflichtung der Beigeladenen zur Gewährung von Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen liegen vor.
Nach der Grundnorm des § 21 Abs. 1 Satz 1 TKG in der nach den oben stehenden Ausführungen maßgeblichen Fassung kann die Bundesnetzagentur unter den dort näher genannten Voraussetzungen Betreiber öffentlicher Telekommunikationsnetze, die über beträchtliche Marktmacht verfügen, verpflichten, anderen Unternehmen Zugang zu gewähren einschließlich einer nachfragegerechten Entbündelung. Die Zugangsverpflichtung kann sich gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG unter anderem auf den Zugang zu bestimmten vom Betreiber angebotenen Diensten, wie sie Endnutzern angeboten werden, zu Großhandelsbedingungen beziehen, um Dritten den Weitervertrieb im eigenen Namen und auf eigene Rechnung zu ermöglichen.
Etwaige Verstöße gegen die nach § 13 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 12 Abs. 1 und 2, § 135 TKG maßgeblichen Verfahrensbestimmungen sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
In materieller Hinsicht setzt die Auferlegung der von der Klägerin begehrten Verpflichtung der Beigeladenen zur Gewährung von Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen eine rechtmäßige Marktdefinition und -analyse im Sinne von §§ 10 und 11 TKG voraus, die die Feststellung enthält, dass das betreffende Unternehmen über beträchtliche Marktmacht verfügt. Dies folgt nicht nur aus § 13 Abs. 1 Satz 1 TKG, wonach die dort genannten Verpflichtungen "auf Grund einer Marktanalyse nach § 11" aufzuerlegen sind, sondern bereits aus dem Grundsatz des § 9 Abs. 1 TKG, dem zufolge der Marktregulierung nur solche Märkte unterliegen, auf denen die Voraussetzungen des § 10 TKG vorliegen und für die eine Marktanalyse nach § 11 TKG das Fehlen wirksamen Wettbewerbs ergeben hat.
Gemäß § 10 Abs. 1 TKG legt die Bundesnetzagentur die sachlich und räumlich relevanten Telekommunikationsmärkte fest, die für eine Regulierung nach den Vorschriften des Teils 2 in Betracht kommen. Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 TKG kommen für eine Regulierung Märkte in Betracht, die durch beträchtliche und anhaltende strukturell oder rechtlich bedingte Marktzutrittsschranken gekennzeichnet sind, längerfristig nicht zu wirksamem Wettbewerb tendieren und auf denen die Anwendung des allgemeinen Wettbewerbsrechts allein nicht ausreicht, um dem betreffenden Marktversagen entgegenzuwirken. An die Marktdefinition schließt sich die in § 11 TKG geregelte Marktanalyse an, d.h. die Prüfung der Regulierungsbehörde, ob auf dem untersuchten Markt ein wirksamer Wettbewerb besteht. Die Bundesnetzagentur hat im Rahmen der angefochtenen Regulierungsverfügung festgestellt, dass auf dem regulierungsbedürftigen relevanten bundesweiten Markt für den Zugang von Privat- und Geschäftskunden zum öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten, mit Ausnahme derjenigen Zugangsleistungen, die im Rahmen von Gesamtverträgen mit einem einzelnen Kunden und einem Jahresumsatz von mehr als einer Million € ohne Mehrwertsteuer (d.h. netto) erbracht werden, das Unternehmen Deutsche Telekom AG und die mit ihr verbundenen Unternehmen (§ 3 Nr. 29 TKG), derzeit insbesondere die Unternehmen Congstar GmbH und die Unternehmen der T-Systems Gruppe, im Sinne des § 11 TKG über beträchtliche Marktmacht verfügen. Dass die Bundesnetzagentur den sachlich und räumlich relevanten Markt gemäß § 10 Abs. 1 TKG fehlerhaft abgegrenzt hätte, die Überprüfung der Regulierungsbedürftigkeit des abgegrenzten Marktes anhand der in § 10 Abs. 2 TKG genannten drei Kriterien (beträchtliche und anhaltende Marktzutrittsschranke, längerfristig fehlende Tendenz zu wirksamem Wettbewerb, Insuffizienz des allgemeinen Wettbewerbsrechts) fehlerhaft durchgeführt hätte oder im Rahmen der nach Maßgabe des § 11 TKG durchgeführten Marktanalyse das Nichtbestehen wirksamen Wettbewerbs bzw. das Vorliegen einer beträchtlichen Marktmacht der Beigeladenen fehlerhaft festgestellt hätte, wird von der Revision nicht geltend gemacht. Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit der Marktdefinition und -analyse im Sinne von §§ 10 und 11 TKG sind im Übrigen auch nicht ersichtlich.
Das Revisionsvorbringen beschränkt sich an dieser Stelle auf den Einwand, dass der bundesweite Markt für den Zugang von Privat- und Geschäftskunden zum öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten, auf dem sie nach dem Ergebnis der Marktanalyse gemäß § 11 TKG über beträchtliche Marktmacht verfügt, nicht der für die Auferlegung der Verpflichtung zur Gewährung von Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen relevante Markt sei. Dem ist nicht zu folgen. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Auferlegung dieser Zugangsverpflichtung gemäß § 21 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 TKG auf die Marktdefinition und Marktanalyse des Marktes 1 gestützt werden könne, verstößt nicht gegen § 13 Abs. 1 Satz 1 TKG. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 27. Januar 2010 - BVerwG 6 C 22.08 - Buchholz 442.066 § 21 TKG Nr. 1 Rn. 30) erfordert die Festlegung einer bestimmten Regulierungsverpflichtung keine auf sie bezogene spezifische Marktdefinition und -analyse; vielmehr genügt eine ausreichende Begründung dafür, dass die betreffende Verpflichtung im Verhältnis zum festgestellten Marktversagen sinnvoll und angemessen ist. Erforderlich, aber auch ausreichend für die Auferlegung einer Zugangsverpflichtung ist daher ein enger funktionaler Zusammenhang zwischen der Einrichtung, zu der Zugang zu gewähren ist, und dem Markt, für den ein Regulierungsbedarf festgestellt worden ist.
Entgegen der Auffassung der Beigeladenen ist ein enger funktionaler Zusammenhang im Sinne der Rechtsprechung des Senats nicht nur bei "Annexleistungen" gegeben, "die selbst keine Telekommunikationsdienstleistungen sind, aber mit dem Zugang in einem so engen funktionalen Zusammenhang stehen, dass sie schon rechtlich dem Zugang zugeordnet sind". Zwar hat der Senat in dem erwähnten Urteil vom 27. Januar 2010 (a.a.O.) ausgeführt, dass in Bezug auf den dort in Rede stehenden Zugang zur Teilnehmeranschlussleitung der Zusammenhang, wie Art. 2 Satz 2 Buchst. a der Zugangsrichtlinie klarstelle, bei einer Einrichtung gegeben sei, die - wie im konkreten Fall der Zugang zu den Kabelkanälen zwischen den Kabelverzweigern und dem Hauptverteiler - erforderlich sei, um Dienste über den Teilnehmeranschluss zu erbringen. Hierdurch hat der Senat jedoch nicht zum Ausdruck gebracht, dass der geforderte enge funktionale Zusammenhang ausschließlich dann zu bejahen sei, wenn die Zugangsverpflichtung als Annex zu einer Zugangsleistung oder zu einer im Übrigen auferlegten Endkundenverpflichtung angesehen werden kann.
Der erforderliche enge funktionale Zusammenhang wird bei einer Zugangsverpflichtung auf der Vorleistungsebene nicht schon dadurch in Frage gestellt, dass der in der Marktanalyse festgestellte Regulierungsbedarf für einen Markt für Endkundenleistungen besteht. § 13 Abs. 1 Satz 1 TKG als Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der dort aufgeführten Regulierungsmaßnahmen unterscheidet nicht zwischen Vorleistungs- und Endkundenmärkten. Dem Gesetzeswortlaut kann folglich nicht entnommen werden, dass Zugangsverpflichtungen nach § 21 TKG nur auf der Grundlage eines nach § 11 TKG analysierten Vorleistungsmarktes aufzuerlegen wären. § 21 Abs. 1 Satz 1 TKG lässt ebenfalls offen, ob sich die beträchtliche Marktmacht auf den jeweiligen Zugangsmarkt oder einen nachgelagerten, damit korrespondierenden Endnutzermarkt beziehen muss (vgl. Neitzel, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 2. Aufl. 2011, TKG § 21 Rn. 5). Eine Differenzierung zwischen Endkunden- und Vorleistungsmärkten lässt sich auch nicht den entsprechenden unionsrechtlichen Vorschriften entnehmen. Stellt eine nationale Regulierungsbehörde fest, dass "auf einem relevanten Markt" kein wirksamer Wettbewerb herrscht, so ermittelt sie nach Art. 16 Abs. 4 der Rahmenrichtlinie (Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste <ABI L Nr. 108 S. 33>, geändert durch Richtlinie 2009/140/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 <ABI L Nr. 337 S. 37>), welche Unternehmen allein oder gemeinsam über beträchtliche Macht "auf diesem Markt" verfügen, und erlegt diesen Unternehmen geeignete spezifische Verpflichtungen auf bzw. ändert diese oder behält diese bei, wenn sie bereits bestehen. Wird ein Betreiber aufgrund einer Marktanalyse nach Art. 16 der Rahmenrichtlinie als Betreiber mit beträchtlicher Marktmacht "auf einem bestimmten Markt" eingestuft, so erlegt die nationale Regulierungsbehörde diesem gemäß Art. 8 Abs. 2 der Zugangsrichtlinie (Richtlinie 2002/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung <ABI L Nr. 108 S. 7>, geändert durch Richtlinie 2009/140/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009) im erforderlichen Umfang die in den Art. 9 bis 13 dieser Richtlinie genannten Verpflichtungen auf. Dass Maßnahmen auf der Vorleistungsebene eine den betreffenden Vorleistungsmarkt betreffende Marktanalyse voraussetzen, ergibt sich hieraus nicht.
Die von der Beigeladenen befürwortete Beschränkung der Befugnis der Bundesnetzagentur zur Auferlegung von Zugangsverpflichtungen im Sinne des § 21 TKG auf solche Betreiber öffentlicher Telekommunikationsnetze, die gemäß einer im Rahmen der Marktanalyse nach § 11 TKG getroffenen Feststellung auf dem jeweiligen Zugangsmarkt über beträchtliche Marktmacht verfügen, findet nicht nur in Gesetzeswortlaut und -systematik keine Grundlage, sondern widerspräche auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung dient die Norm der Umsetzung von Art. 12 der bereits erwähnten Zugangsrichtlinie (vgl. BTDrucks 15/2316 S. 64 re. Sp.). Nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie können die nationalen Regulierungsbehörden gemäß Art. 8 der Richtlinie Betreiber dazu verpflichten, berechtigten Anträgen auf Zugang zu bestimmten Netzkomponenten und zugehörigen Einrichtungen und auf deren Nutzung stattzugeben, unter anderem wenn die nationale Regulierungsbehörde der Auffassung ist, dass die Verweigerung des Zugangs oder die Gewährung zu unangemessenen Bedingungen mit ähnlicher Wirkung die Entwicklung eines nachhaltig wettbewerbsorientierten Marktes auf Endverbraucherebene behindern oder den Interessen der Endnutzer zuwiderlaufen würden. Aus der Benennung dieser Beispielsfälle, die § 21 Abs. 1 Satz 1 TKG aufgreift ("insbesondere wenn anderenfalls die Entwicklung eines nachhaltig wettbewerbsorientierten nachgelagerten Endnutzermarktes behindert oder diese Entwicklung den Interessen der Endnutzer zuwiderlaufen würde"), ergibt sich, dass die Zugangsregulierung kein Selbstzweck, sondern dem Wettbewerb auf den Endnutzermärkten zu dienen bestimmt ist (vgl. Thomaschki/Neumann, in: Berliner Kommentar zum TKG, 2. Aufl. 2009, § 21 Rn. 43; Mayen, in: Scheuerle/Mayen, TKG, 2. Aufl. 2008, § 21 Rn. 7). Dies beruht auf der Einsicht, dass Monopole auf Endkundenmärkten nur dann angreifbar sind, wenn Zugang zu den Vorleistungsmärkten gewährt wird (vgl. Piepenbrock/Attendorn, in: Beck'scher TKG-Kommentar, 3. Aufl. 2006, § 21 Rn. 11). Die effektive Förderung des Wettbewerbs auf den Endkundenmärkten wäre jedoch erheblich erschwert, wenn die Auferlegung von Zugangsverpflichtungen nach § 21 TKG stets von der zusätzlichen Feststellung fehlenden wirksamen Wettbewerbs auf dem betreffenden Vorleistungsmarkt abhinge, obwohl aufgrund der Marktanalyse nach § 11 TKG feststeht, dass der betreffende Betreiber auf dem korrespondierenden Endnutzermarkt über beträchtliche Marktmacht verfügt.
Der Annahme, dass Zugangsverpflichtungen auch auf die Feststellung einer beträchtlichen Marktmacht auf einem Endkundenmarkt gestützt werden können, steht § 39 Abs. 1 Satz 1 TKG systematisch nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift kann die Bundesnetzagentur Entgelte von Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht bezüglich des Angebots von Telekommunikationsdiensten für Endnutzer einer Entgeltgenehmigung unterwerfen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Verpflichtungen unter anderem im Zugangsbereich nicht zur Erreichung der Regulierungsziele führen würden. Aus § 39 Abs. 1 Satz 1 TKG ergibt sich - ebenso wie aus Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der Universaldienstrichtlinie (Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten <ABI L Nr. 108 S. 51>, geändert durch Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 <ABI L Nr. 337 S. 11>) - ein Nachrang der Regulierung der Endnutzermärkte (Urteil vom 29. Oktober 2008 - BVerwG 6 C 38.07 - Buchholz 442.066 § 10 TKG Nr. 2 Rn. 51). Aus der Vorgabe, dass einer beträchtlichen Marktmacht auf einem Endkundenmarkt vorrangig durch Auferlegung von Verpflichtungen im Zugangsbereich zu begegnen ist, folgt entgegen dem Revisionsvorbringen nicht, dass die betreffenden Zugangsverpflichtungen aufgrund einer eigenen Marktanalyse für diese Vorleistungsmärkte auferlegt werden. Für die Annahme einer solchen ungeschriebenen Voraussetzung ist weder dem Gesetzeswortlaut noch der Gesetzessystematik ein Anhaltspunkt zu entnehmen.
Die Auferlegung einer Verpflichtung zur Gewährung von Anschluss-Resale gemäß § 21 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 TKG auf der Grundlage der Marktdefinition und Marktanalyse des Marktes 1 wäre schließlich auch dann nicht ausgeschlossen, wenn sich, wie die Revision geltend macht, ein eigener Vorleistungsmarkt für rabattiertes Anschluss-Resale abgrenzen ließe. Wie der Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 28. Januar 2009 - BVerwG 6 C 39.07 - Buchholz 442.066 § 10 TKG Nr. 3 Rn. 19), kann für eine entsprechende Marktdefinition sogar ein lediglich "fiktiver" Markt ausreichen, auf dem ein Marktgeschehen tatsächlich nicht stattfindet. Hieraus folgt jedoch nicht, dass die Feststellung beträchtlicher Marktmacht auf einem in dieser Weise abgrenzbaren Vorleistungsmarkt zwingende Voraussetzung für die Auferlegung von Zugangspflichten ist, mit denen dem Marktversagen auf dem regulierungsbedürftigen (Endkunden-) Markt für den Zugang von Privat- und Geschäftskunden zum öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten begegnet werden soll.
Unberechtigt ist die Befürchtung der Beigeladenen, ohne die Feststellung beträchtlicher Marktmacht auf dem betreffenden Vorleistungsmarkt bliebe der Umstand unberücksichtigt, dass die Wettbewerber des auf dem regulierungsbedürftigen Endkundenmarkt marktbeherrschenden Unternehmens möglicherweise auf Alternativen im Zugangsbereich zurückgreifen könnten. Dieser Befürchtung wird ausreichend Rechnung getragen durch das in der Rechtsprechung des Senats anerkannte Erfordernis eines engen funktionalen Zusammenhangs zwischen der Einrichtung, zu der Zugang zu gewähren ist, und dem Markt, für den ein Regulierungsbedarf festgestellt worden ist. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist von einem engen funktionalen Zusammenhang allerdings dann auszugehen, wenn die Einrichtung, zu der Zugang zu gewähren ist, unmittelbar Bestandteil desjenigen Marktes ist, für den ein Regulierungsbedarf festgestellt worden ist. Denn in diesem Fall ist die im Rahmen der Marktabgrenzung des regulierungsbedürftigen Marktes grundsätzlich bereits erfolgte Prüfung der Austauschbarkeit der maßgeblichen Produkte oder Dienstleistungen auf den entsprechenden - realen oder fiktiven - Vorleistungsmarkt übertragbar. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt; denn nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts, denen die Beigeladene nicht mit Verfahrensrügen entgegengetreten ist, sind die für Zwecke des Resales begehrten Anschlüsse in technischer Hinsicht identisch mit den auf dem Endkundenmarkt angebotenen AGB-Anschlüssen der Beigeladenen. Sie werden deshalb von der Marktdefinition für den Markt 1 für den Zugang von Privat- und Geschäftskunden zum öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten sowie der Feststellung der beträchtlichen Marktmacht der Beigeladenen auf diesem Markt mit umfasst.
4. Der Anspruch der Klägerin als Wettbewerberin auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ihren im Verwaltungsverfahren gestellten Antrag, der Beigeladenen die Verpflichtung zur Gewährung eines Anschluss-Resales zu Großhandelsbedingungen aufzuerlegen, ist noch nicht erfüllt; der diesen ablehnende Beschluss die Bundesnetzagentur beruht auf Abwägungsdefiziten.
Im Rahmen ihrer Entscheidung über die Auferlegung der in § 13 TKG vorgesehenen Verpflichtungen verfügt die Bundesnetzagentur nach ständiger Rechtsprechung des Senats über ein Regulierungsermessen, das fehlerhaft ausgeübt wird, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattgefunden hat - Abwägungsausfall -, in die Abwägung nicht an Belangen eingestellt worden ist, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden musste - Abwägungsdefizit -, die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt worden ist - Abwägungsfehleinschätzung - oder der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen worden ist, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht - Abwägungsdisproportionalität - (Urteile vom 2. April 2008 - BVerwG 6 C 15.07 - BVerwGE 131, 41 Rn. 47, vom 29. Oktober 2008 - BVerwG 6 C 38.07 - Buchholz 442.066 § 10 TKG Nr. 2 Rn. 49, vom 28. Januar 2009 a.a.O. Rn. 33, vom 27. Januar 2010 - BVerwG 6 C 22.08 - Buchholz 442.066 § 21 TKG Nr. 1 Rn. 16, und vom 14. Dezember 2011 - BVerwG 6 C 36.10 - Buchholz 442.066 § 30 TKG Nr. 5 Rn. 25). Die gerichtliche Kontrolle der Ausübung des Regulierungsermessens hat sich dabei grundsätzlich auf diejenigen Erwägungen zu beschränken, die die Behörde zur Begründung ihrer Entscheidung dargelegt hat (Urteil vom 23. November 2011 - BVerwG 6 C 11.10 - Buchholz 442.066 § 24 TKG Nr. 5 Rn. 40).
Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht angenommen, dass der Beklagten bei ihrer Entscheidung, der Beigeladenen nicht die Verpflichtung zur Gewährung eines Anschluss-Resales zu Großhandelsbedingungen gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG aufzuerlegen, Abwägungsfehler unterlaufen sind. Die Annahme eines Abwägungsdefizits verstößt zwar gegen Bundesrecht, soweit das Verwaltungsgericht hierzu auf eine besondere Begründungspflicht nach Ablauf der Frist in § 150 Abs. 5 TKG verweist, der die Bundesnetzagentur nicht nachgekommen sei (a). Ohne Verstoß gegen revisibles Recht hat das Verwaltungsgericht die Annahme eines Abwägungsdefizits jedoch darüber hinaus mit der unterbliebenen Berücksichtigung einer Abwägungsregel, wonach Anschluss-Resale in der Regel zu Großhandelsbedingungen zu gewähren ist (b), sowie mit dem Fehlen ausreichender tatsächlicher Feststellungen (c) begründet.
a) Ein der angefochtenen Regulierungsverfügung zugrunde liegendes Abwägungsdefizit kann entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht in dem Fehlen einer (vertieften und konkreten) Begründung gesehen werden, warum es auch nach Ablauf der Frist des § 150 Abs. 5 TKG in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes vom 3. Mai 2012 geltenden Fassung noch geboten erscheine, den Zielen und Belangen nach § 2 Abs. 2 Nr. 3, § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 TKG (Förderung und Schutz von infrastrukturbasiertem Wettbewerb und Innovationen) allgemein und pauschal den Vorrang zu geben bzw. vom Regelfall des Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG zu Gunsten eines unrabattierten Anschluss-Resale abzusehen.
Aus dem Umstand des Ablaufs der in § 150 Abs. 5 TKG in der hier maßgeblichen Fassung genannten Frist können keine besonderen Begründungspflichten der Bundesnetzagentur im Rahmen des ihr eingeräumten Regulierungsermessens hergeleitet werden. Nach dieser - auf Vorschlag des Vermittlungsausschusses eingefügten (vgl. Scherer, in: Arndt/Fetzer/Scherer, TKG, 2008, § 150 Rn. 16; Müller, in: Berliner Kommentar zum TKG, 2. Aufl. 2009, § 150 Rn. 44) - Bestimmung wurde § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG bis zum 30. Juni 2008 mit der Maßgabe angewendet, dass Anschlüsse nur in Verbindung mit Verbindungsleistungen zur Verfügung gestellt werden müssen. Selbst wenn Hintergrund dieser befristeten Aussetzung der Pflicht zum entbündelten Anschluss-Resale - wie das Verwaltungsgericht ausführt - die Erkenntnis des Gesetzgebers gewesen sein sollte, dass von bestimmten, auf Anschluss-Resale beruhenden Geschäftsmodellen Gefahren für den infrastrukturbasierten Wettbewerb ausgehen können (vgl. hierzu sowie zu den intensiven Auseinandersetzungen um die Resale-Verpflichtung im Gesetzgebungsverfahren: Piepenbrock/Attendorn, in: Beck'scher TKG-Kommentar, 3. Aufl. 2006, § 21 Rn. 145; H. Jochum, in: Wilms/Masing/Jochum, TKG, Stand März 2007, § 21 Rn. 54; Müller, in: Berliner Kommentar zum TKG, 2. Aufl. 2009, § 150 Rn. 44), enthält die Vorschrift weder eine positive noch eine negative Aussage zu der Frage, ob ein Anschluss-Resale in der Regel zu Großhandelsbedingungen zu gewähren ist. Da sich ihr Regelungsgehalt vielmehr darauf beschränkt, den sachlichen Anwendungsbereich des § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG vorübergehend auf das (mit Verbindungsleistungen) gebündelte Anschluss-Resale zu beschränken, kann der Vorschrift nach ihrem Außerkrafttreten erst recht keine die Abwägung steuernde Wirkung in Bezug auf die Frage zukommen, ob entbündeltes Anschluss-Resale gegebenenfalls zu Großhandelsbedingungen oder zu Endkundenbedingungen zu gewähren ist.
b) Das Verwaltungsgericht hat ein Abwägungsdefizit jedoch zu Recht darin erkannt, dass die Bundesnetzagentur eine - ihr Ermessen einschränkende - gesetzliche Abwägungsregel nicht berücksichtigt hat, der zufolge die Zugangsleistung des Anschluss-Resale grundsätzlich gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG zu Großhandelsbedingungen zu gewähren ist. Weder die Annahme einer solchen Abwägungsregel (aa) noch die Würdigung, dass die Beklagte diese Abwägungsregel fehlerhaft nicht berücksichtigt habe (bb), sind aus revisionsgerichtlicher Sicht zu beanstanden.
aa) Der Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts, dass die Zugangsleistung des Anschluss-Resale grundsätzlich gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG zu Großhandelsbedingungen zu gewähren ist, verstößt nicht gegen revisibles Recht.
Die Regelbeispiele des § 21 Abs. 2 TKG sind zwar weder abschließend noch enthalten sie einen Typenzwang in dem Sinne, dass von der geregelten Ausgestaltung der Zugangsverpflichtungen nicht abgewichen werden dürfte. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut, dem systematischen Zusammenhang und der Entstehungsgeschichte der Norm: Nach § 21 Abs. 2 TKG kann die Bundesnetzagentur Betreibern öffentlicher Telekommunikationsnetze, die über beträchtliche Marktmacht verfügen, unter anderem die im Folgenden aufgezählten Zugangsverpflichtungen auferlegen. Hiervon unberührt bleibt die Grundnorm des § 21 Abs. 1 Satz 1 TKG, die auch andere oder in der Ausgestaltung von dem Katalog des § 21 Abs. 2 TKG abweichende Zugangsverpflichtungen zulässt. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung wird dem entsprechend zu der damals noch als § 19 in der Entwurfsfassung enthaltenen Vorschrift ausgeführt, dass Absatz 2 eine "nicht abschließende" Reihe von Verpflichtungen enthalte, die die Regulierungsbehörde Betreibern öffentlicher Telekommunikationsnetze mit beträchtlicher Marktmacht auferlegen könne; ferner werden "potentielle weitere Verpflichtungen" nach Absatz 1 Satz 1 erwähnt (vgl. BTDrucks 15/2316 S. 65, li. Sp.).
Das Verwaltungsgericht hat jedoch zu Recht angenommen, dass in § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG eine Zielvorstellung des Gesetzgebers zum Ausdruck kommt, die das der Bundesnetzagentur eingeräumte Regulierungsermessen dahingehend einschränkt, dass Resale als Gegenstand einer Zugangsverpflichtung grundsätzlich zu Großhandelsbedingungen zu gewähren ist. Diese Annahme verstößt entgegen der Auffassung der Beigeladenen nicht gegen die Grundsätze des Regulierungsermessens. Daraus, dass der Bundesnetzagentur bei der Frage, welche der in § 13 Abs. 1 und 3 TKG (bzw. § 13 Abs. 1 und 5 TKG 2012) vorgesehenen Maßnahmen sie ergreift und gegebenenfalls kombiniert, im Regelfall ein umfassender Auswahl- und Ausgestaltungsspielraum zusteht, folgt nicht, dass eine gesetzliche Einschränkung des Regulierungsermessens grundsätzlich ausgeschlossen ist. So hat der Senat etwa bereits entschieden, dass der Bundesnetzagentur bei der Auferlegung der Pflicht zur Betreiberauswahl und Betreibervorauswahl nach § 40 Abs. 1 TKG a.F. kein Auswahlermessen zusteht, sondern es sich hierbei um eine gebundene Entscheidung handelt (Urteil vom 29. Oktober 2008 a.a.O. Rn. 59 f.).
Dass eine normative Vorsteuerung des Regulierungsermessens zwingend ausgeschlossen ist, ergibt sich entgegen der Auffassung der Beigeladenen insbesondere auch nicht aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 3. Dezember 2009 - Rs. C-424/07 - (Slg. 2009, I-11431). Darin hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland durch den Erlass von § 9a TKG gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 8 Abs. 4 der Zugangsrichtlinie, aus den Art. 6 bis 8 Abs. 1 und 2, Art. 15 Abs. 3 und Art. 16 der Rahmenrichtlinie sowie aus Art. 17 Abs. 2 der Universaldienstrichtlinie verstoßen hat. Zur Begründung hat der Gerichtshof unter anderem ausgeführt, dass die nationalen Regulierungsbehörden bei der Wahrnehmung ihrer hoheitlichen Funktionen über eine weitreichende Befugnis verfügen, um die Regulierungsbedürftigkeit eines Marktes in jedem Einzelfall beurteilen zu können (Rn. 61). In diese weiten Befugnisse dürfe der nationale Gesetzgeber nicht dadurch eingreifen, dass er - wie durch § 9a TKG geschehen - die Regulierung neuer Märkte für den Regelfall ausschließt (Rn. 78). Da die nationalen Regulierungsbehörden verpflichtet seien, bei der Wahrnehmung der im gemeinsamen Rechtsrahmen genannten regulatorischen Aufgaben die in Art. 8 der Rahmenrichtlinie genannten Regulierungsziele zu fördern, stehe auch die Abwägung zwischen diesen Zielen bei der Definition und der Analyse eines für die Regulierung in Betracht kommenden relevanten Marktes den nationalen Regulierungsbehörden und nicht den nationalen Gesetzgebern zu (Rn. 91). Eine nationale Rechtsvorschrift wie § 9a Abs. 2 TKG, die für die Untersuchung der Regulierungsbedürftigkeit eines neuen Marktes durch die nationale Regulierungsbehörde die vorrangige Berücksichtigung eines der in der Rahmenrichtlinie anerkannten Ziele vorschreibe, nehme eine Abwägung dieser Ziele vor, obwohl diese Abwägung bei der Wahrnehmung der ihr übertragenen regulatorischen Aufgaben der nationalen Regulierungsbehörde zufalle (Rn. 93). Folglich verstoße § 9a Abs. 2 TKG, der einem bestimmten Regulierungsziel den Vorrang gebe, gegen Art. 8 Abs. 4 der Zugangsrichtlinie, Art. 8 Abs. 1 und 2 der Rahmenrichtlinie sowie Art. 17 Abs. 2 der Universaldienstrichtlinie und schränke das Ermessen der nationalen Regulierungsbehörde in einer mit diesen Richtlinien nicht vereinbaren Weise ein (Rn. 94). Zu der diesen Erwägungen zugrunde liegenden Annahme des Gerichtshofs, dass eine normative Vorsteuerung des unionsrechtlich vorgesehenen Regulierungsermessens durch den nationalen Gesetzgeber grundsätzlich ausgeschlossen ist, steht es indes nicht in Widerspruch, wenn das nationale Recht lediglich eine Einschränkung des Regulierungsermessens nachvollzieht, die bereits im Unionsrecht selbst angelegt ist. So verhält es sich aber mit der vom Verwaltungsgericht angenommenen Abwägungsregel. Die vom Verwaltungsgericht angenommene Einschränkung des Regulierungsermessens dahingehend, dass ein Anschluss-Resale in der Regel zu Großhandelsbedingungen zu gewähren ist, lässt sich nicht nur dem maßgeblichen nationalen Recht (1), sondern auch dem zugrunde liegenden Unionsrecht (2) durch Auslegung entnehmen.
(1) Die Annahme, dass nach nationalem Recht ein Anschluss-Resale in der Regel zu Großhandelsbedingungen zu gewähren ist, kann sich auf den Gesetzeswortlaut stützen. Die Formulierung des § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG verknüpft die Verpflichtung, "Zugang zu bestimmten vom Betreiber angebotenen Diensten, wie sie Endnutzern angeboten werden", zu gewähren, mit der weiter gehenden Verpflichtung, diesen Zugang "zu Großhandelsbedingungen" zu gewähren. Beide Verpflichtungen beziehen sich auf das in der Vorschrift genannte Ziel, Dritten den Weitervertrieb im eigenen Namen und auf eigene Rechnung zu ermöglichen. Diese Verknüpfung schließt es zwar - wie oben ausgeführt - nicht zwingend aus, dass nach der Grundnorm des § 21 Abs. 1 Satz 1 TKG auch eine Verpflichtung zum Anschluss-Resale ohne gleichzeitige Gewährung von Großhandelsbedingungen auferlegt werden könnte, lässt jedoch den Ausnahmecharakter einer Resale-Verpflichtung zu Endkundenbedingungen erkennen.
Der im Gesetzeswortlaut angelegte Ausnahmecharakter des Anschluss-Resale zu Endkundenbedingungen wird durch die innere Systematik des § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG bestätigt. Denn die Einschränkung der Zugangspflicht auf solche vom Betreiber angebotenen Dienste, die auch "Endnutzern angeboten werden", korrespondiert mit der Gewährung des Zugangs "zu Großhandelsbedingungen". Das marktmächtige Unternehmen soll einerseits nicht verpflichtet werden können, zum Zweck des Resale neue Produkte zu kreieren, sondern lediglich den Weitervertrieb von ihm selbst aktuell angebotener Endnutzerdienste ermöglichen müssen (vgl. Mayen, in: Scheuerle/Mayen, TKG, 2. Aufl. 2008, § 21 Rn. 98; Piepenbrock/Attendorn, a.a.O. § 21 Rn. 151; Börnsen/Coppik, MMR 2004, 143 <146>). Diesem Schutz der Produkthoheit des zugangsverpflichteten Unternehmens steht andererseits nach der Gesetzessystematik dessen Pflicht gegenüber, das Recht zum Weitervertrieb zu denjenigen (kommerziellen) Bedingungen zu gewähren, zu denen sich gewerbliche Anbieter von Telekommunikationsdiensten üblicherweise ihre Vorleistungen auf der vorgelagerten Wirtschaftsstufe beschaffen (vgl. Mayen, a.a.O. § 21 Rn. 104; Piepenbrock/Attendorn, a.a.O. § 21 Rn. 153), wobei sich Großhandelsbedingungen im Wesentlichen auf die Entgeltgestaltung beziehen, die in § 30 Abs. 5 TKG (bzw. § 31 Abs. 2 Nr. 1 TKG 2012) einer speziellen Regelung unterworfen worden ist (vgl. Thomaschki/Neumann, in: Berliner Kommentar zum TKG, 2. Aufl. 2009, § 21 Rn. 145). Der für den Bereich des Resale in § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG angelegte differenzierte Ausgleich zwischen der Gewährung von Endkundenbedingungen bei der Produktgestaltung einerseits und von Großhandelsbedingungen bei der Entgeltgestaltung andererseits lässt erkennen, dass der Gesetzgeber Abweichungen hiervon nur in atypischen Fällen zulassen will.
Gegen die Annahme, dass ein Anschluss-Resale in der Regel zu Großhandelsbedingungen zu gewähren ist, lässt sich aus systematischer Sicht nicht einwenden, dass die Auferlegung der in § 21 Abs. 2 TKG aufgeführten möglichen Zugangspflichten nicht - wie in den Fällen des § 21 Abs. 3 TKG - aufgrund einer Soll-Bestimmung erfolgt. Denn dass § 21 Abs. 2 TKG als Kann-Bestimmung ausgestaltet ist, hat lediglich zur Folge, dass ein Verzicht auf die Auferlegung der dort genannten Zugangspflichten nicht nur in atypischen Fällen möglich ist. Hinsichtlich der Frage, ob die Regulierungsbehörde dann, wenn sie sich für die Auferlegung einer Resale-Verpflichtung entscheidet, ohne weiteres von der Festlegung der Gewährung von Großhandelsbedingungen absehen kann, oder ob sie dies als Abweichung von dem gesetzlichen Regelfall besonders begründen muss, ist der Ausgestaltung als "Kann-" oder "Soll-Bestimmung" keine Aussage zu entnehmen.
Auch der Sinn und Zweck der in § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG geregelten Zugangsverpflichtung spricht dafür, dass ein Anschluss-Resale in der Regel zu Großhandelsbedingungen zu gewähren ist. Dieser Zweck besteht darin, es den Zugangsberechtigten zu ermöglichen, in einen unabhängigen chancengleichen Wettbewerb mit dem marktbeherrschenden Zugangsverpflichteten zu treten (vgl. Scherer, in: Arndt/Fetzer/Scherer, TKG, 2008, § 21 Rn. 27). Die wettbewerbsfördernde Wirkung des Resale beruht nach der Rechtsprechung des Senats im Wesentlichen darauf, dass die entsprechenden Anbieter unter Nutzung der nachgefragten Leistungen mit vergleichsweise geringen Kosten neue Produkte herstellen und auf den Markt bringen und bei niedrigen Investitionskosten kurzfristig und flächendeckend Telekommunikationsdienstleistungen zu günstigen Preisen anbieten können (Urteil vom 3. Dezember 2003 - BVerwG 6 C 20.02 - BVerwGE 119, 282 <296>). Da sich niedrige Endkundenpreise in erster Linie über niedrige Vorleistungspreise erzielen lassen (vgl. Börnsen/Coppik, a.a.O. S. 144), setzt dies voraus, dass der Zugangsberechtigte die Leistung zu einem günstigeren Preis beziehen kann als die Endkunden des marktbeherrschenden Unternehmens. Dass gerade die Entgeltgestaltung für die wettbewerbsfördernde Wirkung des Resale entscheidend ist, geht auch daraus hervor, dass der Gesetzgeber die Entgelte für Zugangsleistungen zu bestimmten vom marktbeherrschenden Netzbetreiber angebotenen Diensten zu Großhandelsbedingungen, die Dritten den Weitervertrieb im eigenen Namen und auf eigene Rechnung ermöglichen sollen, in § 30 Abs. 5 TKG (jetzt: § 31 Abs. 2 Nr. 1 TKG 2012) einem besonderen materiellen Maßstab unterworfen hat. Der üblichen Vorgehensweise in der kaufmännischen Praxis bei der Preisbestimmung von Wiederverkaufsleistungen entsprechend (vgl. Groebel/Seifert, in: Berliner Kommentar zum TKG, 2. Aufl. 2009, § 30 Rn. 45) ergibt sich danach das Entgelt aus einem Abschlag auf den Endnutzerpreis, der einem effizienten Anbieter von Telekommunikationsdiensten die Erzielung einer angemessenen Verzinsung des eingesetzten Kapitals auf dem Endnutzermarkt ermöglicht.
Dass durch ein Anschluss-Resale ohne Großhandelsbedingungen das mit der Auferlegung einer entsprechenden Regulierungsverpflichtung angestrebte Ziel der Chancengleichheit des Wettbewerbs in der Regel verfehlt werden dürfte, wird insbesondere auch an dem vom Verwaltungsgericht festgestellten und von der Beigeladenen nicht bestrittenen Umstand deutlich, dass sich auf Seiten des marktmächtigen Unternehmens bei der Bereitstellung von Leistungen zum Zwecke des Resale gegenüber der Bereitstellung für die eigenen Endkunden durch Verbundvorteile und Einsparungen beim Vertrieb und bei der Kundenbetreuung Kostenvorteile ergeben. Werden diese Kostenvorteile nicht im Wege der Einräumung eines Großhandelsrabatts an die Reseller weitergegeben, erhöht dies die Gewinnmarge des marktbeherrschenden Unternehmens, wodurch das Marktungleichgewicht, dem entgegengewirkt werden soll, im Ergebnis weiter vertieft wird.
(2) Die Einschränkung des Regulierungsermessens der Bundesnetzagentur dahingehend, dass ein Anschluss-Resale in der Regel zu Großhandelsbedingungen zu gewähren ist, ergibt sich in vergleichbarer Weise auch aus Art. 12 der Zugangsrichtlinie, dessen Umsetzung § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG - wie bereits ausgeführt - dient.
Gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 1 der Zugangsrichtlinie können die nationalen Regulierungsbehörden gemäß Art. 8 dieser Richtlinie Betreiber dazu verpflichten, berechtigten Anträgen auf Zugang zu bestimmten Netzkomponenten und zugehörigen Einrichtungen und auf deren Nutzung stattzugeben, unter anderem wenn die nationale Regulierungsbehörde der Auffassung ist, dass die Verweigerung des Zugangs oder unangemessene Bedingungen mit ähnlicher Wirkung die Entwicklung eines nachhaltig wettbewerbsorientierten Marktes auf Endverbraucherebene behindern oder den Interessen der Endnutzer zuwiderlaufen würden. Nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 Buchst. d der Zugangsrichtlinie darf Betreibern unter anderem die Verpflichtung auferlegt werden, "bestimmte Dienste zu Großhandelsbedingungen zwecks Weitervertrieb durch Dritte anzubieten". Wie § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG enthält zwar auch die zugrunde liegende Richtlinienbestimmung - wie die einleitenden Worte "unter anderem" anzeigen - keine abschließende Regelung, lässt jedoch ebenfalls erkennen, dass Dienste zum Zweck des Vertriebs durch Dritte in der Regel "zu Großhandelsbedingungen" anzubieten sind. Ihren Grund findet diese Verknüpfung ersichtlich in der Annahme des Richtliniengebers, dass das in Art. 12 Abs. 1 Satz 1 der Zugangsrichtlinie hervorgehobene Ziel der Entwicklung eines nachhaltig wettbewerbsorientierten Marktes auf Endverbraucherebene durch die Auferlegung der Verpflichtung zur Gewährung eines Weitervertriebs von Diensten ohne Großhandelsbedingungen regelmäßig nicht zu erreichen wäre, weil ein solches Angebot aus den oben dargelegten Gründen unter gewöhnlichen Umständen wirtschaftlich nicht rentabel wäre und für Wettbewerber des marktbeherrschenden Betreibers auf dieser Grundlage allenfalls in besonders gelagerten Ausnahmefällen ein Anreiz zu einem Markteintritt bestünde. Im Hinblick auf die von der nationalen Regulierungsbehörde nach Art. 8 Abs. 1 und 2 der Rahmenrichtlinie vorzunehmende Abwägung der Regulierungsziele bedeutet dies, dass die Regulierungsbehörde es - wie nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG - besonders zu begründen hat, wenn sie einem marktbeherrschenden Unternehmen die nicht mit der Gewährung von Großhandelsbedingungen verbundene Verpflichtung auferlegt, Dritten bestimmte Dienste zum Weitervertrieb zu Endkundenbedingungen anzubieten.
bb) Ist das Verwaltungsgericht mithin ohne Verstoß gegen revisibles Recht von dem Bestehen der genannten Abwägungsregel ausgegangen, ist auch die sich hieran knüpfende weitere Annahme, dass die Bundesnetzagentur diese Abwägungsregel nicht berücksichtigt habe, nicht zu beanstanden.
Dass die Bundesnetzagentur nicht etwa von einem Ausnahmecharakter des Anschluss-Resale zu Endkundenbedingungen, sondern von dessen grundsätzlicher Gleichrangigkeit mit einem Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen ausgegangen ist, ergibt sich aus dem Inhalt der Begründung der angefochtenen Regulierungsverfügung. So hat die Regulierungsbehörde darauf abgestellt, dass die Möglichkeit der unrabattierten Form des Wiederverkaufs von Telefonanschlüssen "ausreichend" sei, "um die Entwicklung eines nachhaltig wettbewerbsorientierten nachgelagerten Endkundenmarktes zu fördern und die Interessen der Endkunden zu wahren" (S. 28 des Beschlusses). Die Gewährung eines Rabattes sei "zur Erreichung dieses Ziels nicht erforderlich" (a.a.O.). Es sei "im Rahmen einer Abwägung von der Auferlegung eines rabattierten Anschluss-Resale abgesehen" worden (S. 28 f. des Beschlusses). Die Einführung eines Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen wäre nach Auffassung der Bundesnetzagentur "nicht das richtige Regulierungsinstrument" (S. 29 des Beschlusses).
In diesem Zusammenhang geht die Beklagte zwar auf den in den Stellungnahmen der Wettbewerber geäußerten Einwand ein, dass ohne rabattiertes Anschluss-Resale eine Nachbildbarkeit von Bündelprodukten nicht möglich sei; ihre diesbezüglichen Erwägungen bleiben jedoch im Wesentlichen allgemeiner Natur. So wird etwa ausgeführt, dass mit TAL und IP-Bitstrom zwei Vorleistungsprodukte existierten, auf denen unmittelbar aufbauend Unternehmen unter Verwendung eigener Infrastruktur langfristig und nachhaltig in Wettbewerb zur Betroffenen treten könnten. Im Gegensatz dazu sei derzeit davon auszugehen, dass ein rein auf dem Weiterverkauf rabattierter Telefonanschlüsse der Betroffenen aufbauendes Geschäftsmodell den Regulierungszielen des § 2 Abs. 2 TKG in geringerem Maße Rechnung tragen würde. Insbesondere bestehe bei derartigen Geschäftsmodellen keine zwingende Notwendigkeit und kaum ein Anreiz, in weitreichendem Umfang in den Ausbau von Infrastruktur zu investieren. Diesem Aspekt trage dagegen der reine Wiederverkauf von Telefonanschlüssen zu Endkundenbedingungen Rechnung, da allein darauf aufbauend kein tragfähiges Geschäftsmodell betrieben werden könne. Es bestehe somit ein Anreiz, weitergehende Investitionen in Gebieten zu tätigen, in denen zuvor unter Verwendung von Telefonanschlüssen der Betroffenen Kunden gewonnen werden konnten. Die Überprüfbarkeit der Nachbildbarkeit des entbündelten Anschlusses sei dadurch gewährleistet, dass die Regelungen des Telekommunikationsgesetzes, insbesondere § 28 TKG, möglichem Missbrauch durch die Betroffene in Form von Dumping und Preis-Kosten-Scheren bezogen auf den Anschluss vorbeugten. Ihre Einschätzung, dass die Einführung eines Anschluss-Resale zu Großkundenbedingungen "nicht zuletzt vor dem Hintergrund der bisherigen zu erwartenden Marktentwicklung nicht das richtige Regulierungsinstrument" wäre, begründet die Regulierungsbehörde mit der Erwägung, dass die Entwicklung zeige, dass mit zunehmender Wettbewerbsintensität die Abhängigkeit von Vorleistungen der Betroffenen abnehme, da Wettbewerber jeweils bei Erreichen einer kritischen Masse auf einer Stufe der Investitionsleiter Investitionen auf der nächst höheren Infrastrukturstufe vornähmen.
An keiner Stelle ihrer Begründung lässt die Behörde jedoch eine Auseinandersetzung mit dem Umstand erkennen, dass sowohl der nationale Gesetzgeber als auch der Richtliniengeber auf Unionsebene ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen dem Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen und dem unrabattierten Anschluss-Resale vorgegeben haben. Mit ihren allgemein gehaltenen regulierungspolitischen Erwägungen zu dem aus ihrer Sicht erforderlichen Schutz des infrastrukturbasierten Wettbewerbs vor Geschäftsmodellen, die auf dem Wiederverkauf von Telefonanschlüssen der Beigeladenen basieren, überschreitet die Bundesnetzagentur die ihrem Regulierungsermessen gezogenen Grenzen, indem sie im Ergebnis die vom Gesetzgeber durch die Regelung des § 21 Abs. 2 Nr. 3 TKG - in Kenntnis der aufgezeigten Gefahren (vgl. oben zu a) - getroffene Grundentscheidung für ein rabattiertes Anschluss-Resale revidiert. Unter Beachtung dieser gesetzgeberischen Grundentscheidung hätte die Bundesnetzagentur ihre in dem angefochtenen Beschluss getroffene Entscheidung, von der Verpflichtung der Beigeladenen zur Gewährung eines Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen ausnahmsweise zu Gunsten eines unrabattierten Anschluss-Resale abzusehen, in rechtlich zulässiger Weise nur mit einer atypischen Sachverhaltskonstellation oder etwa dem Eintritt einer vom Gesetzgeber nicht vorhergesehenen Marktentwicklung begründen können, die wegen unerwartet aufgetretener Beeinträchtigungen oder Risiken zu einer besonderen Schutzbedürftigkeit des infrastrukturbasierten Wettbewerbs führt. Für eine derartige Marktentwicklung sind der Beschlussbegründung indes keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte zu entnehmen.
c) In engem Zusammenhang mit dem Abwägungsfehler der mangelnden Berücksichtung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses zwischen dem Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen und dem unrabattierten Anschluss-Resale steht das vom Verwaltungsgericht im Ergebnis ebenfalls zu Recht festgestellte weitere Abwägungsdefizit einer unzureichenden Sachverhaltsermittlung.
Tatsächliche Feststellungen hätte die Bundesnetzagentur nach Auffassung des Verwaltungsgerichts zum einen zu der Frage treffen müssen, ob "die skizzierten Gefahren für den Wettbewerb auch zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Regulierungsverfügung im vierten Quartal 2010 noch fortbestehen und ihnen deswegen nach wie vor durch den Verzicht auf eine Verpflichtung zum Anschlussresale zu Großhandelsbedingungen entgegenzuwirken ist". Für unvollständig ermittelt hält das Verwaltungsgericht den Sachverhalt darüber hinaus in Bezug auf die Frage, "ob die Entstehung eines maßgeblich auf Anschlussresale zu Großhandelsbedingungen basierenden Geschäftsmodells, von dem die gesehenen Wettbewerbsgefahren ausgehen könnten, bei der zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Regulierungsverfügung bestandenen Marktentwicklung und bei einer darüber hinausgehenden prognostischen Betrachtung überhaupt noch zu befürchten ist und ob ein solches Geschäftsmodell in der Breite Erfolg haben könnte".
Diese eng zusammenhängenden Fragen knüpfen an die das Abwägungsergebnis wesentlich tragenden Erwägungen der Bundesnetzagentur an, dass die Wettbewerber der Beigeladenen, die schon jetzt in Infrastruktur investierten, keine Entwertung ihrer Investitionen durch das vergleichsweise risikolosere, auf Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen basierende Geschäftsmodell von Resellern bzw. Diensteanbietern befürchten müssten (S. 28 des Beschlusses), dass ein Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen tendenziell die Rahmenbedingungen beeinträchtigen würde, unter denen Netzbetreiber in alternative Infrastruktur investiert hätten, und die Tragfähigkeit von infrastrukturbasierten Geschäftsmodellen belasten würden (a.a.O.), sowie dass durch den Verzicht auf die Anordnung eines Rabattes sichergestellt werden könne, dass der weitere Ausbau von Breitbandinfrastruktur nicht durch eine Bevorzugung von Anbietern mit schwächerem eigenen Infrastrukturausbau behindert werde (S. 27 des Beschlusses). Mit diesen Erwägungen bringt die Bundesnetzagentur ihre - das Abwägungsergebnis maßgeblich determinierende - Auffassung zum Ausdruck, dass von einer Verpflichtung zur Gewährung eines Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen Gefahren für den weiteren Infrastrukturausbau ausgehen würden, weil Wettbewerber der Beigeladenen die hierdurch geschaffene Möglichkeit "vergleichsweise risikoloserer" Geschäftsmodelle ergreifen und auf diese Weise zugleich die Rentabilität der Investitionen derjenigen Wettbewerber, deren Geschäftsmodell auf Infrastrukturausbau beruht, in erheblichem Umfang schmälern würden. Es gelte den "erreichten Erfolg" zu bewahren, der darin bestehe, dass sich "aufgrund der Entscheidungen der Bundesnetzagentur (...) durch den Wettbewerb auf TAL-Basis ein infrastrukturbasierter Wettbewerb entwickelt" habe, mit der Folge, dass eine Vielzahl von Unternehmen sich durch einen Ausbau von Infrastruktur in Richtung Endkunde unabhängiger von den Vorleistungen der Betroffenen machen könne, "soweit sie nicht durch Preissenkungen von stärker diensteorientierten Wettbewerbern unter Druck gesetzt" werde (S. 29 des Beschlusses).
Die wiedergegebenen Erwägungen in der Begründung der angefochtenen Regulierungsverfügung lassen erkennen, dass sich die Bundesnetzagentur im Rahmen der Abwägung maßgeblich auf eine Prognose der (nachteiligen) Auswirkungen einer Regulierungsverpflichtung zur Gewährung eines Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen auf die Investitionstätigkeit der Telekommunikationsunternehmen im Bereich des Infrastrukturausbaus stützt. Selbst wenn Prognosen der Behörde nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegen, hat das Gericht jedenfalls zu prüfen, ob die Prognose nach einer geeigneten Methode durchgeführt wurde, ob der zugrunde gelegte Sachverhalt zutreffend ermittelt wurde und ob das Ergebnis einleuchtend begründet ist (vgl. nur Urteil vom 13. Oktober 2011 - BVerwG 4 A 4001.10 - BVerwGE 141, 1 Rn. 59, m.w.N.). Das damit vorausgesetzte Mindestmaß an tatsächlichen Feststellungen ist bei der streitgegenständlichen Beschlusskammerentscheidung nicht erfüllt.
Die grundsätzlich erforderlichen Sachverhaltsfeststellungen waren nicht etwa deshalb ausnahmsweise entbehrlich, weil es sich bei der Annahme, dass ein Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen die Investitionstätigkeit der Telekommunikationsunternehmen im Bereich des Infrastrukturausbaus in relevantem Umfang beeinträchtigt, um eine allgemeinkundige Tatsache handeln würde. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, dass die Bundesnetzagentur selbst Entwicklungen aufgezeigt hat, die einer solchen Annahme entgegenstehen könnten. So hat die Bundesnetzagentur festgestellt, dass sich auf dem Telekommunikationsmarkt kein Wettbewerber der Beigeladenen betätige, der ein Geschäftsmodell verfolgt, welches ausschließlich den Vertrieb von Telefonanschlüssen zum Gegenstand habe, und dass in dem hier besonders betroffenen Marktsegment der Betreiber(vor)auswahl wegen der Bevorzugung von Bündelprodukten ein rückläufiger Trend zu beobachten sei. Sie hat weiter festgestellt, dass "nach dem Stand der erreichten Marktentwicklung" allein auf den Wiederverkauf von Anschlüssen basierende Geschäftsmodelle "nicht tragende Säulen einer weiteren Verfestigung wettbewerblicher Strukturen auf dem Telekommunikationsmarkt" seien und sich inzwischen ein infrastrukturbasierter Wettbewerb entwickelt habe mit der Folge, dass eine Vielzahl von Unternehmen in den Ausbau eigener Infrastruktur investiert habe. Diese von der Beschlusskammer selbst getroffenen Feststellungen lassen es zumindest als zweifelhaft erscheinen, ob eine Zugangsverpflichtung in Form des Anschluss-Resale zu Großhandelsbedingungen ohne weiteres - d.h. insbesondere ohne Rücksicht auf die konkrete Entgeltgestaltung - zu dem von der Beschlusskammer befürchteten Rückgang der Investitionstätigkeit im Bereich des Infrastrukturausbaus führen würde. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Aufwendungen für die Errichtung, den Ausbau und die Unterhaltung der Netze Bestandteil der Kosten für die effiziente Leistungsbereitstellung sein können, an denen sich die Entgelte zu orientieren haben, die der Marktbeherrscher von den Wettbewerbern für die von ihm erstrebten Leistungen verlangen kann, und durch die Berücksichtigungsfähigkeit dieser Aufwendungen bei der Entgeltgestaltung den privaten Interessen der Anbieter mit eigener Netzstruktur Rechnung getragen wird (vgl. Urteil vom 3. Dezember 2003 - BVerwG 6 C 20.02 - BVerwGE 119, 282 <296>). Zur Stützung ihrer Prognose hätte die Bundesnetzagentur deshalb die Sachverhaltsfeststellungen treffen müssen, deren Fehlen das Verwaltungsgericht beanstandet hat.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, der auch zu Lasten des Drittbeteiligten Rechtsmittelführers gilt. Da die Beklagte als unterlegene Hauptbeteiligte keine eigene Revision eingelegt hat, kommt § 159 VwGO - anders als im erstinstanzlichen Verfahren - nicht zur Anwendung und erstreckt sich die Kostentragungspflicht der Beigeladenen auch auf die außergerichtlichen Kosten der Beklagten im Revisionsverfahren (Urteil vom 9. Mai 2012 - BVerwG 6 C 3.11 - Rn. 66).
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019698
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BVerwG
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3. Senat
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20130425
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3 C 2/12
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Urteil
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 16. November 2011, Az: 17 A 577/09, Urteil
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DEU
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Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung von Gebühren für fleischhygienerechtliche Kontrollen.
Sie unterhält einen gewerblichen Schlachtbetrieb im Landkreis G. Mit Bescheid vom 15. Februar 2008 setzte der Beklagte für im Monat Januar 2008 vorgenommene Fleischuntersuchungen Gebühren in Höhe von 39 502,74 € fest. Zur Begründung stützte er sich auf die Satzung des Kreises G. vom 26. November 2007 über die Erhebung von Gebühren für Amtshandlungen auf dem Gebiet der Fleischhygiene (im Folgenden: Gebührensatzung).
Mit der Klage hat die Klägerin den Gebührenbescheid angefochten, soweit die festgesetzten Gebühren über 22 894,25 € hinausgehen, und Erstattung der entsprechenden Gebührenzahlung (16 608,49 €) nebst Zinsen begehrt. Sie hat geltend gemacht, die Gebührensatzung sei wegen Verstoßes gegen Art. 27 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 unanwendbar. Die Kostenkalkulation des Beklagten sei fehlerhaft. Er habe zu Unrecht allgemeine Verwaltungskosten berücksichtigt; denn nach Art. 27 Abs. 4 i.V.m. Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 seien nur solche Kosten umlagefähig, die unmittelbar durch die amtlichen Kontrollen verursacht würden. Des Weiteren sei entgegen Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 die Methode für die Berechnung der Gebühren weder veröffentlicht noch der Europäischen Kommission bekanntgegeben worden. Mangels Anwendbarkeit der Gebührensatzung könne der Beklagte allein die in Anhang IV Abschnitt B Kap. I VO (EG) Nr. 882/2004 bestimmten Mindestgebühren, also 22 894,25 € verlangen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. Januar 2009 abgewiesen. Der angefochtene Gebührenbescheid sei rechtmäßig. Er finde seine Rechtsgrundlage in § 5 der Gebührensatzung i.d.F. der 1. Änderungssatzung. Die Berücksichtigung allgemeiner Verwaltungskosten bei der Gebührenbemessung sei nicht zu beanstanden. Der Kostenbegriff in Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 sei weit zu verstehen. Die Vorschriften über die Finanzierung amtlicher Kontrollen in Art. 26 ff. VO (EG) Nr. 882/2004 bezweckten, durch die Erhebung kostendeckender Gebühren ausreichende Finanzmittel für die Durchführung der amtlichen Kontrollen bereit zu stellen. Dementsprechend seien für die Gebührenbemessung sämtliche Kosten zu berücksichtigen, die durch die amtlichen Untersuchungen anfielen. Es sei auch nicht fehlerhaft, dass die festgelegten Gebührensätze auf einer Prognose der im Erhebungszeitraum anfallenden Kosten beruhten. Art. 27 Abs. 4 Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 verbiete nicht, die Gebühren auf der Grundlage einer Vorauskalkulation festzusetzen. Schließlich könne sich die Klägerin nicht auf eine Verletzung der Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten nach Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 berufen. Der Verordnungsgeber habe die Einhaltung dieser mitgliedstaatlichen Obliegenheiten nicht zur Voraussetzung für die Gebührenerhebung gemacht.
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ihr Vorbringen vertieft und ergänzt. Das mit der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 verfolgte Ziel transparenter und einheitlicher Kriterien für die Gebührenbemessung spreche für eine enge Auslegung des Anhangs VI der Verordnung und für den Ausschluss von mittelbaren Personalkosten und Allgemeinkosten. Darauf lasse auch der Wortlaut der Bestimmung schließen, der anders als noch die Vorgängerregelung in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 85/73/EWG den Begriff der Verwaltungskosten nicht mehr verwende. Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 entfalte nicht nur Rechtswirkungen im Verhältnis von Mitgliedstaat und Kommission, sondern schütze auch den einzelnen Gebührenschuldner. Es sei zudem zweifelhaft, ob die Gebührensatzung des Beklagten hinreichend bestimmt sei. Für den Gebührenschuldner sei nicht erkennbar, ob die Gebühren nach Art. 27 Abs. 4 Buchst. a oder Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 erhoben würden.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 16. November 2011 zurückgewiesen. Der Beklagte habe die Kosten für die amtlichen Fleischuntersuchungen im Jahr 2008 auf der Basis der im Zeitraum September 2006 bis August 2007 angefallenen Ausgaben prognostisch ermittelt und die Gebühren in pauschalierter Form festgesetzt. Das stehe in Einklang mit Art. 27 Abs. 4 Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004, wonach die Behörde die Gebühr auf der Grundlage der von ihr während eines bestimmten Zeitraums getragenen Kosten als Pauschale erheben dürfe. Eine erst im Nachhinein vorzunehmende Abrechnung verlange Art. 27 VO (EG) Nr. 882/2004 nicht. Nur über eine Vorauskalkulation lasse sich das Ziel der Kostendeckung erreichen. Zudem verfügten die Mitgliedstaaten über einen weiten methodischen Gestaltungsspielraum. Zu Recht sei das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Berücksichtigung allgemeiner Verwaltungspersonal- und -sachkosten von Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 gedeckt sei. Die Verordnung habe zum Ziel, effektive amtliche Kontrollen zu gewährleisten und dazu durch Erhebung kostendeckender Gebühren oder Kostenbeiträge angemessene finanzielle Mittel bereit zu stellen. Das lege nahe, dass der Personalbegriff in Anhang VI nicht nur die unmittelbar mit den Kontrollen befassten Tierärzte und Fachassistenten meine, sondern auch die Bediensteten, die für die verwaltungsmäßige Erfassung und Umsetzung der Kontrollen zuständig seien. Soweit der Verordnungsgeber die frühere Unterscheidung in Untersuchungs- und Verwaltungspersonal sowie Untersuchungs- und Verwaltungskosten zugunsten der Oberbegriffe "Personal" und "Ausgaben" (Löhne, Gehälter und Kosten) aufgegeben habe, habe er damit nicht von den bisherigen Grundsätzen abrücken wollen. Schließlich könne die Klägerin die geltend gemachte Rechtswidrigkeit der Gebührenerhebung auch nicht auf Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 stützen. Zwar sei zweifelhaft, ob die Bundesrepublik Deutschland ihrer Pflicht zur Veröffentlichung der Berechnungsmethode und zur Mitteilung an die Kommission hinreichend nachgekommen sei. Jedoch handele es sich um rein bipolar gestaltete Rechtsverpflichtungen der Mitgliedstaaten gegenüber der Kommission, die allein der Vollzugskontrolle und nicht dem Schutz des einzelnen Gebührenschuldners dienten. Das werde bestätigt durch den Vergleich mit der abweichend geregelten Berichtspflicht in Art. 27 Abs. 6 VO (EG) Nr. 882/2004.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Der Streitfall werfe mehrere Fragen zur Auslegung von Art. 27 VO (EG) Nr. 882/2004 auf, die eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof erforderten. Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, Art. 27 Abs. 4 i.V.m. Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 umfasse auch Verwaltungspersonal- und -sachkosten, gehe am Wortlaut der Norm vorbei und sei daher eine Auslegung "contra legem". Der Verordnungsgeber bezwecke offensichtlich eine enge Kausalität zwischen den umlagefähigen Kosten und den durchzuführenden amtlichen Kontrollen. Der Kostenmaßstab des Anhangs VI solle zu einer unmittelbaren Begrenzung der Gebührenhöhe im Sinne eines Realkostengebots führen. Das Normverständnis des Berufungsgerichts stehe zudem in Widerspruch zu dem risikobezogenen Ansatz im europäischen Lebensmittelrecht. Hiernach solle ein Unternehmer, der Gefahren für die Lebensmittelhygiene durch betriebliche Maßnahmen reduziere und sich also risikominimierend verhalte, durch einen geringeren Kontrollaufwand und eine niedrigere Gebührenlast belohnt werden. Allgemeine Verwaltungskosten fielen jedoch unabhängig vom jeweiligen Betriebsrisiko an. Das Berufungsurteil überzeuge auch nicht, soweit es eine Vorauskalkulation der Gebühren für zulässig erachte. Der Wortlaut des Art. 27 Abs. 4 Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 spreche für eine Ermittlung der Kosten "ex post". Das werde bestätigt durch das Realkostengebot in Art. 27 Abs. 4 Buchst. a VO (EG) Nr. 882/2004; denn die Einhaltung der dort vorgegebenen Gebührenobergrenze könne nur sinnvoll umgesetzt werden, wenn die tatsächliche Kostenhöhe feststehe. Durch den Europäischen Gerichtshof sei ferner zu beantworten, wie der Begriff des "bestimmten Zeitraums" in Art. 27 Abs. 4 Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 zu verstehen sei. Schließlich habe das Oberverwaltungsgericht Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 fehlerhaft ausgelegt. Es habe sich nicht damit auseinander gesetzt, dass die Notifizierungspflicht des Mitgliedstaates erkennbar im Zusammenhang mit der Prüfungspflicht der Kommission nach Art. 27 Abs. 12 Satz 2 VO (EG) Nr. 882/2004 stehe, die ihrerseits drittschützend zugunsten der Gebührenschuldner wirke. Außerdem werde gerügt, dass das Berufungsgericht nicht auf Art. 27 Abs. 5 VO (EG) Nr. 882/2004 eingegangen sei, obwohl die Klägerin geltend gemacht habe, dass in Bezug auf ihren Betrieb Art. 27 Abs. 5 Buchst. a und Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 einschlägig sein könnten. Insoweit liege auch ein Begründungsmangel vor.
Der Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hält das angefochtene Urteil in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz für unionsrechtskonform. Das Ministerium habe mitgeteilt, dass die Kommission im Verlauf der Beratungen zur Verordnung (EG) Nr. 882/2004 im Rat keinen Zweifel daran gelassen habe, die Gebührenregelungen der Richtlinie 85/73/EWG lediglich in einen neuen Rechtsakt überführen zu wollen. Das gelte auch für die Kriterien des Art. 5 Abs. 1 RL 85/73/EWG i.d.F. der Richtlinie 96/43/EG, die in Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 beibehalten werden sollten.
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Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Berufungsurteil beruht nicht auf einer Verletzung von Unionsrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die angefochtene Gebührenerhebung mit der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 vereinbar ist (1.). Die Verfahrensrüge bleibt ohne Erfolg (2.).
1. Nach der für den Senat bindenden Auslegung des Landesrechts durch die Vorinstanz (§ 137 Abs. 1 VwGO, § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO) findet der angegriffene Gebührenbescheid seine Rechtsgrundlage in § 5 Abs. 1 Satz 1 der Gebührensatzung des Beklagten. Hiernach wird für Amtshandlungen im Zusammenhang mit der Fleischuntersuchung in öffentlichen Schlachthöfen je Rind, Schwein/Wildschwein, Schaf, Ziege, Wildwiederkäuer und Einhufer die Gebühr erhoben, die sich aus den anliegenden Tabellen (Blätter 1 bis 6) ergibt. Das Oberverwaltungsgericht hat das Landesrecht ohne Verstoß gegen Unionsrecht - eine Verletzung von Bundesrecht ist weder geltend gemacht noch sonst erkennbar - ausgelegt und angewendet.
a) Einschlägig ist die Verordnung (EG) Nr. 882/2004 vom 29. April 2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz (ABl Nr. L 165 S. 1, ber. ABl Nr. L 191 S. 1) i.d.F. der Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 vom 20. November 2006 (ABl Nr. L 363 S. 1). Art. 26 ff. der Verordnung regeln die Finanzierung der amtlichen Kontrollen. Zu den Kontrollen im Sinne der Verordnung gehören unter anderem Fleischhygieneuntersuchungen in Schlachtbetrieben (vgl. Art. 2 Satz 2 Nr. 1, Anhang IV Abschnitt A Nr. 1 VO <EG> Nr. 882/2004 i.V.m. Art. 1 und Anhang A Kap. I RL 85/73/EWG; Art. 5 der Verordnung <EG> Nr. 854/2004 vom 29. April 2004 mit besonderen Verfahrensvorschriften für die amtliche Überwachung von zum menschlichen Verzehr bestimmten Erzeugnissen tierischen Ursprungs, ABl Nr. L 139 S. 206). Art. 26 ff. VO (EG) Nr. 882/2004 ersetzen die Richtlinie 85/73/EWG vom 29. Januar 1985 über die Finanzierung der veterinär- und hygienerechtlichen Kontrollen nach den Richtlinien 89/662/EWG, 90/425/EWG, 90/675/EWG und 91/496/EWG (ABl Nr. L 32 S. 14, zuletzt geändert durch die Richtlinie 97/79/EG vom 18. Dezember 1997, ABl Nr. L 24 S. 31), die mit Wirkung vom 1. Januar 2008 aufgehoben wurde (Art. 61 Abs. 1 Satz 2 VO <EG> Nr. 882/2004). Sie gilt ab dem 1. Januar 2006 mit Ausnahme der Art. 27 und 28, die ab dem 1. Januar 2007 anwendbar sind (Art. 67 VO <EG> Nr. 882/2004). Danach unterliegt die Gebührenerhebung für die im Januar 2008 im Betrieb der Klägerin durchgeführten amtlichen Kontrollen dem sachlichen und zeitlichen Anwendungsbereich des Art. 27 VO (EG) Nr. 882/2004.
b) In Übereinstimmung mit Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 882/2004 ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Beklagte in die der Gebührensatzung zugrundeliegende Kalkulation allgemeine Verwaltungspersonal- und -sachkosten einstellen durfte.
Art. 27 Abs. 2 VO (EG) Nr. 882/2004 verpflichtet die Mitgliedstaaten, Gebühren zur Deckung der Kosten zu erheben, die durch amtliche fleischhygienerechtliche Kontrollen entstehen. Gemäß Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 882/2004 dürfen die Gebühren nicht höher sein als die von den zuständigen Behörden getragenen Kosten in Bezug auf die Ausgaben gemäß Anhang VI (Buchst. a); sie können auf der Grundlage der von den zuständigen Behörden während eines bestimmten Zeitraums getragenen Kosten als Pauschale festgesetzt werden oder gegebenenfalls den in Anhang IV Abschnitt B bzw. Anhang V Abschnitt B festgelegten (Mindest-)Beträgen entsprechen (Buchst. b). Nach Anhang VI sind bei der Berechnung der Gebühren zu berücksichtigen: 1. Löhne und Gehälter des für die amtlichen Kontrollen eingesetzten Personals, 2. Kosten für das für die amtlichen Kontrollen eingesetzte Personal, einschließlich der Kosten für Anlagen, Hilfsmittel, Ausrüstung und Schulung sowie der Reise- und Nebenkosten und 3. Kosten für Probenahme und Laboruntersuchung.
In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass zu den berücksichtigungsfähigen Kosten im Sinne von Art. 27 Abs. 4 i.V.m. Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 auch allgemeine Verwaltungspersonal- und -sachkosten gehören, wenn und soweit sie der zuständigen Behörde im Zusammenhang mit der Durchführung der amtlichen Kontrollen entstehen (Urteil vom 26. April 2012 - BVerwG 3 C 20.11 - Buchholz 418.5 Fleischbeschau Nr. 31). Anhang VI knüpft an den Kostenmaßstab des Art. 5 Abs. 1 RL 85/73/EWG an. Es ist nicht ersichtlich, dass der Verordnungsgeber von den bisherigen Grundsätzen abweichen wollte und nur noch solche Kosten umlagefähig sein sollten, die für das bei den amtlichen Kontrollen eingesetzte Untersuchungspersonal (Tierärzte und Fachassistenten) anfallen. Gegen diese Auslegung spricht namentlich, dass Ausgaben für verwaltungsmäßige Aufgaben ansatzfähig wären, wenn die Verwaltungstätigkeit vom Untersuchungspersonal selbst wahrgenommen würde, während diese Kosten unberücksichtigt bleiben müssten, wenn dafür Verwaltungspersonal eingesetzt würde. Es liegt auf der Hand, dass ein solches Ergebnis widersinnig ist und das Ziel der Verordnung konterkariert, zur Gewährleistung effektiver Kontrollen eine kostendeckende Finanzierung sicherzustellen. Der Ansatz allgemeiner Verwaltungskosten steht auch weder im Widerspruch zum Wortlaut des Anhangs VI VO (EG) Nr. 882/2004 noch dazu, dass Art und Umfang der amtlichen Kontrollen nach Art. 3 Abs. 1 und Art. 27 Abs. 5 Buchst. a VO (EG) Nr. 882/2004, Art. 4 Abs. 9 und Art. 5 Nr. 5 Buchst. b VO (EG) Nr. 854/2004 von einer behördlichen Risikobewertung des betroffenen Unternehmens abhängen (vgl. im Einzelnen Urteil vom 26. April 2012 a.a.O. Rn. 18 ff.).
Die Urteilskritik der Klägerin (unter Hinweis auf Zeitzmann/Gräsel, LMuR 2012, 220 und LMuR 2013, 41) gibt keine Veranlassung zu einer Änderung der Senatsrechtsprechung. Sie vermag insbesondere nicht zu entkräften, dass der Zweck der Gebührenerhebung, wie gezeigt, klar für eine Berücksichtigungsfähigkeit allgemeiner Verwaltungspersonal- und -sachkosten streitet. Nicht überzeugend sind auch die Schlussfolgerungen, die die Klägerin aus dem Vergleich des Personalbegriffs in Anhang VI mit Begrifflichkeiten in anderen Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 ("Personal der zuständigen Behörde"; "Kontrollpersonal"; "Personal für die Durchführung amtlicher Kontrollen") ziehen will. Hätte der Verordnungsgeber bezweckt, das Verwaltungspersonal aus dem Kostenmaßstab in Anhang VI auszuklammern, hätte es nahegelegen, dies durch eine entsprechende Formulierung klar zu stellen. Im Übrigen spricht der Umstand, dass mit dem Begriff der amtlichen Kontrolle nach Art. 2 Satz 2 Nr. 1 VO (EG) Nr. 882/2004 alle Tätigkeiten gemeint sind, die im Zusammenhang mit den Kontrollaufgaben anfallen (vgl. Art. 6 Buchst. a und Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Anhang II Kap. I und Kap. II, Art. 9, Art. 10 VO <EG> Nr. 882/2004), gerade für eine weite Auslegung des Personalbegriffs in Anhang VI. Schließlich besteht auch nicht die von der Klägerin besorgte Gefahr einer willkürlichen Gebührenbemessung. Die Behörde darf allgemeine Verwaltungspersonal- und -sachausgaben nur insoweit berücksichtigen, als sie durch die amtlichen Kontrollen anteilig entstehen, das heißt ihnen zugerechnet werden können. Ob die behördliche Gebührenberechnung (Kalkulation) dem entspricht, ist eine Frage des Einzelfalls und im Streitfall von den Tatsachengerichten zu überprüfen. Dabei obliegt es der Behörde, die in die Berechnung eingestellten Kostenpositionen nach Art und Höhe plausibel zu machen.
Der von der Klägerin angeregten Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs nach Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) bedarf es nicht. An der Umlagefähigkeit allgemeiner Verwaltungskosten bestehen - wie gezeigt - keine vernünftigen Zweifel ("acte clair", EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs. C-283/81, Cilfit u.a. - Slg. 1982, 3415 Rn. 16; BVerwG, Urteil vom 26. April 2012 a.a.O. Rn. 32).
c) Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, der Beklagte dürfe die Gebühren auf der Grundlage einer Vorauskalkulation der zu deckenden Kosten erheben, ist aus Sicht des Unionsrechts ebenfalls nicht zu beanstanden.
In Bezug auf die Gebühr nach Anhang A Kap. I Nr. 4 RL 85/73/EWG i.d.F. der Richtlinie 96/43/EG vom 26. Juni 1996 (ABl Nr. L 162 S. 1) hat der Senat bereits wiederholt entschieden, dass deren Höhe auf der Basis im Vorhinein kalkulierter Kosten ermittelt werden durfte und es nicht etwa einer nachträglichen Kostenabrechnung jedes Einzelfalls bedurfte (Beschlüsse vom 21. Dezember 2010 - BVerwG 3 B 64.10 - juris Rn. 4 und vom 31. August 2012 - BVerwG 3 B 26.12 - juris Rn. 5; Urteil vom 20. Dezember 2007 - BVerwG 3 C 50.06 - Buchholz 418.5 Fleischbeschau Nr. 27 Rn. 28). Das wird bestätigt durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der sich keine Anhaltspunkte für eine Unzulässigkeit der Gebührenvorauskalkulation entnehmen lassen (vgl. z.B. Urteile vom 19. März 2009 - Rs. C-270/07 und Rs. C-309/07 - Slg. 2009, I-1983 und I-2077 und vom 9. September 1999 - Rs. C-374/97 - Slg. 1999, I-5153, jeweils zur Richtlinie 85/73/EWG; Urteil vom 7. Juli 2011 - Rs. C-523/09 - LMuR 2011, 100 - zu Art. 27 VO <EG> Nr. 882/2004).
Für die Gebührenerhebung nach Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 882/2004 kann nichts Anderes gelten. Wie die Vorgängerregelung der Richtlinie 85/73/EWG schließt Art. 27 VO (EG) Nr. 882/2004 eine Festsetzung von Gebührensätzen, die auf einer Kalkulation "ex ante" beruht, nicht aus. Das Unionsrecht macht den Mitgliedstaaten in dieser Hinsicht keine Vorgaben. Soweit Art. 27 Abs. 4 Buchst. b bestimmt, dass die Gebühren "auf der Grundlage der von den zuständigen Behörden während eines bestimmten Zeitraums getragenen Kosten" festgesetzt werden können, lässt sich daraus kein Verbot der Vorauskalkulation der Gebühren ableiten. Die Formulierung knüpft an den Grundsatz der Kostendeckung an (Art. 27 Abs. 1 und Erwägungsgrund 32 VO <EG> Nr. 882/2004) und besagt nicht mehr, als dass sich die Gebühr an den Kosten auszurichten hat und es deshalb sachgerecht ist, die Gebühren für den zukünftigen Erhebungszeitraum anhand der feststehenden Kosten der abgeschlossenen Erhebungsperiode zu kalkulieren. Dem Kostendeckungsgrundsatz entspricht des Weiteren, absehbare Kostensteigerungen oder -senkungen bei der Kalkulation zu berücksichtigen. Diesen Maßgaben wird die Gebührenkalkulation des Beklagten nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts gerecht (Urteilsabdruck, S. 10 unten sowie S. 23).
Ist die unionsrechtliche Zulässigkeit der Gebührenvorauskalkulation hiernach nicht zweifelhaft, ist eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nicht erforderlich. Dasselbe gilt für die von der Klägerin aufgeworfene Frage zu dem Zeitraum, auf den Art. 27 Abs. 4 Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 abstellt. Es ist offenkundig, dass die Zeitspanne von zwölf Monaten, die der Beklagte seiner Kalkulation zugrunde gelegt hat, unionsrechtskonform ist. Der Verordnungsgeber lässt den Mitgliedstaaten auch bei der Bestimmung der geeigneten Kalkulationsperiode zur Ermittlung der anfallenden Kosten freie Hand. Die Klägerin zeigt nicht ansatzweise auf, dass der Zeitraum eines Kalenderjahres sachwidrig und deshalb von Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 882/2004 nicht mehr gedeckt sein könnte.
d) Schließlich ist der angefochtene Gebührenbescheid nicht deshalb rechtswidrig, weil die Bundesrepublik Deutschland gegen die Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten nach Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 verstoßen hat.
Gemäß Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 veröffentlichen die Mitgliedstaaten die Methode für die Berechnung der Gebühren und geben sie der Kommission bekannt (Satz 1). Die Kommission prüft, ob die Gebühren den Anforderungen der Verordnung entsprechen (Satz 2). Das Oberverwaltungsgericht hat Bedenken, ob die Bundesrepublik Deutschland der Veröffentlichungs- und Notifikationspflicht hinreichend nachgekommen ist. Es meint, die Publikation der Gebührensatzung ohne die zugrunde liegende Gebührenkalkulation genüge nicht, weil sich anhand der Satzung nicht beurteilen lasse, ob die Vorgaben des Art. 27 Abs. 4 i.V.m. Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 eingehalten seien. Ebenso wenig ließen sich dem Schreiben des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vom 4. April 2008, mit dem der Kommission das Ergebnis einer Länderabfrage zur Methode der Gebührenberechnung übermittelt worden sei, die erforderlichen Informationen entnehmen; die Aussagen zur Gebührenerhebung in Nordrhein-Westfalen seien sehr allgemein. Allerdings verlangt Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 nicht die Bekanntgabe der konkreten Berechnungsgrundlagen, sondern beschränkt sich auf die Mitteilung der Berechnungsmethode. Zudem dürfte es einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten, eine Vielzahl einzelner Gebührenkalkulationen zur Überprüfung zu stellen. Auch wäre zu erwarten gewesen, dass die Kommission das Notifizierungsschreiben vom 4. April 2008 als ungenügend beanstandet, wenn sie die Angaben als nicht ausreichend beurteilt hätte.
Die Frage nach den Anforderungen an die Veröffentlichungs- und Mitteilungspflicht bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung. Selbst wenn von einem Verstoß gegen Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 auszugehen sein sollte, führt das nicht zur Rechtswidrigkeit der angegriffenen Gebührenerhebung. Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 betrifft ausschließlich das Rechtsverhältnis zwischen Mitgliedstaat und Kommission und begründet keine Rechte des einzelnen Gebührenschuldners. Das zeigt schon der Vergleich mit Art. 27 Abs. 6 VO (EG) Nr. 882/2004. Darin wird für die Zulässigkeit von niedrigeren Gebühren als den nach Anhang IV Abschnitt B und Anhang V Abschnitt B festgesetzten Mindestbeträgen ausdrücklich vorausgesetzt, dass der Mitgliedstaat der Kommission einen Bericht übermittelt, der über die Methode für die Berechnung der reduzierten Gebühr Auskunft gibt. Vergleichbares sieht Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 882/2004 nicht vor.
Die Folgenlosigkeit eines Verstoßes gegen Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 für die Rechtmäßigkeit des Gebührenbescheides ergibt sich darüber hinaus aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Verletzung von Notifizierungspflichten. Die Nichteinhaltung einer den Mitgliedstaaten obliegenden Verpflichtung zur Unterrichtung der Kommission führt nur dann zur Rechtswidrigkeit oder Ungültigkeit einer nationalen Maßnahme, wenn der in Rede stehenden unionsrechtlichen Vorschrift diese Rechtsfolge zu entnehmen ist. Das setzt voraus, dass die Wirksamkeit der innerstaatlichen Regelung vom Einverständnis oder dem fehlenden Widerspruch der Kommission abhängig gemacht wird (EuGH, Urteil vom 21. Juli 2011 - Rs. C-2/10, Azienda Agro-Zootecnica Franchini u.a. - Rn. 53 sowie Schlussanträge des Generalanwalts vom 14. April 2011 Rn. 38; Urteil vom 30. April 1996 - Rs. C-194/94, CIA Security International - Slg. 1996, I-2201 Rn. 49 f.). Hingegen zieht die Verletzung der Notifizierungspflicht nicht die Rechtswidrigkeit der nationalen Maßnahme nach sich, wenn die Mitteilungspflicht allein den Zweck hat, die Kommission zu informieren und ihr die Prüfung zu ermöglichen, ob das Unionsrecht eingehalten wird (EuGH, Urteile vom 13. Juli 1989 - Rs. C-380/87, Enichem Base u.a. - Slg. 1989, I-2491 Rn. 19 ff., vom 23. Mai 2000 - Rs. C-209/98, Sydhavnens Sten & Grus - Slg. 2000, I-3743 Rn. 96 ff. und vom 6. Juni 2002 - Rs. C-159/00, Sapod Audic - Slg. 2002, I-5031 Rn. 58 ff.). So liegt der Fall hier. Wie Art. 27 Abs. 12 Satz 2 VO (EG) Nr. 882/2004 deutlich macht, dient die Mitteilungspflicht nach Satz 1 allein dazu, dass die Kommission die nationalen Gebühren auf ihre Vereinbarkeit mit den Anforderungen der Verordnung überprüfen kann. Die Gebührenerhebung ist nicht an das Einverständnis oder den fehlenden Widerspruch der Kommission geknüpft.
Der von der Klägerin angeregten Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs bedarf es nicht. Die Voraussetzungen, unter denen die Verletzung einer Notifizierungspflicht die Rechtswidrigkeit einer nationalen Maßnahme zur Folge hat, sind in der Rechtsprechung des Gerichtshofs - wie gezeigt - geklärt. Es ist auch nicht zweifelhaft, dass Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 dem einzelnen Gebührenschuldner kein Recht verleiht, auf das er sich vor den nationalen Gerichten berufen könnte, um die Rechtswidrigkeit der Gebührenerhebung geltend zu machen.
2. Die Verfahrensrüge greift nicht durch. Das angegriffene Urteil leidet weder an dem geltend gemachten Begründungsmangel noch liegt ein Gehörsverstoß vor. Bereits das Verwaltungsgericht hat sich mit dem Einwand der Klägerin auseinander gesetzt, es sei zu prüfen, ob in ihrem Fall betriebsbezogene Sondertatbestände nach Art. 27 Abs. 5 VO (EG) Nr. 882/2004 vorlägen. Es hat dazu ausgeführt, die Klägerin habe nicht dargelegt, dass die Gebührensatzung des Beklagten die in Art. 27 Abs. 5 VO (EG) Nr. 882/2004 genannten Aspekte nicht berücksichtige. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ihr Vorbringen nicht konkretisiert. Ebenso wenig ist sie in der mündlichen Verhandlung auf die Einwendung zurückgekommen (vgl. Sitzungsprotokoll vom 16. November 2011, Bl. 151 ff. der Gerichtsakte). Für das Oberverwaltungsgericht hat daher keine Veranlassung bestanden, auf diesen Gesichtspunkt weiter einzugehen. Eine ausdrückliche Befassung musste sich auch sonst nicht aufdrängen; denn die vom Verwaltungsgericht angenommene Vereinbarkeit der Gebührensatzung mit Art. 27 Abs. 5 VO (EG) Nr. 882/2004 unterliegt keinen rechtlichen Bedenken. Der Satzungsgeber hat in den Blick genommen, dass die Gebührensätze unter Berücksichtigung der Kriterien nach Art. 27 Abs. 5 VO (EG) Nr. 882/2004 zu erheben sind (vgl. § 1 Abs. 1 Unterabs. 1 der Gebührensatzung). Den in Art. 27 Abs. 5 Buchst. a und Buchst. b genannten betriebsbezogenen Aspekten hat er Rechnung getragen, indem bei den Gebührensätzen nach Kleinbetrieben, Großbetrieben und öffentlichen Schlachthöfen sowie nach Schlachtzahlstaffeln differenziert wird.
