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WBRE410020419
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BVerwG
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6. Senat
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20140827
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6 B 11/14, 6 B 11/14 (6 C 39/14)
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Beschluss
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§ 31 Abs 2 S 1 TKG 2004, § 32 Abs 1 S 1 TKG 2004 vom 03.05.2012
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vorgehend VG Köln, 18. Dezember 2013, Az: 21 K 3002/07, Urteil
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DEU
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Revisionszulassung; Telekommunikation; Entgeltregulierung
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Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision ist begründet. Die Rechtssache hat die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Sie kann zur Klärung der Frage beitragen, ob und ggf. inwieweit das Telekommunikationsgesetz der Bundesnetzagentur bei der Ermittlung der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung nach § 31 Abs. 2 Satz 1 des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (TKG) bzw. nach § 32 Abs. 1 Satz 1 TKG in der Fassung des Gesetzes vom 3. Mai 2012 (BGBl I S. 958) in Bezug auf die Stundensätze, die der Ermittlung von (Einmal-)Entgelten zugrunde liegen, einen Beurteilungsspielraum einräumt und nach welchen Maßstäben insoweit die gerichtliche Kontrolle erfolgt.
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG; die vorläufige Streitwertfestsetzung für das Revisionsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG.
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http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-WBRE410020419&psml=bsjrsprod.psml&max=true
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410020421
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BVerwG
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2. Wehrdienstsenat
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20140424
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2 WD 39/12
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Urteil
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Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 2 S 1 GG, § 10 Abs 1 SG, § 17 Abs 2 S 2 Alt 2 SG, § 224 Abs 1 Nr 5 StGB, § 21 StGB, § 38 Abs 1 WDO 2002, § 58 Abs 1 Nr 4 WDO 2002, § 62 Abs 1 S 4 WDO 2002
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vorgehend Truppendienstgericht Süd, 11. Oktober 2012, Az: S 4 VL 13/12, Urteil
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DEU
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Außerdienstliche Körperverletzung; Degradierung in den Dienstgrad eines Stabsunteroffiziers; selbst verschuldete Alkoholisierung; erheblich eingeschränkte Schuldfähigkeit
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Einer Degradierung in den Dienstgrad eines Stabsunteroffiziers der Besoldungsgruppe A 7 steht nicht entgegen, dass diese Besoldungsgruppe Soldaten vorbehalten wäre, die sich durch besondere Leistungen und tadelfreie Führung besonders ausgezeichnet hätten (Änderung der Rechtsprechung; vgl. Urteil vom 24. Mai 2012 - BVerwG 2 WD 18.11 - juris Rn. 34).
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Der … geborene Soldat absolvierte nach dem Realschulabschluss erfolgreich eine Ausbildung zum Zimmerer. Er wurde zum April … zur Ableistung seines Grundwehrdienstes einberufen und zum 1. Januar … in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Die zuletzt auf zwölf Jahre festgesetzte Dienstzeit endet voraussichtlich mit Ablauf des 31. März … . Der Soldat wurde regelmäßig befördert, zuletzt im September … zum Feldwebel. Eine Beförderung des Soldaten zum Oberfeldwebel wäre bereits zum 1. April … möglich gewesen, unterblieb jedoch wegen eines gegen ihn wegen eines Dienstvergehens durch Disziplinargerichtsbescheid vom … 2009 bis zum… 2011 verhängten Beförderungsverbots. Der Soldat befindet sich seit … 2014 im Berufsförderungsdienst. Er strebt im Rahmen dessen die Erlangung der allgemeinen Hochschulreife und anschließend das Studium der …lehre oder des …managements an.
Der Soldat wurde mehrfach versetzt und war vom … 2010 an Angehöriger der …bataillon … . In der Zeit vom … bis zum… befand er sich im Auslandseinsatz (KFOR). Ab … war er als …feldwebel bei der …bataillon … eingesetzt. Vom … bis … befand er sich erneut im Auslandseinsatz (ISAF).
Der Soldat wurde am … beurteilt. Bei der Aufgabenerfüllung auf dem Dienstposten erhielt er als Durchschnittswert in der Aufgabenerfüllung die Note "4". Zu seiner Persönlichkeit wird im Wesentlichen ausgeführt, der Soldat übe seinen Beruf mit dem nötigen Elan aus. Er habe die Grundsätze der Inneren Führung verstanden, lebe sie aber noch nicht vollständig vor. Die ihm unterstellten Soldaten führe er nach dem Grundsatz von Befehl und Gehorsam. Die an ihn gestellten Aufgaben gehe er ruhig und scharfsinnig an. Dabei nutze er sein ausgeprägtes analytisches Denkvermögen, um sie nachvollziehbar und sinnvoll umzusetzen. Seine Ausbildung sei klar strukturiert, sehr gut vorbereitet und sein umfassendes Vorschriftenwissen komme ihm hier zugute. Hier seien seine Stärken zu sehen. Wenn er diese Fertigkeit mit einer zeitgemäßen Menschenführung kombiniere, sei er für Führungsverwendungen mittelfristig gut geeignet. Im Unteroffizierkorps sei der Soldat ein sehr anerkanntes Mitglied. Er müsse an seiner Einstellung arbeiten, habe aber Potenzial und werde die an ihn gestellten Aufgaben in weiteren Verwendungen meistern sowie durch sehr gute Ergebnisse überzeugen. Mittelfristig sei er als Zugführer geeignet.
Der nächsthöhere Vorgesetzte schloss sich dem an. Der Soldat reihe sich in das hintere Drittel vergleichbarer Portepeeunteroffiziere ein. Seine Leistungen seien stets solide und gut. Helfende Dienstaufsicht sei bei ihm nur selten nötig gewesen. Seine Stärke sei seine geistige Kompetenz. Wenn er wolle, könne er dieses Potenzial bei der Vorbereitung und Durchführung von Ausbildungen einsatz- und ergebnisorientiert einsetzen. Der Soldat solle vorerst noch in einer Gruppenführerverwendung verbleiben, um sein Führungspotenzial weiterzuentwickeln. Der Einsatz als Führer eines …zuges sei gegenwärtig nur bedingt erkennbar. Der Soldat sei als …feldwebel und Gruppenführer gut eingesetzt und besitze Entwicklungspotenzial. Charakterlich befinde sich der Soldat noch im Entwicklungsprozess. Seine Einstellung zum Soldatenberuf sei vergleichsweise niedrig, aber passabel. Die Entwicklung eines guten beruflichen Selbstverständnisses sei dennoch erkennbar. Der Soldat bringe grundsätzlich das Potenzial für einen künftigen Berufssoldaten mit, könne sich aber noch besser mit guten Leistungen präsentieren und seinem Persönlichkeitsbild als Soldat, Vorgesetzter und Vorbild mehr Glaubwürdigkeit verleihen.
In seiner Laufbahnbeurteilung vom … heißt es unter anderem, der Soldat führe nach dem Prinzip Befehl und Gehorsam und lasse dabei im Umgang mit dem Einzelnen manches Mal das notwendige Fingerspitzengefühl vermissen. Er müsse an seinem situativen Einfühlungsvermögen und an der Erhöhung seiner Frustrationstoleranz arbeiten. Wenn es ihm gelinge, seine ausgeprägte analytische Befähigung und sein hohes Fachwissen mit den Methoden moderner Menschenführung zu kombinieren, könne er sein vorhandenes Potenzial weit besser als bisher nutzen.
Vor dem Truppendienstgericht hat der als Leumundszeuge angehörte Hauptmann H. den Soldaten als äußerst zuverlässig beschrieben. Wegen seiner Zuverlässigkeit und seines Verantwortungsbewusstseins setze er ihn im schweren Zug ein. Das vom Soldaten dort betreute, sehr teure …system könne nicht jedem Soldaten überantwortet werden. Die letzte Beurteilung des Soldaten sei für ihn nicht nachvollziehbar. Der Soldat bewege sich beurteilungsmäßig im Mittelfeld. Ihn kennzeichne eine ruhige Art; er verliere nie die Fassung und weise keinerlei Defizite in der Menschenführung auf. Regelmäßigen Alkoholgenuss habe er nicht beobachtet. Seine dienstlichen Leistungen seien auch nach dem Bekanntwerden des Vorfalls unverändert hoch geblieben.
Der Leumundszeuge Hauptfeldwebel W. hat den Soldaten als für die …truppe äußerst wertvollen Unteroffizier beschrieben. Er habe ihn 2010 im Rahmen eines Truppenpraktikums kennengelernt und aufgrund seines sehr positiven Eindrucks dessen Übernahme in die …truppe befürwortet. Er sei mit dem Soldaten Anfang … im Auslandseinsatz in Afghanistan gewesen und habe ihn dort als ruhigen und besonnenen Unteroffizier erlebt. Er besitze eine große Fähigkeit, Menschen zu führen, und sei sehr sensibel. Er habe ihn nicht als aggressiv, sondern als immer absolut ruhig und besonnen erlebt. Seiner Besonnenheit sei es auch zu verdanken gewesen, dass bei einem Hinterhalt in Afghanistan weder Kameraden noch Zivilbevölkerung zu Schaden gekommen seien. Hierfür habe der Soldat die Einsatzmedaille verliehen bekommen. Regelmäßigen Alkoholgenuss habe er nicht beobachtet.
In der Sonderbeurteilung vom … erhielt der Soldat als Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung "5,70". Der Soldat habe sich als motivierter, williger und fähiger Soldat erwiesen. Im taktischen Bereich weise er noch Defizite bezüglich der Begriffswahl, Entschlussfassung und Befehlsgebung auf. Besonders hervorzuheben sei die sehr hohe psychische und physische Belastbarkeit des Soldaten. Sowohl im Ausbildungs- und Übungsbetrieb in der Heimat als auch im Auslandseinsatz habe der Soldat alle Anforderungen erfüllt, in Afghanistan sie teilweise sogar übertroffen. Er verfüge über das Potenzial, bis zur allgemeinen Laufbahnperspektive gefördert zu werden.
In der Berufungshauptverhandlung hat der frühere Disziplinarvorgesetzte des Soldaten, Hauptmann H., seine erstinstanzliche Aussage bekräftigt und ergänzend im Wesentlichen ausgesagt, der Soldat sei ein ordentlicher Mensch; er habe mit ihm keine Probleme gehabt und sich auf ihn immer verlassen können. Der Soldat habe gute und solide Leistungen erbracht. Seine erstinstanzlich geäußerte Einschätzung, der Soldat bewege sich leistungsmäßig im Mittelfeld, erkläre sich mit den - restriktiven - Beurteilungsvorgaben. Als besondere Leistung des Soldaten sei hervorzuheben, dass dieser nur wenige Monate nach seiner Rückkehr aus dem KFOR-Einsatz zu einem weiteren Auslandseinsatz bereit gewesen sei. Er habe weiter Vertrauen in den Soldaten und würde mit ihm auch wieder in den Einsatz gehen. Im Unteroffizierkorps sei das Disziplinarverfahren des Soldaten kein großes Thema gewesen.
Der gegenwärtige Disziplinarvorgesetzte des Soldaten, Hauptmann M., hat in der Berufungshauptverhandlung im Wesentlichen ausgeführt, er habe den Soldaten vier Wochen auf dem Übungsplatz erlebt. Für einen jungen Feldwebel habe er seine Aufgaben gut erfüllt. Dies gelte insbesondere für die Tätigkeit des Soldaten als Sicherheitsunteroffizier beim …, bei dem ansonsten nur erfahrene Hauptfeldwebel eingesetzt würden. In dieser Funktion habe der Soldat hervorragende Leistungen erbracht. Darüber hinaus habe er bis zum letzten Tag seines aktiven Dienstes seinen Dienst "durchgezogen", ohne dass bei ihm ein Leistungs- oder ein Motivationsabfall festzustellen gewesen sei. Nach den Beurteilungsvorschriften würde er ihn mit "5,7" - "5,9" beurteilen.