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http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-WBRE410019698&psml=bsjrsprod.psml&max=true
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019699
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BVerwG
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3. Senat
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20130425
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3 C 3/12
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Urteil
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 16. November 2011, Az: 17 A 578/09, Urteil
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DEU
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Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung von Gebühren für fleischhygienerechtliche Kontrollen.
Sie unterhält einen gewerblichen Schlachtbetrieb im Landkreis G. Mit Bescheiden vom 13. Februar 2007, 12. März 2007, 17. April 2007, 15. Mai 2007, 18. Juni 2007, 30. Juni 2007, 16. August 2007, 13. September 2007 und 11. Oktober 2007 setzte der Beklagte für im Zeitraum Januar bis September 2007 vorgenommene Fleischuntersuchungen Gebühren in Höhe von insgesamt 295 174,92 € fest. Zur Begründung stützte er sich auf die Satzung des Kreises G. vom 20. November 2006 über die Erhebung von Gebühren für Amtshandlungen auf dem Gebiet der Fleischhygiene (im Folgenden: Gebührensatzung). Die hiergegen gerichteten Widersprüche wies das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen mit Widerspruchsbescheid vom 19. März 2008 zurück.
Mit der Klage hat die Klägerin die Gebührenbescheide angefochten, soweit die festgesetzten Gebühren über (insgesamt) 191 223,25 € hinausgehen, und Erstattung der entsprechenden Gebührenzahlung (103 951,67 €) nebst Zinsen begehrt. Sie hat geltend gemacht, die Gebührensatzung sei wegen Verstoßes gegen Art. 27 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 unanwendbar. Die Kostenkalkulation des Beklagten sei fehlerhaft. Er habe zu Unrecht allgemeine Verwaltungskosten berücksichtigt; denn nach Art. 27 Abs. 4 i.V.m. Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 seien nur solche Kosten umlagefähig, die unmittelbar durch die amtlichen Kontrollen verursacht würden. Des Weiteren sei entgegen Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 die Methode für die Berechnung der Gebühren weder veröffentlicht noch der Europäischen Kommission bekanntgegeben worden. Mangels Anwendbarkeit der Gebührensatzung könne der Beklagte allein die in Anhang IV Abschnitt B Kap. I VO (EG) Nr. 882/2004 bestimmten Mindestgebühren, also 191 223,25 € verlangen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. Januar 2009 abgewiesen. Die angefochtenen Gebührenbescheide seien rechtmäßig. Sie fänden ihre Rechtsgrundlage in § 5 der Gebührensatzung i.d.F. der 1. Änderungssatzung. Die Berücksichtigung allgemeiner Verwaltungskosten bei der Gebührenbemessung sei nicht zu beanstanden. Der Kostenbegriff in Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 sei weit zu verstehen. Die Vorschriften über die Finanzierung amtlicher Kontrollen in Art. 26 ff. VO (EG) Nr. 882/2004 bezweckten, durch die Erhebung kostendeckender Gebühren ausreichende Finanzmittel für die Durchführung der amtlichen Kontrollen bereit zu stellen. Dementsprechend seien für die Gebührenbemessung sämtliche Kosten zu berücksichtigen, die durch die amtlichen Untersuchungen anfielen. Es sei auch nicht fehlerhaft, dass die festgelegten Gebührensätze auf einer Prognose der im Erhebungszeitraum anfallenden Kosten beruhten. Art. 27 Abs. 4 Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 verbiete nicht, die Gebühren auf der Grundlage einer Vorauskalkulation festzusetzen. Schließlich könne sich die Klägerin nicht auf eine Verletzung der Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten nach Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 berufen. Der Verordnungsgeber habe die Einhaltung dieser mitgliedstaatlichen Obliegenheiten nicht zur Voraussetzung für die Gebührenerhebung gemacht.
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ihr Vorbringen vertieft und ergänzt. Das mit der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 verfolgte Ziel transparenter und einheitlicher Kriterien für die Gebührenbemessung spreche für eine enge Auslegung des Anhangs VI der Verordnung und für den Ausschluss von mittelbaren Personalkosten und Allgemeinkosten. Darauf lasse auch der Wortlaut der Bestimmung schließen, der anders als noch die Vorgängerregelung in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 85/73/EWG den Begriff der Verwaltungskosten nicht mehr verwende. Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 entfalte nicht nur Rechtswirkungen im Verhältnis von Mitgliedstaat und Kommission, sondern schütze auch den einzelnen Gebührenschuldner. Es sei zudem zweifelhaft, ob die Gebührensatzung des Beklagten hinreichend bestimmt sei. Für den Gebührenschuldner sei nicht erkennbar, ob die Gebühren nach Art. 27 Abs. 4 Buchst. a oder Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 erhoben würden.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 16. November 2011 zurückgewiesen. Der Beklagte habe die Kosten für die amtlichen Fleischuntersuchungen im Jahr 2007 auf der Basis der im Zeitraum September 2005 bis August 2006 angefallenen Ausgaben prognostisch ermittelt und die Gebühren in pauschalierter Form festgesetzt. Das stehe in Einklang mit Art. 27 Abs. 4 Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004, wonach die Behörde die Gebühr auf der Grundlage der von ihr während eines bestimmten Zeitraums getragenen Kosten als Pauschale erheben dürfe. Eine erst im Nachhinein vorzunehmende Abrechnung verlange Art. 27 VO (EG) Nr. 882/2004 nicht. Nur über eine Vorauskalkulation lasse sich das Ziel der Kostendeckung erreichen. Zudem verfügten die Mitgliedstaaten über einen weiten methodischen Gestaltungsspielraum. Zu Recht sei das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Berücksichtigung allgemeiner Verwaltungspersonal- und -sachkosten von Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 gedeckt sei. Die Verordnung habe zum Ziel, effektive amtliche Kontrollen zu gewährleisten und dazu durch Erhebung kostendeckender Gebühren oder Kostenbeiträge angemessene finanzielle Mittel bereit zu stellen. Das lege nahe, dass der Personalbegriff in Anhang VI nicht nur die unmittelbar mit den Kontrollen befassten Tierärzte und Fachassistenten meine, sondern auch die Bediensteten, die für die verwaltungsmäßige Erfassung und Umsetzung der Kontrollen zuständig seien. Soweit der Verordnungsgeber die frühere Unterscheidung in Untersuchungs- und Verwaltungspersonal sowie Untersuchungs- und Verwaltungskosten zugunsten der Oberbegriffe "Personal" und "Ausgaben" (Löhne, Gehälter und Kosten) aufgegeben habe, habe er damit nicht von den bisherigen Grundsätzen abrücken wollen. Schließlich könne die Klägerin die geltend gemachte Rechtswidrigkeit der Gebührenerhebung auch nicht auf Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 stützen. Zwar sei zweifelhaft, ob die Bundesrepublik Deutschland ihrer Pflicht zur Veröffentlichung der Berechnungsmethode und zur Mitteilung an die Kommission hinreichend nachgekommen sei. Jedoch handele es sich um rein bipolar gestaltete Rechtsverpflichtungen der Mitgliedstaaten gegenüber der Kommission, die allein der Vollzugskontrolle und nicht dem Schutz des einzelnen Gebührenschuldners dienten. Das werde bestätigt durch den Vergleich mit der abweichend geregelten Berichtspflicht in Art. 27 Abs. 6 VO (EG) Nr. 882/2004.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Der Streitfall werfe mehrere Fragen zur Auslegung von Art. 27 VO (EG) Nr. 882/2004 auf, die eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof erforderten. Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, Art. 27 Abs. 4 i.V.m. Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 umfasse auch Verwaltungspersonal- und -sachkosten, gehe am Wortlaut der Norm vorbei und sei daher eine Auslegung "contra legem". Der Verordnungsgeber bezwecke offensichtlich eine enge Kausalität zwischen den umlagefähigen Kosten und den durchzuführenden amtlichen Kontrollen. Der Kostenmaßstab des Anhangs VI solle zu einer unmittelbaren Begrenzung der Gebührenhöhe im Sinne eines Realkostengebots führen. Das Normverständnis des Berufungsgerichts stehe zudem in Widerspruch zu dem risikobezogenen Ansatz im europäischen Lebensmittelrecht. Hiernach solle ein Unternehmer, der Gefahren für die Lebensmittelhygiene durch betriebliche Maßnahmen reduziere und sich also risikominimierend verhalte, durch einen geringeren Kontrollaufwand und eine niedrigere Gebührenlast belohnt werden. Allgemeine Verwaltungskosten fielen jedoch unabhängig vom jeweiligen Betriebsrisiko an. Das Berufungsurteil überzeuge auch nicht, soweit es eine Vorauskalkulation der Gebühren für zulässig erachte. Der Wortlaut des Art. 27 Abs. 4 Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 spreche für eine Ermittlung der Kosten "ex post". Das werde bestätigt durch das Realkostengebot in Art. 27 Abs. 4 Buchst. a VO (EG) Nr. 882/2004; denn die Einhaltung der dort vorgegebenen Gebührenobergrenze könne nur sinnvoll umgesetzt werden, wenn die tatsächliche Kostenhöhe feststehe. Durch den Europäischen Gerichtshof sei ferner zu beantworten, wie der Begriff des "bestimmten Zeitraums" in Art. 27 Abs. 4 Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 zu verstehen sei. Schließlich habe das Oberverwaltungsgericht Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 fehlerhaft ausgelegt. Es habe sich nicht damit auseinander gesetzt, dass die Notifizierungspflicht des Mitgliedstaates erkennbar im Zusammenhang mit der Prüfungspflicht der Kommission nach Art. 27 Abs. 12 Satz 2 VO (EG) Nr. 882/2004 stehe, die ihrerseits drittschützend zugunsten der Gebührenschuldner wirke. Außerdem werde gerügt, dass das Berufungsgericht nicht auf Art. 27 Abs. 5 VO (EG) Nr. 882/2004 eingegangen sei, obwohl die Klägerin geltend gemacht habe, dass in Bezug auf ihren Betrieb Art. 27 Abs. 5 Buchst. a und Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 einschlägig sein könnten. Insoweit liege auch ein Begründungsmangel vor.
Der Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hält das angefochtene Urteil in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz für unionsrechtskonform. Das Ministerium habe mitgeteilt, dass die Kommission im Verlauf der Beratungen zur Verordnung (EG) Nr. 882/2004 im Rat keinen Zweifel daran gelassen habe, die Gebührenregelungen der Richtlinie 85/73/EWG lediglich in einen neuen Rechtsakt überführen zu wollen. Das gelte auch für die Kriterien des Art. 5 Abs. 1 RL 85/73/EWG i.d.F. der Richtlinie 96/43/EG, die in Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 beibehalten werden sollten.
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Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Berufungsurteil beruht nicht auf einer Verletzung von Unionsrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die angefochtene Gebührenerhebung mit der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 vereinbar ist (1.). Die Verfahrensrüge bleibt ohne Erfolg (2.).
1. Nach der für den Senat bindenden Auslegung des Landesrechts durch die Vorinstanz (§ 137 Abs. 1 VwGO, § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO) finden die angegriffenen Gebührenbescheide ihre Rechtsgrundlage in § 5 Abs. 1 Satz 1 der Gebührensatzung des Beklagten. Hiernach wird für Amtshandlungen im Zusammenhang mit der Fleischuntersuchung in öffentlichen Schlachthöfen je Rind, Schwein/Wildschwein, Schaf, Ziege, Wildwiederkäuer und Einhufer die Gebühr erhoben, die sich aus den anliegenden Tabellen (Blätter 1 bis 6) ergibt. Das Oberverwaltungsgericht hat das Landesrecht ohne Verstoß gegen Unionsrecht - eine Verletzung von Bundesrecht ist weder geltend gemacht noch sonst erkennbar - ausgelegt und angewendet.
a) Einschlägig ist die Verordnung (EG) Nr. 882/2004 vom 29. April 2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz (ABl Nr. L 165 S. 1, ber. ABl Nr. L 191 S. 1) i.d.F. der Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 vom 20. November 2006 (ABl Nr. L 363 S. 1). Art. 26 ff. der Verordnung regeln die Finanzierung der amtlichen Kontrollen. Zu den Kontrollen im Sinne der Verordnung gehören unter anderem Fleischhygieneuntersuchungen in Schlachtbetrieben (vgl. Art. 2 Satz 2 Nr. 1, Anhang IV Abschnitt A Nr. 1 VO <EG> Nr. 882/2004 i.V.m. Art. 1 und Anhang A Kap. I RL 85/73/EWG; Art. 5 der Verordnung <EG> Nr. 854/2004 vom 29. April 2004 mit besonderen Verfahrensvorschriften für die amtliche Überwachung von zum menschlichen Verzehr bestimmten Erzeugnissen tierischen Ursprungs, ABl Nr. L 139 S. 206). Art. 26 ff. VO (EG) Nr. 882/2004 ersetzen die Richtlinie 85/73/EWG vom 29. Januar 1985 über die Finanzierung der veterinär- und hygienerechtlichen Kontrollen nach den Richtlinien 89/662/EWG, 90/425/EWG, 90/675/EWG und 91/496/EWG (ABl Nr. L 32 S. 14, zuletzt geändert durch die Richtlinie 97/79/EG vom 18. Dezember 1997, ABl Nr. L 24 S. 31), die mit Wirkung vom 1. Januar 2008 aufgehoben wurde (Art. 61 Abs. 1 Satz 2 VO <EG> Nr. 882/2004). Sie gilt ab dem 1. Januar 2006 mit Ausnahme der Art. 27 und 28, die ab dem 1. Januar 2007 anwendbar sind (Art. 67 VO <EG> Nr. 882/2004). Danach unterliegt die Gebührenerhebung für die im Zeitraum Januar bis September 2007 im Betrieb der Klägerin durchgeführten amtlichen Kontrollen dem sachlichen und zeitlichen Anwendungsbereich des Art. 27 VO (EG) Nr. 882/2004.
b) In Übereinstimmung mit Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 882/2004 ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Beklagte in die der Gebührensatzung zugrundeliegende Kalkulation allgemeine Verwaltungspersonal- und -sachkosten einstellen durfte.
Art. 27 Abs. 2 VO (EG) Nr. 882/2004 verpflichtet die Mitgliedstaaten, Gebühren zur Deckung der Kosten zu erheben, die durch amtliche fleischhygienerechtliche Kontrollen entstehen. Gemäß Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 882/2004 dürfen die Gebühren nicht höher sein als die von den zuständigen Behörden getragenen Kosten in Bezug auf die Ausgaben gemäß Anhang VI (Buchst. a); sie können auf der Grundlage der von den zuständigen Behörden während eines bestimmten Zeitraums getragenen Kosten als Pauschale festgesetzt werden oder gegebenenfalls den in Anhang IV Abschnitt B bzw. Anhang V Abschnitt B festgelegten (Mindest-)Beträgen entsprechen (Buchst. b). Nach Anhang VI sind bei der Berechnung der Gebühren zu berücksichtigen: 1. Löhne und Gehälter des für die amtlichen Kontrollen eingesetzten Personals, 2. Kosten für das für die amtlichen Kontrollen eingesetzte Personal, einschließlich der Kosten für Anlagen, Hilfsmittel, Ausrüstung und Schulung sowie der Reise- und Nebenkosten und 3. Kosten für Probenahme und Laboruntersuchung.
In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass zu den berücksichtigungsfähigen Kosten im Sinne von Art. 27 Abs. 4 i.V.m. Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 auch allgemeine Verwaltungspersonal- und -sachkosten gehören, wenn und soweit sie der zuständigen Behörde im Zusammenhang mit der Durchführung der amtlichen Kontrollen entstehen (Urteil vom 26. April 2012 - BVerwG 3 C 20.11 - Buchholz 418.5 Fleischbeschau Nr. 31). Anhang VI knüpft an den Kostenmaßstab des Art. 5 Abs. 1 RL 85/73/EWG an. Es ist nicht ersichtlich, dass der Verordnungsgeber von den bisherigen Grundsätzen abweichen wollte und nur noch solche Kosten umlagefähig sein sollten, die für das bei den amtlichen Kontrollen eingesetzte Untersuchungspersonal (Tierärzte und Fachassistenten) anfallen. Gegen diese Auslegung spricht namentlich, dass Ausgaben für verwaltungsmäßige Aufgaben ansatzfähig wären, wenn die Verwaltungstätigkeit vom Untersuchungspersonal selbst wahrgenommen würde, während diese Kosten unberücksichtigt bleiben müssten, wenn dafür Verwaltungspersonal eingesetzt würde. Es liegt auf der Hand, dass ein solches Ergebnis widersinnig ist und das Ziel der Verordnung konterkariert, zur Gewährleistung effektiver Kontrollen eine kostendeckende Finanzierung sicherzustellen. Der Ansatz allgemeiner Verwaltungskosten steht auch weder im Widerspruch zum Wortlaut des Anhangs VI VO (EG) Nr. 882/2004 noch dazu, dass Art und Umfang der amtlichen Kontrollen nach Art. 3 Abs. 1 und Art. 27 Abs. 5 Buchst. a VO (EG) Nr. 882/2004, Art. 4 Abs. 9 und Art. 5 Nr. 5 Buchst. b VO (EG) Nr. 854/2004 von einer behördlichen Risikobewertung des betroffenen Unternehmens abhängen (vgl. im Einzelnen Urteil vom 26. April 2012 a.a.O. Rn. 18 ff.).
Die Urteilskritik der Klägerin (unter Hinweis auf Zeitzmann/Gräsel, LMuR 2012, 220 und LMuR 2013, 41) gibt keine Veranlassung zu einer Änderung der Senatsrechtsprechung. Sie vermag insbesondere nicht zu entkräften, dass der Zweck der Gebührenerhebung, wie gezeigt, klar für eine Berücksichtigungsfähigkeit allgemeiner Verwaltungspersonal- und -sachkosten streitet. Nicht überzeugend sind auch die Schlussfolgerungen, die die Klägerin aus dem Vergleich des Personalbegriffs in Anhang VI mit Begrifflichkeiten in anderen Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 ("Personal der zuständigen Behörde"; "Kontrollpersonal"; "Personal für die Durchführung amtlicher Kontrollen") ziehen will. Hätte der Verordnungsgeber bezweckt, das Verwaltungspersonal aus dem Kostenmaßstab in Anhang VI auszuklammern, hätte es nahegelegen, dies durch eine entsprechende Formulierung klar zu stellen. Im Übrigen spricht der Umstand, dass mit dem Begriff der amtlichen Kontrolle nach Art. 2 Satz 2 Nr. 1 VO (EG) Nr. 882/2004 alle Tätigkeiten gemeint sind, die im Zusammenhang mit den Kontrollaufgaben anfallen (vgl. Art. 6 Buchst. a und Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Anhang II Kap. I und Kap. II, Art. 9, Art. 10 VO <EG> Nr. 882/2004), gerade für eine weite Auslegung des Personalbegriffs in Anhang VI. Schließlich besteht auch nicht die von der Klägerin besorgte Gefahr einer willkürlichen Gebührenbemessung. Die Behörde darf allgemeine Verwaltungspersonal- und -sachausgaben nur insoweit berücksichtigen, als sie durch die amtlichen Kontrollen anteilig entstehen, das heißt ihnen zugerechnet werden können. Ob die behördliche Gebührenberechnung (Kalkulation) dem entspricht, ist eine Frage des Einzelfalls und im Streitfall von den Tatsachengerichten zu überprüfen. Dabei obliegt es der Behörde, die in die Berechnung eingestellten Kostenpositionen nach Art und Höhe plausibel zu machen.
Der von der Klägerin angeregten Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs nach Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) bedarf es nicht. An der Umlagefähigkeit allgemeiner Verwaltungskosten bestehen - wie gezeigt - keine vernünftigen Zweifel ("acte clair", EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs. C-283/81, Cilfit u.a. - Slg. 1982, 3415 Rn. 16; BVerwG, Urteil vom 26. April 2012 a.a.O. Rn. 32).
c) Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, der Beklagte dürfe die Gebühren auf der Grundlage einer Vorauskalkulation der zu deckenden Kosten erheben, ist aus Sicht des Unionsrechts ebenfalls nicht zu beanstanden.
In Bezug auf die Gebühr nach Anhang A Kap. I Nr. 4 RL 85/73/EWG i.d.F. der Richtlinie 96/43/EG vom 26. Juni 1996 (ABl Nr. L 162 S. 1) hat der Senat bereits wiederholt entschieden, dass deren Höhe auf der Basis im Vorhinein kalkulierter Kosten ermittelt werden durfte und es nicht etwa einer nachträglichen Kostenabrechnung jedes Einzelfalls bedurfte (Beschlüsse vom 21. Dezember 2010 - BVerwG 3 B 64.10 - juris Rn. 4 und vom 31. August 2012 - BVerwG 3 B 26.12 - juris Rn. 5; Urteil vom 20. Dezember 2007 - BVerwG 3 C 50.06 - Buchholz 418.5 Fleischbeschau Nr. 27 Rn. 28). Das wird bestätigt durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der sich keine Anhaltspunkte für eine Unzulässigkeit der Gebührenvorauskalkulation entnehmen lassen (vgl. z.B. Urteile vom 19. März 2009 - Rs. C-270/07 und Rs. C-309/07 - Slg. 2009, I-1983 und I-2077 und vom 9. September 1999 - Rs. C-374/97 - Slg. 1999, I-5153, jeweils zur Richtlinie 85/73/EWG; Urteil vom 7. Juli 2011 - Rs. C-523/09 - LMuR 2011, 100 - zu Art. 27 VO <EG> Nr. 882/2004).
Für die Gebührenerhebung nach Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 882/2004 kann nichts Anderes gelten. Wie die Vorgängerregelung der Richtlinie 85/73/EWG schließt Art. 27 VO (EG) Nr. 882/2004 eine Festsetzung von Gebührensätzen, die auf einer Kalkulation "ex ante" beruht, nicht aus. Das Unionsrecht macht den Mitgliedstaaten in dieser Hinsicht keine Vorgaben. Soweit Art. 27 Abs. 4 Buchst. b bestimmt, dass die Gebühren "auf der Grundlage der von den zuständigen Behörden während eines bestimmten Zeitraums getragenen Kosten" festgesetzt werden können, lässt sich daraus kein Verbot der Vorauskalkulation der Gebühren ableiten. Die Formulierung knüpft an den Grundsatz der Kostendeckung an (Art. 27 Abs. 1 und Erwägungsgrund 32 VO <EG> Nr. 882/2004) und besagt nicht mehr, als dass sich die Gebühr an den Kosten auszurichten hat und es deshalb sachgerecht ist, die Gebühren für den zukünftigen Erhebungszeitraum anhand der feststehenden Kosten der abgeschlossenen Erhebungsperiode zu kalkulieren. Dem Kostendeckungsgrundsatz entspricht des Weiteren, absehbare Kostensteigerungen oder -senkungen bei der Kalkulation zu berücksichtigen. Diesen Maßgaben wird die Gebührenkalkulation des Beklagten nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts gerecht (Urteilsabdruck, S. 11/12 unten sowie S. 24).
Ist die unionsrechtliche Zulässigkeit der Gebührenvorauskalkulation hiernach nicht zweifelhaft, ist eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nicht erforderlich. Dasselbe gilt für die von der Klägerin aufgeworfene Frage zu dem Zeitraum, auf den Art. 27 Abs. 4 Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 abstellt. Es ist offenkundig, dass die Zeitspanne von zwölf Monaten, die der Beklagte seiner Kalkulation zugrunde gelegt hat, unionsrechtskonform ist. Der Verordnungsgeber lässt den Mitgliedstaaten auch bei der Bestimmung der geeigneten Kalkulationsperiode zur Ermittlung der anfallenden Kosten freie Hand. Die Klägerin zeigt nicht ansatzweise auf, dass der Zeitraum eines Kalenderjahres sachwidrig und deshalb von Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 882/2004 nicht mehr gedeckt sein könnte.
d) Schließlich sind die angefochtenen Gebührenbescheide nicht deshalb rechtswidrig, weil die Bundesrepublik Deutschland gegen die Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten nach Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 verstoßen hat.
Gemäß Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 veröffentlichen die Mitgliedstaaten die Methode für die Berechnung der Gebühren und geben sie der Kommission bekannt (Satz 1). Die Kommission prüft, ob die Gebühren den Anforderungen der Verordnung entsprechen (Satz 2). Das Oberverwaltungsgericht hat Bedenken, ob die Bundesrepublik Deutschland der Veröffentlichungs- und Notifikationspflicht hinreichend nachgekommen ist. Es meint, die Publikation der Gebührensatzung ohne die zugrunde liegende Gebührenkalkulation genüge nicht, weil sich anhand der Satzung nicht beurteilen lasse, ob die Vorgaben des Art. 27 Abs. 4 i.V.m. Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 eingehalten seien. Ebenso wenig ließen sich dem Schreiben des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vom 4. April 2008, mit dem der Kommission das Ergebnis einer Länderabfrage zur Methode der Gebührenberechnung übermittelt worden sei, die erforderlichen Informationen entnehmen; die Aussagen zur Gebührenerhebung in Nordrhein-Westfalen seien sehr allgemein. Allerdings verlangt Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 nicht die Bekanntgabe der konkreten Berechnungsgrundlagen, sondern beschränkt sich auf die Mitteilung der Berechnungsmethode. Zudem dürfte es einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten, eine Vielzahl einzelner Gebührenkalkulationen zur Überprüfung zu stellen. Auch wäre zu erwarten gewesen, dass die Kommission das Notifizierungsschreiben vom 4. April 2008 als ungenügend beanstandet, wenn sie die Angaben als nicht ausreichend beurteilt hätte.
Die Frage nach den Anforderungen an die Veröffentlichungs- und Mitteilungspflicht bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung. Selbst wenn von einem Verstoß gegen Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 auszugehen sein sollte, führt das nicht zur Rechtswidrigkeit der angegriffenen Gebührenbescheide. Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 betrifft ausschließlich das Rechtsverhältnis zwischen Mitgliedstaat und Kommission und begründet keine Rechte des einzelnen Gebührenschuldners. Das zeigt schon der Vergleich mit Art. 27 Abs. 6 VO (EG) Nr. 882/2004. Darin wird für die Zulässigkeit von niedrigeren Gebühren als den nach Anhang IV Abschnitt B und Anhang V Abschnitt B festgesetzten Mindestbeträgen ausdrücklich vorausgesetzt, dass der Mitgliedstaat der Kommission einen Bericht übermittelt, der über die Methode für die Berechnung der reduzierten Gebühr Auskunft gibt. Vergleichbares sieht Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 882/2004 nicht vor.
Die Folgenlosigkeit eines Verstoßes gegen Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 für die Rechtmäßigkeit der Gebührenbescheide ergibt sich darüber hinaus aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Verletzung von Notifizierungspflichten. Die Nichteinhaltung einer den Mitgliedstaaten obliegenden Verpflichtung zur Unterrichtung der Kommission führt nur dann zur Rechtswidrigkeit oder Ungültigkeit einer nationalen Maßnahme, wenn der in Rede stehenden unionsrechtlichen Vorschrift diese Rechtsfolge zu entnehmen ist. Das setzt voraus, dass die Wirksamkeit der innerstaatlichen Regelung vom Einverständnis oder dem fehlenden Widerspruch der Kommission abhängig gemacht wird (EuGH, Urteil vom 21. Juli 2011 - Rs. C-2/10, Azienda Agro-Zootecnica Franchini u.a. - Rn. 53 sowie Schlussanträge des Generalanwalts vom 14. April 2011 Rn. 38; Urteil vom 30. April 1996 - Rs. C-194/94, CIA Security International - Slg. 1996, I-2201 Rn. 49 f.). Hingegen zieht die Verletzung der Notifizierungspflicht nicht die Rechtswidrigkeit der nationalen Maßnahme nach sich, wenn die Mitteilungspflicht allein den Zweck hat, die Kommission zu informieren und ihr die Prüfung zu ermöglichen, ob das Unionsrecht eingehalten wird (EuGH, Urteile vom 13. Juli 1989 - Rs. C-380/87, Enichem Base u.a. - Slg. 1989, I-2491 Rn. 19 ff., vom 23. Mai 2000 - Rs. C-209/98, Sydhavnens Sten & Grus - Slg. 2000, I-3743 Rn. 96 ff. und vom 6. Juni 2002 - Rs. C-159/00, Sapod Audic - Slg. 2002, I-5031 Rn. 58 ff.). So liegt der Fall hier. Wie Art. 27 Abs. 12 Satz 2 VO (EG) Nr. 882/2004 deutlich macht, dient die Mitteilungspflicht nach Satz 1 allein dazu, dass die Kommission die nationalen Gebühren auf ihre Vereinbarkeit mit den Anforderungen der Verordnung überprüfen kann. Die Gebührenerhebung ist nicht an das Einverständnis oder den fehlenden Widerspruch der Kommission geknüpft.
Der von der Klägerin angeregten Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs bedarf es nicht. Die Voraussetzungen, unter denen die Verletzung einer Notifizierungspflicht die Rechtswidrigkeit einer nationalen Maßnahme zur Folge hat, sind in der Rechtsprechung des Gerichtshofs - wie gezeigt - geklärt. Es ist auch nicht zweifelhaft, dass Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 dem einzelnen Gebührenschuldner kein Recht verleiht, auf das er sich vor den nationalen Gerichten berufen könnte, um die Rechtswidrigkeit der Gebührenerhebung geltend zu machen.
2. Die Verfahrensrüge greift nicht durch. Das angegriffene Urteil leidet weder an dem geltend gemachten Begründungsmangel noch liegt ein Gehörsverstoß vor. Bereits das Verwaltungsgericht hat sich mit dem Einwand der Klägerin auseinander gesetzt, es sei zu prüfen, ob in ihrem Fall betriebsbezogene Sondertatbestände nach Art. 27 Abs. 5 VO (EG) Nr. 882/2004 vorlägen. Es hat dazu ausgeführt, die Klägerin habe nicht dargelegt, dass die Gebührensatzung des Beklagten die in Art. 27 Abs. 5 VO (EG) Nr. 882/2004 genannten Aspekte nicht berücksichtige. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ihr Vorbringen nicht konkretisiert. Ebenso wenig ist sie in der mündlichen Verhandlung auf die Einwendung zurückgekommen (vgl. Sitzungsprotokoll vom 16. November 2011, Bl. 213 ff. der Gerichtsakte). Für das Oberverwaltungsgericht hat daher keine Veranlassung bestanden, auf diesen Gesichtspunkt weiter einzugehen. Eine ausdrückliche Befassung musste sich auch sonst nicht aufdrängen; denn die vom Verwaltungsgericht angenommene Vereinbarkeit der Gebührensatzung mit Art. 27 Abs. 5 VO (EG) Nr. 882/2004 unterliegt keinen rechtlichen Bedenken. Der Satzungsgeber hat in den Blick genommen, dass die Gebührensätze unter Berücksichtigung der Kriterien nach Art. 27 Abs. 5 VO (EG) Nr. 882/2004 zu erheben sind (vgl. § 1 Abs. 1 Unterabs. 1 der Gebührensatzung). Den in Art. 27 Abs. 5 Buchst. a und Buchst. b genannten betriebsbezogenen Aspekten hat er Rechnung getragen, indem bei den Gebührensätzen nach Kleinbetrieben, Großbetrieben und öffentlichen Schlachthöfen sowie nach Schlachtzahlstaffeln differenziert wird.
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http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-WBRE410019699&psml=bsjrsprod.psml&max=true
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019700
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BVerwG
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3. Senat
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20130425
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3 C 4/12
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Urteil
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 16. November 2011, Az: 17 A 579/09, Urteil
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DEU
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Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung von Gebühren für fleischhygienerechtliche Kontrollen.
Sie unterhält einen gewerblichen Schlachtbetrieb im Landkreis G. Mit Bescheid vom 18. August 2008 setzte der Beklagte für im Monat Juli 2008 vorgenommene Fleischuntersuchungen Gebühren in Höhe von 37 227,94 € fest. Zur Begründung stützte er sich auf die Satzung des Kreises G. vom 26. November 2007 über die Erhebung von Gebühren für Amtshandlungen auf dem Gebiet der Fleischhygiene (im Folgenden: Gebührensatzung).
Mit der Klage hat die Klägerin den Gebührenbescheid angefochten, soweit die festgesetzten Gebühren über 20 079,75 € hinausgehen, und Erstattung der entsprechenden Gebührenzahlung (17 148,19 €) nebst Zinsen begehrt. Sie hat geltend gemacht, die Gebührensatzung sei wegen Verstoßes gegen Art. 27 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 unanwendbar. Die Kostenkalkulation des Beklagten sei fehlerhaft. Er habe zu Unrecht allgemeine Verwaltungskosten berücksichtigt; denn nach Art. 27 Abs. 4 i.V.m. Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 seien nur solche Kosten umlagefähig, die unmittelbar durch die amtlichen Kontrollen verursacht würden. Des Weiteren sei entgegen Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 die Methode für die Berechnung der Gebühren weder veröffentlicht noch der Europäischen Kommission bekanntgegeben worden. Mangels Anwendbarkeit der Gebührensatzung könne der Beklagte allein die in Anhang IV Abschnitt B Kap. I VO (EG) Nr. 882/2004 bestimmten Mindestgebühren, also 20 079,75 € verlangen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. Januar 2009 abgewiesen. Der angefochtene Gebührenbescheid sei rechtmäßig. Er finde seine Rechtsgrundlage in § 5 der Gebührensatzung i.d.F. der 1. Änderungssatzung. Die Berücksichtigung allgemeiner Verwaltungskosten bei der Gebührenbemessung sei nicht zu beanstanden. Der Kostenbegriff in Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 sei weit zu verstehen. Die Vorschriften über die Finanzierung amtlicher Kontrollen in Art. 26 ff. VO (EG) Nr. 882/2004 bezweckten, durch die Erhebung kostendeckender Gebühren ausreichende Finanzmittel für die Durchführung der amtlichen Kontrollen bereit zu stellen. Dementsprechend seien für die Gebührenbemessung sämtliche Kosten zu berücksichtigen, die durch die amtlichen Untersuchungen anfielen. Es sei auch nicht fehlerhaft, dass die festgelegten Gebührensätze auf einer Prognose der im Erhebungszeitraum anfallenden Kosten beruhten. Art. 27 Abs. 4 Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 verbiete nicht, die Gebühren auf der Grundlage einer Vorauskalkulation festzusetzen. Schließlich könne sich die Klägerin nicht auf eine Verletzung der Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten nach Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 berufen. Der Verordnungsgeber habe die Einhaltung dieser mitgliedstaatlichen Obliegenheiten nicht zur Voraussetzung für die Gebührenerhebung gemacht.
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ihr Vorbringen vertieft und ergänzt. Das mit der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 verfolgte Ziel transparenter und einheitlicher Kriterien für die Gebührenbemessung spreche für eine enge Auslegung des Anhangs VI der Verordnung und für den Ausschluss von mittelbaren Personalkosten und Allgemeinkosten. Darauf lasse auch der Wortlaut der Bestimmung schließen, der anders als noch die Vorgängerregelung in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 85/73/EWG den Begriff der Verwaltungskosten nicht mehr verwende. Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 entfalte nicht nur Rechtswirkungen im Verhältnis von Mitgliedstaat und Kommission, sondern schütze auch den einzelnen Gebührenschuldner. Es sei zudem zweifelhaft, ob die Gebührensatzung des Beklagten hinreichend bestimmt sei. Für den Gebührenschuldner sei nicht erkennbar, ob die Gebühren nach Art. 27 Abs. 4 Buchst. a oder Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 erhoben würden.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 16. November 2011 zurückgewiesen. Der Beklagte habe die Kosten für die amtlichen Fleischuntersuchungen im Jahr 2008 auf der Basis der im Zeitraum September 2006 bis August 2007 angefallenen Ausgaben prognostisch ermittelt und die Gebühren in pauschalierter Form festgesetzt. Das stehe in Einklang mit Art. 27 Abs. 4 Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004, wonach die Behörde die Gebühr auf der Grundlage der von ihr während eines bestimmten Zeitraums getragenen Kosten als Pauschale erheben dürfe. Eine erst im Nachhinein vorzunehmende Abrechnung verlange Art. 27 VO (EG) Nr. 882/2004 nicht. Nur über eine Vorauskalkulation lasse sich das Ziel der Kostendeckung erreichen. Zudem verfügten die Mitgliedstaaten über einen weiten methodischen Gestaltungsspielraum. Zu Recht sei das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Berücksichtigung allgemeiner Verwaltungspersonal- und -sachkosten von Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 gedeckt sei. Die Verordnung habe zum Ziel, effektive amtliche Kontrollen zu gewährleisten und dazu durch Erhebung kostendeckender Gebühren oder Kostenbeiträge angemessene finanzielle Mittel bereit zu stellen. Das lege nahe, dass der Personalbegriff in Anhang VI nicht nur die unmittelbar mit den Kontrollen befassten Tierärzte und Fachassistenten meine, sondern auch die Bediensteten, die für die verwaltungsmäßige Erfassung und Umsetzung der Kontrollen zuständig seien. Soweit der Verordnungsgeber die frühere Unterscheidung in Untersuchungs- und Verwaltungspersonal sowie Untersuchungs- und Verwaltungskosten zugunsten der Oberbegriffe "Personal" und "Ausgaben" (Löhne, Gehälter und Kosten) aufgegeben habe, habe er damit nicht von den bisherigen Grundsätzen abrücken wollen. Schließlich könne die Klägerin die geltend gemachte Rechtswidrigkeit der Gebührenerhebung auch nicht auf Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 stützen. Zwar sei zweifelhaft, ob die Bundesrepublik Deutschland ihrer Pflicht zur Veröffentlichung der Berechnungsmethode und zur Mitteilung an die Kommission hinreichend nachgekommen sei. Jedoch handele es sich um rein bipolar gestaltete Rechtsverpflichtungen der Mitgliedstaaten gegenüber der Kommission, die allein der Vollzugskontrolle und nicht dem Schutz des einzelnen Gebührenschuldners dienten. Das werde bestätigt durch den Vergleich mit der abweichend geregelten Berichtspflicht in Art. 27 Abs. 6 VO (EG) Nr. 882/2004.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Der Streitfall werfe mehrere Fragen zur Auslegung von Art. 27 VO (EG) Nr. 882/2004 auf, die eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof erforderten. Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, Art. 27 Abs. 4 i.V.m. Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 umfasse auch Verwaltungspersonal- und -sachkosten, gehe am Wortlaut der Norm vorbei und sei daher eine Auslegung "contra legem". Der Verordnungsgeber bezwecke offensichtlich eine enge Kausalität zwischen den umlagefähigen Kosten und den durchzuführenden amtlichen Kontrollen. Der Kostenmaßstab des Anhangs VI solle zu einer unmittelbaren Begrenzung der Gebührenhöhe im Sinne eines Realkostengebots führen. Das Normverständnis des Berufungsgerichts stehe zudem in Widerspruch zu dem risikobezogenen Ansatz im europäischen Lebensmittelrecht. Hiernach solle ein Unternehmer, der Gefahren für die Lebensmittelhygiene durch betriebliche Maßnahmen reduziere und sich also risikominimierend verhalte, durch einen geringeren Kontrollaufwand und eine niedrigere Gebührenlast belohnt werden. Allgemeine Verwaltungskosten fielen jedoch unabhängig vom jeweiligen Betriebsrisiko an. Das Berufungsurteil überzeuge auch nicht, soweit es eine Vorauskalkulation der Gebühren für zulässig erachte. Der Wortlaut des Art. 27 Abs. 4 Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 spreche für eine Ermittlung der Kosten "ex post". Das werde bestätigt durch das Realkostengebot in Art. 27 Abs. 4 Buchst. a VO (EG) Nr. 882/2004; denn die Einhaltung der dort vorgegebenen Gebührenobergrenze könne nur sinnvoll umgesetzt werden, wenn die tatsächliche Kostenhöhe feststehe. Durch den Europäischen Gerichtshof sei ferner zu beantworten, wie der Begriff des "bestimmten Zeitraums" in Art. 27 Abs. 4 Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 zu verstehen sei. Schließlich habe das Oberverwaltungsgericht Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 fehlerhaft ausgelegt. Es habe sich nicht damit auseinander gesetzt, dass die Notifizierungspflicht des Mitgliedstaates erkennbar im Zusammenhang mit der Prüfungspflicht der Kommission nach Art. 27 Abs. 12 Satz 2 VO (EG) Nr. 882/2004 stehe, die ihrerseits drittschützend zugunsten der Gebührenschuldner wirke. Außerdem werde gerügt, dass das Berufungsgericht nicht auf Art. 27 Abs. 5 VO (EG) Nr. 882/2004 eingegangen sei, obwohl die Klägerin geltend gemacht habe, dass in Bezug auf ihren Betrieb Art. 27 Abs. 5 Buchst. a und Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 einschlägig sein könnten. Insoweit liege auch ein Begründungsmangel vor.
Der Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hält das angefochtene Urteil in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz für unionsrechtskonform. Das Ministerium habe mitgeteilt, dass die Kommission im Verlauf der Beratungen zur Verordnung (EG) Nr. 882/2004 im Rat keinen Zweifel daran gelassen habe, die Gebührenregelungen der Richtlinie 85/73/EWG lediglich in einen neuen Rechtsakt überführen zu wollen. Das gelte auch für die Kriterien des Art. 5 Abs. 1 RL 85/73/EWG i.d.F. der Richtlinie 96/43/EG, die in Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 beibehalten werden sollten.
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Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Berufungsurteil beruht nicht auf einer Verletzung von Unionsrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die angefochtene Gebührenerhebung mit der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 vereinbar ist (1.). Die Verfahrensrüge bleibt ohne Erfolg (2.).
1. Nach der für den Senat bindenden Auslegung des Landesrechts durch die Vorinstanz (§ 137 Abs. 1 VwGO, § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO) findet der angegriffene Gebührenbescheid seine Rechtsgrundlage in § 5 Abs. 1 Satz 1 der Gebührensatzung des Beklagten. Hiernach wird für Amtshandlungen im Zusammenhang mit der Fleischuntersuchung in öffentlichen Schlachthöfen je Rind, Schwein/Wildschwein, Schaf, Ziege, Wildwiederkäuer und Einhufer die Gebühr erhoben, die sich aus den anliegenden Tabellen (Blätter 1 bis 6) ergibt. Das Oberverwaltungsgericht hat das Landesrecht ohne Verstoß gegen Unionsrecht - eine Verletzung von Bundesrecht ist weder geltend gemacht noch sonst erkennbar - ausgelegt und angewendet.
a) Einschlägig ist die Verordnung (EG) Nr. 882/2004 vom 29. April 2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz (ABl Nr. L 165 S. 1, ber. ABl Nr. L 191 S. 1) i.d.F. der Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 vom 20. November 2006 (ABl Nr. L 363 S. 1). Art. 26 ff. der Verordnung regeln die Finanzierung der amtlichen Kontrollen. Zu den Kontrollen im Sinne der Verordnung gehören unter anderem Fleischhygieneuntersuchungen in Schlachtbetrieben (vgl. Art. 2 Satz 2 Nr. 1, Anhang IV Abschnitt A Nr. 1 VO <EG> Nr. 882/2004 i.V.m. Art. 1 und Anhang A Kap. I RL 85/73/EWG; Art. 5 der Verordnung <EG> Nr. 854/2004 vom 29. April 2004 mit besonderen Verfahrensvorschriften für die amtliche Überwachung von zum menschlichen Verzehr bestimmten Erzeugnissen tierischen Ursprungs, ABl Nr. L 139 S. 206). Art. 26 ff. VO (EG) Nr. 882/2004 ersetzen die Richtlinie 85/73/EWG vom 29. Januar 1985 über die Finanzierung der veterinär- und hygienerechtlichen Kontrollen nach den Richtlinien 89/662/EWG, 90/425/EWG, 90/675/EWG und 91/496/EWG (ABl Nr. L 32 S. 14, zuletzt geändert durch die Richtlinie 97/79/EG vom 18. Dezember 1997, ABl Nr. L 24 S. 31), die mit Wirkung vom 1. Januar 2008 aufgehoben wurde (Art. 61 Abs. 1 Satz 2 VO <EG> Nr. 882/2004). Sie gilt ab dem 1. Januar 2006 mit Ausnahme der Art. 27 und 28, die ab dem 1. Januar 2007 anwendbar sind (Art. 67 VO <EG> Nr. 882/2004). Danach unterliegt die Gebührenerhebung für die im Juli 2008 im Betrieb der Klägerin durchgeführten amtlichen Kontrollen dem sachlichen und zeitlichen Anwendungsbereich des Art. 27 VO (EG) Nr. 882/2004.
b) In Übereinstimmung mit Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 882/2004 ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Beklagte in die der Gebührensatzung zugrundeliegende Kalkulation allgemeine Verwaltungspersonal- und -sachkosten einstellen durfte.
Art. 27 Abs. 2 VO (EG) Nr. 882/2004 verpflichtet die Mitgliedstaaten, Gebühren zur Deckung der Kosten zu erheben, die durch amtliche fleischhygienerechtliche Kontrollen entstehen. Gemäß Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 882/2004 dürfen die Gebühren nicht höher sein als die von den zuständigen Behörden getragenen Kosten in Bezug auf die Ausgaben gemäß Anhang VI (Buchst. a); sie können auf der Grundlage der von den zuständigen Behörden während eines bestimmten Zeitraums getragenen Kosten als Pauschale festgesetzt werden oder gegebenenfalls den in Anhang IV Abschnitt B bzw. Anhang V Abschnitt B festgelegten (Mindest-)Beträgen entsprechen (Buchst. b). Nach Anhang VI sind bei der Berechnung der Gebühren zu berücksichtigen: 1. Löhne und Gehälter des für die amtlichen Kontrollen eingesetzten Personals, 2. Kosten für das für die amtlichen Kontrollen eingesetzte Personal, einschließlich der Kosten für Anlagen, Hilfsmittel, Ausrüstung und Schulung sowie der Reise- und Nebenkosten und 3. Kosten für Probenahme und Laboruntersuchung.
In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass zu den berücksichtigungsfähigen Kosten im Sinne von Art. 27 Abs. 4 i.V.m. Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 auch allgemeine Verwaltungspersonal- und -sachkosten gehören, wenn und soweit sie der zuständigen Behörde im Zusammenhang mit der Durchführung der amtlichen Kontrollen entstehen (Urteil vom 26. April 2012 - BVerwG 3 C 20.11 - Buchholz 418.5 Fleischbeschau Nr. 31). Anhang VI knüpft an den Kostenmaßstab des Art. 5 Abs. 1 RL 85/73/EWG an. Es ist nicht ersichtlich, dass der Verordnungsgeber von den bisherigen Grundsätzen abweichen wollte und nur noch solche Kosten umlagefähig sein sollten, die für das bei den amtlichen Kontrollen eingesetzte Untersuchungspersonal (Tierärzte und Fachassistenten) anfallen. Gegen diese Auslegung spricht namentlich, dass Ausgaben für verwaltungsmäßige Aufgaben ansatzfähig wären, wenn die Verwaltungstätigkeit vom Untersuchungspersonal selbst wahrgenommen würde, während diese Kosten unberücksichtigt bleiben müssten, wenn dafür Verwaltungspersonal eingesetzt würde. Es liegt auf der Hand, dass ein solches Ergebnis widersinnig ist und das Ziel der Verordnung konterkariert, zur Gewährleistung effektiver Kontrollen eine kostendeckende Finanzierung sicherzustellen. Der Ansatz allgemeiner Verwaltungskosten steht auch weder im Widerspruch zum Wortlaut des Anhangs VI VO (EG) Nr. 882/2004 noch dazu, dass Art und Umfang der amtlichen Kontrollen nach Art. 3 Abs. 1 und Art. 27 Abs. 5 Buchst. a VO (EG) Nr. 882/2004, Art. 4 Abs. 9 und Art. 5 Nr. 5 Buchst. b VO (EG) Nr. 854/2004 von einer behördlichen Risikobewertung des betroffenen Unternehmens abhängen (vgl. im Einzelnen Urteil vom 26. April 2012 a.a.O. Rn. 18 ff.).
Die Urteilskritik der Klägerin (unter Hinweis auf Zeitzmann/Gräsel, LMuR 2012, 220 und LMuR 2013, 41) gibt keine Veranlassung zu einer Änderung der Senatsrechtsprechung. Sie vermag insbesondere nicht zu entkräften, dass der Zweck der Gebührenerhebung, wie gezeigt, klar für eine Berücksichtigungsfähigkeit allgemeiner Verwaltungspersonal- und -sachkosten streitet. Nicht überzeugend sind auch die Schlussfolgerungen, die die Klägerin aus dem Vergleich des Personalbegriffs in Anhang VI mit Begrifflichkeiten in anderen Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 ("Personal der zuständigen Behörde"; "Kontrollpersonal"; "Personal für die Durchführung amtlicher Kontrollen") ziehen will. Hätte der Verordnungsgeber bezweckt, das Verwaltungspersonal aus dem Kostenmaßstab in Anhang VI auszuklammern, hätte es nahegelegen, dies durch eine entsprechende Formulierung klar zu stellen. Im Übrigen spricht der Umstand, dass mit dem Begriff der amtlichen Kontrolle nach Art. 2 Satz 2 Nr. 1 VO (EG) Nr. 882/2004 alle Tätigkeiten gemeint sind, die im Zusammenhang mit den Kontrollaufgaben anfallen (vgl. Art. 6 Buchst. a und Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Anhang II Kap. I und Kap. II, Art. 9, Art. 10 VO <EG> Nr. 882/2004), gerade für eine weite Auslegung des Personalbegriffs in Anhang VI. Schließlich besteht auch nicht die von der Klägerin besorgte Gefahr einer willkürlichen Gebührenbemessung. Die Behörde darf allgemeine Verwaltungspersonal- und -sachausgaben nur insoweit berücksichtigen, als sie durch die amtlichen Kontrollen anteilig entstehen, das heißt ihnen zugerechnet werden können. Ob die behördliche Gebührenberechnung (Kalkulation) dem entspricht, ist eine Frage des Einzelfalls und im Streitfall von den Tatsachengerichten zu überprüfen. Dabei obliegt es der Behörde, die in die Berechnung eingestellten Kostenpositionen nach Art und Höhe plausibel zu machen.
Der von der Klägerin angeregten Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs nach Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) bedarf es nicht. An der Umlagefähigkeit allgemeiner Verwaltungskosten bestehen - wie gezeigt - keine vernünftigen Zweifel ("acte clair", EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs. C-283/81, Cilfit u.a. - Slg. 1982, 3415 Rn. 16; BVerwG, Urteil vom 26. April 2012 a.a.O. Rn. 32).
c) Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, der Beklagte dürfe die Gebühren auf der Grundlage einer Vorauskalkulation der zu deckenden Kosten erheben, ist aus Sicht des Unionsrechts ebenfalls nicht zu beanstanden.
In Bezug auf die Gebühr nach Anhang A Kap. I Nr. 4 RL 85/73/EWG i.d.F. der Richtlinie 96/43/EG vom 26. Juni 1996 (ABl Nr. L 162 S. 1) hat der Senat bereits wiederholt entschieden, dass deren Höhe auf der Basis im Vorhinein kalkulierter Kosten ermittelt werden durfte und es nicht etwa einer nachträglichen Kostenabrechnung jedes Einzelfalls bedurfte (Beschlüsse vom 21. Dezember 2010 - BVerwG 3 B 64.10 - juris Rn. 4 und vom 31. August 2012 - BVerwG 3 B 26.12 - juris Rn. 5; Urteil vom 20. Dezember 2007 - BVerwG 3 C 50.06 - Buchholz 418.5 Fleischbeschau Nr. 27 Rn. 28). Das wird bestätigt durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der sich keine Anhaltspunkte für eine Unzulässigkeit der Gebührenvorauskalkulation entnehmen lassen (vgl. z.B. Urteile vom 19. März 2009 - Rs. C-270/07 und Rs. C-309/07 - Slg. 2009, I-1983 und I-2077 und vom 9. September 1999 - Rs. C-374/97 - Slg. 1999, I-5153, jeweils zur Richtlinie 85/73/EWG; Urteil vom 7. Juli 2011 - Rs. C-523/09 - LMuR 2011, 100 - zu Art. 27 VO <EG> Nr. 882/2004).
Für die Gebührenerhebung nach Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 882/2004 kann nichts Anderes gelten. Wie die Vorgängerregelung der Richtlinie 85/73/EWG schließt Art. 27 VO (EG) Nr. 882/2004 eine Festsetzung von Gebührensätzen, die auf einer Kalkulation "ex ante" beruht, nicht aus. Das Unionsrecht macht den Mitgliedstaaten in dieser Hinsicht keine Vorgaben. Soweit Art. 27 Abs. 4 Buchst. b bestimmt, dass die Gebühren "auf der Grundlage der von den zuständigen Behörden während eines bestimmten Zeitraums getragenen Kosten" festgesetzt werden können, lässt sich daraus kein Verbot der Vorauskalkulation der Gebühren ableiten. Die Formulierung knüpft an den Grundsatz der Kostendeckung an (Art. 27 Abs. 1 und Erwägungsgrund 32 VO <EG> Nr. 882/2004) und besagt nicht mehr, als dass sich die Gebühr an den Kosten auszurichten hat und es deshalb sachgerecht ist, die Gebühren für den zukünftigen Erhebungszeitraum anhand der feststehenden Kosten der abgeschlossenen Erhebungsperiode zu kalkulieren. Dem Kostendeckungsgrundsatz entspricht des Weiteren, absehbare Kostensteigerungen oder -senkungen bei der Kalkulation zu berücksichtigen. Diesen Maßgaben wird die Gebührenkalkulation des Beklagten nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts gerecht (Urteilsabdruck, S. 10 unten sowie S. 23).
Ist die unionsrechtliche Zulässigkeit der Gebührenvorauskalkulation hiernach nicht zweifelhaft, ist eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nicht erforderlich. Dasselbe gilt für die von der Klägerin aufgeworfene Frage zu dem Zeitraum, auf den Art. 27 Abs. 4 Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 abstellt. Es ist offenkundig, dass die Zeitspanne von zwölf Monaten, die der Beklagte seiner Kalkulation zugrunde gelegt hat, unionsrechtskonform ist. Der Verordnungsgeber lässt den Mitgliedstaaten auch bei der Bestimmung der geeigneten Kalkulationsperiode zur Ermittlung der anfallenden Kosten freie Hand. Die Klägerin zeigt nicht ansatzweise auf, dass der Zeitraum eines Kalenderjahres sachwidrig und deshalb von Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 882/2004 nicht mehr gedeckt sein könnte.
d) Schließlich ist der angefochtene Gebührenbescheid nicht deshalb rechtswidrig, weil die Bundesrepublik Deutschland gegen die Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten nach Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 verstoßen hat.
Gemäß Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 veröffentlichen die Mitgliedstaaten die Methode für die Berechnung der Gebühren und geben sie der Kommission bekannt (Satz 1). Die Kommission prüft, ob die Gebühren den Anforderungen der Verordnung entsprechen (Satz 2). Das Oberverwaltungsgericht hat Bedenken, ob die Bundesrepublik Deutschland der Veröffentlichungs- und Notifikationspflicht hinreichend nachgekommen ist. Es meint, die Publikation der Gebührensatzung ohne die zugrunde liegende Gebührenkalkulation genüge nicht, weil sich anhand der Satzung nicht beurteilen lasse, ob die Vorgaben des Art. 27 Abs. 4 i.V.m. Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 eingehalten seien. Ebenso wenig ließen sich dem Schreiben des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vom 4. April 2008, mit dem der Kommission das Ergebnis einer Länderabfrage zur Methode der Gebührenberechnung übermittelt worden sei, die erforderlichen Informationen entnehmen; die Aussagen zur Gebührenerhebung in Nordrhein-Westfalen seien sehr allgemein. Allerdings verlangt Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 nicht die Bekanntgabe der konkreten Berechnungsgrundlagen, sondern beschränkt sich auf die Mitteilung der Berechnungsmethode. Zudem dürfte es einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten, eine Vielzahl einzelner Gebührenkalkulationen zur Überprüfung zu stellen. Auch wäre zu erwarten gewesen, dass die Kommission das Notifizierungsschreiben vom 4. April 2008 als ungenügend beanstandet, wenn sie die Angaben als nicht ausreichend beurteilt hätte.
Die Frage nach den Anforderungen an die Veröffentlichungs- und Mitteilungspflicht bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung. Selbst wenn von einem Verstoß gegen Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 auszugehen sein sollte, führt das nicht zur Rechtswidrigkeit der angegriffenen Gebührenerhebung. Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 betrifft ausschließlich das Rechtsverhältnis zwischen Mitgliedstaat und Kommission und begründet keine Rechte des einzelnen Gebührenschuldners. Das zeigt schon der Vergleich mit Art. 27 Abs. 6 VO (EG) Nr. 882/2004. Darin wird für die Zulässigkeit von niedrigeren Gebühren als den nach Anhang IV Abschnitt B und Anhang V Abschnitt B festgesetzten Mindestbeträgen ausdrücklich vorausgesetzt, dass der Mitgliedstaat der Kommission einen Bericht übermittelt, der über die Methode für die Berechnung der reduzierten Gebühr Auskunft gibt. Vergleichbares sieht Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 882/2004 nicht vor.
Die Folgenlosigkeit eines Verstoßes gegen Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 für die Rechtmäßigkeit des Gebührenbescheides ergibt sich darüber hinaus aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Verletzung von Notifizierungspflichten. Die Nichteinhaltung einer den Mitgliedstaaten obliegenden Verpflichtung zur Unterrichtung der Kommission führt nur dann zur Rechtswidrigkeit oder Ungültigkeit einer nationalen Maßnahme, wenn der in Rede stehenden unionsrechtlichen Vorschrift diese Rechtsfolge zu entnehmen ist. Das setzt voraus, dass die Wirksamkeit der innerstaatlichen Regelung vom Einverständnis oder dem fehlenden Widerspruch der Kommission abhängig gemacht wird (EuGH, Urteil vom 21. Juli 2011 - Rs. C-2/10, Azienda Agro-Zootecnica Franchini u.a. - Rn. 53 sowie Schlussanträge des Generalanwalts vom 14. April 2011 Rn. 38; Urteil vom 30. April 1996 - Rs. C-194/94, CIA Security International - Slg. 1996, I-2201 Rn. 49 f.). Hingegen zieht die Verletzung der Notifizierungspflicht nicht die Rechtswidrigkeit der nationalen Maßnahme nach sich, wenn die Mitteilungspflicht allein den Zweck hat, die Kommission zu informieren und ihr die Prüfung zu ermöglichen, ob das Unionsrecht eingehalten wird (EuGH, Urteile vom 13. Juli 1989 - Rs. C-380/87, Enichem Base u.a. - Slg. 1989, I-2491 Rn. 19 ff., vom 23. Mai 2000 - Rs. C-209/98, Sydhavnens Sten & Grus - Slg. 2000, I-3743 Rn. 96 ff. und vom 6. Juni 2002 - Rs. C-159/00, Sapod Audic - Slg. 2002, I-5031 Rn. 58 ff.). So liegt der Fall hier. Wie Art. 27 Abs. 12 Satz 2 VO (EG) Nr. 882/2004 deutlich macht, dient die Mitteilungspflicht nach Satz 1 allein dazu, dass die Kommission die nationalen Gebühren auf ihre Vereinbarkeit mit den Anforderungen der Verordnung überprüfen kann. Die Gebührenerhebung ist nicht an das Einverständnis oder den fehlenden Widerspruch der Kommission geknüpft.
Der von der Klägerin angeregten Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs bedarf es nicht. Die Voraussetzungen, unter denen die Verletzung einer Notifizierungspflicht die Rechtswidrigkeit einer nationalen Maßnahme zur Folge hat, sind in der Rechtsprechung des Gerichtshofs - wie gezeigt - geklärt. Es ist auch nicht zweifelhaft, dass Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 dem einzelnen Gebührenschuldner kein Recht verleiht, auf das er sich vor den nationalen Gerichten berufen könnte, um die Rechtswidrigkeit der Gebührenerhebung geltend zu machen.
2. Die Verfahrensrüge greift nicht durch. Das angegriffene Urteil leidet weder an dem geltend gemachten Begründungsmangel noch liegt ein Gehörsverstoß vor. Bereits das Verwaltungsgericht hat sich mit dem Einwand der Klägerin auseinander gesetzt, es sei zu prüfen, ob in ihrem Fall betriebsbezogene Sondertatbestände nach Art. 27 Abs. 5 VO (EG) Nr. 882/2004 vorlägen. Es hat dazu ausgeführt, die Klägerin habe nicht dargelegt, dass die Gebührensatzung des Beklagten die in Art. 27 Abs. 5 VO (EG) Nr. 882/2004 genannten Aspekte nicht berücksichtige. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ihr Vorbringen nicht konkretisiert. Ebenso wenig ist sie in der mündlichen Verhandlung auf die Einwendung zurückgekommen (vgl. Sitzungsprotokoll vom 16. November 2011, Bl. 157 ff. der Gerichtsakte). Für das Oberverwaltungsgericht hat daher keine Veranlassung bestanden, auf diesen Gesichtspunkt weiter einzugehen. Eine ausdrückliche Befassung musste sich auch sonst nicht aufdrängen; denn die vom Verwaltungsgericht angenommene Vereinbarkeit der Gebührensatzung mit Art. 27 Abs. 5 VO (EG) Nr. 882/2004 unterliegt keinen rechtlichen Bedenken. Der Satzungsgeber hat in den Blick genommen, dass die Gebührensätze unter Berücksichtigung der Kriterien nach Art. 27 Abs. 5 VO (EG) Nr. 882/2004 zu erheben sind (vgl. § 1 Abs. 1 Unterabs. 1 der Gebührensatzung). Den in Art. 27 Abs. 5 Buchst. a und Buchst. b genannten betriebsbezogenen Aspekten hat er Rechnung getragen, indem bei den Gebührensätzen nach Kleinbetrieben, Großbetrieben und öffentlichen Schlachthöfen sowie nach Schlachtzahlstaffeln differenziert wird.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019701
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BVerwG
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3. Senat
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20130425
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3 C 5/12
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Urteil
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 16. November 2011, Az: 17 A 580/09, Urteil
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DEU
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Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung von Gebühren für fleischhygienerechtliche Kontrollen.
Sie unterhält einen gewerblichen Schlachtbetrieb im Landkreis G. Mit Bescheid vom 18. Oktober 2008 setzte der Beklagte für im Monat September 2008 vorgenommene Fleischuntersuchungen Gebühren in Höhe von 44 326,05 € fest. Zur Begründung stützte er sich auf die Satzung des Kreises G. vom 26. November 2007 über die Erhebung von Gebühren für Amtshandlungen auf dem Gebiet der Fleischhygiene (im Folgenden: Gebührensatzung).
Mit der Klage hat die Klägerin den Gebührenbescheid angefochten, soweit die festgesetzten Gebühren über 24 529 € hinausgehen, und Erstattung der entsprechenden Gebührenzahlung (19 797,05 €) nebst Zinsen begehrt. Sie hat geltend gemacht, die Gebührensatzung sei wegen Verstoßes gegen Art. 27 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 unanwendbar. Die Kostenkalkulation des Beklagten sei fehlerhaft. Er habe zu Unrecht allgemeine Verwaltungskosten berücksichtigt; denn nach Art. 27 Abs. 4 i.V.m. Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 seien nur solche Kosten umlagefähig, die unmittelbar durch die amtlichen Kontrollen verursacht würden. Des Weiteren sei entgegen Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 die Methode für die Berechnung der Gebühren weder veröffentlicht noch der Europäischen Kommission bekanntgegeben worden. Mangels Anwendbarkeit der Gebührensatzung könne der Beklagte allein die in Anhang IV Abschnitt B Kap. I VO (EG) Nr. 882/2004 bestimmten Mindestgebühren, also 24 529 € verlangen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. Januar 2009 abgewiesen. Der angefochtene Gebührenbescheid sei rechtmäßig. Er finde seine Rechtsgrundlage in § 5 der Gebührensatzung i.d.F. der 1. Änderungssatzung. Die Berücksichtigung allgemeiner Verwaltungskosten bei der Gebührenbemessung sei nicht zu beanstanden. Der Kostenbegriff in Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 sei weit zu verstehen. Die Vorschriften über die Finanzierung amtlicher Kontrollen in Art. 26 ff. VO (EG) Nr. 882/2004 bezweckten, durch die Erhebung kostendeckender Gebühren ausreichende Finanzmittel für die Durchführung der amtlichen Kontrollen bereit zu stellen. Dementsprechend seien für die Gebührenbemessung sämtliche Kosten zu berücksichtigen, die durch die amtlichen Untersuchungen anfielen. Es sei auch nicht fehlerhaft, dass die festgelegten Gebührensätze auf einer Prognose der im Erhebungszeitraum anfallenden Kosten beruhten. Art. 27 Abs. 4 Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 verbiete nicht, die Gebühren auf der Grundlage einer Vorauskalkulation festzusetzen. Schließlich könne sich die Klägerin nicht auf eine Verletzung der Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten nach Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 berufen. Der Verordnungsgeber habe die Einhaltung dieser mitgliedstaatlichen Obliegenheiten nicht zur Voraussetzung für die Gebührenerhebung gemacht.
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ihr Vorbringen vertieft und ergänzt. Das mit der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 verfolgte Ziel transparenter und einheitlicher Kriterien für die Gebührenbemessung spreche für eine enge Auslegung des Anhangs VI der Verordnung und für den Ausschluss von mittelbaren Personalkosten und Allgemeinkosten. Darauf lasse auch der Wortlaut der Bestimmung schließen, der anders als noch die Vorgängerregelung in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 85/73/EWG den Begriff der Verwaltungskosten nicht mehr verwende. Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 entfalte nicht nur Rechtswirkungen im Verhältnis von Mitgliedstaat und Kommission, sondern schütze auch den einzelnen Gebührenschuldner. Es sei zudem zweifelhaft, ob die Gebührensatzung des Beklagten hinreichend bestimmt sei. Für den Gebührenschuldner sei nicht erkennbar, ob die Gebühren nach Art. 27 Abs. 4 Buchst. a oder Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 erhoben würden.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 16. November 2011 zurückgewiesen. Der Beklagte habe die Kosten für die amtlichen Fleischuntersuchungen im Jahr 2008 auf der Basis der im Zeitraum September 2006 bis August 2007 angefallenen Ausgaben prognostisch ermittelt und die Gebühren in pauschalierter Form festgesetzt. Das stehe in Einklang mit Art. 27 Abs. 4 Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004, wonach die Behörde die Gebühr auf der Grundlage der von ihr während eines bestimmten Zeitraums getragenen Kosten als Pauschale erheben dürfe. Eine erst im Nachhinein vorzunehmende Abrechnung verlange Art. 27 VO (EG) Nr. 882/2004 nicht. Nur über eine Vorauskalkulation lasse sich das Ziel der Kostendeckung erreichen. Zudem verfügten die Mitgliedstaaten über einen weiten methodischen Gestaltungsspielraum. Zu Recht sei das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Berücksichtigung allgemeiner Verwaltungspersonal- und -sachkosten von Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 gedeckt sei. Die Verordnung habe zum Ziel, effektive amtliche Kontrollen zu gewährleisten und dazu durch Erhebung kostendeckender Gebühren oder Kostenbeiträge angemessene finanzielle Mittel bereit zu stellen. Das lege nahe, dass der Personalbegriff in Anhang VI nicht nur die unmittelbar mit den Kontrollen befassten Tierärzte und Fachassistenten meine, sondern auch die Bediensteten, die für die verwaltungsmäßige Erfassung und Umsetzung der Kontrollen zuständig seien. Soweit der Verordnungsgeber die frühere Unterscheidung in Untersuchungs- und Verwaltungspersonal sowie Untersuchungs- und Verwaltungskosten zugunsten der Oberbegriffe "Personal" und "Ausgaben" (Löhne, Gehälter und Kosten) aufgegeben habe, habe er damit nicht von den bisherigen Grundsätzen abrücken wollen. Schließlich könne die Klägerin die geltend gemachte Rechtswidrigkeit der Gebührenerhebung auch nicht auf Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 stützen. Zwar sei zweifelhaft, ob die Bundesrepublik Deutschland ihrer Pflicht zur Veröffentlichung der Berechnungsmethode und zur Mitteilung an die Kommission hinreichend nachgekommen sei. Jedoch handele es sich um rein bipolar gestaltete Rechtsverpflichtungen der Mitgliedstaaten gegenüber der Kommission, die allein der Vollzugskontrolle und nicht dem Schutz des einzelnen Gebührenschuldners dienten. Das werde bestätigt durch den Vergleich mit der abweichend geregelten Berichtspflicht in Art. 27 Abs. 6 VO (EG) Nr. 882/2004.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Der Streitfall werfe mehrere Fragen zur Auslegung von Art. 27 VO (EG) Nr. 882/2004 auf, die eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof erforderten. Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, Art. 27 Abs. 4 i.V.m. Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 umfasse auch Verwaltungspersonal- und -sachkosten, gehe am Wortlaut der Norm vorbei und sei daher eine Auslegung "contra legem". Der Verordnungsgeber bezwecke offensichtlich eine enge Kausalität zwischen den umlagefähigen Kosten und den durchzuführenden amtlichen Kontrollen. Der Kostenmaßstab des Anhangs VI solle zu einer unmittelbaren Begrenzung der Gebührenhöhe im Sinne eines Realkostengebots führen. Das Normverständnis des Berufungsgerichts stehe zudem in Widerspruch zu dem risikobezogenen Ansatz im europäischen Lebensmittelrecht. Hiernach solle ein Unternehmer, der Gefahren für die Lebensmittelhygiene durch betriebliche Maßnahmen reduziere und sich also risikominimierend verhalte, durch einen geringeren Kontrollaufwand und eine niedrigere Gebührenlast belohnt werden. Allgemeine Verwaltungskosten fielen jedoch unabhängig vom jeweiligen Betriebsrisiko an. Das Berufungsurteil überzeuge auch nicht, soweit es eine Vorauskalkulation der Gebühren für zulässig erachte. Der Wortlaut des Art. 27 Abs. 4 Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 spreche für eine Ermittlung der Kosten "ex post". Das werde bestätigt durch das Realkostengebot in Art. 27 Abs. 4 Buchst. a VO (EG) Nr. 882/2004; denn die Einhaltung der dort vorgegebenen Gebührenobergrenze könne nur sinnvoll umgesetzt werden, wenn die tatsächliche Kostenhöhe feststehe. Durch den Europäischen Gerichtshof sei ferner zu beantworten, wie der Begriff des "bestimmten Zeitraums" in Art. 27 Abs. 4 Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 zu verstehen sei. Schließlich habe das Oberverwaltungsgericht Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 fehlerhaft ausgelegt. Es habe sich nicht damit auseinander gesetzt, dass die Notifizierungspflicht des Mitgliedstaates erkennbar im Zusammenhang mit der Prüfungspflicht der Kommission nach Art. 27 Abs. 12 Satz 2 VO (EG) Nr. 882/2004 stehe, die ihrerseits drittschützend zugunsten der Gebührenschuldner wirke. Außerdem werde gerügt, dass das Berufungsgericht nicht auf Art. 27 Abs. 5 VO (EG) Nr. 882/2004 eingegangen sei, obwohl die Klägerin geltend gemacht habe, dass in Bezug auf ihren Betrieb Art. 27 Abs. 5 Buchst. a und Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 einschlägig sein könnten. Insoweit liege auch ein Begründungsmangel vor.
Der Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hält das angefochtene Urteil in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz für unionsrechtskonform. Das Ministerium habe mitgeteilt, dass die Kommission im Verlauf der Beratungen zur Verordnung (EG) Nr. 882/2004 im Rat keinen Zweifel daran gelassen habe, die Gebührenregelungen der Richtlinie 85/73/EWG lediglich in einen neuen Rechtsakt überführen zu wollen. Das gelte auch für die Kriterien des Art. 5 Abs. 1 RL 85/73/EWG i.d.F. der Richtlinie 96/43/EG, die in Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 beibehalten werden sollten.
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Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Berufungsurteil beruht nicht auf einer Verletzung von Unionsrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die angefochtene Gebührenerhebung mit der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 vereinbar ist (1.). Die Verfahrensrüge bleibt ohne Erfolg (2.).
1. Nach der für den Senat bindenden Auslegung des Landesrechts durch die Vorinstanz (§ 137 Abs. 1 VwGO, § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO) findet der angegriffene Gebührenbescheid seine Rechtsgrundlage in § 5 Abs. 1 Satz 1 der Gebührensatzung des Beklagten. Hiernach wird für Amtshandlungen im Zusammenhang mit der Fleischuntersuchung in öffentlichen Schlachthöfen je Rind, Schwein/Wildschwein, Schaf, Ziege, Wildwiederkäuer und Einhufer die Gebühr erhoben, die sich aus den anliegenden Tabellen (Blätter 1 bis 6) ergibt. Das Oberverwaltungsgericht hat das Landesrecht ohne Verstoß gegen Unionsrecht - eine Verletzung von Bundesrecht ist weder geltend gemacht noch sonst erkennbar - ausgelegt und angewendet.
a) Einschlägig ist die Verordnung (EG) Nr. 882/2004 vom 29. April 2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz (ABl Nr. L 165 S. 1, ber. ABl Nr. L 191 S. 1) i.d.F. der Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 vom 20. November 2006 (ABl Nr. L 363 S. 1). Art. 26 ff. der Verordnung regeln die Finanzierung der amtlichen Kontrollen. Zu den Kontrollen im Sinne der Verordnung gehören unter anderem Fleischhygieneuntersuchungen in Schlachtbetrieben (vgl. Art. 2 Satz 2 Nr. 1, Anhang IV Abschnitt A Nr. 1 VO <EG> Nr. 882/2004 i.V.m. Art. 1 und Anhang A Kap. I RL 85/73/EWG; Art. 5 der Verordnung <EG> Nr. 854/2004 vom 29. April 2004 mit besonderen Verfahrensvorschriften für die amtliche Überwachung von zum menschlichen Verzehr bestimmten Erzeugnissen tierischen Ursprungs, ABl Nr. L 139 S. 206). Art. 26 ff. VO (EG) Nr. 882/2004 ersetzen die Richtlinie 85/73/EWG vom 29. Januar 1985 über die Finanzierung der veterinär- und hygienerechtlichen Kontrollen nach den Richtlinien 89/662/EWG, 90/425/EWG, 90/675/EWG und 91/496/EWG (ABl Nr. L 32 S. 14, zuletzt geändert durch die Richtlinie 97/79/EG vom 18. Dezember 1997, ABl Nr. L 24 S. 31), die mit Wirkung vom 1. Januar 2008 aufgehoben wurde (Art. 61 Abs. 1 Satz 2 VO <EG> Nr. 882/2004). Sie gilt ab dem 1. Januar 2006 mit Ausnahme der Art. 27 und 28, die ab dem 1. Januar 2007 anwendbar sind (Art. 67 VO <EG> Nr. 882/2004). Danach unterliegt die Gebührenerhebung für die im September 2008 im Betrieb der Klägerin durchgeführten amtlichen Kontrollen dem sachlichen und zeitlichen Anwendungsbereich des Art. 27 VO (EG) Nr. 882/2004.
b) In Übereinstimmung mit Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 882/2004 ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Beklagte in die der Gebührensatzung zugrundeliegende Kalkulation allgemeine Verwaltungspersonal- und -sachkosten einstellen durfte.
Art. 27 Abs. 2 VO (EG) Nr. 882/2004 verpflichtet die Mitgliedstaaten, Gebühren zur Deckung der Kosten zu erheben, die durch amtliche fleischhygienerechtliche Kontrollen entstehen. Gemäß Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 882/2004 dürfen die Gebühren nicht höher sein als die von den zuständigen Behörden getragenen Kosten in Bezug auf die Ausgaben gemäß Anhang VI (Buchst. a); sie können auf der Grundlage der von den zuständigen Behörden während eines bestimmten Zeitraums getragenen Kosten als Pauschale festgesetzt werden oder gegebenenfalls den in Anhang IV Abschnitt B bzw. Anhang V Abschnitt B festgelegten (Mindest-)Beträgen entsprechen (Buchst. b). Nach Anhang VI sind bei der Berechnung der Gebühren zu berücksichtigen: 1. Löhne und Gehälter des für die amtlichen Kontrollen eingesetzten Personals, 2. Kosten für das für die amtlichen Kontrollen eingesetzte Personal, einschließlich der Kosten für Anlagen, Hilfsmittel, Ausrüstung und Schulung sowie der Reise- und Nebenkosten und 3. Kosten für Probenahme und Laboruntersuchung.
In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass zu den berücksichtigungsfähigen Kosten im Sinne von Art. 27 Abs. 4 i.V.m. Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 auch allgemeine Verwaltungspersonal- und -sachkosten gehören, wenn und soweit sie der zuständigen Behörde im Zusammenhang mit der Durchführung der amtlichen Kontrollen entstehen (Urteil vom 26. April 2012 - BVerwG 3 C 20.11 - Buchholz 418.5 Fleischbeschau Nr. 31). Anhang VI knüpft an den Kostenmaßstab des Art. 5 Abs. 1 RL 85/73/EWG an. Es ist nicht ersichtlich, dass der Verordnungsgeber von den bisherigen Grundsätzen abweichen wollte und nur noch solche Kosten umlagefähig sein sollten, die für das bei den amtlichen Kontrollen eingesetzte Untersuchungspersonal (Tierärzte und Fachassistenten) anfallen. Gegen diese Auslegung spricht namentlich, dass Ausgaben für verwaltungsmäßige Aufgaben ansatzfähig wären, wenn die Verwaltungstätigkeit vom Untersuchungspersonal selbst wahrgenommen würde, während diese Kosten unberücksichtigt bleiben müssten, wenn dafür Verwaltungspersonal eingesetzt würde. Es liegt auf der Hand, dass ein solches Ergebnis widersinnig ist und das Ziel der Verordnung konterkariert, zur Gewährleistung effektiver Kontrollen eine kostendeckende Finanzierung sicherzustellen. Der Ansatz allgemeiner Verwaltungskosten steht auch weder im Widerspruch zum Wortlaut des Anhangs VI VO (EG) Nr. 882/2004 noch dazu, dass Art und Umfang der amtlichen Kontrollen nach Art. 3 Abs. 1 und Art. 27 Abs. 5 Buchst. a VO (EG) Nr. 882/2004, Art. 4 Abs. 9 und Art. 5 Nr. 5 Buchst. b VO (EG) Nr. 854/2004 von einer behördlichen Risikobewertung des betroffenen Unternehmens abhängen (vgl. im Einzelnen Urteil vom 26. April 2012 a.a.O. Rn. 18 ff.).
Die Urteilskritik der Klägerin (unter Hinweis auf Zeitzmann/Gräsel, LMuR 2012, 220 und LMuR 2013, 41) gibt keine Veranlassung zu einer Änderung der Senatsrechtsprechung. Sie vermag insbesondere nicht zu entkräften, dass der Zweck der Gebührenerhebung, wie gezeigt, klar für eine Berücksichtigungsfähigkeit allgemeiner Verwaltungspersonal- und -sachkosten streitet. Nicht überzeugend sind auch die Schlussfolgerungen, die die Klägerin aus dem Vergleich des Personalbegriffs in Anhang VI mit Begrifflichkeiten in anderen Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 ("Personal der zuständigen Behörde"; "Kontrollpersonal"; "Personal für die Durchführung amtlicher Kontrollen") ziehen will. Hätte der Verordnungsgeber bezweckt, das Verwaltungspersonal aus dem Kostenmaßstab in Anhang VI auszuklammern, hätte es nahegelegen, dies durch eine entsprechende Formulierung klar zu stellen. Im Übrigen spricht der Umstand, dass mit dem Begriff der amtlichen Kontrolle nach Art. 2 Satz 2 Nr. 1 VO (EG) Nr. 882/2004 alle Tätigkeiten gemeint sind, die im Zusammenhang mit den Kontrollaufgaben anfallen (vgl. Art. 6 Buchst. a und Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Anhang II Kap. I und Kap. II, Art. 9, Art. 10 VO <EG> Nr. 882/2004), gerade für eine weite Auslegung des Personalbegriffs in Anhang VI. Schließlich besteht auch nicht die von der Klägerin besorgte Gefahr einer willkürlichen Gebührenbemessung. Die Behörde darf allgemeine Verwaltungspersonal- und -sachausgaben nur insoweit berücksichtigen, als sie durch die amtlichen Kontrollen anteilig entstehen, das heißt ihnen zugerechnet werden können. Ob die behördliche Gebührenberechnung (Kalkulation) dem entspricht, ist eine Frage des Einzelfalls und im Streitfall von den Tatsachengerichten zu überprüfen. Dabei obliegt es der Behörde, die in die Berechnung eingestellten Kostenpositionen nach Art und Höhe plausibel zu machen.
Der von der Klägerin angeregten Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs nach Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) bedarf es nicht. An der Umlagefähigkeit allgemeiner Verwaltungskosten bestehen - wie gezeigt - keine vernünftigen Zweifel ("acte clair", EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs. C-283/81, Cilfit u.a. - Slg. 1982, 3415 Rn. 16; BVerwG, Urteil vom 26. April 2012 a.a.O. Rn. 32).
c) Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, der Beklagte dürfe die Gebühren auf der Grundlage einer Vorauskalkulation der zu deckenden Kosten erheben, ist aus Sicht des Unionsrechts ebenfalls nicht zu beanstanden.
In Bezug auf die Gebühr nach Anhang A Kap. I Nr. 4 RL 85/73/EWG i.d.F. der Richtlinie 96/43/EG vom 26. Juni 1996 (ABl Nr. L 162 S. 1) hat der Senat bereits wiederholt entschieden, dass deren Höhe auf der Basis im Vorhinein kalkulierter Kosten ermittelt werden durfte und es nicht etwa einer nachträglichen Kostenabrechnung jedes Einzelfalls bedurfte (Beschlüsse vom 21. Dezember 2010 - BVerwG 3 B 64.10 - juris Rn. 4 und vom 31. August 2012 - BVerwG 3 B 26.12 - juris Rn. 5; Urteil vom 20. Dezember 2007 - BVerwG 3 C 50.06 - Buchholz 418.5 Fleischbeschau Nr. 27 Rn. 28). Das wird bestätigt durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der sich keine Anhaltspunkte für eine Unzulässigkeit der Gebührenvorauskalkulation entnehmen lassen (vgl. z.B. Urteile vom 19. März 2009 - Rs. C-270/07 und Rs. C-309/07 - Slg. 2009, I-1983 und I-2077 und vom 9. September 1999 - Rs. C-374/97 - Slg. 1999, I-5153, jeweils zur Richtlinie 85/73/EWG; Urteil vom 7. Juli 2011 - Rs. C-523/09 - LMuR 2011, 100 - zu Art. 27 VO <EG> Nr. 882/2004).
Für die Gebührenerhebung nach Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 882/2004 kann nichts Anderes gelten. Wie die Vorgängerregelung der Richtlinie 85/73/EWG schließt Art. 27 VO (EG) Nr. 882/2004 eine Festsetzung von Gebührensätzen, die auf einer Kalkulation "ex ante" beruht, nicht aus. Das Unionsrecht macht den Mitgliedstaaten in dieser Hinsicht keine Vorgaben. Soweit Art. 27 Abs. 4 Buchst. b bestimmt, dass die Gebühren "auf der Grundlage der von den zuständigen Behörden während eines bestimmten Zeitraums getragenen Kosten" festgesetzt werden können, lässt sich daraus kein Verbot der Vorauskalkulation der Gebühren ableiten. Die Formulierung knüpft an den Grundsatz der Kostendeckung an (Art. 27 Abs. 1 und Erwägungsgrund 32 VO <EG> Nr. 882/2004) und besagt nicht mehr, als dass sich die Gebühr an den Kosten auszurichten hat und es deshalb sachgerecht ist, die Gebühren für den zukünftigen Erhebungszeitraum anhand der feststehenden Kosten der abgeschlossenen Erhebungsperiode zu kalkulieren. Dem Kostendeckungsgrundsatz entspricht des Weiteren, absehbare Kostensteigerungen oder -senkungen bei der Kalkulation zu berücksichtigen. Diesen Maßgaben wird die Gebührenkalkulation des Beklagten nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts gerecht (Urteilsabdruck, S. 10 unten sowie S. 23).
Ist die unionsrechtliche Zulässigkeit der Gebührenvorauskalkulation hiernach nicht zweifelhaft, ist eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nicht erforderlich. Dasselbe gilt für die von der Klägerin aufgeworfene Frage zu dem Zeitraum, auf den Art. 27 Abs. 4 Buchst. b VO (EG) Nr. 882/2004 abstellt. Es ist offenkundig, dass die Zeitspanne von zwölf Monaten, die der Beklagte seiner Kalkulation zugrunde gelegt hat, unionsrechtskonform ist. Der Verordnungsgeber lässt den Mitgliedstaaten auch bei der Bestimmung der geeigneten Kalkulationsperiode zur Ermittlung der anfallenden Kosten freie Hand. Die Klägerin zeigt nicht ansatzweise auf, dass der Zeitraum eines Kalenderjahres sachwidrig und deshalb von Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 882/2004 nicht mehr gedeckt sein könnte.
d) Schließlich ist der angefochtene Gebührenbescheid nicht deshalb rechtswidrig, weil die Bundesrepublik Deutschland gegen die Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten nach Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 verstoßen hat.