Der Disziplinarbuchauszug des Soldaten weist eine Geldstrafe in Höhe von 450 € aus, die das Amtsgericht R. am … durch Strafbefehl gegen ihn wegen Unterschlagung von Bundeswehrmaterial verhängt hat, sowie den Disziplinargerichtsbescheid des Truppendienstgerichts Süd vom …, durch den der Soldat wegen der Unterschlagung mit einem Beförderungsverbot von 18 Monaten belegt worden war. Darüber hinaus enthält er die zu diesem gerichtlichen Disziplinarverfahren sachgleiche Verurteilung des Amtsgerichts W. vom … über 90 Tagessätze zu je 50 € wegen gefährlicher Körperverletzung. Der aktuelle Zentralregisterauszug des Soldaten verweist auf den rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts R. vom 29. Dezember 2008 und auf das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts W. vom 14. Oktober 2011.
Der Soldat ist berechtigt, die Schützenschnur in Gold zu tragen. Ferner verfügt er über die Einsatzmedaille der Bundeswehr in Bronze für den Einsatz KFOR und ISAF sowie zusätzlich über die Gefechtsmedaille im Rahmen des ISAF-Einsatzes.
Der Soldat ist ledig und kinderlos. Er erhält gegenwärtig Dienstbezüge nach der Besoldungsgruppe A 7 in Höhe von 2 389,27 € brutto und 2 011,42 € netto. Seine finanziellen Verhältnisse sind geordnet.
1. Nach ordnungsgemäßer Beteiligung der Vertrauensperson und Anhörung des Soldaten am 26. Januar 2012 leitete der Kommandeur … das gerichtliche Disziplinarverfahren gegen den Soldaten mit diesem am 1. März 2012 ausgehändigter Verfügung vom 12. Februar 2012 ein. Nach dessen abschließender Anhörung am 26. April 2012 wurde er mit ihm am 13. Juni 2012 zugestellter Anschuldigungsschrift vom 23. Mai 2012 wegen eines Dienstvergehens angeschuldigt.
2. Mit Urteil vom 11. Oktober 2012 hat das Truppendienstgericht gegen den Soldaten ein Beförderungsverbot für die Dauer von 48 Monaten verhängt. In tatsächlicher Hinsicht hat es folgende Tatsachenfeststellungen im Urteil des Amtsgerichts W. vom … zugrunde gelegt:
"Am … hielt sich der Angeklagte gegen 02.30 Uhr mit Freunden in der … im …club '…' in W. auf. Er feierte dort seinen Abschied mit seinen Freunden, da er danach als Zeitsoldat einen Auslandseinsatz im Kosovo hatte. Der Angeklagte, der sehr viel Alkohol getrunken hatte, zerschmiss auf der Tanzfläche Sektgläser. Der dort ebenfalls befindliche Zeuge S., der in der '…' gelegentlich arbeitete, aber an diesem Abend lediglich Gast war, forderte den Angeklagten auf, das zu unterlassen. Nachdem der Angeklagte dem keine Folge leistete, führte er den Angeklagten in Absprache mit einem weiteren Mitarbeiter der '…', von der der Angeklagte jedoch nichts wusste, über die Tanzfläche Richtung Ausgang der Gaststätte. Nachdem sich auch die Freunde des Angeklagten eingemischt hatten und es zwischen dem Zeugen S. und diesen zu einer Auseinandersetzung kam, in deren Ergebnis man sich darüber einigte, nunmehr die '…' zu verlassen, näherte sich der Angeklagte dem Zeugen S. auf einmal von hinten, nahm ihn in den sogenannten Schwitzkasten und drückte mit der Beuge des Ellenbogengelenks den Hals des Zeugen S. derart fest zu, dass es diesem schwarz vor Augen wurde, er zu Boden fiel und kurzzeitig bewusstlos war. Der Zeuge S. erlitt hierdurch - wie vom Angeklagten zumindest billigend in Kauf genommen - am Hals blaue Flecken sowie Schluckbeschwerden bzw. Beschwerden im Nackenbereich. Die insgesamt leichtgradigen Verletzungen blieben ohne Folgeschäden, wobei der Zeuge S. maximal zehn Tage krankgeschrieben war."
In dem Urteil des Amtsgerichts W. ist ferner festgestellt, dass der Soldat zur Tatzeit erheblich alkoholisiert gewesen sei. Eine ihm am … um 3:13 Uhr entnommene Blutprobe habe eine Blutalkoholkonzentration von 2,17 Promille im Mittelwert ergeben. Sie habe sich zur Tatzeit auf maximal 2,51 Promille belaufen. Infolge der Alkoholisierung sei die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit bei dem Soldaten erheblich vermindert gewesen. Der Soldat habe für Schadenswiedergutmachung gesorgt, indem er an den Geschädigten ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von 600 € gezahlt sowie auch dessen Kosten für die anwaltliche Vertretung von ebenfalls 600 € vollständig erstattet habe.
Der Soldat - so das Truppendienstgericht - habe diesen Sachverhalt im Wesentlichen eingeräumt, sich jedoch zu seiner Entlastung dahingehend eingelassen, dass er sich durch den Geschädigten angegriffen gefühlt habe. Dieser Einlassung stünden jedoch die bindenden strafgerichtlichen Feststellungen entgegen. Durch sein Verhalten habe der Soldat nicht nur eine Straftat begangen, sondern darüber hinaus auch seine Dienstpflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 SG vorsätzlich in schwerwiegender Weise verletzt.
Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen sei in Fällen einer gefährlichen Körperverletzung eine Dienstgradherabsetzung. Milderungsgründe in der Tat seien nicht ersichtlich, insbesondere liege in der Person des Soldaten keine persönlichkeitsfremde Augenblickstat vor, da bei dem Soldaten eine disziplinargerichtliche Vorbelastung vorliege. Mildernd sei indes zu berücksichtigen, dass der Soldat sein Fehlverhalten eingesehen habe. Auch die von den Leumundszeugen beschriebenen ausgezeichneten dienstlichen Leistungen seien zu dessen Gunsten zu berücksichtigen. Darüber hinaus stehe auch mildernd fest, dass das angeschuldigte Verhalten für den Soldaten persönlichkeitsfremd gewesen sei. Der tätliche Übergriff sei als Folge des übermäßigen Alkoholgenusses zu sehen, der letztendlich zu einer verminderten Schuldfähigkeit geführt habe. Zwar sei im Falle einer selbstverschuldeten Trunkenheit eine verminderte Schuldfähigkeit regelmäßig unbeachtlich; vorliegend liege jedoch deshalb keine selbstverschuldete Trunkenheit vor, weil der Soldat auch nach den Aussagen der Leumundszeugen keine Neigung zum Alkoholgenuss gezeigt habe. Zur Überzeugung des Gerichts stehe daher fest, dass der Soldat vor dem Hintergrund seines unmittelbar bevorstehenden ersten Auslandseinsatzes anlässlich einer Abschiedsfeier zwar wissentlich und willentlich zu viel Alkohol zu sich genommen habe, die Folgen dieses übermäßigen Alkoholgenusses jedoch nicht habe vorhersehen können. Da die Schuldminderung nach § 21 StGB zu berücksichtigen sei, habe trotz der disziplinaren Vorbelastung des Soldaten auf eine Dienstgradherabsetzung verzichtet werden können.
3. Gegen das ihr am 24. Oktober 2012 zugestellte Urteil hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft am 23. November 2012 auf die Anfechtung der Maßnahmebemessung beschränkte Berufung eingelegt und die Herabsetzung in den Dienstgrad eines Stabsunteroffiziers der Besoldungsgruppe A 6 beantragt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, das Truppendienstgericht sei zu Unrecht von einer unverschuldeten Trunkenheit des Soldaten ausgegangen. Es gehe zudem widersprüchlich davon aus, dass keine Milderungsgründe in der Tat ersichtlich seien, berücksichtige dann jedoch mildernd in der Person des Soldaten, dass das angeschuldigte Verhalten für ihn persönlichkeitsfremd gewesen sei. Die bisherigen dienstlichen Leistungen des Soldaten würden ebenfalls keine Abweichung von dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen begründen. Unzutreffend nehme das Truppendienstgericht auch an, dass der Soldat sein Fehlverhalten eingesehen habe. Nicht ausreichend berücksichtigt worden sei schließlich auch dessen disziplinare Vorbelastung.
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1. Die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft ist zulässig. Sie ist statthaft, ihre Förmlichkeiten sind gewahrt (§ 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 WDO).
2. Sie ist auch überwiegend begründet.
a) Da das Rechtsmittel von der Wehrdisziplinaranwaltschaft auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkt eingelegt worden ist, hat der Senat gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO in Verbindung mit § 327 StPO die Tat- und Schuldfeststellungen sowie die disziplinarrechtliche Würdigung des Truppendienstgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Da es zuungunsten des Soldaten eingelegt wurde, ist der Senat nicht an das Verschlechterungsverbot (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 StPO) gebunden.
aa) Ob die Tat- und Schuldfeststellungen rechtsfehlerfrei getroffen wurden, darf vom Senat grundsätzlich nicht mehr überprüft werden. Denn bei einer auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkten Berufung wird der Prozessstoff nicht mehr von der Anschuldigungsschrift, sondern nur von den bindenden Tat- und Schuldfeststellungen des angefochtenen Urteils bestimmt. Aufklärungs- und Verfahrensmängel von einer solchen Schwere, dass sie ausnahmsweise das gesamte disziplinargerichtliche Verfahren oder den gerichtlichen Verfahrensabschnitt unzulässig machen, liegen nicht vor.
bb) Der Senat hat daher auf der Grundlage der vom Truppendienstgericht zutreffend als bindend angesehenen Tatsachenfeststellungen des Strafgerichts zu entscheiden. Danach hat sich der Soldat am … gegen 02:30 Uhr in stark alkoholisiertem Zustand im …club "…" in W. dem Geschädigten S. von hinten genähert, ihn wissentlich und willentlich sowie ohne rechtfertigenden Grund und schuldhaft in den sogenannten Schwitzkasten genommen und ihm mit der Beuge des Ellenbogengelenks den Hals derart fest zugedrückt, dass diesem schwarz vor Augen wurde, er zu Boden fiel und kurzzeitig bewusstlos war. Der Geschädigte S. erlitt hierdurch - wie vom Soldaten zumindest billigend in Kauf genommen - am Hals blaue Flecken sowie Schluckbeschwerden bzw. Beschwerden im Nackenbereich. Die insgesamt leichtgradigen Verletzungen blieben ohne Folgeschäden, wobei der Geschädigte als Folge des Übergriffs maximal zehn Tage krankgeschrieben war.
In rechtlicher Hinsicht hat das Truppendienstgericht in einer für den Senat ebenfalls bindenden Weise den vorsätzlichen Verstoß des Soldaten gegen § 17 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 SG festgestellt (vgl. zur neuen Rechtsprechung insoweit: Urteil vom 20. März 2014 - BVerwG 2 WD 5.13 -).
b) Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen. Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten (vgl. Urteil vom 11. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 11.07 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 m.w.N. = juris Rn. 23). Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen. Hiernach ist bei dem Soldaten, der kein Berufssoldat ist, die Herabsetzung in den Dienstgrad eines Stabsunteroffiziers geboten (§ 58 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 62 Abs. 1 Satz 4 WDO).
aa) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Unrechtsgehalt der Verfehlungen, d.h. nach der Bedeutung der verletzten Dienstpflichten. Danach wiegt das Dienstvergehen schwer.