Gemäß Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 veröffentlichen die Mitgliedstaaten die Methode für die Berechnung der Gebühren und geben sie der Kommission bekannt (Satz 1). Die Kommission prüft, ob die Gebühren den Anforderungen der Verordnung entsprechen (Satz 2). Das Oberverwaltungsgericht hat Bedenken, ob die Bundesrepublik Deutschland der Veröffentlichungs- und Notifikationspflicht hinreichend nachgekommen ist. Es meint, die Publikation der Gebührensatzung ohne die zugrunde liegende Gebührenkalkulation genüge nicht, weil sich anhand der Satzung nicht beurteilen lasse, ob die Vorgaben des Art. 27 Abs. 4 i.V.m. Anhang VI VO (EG) Nr. 882/2004 eingehalten seien. Ebenso wenig ließen sich dem Schreiben des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vom 4. April 2008, mit dem der Kommission das Ergebnis einer Länderabfrage zur Methode der Gebührenberechnung übermittelt worden sei, die erforderlichen Informationen entnehmen; die Aussagen zur Gebührenerhebung in Nordrhein-Westfalen seien sehr allgemein. Allerdings verlangt Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 nicht die Bekanntgabe der konkreten Berechnungsgrundlagen, sondern beschränkt sich auf die Mitteilung der Berechnungsmethode. Zudem dürfte es einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten, eine Vielzahl einzelner Gebührenkalkulationen zur Überprüfung zu stellen. Auch wäre zu erwarten gewesen, dass die Kommission das Notifizierungsschreiben vom 4. April 2008 als ungenügend beanstandet, wenn sie die Angaben als nicht ausreichend beurteilt hätte.
Die Frage nach den Anforderungen an die Veröffentlichungs- und Mitteilungspflicht bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung. Selbst wenn von einem Verstoß gegen Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 auszugehen sein sollte, führt das nicht zur Rechtswidrigkeit der angegriffenen Gebührenerhebung. Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 betrifft ausschließlich das Rechtsverhältnis zwischen Mitgliedstaat und Kommission und begründet keine Rechte des einzelnen Gebührenschuldners. Das zeigt schon der Vergleich mit Art. 27 Abs. 6 VO (EG) Nr. 882/2004. Darin wird für die Zulässigkeit von niedrigeren Gebühren als den nach Anhang IV Abschnitt B und Anhang V Abschnitt B festgesetzten Mindestbeträgen ausdrücklich vorausgesetzt, dass der Mitgliedstaat der Kommission einen Bericht übermittelt, der über die Methode für die Berechnung der reduzierten Gebühr Auskunft gibt. Vergleichbares sieht Art. 27 Abs. 4 VO (EG) Nr. 882/2004 nicht vor.
Die Folgenlosigkeit eines Verstoßes gegen Art. 27 Abs. 12 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 für die Rechtmäßigkeit des Gebührenbescheides ergibt sich darüber hinaus aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Verletzung von Notifizierungspflichten. Die Nichteinhaltung einer den Mitgliedstaaten obliegenden Verpflichtung zur Unterrichtung der Kommission führt nur dann zur Rechtswidrigkeit oder Ungültigkeit einer nationalen Maßnahme, wenn der in Rede stehenden unionsrechtlichen Vorschrift diese Rechtsfolge zu entnehmen ist. Das setzt voraus, dass die Wirksamkeit der innerstaatlichen Regelung vom Einverständnis oder dem fehlenden Widerspruch der Kommission abhängig gemacht wird (EuGH, Urteil vom 21. Juli 2011 - Rs. C-2/10, Azienda Agro-Zootecnica Franchini u.a. - Rn. 53 sowie Schlussanträge des Generalanwalts vom 14. April 2011 Rn. 38; Urteil vom 30. April 1996 - Rs. C-194/94, CIA Security International - Slg. 1996, I-2201 Rn. 49 f.). Hingegen zieht die Verletzung der Notifizierungspflicht nicht die Rechtswidrigkeit der nationalen Maßnahme nach sich, wenn die Mitteilungspflicht allein den Zweck hat, die Kommission zu informieren und ihr die Prüfung zu ermöglichen, ob das Unionsrecht eingehalten wird (EuGH, Urteile vom 13. Juli 1989 - Rs. C-380/87, Enichem Base u.a. - Slg. 1989, I-2491 Rn. 19 ff., vom 23. Mai 2000 - Rs. C-209/98, Sydhavnens Sten & Grus - Slg. 2000, I-3743 Rn. 96 ff. und vom 6. Juni 2002 - Rs. C-159/00, Sapod Audic - Slg. 2002, I-5031 Rn. 58 ff.). So liegt der Fall hier. Wie Art. 27 Abs. 12 Satz 2 VO (EG) Nr. 882/2004 deutlich macht, dient die Mitteilungspflicht nach Satz 1 allein dazu, dass die Kommission die nationalen Gebühren auf ihre Vereinbarkeit mit den Anforderungen der Verordnung überprüfen kann. Die Gebührenerhebung ist nicht an das Einverständnis oder den fehlenden Widerspruch der Kommission geknüpft.
Der von der Klägerin angeregten Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs bedarf es nicht. Die Voraussetzungen, unter denen die Verletzung einer Notifizierungspflicht die Rechtswidrigkeit einer nationalen Maßnahme zur Folge hat, sind in der Rechtsprechung des Gerichtshofs - wie gezeigt - geklärt. Es ist auch nicht zweifelhaft, dass Art. 27 Abs. 12 VO (EG) Nr. 882/2004 dem einzelnen Gebührenschuldner kein Recht verleiht, auf das er sich vor den nationalen Gerichten berufen könnte, um die Rechtswidrigkeit der Gebührenerhebung geltend zu machen.
2. Die Verfahrensrüge greift nicht durch. Das angegriffene Urteil leidet weder an dem geltend gemachten Begründungsmangel noch liegt ein Gehörsverstoß vor. Bereits das Verwaltungsgericht hat sich mit dem Einwand der Klägerin auseinander gesetzt, es sei zu prüfen, ob in ihrem Fall betriebsbezogene Sondertatbestände nach Art. 27 Abs. 5 VO (EG) Nr. 882/2004 vorlägen. Es hat dazu ausgeführt, die Klägerin habe nicht dargelegt, dass die Gebührensatzung des Beklagten die in Art. 27 Abs. 5 VO (EG) Nr. 882/2004 genannten Aspekte nicht berücksichtige. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ihr Vorbringen nicht konkretisiert. Ebenso wenig ist sie in der mündlichen Verhandlung auf die Einwendung zurückgekommen (vgl. Sitzungsprotokoll vom 16. November 2011, Bl. 155 ff. der Gerichtsakte). Für das Oberverwaltungsgericht hat daher keine Veranlassung bestanden, auf diesen Gesichtspunkt weiter einzugehen. Eine ausdrückliche Befassung musste sich auch sonst nicht aufdrängen; denn die vom Verwaltungsgericht angenommene Vereinbarkeit der Gebührensatzung mit Art. 27 Abs. 5 VO (EG) Nr. 882/2004 unterliegt keinen rechtlichen Bedenken. Der Satzungsgeber hat in den Blick genommen, dass die Gebührensätze unter Berücksichtigung der Kriterien nach Art. 27 Abs. 5 VO (EG) Nr. 882/2004 zu erheben sind (vgl. § 1 Abs. 1 Unterabs. 1 der Gebührensatzung). Den in Art. 27 Abs. 5 Buchst. a und Buchst. b genannten betriebsbezogenen Aspekten hat er Rechnung getragen, indem bei den Gebührensätzen nach Kleinbetrieben, Großbetrieben und öffentlichen Schlachthöfen sowie nach Schlachtzahlstaffeln differenziert wird.
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http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-WBRE410019701&psml=bsjrsprod.psml&max=true
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019702
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BVerwG
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3. Senat
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20130624
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3 B 71/12
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Beschluss
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§ 13 S 1 Nr 2 Buchst d FeV 2010, § 14 Abs 2 Nr 1 FeV 2010, § 69 StGB
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vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 18. Juni 2012, Az: 10 S 452/10, Urteil vorgehend VG Freiburg (Breisgau), 7. Oktober 2009, Az: 2 K 320/09
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DEU
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Fahrerlaubnisentziehung; Eignungszweifel bei Alkoholproblematik, strafgerichtliche Entziehung
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Entziehung der Fahrerlaubnis im Sinne von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV (juris: FeV 2010) ist - wie in § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV - auch die strafgerichtliche Entziehung nach § 69 StGB.
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Die Beschwerde des Klägers bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Der Kläger begehrt die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen AA, B und BE. Er wurde nach einer von ihm im Dezember 2005 unternommenen Trunkenheitsfahrt wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs und unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr vom Strafgericht zu einer Geldstrafe verurteilt; ihm wurde die Fahrerlaubnis entzogen und eine Wiedererteilungssperre von 11 Monaten angeordnet. Das Amtsgericht ging von einer Blutalkoholkonzentration von 1,58 Promille zur Tatzeit aus. Als der Kläger im Juli 2008 beim Landratsamt die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis beantragte, wurde er zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens aufgefordert. Dieser Aufforderung kam er nicht nach. Daraufhin lehnte das Landratsamt seinen Neuerteilungsantrag gestützt auf § 11 Abs. 8 FeV ab. Seine nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Das Berufungsgericht hat dieses Urteil geändert, die angefochtenen Bescheide aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Das Landratsamt habe nicht nach § 11 Abs. 8 FeV von der fehlenden Eignung des Klägers ausgehen dürfen, da die Gutachtensanforderung nicht den formellen Anforderungen des § 11 Abs. 6 FeV entsprochen habe. Der Kläger habe aber keinen Anspruch auf die beantragte Fahrerlaubnis, da nicht ausgeräumte Eignungsbedenken die Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens erforderten. Eine solche Beibringensanordnung sei zwar nicht nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV, jedoch sowohl nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d als auch nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a 2. Alt. FeV geboten.
Ist ein Urteil - wie hier - nebeneinander auf mehrere jeweils selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann eine Revision nur dann zugelassen werden, wenn im Hinblick auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss vom 9. April 1981 - BVerwG 8 B 44.81 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 197).
Diese Voraussetzung erfüllt die Beschwerde nicht. Sie unternimmt zwar den Versuch, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowohl hinsichtlich der Auslegung von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a FeV als auch hinsichtlich des Buchst. d darzulegen, deren Anwendung das Berufungsurteil jeweils selbständig trägt. Doch ist schon allein in Bezug auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV revisionsgerichtlicher Klärungsbedarf nicht dargetan. Eine Revisionszulassung ist bereits deshalb nicht gerechtfertigt.
Offen bleiben kann, ob die Beschwerdebegründung den Darlegungserfordernissen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO in Bezug auf diese Regelung deshalb nicht genügt, weil dort keine konkrete Rechtsfrage formuliert wird. Auch wenn man dem Vorbringen sinngemäß entnimmt, der Kläger halte die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV so zu verstehen ist, dass mit der Formulierung "die Fahrerlaubnis aus einem der unter den Buchstaben a bis c genannten Gründe entzogen war" sowohl Entziehungen durch die Fahrerlaubnisbehörde als auch durch ein Gericht erfasst werden, ist, auch ohne dass es hierfür erst noch der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte, klar, dass diese Frage in dem vom Berufungsgericht angenommenen Sinne zu beantworten ist.
Der Wortlaut der Regelung lässt die vom Berufungsgericht befürwortete Auslegung ohne Weiteres zu, nachdem auch in § 69 StGB von Entziehung der Fahrerlaubnis die Rede ist. Der Einwand des Klägers, § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a bis c, auf die in Buchst. d als Grund für die vorangegangene Fahrerlaubnisentziehung abgestellt wird, setzten ihrerseits stets eine verwaltungsbehördliche Fahrerlaubnisentziehung voraus, ist offenkundig unzutreffend. Umgekehrt sprechen Sinn und Zweck von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst d FeV eindeutig dafür, dass die verwaltungsbehördliche und die strafgerichtliche Fahrerlaubnisentziehung gleichermaßen gemeint sind. Grund für die Fahrerlaubnisentziehung war jeweils, dass deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen wurde. Das führt in dem durch § 13 Satz 1 Buchst. a bis c FeV gezogenen Rahmen zu fortbestehenden Eignungszweifeln und daher nach Buchst. d zur Anforderung eines Fahreignungsgutachtens. Zudem hatte der Verordnungsgeber das Urteil des Berufungsgerichts vom 18. Mai 2004 - 10 S 2796/03 - (VBlBW 2004, 428), in dem der Verwaltungsgerichtshof bereits in Bezug auf die damals noch gleichlautende Vorschrift des § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV zum Ergebnis gekommen war, dass sowohl Fahrerlaubnisentziehungen durch die Verwaltungsbehörden als auch durch die Gerichte erfasst seien, zum Anlass genommen, mit der Vierten Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 18. Juli 2008 (BGBl I S. 1338) nun auch den Wortlaut von § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV um eine entsprechende Klarstellung zu ergänzen. Zur Begründung heißt es, den Regelungen des Straßenverkehrsgesetzes könne entnommen werden, dass sich der Gesetzgeber beim Erlass der Möglichkeiten der Entziehung einer Fahrerlaubnis aufgrund von § 69 StGB und durch einen anfechtbaren Verwaltungsakt der Fahrerlaubnisbehörde bewusst gewesen sei. Wenn in der aufgrund von § 6 Abs. 1 StVG erlassenen Fahrerlaubnis-Verordnung der Begriff der Entziehung der Fahrerlaubnis verwendet werde, so sei davon auszugehen, dass damit beide Wege der Entziehung der Fahrerlaubnis gemeint seien. Die Beschränkung des Begriffs der Entziehung der Fahrerlaubnis auf die Feststellung der Fahrungeeignetheit in einem verwaltungsbehördlichen Verfahren widerspräche der Vorrangstellung, die der Gesetzgeber (vgl. § 3 Abs. 3 StVG) der im Rahmen eines Strafverfahrens erfolgenden Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis beimesse (VkBl 2008 S. 567). Diese Gründe treffen in gleicher Weise auf die Parallelregelung in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV zu. Die Bestimmungen unterscheiden sich der Sache nach nur dadurch, dass es bei § 13 FeV um die Klärung von Eignungszweifeln bei einer Alkoholproblematik und bei § 14 FeV um die Klärung solcher Eignungsbedenken im Hinblick auf Betäubungsmittel und Arzneimittel geht. Insofern kann auch daraus, dass der Verordnungsgeber eine entsprechende Ergänzung des Normtextes nicht auch in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV vorgenommen hat, nicht geschlossen werden, dass dort etwas Anderes gelten soll. Dementsprechend hat der Senat § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV bereits in mehreren Fällen auch dann für anwendbar erachtet, wenn die Fahrerlaubnisentziehung durch das Strafgericht erfolgt war (vgl. u.a. Urteile vom 28. Juni 2012 - BVerwG 3 C 30.11 - Buchholz 442.10 § 3 StVG Nr. 10 = NJW 2012, 3669 juris Rn. 22 und vom 28. April 2010 - BVerwG 3 C 2.10 - BVerwGE 137, 10 <14> Rn. 18; zustimmend - unter Bezugnahme auf das Berufungsurteil - auch Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl. 2013, § 13 FeV Rn. 26).
Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO abgesehen.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019703
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BVerwG
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3. Senat
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20130621
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3 B 89/12
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Beschluss
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§ 48 Abs 1 VwVfG, Art 4 Abs 3 EU
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vorgehend OVG Lüneburg, 1. August 2012, Az: 10 LC 180/10, Urteil
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DEU
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Unionsrecht; innerstaatliche Verfahrensautonomie; Effektivitätsgrundsatz; Bestandskraftdurchbrechung
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I.
Der Kläger begehrt im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens höhere Ausgleichs- und Flächenzahlungen nach den Stützungsregelungen für Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen.
Dem Kläger wurden für die Jahre 1993 bis 2004 Ausgleichs- und Flächenzahlungen bewilligt, deren Höhe auf der Grundlage von Verordnungen des Bundes bestimmt wurde, die das Land Niedersachsen für den Getreideanbau in mehrere Erzeugungsregionen mit unterschiedlichen Durchschnittserträgen unterteilten. Für den Kläger ergab sich daraus ein Fördersatz, der unter dem Durchschnitt im Land Niedersachsen lag. Er legte deshalb zunächst gegen mehrere Bewilligungsbescheide Widerspruch ein, die er nach Mitteilung, dass die Musterprozesse abgeschlossen seien, im Jahr 1999 zurück nahm.
In seinem Urteil vom 25. Juli 2007 - BVerwG 3 C 10.06 - (BVerwGE 129, 116 = Buchholz 451.513 Sonst. Marktordnungsrecht Nr. 6) hat der Senat inzident entschieden, dass die in der Flächenzahlungs-Verordnung für die Jahre 2000 bis 2004 vorgenommene Unterteilung des Bundesgebiets in Erzeugungsregionen mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht vereinbar und deshalb nichtig ist; das Land Niedersachsen sei ohne sachliche Rechtfertigung abweichend zum Gebiet der anderen Länder in mehrere Erzeugungsregionen aufgeteilt worden. Die Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-Verordnung sah für die Jahre 1993 bis 1999 eine im Wesentlichen gleiche Unterteilung in Erzeugungsregionen vor.
Den im Dezember 2007 gestellten Antrag des Klägers, ihm im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens für die Jahre 1993 bis 2004 höhere Zahlungen zu gewähren, hat die Beklagte abgelehnt. Die hiergegen erhobene Klage blieb in beiden Instanzen erfolglos. Ein Wiederaufgreifensgrund im Sinne von § 51 Abs. 1 VwVfG liege nicht vor. Ein Wiederaufgreifen im Ermessenswege habe die Beklagte fehlerfrei abgelehnt; ihr Ermessen sei auch durch Unionsrecht nicht auf Null reduziert.
II.
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf.
1. Mit der Frage,
ob eine direkte oder analoge Anwendung bzw. weite Rechtsauslegung der EuGH-Rechtsprechung (Urteil vom 13. Januar 2004 - Rs. C-453/00, Kühne u. Heitz - Slg. 2004, I-858) im Lichte von Art. 4 Abs. 3 EUV (ex-Art. 10 EGV) ausgeschlossen ist, wenn nicht alle im Einzelfall benannten Voraussetzungen vorliegen,
möchte der Kläger sinngemäß geklärt wissen, ob sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) eine unionsrechtliche Verpflichtung zum Wiederaufgreifen eines Verfahrens nur unter den Voraussetzungen ergeben kann, die vom Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) in seinem Urteil in der Rechtssache Kühne u. Heitz genannt worden sind. Damit knüpft der Kläger zwar daran an, dass das Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage dieses Urteils angenommen hat, es sei unverzichtbare Voraussetzung für eine unionsrechtlich gebotene Bestandskraftdurchbrechung, den nationalen Rechtsweg auszuschöpfen (UA S.15). Eine klärungsbedürftige Frage ist damit gleichwohl nicht dargetan.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es mangels einschlägiger Unionsregelungen Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung, das Verfahren zu regeln, innerhalb dessen der Schutz der Rechte gewährleistet wird, die sich aus dem Unionsrecht ergeben. Diese Verfahrensautonomie wird allerdings durch den Äquivalenz- und den Effektivitätsgrundsatz begrenzt (EuGH, Urteile vom 4. Oktober 2012 - Rs. C-249/11, Byankov - juris Rn. 69, vom 13. März 2007 - Rs. C-432/05, Unibet - Slg. 2007, I-2301 Rn. 39, 43 und vom 19. September 2006 - Rs. C-392/04 und C-422/04, i-21 Germany und Arcor - Slg.2006, I-8591 Rn. 57). Der Effektivitätsgrundsatz verlangt, dass die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird. Dabei anerkennt der Gerichtshof, dass die Bestandskraft zur Rechtssicherheit beiträgt und das Unionsrecht daher nicht verlangt, dass eine Verwaltungsbehörde grundsätzlich verpflichtet ist, eine bestandskräftig gewordene Entscheidung aufzuheben (EuGH Urteile vom 4. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 76, vom 12. Februar 2008 - Rs. C-2/06, Kempter - Slg. 2008, I-411 Rn. 37 f., vom 19. September 2006 a.a.O. Rn. 51 und vom 13. Januar 2004 a.a.O. Rn. 24). Vielmehr sind vom nationalen Recht vorgesehene Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung grundsätzlich mit Unionsrecht vereinbar; sie machen die Verwirklichung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich und erschweren sie nicht übermäßig, selbst wenn ihr Ablauf zur vollständigen oder teilweisen Abweisung der Klage führt (EuGH, Urteil vom 2. Dezember 1997 - Rs. C-188/95, Fantask u.a. - Slg. 1997, I-6783 Rn. 48).
Liegen besondere Umstände vor, kann sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit in Gestalt des Effektivitätsgrundsatzes allerdings die Verpflichtung ergeben, eine bestandskräftig gewordene Entscheidung zu überprüfen. Einen solchen Fall hat der Gerichtshof in der Rechtssache Kühne u. Heitz unter den dort genannten Voraussetzungen angenommen und nachfolgend weiter präzisiert (EuGH, Urteile vom 12. Februar 2008 a.a.O. und vom 16. März 2006 - Rs. C 234/04, Kapferer - Slg. 2006, I-2605). Er hat darüber hinaus aber auch in anderen besonders gelagerten Fällen angenommen, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit die Aufrechterhaltung einer bestandskräftigen Entscheidung nicht mehr rechtfertigen kann. Eine solche Situation hat der Gerichtshof etwa für die Rückforderung unionsrechtswidriger Beihilfen angenommen (EuGH, Urteil vom 16. Juli 1998 - Rs. C-298/96 - Ölmühle, Slg.1998, I-4782 Rn. 23 f.). Eine Verletzung des Effektivitätsgrundsatzes und des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit in der Aufrechterhaltung einer bestandskräftigen Entscheidung hat er auch im Falle eines gegen die Freizügigkeit verstoßenden, fortdauernden Ausreiseverbots gesehen (EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 78 ff.; parallel, zur Erstreckung der Rechtskraft auf im Urteil getroffene Feststellungen und einer hieraus folgenden Perpetuierung einer möglicherweise unionsrechtswidrigen <Nicht->Besteuerung EuGH, Urteil vom 3. September 2009 - Rs. C-2/08, Olimpiclub - juris Rn. 24 ff.; vgl. auch Urteil vom 29. April 1999 - Rs. C-224/97, Ciola - Slg. 1999, I-2530).
Die Frage, ob mit den in der Rechtssache Kühne & Heitz genannten Voraussetzungen abschließend alle Fälle erfasst werden, in denen aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit eine unionsrechtliche Verpflichtung zum Wiederaufgreifen eines Verfahrens folgen kann, lässt sich danach auf der Grundlage der Rechtsprechung des Gerichtshofs verneinend beantworten und bedarf auf der Ebene dieser Abstraktion keiner weiteren Klärung.
2. Die weitere Frage,
ob der Kläger nach einem Urteil des Gerichtshofs bzw. der Entscheidung vom 13. Januar 2004 (a.a.O.) einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens hat,
weist für sich gesehen weder über den Einzelfall hinaus noch bezieht sie sich unmittelbar auf die Klärung der Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer bestimmten Norm oder eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes. Sinngemäß möchte der Kläger mit ihr geklärt wissen, ob sich unter den Umständen seines Falles aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit in Verbindung mit den Bestimmungen der §§ 48 ff. des Verwaltungsverfahrensgesetzes ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ergibt. Damit hat der Kläger einen über die Rechtsprechung des Gerichtshofs hinausweisenden Klärungsbedarf jedoch nicht in der gebotenen Weise dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
In der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist im Übrigen geklärt, dass allein der Umstand eines Urteils, aus dem sich die Rechtswidrigkeit parallel gelagerter, bestandskräftiger Entscheidungen ableiten lässt, nicht dazu verpflichtet, diese Entscheidungen einer erneuten Überprüfung zu unterziehen (EuGH, Urteil vom 14. September 1999 - Rs. C-310/97 P, AssiDomän Kraft Products - Slg. 1999, I-5398 Rn. 63). Darüber hinaus gilt, dass die Frage der Gewährleistung des Effektivitätsgrundsatzes auf der Grundlage der jeweils einschlägigen nationalen Verfahrensvorschrift, deren Stellung im Verfahren, des Verfahrensablaufs und deren Besonderheiten zu beantworten ist (EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2012, a.a.O. Rn. 75). Entsprechend verweist der Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. September 2006 (a.a.O. Rn. 61) zurück auf die Vorschrift des § 48 Abs. 1 VwVfG und die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Fällen, in denen die Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts schlechthin unerträglich ist und sich das Rücknahmeermessen zu einem Anspruch verdichtet (EuGH, Urteil vom 19. September 2006 a.a.O. Rn. 50, 63 f.). Im Übrigen überantwortet der Gerichtshof die Beurteilung des Einzelfalls - dort eines Bescheides, dessen Rechtswidrigkeit sich ebenfalls aufgrund einer mit dem Grundgesetz nicht vereinbaren Verordnung und darüber hinaus wegen eines vom Gerichtshof festgestellten klaren Unionsrechtsverstoßes ergab - dem nationalen Gericht (EuGH, Urteil vom 19. September 2006 a.a.O. Rn. 71 f.).
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http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-WBRE410019703&psml=bsjrsprod.psml&max=true
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019704
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BVerwG
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3. Senat
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20130621
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3 B 92/12
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Beschluss
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vorgehend OVG Lüneburg, 1. August 2012, Az: 10 LC 143/10, Urteil
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DEU
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I.
Der Kläger begehrt im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens höhere Ausgleichs- und Flächenzahlungen nach den Stützungsregelungen für Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen.
Dem Kläger wurden für die Jahre 1993 bis 2004 Ausgleichs- und Flächenzahlungen bewilligt, deren Höhe auf der Grundlage von Verordnungen des Bundes bestimmt wurde, die das Land Niedersachsen für den Getreideanbau in mehrere Erzeugungsregionen mit unterschiedlichen Durchschnittserträgen unterteilten. Für den Kläger ergab sich daraus ein Fördersatz, der unter dem Durchschnitt im Land Niedersachsen lag.
In seinem Urteil vom 25. Juli 2007 - BVerwG 3 C 10.06 - (BVerwGE 129, 116 = Buchholz 451.513 Sonst. Marktordnungsrecht Nr. 6) hat der Senat inzident entschieden, dass die in der Flächenzahlungs-Verordnung für die Jahre 2000 bis 2004 vorgenommene Unterteilung des Bundesgebiets in Erzeugungsregionen mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht vereinbar und deshalb nichtig ist; das Land Niedersachsen sei ohne sachliche Rechtfertigung abweichend zum Gebiet der anderen Länder in mehrere Erzeugungsregionen aufgeteilt worden. Die Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-Verordnung sah für die Jahre 1993 bis 1999 eine im Wesentlichen gleiche Unterteilung in Erzeugungsregionen vor.
Den im Januar 2008 gestellten Antrag des Klägers, ihm im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens für die Jahre 1993 bis 2004 höhere Zahlungen zu gewähren, hat die Beklagte abgelehnt. Die hiergegen erhobene Klage blieb in beiden Instanzen erfolglos. Ein Wiederaufgreifensgrund im Sinne von § 51 Abs. 1 VwVfG liege nicht vor. Ein Wiederaufgreifen im Ermessenswege habe die Beklagte fehlerfrei abgelehnt; ihr Ermessen sei nicht auf Null reduziert.
II.
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf.
1. Mit der Frage,
ob eine direkte oder analoge Anwendung bzw. weite Rechtsauslegung der EuGH-Rechtsprechung (Urteil vom 13. Januar 2004 - Rs. C-453/00, Kühne u. Heitz - Slg. 2004, I-858) im Lichte von Art. 4 Abs. 3 EUV (ex-Art. 10 EGV) ausgeschlossen ist, wenn nicht alle im Einzelfall benannten Voraussetzungen vorliegen,
möchte der Kläger sinngemäß geklärt wissen, ob sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) eine unionsrechtliche Verpflichtung zum Wiederaufgreifen eines Verfahrens nur unter den Voraussetzungen ergeben kann, die vom Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) in seinem Urteil in der Rechtssache Kühne u. Heitz genannt worden sind. Damit knüpft der Kläger zwar daran an, dass das Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage dieses Urteils angenommen hat, es sei unverzichtbare Voraussetzung für eine unionsrechtlich gebotene Bestandskraftdurchbrechung, den nationalen Rechtsweg auszuschöpfen (UA S. 14). Eine klärungsbedürftige Frage ist damit gleichwohl nicht dargetan.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es mangels einschlägiger Unionsregelungen Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung, das Verfahren zu regeln, innerhalb dessen der Schutz der Rechte gewährleistet wird, die sich aus dem Unionsrecht ergeben. Diese Verfahrensautonomie wird allerdings durch den Äquivalenz- und den Effektivitätsgrundsatz begrenzt (EuGH, Urteile vom 4. Oktober 2012 - Rs. C-249/11, Byankov - juris Rn. 69, vom 13. März - Rs. C-432/05, Unibet - Slg. 2007, I-2301 Rn. 39, 43 und vom 19. September 2006 - Rs. C-392/04 und C-422/04, i-21 Germany und Arcor - Slg. 2006, I-8591 Rn. 57). Der Effektivitätsgrundsatz verlangt, dass die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird. Dabei anerkennt der Gerichtshof, dass die Bestandskraft zur Rechtssicherheit beiträgt und das Unionsrecht daher nicht verlangt, dass eine Verwaltungsbehörde grundsätzlich verpflichtet ist, eine bestandskräftig gewordene Entscheidung aufzuheben (EuGH, Urteile vom 4. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 76, vom 12. Februar 2008 - Rs. C-2/06, Kempter - Slg. 2008, I-411 Rn. 37 f., vom 19. September 2006 a.a.O. Rn. 51 und vom 13. Januar 2004 a.a.O. Rn. 24). Vielmehr sind vom nationalen Recht vorgesehene Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung grundsätzlich mit Unionsrecht vereinbar; sie machen die Verwirklichung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich und erschweren sie nicht übermäßig, selbst wenn ihr Ablauf zur vollständigen oder teilweisen Abweisung der Klage führt (EuGH, Urteil vom 2. Dezember 1997 - Rs. C-188/95, Fantask u.a. - Slg. 1997, I-6783 Rn. 48).
Liegen besondere Umstände vor, kann sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit in Gestalt des Effektivitätsgrundsatzes allerdings die Verpflichtung ergeben, eine bestandskräftig gewordene Entscheidung zu überprüfen. Einen solchen Fall hat der Gerichtshof in der Rechtssache Kühne u. Heitz unter den dort genannten Voraussetzungen angenommen und nachfolgend weiter präzisiert (EuGH, Urteile vom 12. Februar 2008 a.a.O. und vom 16. März 2006 - Rs. C 234/04, Kapferer - Slg. 2006, I-2605). Er hat darüber hinaus aber auch in anderen besonders gelagerten Fällen angenommen, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit die Aufrechterhaltung einer bestandskräftigen Entscheidung nicht mehr rechtfertigen kann. Eine solche Situation hat der Gerichtshof etwa für die Rückforderung unionsrechtswidriger Beihilfen angenommen (EuGH, Urteil vom 16. Juli 1998 - Rs. C-298/96, Ölmühle - Slg. 1998, I-4782 Rn. 23 f.). Eine Verletzung des Effektivitätsgrundsatzes und des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit in der Aufrechterhaltung einer bestandskräftigen Entscheidung hat er auch im Falle eines gegen die Freizügigkeit verstoßenden, fortdauernden Ausreiseverbots gesehen (EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 78 ff.; parallel, zur Erstreckung der Rechtskraft auf im Urteil getroffene Feststellungen und einer hieraus folgenden Perpetuierung einer möglicherweise unionsrechtswidrigen <Nicht->Besteuerung EuGH, Urteil vom 3. September 2009 - Rs. C-2/08, Olimpiclub - juris Rn. 24 ff.; vgl. auch Urteil vom 29. April 1999 - Rs. C-224/97, Ciola - Slg. 1999, I-2530).
Die Frage, ob mit den in der Rechtssache Kühne u. Heitz genannten Voraussetzungen abschließend alle Fälle erfasst werden, in denen aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit eine unionsrechtliche Verpflichtung zum Wiederaufgreifen eines Verfahrens folgen kann, lässt sich danach auf der Grundlage der Rechtsprechung des Gerichtshofs verneinend beantworten und bedarf auf der Ebene dieser Abstraktion keiner weiteren Klärung.
2. Die weitere Frage,
ob der Kläger nach einem Urteil des Gerichtshofs bzw. der Entscheidung vom 13. Januar 2004 (a.a.O.) einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens hat,
weist für sich gesehen weder über den Einzelfall hinaus noch bezieht sie sich unmittelbar auf die Klärung der Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer bestimmten Norm oder eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes. Sinngemäß möchte der Kläger mit ihr geklärt wissen, ob sich unter den Umständen seines Falles aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit in Verbindung mit den Bestimmungen der §§ 48 ff. des Verwaltungsverfahrensgesetzes ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ergibt. Damit hat der Kläger einen über die Rechtsprechung des Gerichtshofs hinausweisenden Klärungsbedarf jedoch nicht in der gebotenen Weise dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
In der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist im Übrigen geklärt, dass allein der Umstand eines Urteils, aus dem sich die Rechtswidrigkeit parallel gelagerter, bestandskräftiger Entscheidungen ableiten lässt, nicht dazu verpflichtet, diese Entscheidungen einer erneuten Überprüfung zu unterziehen (EuGH, Urteil vom 14. September 1999 - Rs. C-310/97 P, AssiDomän Kraft Products - Slg. 1999, I-5398 Rn. 63). Darüber hinaus gilt, dass die Frage der Gewährleistung des Effektivitätsgrundsatzes auf der Grundlage der jeweils einschlägigen nationalen Verfahrensvorschrift, deren Stellung im Verfahren, des Verfahrensablaufs und deren Besonderheiten zu beantworten ist (EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 75). Entsprechend verweist der Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. September 2006 (a.a.O. Rn. 61) zurück auf die Vorschrift des § 48 Abs. 1 VwVfG und die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Fällen, in denen die Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts schlechthin unerträglich ist und sich das Rücknahmeermessen zu einem Anspruch verdichtet (EuGH, Urteil vom 19. September 2006 a.a.O. Rn. 50, 63 f.). Im Übrigen überantwortet der Gerichtshof die Beurteilung des Einzelfalls - dort eines Bescheides, dessen Rechtswidrigkeit sich ebenfalls aufgrund einer mit dem Grundgesetz nicht vereinbaren Verordnung und darüber hinaus wegen eines vom Gerichtshof festgestellten klaren Unionsrechtsverstoßes ergab - dem nationalen Gericht (EuGH, Urteil vom 19. September 2006 a.a.O. Rn. 71 f.).
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3. Senat
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20130613
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3 B 96/12
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Beschluss
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vorgehend OVG Lüneburg, 29. August 2012, Az: 10 LC 107/10, Urteil
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DEU
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I.
Der Kläger begehrt im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens höhere Ausgleichs- und Flächenzahlungen nach den Stützungsregelungen für Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen.
Dem Kläger wurden für die Jahre 1993 bis 2004 Ausgleichs- und Flächenzahlungen bewilligt, deren Höhe auf der Grundlage von Verordnungen des Bundes bestimmt wurde, die das Land Niedersachsen für den Getreideanbau in mehrere Erzeugungsregionen mit unterschiedlichen Durchschnittserträgen unterteilten. Für den Kläger ergab sich daraus ein Fördersatz, der unter dem Durchschnitt im Land Niedersachsen lag. Die Bewilligungsbescheide wurden ohne Weiteres bestandskräftig.
In seinem Urteil vom 25. Juli 2007 - BVerwG 3 C 10.06 - (BVerwGE 129, 116 = Buchholz 451.513 Sonst. Marktordnungsrecht Nr. 6) hat der Senat inzident entschieden, dass die in der Flächenzahlungs-Verordnung für die Jahre 2000 bis 2004 vorgenommene Unterteilung des Bundesgebiets in Erzeugungsregionen mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht vereinbar und deshalb nichtig ist; das Land Niedersachsen sei ohne sachliche Rechtfertigung abweichend zum Gebiet der anderen Länder in mehrere Erzeugungsregionen aufgeteilt worden. Die Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-Verordnung sah für die Jahre 1993 bis 1999 eine im Wesentlichen gleiche Unterteilung in Erzeugungsregionen vor.
Den im Dezember 2007 gestellten Antrag des Klägers, ihm im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens für die Jahre 1993 bis 2004 höhere Zahlungen zu gewähren, hat die Beklagte abgelehnt. Die hiergegen erhobene Klage blieb in beiden Instanzen erfolglos. Ein Wiederaufgreifensgrund im Sinne von § 51 Abs. 1 VwVfG liege nicht vor. Ein Wiederaufgreifen im Ermessenswege habe die Beklagte fehlerfrei abgelehnt; ihr Ermessen sei nicht auf Null reduziert.
II.
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf.
1. Mit der Frage,
ob eine Anwendung bzw. weitere Rechtsauslegung der EuGH-Rechtsprechung (Urteil vom 13. Januar 2004 - Rs. C-453/00, Kühne u. Heitz - Slg. 2004, I-858) im Licht von Art. 4 Abs. 3 EUV (ex-Art. 10 EGV) ausgeschlossen ist, wenn nicht alle im Einzelfall benannten Voraussetzungen vorliegen,
möchte der Kläger sinngemäß geklärt wissen, ob sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) eine unionsrechtliche Verpflichtung zum Wiederaufgreifen eines Verfahrens nur unter den Voraussetzungen ergeben kann, die vom Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) in seinem Urteil in der Rechtssache Kühne u. Heitz genannt worden sind. Damit knüpft der Kläger zwar daran an, dass das Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage dieses Urteils angenommen hat, es sei unverzichtbare Voraussetzung für eine unionsrechtlich gebotene Bestandskraftdurchbrechung, den nationalen Rechtsweg auszuschöpfen (UA S.17). Eine klärungsbedürftige Frage ist damit gleichwohl nicht dargetan.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es mangels einschlägiger Unionsregelungen Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung, das Verfahren zu regeln, innerhalb dessen der Schutz der Rechte gewährleistet wird, die sich aus dem Unionsrecht ergeben. Diese Verfahrensautonomie wird allerdings durch den Äquivalenz- und den Effektivitätsgrundsatz begrenzt (EuGH, Urteile vom 4. Oktober 2012 - Rs. C-249/11, Byankov - juris Rn. 69, vom 13. März 2007 - Rs. C-432/05, Unibet - Slg. 2007, I-2301 Rn. 39, 43 und vom 19. September 2006 - Rs. C-392/04 und C-422/04, i-21 Germany und Arcor - Slg. 2006, I-8591 Rn. 57). Der Effektivitätsgrundsatz verlangt, dass die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird. Dabei anerkennt der Gerichtshof, dass die Bestandskraft zur Rechtssicherheit beiträgt und das Unionsrecht daher nicht verlangt, dass eine Verwaltungsbehörde grundsätzlich verpflichtet ist, eine bestandskräftig gewordene Entscheidung aufzuheben (EuGH, Urteile vom 4. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 76, vom 12. Februar 2008 - Rs. C-2/06, Kempter - Slg. 2008, I-411 Rn. 37 f., vom 19. September 2006 a.a.O. Rn. 51 und vom 13. Januar 2004 a.a.O. Rn. 24). Vielmehr sind vom nationalen Recht vorgesehene Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung grundsätzlich mit Unionsrecht vereinbar; sie machen die Verwirklichung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich und erschweren sie nicht übermäßig, selbst wenn ihr Ablauf zur vollständigen oder teilweisen Abweisung der Klage führt (EuGH, Urteil vom 2. Dezember 1997 - Rs. C-188/95, Fantask u.a. - Slg. 1997, I-6783 Rn. 48).
Liegen besondere Umstände vor, kann sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit in Gestalt des Effektivitätsgrundsatzes allerdings die Verpflichtung ergeben, eine bestandskräftig gewordene Entscheidung zu überprüfen. Einen solchen Fall hat der Gerichtshof in der Rechtssache Kühne u. Heitz unter den dort genannten Voraussetzungen angenommen und nachfolgend weiter präzisiert (EuGH, Urteile vom 12. Februar 2008 a.a.O. und vom 16. März 2006 - Rs. C-234/04, Kapferer - Slg. 2006, I-2605). Er hat darüber hinaus aber auch in anderen besonders gelagerten Fällen angenommen, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit die Aufrechterhaltung einer bestandskräftigen Entscheidung nicht mehr rechtfertigen kann. Eine solche Situation hat der Gerichtshof etwa für die Rückforderung unionsrechtswidriger Beihilfen angenommen (EuGH, Urteil vom 16. Juli 1998 - Rs. C-298/96 - Ölmühle, Slg. 1998, I-4782 Rn. 23 f.). Eine Verletzung des Effektivitätsgrundsatzes und des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit in der Aufrechterhaltung einer bestandskräftigen Entscheidung hat er auch im Falle eines gegen die Freizügigkeit verstoßenden, fortdauernden Ausreiseverbots gesehen (EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 78 ff.; parallel, zur Erstreckung der Rechtskraft auf im Urteil getroffene Feststellungen und einer hieraus folgenden Perpetuierung einer möglicherweise unionsrechtswidrigen (Nicht-)Besteuerung EuGH, Urteil vom 3. September 2009 - Rs. C-2/08, Olimpiclub - juris Rn. 24 ff.; vgl. auch Urteil vom 29. April 1999 - Rs. C-224/97, Ciola - Slg. 1999, I-2530).
Die Frage, ob mit den in der Rechtssache Kühne u. Heitz genannten Voraussetzungen abschließend alle Fälle erfasst werden, in denen aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit eine unionsrechtliche Verpflichtung zum Wiederaufgreifen eines Verfahrens folgen kann, lässt sich danach auf der Grundlage der Rechtsprechung des Gerichtshofs verneinend beantworten und bedarf auf der Ebene dieser Abstraktion keiner weiteren Klärung.
2. Die weitere in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage,
ob der Kläger nach einem Urteil des Gerichtshofs bzw. der Entscheidung vom 13. Januar 2004 (a.a.O.) einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens hat,
weist für sich gesehen weder über den Einzelfall hinaus noch bezieht sie sich unmittelbar auf die Klärung der Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer bestimmten Norm oder eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes. Sinngemäß möchte der Kläger mit ihr geklärt wissen, ob sich unter den Umständen seines Falles aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit in Verbindung mit den Bestimmungen der §§ 48 ff. des Verwaltungsverfahrensgesetzes ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ergibt. Damit hat der Kläger einen über die Rechtsprechung des Gerichtshofs hinausweisenden Klärungsbedarf jedoch nicht in der gebotenen Weise dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
In der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist im Übrigen geklärt, dass allein der Umstand eines Urteils, aus dem sich die Rechtswidrigkeit parallel gelagerter, bestandskräftiger Entscheidungen ableiten lässt, nicht dazu verpflichtet, diese Entscheidungen einer erneuten Überprüfung zu unterziehen (EuGH, Urteil vom 14. September 1999 - Rs. C-310/97 P, AssiDomän Kraft Products - Slg. 1999, I-5398 Rn. 63). Darüber hinaus gilt, dass die Frage der Gewährleistung des Effektivitätsgrundsatzes auf der Grundlage der jeweils einschlägigen nationalen Verfahrensvorschrift, deren Stellung im Verfahren, des Verfahrensablaufs und deren Besonderheiten zu beantworten ist (EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 75). Entsprechend verweist der Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. September 2006 (a.a.O. Rn. 61) zurück auf die Vorschrift des § 48 Abs. 1 VwVfG und die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Fällen, in denen die Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts schlechthin unerträglich ist und sich das Rücknahmeermessen zu einem Anspruch verdichtet (EuGH, Urteil vom 19. September 2006 a.a.O. Rn. 50, 63 f.). Im Übrigen überantwortet der Gerichtshof die Beurteilung des Einzelfalls - dort eines Bescheides, dessen Rechtswidrigkeit sich ebenfalls aufgrund einer mit dem Grundgesetz nicht vereinbaren Verordnung und darüber hinaus wegen eines vom Gerichtshof festgestellten klaren Unionsrechtsverstoßes ergab - dem nationalen Gericht (EuGH, Urteil vom 19. September 2006 a.a.O. Rn. 71 f.).
3. Schließlich ergibt sich auch aus der Frage,
ob im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen ist, wenn die den rechtswidrigen Verwaltungsakt erlassende Behörde vorsätzlich verfassungswidrig handelt, indem sie in Kenntnis der Verfassungswidrigkeit einer Rechtsverordnung diese als Rechtsgrundlage für ihren Bescheid annimmt,
nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Liegen einer Frage tatsächliche Annahmen zugrunde, die die Vorinstanz nicht festgestellt hat, so kann die Revision im Hinblick auf diese Frage nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen werden (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 17. März 2000 - BVerwG 8 B 287.99 - BVerwGE 111, 61, vom 28. Dezember 1998 - BVerwG 9 B 197.98 - juris Rn. 6 und vom 30. Juni 1992 - BVerwG 5 B 99.92 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 309).
So verhält es sich hier. Das Oberverwaltungsgericht hat die "vom Kläger behauptete Kenntnis der Rechtswidrigkeit einer Minderbewilligung" nicht für entscheidungserheblich gehalten und dazu folgerichtig keine Feststellungen getroffen (UA S. 22). Das mit der Beschwerde unterstellte vorsätzlich verfassungswidrige Handeln der Behörde findet daher in dem angegriffenen Urteil keine Grundlage, so dass die als klärungsbedürftig aufgeworfene Frage - worauf auch das Oberverwaltungsgericht ausdrücklich hingewiesen hat (UA S. 23) - sich in einem Revisionsverfahren jedenfalls so nicht stellen würde. Das vermeintlich vorsätzlich verfassungswidrige Handeln lässt sich im Übrigen nicht allein daraus folgern, dass der Behörde die einschlägige Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts bekannt war, mit der die Verfassungswidrigkeit der vorgenommenen Aufteilung in Erzeugungsregionen teilweise inzident festgestellt, teilweise aber auch offen gelassen worden war, zumal das Oberverwaltungsgericht selbst die Erkenntnislage im maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungen dahin gewürdigt hat, dass deren offensichtliche Rechtswidrigkeit noch nicht aufgedeckt gewesen sei. Entsprechend hat die Bundesregierung die Vereinbarkeit der Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-Verordnung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz noch vor dem Bundesverfassungsgericht verteidigt (BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2006 - 1 BvR 541, 542/02 - BVerfGE 115, 81 <89 f.>); Gleiches gilt für die Beklagte im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 25. Juli 2007 a.a.O. juris Rn. 5, 8 <insoweit nicht in BVerwGE und Buchholz veröffentlicht >).
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Deutschland
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BMJV
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WBRE410019706
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BVerwG
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3. Senat
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20130621
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3 B 98/12
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Beschluss
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vorgehend OVG Lüneburg, 13. September 2012, Az: 10 LC 153/10, Beschluss
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DEU
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I.
Der Kläger begehrt im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens höhere Ausgleichs- und Flächenzahlungen nach den Stützungsregelungen für Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen.
Dem Kläger wurden für die Jahre 1993 bis 2004 Ausgleichs- und Flächenzahlungen bewilligt, deren Höhe auf der Grundlage von Verordnungen des Bundes bestimmt wurde, die das Land Niedersachsen für den Getreideanbau in mehrere Erzeugungsregionen mit unterschiedlichen Durchschnittserträgen unterteilten. Für den Kläger ergab sich daraus ein Fördersatz, der unter dem Durchschnitt im Land Niedersachsen lag.
In seinem Urteil vom 25. Juli 2007 BVerwG 3 C 10.06 - (BVerwGE 129, 116 = Buchholz 451.513 Sonst. Marktordnungsrecht Nr. 6) hat der Senat inzident entschieden, dass die in der Flächenzahlungs-Verordnung für die Jahre 2000 bis 2004 vorgenommene Unterteilung des Bundesgebiets in Erzeugungsregionen mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht vereinbar und deshalb nichtig ist; das Land Niedersachsen sei ohne sachliche Rechtfertigung abweichend zum Gebiet der anderen Länder in mehrere Erzeugungsregionen aufgeteilt worden. Die Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-Verordnung sah für die Jahre 1993 bis 1999 eine im Wesentlichen gleiche Unterteilung in Erzeugungsregionen vor.
Den im Januar 2008 gestellten Antrag des Klägers, ihm im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens für die Jahre 1993 bis 2004 höhere Zahlungen zu gewähren, hat die Beklagte abgelehnt. Die hiergegen erhobene Klage blieb in beiden Instanzen erfolglos. Ein Wiederaufgreifensgrund im Sinne von § 51 Abs. 1 VwVfG liege nicht vor. Ein Wiederaufgreifen im Ermessenswege habe die Beklagte fehlerfrei abgelehnt; ihr Ermessen sei nicht auf Null reduziert.
II.
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf.
1. Mit der Frage,
ob eine direkte oder analoge Anwendung bzw. weite Rechtsauslegung der EuGH-Rechtsprechung (Urteil vom 13. Januar 2004 - Rs. C-453/00, Kühne u. Heitz - Slg. 2004, I-858) im Lichte von Art. 4 Abs. 3 EUV (ex-Art. 10 EGV) ausgeschlossen ist, wenn nicht alle im Einzelfall benannten Voraussetzungen vorliegen,
möchte der Kläger sinngemäß geklärt wissen, ob sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) eine unionsrechtliche Verpflichtung zum Wiederaufgreifen eines Verfahrens nur unter den Voraussetzungen ergeben kann, die vom Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) in seinem Urteil in der Rechtssache Kühne u. Heitz genannt worden sind. Damit knüpft der Kläger zwar daran an, dass das Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage dieses Urteils angenommen hat, es sei unverzichtbare Voraussetzung für eine unionsrechtlich gebotene Bestandskraftdurchbrechung, den nationalen Rechtsweg auszuschöpfen (BA S.12 f.). Eine klärungsbedürftige Frage ist damit gleichwohl nicht dargetan.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es mangels einschlägiger Unionsregelungen Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung, das Verfahren zu regeln, innerhalb dessen der Schutz der Rechte gewährleistet wird, die sich aus dem Unionsrecht ergeben. Diese Verfahrensautonomie wird allerdings durch den Äquivalenz- und den Effektivitätsgrundsatz begrenzt (EuGH, Urteile vom 4. Oktober 2012 - Rs. C-249/11, Byankov - juris Rn. 69, vom 13. März 2007 - Rs. C-432/05, Unibet - Slg. 2007, I-2301 Rn. 39, 43 und vom 19. September 2006 - Rs. C-392/04 und C-422/04, i-21 Germany und Arcor - Slg. 2006, I-8591 Rn. 57). Der Effektivitätsgrundsatz verlangt, dass die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird. Dabei anerkennt der Gerichtshof, dass die Bestandskraft zur Rechtssicherheit beiträgt und das Unionsrecht daher nicht verlangt, dass eine Verwaltungsbehörde grundsätzlich verpflichtet ist, eine bestandskräftig gewordene Entscheidung aufzuheben (EuGH, Urteile vom 4. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 76, vom 12. Februar 2008 - Rs. C-2/06, Kempter - Slg. 2008, I-411 Rn. 37 f., vom 19. September 2006 a.a.O. Rn. 51 und vom 13. Januar 2004 a.a.O. Rn. 24). Vielmehr sind vom nationalen Recht vorgesehene Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung grundsätzlich mit Unionsrecht vereinbar; sie machen die Verwirklichung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich und erschweren sie nicht übermäßig, selbst wenn ihr Ablauf zur vollständigen oder teilweisen Abweisung der Klage führt (EuGH, Urteil vom 2. Dezember 1997 - Rs. C-188/95, Fantask u.a. - Slg. 1997, I-6783 Rn. 48).
Liegen besondere Umstände vor, kann sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit in Gestalt des Effektivitätsgrundsatzes allerdings die Verpflichtung ergeben, eine bestandskräftig gewordene Entscheidung zu überprüfen. Einen solchen Fall hat der Gerichtshof in der Rechtssache Kühne u. Heitz unter den dort genannten Voraussetzungen angenommen und nachfolgend weiter präzisiert (EuGH, Urteile vom 12. Februar 2008 a.a.O. und vom 16. März 2006 - Rs. C 234/04, Kapferer - Slg. 2006, I-2605). Er hat darüber hinaus aber auch in anderen besonders gelagerten Fällen angenommen, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit die Aufrechterhaltung einer bestandskräftigen Entscheidung nicht mehr rechtfertigen kann. Eine solche Situation hat der Gerichtshof etwa für die Rückforderung unionsrechtswidriger Beihilfen angenommen (EuGH, Urteil vom 16. Juli 1998 - Rs. C-298/96, Ölmühle - Slg. 1998, I-4782 Rn. 23 f.). Eine Verletzung des Effektivitätsgrundsatzes und des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit in der Aufrechterhaltung einer bestandskräftigen Entscheidung hat er auch im Falle eines gegen die Freizügigkeit verstoßenden, fortdauernden Ausreiseverbots gesehen (EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 78 ff.; parallel, zur Erstreckung der Rechtskraft auf im Urteil getroffene Feststellungen und einer hieraus folgenden Perpetuierung einer möglicherweise unionsrechtswidrigen <Nicht->Besteuerung EuGH, Urteil vom 3. September 2009 - Rs. C-2/08, Olimpiclub - juris Rn. 24 ff.; vgl. auch Urteil vom 29. April 1999 - Rs. C-224/97, Ciola - Slg. 1999, I-2530).
Die Frage, ob mit den in der Rechtssache Kühne u. Heitz genannten Voraussetzungen abschließend alle Fälle erfasst werden, in denen aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit eine unionsrechtliche Verpflichtung zum Wiederaufgreifen eines Verfahrens folgen kann, lässt sich danach auf der Grundlage der Rechtsprechung des Gerichtshofs verneinend beantworten und bedarf auf der Ebene dieser Abstraktion keiner weiteren Klärung.
2. Die weitere Frage,
ob der Kläger nach einem Urteil des Gerichtshofs bzw. der Entscheidung vom 13. Januar 2004 (a.a.O.) einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens hat,
weist für sich gesehen weder über den Einzelfall hinaus noch bezieht sie sich unmittelbar auf die Klärung der Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer bestimmten Norm oder eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes. Sinngemäß möchte der Kläger mit ihr geklärt wissen, ob sich unter den Umständen seines Falles aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit in Verbindung mit den Bestimmungen der §§ 48 ff. des Verwaltungsverfahrensgesetzes ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ergibt. Damit hat der Kläger einen über die Rechtsprechung des Gerichtshofs hinausweisenden Klärungsbedarf jedoch nicht in der gebotenen Weise dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
In der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist im Übrigen geklärt, dass allein der Umstand eines Urteils, aus dem sich die Rechtswidrigkeit parallel gelagerter, bestandskräftiger Entscheidungen ableiten lässt, nicht dazu verpflichtet, diese Entscheidungen einer erneuten Überprüfung zu unterziehen (EuGH, Urteil vom 14. September 1999 - Rs. C-310/97 P, AssiDomän Kraft Products - Slg. 1999, I -5398 Rn. 63). Darüber hinaus gilt, dass die Frage der Gewährleistung des Effektivitätsgrundsatzes auf der Grundlage der jeweils einschlägigen nationalen Verfahrensvorschrift, deren Stellung im Verfahren, des Verfahrensablaufs und deren Besonderheiten zu beantworten ist (EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 75). Entsprechend verweist der Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. September 2006 (a.a.O. Rn. 61) zurück auf die Vorschrift des § 48 Abs. 1 VwVfG und die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Fällen, in denen die Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts schlechthin unerträglich ist und sich das Rücknahmeermessen zu einem Anspruch verdichtet (EuGH, Urteil vom 19. September 2006 a.a.O. Rn. 50, 63 f.). Im Übrigen überantwortet der Gerichtshof die Beurteilung des Einzelfalls - dort eines Bescheides, dessen Rechtswidrigkeit sich ebenfalls aufgrund einer mit dem Grundgesetz nicht vereinbaren Verordnung und darüber hinaus wegen eines vom Gerichtshof festgestellten klaren Unionsrechtsverstoßes ergab - dem nationalen Gericht (EuGH, Urteil vom 19. September 2006 a.a.O. Rn. 71 f.).
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Deutschland
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BMJV
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public
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WBRE410019707
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BVerwG
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3. Senat
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20130704
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3 B 66/12, 3 B 66/12 (3 C 17/13)
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Beschluss
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Art 12 Abs 1 GG, § 132 Abs 2 Nr 1 VwGO
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 13. Juni 2012, Az: 13 A 1073/09, Urteil
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DEU
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Kammerrechtliche Berufsordnung; tierärztliche Zweitpraxis; Zustimmungserfordernis; Revisionszulassung
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Die Beschwerde des Klägers hat Erfolg. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Das Revisionsverfahren kann Gelegenheit zur Klärung der Frage bieten, ob und unter welchen Voraussetzungen das in einer Kammersatzung (Berufsordnung) vorgesehene Zustimmungserfordernis zur Errichtung einer tierärztlichen Zweitpraxis mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar ist.
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Deutschland
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BMJV
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WBRE410019708
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BVerwG
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3. Senat
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20130626
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3 B 94/12, 3 B 94/12 (3 C 16/13)
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Beschluss
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Art 19 EGV 796/2004, Art 21 EGV 1122/2009, § 132 Abs 2 Nr 1 VwGO
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vorgehend OVG Lüneburg, 22. August 2012, Az: 10 LB 82/10, Beschluss
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DEU
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OGS-Genehmigung; Beihilfeantrag; Berichtigung wegen offensichtlichen Irrtums; Revisionszulassung
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Die Beschwerde hat Erfolg. Der Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Revisionsverfahren kann Gelegenheit zur weiteren Klärung der Reichweite der Berichtigung offensichtlicher Irrtümer im Sinne von Art. 19 VO (EG) 796/2004 und der inhaltsgleichen Folgebestimmung des Art. 21 VO (EG) Nr. 1122/2009 bieten.
Die vorläufige Streitwertfestsetzung für das Revisionsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG. Er folgt der Zahl und dem Wert der Zahlungsansprüche, auf die sich die begehrten OGS-Genehmigungen beziehen, denn diese entscheiden hier darüber, ob und in welchem Umfang für die im Jahr 2005 zum Anbau von Spargel genutzte und beantragte, 11,4 ha große Fläche eine Betriebsprämie gewährt werden kann.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019709
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BVerwG
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10. Senat
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20130625
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10 B 10/13, 10 B 10/13, 10 PKH 10/13
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Beschluss
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§ 60 Abs 1 VwGO, § 60 Abs 2 S 1 Halbs 2 VwGO
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vorgehend Sächsisches Oberverwaltungsgericht, 26. Februar 2013, Az: A 4 A 702/08, Urteil
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DEU
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Wiedereinsetzung; unverschuldete Verhinderung; Wegfall des Hindernisses; Akteneinsicht
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1. Dem Kläger kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil seine Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
2. Die Beschwerde ist unzulässig, denn sie ist nicht rechtzeitig innerhalb der Frist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet worden. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann dem Kläger nicht gewährt werden.
2.1 Das mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehene Urteil des Oberverwaltungsgerichts ist dem seinerzeitigen Prozessbevollmächtigten des Klägers am 14. März 2013 zugestellt worden, der auch am 15. April 2013 (einem Montag) eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision erhoben hat. Die Frist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO zur Begründung der Beschwerde ist mithin am 14. Mai 2013 abgelaufen. Der Schriftsatz zur Begründung der Beschwerde ist aber erst am Montag, den 10. Juni 2013 beim Berufungsgericht eingegangen. Damit ist die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde versäumt.
2.2 Eine Wiedereinsetzung setzt nach § 60 Abs. 1 VwGO voraus, dass der Betroffene ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten; das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten wird ihm zugerechnet (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).
2.2.1 Die Wiedereinsetzungsgründe, d.h. sämtliche Umstände, die für die Frage von Bedeutung sind, auf welche Weise und durch wessen Verschulden es zu der Fristversäumnis gekommen ist, müssen bei einem Wiedereinsetzungsgesuch grundsätzlich innerhalb der Antragsfrist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO dargelegt werden. Erforderlich ist eine rechtzeitige substanziierte und schlüssige Darstellung der für die unverschuldete Fristsäumnis wesentlichen Tatsachen (Beschlüsse vom 6. Dezember 2000 - BVerwG 2 B 57.00 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 236 und vom 3. Februar 1993 - BVerwG 6 B 4.93 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 183).
2.2.2 Der nunmehrige Prozessbevollmächtigte hat zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags geltend gemacht, er sei ohne sein Verschulden gehindert gewesen, die Beschwerde innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen, denn er habe erst am 10. Mai 2013 Einsicht in die Behördenakten erhalten, die für die Begründung der Beschwerde erforderlich gewesen sei. Erst mit der Akteneinsicht sei das Hindernis weggefallen mit der Folge, dass er gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 VwGO verpflichtet gewesen sei, den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen und die versäumte Rechtshandlung nachzuholen, mithin die Beschwerde zu begründen. Dem sei er nachgekommen. Dieses Vorbringen rechtfertigt die Wiedereinsetzung nicht.
2.2.2.1 Das geltend gemachte Hindernis - Nichtgewährung von Akteneinsicht - ist nach dem Vorbringen des Klägers bereits am 10. Mai 2013 und damit vor Ablauf der Begründungsfrist weggefallen. Entgegen der offenbar von dem Kläger vertretenen Rechtsauffassung, die sich so indes auch im Schrifttum findet (Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl., § 60 Rn. 7), wird bei Wegfall eines Hindernisses noch innerhalb der Rechtsmittelfrist nicht etwa von diesem Zeitpunkt an ohne Weiteres eine "Überlegungsfrist" von einem Monat entsprechend § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 VwGO oder von geringerer Dauer in Lauf gesetzt; vielmehr kommt es auf die Umstände des Einzelfalls - insbesondere die Schwierigkeit der Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs - an, ob eine über die eigentliche Rechtsmittelfrist hinausreichende zusätzliche "Beratungsfrist" einzuräumen ist (Beschluss vom 16. Februar 1999 - BVerwG 8 B 10.99 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 222 = NVwZ-RR 1999, 472; s.a. Czybulka, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 60 Rn. 104).
Dass es dem Prozessbevollmächtigten des Klägers in den verbleibenden Arbeitstagen bis zum Fristablauf nicht möglich gewesen sein sollte, etwa aus der Einsicht in die Behörden- und Gerichtsakten gewonnene Zusatzinformationen so in die Begründung der bereits eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde einzuarbeiten, dass eine den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügende Beschwerdebegründung fristgerecht hätte eingereicht werden können, ist nicht ersichtlich oder vorgetragen.
2.2.2.2 Unabhängig davon liegt eine unverschuldete Verhinderung nicht schon stets dann vor, wenn ein Prozessbevollmächtigter innerhalb der Rechtsmittel(begründungs)frist eine von ihm für erforderlich gehaltene Akteneinsicht nicht hat nehmen können (Beschluss vom 7. September 1976 - BVerwG 7 B 104.76 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 75 = NJW 1977, 262). Der nunmehrige Prozessbevollmächtigte hat Aktensicht erst mit am 6. Mai 2013 bei dem Oberverwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 3. Mai 2013 beantragt, die dann bereits am 10. Mai 2013 (einem Freitag nach einem gesetzlichen Feiertag) gewährt worden ist.
Soweit der Zeitpunkt des Akteneinsichtsantrages erst ca. eine Woche vor Fristablauf darauf zurückzuführen sein sollte, dass der Kläger während des Laufes der Beschwerdebegründungsfrist die Prozessbevollmächtigten gewechselt und seinen derzeitigen Verfahrensbevollmächtigten beauftragt hat, muss sich der Kläger eine hierdurch bewirkte Verzögerung der Begründung der bereits eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzlich zurechnen lassen. Es ist jedenfalls nicht vorgetragen oder ersichtlich, dass der Wechsel der Verfahrensbevollmächtigten aus Gründen erfolgt ist, die dem Kläger ausnahmsweise nicht zuzurechnen sind.
3. Die Beschwerde hätte im Übrigen auch in der Sache keinen Erfolg gehabt.
3.1 Die Revision wäre nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) der Fragen zuzulassen gewesen:
"Welche Auswirkungen hat eine posttraumatische Belastungsstörung des Betroffenen auf eine stringente zeitliche Einordnung von zurückliegenden Ereignissen?"
und
"Welche Auswirkungen hat eine posttraumatische Belastungsstörung des Betroffenen auf eine nicht völlig widerspruchsfreie Aussage des Betroffenen?"
Diese Fragen betreffen nicht einer rechtsgrundsätzlichen Klärung zugängliche Tatsachenfragen der Auswirkungen einer - als gegeben unterstellten - posttraumatischen Belastungsstörung.
3.2. Die geltend gemachten Abweichungen des angefochtenen Urteils von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) hätten ebenfalls nicht zur Revisionszulassung geführt.
Die Beschwerde benennt zwar Entscheidungen des Bundesverwaltungsgericht, von denen abgewichen worden sein soll ("Beschlüsse vom 31.07.2002 - BVerwG 1 B 128.02 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 326 vom 05.02.2002 - BVerwG 1 B 18.02 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 319 vom 27.03.2000 - BVerwG 9 B 518.99 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60 vom 27.01.2000 - BVerwG 9 B 613.99 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 228 und vom 11.02.1999 - BVerwG 9 B 381.98 - Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 42"), bezeichnet aber nicht - wie nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO zur Begründung der Divergenzrüge erforderlich - einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung unter anderem des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das bloße Aufzeigen einer - vermeintlich - fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung solcher Rechtssätze genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht (vgl. Beschlüsse vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328 und vom 8. März 2012 - BVerwG 10 B 2.12). So liegt es hier.
3.3 Die Revision wäre auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen gewesen.
3.3.1 Soweit die Beschwerde eine unzureichende Aufklärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO) durch das Berufungsgericht rügt, weil es nicht von Amts wegen der Frage nachgegangen sei, ob der Kläger bei einer Rückkehr in den Irak eine wesentliche Gesundheitsverschlechterung im Sinne einer existentiellen Gesundheitsgefahr droht und demzufolge die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegen, weil für eine bestehende posttraumatische Belastungsstörung im Abschiebezielstaat keine ausreichenden Behandlungsmöglichkeiten gegeben seien, genügt das Vorbringen ebenfalls nicht den Darlegungsanforderungen. Dazu muss die Beschwerde entweder darlegen, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. Urteil vom 29. Mai 2008 - BVerwG 10 C 11.07 - BVerwGE 131, 186 = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 21 jeweils Rn. 13 m.w.N.). Keine dieser Voraussetzungen erfüllt die Beschwerde. Namentlich fehlt es an Vorbringen zur Frage, aufgrund welchen Vorbringens sich dem Berufungsgericht eine nicht nur drohende oder sich entwickelnde, sondern eine bestehende posttraumatische Belastungsstörung aufdrängen musste, die zudem nicht auf Ereignisse im Herkunftsland zurückzuführen war, und ob bzw. in welchem Umfange eine als gegeben unterstellte posttraumatische Belastungs- und nicht nur Anpassungsstörung mit welchem Erfolg zu einer ärztlichen Behandlung geführt hat und nach Art und Schwere weiterhin in einem Umfang behandlungsbedürftig ist, dass diese Behandlung im Herkunftsstaat nicht geleistet werden könne. Die mit der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde eingereichten ärztlichen Unterlagen (Entlassungsbrief vom 29. Februar 2012 und Bescheinigung vom 22. März 2012) sind dem Berufungsgericht nicht vorgelegt worden; nach ihrem Inhalt hätte sich eine weitere Sachaufklärung unabhängig vom Vorbringen des Klägers auch nicht aufgedrängt.
3.3.2 Die Beschwerde bezeichnet auch nicht, aus welchen Gründen sich zu genau welchen entscheidungserheblichen Zweifelsfragen dem Oberverwaltungsgericht hätte aufdrängen müssen, den Sachverständigen des Europäischen Zentrums für kurdische Studien zur Erläuterung des Gutachtens zu laden.
4. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
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Deutschland
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WBRE410019710
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BVerwG
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10. Senat
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20130613
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10 C 24/12
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Urteil
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§ 36 Abs 1 AufenthG 2004, § 32 AufenthG 2004, Art 10 Abs 3 Buchst a EGRL 86/2003
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vorgehend VG Berlin, 11. Februar 2011, Az: 3 B 28.11, Urteil
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DEU
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Nachzugsanspruch von Eltern zu einem unbegleiteten minderjährigen Flüchtling; Erlöschen mit Volljährigkeit
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Die Klägerin, eine irakische Staatsangehörige, begehrt die Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung mit ihrem in Deutschland lebenden Sohn S.
Der am 1. Januar 1992 geborene S., ebenfalls ein irakischer Staatsangehöriger, reiste im September/Oktober 2008 als Minderjähriger nach Deutschland ein. Ihm wurde im Januar 2009 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Er erhielt zunächst eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG und im August 2012 eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG.
Die Klägerin und ihr Ehemann beantragten für sich und ihre sechs weiteren Kinder im Mai 2009 bei der Deutschen Botschaft in Damaskus Visa zur Familienzusammenführung. Da die Botschaft nur zur Erteilung eines Visums an einen Elternteil bereit war, entschieden die Eheleute, dass der Vater nach Deutschland einreisen solle. Dieser erhielt im Juli 2010 das beantragte Visum, von dem er aber keinen Gebrauch machte. Die Visumanträge der Klägerin und der sechs Kinder lehnte die Botschaft hingegen zuletzt mit Remonstrationsbescheid vom 21. Juli 2010 ab.
Die auf Erteilung des begehrten Visums gerichtete Verpflichtungsklage der Klägerin hatte beim Verwaltungsgericht Erfolg; die Klagen der Kinder wurden zurückgenommen. Das Oberverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 29. August 2012 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es ist der Auffassung, beim Nachzugsanspruch der Klägerin aus § 36 Abs. 1 AufenthG komme es für die Minderjährigkeit ihres Kindes auf den Zeitpunkt der Stellung des Visumantrages an. Insoweit sei der Nachzugsanspruch der Eltern wie der Nachzugsanspruch minderjähriger Kinder zu ihren Eltern nach § 32 AufenthG zu behandeln. Maßgeblich sei daher, dass S. minderjährig gewesen sei, als die Klägerin das Visum beantragt habe.
Die Beklagte macht zur Begründung ihrer Revision geltend, dass ein Nachzugsanspruch der Klägerin aus § 36 Abs. 1 AufenthG mit Eintritt der Volljährigkeit ihres Sohnes erloschen sei. Der temporäre Elternnachzug zur Beseitigung eines Betreuungsnotstandes sei nicht mit dem auf Aufenthaltsverfestigung zielenden Kindernachzug vergleichbar.
Die Klägerin verteidigt das Berufungsurteil. Aus Gründen des Vertrauensschutzes sei der Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblich.
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Die Revision der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), hat Erfolg. Der angefochtene Beschluss verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), da das Berufungsgericht bei der Prüfung des § 36 Abs. 1 AufenthG für das personenbezogene Merkmal der Minderjährigkeit des Flüchtlings zu Unrecht auf den Zeitpunkt der Stellung des Visumantrags der Klägerin abgestellt hat. Vielmehr ist der Anspruch der Klägerin nach § 36 Abs. 1 AufenthG mit Erreichen der Volljährigkeit des Sohnes am 1. Januar 2010 erloschen. Die angefochtene Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).
Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (stRspr, vgl. Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 10 = Buchholz 402.242 § 32 AufenthG Nr. 4 Rn. 10). Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind vom Revisionsgericht allerdings zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es nunmehr anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (vgl. Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 <279 f.> = Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 15 S. 32). Daher ist das Nachzugsbegehren der Klägerin an dem Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) zu messen, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der im vorliegenden Fall einschlägigen Bestimmungen aber nicht geändert.
1. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht einen Anspruch der Klägerin auf Erteilung eines Visums zum Nachzug zu ihrem in Deutschland lebenden Sohn aus § 36 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 3 Satz 2 AufenthG bejaht. Nach § 36 Abs. 1 AufenthG ist den Eltern eines minderjährigen Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 oder 2 AufenthG oder eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG besitzt, abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und § 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis - und vor der Einreise gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ein Visum - zu erteilen, wenn sich kein personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet aufhält. Die Vorschrift wurde durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 neu eingeführt und setzt Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86/EG um, der den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlegt, zugunsten eines minderjährigen unbegleiteten Flüchtlings den Nachzug "seiner Verwandten in gerader aufsteigender Linie ersten Grades" zu gestatten (vgl. BTDrucks 16/5065 S. 176). Sie dient dem Schutz des unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings und seinem Interesse an der Familieneinheit mit seinen Eltern (Urteil vom 18. April 2013 - BVerwG 10 C 9.12 - juris Rn. 12 - zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen).
a) Der Klägerin stand der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung eines Visums nach § 36 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 3 Satz 2 AufenthG allerdings zum Zeitpunkt der Antragstellung im Mai 2009 zu. Denn ihr minderjähriger Sohn war zu jener Zeit im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG, und es hielt sich kein personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet auf.
§ 36 Abs. 1 AufenthG ist auch nicht etwa teleologisch zu reduzieren, wenn neben dem unbegleiteten Sohn in Deutschland weitere minderjährige Kinder im Heimatland zu betreuen sind (Urteil vom 18. April 2013 a.a.O. Rn. 14). Denn die Entscheidung über die Sorge für ihre Kinder obliegt gemäß Art. 6 Abs. 2 GG vorrangig den Eltern (so auch Marx, in: GK-AufenthG, § 36 Stand: Februar 2013, Rn. 25). Es sind keine Gründe ersichtlich, warum im vorliegenden Fall das Kindeswohl eine Korrektur der elterlichen Entscheidung gebieten sollte.
b) Der Nachzugsanspruch der Klägerin ist allerdings mit Eintritt der Volljährigkeit ihres Sohnes am 1. Januar 2010 erloschen. Denn der Anspruch auf Nachzug der Eltern zum unbegleiteten minderjährigen Flüchtling nach § 36 Abs. 1 AufenthG besteht nur bis zu dem Zeitpunkt, zu dem das Kind volljährig wird. Anders als beim Kindernachzug nach § 32 AufenthG reicht eine Antragstellung vor Erreichen der Volljährigkeit nicht aus, um den Anspruch zu erhalten (vgl. dazu ausführlich Urteil vom 18. April 2013 a.a.O. Rn. 17 ff.).
2. Das Nachzugsbegehren der Klägerin lässt sich auch nicht auf § 6 Abs. 3 i.V.m. § 36 Abs. 2 AufenthG stützen. Nach diesen Vorschriften kann sonstigen Familienangehörigen ein Visum zum Familiennachzug erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Das setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts voraus, dass der im Ausland lebende Familienangehörige kein eigenständiges Leben mehr führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe angewiesen ist und diese Hilfe in zumutbarer Weise nur in Deutschland erbracht werden kann (Urteile vom 10. März 2011 - BVerwG 1 C 7.10 - Buchholz 402.242 § 7 AufenthG Nr. 5 = NVwZ 2011, 1199 und vom 18. April 2013 - BVerwG 10 C 10.12 - juris Rn. 37 ff. - zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen). Derartiges ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019711
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BVerwG
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10. Senat
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20130613
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10 C 25/12
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Urteil
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vorgehend VG Berlin, 14. Oktober 2011, Az: 3 B 16.12, Urteil
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DEU
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Die gegen diese Entscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 18.04.2016 - 2 BvR 1652/13 - nicht zur Entscheidung angenommen.
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Die Klägerin, eine irakische Staatsangehörige, begehrt die Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung mit ihrem Sohn A.
Der am 13. Februar 1992 geborene A., ebenfalls ein irakischer Staatsangehöriger, reiste 2008 als Minderjähriger nach Deutschland ein. Ihm wurde im September 2009 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Er erhielt zunächst eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG und im Oktober 2012 eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG.
Seine Mutter beantragte für sich und zwei weitere Kinder im Oktober 2009 bei der Deutschen Botschaft in Damaskus Visa zur Familienzusammenführung, die zuletzt mit Remonstrationsbescheid vom 6. März 2011 abgelehnt wurden.
Die Verpflichtungsklage der Klägerin hatte beim Verwaltungsgericht Erfolg; die Klagen ihrer Kinder wurden rechtskräftig abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 29. August 2012 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es ist der Auffassung, beim Nachzugsanspruch der Klägerin aus § 36 Abs. 1 AufenthG komme es für die Minderjährigkeit ihres Kindes auf den Zeitpunkt der Stellung des Visumantrages an. Insoweit sei der Nachzugsanspruch der Eltern wie der Nachzugsanspruch minderjähriger Kinder zu ihren Eltern nach § 32 AufenthG zu behandeln. Maßgeblich sei daher, dass A. minderjährig gewesen sei, als die Klägerin das Visum beantragt habe.
Die Beklagte macht zur Begründung ihrer Revision geltend, dass ein Nachzugsanspruch der Klägerin aus § 36 Abs. 1 AufenthG mit Eintritt der Volljährigkeit ihres Sohnes erloschen sei. Der temporäre Elternnachzug zur Beseitigung eines Betreuungsnotstandes sei nicht mit dem auf Aufenthaltsverfestigung zielenden Kindernachzug vergleichbar.
Die Klägerin verteidigt das Berufungsurteil. Aus Gründen des Vertrauensschutzes sei der Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblich.
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Die Revision der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), hat Erfolg. Die angefochtene Entscheidung verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), da das Berufungsgericht bei der Prüfung des § 36 Abs. 1 AufenthG für das personenbezogene Merkmal der Minderjährigkeit des Flüchtlings zu Unrecht auf den Zeitpunkt der Stellung des Visumantrags der Klägerin abgestellt hat. Vielmehr ist der Anspruch der Klägerin nach § 36 Abs. 1 AufenthG mit Erreichen der Volljährigkeit des Sohnes am 13. Februar 2010 erloschen. Die angefochtene Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).
Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (stRspr, vgl. Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 10 = Buchholz 402.242 § 32 AufenthG Nr. 4 Rn. 10). Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind vom Revisionsgericht allerdings zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es nunmehr anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (vgl. Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 <279 f.> = Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 15 S. 32). Daher ist das Nachzugsbegehren der Klägerin an dem Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) zu messen, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der im vorliegenden Fall einschlägigen Bestimmungen aber nicht geändert.
1. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht einen Anspruch der Klägerin auf Erteilung eines Visums zum Nachzug zu ihrem in Deutschland lebenden Sohn aus § 36 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 3 Satz 2 AufenthG bejaht. Nach § 36 Abs. 1 AufenthG ist den Eltern eines minderjährigen Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 oder 2 AufenthG oder eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG besitzt, abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und § 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis - und vor der Einreise gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ein Visum - zu erteilen, wenn sich kein personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet aufhält. Die Vorschrift wurde durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 neu eingeführt und setzt Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86/EG um, der den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlegt, zugunsten eines minderjährigen unbegleiteten Flüchtlings den Nachzug "seiner Verwandten in gerader aufsteigender Linie ersten Grades" zu gestatten (vgl. BTDrucks 16/5065 S. 176). Sie dient dem Schutz des unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings und seinem Interesse an der Familieneinheit mit seinen Eltern (Urteil vom 18. April 2013 - BVerwG 10 C 9.12 - Rn. 12 - zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen).
a) Der Klägerin stand der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung eines Visums nach § 36 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 3 Satz 2 AufenthG allerdings zum Zeitpunkt der Antragstellung im Oktober 2009 zu. Denn ihr minderjähriger Sohn war zu jener Zeit im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG und es hielt sich kein personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet auf.
§ 36 Abs. 1 AufenthG ist auch nicht etwa teleologisch zu reduzieren, wenn neben dem unbegleiteten Sohn in Deutschland weitere minderjährige Kinder im Heimatland zu betreuen sind (Urteil vom 18. April 2013 a.a.O. Rn. 14). Denn die Entscheidung über die Sorge für ihre Kinder obliegt gemäß Art. 6 Abs. 2 GG vorrangig den Eltern (so auch Marx, in: GK-AufenthG, § 36, Stand: Februar 2013, Rn. 25). Es sind keine Gründe ersichtlich, warum im vorliegenden Fall das Kindeswohl eine Korrektur der elterlichen Entscheidung gebieten sollte.
b) Der Nachzugsanspruch der Klägerin ist allerdings mit Eintritt der Volljährigkeit ihres Sohnes am 13. Februar 2010 erloschen. Denn der Anspruch auf Nachzug der Eltern zum unbegleiteten minderjährigen Flüchtling nach § 36 Abs. 1 AufenthG besteht nur bis zu dem Zeitpunkt, zu dem das Kind volljährig wird. Anders als beim Kindernachzug nach § 32 AufenthG reicht eine Antragstellung vor Erreichen der Volljährigkeit nicht aus, um den Anspruch zu erhalten (vgl. dazu ausführlich Urteil vom 18. April 2013 a.a.O. Rn. 17 ff.).
2. Das Nachzugsbegehren der Klägerin lässt sich auch nicht auf § 6 Abs. 3 i.V.m. § 36 Abs. 2 AufenthG stützen. Nach diesen Vorschriften kann sonstigen Familienangehörigen ein Visum zum Familiennachzug erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Das setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts voraus, dass der im Ausland lebende Familienangehörige kein eigenständiges Leben mehr führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe angewiesen ist und diese Hilfe in zumutbarer Weise nur in Deutschland erbracht werden kann (Urteile vom 10. März 2011 - BVerwG 1 C 7.10 - Buchholz 402.242 § 7 AufenthG Nr. 5 = NVwZ 2011, 1199 und vom 18. April 2013 - BVerwG 10 C 10.12 - Rn. 37 ff., zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen). Derartiges ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
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Deutschland
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BMJV
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public
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WBRE410019712
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BVerwG
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10. Senat
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20130627
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10 B 11/13
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Beschluss
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§ 60 Abs 7 S 1 AufenthG 2004, § 60 Abs 7 S 3 AufenthG 2004, § 132 Abs 2 Nr 1 VwGO
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vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 15. März 2013, Az: 13a B 12.30406, Urteil
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DEU
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Abschiebungsverbot; extreme Gefahrenlage; Afghanistan; Reisewarnung
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Die gegen diese Entscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 14.10.2015 - 2 BvR 1626/13 - nicht zur Entscheidung angenommen.
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Die Beschwerde, mit der ein Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sowie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend gemacht werden, bleibt ohne Erfolg.
1. Die von dem Kläger erhobenen Grundsatzrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) führen nicht zur Zulassung der Revision.
"ob die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für alle Menschen gilt oder je nach Staatsangehörigkeit unterschiedlich"
bzw.
"ob eine Abschiebung nach ganz Afghanistan möglich ist und sich die vielen Tatsachen hinsichtlich Übergriffen und Überfällen in Afghanistan zu einer Rechtsfrage verdichtet haben"
bzw.
"ob eine Unterscheidung nach der Herkunft eines afghanischen Flüchtlings nach der jeweiligen Region - sogenanntes 'Bodycount' - rechtlich zulässig ist".
und verweist zur Begründung auf die angespannte Sicherheits- und Versorgungslage, die das Auswärtige Amt veranlasst habe, hinsichtlich Afghanistans eine Reisewarnung zu erlassen, was die höchste Stufe einer Einteilung bilde. Eine Reisewarnung werde nur selten ausgesprochen und erfolge nur dann, wenn aufgrund einer akuten Gefahr für Leib oder Leben vor Reisen in ein Land oder in eine bestimmte Region eines Landes gewarnt werden müsse.
Mit diesem und dem weiteren Vorbringen zur medizinischen Versorgungslage und der Sicherheitslage in Afghanistan, für die eine Reihe von Berichten über Übergriffe, Tötungen und Kampfhandlungen aufgelistet werden und geltend gemacht wird, spätestens seit der sogenannten Frühjahrsoffensive der Taliban bestehe in ganz Afghanistan eine extreme Gefahrenlage und in ganz Afghanistan ein bewaffneter Konflikt im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, zeigt die Beschwerde keine klärungsbedürftige Frage des revisiblen Rechts auf. Denn dieses Vorbringen zielt der Sache nach nicht auf eine Rechtsfrage, sondern auf die dem Tatsachengericht vorbehaltene Prognose, ob dem Kläger aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse angesichts der politischen Gegebenheiten in seiner Heimat bei einer Rückkehr eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG droht bzw. eine extreme Gefahrenlage besteht, die in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG eine Abschiebung nach Afghanistan hindert. Die Beschwerde greift damit der Sache nach die vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu den Prognosegrundlagen sowie die darauf aufbauende Prognose als Teil der Beweiswürdigung an und stellt dem ihre eigene Einschätzung der Sachlage entgegen, ohne insoweit eine konkrete Rechtsfrage aufzuzeigen. Die Vielzahl der von dem Kläger vorgelegten Berichte über sicherheitsrelevante Vorfälle aus der Zeit auch nach dem für die rechtliche Überprüfung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) belegen zwar, dass die Sicherheitslage in Afghanistan weiterhin prekär sein mag; zu einer Rechtsfrage verdichten sich diese Tatsachen indes nicht. Das gilt auch für das Vorbringen, der mitgeteilte Angriff auf das Rote Kreuz stelle eine neue Qualität dar.
Der von dem Auswärtigen Amt ausgesprochenen Reisewarnung kommt auch die ihr von dem Kläger zugeschriebene Indizwirkung für das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1, 3 AufenthG, bei der in verfassungskonformer Auslegung der Regelungen ein Abschiebungsverbot nach nationalem Recht anzunehmen ist, nicht zu. Nach dem Wortlaut der Reisewarnung und den vom Kläger mitgeteilten Grundsätzen für den Erlass einer solchen Reisewarnung ist auszuschließen, dass die hierfür maßgebenden rechtlichen Maßstäbe zur Bewertung der Verfolgungs- bzw. Sicherheitslage und damit auch der von dem Kläger aufgezeigten sicherheitsrelevanten Ereignisse mit jenen identisch sind, anhand derer das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG zu beurteilen ist (s. dazu Urteil vom 31. Januar 2013 - BVerwG 10 C 15.12 - InfAuslR 2013, 241). Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob für Reisewarnungen nach der Staatsangehörigkeit zu unterscheiden sei, stellt sich mithin bereits im Ansatz nicht.
1.3 Soweit die Beschwerde geltend macht, das Abstellen auf die Herkunftsregion bedeute im Ergebnis das Zählen der Toten in einem bestimmten Zeitraum in einer bestimmten Gegend - das sogenannte "Bodycount" -, was mit dem vom Grundgesetz absolut geschützten Recht auf Leben unvereinbar sei, legt dies ebenfalls keine klärungsbedürftige Rechtsfrage dar. Denn es ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts rechtsgrundsätzlich geklärt, dass und unter welchen Voraussetzungen eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG) besteht (s. etwa Urteile vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 22, vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360 = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 38 und vom 17. November 2011 - BVerwG 10 C 13.10 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u Asylrecht Nr. 58) bzw. von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, bei der in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG Abschiebungsschutz auch dann zu gewähren ist, wenn eine Anordnung nach § 60a Abs. 1 AufenthG nicht ergangen ist (s. etwa Urteil vom 8. September 2011 - BVerwG 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319, Rn. 22 f. m.w.N.), und dass es für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte u.a. jener quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos bedarf, welche die Beschwerde unter dem Begriff des "Bodycount" als vermeintlich grundgesetzwidrig erachtet. In der Rechtsprechung der Bundesverwaltungsgerichts ist des Weiteren geklärt (Urteil vom 31. Januar 2013 - BVerwG 10 C 15.12 - juris Rn. 13), dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG auch dann erfüllt sein können, wenn sich der bewaffnete Konflikt nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt, und daher auch eine Betrachtung geboten sein kann, die für die Gefahrenprognose nach Herkunftsregionen innerhalb des Heimatstaates differenziert. Die Beschwerde lässt keinen weiteren oder neuerlichen Klärungsbedarf erkennen.
2. Die auf den Verfahrensmangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG) gestützte Beschwerde hat ebenfalls keinen Erfolg.
2.1 Die von der Beschwerde der Sache nach geltend gemachten Verstöße gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) sind nur dann ausreichend dargelegt, wenn substanziiert vorgetragen wird, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328). Die Rüge, das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) sei verletzt, erfordert regelmäßig die substanziierte Darlegung dessen, was die Prozesspartei bei ausreichender Gehörsgewährung noch vorgetragen hätte und inwiefern der weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (vgl. Beschluss vom 19. März 1991 - BVerwG 9 B 56.91 - Buchholz 310 § 104 VwGO Nr. 25 S. 12 m.w.N.). Schließlich ist bei allen Verfahrensrügen darzulegen, dass und inwieweit die angefochtene Entscheidung auf dem behaupteten Mangel beruht, d.h. inwiefern die nicht aufgeklärte Tatsache - vom materiell-rechtlichen Standpunkt des Berufungsgerichts - zu einer günstigeren Entscheidung hätte führen können.
2.2 Angesichts der von dem Berufungsgericht in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel (Ladungsverfügung vom 17. Januar 2013 sowie weitere Erkenntnismittel, die in der mündlichen Verhandlung eingeführt worden sind) sowie deren Auswertung in dem angegriffenen Urteil genügt die Beschwerde diesen Maßstäben nicht, wenn vorgetragen wird, es verstoße gegen das rechtliche Gehör, "dass die vielen weiteren Auskünfte zu Afghanistan, beispielsweise die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes, die internen Berichte der Bundeswehr, die vielfachen Zeitungsberichte nicht zu einer Entscheidung herangezogen werden und diesbezüglich weiter nachgeforscht wird."
3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
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Die gegen diese Entscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 10.09.2014 - 2 BvR 1625/13 - nicht zur Entscheidung angenommen.
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Die Beschwerde, mit der ein Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sowie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend gemacht werden, bleibt ohne Erfolg.
1. Die von dem Kläger erhobenen Grundsatzrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) führen nicht zur Zulassung der Revision.
"ob die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für alle Menschen gilt oder je nach Staatsangehörigkeit unterschiedlich"
bzw.
"ob eine Abschiebung nach ganz Afghanistan möglich ist und sich die vielen Tatsachen hinsichtlich Übergriffen und Überfällen in Afghanistan zu einer Rechtsfrage verdichtet haben"
bzw.
"ob eine Unterscheidung nach der Herkunft eines afghanischen Flüchtlings nach der jeweiligen Region - sogenanntes 'Bodycount' - rechtlich zulässig ist".
und verweist zur Begründung auf die angespannte Sicherheits- und Versorgungslage, die das Auswärtige Amt veranlasst habe, hinsichtlich Afghanistans eine Reisewarnung zu erlassen, was die höchste Stufe einer Einteilung bilde. Eine Reisewarnung werde nur selten ausgesprochen und erfolge nur dann, wenn aufgrund einer akuten Gefahr für Leib oder Leben vor Reisen in ein Land oder in eine bestimmte Region eines Landes gewarnt werden müsse.
Mit diesem und dem weiteren Vorbringen zur medizinischen Versorgungslage und der Sicherheitslage in Afghanistan, für die eine Reihe von Berichten über Übergriffe, Tötungen und Kampfhandlungen aufgelistet werden und geltend gemacht wird, spätestens seit der sogenannten Frühjahrsoffensive der Taliban bestehe in ganz Afghanistan eine extreme Gefahrenlage und in ganz Afghanistan ein bewaffneter Konflikt im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, zeigt die Beschwerde keine klärungsbedürftige Frage des revisiblen Rechts auf. Denn dieses Vorbringen zielt der Sache nach nicht auf eine Rechtsfrage, sondern auf die dem Tatsachengericht vorbehaltene Prognose, ob dem Kläger aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse angesichts der politischen Gegebenheiten in seiner Heimat bei einer Rückkehr eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG droht bzw. eine extreme Gefahrenlage besteht, die in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG eine Abschiebung nach Afghanistan hindert. Die Beschwerde greift damit der Sache nach die vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu den Prognosegrundlagen sowie die darauf aufbauende Prognose als Teil der Beweiswürdigung an und stellt dem ihre eigene Einschätzung der Sachlage entgegen, ohne insoweit eine konkrete Rechtsfrage aufzuzeigen. Die Vielzahl der von dem Kläger vorgelegten Berichte über sicherheitsrelevante Vorfälle aus der Zeit auch nach dem für die rechtliche Überprüfung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) belegen zwar, dass die Sicherheitslage in Afghanistan weiterhin prekär sein mag; zu einer Rechtsfrage verdichten sich diese Tatsachen indes nicht. Das gilt auch für das Vorbringen, der mitgeteilte Angriff auf das Rote Kreuz stelle eine neue Qualität dar.
Der von dem Auswärtigen Amt ausgesprochenen Reisewarnung kommt auch die ihr von dem Kläger zugeschriebene Indizwirkung für das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1, 3 AufenthG, bei der in verfassungskonformer Auslegung der Regelungen ein Abschiebungsverbot nach nationalem Recht anzunehmen ist, nicht zu. Nach dem Wortlaut der Reisewarnung und den vom Kläger mitgeteilten Grundsätzen für den Erlass einer solchen Reisewarnung ist auszuschließen, dass die hierfür maßgebenden rechtlichen Maßstäbe zur Bewertung der Verfolgungs- bzw. Sicherheitslage und damit auch der von dem Kläger aufgezeigten sicherheitsrelevanten Ereignisse mit jenen identisch sind, anhand derer das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG zu beurteilen ist (s. dazu Urteil vom 31. Januar 2013 - BVerwG 10 C 15.12 - InfAuslR 2013, 241). Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob für Reisewarnungen nach der Staatsangehörigkeit zu unterscheiden sei, stellt sich mithin bereits im Ansatz nicht.
1.3 Soweit die Beschwerde geltend macht, das Abstellen auf die Herkunftsregion bedeute im Ergebnis das Zählen der Toten in einem bestimmten Zeitraum in einer bestimmten Gegend - das sogenannte "Bodycount" -, was mit dem vom Grundgesetz absolut geschützten Recht auf Leben unvereinbar sei, legt dies ebenfalls keine klärungsbedürftige Rechtsfrage dar. Denn es ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts rechtsgrundsätzlich geklärt, dass und unter welchen Voraussetzungen eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG) besteht (s. etwa Urteile vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 22, vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360 = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 38 und vom 17. November 2011 - BVerwG 10 C 13.10 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u Asylrecht Nr. 58) bzw. von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, bei der in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG Abschiebungsschutz auch dann zu gewähren ist, wenn eine Anordnung nach § 60a Abs. 1 AufenthG nicht ergangen ist (s. etwa Urteil vom 8. September 2011 - BVerwG 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319, Rn. 22 f. m.w.N.), und dass es für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte u.a. jener quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos bedarf, welche die Beschwerde unter dem Begriff des "Bodycount" als vermeintlich grundgesetzwidrig erachtet. In der Rechtsprechung der Bundesverwaltungsgerichts ist des Weiteren geklärt (Urteil vom 31. Januar 2013 - BVerwG 10 C 15.12 - juris Rn. 13), dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG auch dann erfüllt sein können, wenn sich der bewaffnete Konflikt nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt, und daher auch eine Betrachtung geboten sein kann, die für die Gefahrenprognose nach Herkunftsregionen innerhalb des Heimatstaates differenziert. Die Beschwerde lässt keinen weiteren oder neuerlichen Klärungsbedarf erkennen.
2. Die auf den Verfahrensmangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG) gestützte Beschwerde hat ebenfalls keinen Erfolg.
2.1 Die von der Beschwerde der Sache nach geltend gemachten Verstöße gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) sind nur dann ausreichend dargelegt, wenn substanziiert vorgetragen wird, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328). Die Rüge, das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) sei verletzt, erfordert regelmäßig die substanziierte Darlegung dessen, was die Prozesspartei bei ausreichender Gehörsgewährung noch vorgetragen hätte und inwiefern der weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (vgl. Beschluss vom 19. März 1991 - BVerwG 9 B 56.91 - Buchholz 310 § 104 VwGO Nr. 25 S. 12 m.w.N.). Schließlich ist bei allen Verfahrensrügen darzulegen, dass und inwieweit die angefochtene Entscheidung auf dem behaupteten Mangel beruht, d.h. inwiefern die nicht aufgeklärte Tatsache - vom materiell-rechtlichen Standpunkt des Berufungsgerichts - zu einer günstigeren Entscheidung hätte führen können.
2.2 Angesichts der von dem Berufungsgericht in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel (Ladungsverfügung vom 12. Dezember 2012 sowie ein weiteres Erkenntnismittel, das in der mündlichen Verhandlung eingeführt worden ist) sowie deren Auswertung in dem angegriffenen Urteil genügt die Beschwerde diesen Maßstäben nicht, wenn vorgetragen wird, es verstoße gegen das rechtliche Gehör, "dass die vielen weiteren Auskünfte zu Afghanistan, beispielsweise die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes, die internen Berichte der Bundeswehr, die vielfachen Zeitungsberichte nicht zu einer Entscheidung herangezogen werden und diesbezüglich weiter nachgeforscht wird."
3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019727
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BVerwG
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9. Senat
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20130612
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9 C 5/12
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Urteil
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 5. Oktober 2011, Az: 14 A 2577/10, Urteil
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DEU
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Der Kläger, ein eingetragener gemeinnütziger Verein, führte an öffentlichen Schulen Maßnahmen zur beruflichen Orientierung der Schüler durch. Die Maßnahmen setzten sich aus den Modulen Interessenserkundung, Berufsfelderkundung, Kompetenzfeststellung und Bewerbungstraining zusammen. Sie sind eingebunden in weitere, von den Schulen selbst vorgenommene Maßnahmen, mit denen die Schüler in der Phase des Übergangs von der Schule in den Beruf zu einer fundierten Berufswahl befähigt werden sollen.
Der Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Erteilung einer - für die Befreiung von der Umsatzsteuer notwendigen - Bescheinigung hinsichtlich der ordnungsgemäßen Durchführung der Berufsorientierung ab. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zur Erteilung der Bescheinigung verpflichtet. Das Oberverwaltungsgericht hat diese Entscheidung auf die Berufung des Beklagten geändert und die Klage mit im Wesentlichen folgender Begründung abgewiesen: Voraussetzung für die Erteilung einer Bescheinigung sei nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG u.a., dass die Leistungen der privaten Einrichtung "auf einen Beruf vorbereiten". Von "Berufsvorbereitung" könne nur bei Leistungen gesprochen werden, die der Vermittlung spezieller, für die Ausübung bestimmter Berufe notwendiger Kenntnisse und Fertigkeiten dienten. Bei den vom Kläger durchgeführten Maßnahmen der Berufsorientierung handle es sich hingegen um Hilfen zur - der "Berufsvorbereitung" zeitlich vorgelagerten - Berufswahl. Der Zweck des § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG gebiete ebenfalls keine Ausweitung der steuerlichen Begünstigung auf die Berufswahlvorbereitung. Mit der Steuerbefreiung solle neben der Förderung der schulischen und beruflichen Aus- und Fortbildung die steuerliche Gleichbehandlung der privaten und der nach § 2 Abs. 3 UStG nicht der Umsatzsteuer unterliegenden öffentlichen Schulen herbeigeführt werden. Dieser Zweck greife hier nicht, weil Hilfen zur beruflichen Orientierung nicht zum "klassischen" Bestandteil der Schulausbildung gehörten, sondern von den Schulen in Kooperation mit anderen Trägern erbracht würden. Gegen eine erweiternde Auslegung spreche außerdem die Zweistufigkeit des Verfahrens, nämlich die Entscheidung der zuständigen Landesbehörde über die vorliegend in Rede stehende Erteilung der Bescheinigung einer ordnungsgemäßen Aus- und Fortbildung auf der ersten Stufe und die nachfolgende, der Finanzverwaltung obliegende Entscheidung über die Umsatzsteuerbefreiung selbst auf der zweiten Stufe. Mit dieser Zweistufigkeit solle das spezifische Fachwissen der zuständigen Landesbehörde nutzbar gemacht werden, die im Unterschied zur Finanzverwaltung über die für eine Beurteilung der "Ordnungsgemäßheit" der Aus- und Fortbildung notwendigen Informationen und Kenntnisse verfüge. Diese Verfahrensgestaltung sei nur sinnvoll, soweit für einen bestimmten Beruf ein Ausbildungskanon vorhanden sei, mit dem die von der privaten Einrichtung erbrachte Leistung verglichen werden könne. Daran fehle es bei Maßnahmen, die lediglich der Vorbereitung der Berufswahl dienten. Auch Unionsrecht zwinge nicht zur Erteilung der begehrten Bescheinigung. Dabei könne offenbleiben, ob Maßnahmen privater Einrichtungen zur Vorbereitung der Berufswahl als solche oder als eng mit dem Schulunterricht verbundene Dienstleistungen nach der Mehrwertsteuersystemrichtlinie von der Umsatzsteuer befreit werden müssten. Denn eine diesem unionsrechtlichen Anspruch Rechnung tragende richtlinienkonforme Auslegung des § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG komme nicht in Betracht, weil sie weder mit dem Wortlaut der Vorschrift ("Berufsvorbereitung") noch mit Sinn und Zweck der Verfahrensstufung vereinbar wäre.
Der Kläger trägt zur Begründung seiner Revision u.a. vor: Es bestehe ein Anspruch auf Erteilung der Bescheinigung, weil Maßnahmen zur Vorbereitung der Berufswahl nach dem nordrhein-westfälischen Schulgesetz zu den Aufgaben der Schule gehörten. Außerdem unterfielen sie nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union dem Begriff des "Schulunterrichts" i.S.d. Mehrwertsteuersystemrichtlinie und seien daher von der Umsatzsteuer zu befreien.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. Oktober 2011 zu ändern und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen vom 22. Oktober 2010 zurückzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und stellt den Antrag,
die Revision zurückzuweisen.
Der Vertreter des Bundesinteresses stellt keinen Antrag.
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Die zulässige Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
Gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG sind steuerfrei die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten. Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, für die der beruflichen Orientierung der Schüler bzw. deren Vorbereitung auf die Berufswahl dienenden Leistungen des Klägers könne eine Bescheinigung nicht erteilt werden. Dem Tatbestandsmerkmal "Vorbereitung auf einen Beruf" unterfielen nur solche Leistungen privater Einrichtungen, die einen Bezug zu einem bestimmten Beruf aufweisen. Das trifft nicht zu. Vielmehr ist § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG nach Sinn und Zweck der Vorschrift (1.) und unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Effektivitätsprinzips (2.) erweiternd dahin auszulegen, dass auch Leistungen privater Einrichtungen erfasst sind, die der "beruflichen Orientierung" bzw. der "Vorbereitung auf die Wahl eines Berufs" dienen (Änderung der bisherigen Rechtsprechung, vgl. Urteil vom 3. Dezember 1976 - BVerwG 7 C 73.75 - Buchholz 401.2 § 4 UStG Nr. 1 S. 3).
1. Die Befreiung der schulischen und beruflichen Ausbildung durch Privatschulen und andere vergleichbare Bildungseinrichtungen von der Umsatzsteuer nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) UStG bezweckt - neben der Förderung solcher Leistungen - deren steuerliche Gleichbehandlung mit den nach § 2 Abs. 3 UStG nicht der Umsatzsteuer unterliegenden öffentlich-rechtlichen Ausbildungsträgern (vgl. BFH, Urteil vom 18. Dezember 2003 - V R 62/02 - BFHE 204, 355 <359> m.w.N.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 4. Mai 2006 - BVerwG 10 C 10.05 - Buchholz 401.2 § 4 UStG Nr. 2 Rn. 17 und Beschluss vom 31. Juli 2008 - BVerwG 9 B 80.07 - Buchholz 401.2 § 4 UStG Nr. 5 Rn. 9 zu § 4 Nr. 20 Buchst. a) UStG). Dieses Ziel umsatzsteuerlicher Gleichbehandlung der in gleicher Weise von öffentlich-rechtlichen und von privaten Ausbildungsträgern erbrachten Leistungen wird verfehlt, wenn die Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG nur für Leistungen erteilt wird, die der Vorbereitung auf einen bestimmten Beruf dienen. Die öffentlich-rechtlichen Einrichtungen nehmen jedenfalls in der Phase des Übergangs der Schüler von der Schule in den Beruf mittlerweile Aufgaben wahr, die über den "klassischen" Schulunterricht hinausgehen. Nach § 5 Abs. 2 SchulG NRW sollen die Schulen in gemeinsamer Verantwortung mit den dort bezeichneten Trägern Hilfen zur beruflichen Orientierung geben. Die berufliche Orientierung von Schülern gehört zu den Aufgaben der Schule (vgl. LTDrucks 14/1572 S. 79). Die Veranstaltungen der Berufsorientierung in der Schule sind demgemäß Bestandteil des Schulunterrichts; die Schule ermöglicht die Durchführung von Gruppenveranstaltungen, individuellen Beratungsgesprächen sowie Eignungsuntersuchungen auch während der Unterrichtszeit im Einvernehmen mit der Schule (Runderlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom 6. November 2007 - ABl. NRW. 12/07). Damit stellt die Aufgabe der beruflichen Orientierung der Schüler ein Bindeglied zwischen "klassischer" Schulausbildung und anschließender Berufsausbildung dar. Die vom Kläger durchgeführten berufsorientierenden Maßnahmen decken einen Teil dieses den Schulen zugewachsenen Aufgabenbereichs ab, den die Schulen in anderen Bundesländern nach den unbestrittenen Angaben des Vertreters des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in der mündlichen Verhandlung selbst durch entsprechend geschulte Lehrer wahrnehmen.
Aufgrund dieser Erweiterung des Bildungsauftrags der Schulen ist es gerechtfertigt und mit Blick auf die vom Gesetzgeber bezweckte steuerrechtliche Gleichbehandlung von allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen in öffentlich-rechtlicher und privater Trägerschaft geboten, das Merkmal "Vorbereitung auf einen Beruf" in § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG erweiternd auszulegen. Nicht nur die Vermittlung spezieller Kenntnisse und Fertigkeiten, die zur Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten notwendig sind, sondern auch die Vorbereitung auf einen Beruf schlechthin ist als steuerrechtlich begünstigte Berufsvorbereitung zu verstehen (Änderung der bisherigen Rechtsprechung, vgl. Urteil vom 3. Dezember 1976 a.a.O.). Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass es sich bei der Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG um einen für das weitere Verfahren verbindlichen Grundlagenbescheid i.S.d. § 171 Abs. 10 AO handelt (vgl. BFH, Urteil vom 20. August 2009 - V R 25/08 - BFHE 226, 479 <484 f.>). Lehnt die zuständige Landesbehörde die Erteilung der Bescheinigung für bestimmte Leistungen einer privaten Einrichtung ab, ist die Finanzverwaltung auch dann gehindert, diese Leistungen als umsatzsteuerfrei zu behandeln, wenn sie in gleicher Weise von öffentlich-rechtlichen, der Umsatzsteuer nicht unterliegenden Bildungsträgern erbracht werden (vgl. BFH, Urteil vom 23. August 2007 - V R 4/05 - BFHE 217, 327 <330 f.>; BVerwG, Urteil vom 4. Mai 2006 a.a.O. Rn. 21 zur Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a) UStG).
Die jeder Auslegung gesetzte Wortlautgrenze steht der Erteilung einer Bescheinigung für Leistungen zur Vorbereitung der Berufswahl nicht entgegen. Denn unter "Vorbereitung auf einen Beruf" i.S.d. § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG kann nach dem Wortsinn auch die Vorbereitung "auf irgendeinen Beruf" oder "auf das Berufsleben" verstanden werden (vgl. bereits VG Aachen, Urteil vom 22. Oktober 2010 - 7 K 1519/09 - juris Rn. 43 ff.). Auch der verfahrensrechtliche Zweck der Vorschrift, auf einer ersten, der Steuerbefreiung durch die Finanzverwaltung vorgelagerten Stufe das spezifische Fachwissen der zuständigen Landesbehörde über die ordnungsgemäße schulische und berufliche Ausbildung zu nutzen, erfordert nicht, den Anwendungsbereich des Bescheinigungsverfahrens auf Leistungen zur Vorbereitung auf einen bestimmten Beruf zu beschränken. Die Verfahrensstufung ist nicht nur dann sinnvoll, wenn es um die fachkundige Beurteilung geht, ob die Leistungen der privaten Einrichtung gemessen an einem bestimmten Ausbildungskanon oder einer bestimmten Prüfungsordnung öffentlich-rechtlicher Träger "ordnungsgemäß" sind, wie das Oberverwaltungsgericht meint. Vielmehr sind auch für die Beantwortung der Frage, ob die hier in Rede stehenden Maßnahmen der Berufsorientierung ebenso wie die die Maßnahmen anbietende (private) Einrichtung und das von ihr eingesetzte Personal die erforderliche Eignung aufweisen, um die Ziele der im Bereich der schulischen bzw. beruflichen Ausbildung tätigen öffentlich-rechtlichen Träger in vergleichbarer Weise zu erfüllen, spezifische Kenntnisse über deren Unterrichtsinhalte und deren Praxis hilfreich, wie sie bei der zuständigen Landesbehörde, nicht aber bei der Finanzverwaltung vorliegen. Zwar mag dieser Gesichtspunkt hier unschwer zu klären sein, weil die Leistungen des Klägers zur Vorbereitung der Schüler auf die Berufswahl in die von der Schule selbst durchgeführten Maßnahmen der Berufsorientierung eingebunden sind. Anders liegt es jedoch, wenn eine allein von einer privaten Einrichtung verantwortete und in ihren Räumen durchgeführte Maßnahme an der Praxis öffentlich-rechtlicher Einrichtungen zu messen ist.
2. Die Erweiterung des Anwendungsbereichs des Bescheinigungsverfahrens auf Leistungen zur beruflichen Orientierung ist - unter Berücksichtigung des Zwecks der in § 4 Nr. 21 Buchst. a) UStG normierten Verfahrensstufung - durch das unionsrechtliche Effektivitätsprinzip geboten.
Nach dem unionsrechtlichen Effektivitätsprinzip sind nationale Rechtsvorschriften so weit wie möglich dahin auszulegen, dass sie die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (EuGH, Urteile vom 2. Oktober 2003 - Rs. C-147/01, Webers Wine World u.a. - Slg. 2003, I-11365 Rn. 103, 117 und vom 13. März 2007 - Rs. C-432/05, Unibet - Slg. 2007, I-2271 Rn. 43 f.; stRspr). Wie bereits ausgeführt, handelt es sich bei der Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG um einen für die Finanzverwaltung verbindlichen Grundlagenbescheid. Daher sind die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift bis hin zur Wortlautgrenze so auszulegen, dass hinsichtlich aller Leistungen privater Einrichtungen, für die nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i) der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MWSt-RL) ein Anspruch auf Befreiung von der Umsatzsteuer in Betracht kommt, eine Bescheinigung erteilt werden kann. Dadurch wird zugleich dem Zweck der Verfahrensstufung möglichst weitgehend Rechnung getragen, dass vor der eigentlichen Steuerbefreiung durch die Finanzverwaltung zunächst die zuständige Landesbehörde ihr spezifisches Fachwissen über die Leistungsinhalte der öffentlich-rechtlichen Einrichtungen einbringt. Wie in Fällen zu verfahren ist, in denen der Wortlaut des § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG einer Anwendung des Bescheinigungsverfahrens auf Leistungen entgegensteht, die unionsrechtlich von der Umsatzsteuer zu befreien sind, bedarf keiner Erörterung; wie bereits ausgeführt, wird die Wortlautgrenze bezogen auf die hier in Rede stehenden Leistungen nicht überschritten (zur unmittelbaren Anwendung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i) MWSt-RL durch die Finanzverwaltung vgl. BFH, Urteile vom 21. März 2007 - V R 28/04 - BFHE 217, 59 <61 f.>, vom 10. Januar 2008 - V R 52/06 - BFHE 221, 295 <298> und vom 24. Januar 2008 - V R 3/05 - BFHE 221, 302 <306 f.>).
Es kann keine vernünftigen Zweifel darüber geben, dass Leistungen der beruflichen Orientierung bzw. zur Vorbereitung auf die Wahl eines Berufs unter den Begriff des "Schulunterrichts" i.S.d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i) MWSt-RL fallen können und damit von der Umsatzsteuer zu befreien sind. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist der autonome unionsrechtliche Begriff des "Schul- und Hochschulunterrichts" zur Vermeidung einer mit Blick auf die unterschiedliche Gestaltung der jeweiligen Unterrichtssysteme von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlichen Anwendung des Mehrwertsteuersystems nicht eng auszulegen. Der Begriff beschränkt sich nicht auf Unterricht, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt. Vielmehr schließt er andere Tätigkeiten ein, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler und Studenten zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben (EuGH, Urteile vom 14. Juni 2007 - Rs. C-445/05, Haderer - Slg. 2007, I-4844 Rn. 24, 26 und vom 28. Januar 2010 - Rs. C-473/08, Eulitz - Slg. 2010, I-907 Rn. 29 f.). Einzelne "in Schulen" geleistete Hilfen zur beruflichen Orientierung wie etwa das - auch vom Kläger durchgeführte - "Bewerbungstraining" oder die Vermittlung von Kenntnissen über das Verhalten bei Vorstellungsgesprächen, über bestimmte Berufsfelder oder über die Arbeitsmarktsituation stellen nach der weiten Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union zweifellos "Schulunterricht" dar. Es spricht einiges dafür, dass das auch für die vom Kläger angebotenen Module der Interessens- und Berufsfelderkundung sowie der Kompetenzfeststellung zutrifft. Denn bei diesen Testverfahren geht es nicht nur um die bloße Feststellung bereits vorhandener Kompetenzen und Neigungen der Schüler. Diese sollen vielmehr dazu befähigt werden, die Kenntnisse über ihre eigenen Kompetenzen und Interessen zielorientiert bei der Berufswahl einzusetzen.
Letztlich kann diese Frage jedoch offenbleiben. Entscheidend ist mit Blick auf das unionsrechtliche Effektivitätsprinzip, dass für Maßnahmen, die der Vorbereitung der Berufswahl dienen, ein Anspruch auf Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i) MWSt-RL bestehen kann. Es bedarf auch mit Blick auf die Harmonisierung der Umsatzsteuerbefreiung innerhalb der Europäischen Union (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Juni 2007 a.a.O. Rn. 17 und 26) keiner Klärung, ob bei sämtlichen Maßnahmen, die im Rahmen beruflicher Orientierung erbracht werden können, die Voraussetzungen des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i) MWSt-RL für eine Steuerbefreiung vorliegen. Denn die Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG trifft keine verbindliche Entscheidung darüber, ob die Leistungen der privaten Einrichtung, auf die sie sich bezieht, nach Unionsrecht von der Umsatzsteuer zu befreien sind oder nicht. Diese Frage unterliegt vielmehr der nachfolgenden eigenständigen Prüfung durch die Finanzverwaltung (vgl. BFH, Urteile vom 24. Januar 2008 a.a.O. S. 307 ff. und vom 10. Januar 2008 a.a.O. S. 298 ff.; zur Abgrenzung des Regelungsgehalts der Bescheinigung von den weiteren in § 4 Nr. 21 Buchst. a) UStG genannten Voraussetzungen vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1976 - BVerwG 7 C 73.75 - Buchholz 401.2 § 4 UStG Nr. 1 S. 4 und BFH, Urteil vom 3. Mai 1989 - V R 83/84 - BFHE 157, 458 <462 f.>). Zur Klarstellung sei angemerkt, dass der Antrag auf Erteilung einer Bescheinigung für Leistungen der beruflichen Orientierung wegen fehlenden Sachbescheidungsinteresses versagt werden kann, wenn die Voraussetzungen des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i) MWSt-RL für eine Befreiung von der Umsatzsteuer offensichtlich nicht vorliegen (vgl. auch Urteil vom 23. März 1973 - BVerwG 4 C 49.71 - BVerwGE 42, 115 <117>; Beschluss vom 20. Juli 1993 - BVerwG 4 B 110.93 - NVwZ 1994, 482 <483>).
3. Voraussetzung für die vom Kläger begehrte Erteilung einer Bescheinigung ist nach § 4 Nr. 21 Buchst. a) bb) UStG des Weiteren die "Ordnungsgemäßheit" der von ihm durchgeführten Leistungen. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Leistungen objektiv geeignet sind, der "Vorbereitung auf einen Beruf" zu dienen, von einem seriösen Institut erbracht werden und die eingesetzten Lehrkräfte die erforderliche Eignung besitzen (Urteil vom 3. Dezember 1976 a.a.O. S. 3). Das Oberverwaltungsgericht hat keine Feststellungen zum Vorliegen dieser qualitativen Anforderungen getroffen; die Beteiligten haben den insoweit relevanten Sachverhalt auch nicht im Revisionsverfahren unstreitig gestellt. Somit ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Klärung dieser Frage an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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WBRE410019728
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BVerwG
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5. Senat
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20130703
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5 B 66/12
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Beschluss
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§ 6 Abs 1 AusglLeistG, § 133 BGB, § 157 BGB, § 132 Abs 2 Nr 1 VwGO
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vorgehend VG Potsdam, 7. Juni 2012, Az: 1 K 2223/11, Urteil
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DEU
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Antragstellung im Sinne des Ausgleichsleistungsgesetzes; Inhalt; Revisibilität
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Die gegen diese Entscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 19.03.2014 - 1 BvR 2455/13 - nicht zur Entscheidung angenommen.
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Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (1.) und der Divergenz (2.) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 13 <S. 14>). Dem genügt die Beschwerde nicht.
a) Soweit der Kläger geklärt wissen möchte, "welchen konkreten Inhalt ein an die Behörde gerichtetes Schreiben haben muss, um als wirksame Antragstellung im Sinne des Ausgleichsleistungsgesetzes gewertet zu werden", wirft er keine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage auf.
Die Grundsätze zu den rechtlichen Maßstäben, die im Bereich des revisiblen Rechts bei der Auslegung von Anträgen an eine Behörde zu beachten sind, sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Danach sind Anträge entsprechend den für die Auslegung von empfangsbedürftigen Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts geltenden Rechtsgrundsätzen der §§ 133 und 157 BGB auszulegen (vgl. Urteile vom 12. Dezember 2001 - BVerwG 8 C 17.01 - BVerwGE 115, 302 <307> = Buchholz 310 § 69 VwGO Nr. 7 S. 1 <S. 6>, vom 11. November 2004 - BVerwG 3 C 4.04 - BVerwGE 122, 166 <170> = Buchholz 428.21 KVG Nr. 2 S. 10 <S. 13> und vom 21. Juni 2006 - BVerwG 6 C 19.06 - BVerwGE 126, 149 = Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 264, jeweils Rn. 52 sowie Beschluss vom 22. September 2011 - BVerwG 6 B 19.11 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 176 Rn. 6, jeweils m.w.N.). Es kommt nicht auf den inneren Willen der erklärenden Partei, sondern darauf an, wie die Erklärung aus Sicht des Empfängers bei objektiver Betrachtungsweise zu verstehen ist. Dabei tritt der Wortlaut hinter Sinn und Zweck der Erklärung zurück. Maßgebend ist der geäußerte Wille des Erklärenden, wie er aus der Erklärung und sonstigen Umständen für den Erklärungsempfänger erkennbar wird.
Die Anwendung dieser Grundsätze auf eine bestimmte Fallgestaltung betrifft keine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage und entzieht sich deshalb einer rechtsgrundsätzlichen Klärung in einem Revisionsverfahren. So liegt es bei der hier in Rede stehenden Frage, die auf den "konkreten Inhalt" eines die behördliche Prüfung auslösenden Antrags im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können (Ausgleichsleistungsgesetz - AusglLeistG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Juli 2004 (BGBl I S. 1665), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. März 2011 (BGBl I S. 450), zielt.
Soweit der Kläger im vorliegenden Zusammenhang auch darlegt, dass sein Schreiben vom 13. Dezember 1994 als Antrag auf Entschädigung nach dem Ausgleichsleistungsgesetz auszulegen sei, beanstandet er die gegenteilige Wertung des Verwaltungsgerichts. Mit der Rüge einer angeblichen fehlerhaften Rechtsanwendung kann eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hingegen nicht begründet werden.
b) Die von dem Kläger aufgeworfene Frage, "ob § 6 Abs. 1 Satz 2 des Ausgleichsleistungsgesetzes dort, wo auf behördliches Anraten ein Antrag nach § 16 des Investitionsvorranggesetz gestellt wurde, analog anzuwenden ist", verhilft der Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg. Soweit eine Nichtzulassungsbeschwerde auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützt wird, gebietet das Begründungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO auch, dass substantiiert dargelegt wird, aus welchen Gründen der der aufgeworfenen Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung zugrunde liegenden Rechtsauffassung zu folgen ist. Daran fehlt es hier.
Der Kläger ist der Auffassung, dass für den Fall, dass sein Schreiben vom 13. Dezember 1994 (nur) als Antrag nach § 16 des Gesetzes über den Vorrang für Investitionen bei Rückübertragungsansprüchen nach dem Vermögensgesetz (Investitionsvorranggesetz - InVorG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. August 1997 (BGBl I S. 1996), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Dezember 2006 (BGBl I S. 3230), anzusehen sei, § 6 Abs. 1 Satz 2 AusglLeistG analoge Anwendung finde. Nach der zuletzt genannten Bestimmung werden bestimmte bereits gestellte, noch anhängige Anträge nach dem Vermögensgesetz als Anträge nach dem Ausgleichsleistungsgesetz gewertet. Aus Sicht des Klägers ist die nach ihrem Wortlaut auf Anträge nach dem Vermögensgesetz beschränkte Bestimmung im Wege der Analogie auf Anträge nach § 16 InVorG zu erstrecken.
Richterliche Rechtsfortbildung in Gestalt eines Analogieschlusses setzt eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus (vgl. Urteile vom 15. November 2012 - BVerwG 3 C 12.12 - LKV 2013, 78 Rn. 19 und vom 20. Mai 1999 - BVerwG 3 C 3.98 - Buchholz 451.512 MGVO Nr. 134 S. 3 <S. 5>). Ob eine solche Lücke vorliegt, ist danach zu beurteilen, ob die vom Regelungsprogramm des Gesetzgebers erfassten Fälle in den gesetzlichen Vorschriften tatsächlich Berücksichtigung gefunden haben. Sie ist zu bejahen, wenn festzustellen ist, dass der Wortlaut der Vorschrift nicht alle Fälle erfasst, die nach dem Sinn und Zweck der Regelung erfasst sein sollten (vgl. Urteile vom 13. Dezember 2012 - BVerwG 2 C 71.10 - juris Rn. 18 und vom 18. Mai 2006 - BVerwG 3 C 29.05 - Buchholz 428 § 11 VermG Nr. 4 Rn. 21). Die Beschwerdebegründung verhält sich dazu nicht. Sie legt nicht substantiiert dar, dass der Umstand, dass § 6 Abs. 1 Satz 2 AusglLeistG nicht auch Anträge nach dem Investitionsvorranggesetz einbezieht, eine der erkennbaren Regelungsabsicht des Gesetzgebers, wie sie sich etwa der Gesetzgebungsgeschichte entnehmen ließe, zuwiderlaufende und deshalb planwidrige Lücke darstellt. Dies wäre jedoch mit Blick auf die Begründungspflicht geboten gewesen.
Soweit der Kläger im vorliegenden Zusammenhang darlegt, das angefochtene Urteil verletze Art. 3 und 14 GG und das Rechtsstaatsprinzip, genügt auch dies nicht den Darlegungsanforderungen. Mit der Rüge der Verletzung des Grundgesetzes kann die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargetan werden.
c) Der Kläger hält es für eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, "ob der Umstand, dass ein Bürger, der sich innerhalb der Klagefrist an eine staatliche Stelle wendet, die er irrig für eine Ombudsstelle hält, und er des Weiteren irrig davon ausgeht, die Anrufung der Ombudsstelle hemme die Klagefrist, dazu geeignet ist, ihm Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren". Diese Frage rechtfertigt schon deshalb nicht die Zulassung der Revision, weil das angefochtene Urteil nicht auf der Annahme des Versäumens der Klagefrist beruht. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr offengelassen, ob die Frist versäumt ist.
2. Schließlich ist die Revision auch nicht wegen Divergenz zuzulassen.
Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung der Rechtssätze, die das betreffende Gericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen nicht (stRspr, vgl. z.B. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 13 <S. 14>). Gemessen daran ist die Beschwerde nicht ausreichend begründet.
Der Kläger ist der Auffassung, das Verwaltungsgericht sei von näher bezeichneten Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts, des Bundessozialgerichts, des Bundesgerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichts abgewichen, nach denen bei der Auslegung eines Antrags das Gebot effektiven Rechtsschutzes zu beachten und im Zweifel anzunehmen sei, dass der Antragsteller den in der Sache zweckdienlichsten Antrag habe stellen wollen. Damit ist eine Divergenz schon deshalb nicht aufgezeigt, weil das Verwaltungsgericht einen davon abweichenden abstrakten Rechtssatz nicht aufgestellt hat.
3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019729
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BVerwG
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9. Senat
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20130712
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9 B 12/13
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Beschluss
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Art 14 Abs 1 GG, § 902 BGB, § 903 Abs 1 BGB
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vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 10. Januar 2013, Az: 8 B 12.305, Beschluss vorgehend VG München, 26. Oktober 2010, Az: M 2 K 10.2006, Urteil
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DEU
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Rechtswidriger Überbau; öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch; Duldungsanspruch auf Beseitigung durch den Eigentümer
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Der Anspruch des Eigentümers gegenüber dem hoheitlichen Störer, die zu Beseitigung der Störung notwendigen Maßnahmen zu dulden, unterliegt nicht der Verjährung.
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1. Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die Fragen
"Existiert neben einem bereits verjährten öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch ein unverjährbarer Duldungsanspruch auf Beseitigung durch den Eigentümer oder ist ein solcher Duldungsanspruch als "minus" vom öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch mitumfasst?
Welche Anspruchsgrundlage gewährt dem Eigentümer gegenüber dem Straßenbaulastträger einen unverjährbaren Anspruch auf Duldung der Beseitigung auf seinem Grund befindlichen, nicht gewidmeten Straßengrundes, wenn der öffentlich-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch bereits verjährt ist?
Stellt der öffentlich-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch im öffentlichen Recht für vorliegende Fallgestaltungen eine abschließende Regelung dar oder ist daneben Raum für eine Anwendung des § 985 BGB oder eine sonstige § 985 BGB nachgebildete ungeschriebene Anspruchsgrundlage?"
bedürfen keiner revisionsrechtlichen Entscheidung, weil sie sich unmittelbar aus der Verfassung und der einschlägigen Rechtsprechung zum Eigentumsrecht beantworten lassen. Die Beklagte meint, der Anspruch des Klägers gegenüber der Gemeinde, die Beseitigung der nicht straßenrechtlich gewidmeten Verkehrsfläche auf den im Eigentum des Klägers stehenden Grundstücken Nummer 795 und 802 der Gemarkung L... durch ihn selbst zu dulden, sei als "minus" des Folgenbeseitigungsanspruchs anzusehen und deshalb ebenso wie auch der Folgenbeseitigungsanspruch selbst wegen Verjährung erloschen. Dies trifft nicht zu.
Die Antwort auf die gestellten Fragen ergibt sich unmittelbar aus dem Schutz des Eigentums als elementarem Grundrecht gemäß Art. 14 Abs. 1 GG. Die hier in Rede stehende unstreitig rechtswidrige Überbauung führt zur Beeinträchtigung von Eigentumspositionen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Das verfassungsrechtlich gewährleistete Eigentum ist durch Privatnützigkeit und grundsätzliche Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Eigentumsgegenstand gekennzeichnet. Es soll ihm als Grundlage privater Initiative und in eigenverantwortlichem privatem Interesse von Nutzen sein und genießt einen besonders ausgeprägten Schutz, soweit es um die Sicherung der persönlichen Freiheit des Einzelnen geht (BVerfG, Beschluss vom 16. Februar 2000 - 1 BvR 242/91, 315/99 - BVerfGE 102,1 <15>). Daraus ergibt sich ohne Weiteres, dass ein Eigentümer eines Grundstücks mit diesem grundsätzlich nach Belieben verfahren darf (vgl. für das Zivilrecht § 903 BGB). Die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG sichert den konkreten Bestand in der Hand des einzelnen Eigentümers und seine Verfügungsbefugnis über den Eigentumsgegenstand (vgl. BVerfG, Urteile vom 18. Dezember 1968 - 1 BvR 638, 673/64 und 200, 238, 249/65 - BVerfGE 24, 367 <389> und vom 1. März 1979 - 1 BvR 532, 533/77, 419/78 und 1 BvL 21/78 - BVerfGE 50, 290 <339 f.>; Beschluss vom 12. November 1974 - 1 BvR 32/68 - BVerfGE 38, 175 <181>). Deshalb ist er berechtigt, rechtswidrige Einwirkungen auf sein Grundstück abzuwehren.
Hier kann der Kläger von der Beklagten nicht mehr die Beseitigung des rechtswidrigen Überbaus im Wege der Folgenbeseitigung verlangen, nachdem der Verwaltungsgerichtshof die Verjährung dieses Anspruchs festgestellt hat. Die Verjährung des Folgenbeseitigungsanspruchs beseitigt jedoch nicht den durch den rechtswidrigen Überbau entstandenen rechtswidrigen Zustand, den der Eigentümer nicht hinnehmen muss. Er ist vielmehr befugt, rechtswidrige Störungen seines Eigentums auf eigene Kosten zu beseitigen. Dieses Recht folgt bei Eigentumsverletzungen durch hoheitliche Maßnahmen im öffentlichen Recht unmittelbar aus dem durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentumsrecht. Das öffentliche Recht schützt den Eigentümer nicht weniger als das Zivilrecht und gewährt ebenso Abwehransprüche (Urteil vom 21. September 1984 - BVerwG 4 C 51.80 - Buchholz 406.16 § 16 Eigentumsschutz Nr. 40 S. 22; zum Schutz des zivilrechtlichen Eigentums BGH, Urteil vom 28. Januar 2011 - V ZR 141/10 - NJW 2011, 1068 <1069>). Nach § 903 Satz 1 BGB kann der Eigentümer einer Sache, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen. Im öffentlichen Recht gilt nichts anderes. Umfasst wird der Anspruch gegenüber dem Störer, jedenfalls die Maßnahmen zu dulden, die nötig sind, die rechtswidrige Eigentumsstörung zu beseitigen. Das gilt insbesondere, wenn sie wie hier, auf dem Eigentumsgrundstück vorgenommen werden sollen.
Der Duldungsanspruch ist auch nicht, wie die Beklagte meint, ein "minus" zum Folgenbeseitigungsanspruch, sondern ein "aliud". Er verlangt vom Hoheitsträger nämlich gerade nicht, die Folgen seines rechtswidrigen Vorgehens zu beseitigen, sondern lediglich hinzunehmen, dass vom Eigentümer ein rechtmäßiger Zustand wiederhergestellt wird. Der Duldungsanspruch ist nicht verjährt. Er ist auf die Herstellung des Gebrauchs des Eigentumsrechts gerichtet und dessen unmittelbarer Inhalt. Kraft der grundgesetzlichen Gewährleistung verjähren das Recht am Eigentum und die Ausübung dieses Rechts jedoch nicht. Im Zivilrecht ergibt sich das aus § 902 BGB (BGH, Urteil vom 28. Januar 2011 a.a.O.). Ob einem solchen Duldungsanspruch gegenüber dem hoheitlichen Störer ausnahmsweise Unzumutbarkeit entgegengehalten werden kann, mag dahinstehen. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat derartige Gründe nicht festgestellt (vgl. zur Zumutbarkeit eines Folgenbeseitigungsanspruchs Urteil vom 26. August 1993 - BVerwG 4 C 24.91 - BVerwGE 94, 100 <113 ff.>).
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019730
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BVerwG
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2. Senat
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20130703
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2 B 30/12, 2 B 30/12 (2 C 31/13)
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Beschluss
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§ 4 Abs 1 Nr 3 BEDBPStruktG
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vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 14. Dezember 2011, Az: OVG 6 B 13.10, Urteil
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DEU
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Bundeseisenbahnvermögen; Postnachfolgeunternehmen; Versetzung in den Ruhestand
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Die Revision des Klägers ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Das Revisionsverfahren erscheint geeignet, zur Klärung der Bedeutung des Begriffs der betrieblichen oder betriebswirtschaftlichen Belange in § 4 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Verbesserung der personellen Struktur beim Bundeseisenbahnvermögen und in den Postnachfolgeunternehmen (BEDBPStruktG) beizutragen.
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Deutschland
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BMJV
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public
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WBRE410019731
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BVerwG
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5. Senat
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20130619
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5 B 87/12
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Beschluss
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§ 4 Abs 1 BVFG, § 15 Abs 1 BVFG, § 7 BGB
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 30. August 2012, Az: 11 A 2558/11, Urteil
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DEU
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Bundesvertriebenengesetz; zum Begriff "Wohnsitz"
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1. Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisherigen revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Daran gemessen kommt die Zulassung der Revision nicht in Betracht.
1. Die erste als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage,
"ob ein zeitlich befristeter Arbeitsvertrag, der eine Option enthält, wonach sich das Arbeitsverhältnis jeweils um ein Jahr verlängert, falls es nicht zuvor fristgerecht gekündigt wird, die Annahme rechtfertigt, am Beschäftigungsort werde kein Wohnsitz i.S.d. § 7 BGB begründet und der Wohnsitz am bisherigen Wohnort beibehalten, wenn keine zusätzlichen Umstände vorliegen, die auch bei Vorliegen eines zeitlich unbefristeten Arbeitsvertrags diese Annahme rechtfertigen würden",
verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg, da sie in ihren Grundzügen in der Rechtsprechung des Senats geklärt und im Übrigen einer Klärung in einem Revisionsverfahren nicht zugänglich ist.
Im Einklang mit der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Begriff "Wohnsitz" im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes demjenigen des § 7 BGB entspricht (Urteile vom 29. Mai 1957 - BVerwG 5 C 407.56 - BVerwGE 5, 110 <113> = Buchholz 412.3 § 1 BVFG Nr. 2 S. 6 f., vom 29. August 1967 - BVerwG 3 C 158.64 - Buchholz 427.3 § 11 LAG Nr. 39 S. 108 und vom 27. Juni 1989 - BVerwG 9 C 6.89 - BVerwGE 82, 177 <179> = Buchholz 412.3 § 1 BVFG Nr. 42 S. 22).
Gemäß § 7 Abs. 1 BGB ist das Merkmal der Begründung eines Wohnsitzes sowohl durch eine objektive als auch durch eine subjektive Komponente geprägt. In objektiver Hinsicht erfordert es die Niederlassung, mithin die Begründung des Schwerpunktes der Lebensverhältnisse am Ort der Niederlassung. In subjektiver Hinsicht bedarf es des Willens, den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse am Niederlassungsort nicht nur vorübergehend, sondern dauernd, mithin auf lange Sicht und nicht bloß für eine von vornherein begrenzte, wenn auch möglicherweise länger bemessene Zeitspanne, beizubehalten. Voraussetzung ist ein entsprechender Entschluss, der sich als ein innerer, der unmittelbaren Erkenntnis durch Dritte entzogener Vorgang durch äußere Umstände manifestieren muss. Das objektive und das subjektive Element müssen gleichzeitig gegeben sein. Zu welchem Zeitpunkt ein Wohnsitz an einem bestimmten Ort begründet wird, ist eine Tatfrage des Einzelfalles, deren Beantwortung eine umfassende Würdigung sämtlicher für den Einzelfall bedeutsamer Umstände gebietet (BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 1990 - 2 BvR 116/90 - NJW 1990, 2193 <2194>; BVerwG, Urteile vom 26. März 1954 - BVerwG 4 A 90.53 - Buchholz 427.1 § 30 SHG Nr. 5 S. 12 und 14, vom 9. November 1967 - BVerwG 8 C 141.67 - BVerwGE 28, 193 <194 ff.> = Buchholz 448.0 § 1 WPflG Nr. 4 S. 4 f., vom 21. Mai 1985 - BVerwG 1 C 52.82 - BVerwGE 71, 309 <312> = Buchholz 130 § 25 StAG Nr. 4 S. 3 und vom 27. Juni 1989 a.a.O. S. 179 f. bzw. S. 23).
Nach § 7 Abs. 3 BGB wird der Wohnsitz aufgehoben, wenn die Niederlassung mit dem Willen aufgehoben wird, sie aufzugeben. Wie die Begründung des Wohnsitzes ist auch dessen Aufhebung durch eine objektive und eine subjektive Komponente gekennzeichnet. Neben der tatsächlichen Aufgabe der Niederlassung bedarf es des Willens, den Ort nicht mehr als Schwerpunkt der Lebensverhältnisse beizubehalten. Dieser Aufgabewille muss durch die konkreten Umstände des Einzelfalles erhärtet sein (Urteil vom 21. Mai 1985 a.a.O. S. 312 f. bzw. S. 3; vgl. auch Urteil vom 29. August 1967 a.a.O. S. 108 f.)
Gemäß § 7 Abs. 2 BGB kann der Wohnsitz gleichzeitig an mehreren Orten bestehen. Mehrere Wohnsitze bestehen indes nur dann, wenn der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse ungefähr gleichmäßig auf die verschiedenen Orte verteilt ist (Urteil vom 21. Mai 1985 a.a.O. S. 313 bzw. S. 4).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist die eingangs gestellte Frage einer revisionsgerichtlichen Klärung nicht zugänglich. Allein das Bestehen eines zeitlich befristeten Arbeitsvertrages mit der eingangs beschriebenen Verlängerungsoption erlaubt einen verallgemeinerungsfähigen Rückschluss auf das Vorliegen weder des Domizil- noch des Aufgabewillens. Die Annahme des subjektiven Elements der Begründung bzw. der Aufgabe eines Wohnsitzes erfordert eine umfassende Würdigung nicht nur arbeitsvertraglicher, sondern sämtlicher Umstände des konkreten Einzelfalles.
2. Ebenso wenig rechtfertigt die zweite als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage,
"ob eine Behörde durch Urteil verpflichtet werden kann, auf Antrag einen Verwaltungsakt zu erlassen, wenn dessen Erlass zwar kein Bundesrecht verletzt, Bundesrecht den Erlass aber auch nicht zwingend vorschreibt und im Übrigen kein Rechtsschutzinteresse des Antragstellers am Erlass des Verwaltungsakts besteht",
die Zulassung der Revision.
Sie ist in dieser Allgemeinheit von dem Oberverwaltungsgericht nicht aufgeworfen und entschieden worden. Abgesehen davon wäre sie in dieser allgemeinen Form einer rechtsgrundsätzlichen Klärung im Revisionsverfahren nicht zugänglich.
Soweit ihr die einzelfallbezogene Frage zugrunde liegt,
"ob ein Rechtsanspruch der Klägerin auf die Erteilung dieses Aufnahmebescheides als Spätaussiedlerin besteht, obwohl dessen Erteilung nicht Voraussetzung für die Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG an die Klägerin ist",
wird jener nicht schon dadurch grundsätzliche Bedeutung verliehen, dass sie in das Gewand einer Grundsatzrüge gekleidet wird. Selbst wenn man diese spezifizierte Frage vom konkreten Einzelfall lösen würde, so wäre nicht dargelegt, dass auch sie in einer "Vielzahl von Aufnahme-/Bescheinigungsverfahren der Beklagten von Bedeutung" wäre.
3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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Deutschland
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BMJV
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WBRE410019732
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BVerwG
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3. Senat
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20130711
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3 B 64/12
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Beschluss
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§ 1 Abs 1 HeilprG, § 2 Buchst i HeilprGDV 1, § 132 Abs 2 Nr 1 VwGO
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 13. Juni 2012, Az: 13 A 668/09, Urteil
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DEU
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Beschränkung der Heilpraktikererlaubnis für Physiotherapeuten; Kenntnisüberprüfung
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Die Klägerin ist Physiotherapeutin und seit 1991 in eigener Praxis tätig. Sie begehrt die Erteilung einer auf den Bereich der Physiotherapie beschränkten Heilpraktikererlaubnis ohne vorherige Kenntnisüberprüfung. Das Verwaltungsgericht hat ihrer Klage stattgegeben und die Beklagte zur Erteilung einer entsprechenden Erlaubnis verpflichtet. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Eine weitere Kenntnisüberprüfung sei entbehrlich. Die Klägerin verfüge über fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten, die die Annahme rechtfertigten, dass bei der von ihr beabsichtigten Heilkundeausübung im Bereich der Physiotherapie keine Gesundheitsgefährdungen für die Bevölkerung zu befürchten seien. Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass die Klägerin ausgebildete Physiotherapeutin sei und eine fünfjährige berufsbegleitende Weiterbildung zur Osteopathin absolviert habe, sie darüber hinaus zahlreiche weitere fachbezogene Aus- und Fortbildungsveranstaltungen besucht habe und über eine langjährige Berufserfahrung verfüge. Des Weiteren hat es auf die Lehrtätigkeit der Klägerin in der Ausbildung von Physiotherapieschülern/innen verwiesen sowie auf ihre Teilnahme an einem Lehrgang des VDB-Physiotherapieverbandes "Zusatzausbildung für Physiotherapeuten/innen ... zur Schließung der normativen Ausbildungslücke gemäß Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.08.2009 - 3 C 19.08".
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Berufungsurteil bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache weist nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf (1.). Es liegt auch kein Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (2.).
1. Die Beklagte meint, der Besuch von Aus- und Fortbildungsveranstaltungen ohne abschließende Prüfung dürfe bei der Beurteilung, ob von der beabsichtigten Heilkundeausübung des jeweiligen Antragstellers eine Gefahr für die Volksgesundheit ausgehe (§ 2 Abs. 1 Buchst. i der Ersten Durchführungsverordnung zum Heilpraktikergesetz), keine Rolle spielen, weil die Veranstaltungsteilnahme nichts darüber aussage, ob der vermittelte Stoff von dem Antragsteller auch verstanden worden sei. Ausgehend davon hält sie für klärungsbedürftig,
"ob bloße Teilnahmebescheinigungen ohne anschließende Überprüfung des erworbenen Wissens für ausreichend zu erachten sind"
und
"ob die Teilnahme an der Zusatzausbildung des VDB-Physiotherapieverbandes die Annahme der Schließung etwaiger Ausbildungsdefizite nach den Vorgaben der Rechtsprechung rechtfertigt".
Diese Fragen verleihen der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass die Erlangung einer auf den Bereich der Physiotherapie beschränkten Heilpraktikererlaubnis den Nachweis voraussetzt, über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur physiotherapeutischen Behandlung ohne ärztliche Verordnung zu verfügen. Der Antragsteller muss darlegen, dass er ausreichende Kenntnisse über die Abgrenzung der heilkundlichen Tätigkeit als Physiotherapeut gegenüber der den Ärzten und den allgemein als Heilpraktiker tätigen Personen vorbehaltenen heilkundlichen Behandlung besitzt und ausreichende diagnostische Fähigkeiten in Bezug auf die einschlägigen Krankheitsbilder hat. Außerdem sind Kenntnisse in Berufs- und Gesetzeskunde einschließlich der rechtlichen Grenzen der nichtärztlichen Ausübung der Heilkunde nachzuweisen. Ob und gegebenenfalls inwieweit die im Regelfall gebotene eingeschränkte Kenntnisüberprüfung für ausgebildete Physiotherapeuten im Hinblick auf absolvierte Zusatzausbildungen ausnahmsweise entbehrlich sein kann, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab (Urteil vom 26. August 2009 - BVerwG 3 C 19.08 - BVerwGE 134, 345 <Rn. 21, 27 f.> = Buchholz 418.04 Heilpraktiker Nr. 24). Hierbei haben sich die behördliche sowie gegebenenfalls die gerichtliche Prüfung auf alle von dem Antragsteller vorgelegten Zeugnisse und sonstigen Aus-, Fort- und Weiterbildungsnachweise zu erstrecken. Dementsprechend können auch Teilnahmebescheinigungen über absolvierte Lehrgänge, Seminare, Zusatzausbildungen und Ähnliches von Belang sein. Allerdings ist der Aussagegehalt einer solchen Bescheinigung differenziert zu betrachten. Es liegt auf der Hand, dass der erfolgreichen Teilnahme an einer anerkannten Fachveranstaltung, die ein inhaltlich und zeitlich umfangreiches Unterrichtsprogramm mit einer Prüfung abschließt, mehr Gewicht beizumessen ist als dem Besuch einer Fortbildungsveranstaltung, die nach Lehrgangsinhalt und -dauer von vergleichsweise geringer(er) Intensität ist und auch keine Überprüfung der vermittelten Kenntnisse vorsieht. Das zeigt aber zugleich, dass sich nur im Einzelfall beantworten lässt, ob eine beigebrachte Ausbildungsunterlage ein tauglicher Kenntnisnachweis ist.
Hier ist das Oberverwaltungsgericht unter Zugrundelegung der Senatsentscheidung vom 26. August 2009 - BVerwG 3 C 19.08 - (a.a.O.) im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung der Einzelumstände zu der Einschätzung gelangt, dass die von der Klägerin beigebrachten Aus- und Fortbildungsnachweise eine Kenntnisüberprüfung durch die Beklagte entbehrlich machen. Dabei hat es namentlich darauf abgestellt, dass die mehrjährige Weiterbildung in Osteopathie die Kenntnisse und Fähigkeiten der Klägerin sowohl in quantitativer und qualitativer Hinsicht als auch in Bezug auf eine eigenverantwortliche Tätigkeit als Physiotherapeutin deutlich erweitert habe. Mit ihrer Kritik an der berufungsgerichtlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung legt die Beschwerde keinen grundsätzlichen, über den konkreten Streitfall hinausweisenden Klärungsbedarf dar.
2. Die Verfahrensrüge ist ebenfalls unbegründet.
Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, es könne in eigener Sachkunde beurteilen, ob die vorgelegten Aus- und Fortbildungsnachweise den Schluss auf hinreichende Kenntnisse und Fähigkeiten der Klägerin zur eigenverantwortlichen physiotherapeutischen Behandlung zuließen. Darin liegt kein Verstoß gegen die Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO). Einen förmlichen Beweisantrag hat die Beklagte nicht gestellt. Sie kann sich auch nicht darauf berufen, aufgrund entsprechender Hinweise des Berufungsgerichts habe sie davon ausgehen dürfen, dass es eines ausdrücklichen Beweisantrags nicht bedurfte. Weder die Verfügung des Berichterstatters vom 1. September 2011 noch dessen zitierte telefonische Äußerung rechtfertigten eine solche Annahme. Abgesehen davon, dass es sich offenkundig um vorläufige Einschätzungen gehandelt hat, hat das Gericht - wie die Beschwerde selbst vorträgt - lediglich bekundet, dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens "unter Umständen in Betracht kommt".
Die Beschwerde zeigt auch nicht auf, dass sich dem Oberverwaltungsgericht die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens hätte aufdrängen müssen. Die Tatsachengerichte entscheiden über die Art der heranzuziehenden Beweismittel und den Umfang der Beweisaufnahme im Rahmen ihrer Pflicht zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen nach Ermessen. Stützt sich das Gericht auf eigene Sachkunde, verletzt es seine Aufklärungspflicht nur dann, wenn es eine ihm unmöglich zur Verfügung stehende Sachkunde in Anspruch nimmt oder sich in einer Frage für sachkundig hält, in der seine Sachkunde ernstlich zweifelhaft ist, ohne darzulegen, dass ihm das erforderliche Wissen in genügendem Maße zur Verfügung steht, oder wenn die Entscheidungsgründe sonst auf eine mangelnde Sachkunde schließen lassen (stRspr, vgl. z.B. Beschlüsse vom 18. Juni 2012 - BVerwG 5 B 5.12 - ZOV 2012, 289 = juris Rn. 7 und vom 9. Januar 1990 - BVerwG 1 B 1.90 - Buchholz 402.5 WaffG Nr. 55 S. 35, jeweils m.w.N.). Dafür ist hier nichts ersichtlich. Das Beschwerdevorbringen geht daran vorbei, dass sich die Tatsachen- und Beweiswürdigung des Oberverwaltungsgerichts nicht allein auf die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen stützt. So werden in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils u.a. der Erlass des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 20. Januar 2010 ("Eingeschränkte Heilpraktiker-Erlaubnis für ausgebildete Physiotherapeuten"), die Stellungnahme der Bundesärztekammer "Wissenschaftliche Bewertung osteopathischer Verfahren" (Deutsches Ärzteblatt 2009, 2325) sowie verschiedene Beschlüsse der Arbeitsgruppe "Berufe des Gesundheitswesens" der Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden (AOLG) ausgewertet. Außerdem lagen dem Gericht die fachliche Stellungnahme des Stadtdienstes Gesundheit der Beklagten vom 13. Juli 2011 und die Äußerung des Amtsarztes der Beklagten im Schreiben vom 12. Juni 2012 vor. Vor dem Hintergrund dieser (weiteren) Erkenntnisquellen lässt sich der Schluss auf eine mangelnde Sachkunde des Gerichts nicht ziehen.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019733
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BVerwG
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1. Senat
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20130716
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1 KSt 1/13, 1 KSt 1/13 (1 B 9/13)
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Beschluss
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§ 66 Abs 1 GKG 2004, § 66 Abs 8 GKG 2004, § 152 Abs 1 VwGO, § 154 Abs 2 VwGO
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 29. April 2013, Az: 18 E 438/13, Beschluss vorgehend VG Köln, 4. April 2013, Az: 5 K 356/11, Beschluss
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DEU
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Erinnerung gegen den Kostenansatz; keine Gebührenfreiheit bei unstatthafter Beschwerde
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Die mit Schreiben vom 7. Juli 2013 erhobene Erinnerung ist, soweit sie sich gegen die Kostenrechnung der Geschäftsstelle des Senats vom 3. Juli 2013 (Kassenzeichen 1180 0185 8141) richtet, als Erinnerung gegen den Kostenansatz (§ 66 Abs. 1 Satz 1 GKG) zu werten. Die Erinnerung, über die gemäß § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG der Einzelrichter zu entscheiden hat, hat keinen Erfolg.
Es kann offenbleiben, ob die Erinnerung gegen den Kostenansatz gemäß § 66 Abs. 1 GKG vor dem Bundesverwaltungsgericht dem Vertretungszwang nach § 67 Abs. 4 VwGO unterliegt. Denn die angegriffene Kostenrechnung vom 3. Juli 2013 ist weder dem Grunde noch der Höhe nach zu beanstanden.
Der Kostenansatz beruht darauf, dass der Senat mit Beschluss vom 19. Juni 2013 - BVerwG 1 B 9.13 - die Beschwerde des Klägers zu 2 gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. April 2013 verworfen und ihm gemäß § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegt hat. Diese Entscheidung des Senats ist unanfechtbar. Die demgemäß in der Kostenrechnung angesetzte Festgebühr von 50 € ist entstanden (§ 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses). Ihre Festsetzung weist keine Fehler auf.
Soweit der Vortrag des Klägers zu 2 dahingehend zu verstehen sein sollte, dass die dem Kostenansatz zugrunde liegende Sach- und Kostenentscheidung im Beschluss des Senats vom 19. Juni 2013 unrichtig sei, ist ein solcher Einwand im Erinnerungsverfahren nicht statthaft. Die Erinnerung ist ein Rechtsbehelf gegen den Kostenansatz. Sie ist kein Mittel, um ein - wie hier - rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren nachträglich wieder aufzurollen. Im Übrigen beruht die Entscheidung - wie sich aus den Gründen ergibt - nicht auf der mangelnden Vertretungsbefugnis des Klägers zu 2, sondern allein darauf, dass Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte nur in den Fällen angefochten werden können, die § 152 Abs. 1 VwGO aufführt. Zu diesen Entscheidungen gehört der angefochtene Beschluss des Oberverwaltungsgerichts nicht.
Ohne Erfolg beruft sich der Kläger zu 2 auf eine Befreiung von den Gerichtskosten nach § 66 Abs. 8 GKG. Zwar sind Verfahren der Erinnerung und Beschwerde gegen den Kostenansatz gemäß der vorgenannten Vorschrift gebührenfrei. Zudem unterfällt das der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts zugrunde liegenden Verfahren dem § 66 Abs. 8 GKG. Die Gebührenfreiheit nach § 66 Abs. 8 GKG erstreckt sich aber nicht auf das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht. Denn für eine nicht statthafte Beschwerde besteht keine Gebührenfreiheit nach dieser Vorschrift (so auch BFH, Beschlüsse vom 30. November 2005 - VIII B 181/05 - BFHE 211, 37 = NJW 2006, 861 <863> und vom 30. Mai 2012 - IX B 55/12 - juris Rn. 4; stRspr).
Ein auf anderen Vorschriften gründender Anspruch auf Befreiung von der Erhebung von Gerichtskosten oder auf Niederschlagung derselben ist weder ersichtlich noch vom Kläger zu 2 geltend gemacht worden.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019734
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BVerwG
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6. Senat
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20130703
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6 PB 15/13
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Beschluss
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§ 8 Abs 2 MBG SH, § 61 Abs 1 MBG SH
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vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, 9. November 2012, Az: 12 LB 1/12, Beschluss vorgehend Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, 18. Januar 2012, Az: 19 A 2/11
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DEU
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Verselbständigung eines Dienststellenteils; personalvertretungsrechtliche Befugnisse des Leiters
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Für eine Verselbständigung nach § 8 Abs. 2 MBGSH (juris: MBG SH) ist nicht erforderlich, dass der Leiter des Dienststellenteils über ein Minimum personalvertretungsrechtlicher Befugnisse verfügt.
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Die Beschwerde des Beteiligten gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Oberverwaltungsgericht gemäß § 88 Abs. 2 MBGSH i.V.m. § 92a Satz 1 ArbGG hat keinen Erfolg.
1. Die Grundsatzrüge gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG greift nicht durch. Die in der Beschwerdebegründung aufgeworfene Rechtsfrage hat keine grundsätzliche Bedeutung.
a) Der Beteiligte will geklärt wissen, welchen Grad an Eigenständigkeit eine Einheit im Verwaltungsgefüge einer kreisfreien Stadt in Schleswig-Holstein haben muss, um zur eigenen Dienststelle nach § 8 Abs. 2 MBGSH erklärt werden zu können. Nach seiner Auffassung liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wenn der Leiter des fraglichen Dienststellenteils nicht in nennenswertem Umfang zu mitbestimmungsrelevanten Entscheidungen befugt ist. Diese Auffassung erweist sich anhand der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen und der zum Themenkreis bereits vorliegenden Senatsrechtsprechung als offensichtlich unzutreffend, so dass ein die Zulassung der Rechtsbeschwerde rechtfertigender Klärungsbedarf nicht gegeben ist.
Der Bildung von Personalräten nach § 1 Abs. 1, § 8 Abs. 1 Satz 1 MBGSH liegt der materielle Dienststellenbegriff zugrunde. Danach verlangt die Dienststelleneigenschaft, dass der Leiter der Einrichtung eine nach Art und Umfang hinreichende Kompetenz zur Entscheidung in beteiligungspflichtigen Angelegenheiten hat (vgl. Beschlüsse vom 29. März 2001 - BVerwG 6 P 7.00 - Buchholz 250 § 6 BPersVG Nr. 15 S. 7 f., vom 26. November 2008 - BVerwG 6 P 7.08 - BVerwGE 132, 276 = Buchholz 250 § 86 BPersVG Nr. 6 Rn. 32 und vom 17. Juli 2010 - BVerwG 6 PB 6.10 - Buchholz 251.95 § 61 MBGSH Nr. 1 Rn. 20). Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist eine Dienststelle nach § 8 Abs. 1 Satz 1 MBGSH gegeben, in welcher von Gesetzes wegen ein Personalrat zu bilden ist. In diesem Fall ist eine Verselbständigung nach § 8 Abs. 2 MBGSH weder nötig noch möglich.
Daraus ergibt sich, dass die Verselbständigung von Nebenstellen und Dienststellenteilen nach § 8 Abs. 2 MBGSH nicht von Voraussetzungen abhängig sein kann, wie sie für eine Dienststelle nach § 8 Abs. 1 Satz 1 MBGSH erfüllt sein müssen. Für § 8 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 MBGSH - räumlich weite Entfernung von der Hauptdienststelle - ist in der Senatsrechtsprechung bereits geklärt, dass der Leiter der Außenstelle nicht über ein Minimum personalvertretungsrechtlicher Befugnisse verfügen muss (vgl. Beschlüsse vom 29. März 2001 a.a.O. S. 8 f., vom 26. November 2008 a.a.O. Rn. 33 und vom 13. September 2010 - BVerwG 6 P 14.09 - Buchholz 251.92 § 71 SAPersVG Nr. 2 Rn. 14). Dass für § 8 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 MBGSH - Eigenständigkeit des Dienststellenteils durch Aufgabenbereich und Organisation - nichts anderes gilt, folgt eindeutig aus systematischen und teleologischen Überlegungen.
Kommt es in einer Gemeinde zur Verselbständigung eines Dienststellenteils und daher zur Errichtung eines zweiten örtlichen Personalrats, so ist ein Gesamtpersonalrat zu bilden (§ 45 Abs. 1 MBGSH). Dieser ist nur zuständig für die Behandlung von Angelegenheiten, die mehrere in ihm zusammengefasste Dienststellen betreffen und die nicht durch die einzelnen Personalräte innerhalb ihres Geschäftsbereichs geregelt werden können (§ 61 Abs. 1 Satz 1 MBGSH). Die Angelegenheit muss daher dienststellenübergreifende Wirkung haben. Dagegen verbleibt es bei der Zuständigkeit des örtlichen Personalrats, wenn von der beabsichtigten Maßnahme ausschließlich die Beschäftigten einer Dienststelle betroffen werden (vgl. Beschluss vom 5. Oktober 2011 - BVerwG 6 P 6.10 - Buchholz 251.95 § 61 MBGSH Nr. 3 Rn. 11). Daran ändert sich selbst dann nichts, wenn zwar eine dienststellenübergreifende Regelung beabsichtigt ist, ein sachlich zwingendes Erfordernis dafür aber nicht besteht (vgl. Beschluss vom 5. Oktober 2011 a.a.O. Rn. 12 ff.).
Die Regelung in § 61 Abs. 1 MBGSH folgt nicht dem Partnerschaftsgrundsatz, wonach ein bei der entscheidungsbefugten Dienststelle gebildeter Personalrat zur Beteiligung berufen ist, sondern dem Prinzip vom sachlich-räumlichen Wirkungsbereich (vgl. Beschluss vom 13. September 2010 a.a.O. Rn. 17 f.). Will der Leiter der Gesamtdienststelle daher eine Maßnahme treffen, welche ausschließlich die Beschäftigten der verselbständigten Dienststelle betrifft, so hat er den dortigen Personalrat zu beteiligen. Aus dessen Sicht ist es belanglos, ob der Leiter der Gesamtdienststelle oder der Leiter des verselbständigten Dienststellenteils entscheidungsbefugt ist. Zu beteiligen ist er im einen wie im anderen Fall. Überdies ist er - ebenso wie der örtliche Personalrat bei der Hauptdienststelle - zur Beteiligung berufen, wenn der Leiter der Gesamtdienststelle ohne sachlich zwingendes Erfordernis eine dienststellenübergreifende Regelung trifft. Der Sinn der Regelung in § 8 Abs. 2 MBGSH, eine Personalvertretung für die speziellen Belange des Dienststellenteils bilden zu können, wird daher unabhängig davon erreicht, ob der Leiter des Dienststellenteils eigene personalvertretungsrechtlich relevante Kompetenzen hat.
b) Freilich verlangt § 8 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 MBGSH für die Verselbständigung, dass der fragliche Dienststellenteil durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig ist. Eine generelle Klärung dieses Erfordernisses ist im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich. Dass es jedenfalls für die Berufsfeuerwehr einer kreisfreien Stadt in Schleswig-Holstein gegeben ist, drängt sich geradezu auf.
Ein eigenständiger Aufgabenbereich liegt vor, wenn der Dienststellenteil Aufgaben wahrnimmt, die deutlich von den sonstigen Aufgaben der Dienststelle abweichen (vgl. Donalies/Hübner-Berger, Mitbestimmungsgesetz Schleswig-Holstein, § 8 Rn. 2.5). Dass diese Voraussetzung bei der Berufsfeuerwehr einer Stadt gegeben ist, kann nicht zweifelhaft sein. Diese hat als öffentliche Feuerwehr vor allem die Aufgabe, Brände zu bekämpfen und Menschen und Sachen vor Brandschäden zu schützen - abwehrender Brandschutz - sowie bei Not- und Unglücksfällen Hilfe zu leisten - technische Hilfe - (§ 1 Nr. 1 und 2, §§ 2, 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1, § 7 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Brandschutz und die Hilfeleistungen der Feuerwehren - Brandschutzgesetz - <BrSchG> vom 10. Februar 1996, GVOBl S. 200, zuletzt geändert durch Art. 9 des Gesetzes vom 17. Dezember 2010, GVOBl S. 789). Die Bewältigung dieser Aufgaben wird in Form von Einsätzen wahrgenommen (§ 19 ff. BrSchG). Mit ihren Einsätzen in Brand- und Unglücksfällen unterscheidet sich die Feuerwehr deutlich von der Art und Weise, wie sonst in einer Stadtverwaltung Aufgaben wahrgenommen werden.
Die Besonderheit der Aufgabenerfüllung durch die Feuerwehr in Gestalt von Einsätzen bedingt die feuerwehrspezifische Organisation der Einsätze. Dem entsprechend sieht § 42 Abs. 2 Nr. 4 BrSchG vor, dass das Innenministerium Verwaltungsvorschriften für die Gliederung der Feuerwehren erlässt. Insofern wurde die Feuerwehr-Dienstvorschrift 100 (FwDV 100) in Schleswig-Holstein übernommen und ihre Geltung bis zum 31. Dezember 2017 fortgeschrieben (Bekanntmachung des Innenministeriums vom 16. November 2012, Amtsbl Schl.-H. S. 1278). Die FwDV 100 regelt im Einzelnen mit ihren Bestimmungen zu Einsatzleitung, Befehlsstelle, Führungsebenen und Führungsstufen die Führungsorganisation der Feuerwehr im Einsatz. Hinsichtlich der organisatorischen Besonderheit der Berufsfeuerwehr hat das Oberverwaltungsgericht ergänzend zutreffend auf die Bestimmungen in § 7 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 BrSchG hingewiesen, wonach die Leitung der Berufsfeuerwehr für die Einsatzbereitschaft der Feuerwehr im Stadtgebiet verantwortlich ist und die Angehörigen der Berufsfeuerwehr im Einsatzdienst andere Einrichtungen der Stadt weder leiten noch darin beschäftigt werden dürfen.
2. Mit seiner Abweichungsrüge gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 2, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG kommt der Beteiligte gleichfalls nicht zum Zuge. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts weicht nicht vom Senatsbeschluss vom 29. März 2001 (a.a.O.) ab. Die dortigen Ausführungen zu den mitbestimmungsrelevanten Befugnissen des Dienststellenleiters (Beschluss vom 29. März 2001 a.a.O. S. 7 f.) beziehen sich auf den allgemeinen personalvertretungsrechtlichen Dienststellenbegriff im Sinne von § 6 Abs. 1 und 2 BPersVG, welcher mit dem in § 8 Abs. 1 Satz 1 MBGSH verwandten identisch ist. Hingegen wird in diesem Beschluss ausdrücklich klargestellt, dass für die Verselbständigung nach § 6 Abs. 3 BPersVG nicht verlangt wird, dass der Leiter der Nebenstelle ein Minimum an personalvertretungsrechtlich relevanten Befugnissen hat (Beschluss vom 29. März 2001 a.a.O. S. 8 f.).
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019735
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BVerwG
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6. Senat
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20130708
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6 PB 11/13
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Beschluss
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§ 9 Abs 4 S 1 BPersVG
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vorgehend Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 20. März 2013, Az: 5 L 7/12, Beschluss vorgehend VG Magdeburg, 27. April 2012, Az: 11 A 18/11
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DEU
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Weiterbeschäftigung von Jugendvertretern; Stellenplan der Gemeinde; Aufteilung der Stellen für Beamte und Arbeitnehmer
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Durch die Entscheidung des kommunalen Haushaltsgebers im Stellenplan über die Aufteilung in Stellen für Beamte und solche für Arbeitnehmer wird der Weiterbeschäftigungsschutz der Jugendvertreter nicht berührt.
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Die Beschwerde des Beteiligten zu 3 gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Oberverwaltungsgericht gemäß § 78 Abs. 2 SAPersVG i.V.m. § 92a Satz 1 ArbGG hat keinen Erfolg. Die allein erhobene Grundsatzrüge gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG greift nicht durch. Die in der Beschwerdebegründung aufgeworfene Rechtsfrage hat keine grundsätzliche Bedeutung.
Der Beteiligte zu 3 will geklärt wissen, ob eine freie Planstelle für Beamte als ausbildungsadäquate freie Stelle für die Übernahme eines Jugend- und Auszubildendenvertreters als Beschäftigten außerhalb des Beamtenverhältnisses nur dann zur Verfügung steht, wenn sie in eine Stelle für Arbeitnehmer umgewandelt oder im Haushaltsplan als künftig umzuwandeln gekennzeichnet ist. Diese Frage ist mit dem Oberverwaltungsgericht eindeutig zu bejahen, so dass es ihrer Klärung im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht bedarf.
Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist dann unzumutbar im Sinne von § 9 Abs. 4 Satz 1 BPersVG, wenn der öffentliche Arbeitgeber dem Jugendvertreter zum Zeitpunkt der Beendigung der Berufsausbildung keinen ausbildungsadäquaten Dauerarbeitsplatz bereitstellen kann (vgl. Beschlüsse vom 1. November 2005 - BVerwG 6 P 3.05 - BVerwGE 124, 292 <295 f.> = Buchholz 250 § 9 BPersVG Nr. 25 Rn. 19 und vom 19. Januar 2009 - BVerwG 6 P 1.08 - BVerwGE 133, 42 = Buchholz 250 § 9 BPersVG Nr. 33 Rn. 24). Darüber ob in der Ausbildungsdienststelle ein geeigneter und besetzbarer Arbeitsplatz zur Verfügung steht, hat primär der Haushaltsgesetzgeber zu entscheiden (vgl. Beschluss vom 1. November 2005 a.a.O. S. 300 bzw. Rn. 28). Im kommunalen Bereich hat die Vertretungskörperschaft die Stellung des Haushaltsgesetzgebers, und der Oberbürgermeister übt die Rechte und Pflichten der kommunalen Körperschaft als Arbeitgeber aus (vgl. Beschluss vom 30. Mai 2007 - BVerwG 6 PB 1.07 - Buchholz 250 § 9 BPersVG Nr. 28 Rn. 4).
Maßgeblich sind hier die einschlägigen Bestimmungen der Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt (GO LSA) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. August 2009, GVBl LSA S. 383. Danach hat die Gemeinde für jedes Haushaltsjahr eine Haushaltssatzung zu erlassen (§ 92 Abs. 1 GO LSA). Teil der Haushaltssatzung ist der Haushaltsplan, der seinerseits den Stellenplan enthält (§ 93 Abs. 1 Satz 1 und 3 GO LSA). Im Stellenplan bestimmt die Gemeinde die Stellen ihrer Beamten sowie ihrer nicht nur vorübergehend beschäftigten Arbeitnehmer, die für die Erfüllung der Aufgaben im Haushaltsjahr erforderlich sind (§ 73 Abs. 1 Satz 1 GO LSA). Der Haushaltsplan ist für die Führung der Haushaltswirtschaft verbindlich (§ 93 Abs. 3 Satz 1 GO LSA). Die Haushaltssatzung wird vom Gemeinderat beschlossen (§ 94 Abs. 2 GO LSA).
Ergänzende Regelungen enthält die Verordnung über die Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans der Gemeinden im Land Sachsen-Anhalt nach den Grundsätzen der doppelten Buchführung (GemHVO Doppik). Danach hat der Stellenplan die im Haushaltsplan erforderlichen Stellen der Beamten und der nicht nur vorübergehend beschäftigten Arbeitnehmer jeweils nach Besoldungs- oder Entgeltgruppen gegliedert auszuweisen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 GemHVO Doppik). Planstellen, also Stellen für Beamte, sind als "künftig umzuwandeln" zu bezeichnen, soweit sie in den folgenden Haushaltsjahren voraussichtlich in Stellen für Arbeitnehmer umgewandelt werden können (§ 5 Abs. 3 Satz 2 GemHVO Doppik). Sofern ein dienstliches Bedürfnis besteht, dürfen zeitweilig nicht besetzte Planstellen vorübergehend auch mit nicht beamteten Beschäftigten einer vergleichbaren oder niedrigeren Entgeltgruppe besetzt werden (§ 5 Abs. 5 GemHVO Doppik).
Aus den vorbezeichneten Bestimmungen ergibt sich, dass eine bei Ende der Ausbildung unbesetzte Planstelle nicht dauerhaft mit dem Jugendvertreter besetzt werden kann, wenn diese Planstelle im Stellenplan nicht als "künftig umzuwandeln" bezeichnet ist. Das Haushaltsrecht erlaubt in einem derartigen Fall dem kommunalen Arbeitgeber allenfalls die Begründung eines befristeten Arbeitsverhältnisses mit dem Jugendvertreter. Der Weiterbeschäftigungsschutz nach § 9 BPersVG bezieht sich aber ausschließlich auf unbefristete Arbeitsverhältnisse, so dass der öffentliche Arbeitgeber über keinen Dauerarbeitsplatz verfügt, wenn er dem Jugendvertreter nur einen befristeten Arbeitsvertrag anbieten kann.