Die brutale körperliche Misshandlung eines anderen Menschen ist mit dem Menschenbild des Grundgesetzes und dem Verfassungsprinzip der Wahrung der Menschenrechte unvereinbar. Dadurch hat sich der Soldat nachhaltig in seiner Dienststellung disqualifiziert. Nach Art. 1 Abs. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar; sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Dieses Gebot kann innerhalb wie außerhalb der Streitkräfte nicht unterschiedlich gelten. Wie der Senat ferner in ständiger Rechtsprechung hervorgehoben hat, ist auch die körperliche Unversehrtheit eines jeden Menschen durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet. Diese Grundrechte bedürfen nicht nur im militärischen Bereich besonderer Beachtung, da ihre Verletzung mit Freiheitsstrafe bedroht ist (§§ 30, 31 WStG), sondern derartige Verstöße sind auch generell durch das Kriminalstrafrecht, das dem allgemeinen Rechtsfrieden dient, sanktioniert. Diesen Verpflichtungen hat der Soldat auch außer Dienst sowie außerhalb dienstlicher Unterkünfte und Anlagen jederzeit zu entsprechen (Urteil vom 7. Februar 2013 - BVerwG 2 WD 36.12 - Rn. 35 m.w.N.).
Eigenart und Schwere des Dienstvergehens werden des Weiteren dadurch bestimmt, dass der Soldat aufgrund seines Dienstgrades als Feldwebel in einem Vorgesetztenverhältnis stand (§ 1 Abs. 3 Sätze 1 und 2 SG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VorgV). Soldaten in Vorgesetztenstellung obliegt eine höhere Verantwortung für die Wahrung dienstlicher Interessen. Wegen seiner herausgehobenen Stellung ist ein Vorgesetzter in besonderem Maße für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Dienstpflichten verantwortlich und unterliegt damit im Falle einer Pflichtverletzung einer verschärften Haftung, da Vorgesetzte in ihrer Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben sollen (§ 10 Abs. 1 SG). Dabei ist nicht erforderlich, dass es der Soldat bei seinem Fehlverhalten innerhalb eines konkreten Vorgesetztenverhältnisses an Beispielhaftigkeit hat fehlen lassen. Es reicht das Innehaben einer Vorgesetztenstellung aufgrund des Dienstgrades aus (Urteil vom 7. Februar 2013 a.a.O. Rn. 37).
bb) Das Dienstvergehen hatte nachteilige Auswirkungen in erster Linie für den Geschädigten, welcher Schmerzen erlitten hat sowie ärztlich behandelt und bis zu zehn Tage krank geschrieben werden musste. Folgeschäden waren bei ihm jedoch nicht zu verzeichnen. Nicht zu verzeichnen waren auch nachteilige Auswirkungen beim Dienstherrn. Der Leumundszeuge Hauptmann H. hat zudem ausgeführt, im Unteroffizierskorps sei der Vorfall kein großes Thema gewesen. Das Bekanntwerden des Dienstvergehens bei den Strafverfolgungsorganen ist nicht als maßnahmeverschärfend zu werten. Denn dieser Umstand allein begründet noch keine nachteiligen Auswirkungen für das Ansehen der Bundeswehr in der Öffentlichkeit. Strafverfolgungsorgane sind ohne Weiteres in der Lage, die Bedeutung einzelner Straftaten von Soldaten für die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte realitätsgerecht einzuordnen. Ihr Eingreifen soll das Ansehen der Streitkräfte in der Öffentlichkeit wahren und wiederherstellen und begründet keinen Ansehensschaden (Urteil vom 7. Februar 2013 a.a.O. Rn. 43).
cc) Die Beweggründe des Soldaten sprechen gegen ihn. Das Motiv, Konflikte unter Einsatz von Gewalt zu lösen, ist in hohem Maße sozialschädlich und gefährdet das Zusammenleben in der Gesellschaft, das auf eine friedliche Konfliktlösung angewiesen ist, und untergräbt das staatliche Gewaltmonopol.
dd) Das Maß der Schuld des Soldaten wird durch sein vorsätzliches Handeln bestimmt.
aaa) Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die Schuldfähigkeit des Soldaten erheblich vermindert war, da bei ihm zum Zeitpunkt der Dienstpflichtverletzung eine Blutalkoholkonzentration von - maximal - 2,51 Promille vorlag. An der Richtigkeit der strafgerichtlichen Feststellung zur Blutalkoholkonzentration, die auf der sachverständigen Auskunft der Ärztin am Institut für Rechtsmedizin, … Sch., beruht, sind weder Zweifel geltend gemacht worden noch für den Senat ersichtlich. Der Senat geht davon aus, dass dies bei dem - nach eigener Einlassung und Angaben der Leumundszeugen - nur selten Alkohol zu sich nehmenden Soldaten zu einer erheblich eingeschränkten Schuldfähigkeit führte (vgl. zu den Auswirkungen einer Blutalkoholkonzentration ab drei Promille auf die Steuerungsfähigkeit: Beschluss vom 27. März 2012 - BVerwG 2 WD 16.11 - Buchholz 450.2 § 84 WDO 2002 Nr. 6 Rn. 27 = NZWehrr 2012, 254).
Gleichwohl veranlasst dieser Umstand zu keiner Milderung. Nach der Rechtsprechung des Senats rechtfertigt die Bemessung der Maßnahme nach dem Maß der Schuld es zwar, § 21 StGB entsprechend anzuwenden. Die Norm stellt aber auch bei einer erheblichen Verminderung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit die Milderung der Sanktion in das Ermessen des Gerichts. Bei seiner Ausübung kommt dem Zweck des Wehrdisziplinarrechts, die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte und die dafür erforderliche Disziplin aufrechtzuerhalten, maßgebende Bedeutung zu. Alkoholmissbrauch ist eine besonders schwere Gefahr für die Disziplin in der Truppe. Um ihr angemessen zu begegnen, ist es geboten, eine Sanktionsmilderung zu versagen, wenn die Beeinträchtigung durch ein Fehlverhalten im Umgang mit Alkohol oder ein Verhalten herbeigeführt wurde, das Zweifel daran aufwirft, ob der Soldat seinen Pflichten im Umgang mit Alkohol im Dienst genügen kann. Innerdienstlich setzt Ziffer 403 der ZDv 10/5 ein grundsätzliches Alkoholverbot. Ein Verstoß dagegen ist ein Fehlverhalten, das nicht durch die Zubilligung einer Sanktionsmilderung prämiert werden darf. Im außerdienstlichen Bereich ist Alkoholkonsum für sich genommen zwar grundsätzlich keine Pflichtverletzung. Dass die enthemmende Wirkung von Alkohol Normüberschreitungen abstrakt wahrscheinlicher macht, ist aber allgemeinkundig. Für diese Gefahr sind Soldaten durch das Alkoholverbot der ZDv 10/5 und ihre Ausbildung besonders sensibilisiert. Sie sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass sie ihren Dienst ohne alkoholbedingte Einschränkungen antreten und ableisten können. Es obliegt ihnen auch, von dem Genussmittel Alkohol verantwortlich Gebrauch zu machen, um keine Zweifel an ihrer dienstlichen Zuverlässigkeit in dieser Hinsicht aufzuwerfen. Kommt ein Soldat dieser Obliegenheit nicht nach, kann er sich nicht zur Milderung einer Maßnahme darauf berufen, dass sich das ihm bekannte Risiko einer Normüberschreitung durch die enthemmende Wirkung des Alkohols realisiert hat. Denn ein Soldat, der sich in einem Ausmaß berauscht, das seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert, dokumentiert damit, dass er nicht willens oder in der Lage ist, den Alkoholkonsum so rechtzeitig einzustellen, dass es zu einer Enthemmung nicht kommt. Begeht er in diesem Zustand zum Beispiel wie hier ein Gewaltdelikt, wirft er damit nicht nur Zweifel daran auf, ob er im innerdienstlichen Bereich die Grenzen rechtmäßiger Gewaltanwendung wahren kann. Vielmehr begründet er zugleich Zweifel daran, dass er seinen Dienstpflichten im Umgang mit Alkohol jederzeit genügen wird. Etwas anderes gilt dann, wenn der Soldat unverschuldet, wie etwa durch eine zum Zeitpunkt des Dienstvergehens bestehende Alkoholerkrankung (vgl. Urteile vom 27. Juli 2010 - BVerwG 2 WD 5.09 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 30 Rn. 21 und 25 = NZWehrr 2012, 26 = juris und vom 17. Januar 2013 - BVerwG 2 WD 25.11 - juris Rn. 74), in den Zustand der Alkoholisierung geriet.
Nach Maßgabe dessen begründen die vom Soldaten behaupteten fehlenden Erfahrungen mit - exzessivem - Alkoholkonsum keine unverschuldete Alkoholisierung. Jedenfalls bei einem zum Zeitpunkt der Tat … Jahre alten Soldaten besteht so viel Lebenserfahrung, dass ihm die Risiken des Alkoholkonsums hinlänglich bekannt sind. Hinweise darauf, dass der Soldat für den Alkoholkonsum aufgrund einer Alkoholabhängigkeit mit Krankheitswert nicht verantwortlich gewesen ist, liegen nicht vor.
bbb) Dass der Alkoholkonsum im Rahmen einer "Abschiedsfeier" wegen des eine Woche später beginnenden ersten Auslandseinsatzes des Soldaten stand, begründet ebenfalls keinen schuldmildernden Umstand. Auslandseinsätze gehören bereits seit Jahren zum Aufgabenspektrum der Bundeswehr. Auch wenn dies insbesondere beim ersten Mal eine besondere Belastung für den einzelnen Soldaten darstellen mag, ist darin keine psychische Ausnahmesituation zu sehen, die schuldmildernd bei einem Dienstvergehen berücksichtigt werden kann.
ccc) Auf Milderungsgründe in den Umständen der Tat kann sich der Soldat ebenso wenig berufen. Insbesondere liegt nicht der Milderungsgrund einer persönlichkeitsfremden Augenblickstat vor, weil dies - unter anderem - einen tadelfreien und im Dienst bewährten Soldaten voraussetzt (Urteil vom 30. März 2011 - BVerwG 2 WD 5.10 - juris Rn. 52). Daran fehlt es jedoch wegen der disziplinarischen Vorbelastung des Soldaten.
ee) Die Persönlichkeit und bisherige Führung des Soldaten sprechen im Ergebnis für ihn.
Zwar bildet die disziplinarische Vorbelastung insoweit eine erhebliche Belastung; dem stehen jedoch Faktoren gegenüber, die gewichtig für den Soldaten streiten. Dazu zählt zunächst, dass das Dienstvergehen für ihn persönlichkeitsfremd war. Der Senat ist nach dem von ihm in der Berufungshauptverhandlung gewonnenen Eindruck der Überzeugung, dass es sich bei ihm nicht um einen "Heißsporn" handelt, der stets affektiv vorgeht. Vielmehr hat der Soldat insbesondere durch seine Äußerungen in der Berufungshauptverhandlung ein erhebliches Maß an Reflexionsfähigkeit erkennen lassen. Dem entspricht, dass er sich erneut geständig und einsichtig eingelassen hat. Soweit er sich erstinstanzlich auf eine Notwehrsituation berufen hat, steht dies dem nicht entgegen (vgl. zur Notwehr als Rechtfertigungsgrund: Urteil vom 14. Februar 2013 - BVerwG 2 WD 27.11 - Rn. 18). Der Senat wertet seine Äußerung angesichts seiner bereits vorgerichtlich geständigen Einlassung nicht als Rechtfertigungs-, sondern als Erklärungsversuch. Dies wird nicht zuletzt auch daran deutlich, dass er an den Geschädigten Schmerzensgeld gezahlt und ihm dessen Rechtsanwaltskosten erstattet hat. Da es dazu keiner Durchführung eines zivilgerichtlichen Verfahrens durch den Geschädigten bedurfte, ist dieser Umstand auch nicht bemessungsneutral, sondern spricht für die Lauterkeit des Soldaten.
Für ihn sprechen zudem seine dienstlichen Leistungen wie sie vor allem der frühere und der gegenwärtige Disziplinarvorgesetzte erläutert haben. Aus ihren Aussagen wird deutlich, dass die Einordnung seiner dienstlichen Leistungen im "Mittelfeld" nicht zur Annahme berechtigt, sie seien durchschnittlich gewesen. Sie waren vielmehr gut und - wie der aktuelle Disziplinarvorgesetzte bestätigte - anlässlich des letzten Truppenübungsplatzaufenthalts sogar hervorragend. Mit den in der Sache überdurchschnittlichen Leistungen ging schließlich eine deutliche Leistungssteigerung von 4,00 (im Jahre …) auf 5,70 (im Februar…) und schließlich - wie der letzte Disziplinarvorgesetzte, Hauptmann M., für den Stand Dezember 2013 bestätigte - auf 5,90 einher. Bei alldem hat der Disziplinarvorgesetzte betont, der Soldat habe in seinen Leistungen trotz des anhängigen Disziplinarverfahrens zu keinem Zeitpunkt nachgelassen. Da der Soldat sich im Übrigen in jeder Hinsicht ohne Anlass zu neuen Beanstandungen durch seine Vorgesetzten geführt hat, liegt eine Nachbewährung vor (vgl. Urteil vom 7. März 2013 - BVerwG 2 WD 28.12 - Rn. 39). Hinzu tritt, dass der Soldat über die Einsatzmedaillen hinaus mit einer Gefechtsmedaille wegen des vom Leumundszeugen Hauptfeldwebel W. beschriebenen Verhaltens während eines Gefechts im Ausland in besonderer Weise ausgezeichnet worden ist.
ff) Bei der Gesamtwürdigung aller vorgenannten be- und entlastenden Umstände ist im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts der Ausspruch einer - gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 4 in Verbindung mit § 62 Abs. 1 Satz 4 WDO zulässigen - Dienstgradherabsetzung erforderlich und angemessen. Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in seiner gefestigten Rechtsprechung von einem zweistufigen Prüfungsschema aus (vgl. Urteil vom 10. Februar 2010 - BVerwG 2 WD 9.09 - juris Rn. 35 ff.):
aaa) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als "Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen".
In der Rechtsprechung des Senats ist bei brutalen, körperlichen Misshandlungen durch Soldaten in Vorgesetztenstellung im außerdienstlichen Bereich in aller Regel eine Dienstgradherabsetzung als angemessene Maßnahme betrachtet worden (vgl. Urteil vom 7. Februar 2013 - BVerwG 2 WD 36.12 - Rn. 57 m.w.N.). Jedenfalls bei einer außerdienstlichen Körperverletzung, bei der auch die qualifizierenden Tatbestandsmerkmale nach den §§ 224 bis 227 StGB erfüllt sind, kann sie bis in einen Mannschaftsdienstgrad reichen (Urteil vom 24. Mai 2012 - BVerwG 2 WD 18.11 - Rn. 32).
Der Tatbestand einer gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist nach den Feststellungen des Amtsgerichts W. erfüllt; davon abzuweichen besteht kein Anlass, da das "in den Schwitzkasten" Nehmen beim Geschädigten zu - wenn auch kurzer - Bewusstlosigkeit geführt hat (Fischer, StGB, Kommentar, 61. Aufl. 2014, § 224 Rn. 12c). Dass es sich um ein außerdienstliches Fehlverhalten i.S.d. § 17 Abs. 2 Satz 2 SG handelte, rechtfertigt keine mildere Regelmaßnahme. Die Unfähigkeit, im privaten Bereich die Grenzen rechtmäßiger Anwendung von körperlicher Gewalt einzuhalten, hat auch Auswirkungen auf das Vertrauen des Dienstherrn in die dienstliche Zuverlässigkeit des Soldaten. Soldaten üben für den Dienstherrn das staatliche Gewaltmonopol in der Verteidigung des Staates und seiner Bürger nach außen hin aus. Hierbei muss der Dienstherr darauf vertrauen können, dass sie besonnen und unter Beachtung rechtlicher Grenzen vorgehen. Dieses Vertrauen ist beeinträchtigt, wenn ein Soldat im privaten Bereich Gewalt als Mittel der Konfliktlösung einsetzt.
bbb) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im Hinblick auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die die Möglichkeit einer Milderung oder die Notwendigkeit einer Verschärfung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist vor allem angesichts der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie dessen Auswirkungen zu klären, ob es sich im Hinblick auf die be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizieren. Dabei sind die gesetzlich normierten Bemessungskriterien für die Bestimmung der konkreten Sanktion zu gewichten, wenn die Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet, den Wehrdienstgerichten einen Spielraum eröffnet (Urteil vom 20. März 2014 - BVerwG 2 WD 5.13 - Rn. 89).
(1) Hiernach liegt zwar kein besonders schwerer Fall vor, der die Grundlage des Vertrauens in die Zuverlässigkeit und Integrität des Soldaten zerstören würde und deshalb zur Verhängung der Höchstmaßnahme führen müsste. Allerdings liegen auch keine mildernden Gründe von solchem Gewicht vor, die es geböten, von der Herabsetzung im Dienstgrad als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen abzuweichen. Zwar ist der Senat von den Übergang zu einer milderen Maßnahmeart rechtfertigenden Milderungsgründen dann ausgegangen, wenn das Dienstvergehen für den Soldat persönlichkeitsfremd war, er sich nachbewährt, eine durch eine Schmerzensgeldzahlung unterstrichene Unrechtseinsicht gezeigt und seine seinerzeitige Unreife zwischenzeitlich überwunden hat sowie ihm durch das disziplinargerichtliche Verfahren eine Beförderungsmöglichkeit entgangen ist (vgl. Urteil vom 7. März 2013 - BVerwG 2 WD 28.12 - Rn. 55); letzterer Milderungsumstand liegt vor, weil das durch die disziplinargerichtliche Entscheidung vom … 2009 verhängte Beförderungsverbot ab … 2011 keine Wirkungen mehr entfaltete. Gleichwohl verbot sich der Übergang zur milderen Disziplinarmaßnahmeart "Beförderungsverbot" wegen der disziplinarischen Vorbelastung des Soldaten (vgl. Urteil vom 13. September 2011 - BVerwG 2 WD 15.10 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 33 Rn. 59) sowie des hinzu tretenden Umstandes, dass die erneute Dienstpflichtverletzung im … 2010 zu einem Zeitpunkt geschah, zu dem das zuvor gegen den Soldaten verhängte Beförderungsverbot noch pflichtenmahnend wirken sollte. Der gesetzgeberischen Richtlinie des § 38 Abs. 2 WDO würde es vorliegend widersprechen, bei einer während der disziplinarischen Bewährungszeit erneuten dienstlichen Verfehlung vom regelmäßigen Ausgangspunkt der Zumessungserwägung abzuweichen.
Dass der Soldat wegen der Pflichtverletzung bereits strafrechtlich und vom Strafmaß her moderat belangt wurde, begründet ebenfalls keinen Umstand, der es rechtfertigte, von der regelmäßig zu verhängenden Disziplinarmaßnahmeart abzusehen. Weder § 16 Abs. 1 WDO noch § 17 Abs. 2 bis 4 WDO verlangen dies. Steht im Einzelfall § 16 WDO der Zulässigkeit des Ausspruchs einer Disziplinarmaßnahme nicht entgegen, ist die Art oder Höhe einer Kriminalstrafe oder sonstigen Strafsanktion für die Gewichtung der Schwere des sachgleichen Dienstvergehens regelmäßig nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Strafverfahren und Disziplinarverfahren verfolgen unterschiedliche Zwecke. Die Kriminalstrafe unterscheidet sich nach Wesen und Zweck grundlegend von der Disziplinarmaßnahme. Während erstere neben Abschreckung und Besserung der Vergeltung und Sühne für begangenes Unrecht gegen den allgemeinen Rechtsfrieden dient, ist die disziplinarische Ahndung darauf ausgerichtet, unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes einen geordneten und integren Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen (vgl. Urteil vom 20. März 2014 a.a.O. Rn. 91 m.w.N.).
(2) Den im vorliegenden Fall gewichtigen, für den Soldaten sprechenden Aspekten in Gestalt der Nachbewährung, der Bereitschaft, an den Geschädigten freiwillig Schmerzensgeld zu zahlen, einer besonderen Auszeichnung bei konkretem Hintergrund (Gefechtsmedaille), des Persönlichkeitsfremden der Tat und der faktisch entgangenen Beförderung ist indes dadurch Rechnung zu tragen, dass der rechtliche Rahmen der bis in den Mannschaftsdienstgrad möglichen Dienstgradherabsetzung nicht ausgeschöpft wird. Sie führen dazu, dass die Herabsetzung im Dienstgrad zum einen auf einen Dienstgrad zu begrenzen ist (vgl. Urteil vom 7. Februar 2013 - BVerwG 2 WD 36.12 - Rn. 60) und dem Soldaten zum anderen weiterhin die Besoldungsgruppe A 7 zuzuweisen ist.
Soweit der Senat - zuletzt mit Urteil vom 24. Mai 2012 - (BVerwG 2 WD 18.11 Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr 37 = juris Rn. 34 m.w.N.) - den Rechtsstandpunkt bezogen hat, einen Unteroffizier mit Portepee in die Besoldungsgruppe A 7 herabzusetzen verbiete sich, weil die Einweisung in diese Besoldungsgruppe Soldaten vorbehalten bleiben müsse, die sich wegen ihrer dienstlichen Leistungen und ihrer tadelfreien Führung besonders hervorgetan hätten, hält er daran nicht fest. Die dieser Rechtsansicht zugrunde liegende Tatsachengrundlage trägt nicht mehr, nachdem gerichtsbekannt geworden ist, dass Stabsunteroffiziere regelmäßig und ohne den Nachweis besonderer Leistungen in die Besoldungsgruppe A 7 befördert werden.
Weder § 62 Abs. 1 Satz 4 WDO noch § 62 Abs. 2 Satz 2 WDO schließen eine Degradierung zum Stabsunteroffizier der Besoldungsgruppe A 7 aus. Vielmehr war es Zweck der Einfügung von § 62 Abs. 2 Satz 4 WDO durch Artikel 1 des Zweiten Gesetzes zur Neuordnung des Wehrdisziplinarrechts und zur Änderung anderer Vorschriften (2. WehrDiszNOG) vom 16. August 2001 (BGBl I S. 2093), die bis dahin geltende gesetzliche Vorgabe einer zwingenden Herabsetzung in die niedrigere von zwei Besoldungsgruppen eines Dienstgrades aufzugeben und den Wehrdienstgerichten die durch die Umstände des Einzelfalles bestimmte Entscheidung darüber zu übertragen, in welche Besoldungsgruppe eines Dienstgrades der Soldat zurückzutreten habe (vgl. die Gesetzesbegründung BRDrucks 463/00, S. 55). Für die Annahme eines Verbotes der Herabsetzung in die höhere von zwei Besoldungsgruppen eines Dienstgrades bietet das Gesetz deshalb keine Anhaltspunkte.