Die beschriebene haushaltsrechtliche Rechtslage wird durch den Schutzzweck der Regelung in § 9 BPersVG nicht modifiziert. Dieser geht dahin, den Jugendvertreter vor den nachteiligen Folgen seiner Amtsausübung zu schützen und die Kontinuität der Gremienarbeit sicherzustellen (vgl. Beschlüsse vom 21. Februar 2011 - BVerwG 6 P 12.10 - BVerwGE 139, 29 = Buchholz 250 § 9 BPersVG Nr. 41 Rn. 30 und vom 12. November 2012 - BVerwG 6 P 1.12 - Buchholz 251.6 § 53 NdsPersVG Nr. 1 Rn. 16). Dieser Schutzzweck wird durch die Gestaltung des Stellenplans in einer Gemeinde nicht berührt. Ebenso wenig wie § 9 BPersVG vom öffentlichen Arbeitgeber verlangt, zugunsten von Jugendvertretern ausbildungsadäquate Dauerarbeitsplätze zu schaffen oder zu erhalten (vgl. Beschlüsse vom 1. November 2005 a.a.O. S. 300 ff. bzw. Rn. 28 ff., vom 11. März 2008 - BVerwG 6 PB 16.07 - Buchholz 250 § 9 BPersVG Nr. 30 Rn. 8 f., und vom 12. Oktober 2009 - BVerwG 6 PB 28.09 - Buchholz 250 § 9 BPersVG Nr. 39 Rn. 4), beeinträchtigt der Weiterbeschäftigungsschutz die Freiheit des öffentlichen Arbeitgebers, darüber zu entscheiden, in welchem Umfang er die ihm obliegenden öffentlichen Aufgaben jeweils mit Beamten oder Arbeitnehmern erfüllen will. Die Annahme, der Gemeinderat könne bei seiner Entscheidung über den Stellenplan und die damit verbundene Aufteilung der Stellen in solche für Beamte und Arbeitnehmer die Jugendvertretung als Ganze oder einzelne ihrer Mitglieder benachteiligen wollen, liegt in aller Regel fern. Sollten dafür ausnahmsweise einmal Anhaltspunkte bestehen, stünde dem betroffenen Jugendvertreter gerichtliche Missbrauchskontrolle zur Seite (vgl. Beschlüsse vom 1. November 2005 a.a.O. S. 303 bzw. Rn. 32, vom 11. März 2008 a.a.O. Rn. 8 f. und vom 12. Oktober 2009 a.a.O. Rn. 4). Eine Diskriminierung durch die Verwaltung scheidet aus, weil diese nach der beschriebenen Rechtslage keinen Entscheidungsspielraum hat.
Das Vorhandensein eines Dauerarbeitplatzes kann in der vorliegenden Fallgestaltung nicht in der Erwägung bejaht werden, der Jugendvertreter könne zunächst vorübergehend auf der Beamtenstelle geführt werden und später auf eine frei werdende Stelle für einen Arbeitnehmer überwechseln.
Sowohl der Feststellungsantrag nach § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BPersVG als auch der Auflösungsantrag nach § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BPersVG knüpfen an denselben Vorgang an, nämlich die Überleitung des Jugendvertreters vom Berufsausbildungsverhältnis in das durch die gesetzliche Fiktion des § 9 Abs. 2 BPersVG begründete Arbeitsverhältnis, und zielen übereinstimmend darauf ab, den Arbeitgeber von der Erfüllung des Weiterbeschäftigungsanspruchs von vornherein, jedenfalls alsbald freizustellen, wenn ihm die Weiterbeschäftigung nicht zuzumuten ist. Deswegen kann maßgeblich für die Unzumutbarkeitsfrage nur der Zeitpunkt sein, zu dem das Arbeitsverhältnis nach § 9 Abs. 2 oder 3 BPersVG begründet werden soll (vgl. Beschlüsse vom 29. März 2006 - BVerwG 6 PB 2.06 - Buchholz 250 § 9 BPersVG Nr. 26 Rn. 4 und vom 11. März 2008 a.a.O. Rn. 3).
Die Berücksichtigung eines Dauerarbeitsplatzes, der erst nach Beendigung des Ausbildungsverhältnisses frei wird, ist daher ausgeschlossen, und zwar unabhängig davon, wie sicher die Prognose ist. Die Bezugnahme auf den Zeitpunkt der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses vermittelt eine sichere Entscheidungsgrundlage, die Personalbedarfsprognosen wegen der damit typischerweise verbundenen Unsicherheit vorzuziehen ist. Entwicklungen nach Ausbildungsende je nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit oder dem Ausmaß des zeitlichen Abstandes zu berücksichtigen, verbietet sich daher. Die Zulassung von - wie auch immer gesicherten - Prognosen könnte nicht nur zugunsten des Jugendvertreters wirken, sondern müsste auch zugunsten des Arbeitgebers erfolgen. Letzteres wäre aber schon im Ansatz mit dem Schutzzweck der Norm nicht vereinbar. Die Kontinuität der Amtsführung eines personalvertretungsrechtlichen Organs würde in erheblichem Maße beeinträchtigt, wenn ein Jugendvertreter nur wegen eines künftig erst auftretenden Ereignisses an der Fortsetzung seiner Amtstätigkeit gehindert würde (vgl. Beschlüsse vom 29. März 2006 a.a.O. Rn. 7 ff. und vom 11. März 2008 a.a.O. Rn. 3).
Der öffentliche Arbeitgeber verfügt nicht über einen Dauerarbeitsplatz für den Jugendvertreter, wenn er eine im Zeitpunkt des Ausbildungsendes unbesetzte Beamtenstelle nur vorübergehend mit einem Arbeitnehmer besetzen darf. Daran ändert sich nichts, wenn der Jugendvertreter auf eine nach Ausbildungsende frei werdende Arbeitnehmerstelle überwechseln könnte. Die Berücksichtigung eines solchen Umstandes wäre mit einer Prognoseentscheidung verbunden, die aber aus den dargestellten rechtssystematischen und teleologischen Erwägungen ausgeschlossen ist (vgl. Beschluss vom 11. März 2008 a.a.O. Rn. 4).
Dagegen kann sich der Beteiligte zu 3 zur Begründung seines Weiterbeschäftigungsanspruchs nicht auf den Senatsbeschluss vom 17. Mai 2000 - BVerwG 6 P 8.99 - (Buchholz 250 § 9 BPersVG Nr. 19) stützen. Dort ist der Senat in nicht entscheidungserheblichen Ausführungen von einem freien Dauerarbeitsplatz in einem Fall ausgegangen, in welchem die vorläufige Weiterbeschäftigung auf einer tariflich höher bewerteten Stelle unter dem Vorbehalt möglich war, dass die Beschäftigung später auf einer ausbildungsadäquaten, niedriger bewerteten Stelle fortgesetzt werden sollte, welche durch Besetzung der höher bewerteten Stelle mit einem anderen Arbeitnehmer frei werden würde (a.a.O. S. 11 ff.; ablehnend zu einer derartigen "Kettenreaktion" im Bereich von § 78a BetrVG: BAG, Beschluss vom 28. Juni 2000 - 7 ABR 57/98 - juris Rn. 18 ff.). Für diese Erwägung war die Gewissheit entscheidend, dass die ausbildungsadäquate Stelle demnächst im Wege der dienststelleninternen Besetzung der höher bewerteten Stelle freigemacht würde. Dass im vorliegenden Fall, in welchem die fragliche Planstelle kurz nach Beendigung der Ausbildung des Jugendvertreters mit einem Laufbahnbewerber nach bestandener Laufbahnprüfung besetzt wurde, eine vergleichbare Situation gegeben war, lässt sich den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht entnehmen. Zudem ist der Senat damals ersichtlich davon ausgegangen, dass die Begründung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses mit dem Jugendvertreter, die ohne Inanspruchnahme einer Beamtenstelle auskam, im Einklang mit dem anzuwendenden Haushaltsrecht stand. Aus diesem Grunde wurde schließlich die Entscheidung des Haushaltsgesetzgebers im Stellenplan über die Aufteilung der Stellen in solche für Beamte und Arbeitnehmer nicht infrage gestellt.
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http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-WBRE410019735&psml=bsjrsprod.psml&max=true
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019736
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BVerwG
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3. Senat
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20130530
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3 C 16/12
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Urteil
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Art 19 Abs 4 GG, § 18 Abs 5 KHG, § 18a Abs 6 KHG, § 4 Abs 1 KHEntgG, § 4 Abs 2a KHEntgG, § 7 Abs 1 S 1 Nr 4 KHEntgG, § 11 KHEntgG, § 13 Abs 1 S 1 KHEntgG, § 14 Abs 1 S 1 KHEntgG, § 14 Abs 1 S 2 KHEntgG, § 14 Abs 3 KHEntgG, § 40 Abs 1 S 1 VwGO
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vorgehend VG Würzburg, 8. März 2012, Az: W 3 K 11.652, Urteil
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DEU
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Krankenhausfinanzierung; Genehmigungsbedürftigkeit des Mehrleistungsabschlags; Klage gegen die Schiedsstelle; Verwaltungsrechtsweg
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1. Der Mehrleistungsabschlag nach § 4 Abs. 2a des Krankenhausentgeltgesetzes (KHEntgG) war im Jahre 2011 nicht gemäß § 14 Abs. 1 KHEntgG genehmigungsbedürftig.
2. Gegen Festsetzungen der Schiedsstelle nach § 13 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG i.V.m. § 18a KHG, die keiner Genehmigung bedürfen, können die Vertragsparteien unmittelbar den Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO beschreiten.
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Die Kläger sind Krankenkassen oder Zusammenschlüsse von Krankenkassen mit Sitz in Bayern. Sie streiten mit der Beigeladenen, einer Krankenhausträgerin, um die Genehmigungsbedürftigkeit des Mehrleistungsabschlags nach dem Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) im Vereinbarungszeitraum 2011.
Im Rahmen der Budgetverhandlungen für das Jahr 2011 konnte zwischen den Klägern und der Beigeladenen über einen Teil des Budgets und der Entgelte keine vollständige Einigung erzielt werden. Streitig blieben insbesondere Mehrleistungen, die die Beigeladene ab 2011 in einem neuen Operationssaal für Schulterchirurgie erbringen wollte. Nachdem die Kläger auch dem Einigungsvorschlag des Vorsitzenden der angerufenen Schiedsstelle nur in Teilen zustimmten, erließ die Schiedsstelle am 4. April 2011 einen Schiedsspruch, in dem unter anderem das Abschlagsvolumen für die in dem neuen OP-Saal erbrachten Mehrleistungen auf 244 207 Euro festgesetzt wurde. Zur Begründung hieß es, bei der Berechnung des Abschlags sei zu berücksichtigen, dass es sich bei den Leistungen im neuen OP-Saal nach Ansicht der Schiedsstelle um zusätzliche Kapazitäten aufgrund der Krankenhausplanung des Freistaates handele, die von dem Abschlag auszunehmen seien.
Die Beigeladene beantragte im Mai 2011 bei der Regierung von Unterfranken, die Festsetzungen des Schiedsspruchs zum Erlösbudget, Zusatzentgelt und zur Erlössumme zu genehmigen; die Kläger beantragten, die Genehmigung zu versagen. Die Schiedsstelle habe den Mehrleistungsabschlag rechtswidrig zu niedrig festgesetzt; bei richtiger Betrachtung müsse er auf 1 030 700 Euro heraufgesetzt werden.
Mit Bescheid vom 26. Juli 2011 erteilte die Regierung von Unterfranken antragsgemäß die Genehmigung der von der Beigeladenen bezeichneten Positionen des Schiedsspruchs. Der Mehrleistungsabschlag war davon nicht umfasst; er sei weder genehmigungspflichtig noch genehmigungsfähig.
Die Klage mit dem Antrag, den Genehmigungsbescheid aufzuheben, hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Klage sei als Anfechtungsklage sachdienlich und auch im Übrigen zulässig. Eine Verpflichtungsklage komme nicht in Betracht, obwohl es den Klägern darum gehe, einen höheren als den im Schiedsspruch festgesetzten Mehrleistungsabschlag zu erzielen. Das sei mit einer Verpflichtungsklage aber nicht zu erreichen. Dem Krankenhausentgeltgesetz liege als tragendes Prinzip ein Vereinbarungssystem zugrunde. Die Genehmigungsbehörde sei wie das Gericht auf eine Rechtskontrolle der Vereinbarungen oder Festsetzungen beschränkt, eine abweichende Festsetzung sei nicht möglich. Für die Anfechtungsklage fehle auch weder die Klagebefugnis noch das Rechtsschutzbedürfnis. Der Ablauf des Kalenderjahres 2011, für das die Genehmigung begehrt werde, führe nicht zu Erledigung der Hauptsache; vielmehr müssten bei Klageerfolg Genehmigungsbehörde oder Schiedsstelle erneut über den Mehrleistungsabschlag entscheiden. Die Klage sei aber unbegründet, weil die Genehmigung materiell rechtmäßig sei. Der Mehrleistungsabschlag sei nach der entscheidungserheblichen Fassung des Krankenhausentgeltgesetzes weder genehmigungsbedürftig noch genehmigungsfähig und daher nicht vom Prüfprogramm der Genehmigungsbehörde umfasst. Das ergebe sich schon aus dem eindeutigen Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG und werde von Entstehungsgeschichte, Systematik und dem Zweck des Gesetzes bestätigt. Der Gesetzgeber habe sich - wie die Gesetzesentwicklung zeige - von Anfang an dafür entschieden, nur das Erlösbudget, nicht auch die Zu- und Abschläge nach § 4 KHEntgG einer Genehmigungspflicht zu unterwerfen. Die Vereinbarungstatbestände nach § 11 KHEntgG und die Genehmigungstatbestände nach § 14 KHEntgG seien seit 2002 wiederholt eigenständig und voneinander abweichend geregelt worden, weshalb ein bloßes Redaktionsversehen ausgeschlossen erscheine. Entgelte, die keiner staatlichen Genehmigungspflicht unterlägen, seien nicht systemfremd. Der Bundesgesetzgeber verfolge damit das Ziel, Prüfungskompetenzen der Landesbehörden zugunsten der Vereinbarungsfreiheit zurückzudrängen. Der Mehrleistungsabschlag sei auch nicht unter anderen Gesichtspunkten genehmigungsbedürftig. Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts folge nichts anderes. Somit komme es nicht darauf an, ob das von der Schiedsstelle festgesetzte Abschlagsvolumen für vereinbarte Mehrleistungen rechtmäßig sei oder ein Ausnahmetatbestand vorliege. Das Gericht übersehe nicht, dass damit Schwierigkeiten verbunden seien, in welcher Weise Rechtsschutz gegen die Entscheidung der Schiedsstelle zum Mehrleistungsabschlag zu erlangen sei; eine Möglichkeit, die Genehmigungsbedürftigkeit anders zu beurteilen, bestehe aber deshalb nicht.
Gegen dieses Urteil haben die Kläger die vom Verwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Sie machen zur Begründung geltend: Die Behörde habe die gesamte Vereinbarung der Parteien oder Festsetzung der Schiedsstelle zu kontrollieren und zu genehmigen, mithin auch den Mehrleistungsabschlag. Das ergebe sich aus § 14 Abs. 1 Satz 2 KHEntgG, wonach die Genehmigung nur erteilt werden dürfe, wenn "die Vereinbarung oder Festsetzung" rechtmäßig sei, womit sämtliche Inhalte gemeint seien. In demselben Sinn werde in § 14 Abs. 3 und § 15 Abs. 2 KHEntgG auf den gesamten Schiedsspruch abgestellt. Die umfassende Genehmigungspflicht entspreche der Rechtsprechung zu § 18 Abs. 5 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) 1985 und der Auffassung im Schrifttum. Demgegenüber sehe § 14 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG eine bloße Antragspflicht vor, die den Umfang der Genehmigung nicht beschränke. Auf eine Auslegung von Satz 1 komme es daher gar nicht an. Wegen der umfassenden Kontrolle der Vereinbarung oder Festsetzung gebe es auch keine genehmigungsfreien Bestandteile, wie das Verwaltungsgericht angenommen habe.
Sehe man dies anders, werde der Mehrleistungsabschlag jedenfalls von der Verweisung des § 14 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG auf das Erlösbudget erfasst, die sich auf alle Absätze des § 4, also auch auf Absatz 2a beziehe. Bei der Berechnung des Erlösbudgets seien unstreitig antragspflichtige Entgelte zu berücksichtigen, was belege, dass die Vorgaben zu dessen rechnerischer Ermittlung die Reichweite der Antragspflicht nicht beschränkten. Auch die Entstehungsgeschichte des § 14 und des § 4 KHEntgG bestätige, dass der Mehrleistungsabschlag von der Genehmigungsbehörde zu prüfen sei. In der Begründung zum Fallpauschalengesetz werde der neue § 14 lapidar als redaktionelle Anpassung bezeichnet. Entsprechend habe das Verwaltungsgericht Braunschweig im Urteil vom 1. Dezember 2010 (5 A 145/09) unter Berufung auf die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Januar 1993 (BVerwG 3 C 66.90) und vom 26. Februar 2009 (BVerwG 3 C 8.08) entschieden. Es fehle ein Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber in § 14 KHEntgG von einer umfassenden Prüfpflicht habe abgehen wollen, die § 18 Abs. 5 KHG 1985 nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für Pflegesatzvereinbarungen vorsehe. Das zeige auch das 2. Fallpauschalenänderungsgesetz, mit dem die Antragspflicht und die behördliche Prüfungspflicht auf den Landesbasisfallwert erstreckt worden seien, um die landesbehördlichen Kontrollkompetenzen zu stärken.
Es sei sinnwidrig, den Mehrleistungsabschlag aus der (umfassenden) Prüfpflicht auszuklammern. Zwischen dem Abschlag und dem Erlösbudget nach § 4 KHEntgG bestehe ein untrennbarer Zusammenhang, weil das eine nicht ohne das andere beurteilt werden könne und der Abschlag für die Begrenzung der Mehrausgaben grundlegende wirtschaftliche Bedeutung habe. Es sei deshalb nicht hinnehmbar, dass ein Erlösbudget mit Mehrleistungen genehmigt werden müsse, obwohl die Festsetzungen zum Mehrleistungsabschlag rechtswidrig seien oder ganz fehlten. Zudem bestehe zwischen ihm und den in § 14 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG aufgeführten Abschlägen nach § 5 KHEntgG kein wesentlicher Unterschied. Alle Zu- oder Abschläge müssten am Jahresende in einem Erlösausgleich ausgeglichen werden, wobei auch der Mehrleistungsabschlag als Verrechnungsgröße einbezogen und genehmigt werde. Dann aber sei es in sich unstimmig, einen der Abschläge von der Genehmigungspflicht auszunehmen. Dass der Mehrleistungsabschlag in der Antragspflicht nicht erwähnt werde, sei daher allenfalls als redaktionelles Versehen des Gesetzgebers zu beurteilen.
Eine Beschränkung des Prüfprogramms führe schließlich zu unzumutbaren Erschwernissen für den Rechtsschutz, zu einer unnötigen Vermehrung der Verfahren und zu Widersprüchen. Die Aufspaltung des Rechtsschutzes gegen eine einheitliche Vereinbarung oder Festsetzung lasse befürchten, dass in einem Klageverfahren gegen die Genehmigung des Erlösbudgets zwar der Betrag der Mehrleistungen geändert, der dort nicht streitgegenständliche Mehrleistungsabschlag später aber nicht angepasst werde.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, und verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Beigeladene beantragt ebenfalls, die Revision zurückzuweisen. Sie hält das angefochtene Urteil für richtig und macht überdies geltend, das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage sei nach Durchführung des Erlösausgleichs für 2011 entfallen. Die Kläger und die Beigeladene hätten sich im Rahmen der Entgeltverhandlungen für das Jahr 2012 auf einen Erlösausgleich für den Mehrleistungsabschlag 2011 geeinigt und dabei einen endgültigen Abschlag in der von der Schiedsstelle festgesetzten Höhe zugrunde gelegt. Der Erlösausgleich sei vom Beklagten mit Bescheid vom 26. Juli 2012 genehmigt worden und nicht mehr anfechtbar. Einen höheren Mehrleistungsabschlag könnten die Kläger daher auch bei Erfolg der Klage nicht mehr erreichen. Abgesehen davon sei der Mehrleistungsabschlag in richtiger Höhe festgesetzt worden, sodass die Kläger durch die streitige Genehmigung jedenfalls nicht in ihren Rechten verletzt seien.
Der Vertreter des Bundesinteresses verteidigt ebenfalls das angefochtene Urteil. Er ist in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Gesundheit der Auffassung, dass der Mehrleistungsabschlag keiner Genehmigungspflicht unterliege.
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Die Revisionen sind unbegründet. Die Abweisung der Klage beruht nicht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
1. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO für statthaft und auch im Übrigen zulässig erklärt.
a) Im Streit um die Genehmigung von Krankenhausentgelten kann die Anfechtungs- oder die Verpflichtungsklage richtige Klageart sein, die Verpflichtungsklage jedoch nur gegen die Ablehnung oder Nichterteilung einer Genehmigung mit dem Ziel, eine dem Antrag entsprechende Genehmigung herbeizuführen. Eine inhaltlich abweichende Erteilung, wie sie die Kläger mit dem Ziel der Heraufsetzung des Mehrleistungsabschlags begehren, kann nur im Wege der Aufhebung der Genehmigung verfolgt werden. Dadurch wird die Genehmigungsbehörde zur Neubescheidung des Antrags verpflichtet (arg. § 14 Abs. 3 KHEntgG). Dies entspricht der Rechtsprechung des Senats zur Genehmigung der Pflegesatzvereinbarung nach § 18 Abs. 5 KHG 1985 (vgl. Urteile vom 22. Juni 1995 - BVerwG 3 C 34.93 - Buchholz 451.74 § 18 KHG Nr. 5 und vom 21. Januar 1993 - BVerwG 3 C 66.90 - BVerwGE 91, 363 <365>), gilt aus gleichsinnigen Gründen aber auch für die Rechtslage nach dem Krankenhausentgeltgesetz. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht insoweit darauf hingewiesen, dass das Krankenhausentgeltgesetz der zuständigen Landesbehörde ausschließlich die Alternative zubilligt, die Vereinbarung oder schiedsgerichtliche Festsetzung zu genehmigen oder die Genehmigung wegen Verstoßes gegen die Vorschriften des Krankenhausentgeltgesetzes oder sonstiges Recht zu versagen. Eine Befugnis zu einer von den Vereinbarungen oder Festsetzungen abweichenden Gestaltung ist ihr nicht eröffnet. Inhaltliche Festlegungen sind ausschließlich Sache der Vertragsparteien, denen im gesetzlichen Rahmen Gestaltungsfreiheit zukommt. Sie bestimmen mit ihrem Genehmigungsantrag das Genehmigungssubstrat, das die Behörde von sich aus nicht verändern kann. Entsprechend ist die gerichtliche Kontrolle auf die Wahrung des rechtlichen Rahmens beschränkt (vgl. Urteile vom 22. Juni 1995, a.a.O. S. 4 und vom 21. Januar 1993, a.a.O. S. 366).
b) Das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage ist nicht deshalb entfallen, weil sich die Vertragsparteien im Rahmen der Entgeltverhandlungen 2012 auf einen Erlösausgleich für 2011 geeinigt haben und dabei von einem Mehrleistungsabschlag ausgegangen sind, dessen Höhe sich mit dem streitigen Schiedsspruch deckt. Weder daraus noch aus der unanfechtbaren Genehmigung des Erlösausgleichs folgt, dass eine Entscheidung im vorliegenden Verfahren für die Kläger nutzlos wäre. Zum einen ist klar, dass die in allseitiger Kenntnis vom vorliegenden Rechtsstreit getroffene Vereinbarung des Erlösausgleichs unter einem zumindest stillschweigenden Vorbehalt steht, nach dem die Kläger für den Fall des Erfolgs der Klage und eines anschließenden Abänderungsbegehrens berechtigt sein sollen, eine Neuverhandlung des Erlösausgleichs und anschließend ein Wiederaufgreifen des Genehmigungsverfahrens zu verlangen. Einem solchen Begehren läge eine neue Tatsachengrundlage zugrunde, weil die Schiedsstelle nach Aufhebung einer Genehmigung entsprechend § 14 Abs. 3 KHEntgG verpflichtet ist, den Mehrleistungsabschlag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu festzusetzen, sofern sich die Vertragsparteien nicht einigen. Daher greifen aus Rechtsgründen auch die Bedenken der Kläger nicht durch, es könne zu Widersprüchen kommen, weil nach einer Änderung des Mehrleistungsabschlags die Schiedsstelle Neuregelungen unterlassen oder der Erlösausgleich Bestand behalten könnte.
2. Die Anfechtungsklage ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat ohne Bundesrechtsverstoß angenommen, dass die angefochtene Genehmigung nicht deshalb rechtswidrig ist, weil sie den Mehrleistungsabschlag ausdrücklich ausklammert. Zwar ist eine Genehmigung rechtswidrig, wenn sie sich nicht auf alle Gegenstände erstreckt, für die nach § 14 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG eine Genehmigung zu beantragen ist; denn der Genehmigungsvorbehalt setzt einen auf die zu genehmigenden Gegenstände gerichteten Antrag voraus, der die Pflicht zur Bescheidung des Antrages in demselben Umfang begründet ("Die Genehmigung ... ist ... zu erteilen"). Demgemäß ist eine Genehmigung, die nicht alle von der Genehmigungspflicht erfassten Antragsgegenstände umfasst, unabhängig davon rechtswidrig, worauf die Lückenhaftigkeit zurückgeht (vgl. schon Urteil vom 21. Januar 1993, a.a.O., S. 368).
Indes bedurfte der Mehrleistungsabschlag im streitigen Vereinbarungszeitraum keiner Genehmigung. Daher kann weder im Genehmigungs- noch im Klageverfahren geprüft werden, ob der Abschlag in richtiger Höhe festgesetzt worden ist.
a) Inwieweit die Vereinbarungen zwischen den Vertragsparteien zu genehmigen sind, beurteilt sich für das Vereinbarungsjahr 2011 nach dem Krankenhausentgeltgesetz vom 23. April 2002 (BGBl I S. 1412, 1422) i.d.F. von Art. 8 des Gesetzes zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzierungsgesetz - GKV-FinG) vom 22. Dezember 2010 (BGBl I S. 2309). § 14 Abs. 1 Satz 2 KHEntgG in dieser Fassung bestimmt, dass die Behörde die Genehmigung erteilt, "wenn die Vereinbarung oder Festsetzung den Vorschriften dieses Gesetzes sowie sonstigem Recht entspricht". Damit wird jedoch nicht die gesamte "Vereinbarung oder Festsetzung" für genehmigungsbedürftig erklärt. Vielmehr beschreibt die auf der Voraussetzungsseite liegende Wendung die Genehmigungsvoraussetzungen - und also das Prüfprogramm der Behörde - und nicht die Genehmigungsgegenstände, die auf der Rechtsfolgenseite bezeichnet werden müssten. Rechtstechnisch ist sie mithin als abkürzende Bezugnahme auf die in Satz 1 enumerativ aufgeführten Vereinbarungspositionen des § 11 KHEntgG zu verstehen.
Für die Annahme der Kläger, der Genehmigungsvorbehalt greife weiter als die aufgelisteten Antragsgegenstände, fehlt ein tragfähiger Anhaltspunkt. Eine solche Auslegung verbietet sich schon deshalb, weil die Genehmigung als vertragsgestaltender Verwaltungsakt Wirksamkeitsvoraussetzung für die aus den Vereinbarungen hergeleiteten Ansprüche (vgl. § 7 KHEntgG) ist und als Eingriff in die Vertragsfreiheit der Parteien auf das Notwendige zu beschränken ist. Divergierende Antrags- und Genehmigungsgegenstände führten zu einer Verkomplizierung, für die ein einleuchtender Grund fehlt. Antragserfordernisse sind Folge von Genehmigungsvorbehalten, die der behördlichen Prüfung und Erlaubnis einen Rahmen setzen, sodass es eines sachlichen Grundes bedarf, um anzunehmen, dass die behördliche Erlaubnis im Gefolge eines Antrags von Amts wegen auf weitere Gegenstände erstreckt werden soll.
b) Der in Rede stehende Mehrleistungsabschlag gehörte im Jahr 2011 nicht zu den Genehmigungsgegenständen. Das ergibt sich mit aller Deutlichkeit bereits aus dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG. Der Genehmigungsvorbehalt des Satzes 1 listet die Antrags- und Genehmigungsgegenstände im Einzelnen auf und ist - durch Nennung von Begriff und Norm - eindeutig. Der Mehrleistungsabschlag, der in § 4 Abs. 2a geregelt und in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 KHEntgG unter den Abzugsposten bei der Abrechnung der allgemeinen Krankenhausleistungen aufgeführt ist, wird weder genannt noch in Bezug genommen. Er ist insbesondere nicht als Bestandteil des in § 14 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG genannten "Erlösbudgets nach § 4" in die Genehmigungspflicht sachlich einbezogen. Anders als die Kläger meinen, nimmt § 14 Abs. 1 Satz 1 auch nicht die Gesamtregelung des § 4 - und damit auch Absatz 2a - in Bezug, sondern lediglich das in Absatz 1 definierte Erlösbudget. Dieses umfasst gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 ausdrücklich "nicht die Zu- und Abschläge nach § 7 Abs. 1", zu denen auch der Mehrleistungsabschlag gehört.
c) Angesichts dieser klaren Regelung wären gewichtige Anhaltspunkte erforderlich, um die Nichterwähnung des Mehrleistungsabschlags in § 14 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG als Redaktionsversehen einzustufen. Solche Anhaltspunkte fehlen; im Gegenteil bestätigen Gesetzessystematik, Entstehungsgeschichte und Zweck der Regelung, dass der Gesetzgeber den Mehrleistungsabschlag, ebenso wie die weiteren nicht erwähnten Vereinbarungsgegenstände des § 11 KHEntgG, keiner Genehmigung unterwerfen wollte. Dies hält sich im Rahmen seiner Kompetenz, sodass zu einer korrigierenden Auslegung des § 14 Abs. 1 KHEntgG kein Anlass besteht.
Schon die selektive Formulierung des § 14 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG zeigt, dass sich der Gesetzgeber bewusst gegen eine umfassende Genehmigungsbedürftigkeit entschieden hat. Eingeführt mit der Umstellung auf das Fallpauschalensystem (vgl. Art. 5 des Gesetzes zur Einführung des diagnose-orientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser vom 23. April 2002 - Fallpauschalengesetz <FPG> - BGBl I S. 1412), umfasste die Vorschrift von Anfang an nur einen besonders bezeichneten Ausschnitt der Vereinbarungsgegenstände des § 11 KHEntgG, nämlich den krankenhausindividuellen Basisfallwert, die Entgelte nach § 6 und die Zuschläge nach § 5. Abschläge waren zunächst nicht unter den Genehmigungsgegenständen aufgeführt, die Abschläge nach § 5 erstmals 2009 (vgl. Art. 2 Nr. 13 des Gesetzes zum ordnungspolitischen Rahmen der Krankenhausfinanzierung ab dem Jahr 2009 - Krankenhausfinanzierungsreformgesetz <KHRG> vom 17. März 2009, BGBl I S. 534), obwohl sie in verschiedenen Vorschriften des Gesetzes vorgesehen und nach § 11 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG bereits i.d.F. des Fallpauschalengesetzes umfassend von den Vertragsparteien zu regeln waren. Auch mit der Aufnahme der Abschläge nach § 5 war keine Berichtigung eines redaktionellen Mangels beabsichtigt, sondern eine Anpassung der Vorgaben zur Genehmigung, nachdem der krankenhausindividuelle Basisfallwert durch den Landesbasisfallwert gemäß § 10 KHEntgG ersetzt worden war (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs zum Krankenhausfinanzierungsreformgesetz vom 7. November 2008, BTDrucks 16/10807, S. 33). Bei dieser Anpassung wurde in § 14 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG die Bezugnahme auf die "Zu- und Abschläge <nur> nach § 5" beibehalten, nicht also auf andere Abschläge erweitert, obwohl in § 4 Abs. 2a KHEntgG i.d.F. des KHRG bereits für 2009 ein Mehrleistungsabschlag sowie in den Absätzen 6 bis 10 des § 4 weitere Zu- und Abschläge eingeführt wurden (vgl. Art. 2 Nr. 4 Buchst. d KHRG).
d) Auch die weitere Entwicklung des Mehrleistungsabschlags schließt aus, dass er im Zusammenhang mit der Genehmigungspflicht übersehen worden ist. Im Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen zum Gesetz zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzierungsgesetz), mit dem der Abschlag die ab 2011 maßgebliche Fassung erhielt, wurde der Abschlag als ein wesentliches Mittel zur Begrenzung der Ausgaben betrachtet (BTDrucks 17/3040 vom 28. September 2010, S. 2, 5, 7, 18, 34 f., 38, 40). Seine Ausgestaltung löste dementsprechend im Gesetzgebungsverfahren erhebliche Diskussionen aus, die auch Änderungen am Entwurfstext bewirkten (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit, BTDrucks 17/3696 vom 10. November 2010, S. 3, 6, 8, 30, 52, 53). Ungeachtet der erheblichen Bedeutung für die Kostendämpfung wurde der Abschlag aber auch in der Gesetz gewordenen Fassung nicht in die Genehmigungspflicht nach § 14 KHEntgG einbezogen.
e) Die Ausklammerung ist vor dem Hintergrund verständlich, dass eine Rechtskontrolle des Abschlags nach dem Gesetzeszweck entbehrlich erscheint. Als vertragsgestaltender Verwaltungsakt ist die Genehmigung, wie oben gesagt, ein Eingriff in die Vertragsfreiheit der Parteien, der aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auf das Erforderliche zu beschränken ist. Demgemäß bleiben all jene Vereinbarungsgegenstände genehmigungsfrei, für die der Gesetzgeber keine spezifischen gesetzlichen Kontrollzwecke sieht. Die Ziele des GKV-Finanzierungsgesetzes sind ohne Kontrolle des Mehrleistungsabschlags zu erreichen.
Zentraler Zweck des GKV-Finanzierungsgesetzes war es, die Ausgaben bei Leistungserbringern und Krankenkassen im Hinblick auf das für 2011 erwartete Defizit auf das nach dem Versorgungsauftrag Unumgängliche zu begrenzen (Begründung des Gesetzentwurfs vom 28. September 2010, BTDrucks 17/3040, S. 1 ff.). Ein Mittel dazu ist der Mehrleistungsabschlag, der ab 2011 für Leistungen vorgeschrieben ist, die die Vertragsparteien im Vergleich zum jeweiligen Vorjahr zusätzlich vereinbaren. Der Abschlag bewirkt, dass sich die Krankenhausträger mit zusätzlichen Angeboten tendenziell zurückhalten, weil die dadurch ausgelösten Kosten im ersten Jahr teilweise, nämlich in Höhe des Abschlags, von ihnen selbst zu tragen sind. Dieser Effekt wird jedoch unabhängig von der behördlichen Kontrolle bereits allein durch die Existenz des Abschlags gewährleistet. Hingegen bedarf die Rechtskonformität des Kostenanstiegs, der sich im Betrag der Mehrleistungen des Vereinbarungsjahres niederschlägt, einer staatlichen Kontrolle, die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens für das Erlösbudget nach § 14 Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 KHEntgG erfolgt, dessen Anstieg durch die Mehrleistungen wesentlich mitbestimmt wird. Gemessen hieran ist für das Ziel einer dauerhaften Begrenzung der Mehrausgaben weniger bedeutsam, in welcher Höhe die tatsächlichen Ausgaben der Kostenträger in einem Vereinbarungsjahr infolge des Mehrleistungsabschlags unter dem genehmigten Erlösbudget bleiben. Zudem deckt sich das Prüfprogramm für das Erlösbudget, das am Versorgungsauftrag des Krankenhauses zu messen ist (§ 8 KHEntgG), jedenfalls zu einem Teil mit den Vorgaben für die Bemessung des Abschlags (vgl. § 4 Abs. 2a Satz 3 KHEntgG).
f) Diese Auslegung führt weder zu unzumutbaren Erschwernissen für den Rechtsschutz noch zu Widersprüchen. Jede Vertragspartei kann - was allein in Betracht kommt - gegen solche Festsetzungen der Schiedsstelle, die keiner gerichtlich überprüfbaren Genehmigung bedürfen, unmittelbar Klage gegen die Schiedsstelle erheben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu vergleichbaren Konstellationen ist die hier streitige Schiedsstellenentscheidung durch eine Doppelnatur gekennzeichnet: Soweit sie genehmigungsbedürftige Festsetzungen enthält, ist sie ein nicht anfechtbarer, interner Mitwirkungsakt, deren Festsetzungen erst durch die Genehmigung verbindlich werden. Diese hat damit allein die einen Verwaltungsakt kennzeichnenden Regelungs- und Außenwirkungen und ist Anknüpfungspunkt für den Rechtsschutz der Vertragsparteien. Insoweit, aber auch nur insoweit, ist eine Klage gegen die Schiedsstelle unzulässig (vgl. Urteil vom 23. November 1993 - BVerwG 3 C 47.91 - BVerwGE 94, 301 = Buchholz 451.74 § 18 KHG Nr. 3 zur Pflegesatzfestsetzung nach § 18, § 18a KHG a.F.). Folgt einer Festsetzung der Schiedsstelle hingegen kein Genehmigungsakt nach - wie dies beim Mehrleistungsabschlag der Fall ist -, hat diese Festsetzung selbst den Charakter eines vertragsgestaltenden Verwaltungsakts. Die Schiedsstelle nach § 18a KHG ist in diesen Punkten gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG zur Entscheidung von Konflikten berufen, welche die Vertragsparteien im Vereinbarungswege nicht beseitigen können. Der Schiedsstellenbeschluss regelt daher beim Fehlen einer nachfolgenden Genehmigung abschließend, was für die Vertragsparteien im Vereinbarungszeitraum inhaltlich verbindlich sein soll (vgl. Urteil vom 1. Dezember 1998 - BVerwG 5 C 17.97 - BVerwGE 108, 47 <48 f.> zur Schiedsstelle nach § 94 BSHG a.F.). Der Gesetzgeber hat sich damit bei genehmigungsfreien Entgeltbestandteilen (auch) nach dem Krankenhausentgeltgesetz für eine Konfliktlösung nach dem "Vereinbarungsprinzip" außerhalb des Bereichs staatlicher Verwaltung und Justiz entschieden (vgl. Beschluss vom 28. Februar 2002 - BVerwG 5 C 25.01 - BVerwGE 116, 78 <80 ff.> = NVwZ-RR 2003, 41 zu Pflegevereinbarungen in der Sozialhilfe). Die Konsequenzen für den Rechtsschutz sind gemessen an Art. 19 Abs. 4 GG ohne Weiteres tragbar. Für Klagen ist durchweg der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO), was auch in den Regelungen des § 14 Abs. 4 Satz 1 KHEntgG und § 18a Abs. 6 Satz 11 KHG zum Ausdruck kommt. Die Klage ist bei genehmigungsbedürftigen Gegenständen gegen die nach Landesrecht zuständige Genehmigungsbehörde zu richten, im Streit um sonstige Positionen unmittelbar gegen die Schiedsstelle nach § 18a KHG. In beiden Fällen ist das Gericht auf eine Rechtskontrolle beschränkt. Unsicherheiten oder Irrtümer über die jeweils einzuschlagenden Schritte können wegen der klaren Regelung in § 14 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG nicht entstehen. Ebenso wenig ist mit den von den Klägern befürchteten Widersprüchen zu rechnen, wenn im Zuge eines Verfahrens Entgeltbestandteile geändert werden, die Rückwirkungen auf schon vereinbarte oder festgesetzte andere Bestandteile haben. Wie oben (1. b) ausgeführt, wächst den Vertragsparteien - ungeachtet einer etwaigen Unanfechtbarkeit der jeweiligen Entscheidung - ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des jeweiligen Festsetzungs- oder Genehmigungsverfahrens zu, wenn dieses nach einer gerichtlichen Entscheidung nicht ohnehin von Amts wegen ganz oder teilweise wiederholt werden muss (vgl. § 14 Abs. 3 KHEntgG). Dabei sind sämtliche Folgewirkungen von Änderungen beim Mehrleistungsabschlag zu beachten und die Regelungen entsprechend anzupassen.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019737
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BVerwG
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10. Senat
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20130705
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10 B 5/13, 10 B 5/13 (10 C 7/13)
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Beschluss
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§ 32 AsylVfG 1992, § 33 AsylVfG 1992, § 132 Abs 2 Nr 1 VwGO
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vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 17. Januar 2013, Az: 20 B 12.30347, Urteil
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DEU
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Asylantrag; Rücknahmefiktion; Verfahrenseinstellung; Bekanntwerden einer ausländischen Flüchtlingsanerkennung; Revisionszulassung
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Die Beschwerde der Beklagten ist zulässig und begründet.
Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Sie kann dem Bundesverwaltungsgericht Gelegenheit zur Klärung der Frage geben, wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Rahmen einer Klage gegen die Verfahrenseinstellung nach §§ 33, 32 AsylVfG auf das Bekanntwerden einer ausländischen Anerkennung des Klägers als Flüchtling zu reagieren und welche Konsequenzen dies für einen Ausspruch zum Abschiebungsschutz hat.
Über die weiteren Zulassungsrügen braucht daher nicht entschieden werden.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019738
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BVerwG
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10. Senat
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20130712
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10 C 5/13
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Beschluss
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Art 6 Abs 1 GG, Art 6 Abs 2 S 1 GG, Art 4 EGRL 86/2003, Art 5 Abs 1 EGRL 86/2003, Art 18 EGRL 86/2003
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vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 19. März 2012, Az: OVG 3 B 21.11, Urteil vorgehend VG Berlin, 16. Juni 2011, Az: 1 K 8.11 V, Urteil
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DEU
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Kindernachzug; Anspruch der ausländischen Eltern auf Erteilung eines Visums
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Familienangehörige eines Ausländers haben einfachgesetzlich keinen eigenen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt des Ausländers; im Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG kann die Ablehnung der Erteilung eines Aufenthaltstitels sie aber in eigenen Rechten verletzen.
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Gegenstand des Verfahrens ist nach der Abtrennung vom Verfahren BVerwG 10 C 16.12 nur noch das von den Klägern im eigenen Namen geltend gemachte Begehren auf Erteilung eines Visums zum Kindernachzug an ihr minderjähriges Kind. Über die von den Klägern im Namen des Kindes erhobene Klage hat der Senat mit Urteil vom 13. Juni 2013 rechtskräftig zugunsten des Kindes entschieden.
Nachdem die Kläger und die Beklagte den noch anhängigen Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 141 und 125 Abs. 1 VwGO einzustellen und die Unwirksamkeit der Entscheidungen der Vorinstanzen, soweit sie die Kläger betreffen, festzustellen.
Gemäß § 161 Abs. 2 VwGO ist nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands über die Kosten des Verfahrens einschließlich der vor der Abtrennung auf die Klagen der Kläger entfallenden Kosten der 1. Instanz und 2. Instanz zu entscheiden. Billigem Ermessen entspricht es, diese Kosten - mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese auf sich behält (§ 162 Abs. 3 VwGO) - hälftig zwischen den Klägern als Gesamtschuldner einerseits und der Beklagten andererseits zu teilen, da der Ausgang des Rechtsstreits im Zeitpunkt der Erledigung offen war. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte auf die Klage des Kindes hin inzwischen rechtskräftig zur Erteilung eines Visums verpflichtet worden ist. Denn die von den Klägern im eigenen Namen erhobenen Klagen hätten nur Erfolg gehabt, wenn die Ablehnung auch sie in eigenen Rechten verletzte (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Eine Verletzung in eigenen Rechten können die Kläger als Familienangehörige weder aus dem Aufenthaltsgesetz noch aus der Richtlinie 2003/86/EG - sog. Familienzusammenführungsrichtlinie - herleiten. Als Eltern haben sie einfachgesetzlich keinen eigenen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels an ihr minderjähriges Kind. Soweit das Aufenthaltsgesetz ein Recht auf Einreise und Aufenthalt gewährt, steht dieses materiell allein dem betroffenen Ausländer zu. Das steht beim Familiennachzug im Einklang mit der Richtlinie 2003/86/EG. Danach gestatten die Mitgliedstaaten bei Vorliegen der in der Richtlinie festgeschriebenen materiellen Voraussetzungen den Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen die Einreise und den Aufenthalt (Art. 4 der Richtlinie 2003/86/EG). Dabei können die Mitgliedstaaten festlegen, ob zur Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung ein Antrag auf Einreise und Aufenthalt entweder vom Zusammenführenden oder von dem oder den Familienangehörigen bei den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats gestellt werden muss (Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2003/86/EG). Bei Ablehnung des Antrags haben die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen, dass der Zusammenführende und/oder seine Familienangehörigen Rechtsbehelfe einlegen können; Verfahren und Zuständigkeiten werden von dem betreffenden Mitgliedstaat festgelegt (Art. 18 der Richtlinie 2003/86/EG). Damit regelt die Richtlinie zwar die materiellen Voraussetzungen für ein Recht auf Einreise und Aufenthalt von Familienangehörigen, überlässt es aber den Mitgliedstaaten, wer den erforderlichen Antrag stellen muss und im Falle einer Ablehnung Rechtsbehelfe einlegen kann.
Die Kläger können ein Recht auf Einreise und Aufenthalt ihres minderjährigen ausländischen Kindes auch nicht unmittelbar aus Art. 6 GG herleiten. Weder Art. 6 Abs. 1 GG noch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewähren nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einen unmittelbaren Anspruch auf Einreise und Aufenthalt. Folglich führt die Verweigerung eines Visums nicht zu einem Eingriff in das durch Art. 6 Abs. 1 GG verbürgte Recht auf familiäres Zusammenleben und in die in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete Wahrnehmung der Elternverantwortung im Interesse des Kindeswohls. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen die familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Jedes einzelne Mitglied einer durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Gemeinschaft ist in den persönlichen Schutzbereich der Norm einbezogen und daher berechtigt, dies gegenüber einer die familiäre Gemeinschaft berührenden verwaltungsbehördlichen oder verwaltungsgerichtlichen Entscheidung geltend zu machen. Folglich hat jeder Träger der Grundrechte aus Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG einen eigenen Anspruch darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die bestehenden familiären Bindungen des Antragstellers an im Bundesgebiet lebende Personen in einer Weise berücksichtigen, die der großen Bedeutung entspricht, welche das Grundgesetz in seinem Art. 6 dem Schutz von Ehe und Familie beimisst (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. - BVerfGE 76, 1 <49 f.> m.w.N.).
Ob die Ablehnung eines Visums zum Kindernachzug die Kläger als Eltern in diesem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf angemessene Berücksichtigung der familiären Bindungen verletzte, kann hier ohne weitere tatrichterliche Sachverhaltsfeststellungen nicht abschließend beurteilt werden. Insoweit wird auf die Ausführungen im Urteil des Senats vom 13. Juni 2013 - BVerwG 10 C 16.12 - Bezug genommen. Keiner Entscheidung bedarf auch, ob unter den hier gegebenen Umständen für die von den Eltern im eigenen Namen erhobenen Klagen ausnahmsweise das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlte, nachdem sie bereits im Namen des Kindes Klage erhoben hatten und sie in diesem Verfahren nicht nur das Bestehen eines einfachgesetzlichen Anspruchs geltend machen, sondern sich auch auf eine angemessene Berücksichtigung der aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen des Art. 6 GG berufen konnten.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019739
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BVerwG
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9. Senat
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20130711
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9 B 9/13
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Beschluss
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§ 131 Abs 1 S 1 BauGB
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vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 14. Dezember 2012, Az: 5 A 1884/12, Beschluss
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DEU
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Erschlossensein von Hinterliegergrundstücken
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Die Beschwerde der Beklagten ist zulässig und begründet. Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Sie kann dem Bundesverwaltungsgericht Gelegenheit zur Fortentwicklung der Rechtsprechung zum Erschlossensein von Hinterliegergrundstücken im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB geben, insbesondere zur Klärung der Frage, ob - bei selbständiger Bebaubarkeit von Anlieger- und Hinterliegergrundstück und Eigentümeridentität - das Hinterliegergrundstück auch dann erschlossen ist, wenn die einheitliche Nutzung beider Grundstücke nicht baulicher Natur ist (hier: Nutzung als Pferdekoppel).
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019740
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BVerwG
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10. Senat
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20130613
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10 C 16/12
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Urteil
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Art 6 GG, § 2 Abs 3 AufenthG 2004, § 5 Abs 1 Nr 1 AufenthG 2004, § 6 Abs 3 AufenthG 2004, § 27 Abs 3 S 1 AufenthG 2004, § 28 AufenthG 2004, § 29 AufenthG 2004, § 32 Abs 3 AufenthG 2004, § 1 FreizügG/EU 2004, § 3 Abs 2 FreizügG/EU 2004, Art 8 MRK, Art 3 Abs 1 UNKRÜbk, Art 9 Abs 1 S 1 UNKRÜbk, Art 10 Abs 1 S 1 UNKRÜbk, Art 7 EUGrdRCh, Art 24 EUGrdRCh, Art 51 Abs 1 EUGrdRCh, Art 1 Abs 1 EGV 539/2001, Art 3 Abs 1 EGRL 38/2004, Art 2 Nr 2 EGRL 38/2004, Art 1 EGRL 86/2003, Art 3 EGRL 86/2003, Art 4 Abs 1 Buchst b EGRL 86/2003, Art 5 Abs 5 EGRL 86/2003, Art 7 Abs 1 Buchst c EGRL 86/2003, Art 17 EGRL 86/2003, §§ 31ff SGB 2, § 31 SGB 2
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vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 19. März 2012, Az: OVG 3 B 21.11, Urteil vorgehend VG Berlin, 16. Juni 2011, Az: 1 K 8.11 V, Urteil
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DEU
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Kindernachzug; Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts
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Eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (juris: AufenthG 2004) liegt beim Nachzug eines minderjährigen Kindes in eine Kernfamilie, der mindestens ein minderjähriges deutsches Kind angehört, jedenfalls dann vor, wenn a) die Kernfamilie ihren Schwerpunkt in Deutschland hat und mit dem Nachzug vervollständigt wird, b) das nachziehende Kind das 13. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und c) gegen die Eltern keine Sanktionen wegen Verletzung ihrer sozialrechtlichen Verpflichtungen nach §§ 31 ff. SGB II (juris: SGB 2) verhängt worden sind.
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Der Kläger, ein am 8. Januar 2000 geborener gambischer Staatsangehöriger, begehrt die Erteilung eines Visums zum Kindernachzug.
Die Eltern des Klägers, ebenfalls gambische Staatsangehörige, leben im Bundesgebiet zusammen mit zwei weiteren - 2007 und 2009 geborenen - Kindern, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Der Vater kam 1995 nach Deutschland und erhielt aufgrund seiner damaligen Ehe mit einer Deutschen eine Aufenthaltserlaubnis; inzwischen ist er im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Die Mutter folgte ihm im August 2006 und ist seit Oktober 2007 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen.
Im Januar 2008 beantragte der Kläger die Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung. Die Deutsche Botschaft in Dakar lehnte den Antrag mit Bescheid vom 29. Mai 2008 ab, weil der Lebensunterhalt nicht gesichert sei. Das Verwaltungsgericht gab den von den Eltern sowohl im eigenen als auch im Namen des Klägers erhobenen Klagen statt und verpflichtete die Beklagte zur Erteilung eines Visums zum Kindernachzug.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Klagen mit Urteil vom 19. März 2012 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Erteilung eines Visums scheitere allein an der fehlenden Sicherung des Lebensunterhalts. Ein atypischer Fall, der ein Absehen von dieser Regelerteilungsvoraussetzung gebiete, liege nicht vor. Dass die Geschwister des Klägers Unionsbürger seien, begründe keinen Nachzugsanspruch. Sie hätten von ihrer Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht. Der tatsächliche Genuss des Kernbereichs der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleihe, werde ihnen durch die Visumverweigerung nicht verwehrt. Als deutsche Staatsangehörige könnten sie im Unionsgebiet verbleiben und die Lebensgemeinschaft mit ihren Eltern fortsetzen. Auch das Recht auf Familienleben gebiete nicht die Annahme eines atypischen Falles. Die Sicherung des Lebensunterhalts liege in der Verantwortung der Eltern. Dass sie beide außer Stande seien, einer Beschäftigung nachzugehen, sei weder vorgetragen noch ersichtlich. In einem solchen Fall sei das öffentliche Interesse an der Vermeidung einer nachzugsbedingten Ausweitung der Sozialleistungen höher zu gewichten als das private Interesse an der Herstellung der Familieneinheit im Bundesgebiet. Der Vater des Klägers habe sich vor 2008 nicht um eine Einreise des Klägers bemüht. Auch sei nicht erkennbar, dass der Kläger bei einem weiteren Aufenthalt in Gambia in seiner Entwicklung beeinträchtigt würde. Art. 24 GR-Charta begründe ebenfalls keinen Nachzugsanspruch. Der Schutz von Kindern nach der Grundrechte-Charta sei ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union zu beachten und habe nicht zur Folge, dass deren Wohl generell und ausnahmslos Vorrang vor dem öffentlichen Interesse habe und sich auch dann durchsetze, wenn die Eltern keine zumutbaren Bemühungen zur Sicherung des Lebensunterhalts entfalteten. Auch nach Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention komme dem Kindeswohl kein unbedingter Vorrang zu.
Der Kläger macht mit seiner Revision im Wesentlichen geltend, das Berufungsurteil verletze die Rechte der Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK und Art. 7 GR-Charta. Außerdem verletze es den Kernbereich der Unionsbürgerrechte der Geschwister und deren Grundrecht auf negative Freizügigkeit sowie das Recht des Klägers auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Eltern und auf Berücksichtigung des Kindeswohls. Die von seinen Eltern im eigenen Namen erhobene Klage wird nach Abtrennung in einem gesonderten Verfahren geführt.
Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.
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Die Revision hat Erfolg. Das Berufungsurteil verletzt revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung eines Visums zum Kindernachzug. Dieser scheitert nicht an der fehlenden Sicherung des Lebensunterhalts, da eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vorliegt. Die gegenteilige Annahme des Berufungsgerichts verstößt gegen Bundesrecht.
Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (stRspr, vgl. Urteile vom 16. Juni 2004 - BVerwG 1 C 20.03 - BVerwGE 121, 86 <88> = Buchholz 402.240 § 19 AuslG Nr. 10 S. 4 f., jeweils m.w.N. und vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 LS 3 und Rn. 37 ff. = Buchholz 402.242 § 32 AufenthG Nr. 4). Spätere Rechtsänderungen sind im Revisionsverfahren zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 <279 f.> = Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 15 S. 32). Das klägerische Begehren ist daher an dem Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86) zu messen. Hierdurch haben sich die hier maßgeblichen Rechtsvorschriften aber nicht geändert.
1. Das Berufungsgericht ist der Sache nach zu Recht davon ausgegangen, dass das Aufenthaltsbegehren des Klägers ungeachtet der deutschen Staatsangehörigkeit seiner Geschwister nach den Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes zu beurteilen ist. Die Anwendung des Aufenthaltsgesetzes ist nicht nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG ausgeschlossen, da die Rechtsstellung des Klägers nicht von dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern - Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) - erfasst wird.
Dem Kläger steht weder nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU noch nach der Richtlinie 2004/38/EG - sog. Unionsbürgerrichtlinie - ein Aufenthaltsrecht zu, da sich seine Geschwister in Deutschland als dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, aufhalten (§ 1 FreizügG/EU, Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG); auch ist der Kläger im Verhältnis zu seinen Geschwistern kein Familienangehöriger im Sinne des § 3 Abs. 2 Freizüg/EU und des Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2004/38/EG. Ebenso fehlt es an den Voraussetzungen für die Annahme eines sog. Rückkehrerfalls, da seine Geschwister von ihrem unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht keinen nachhaltigen Gebrauch gemacht haben (vgl. Urteil vom 22. Juni 2011 - BVerwG 1 C 11.10 - NVwZ 2012, 52 Rn. 9 = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 53, jeweils m.w.N.).
Entgegen der Auffassung der Revision kann der Kläger ein Aufenthaltsrecht auch nicht unmittelbar aus den Vertragsbestimmungen über die Unionsbürgerschaft herleiten (vgl. EuGH, Urteile vom 8. März 2011 - Rs. C-34/09, Zambrano - InfAuslR 2011, 179 Rn. 40 ff., vom 5. Mai 2011 - Rs. C-434/09, McCarthy - InfAuslR 2011, 268 Rn. 44 ff., vom 15. November 2011 - Rs. C-256/11, Dereci u.a. - InfAuslR 2012, 47 Rn. 61 ff., vom 8. November 2012 - Rs. C-40/11, Iida - InfAuslR 2013, 6 Rn. 66 ff., vom 6. Dezember 2012 - Rs. C-356/11 und 357/11, O. und S. - InfAuslR 2013, 58 Rn. 35 ff. und vom 8. Mai 2013 - Rs. C-87/12, Ymeraga - juris Rn. 34 ff.). Seinen deutschen Geschwistern wird durch die Versagung eines Visums an den Kläger nicht der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sie infolge der Verweigerung de facto gezwungen wären, das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen. Die bloße Tatsache, dass es für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats - wie hier - zur Aufrechterhaltung oder Herstellung einer Familiengemeinschaft im Gebiet der Union wünschenswert erscheinen könnte, dass sich ein Familienangehöriger, der nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, mit ihnen zusammen im Gebiet der Union aufhalten kann, rechtfertigt für sich genommen noch nicht die Annahme, dass sie gezwungen wären, das Gebiet der Union zu verlassen, wenn dem Familienangehörigen kein Aufenthaltsrecht gewährt würde. Vielmehr ist unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob die Ablehnung eines Aufenthaltstitels zum Zwecke der Familienzusammenführung tatsächlich dazu führen könnte, die Unionsbürgerschaft der betroffenen Unionsbürger ihrer praktischen Wirksamkeit zu berauben. Dabei stellt der EuGH bei minderjährigen Unionsbürgern, die sich altersbedingt nicht allein im Unionsgebiet aufhalten können, maßgeblich darauf ab, ob zwischen ihnen und dem Drittstaatsangehörigen, dem ein Aufenthaltsrecht verweigert wird, ein Abhängigkeitsverhältnis besteht (EuGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 a.a.O. Rn. 56). Hieran fehlt es zwischen dem Kläger und seinen Geschwistern. Deren Aufenthalt hängt de facto nicht vom Aufenthalt des Klägers, sondern vom Aufenthalt der Eltern ab. Diese sind im Besitz von Aufenthaltstiteln. Damit ist sichergestellt, dass sich die Geschwister weiterhin hier aufhalten und den Kernbestand der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleiht, in Anspruch nehmen können.
2. Findet das Aufenthaltsgesetz auf das Nachzugsbegehren Anwendung, unterliegt der Kläger als gambischer Staatsangehöriger nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 539/2001 und deren Anhang I der Visumpflicht und bedarf für den von ihm angestrebten Daueraufenthalt nach § 6 Abs. 3 AufenthG eines vor der Einreise einzuholenden (nationalen) Visums.
2.1 Nach § 6 Abs. 3 i.V.m. § 32 Abs. 3 AufenthG ist dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers, welches das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ein Visum zum Kindernachzug zu erteilen, wenn beide Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG besitzen. Dies ist hier der Fall. Der Kläger hat das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet und seine Eltern verfügen über eine Niederlassungs- (Vater) bzw. eine Aufenthaltserlaubnis (Mutter).
2.2 Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG stehen der Erteilung eines Visums nicht entgegen. Zwar ist der Lebensunterhalt des Klägers nicht gesichert (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Von dieser Regelerteilungsvoraussetzung ist im vorliegenden Fall aber eine Ausnahme zu machen. Die gegenteilige Annahme des Berufungsgerichts verstößt gegen Bundesrecht.
a) Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Das ist nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Fall, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann; dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger nicht. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts verfügen seine Eltern über keinerlei Erwerbseinkommen und beziehen schon derzeit Leistungen nach dem SGB II (zur Maßgeblichkeit des Gesamtbedarfs der Kernfamilie, der Berechnung nach dem SGB II und den Besonderheiten im Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/86/EG vgl. grundlegend Urteile vom 29. November 2012 - BVerwG 10 C 4.12 - zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen und vom 16. November 2010 - BVerwG 1 C 20.09 - BVerwGE 138, 135 = Buchholz 402.242 § 2 AufenthG Nr. 3).
b) Von dem Regelerfordernis der Unterhaltssicherung ist hier aber ausnahmsweise abzusehen. Sowohl verfassungs-, unions- oder völkerrechtliche Gewährleistungen als auch atypische Umstände des Einzelfalls, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, können eine Ausnahme vom Regelfall rechtfertigen. Ob ein Ausnahmefall vorliegt, unterliegt keinem Einschätzungsspielraum der Behörde, sondern ist gerichtlich in vollem Umfang überprüfbar (Urteil vom 22. Mai 2012 - BVerwG 1 C 6.11 - BVerwGE 143, 150 = Buchholz 402.242 § 28 AufenthG Nr. 3, jeweils Rn. 11 m.w.N.).
aa) Ein Ausnahmefall ergibt sich für den Kläger nicht bereits unmittelbar aus der Richtlinie 2003/86/EG - sog. Familienzusammenführungsrichtlinie. Diese regelt die Bedingungen für die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung durch Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig im Gebiet der Mitgliedstaaten aufhalten (Art. 1 der Richtlinie) und gewährt bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen und Bedingungen ein Recht auf Einreise und Aufenthalt (Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie).
Die Richtlinie 2003/86/EG findet hier Anwendung. Sie gilt für die Familienzusammenführung durch Drittstaatsangehörige, die sich - wie die Eltern des Klägers - rechtmäßig im Gebiet der Mitgliedstaaten aufhalten und die aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie erfüllen. Der Kläger ist ebenfalls Drittstaatsangehöriger und erfüllt die Nachzugsvoraussetzungen des Art. 4 Abs. 1 Buchst b der Richtlinie. Der Anwendung der Richtlinie steht nicht entgegen, dass seine Geschwister die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Nach Art. 3 Abs. 3 findet die Richtlinie zwar keine Anwendung auf Familienangehörige eines Unionsbürgers. Unter Berücksichtigung des mit der Richtlinie 2003/86/EG verfolgten Ziels der Begünstigung der Familienzusammenführung und des Schutzes, der insbesondere minderjährigen Drittstaatsangehörigen durch sie gewährt werden soll, ist die Anwendung aber nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil die zusammenführenden Eltern zugleich Eltern von Unionsbürgern sind (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 - Rs. C-356/11 und 357/11, O. und S. - InfAuslR 2013, 58 Rn. 69).
Einem Anspruch des Klägers auf Familienzusammenführung unmittelbar aus der Richtlinie 2003/86/EG steht aber Art. 7 Abs. 1 Buchst c entgegen. Auch wenn die Genehmigung der Familienzusammenführung nach der Richtlinie die Grundregel darstellt (EuGH, Urteil vom 4. März 2010 - Rs. C-578/08, Chakroun - Slg. 2010 I-1839 Rn. 43), können die Mitgliedstaaten sie an bestimmte Voraussetzungen knüpfen. Insbesondere können sie nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie verlangen, dass der Zusammenführende nachweist, dass er über feste und regelmäßige Einkünfte verfügt, die ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des betreffenden Mitgliedstaates für seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen ausreichen. Von dieser Befugnis hat Deutschland in der Weise Gebrauch gemacht, dass beim Kindernachzug zu einem Drittstaatsangehörigen die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gilt. Bei den von der Familie bezogenen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach §§ 19 ff. SGB II handelt es sich um Sozialhilfeleistungen im Sinne des Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie (Urteil vom 31. Mai 2012 - BVerwG 10 C 8.12 - Buchholz 402.261 § 4a FreizügG/EU Nr. 3).
bb) Ob im Fall des Klägers mit Blick auf den besonderen Schutz des Familienlebens und die nach Art. 5 Abs. 5 und Art. 17 der Richtlinie 2003/86/EG geforderte Einzelfallprüfung, bei der alle zu berücksichtigenden Interessen, insbesondere die der betroffenen Kinder, ausgewogen und sachgerecht bewertet werden müssen (EuGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 a.a.O. Rn. 72 und 81), eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu machen ist, kann der Senat mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen nicht abschließend beurteilen.
Auf nationaler Ebene genießt die Familie den Schutz des Art. 6 GG. Zwar gewähren weder das in Art. 6 Abs. 1 GG verbürgte Recht auf familiäres Zusammenleben noch die in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete Wahrnehmung der Elternverantwortung im Interesse des Kindeswohls einen unmittelbaren Anspruch auf Einreise und Aufenthalt. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörden und die Gerichte, bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. - BVerfGE 76, 1 <47 ff.>). Steht einem Nachzugsbegehren - wie hier - der Schutz der öffentlichen Kassen entgegen, bedarf es im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG einer Abwägung dieses öffentlichen Interesses mit den gegenläufigen privaten Belangen der Familie und muss die Entscheidung insbesondere den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbots entsprechen. Dabei sind alle relevanten Umstände des Einzelfalls einzustellen. Besteht zwischen Eltern und minderjährigen Kindern eine Eltern-Kind-Beziehung oder ist deren Aufnahme beabsichtigt, ist insbesondere zu ermitteln, welche Folgen die Verweigerung eines Aufenthaltsrechts für die Ausübung der Elternverantwortung und für das Wohl der minderjährigen Kinder hätte. Bei der Gewichtung der betroffenen Belange ist auch zu berücksichtigen, ob eine familiäre Lebensgemeinschaft nur im Bundesgebiet verwirklicht werden kann. Ist einem Mitglied der aus Eltern und ihren minderjährigen Kindern gebildeten Kernfamilie ein Aufenthalt im Ausland zur Fortführung der Lebensgemeinschaft nicht möglich oder zumutbar, kommt dem Interesse der Familie, die Lebensgemeinschaft gerade im Bundesgebiet zu führen, besonderes Gewicht zu. In diesem Fall bedarf es für aufenthaltsrechtliche Entscheidungen, die dies verhindern, entsprechend gewichtiger gegenläufiger öffentlicher Belange.
Die Beziehung zwischen Eltern und minderjährigen Kindern unterfällt zudem dem Schutz des Art. 8 EMRK. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) garantiert aber auch die Konvention kein Recht eines Ausländers, in einen bestimmten Staat einzureisen und sich dort aufzuhalten. Maßnahmen im Bereich der Einwanderung können jedoch das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK berühren. Danach hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens; ein Eingriff ist nur unter den Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK statthaft. In beiden Fällen ist ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen den gegenläufigen Interessen des Einzelnen und der Gesellschaft herzustellen. Im Ergebnis verpflichtet damit auch Art. 8 EMRK zu einer Abwägungslösung nach Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen. In diesem Zusammenhang misst auch der EGMR bei der Frage, ob der Nachzug des Familienangehörigen das adäquate Mittel zur Etablierung eines gemeinsamen Familienlebens wäre, regelmäßig dem Umstand Bedeutung bei, ob er die einzige Möglichkeit darstellt, ein Familienleben zu entwickeln, etwa weil Hindernisse für eine Wohnsitzbegründung im Ausland bestehen oder besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer eine solche Wohnsitzbegründung nicht erwartet werden kann (Urteil vom 30. März 2010 - BVerwG 1 C 8.09 - BVerwGE 136, 231 = Buchholz 402.242 § 30 AufenthG Nr. 2, jeweils Rn. 33 f. m.w.N. aus der Rechtsprechung des EGMR).
Besonderen Schutz genießt das Familienleben auch nach der Grundrechte-Charta, die hier nach Art. 51 Abs. 1 zu beachten ist, da der Nachzug eines minderjährigen Kindes zu seinen drittstaatsangehörigen Eltern in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/86/EG fällt. Art. 7 und 24 der GR-Charta, die auf Unionsebene die Bedeutung des Familienlebens für Kinder unterstreichen, sind aber nicht dahin auszulegen, dass den Mitgliedstaaten der Ermessensspielraum genommen würde, über den sie nach der Richtlinie 2003/86/EG bei der Prüfung von Anträgen auf Familienzusammenführung verfügen. Inhaltlich entspricht das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 7 GR-Charta den in Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Rechten in ihrer Auslegung durch die Rechtsprechung des EGMR (EuGH, Urteil vom 15. November 2011 - Rs. C-256/11, Dereci u.a. - InfAuslR 2012, 47 Rn. 70). Auf Unionsebene ist zudem die Verpflichtung zur Berücksichtigung des Kindeswohls nach Art. 24 Abs. 2 GR-Charta und das in Art. 24 Abs. 3 GR-Charta niedergelegte Erfordernis zu beachten, dass das Kind regelmäßig persönliche Beziehungen zu beiden Elternteilen unterhält (EuGH, Urteil vom 27. Juni 2006 - Rs. C-540/03, Europäisches Parlament gegen Rat der EU - Slg. 2006 I-5769 Rn. 58).
Im Ergebnis verpflichten damit sowohl die Richtlinie 2003/86/EG als auch Art. 6 GG, Art. 8 EMRK und Art. 7 i.V.m. Art. 24 Abs. 2 und 3 GR-Charta beim Kindernachzug in Fällen, in denen - wie hier - die Voraussetzungen für ein Recht auf Einreise und Aufenthalt nach der Richtlinie nicht vorliegen und den Mitgliedstaaten ein Handlungsspielraum verbleibt, bei dessen Ausfüllung den Schutz der Familie und das Recht auf Familienleben zu achten und dabei insbesondere das Kindeswohl angemessen zu berücksichtigen. Weitergehenden Schutz vermag auch das Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989 (BGBl 1992 II S. 121, 990) - UN-Kinderrechtskonvention (KRK) - nicht zu gewähren. Den Regelungen zur Berücksichtigung des Kinderwohls (Art. 3 Abs. 1 KRK), zum familiären Zusammenleben (Art. 9 Abs. 1 Satz 1 KRK) und zur Behandlung von Anträgen auf Familienzusammenführung (Art. 10 Abs. 1 Satz 1 KRK) ist weder ein unmittelbarer Anspruch auf einen voraussetzungslosen Kindernachzug noch ein unbedingter Vorrang des Kindeswohls vor entgegenstehenden öffentlichen Belangen zu entnehmen.
Ob bei Berücksichtigung dieser rechtlichen Vorgaben die Verweigerung eines Visums an den Kläger unverhältnismäßig ist, hängt damit vor allem davon ab, welche Folgen diese Entscheidung für das Wohl der zur Kernfamilie gehörenden Kinder hat und ob die Familie darauf verwiesen werden kann, die angestrebte familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Kläger in Gambia zu führen, oder ob dem Hindernisse oder sonstige erhebliche Belange der Familie entgegenstehen. Hierzu fehlen hinreichende tatrichterliche Feststellungen, so dass dem Senat insoweit eine abschließende Entscheidung weder zugunsten noch zulasten des Klägers möglich ist.
Mit Blick auf die deutsche Staatsangehörigkeit der zur Kernfamilie zählenden Geschwister des Klägers fehlen bereits Feststellungen, ob diesen ein dauerhafter Aufenthalt in Gambia tatsächlich möglich ist. Dies setzt voraus, dass sie entweder ebenfalls die gambische Staatsangehörigkeit besitzen oder sonst ein Recht auf Einreise und Aufenthalt bei einer Rückkehr der Eltern nach Gambia hätten. Hierzu hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen. Nach dem von der Beklagten vorgelegten Auszug aus der Gambischen Verfassung spricht zwar viel dafür, dass die Geschwister - wie vom Verwaltungsgericht angenommen - neben der deutschen auch die gambische Staatsangehörigkeit erworben haben. Da die Auslegung und Anwendung ausländischen Rechts Teil der tatrichterlichen Sachverhaltsfeststellung ist, kann der Senat diese Frage aber nicht abschließend entscheiden.
Zudem fehlen Feststellungen dazu, ob den Geschwistern ein Verlassen des Bundesgebiets zumutbar ist. Sollte das nicht der Fall sein, bestünde zumindest in rechtlicher Hinsicht ein Hindernis. Allein die deutsche Staatsangehörigkeit begründet allerdings für sich genommen noch keine Unzumutbarkeit. Gehören einer familiären Lebensgemeinschaft deutsche Staatsangehörige an, besteht aber besonderer Anlass zur Prüfung, ob diesen ein Verlassen Deutschlands zuzumuten ist. Bei minderjährigen deutschen Kindern, die bei einem Elternteil leben, kann sich eine Unzumutbarkeit beispielsweise aus ihren Beziehungen zum anderen - in Deutschland verbleibenden - Elternteil ergeben (BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320 m.w.N.). Mit zunehmendem Alter können bei minderjährigen deutschen Kindern auch sonstige schutzwürdige Bindungen an hier lebende Personen eine Unzumutbarkeit begründen. Außerdem ist zu berücksichtigen, für welchen Zeitraum und unter welchen Bedingungen sie im Ausland aufwachsen würden und ob hierdurch eine spätere Reintegration in die hiesigen Lebensverhältnisse unmöglich oder wesentlich erschwert würde.
Schließlich fehlen auch in Bezug auf das Wohl des Klägers und dessen Interesse an einem Aufwachsen zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern hinreichend tragfähige Feststellungen. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger werde bei einem weiteren Aufenthalt in Gambia in seiner Entwicklung nicht beeinträchtigt, beruht nicht auf festgestellten Tatsachen und setzt sich insbesondere nicht mit dem Vorbringen des Klägers auseinander, seine Versorgung in Gambia durch die Großmutter sei nicht mehr sichergestellt.
cc) Unabhängig von der in tatsächlicher Hinsicht nicht hinreichend aufgeklärten Frage, ob dem Begehren des Klägers aus Gründen höherrangigen oder vorrangig anzuwendenden Rechts die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts nicht entgegensteht, stellt sich die Entscheidung des Berufungsgerichts aber schon aus anderen Gründen im Ergebnis als unrichtig dar. Denn eine Ausnahme vom Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ist hier jedenfalls aufgrund atypischer Umstände anzunehmen, die darauf beruhen, dass die Kernfamilie des Klägers bereits ihren rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland hat und deutsche Staatsangehörige umfasst. Diese Umstände sind so bedeutsam, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen (Urteil vom 16. August 2011 - BVerwG 1 C 12.10 - Buchholz 402.242 § 28 AufenthG Nr. 2 Rn. 17). Auf dieser Grundlage kann der Senat abschließend entscheiden, ohne dass es weiterer Sachverhaltsaufklärung bedarf.
Der Normzweck des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besteht darin, neue Belastungen für die öffentlichen Haushalte durch die Erteilung von Aufenthaltstiteln zu vermeiden. Dabei handelt es sich um eine Erteilungsvoraussetzung von grundlegendem staatlichem Interesse (BTDrucks 15/420 S. 70). Diese gilt aber nur in der Regel. In dem hier vorliegenden Fall stehen die mit dem Regelerfordernis verfolgten fiskalischen Interessen in einem Spannungsverhältnis mit den Belangen der Familie. Denn der Kläger hat ein schützenswertes Interesse, zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern aufzuwachsen, und seine deutschen Geschwister haben ein schützenswertes Interesse, dass diese Lebensgemeinschaft in Deutschland geführt werden kann. Dieses Spannungsverhältnis hat der Gesetzgeber beim Familiennachzug zu Deutschen dahin aufgelöst, dass - über zwingende verfassungs- oder völkerrechtlichen Vorgaben hinaus - sowohl das ausländische minderjährige ledige Kind eines Deutschen als auch der ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis haben (§ 28 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 Nr. 2 und 3 AufenthG). Auch dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen soll eine Aufenthaltserlaubnis in der Regel abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erteilt werden (§ 28 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Satz 1 Nr. 1 AufenthG). Diese den Familiennachzug begünstigenden einfachgesetzlichen Regelungen sind hier weder unmittelbar noch analog anzuwenden, da kein Nachzug zu einem Deutschen erfolgt. Ihnen kann aber der allgemeine Rechtsgedanke entnommen werden, dass beim Nachzug in eine Familie, der ein deutscher Staatsangehöriger angehört, dem fiskalischen Interesse ein geringeres Gewicht zukommt als beim Nachzug in eine rein ausländische Familie. Diese Wertung ist auch bei der Frage, ob im vorliegenden Fall besondere atypische Umstände eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG rechtfertigen, zu berücksichtigen. Dies führt allerdings nicht dazu, dass allein die Tatsache, dass einer Kernfamilie ein oder - wie hier - mehrere minderjährige deutsche Kinder angehören, bereits ein Absehen vom Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung rechtfertigt. Hierzu bedarf es vielmehr des Hinzutretens weiterer Umstände, die bei einer wertenden Gesamtschau das ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG beseitigen. Von einem derartigen Ausnahmefall ist nach Auffassung des Senats hier auszugehen. Ausschlaggebend dafür sind folgende Umstände:
(1) Der Nachzug erfolgt in eine Kernfamilie, die bei einer qualitativen Betrachtung aller für die Bestimmung des Lebensmittelpunkts maßgeblichen Umstände ihren Schwerpunkt in Deutschland hat. Die Eltern des Klägers haben sich dauerhaft im Bundesgebiet niedergelassen und sind im Besitz einer Niederlassungs- bzw. Aufenthaltserlaubnis. Der Vater lebt seit 1995 hier, die Mutter seit 2006. Alle Geschwister sind in Deutschland geboren und aufgewachsen. Der Kläger ist das einzige Mitglied der Kernfamilie, das außerhalb Deutschlands lebt. Mit seinem Nachzug würde allen Mitgliedern der Kernfamilie ein Zusammenleben ermöglicht.
(2) Der Kläger war im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erst 12 Jahre alt. Bis zu diesem Lebensalter besteht ein gesteigerter Schutz- und Betreuungsbedarf und sind Kinder in besonderem Maße auf ein Aufwachsen in der Kernfamilie angewiesen, so dass ein Zusammenleben regelmäßig dem Wohl des nachzugswilligen Kindes entspricht.
(3) Dass die Eltern des Klägers nach Auffassung des Berufungsgerichts und der Beklagten keine hinreichenden Bemühungen entfaltet haben, um den Lebensunterhalts der Familie aus eigenen Kräften zu sichern, steht wegen des hier geringeren Gewichts fiskalischer Belange einer Ausnahme nicht entgegen. Ausreichend ist, dass gegen sie - von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung unstreitig gestellt - keinerlei Sanktionen wegen Verletzung ihrer sozialrechtlichen Verpflichtungen nach §§ 31 ff. SGB II verhängt worden sind.
2.3 Der Kläger erfüllt schließlich auch die allgemeinen Nachzugsvoraussetzungen der §§ 27 und 29 AufenthG. Die Erteilung eines Visums hängt insbesondere nicht nach § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG von einer Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde ab. Nach dieser Vorschrift kann die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug versagt werden, wenn derjenige, zu dem der Familiennachzug stattfindet, für den Unterhalt von anderen Familienangehörigen oder anderen Haushaltsangehörigen auf Leistungen nach dem SGB II oder XII angewiesen ist. Liegt - wie hier - hinsichtlich der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ein Ausnahmefall vor, mit der Folge, dass der Lebensunterhalt des Nachziehenden nicht gesichert sein muss, reduziert sich damit zugleich das der Ausländerbehörde nach § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eröffnete Versagungsermessen zugunsten des Ausländers auf Null. Denn durch die Regelung soll dem Schutz der öffentlichen Kassen auch in Fällen Rechnung getragen werden können, in denen durch den Zuzug von Familienangehörigen die Sicherung des Lebensunterhalts für Personen in Frage gestellt wird, denen der Unterhaltsverpflichtete, zu dem der Zuzug stattfindet, bisher Unterhalt geleistet hat, weil nunmehr vorrangig den hinzukommenden Familienangehörigen Unterhalt gewährt wird (BTDrucks 15/420 S. 81). Bei der Interessenabwägung ist daher maßgeblich zu berücksichtigen, in welchem Umfang der Nachzug in Bezug auf andere Personen zu einer stärkeren Belastung der Sozialsysteme führt. Dies ist hier nicht der Fall, denn der Nachzug des Klägers führt zu keiner Erhöhung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für seine Eltern und Geschwister.
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http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-WBRE410019740&psml=bsjrsprod.psml&max=true
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019741
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BVerwG
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10. Senat
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20130613
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10 C 13/12
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Urteil
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§ 58 Abs 1a AufenthG 2004, § 60 Abs 2 AufenthG 2004, § 60 Abs 5 AufenthG 2004, § 60 Abs 7 S 1 AufenthG 2004, § 60 Abs 7 S 3 AufenthG 2004, § 60a AufenthG 2004, § 53 Abs 4 AuslG 1990, § 31 Abs 3 AsylVfG 1992, Art 3 MRK, Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 2 GG, Art 3 Abs 1 UNKRÜbk, Art 10 Abs 2 EGRL 115/2008, § 137 Abs 2 VwGO
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vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 27. April 2012, Az: A 11 S 3392/11, Urteil vorgehend VG Stuttgart, 11. Oktober 2011, Az: A 6 K 1088/11
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DEU
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Abschiebungsschutz für unbegleitete Minderjährige aus Afghanistan; Berücksichtigung neuer Tatsachen im Revisionsverfahren
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1. Das in § 58 Abs. 1a AufenthG (juris: AufenthG 2004) enthaltene Vollstreckungshindernis für die Abschiebung unbegleiteter minderjähriger Ausländer vermittelt den Betroffenen gleichwertigen Schutz vor Abschiebung wie nationaler Abschiebungsschutz oder ein Abschiebestopp-Erlass und steht daher der Überwindung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG im Wege der verfassungskonformen Auslegung entgegen.
2. Die konkrete Möglichkeit der Übergabe an eine der in § 58 Abs. 1a AufenthG genannten Personen oder Stellen, von der sich die Ausländerbehörde vor der Abschiebung eines unbegleiteten Minderjährigen zu vergewissern hat, muss zur Überzeugungsgewissheit der Behörde bzw. des Gerichts feststehen.
3. Sobald die Ausländerbehörde von einem Wegfall des Vollstreckungshindernisses nach § 58 Abs. 1a AufenthG ausgeht, hat sie dies dem betroffenen Ausländer mitzuteilen, um ihm die Möglichkeit zu geben, um Rechtsschutz nachzusuchen.
4. Das nationale Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG berücksichtigt nicht nur Gefahren für Leib und Leben, die seitens eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohen (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung zu § 53 Abs. 4 AuslG 1990 und Angleichung an die neue Rechtsprechung des EGMR).
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Der Kläger, ein unbegleiteter Minderjähriger, erstrebt Abschiebungsschutz wegen Gefahren, die ihm in Afghanistan drohen.
Der am 1. März 1995 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste im August 2010 allein in die Bundesrepublik Deutschland ein. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - lehnte seinen Asylantrag mit Bescheid vom 15. März 2011 ab, stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte wegen der katastrophalen Versorgungslage im Heimatland des Klägers zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistans verpflichtet. Im Übrigen hat es das Verfahren eingestellt, nachdem die Klage hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zurückgenommen worden war.
Mit Urteil vom 27. April 2012 hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Er hat seine Entscheidung damit begründet, dass nach rechtskräftiger Entscheidung des Verwaltungsgerichts über § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur noch über den nationalen Abschiebungsschutz zu befinden sei. Bezüglich § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK sei die weitergehende und "unionsrechtlich aufgeladene" Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen. Zugunsten des Klägers als unbegleitetem Minderjährigen bestehe aber ein nationales Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung. Zwar seien allgemeine Gefahren gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG im Rahmen von - hier nicht vorliegenden - Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Diese Sperrwirkung werde aber unter Berücksichtigung der Schutzwirkungen der Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG überwunden, wenn der Ausländer in seinem Heimatland landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr ausgesetzt wäre, so dass er "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert" würde. Diese Voraussetzungen seien im Falle des minderjährigen Klägers gegeben. Denn bei unbegleiteten Kindern und Jugendlichen ohne Verwandte oder Bekannte in Afghanistan könne nicht davon ausgegangen werden, dass diese insbesondere in einer Großstadt wie Kabul eine Tageslohnarbeit fänden und sich damit notdürftig ernähren könnten. Vor dem Eintritt solcher Extremgefahren schützten auch nicht außerhalb Afghanistans lebende Familienangehörige. Selbst wenn mittlerweile Überweisungen aus Deutschland auf afghanische Konten ausgeführt werden könnten, verfüge der Kläger über keine Bankverbindung in Afghanistan und könnte sich eine solche auch nicht mit hinreichender Sicherheit verschaffen. Ausreichenden Schutz vor Extremgefahren entfalte schließlich auch nicht die Regelung des § 58 Abs. 1a AufenthG. Diese Norm, die Art. 10 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie umsetze, greife - strikt einzelfallbezogen - erst auf der Vollstreckungsebene. Als Schutznorm für Minderjährige könne sie im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht als Anspruchsausschluss gelesen werden. Ansonsten würden Kinder und Jugendliche wegen einer speziell sie schützenden Norm keinen Abschiebungsschutz (und entsprechenden Aufenthaltsstatus) erlangen. Zudem sei heute nicht absehbar, welche Ausländerbehörde für eine zukünftige Abschiebung des Minderjährigen zuständig sei. Solange weder die handelnde Behörde noch die Empfangsperson bzw. die aufnehmende Einrichtung im Abschiebungszielstaat feststehe, schütze allein die gesetzliche Regelung des § 58 Abs. 1a AufenthG Kinder und Jugendliche nicht hinreichend vor einer aktuell bestehenden Extremgefahr.
Die Beklagte rügt mit der Revision die mangelnde Tragfähigkeit der Gefahrenprognose des Berufungsgerichts. Zudem liege seit Einführung des § 58 Abs. 1a AufenthG für unbegleitete minderjährige Ausländer jedenfalls dann keine planwidrige Schutzlücke vor, wenn deren Rückkehrgefährdung maßgeblich auf dem Fehlen eines aufnahmebereiten Umfelds beruhe. Denn der durch diese gesetzliche Vorschrift vermittelte Schutz sei stärker als der eines Erlasses als bloßer Verwaltungsvorschrift.