Das verfassungsrechtlich verankerte Schuldprinzip verlangt, die Sanktion tat- und schuldangemessen festzusetzen. Ist hiernach unter Berücksichtigung des Gewichts von Tat und Schuld die Herabsetzung in die höhere Besoldungsgruppe eines niedrigeren Dienstgrades geboten, widerspräche es dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, stattdessen in die niedrigere Besoldungsgruppe des niedrigeren Dienstgrades zu degradieren. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende und auch für das Disziplinarrecht geltende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verbietet namentlich, eine schwerere Disziplinarmaßnahme als die nach den Bemessungsfaktoren des § 38 Abs. 1 WDO gebotene und damit individueller Schuld entsprechende zu verhängen (Urteil vom 4. März 2009 - BVerwG 2 WD 10.08 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 27 = juris jeweils Rn. 62; vgl. auch Urteile vom 17. Januar 2013 - BVerwG 2 WD 25.11 - Rn. 74, vom 27. Juli 2010 - BVerwG 2 WD 5.09 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 30 Rn. 25 = NZWehrr 2012, 256 <259> und vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 (258 f.); BVerfG, Beschluss vom 18. Januar 2008 - 2 BvR 313/07 - NVwZ 2008, S. 669 f.).
3. Da die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft überwiegend erfolgreich gewesen ist, sind die Kosten des Berufungsverfahrens dem Soldaten aufzuerlegen. Dass die Degradierung nicht auch eine Herabsetzung in der Besoldungsgruppe einschloss, gibt keinen Anlass, den Soldaten aus Billigkeitsgründen (§ 139 Abs. 3 WDO) ganz oder teilweise davon oder von den ihm in dem Berufungsverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen (§ 140 Abs. 5 Satz 1 WDO) zu entlasten. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft ist mit ihrem Antrag, gegen den Soldaten eine der Art nach schwerere Disziplinarmaßnahme zu verhängen, im Grundsatz durchgedrungen, sodass die nur geringfügige Zurückweisung hinsichtlich des Umfangs der Disziplinarmaßnahme kostenmäßig zu vernachlässigen ist.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410020422
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BVerwG
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7. Senat
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20140916
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7 VR 1/14
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Beschluss
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§ 80 Abs 5 S 1 VwGO, § 80a Abs 3 S 2 VwGO, § 4a Abs 3 UmwRG, § 27 Abs 2 Nr 1 WHG 2009, Art 4 Abs 1 Buchst a Buchst i EGRL 60/2000
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DEU
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Vorläufiger Rechtsschutz gegen wasserrechtliche Erlaubnis für Kraftwerksbetrieb
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§ 4a Abs. 3 UmwRG modifiziert den Maßstab für die Prüfung von Anträgen nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO nur bezogen auf die gebotene Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs. An dem Erfordernis einer umfassenden Interessenabwägung, in die weitere die Interessenlage der Beteiligten betreffende Gesichtspunkte eingehen können und die je nach Lage des Falles auch losgelöst von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs vorgenommen werden kann, ändert sich hingegen nichts (im Anschluss an den Beschluss vom 13. Juni 2013 - BVerwG 9 VR 3.13 - juris Rn. 4).
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I.
Der Antragsteller, eine anerkannte Naturschutzvereinigung, wendet sich gegen die der Beigeladenen erteilte Erlaubnis zu einer Gewässerbenutzung für den Betrieb des Steinkohle-Kraftwerks Moorburg in Hamburg an der Süderelbe.
Nach Durchführung des Anhörungsverfahrens, in dem der Antragsteller sich mit Einwendungen u.a. gegen die im Zusammenhang mit dem Betrieb des Kraftwerks geplante Entnahme und Wiedereinleitung von Elbwasser zum Zweck der Durchlaufkühlung gewandt hatte, erteilte die Beklagte der Beigeladenen mit Bescheid vom 30. September 2008 neben der in Bestandskraft erwachsenen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb des Kraftwerks eine wasserrechtliche Erlaubnis zur Wasserentnahme von maximal 64,4 cbm/s unter Beifügung von Beschränkungen und Nebenbestimmungen. Aufgrund eines mit der Beigeladenen geschlossenen Vergleichs ersetzte sie diese Erlaubnis mit Bescheid vom 4. Oktober 2010 unter Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit durch eine inhaltlich modifizierte Erlaubnis, ohne die grundsätzlich zulässige Entnahmemenge zu verändern. Diese Erlaubnis enthält zahlreiche Einschränkungen und Nebenbestimmungen; unter anderem wird die Höchstmenge der Wasserentnahme aus der Süderelbe insgesamt auf ein Drittel des jeweiligen Wasserzuflusses begrenzt, bei Unterschreitung eines Mindestsauerstoffgehalts von 6,0 mg/l als gleitendem 24-Stunden-Mittelwert ist die Einleitmenge gestuft zu vermindern. Als technische Maßnahmen zur Schadensminderung sind eine elektrische Fischscheuchanlage am Entnahmebauwerk und eine Fischaufstiegsanlage bei Geesthacht vorgesehen. Durch Änderungsbescheid vom 21. Januar 2011 ist der Beigeladenen erlaubt, zum Zweck der - alternativ zur Durchlaufkühlung möglichen - Kreislaufkühlung Wasser aus der Elbe zu entnehmen (maximale Entnahmemenge von 1 cbm/s).
Das Oberverwaltungsgericht hat die wasserrechtliche Erlaubnis unter Abweisung der Klage des Antragstellers im Übrigen aufgehoben, soweit sie die Entnahme und Wiedereinleitung von Elbwasser zum Zweck der Durchlaufkühlung betrifft: Habitatrechtliche Erwägungen rechtfertigten die Aufhebung der Erlaubnis zwar nicht. Soweit der Antragsteller geltend mache, die Gewässerbenutzung führe zu erheblichen Beeinträchtigungen von Erhaltungszielen der unterhalb des Wehres von Geesthacht gelegenen Natura-2000-Gebiete, sei er mit seinem Vorbringen ausgeschlossen. Bezogen auf die oberhalb des Wehres gelegenen Schutzgebiete liege kein Verstoß gegen die maßgeblichen Schutzvorschriften vor, weil durch Bau und Betrieb der Fischaufstiegsanlage am Wehr erhebliche Beeinträchtigungen der Schutzziele vermieden würden. Die Gewässerbenutzung für die Durchlaufkühlung verstoße aber gegen das Verschlechterungsverbot des § 27 Abs. 2 Nr. 1 WHG, das keine bloße Zielbestimmung darstelle, sondern bei der Erlaubniserteilung als unmittelbar geltendes Recht zu beachten sei und jede substanzielle Verschlechterung der Qualität des betroffenen Gewässers über eine durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gezogene Relevanzschwelle hinaus verbiete. Diese Schwelle werde mit den nachteiligen Auswirkungen auf den Sauerstoffgehalt der Oberflächenwasserkörper Hafen und Elbe West überschritten, die von der erlaubten Kühlwassernutzung für die Durchlaufkühlung trotz der in der Erlaubnis vorgesehenen Einschränkungen der Gewässerbenutzung in Sauerstoffmangelsituationen zu erwarten seien. Die Voraussetzungen für eine Ausnahme vom Verschlechterungsverbot lägen mit Rücksicht auf die umweltschonendere technische Alternative der Kreislaufkühlung als Regelbetrieb nicht vor.
Nach Einlegung der Revisionen gegen dieses Urteil durch die Antragsgegnerin und die Beigeladene im Frühjahr 2013 hat der Antragsteller am 21. März 2014 beantragt, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die wasserrechtliche Erlaubnis wiederherzustellen, soweit diese die Entnahme und Wiedereinleitung von Elbwasser zum Zweck der Durchlaufkühlung betrifft. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: Der Eilantrag sei nunmehr geboten, da die Beigeladene die Aufnahme des Dauerbetriebs für den Herbst 2014 plane und eine Aussetzung des Revisionsverfahrens bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in dem das wasserrechtliche Verschlechterungsverbot betreffenden Vorabentscheidungsverfahren zur Weservertiefung (Rs. C-461/13) als möglich erscheine. Bei Abwägung der betroffenen Interessen überwiege das Suspensionsinteresse gegenüber dem Vollzugsinteresse der Beigeladenen. Selbst unabhängig vom Ausgang des Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof müsse die Klage Erfolg haben, weil die angefochtene Erlaubnis gegen das Habitat- und das besondere Artenschutzrecht verstoße. Aber auch eine von den Erfolgsaussichten losgelöste Interessenabwägung gehe zugunsten des Antragstellers aus. Nach Errichtung des Hybridkühlturms könne die Inbetriebnahme des Kraftwerks unter Einsatz der Kreislaufkühlung erfolgen. Das Interesse der Beigeladenen an der Nutzung der wirtschaftlich günstigeren Durchlaufkühlung habe geringeres Gewicht als das öffentliche Interesse am Schutz der Elbe, denn schon für die Dauer des Hauptsacheverfahrens drohten irreversible Verstöße gegen das Naturschutzrecht und das Wasserrecht.
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene treten dem Antragsbegehren entgegen und beantragen,
den Antrag abzulehnen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig. Das Bundesverwaltungsgericht ist nach Einlegung der Revisionen das Gericht der Hauptsache im Sinne von § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Der Antragsteller ist befugt, gegen die nach § 8 WHG erteilte Erlaubnis Klage zu erheben, § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UmwRG. Damit verbindet sich die Möglichkeit, gegenüber der gemäß § 80a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ergangenen Anordnung der sofortigen Vollziehung einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zu stellen, § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.
Der Prüfungsmaßstab für das Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes folgt aus § 4a Abs. 3 UmwRG. Danach ist § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen oder wiederherstellen kann, wenn im Rahmen einer Gesamtabwägung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. Mit dieser Regelung knüpft § 4a Abs. 3 UmwRG an den allgemein für Anträge auf gerichtliche Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs geltenden Maßstäbe an. In Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO bzw. § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht auf der Grundlage einer eigenen Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen. Wesentliches Element dieser Interessenabwägung ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann. Ist es - namentlich wegen der besonderen Dringlichkeit einer alsbaldigen Entscheidung - nicht möglich, die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wenigstens summarisch zu beurteilen, so sind allein die einander gegenüberstehenden Interessen unter Berücksichtigung der mit der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einerseits und deren Ablehnung andererseits verbundenen Folgen zu gewichten (vgl. Beschluss vom 22. März 2010 - BVerwG 7 VR 1.10 - juris Rn. 13).
§ 4a Abs. 3 UmwRG modifiziert diesen Prüfungsmaßstab nur bezogen auf die gebotene Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs: Die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung setzt hiernach voraus, dass bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten als Element der Interessenabwägung "ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen". An dem Erfordernis einer umfassenden Interessenabwägung, in die weitere die beiderseitige Interessenlage betreffende Gesichtspunkte eingehen können und die je nach Lage des Falles auch losgelöst von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs vorgenommen werden kann, ändert sich hingegen ausweislich des Hinweises im Gesetzestext auf die Gesamtabwägung nichts (so bereits Beschluss vom 13. Juni 2013 - BVerwG 9 VR 3.13 - Buchholz 310 § 80 VwGO Nr. 90 = juris Rn. 4 unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung, BTDrucks 17/10957 S. 18).