Der Kläger tritt dem entgegen und macht geltend, dass er ohne Zuerkennung von Abschiebungsschutz jederzeit abgeschoben werden dürfe. § 58 Abs. 1a AufenthG vermittele keinen gleichwertigen Abschiebungsschutz, da der Vorbehalt einer aufnahmebereiten Einrichtung oder Person den Schutz von einer weiteren Einzelfallprüfung seitens der Ausländerbehörde abhängig mache. Die Auffassung der Beklagten verkehre die als Schutznorm für Kinder aufgenommene Bestimmung in ihr Gegenteil. Zudem seien nach Art. 3 Kinderrechtskonvention - KRK - die Behörden - und damit auch die Beklagte - verpflichtet, bei allen Regelungen das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen, wobei u.a. nach Art. 24 Abs. 1 KRK einem Minderjährigen das "erreichbare Höchstmaß an Gesundheit" zu gewähren sei.
Der Vertreter des Bundesinteresses hält die Revision für begründet.
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Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof hat dem Kläger zu Unrecht nationalen Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG zugesprochen. Dabei hat er insbesondere verkannt, dass § 58 Abs. 1a AufenthG unbegleiteten Minderjährigen einen gleichwertigen anderweitigen Abschiebungsschutz vermittelt (1.). Des Weiteren hat das Berufungsgericht das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht geprüft (2.). Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil nicht selbst abschließend über die Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden vermag, ist das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der Prüfung nationalen Abschiebungsschutzes (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 und 3 AufenthG) im Rahmen der Entscheidung über ein Asylbegehren ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- und Asylrecht Nr. 22, jeweils Rn. 10). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte. Maßgeblich ist daher für das Revisionsverfahren das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Dadurch haben sich jedoch die entscheidungserheblichen Vorschriften nicht geändert.
Den Umstand, dass der Kläger - aufgrund seines vom Berufungsgericht festgestellten Geburtstags am 1. März 1995 - im Laufe des Revisionsverfahrens das 18. Lebensjahr vollendet hat und damit volljährig geworden ist, hat der Senat bei der Prüfung der angefochtenen Entscheidung unberücksichtigt gelassen. Denn auch eine durch reinen Zeitablauf eingetretene Veränderung der tatsächlichen Umstände stellt sich revisionsrechtlich als eine neue Tatsache dar, die vom Revisionsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO grundsätzlich unberücksichtigt bleibt (Urteil vom 29. Juli 1985 - BVerwG 1 C 24.84 - Buchholz 402.24 § 2 AuslG Nr. 71 S. 184 <188 f.> = DVBl 1986, 108). Allerdings hat die Rechtsprechung aus Gründen der Prozessökonomie Ausnahmen von diesem Grundsatz zugelassen, wenn u.a. die Berücksichtigung der neuen Tatsache dem Revisionsgericht eine abschließende Entscheidung in der Sache ermöglicht (vgl. Urteile vom 28. Januar 1971 - BVerwG 8 C 90.70 - BVerwGE 37, 151 <154 f.> = Buchholz 448.0 § 12 WPflG Nr. 50 S. 77 <79> und vom 19. Oktober 1982 - BVerwG 1 C 29.79 - BVerwGE 66, 192 <198> = Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 201 S. 26 <31 f.>). Da der Rechtsstreit hier aber aus anderen Gründen (s.u. 3.) zurückzuverweisen ist, liegt dieser Ausnahmefall nicht vor und ist der revisionsgerichtlichen Prüfung der Berufungsentscheidung die Sachlage im Zeitpunkt des Schlusses der Berufungsverhandlung zugrunde zu legen.
1. Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung mit einer Begründung bejaht, die revisionsgerichtlicher Überprüfung aus mehreren Gründen nicht standhält. Nach diesen Vorschriften soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
1.1 Das Berufungsgericht hat das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auf die unzureichende Versorgungslage in Afghanistan gestützt. Damit hat es keine individuellen, nur dem Kläger drohenden, sondern allgemeine Gefahren festgestellt, denen alle Minderjährigen in Afghanistan ohne die Möglichkeit des Beistands durch Verwandte oder Bekannte ausgesetzt sind.
1.2 In Baden-Württemberg besteht nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs kein Abschiebestopp-Erlass für afghanische Staatsangehörige. Trotzdem können allgemeine Gefahren aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG grundsätzlich kein Abschiebungsverbot nach Satz 1 der Vorschrift rechtfertigen. Mit dieser Regelung soll nach dem Willen des Gesetzgebers erreicht werden, dass dann, wenn eine bestimmte Gefahr der ganzen Bevölkerung bzw. Bevölkerungsgruppe im Zielstaat gleichermaßen droht, über deren Aufnahme oder Nichtaufnahme nicht im Einzelfall durch das Bundesamt und die Ausländerbehörde, sondern für die ganze Gruppe der potenziell Betroffenen einheitlich durch eine politische Leitentscheidung des Innenministeriums im Wege des § 60a AufenthG befunden wird (Urteile vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 <327> = Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 1 S. 3; vom 29. März 1996 - BVerwG 9 C 116.95 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 3 und vom 27. April 1998 - BVerwG 9 C 13.97 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 12 = NVwZ 1998, 973). Diese Entscheidung des Bundesgesetzgebers haben die Verwaltungsgerichte aus Gründen der Gewaltenteilung zu respektieren. Sie dürfen daher im Einzelfall Ausländern, die einer gefährdeten Gruppe angehören, für die - wie hier - kein Abschiebestopp besteht, nur dann ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG zusprechen, wenn dies zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke erforderlich ist (Urteile vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 32 m.w.N. und vom 8. September 2011 - BVerwG 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 = Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 44, jeweils Rn. 11 und 20).
1.2.1 Eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht nicht, wenn der Betroffene die Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG beanspruchen kann (Urteil vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226 = Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 41, jeweils Rn. 12; zum dann bestehenden Anwendungsvorrang des Unionsrechts gegenüber § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG: Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 30 ff.). Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht jedoch das Begehren des Klägers auf Zuerkennung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes bereits rechtskräftig abgelehnt.
1.2.2 Mangels verfassungswidriger Schutzlücke bedarf es auch dann keiner Überwindung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG im Wege der nur subsidiär zulässigen verfassungskonformen Auslegung, wenn eine ausländerrechtliche Erlasslage - auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 60a AufenthG - oder eine aus individuellen Gründen erteilte Duldung dem betroffenen Ausländer einen vergleichbar wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt. Maßgeblich ist bei der Vergleichbarkeitsprüfung aus der Schutzperspektive der Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG nur, dass gleichwertiger Schutz vor Abschiebung tatsächlich besteht (Urteil vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 379 <381 ff.> = Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 50 S. 81 ff.). Ohne Bedeutung sind demgegenüber ausländerrechtliche Folgewirkungen mit Blick auf die gesetzliche Ausgestaltung des Aufenthaltsstatus, der an den Abschiebungsschutz anknüpft, oder hiermit verbundene soziale Rechte. Denn die Gewährung eines Aufenthaltsrechts und die Möglichkeit seiner Verfestigung gehören nicht zu dem verfassungsrechtlich mit Rücksicht auf Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG gebotenen Schutz vor Abschiebung in eine unmittelbar drohende extreme Gefahrensituation (Beschlüsse vom 17. September 2005 - BVerwG 1 B 13.05 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 2 und vom 23. August 2006 - BVerwG 1 B 60.06 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 19). Es widerspräche allerdings dem Schutzkonzept des Asylverfahrens- und Aufenthaltsgesetzes, dem Asylbewerber mit Verweis auf noch unentschiedene sonstige Bleiberechte, nur möglicherweise gegebene Duldungsansprüche oder wegen eines vorübergehenden faktischen Vollstreckungshindernisses (z.B. ausgelaufener Reisepass) die Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung zu versagen (Urteil vom 12. Juli 2001 a.a.O. S. 386 bzw. S. 85).
1.2.3 Nach diesen Grundsätzen vermittelt § 58 Abs. 1a AufenthG im für die Beurteilung der Sachlage maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsverhandlung dem Kläger als unbegleitetem Minderjährigen gleichwertigen Schutz vor Abschiebung, so dass er keinen Abschiebungsschutz vor allgemeinen Gefahren in Afghanistan im Wege der verfassungskonformen Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG beanspruchen kann.
Gemäß § 58 Abs. 1a AufenthG hat sich die Behörde vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird. Mit dieser Regelung, die durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) in das Aufenthaltsgesetz eingefügt worden ist, hat der Gesetzgeber Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl EU Nr. L 348 vom 24. Dezember 2008 S. 98) - Rückführungsrichtlinie - umgesetzt (BTDrucks 17/5470 S. 24). § 58 Abs. 1a AufenthG wirkt, solange sich die Ausländerbehörde nicht von der konkreten Möglichkeit der Übergabe des minderjährigen Ausländers an eine in der Vorschrift genannte Person oder Einrichtung vergewissert hat, systematisch als rechtliches Vollstreckungshindernis im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG mit dilatorischer Wirkung. Denn § 58 Abs. 1a AufenthG ist keiner gesonderten Feststellung durch das Bundesamt gemäß § 31 Abs. 3 AsylVfG zugänglich wie die dort genannten Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2 bis 5 oder Abs. 7 AufenthG. Auch hat das Bundesamt im Rahmen der Abschiebungsandrohung die Voraussetzungen des § 58 Abs. 1a AufenthG nicht zu prüfen. Auf die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung wirkt sich das Vollstreckungshindernis des § 58 Abs. 1a AufenthG nicht aus.
Der Senat entnimmt dem Wortlaut der Vorschrift ("... hat sich die Behörde zu vergewissern, dass ... übergeben wird.") strenge Anforderungen. Die Ausländerbehörden - und ggf. die Verwaltungsgerichte - müssen sich in jedem Einzelfall die Überzeugungsgewissheit davon verschaffen, dass die Übergabe des unbegleiteten Minderjährigen an eine in der Vorschrift genannte Person oder Einrichtung nicht nur möglich ist, sondern tatsächlich auch erfolgen wird (konkrete Möglichkeit der Übergabe). Dieser Befund der Wortlautauslegung wird durch die Materialien zur Genese der Rückführungsrichtlinie gestützt: So sah der ursprüngliche Kommissionsvorschlag vom 1. September 2005 <KOM(2005) 391 endgültig - 2005/0167 (COD)> in Art. 8 Abs. 2 Buchst. c des Richtlinienentwurfs folgende Regelung vor:
"Artikel 8
Vertagung
1. ...
2. Die Mitgliedstaaten vollstrecken eine Abschiebungsanordnung in folgenden Fällen solange nicht, wie folgende Umstände vorliegen:
a) ...
b) ...
c) unzureichende Gewähr dafür, dass unbegleitete Minderjährige am Ausreiseort oder bei der Ankunft im Rückkehrland einem Familienangehörigen, einem gleichwertigen Vertreter, zum Beispiel einem Vormund des Minderjährigen, oder einem zuständigen Beamten des Rückkehrlandes nach Prüfung der Bedingungen, die die Minderjährigen vor Ort erwarten, übergeben werden können."
Der nunmehrige Wortlaut des Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG orientiert sich, wie der Hinweis der Kommission im Ratsdokument vom 15. Februar 2008 - 6541/08 ADD 1 - auf S. 18 in Fn. 47 erhellt, an der Formulierung der Leitlinie 2 Abs. 5 Satz 2 der "Zwanzig Leitlinien zur Frage der erzwungenen Rückkehr" (Twenty guidelines on forced return) des Ministerkomitees des Europarats vom 4. Mai 2005 <CM(2005)40 final>, auf die der 3. Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/115/EG Bezug nimmt:
"Guideline 2. Adoption of the removal order
1. - 4. ...
5. Before deciding to issue a removal order in respect of a separated child, assistance - in particular legal assistance - should be granted with due consideration given to the best interest of the child. Before removing such a child from its territory, the authorities of the host state should be satisfied that he/she will be returned to a member of his/her family, a nominated guardian or adequate reception facilities in the state of return."
Aus der Entstehungsgeschichte des Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG wird deutlich, dass die abstrakte Möglichkeit einer Übergabe des unbegleiteten minderjährigen Ausländers z.B. an Verwandte, die sich im Herkunftsland aufhalten und deren Aufenthaltsort nach der Ankunft erst noch ermittelt werden muss, nicht ausreicht. § 58 Abs. 1a AufenthG verpflichtet die Ausländerbehörde vielmehr, sich vor Durchführung jeder Abschiebung z.B. durch Einschaltung des Bundesamts oder der Botschaften und Konsulate vor Ort positiv davon zu vergewissern, dass eine Übergabe an konkret benannte Personen bzw. Stellen tatsächlich vollzogen wird. Nur dann entfällt das gesetzliche Vollstreckungshindernis für eine Abschiebung. War in Asylstreitigkeiten die Betreuungsmöglichkeit eines unbegleiteten Minderjährigen z.B. durch Verwandte bisher lediglich bei der Gefahrenprognose als Wahrscheinlichkeitsurteil zu berücksichtigen, ist die konkrete Möglichkeit der Übergabe an zu bezeichnende Personen oder Stellen durch § 58 Abs. 1a AufenthG nunmehr zu einer eigenständigen Vollzugsvoraussetzung der Abschiebung geworden, die zur Überzeugungsgewissheit der Behörden bzw. Gerichte feststehen muss. Dadurch hat sich der Schutz vor Abschiebung für unbegleitete Minderjährige erheblich verbessert.
Der unbegleitete Minderjährige hat auch ausreichende Möglichkeiten, in Fällen, in denen die Ausländerbehörde der Auffassung ist, dass § 58 Abs. 1a AufenthG einer Abschiebung nicht (mehr) entgegensteht, diese Entscheidung einer gerichtlichen Überprüfung zuzuführen oder beim Bundesamt ein Folgeschutzgesuch anzubringen. Denn die Ausländerbehörde hat ihm (bzw. seinem gesetzlichen Vertreter) das Ergebnis ihrer Ermittlungen mitzuteilen, wenn sie sich von der konkreten Möglichkeit der Übergabe vergewissert hat. Dieser kann dann gegen die damit einhergehende Entscheidung der Ausländerbehörde, die Abschiebung nicht (länger) gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG auszusetzen oder die Duldung gemäß § 60a Abs. 5 Satz 2 AufenthG zu widerrufen, um Rechtsschutz nachsuchen. War die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen (§ 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG). Darüber hinaus hat der Betroffene bei Gefahren, die ihm in seinem Herkunftsland unabhängig von der Übergabe an seine Familie oder eine geeignete Einrichtung drohen, die Möglichkeit, nunmehr ein ggf. auf die Zuerkennung von nationalem Abschiebungsschutz beschränktes Folgeschutzgesuch zu stellen und sein Abschiebungsschutzbegehren erneut vor dem Bundesamt zur Prüfung zu stellen (vgl. Urteile vom 17. Oktober 2006 - BVerwG 1 C 18.05 - BVerwGE 127, 33 = Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 21, jeweils Rn. 24 und vom 20. Oktober 2004 - BVerwG 1 C 15.03 - BVerwGE 122, 103 = Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 82). Denn infolge des Wegfalls des durch § 58 Abs. 1a AufenthG vermittelten Schutzes hat sich die Sachlage geändert. Die Überwindung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG im Wege der verfassungskonformen Auslegung ist jetzt nicht mehr von vornherein ausgeschlossen.
Diese materiellen und verfahrensrechtlichen Sicherungen vermitteln einem unbegleiteten minderjährigen Ausländer seit Inkrafttreten des § 58 Abs. 1a AufenthG gleichwertigen Schutz vor Abschiebung wie der begehrte nationale Abschiebungsschutz aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder ein Abschiebestopp-Erlass. Die dagegen erhobenen Einwände greifen nicht durch. Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, solange weder die für eine Abschiebung zuständige Ausländerbehörde noch die Empfangsperson bzw. die Aufnahmeeinrichtung im Abschiebungszielstaat feststehe, vermittele § 58 Abs. 1a AufenthG unbegleiteten Minderjährigen keinen Schutz vor einer aktuell bestehenden Extremgefahr, geht fehl. Es verhält sich genau umgekehrt: Bis zu einer positiven Klärung der konkreten Übergabemöglichkeit durch die zuständige Ausländerbehörde besteht kraft Gesetzes Schutz vor Abschiebung. Der teleologische Einwand, § 58 Abs. 1a AufenthG als Vollstreckungshindernis dürfe im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht als Anspruchsausschluss gelesen werden, da andernfalls Kinder und Jugendliche wegen einer speziell auf sie zugeschnittenen Schutznorm keinen Abschiebungsschutz (und entsprechenden Aufenthaltsstatus) erlangen könnten, lässt die hohen Hürden für die Überwindung der in § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG angeordneten Sperrwirkung im Wege der verfassungskonformen Auslegung außer Betracht. Für die Gleichwertigkeit des Schutzes vor Abschiebung ist aus der maßgeblichen verfassungsrechtlichen Schutzperspektive des Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG die ausländerrechtliche Ausgestaltung des Aufenthaltsstatus, der an den begehrten Abschiebungsschutz anknüpft, und hieran anknüpfende Folgerechte ohne Bedeutung (s.o. unter 1.2.2). Aus den gleichen Gründen verhilft dem Kläger auch die Berufung auf das Übereinkommen über die Rechte des Kindes - UN Kinderrechtskonvention (KRK) vom 20. November 1989 (BGBl 1992 II S. 121, 990), das nach Rücknahme der Vorbehaltserklärung durch die Bundesrepublik Deutschland (BGBl 2011 II S. 600) nunmehr auch in Deutschland unmittelbar gilt, nicht zum Erfolg. Denn Art. 3 Abs. 1 KRK, wonach das Wohl des Kindes bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, ein vorrangig zu berücksichtigender Gesichtspunkt ist, hat die Ausländerbehörde u.a. bei der Beurteilung der Eignung einer Aufnahmeeinrichtung im Sinne des § 58 Abs. 1a AufenthG zu beachten. Wird im Interesse des Kindeswohls nach § 58 Abs. 1a AufenthG seitens der Ausländerbehörde wirksamer Vollstreckungsschutz gewährt, stellt sich die Frage der Gleichwertigkeit mit einem Schutz vor Abschiebung durch das Bundesamt, der sich allein mit Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke rechtfertigen lässt, nicht mehr.
1.3 Im Übrigen beruht die Annahme einer Extremgefahr für den Kläger als unbegleitetem Minderjährigen auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage. Die Ausführungen des Berufungsgerichts, vor dem Eintritt solcher Extremgefahren schützten auch nicht außerhalb Afghanistans lebende Familienangehörige, denn selbst wenn es zutreffe, dass mittlerweile Überweisungen aus Deutschland auf afghanische Konten ausgeführt werden könnten, verfüge der Kläger über keine Bankverbindung in Afghanistan und könnte sich eine solche auch nicht mit hinreichender Sicherheit verschaffen (UA S. 15), genügen nicht den Anforderungen an die tatrichterliche Prognose einer Extremgefahr (vgl. dazu die Urteile vom 8. September 2011 - BVerwG 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 = Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 44, jeweils Rn. 22 ff. und vom 29. September 2011 - BVerwG 10 C 24.10 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 41 Rn. 20 ff.). Die Beklagte rügt zu Recht, dass die Annahme einer Extremgefahr für den im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung 17 Jahre alten Kläger aufgrund der verwerteten Quellenlage und der Ausführungen des Berufungsgerichts in der angefochtenen Entscheidung unzureichend begründet ist.
2. Das Berufungsurteil verletzt ferner Bundesrecht, weil der Verwaltungsgerichtshof § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht geprüft hat. Der Annahme, die weitergehende und unionsrechtlich aufgeladene Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG sei vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen (UA S. 6), folgt der Senat nicht. Denn das unionsrechtliche Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG steht rechtlich selbstständig neben dem nationalen Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG; zwischen den Vorschriften besteht kein verdrängendes Spezialitätsverhältnis (Urteil vom 31. Januar 2013 - BVerwG 10 C 15.12 - juris Rn. 36, zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen). Daher hätte das Berufungsgericht das Bestehen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK im Hinblick auf zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse (vgl. Urteil vom 11. November 1997 - BVerwG 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322 <324 ff.> = Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 9 S. 48 zu § 53 Abs. 4 AuslG) prüfen müssen.
3. Da der Senat mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen zu § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK und zum Vorliegen einer individuellen Gefahr gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG weder positiv noch negativ abschließend über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes entscheiden kann, ist das Berufungsurteil aufzuheben und das Verfahren an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Das Berufungsgericht wird für den Kläger erneut eine Prognose zu individuellen und allgemeinen Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG auf aktueller Tatsachengrundlage - unter Berücksichtigung von dessen mittlerweile eingetretener Volljährigkeit - erstellen müssen. Mit Blick auf das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK weist der Senat darauf hin, dass der sachliche Schutzbereich weitgehend identisch mit dem unionsrechtlichen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG ist und über diesen, soweit Art. 3 EMRK in Rede steht, jedenfalls nicht hinausgeht (Urteil vom 31. Januar 2013 a.a.O. Rn. 36). Insoweit hält der Senat für das nationale Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK jedenfalls seit der Entscheidung des EGMR vom 28. Juni 2011 - Nr. 8319/07, Sufi und Elmi - NVwZ 2012, 681 nicht länger an der zu § 53 Abs. 4 AuslG 1990 vertretenen Auffassung fest, dass die Vorschrift nur Gefahren für Leib und Leben berücksichtigt, die seitens eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohen (so noch Urteile vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 15.95 - BVerwGE 99, 331 <335> = Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 2 S. 9; vom 15. April 1997 - BVerwG 9 C 38.96 - BVerwGE 104, 265 <269 ff.> = Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 7 S. 31 ff. und vom 2. September 1997 - BVerwG 9 C 40.96 - BVerwGE 105, 187 <188 ff.> = Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 8 S. 41 ff.; zuletzt Beschluss vom 18. Dezember 2006 - BVerwG 1 B 53.06 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 26 Rn. 7).
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Deutschland
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BMJV
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public
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WBRE410019742
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BVerwG
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8. Senat
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20130516
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8 C 41/12
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Urteil
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vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 17. Februar 2012, Az: 10 BV 11.483, Urteil vorgehend VG Ansbach, 30. Januar 2007, Az: AN 4 K 06.01769, Urteil
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DEU
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1. Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten glücksspielrechtlichen Untersagung wegen Ermessensfehlern ist nicht mit einem Präjudizinteresse wegen der beabsichtigten Geltendmachung von Amtshaftungs- oder unionsrechtlichen Staatshaftungsansprüchen zu begründen, wenn nicht auszuschließen ist, dass die Untersagung auch bei fehlerfreier Ermessensausübung ergangen wäre.
2. Weder aus der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG noch aus der Gewährleistung eines wirksamen Rechtsbehelfs nach Art. 47 GRC (juris: EUGrdRCh) folgt ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse bei jedem erledigten, tiefgreifenden Eingriff in (benannte) Grundrechte oder in unionsrechtliche Grundfreiheiten. Ein solches Interesse kann nur bestehen, wenn die begehrte Feststellung die Position des Klägers verbessern kann oder wenn Eingriffe dieser Art sich typischerweise so kurzfristig endgültig erledigen, dass sie sonst nicht gerichtlich in einem Hauptsacheverfahren zu überprüfen wären.
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Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Untersagungsverfügung, mit der ihr die Veranstaltung, Durchführung und Vermittlung von Sportwetten verboten wurde.
In ihren beiden Geschäftslokalen A. ... und in der T.straße ... in N. vermittelte die Klägerin Sportwetten an die Firma T. mit Sitz in M., die dort über eine Lizenz zum Anbieten von Sportwetten verfügt. Die Beklagte untersagte der Klägerin mit sofort vollziehbarem Bescheid vom 3. Mai 2006 für beide Betriebsstätten, Sportwetten an in Bayern nicht erlaubte Wettunternehmen zu vermitteln, und forderte sie unter Androhung unmittelbaren Zwangs auf, die Tätigkeit mit Ablauf des 16. Mai 2006 einzustellen. Sie stützte die Untersagung auf § 7 Abs. 2 Nr. 1 LStV und führte aus, damit solle eine rechtswidrige Tat verhindert werden, die den Straftatbestand des § 284 Abs. 1 StGB verwirkliche. Die Vermittlung werde verboten, da es in Bayern nicht möglich sei, eine Erlaubnis zur Veranstaltung von Glücksspielen im Sinne des § 284 Abs. 1 StGB zu erhalten.
Die Klägerin hat fristgerecht Klage erhoben. Das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach hat mit Urteil vom 30. Januar 2007 die Zwangsmittelandrohung aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 18. Dezember 2008 zurückgewiesen und die Revision zugelassen, soweit sie die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung seit Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrages zum 1. Januar 2008 betrifft. Insoweit hat der Senat die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs mit Urteil vom 24. November 2010 - BVerwG 8 C 15.09 - aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Im nach der Zurückverweisung fortgesetzten Berufungsverfahren hat die Klägerin sinngemäß begehrt, das verwaltungsgerichtliche Urteil zu ändern, die Untersagungsverfügung der Beklagten im Bescheid vom 3. Mai 2006 mit Wirkung ex nunc aufzuheben und festzustellen, dass die Untersagungsverfügung im Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs rechtswidrig war. Sie hat geltend gemacht, das staatliche Sportwettenmonopol sei auch unter dem Glücksspielstaatsvertrag verfassungs- und unionsrechtswidrig. Auf den Erlaubnisvorbehalt des § 4 Abs. 1 GlüStV allein könne die angefochtene Untersagungsverfügung nicht gestützt werden. Die Ablehnung einer Erlaubnis zur Vermittlung von Sportwetten an die Firma T. mit Bescheid der Regierung der O. vom 11. April 2011 sei nicht bestandskräftig und beziehe sich ausschließlich auf die Vermittlung an einen Anbieter. Die Beklagte habe auch keine Feststellungen zur Erlaubnisunfähigkeit ihrer Tätigkeit getroffen. Außerdem sei ein nachträglicher Austausch der Ermessenserwägungen im gerichtlichen Verfahren unzulässig. Ihr könne schließlich nicht entgegengehalten werden, dass die Wettanbieterin bislang über keine Erlaubnis verfüge, da deren Erlaubnisverfahren durch immer neue Forderungen ohne gesetzliche Grundlage in die Länge gezogen werde.
Die Beklagte hat im Berufungsverfahren die Auffassung vertreten, der glücksspielrechtliche Erlaubnisvorbehalt werde durch die Unanwendbarkeit der Monopolregelung nicht berührt. Die Wettvermittlung dürfe bereits wegen formeller Illegalität unterbunden werden. Sie sei im Übrigen auch materiell nicht erlaubnisfähig. Außerdem verstoße das Angebot des Wettveranstalters gegen das Verbot von Zwischen- und Live-Wetten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 17. Februar 2012 das erstinstanzliche Urteil geändert, die Untersagungsverfügung der Beklagten im Bescheid vom 3. Mai 2006 aufgehoben und festgestellt, dass diese Verfügung im Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs rechtswidrig war. Zur Begründung hat er ausgeführt, die klageabweisende Entscheidung des Verwaltungsgerichts sei für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2007 rechtskräftig. Zu entscheiden sei nur noch über das Anfechtungsbegehren und den Fortsetzungsfeststellungsantrag für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum Ergehen des Berufungsurteils. Der in die Zukunft gerichtete Anfechtungsantrag sei begründet, weil die Untersagungsverfügung ermessensfehlerhaft sei. Sie stütze sich maßgeblich auf das staatliche Sportwettenmonopol, das seinerseits gegen Unionsrecht verstoße. Es schränke die Dienstleistungsfreiheit unverhältnismäßig ein, da es nicht den Anforderungen der Geeignetheit und dem daraus abzuleitenden Erfordernis der Kohärenz entspreche. Dass es irgendeinen Beitrag zur Verwirklichung der mit dem Monopol verfolgten Ziele leiste, reiche nicht aus. Zu fordern sei vielmehr ein glücksspielsektorenübergreifender, konzeptionell und inhaltlich aufeinander bezogener, systematischer Regelungszusammenhang, mit dem diese Ziele konsequent verfolgt würden. Daran fehle es im maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsentscheidung schon wegen der gegenläufigen Regelung des gewerblichen Automatenspiels. Die Expansionspolitik in diesem Bereich führe dazu, dass die Monopolziele der Suchtbekämpfung und des Spielerschutzes nicht mehr wirksam verfolgt werden könnten. Auf Interdependenzen zwischen den beiden Glücksspielsektoren komme es dabei nicht an. Bei einem derartig widersprüchlichen Regelungs- und Schutzkonzept sei nicht nur die Geeignetheit der Beschränkung in einem Teilsegment, sondern ihre Verhältnismäßigkeit insgesamt in den Blick zu nehmen.
Die Untersagungsverfügung könne auch nicht mit dem Hinweis auf die formelle Illegalität und die fehlende materielle Erlaubnisfähigkeit der Wettvermittlung aufrechterhalten werden. Eine vollständige Untersagung sei nur bei fehlender Erlaubnisfähigkeit gerechtfertigt. Außerdem stehe § 114 Satz 2 VwGO einer Berücksichtigung der nachgeschobenen Ermessenserwägungen entgegen. Diesen sei auch kein Neuerlass der Untersagungsverfügung unter konkludenter Rücknahme des Ausgangsbescheides zu entnehmen. Wegen der Rechtswidrigkeit der Untersagung könne die Zwangsgeldandrohung ebenfalls keinen Bestand haben.
Der Antrag, die Rechtswidrigkeit der Untersagung für die Vergangenheit festzustellen, sei zulässig und begründet. Ein berechtigtes Interesse der Klägerin an dieser Feststellung bestehe jedenfalls in Gestalt eines Rehabilitierungsinteresses. Dieses ergebe sich schon aus dem Vorwurf objektiv strafbaren Verhaltens. Im Übrigen sei ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse auch wegen des tiefgreifenden Eingriffs in die Berufsfreiheit zu bejahen, da andernfalls effektiver Rechtsschutz nicht gewährleistet sei. Auf das Vorliegen eines Präjudizinteresses komme es danach nicht an. Die Begründetheit des Fortsetzungsfeststellungsantrags ergebe sich aus den Urteilserwägungen zur Anfechtungsklage.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision macht die Beteiligte geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe zu Unrecht ein berechtigtes Feststellungsinteresse der Klägerin bejaht. Ein Rehabilitierungsinteresse scheide aus, da die Klägerin sich als juristische Person nicht strafbar machen könne. Die Untersagungsverfügung bewirke auch keinen tiefgreifenden Grundrechtseingriff, sondern erschöpfe sich in einer Berufsausübungsregelung. Materiell-rechtlich wende das Berufungsgericht das unionsrechtliche Kohärenzerfordernis unzutreffend an. Unabhängig davon werde die Untersagung auch von den nachgeschobenen Gründen getragen. Außerdem macht die Beteiligte Verfahrensmängel geltend.
Mit Schriftsatz vom 13. November 2012 hat die Beklagte erklärt, aus der angefochtenen Untersagungsverfügung ab dem 1. Juli 2012 keine Rechte mehr herzuleiten. Daraufhin haben die Hauptbeteiligten den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt.
Die Beteiligte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. Februar 2012 zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 30. Januar 2007 auch im Übrigen zurückzuweisen, soweit der Rechtsstreit noch nicht - in Bezug auf die Zeit seit dem 1. Juli 2012 - in der Hauptsache erledigt ist, sowie der Klägerin die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens insgesamt aufzuerlegen.
Die Beklagte schließt sich dem Revisionsvorbringen der Beteiligten an, ohne einen eigenen Antrag zu stellen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass anstelle der Aufhebung der Untersagungsverfügung deren Rechtswidrigkeit - auch - in der Zeit von der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs bis zum 30. Juni 2012 festgestellt wird, sowie die Kosten des Revisionsverfahrens insgesamt dem Freistaat Bayern aufzuerlegen.
Sie verteidigt das angegriffene Urteil und meint, der schwerwiegende Vorwurf unerlaubten Glücksspiels sei geeignet, ihr Ansehen im geschäftlichen Verkehr zu schädigen. Außerdem bestehe ein Feststellungsinteresse wegen des tiefgreifenden Eingriffs nicht nur in die Berufsfreiheit, sondern auch in unionsrechtliche Grundfreiheiten. Das Monopol habe faktisch als Berufsverbot gewirkt. Als dezidierte Gegnerin des Wettmonopols hätte sie praktisch keine Chance gehabt, eine Vermittlungserlaubnis der staatlichen Sportwette ODDSET zu erhalten. Sie hätte wegen § 25 Abs. 3 GlüStV noch nicht einmal selbst eine Vermittlungserlaubnis beantragen können, sondern wäre auf die gerichtlich nicht überprüfbare Auswahlentscheidung der staatlichen Lotterieverwaltung angewiesen gewesen. Die formelle Illegalität ihrer Tätigkeit könne ihr nicht entgegengehalten werden, weil ihr die Erlaubnis zur Vermittlung an private Wettanbieter unionsrechtswidrig vorenthalten worden sei. Ein Verneinen des Feststellungsinteresses entwerte ihren prozessualen Aufwand und bringe sie um die Früchte des mehr als vierjährigen Verfahrens. Materiell-rechtlich hält die Klägerin den Erlaubnisvorbehalt nach § 4 Abs. 1 GlüStV für unionsrechtswidrig und die Monopolregelung für inkohärent.
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Soweit die Hauptbeteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend - bezüglich der Zeit seit dem 1. Juli 2012 - für in der Hauptsache erledigt erklärt haben, war das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Einer Zustimmung des am Verfahren beteiligten Vertreters des öffentlichen Interesses bedurfte es nicht. Im Umfang der Teilerledigung sind das erstinstanzliche und das Berufungsurteil wirkungslos geworden.
Im Übrigen - soweit die Klägerin begehrt, die Rechtswidrigkeit der Untersagung für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zur Entscheidung des Berufungsgerichts und darüber hinaus bis zum 30. Juni 2012 festzustellen - ist die zulässige Revision begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs verletzt revisibles Recht, weil es unzutreffend annimmt, die Klägerin habe gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit für den bereits abgelaufenen Zeitraum. Das Urteil beruht auch auf dieser Rechtsverletzung und erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 137 Abs. 1, § 144 Abs. 4 VwGO). Bei zutreffender Rechtsanwendung hätte es die Fortsetzungsfeststellungsklage für unzulässig halten müssen. Dies führt zur Änderung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen - klagabweisenden - Urteils, soweit dieses nicht schon rechtskräftig geworden ist. Dem steht nicht entgegen, dass der Klagantrag umgestellt wurde.
1. In Bezug auf den noch verfahrensgegenständlichen, bereits abgelaufenen Zeitraum bis zum 30. Juni 2012 kann die Untersagungsverfügung nur mit der Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO angegriffen werden.
a) Zu Recht hat der Verwaltungsgerichtshof den entsprechenden Antrag der Klägerin für die Zeit bis zur Berufungsentscheidung für statthaft gehalten, da die Untersagung sich als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung grundsätzlich fortlaufend für den jeweils abgelaufenen Zeitraum erledigt. Ein Verbot wird durch Zeitablauf gegenstandslos, weil es nicht rückwirkend befolgt oder durchgesetzt werden kann. Maßnahmen zur Vollstreckung der Untersagung schließen eine Erledigung nur aus, wenn sie bei Aufhebung der Grundverfügung noch rückgängig zu machen sind. Solche sind für den noch strittigen Zeitraum seit dem 1. Januar 2008 nicht ersichtlich.
b) Für den Zeitraum von der Berufungsentscheidung bis zum Ablauf der Wirkung der Untersagung infolge ihrer nachträglichen Befristung zum 30. Juni 2012 hat die Klägerin ihr Anfechtungsbegehren im Revisionsverfahren zulässig auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umgestellt. Das Verbot der Klageänderung gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 VwGO steht nur einer Änderung des Streitgegenstandes entgegen. Es schließt jedoch nicht aus, von der Anfechtung eines Verwaltungsakts zu einem Fortsetzungsfeststellungsantrag überzugehen. Dieser Antrag ist für die Zeit bis zum 30. Juni 2012 auch statthaft, da sich die angegriffene Untersagung bis zu diesem Tag weiter fortlaufend und mit seinem Ablauf endgültig erledigt hat. Vorher ist keine endgültige Erledigung eingetreten, weil die Klägerin nach den nicht mit wirksamen Verfahrensrügen angegriffenen Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz weiterhin auf die Betriebsstätten zugreifen konnte und die Vermittlung von Sportwetten dort jederzeit hätte wieder aufnehmen können.
2. Zulässig ist die statthafte Fortsetzungsfeststellungsklage allerdings nur, wenn die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsakts hat. Ein solches Interesse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Natur sein. Entscheidend ist, dass die gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die Position der Klägerin in den genannten Bereichen zu verbessern (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 4. März 1976 - BVerwG 1 WB 54.74 - BVerwGE 53, 134 <137> und vom 24. Oktober 2006 - BVerwG 6 B 61.06 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 24 Rn. 3). Als Sachentscheidungsvoraussetzung muss das Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegen. Danach kommt es hier auf den Schluss der mündlichen Verhandlung in der Revisionsinstanz an.
a) Für diesen Zeitpunkt lässt sich ein berechtigtes Feststellungsinteresse nicht mit einer Wiederholungsgefahr begründen. Dazu ist nicht nur die konkrete Gefahr erforderlich, dass künftig ein vergleichbarer Verwaltungsakt erlassen wird. Darüber hinaus müssen die für die Beurteilung maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sein (Urteil vom 12. Oktober 2006 - BVerwG 4 C 12.04 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 23 Rn. 8 m.w.N.). Daran fehlt es hier. Die für die Beurteilung einer glücksspielrechtlichen Untersagung maßgeblichen rechtlichen Umstände haben sich mit dem Inkrafttreten des Ersten Staatsvertrages zur Änderung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland vom 15. Dezember 2011 (BayGVBl 2012 S. 318) und dessen landesrechtlicher Umsetzung in Bayern zum 1. Juli 2012 gemäß §§ 1 und 4 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland und anderer Rechtsvorschriften vom 25. Juni 2012 (BayGVBl S. 270) grundlegend geändert. Dem steht nicht entgegen, dass der allgemeine Erlaubnisvorbehalt für die Veranstaltung und Vermittlung öffentlichen Glücksspiels nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV und die Ermächtigung zur Untersagung der unerlaubten Veranstaltung und Vermittlung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV fortgelten. Für die rechtliche Beurteilung einer Untersagung kommt es auch auf die Verhältnismäßigkeit des mit ihr durchgesetzten Erlaubnisvorbehalts sowie des Verbots selbst und damit auf Fragen der materiellen Erlaubnisfähigkeit des untersagten Verhaltens an (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 8 C 2.10 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 276 Rn. 55; dazu näher unten Rn. 54 f.). Insoweit ergeben sich aus den in Bayern zum 1. Juli 2012 in Kraft getretenen, § 4 GlüStV ergänzenden Spezialregelungen betreffend die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten erhebliche Unterschiede zur früheren, bis zum 30. Juni 2012 geltenden Rechtslage. Nach § 10a Abs. 1 und 2 i.V.m. §§ 4a ff. GlüStV wird das staatliche Sportwettenmonopol - zunächst für eine Experimentierphase von sieben Jahren - durch ein Konzessionssystem ersetzt. Gemäß § 10a Abs. 3 GlüStV können bundesweit bis zu 20 Wettunternehmen eine Veranstalterkonzession erhalten. Für die Konzessionäre wird das Internetverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV, von dem ohnehin nach Absatz 5 der Vorschrift dispensiert werden darf, nach Maßgabe des § 10a Abs. 4 Satz 1 und 2 GlüStV gelockert. Die Vermittlung konzessionierter Angebote bleibt nach § 10a Abs. 5 Satz 2 GlüStV i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV erlaubnispflichtig. Die Anforderungen an die gewerbliche Spielvermittlung werden aber in § 19 i.V.m. §§ 5 bis 8 GlüStV in wesentlichen Punkten neu geregelt. So wurden die Werbebeschränkungen des § 5 GlüStV deutlich zurückgenommen (dazu im Einzelnen Beschluss vom 17. Oktober 2012 - BVerwG 8 B 47.12 - Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 208 Rn. 6). Andererseits enthält § 7 Abs. 1 Satz 2 GlüStV eine weitgehende Konkretisierung der zuvor nur allgemein statuierten Aufklärungspflichten. Außerdem bindet § 8 Abs. 6 GlüStV erstmals auch die Vermittler in das übergreifende Sperrsystem nach § 23 GlüStV ein. Insgesamt schließen die erheblichen Änderungen der für die materiell-rechtliche Beurteilung der Untersagung erheblichen Vorschriften es aus, von einer im Wesentlichen gleichen Rechtslage auszugehen.
Aus der Befristung der experimentellen Konzessionsregelung lässt sich keine konkrete Wiederholungsgefahr herleiten. Ob der Gesetzgeber das Konzessionssystem und dessen materiell-rechtliche Ausgestaltung nach Ablauf der siebenjährigen Experimentierphase auf der Grundlage der inzwischen gewonnenen Erfahrungen fortschreiben, modifizieren oder aufgeben wird, ist ungewiss. Eine Rückkehr zur alten Rechtslage ist jedenfalls nicht abzusehen.
b) Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist auch nicht wegen eines Rehabilitierungsinteresses der Klägerin zu bejahen. Die gegenteilige Auffassung der Vorinstanz beruht auf der Annahme, ein solches Interesse bestehe schon wegen des Vorwurfs objektiver Strafbarkeit des untersagten Verhaltens. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
Allerdings fehlt ein Rehabilitierungsinteresse nicht etwa deshalb, weil die Klägerin sich als juristische Person nicht strafbar machen kann. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob der Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG sich nach Art. 19 Abs. 3 GG insgesamt auf juristische Personen erstreckt. Sie können jedenfalls Ausprägungen dieses Rechts geltend machen, die nicht an die charakterliche Individualität und die Entfaltung der natürlichen Person anknüpfen, sondern wie das Recht am eigenen Wort oder das Recht auf Achtung des sozialen Geltungsanspruchs und auf Abwehr von Rufschädigungen auch Personengesamtheiten und juristischen Personen zustehen können (BVerfG, Beschluss vom 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96, 805/98 - BVerfGE 106, 28 <42 ff.>; BGH, Urteil vom 3. Juni 1986 - VI ZR 102/85 - BGHZ 98, 94 <97>). Die bloße Einschätzung eines Verhaltens als objektiv strafbar hat aber keinen den Betroffenen diskriminierenden Charakter und kann deshalb noch kein Rehabilitierungsinteresse auslösen.
Ein berechtigtes ideelles Interesse an einer Rehabilitierung besteht nur, wenn sich aus der angegriffenen Maßnahme eine Stigmatisierung des Betroffenen ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen. Diese Stigmatisierung muss Außenwirkung erlangt haben und noch in der Gegenwart andauern (Beschlüsse vom 4. März 1976 a.a.O. S. 138 f. und vom 4. Oktober 2006 - BVerwG 6 B 64.06 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 36 S. 4 f.). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. In der Feststellung objektiver Strafbarkeit des untersagten Verhaltens liegt noch keine Stigmatisierung. Vielmehr erschöpft sie sich in der Aussage, die unerlaubte Veranstaltung und Vermittlung der Sportwetten erfülle den objektiven Tatbestand des § 284 Abs. 1 StGB und rechtfertige deshalb ein ordnungsbehördliches Einschreiten. Damit enthält sie kein ethisches Unwerturteil, das geeignet wäre, das soziale Ansehen des Betroffenen herabzusetzen. Diese Schwelle wird erst mit dem konkreten, personenbezogenen Vorwurf eines schuldhaft-kriminellen Verhaltens überschritten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 1952 - 1 BvR 197/53 - BVerfGE 9, 167 <171> und Urteil vom 6. Juni 1967 - 2 BvR 375, 53/60 und 18/65 - BVerfGE 22, 49 <79 f.>).
Einen solchen Vorwurf hat die Beklagte nach der revisionsrechtlich fehlerfreien Auslegung der Untersagungsverfügung durch die Vorinstanz hier nicht erhoben. Vielmehr hat sie auf die objektive Tatbestandsmäßigkeit der Vermittlung abgestellt. So bleibt auch offen, ob angesichts der umstrittenen und seinerzeit ungeklärten Rechtslage jedenfalls ein Entschuldigungsgrund in Gestalt eines unvermeidbaren Verbotsirrtums vorlag (vgl. BGH, Urteil vom 16. August 2007 - 4 StR 62/07 - NJW 2007, 3078 zur Rechtslage unter dem Lotteriestaatsvertrag).
Nachteilige Auswirkungen der Untersagung in künftigen Verwaltungsverfahren - etwa zur Erlaubniserteilung nach aktuellem Recht - sind nach der im Termin zur mündlichen Verhandlung zu Protokoll gegebenen Erklärung des Vertreters des Freistaates Bayern ebenfalls nicht zu besorgen. Danach werden Monopolverstöße dort zukünftig nicht als Anhaltspunkt für eine Unzuverlässigkeit von Konzessionsbewerbern oder Bewerbern um eine Vermittlungserlaubnis gewertet. Der Vertreter der Beklagten hat im Termin zur mündlichen Verhandlung erklärt, die Zuverlässigkeit der Klägerin werde nicht bezweifelt.
c) Entgegen dem angegriffenen Urteil lässt sich ein berechtigtes Feststellungsinteresse nicht mit dem Vorliegen eines tiefgreifenden Eingriffs in die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG begründen. Die Annahme des Berufungsgerichts, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO müsse wegen der Garantie effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG in diesem Sinne ausgelegt werden, trifft nicht zu. Eine Ausweitung des Tatbestandsmerkmals des berechtigten Feststellungsinteresses über die einfach-rechtlich konkretisierten Fallgruppen des berechtigten rechtlichen, ideellen oder wirtschaftlichen Interesses (aa) hinaus verlangt Art. 19 Abs. 4 GG nur bei Eingriffsakten, die sonst wegen ihrer typischerweise kurzfristigen Erledigung regelmäßig keiner gerichtlichen Überprüfung in einem Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten (bb). Eine weitere Ausdehnung des Anwendungsbereichs, die ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse allein wegen der Schwere des erledigten Eingriffs in Grundrechte oder Grundfreiheiten annimmt, ist auch aus Art. 47 GRC in Verbindung mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot nicht herzuleiten (cc).
aa) Aus dem Wortlaut des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO und dem systematischen Zusammenhang mit § 42 VwGO ergibt sich, dass die Verwaltungsgerichte nur ausnahmsweise für die Überprüfung erledigter Verwaltungsakte in Anspruch genommen werden können. Nach dem Wegfall der mit dem Verwaltungsakt verbundenen Beschwer wird gerichtlicher Rechtsschutz grundsätzlich nur zur Verfügung gestellt, wenn der Kläger ein berechtigtes rechtliches, wirtschaftliches oder ideelles Interesse an einer nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Maßnahme hat (dazu oben Rn. 20). Das berechtigte Feststellungsinteresse geht in all diesen Fällen über das bloße Interesse an der Klärung der Rechtswidrigkeit der Verfügung hinaus. Dies gilt unabhängig von der Intensität des erledigten Eingriffs und vom Rang der Rechte, die von ihm betroffen waren.
bb) Die Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG differenziert ebenfalls nicht nach diesen beiden Kriterien. Sie gilt auch für einfach-rechtliche Rechtsverletzungen, die - von der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG abgesehen - kein Grundrecht tangieren, und für weniger schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte und Grundfreiheiten. Umgekehrt gebietet die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG selbst bei tiefgreifenden Eingriffen in solche Rechte nicht, ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse anzunehmen, wenn dies nicht erforderlich ist, die Effektivität des Rechtsschutzes zu sichern.
Effektiver Rechtsschutz verlangt, dass der Betroffene ihn belastende Eingriffsmaßnahmen in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren überprüfen lassen kann. Solange er durch den Verwaltungsakt beschwert ist, stehen ihm die Anfechtungs- und die Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO zur Verfügung. Erledigt sich der Verwaltungsakt durch Wegfall der Beschwer, wird nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO Rechtsschutz gewährt, wenn der Betroffene daran ein berechtigtes rechtliches, ideelles oder wirtschaftliches Interesse hat. In den übrigen Fällen, in denen sein Anliegen sich in der bloßen Klärung der Rechtmäßigkeit des erledigten Verwaltungsakts erschöpft, ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nach Art. 19 Abs. 4 GG zu bejahen, wenn andernfalls kein wirksamer Rechtsschutz gegen solche Eingriffe zu erlangen wäre. Davon ist nur bei Maßnahmen auszugehen, die sich typischerweise so kurzfristig erledigen, dass sie ohne die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten. Maßgebend ist dabei, ob die kurzfristige, eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage ausschließende Erledigung sich aus der Eigenart des Verwaltungsakts selbst ergibt (BVerfG, Beschlüsse vom 5. Dezember 2001 - 2 BvR 527/99, 1337/00, 1777/00 - BVerfGE 104, 220 <232 f.> und vom 3. März 2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <86> m.w.N).
Glücksspielrechtliche Untersagungsverfügungen nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV zählen nicht zu den Verwaltungsakten, die sich in diesem Sinne typischerweise kurzfristig erledigen. Vielmehr sind sie als Verwaltungsakte mit Dauerwirkung (Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 8 C 2.10 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 276 Rn. 19 m.w.N.) gerade auf langfristige Geltung angelegt. Dass sie sich regelmäßig fortlaufend für den bereits zurückliegenden Zeitraum erledigen, lässt ihre gegenwärtige, sich täglich neu aktualisierende Wirksamkeit und damit auch ihre Anfechtbarkeit und Überprüfbarkeit im Hauptsacheverfahren unberührt (vgl. Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Januar 2012, § 113 Rn. 85 a.E.). Änderungen der Rechtslage führen ebenfalls nicht zur Erledigung. Vielmehr ist die Untersagung anhand der jeweils aktuellen Rechtslage zu prüfen. Dass ihre Anfechtung sich regelmäßig nur auf eine Aufhebung des Verbots mit Wirkung ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung richten kann, stellt keine Rechtsschutzbeschränkung dar. Vielmehr trägt dies dem Umstand Rechnung, dass das Verbot in der Vergangenheit keine Regelungswirkung mehr entfaltet, die aufgehoben werden könnte. Im Ausnahmefall, etwa bei einer noch rückgängig zu machenden Vollziehung der Untersagung, bleibt diese wegen ihrer Titelfunktion als Rechtsgrund der Vollziehung rückwirkend anfechtbar (Beschluss vom 25. September 2008 - BVerwG 7 C 5.08 - Buchholz 345 § 6 VwVG Nr. 1 Rn. 13; zur Vollzugsfolgenbeseitigung vgl. Urteil vom 14. März 2006 - BVerwG 1 C 11.05 - BVerwGE 125, 110 <Rn. 17> = Buchholz 402.242 § 63 AufenthG Nr. 2 Rn. 17).
Dass eine untypisch frühzeitige Erledigung im Einzelfall einer streitigen Hauptsacheentscheidung zuvorkommen kann, berührt Art. 19 Abs. 4 GG nicht. Die Rechtsweggarantie verbietet zwar, gesetzliche Zulässigkeitsanforderungen so auszulegen, dass ein gesetzlich eröffneter Rechtsbehelf leerläuft, weil das weitere Beschreiten des Rechtswegs unzumutbar und ohne sachliche Rechtfertigung erschwert wird (BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 2010 - 2 BvR 1023/08 - NJW 2011, 137 <Rn. 31> m.w.N.). Einen solchen Leerlauf hat die dargestellte Konkretisierung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses aber nicht zur Folge. Ihre sachliche Rechtfertigung und die Zumutbarkeit ihrer prozessualen Konsequenzen ergeben sich daraus, dass eine großzügigere Handhabung dem Kläger mangels berechtigten rechtlichen, ideellen oder wirtschaftlichen Interesses keinen relevanten Vorteil bringen könnte und auch nicht dazu erforderlich ist, maßnahmenspezifische Rechtsschutzlücken zu vermeiden.
Entgegen der Auffassung der Klägerin wird deren prozessualer Aufwand mit der endgültigen Erledigung des Verfahrens, wenn kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu bejahen ist, auch nicht entwertet. Das ursprüngliche Klageziel, die Beseitigung der Untersagung, wird infolge der zur Erledigung führenden Befristung durch das Unwirksamwerden der Verbotsverfügung mit Fristablauf erreicht. Das prozessuale Vorbringen zur Zulässigkeit und Begründetheit der Klage im Zeitpunkt der Erledigung kann sich bei der Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO zugunsten der Klägerin auswirken. Eine Hauptsacheentscheidung in jedem Einzelfall oder gar ein vollständiger Instanzenzug wird durch Art. 19 Abs. 4 GG nicht gewährleistet.
cc) Aus der Garantie eines wirksamen Rechtsbehelfs im Sinne des Art. 47 GRC ergibt sich keine Verpflichtung, das Merkmal des berechtigten Interesses nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO weiter auszulegen.
Allerdings ist nach der unionsgerichtlichen Rechtsprechung davon auszugehen, dass der sachliche Anwendungsbereich der Grundrechtecharta nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRC eröffnet ist, weil die Klägerin Rechtsschutz wegen einer Beschränkung ihrer Dienstleistungsfreiheit begehrt. Zur mitgliedstaatlichen Durchführung des Unionsrechts im Sinne der Vorschrift rechnet der Gerichtshof nicht nur Umsetzungsakte im Sinne eines unionsrechtlich - zumindest teilweise - determinierten Vollzugs, sondern auch mitgliedstaatliche Eingriffe in Grundfreiheiten nach Maßgabe der allgemeinen unionsrechtlichen Schrankenvorbehalte. An dieser Rechtsprechung, die vor Inkrafttreten der Charta zur Abgrenzung des Anwendungsbereichs unionsrechtlicher Grundrechte als allgemeiner Grundsätze des Unionsrechts entwickelt wurde (vgl. EuGH, Urteil vom 18. Juni 1991 - Rs. C-260/89, ERT - Slg. 1991 I-2951 <Rn. 42>), hält der Gerichtshof weiterhin fest. Er geht von einer mitgliedstaatlichen Bindung an die Unionsgrundrechte im gesamten Anwendungsbereich des Unionsrechts aus und verweist dazu auf die Erläuterungen zu Art. 51 GRC, die nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV, Art. 52 Abs. 7 GRC bei der Auslegung der Charta zu berücksichtigen sind (EuGH, Urteil vom 26. Februar 2013 - Rs. C-617/10, Akerberg Fransson - EuZW 2013, 302 <Rn. 17 ff.>). Wie diese Abgrenzungsformel im Einzelnen zu verstehen ist, inwieweit bei ihrer Konkretisierung grammatische und entstehungsgeschichtliche Anhaltspunkte für eine bewusste Begrenzung des Anwendungsbereichs durch Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRC maßgeblich und welche Folgerungen aus kompetenzrechtlichen Grenzen zu ziehen sind (vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 24. April 2013 - 1 BvR 1215/07 - NJW 2013, 1499 Rn. 88 und 90; zur Entstehungsgeschichte Borowsky, in: Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Aufl. 2011, S. 643 ff.), bedarf hier keiner Klärung. Geht man von der Anwendbarkeit des Art. 47 GRC aus, ist dieser jedenfalls nicht verletzt.
Mit der Verpflichtung, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen Rechtsverletzungen zur Verfügung zu stellen, konkretisiert Art. 47 Abs. 1 GRC den allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz effektiven Rechtsschutzes (dazu vgl. EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 - Rs. C-279/09, DEB - EuZW 2011, 137 <Rn. 29> und Beschluss vom 13. Juni 2012 - Rs. C-156/12, GREP - juris <Rn. 35>). Er hindert den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber aber nicht, für die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs ein qualifiziertes Interesse des Klägers zu fordern und diese Anforderung im Sinne der soeben unter aa) und bb) (Rn. 29 und 30 ff.) dargelegten Kriterien zu konkretisieren.
Wie sich aus den einschlägigen unionsgerichtlichen Entscheidungen ergibt, bleibt es grundsätzlich den Mitgliedstaaten überlassen, im Rahmen der Ausgestaltung ihres Prozessrechts die Klagebefugnis und das Rechtsschutzinteresse des Einzelnen zu normieren. Begrenzt wird das mitgliedstaatliche Ermessen bei der Regelung solcher Zulässigkeitsvoraussetzungen durch das unionsrechtliche Äquivalenzprinzip, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Effektivitätsgebot (EuGH, Urteile vom 11. Juli 1991 - Rs. C-87/90 u.a., Verholen u.a. ./. Sociale Verzekeringsbank - Slg. 1991 I-3783 <Rn. 24> und vom 16. Juli 2009 - Rs. C-12/08, Mono Car Styling ./. Dervis Odemis u.a. - Slg. 2009 I-6653 <Rn. 49>; Beschluss vom 13. Juni 2012 a.a.O. <Rn. 39 f.>).
Das Äquivalenzprinzip verlangt eine Gleichwertigkeit der prozessrechtlichen Bedingungen für die Durchsetzung von Unionsrecht und mitgliedstaatlichem Recht (EuGH, Urteil vom 13. März 2007 - Rs. C-432/05, Unibet ./. Justitiekansler - Slg. 2005 I-2301 <Rn. 43>). Es ist hier nicht betroffen, weil die dargelegte verfassungskonforme Konkretisierung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nicht danach unterscheidet, ob eine Verletzung von Unions- oder mitgliedstaatlichem Recht geltend gemacht wird.
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verbietet eine Zulässigkeitsregelung, die das Recht auf Zugang zum Gericht in seinem Wesensgehalt selbst beeinträchtigt, ohne einem unionsrechtlich legitimen Zweck zu dienen und im Verhältnis dazu angemessen zu sein (EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 a.a.O. <Rn. 60> und Beschluss vom 13. Juni 2012 a.a.O. <Rn. 39 f.>). Hier fehlt schon eine den Wesensgehalt des Rechts selbst beeinträchtigende Rechtswegbeschränkung. Sie liegt vor, wenn dem Betroffenen der Zugang zum Gericht trotz einer Belastung durch die beanstandete Maßnahme verwehrt wird, weil die fragliche Regelung für den Zugang zum Recht ein unüberwindliches Hindernis aufrichtet (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 a.a.O. <Rn. 61>; Beschluss vom 13. Juni 2012 a.a.O. <Rn. 41>). Danach kommt es - nicht anders als nach der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 19 Abs. 4 GG - maßgeblich darauf an, dass der Betroffene eine ihn belastende Eingriffsmaßnahme gerichtlich überprüfen lassen kann. Das war hier gewährleistet, da die Untersagungsverfügung bis zu ihrer endgültigen Erledigung angefochten werden konnte und § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO eine Fortsetzungsfeststellung ermöglichte, soweit diese noch zur Abwendung fortwirkender Nachteile von Nutzen sein konnte. Dass die Vorschrift keinen darüber hinausgehenden Anspruch auf eine Fortsetzung des Prozesses nur zum Zweck nachträglicher Rechtsklärung vorsieht, widerspricht nicht dem Wesensgehalt der Garantie eines wirksamen Rechtsbehelfs. Unabhängig davon wäre selbst eine Beeinträchtigung des Rechts in seinem Wesensgehalt verhältnismäßig. Sie wäre geeignet, erforderlich und angemessen, die Prozessökonomie zur Verwirklichung des unionsrechtlich legitimen Ziels zügigen, effektiven Rechtsschutzes für alle Rechtssuchenden zu wahren.
Das Effektivitätsgebot ist ebenfalls nicht verletzt. Es fordert eine Ausgestaltung des mitgliedstaatlichen Rechts, die die Ausübung unionsrechtlich gewährleisteter Rechte nicht praktisch unmöglich macht oder unzumutbar erschwert (EuGH, Urteile vom 11. Juli 1991 a.a.O. und vom 13. März 2007 a.a.O. <Rn. 43>). Bezogen auf die mitgliedstaatliche Regelung prozessualer Zulässigkeitsvoraussetzungen ergibt sich daraus, dass den Trägern unionsrechtlich begründeter Rechte gerichtlicher Rechtsschutz zur Verfügung stehen muss, der eine wirksame Kontrolle jeder Rechtsverletzung und damit die Durchsetzbarkeit des betroffenen Rechts gewährleistet. Diese Anforderungen gehen nicht über die aus Art. 19 Abs. 4 GG herzuleitende Gewährleistung einer gerichtlichen Überprüfbarkeit jedes Eingriffs in einem Hauptsacheverfahren hinaus. Insbesondere lässt sich aus dem Effektivitätsgebot keine Verpflichtung herleiten, eine Fortsetzung der gerichtlichen Kontrolle nach Erledigung des Eingriffs unabhängig von einem rechtlichen, ideellen oder wirtschaftlichen Nutzen für den Kläger allein unter dem Gesichtspunkt eines abstrakten Rechtsklärungsinteresses vorzusehen (vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro, in: - Rs. C-83/91, Meilicke/ADV/ORGA AG - vom 8. April 1992, Slg. 1992 I-4897 <Rn. 5>). Das gilt erst recht, wenn die Maßnahme bereits Gegenstand einer gerichtlichen Hauptsacheentscheidung war und sich erst im Rechtsmittelverfahren erledigt hat.
An der Richtigkeit dieser Auslegung des Art. 47 Abs. 1 GRC und des unionsrechtlichen Grundsatzes effektiven Rechtsschutzes bestehen unter Berücksichtigung der zitierten unionsgerichtlichen Rechtsprechung keine ernsthaften Zweifel im Sinne der acte-clair-Doktrin (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs. C-283/81, C.I.L.F.I.T. u.a. -, Slg. 1982, S. 3415 <Rn. 16 ff.>). Eine Vorlage an den Gerichtshof ist deshalb nach Art. 267 Abs. 3 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) nicht geboten.
d) Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergibt sich schließlich nicht aus der Präjudizwirkung der beantragten Feststellung für den von der Klägerin angestrebten Staatshaftungsprozess. Auch das Berufungsgericht hat das nicht angenommen. Ein Präjudizinteresse kann nur bestehen, wenn die beabsichtigte Geltendmachung von Staatshaftungsansprüchen nicht offensichtlich aussichtslos ist. Bei der Prüfung dieses Ausschlusskriteriums ist ein strenger Maßstab anzulegen. Die Wahrscheinlichkeit eines Misserfolgs im zivilgerichtlichen Haftungsprozess genügt nicht. Offensichtlich aussichtslos ist eine Staatshaftungsklage jedoch, wenn der geltend gemachte Anspruch unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt besteht und dies sich ohne eine ins Einzelne gehende Würdigung aufdrängt (Urteile vom 14. Januar 1980 - BVerwG 7 C 92.79 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 95 S. 27, vom 29. April 1992 - BVerwG 4 C 29.90 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 247 S. 90 und vom 8. Dezember 1995 - BVerwG 8 C 37.93 - BVerwGE 100, 83 <92> = Buchholz 454.11 WEG Nr. 7). Der Verwaltungsprozess muss nicht zur Klärung öffentlich-rechtlicher Vorfragen der Staatshaftung fortgeführt werden, wenn der Kläger daraus wegen offenkundigen Fehlens anderer Anspruchsvoraussetzungen keinen Nutzen ziehen könnte. Hier drängt sich schon ohne eine detaillierte Würdigung auf, dass der Klägerin selbst bei Rechtswidrigkeit der Untersagung keine staatshaftungsrechtlichen Ansprüche zustehen.
Die Voraussetzungen der Amtshaftung gemäß Art. 34 Satz 1 GG, § 839 BGB oder des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs (zu dessen Herleitung vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 1991 - Rs. C-6/90 und 9/90, Francovich u.a. - Slg. 1991 I-5357 <Rn. 35>) liegen ersichtlich nicht vor, ohne dass es insoweit einer ins Einzelne gehenden Prüfung bedürfte. Weitere Anspruchsgrundlagen kommen nicht in Betracht.
aa) Für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum Ergehen der unionsgerichtlichen Urteile zu den deutschen Sportwettenmonopolen (EuGH, Urteile vom 8. September 2010 - Rs. C-316/07 u.a., Markus Stoß u.a. - Slg. 2010 I-8069, - Rs. C-46/08, Carmen Media Group - Slg. 2010 I-8175 und - Rs. C-409/06, Winner Wetten - Slg. 2010 I-8041) scheidet ein Amtshaftungsanspruch aus, weil den Amtswaltern selbst bei Rechtswidrigkeit der zur Begründung der Untersagung herangezogenen Monopolregelung keine schuldhaft fehlerhafte Rechtsanwendung zur Last zu legen ist. Die unionsrechtliche Staatshaftung greift für diesen Zeitraum nicht ein, da ein etwaiger Verstoß gegen das Unionsrecht nicht hinreichend qualifiziert war.
(1) Einem Amtswalter ist auch bei fehlerhafter Rechtsanwendung regelmäßig kein Verschulden im Sinne des § 839 BGB vorzuwerfen, wenn seine Amtstätigkeit durch ein mit mehreren rechtskundigen Berufsrichtern besetztes Kollegialgericht aufgrund einer nicht nur summarischen Prüfung als objektiv rechtmäßig angesehen wird (Urteil vom 17. August 2005 - BVerwG 2 C 37.04 - BVerwGE 124, 99 <105 ff.> = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 32; BGH, Urteil vom 6. Februar 1986 - III ZR 109/84 - BGHZ 97, 97 <107>). Das Verwaltungsgericht hat die angegriffene Untersagungsverfügung im Hauptsacheverfahren - unabhängig von der Wirksamkeit und Anwendbarkeit des Monopols - für rechtmäßig gehalten. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bejahte seinerzeit in ständiger Rechtsprechung die Vereinbarkeit des Sportwettenmonopols mit höherrangigem Recht sowie die Rechtmäßigkeit darauf gestützter Untersagungen unerlaubter Wettvermittlung (vgl. VGH München, Urteile vom 18. Dezember 2008 - 10 BV 07.558 - ZfWG 2009, 27 und - 10 BV 07.774/775 - juris). Er hat diese Auffassung erst im Hinblick auf die im Herbst 2010 veröffentlichten Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union zu den deutschen Sportwettenmonopolen vom 8. September 2010 (a.a.O.) sowie die daran anknüpfenden Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. November 2010 (BVerwG 8 C 14.09 - BVerwGE 138, 201 = Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 272, - BVerwG 8 C 15.09 - NWVBl 2011, 307 sowie - BVerwG 8 C 13.09 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 273) in einer Eilentscheidung im Frühjahr 2011 aufgegeben (VGH München, Beschluss vom 21. März 2011 - 10 AS 10.2499 - ZfWG 2011, 197 = juris Rn. 24 ff.). Die Orientierung an der berufungsgerichtlichen Rechtsprechung kann den Amtswaltern auch nicht etwa vorgeworfen werden, weil die kollegialgerichtlichen Entscheidungen bis Ende 2010 - für sie erkennbar - von einer schon im Ansatzpunkt völlig verfehlten rechtlichen Betrachtung ausgegangen wären (zu diesem Kriterium vgl. BVerwG, Urteil vom 17. August 2005 a.a.O. S. 106 f.). Die gegenteilige Einschätzung der Klägerin trifft auch unter Berücksichtigung der von ihr im Termin zur mündlichen Verhandlung nachgereichten Unterlagen nicht zu. Hinreichend geklärt war ein etwaiger Verstoß gegen unionsrechtliche Vorgaben jedenfalls nicht vor Ergehen der zitierten unionsgerichtlichen Entscheidungen (BGH, Urteil vom 18. Oktober 2012 - III ZR 196/11 - EuZW 2013, 194 <Rn. 22 ff.>), die durch die nachfolgenden Urteile des Senats in Bezug auf das bayerische Monopol konkretisiert wurden. Der Gerichtshof stellte seinerzeit erstmals klar, dass die Verhältnismäßigkeit im unionsrechtlichen Sinn nicht nur eine kohärente Ausgestaltung des jeweiligen Monopolbereichs selbst, sondern darüber hinaus eine Kohärenz auch zwischen den Regelungen verschiedener Glücksspielsektoren fordert. Außerdem präzisierte er die Grenzen zulässiger, nicht auf Expansion gerichteter Werbung für die besonders umstrittene Imagewerbung.
(2) Im Zeitraum bis zum Herbst 2010 fehlt es auch an einem hinreichend qualifizierten Rechtsverstoß, wie er für die unionsrechtliche Staatshaftung erforderlich ist. Diese setzt eine erhebliche und gleichzeitig offenkundige Verletzung des Unionsrechts voraus. Maßgeblich dafür sind unter anderem das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, der Umfang des durch sie belassenen Ermessensspielraums und die Frage, ob Vorsatz bezüglich des Rechtsbruchs oder des Zufügens des Schadens vorlag, sowie schließlich, ob ein Rechtsirrtum entschuldbar war (EuGH, Urteil vom 5. März 1996 - Rs. C-46 und 48/93, Brasserie du Pêcheur und Factortame - Slg. 1996 I-1029 <Rn. 51 und 55>). Nach diesen Kriterien kann zumindest bis zu den zitierten Entscheidungen des Gerichtshofs von einer offenkundigen erheblichen Verletzung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit durch die Monopolregelung nicht die Rede sein. Mangels Harmonisierung des Glücksspielbereichs stand den Mitgliedstaaten ein weites Regelungsermessen zur Verfügung. Seine durch die Grundfreiheiten gezogenen Grenzen waren jedenfalls bis zur unionsgerichtlichen Konkretisierung der intersektoralen Kohärenz nicht so genau und klar bestimmt, dass ein etwaiger Rechtsirrtum unentschuldbar gewesen wäre.
bb) Für den anschließenden Zeitraum bis zur endgültigen Erledigung der angegriffenen Untersagung am 30. Juni 2012 bedarf es keiner Prüfung, ob eine schuldhaft fehlerhafte Rechtsanwendung der Behörden oder ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen das Unionsrecht zu bejahen ist. Jedenfalls fehlt offensichtlich die erforderliche Kausalität zwischen einer etwaigen Rechtsverletzung und dem möglicherweise geltend zu machenden Schaden. Das ergibt sich schon aus den allgemeinen Grundsätzen zur Kausalität von fehlerhaften Ermessensentscheidungen für einen etwaigen Schaden.
(1) Die Amtshaftung setzt gemäß § 839 BGB voraus, dass der Schaden durch das schuldhaft rechtswidrige Handeln des Amtsträgers verursacht wurde. Bei Ermessensentscheidungen ist das zu verneinen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch bei fehlerfreier Rechtsanwendung dieselbe zum Schaden führende Entscheidung getroffen worden wäre (BGH, Beschlüsse vom 21. Januar 1982 - III ZR 37/81 - VersR 1982, 275 und vom 30. Mai 1985 - III ZR 198/84 - VersR 1985, 887 f.; Vinke, in: Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch, Bd. 12, Stand: Sommer 2005, § 839 Rn. 176, zur Unterscheidung von der Figur rechtmäßigen Alternativverhaltens vgl. ebd. Rn. 178).
Die unionsrechtliche Staatshaftung greift nur bei einem unmittelbaren Kausalzusammenhang zwischen der hinreichend qualifizierten Unionsrechtsverletzung und dem Schaden ein. Diese unionsrechtlich vorgegebene Haftungsvoraussetzung ist im mitgliedstaatlichen Recht umzusetzen (EuGH, Urteil vom 5. März 1996 a.a.O. <Rn. 51>). Sie ist erfüllt, wenn ein unmittelbarer ursächlicher und adäquater Zusammenhang zwischen dem hinreichend qualifizierten Unionsrechtsverstoß und dem Schaden besteht (BGH, Urteil vom 24. Oktober 1996 - III ZR 127/91 - BGHZ 134, 30 <39 f.>; Papier, in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl. 2009, § 839 Rn. 101). Bei Ermessensentscheidungen ist dieser Kausalzusammenhang nicht anders zu beurteilen als in den Fällen der Amtshaftung. Er fehlt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Schaden auch bei rechtsfehlerfreier Ermessensausübung eingetreten wäre.
Nach beiden Anspruchsgrundlagen käme daher eine Haftung nur in Betracht, wenn feststünde, dass der Schaden bei rechtmäßiger Ermessensausübung vermieden worden wäre. Das ist für den noch offenen Zeitraum vom Herbst 2010 bis zum 30. Juni 2012 offenkundig zu verneinen. In dieser Zeit war eine Untersagung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV zur Durchsetzung des glücksspielrechtlichen Erlaubnisvorbehalts nach § 4 Abs. 1 GlüStV ermessensfehlerfrei gemäß Art. 40 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG) möglich. Es steht auch nicht fest, dass die Beklagte in Kenntnis dieser Befugnis von einer Untersagung abgesehen hätte.
(2) Der Erlaubnisvorbehalt selbst war unabhängig von der Rechtmäßigkeit des Sportwettenmonopols verfassungskonform (BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Oktober 2008 - 1 BvR 928/08 - NVwZ 2008, 1338 <Rn. 23. ff., insbesondere Rn. 32, 45 und 52>; BVerwG, Urteil vom 24. November 2010 - BVerwG 8 C 13.09 - a.a.O. Rn. 73, 77 ff.) und verstieß auch nicht gegen Unionsrecht. Entgegen der Auffassung der Klägerin und des von diesem im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegten Rechtsgutachtens war der Erlaubnisvorbehalt hinreichend bestimmt und hing seine Rechtmäßigkeit nicht von der Rechtmäßigkeit des Monopols ab. Er diente nicht allein dessen Schutz, sondern auch unabhängig davon den verfassungs- wie unionsrechtlich legitimen Zielen des Jugend- und Spielerschutzes und der Kriminalitätsbekämpfung. Das in Art. 2 des Bayerischen Gesetzes zur Ausführung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland (BayAGGlüStV) näher geregelte Erlaubnisverfahren ermöglichte die präventive Prüfung, ob unter anderem die für die Tätigkeit erforderliche persönliche Zuverlässigkeit vorlag (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BayAGGlüStV) und die in Art. 2 Abs. 1 BayAGGlüStV in Bezug genommenen Anforderungen des Jugend- und Spielerschutzes nach §§ 4 ff. GlüStV sowie die besonderen Regelungen der gewerblichen Vermittlung und des Vertriebs von Sportwetten nach §§ 19, 21 GlüStV beachtet wurden. Diese gesetzlichen Anforderungen waren im Hinblick auf das damit verfolgte Ziel verhältnismäßig und angemessen (Urteil vom 24. November 2010 - BVerwG 8 C 13.09 - a.a.O. Rn. 80 f., 83). Darüber hinaus waren sie hinreichend bestimmt, transparent und nicht diskriminierend. Gegen etwa rechtswidrige Ablehnungsentscheidungen standen wirksame Rechtsbehelfe zur Verfügung (zu diesen Anforderungen vgl. EuGH, Urteile vom 9. September 2010 - Rs. C-64/08, Engelmann - Slg. 2010 I-8219 <Rn. 54 f.>, vom 19. Juli 2012 - Rs. C-470/11, SIA Garkalns - NVwZ 2012, 1162 <Rn. 42 ff.> sowie vom 24. Januar 2013 - Rs. C-186/11 und C-209/11, Stanleybet Int. Ltd. u.a. - ZfWG 2013, 95 <Tenorziffer 3 und Rn. 47 f.>).
Der Auffassung der Klägerin und des von ihr vorgelegten Rechtsgutachtens des Prof. C., der Erlaubnisvorbehalt sei jedenfalls mangels gesetzlichen Anspruchs auf Erlaubniserteilung unanwendbar, vermag der Senat nicht zu folgen. Der Erlaubnisvorbehalt bestimmt lediglich, dass die Tätigkeit der vorherigen Erlaubnis bedarf. Ob die Erteilung der Erlaubnis auch bei Vorliegen der Erlaubnisvoraussetzungen im Ermessen der zuständigen Behörde steht, ist eine Frage der Auslegung der Ermächtigung zur Erlaubniserteilung. Soweit dieses Ermessen aus verfassungs- oder unionsrechtlichen Gründen auf Null reduziert sein sollte, steht einer dem höherrangigen Recht entsprechenden Anwendung der gesetzlichen Ermächtigung nichts im Wege.
(3) Weil die Klägerin nicht über die erforderliche Erlaubnis für die Veranstaltung und die Vermittlung der von ihr vertriebenen Sportwetten verfügte, war der Tatbestand der Untersagungsermächtigung offenkundig erfüllt. Art. 40 BayVwVfG ließ auch eine Ermessensausübung im Sinne einer Untersagung zu. Sie entsprach dem Zweck der Norm, da die Untersagungsermächtigung dazu diente, die vorherige behördliche Prüfung der Erlaubnisfähigkeit der beabsichtigten Gewerbetätigkeit zu sichern und damit die mit einer unerlaubten Tätigkeit verbundenen Gefahren abzuwehren. Die Rechtsgrenzen des Ermessens schlossen ein Verbot ebenfalls nicht aus. Insbesondere verpflichtete das Verhältnismäßigkeitsgebot die Beklagte nicht, von einer Untersagung abzusehen und die formell illegale Tätigkeit zu dulden. Das wäre nur anzunehmen, wenn die formell illegale Tätigkeit die materiellen Erlaubnisvoraussetzungen - mit Ausnahme der möglicherweise rechtswidrigen Monopolvorschriften - erfüllte und dies für die Untersagungsbehörde im Zeitpunkt ihrer Entscheidung offensichtlich, d.h. ohne weitere Prüfung erkennbar war. Dann war die Untersagung nicht mehr zur Gefahrenabwehr erforderlich. Verbleibende Unklarheiten oder Zweifel an der Erfüllung der nicht monopolabhängigen Erlaubnisvoraussetzungen rechtfertigten dagegen ein Einschreiten. In diesem Fall war die Untersagung notwendig, die Klärung im Erlaubnisverfahren zu sichern und zu verhindern, dass durch die unerlaubte Tätigkeit vollendete Tatsachen geschaffen und ungeprüfte Gefahren verwirklicht wurden.
Aus dem Urteil des Senats vom 1. Juni 2011 (BVerwG 8 C 2.10 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 276 <Rn. 55>; vgl. die Parallelentscheidungen vom selben Tag - BVerwG 8 C 4.10 - ZfWG 2011, 341 und Urteile vom 11. Juli 2011 - BVerwG 8 C 11.10 und BVerwG 8 C 12.10 - je juris Rn. 53) ergibt sich nichts anderes. Die dortige Formulierung, der Erlaubnisvorbehalt rechtfertige eine vollständige Untersagung nur bei Fehlen der Erlaubnisfähigkeit, mag Anlass zu Missverständnissen gegeben haben. Sie ist aber nicht als Verschärfung der Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit präventiver Untersagungen zu verstehen und behauptet keine Pflicht der Behörde, eine unerlaubte Tätigkeit bis zur Klärung ihrer Erlaubnisfähigkeit zu dulden. Das ergibt sich schon aus dem Zusammenhang der zitierten Formulierung mit der unmittelbar daran anschließenden Erwägung, bei Zweifeln hinsichtlich der Beachtung von Vorschriften über die Art und Weise der Gewerbetätigkeit kämen zunächst Nebenbestimmungen in Betracht. Dies beschränkt die Durchsetzbarkeit des glücksspielrechtlichen Erlaubnisvorbehalts nicht auf Fälle, in denen bereits feststeht, dass die materielle Erlaubnisfähigkeit endgültig und unbehebbar fehlt. Hervorgehoben wird nur, dass eine vollständige Untersagung unverhältnismäßig ist, wenn Nebenbestimmungen ausreichen, die Legalität einer im Übrigen offensichtlich erlaubnisfähigen Tätigkeit zu sichern. Das setzt zum einen den Nachweis der Erlaubnisfähigkeit im Übrigen und zum anderen einen Erlaubnisantrag voraus, da Nebenbestimmungen sonst nicht erlassen werden können. Solange nicht offensichtlich ist, dass die materielle Legalität vorliegt oder jedenfalls allein mit Nebenbestimmungen gesichert werden kann, bleibt die Untersagung zur Gefahrenabwehr erforderlich. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem vom Verwaltungsgerichtshof angeführten Urteil vom 24. November 2010 (BVerwG 8 C 13.09 a.a.O. <Rn. 72>). Es erkennt eine Reduzierung des Untersagungsermessens zulasten des Betroffenen an, wenn feststeht, dass dessen unerlaubte Tätigkeit wesentliche Erlaubnisvoraussetzungen nicht erfüllt. Damit bietet es jedoch keine Grundlage für den - unzulässigen - Umkehrschluss, nur in diesem Fall sei eine Untersagung verhältnismäßig.
Die unionsgerichtliche Rechtsprechung, nach der gegen den Betroffenen keine strafrechtlichen Sanktionen wegen des Fehlens einer unionsrechtswidrig vorenthaltenen oder verweigerten Erlaubnis verhängt werden dürfen (EuGH, Urteile vom 6. März 2007 - Rs. C-338/04, Placanica u.a. - Slg. 2007 I-1932 <Tenorziffer 4 und Rn. 68 ff.> sowie vom 16. Februar 2002 - Rs. C-72/10 und C-77/10, Costa und Cifone - EuZW 2012, 275 <Rn. 83>), schließt eine ordnungsrechtliche präventive Untersagung bis zur Klärung der - monopolunabhängigen - Erlaubnisfähigkeit ebenfalls nicht aus. Insbesondere verlangt das Unionsrecht selbst bei Rechtswidrigkeit des Monopols keine - und erst recht keine sofortige - Öffnung des Markts für alle Anbieter ohne jede präventive Kontrolle. Vielmehr steht es dem Mitgliedstaat in einer solchen Situation frei, das Monopol zu reformieren oder sich für eine Liberalisierung des Marktzugangs zu entscheiden. In der Zwischenzeit ist er lediglich verpflichtet, Erlaubnisanträge privater Anbieter nach unionsrechtskonformen Maßstäben zu prüfen und zu bescheiden (EuGH, Urteil vom 24. Januar 2013 - Rs. C-186/11 u. a., Stanleybet Int. Ltd. u.a. - a.a.O. <Rn. 39, 44, 46 ff.>). Einen Anspruch auf Duldung einer unerlaubten Tätigkeit vermittelt das Unionsrecht auch bei Unanwendbarkeit der Monopolregelung nicht.
Keiner näheren Prüfung bedarf die Verhältnismäßigkeit der Durchsetzung des Erlaubnisvorbehalts für den Fall, dass die Betroffenen keine Möglichkeit hatten, eine Erlaubnis zu erlangen. Der Freistaat Bayern hat nämlich die Entscheidungen des Gerichtshofs vom 8. September 2010 zum Anlass genommen, das Erlaubnisverfahren nach Art. 2 BayAGGlüStV für private Anbieter und die Vermittler an diese zu öffnen. Entgegen der Auffassung der Klägerin bot diese Regelung in Verbindung mit den Vorschriften des Glücksspielstaatsvertrages eine ausreichende gesetzliche Grundlage für die Durchführung eines Erlaubnisverfahrens. Die Zuständigkeit der Regierung der O. ergab sich aus Art. 2 Abs. 4 Nr. 3 BayAGGlüStV. Der möglichen Rechtswidrigkeit des Sportwettenmonopols war durch Nichtanwenden der Monopol- und monopolakzessorischen Regelungen Rechnung zu tragen. Die gesetzlich normierten materiell-rechtlichen Anforderungen an das Wettangebot und dessen Vermittlung ließen sich entsprechend auf das Angebot privater Wettunternehmer und dessen Vertrieb anwenden. Einzelheiten, etwa die Richtigkeit der Konkretisierung einer solchen entsprechenden Anwendung in den im Termin zur mündlichen Verhandlung angesprochenen, im Verfahren BVerwG 8 C 15.12 vorgelegten Checklisten sowie die Frage, ob und in welcher Weise private Anbieter in das bestehende Spielersperrsystem einzubeziehen waren, müssen hier nicht erörtert werden. Aus verfassungs- und unionsrechtlicher Sicht genügt es, dass eine grundrechts- und grundfreiheitskonforme Anwendung der Vorschriften mit der Folge einer Erlaubniserteilung an private Anbieter und deren Vermittler möglich war und dass diesen gegen etwa rechtsfehlerhafte Ablehnungsentscheidungen effektiver gerichtlicher Rechtsschutz zur Verfügung stand. Der vom Berufungsgericht hervorgehobene Umstand, eine Erlaubniserteilung sei bisher nicht bekannt geworden, ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zwangsläufig auf systematische Rechtsverstöße zurückzuführen. Er kann sich auch daraus ergeben haben, dass in den zur Kenntnis des Berufungsgerichts gelangten Fällen mindestens eine wesentliche und auch nicht durch Nebenbestimmungen zu sichernde Erlaubnisvoraussetzung fehlte.
(4) Im vorliegenden Falle war die materielle Erlaubnisfähigkeit der unerlaubten Tätigkeit für die Behörde der Beklagten im Zeitpunkt ihrer Entscheidung nicht offensichtlich. Vielmehr war für sie nicht erkennbar, inwieweit die gewerbliche Sportwettenvermittlung der Klägerin den ordnungsrechtlichen Anforderungen insbesondere des Jugend- und des Spielerschutzes genügte, zumal sie Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Verbot von Zwischen- und Live-Wetten hatte.
Nach der Verwaltungspraxis der Beklagten ist auch nicht festzustellen, dass diese die unerlaubte Tätigkeit in Kenntnis der Möglichkeit einer rechtsfehlerfreien Untersagung geduldet hätte.
cc) Weitere Anspruchsgrundlagen für eine Staatshaftung kommen nicht in Betracht. Eine über die Amtshaftung und den unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch hinausgehende Haftung für eine rechtswidrige Inanspruchnahme als Störer sieht das bayerische Landesrecht nicht vor (vgl. Art. 70 ff. des Polizeiaufgabengesetzes - BayPAG).
e) Andere Umstände, aus denen sich ein berechtigtes Feststellungsinteresse der Klägerin ergeben könnte, sind nicht erkennbar.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019743
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BVerwG
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8. Senat
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20130516
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8 C 40/12
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Urteil
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vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 17. Februar 2012, Az: 10 BV 11.482, Urteil vorgehend VG Ansbach, 30. Januar 2007, Az: AN 4 K 06.02642, Urteil
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DEU
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1. Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten glücksspielrechtlichen Untersagung wegen Ermessensfehlern ist nicht mit einem Präjudizinteresse wegen der beabsichtigten Geltendmachung von Amtshaftungs- oder unionsrechtlichen Staatshaftungsansprüchen zu begründen, wenn nicht auszuschließen ist, dass die Untersagung auch bei fehlerfreier Ermessensausübung ergangen wäre.
2. Weder aus der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG noch aus der Gewährleistung eines wirksamen Rechtsbehelfs nach Art. 47 GRC (juris: EUGrdRCh) folgt ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse bei jedem erledigten, tiefgreifenden Eingriff in (benannte) Grundrechte oder in unionsrechtliche Grundfreiheiten. Ein solches Interesse kann nur bestehen, wenn die begehrte Feststellung die Position des Klägers verbessern kann oder wenn Eingriffe dieser Art sich typischerweise so kurzfristig endgültig erledigen, dass sie sonst nicht gerichtlich in einem Hauptsacheverfahren zu überprüfen wären.
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Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Untersagungsverfügung, mit der ihr die Veranstaltung, Durchführung und Vermittlung von Sportwetten verboten wurde.
In ihrer Betriebsstätte R.straße ... in N. vermittelte die Klägerin, eine polnische Staatsangehörige, Sportwetten insbesondere an die ... Buchmacherfirma H. GmbH. Nach vorheriger Anhörung untersagte die Beklagte der Klägerin mit sofort vollziehbarem Bescheid vom 12. Juli 2006, Sportwetten an in Bayern nicht erlaubte Wettunternehmen zu vermitteln, und forderte sie unter Androhung unmittelbaren Zwangs auf, die Tätigkeit bis zum 31. Juli 2006 einzustellen. Sie stützte die Untersagung auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG und führte aus, damit solle eine rechtswidrige Tat verhindert werden, die den objektiven Straftatbestand des § 284 Abs. 1 StGB verwirkliche. Mit Bescheid vom 29. August 2006 ersetzte die Beklagte die Androhung unmittelbaren Zwangs durch eine Zwangsgeldandrohung in Höhe von 20 000 €, ohne jedoch die Fristsetzung für die Betriebseinstellung anzupassen. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 6. September 2006 reduzierte sie den Betrag des Zwangsgelds auf 1 000 € und setzte zur Betriebseinstellung eine neue Frist bis zum 12. September 2006.
Die Klage mit dem Antrag, den Bescheid vom 12. Juli 2006 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 6. September 2006 aufzuheben, hat das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach mit Urteil vom 30. Januar 2007 abgewiesen. Die Berufung hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 18. Dezember 2008 zurückgewiesen. Er hat die Revision zugelassen, soweit sie die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung seit Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrages zum 1. Januar 2008 betrifft. Insoweit hat der Senat die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs mit Urteil vom 24. November 2010 - BVerwG 8 C 14.09 - (BVerwGE 138, 201 = Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 272) aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Im nach der Zurückverweisung fortgesetzten Berufungsverfahren hat die Klägerin sinngemäß begehrt, das verwaltungsgerichtliche Urteil zu ändern, die Untersagungsverfügung der Beklagten im Bescheid vom 12. Juli 2006 mit Wirkung ex nunc und die Zwangsmittelandrohung in der Fassung des Änderungsbescheides vom 6. September 2006 aufzuheben und festzustellen, dass die Untersagungsverfügung im Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs rechtswidrig war. Sie hat geltend gemacht, das staatliche Sportwettenmonopol sei auch unter dem Glücksspielstaatsvertrag verfassungs- und unionsrechtswidrig. Auf den Erlaubnisvorbehalt des § 4 Abs. 1 GlüStV allein könne die angefochtene Untersagungsverfügung nicht gestützt werden. Die Beklagte habe nicht festgestellt, dass die Tätigkeit der Klägerin nicht erlaubnisfähig sei. Ermessenserwägungen dürften im gerichtlichen Verfahren auch nicht nachträglich ausgetauscht werden. Ihr könne schließlich nicht entgegengehalten werden, dass die Wettanbieterin bislang über keine Erlaubnis verfüge, da die Erlaubnisverfahren durch immer neue Forderungen ohne gesetzliche Grundlage in die Länge gezogen würden.
Die Beklagte hat im Berufungsverfahren die Auffassung vertreten, der glücksspielrechtliche Erlaubnisvorbehalt werde durch die Unanwendbarkeit der Monopolregelung nicht berührt. Die Wettvermittlung dürfe bereits wegen formeller Illegalität unterbunden werden. Sie sei im Übrigen auch materiell nicht erlaubnisfähig, weil das aus dem Internet zu ersehende Angebot des Wettveranstalters, an den die Klägerin in erster Linie vermittelt habe, als inflationär zu bezeichnen sei und gegen das in § 21 Abs. 1 und 2 Satz 3 GlüStV geregelte Verbot von Live- und Zwischenwetten verstoße.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 17. Februar 2012 das erstinstanzliche Urteil geändert, die Untersagungsverfügung der Beklagten im Bescheid vom 12. Juli 2006 und die Zwangsmittelandrohung in der Fassung des Änderungsbescheides vom 6. September 2006 aufgehoben sowie festgestellt, dass die Untersagungsverfügung im Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum Zeitpunkt seiner Entscheidung rechtswidrig war. Zur Begründung hat er ausgeführt, die klageabweisende Entscheidung des Verwaltungsgerichts sei für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2007 rechtskräftig. Zu entscheiden sei nur noch über das Anfechtungsbegehren und den Fortsetzungsfeststellungsantrag für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum Ergehen des Berufungsurteils. Der in die Zukunft gerichtete Anfechtungsantrag sei begründet, weil die Untersagungsverfügung ermessensfehlerhaft sei. Sie stütze sich maßgeblich auf das staatliche Sportwettenmonopol, das seinerseits gegen Unionsrecht verstoße. Es schränke die Dienstleistungsfreiheit unverhältnismäßig ein, da es nicht den Anforderungen der Geeignetheit und dem daraus abzuleitenden Erfordernis der Kohärenz entspreche. Dass es irgendeinen Beitrag zur Verwirklichung der mit dem Monopol verfolgten Ziele leiste, reiche nicht aus. Zu fordern sei vielmehr ein glücksspielsektorenübergreifender, konzeptionell und inhaltlich aufeinander bezogener, systematischer Regelungszusammenhang, mit dem diese Ziele konsequent verfolgt würden. Daran fehle es im maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsentscheidung schon wegen der gegenläufigen Regelung des gewerblichen Automatenspiels. Die Expansionspolitik in diesem Bereich führe dazu, dass die Monopolziele der Suchtbekämpfung und des Spielerschutzes nicht mehr wirksam verfolgt werden könnten. Auf Interdependenzen zwischen den beiden Glücksspielsektoren komme es dabei nicht an. Bei einem derartig widersprüchlichen Regelungs- und Schutzkonzept sei nicht nur die Geeignetheit der Beschränkung in einem Teilsegment, sondern ihre Verhältnismäßigkeit insgesamt in den Blick zu nehmen.
Die Untersagungsverfügung könne auch nicht mit dem Hinweis auf die formelle Illegalität und die fehlende materielle Erlaubnisfähigkeit der Wettvermittlung aufrechterhalten werden. Eine vollständige Untersagung sei nur bei fehlender Erlaubnisfähigkeit gerechtfertigt. Außerdem stehe § 114 Satz 2 VwGO einer Berücksichtigung der nachgeschobenen Ermessenserwägungen entgegen. Diesen sei auch kein Neuerlass der Untersagungsverfügung unter konkludenter Rücknahme des Ausgangsbescheides zu entnehmen. Wegen der Rechtswidrigkeit der Untersagung könne die Zwangsgeldandrohung ebenfalls keinen Bestand haben.
Der Antrag, die Rechtswidrigkeit der Untersagung für die Vergangenheit festzustellen, sei zulässig und begründet. Ein berechtigtes Interesse der Klägerin an dieser Feststellung bestehe jedenfalls in Gestalt eines Rehabilitierungsinteresses. Dieses ergebe sich schon aus dem Vorwurf objektiv strafbaren Verhaltens. Im Übrigen sei ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse auch wegen des tiefgreifenden Eingriffs in die Berufsfreiheit zu bejahen, da andernfalls effektiver Rechtsschutz nicht gewährleistet sei. Auf das Vorliegen eines Präjudizinteresses komme es danach nicht an. Die Begründetheit des Fortsetzungsfeststellungsantrags ergebe sich aus den Urteilserwägungen zur Anfechtungsklage.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision macht die Beteiligte geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe zu Unrecht ein berechtigtes Feststellungsinteresse der Klägerin bejaht. Ein Rehabilitierungsinteresse scheide aus, da die Klägerin sich als juristische Person nicht strafbar machen könne. Die Untersagungsverfügung bewirke auch keinen tiefgreifenden Grundrechtseingriff, sondern erschöpfe sich in einer Berufsausübungsregelung. Materiell-rechtlich wende das Berufungsgericht das unionsrechtliche Kohärenzerfordernis unzutreffend an. Unabhängig davon werde die Untersagung auch von den nachgeschobenen Gründen getragen. Außerdem macht die Beteiligte Verfahrensmängel geltend.
Mit Schriftsatz vom 13. November 2012 hat die Beklagte erklärt, aus der angefochtenen Untersagungsverfügung ab dem 1. Juli 2012 keine Rechte mehr herzuleiten. Daraufhin haben die Hauptbeteiligten den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt.
Die Beteiligte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. Februar 2012 zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 30. Januar 2007 auch bezüglich des Zeitraums seit dem 1. Januar 2008 zurückzuweisen, soweit der Rechtsstreit noch nicht - in Bezug auf die Zeit seit dem 1. Juli 2012 - in der Hauptsache erledigt ist, sowie der Klägerin die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens insgesamt aufzuerlegen.
Die Beklagte schließt sich dem Revisionsvorbringen der Beteiligten an, ohne einen eigenen Antrag zu stellen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass anstelle der Aufhebung der Untersagungsverfügung der Beklagten vom 12. Juli 2006 und der Zwangsmittelandrohung in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 6. September 2006 deren Rechtswidrigkeit - auch - in der Zeit von der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs bis zum 30. Juni 2012 festgestellt wird, sowie die Kosten des Revisionsverfahrens insgesamt dem Freistaat Bayern aufzuerlegen.
Sie verteidigt das angegriffene Urteil und meint, der schwerwiegende Vorwurf unerlaubten Glücksspiels sei geeignet, ihr Ansehen im geschäftlichen Verkehr zu schädigen. Außerdem bestehe ein Feststellungsinteresse wegen des tiefgreifenden Eingriffs nicht nur in die Berufsfreiheit, sondern auch in unionsrechtliche Grundfreiheiten. Das Monopol habe faktisch als Berufsverbot gewirkt. Als dezidierte Gegnerin des Wettmonopols hätte sie praktisch keine Chance gehabt, eine Vermittlungserlaubnis der staatlichen Sportwette ODDSET zu erhalten. Sie hätte wegen § 25 Abs. 3 GlüStV noch nicht einmal selbst eine Vermittlungserlaubnis beantragen können, sondern wäre auf die gerichtlich nicht überprüfbare Auswahlentscheidung der staatlichen Lotterieverwaltung angewiesen gewesen. Die formelle Illegalität ihrer Tätigkeit könne ihr nicht entgegengehalten werden, weil ihr die Erlaubnis zur Vermittlung an private Wettanbieter unionsrechtswidrig vorenthalten worden sei. Ein Verneinen des Feststellungsinteresses entwerte ihren prozessualen Aufwand und bringe sie um die Früchte des mehr als vierjährigen Verfahrens. Materiell-rechtlich hält die Klägerin den Erlaubnisvorbehalt nach § 4 Abs. 1 GlüStV für unionsrechtswidrig und die Monopolregelung für inkohärent.
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Soweit die Hauptbeteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend - bezüglich der Zeit seit dem 1. Juli 2012 - für in der Hauptsache erledigt erklärt haben, war das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Einer Zustimmung des am Verfahren beteiligten Vertreters des öffentlichen Interesses bedurfte es nicht. Im Umfang der Teilerledigung sind das erstinstanzliche und das Berufungsurteil wirkungslos geworden.
Im Übrigen - soweit die Klägerin begehrt, die Rechtswidrigkeit der Untersagung für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zur Entscheidung des Berufungsgerichts und darüber hinaus bis zum 30. Juni 2012 festzustellen - ist die zulässige Revision begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs verletzt revisibles Recht, weil es unzutreffend annimmt, die Klägerin habe gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit für den bereits abgelaufenen Zeitraum. Das Urteil beruht auch auf dieser Rechtsverletzung und erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 137 Abs. 1, § 144 Abs. 4 VwGO). Bei zutreffender Rechtsanwendung hätte es die Fortsetzungsfeststellungsklage für unzulässig halten müssen. Dies führt zur Änderung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen - klagabweisenden - Urteils, soweit dieses nicht schon rechtskräftig geworden ist. Dem steht nicht entgegen, dass der Klagantrag umgestellt wurde.
1. In Bezug auf den noch verfahrensgegenständlichen, bereits abgelaufenen Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum 30. Juni 2012 kann die Untersagungsverfügung nur mit der Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO angegriffen werden.
a) Zu Recht hat der Verwaltungsgerichtshof den entsprechenden Antrag der Klägerin für die Zeit bis zur Berufungsentscheidung für statthaft gehalten, da die Untersagung sich als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung grundsätzlich fortlaufend für den jeweils abgelaufenen Zeitraum erledigt. Ein Verbot wird durch Zeitablauf gegenstandslos, weil es nicht rückwirkend befolgt oder durchgesetzt werden kann. Maßnahmen zur Vollstreckung der Untersagung schließen eine Erledigung nur aus, wenn sie bei Aufhebung der Grundverfügung noch rückgängig zu machen sind. Solche sind für den noch strittigen Zeitraum seit dem 1. Januar 2008 nicht ersichtlich.
b) Für den Zeitraum von der Berufungsentscheidung bis zum Ablauf der Wirkung der Untersagung infolge ihrer nachträglichen Befristung zum 30. Juni 2012 hat die Klägerin ihr Anfechtungsbegehren im Revisionsverfahren zulässig auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umgestellt. Das Verbot der Klageänderung gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 VwGO steht nur einer Änderung des Streitgegenstandes entgegen. Es schließt jedoch nicht aus, von der Anfechtung eines Verwaltungsakts zu einem Fortsetzungsfeststellungsantrag überzugehen. Dieser Antrag ist für die Zeit bis zum 30. Juni 2012 auch statthaft, da sich die angegriffene Untersagung bis zu diesem Tag weiter fortlaufend und mit seinem Ablauf endgültig erledigt hat.
2. Zulässig ist die statthafte Fortsetzungsfeststellungsklage allerdings nur, wenn die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsakts hat. Ein solches Interesse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Natur sein. Entscheidend ist, dass die gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die Position der Klägerin in den genannten Bereichen zu verbessern (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 4. März 1976 - BVerwG 1 WB 54.74 - BVerwGE 53, 134 <137> und vom 24. Oktober 2006 - BVerwG 6 B 61.06 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 24 Rn. 3). Als Sachentscheidungsvoraussetzung muss das Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegen. Danach kommt es hier auf den Schluss der mündlichen Verhandlung in der Revisionsinstanz an.
a) Für diesen Zeitpunkt lässt sich ein berechtigtes Feststellungsinteresse nicht mit einer Wiederholungsgefahr begründen. Dazu ist nicht nur die konkrete Gefahr erforderlich, dass künftig ein vergleichbarer Verwaltungsakt erlassen wird. Darüber hinaus müssen die für die Beurteilung maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sein (Urteil vom 12. Oktober 2006 - BVerwG 4 C 12.04 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 23 Rn. 8 m.w.N.). Daran fehlt es hier. Die für die Beurteilung einer glücksspielrechtlichen Untersagung maßgeblichen rechtlichen Umstände haben sich mit dem Inkrafttreten des Ersten Staatsvertrages zur Änderung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland vom 15. Dezember 2011 (BayGVBl 2012 S. 318) und dessen landesrechtlicher Umsetzung in Bayern zum 1. Juli 2012 gemäß §§ 1 und 4 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland und anderer Rechtsvorschriften vom 25. Juni 2012 (BayGVBl S. 270) grundlegend geändert. Dem steht nicht entgegen, dass der allgemeine Erlaubnisvorbehalt für die Veranstaltung und Vermittlung öffentlichen Glücksspiels nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV und die Ermächtigung zur Untersagung der unerlaubten Veranstaltung und Vermittlung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV fortgelten. Für die rechtliche Beurteilung einer Untersagung kommt es auch auf die Verhältnismäßigkeit des mit ihr durchgesetzten Erlaubnisvorbehalts sowie des Verbots selbst und damit auf Fragen der materiellen Erlaubnisfähigkeit des untersagten Verhaltens an (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 8 C 2.10 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 276 Rn. 55; dazu näher unten Rn. 52 f.). Insoweit ergeben sich aus den in Bayern zum 1. Juli 2012 in Kraft getretenen, § 4 GlüStV ergänzenden Spezialregelungen betreffend die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten erhebliche Unterschiede zur früheren, bis zum 30. Juni 2012 geltenden Rechtslage. Nach § 10a Abs. 1 und 2 i.V.m. §§ 4a ff. GlüStV wird das staatliche Sportwettenmonopol - zunächst für eine Experimentierphase von sieben Jahren - durch ein Konzessionssystem ersetzt. Gemäß § 10a Abs. 3 GlüStV können bundesweit bis zu 20 Wettunternehmen eine Veranstalterkonzession erhalten. Für die Konzessionäre wird das Internetverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV, von dem ohnehin nach Absatz 5 der Vorschrift dispensiert werden darf, nach Maßgabe des § 10a Abs. 4 Satz 1 und 2 GlüStV gelockert. Die Vermittlung konzessionierter Angebote bleibt nach § 10a Abs. 5 Satz 2 GlüStV i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV erlaubnispflichtig. Die Anforderungen an die gewerbliche Spielvermittlung werden aber in § 19 i.V.m. §§ 5 bis 8 GlüStV in wesentlichen Punkten neu geregelt. So wurden die Werbebeschränkungen des § 5 GlüStV deutlich zurückgenommen (dazu im Einzelnen Beschluss vom 17. Oktober 2012 - BVerwG 8 B 47.12 - Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 208 Rn. 6). Andererseits enthält § 7 Abs. 1 Satz 2 GlüStV eine weitgehende Konkretisierung der zuvor nur allgemein statuierten Aufklärungspflichten. Außerdem bindet § 8 Abs. 6 GlüStV erstmals auch die Vermittler in das übergreifende Sperrsystem nach § 23 GlüStV ein. Insgesamt schließen die erheblichen Änderungen der für die materiell-rechtliche Beurteilung der Untersagung erheblichen Vorschriften es aus, von einer im Wesentlichen gleichen Rechtslage auszugehen.
Aus der Befristung der experimentellen Konzessionsregelung lässt sich keine konkrete Wiederholungsgefahr herleiten. Ob der Gesetzgeber das Konzessionssystem und dessen materiell-rechtliche Ausgestaltung nach Ablauf der siebenjährigen Experimentierphase auf der Grundlage der inzwischen gewonnenen Erfahrungen fortschreiben, modifizieren oder aufgeben wird, ist ungewiss. Eine Rückkehr zur alten Rechtslage ist jedenfalls nicht abzusehen.
b) Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist auch nicht wegen eines Rehabilitierungsinteresses der Klägerin zu bejahen. Die gegenteilige Auffassung der Vorinstanz beruht auf der Annahme, ein solches Interesse bestehe schon wegen des Vorwurfs objektiver Strafbarkeit des untersagten Verhaltens. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
Ein berechtigtes ideelles Interesse an einer Rehabilitierung besteht nur, wenn sich aus der angegriffenen Maßnahme eine Stigmatisierung des Betroffenen ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen. Diese Stigmatisierung muss Außenwirkung erlangt haben und noch in der Gegenwart andauern (Beschlüsse vom 4. März 1976 a.a.O. S. 138 f. und vom 4. Oktober 2006 - BVerwG 6 B 64.06 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 36 S. 4 f.). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. In der Feststellung objektiver Strafbarkeit des untersagten Verhaltens liegt noch keine Stigmatisierung. Vielmehr erschöpft sie sich in der Aussage, die unerlaubte Veranstaltung und Vermittlung der Sportwetten erfülle den objektiven Tatbestand des § 284 Abs. 1 StGB und rechtfertige deshalb ein ordnungsbehördliches Einschreiten. Damit enthält sie kein ethisches Unwerturteil, das geeignet wäre, das soziale Ansehen des Betroffenen herabzusetzen. Diese Schwelle wird erst mit dem konkreten, personenbezogenen Vorwurf eines schuldhaft-kriminellen Verhaltens überschritten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 1952 - 1 BvR 197/53 - BVerfGE 9, 167 <171> und Urteil vom 6. Juni 1967 - 2 BvR 375, 53/60 und 18/65 - BVerfGE 22, 49 <79 f.>).
Einen solchen Vorwurf hat die Beklagte nach der revisionsrechtlich fehlerfreien Auslegung der Untersagungsverfügung durch die Vorinstanz hier nicht erhoben. Vielmehr bleibt offen, ob angesichts der umstrittenen und seinerzeit ungeklärten Rechtslage ein Entschuldigungsgrund in Gestalt eines unvermeidbaren Verbotsirrtums vorlag (vgl. BGH, Urteil vom 16. August 2007 - 4 StR 62/07 - NJW 2007, 3078 zur Rechtslage unter dem Lotteriestaatsvertrag). Die Einschätzung, die untersagte Tätigkeit sei objektiv strafbar, hat überdies keine Außenwirkung erlangt. Der Bescheid ist nur an die Klägerin gerichtet. Eine Weitergabe an Dritte ist weder substantiiert vorgetragen worden noch aus den Akten zu ersehen.
Nachteilige Auswirkungen der Untersagung in künftigen Verwaltungsverfahren - etwa zur Erlaubniserteilung nach aktuellem Recht - sind nach der im Termin zur mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingeführten Erklärung des Vertreters des Freistaates Bayern vom 21. März 2013 ebenfalls nicht zu besorgen. Danach werden Monopolverstöße dort zukünftig nicht als Anhaltspunkt für eine Unzuverlässigkeit von Konzessionsbewerbern oder Bewerbern um eine Vermittlungserlaubnis gewertet.
c) Entgegen dem angegriffenen Urteil lässt sich ein berechtigtes Feststellungsinteresse nicht mit dem Vorliegen eines tiefgreifenden Eingriffs in die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG begründen. Die Annahme des Berufungsgerichts, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO müsse wegen der Garantie effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG in diesem Sinne ausgelegt werden, trifft nicht zu. Eine Ausweitung des Tatbestandsmerkmals des berechtigten Feststellungsinteresses über die einfach-rechtlich konkretisierten Fallgruppen des berechtigten rechtlichen, ideellen oder wirtschaftlichen Interesses (aa) hinaus verlangt Art. 19 Abs. 4 GG nur bei Eingriffsakten, die sonst wegen ihrer typischerweise kurzfristigen Erledigung regelmäßig keiner gerichtlichen Überprüfung in einem Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten (bb). Eine weitere Ausdehnung des Anwendungsbereichs, die ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse allein wegen der Schwere des erledigten Eingriffs in Grundrechte oder Grundfreiheiten annimmt, ist auch aus Art. 47 GRC in Verbindung mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot nicht herzuleiten (cc).
aa) Aus dem Wortlaut des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO und dem systematischen Zusammenhang mit § 42 VwGO ergibt sich, dass die Verwaltungsgerichte nur ausnahmsweise für die Überprüfung erledigter Verwaltungsakte in Anspruch genommen werden können. Nach dem Wegfall der mit dem Verwaltungsakt verbundenen Beschwer wird gerichtlicher Rechtsschutz grundsätzlich nur zur Verfügung gestellt, wenn der Kläger ein berechtigtes rechtliches, wirtschaftliches oder ideelles Interesse an einer nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Maßnahme hat (dazu oben Rn. 20). Das berechtigte Feststellungsinteresse geht in all diesen Fällen über das bloße Interesse an der Klärung der Rechtswidrigkeit der Verfügung hinaus. Dies gilt unabhängig von der Intensität des erledigten Eingriffs und vom Rang der Rechte, die von ihm betroffen waren.
bb) Die Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG differenziert ebenfalls nicht nach diesen beiden Kriterien. Sie gilt auch für einfach-rechtliche Rechtsverletzungen, die - von der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG abgesehen - kein Grundrecht tangieren, und für weniger schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte und Grundfreiheiten. Umgekehrt gebietet die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG selbst bei tiefgreifenden Eingriffen in solche Rechte nicht, ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse anzunehmen, wenn dies nicht erforderlich ist, die Effektivität des Rechtsschutzes zu sichern.
Effektiver Rechtsschutz verlangt, dass der Betroffene ihn belastende Eingriffsmaßnahmen in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren überprüfen lassen kann. Solange er durch den Verwaltungsakt beschwert ist, stehen ihm die Anfechtungs- und die Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO zur Verfügung. Erledigt sich der Verwaltungsakt durch Wegfall der Beschwer, wird nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO Rechtsschutz gewährt, wenn der Betroffene daran ein berechtigtes rechtliches, ideelles oder wirtschaftliches Interesse hat. In den übrigen Fällen, in denen sein Anliegen sich in der bloßen Klärung der Rechtmäßigkeit des erledigten Verwaltungsakts erschöpft, ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nach Art. 19 Abs. 4 GG zu bejahen, wenn andernfalls kein wirksamer Rechtsschutz gegen solche Eingriffe zu erlangen wäre. Davon ist nur bei Maßnahmen auszugehen, die sich typischerweise so kurzfristig erledigen, dass sie ohne die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten. Maßgebend ist dabei, ob die kurzfristige, eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage ausschließende Erledigung sich aus der Eigenart des Verwaltungsakts selbst ergibt (BVerfG, Beschlüsse vom 5. Dezember 2001 - 2 BvR 527/99, 1337/00, 1777/00 - BVerfGE 104, 220 <232 f.> und vom 3. März 2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <86> m.w.N).
Glücksspielrechtliche Untersagungsverfügungen nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV zählen nicht zu den Verwaltungsakten, die sich in diesem Sinne typischerweise kurzfristig erledigen. Vielmehr sind sie als Verwaltungsakte mit Dauerwirkung (Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 8 C 2.10 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 276 Rn. 19 m.w.N.) gerade auf langfristige Geltung angelegt. Dass sie sich regelmäßig fortlaufend für den bereits zurückliegenden Zeitraum erledigen, lässt ihre gegenwärtige, sich täglich neu aktualisierende Wirksamkeit und damit auch ihre Anfechtbarkeit und Überprüfbarkeit im Hauptsacheverfahren unberührt (vgl. Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Januar 2012, § 113 Rn. 85 a.E.). Änderungen der Rechtslage führen ebenfalls nicht zur Erledigung. Vielmehr ist die Untersagung anhand der jeweils aktuellen Rechtslage zu prüfen. Dass ihre Anfechtung sich regelmäßig nur auf eine Aufhebung des Verbots mit Wirkung ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung richten kann, stellt keine Rechtsschutzbeschränkung dar. Vielmehr trägt dies dem Umstand Rechnung, dass das Verbot in der Vergangenheit keine Regelungswirkung mehr entfaltet, die aufgehoben werden könnte. Im Ausnahmefall, etwa bei einer noch rückgängig zu machenden Vollziehung der Untersagung, bleibt diese wegen ihrer Titelfunktion als Rechtsgrund der Vollziehung rückwirkend anfechtbar (Beschluss vom 25. September 2008 - BVerwG 7 C 5.08 - Buchholz 345 § 6 VwVG Nr. 1 Rn. 13; zur Vollzugsfolgenbeseitigung vgl. Urteil vom 14. März 2006 - BVerwG 1 C 11.05 - BVerwGE 125, 110 <Rn. 17> = Buchholz 402.242 § 63 AufenthG Nr. 2 Rn. 17).
Dass eine untypisch frühzeitige Erledigung im Einzelfall einer streitigen Hauptsacheentscheidung zuvorkommen kann, berührt Art. 19 Abs. 4 GG nicht. Die Rechtsweggarantie verbietet zwar, gesetzliche Zulässigkeitsanforderungen so auszulegen, dass ein gesetzlich eröffneter Rechtsbehelf leerläuft, weil das weitere Beschreiten des Rechtswegs unzumutbar und ohne sachliche Rechtfertigung erschwert wird (BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 2010 - 2 BvR 1023/08 - NJW 2011, 137 <Rn. 31> m.w.N.). Einen solchen Leerlauf hat die dargestellte Konkretisierung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses aber nicht zur Folge. Ihre sachliche Rechtfertigung und die Zumutbarkeit ihrer prozessualen Konsequenzen ergeben sich daraus, dass eine großzügigere Handhabung dem Kläger mangels berechtigten rechtlichen, ideellen oder wirtschaftlichen Interesses keinen relevanten Vorteil bringen könnte und auch nicht dazu erforderlich ist, maßnahmenspezifische Rechtsschutzlücken zu vermeiden.
Entgegen der Auffassung der Klägerin wird deren prozessualer Aufwand mit der endgültigen Erledigung des Verfahrens, wenn kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu bejahen ist, auch nicht entwertet. Das ursprüngliche Klageziel, die Beseitigung der Untersagung, wird infolge der zur Erledigung führenden Befristung durch das Unwirksamwerden der Verbotsverfügung mit Fristablauf erreicht. Das prozessuale Vorbringen zur Zulässigkeit und Begründetheit der Klage im Zeitpunkt der Erledigung kann sich bei der Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO zugunsten der Klägerin auswirken. Eine Hauptsacheentscheidung in jedem Einzelfall oder gar ein vollständiger Instanzenzug wird durch Art. 19 Abs. 4 GG nicht gewährleistet.
cc) Aus der Garantie eines wirksamen Rechtsbehelfs im Sinne des Art. 47 GRC ergibt sich keine Verpflichtung, das Merkmal des berechtigten Interesses nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO weiter auszulegen.
Allerdings ist nach der unionsgerichtlichen Rechtsprechung davon auszugehen, dass der sachliche Anwendungsbereich der Grundrechtecharta nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRC eröffnet ist, weil die Klägerin Rechtsschutz wegen einer Beschränkung ihrer Dienstleistungsfreiheit begehrt. Zur mitgliedstaatlichen Durchführung des Unionsrechts im Sinne der Vorschrift rechnet der Gerichtshof nicht nur Umsetzungsakte im Sinne eines unionsrechtlich - zumindest teilweise - determinierten Vollzugs, sondern auch mitgliedstaatliche Eingriffe in Grundfreiheiten nach Maßgabe der allgemeinen unionsrechtlichen Schrankenvorbehalte. An dieser Rechtsprechung, die vor Inkrafttreten der Charta zur Abgrenzung des Anwendungsbereichs unionsrechtlicher Grundrechte als allgemeiner Grundsätze des Unionsrechts entwickelt wurde (vgl. EuGH, Urteil vom 18. Juni 1991 - Rs. C-260/89, ERT - Slg. 1991 I-2951 <Rn. 42>), hält der Gerichtshof weiterhin fest. Er geht von einer mitgliedstaatlichen Bindung an die Unionsgrundrechte im gesamten Anwendungsbereich des Unionsrechts aus und verweist dazu auf die Erläuterungen zu Art. 51 GRC, die nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV, Art. 52 Abs. 7 GRC bei der Auslegung der Charta zu berücksichtigen sind (EuGH, Urteil vom 26. Februar 2013 - Rs. C-617/10, Akerberg Fransson - EuZW 2013, 302 <Rn. 17 ff.>). Wie diese Abgrenzungsformel im Einzelnen zu verstehen ist, inwieweit bei ihrer Konkretisierung grammatische und entstehungsgeschichtliche Anhaltspunkte für eine bewusste Begrenzung des Anwendungsbereichs durch Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRC maßgeblich und welche Folgerungen aus kompetenzrechtlichen Grenzen zu ziehen sind (vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 24. April 2013 - 1 BvR 1215/07 - NJW 2013, 1499 Rn. 88 und 90; zur Entstehungsgeschichte Borowsky, in: Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Aufl. 2011, S. 643 ff.), bedarf hier keiner Klärung. Geht man von der Anwendbarkeit des Art. 47 GRC aus, ist dieser jedenfalls nicht verletzt.
Mit der Verpflichtung, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen Rechtsverletzungen zur Verfügung zu stellen, konkretisiert Art. 47 Abs. 1 GRC den allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz effektiven Rechtsschutzes (dazu vgl. EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 - Rs. C-279/09, DEB - EuZW 2011, 137 <Rn. 29> und Beschluss vom 13. Juni 2012 - Rs. C-156/12, GREP - juris <Rn. 35>). Er hindert den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber aber nicht, für die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs ein qualifiziertes Interesse des Klägers zu fordern und diese Anforderung im Sinne der soeben unter aa) und bb) (Rn. 28 und 29 ff.) dargelegten Kriterien zu konkretisieren.
Wie sich aus den einschlägigen unionsgerichtlichen Entscheidungen ergibt, bleibt es grundsätzlich den Mitgliedstaaten überlassen, im Rahmen der Ausgestaltung ihres Prozessrechts die Klagebefugnis und das Rechtsschutzinteresse des Einzelnen zu normieren. Begrenzt wird das mitgliedstaatliche Ermessen bei der Regelung solcher Zulässigkeitsvoraussetzungen durch das unionsrechtliche Äquivalenzprinzip, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Effektivitätsgebot (EuGH, Urteile vom 11. Juli 1991 - Rs. C-87/90 u.a., Verholen u.a. ./. Sociale Verzekeringsbank - Slg. 1991 I-3783 <Rn. 24> und vom 16. Juli 2009 - Rs. C-12/08, Mono Car Styling ./. Dervis Odemis u.a. - Slg. 2009 I-6653 <Rn. 49>; Beschluss vom 13. Juni 2012 a.a.O. <Rn. 39 f.>).
Das Äquivalenzprinzip verlangt eine Gleichwertigkeit der prozessrechtlichen Bedingungen für die Durchsetzung von Unionsrecht und mitgliedstaatlichem Recht (EuGH, Urteil vom 13. März 2007 - Rs. C-432/05, Unibet ./. Justitiekansler - Slg. 2005 I-2301 <Rn. 43>). Es ist hier nicht betroffen, weil die dargelegte verfassungskonforme Konkretisierung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nicht danach unterscheidet, ob eine Verletzung von Unions- oder mitgliedstaatlichem Recht geltend gemacht wird.
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verbietet eine Zulässigkeitsregelung, die das Recht auf Zugang zum Gericht in seinem Wesensgehalt selbst beeinträchtigt, ohne einem unionsrechtlich legitimen Zweck zu dienen und im Verhältnis dazu angemessen zu sein (EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 a.a.O. <Rn. 60> und Beschluss vom 13. Juni 2012 a.a.O. <Rn. 39 f.>). Hier fehlt schon eine den Wesensgehalt des Rechts selbst beeinträchtigende Rechtswegbeschränkung. Sie liegt vor, wenn dem Betroffenen der Zugang zum Gericht trotz einer Belastung durch die beanstandete Maßnahme verwehrt wird, weil die fragliche Regelung für den Zugang zum Recht ein unüberwindliches Hindernis aufrichtet (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 a.a.O. <Rn. 61>; Beschluss vom 13. Juni 2012 a.a.O. <Rn. 41>). Danach kommt es - nicht anders als nach der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 19 Abs. 4 GG - maßgeblich darauf an, dass der Betroffene eine ihn belastende Eingriffsmaßnahme gerichtlich überprüfen lassen kann. Das war hier gewährleistet, da die Untersagungsverfügung bis zu ihrer endgültigen Erledigung angefochten werden konnte und § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO eine Fortsetzungsfeststellung ermöglichte, soweit diese noch zur Abwendung fortwirkender Nachteile von Nutzen sein konnte. Dass die Vorschrift keinen darüber hinausgehenden Anspruch auf eine Fortsetzung des Prozesses nur zum Zweck nachträglicher Rechtsklärung vorsieht, widerspricht nicht dem Wesensgehalt der Garantie eines wirksamen Rechtsbehelfs. Unabhängig davon wäre selbst eine Beeinträchtigung des Rechts in seinem Wesensgehalt verhältnismäßig. Sie wäre geeignet, erforderlich und angemessen, die Prozessökonomie zur Verwirklichung des unionsrechtlich legitimen Ziels zügigen, effektiven Rechtsschutzes für alle Rechtssuchenden zu wahren.
Das Effektivitätsgebot ist ebenfalls nicht verletzt. Es fordert eine Ausgestaltung des mitgliedstaatlichen Rechts, die die Ausübung unionsrechtlich gewährleisteter Rechte nicht praktisch unmöglich macht oder unzumutbar erschwert (EuGH, Urteile vom 11. Juli 1991 a.a.O. und vom 13. März 2007 a.a.O. <Rn. 43>). Bezogen auf die mitgliedstaatliche Regelung prozessualer Zulässigkeitsvoraussetzungen ergibt sich daraus, dass den Trägern unionsrechtlich begründeter Rechte gerichtlicher Rechtsschutz zur Verfügung stehen muss, der eine wirksame Kontrolle jeder Rechtsverletzung und damit die Durchsetzbarkeit des betroffenen Rechts gewährleistet. Diese Anforderungen gehen nicht über die aus Art. 19 Abs. 4 GG herzuleitende Gewährleistung einer gerichtlichen Überprüfbarkeit jedes Eingriffs in einem Hauptsacheverfahren hinaus. Insbesondere lässt sich aus dem Effektivitätsgebot keine Verpflichtung herleiten, eine Fortsetzung der gerichtlichen Kontrolle nach Erledigung des Eingriffs unabhängig von einem rechtlichen, ideellen oder wirtschaftlichen Nutzen für den Kläger allein unter dem Gesichtspunkt eines abstrakten Rechtsklärungsinteresses vorzusehen (vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro, in: - Rs. C-83/91, Meilicke/ADV/ORGA AG - vom 8. April 1992, Slg. 1992 I-4897 <Rn. 5>). Das gilt erst recht, wenn die Maßnahme bereits Gegenstand einer gerichtlichen Hauptsacheentscheidung war und sich erst im Rechtsmittelverfahren erledigt hat.
An der Richtigkeit dieser Auslegung des Art. 47 Abs. 1 GRC und des unionsrechtlichen Grundsatzes effektiven Rechtsschutzes bestehen unter Berücksichtigung der zitierten unionsgerichtlichen Rechtsprechung keine ernsthaften Zweifel im Sinne der acte-clair-Doktrin (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs. C-283/81, C.I.L.F.I.T. u.a. -, Slg. 1982, S. 3415 <Rn. 16 ff.>). Eine Vorlage an den Gerichtshof ist deshalb nach Art. 267 Abs. 3 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) nicht geboten.
d) Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergibt sich schließlich nicht aus der Präjudizwirkung der beantragten Feststellung für den von der Klägerin angestrebten Staatshaftungsprozess. Auch das Berufungsgericht hat das nicht angenommen. Ein Präjudizinteresse kann nur bestehen, wenn die beabsichtigte Geltendmachung von Staatshaftungsansprüchen nicht offensichtlich aussichtslos ist. Bei der Prüfung dieses Ausschlusskriteriums ist ein strenger Maßstab anzulegen. Die Wahrscheinlichkeit eines Misserfolgs im zivilgerichtlichen Haftungsprozess genügt nicht. Offensichtlich aussichtslos ist eine Staatshaftungsklage jedoch, wenn der geltend gemachte Anspruch unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt besteht und dies sich ohne eine ins Einzelne gehende Würdigung aufdrängt (Urteile vom 14. Januar 1980 - BVerwG 7 C 92.79 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 95 S. 27, vom 29. April 1992 - BVerwG 4 C 29.90 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 247 S. 90 und vom 8. Dezember 1995 - BVerwG 8 C 37.93 - BVerwGE 100, 83 <92> = Buchholz 454.11 WEG Nr. 7). Der Verwaltungsprozess muss nicht zur Klärung öffentlich-rechtlicher Vorfragen der Staatshaftung fortgeführt werden, wenn der Kläger daraus wegen offenkundigen Fehlens anderer Anspruchsvoraussetzungen keinen Nutzen ziehen könnte. Hier drängt sich schon ohne eine detaillierte Würdigung auf, dass der Klägerin selbst bei Rechtswidrigkeit der Untersagung keine staatshaftungsrechtlichen Ansprüche zustehen.
Die Voraussetzungen der Amtshaftung gemäß Art. 34 Satz 1 GG, § 839 BGB oder des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs (zu dessen Herleitung vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 1991 - Rs. C-6/90 und 9/90, Francovich u.a. - Slg. 1991 I-5357 <Rn. 35>) liegen ersichtlich nicht vor, ohne dass es insoweit einer ins Einzelne gehenden Prüfung bedürfte. Weitere Anspruchsgrundlagen kommen nicht in Betracht.
aa) Für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum Ergehen der unionsgerichtlichen Urteile zu den deutschen Sportwettenmonopolen (EuGH, Urteile vom 8. September 2010 - Rs. C-316/07 u.a., Markus Stoß u.a. - Slg. 2010 I-8069, - Rs. C-46/08, Carmen Media Group - Slg. 2010 I-8175 und - Rs. C-409/06, Winner Wetten - Slg. 2010 I-8041) scheidet ein Amtshaftungsanspruch aus, weil den Amtswaltern selbst bei Rechtswidrigkeit der zur Begründung der Untersagung herangezogenen Monopolregelung keine schuldhaft fehlerhafte Rechtsanwendung zur Last zu legen ist. Die unionsrechtliche Staatshaftung greift für diesen Zeitraum nicht ein, da ein etwaiger Verstoß gegen das Unionsrecht nicht hinreichend qualifiziert war.
(1) Einem Amtswalter ist auch bei fehlerhafter Rechtsanwendung regelmäßig kein Verschulden im Sinne des § 839 BGB vorzuwerfen, wenn seine Amtstätigkeit durch ein mit mehreren rechtskundigen Berufsrichtern besetztes Kollegialgericht aufgrund einer nicht nur summarischen Prüfung als objektiv rechtmäßig angesehen wird (Urteil vom 17. August 2005 - BVerwG 2 C 37.04 - BVerwGE 124, 99 <105 ff.> = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 32; BGH, Urteil vom 6. Februar 1986 - III ZR 109/84 - BGHZ 97, 97 <107>). Das Verwaltungsgericht hat die angegriffene Untersagungsverfügung im Hauptsacheverfahren - unabhängig von der Wirksamkeit und Anwendbarkeit des Monopols - für rechtmäßig gehalten. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bejahte seinerzeit in ständiger Rechtsprechung die Vereinbarkeit des Sportwettenmonopols mit höherrangigem Recht sowie die Rechtmäßigkeit darauf gestützter Untersagungen unerlaubter Wettvermittlung (vgl. VGH München, Urteile vom 18. Dezember 2008 - 10 BV 07.558 - ZfWG 2009, 27 und - 10 BV 07.774/775 - juris). Er hat diese Auffassung erst im Hinblick auf die im Herbst 2010 veröffentlichten Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union zu den deutschen Sportwettenmonopolen vom 8. September 2010 (a.a.O.) sowie die daran anknüpfenden Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. November 2010 (BVerwG 8 C 14.09 - BVerwGE 138, 201 = Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 272, - BVerwG 8 C 15.09 - NWVBl 2011, 307 sowie - BVerwG 8 C 13.09 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 273) in einer Eilentscheidung im Frühjahr 2011 aufgegeben (VGH München, Beschluss vom 21. März 2011 - 10 AS 10.2499 - ZfWG 2011, 197 = juris Rn. 24 ff.). Die Orientierung an der berufungsgerichtlichen Rechtsprechung kann den Amtswaltern auch nicht etwa vorgeworfen werden, weil die kollegialgerichtlichen Entscheidungen bis Ende 2010 - für sie erkennbar - von einer schon im Ansatzpunkt völlig verfehlten rechtlichen Betrachtung ausgegangen wären (zu diesem Kriterium vgl. BVerwG, Urteil vom 17. August 2005 a.a.O. S. 106 f.). Hinreichend geklärt war ein etwaiger Verstoß gegen unionsrechtliche Vorgaben jedenfalls nicht vor Ergehen der zitierten unionsgerichtlichen Entscheidungen (BGH, Urteil vom 18. Oktober 2012 - III ZR 196/11 - EuZW 2013, 194 <Rn. 22 ff.>), die durch die nachfolgenden Urteile des Senats in Bezug auf das bayerische Monopol konkretisiert wurden. Der Gerichtshof stellte seinerzeit erstmals klar, dass die Verhältnismäßigkeit im unionsrechtlichen Sinn nicht nur eine kohärente Ausgestaltung des jeweiligen Monopolbereichs selbst, sondern darüber hinaus eine Kohärenz auch zwischen den Regelungen verschiedener Glücksspielsektoren fordert. Außerdem präzisierte er die Grenzen zulässiger, nicht auf Expansion gerichteter Werbung für die besonders umstrittene Imagewerbung.
(2) Im Zeitraum bis zum Herbst 2010 fehlt es auch an einem hinreichend qualifizierten Rechtsverstoß, wie er für die unionsrechtliche Staatshaftung erforderlich ist. Diese setzt eine erhebliche und gleichzeitig offenkundige Verletzung des Unionsrechts voraus. Maßgeblich dafür sind unter anderem das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, der Umfang des durch sie belassenen Ermessensspielraums und die Frage, ob Vorsatz bezüglich des Rechtsbruchs oder des Zufügens des Schadens vorlag, sowie schließlich, ob ein Rechtsirrtum entschuldbar war (EuGH, Urteil vom 5. März 1996 - Rs. C-46 und 48/93, Brasserie du Pêcheur und Factortame - Slg. 1996 I-1029 <Rn. 51 und 55>). Nach diesen Kriterien kann zumindest bis zu den zitierten Entscheidungen des Gerichtshofs von einer offenkundigen erheblichen Verletzung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit durch die Monopolregelung nicht die Rede sein. Mangels Harmonisierung des Glücksspielbereichs stand den Mitgliedstaaten ein weites Regelungsermessen zur Verfügung. Seine durch die Grundfreiheiten gezogenen Grenzen waren jedenfalls bis zur unionsgerichtlichen Konkretisierung der intersektoralen Kohärenz nicht so genau und klar bestimmt, dass ein etwaiger Rechtsirrtum unentschuldbar gewesen wäre.
bb) Für den anschließenden Zeitraum bis zur endgültigen Erledigung der angegriffenen Untersagung am 30. Juni 2012 bedarf es keiner Prüfung, ob eine schuldhaft fehlerhafte Rechtsanwendung der Behörden oder ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen das Unionsrecht zu bejahen ist. Jedenfalls fehlt offensichtlich die erforderliche Kausalität zwischen einer etwaigen Rechtsverletzung und dem möglicherweise geltend zu machenden Schaden. Das ergibt sich schon aus den allgemeinen Grundsätzen zur Kausalität von fehlerhaften Ermessensentscheidungen für einen etwaigen Schaden.
(1) Die Amtshaftung setzt gemäß § 839 BGB voraus, dass der Schaden durch das schuldhaft rechtswidrige Handeln des Amtsträgers verursacht wurde. Bei Ermessensentscheidungen ist das zu verneinen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch bei fehlerfreier Rechtsanwendung dieselbe zum Schaden führende Entscheidung getroffen worden wäre (BGH, Beschlüsse vom 21. Januar 1982 - III ZR 37/81 - VersR 1982, 275 und vom 30. Mai 1985 - III ZR 198/84 - VersR 1985, 887 f.; Vinke, in: Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch, Bd. 12, Stand: Sommer 2005, § 839 Rn. 176, zur Unterscheidung von der Figur rechtmäßigen Alternativverhaltens vgl. ebd. Rn. 178).
Die unionsrechtliche Staatshaftung greift nur bei einem unmittelbaren Kausalzusammenhang zwischen der hinreichend qualifizierten Unionsrechtsverletzung und dem Schaden ein. Diese unionsrechtlich vorgegebene Haftungsvoraussetzung ist im mitgliedstaatlichen Recht umzusetzen (EuGH, Urteil vom 5. März 1996 a.a.O. <Rn. 51>). Sie ist erfüllt, wenn ein unmittelbarer ursächlicher und adäquater Zusammenhang zwischen dem hinreichend qualifizierten Unionsrechtsverstoß und dem Schaden besteht (BGH, Urteil vom 24. Oktober 1996 - III ZR 127/91 - BGHZ 134, 30 <39 f.>; Papier, in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl. 2009, § 839 Rn. 101). Bei Ermessensentscheidungen ist dieser Kausalzusammenhang nicht anders zu beurteilen als in den Fällen der Amtshaftung. Er fehlt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Schaden auch bei rechtsfehlerfreier Ermessensausübung eingetreten wäre.
Nach beiden Anspruchsgrundlagen käme daher eine Haftung nur in Betracht, wenn feststünde, dass der Schaden bei rechtmäßiger Ermessensausübung vermieden worden wäre. Das ist für den noch offenen Zeitraum vom Herbst 2010 bis zum 30. Juni 2012 offenkundig zu verneinen. In dieser Zeit war eine Untersagung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV zur Durchsetzung des glücksspielrechtlichen Erlaubnisvorbehalts nach § 4 Abs. 1 GlüStV ermessensfehlerfrei gemäß Art. 40 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG) möglich. Es steht auch nicht fest, dass die Beklagte in Kenntnis dieser Befugnis von einer Untersagung abgesehen hätte.
(2) Der Erlaubnisvorbehalt selbst war unabhängig von der Rechtmäßigkeit des Sportwettenmonopols verfassungskonform (BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Oktober 2008 - 1 BvR 928/08 - NVwZ 2008, 1338 <Rn. 23. ff., insbesondere Rn. 32, 45 und 52>; BVerwG, Urteil vom 24. November 2010 - BVerwG 8 C 13.09 - a.a.O. Rn. 73, 77 ff.) und verstieß auch nicht gegen Unionsrecht. Er diente nicht allein dem Schutz des Monopols, sondern auch unabhängig davon den verfassungs- wie unionsrechtlich legitimen Zielen des Jugend- und Spielerschutzes und der Kriminalitätsbekämpfung. Das in Art. 2 des Bayerischen Gesetzes zur Ausführung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland (BayAGGlüStV) näher geregelte Erlaubnisverfahren ermöglichte die präventive Prüfung, ob unter anderem die für die Tätigkeit erforderliche persönliche Zuverlässigkeit vorlag (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BayAGGlüStV) und die in Art. 2 Abs. 1 BayAGGlüStV in Bezug genommenen Anforderungen des Jugend- und Spielerschutzes nach §§ 4 ff. GlüStV sowie die besonderen Regelungen der gewerblichen Vermittlung und des Vertriebs von Sportwetten nach §§ 19, 21 GlüStV beachtet wurden. Diese gesetzlichen Anforderungen waren im Hinblick auf das damit verfolgte Ziel verhältnismäßig und angemessen (Urteil vom 24. November 2010 - BVerwG 8 C 13.09 - a.a.O. Rn. 80 f., 83). Darüber hinaus waren sie hinreichend bestimmt, transparent und nicht diskriminierend. Gegen etwa rechtswidrige Ablehnungsentscheidungen standen wirksame Rechtsbehelfe zur Verfügung (zu diesen Anforderungen vgl. EuGH, Urteile vom 9. September 2010 - Rs. C-64/08, Engelmann - Slg. 2010 I-8219 <Rn. 54 f.>, vom 19. Juli 2012 - Rs. C-470/11, SIA Garkalns - NVwZ 2012, 1162 <Rn. 42 ff.> sowie vom 24. Januar 2013 - Rs. C-186/11 und C-209/11, Stanleybet Int. Ltd. u.a. - ZfWG 2013, 95 <Tenorziffer 3 und Rn. 47 f.>).
(3) Weil die Klägerin nicht über die erforderliche Erlaubnis für die Veranstaltung und die Vermittlung der von ihr vertriebenen Sportwetten verfügte, war der Tatbestand der Untersagungsermächtigung offenkundig erfüllt. Art. 40 BayVwVfG ließ auch eine Ermessensausübung im Sinne einer Untersagung zu. Sie entsprach dem Zweck der Norm, da die Untersagungsermächtigung dazu diente, die vorherige behördliche Prüfung der Erlaubnisfähigkeit der beabsichtigten Gewerbetätigkeit zu sichern und damit die mit einer unerlaubten Tätigkeit verbundenen Gefahren abzuwehren. Die Rechtsgrenzen des Ermessens schlossen ein Verbot ebenfalls nicht aus. Insbesondere verpflichtete das Verhältnismäßigkeitsgebot die Beklagte nicht, von einer Untersagung abzusehen und die formell illegale Tätigkeit zu dulden. Das wäre nur anzunehmen, wenn die formell illegale Tätigkeit die materiellen Erlaubnisvoraussetzungen - mit Ausnahme der möglicherweise rechtswidrigen Monopolvorschriften - erfüllte und dies für die Untersagungsbehörde im Zeitpunkt ihrer Entscheidung offensichtlich, d.h. ohne weitere Prüfung erkennbar war. Dann war die Untersagung nicht mehr zur Gefahrenabwehr erforderlich. Verbleibende Unklarheiten oder Zweifel an der Erfüllung der nicht monopolabhängigen Erlaubnisvoraussetzungen rechtfertigten dagegen ein Einschreiten. In diesem Fall war die Untersagung notwendig, die Klärung im Erlaubnisverfahren zu sichern und zu verhindern, dass durch die unerlaubte Tätigkeit vollendete Tatsachen geschaffen und ungeprüfte Gefahren verwirklicht wurden.
Aus dem Urteil des Senats vom 1. Juni 2011 (BVerwG 8 C 2.10 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 276 <Rn. 55>; vgl. die Parallelentscheidungen vom selben Tag - BVerwG 8 C 4.10 - ZfWG 2011, 341 und Urteile vom 11. Juli 2011 - BVerwG 8 C 11.10 und BVerwG 8 C 12.10 - je juris Rn. 53) ergibt sich nichts anderes. Die dortige Formulierung, der Erlaubnisvorbehalt rechtfertige eine vollständige Untersagung nur bei Fehlen der Erlaubnisfähigkeit, mag Anlass zu Missverständnissen gegeben haben. Sie ist aber nicht als Verschärfung der Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit präventiver Untersagungen zu verstehen und behauptet keine Pflicht der Behörde, eine unerlaubte Tätigkeit bis zur Klärung ihrer Erlaubnisfähigkeit zu dulden. Das ergibt sich schon aus dem Zusammenhang der zitierten Formulierung mit der unmittelbar daran anschließenden Erwägung, bei Zweifeln hinsichtlich der Beachtung von Vorschriften über die Art und Weise der Gewerbetätigkeit kämen zunächst Nebenbestimmungen in Betracht. Dies beschränkt die Durchsetzbarkeit des glücksspielrechtlichen Erlaubnisvorbehalts nicht auf Fälle, in denen bereits feststeht, dass die materielle Erlaubnisfähigkeit endgültig und unbehebbar fehlt. Hervorgehoben wird nur, dass eine vollständige Untersagung unverhältnismäßig ist, wenn Nebenbestimmungen ausreichen, die Legalität einer im Übrigen offensichtlich erlaubnisfähigen Tätigkeit zu sichern. Das setzt zum einen den Nachweis der Erlaubnisfähigkeit im Übrigen und zum anderen einen Erlaubnisantrag voraus, da Nebenbestimmungen sonst nicht erlassen werden können. Solange nicht offensichtlich ist, dass die materielle Legalität vorliegt oder jedenfalls allein mit Nebenbestimmungen gesichert werden kann, bleibt die Untersagung zur Gefahrenabwehr erforderlich. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem vom Verwaltungsgerichtshof angeführten Urteil vom 24. November 2010 (BVerwG 8 C 13.09 a.a.O. Rn. 72). Es erkennt eine Reduzierung des Untersagungsermessens zulasten des Betroffenen an, wenn feststeht, dass dessen unerlaubte Tätigkeit wesentliche Erlaubnisvoraussetzungen nicht erfüllt. Damit bietet es jedoch keine Grundlage für den - unzulässigen - Umkehrschluss, nur in diesem Fall sei eine Untersagung verhältnismäßig.
Die unionsgerichtliche Rechtsprechung, nach der gegen den Betroffenen keine strafrechtlichen Sanktionen wegen des Fehlens einer unionsrechtswidrig vorenthaltenen oder verweigerten Erlaubnis verhängt werden dürfen (EuGH, Urteile vom 6. März 2007 - Rs. C-338/04, Placanica u.a. - Slg. 2007 I-1932 <Tenorziffer 4 und Rn. 68 ff.> sowie vom 16. Februar 2002 - Rs. C-72/10 und C-77/10, Costa und Cifone - EuZW 2012, 275 <Rn. 83>), schließt eine ordnungsrechtliche präventive Untersagung bis zur Klärung der - monopolunabhängigen - Erlaubnisfähigkeit ebenfalls nicht aus. Insbesondere verlangt das Unionsrecht selbst bei Rechtswidrigkeit des Monopols keine - und erst recht keine sofortige - Öffnung des Markts für alle Anbieter ohne jede präventive Kontrolle. Vielmehr steht es dem Mitgliedstaat in einer solchen Situation frei, das Monopol zu reformieren oder sich für eine Liberalisierung des Marktzugangs zu entscheiden. In der Zwischenzeit ist er lediglich verpflichtet, Erlaubnisanträge privater Anbieter nach unionsrechtskonformen Maßstäben zu prüfen und zu bescheiden (EuGH, Urteil vom 24. Januar 2013 - Rs. C-186/11 u. a., Stanleybet Int. Ltd. u.a. - a.a.O. <Rn. 39, 44, 46 ff.>). Einen Anspruch auf Duldung einer unerlaubten Tätigkeit vermittelt das Unionsrecht auch bei Unanwendbarkeit der Monopolregelung nicht.
Keiner näheren Prüfung bedarf die Verhältnismäßigkeit der Durchsetzung des Erlaubnisvorbehalts für den Fall, dass die Betroffenen keine Möglichkeit hatten, eine Erlaubnis zu erlangen. Der Freistaat Bayern hat nämlich die Entscheidungen des Gerichtshofs vom 8. September 2010 zum Anlass genommen, das Erlaubnisverfahren nach Art. 2 BayAGGlüStV für private Anbieter und die Vermittler an diese zu öffnen. Entgegen der Auffassung der Klägerin bot diese Regelung in Verbindung mit den Vorschriften des Glücksspielstaatsvertrages eine ausreichende gesetzliche Grundlage für die Durchführung eines Erlaubnisverfahrens. Die Zuständigkeit der Regierung der O. ergab sich aus Art. 2 Abs. 4 Nr. 3 BayAGGlüStV. Der möglichen Rechtswidrigkeit des Sportwettenmonopols war durch Nichtanwenden der Monopol- und monopolakzessorischen Regelungen Rechnung zu tragen. Die gesetzlich normierten materiell-rechtlichen Anforderungen an das Wettangebot und dessen Vermittlung ließen sich entsprechend auf das Angebot privater Wettunternehmer und dessen Vertrieb anwenden. Einzelheiten, etwa die Richtigkeit der Konkretisierung einer solchen entsprechenden Anwendung in den im Termin zur mündlichen Verhandlung angesprochenen, im Verfahren BVerwG 8 C 15.12 vorgelegten Checklisten sowie die Frage, ob und in welcher Weise private Anbieter in das bestehende Spielersperrsystem einzubeziehen waren, müssen hier nicht erörtert werden. Aus verfassungs- und unionsrechtlicher Sicht genügt es, dass eine grundrechts- und grundfreiheitskonforme Anwendung der Vorschriften mit der Folge einer Erlaubniserteilung an private Anbieter und deren Vermittler möglich war und dass diesen gegen etwa rechtsfehlerhafte Ablehnungsentscheidungen effektiver gerichtlicher Rechtsschutz zur Verfügung stand. Der vom Berufungsgericht hervorgehobene Umstand, eine Erlaubniserteilung sei bisher nicht bekannt geworden, ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zwangsläufig auf systematische Rechtsverstöße zurückzuführen. Er kann sich auch daraus ergeben haben, dass in den zur Kenntnis des Berufungsgerichts gelangten Fällen mindestens eine wesentliche und auch nicht durch Nebenbestimmungen zu sichernde Erlaubnisvoraussetzung fehlte.
(4) Im vorliegenden Falle war die materielle Erlaubnisfähigkeit der unerlaubten Tätigkeit für die Behörde der Beklagten im Zeitpunkt ihrer Entscheidung nicht offensichtlich. Vielmehr war für sie nicht erkennbar, inwieweit die gewerbliche Sportwettenvermittlung der Klägerin den ordnungsrechtlichen Anforderungen insbesondere des Jugend- und des Spielerschutzes genügte, zumal sie Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Verbot von Zwischen- und Live-Wetten hatte. Die Klägerin hatte dazu keine aussagekräftigen Unterlagen vorgelegt, sondern meinte, ihre unerlaubte Tätigkeit müsse aus unionsrechtlichen Gründen hingenommen werden.
Nach der Verwaltungspraxis der Beklagten ist auch nicht festzustellen, dass diese die unerlaubte Tätigkeit in Kenntnis der Möglichkeit einer rechtsfehlerfreien Untersagung geduldet hätte.
cc) Weitere Anspruchsgrundlagen für eine Staatshaftung kommen nicht in Betracht. Eine über die Amtshaftung und den unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch hinausgehende Haftung für eine rechtswidrige Inanspruchnahme als Störer sieht das bayerische Landesrecht nicht vor (vgl. Art. 70 ff. des Polizeiaufgabengesetzes - BayPAG).
e) Andere Umstände, aus denen sich ein berechtigtes Feststellungsinteresse der Klägerin ergeben könnte, sind nicht erkennbar.
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Deutschland
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public
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WBRE410019744
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BVerwG
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8. Senat
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20130516
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8 C 38/12
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Urteil
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vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 24. April 2012, Az: 10 BV 11.2770, Urteil vorgehend VG München, 28. April 2009, Az: M 16 K 08.2756, Urteil
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DEU
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Weder aus der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG noch aus der Gewährleistung eines wirksamen Rechtsbehelfs nach Art. 47 GRC (juris: EUGrdRCh) folgt ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse bei jedem erledigten, tiefgreifenden Eingriff in (benannte) Grundrechte oder in unionsrechtliche Grundfreiheiten. Ein solches Interesse kann nur bestehen, wenn die begehrte Feststellung die Position des Klägers verbessern kann oder wenn Eingriffe dieser Art sich typischerweise so kurzfristig endgültig erledigen, dass sie sonst nicht gerichtlich in einem Hauptsacheverfahren zu überprüfen wären.
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Die gegen diese Entscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 22.11.2013 - 1 BvR 2467/13 - nicht zur Entscheidung angenommen.
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Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Untersagungsverfügung, mit der ihm die Veranstaltung, Durchführung und Vermittlung von Sportwetten verboten wurde.
Der Kläger vermittelte am F. Platz ... in O. Sportwetten an die I. in G., die über eine Genehmigung der dort zuständigen Behörde verfügte. Nach vorheriger Anhörung untersagte das Landratsamt M. dem Kläger mit Bescheid vom 5. Juni 2008 die Veranstaltung, Durchführung und Vermittlung unerlaubter Glücksspiele in dieser Betriebsstätte und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgeldes von 25 000 € auf, die verbotene Tätigkeit einzustellen. Es stützte die Untersagung auf § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV (a.F.) und die Erwägung, eine Erlaubnis könne wegen des staatlichen Sportwettenmonopols nach § 10 Abs. 2 und 5 GlüStV ohnehin nicht erteilt werden. Zur Begründung der Vollzugsregelung wurde ausgeführt, ein Zuwarten komme nicht in Betracht, da der Betreiber des Wettlokals sich zumindest wegen Beihilfe zum Veranstalten unerlaubten öffentlichen Glücksspiels nach § 284 Abs. 1 i.V.m. § 27 StGB strafbar mache.
Die am 9. Juni 2008 erhobene Anfechtungsklage hat das Bayerische Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 28. April 2009 abgewiesen.
Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung hat der Kläger zunächst sein Anfechtungsbegehren weiterverfolgt. Im Berufungsverfahren hat der Kläger sein Begehren auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag für die Zeit vom 5. Juni 2008 bis zum 31. Januar 2009 umgestellt und vorgetragen, er habe den Zugriff auf seine Betriebsstätte wegen der Kündigung des Mietverhältnisses zum 31. Januar 2009 endgültig verloren. Sein Feststellungsinteresse ergebe sich aus der Absicht, unionsrechtliche Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche geltend zu machen, unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr sowie aus einem schwerwiegenden Eingriff in seine Berufswahlfreiheit. Schließlich könne er wegen des Vorwurfs eines Verstoßes gegen § 284 StGB ein Rehabilitierungsinteresse geltend machen. Aufgrund der polizeilichen Überprüfungen der Betriebsstätte sei er einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ausgesetzt gewesen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 24. April 2012 das erstinstanzliche Urteil geändert und festgestellt, der angegriffene Bescheid vom 5. Juni 2008 sei vom Zeitpunkt seines Erlasses bis zum 31. Januar 2009 rechtswidrig gewesen. Die Untersagungsverfügung habe sich mit dem Verlust der Zugriffsmöglichkeit auf die Betriebsstätte endgültig erledigt. Die deshalb auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umgestellte Klage sei zulässig. Der Vorwurf objektiv strafbaren Verhaltens begründe ein Rehabilitierungsinteresse, zumal gegen den Kläger ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren durchgeführt worden sei. Darüber hinaus habe der Kläger auch wegen des tiefgreifenden Eingriffs in die Berufsfreiheit und die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Untersagung. Die Fortsetzungsfeststellungsklage sei auch begründet. Sowohl die Untersagungsverfügung als auch die Zwangsgeldandrohung seien vom Erlass des Bescheides bis zum 31. Januar 2009 rechtswidrig gewesen. Die Untersagungsverfügung sei ermessensfehlerhaft, da sie sich auf das staatliche Sportwettenmonopol stütze, das seinerseits gegen unionsrechtliche Grundfreiheiten verstoße. Die Monopolregelung sei wegen konterkarierender Regelung des Sektors der gewerblichen Automatenspiele inkohärent und beschränke die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49, 56 AEUV unverhältnismäßig; sie dürfe deshalb nicht angewendet werden.
Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision rügt der Beklagte die fehlerhafte Anwendung des unionsrechtlichen Kohärenzerfordernisses und macht geltend, bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der monopolbedingten Beschränkung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit müsse auch berücksichtigt werden, wie der Sportwettensektor sich ohne das Monopol entwickelt hätte, und dass dieses nicht nur der Suchtbekämpfung und dem Spieler- und Jugendschutz, sondern darüber hinaus der Kriminalitätsbekämpfung diene.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. April 2012 zu ändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 28. April 2009 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt das angegriffene Urteil.
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Die Revision ist begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs verletzt revisibles Recht, weil es unzutreffend annimmt, der Kläger habe gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Untersagungsverfügung für den in Rede stehenden Zeitraum. Das Urteil beruht auch auf dieser Rechtsverletzung und erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 137 Abs. 1, § 144 Abs. 4 VwGO). Bei zutreffender Rechtsanwendung hätte es die Fortsetzungsfeststellungsklage für unzulässig halten müssen. Dies führt zur Änderung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen - klagabweisenden - Urteils. Dem steht nicht entgegen, dass der Klagantrag im Berufungsverfahren umgestellt wurde.
Mit Recht hat der Verwaltungsgerichtshof die Fortsetzungsfeststellungsklage für statthaft erachtet. Nachdem der Kläger den Zugriff auf seine Betriebsstätte zum 31. Januar 2009 endgültig verloren hatte, hat sich die Untersagungsverfügung des Beklagten, die sich allein auf diese Betriebsstätte bezog, endgültig erledigt. Maßnahmen zur Vollstreckung der Untersagung, die noch rückgängig gemacht werden könnten, sind nicht ersichtlich.
Zulässig ist die statthafte Fortsetzungsfeststellungsklage allerdings nur, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsakts hat. Ein solches Interesse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Natur sein. Entscheidend ist, dass die gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die Position des Klägers in den genannten Bereichen zu verbessern (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 4. März 1976 - BVerwG 1 WB 54.74 - BVerwGE 53, 134 <137> und vom 24. Oktober 2006 - BVerwG 6 B 61.06 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 24 Rn. 3). Als Sachentscheidungsvoraussetzung muss das Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegen. Danach kommt es hier auf den Schluss der mündlichen Verhandlung in der Revisionsinstanz an.
1. Für diesen Zeitpunkt lässt sich ein berechtigtes Feststellungsinteresse nicht mit einer Wiederholungsgefahr begründen. Dazu ist nicht nur die konkrete Gefahr erforderlich, dass künftig ein vergleichbarer Verwaltungsakt erlassen wird. Darüber hinaus müssen die für die Beurteilung maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sein (Urteil vom 12. Oktober 2006 - BVerwG 4 C 12.04 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 23 Rn. 8 m.w.N.). Daran fehlt es hier. Die für die Beurteilung einer glücksspielrechtlichen Untersagung maßgeblichen rechtlichen Umstände haben sich mit dem Inkrafttreten des Ersten Staatsvertrages zur Änderung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland vom 15. Dezember 2011 (BayGVBl 2012 S. 318) und dessen landesrechtlicher Umsetzung in Bayern zum 1. Juli 2012 gemäß §§ 1 und 4 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland und anderer Rechtsvorschriften vom 25. Juni 2012 (BayGVBl S. 270) grundlegend geändert. Dem steht nicht entgegen, dass der allgemeine Erlaubnisvorbehalt für die Veranstaltung und Vermittlung öffentlichen Glücksspiels nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV und die Ermächtigung zur Untersagung der unerlaubten Veranstaltung und Vermittlung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV fortgelten. Für die rechtliche Beurteilung einer Untersagung kommt es auch auf die Verhältnismäßigkeit des mit ihr durchgesetzten Erlaubnisvorbehalts sowie des Verbots selbst und damit auf Fragen der materiellen Erlaubnisfähigkeit des untersagten Verhaltens an (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 8 C 2.10 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 276 Rn. 55). Insoweit ergeben sich aus den in Bayern zum 1. Juli 2012 in Kraft getretenen, § 4 GlüStV ergänzenden Spezialregelungen betreffend die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten erhebliche Unterschiede zur früheren, bis zum 30. Juni 2012 geltenden Rechtslage. Nach § 10a Abs. 1 und 2 i.V.m. §§ 4a ff. GlüStV wird das staatliche Sportwettenmonopol - zunächst für eine Experimentierphase von sieben Jahren - durch ein Konzessionssystem ersetzt. Gemäß § 10a Abs. 3 GlüStV können bundesweit bis zu 20 Wettunternehmen eine Veranstalterkonzession erhalten. Für die Konzessionäre wird das Internetverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV, von dem ohnehin nach Absatz 5 der Vorschrift dispensiert werden darf, nach Maßgabe des § 10a Abs. 4 Satz 1 und 2 GlüStV gelockert. Die Vermittlung konzessionierter Angebote bleibt nach § 10a Abs. 5 Satz 2 GlüStV i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV erlaubnispflichtig. Die Anforderungen an die gewerbliche Spielvermittlung werden aber in § 19 i.V.m. §§ 5 bis 8 GlüStV in wesentlichen Punkten neu geregelt. So wurden die Werbebeschränkungen des § 5 GlüStV deutlich zurückgenommen (dazu im Einzelnen Beschluss vom 17. Oktober 2012 - BVerwG 8 B 47.12 - Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 208 Rn. 6). Andererseits enthält § 7 Abs. 1 Satz 2 GlüStV eine weitgehende Konkretisierung der zuvor nur allgemein statuierten Aufklärungspflichten. Außerdem bindet § 8 Abs. 6 GlüStV erstmals auch die Vermittler in das übergreifende Sperrsystem nach § 23 GlüStV ein. Insgesamt schließen die erheblichen Änderungen der für die materiell-rechtliche Beurteilung der Untersagung erheblichen Vorschriften es aus, von einer im Wesentlichen gleichen Rechtslage auszugehen.
Aus der Befristung der experimentellen Konzessionsregelung lässt sich keine konkrete Wiederholungsgefahr herleiten. Ob der Gesetzgeber das Konzessionssystem und dessen materiell-rechtliche Ausgestaltung nach Ablauf der siebenjährigen Experimentierphase auf der Grundlage der inzwischen gewonnenen Erfahrungen fortschreiben, modifizieren oder aufgeben wird, ist ungewiss. Eine Rückkehr zur alten Rechtslage ist jedenfalls nicht abzusehen.
2. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist auch nicht wegen eines Rehabilitierungsinteresses des Klägers zu bejahen. Die gegenteilige Auffassung der Vorinstanz beruht auf der Annahme, ein solches Interesse bestehe schon wegen des Vorwurfs objektiver Strafbarkeit des untersagten Verhaltens und des dazu durchgeführten, im Juli 2008 eingestellten Ermittlungsverfahrens. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
Ein berechtigtes ideelles Interesse an einer Rehabilitierung besteht nur, wenn sich aus der angegriffenen Maßnahme eine Stigmatisierung des Betroffenen ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen. Diese Stigmatisierung muss Außenwirkung erlangt haben und noch in der Gegenwart andauern (Beschlüsse vom 4. März 1976 a.a.O. S. 138 f. und vom 4. Oktober 2006 - BVerwG 6 B 64.06 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 36 S. 4 f.). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. In der Feststellung objektiver Strafbarkeit des untersagten Verhaltens liegt noch keine Stigmatisierung. Vielmehr erschöpft sie sich in der Aussage, die unerlaubte Veranstaltung und Vermittlung der Sportwetten erfülle den objektiven Tatbestand des § 284 Abs. 1 StGB und rechtfertige deshalb ein ordnungsbehördliches Einschreiten. Damit enthält sie kein ethisches Unwerturteil, das geeignet wäre, das soziale Ansehen des Betroffenen herabzusetzen. Diese Schwelle wird erst mit dem konkreten, personenbezogenen Vorwurf eines schuldhaft-kriminellen Verhaltens überschritten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 1952 - 1 BvR 197/53 - BVerfGE 9, 167 <171> und Urteil vom 6. Juni 1967 - 2 BvR 375, 53/60 und 18/65 - BVerfGE 22, 49 <79 f.>). Soweit die Begründung der Untersagungsverfügung davon ausgeht, der Kläger habe strafbare Beihilfe zum unerlaubten Glücksspiel geleistet, kann offenbleiben, ob dies als stigmatisierender Vorwurf schuldhaft-kriminellen Verhaltens zu verstehen war und wegen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens Außenwirkung erlangt hat. Selbst in diesem Fall wäre der Vorwurf wegen der Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 153 StPO am 22. Juli 2008 gegenwärtig - im Frühjahr 2013 - nicht (mehr) geeignet, das soziale Ansehen des Klägers herabzusetzen. Zweifeln, ob das Ermittlungsverfahren an den verfahrensgegenständlichen Bescheid anknüpfte oder ob es einen anderen, in der Ermittlungsakte genannten Bescheid vom 13. Mai 2008 und eine andere Betriebsstätte betraf, muss nicht mehr nachgegangen werden. Das Ermittlungsverfahren hat zudem nicht zu einer Bestätigung des Strafbarkeitsvorwurfs geführt. Es wurde vielmehr mit der Begründung eingestellt, die Rechtslage sei auch nach dem Glücksspielstaatsvertrag weiterhin unklar, und eine Schuld wäre als gering anzusehen. Die Einstellung nach § 153 StGB impliziert keine Strafbarkeit und insbesondere keinen Schuldvorwurf. Sie kann deshalb kein Rehabilitierungsinteresse begründen. Die gegenteilige Auffassung (VG Berlin, Urteil vom 21. Dezember 2005 - 1 A 162.01 - juris Rn. 21) geht von einer unzutreffenden Auslegung des § 153 StPO aus. Wie sich schon aus dessen Entstehungsgeschichte ergibt, setzt dieser gerade keine Schuldfeststellung voraus, sondern soll in Bagatellfällen, in denen Schuld und Strafbarkeit erst durch weitere Ermittlung zu klären wären, das Legalitätsprinzip durchbrechen und die Staatsanwaltschaft von der Pflicht entbinden, weitere Ermittlungen zur völligen Entlastung des Beschuldigten durchzuführen (Schoreit, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl. 2008, § 153 Rn. 7 und 15 f.). Hier verdeutlicht der Hinweis auf die Unklarheit der Rechtslage, dass die Strafbarkeit des Verhaltens aus der Sicht der Staatsanwaltschaft ungewiss war und wegen Geringfügigkeit einer allfälligen Schuld nicht weiter aufgeklärt werden sollte. Die Feststellung zur Schwere einer für den Fall der Anwendbarkeit des § 284 Abs. 1 StGB möglichen Schuld sind also rein hypothetisch. Eine fortdauernde Außenwirkung ist nicht zu erkennen. Die Einstellung nach § 153 StPO wird nicht im Zentralregister eingetragen.
Nachteilige Auswirkungen der Untersagung in künftigen Verwaltungsverfahren - etwa zur Erlaubniserteilung nach aktuellem Recht - sind nach der im Termin zur mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingeführten Erklärung des Vertreters des Freistaates Bayern vom 21. März 2013 ebenfalls nicht zu besorgen. Danach werden Monopolverstöße dort zukünftig nicht als Anhaltspunkt für eine Unzuverlässigkeit von Konzessionsbewerbern oder Bewerbern um eine Vermittlungserlaubnis gewertet.
3. Entgegen dem angegriffenen Urteil lässt sich ein berechtigtes Feststellungsinteresse nicht mit dem Vorliegen eines tiefgreifenden Eingriffs in die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG begründen. Die Annahme des Berufungsgerichts, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO müsse wegen der Garantie effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG in diesem Sinne ausgelegt werden, trifft nicht zu. Eine Ausweitung des Tatbestandsmerkmals des berechtigten Feststellungsinteresses über die einfach-rechtlich konkretisierten Fallgruppen des berechtigten rechtlichen, ideellen oder wirtschaftlichen Interesses (a) hinaus verlangt Art. 19 Abs. 4 GG nur bei Eingriffsakten, die sonst wegen ihrer typischerweise kurzfristigen Erledigung regelmäßig keiner gerichtlichen Überprüfung in einem Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten (b). Eine weitere Ausdehnung des Anwendungsbereichs, die ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse allein wegen der Schwere des erledigten Eingriffs in Grundrechte oder Grundfreiheiten annimmt, ist auch aus Art. 47 GRC in Verbindung mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot nicht herzuleiten (c).
a) Aus dem Wortlaut des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO und dem systematischen Zusammenhang mit § 42 VwGO ergibt sich, dass die Verwaltungsgerichte nur ausnahmsweise für die Überprüfung erledigter Verwaltungsakte in Anspruch genommen werden können. Nach dem Wegfall der mit dem Verwaltungsakt verbundenen Beschwer wird gerichtlicher Rechtsschutz grundsätzlich nur zur Verfügung gestellt, wenn der Kläger ein berechtigtes rechtliches, wirtschaftliches oder ideelles Interesse an einer nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Maßnahme hat (dazu oben Rn. 12). Das berechtigte Feststellungsinteresse geht in all diesen Fällen über das bloße Interesse an der Klärung der Rechtswidrigkeit der Verfügung hinaus. Dies gilt unabhängig von der Intensität des erledigten Eingriffs und vom Rang der Rechte, die von ihm betroffen waren.
b) Die Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG differenziert ebenfalls nicht nach diesen beiden Kriterien. Sie gilt auch für einfach-rechtliche Rechtsverletzungen, die - von der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG abgesehen - kein Grundrecht tangieren, und für weniger schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte und Grundfreiheiten. Umgekehrt gebietet die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG selbst bei tiefgreifenden Eingriffen in solche Rechte nicht, ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse anzunehmen, wenn dies nicht erforderlich ist, die Effektivität des Rechtsschutzes zu sichern.
Effektiver Rechtsschutz verlangt, dass der Betroffene ihn belastende Eingriffsmaßnahmen in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren überprüfen lassen kann. Solange er durch den Verwaltungsakt beschwert ist, stehen ihm die Anfechtungs- und die Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO zur Verfügung. Erledigt sich der Verwaltungsakt durch Wegfall der Beschwer, wird nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO Rechtsschutz gewährt, wenn der Betroffene daran ein berechtigtes rechtliches, ideelles oder wirtschaftliches Interesse hat. In den übrigen Fällen, in denen sein Anliegen sich in der bloßen Klärung der Rechtmäßigkeit des erledigten Verwaltungsakts erschöpft, ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nach Art. 19 Abs. 4 GG zu bejahen, wenn andernfalls kein wirksamer Rechtsschutz gegen solche Eingriffe zu erlangen wäre. Davon ist nur bei Maßnahmen auszugehen, die sich typischerweise so kurzfristig erledigen, dass sie ohne die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten. Maßgebend ist dabei, ob die kurzfristige, eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage ausschließende Erledigung sich aus der Eigenart des Verwaltungsakts selbst ergibt (BVerfG, Beschlüsse vom 5. Dezember 2001 - 2 BvR 527/99, 1337/00, 1777/00 - BVerfGE 104, 220 <232 f.> und vom 3. März 2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <86> m.w.N).
Glücksspielrechtliche Untersagungsverfügungen nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV zählen nicht zu den Verwaltungsakten, die sich in diesem Sinne typischerweise kurzfristig erledigen. Vielmehr sind sie als Verwaltungsakte mit Dauerwirkung (Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 8 C 2.10 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 276 Rn. 19 m.w.N.) gerade auf langfristige Geltung angelegt. Dass sie sich regelmäßig fortlaufend für den bereits zurückliegenden Zeitraum erledigen, lässt ihre gegenwärtige, sich täglich neu aktualisierende Wirksamkeit und damit auch ihre Anfechtbarkeit und Überprüfbarkeit im Hauptsacheverfahren unberührt (vgl. Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Januar 2012, § 113 Rn. 85 a.E.). Änderungen der Rechtslage führen ebenfalls nicht zur Erledigung. Vielmehr ist die Untersagung anhand der jeweils aktuellen Rechtslage zu prüfen. Dass ihre Anfechtung sich regelmäßig nur auf eine Aufhebung des Verbots mit Wirkung ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung richten kann, stellt keine Rechtsschutzbeschränkung dar. Vielmehr trägt dies dem Umstand Rechnung, dass das Verbot in der Vergangenheit keine Regelungswirkung mehr entfaltet, die aufgehoben werden könnte. Im Ausnahmefall, etwa bei einer noch rückgängig zu machenden Vollziehung der Untersagung, bleibt diese wegen ihrer Titelfunktion als Rechtsgrund der Vollziehung rückwirkend anfechtbar (Beschluss vom 25. September 2008 - BVerwG 7 C 5.08 - Buchholz 345 § 6 VwVG Nr. 1 Rn. 13; zur Vollzugsfolgenbeseitigung vgl. Urteil vom 14. März 2006 - BVerwG 1 C 11.05 - BVerwGE 125, 110 <Rn. 17> = Buchholz 402.242 § 63 AufenthG Nr. 2 Rn. 17).
Dass eine untypisch frühzeitige Erledigung im Einzelfall einer streitigen Hauptsacheentscheidung zuvorkommen kann, berührt Art. 19 Abs. 4 GG nicht. Die Rechtsweggarantie verbietet zwar, gesetzliche Zulässigkeitsanforderungen so auszulegen, dass ein gesetzlich eröffneter Rechtsbehelf leerläuft, weil das weitere Beschreiten des Rechtswegs unzumutbar und ohne sachliche Rechtfertigung erschwert wird (BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 2010 - 2 BvR 1023/08 - NJW 2011, 137 <Rn. 31> m.w.N.). Einen solchen Leerlauf hat die dargestellte Konkretisierung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses aber nicht zur Folge. Ihre sachliche Rechtfertigung und die Zumutbarkeit ihrer prozessualen Konsequenzen ergeben sich daraus, dass eine großzügigere Handhabung dem Kläger mangels berechtigten rechtlichen, ideellen oder wirtschaftlichen Interesses keinen relevanten Vorteil bringen könnte und auch nicht dazu erforderlich ist, maßnahmenspezifische Rechtsschutzlücken zu vermeiden.
c) Aus der Garantie eines wirksamen Rechtsbehelfs im Sinne des Art. 47 GRC ergibt sich keine Verpflichtung, das Merkmal des berechtigten Interesses nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO weiter auszulegen.