Hiernach muss der Antrag erfolglos bleiben, weil der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen ist (a) und eine deshalb gebotene von den Erfolgsaussichten losgelöste Interessenabwägung zulasten des Antragstellers ausgeht (b).
a) Bei summarischer Prüfung lässt sich kein Übergewicht der für oder gegen den Erfolg der Klage gegen die angefochtene wasserrechtliche Erlaubnis sprechenden Gründe feststellen.
Offen ist zunächst, ob das Oberverwaltungsgericht das wasserrechtliche Verschlechterungsverbot (§ 27 Abs. 2 Nr. 1 WHG, Art. 4 Abs. 1 Buchst. a) i) WRRL) zutreffend ausgelegt hat. Das Oberverwaltungsgericht versteht § 27 Abs. 2 Nr. 1 WHG als zwingendes, bei der Erlaubniserteilung unmittelbar zu beachtendes Recht und nicht bloß als umsetzungsbedürftige Zielvorgabe. Eine Verschlechterung des Gewässerzustands im Sinne der Vorschrift bejaht es überdies nicht erst bei einem Wechsel des Gewässers in eine schlechtere Zustandsklasse oder im Falle einer erheblichen Verschlechterung, sondern grundsätzlich bereits bei jeder substanziellen negativen Einwirkung auf das Gewässer oberhalb einer in der Vorschrift angelegten Relevanzschwelle. Der Senat neigt dieser Rechtsauffassung zu, hält sie aber nicht für eindeutig, wie dem Beschluss vom 11. Juli 2013 - BVerwG 7 A 20.11 - (DVBl 2013, 1450 Rn. 23 ff.) zu entnehmen ist, mit dem er in einem Verfahren über die geplante Weservertiefung den Europäischen Gerichtshof unter anderem zur Klärung des Bedeutungsgehalts des Verschlechterungsverbots in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a) i) WRRL angerufen hat. Wie der Gerichtshof die Vorlagefragen, deren Klärung auch für die Auslegung des § 27 Abs. 2 Nr. 1 WHG entscheidend ist (vgl. Beschluss vom 11. Juli 2013 a.a.O. Rn. 21), beantworten wird, ist offen. Dies wird dadurch unterstrichen, dass die im Vorabentscheidungsverfahren abgegebenen Stellungnahmen der Europäischen Kommission und mehrerer Mitgliedstaaten zu unterschiedlichen Auslegungsergebnissen gelangen.
An der Einschätzung der Erfolgsaussichten unter wasserrechtlichem Blickwinkel ändert sich auch dann nichts, wenn die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zur Anwendung des Verschlechterungsverbots auf den Streitfall in die Beurteilung einbezogen werden. Es spricht wenig dafür, dass dem Oberverwaltungsgericht dabei - ausgehend von seiner Auslegung des Verschlechterungsverbots - Fehler unterlaufen sind. Namentlich dürfte sich die Bedeutung, die das Gericht einer nachteiligen Veränderung der Qualitätskomponente Sauerstoffgehalt für die Frage einer Verschlechterung des ökologischen Potenzials der in Rede stehenden Oberflächenwasserkörper beigemessen hat, schlüssig aus dem von ihm zugrunde gelegten weiten Verschlechterungsbegriff ergeben. Dass die Sachverhaltsfeststellung und Überzeugungsbildung, soweit sie die Anwendung des Verschlechterungsverbots betreffen, verfahrensfehlerhaft zustande gekommen sind, liegt zumindest bezogen auf den Oberflächenwasserkörper Hafen fern; insbesondere drängt es sich nicht auf, dass das Gericht mit seiner Annahme, dem Wärmelastplan für die Tideelbe sei ein Zielwert von 6 mg O 2 /l zu entnehmen (UA S. 92), gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verstoßen hat (vgl. S. 7 des Wärmelastplans).
Ob die wasserrechtliche Erlaubnis in habitatrechtlicher Hinsicht der Überprüfung im Hauptsacheverfahren standhalten wird, ist ebenfalls offen. Das Oberverwaltungsgericht hat den Antragsteller mit seinen die Beeinträchtigung von Natura 2000-Gebieten unterhalb des Wehres Geesthacht betreffenden Rügen für präkludiert gehalten, weil er hierzu im Verfahrensverlauf keine Einwendungen erhoben habe; eine erhebliche Beeinträchtigung der Schutzgebiete oberhalb des Wehres von Geesthacht hat es verneint, weil der Eintritt der befürchteten Beeinträchtigungen aquatischer Schutzziele durch die Bestimmungen der angefochtenen Erlaubnis über die Errichtung und den Betrieb einer Fischaufstiegsanlage wirksam verhindert werden könnten.
Was zunächst die Präklusion anbelangt, ist nicht verlässlich abzuschätzen, ob sich die Erwägungen der Vorinstanz im Hauptsacheverfahren als tragfähig erweisen werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Unionsrechtskonformität der einschlägigen gesetzlichen Präklusionsregelungen zwar schon mehrfach geprüft und bejaht (vgl. Urteil vom 14. Juli 2011 - BVerwG 9 A 12.10 - BVerwGE 140, 149 = Buchholz 406.400 § 61 BNatSchG 2002 Nr. 13; Beschluss vom 17. Juni 2011 - BVerwG 7 B 79.10 - Buchholz 406.254 URG Nr. 3), die Europäische Kommission hält diese Regelungen hingegen für unionsrechtswidrig und hat deswegen beim Europäischen Gerichtshof ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet (Rs. C-137/14). Wie der Gerichtshof entscheiden wird, erscheint vor allem im Hinblick auf die von den Umweltverbänden zu beachtenden vergleichsweise kurzen Auslegungs- und Einwendungsfristen als offen.
Bezogen auf die Beurteilung der Verträglichkeit des Vorhabens mit den aquatischen Erhaltungszielen der oberhalb des Wehres von Geesthacht gelegenen Natura-2000-Gebiete bestehen gleichfalls Unsicherheiten, die sich im Eilverfahren nicht auflösen lassen. Dies gilt zumindest für die Einstufung der an dem Wehr vorgesehenen - und mittlerweile errichteten - Fischaufstiegsanlage als Schadensminderungsmaßnahme, die die Gebietsverträglichkeit sichern soll. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bisher anerkannt, dass verbindlich geregelte Schutz- und Ausgleichsmaßnahmen dann als Schadensminderungsmaßnahmen berücksichtigt werden können, wenn sie sicherstellen, dass erhebliche Beeinträchtigungen verhindert werden (Urteil vom 17. Januar 2007 - BVerwG 9 A 20.05 - BVerwGE 128, 1 Rn. 53 f. = Buchholz 451.91 Europ UmweltR Nr. 26). Für Ausgleichsmaßnahmen wird sich diese Feststellung allerdings nur ausnahmsweise treffen lassen, da derartige Maßnahmen in der Regel erst deutlich verzögert wirken und ihr Erfolg selten mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Sicherheit vorhergesagt werden kann (Urteil vom 12. März 2008 - BVerwG 9 A 3.06 - BVerwGE 130, 299 Rn. 94 = Buchholz 451.91 Europ UmweltR Nr. 30). Ob diese Rechtsprechung sich uneingeschränkt aufrechterhalten lässt, erscheint mit Rücksicht auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 15. Mai 2014 - Rs. C-521/12 - als zweifelhaft. Der Gerichtshof hat darin ausgeführt, in der Verträglichkeitsprüfung seien solche in das Projekt aufgenommene Maßnahmen zu berücksichtigen, mit denen unmittelbar verursachte schädliche Auswirkungen auf ein Natura-2000-Gebiet verhindert oder verringert, nicht dagegen solche Maßnahmen, mit denen schädliche Auswirkungen auf das Gebiet nur ausgeglichen werden sollen. Er hat hierzu darauf hingewiesen, dass die etwaigen positiven Auswirkungen der künftigen Schaffung eines neuen Lebensraums, der den Verlust an Fläche und Qualität desselben Lebensraumtyps in einem Schutzgebiet ausgleichen soll, sich im Allgemeinen nur schwer vorhersehen lassen und jedenfalls erst mit geraumer zeitlicher Verzögerung erkennbar sein werden; außerdem solle verhindert werden, dass die Behörde mit Maßnahmen, die in Wirklichkeit Ausgleichsmaßnahmen entsprechen, das spezifische Verfahren des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL umgehe. Diese Vorgaben dürften nicht in jeder Hinsicht den bisher vom Bundesverwaltungsgericht angelegten Maßstäben entsprechen. Welche Konsequenzen sich daraus für den Streitfall ergeben, bedarf eingehender Prüfung, die im Eilverfahren nicht verlässlich zu leisten ist. Namentlich muss insoweit der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, ob die Fischtreppe als bloße Ausgleichsmaßnahme zu werten ist, weil sie nicht verhindert, dass ein Teil der Fische und des Fischlaichs im Zuge der Durchlaufkühlung zu Schaden kommt, oder ob es sich um eine Schadensminderungs- bzw. Schutzmaßnahme im eigentlichen Sinne handelt, weil die Stabilität der Fischpopulationen in den stromauf von Geesthacht gelegenen Schutzgebieten gesichert wird, indem anderen - zu den jeweiligen Populationen gehörenden - Fischen in größerer Anzahl der Aufstieg ermöglicht wird.
b) Sind demnach die Erfolgsaussichten der Klage offen, so überwiegt bei der im Übrigen gebotenen folgenorientierten Abwägung der wechselseitigen Interessen das Vollzugsinteresse der Beigeladenen gegenüber dem vom Antragsteller als Umweltschutzvereinigung vertretenen Interesse, die Schaffung vollendeter Tatsachen durch Inbetriebnahme des Kraftwerks mit der genehmigten Durchlaufkühlung vor einer endgültigen Entscheidung in der Hauptsache zu verhindern.
Das Kraftwerk der Beigeladenen ist baulich nach Maßgabe der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 30. September 2008 in der Fassung der zur nachträglichen Errichtung des Hybridkühlturms erteilten Änderungsgenehmigung vom 23. Dezember 2010 vollendet. Es befindet sich zurzeit in der Erprobungsphase, die die Aufnahme des Regelbetriebs vorbereitet. In diesem Stadium richtet sich das Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes darauf, die Fortsetzung des Probebetriebs und die Aufnahme des Regelbetriebs mit der immissionsschutzrechtlich bestandskräftig genehmigten Durchlaufkühlung als Regelkühlung zu verhindern. Dieses Interesse hat nach den Umständen des Falles vergleichsweise geringes Gewicht.
Es ist nicht ersichtlich, dass die Einwirkungen durch den Kraftwerksbetrieb auf die betroffenen Schutzgüter so gravierend sein werden, dass bis zur Entscheidung über die Revisionen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen gewichtige und irreversible Nachteile eintreten.