Allerdings ist nach der unionsgerichtlichen Rechtsprechung davon auszugehen, dass der sachliche Anwendungsbereich der Grundrechtecharta nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRC eröffnet ist, weil der Kläger Rechtsschutz wegen einer Beschränkung seiner Dienstleistungsfreiheit begehrt. Zur mitgliedstaatlichen Durchführung des Unionsrechts im Sinne der Vorschrift rechnet der Gerichtshof nicht nur Umsetzungsakte im Sinne eines unionsrechtlich - zumindest teilweise - determinierten Vollzugs, sondern auch mitgliedstaatliche Eingriffe in Grundfreiheiten nach Maßgabe der allgemeinen unionsrechtlichen Schrankenvorbehalte. An dieser Rechtsprechung, die vor Inkrafttreten der Charta zur Abgrenzung des Anwendungsbereichs unionsrechtlicher Grundrechte als allgemeiner Grundsätze des Unionsrechts entwickelt wurde (vgl. EuGH, Urteil vom 18. Juni 1991 - Rs. C-260/89, ERT - Slg. 1991 I-2951 <Rn. 42>), hält der Gerichtshof weiterhin fest. Er geht von einer mitgliedstaatlichen Bindung an die Unionsgrundrechte im gesamten Anwendungsbereich des Unionsrechts aus und verweist dazu auf die Erläuterungen zu Art. 51 GRC, die nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV, Art. 52 Abs. 7 GRC bei der Auslegung der Charta zu berücksichtigen sind (EuGH, Urteil vom 26. Februar 2013 - Rs. C-617/10, Akerberg Fransson - EuZW 2013, 302 <Rn. 17 ff.>). Wie diese Abgrenzungsformel im Einzelnen zu verstehen ist, inwieweit bei ihrer Konkretisierung grammatische und entstehungsgeschichtliche Anhaltspunkte für eine bewusste Begrenzung des Anwendungsbereichs durch Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRC maßgeblich und welche Folgerungen aus kompetenzrechtlichen Grenzen zu ziehen sind (vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 24. April 2013 - 1 BvR 1215/07 - NJW 2013, 1499 Rn. 88 und 90; zur Entstehungsgeschichte Borowsky, in: Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Aufl. 2011, S. 643 ff.), bedarf hier keiner Klärung. Geht man von der Anwendbarkeit des Art. 47 GRC aus, ist dieser jedenfalls nicht verletzt.
Mit der Verpflichtung, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen Rechtsverletzungen zur Verfügung zu stellen, konkretisiert Art. 47 Abs. 1 GRC den allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz effektiven Rechtsschutzes (dazu vgl. EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 - Rs. C-279/09, DEB - EuZW 2011, 137 <Rn. 29> und Beschluss vom 13. Juni 2012 - Rs. C-156/12, GREP - juris <Rn. 35>). Er hindert den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber aber nicht, für die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs ein qualifiziertes Interesse des Klägers zu fordern und diese Anforderung im Sinne der soeben unter a) und b) (Rn. 19 und 20 ff.) dargelegten Kriterien zu konkretisieren.
Wie sich aus den einschlägigen unionsgerichtlichen Entscheidungen ergibt, bleibt es grundsätzlich den Mitgliedstaaten überlassen, im Rahmen der Ausgestaltung ihres Prozessrechts die Klagebefugnis und das Rechtsschutzinteresse des Einzelnen zu normieren. Begrenzt wird das mitgliedstaatliche Ermessen bei der Regelung solcher Zulässigkeitsvoraussetzungen durch das unionsrechtliche Äquivalenzprinzip, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Effektivitätsgebot (EuGH, Urteile vom 11. Juli 1991 - Rs. C-87/90 u.a., Verholen u.a. ./. Sociale Verzekeringsbank - Slg. 1991 I-3783 <Rn. 24> und vom 16. Juli 2009 - Rs. C-12/08, Mono Car Styling ./. Dervis Odemis u.a. - Slg. 2009 I-6653 <Rn. 49>; Beschluss vom 13. Juni 2012 a.a.O. <Rn. 39 f.>).
Das Äquivalenzprinzip verlangt eine Gleichwertigkeit der prozessrechtlichen Bedingungen für die Durchsetzung von Unionsrecht und mitgliedstaatlichem Recht (EuGH, Urteil vom 13. März 2007 - Rs. C-432/05, Unibet ./. Justitiekansler - Slg. 2005 I-2301 <Rn. 43>). Es ist hier nicht betroffen, weil die dargelegte verfassungskonforme Konkretisierung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nicht danach unterscheidet, ob eine Verletzung von Unions- oder mitgliedstaatlichem Recht geltend gemacht wird.
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verbietet eine Zulässigkeitsregelung, die das Recht auf Zugang zum Gericht in seinem Wesensgehalt selbst beeinträchtigt, ohne einem unionsrechtlich legitimen Zweck zu dienen und im Verhältnis dazu angemessen zu sein (EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 a.a.O. <Rn. 60> und Beschluss vom 13. Juni 2012 a.a.O. <Rn. 39 f.>). Hier fehlt schon eine den Wesensgehalt des Rechts selbst beeinträchtigende Rechtswegbeschränkung. Sie liegt vor, wenn dem Betroffenen der Zugang zum Gericht trotz einer Belastung durch die beanstandete Maßnahme verwehrt wird, weil die fragliche Regelung für den Zugang zum Recht ein unüberwindliches Hindernis aufrichtet (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 a.a.O. <Rn. 61>; Beschluss vom 13. Juni 2012 a.a.O. <Rn. 41>). Danach kommt es - nicht anders als nach der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 19 Abs. 4 GG - maßgeblich darauf an, dass der Betroffene eine ihn belastende Eingriffsmaßnahme gerichtlich überprüfen lassen kann. Das war hier gewährleistet, da die Untersagungsverfügung bis zu ihrer endgültigen Erledigung angefochten werden konnte und § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO eine Fortsetzungsfeststellung ermöglichte, soweit diese noch zur Abwendung fortwirkender Nachteile von Nutzen sein konnte. Dass die Vorschrift keinen darüber hinausgehenden Anspruch auf eine Fortsetzung des Prozesses nur zum Zweck nachträglicher Rechtsklärung vorsieht, widerspricht nicht dem Wesensgehalt der Garantie eines wirksamen Rechtsbehelfs. Unabhängig davon wäre selbst eine Beeinträchtigung des Rechts in seinem Wesensgehalt verhältnismäßig. Sie wäre geeignet, erforderlich und angemessen, die Prozessökonomie zur Verwirklichung des unionsrechtlich legitimen Ziels zügigen, effektiven Rechtsschutzes für alle Rechtssuchenden zu wahren.
Das Effektivitätsgebot ist ebenfalls nicht verletzt. Es fordert eine Ausgestaltung des mitgliedstaatlichen Rechts, die die Ausübung unionsrechtlich gewährleisteter Rechte nicht praktisch unmöglich macht oder unzumutbar erschwert (EuGH, Urteile vom 11. Juli 1991 a.a.O. und vom 13. März 2007 a.a.O. <Rn. 43>). Bezogen auf die mitgliedstaatliche Regelung prozessualer Zulässigkeitsvoraussetzungen ergibt sich daraus, dass den Trägern unionsrechtlich begründeter Rechte gerichtlicher Rechtsschutz zur Verfügung stehen muss, der eine wirksame Kontrolle jeder Rechtsverletzung und damit die Durchsetzbarkeit des betroffenen Rechts gewährleistet. Diese Anforderungen gehen nicht über die aus Art. 19 Abs. 4 GG herzuleitende Gewährleistung einer gerichtlichen Überprüfbarkeit jedes Eingriffs in einem Hauptsacheverfahren hinaus. Insbesondere lässt sich aus dem Effektivitätsgebot keine Verpflichtung herleiten, eine Fortsetzung der gerichtlichen Kontrolle nach Erledigung des Eingriffs unabhängig von einem rechtlichen, ideellen oder wirtschaftlichen Nutzen für den Kläger allein unter dem Gesichtspunkt eines abstrakten Rechtsklärungsinteresses vorzusehen (vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro, in: - Rs. C-83/91, Meilicke/ADV/ORGA AG - vom 8. April 1992, Slg. 1992 I-4897 <Rn. 5>). Das gilt erst recht, wenn die Maßnahme bereits Gegenstand einer gerichtlichen Hauptsacheentscheidung war und sich erst im Rechtsmittelverfahren erledigt hat.
An der Richtigkeit dieser Auslegung des Art. 47 Abs. 1 GRC und des unionsrechtlichen Grundsatzes effektiven Rechtsschutzes bestehen unter Berücksichtigung der zitierten unionsgerichtlichen Rechtsprechung keine ernsthaften Zweifel im Sinne der acte-clair-Doktrin (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs. C-283/81, C.I.L.F.I.T. u.a. - Slg. 1982, S. 3415 <Rn. 16 ff.>). Die vom Kläger angeregte Vorlage an den Gerichtshof ist deshalb nach Art. 267 Abs. 3 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) nicht geboten.
4. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergibt sich schließlich nicht aus der Präjudizwirkung der beantragten Feststellung für den vom Kläger angestrebten Staatshaftungsprozess. Auch das Berufungsgericht hat das nicht angenommen. Ein Präjudizinteresse kann nur bestehen, wenn die beabsichtigte Geltendmachung von Staatshaftungsansprüchen nicht offensichtlich aussichtslos ist. Bei der Prüfung dieses Ausschlusskriteriums ist ein strenger Maßstab anzulegen. Die Wahrscheinlichkeit eines Misserfolgs im zivilgerichtlichen Haftungsprozess genügt nicht. Offensichtlich aussichtslos ist eine Staatshaftungsklage jedoch, wenn der geltend gemachte Anspruch unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt besteht und dies sich ohne eine ins Einzelne gehende Würdigung aufdrängt (Urteile vom 14. Januar 1980 - BVerwG 7 C 92.79 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 95 S. 27, vom 29. April 1992 - BVerwG 4 C 29.90 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 247 S. 90 und vom 8. Dezember 1995 - BVerwG 8 C 37.93 - BVerwGE 100, 83 <92> = Buchholz 454.11 WEG Nr. 7). Der Verwaltungsprozess muss nicht zur Klärung öffentlich-rechtlicher Vorfragen der Staatshaftung fortgeführt werden, wenn der Kläger daraus wegen offenkundigen Fehlens anderer Anspruchsvoraussetzungen keinen Nutzen ziehen könnte. Hier drängt sich schon ohne eine detaillierte Würdigung auf, dass dem Kläger selbst bei Rechtswidrigkeit der Untersagung keine staatshaftungsrechtlichen Ansprüche zustehen.
Die Voraussetzungen der Amtshaftung gemäß Art. 34 Satz 1 GG, § 839 BGB oder des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs (zu dessen Herleitung vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 1991 - Rs. C-6/90 und 9/90, Francovich u.a. - Slg. 1991 I-5357 <Rn. 35>) liegen ersichtlich nicht vor, ohne dass es insoweit einer ins Einzelne gehenden Prüfung bedürfte. Weitere Anspruchsgrundlagen kommen nicht in Betracht.
Der Kläger hat den Zugriff auf seine Betriebsstätte Ende Januar 2009 endgültig verloren. Denkbare Schadensersatzansprüche betreffen also nur den Zeitraum vor Ergehen der unionsgerichtlichen Urteile zu den deutschen Sportwettenmonopolen (EuGH, Urteile vom 8. September 2010 - Rs. C-316/07 u.a., Markus Stoß u.a. - Slg. 2010 I-8069, - Rs. C-46/08, Carmen Media Group - Slg. 2010 I-8175 und - Rs. C-409/06, Winner Wetten - Slg. 2010 I-8041). Für diesen Zeitraum scheidet ein Amtshaftungsanspruch aus, weil den Amtswaltern selbst bei Rechtswidrigkeit der zur Begründung der Untersagung herangezogenen Monopolregelung keine schuldhaft fehlerhafte Rechtsanwendung zur Last zu legen ist. Die unionsrechtliche Staatshaftung greift für diesen Zeitraum nicht ein, da ein etwaiger Verstoß gegen das Unionsrecht nicht hinreichend qualifiziert war.
a) Einem Amtswalter ist auch bei fehlerhafter Rechtsanwendung regelmäßig kein Verschulden im Sinne des § 839 BGB vorzuwerfen, wenn seine Amtstätigkeit durch ein mit mehreren rechtskundigen Berufsrichtern besetztes Kollegialgericht aufgrund einer nicht nur summarischen Prüfung als objektiv rechtmäßig angesehen wird (Urteil vom 17. August 2005 - BVerwG 2 C 37.04 - BVerwGE 124, 99 <105 ff.> = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 32; BGH, Urteil vom 6. Februar 1986 - III ZR 109/84 - BGHZ 97, 97 <107>). Das Verwaltungsgericht hat die angegriffene Untersagungsverfügung im Hauptsacheverfahren für rechtmäßig gehalten. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bejahte seinerzeit in ständiger Rechtsprechung die Vereinbarkeit des Sportwettenmonopols mit höherrangigem Recht sowie die Rechtmäßigkeit darauf gestützter Untersagungen unerlaubter Wettvermittlung (vgl. VGH München, Urteile vom 18. Dezember 2008 - 10 BV 07.558 - ZfWG 2009, 27 und - 10 BV 07.774/775 - juris). Er hat diese Auffassung erst im Hinblick auf die im Herbst 2010 veröffentlichten Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union zu den deutschen Sportwettenmonopolen vom 8. September 2010 (a.a.O.) sowie die daran anknüpfenden Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. November 2010 (BVerwG 8 C 14.09 - BVerwGE 138, 201 = Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 272, - BVerwG 8 C 15.09 - NWVBl 2011, 307 sowie - BVerwG 8 C 13.09 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 273) in einer Eilentscheidung im Frühjahr 2011 aufgegeben (VGH München, Beschluss vom 21. März 2011 - 10 AS 10.2499 - ZfWG 2011, 197 = juris Rn. 24 ff.). Die Orientierung an der berufungsgerichtlichen Rechtsprechung kann den Amtswaltern auch nicht etwa vorgeworfen werden, weil die kollegialgerichtlichen Entscheidungen bis Ende 2010 - für sie erkennbar - von einer schon im Ansatzpunkt völlig verfehlten rechtlichen Betrachtung ausgegangen wären (zu diesem Kriterium vgl. BVerwG, Urteil vom 17. August 2005 a.a.O. S. 106 f.). Hinreichend geklärt war ein etwaiger Verstoß gegen unionsrechtliche Vorgaben jedenfalls nicht vor Ergehen der zitierten unionsgerichtlichen Entscheidungen (BGH, Urteil vom 18. Oktober 2012 - III ZR 196/11 - EuZW 2013, 194 <Rn. 22 ff.>), die durch die nachfolgenden Urteile des Senats in Bezug auf das bayerische Monopol konkretisiert wurden. Der Gerichtshof stellte seinerzeit erstmals klar, dass die Verhältnismäßigkeit im unionsrechtlichen Sinn nicht nur eine kohärente Ausgestaltung des jeweiligen Monopolbereichs selbst, sondern darüber hinaus eine Kohärenz auch zwischen den Regelungen verschiedener Glücksspielsektoren fordert. Außerdem präzisierte er die Grenzen zulässiger, nicht auf Expansion gerichteter Werbung für die besonders umstrittene Imagewerbung.
b) Im Zeitraum bis zum Herbst 2010 - und damit auch für den vorliegend strittigen Zeitraum bis Januar 2009 - fehlt es auch an einem hinreichend qualifizierten Rechtsverstoß, wie er für die unionsrechtliche Staatshaftung erforderlich ist. Diese setzt eine erhebliche und gleichzeitig offenkundige Verletzung des Unionsrechts voraus. Maßgeblich dafür sind unter anderem das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, der Umfang des durch sie belassenen Ermessensspielraums und die Frage, ob Vorsatz bezüglich des Rechtsbruchs oder des Zufügens des Schadens vorlag, sowie schließlich, ob ein Rechtsirrtum entschuldbar war (EuGH, Urteil vom 5. März 1996 - Rs. C-46 und 48/93, Brasserie du Pêcheur und Factortame - Slg. 1996 I-1029 <Rn. 51 und 55>). Nach diesen Kriterien kann zumindest bis zu den zitierten Entscheidungen des Gerichtshofs von einer offenkundigen erheblichen Verletzung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit durch die Monopolregelung nicht die Rede sein. Mangels Harmonisierung des Glücksspielbereichs stand den Mitgliedstaaten ein weites Regelungsermessen zur Verfügung. Seine durch die Grundfreiheiten gezogenen Grenzen waren jedenfalls bis zur unionsgerichtlichen Konkretisierung der intersektoralen Kohärenz nicht so genau und klar bestimmt, dass ein etwaiger Rechtsirrtum unentschuldbar gewesen wäre.
c) Weitere Anspruchsgrundlagen für eine Staatshaftung kommen nicht in Betracht. Eine über die Amtshaftung und den unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch hinausgehende Haftung für eine rechtswidrige Inanspruchnahme als Störer sieht das bayerische Landesrecht nicht vor (vgl. Art. 70 ff. des Polizeiaufgabengesetzes - BayPAG).
5. Andere Umstände, aus denen sich ein berechtigtes Feststellungsinteresse des Klägers ergeben könnte, sind nicht erkennbar.
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http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-WBRE410019744&psml=bsjrsprod.psml&max=true
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019745
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BVerwG
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8. Senat
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20130516
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8 C 22/12
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Urteil
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vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 15. Mai 2012, Az: 10 BV 10.2258, Urteil vorgehend VG München, 28. April 2009, Az: M 16 K 08.2700, Urteil
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DEU
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Weder aus der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG noch aus der Gewährleistung eines wirksamen Rechtsbehelfs nach Art. 47 GRC (juris: EUGrdRCh) folgt ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse bei jedem erledigten, tiefgreifenden Eingriff in (benannte) Grundrechte oder in unionsrechtliche Grundfreiheiten. Ein solches Interesse kann nur bestehen, wenn die begehrte Feststellung die Position des Klägers verbessern kann oder wenn Eingriffe dieser Art sich typischerweise so kurzfristig endgültig erledigen, dass sie sonst nicht gerichtlich in einem Hauptsacheverfahren zu überprüfen wären.
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Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Untersagungsverfügung, mit der ihm die Veranstaltung, Durchführung und Vermittlung von Sportwetten verboten wurde.
In der Betriebsstätte H. gasse ... in F. vermittelte der Kläger Sportwetten an die I. mit Sitz in G., die über eine dort erteilte Lizenz zur Veranstaltung von Sportwetten verfügte. Mit Bescheid vom 3. Juni 2008 untersagte das Landratsamt F. dem Kläger die Annahme, Vermittlung und Veranstaltung von Sportwetten in der genannten Betriebsstätte und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgeldes von 10 000 € auf, den Betrieb einzustellen. Es stützte die Untersagung auf § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV (a.F.) und die Erwägung, eine Erlaubnis könne wegen des staatlichen Sportwettenmonopols nach § 10 Abs. 2 und 5 GlüStV ohnehin nicht erteilt werden. Zur Begründung der Vollzugsregelung wurde ausgeführt, ein Zuwarten komme nicht in Betracht, da der Betreiber des Wettlokals sich zumindest wegen Beihilfe zum Veranstalten unerlaubten öffentlichen Glücksspiels nach § 284 Abs. 1 i.V.m. § 27 StGB strafbar mache.
Die am 6. Juni 2008 erhobene Anfechtungsklage hat das Bayerische Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 28. April 2009 abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat der Kläger sein Begehren auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag für die Zeit vom 3. Juni 2008 bis zum 30. September 2009 umgestellt und vorgetragen, er habe sein Wettbüro wegen der drohenden Vollstreckung schließen müssen und das Mietverhältnis über die Betriebsräume zum 30. September 2009 endgültig beendet. Sein Feststellungsinteresse ergebe sich aus der Absicht, unionsrechtliche Staatshaftungsansprüche geltend zu machen, sowie aus einem schwerwiegenden Eingriff in seine Berufsfreiheit. Außerdem bestehe eine Wiederholungsgefahr, da er beabsichtige, Sportwetten an einen anderen im EU-Ausland zugelassenen Anbieter zu vermitteln. Schließlich könne er sich wegen des Vorwurfs strafbarer Beihilfe zur unerlaubten Veranstaltung eines Glücksspiels auch auf ein Rehabilitierungsinteresse berufen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 15. Mai 2012 das erstinstanzliche Urteil geändert und festgestellt, der angegriffene Bescheid vom 3. Juni 2008 sei vom Zeitpunkt seines Erlasses bis zum 30. September 2009 rechtswidrig gewesen. Die Untersagungsverfügung habe sich mit dem Verlust der Zugriffsmöglichkeit auf die Betriebsstätte endgültig erledigt. Die deshalb auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umgestellte Klage sei zulässig. Der Vorwurf objektiv strafbaren Verhaltens begründe ein Rehabilitierungsinteresse. Darüber hinaus habe der Kläger auch wegen des tiefgreifenden Eingriffs in die Berufsfreiheit und die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Untersagung. Die Fortsetzungsfeststellungsklage sei auch begründet. Sowohl die Untersagungsverfügung als auch die Zwangsgeldandrohung seien vom Erlass des Bescheides bis zum 30. September 2009 rechtswidrig gewesen. Die Untersagungsverfügung sei ermessensfehlerhaft, da sie sich auf das staatliche Sportwettenmonopol stütze, das seinerseits gegen unionsrechtliche Grundfreiheiten verstoße. Die Monopolregelung sei wegen konterkarierender Regelung des Sektors der gewerblichen Automatenspiele inkohärent und beschränke die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49, 56 AEUV unverhältnismäßig; sie dürfe deshalb nicht angewendet werden.
Mit seiner vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision macht der Beklagte geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe zu Unrecht ein berechtigtes Feststellungsinteresse des Klägers bejaht. Ein Rehabilitierungsinteresse scheide aus. Die Untersagungsverfügung bewirke auch keinen tiefgreifenden Grundrechtseingriff, sondern erschöpfe sich in einer Berufsausübungsregelung. Materiell-rechtlich wende das Berufungsgericht das unionsrechtliche Kohärenzerfordernis unzutreffend an.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. Mai 2012 zu ändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 28. April 2009 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt das angegriffene Urteil.
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Die Revision ist begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs verletzt revisibles Recht, weil es unzutreffend annimmt, der Kläger habe gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit für den in Rede stehenden Zeitraum. Das Urteil beruht auch auf dieser Rechtsverletzung und erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 137 Abs. 1, § 144 Abs. 4 VwGO). Bei zutreffender Rechtsanwendung hätte es die Fortsetzungsfeststellungsklage für unzulässig halten müssen. Dies führt zur Änderung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen - klagabweisenden - Urteils. Dem steht nicht entgegen, dass der Klagantrag im Berufungsverfahren umgestellt wurde.
Mit Recht hat der Verwaltungsgerichtshof die Fortsetzungsfeststellungsklage für statthaft erachtet. Nachdem der Kläger den Zugriff auf seine Betriebsstätte zum 30. September 2009 endgültig verloren hatte, hat sich die Untersagungsverfügung des Beklagten, die sich allein auf diese Betriebsstätte bezog, endgültig erledigt. Maßnahmen zur Vollstreckung der Untersagung, die noch rückgängig gemacht werden könnten, sind nicht ersichtlich.
Zulässig ist die statthafte Fortsetzungsfeststellungsklage allerdings nur, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsakts hat. Ein solches Interesse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Natur sein. Entscheidend ist, dass die gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die Position des Klägers in den genannten Bereichen zu verbessern (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 4. März 1976 - BVerwG 1 WB 54.74 - BVerwGE 53, 134 <137> und vom 24. Oktober 2006 - BVerwG 6 B 61.06 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 24 Rn. 3). Als Sachentscheidungsvoraussetzung muss das Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegen. Danach kommt es hier auf den Schluss der mündlichen Verhandlung in der Revisionsinstanz an.
1. Für diesen Zeitpunkt lässt sich ein berechtigtes Feststellungsinteresse nicht mit einer Wiederholungsgefahr begründen. Dazu ist nicht nur die konkrete Gefahr erforderlich, dass künftig ein vergleichbarer Verwaltungsakt erlassen wird. Darüber hinaus müssen die für die Beurteilung maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sein (Urteil vom 12. Oktober 2006 - BVerwG 4 C 12.04 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 23 Rn. 8 m.w.N.). Daran fehlt es hier. Die für die Beurteilung einer glücksspielrechtlichen Untersagung maßgeblichen rechtlichen Umstände haben sich mit dem Inkrafttreten des Ersten Staatsvertrages zur Änderung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland vom 15. Dezember 2011 (BayGVBl 2012 S. 318) und dessen landesrechtlicher Umsetzung in Bayern zum 1. Juli 2012 gemäß §§ 1 und 4 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland und anderer Rechtsvorschriften vom 25. Juni 2012 (BayGVBl S. 270) grundlegend geändert. Dem steht nicht entgegen, dass der allgemeine Erlaubnisvorbehalt für die Veranstaltung und Vermittlung öffentlichen Glücksspiels nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV und die Ermächtigung zur Untersagung der unerlaubten Veranstaltung und Vermittlung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV fortgelten. Für die rechtliche Beurteilung einer Untersagung kommt es auch auf die Verhältnismäßigkeit des mit ihr durchgesetzten Erlaubnisvorbehalts sowie des Verbots selbst und damit auf Fragen der materiellen Erlaubnisfähigkeit des untersagten Verhaltens an (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 8 C 2.10 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 276 Rn. 55). Insoweit ergeben sich aus den in Bayern zum 1. Juli 2012 in Kraft getretenen, § 4 GlüStV ergänzenden Spezialregelungen betreffend die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten erhebliche Unterschiede zur früheren, bis zum 30. Juni 2012 geltenden Rechtslage. Nach § 10a Abs. 1 und 2 i.V.m. §§ 4a ff. GlüStV wird das staatliche Sportwettenmonopol - zunächst für eine Experimentierphase von sieben Jahren - durch ein Konzessionssystem ersetzt. Gemäß § 10a Abs. 3 GlüStV können bundesweit bis zu 20 Wettunternehmen eine Veranstalterkonzession erhalten. Für die Konzessionäre wird das Internetverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV, von dem ohnehin nach Absatz 5 der Vorschrift dispensiert werden darf, nach Maßgabe des § 10a Abs. 4 Satz 1 und 2 GlüStV gelockert. Die Vermittlung konzessionierter Angebote bleibt nach § 10a Abs. 5 Satz 2 GlüStV i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV erlaubnispflichtig. Die Anforderungen an die gewerbliche Spielvermittlung werden aber in § 19 i.V.m. §§ 5 bis 8 GlüStV in wesentlichen Punkten neu geregelt. So wurden die Werbebeschränkungen des § 5 GlüStV deutlich zurückgenommen (dazu im Einzelnen Beschluss vom 17. Oktober 2012 - BVerwG 8 B 47.12 - Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 208 Rn. 6). Andererseits enthält § 7 Abs. 1 Satz 2 GlüStV eine weitgehende Konkretisierung der zuvor nur allgemein statuierten Aufklärungspflichten. Außerdem bindet § 8 Abs. 6 GlüStV erstmals auch die Vermittler in das übergreifende Sperrsystem nach § 23 GlüStV ein. Insgesamt schließen die erheblichen Änderungen der für die materiell-rechtliche Beurteilung der Untersagung erheblichen Vorschriften es aus, von einer im Wesentlichen gleichen Rechtslage auszugehen.
Aus der Befristung der experimentellen Konzessionsregelung lässt sich keine konkrete Wiederholungsgefahr herleiten. Ob der Gesetzgeber das Konzessionssystem und dessen materiell-rechtliche Ausgestaltung nach Ablauf der siebenjährigen Experimentierphase auf der Grundlage der inzwischen gewonnenen Erfahrungen fortschreiben, modifizieren oder aufgeben wird, ist ungewiss. Eine Rückkehr zur alten Rechtslage ist jedenfalls nicht abzusehen.
2. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist auch nicht wegen eines Rehabilitierungsinteresses des Klägers zu bejahen. Die gegenteilige Auffassung der Vorinstanz beruht auf der Annahme, ein solches Interesse bestehe schon wegen des Vorwurfs objektiver Strafbarkeit des untersagten Verhaltens. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
Ein berechtigtes ideelles Interesse an einer Rehabilitierung besteht nur, wenn sich aus der angegriffenen Maßnahme eine Stigmatisierung des Betroffenen ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen. Diese Stigmatisierung muss Außenwirkung erlangt haben und noch in der Gegenwart andauern (Beschlüsse vom 4. März 1976 a.a.O. S. 138 f. und vom 4. Oktober 2006 - BVerwG 6 B 64.06 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 36 S. 4 f.). In der Feststellung objektiver Strafbarkeit des untersagten Verhaltens liegt noch keine Stigmatisierung. Vielmehr erschöpft sie sich in der Aussage, die unerlaubte Veranstaltung und Vermittlung der Sportwetten erfülle den objektiven Tatbestand des § 284 Abs. 1 StGB und rechtfertige deshalb ein ordnungsbehördliches Einschreiten. Damit enthält sie kein ethisches Unwerturteil, das geeignet wäre, das soziale Ansehen des Betroffenen herabzusetzen. Diese Schwelle wird erst mit dem konkreten, personenbezogenen Vorwurf eines schuldhaft-kriminellen Verhaltens überschritten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 1952 - 1 BvR 197/53 - BVerfGE 9, 167 <171> und Urteil vom 6. Juni 1967 - 2 BvR 375, 53/60 und 18/65 - BVerfGE 22, 49 <79 f.>).
Soweit die Begründung der Untersagungsverfügung davon ausgeht, der Kläger habe strafbare Beihilfe zum unerlaubten Glücksspiel geleistet, kann offenbleiben, ob dies als stigmatisierender Vorwurf schuldhaft-kriminellen Verhaltens zu verstehen war. Jedenfalls hat die Einschätzung, die untersagte Tätigkeit sei strafbar, keine Außenwirkung erlangt. Der Bescheid ist nur an den Kläger gerichtet. Eine Weitergabe an Dritte ist weder substantiiert vorgetragen worden noch sonst erkennbar. Eine strafrechtliche Verfolgung ist nicht ersichtlich.
Nachteilige Auswirkungen der Untersagung in künftigen Verwaltungsverfahren - etwa zur Erlaubniserteilung nach aktuellem Recht - sind nach der im Termin zur mündlichen Verhandlung zu Protokoll gegebenen Erklärung des Vertreters des Freistaates Bayern ebenfalls nicht zu besorgen. Danach werden Monopolverstöße dort zukünftig nicht als Anhaltspunkt für eine Unzuverlässigkeit von Konzessionsbewerbern oder Bewerbern um eine Vermittlungserlaubnis gewertet.
3. Entgegen dem angegriffenen Urteil lässt sich ein berechtigtes Feststellungsinteresse nicht mit dem Vorliegen eines tiefgreifenden Eingriffs in die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG begründen. Die Annahme des Berufungsgerichts, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO müsse wegen der Garantie effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG in diesem Sinne ausgelegt werden, trifft nicht zu. Eine Ausweitung des Tatbestandsmerkmals des berechtigten Feststellungsinteresses über die einfach-rechtlich konkretisierten Fallgruppen des berechtigten rechtlichen, ideellen oder wirtschaftlichen Interesses (a) hinaus verlangt Art. 19 Abs. 4 GG nur bei Eingriffsakten, die sonst wegen ihrer typischerweise kurzfristigen Erledigung regelmäßig keiner gerichtlichen Überprüfung in einem Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten (b). Eine weitere Ausdehnung des Anwendungsbereichs, die ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse allein wegen der Schwere des erledigten Eingriffs in Grundrechte oder Grundfreiheiten annimmt, ist auch aus Art. 47 GRC in Verbindung mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot nicht herzuleiten (c).
a) Aus dem Wortlaut des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO und dem systematischen Zusammenhang mit § 42 VwGO ergibt sich, dass die Verwaltungsgerichte nur ausnahmsweise für die Überprüfung erledigter Verwaltungsakte in Anspruch genommen werden können. Nach dem Wegfall der mit dem Verwaltungsakt verbundenen Beschwer wird gerichtlicher Rechtsschutz grundsätzlich nur zur Verfügung gestellt, wenn der Kläger ein berechtigtes rechtliches, wirtschaftliches oder ideelles Interesse an einer nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Maßnahme hat (dazu oben Rn. 11). Das berechtigte Feststellungsinteresse geht in all diesen Fällen über das bloße Interesse an der Klärung der Rechtswidrigkeit der Verfügung hinaus. Dies gilt unabhängig von der Intensität des erledigten Eingriffs und vom Rang der Rechte, die von ihm betroffen waren.
b) Die Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG differenziert ebenfalls nicht nach diesen beiden Kriterien. Sie gilt auch für einfach-rechtliche Rechtsverletzungen, die - von der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG abgesehen - kein Grundrecht tangieren, und für weniger schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte und Grundfreiheiten. Umgekehrt gebietet die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG selbst bei tiefgreifenden Eingriffen in solche Rechte nicht, ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse anzunehmen, wenn dies nicht erforderlich ist, die Effektivität des Rechtsschutzes zu sichern.
Effektiver Rechtsschutz verlangt, dass der Betroffene ihn belastende Eingriffsmaßnahmen in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren überprüfen lassen kann. Solange er durch den Verwaltungsakt beschwert ist, stehen ihm die Anfechtungs- und die Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO zur Verfügung. Erledigt sich der Verwaltungsakt durch Wegfall der Beschwer, wird nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO Rechtsschutz gewährt, wenn der Betroffene daran ein berechtigtes rechtliches, ideelles oder wirtschaftliches Interesse hat. In den übrigen Fällen, in denen sein Anliegen sich in der bloßen Klärung der Rechtmäßigkeit des erledigten Verwaltungsakts erschöpft, ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nach Art. 19 Abs. 4 GG zu bejahen, wenn andernfalls kein wirksamer Rechtsschutz gegen solche Eingriffe zu erlangen wäre. Davon ist nur bei Maßnahmen auszugehen, die sich typischerweise so kurzfristig erledigen, dass sie ohne die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten. Maßgebend ist dabei, ob die kurzfristige, eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage ausschließende Erledigung sich aus der Eigenart des Verwaltungsakts selbst ergibt (BVerfG, Beschlüsse vom 5. Dezember 2001 - 2 BvR 527/99, 1337/00, 1777/00 - BVerfGE 104, 220 <232 f.> und vom 3. März 2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <86> m.w.N).
Glücksspielrechtliche Untersagungsverfügungen nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV zählen nicht zu den Verwaltungsakten, die sich in diesem Sinne typischerweise kurzfristig erledigen. Vielmehr sind sie als Verwaltungsakte mit Dauerwirkung (Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 8 C 2.10 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 276 Rn. 19 m.w.N.) gerade auf langfristige Geltung angelegt. Dass sie sich regelmäßig fortlaufend für den bereits zurückliegenden Zeitraum erledigen, lässt ihre gegenwärtige, sich täglich neu aktualisierende Wirksamkeit und damit auch ihre Anfechtbarkeit und Überprüfbarkeit im Hauptsacheverfahren unberührt (vgl. Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Januar 2012, § 113 Rn. 85 a.E.). Änderungen der Rechtslage führen ebenfalls nicht zur Erledigung. Vielmehr ist die Untersagung anhand der jeweils aktuellen Rechtslage zu prüfen. Dass ihre Anfechtung sich regelmäßig nur auf eine Aufhebung des Verbots mit Wirkung ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung richten kann, stellt keine Rechtsschutzbeschränkung dar. Vielmehr trägt dies dem Umstand Rechnung, dass das Verbot in der Vergangenheit keine Regelungswirkung mehr entfaltet, die aufgehoben werden könnte. Im Ausnahmefall, etwa bei einer noch rückgängig zu machenden Vollziehung der Untersagung, bleibt diese wegen ihrer Titelfunktion als Rechtsgrund der Vollziehung rückwirkend anfechtbar (Beschluss vom 25. September 2008 - BVerwG 7 C 5.08 - Buchholz 345 § 6 VwVG Nr. 1 Rn. 13; zur Vollzugsfolgenbeseitigung vgl. Urteil vom 14. März 2006 - BVerwG 1 C 11.05 - BVerwGE 125, 110 <Rn. 17> = Buchholz 402.242 § 63 AufenthG Nr. 2 Rn. 17).
Dass eine untypisch frühzeitige Erledigung im Einzelfall einer streitigen Hauptsacheentscheidung zuvorkommen kann, berührt Art. 19 Abs. 4 GG nicht. Die Rechtsweggarantie verbietet zwar, gesetzliche Zulässigkeitsanforderungen so auszulegen, dass ein gesetzlich eröffneter Rechtsbehelf leerläuft, weil das weitere Beschreiten des Rechtswegs unzumutbar und ohne sachliche Rechtfertigung erschwert wird (BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 2010 - 2 BvR 1023/08 - NJW 2011, 137 <Rn. 31> m.w.N.). Einen solchen Leerlauf hat die dargestellte Konkretisierung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses aber nicht zur Folge. Ihre sachliche Rechtfertigung und die Zumutbarkeit ihrer prozessualen Konsequenzen ergeben sich daraus, dass eine großzügigere Handhabung dem Kläger mangels berechtigten rechtlichen, ideellen oder wirtschaftlichen Interesses keinen relevanten Vorteil bringen könnte und auch nicht dazu erforderlich ist, maßnahmenspezifische Rechtsschutzlücken zu vermeiden.
c) Aus der Garantie eines wirksamen Rechtsbehelfs im Sinne des Art. 47 GRC ergibt sich keine Verpflichtung, das Merkmal des berechtigten Interesses nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO weiter auszulegen.
Allerdings ist nach der unionsgerichtlichen Rechtsprechung davon auszugehen, dass der sachliche Anwendungsbereich der Grundrechtecharta nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRC eröffnet ist, weil der Kläger Rechtsschutz wegen einer Beschränkung seiner Dienstleistungsfreiheit begehrt. Zur mitgliedstaatlichen Durchführung des Unionsrechts im Sinne der Vorschrift rechnet der Gerichtshof nicht nur Umsetzungsakte im Sinne eines unionsrechtlich - zumindest teilweise - determinierten Vollzugs, sondern auch mitgliedstaatliche Eingriffe in Grundfreiheiten nach Maßgabe der allgemeinen unionsrechtlichen Schrankenvorbehalte. An dieser Rechtsprechung, die vor Inkrafttreten der Charta zur Abgrenzung des Anwendungsbereichs unionsrechtlicher Grundrechte als allgemeiner Grundsätze des Unionsrechts entwickelt wurde (vgl. EuGH, Urteil vom 18. Juni 1991 - Rs. C-260/89, ERT - Slg. 1991 I-2951 <Rn. 42>), hält der Gerichtshof weiterhin fest. Er geht von einer mitgliedstaatlichen Bindung an die Unionsgrundrechte im gesamten Anwendungsbereich des Unionsrechts aus und verweist dazu auf die Erläuterungen zu Art. 51 GRC, die nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV, Art. 52 Abs. 7 GRC bei der Auslegung der Charta zu berücksichtigen sind (EuGH, Urteil vom 26. Februar 2013 - Rs. C-617/10, Akerberg Fransson - EuZW 2013, 302 <Rn. 17 ff.>). Wie diese Abgrenzungsformel im Einzelnen zu verstehen ist, inwieweit bei ihrer Konkretisierung grammatische und entstehungsgeschichtliche Anhaltspunkte für eine bewusste Begrenzung des Anwendungsbereichs durch Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRC maßgeblich und welche Folgerungen aus kompetenzrechtlichen Grenzen zu ziehen sind (vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 24. April 2013 - 1 BvR 1215/07 - NJW 2013, 1499 Rn. 88 und 90; zur Entstehungsgeschichte Borowsky, in: Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Aufl. 2011, S. 643 ff.), bedarf hier keiner Klärung. Geht man von der Anwendbarkeit des Art. 47 GRC aus, ist dieser jedenfalls nicht verletzt.
Mit der Verpflichtung, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen Rechtsverletzungen zur Verfügung zu stellen, konkretisiert Art. 47 Abs. 1 GRC den allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz effektiven Rechtsschutzes (dazu vgl. EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 - Rs. C-279/09, DEB - EuZW 2011, 137 <Rn. 29> und Beschluss vom 13. Juni 2012 - Rs. C-156/12, GREP - juris <Rn. 35>). Er hindert den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber aber nicht, für die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs ein qualifiziertes Interesse des Klägers zu fordern und diese Anforderung im Sinne der soeben unter a) und b) (Rn. 19 und 20 ff.) dargelegten Kriterien zu konkretisieren.
Wie sich aus den einschlägigen unionsgerichtlichen Entscheidungen ergibt, bleibt es grundsätzlich den Mitgliedstaaten überlassen, im Rahmen der Ausgestaltung ihres Prozessrechts die Klagebefugnis und das Rechtsschutzinteresse des Einzelnen zu normieren. Begrenzt wird das mitgliedstaatliche Ermessen bei der Regelung solcher Zulässigkeitsvoraussetzungen durch das unionsrechtliche Äquivalenzprinzip, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Effektivitätsgebot (EuGH, Urteile vom 11. Juli 1991 - Rs. C-87/90 u.a., Verholen u.a. ./. Sociale Verzekeringsbank - Slg. 1991 I-3783 <Rn. 24> und vom 16. Juli 2009 - Rs. C-12/08, Mono Car Styling ./. Dervis Odemis u.a. - Slg. 2009 I-6653 <Rn. 49>; Beschluss vom 13. Juni 2012 a.a.O. <Rn. 39 f.>).
Das Äquivalenzprinzip verlangt eine Gleichwertigkeit der prozessrechtlichen Bedingungen für die Durchsetzung von Unionsrecht und mitgliedstaatlichem Recht (EuGH, Urteil vom 13. März 2007 - Rs. C-432/05, Unibet ./. Justitiekansler - Slg. 2005 I-2301 <Rn. 43>). Es ist hier nicht betroffen, weil die dargelegte verfassungskonforme Konkretisierung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nicht danach unterscheidet, ob eine Verletzung von Unions- oder mitgliedstaatlichem Recht geltend gemacht wird.
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verbietet eine Zulässigkeitsregelung, die das Recht auf Zugang zum Gericht in seinem Wesensgehalt selbst beeinträchtigt, ohne einem unionsrechtlich legitimen Zweck zu dienen und im Verhältnis dazu angemessen zu sein (EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 a.a.O. <Rn. 60> und Beschluss vom 13. Juni 2012 a.a.O. <Rn. 39 f.>). Hier fehlt schon eine den Wesensgehalt des Rechts selbst beeinträchtigende Rechtswegbeschränkung. Sie liegt vor, wenn dem Betroffenen der Zugang zum Gericht trotz einer Belastung durch die beanstandete Maßnahme verwehrt wird, weil die fragliche Regelung für den Zugang zum Recht ein unüberwindliches Hindernis aufrichtet (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 a.a.O. <Rn. 61>; Beschluss vom 13. Juni 2012 a.a.O. <Rn. 41>). Danach kommt es - nicht anders als nach der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 19 Abs. 4 GG - maßgeblich darauf an, dass der Betroffene eine ihn belastende Eingriffsmaßnahme gerichtlich überprüfen lassen kann. Das war hier gewährleistet, da die Untersagungsverfügung bis zu ihrer endgültigen Erledigung angefochten werden konnte und § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO eine Fortsetzungsfeststellung ermöglichte, soweit diese noch zur Abwendung fortwirkender Nachteile von Nutzen sein konnte. Dass die Vorschrift keinen darüber hinausgehenden Anspruch auf eine Fortsetzung des Prozesses nur zum Zweck nachträglicher Rechtsklärung vorsieht, widerspricht nicht dem Wesensgehalt der Garantie eines wirksamen Rechtsbehelfs. Unabhängig davon wäre selbst eine Beeinträchtigung des Rechts in seinem Wesensgehalt verhältnismäßig. Sie wäre geeignet, erforderlich und angemessen, die Prozessökonomie zur Verwirklichung des unionsrechtlich legitimen Ziels zügigen, effektiven Rechtsschutzes für alle Rechtssuchenden zu wahren.
Das Effektivitätsgebot ist ebenfalls nicht verletzt. Es fordert eine Ausgestaltung des mitgliedstaatlichen Rechts, die die Ausübung unionsrechtlich gewährleisteter Rechte nicht praktisch unmöglich macht oder unzumutbar erschwert (EuGH, Urteile vom 11. Juli 1991 a.a.O. und vom 13. März 2007 a.a.O. <Rn. 43>). Bezogen auf die mitgliedstaatliche Regelung prozessualer Zulässigkeitsvoraussetzungen ergibt sich daraus, dass den Trägern unionsrechtlich begründeter Rechte gerichtlicher Rechtsschutz zur Verfügung stehen muss, der eine wirksame Kontrolle jeder Rechtsverletzung und damit die Durchsetzbarkeit des betroffenen Rechts gewährleistet. Diese Anforderungen gehen nicht über die aus Art. 19 Abs. 4 GG herzuleitende Gewährleistung einer gerichtlichen Überprüfbarkeit jedes Eingriffs in einem Hauptsacheverfahren hinaus. Insbesondere lässt sich aus dem Effektivitätsgebot keine Verpflichtung herleiten, eine Fortsetzung der gerichtlichen Kontrolle nach Erledigung des Eingriffs unabhängig von einem rechtlichen, ideellen oder wirtschaftlichen Nutzen für den Kläger allein unter dem Gesichtspunkt eines abstrakten Rechtsklärungsinteresses vorzusehen (vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro, in: - Rs. C-83/91, Meilicke/ADV/ORGA AG - vom 8. April 1992, Slg. 1992 I-4897 <Rn. 5>). Das gilt erst recht, wenn die Maßnahme bereits Gegenstand einer gerichtlichen Hauptsacheentscheidung war und sich erst im Rechtsmittelverfahren erledigt hat.
An der Richtigkeit dieser Auslegung des Art. 47 Abs. 1 GRC und des unionsrechtlichen Grundsatzes effektiven Rechtsschutzes bestehen unter Berücksichtigung der zitierten unionsgerichtlichen Rechtsprechung keine ernsthaften Zweifel im Sinne der acte-clair-Doktrin (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs. C-283/81, C.I.L.F.I.T. u.a. - Slg. 1982, S. 3415 <Rn. 16 ff.>). Die vom Kläger angeregte Vorlage an den Gerichtshof ist deshalb nach Art. 267 Abs. 3 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) nicht geboten.
4. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergibt sich schließlich nicht aus der Präjudizwirkung der beantragten Feststellung für den vom Kläger angestrebten Staatshaftungsprozess. Auch das Berufungsgericht hat das nicht angenommen. Ein Präjudizinteresse kann nur bestehen, wenn die beabsichtigte Geltendmachung von Staatshaftungsansprüchen nicht offensichtlich aussichtslos ist. Bei der Prüfung dieses Ausschlusskriteriums ist ein strenger Maßstab anzulegen. Die Wahrscheinlichkeit eines Misserfolgs im zivilgerichtlichen Haftungsprozess genügt nicht. Offensichtlich aussichtslos ist eine Staatshaftungsklage jedoch, wenn der geltend gemachte Anspruch unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt besteht und dies sich ohne eine ins Einzelne gehende Würdigung aufdrängt (Urteile vom 14. Januar 1980 - BVerwG 7 C 92.79 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 95 S. 27, vom 29. April 1992 - BVerwG 4 C 29.90 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 247 S. 90 und vom 8. Dezember 1995 - BVerwG 8 C 37.93 - BVerwGE 100, 83 <92> = Buchholz 454.11 WEG Nr. 7). Der Verwaltungsprozess muss nicht zur Klärung öffentlich-rechtlicher Vorfragen der Staatshaftung fortgeführt werden, wenn der Kläger daraus wegen offenkundigen Fehlens anderer Anspruchsvoraussetzungen keinen Nutzen ziehen könnte. Hier drängt sich schon ohne eine detaillierte Würdigung auf, dass dem Kläger selbst bei Rechtswidrigkeit der Untersagung keine staatshaftungsrechtlichen Ansprüche zustehen.
Die Voraussetzungen der Amtshaftung gemäß Art. 34 Satz 1 GG, § 839 BGB oder des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs (zu dessen Herleitung vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 1991 - Rs. C-6/90 und 9/90, Francovich u.a. - Slg. 1991 I-5357 <Rn. 35>) liegen ersichtlich nicht vor, ohne dass es insoweit einer ins Einzelne gehenden Prüfung bedürfte. Weitere Anspruchsgrundlagen kommen nicht in Betracht.
Der Kläger hat den Zugriff auf die Betriebsstätte Ende September 2009 endgültig verloren. Denkbare Schadensersatzansprüche betreffen also nur den Zeitraum vor Ergehen der unionsgerichtlichen Urteile zu den deutschen Sportwettenmonopolen (EuGH, Urteile vom 8. September 2010 - Rs. C-316/07 u.a., Markus Stoß u.a. - Slg. 2010 I-8069, - Rs. C-46/08, Carmen Media Group - Slg. 2010 I-8175 und - Rs. C-409/06, Winner Wetten - Slg. 2010 I-8041). Für diesen Zeitraum scheidet ein Amtshaftungsanspruch aus, weil den Amtswaltern selbst bei Rechtswidrigkeit der zur Begründung der Untersagung herangezogenen Monopolregelung keine schuldhaft fehlerhafte Rechtsanwendung zur Last zu legen ist. Die unionsrechtliche Staatshaftung greift für diesen Zeitraum nicht ein, da ein etwaiger Verstoß gegen das Unionsrecht nicht hinreichend qualifiziert war.
a) Einem Amtswalter ist auch bei fehlerhafter Rechtsanwendung regelmäßig kein Verschulden im Sinne des § 839 BGB vorzuwerfen, wenn seine Amtstätigkeit durch ein mit mehreren rechtskundigen Berufsrichtern besetztes Kollegialgericht aufgrund einer nicht nur summarischen Prüfung als objektiv rechtmäßig angesehen wird (Urteil vom 17. August 2005 - BVerwG 2 C 37.04 - BVerwGE 124, 99 <105 ff.> = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 32; BGH, Urteil vom 6. Februar 1986 - III ZR 109/84 - BGHZ 97, 97 <107>). Das Verwaltungsgericht hat die angegriffene Untersagungsverfügung im Hauptsacheverfahren für rechtmäßig gehalten. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bejahte seinerzeit in ständiger Rechtsprechung die Vereinbarkeit des Sportwettenmonopols mit höherrangigem Recht sowie die Rechtmäßigkeit darauf gestützter Untersagungen unerlaubter Wettvermittlung (vgl. VGH München, Urteile vom 18. Dezember 2008 - 10 BV 07.558 - ZfWG 2009, 27 und - 10 BV 07.774/775 - juris). Er hat diese Auffassung erst im Hinblick auf die im Herbst 2010 veröffentlichten Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union zu den deutschen Sportwettenmonopolen vom 8. September 2010 (a.a.O.) sowie die daran anknüpfenden Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. November 2010 (BVerwG 8 C 14.09 - BVerwGE 138, 201 = Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 272, - BVerwG 8 C 15.09 - NWVBl 2011, 307 sowie - BVerwG 8 C 13.09 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 273) in einer Eilentscheidung im Frühjahr 2011 aufgegeben (VGH München, Beschluss vom 21. März 2011 - 10 AS 10.2499 - ZfWG 2011, 197 = juris Rn. 24 ff.). Die Orientierung an der berufungsgerichtlichen Rechtsprechung kann den Amtswaltern auch nicht etwa vorgeworfen werden, weil die kollegialgerichtlichen Entscheidungen bis Ende 2010 - für sie erkennbar - von einer schon im Ansatzpunkt völlig verfehlten rechtlichen Betrachtung ausgegangen wären (zu diesem Kriterium vgl. BVerwG, Urteil vom 17. August 2005 a.a.O. S. 106 f.). Hinreichend geklärt war ein etwaiger Verstoß gegen unionsrechtliche Vorgaben jedenfalls nicht vor Ergehen der zitierten unionsgerichtlichen Entscheidungen (BGH, Urteil vom 18. Oktober 2012 - III ZR 196/11 - EuZW 2013, 194 <Rn. 22 ff.>), die durch die nachfolgenden Urteile des Senats in Bezug auf das bayerische Monopol konkretisiert wurden. Der Gerichtshof stellte seinerzeit erstmals klar, dass die Verhältnismäßigkeit im unionsrechtlichen Sinn nicht nur eine kohärente Ausgestaltung des jeweiligen Monopolbereichs selbst, sondern darüber hinaus eine Kohärenz auch zwischen den Regelungen verschiedener Glücksspielsektoren fordert. Außerdem präzisierte er die Grenzen zulässiger, nicht auf Expansion gerichteter Werbung für die besonders umstrittene Imagewerbung.
b) Im Zeitraum bis zum Herbst 2010 - und damit auch für den vorliegend strittigen Zeitraum bis September 2009 - fehlt es auch an einem hinreichend qualifizierten Rechtsverstoß, wie er für die unionsrechtliche Staatshaftung erforderlich ist. Diese setzt eine erhebliche und gleichzeitig offenkundige Verletzung des Unionsrechts voraus. Maßgeblich dafür sind unter anderem das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, der Umfang des durch sie belassenen Ermessensspielraums und die Frage, ob Vorsatz bezüglich des Rechtsbruchs oder des Zufügens des Schadens vorlag, sowie schließlich, ob ein Rechtsirrtum entschuldbar war (EuGH, Urteil vom 5. März 1996 - Rs. C-46 und 48/93, Brasserie du Pêcheur und Factortame - Slg. 1996 I-1029 <Rn. 51 und 55>). Nach diesen Kriterien kann zumindest bis zu den zitierten Entscheidungen des Gerichtshofs von einer offenkundigen erheblichen Verletzung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit durch die Monopolregelung nicht die Rede sein. Mangels Harmonisierung des Glücksspielbereichs stand den Mitgliedstaaten ein weites Regelungsermessen zur Verfügung. Seine durch die Grundfreiheiten gezogenen Grenzen waren jedenfalls bis zur unionsgerichtlichen Konkretisierung der intersektoralen Kohärenz nicht so genau und klar bestimmt, dass ein etwaiger Rechtsirrtum unentschuldbar gewesen wäre.
c) Weitere Anspruchsgrundlagen für eine Staatshaftung kommen nicht in Betracht. Eine über die Amtshaftung und den unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch hinausgehende Haftung für eine rechtswidrige Inanspruchnahme als Störer sieht das bayerische Landesrecht nicht vor (vgl. Art. 70 ff. des Polizeiaufgabengesetzes - BayPAG).
5. Andere Umstände, aus denen sich ein berechtigtes Feststellungsinteresse des Klägers ergeben könnte, sind nicht erkennbar.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019746
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BVerwG
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5. Senat
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20130516
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5 C 20/12
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Urteil
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§ 71 Abs 1 S 1 SGB 9, § 73 Abs 1 SGB 9, § 73 Abs 3 SGB 9, § 77 Abs 1 SGB 9, § 613a BGB, § 293 BGB, § 7 Abs 1 SGB 4, Art 12 Abs 1 GG
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vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 2. Mai 2012, Az: 12 BV 10.2058, Urteil vorgehend VG Ansbach, 20. Mai 2010, Az: AN 14 K 08.335, Urteil
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DEU
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Schwerbehindertenrechtliche Ausgleichsabgabe; Heranziehung von Beschäftigungsgesellschaften
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Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften unterliegen hinsichtlich der von ihnen übernommenen Transferkurzarbeiter der Pflicht des § 77 Abs. 1 SGB IX (juris: SGB 9), eine schwerbehindertenrechtliche Ausgleichsabgabe zu entrichten.
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Die Beteiligten streiten um die Frage, ob Beschäftigungsgesellschaften eine schwerbehindertenrechtliche Ausgleichsabgabe entrichten müssen.
Die Klägerin ist eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft. Sie übernimmt von Unternehmen, die Werke oder Betriebe schließen müssen, meist aufgrund eines Sozialplans das von Entlassung bedrohte Personal. Ihre Aufgabe ist es, die Arbeitnehmer in neue Arbeitsverhältnisse zu vermitteln und für eine andere berufliche Tätigkeit zu qualifizieren. Dazu werden in "dreiseitigen Verträgen" die Arbeitsverhältnisse mit dem früheren Arbeitgeber aufgehoben und neue, auf maximal 12 Monate befristete Arbeitsverträge mit der Klägerin geschlossen. Die auf diese Weise "transferierten" Arbeitnehmer erhalten Transferkurzarbeitergeld. Die Kosten der Beschäftigungsgesellschaft (Transfergesellschaft) und alle übrigen Leistungen (insbesondere die Sozialversicherungsbeiträge) werden vom früheren Arbeitgeber übernommen.
Im Jahr 2006 übernahm die Klägerin aufgrund solcher "dreiseitiger Verträge" einen großen Teil der Belegschaft des stillgelegten N. Werks der A. GmbH. Mit Feststellungsbescheid vom 4. Juli 2007 wurde die Klägerin für das Jahr 2006 zu einer schwerbehindertenrechtlichen Ausgleichsabgabe in Höhe von 31 200 € herangezogen. Dies wurde damit begründet, dass die Klägerin nach den Berechnungen des Integrationsamts der Beklagten im Jahr 2006 durchschnittlich 267 Personen beschäftigte. Im Jahresdurchschnitt war nur 1,24 % des Personals schwerbehindert, so dass die gesetzlich vorgeschriebene Quote von 5 % nicht erreicht wurde. Der gegen die Ausgleichsabgabe gerichtete Widerspruch wurde mit Bescheid vom 6. Februar 2008 zurückgewiesen.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe im Jahr 2006 nicht die erforderliche Zahl schwerbehinderter Arbeitnehmer beschäftigt. Bei der Berechnung der Ausgleichsabgabe seien auch die Stellen der Transferkurzarbeiter zu berücksichtigen. Eine anzurechnende Stelle liege nicht nur dann vor, wenn ein Arbeitsplatz im räumlich-gegenständlichen Sinne bereitgestellt werde. Vielmehr genüge es, wenn dem Arbeitnehmer in einem Betrieb ein bestimmter Tätigkeitsbereich zugewiesen werde. Hinsichtlich des Verwaltungs- und Schulungspersonals der Klägerin könne dies nicht erfolgreich bestritten werden. Hinsichtlich der übernommenen Transferkurzarbeiter finde zwar keine Beschäftigung im üblichen Sinne statt. Die vertraglich vereinbarte Qualifizierung dieser Arbeitnehmer erfülle jedoch ebenfalls den sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsbegriff. Für das Bestehen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses sei im Übrigen die Erbringung einer Arbeitsleistung nicht zwingend erforderlich. Etwas Anderes gelte auch nicht bei Bezug von Transferkurzarbeitergeld. Insbesondere sei die Transferkurzarbeit nicht den einigungsbedingten "Kurzarbeit-Null-Fällen" vergleichbar. Die Ausnahmevorschrift für geringfügig beschäftigte Teilzeitkräfte greife nicht ein. Die Transferkurzarbeiter würden nicht weniger als 18 Wochenstunden beschäftigt.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin im Kern eine Verkennung des ausgleichsabgabenrechtlichen Arbeitsplatzbegriffs. Dieser setze eine tatsächliche Beschäftigung voraus. Daran fehle es aber gerade, weil Transferkurzarbeitergeld begrifflich einen dauerhaften und unvermeidlichen Arbeitsausfall erfordere. Das Arbeitsverhältnis beschränke sich daher auf Meldepflichten und ähnliche Nebenpflichten. Eine Arbeitsleistung im eigentlichen Sinne werde nicht erbracht. Zwar könne ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nach der Rechtsprechung auch bei kurzfristigem Entfallen der Arbeitsleistung bestehen (z.B. Freistellungsphase in der Altersteilzeit, Urlaub, Krankheit etc.). Diese Fälle seien aber mit der Transferkurzarbeit nicht zu vergleichen, bei der generell keine Arbeitspflicht bestehe. Die durchgeführten Qualifizierungsmaßnahmen könnten ebenfalls nicht als Beschäftigung im Betrieb angesehen werden, da keine arbeitsrechtliche oder auch nur sozialrechtliche Verpflichtung zur Teilnahme bestehe und auch kein Anspruch auf Durchführung gegeben sei. Auch könne der Zweck der Ausgleichsabgabe, den Arbeitgeber zur Beschäftigung von Schwerbehinderten anzuhalten, bei Transfergesellschaften nicht erreicht werden. Die Transfergesellschaft habe keinen Einfluss auf die zu übernehmende Belegschaft. Es sei sinnwidrig, allein auf die Ausgleichsfunktion der Abgabe abzustellen. Ferner müssten die Grundsätze der einigungsbedingten "Kurzarbeit-Null-Rechtsprechung" Anwendung finden. Historisch betrachtet seien die Transfergesellschaften auf die im Rahmen der Wiedervereinigung entwickelten Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften zurückzuführen. Jedenfalls müsse die Ausnahmevorschrift für geringfügig Beschäftigte verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass bei Transfergesellschaften Beschäftigte weniger als 18 Stunden arbeiteten. Das Fehlen einer Arbeitspflicht und das bloße Vorhandensein von Nebenpflichten müsse wie eine Teilzeitbeschäftigung gewertet werden.
Der Beklagte und der Vertreter des Bundesinteresses verteidigen das angegriffene Berufungsurteil.
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Die Revision der Klägerin ist als unbegründet zurückzuweisen, weil das angegriffene Urteil nicht gegen Bundesrecht verstößt (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin zur Entrichtung der festgesetzten schwerbehindertenrechtlichen Ausgleichsabgabe nach § 77 Abs. 1, 2 und Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 73 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch in der für das Erhebungsjahr 2006 maßgeblichen Fassung vom 19. Juni 2001 (BGBl I S. 1046), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. April 2004 (BGBl I S. 606) - im Folgenden: SGB IX -, verpflichtet ist.
1. Private und öffentliche Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich monatlich mindestens 20 Arbeitsplätzen haben gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 SGB IX auf wenigstens 5 % der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Solange sie die vorgeschriebene Zahl Schwerbehinderter nicht beschäftigen, haben sie nach § 77 Abs. 1 SGB IX für jeden unbesetzten Pflichtarbeitsplatz eine Ausgleichsabgabe zu entrichten. Zwischen den Beteiligten ist zu Recht unstreitig, dass die Klägerin als Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft im Jahr 2006 im Jahresdurchschnitt mehr als 20 Personen pro Monat angestellt hatte, dass bei Anrechnung des übernommenen Personals 120 Pflichtplätze unbesetzt geblieben sind und dass dafür rechnerisch eine Ausgleichsabgabe von 31 200 € anzusetzen ist.
2. Der Verwaltungsgerichtshof ist ebenfalls zutreffend davon ausgegangen, dass bei Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften auch die Stellen der übernommenen Transferkurzarbeiter in die Berechnung der Ausgleichsabgabe nach § 77 Abs. 1 SGB IX einfließen. Zum einen haben die Transferkurzarbeiter Arbeitsplätze im Sinne des § 73 Abs. 1 SGB IX (a) und zum anderen ist die Anrechnung ihrer Stellen bei der Erhebung der Ausgleichsabgabe nicht wegen geringfügiger Beschäftigung analog § 73 Abs. 3 Alt. 2 SGB IX ausgeschlossen (b). Die Berücksichtigung der Transferkurzarbeiter bei der Erhebung der Ausgleichsabgabe ist auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen unzulässig (c).
a) Unter den Begriff des Arbeitsplatzes fallen nach der Definition des § 73 Abs. 1 SGB IX alle Stellen, auf denen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Beamte und Beamtinnen, Richter und Richterinnen sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden. Diese Begriffsbestimmung ist erkennbar durch drei Elemente geprägt. Es bedarf - erstens - eines privat- oder öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnisses (Arbeitnehmer-, Beamten- oder Richtereigenschaft), der Arbeitgeber oder Dienstherr muss - zweitens - "Stellen" eingerichtet haben und auf diesen muss - drittens - Personal "beschäftigt" werden (dreigliedriger Arbeitsplatzbegriff).
aa) Die von der Klägerin übernommenen Transferkurzarbeiter stehen zu dieser in einem privatrechtlichen Anstellungsverhältnis und sind deshalb Arbeitnehmer (vgl. BAG, Beschluss vom 23. August 2001 - 5 AZB 11/01 - BAGE 99, 1 <3 f.> und Urteil vom 30. März 2004 - 1 AZR 85/03 - AP § 112 BetrVG 1972 Nr. 170; BSG, Urteile vom 10. Mai 2012 - B 1 KR 26/11 R - juris Rn. 15 und vom 4. Juli 2012 - B 11 AL 9/11 R - juris Rn. 17; BFH, Urteil vom 20. Juli 2010 - IX R 23/09 - BFHE 230, 373 Rn. 16; Kania, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 13. Aufl. 2013, §§ 112, 112a BetrVG 210 Rn. 37c).
Für die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des § 73 Abs. 1 SGB IX ist auf die im Arbeitsrecht entwickelten Maßstäbe abzustellen (vgl. Urteile vom 8. März 1999 - BVerwG 5 C 5.98 - Buchholz 436.61 § 7 SchwbG Nr. 4 S. 2 und vom 26. September 2002 - BVerwG 5 C 53.01 - Buchholz 436.61 § 7 SchwbG Nr. 5 S. 7). Danach ist Arbeitnehmer, wer aufgrund Vertrages in persönlicher Abhängigkeit Dienste erbringt (vgl. Urteile vom 16. Dezember 1959 - BVerwG 5 C 138.57 - BVerwGE 10, 70 <71> = Buchholz 436.6 § 2 SchwBeschG Nr. 1 S. 2, vom 8. März 1999 a.a.O. S. 2 und vom 26. September 2002 a.a.O. S. 7). Für den Arbeitnehmerbegriff ist es dabei wesentlich, dass der Arbeitnehmer weisungsabhängig und in die Organisation des Arbeitgebers eingegliedert ist (BAG, Urteil vom 6. Mai 1998 - 5 AZR 612/97 - NJW 1998, 3796 <3797>).
Nach diesen Grundsätzen stehen die von der Klägerin übernommenen Transferkurzarbeiter in einem Arbeitsverhältnis. Bei dem "dreiseitigen Vertrag" zwischen dem früheren Arbeitgeber, der Transfergesellschaft und dem Arbeitnehmer handelt es sich nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung um einen Aufhebungs- und Arbeitsvertrag, mit dem der Arbeitsvertrag mit dem früheren Arbeitgeber aufgelöst und ein neuer Arbeitsvertrag mit der Transfergesellschaft begründet wird. Dieser "dreiseitige Vertrag" stellt grundsätzlich keine Umgehung von § 613a BGB dar und kann daher rechtswirksam geschlossen werden (BAG, Urteile vom 11. Dezember 1997 - 8 AZR 654/95 - NZA 1999, 262 <263> und vom 23. November 2006 - 8 AZR 349/06 - NZA 2007, 866 <868>). Den den Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs ist zu entnehmen, dass die Transferkurzarbeiter in den Schulungs-, Vermittlungs- und Personalbetreuungsbetrieb der Klägerin eingegliedert sind. Dies entspricht auch dem zwischen ihnen und der früheren Arbeitgeberin abgeschlossenen "dreiseitigen Vertrag", wie er als Muster im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegt wurde.
Die Transferkurzarbeiter sind gegenüber der Klägerin auch zur Erbringung einer Leistung verpflichtet. Nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs sind sie zum Zweck der Fortbildung bzw. Qualifikation eingestellt. Sie sind nach § 3 Abs. 7 Satz 1 des "dreiseitigen Vertrages" verpflichtet, u.a. an Qualifizierungsmaßnahmen teilzunehmen. Die Teilnahme an solchen Maßnahmen ist - so die Feststellung der Vorinstanz - an die Stelle der zuvor dem früheren Arbeitgeber geschuldeten Leistung getreten. Es handelt sich also um eine Arbeitsleistung, die nunmehr gegenüber der Klägerin zu erbringen ist. Dem steht nicht entgegen, dass sich die Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen von den Tätigkeiten unterscheidet, wie sie ein Arbeitnehmer üblicherweise seinem Arbeitgeber schuldet. Die Arbeitnehmereigenschaft setzt nicht zwingend voraus, dass der Einzelne Arbeiten verrichtet, die Teil einer Wertschöpfungskette sind. Dass auch andere Leistungen - wie hier die Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen - Gegenstand einer Verpflichtung im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses sein können, folgt aus der Vertragsautonomie. Nicht entscheidend ist im vorliegenden Zusammenhang, in welchem Umfang die Klägerin die Transferkurzarbeiter auffordert, an Qualifizierungsmaßnamen teilzunehmen. Für die hier allein maßgebliche Verpflichtung zur Dienstleistung kommt es darauf nicht an.
Die Transferkurzarbeiter unterliegen auch dem Direktionsrecht der Klägerin. Dies ergibt sich schon daraus, dass sie - wie aufgezeigt - verpflichtet sind, auf Verlangen der Klägerin an Qualifizierungsmaßnahmen teilzunehmen.
bb) Die Transferkurzarbeiter werden auch auf "Stellen" im Sinne des § 73 Abs. 1 SGB IX beschäftigt. Hierfür ist es nicht erforderlich, dass die Arbeitnehmer über einen Arbeitsplatz im räumlich-technischen Sinne verfügen (Urteile vom 13. Dezember 2001 - BVerwG 5 C 22.01 - juris Rn. 18 und - BVerwG 5 C 26.01 - BVerwGE 115, 312 <316> = Buchholz 436.61 § 11 SchwbG Nr. 1 S. 4). Vielmehr ist die "Stelle" im übertragenen betriebsorganisatorisch-arbeitsrechtlichen Sinne als die Gesamtheit des dem Arbeitnehmer im Betrieb zugewiesenen Tätigkeitsbereichs mit allen sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten zu verstehen (Urteile vom 21. Oktober 1987 - BVerwG 5 C 42.84 - Buchholz 436.61 § 6 SchwbG Nr. 1 S. 2 und vom 8. März 1999 a.a.O. S. 2). Die "Stelle" hat allerdings für das Entstehen der Beschäftigungspflicht nach § 71 SGB IX und für die Erhebung der Ausgleichsabgabe nach § 77 SGB IX primär die Funktion einer Bezugs- und Rechengröße (BSG, Urteil vom 6. Mai 1994 - 7 RAr 68/93 - BSGE 74, 176 <183>). Es ist daher nicht entscheidend, ob eine betriebswirtschaftlichen und arbeitsrechtlichen Anforderungen genügende Stellenbeschreibung vorliegt. Nicht entscheidend ist auch, ob der dem Arbeitnehmer zugewiesene Tätigkeitsbereich mittelbar oder unmittelbar dem Zweck des Unternehmens dient und damit Teil der betrieblichen Wertschöpfungskette ist. Denn nach § 73 Abs. 1 SGB IX sind auch Stellen von "zur beruflichen Bildung Eingestellten" Arbeitsplätze, so dass für eine allein am Betriebszweck orientierte Betrachtungsweise kein Raum ist. Dementsprechend verfügen auch die bei der Klägerin angestellten Transferkurzarbeiter schon deshalb über einen ihnen zugewiesenen Tätigkeitsbereich, weil sie verpflichtet sind, an den Qualifizierungsmaßnahmen der Klägerin teilzunehmen.
cc) Entgegen der Ansicht der Klägerin ist auch davon auszugehen, dass die Transferkurzarbeiter auf ihren Stellen im Sinne von § 73 Abs. 1 SGB IX "beschäftigt werden". Für die Auslegung dieses Beschäftigungserfordernisses ist allerdings nicht - wie der Verwaltungsgerichtshof meint - auf § 7 Viertes Buch Sozialgesetzbuch in der für den Erhebungszeitraum maßgeblichen Bekanntmachung vom 23. Januar 2006 (BGBl I S. 86), zuletzt geändert durch Art. 3 Nr. 1 des Gesetzes vom 20. Juli 2006 (BGBl I S. 1706 - im Folgenden: SGB IV) zurückzugreifen. Die darin enthaltene Definition des Beschäftigungsbegriffs gilt unmittelbar nur für den sozialversicherungsrechtlichen Bereich der Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung (§ 1 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Ob sie auch auf andere Bereiche des Sozialrechts übertragen werden kann, ist durch Auslegung zu ermitteln. Für den Bereich der schwerbehindertenrechtlichen Beschäftigungs- und Ausgleichsabgabenpflicht kommt es jedoch nicht darauf an, ob ein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis vorliegt oder nicht. Wie § 73 Abs. 1 SGB IX zeigt, lösen auch nichtsozialversicherungsrechtliche Anstellungsverhältnisse von Beamten und Richtern die Pflichten der §§ 71, 77 SGB IX aus. Außerdem entspricht der sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsbegriff des § 7 Abs. 1 SGB IV weitgehend der Definition des Arbeitsverhältnisses. Die Anwendung des sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsbegriffs hätte bei privaten Arbeitnehmern zur Folge, dass die schon beim Arbeitnehmerbegriff untersuchten Punkte bei der Frage der Beschäftigung nochmals geprüft würden. Bei Beamten und Richtern käme es zu Friktionen, weil systemfremde Gesichtspunkte zu untersuchen wären.
Wortlaut, Systematik und Zweck des § 73 Abs. 1 SGB IX legen es nahe, das "Beschäftigt-Werden" als Einschränkung des weiten Begriffs der anzurechnenden Stelle zu verstehen. Eine nur in unternehmerischen Stellenplänen oder staatlichen Haushaltsplänen ausgewiesene "leere Planstelle" genügt nicht, wenn nach dem Wortlaut des § 73 Abs. 1 SGB IX gefordert wird, dass auf den Stellen Arbeitnehmer, Beamte oder Richter beschäftigt werden. In diese Richtung weist bereits der Begriff "beschäftigt", dem ein tatsächliches Element innewohnt. Es muss auch tatsächlich in gewissem Umfang einer Beschäftigung nachgegangen, d.h. Arbeits- und Entgeltleistung erbracht werden. Das Beschäftigungserfordernis verlangt - wie aus dem systematischen Bezug zur Regelung des § 73 Abs. 3 SGB IX hervorgeht - dass die Stelle gleichsam "besetzt" ist. In dieser Regelung wird ein mehrmonatiges Besetztsein der Stelle mit einem längeren "Beschäftigt-Werden" gleichgesetzt. Auch der Zweck der §§ 71, 77 SGB IX, Schwerbehinderte in das Erwerbsleben einzugliedern und ihre Teilhabemöglichkeiten zu verbessern, spricht dafür, nur auf die besetzten Stellen, d.h. die tatsächlich zur Verfügung stehenden Beschäftigungsmöglichkeiten eines Betriebes, abzustellen.
Gemessen daran werden die Transferkurzarbeiter auf bei der Klägerin eingerichteten Stellen "beschäftigt". Dies ergibt sich schon daraus, dass sie - wie dargelegt - verpflichtet sind, an Qualifizierungsmaßnahmen tatsächlich teilzunehmen. Auch im vorliegenden Zusammenhang ist es ohne Bedeutung, in welchem Umfang die Klägerin eine solche Aufforderung ausspricht. Das Beschäftigungserfordernis ist hier schon dann erfüllt, wenn der Transferkurzarbeiter seine Teilnahme an etwa angebotenen Qualifizierungsmaßnahmen anbietet. Wird dieses Angebot von der Klägerin nicht angenommen, liegt gleichwohl eine Beschäftigung im Sinne von § 73 Abs. 1 SGB IX vor.
b) Die Stellen der bei der Klägerin angestellten Transferkurzarbeiter können auch nicht nach § 73 Abs. 3 Alt. 2 SGB IX unberücksichtigt bleiben, weil die Transferkurzarbeiter weniger als 18 Stunden wöchentlich beschäftigt worden sind. Der Verwaltungsgerichtshof hat im angegriffenen Urteil im Ergebnis zutreffend festgestellt, dass diese Voraussetzungen nicht gegeben sind. Im Rahmen des nach § 73 Abs. 3 Alt. 2 SGB IX ist ebenso wie bei § 73 Abs. 3 Alt. 1 SGB IX für die Frage, ob eine geringfügige Beschäftigung vorliegt, grundsätzlich von der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit auszugehen. Die von der Klägerin übernommenen Transferkurzarbeiter waren aber ursprünglich an ihrem alten Arbeitsplatz mehr als 18 Stunden wöchentlich beschäftigt. Ihre Bezahlung während der Transferzeit (Kurzarbeitergeld) orientierte sich unstreitig am früheren Gehalt für die Vollzeitbeschäftigung (§ 178 i.V.m. § 216b Abs. 10 SGB III). Schließlich war auch in den neuen Transferarbeitsverhältnissen - ausweislich des vorgelegten Mustervertrages - keine geringere Arbeitszeit vereinbart, so dass nicht von einer vertraglich vereinbarten geringfügigen Beschäftigung im Sinne von § 73 Abs. 3 Alt. 2 SGB IX auszugehen ist.
Im Ergebnis zu Recht hat der Verwaltungsgerichtshof auch eine analoge Anwendung des § 73 Abs. 3 Alt. 2 SGB IX abgelehnt. Es fehlt bereits an der für eine Analogie erforderlichen Regelungslücke. Das Gesetz nimmt nur geringfügige Beschäftigungen mit weniger als 18 Stunden Wochenpensum von der Anrechnung aus, um die wünschenswerte Beschäftigung schwerbehinderter Menschen auf Teilzeitarbeitsplätzen (vgl. § 81 Abs. 5 Satz 1 SGB IX) zu fördern (Großmann, in: GK-SGB IX, Stand 2013, § 73 Rn. 160). Hingegen sieht es für die ebenfalls angestrebte Beschäftigung von Schwerbehinderten auf Vollzeitstellen keine Anrechnungsfreiheit vor. Dies schließt die Annahme einer Regelungslücke bei grundsätzlich vollzeitbeschäftigten Personen in Qualifikationsmaßnahmen aus.
Auch der Gleichbehandlungsgrundsatz zwingt nicht zu einer analogen Anwendung des § 73 Abs. 3 Alt. 2 SGB IX. Wird jemand arbeitsvertraglich mit mehr als 18 Stunden wöchentlich beschäftigt und dauert die vom Arbeitgeber organisierte Berufsbildungsmaßnahme (ohne oder mit individueller häuslicher Nacharbeit) tatsächlich weniger als 18 Stunden pro Woche, dann nimmt der Arbeitgeber die vom Arbeitnehmer angebotenen Dienste nicht an und befindet sich im Annahmeverzug (§ 293 BGB). Dies berechtigt ihn nicht zu einer Entgeltkürzung und ändert auch schwerbehindertenrechtlich nichts an der grundsätzlich bestehenden Betriebsgröße (vgl. Großmann, a.a.O. § 73 Rn. 31). Auch erscheint es im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG nicht geboten, Transferunternehmen, die ihre Arbeitnehmer tatsächlich weniger als 18 Stunden wöchentlich qualifizieren, abgabenrechtlich gegenüber Transferunternehmen besser zu stellen, die ihre Arbeitnehmer in vollem Umfang beschäftigen.
c) Gegen die Anrechnung der Stellen von Transferkurzarbeitern als Arbeitsplätze im Sinne von § 73 Abs. 1 SGB IX bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Bundesverfassungsgericht hat die Pflicht zur Beschäftigung Schwerbehinderter und deren Sanktionierung durch Ausgleichsabgaben als verhältnismäßige Berufsausübungsregelung im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG angesehen (Urteil vom 26. Mai 1981 - 1 BvL 56/78 u.a. - BVerfGE 57, 139 <158 ff.>). Die Ausgleichsabgabe ist eine zulässige nichtsteuerliche Sonderabgabe, die die Arbeitgeber anhalten soll, schwerbehinderte Menschen einzustellen (Antriebsfunktion). Ferner soll sie die Belastungen zwischen denjenigen Arbeitgebern, die dieser Verpflichtung genügen, und denjenigen, die diese Verpflichtung - aus welchen Gründen auch immer - nicht erfüllen, ausgleichen (Ausgleichsfunktion). Demgegenüber tritt die Funktion der Ausgleichsabgabe, zweckgebundene Maßnahmen für Schwerbehinderte - insbesondere Behindertenwerkstätten - zu finanzieren (Finanzierungsfunktion), zurück (BVerfG a.a.O. S. 166 ff.).
In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass sich die Erhebung der Ausgleichsabgabe in allen Fällen, in denen die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen - wie hier - zwar nicht ausgeschlossen, aber nur eingeschränkt möglich ist und mit der Erhebung der Ausgleichsabgabe ein Antriebseffekt nicht oder kaum einhergeht, allein aus der Erfüllung der Ausgleichsfunktion rechtfertigt (BVerfG, Urteil vom 26. Mai 1981 - 1 BvL 56/78 u.a. - BVerfGE 57, 139 <167> und Beschluss vom 1. Oktober 2004 - 1 BvR 2221/03 - BVerfGK 4, 78 <81>; BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2001 - BVerwG 5 C 26.01 - BVerwGE 115, 312 <318 f.> und Beschluss vom 17. April 2003 - BVerwG 5 B 7.03 - Buchholz 436.61 § 5 SchwbG Nr. 2 S. 4). Dass der Gesetzgeber im Recht der Ausgleichsabgabe von der Schaffung von Sonderregelungen zugunsten von Unternehmen, die ihrem Gegenstand oder ihrer Organisation nach keine schwerbehinderten Arbeitnehmer beschäftigen können, bewusst abgesehen hat (BTDrucks 15/2318 S. 15 und BTDrucks 15/2357 S. 7 und 25), ist Ausdruck seiner Befugnis, unterschiedliche Sachverhalte typisierend und pauschalierend gleich zu regeln.
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http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-WBRE410019746&psml=bsjrsprod.psml&max=true
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410019747
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BVerwG
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6. Senat
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20130725
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6 PB 16/13
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Beschluss
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§ 44 PersVG ST 2004
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vorgehend Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 20. März 2013, Az: 5 L 5/12, Beschluss vorgehend VG Halle (Saale), 26. April 2012, Az: 11 A 29/10
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DEU
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Teilweise Freistellung von Personalratsmitgliedern in "Kleindienststellen"
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Auch bei turnusmäßiger Veranstaltung von Personalratssitzungen, Gesprächen mit der Dienststellenleitung und Sprechstunden gebietet der in ihnen für die betroffenen Mitglieder des Personalrats anfallende Arbeitsaufwand jedenfalls bei "Kleindienststellen" keine teilweise Freistellung.
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Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg, da keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe vorliegt.
1. Die Divergenzrügen gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG greifen nicht durch.
Der Senat hat in seinem Beschluss vom 16. Mai 1980 - BVerwG 6 P 82.78 - zur inhaltlich vergleichbaren Vorschrift des § 42 PersVG NRW in Bezug auf sog. "Kleindienststellen", die nach ihrer Beschäftigtenzahl unterhalb der sog. Staffelschwellen (vgl. hier § 44 Abs. 5 Satz 1 PersVG LSA) liegen, ausgesprochen, dass bei ihnen zu prüfen ist, in welchem Umfang regelmäßig personalvertretungsrechtliche Aufgaben anfallen, die eine teilweise Freistellung erfordern. Nur gelegentlicher Arbeitsanfall kann eine Freistellung nicht rechtfertigen. Ihm ist durch eine Dienstbefreiung Rechnung zu tragen (Buchholz 238.37 § 42 PersVG NW Nr. 3). Die Dienstbefreiung kommt vor allem für Sitzungen und für die Erledigung unregelmäßig anfallender, dem Umfang und der erforderlichen Erledigungszeit nach nicht im Voraus bestimmbarer Aufgaben in Betracht. Fallen hingegen regelmäßig Aufgaben an, die eine bemessbare Zeit für ihre Erledigung erfordern, so ist nicht eine Dienstbefreiung, sondern eine dem Zeitaufwand angepasste Freistellung zu gewähren (a.a.O. S. 2).
Mit seiner Annahme im angefochtenen Beschluss, der zeitliche Aufwand für Sitzungen des Personalrats, regelmäßige Gespräche des Personalrats mit der Dienststellenleitung sowie die Veranstaltung von Sprechstunden rechtfertige keine teilweise Freistellung, weil deren Häufigkeit und Dauer nicht im Voraus festgelegt werden könne, weicht das Oberverwaltungsgericht nicht vom Senatsbeschluss vom 16. Mai 1980 ab, sondern wendet die dort ausgesprochene abstrakte Maßgabe auf den zu entscheidenden Einzelfall an.
2. Auch die Grundsatzrüge gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG greift nicht durch. Der Antragsteller will sinngemäß geklärt wissen, ob bei turnusmäßiger - statt anlassbezogener - Veranstaltung von Personalratssitzungen, Gesprächen mit der Dienststellenleitung und Sprechstunden eine teilweise Freistellung von Personalratsmitgliedern in "Kleindienststellen" geboten ist. Diese Frage ist unter Berücksichtigung des genannten Senatsbeschlusses vom 16. Mai 1980 mit dem Oberverwaltungsgericht eindeutig zu verneinen, so dass es zu ihrer Klärung der Durchführung eines Rechtsbeschwerdeverfahrens nicht bedarf. Der oben wiedergegebenen Maßgabe des Senatsbeschlusses vom 16. Mai 1980 liegt die Überlegung zugrunde, dass im Falle schwankenden und daher nicht präzise kalkulierbaren Arbeitsumfangs die Dienstbefreiung passgenauer als die Freistellung dem Erfordernis gerecht wird, Mitgliedern des Personalrats die zur Erledigung ihrer mandatsbedingten Aufgaben nötige Zeit zu verschaffen. Diese Überlegung wird nicht dann hinfällig, wenn Personalratssitzungen, Gespräche mit der Dienststellenleitung und Sprechstunden turnusmäßig stattfinden. Auch bei turnusmäßiger Veranstaltung wird ihre Dauer - jedenfalls in "Kleindienststellen" - stark variieren und dementsprechend der mit ihnen anfallende Arbeitsaufwand erheblich schwanken. Ein auf sie bezogenes starres Freistellungsquantum würde unter Umständen zu bestimmten Zeiten nicht ausgeschöpft werden, hingegen zu anderen Zeiten nicht hinreichen, um den durch sie anfallenden Arbeitsumfang abzudecken. Insofern erweist sich die Dienstbefreiung hier als das flexiblere Instrument. Normativ erhebliche Nachteile für die Personalratstätigkeit sind mit diesem Instrument aus Sicht des Senats nicht verbunden.
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