Das gilt zum einen in wasserrechtlicher Hinsicht. Negative Auswirkungen sind in Gestalt einer Verstärkung der in den Sommermonaten schon infolge anderer Ursachen zeitweise auftretenden Sauerstoffmangelsituationen in Betracht zu ziehen; die Entnahme von Kühlwasser aus der Süderelbe und dessen Wiedereinleitung in erwärmtem Zustand führt prinzipiell zu einer Verminderung des Sauerstoffgehalts, mag diese auch örtlich begrenzt sein. Solche Auswirkungen sind aber nur bezogen auf einen kurzen Zeitraum in die Abwägung einzustellen und werden zudem durch die in der wasserrechtlichen Erlaubnis vorgesehenen Betriebsbeschränkungen deutlich vermindert. Aufgrund von Reparaturarbeiten an den Dampferzeugern werden der erste Block des Kraftwerks voraussichtlich frühestens im Dezember 2014 und der zweite Block erst Ende des ersten Quartals 2015 in Betrieb gehen, was wiederum voraussetzt, dass keine weiteren Störungen im Rahmen des Probebetriebs auftreten. Erst dann ist mit einer kontinuierlichen Ausschöpfung der erlaubten Wasserentnahmemenge zu rechnen, während im Verlauf des Probebetriebs überwiegend nur reduzierte Mengen entnommen und - teilweise nicht einmal erwärmt - wieder eingeleitet werden. Sollte in der kritischen Zeit der Sommermonate 2015 das Kraftwerk seinen vollen Betrieb aufgenommen haben, werden die in der wasserrechtlichen Erlaubnis angeordneten Entnahme- bzw. Wiedereinleitungsbeschränkungen nach Maßgabe des Oberwasserzuflusses (Nr. 3.2), der Gewässertemperatur (Nr. 4.2) und des Sauerstoffgehalts (Nr. 4.3) greifen. Da bis zum Frühjahr 2016 mit einem Abschluss des im März 2013 anhängig gewordenen Revisionsverfahrens zu rechnen ist, sind Einwirkungen, die im Sommer 2016 zur Verschärfung des Sauerstoffmangels führen könnten, nicht zu berücksichtigen. Sollte das Hauptsacheverfahren mit der Revisionsentscheidung zulasten der Beigeladenen enden, hat dies nämlich die unmittelbare Einstellung einer Durchlaufkühlung und damit die Beendigung der vom Antragsteller befürchteten Gewässerbelastung zur Folge. Sollte es hingegen zu einer Zurückverweisung an die Vorinstanz kommen, so hat der Antragsteller die Möglichkeit, mit Rücksicht auf die dann erfolgte rechtliche Vorklärung erneut um vorläufigen Rechtsschutz durch das Oberverwaltungsgericht nachzusuchen.
In naturschutzrechtlicher Hinsicht gilt Ähnliches. Trotz der am Wasserentnahmebauwerk installierten Scheuchanlage muss zwar damit gerechnet werden, dass einzelne Exemplare geschützter Fischarten durch die Durchlaufkühlung zu Schaden kommen. Mit Blick auf den voraussichtlich kurzen Zeitraum des Regelbetriebs bis zu einer Revisionsentscheidung liegt es aber fern, dass die betroffenen Fischpopulationen in den Natura-2000-Gebieten, in denen sie Gegenstand von Erhaltungszielen sind, durch den Kraftwerksbetrieb destabilisiert werden. Dies trifft insbesondere für die stromauf von Geesthacht liegenden Gebiete zu, für die die am Wehr bei Geesthacht errichtete Fischaufstiegsanlage - unabhängig von der Frage ihrer Einordnung als Schadensminderungsmaßnahme - ihre Wirkung entfalten kann; dass die Aufstiegsanlage technisch ihre Funktion nicht erfüllt, hat der Antragsteller nicht substanziiert geltend gemacht.
Hiervon ausgehend ist das Interesse der Beigeladenen an der Inbetriebnahme des Kraftwerks mittels Durchlaufkühlung als Regelkühlung höher zu bewerten als das Suspensivinteresse des Antragstellers. Die Kreislaufkühlung verursacht wegen ihres verstärkten Energiebedarfs Mehrkosten, die jährlich im hohen einstelligen oder gar im zweistelligen Millionenbereich liegen dürften. Überdies schlägt ein Umweltaspekt zu Buche. Ungeachtet der Frage, ob die Annahme des Oberverwaltungsgerichts zutrifft, der Energiemehrbedarf für die Kreislaufkühlung könne mittel- bis langfristig in erheblichem Maße aus regenerativen Quellen gedeckt werden, hat der Antragsteller nicht substanziiert infrage gestellt, dass jedenfalls aktuell bis zur Entscheidung über die Revisionen der für die Kreislaufkühlung entstehende Mehrbedarf einen erhöhten Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid nach sich zieht. Dieser Nachteil stärkt ebenfalls das Interesse, die Kreislaufkühlung als Regelkühlung zu vermeiden. Außerdem verweist die Beigeladene schlüssig darauf, dass die Erfahrungsbasis für den Einsatz der Kreislaufkühlung mittels Hybridkühlturms bislang noch sehr schmal ist. Sie führt - vom Antragsteller unwidersprochen - hierzu an, dass bundesweit lediglich zwei Kraftwerke mit einem Hybridkühlturm betrieben werden und dass es insbesondere an betriebspraktischen Erfahrungen für den Betrieb eines Kohlekraftwerks in der Kombination von Durchlaufkühlung als Regelkühlung und Kreislaufkühlung in Ausnahmesituationen fehlt. Insoweit in Rechnung zu stellende Ausfallrisiken erhöhen sich umso mehr, wenn die wenig erprobte Kreislaufkühlung mittels Hybridkühlturms als Regelkühlung eingesetzt werden soll. Nicht von der Hand zu weisen ist ferner ein Interesse der Beigeladenen, die Inbetriebnahmephase des Kraftwerks auf der Grundlage der geplanten Kombinationskühlung zu Ende zu bringen. Wäre die Beigeladene gezwungen, diese Phase allein auf der Basis einer Kreislaufkühlung weiterzuführen, würde die Inbetriebsetzung anderer Gewerke des Kraftwerks erheblich behindert; sollte die Beigeladene schließlich im Hauptsacheverfahren obsiegen, müsste die unterbrochene Inbetriebnahme der Durchlaufkühlung wieder aufgenommen werden und die automatisierten Umschaltvorgänge zwischen Durchlauf- und Kreislaufkühlung müssten erprobt und optimiert werden, wofür das Kraftwerk tageweise vom Netz zu trennen wäre. All dies spricht angesichts des vergleichsweise geringen Suspensivinteresses des Antragstellers für die Beibehaltung der Vollzugsanordnung.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410020423
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BVerwG
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1. Senat
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20140909
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1 C 10/14
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Urteil
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§ 85 Abs 1 AuslG 1990, § 10 RuStAG, § 16 RuStAG, § 35 RuStAG, § 13 Abs 1 Nr 1 VwVfG, § 41 Abs 1 VwVfG, § 43 Abs 1 S 2 VwVfG, § 44 VwVfG, § 43 Abs 3 VwVfG
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vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 3. Dezember 2013, Az: 1 S 49/13, Urteil vorgehend VG Stuttgart, 12. November 2012, Az: 11 K 3014/12, Urteil
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DEU
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Keine Nichtigkeit erschlichener Einbürgerung
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1. Eine Einbürgerung wird auch demjenigen wirksam bekannt gegeben, der den Einbürgerungsantrag unter Angabe falscher Personalien (einschließlich der Staatsangehörigkeit) gestellt hat, auf die die Einbürgerungsurkunde ausgestellt worden ist.
2. Eine unter Verwendung einer anderen Identität erschlichene Einbürgerung ist nicht im Sinne des § 44 Abs. 1 VwVfG nichtig.
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Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung der Nichtigkeit seiner Einbürgerung durch die Beklagte.
1. Der Kläger, ein pakistanischer Staatsangehöriger, reiste im November 1995 nach Deutschland ein. Er stellte einen Asylantrag und gab sich unter dem Alias-Namen H.S. als afghanischer Staatsangehöriger aus. Nachdem das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans festgestellt hatte, erhielt der Kläger im Oktober 1998 eine Aufenthaltsbefugnis und im März 2004 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
Im Dezember 2003 beantragte der Kläger seine Einbürgerung. Dazu legte er u.a. eine Geburtsbescheinigung mit dem Briefkopf "Generalkonsulat von Afghanistan Bonn", ausgestellt auf den Namen H.S., sowie weitere auf diesen Namen lautende Urkunden vor. Ebenfalls unter diesem Namen erkannte er 2004 die Vaterschaft eines Kindes deutscher Staatsangehörigkeit an und verzichtete gegenüber der Afghanischen Botschaft Bonn auf die afghanische Staatsangehörigkeit. Da keine Entlassung aus der afghanischen Staatsangehörigkeit erfolgte, nahm die Beklagte die Mehrstaatigkeit hin und händigte ihm am 6. Juli 2004 eine auf die Aliaspersonalien ausgestellte Einbürgerungsurkunde aus.
2. Im Oktober 2011 beantragte der Kläger, seine Personalien auf N.A.K., geboren am 8. Oktober 1969 in Swabi/Pakistan, zu berichtigen. Dazu gab er an, während seines gesamten Aufenthalts in Deutschland unter falschen afghanischen Personalien aufgetreten zu sein. Die von ihm vorgelegten Dokumente seien zwar echt, hätten jedoch eine andere Person betroffen. Inzwischen sei er aus der pakistanischen Staatsangehörigkeit entlassen worden.
Mit Bescheid vom 11. Mai 2012 stellte die Beklagte fest, dass die dem Kläger ausgehändigte Einbürgerungsurkunde nicht wirksam geworden und die Einbürgerung im Übrigen nichtig sei. Zur Begründung führte sie aus, die Urkunde sei unwirksam, weil sie hinsichtlich der Identität des Klägers erhebliche Mängel aufweise. Zudem lägen auch die Voraussetzungen des § 44 LVwVfG vor. Die Nichtigkeitsfeststellung nach § 44 Abs. 5 LVwVfG sei nicht durch die Fünfjahresfrist des § 35 Abs. 3 StAG ausgeschlossen. Schließlich sei davon auszugehen, dass die Entlassung aus der pakistanischen Staatsangehörigkeit mangels wirksamer Einbürgerung ebenfalls unwirksam sei. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies das Regierungspräsidium Stuttgart mit Widerspruchsbescheid vom 9. August 2012 zurück.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen (InfAuslR 2013, 162). Auf die Berufung des Klägers hat der Verwaltungsgerichtshof das Urteil geändert und die Bescheide aufgehoben (VBlBW 2014, 269). Er hat seine Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass der Einbürgerungsakt dem Kläger als gewollten und damit richtigen Adressaten bekannt gegeben worden sei. Denn der Kläger sei trotz der Identitätstäuschung Beteiligter des mit der Einbürgerung abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens gewesen. Die Einbürgerungsurkunde sei auch für ihn bestimmt gewesen. Als Inhaltsadressat sei er der richtige Bekanntgabeadressat, weil er erkennbar derjenige gewesen sei, demgegenüber die Beklagte ihre Entscheidung habe treffen wollen. Die allein für den Kläger bestimmte Einbürgerungsurkunde sei ihm auch ausgehändigt worden. Zudem hätte die Wirkung dieses schriftlichen Verwaltungsakts, der erst durch Aushändigung einer Urkunde wirksam werde, nach dem Willen des Amtsträgers in der Person des entgegennehmenden Antragstellers eintreten sollen.
Die Einbürgerung sei auch nicht nach § 44 Abs. 1 LVwVfG nichtig. Zwar sei sie durch arglistige Täuschung erwirkt worden und leide an einem Rechtsfehler, weil der Kläger kein afghanischer Staatsangehöriger gewesen sei. Aber der Mangel sei nicht "besonders schwerwiegend" im Sinne des § 44 Abs. 1 LVwVfG. Die Existenz des § 35 Abs. 1 und 5 StAG sowie der §§ 45 bis 47 LVwVfG belegten mit Blick auf betrügerische Angaben, dass eine arglistige Täuschung im Regelfall nicht zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts führe. Die Täuschung über Namen und Geburtsdaten des Antragstellers wiege nicht schwerer als jede andere Täuschung über Umstände, die außerhalb der Tatbestandsvoraussetzungen der Anspruchseinbürgerung lägen und in diesem Sinne nicht wesentlich für deren Erlass seien (vgl. § 35 Abs. 1 StAG). Sie stelle vielmehr den typischen Fall einer Täuschung im Sinne von § 35 Abs. 1 StAG dar, die nicht zur Nichtigkeit führe. Dem Kläger komme deshalb der Schutz der Fünf-Jahres-Frist des § 35 Abs. 3 StAG zugute.
Zur Begründung ihrer Revision macht die Beklagte geltend, der Kläger sei schon nicht Beteiligter des auf die Einbürgerung gerichteten Verwaltungsverfahrens geworden. Infolge der Identitätstäuschung müsse er sich so behandeln lassen, als ob er den Antrag für die Aliasperson gestellt habe. Daher sei er weder als Inhalts- noch als materieller Adressat der Einbürgerung anzusehen, so dass ihm dieser Verwaltungsakt nicht wirksam bekannt gegeben worden sei. Im Übrigen sei die Einbürgerung gemäß § 44 Abs. 1 LVwVfG nichtig, da die Identitätstäuschung eine essentielle Einbürgerungsvoraussetzung betreffe, die von dem Begriff der arglistigen Täuschung nicht vollumfänglich erfasst werde. § 44 LVwVfG sei neben der Rücknahmevorschrift des § 35 StAG anwendbar.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil. Er rügt, die Rechtsauffassung der Beklagten führe zu einer Umgehung der Fristregelung in § 35 Abs. 3 StAG, die der Gesetzgeber aufgrund der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Wahrung der Rechtssicherheit geschaffen habe.
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Die zulässige Revision, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), hat keinen Erfolg. Die Entscheidung des Berufungsgerichts steht im Einklang mit revisiblem Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VwGO), denn die Einbürgerung ist dem Kläger wirksam bekannt gegeben worden (1.) und erweist sich auch nicht als nichtig (2.).
1. Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, dass die Einbürgerung des Klägers durch die ihm am 6. Juli 2004 von der Beklagten übergebene Einbürgerungsurkunde vom gleichen Tag wirksam geworden ist.
Der damals maßgebliche § 16 Satz 1 RuStAG (i.d.F. des § 194 Nr. 2 BBG vom 14. Juli 1953, BGBl I S. 551) sah vor, dass die Einbürgerung mit der Aushändigung der von der höheren Verwaltungsbehörde hierüber ausgefertigten Urkunde wirksam wird. Die Landesregierungen waren nach Satz 2 der Vorschrift ermächtigt, durch Rechtsverordnung die zuständige Behörde abweichend von Satz 1 zu bestimmen und konnten gemäß Satz 3 diese Ermächtigung auf oberste Landesbehörden übertragen. Aufgrund dieser Delegationsermächtigung war die Beklagte gemäß § 1 der baden-württembergischen Verordnung über Zuständigkeiten im Staatsangehörigkeitsrecht vom 3. Februar 1976 (GBl S. 245) als untere Verwaltungsbehörde für den Vollzug des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes zuständig.
Der Kläger hat die deutsche Staatsangehörigkeit durch die ihm am 6. Juli 2004 ausgehändigte Einbürgerungsurkunde erworben. Gemäß § 41 Abs. 1 LVwVfG ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Der Verwaltungsgerichtshof ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Einbürgerungsurkunde aus Sicht der Beklagten allein für die Person des Klägers bestimmt war. Denn damals wollten die Amtsträger der Beklagten ihn - wenn auch irrtumsbedingt - einbürgern, da er trotz der Identitätstäuschung Antragsteller und damit Beteiligter des Verwaltungsverfahrens gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG geworden ist. Für die verfahrensrechtliche Beteiligtenstellung ist letztlich auf die Person abzustellen, die der Behörde gegenübertritt und im eigenen Namen für sich (eine Entscheidung über) die beantragte Maßnahme begehrt. Demzufolge ist durch den am 16. Dezember 2003 vom Kläger gestellten Einbürgerungsantrag ein Verfahrensrechtsverhältnis zwischen ihm und der Beklagten begründet worden; ihre Amtswalter hatten bei Aushändigung der Einbürgerungsurkunde die Absicht, gegenüber dieser Person eine Regelung zu treffen.
Davon zu trennen ist die materiellrechtliche Einbürgerungsvoraussetzung der geklärten und feststehenden Identität des Bewerbers, die in § 85 AuslG 1990 (i.d.F. des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999, BGBl I S. 1618) - wie dem heute geltenden § 10 StAG - zwar nicht ausdrücklich erwähnt wird, aber dennoch eine notwendige Voraussetzung und einen unverzichtbarer Bestandteil der Prüfung der gesetzlich geregelten Einbürgerungsvoraussetzungen und Ausschlussgründe bildet (vgl. Urteil vom 1. September 2011 - BVerwG 5 C 27.10 - BVerwGE 140, 311 = Buchholz 130 § 10 StAG Nr. 6, jeweils Rn. 11 ff.). Entgegen der Auffassung der Beklagten stellen Irrtümer und Fehlvorstellungen der Amtsträger über das Vorliegen der gesetzlichen Einbürgerungsvoraussetzungen, auch wenn sie den zentralen Punkt der Identität des Einbürgerungsbewerbers betreffen, nicht dessen verfahrensrechtliche Beteiligtenstellung infrage. Deshalb hat die gegenüber dem Kläger als Antragsteller willentlich erfolgte Bekanntgabe der Einbürgerung ihn als Person in den deutschen Staatsverband aufgenommen. Die Einbürgerung ist trotz des Identitätsirrtums und der darauf beruhenden fehlerhaften Personenbezeichnung in der Urkunde dem Kläger gegenüber wirksam geworden (§ 43 Abs. 1 Satz 2 LVwVfG).
2. Die Einbürgerung erweist sich auch nicht infolge Nichtigkeit als unwirksam (§ 43 Abs. 3 LVwVfG). Sie ist nicht aus einem der in § 44 Abs. 2 LVwVfG aufgeführten Gründe nichtig; insbesondere greift die Nr. 2 nicht, denn dem Kläger wurde die gemäß § 16 Satz 1 RuStAG erforderliche Einbürgerungsurkunde übergeben. Die Nichtigkeit könnte sich daher nur aus § 44 Abs. 1 LVwVfG ergeben. Danach ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.
Bezugspunkt der Offensichtlichkeit nach § 44 Abs. 1 LVwVfG ist das Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Fehlers. Besonders schwerwiegend ist nur ein Mangel, der den Verwaltungsakt als schlechterdings unerträglich, d.h. mit tragenden Verfassungsprinzipien oder der Rechtsordnung immanenten wesentlichen Wertvorstellungen unvereinbar erscheinen lässt (Urteil vom 22. Februar 1985 - BVerwG 8 C 107.83 - DVBl 1985, 624 = Buchholz 406.11 § 134 BBauG Nr. 6). Die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen müssen in einem so erheblichem Maße verletzt sein, dass von niemandem erwartet werden kann, den Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen (Urteil vom 17. Oktober 1997 - BVerwG 8 C 1.96 - NVwZ 1998, 1061 <1062> = Buchholz 401.0 § 125 AO Nr. 1 S. 3 f.; Beschluss vom 11. Mai 2000 - BVerwG 11 B 26.00 - NVwZ 2000, 1039 <1040> = Buchholz 316 § 44 VwVfG Nr. 12 S. 4). Für diese Beurteilung ist grundsätzlich auf den Erlasszeitpunkt abzustellen (Beschluss vom 5. April 2011 - BVerwG 6 B 41.10 - Buchholz 316 § 44 VwVfG Nr. 102). Ein derart schwerwiegender Fehler haftete der am 6. Juli 2004 erfolgten Einbürgerung des Klägers nicht an.
Zwar hatte der Kläger die Beklagte über seine Identität und Staatsangehörigkeit arglistig getäuscht, so dass seine Einbürgerung wegen eines wesentlichen entscheidungserheblichen Mangels rechtswidrig ist. Entgegen der Auffassung der Revision ist sie aber deswegen nicht mangels existierenden Bezugsobjekts nichtig. Denn die Einbürgerung bezog sich nicht auf eine nichtvorhandene oder andere Person, sondern auf die Person des Klägers unter falschem Namen aufgrund falscher Angaben (vgl. Urteil vom 8. März 1977 - BVerwG 1 C 15.73 - Buchholz 132.0 § 24 1. StARegG Nr. 1 S. 1 <4>).
Trotz des täuschungsbedingten Identitätsirrtums auf Seiten der Beklagten, der einen schwerwiegenden Mangel begründet, erwies sich die Einbürgerung des Klägers nicht als schlechterdings unerträglich, d.h. mit tragenden Verfassungsprinzipien oder der Rechtsordnung immanenten wesentlichen Wertvorstellungen als unvereinbar. Denn zum einen lässt bereits die Regelung in § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG erkennen, dass der Gesetzgeber selbst durch arglistige Täuschung erwirkte Verwaltungsakte nicht als nichtig, sondern nur als rücknehmbar ansieht. Zum anderen hatte der Kläger, auch wenn ihm die für seine Einbürgerung maßgeblichen Aufenthaltstitel nur aufgrund der Täuschung über seine Staatsangehörigkeit und das daraufhin festgestellte Abschiebungsverbot erteilt worden waren, unter seinem Alias-Namen im Bundesgebiet gelebt und - mit Ausnahme der tatbestandlich eine Rücknahme rechtfertigenden Identitätstäuschung - die für eine Einbürgerung erforderlichen sprachlichen und sonstigen Integrationsleistungen in eigener Person erbracht. Schließlich wurde bereits vor Schaffung der speziellen staatsangehörigkeitsrechtlichen Rücknahmebefugnis in § 35 StAG (durch Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 5. Februar 2009, BGBl I S. 158) durchweg die Auffassung vertreten, eine erschlichene Einbürgerung sei selbst bei Identitätstäuschung nur einfach rechtswidrig und daher - wenn überhaupt - rücknehmbar, nicht aber nichtig (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 12. November 2002 - 19 B 2187/02 - <juris>; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Oktober 2006 - OVG 5 B 1.05 - OVGE BE 27, 224; OVG Lüneburg, Urteil vom 27. September 2007 - 11 LB 108/07 - <juris>; BVerwG, Urteile vom 14. Februar 2008 - BVerwG 5 C 4.07 - BVerwGE 130, 209 = Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 121 und vom 30. Juni 2008 - BVerwG 5 C 32.07 - Buchholz 11 Art. 16 GG Nr. 79; vgl. auch für den Fall der Flüchtlingsanerkennung bei Täuschung über Identität, Staatsangehörigkeit sowie Verfolgungsschicksal: Urteil vom 19. November 2013 - BVerwG 10 C 27.12 - BVerwGE 148, 254).
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http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-WBRE410020423&psml=bsjrsprod.psml&max=true
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410020424
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BVerwG
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3. Senat
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20140724
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3 C 23/13
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Urteil
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Art 1d EGV 97/95, Art 4 Abs 1 EGV 97/95, Art 8 Abs 2 EWGV 1766/92, § 10 Abs 1 S 1 MOG, § 10 Abs 3 MOG, § 48 Abs 2 S 3 Nr 2 VwVfG, § 49a Abs 1 S 2 VwVfG, § 49a Abs 2 VwVfG, § 133 BGB, § 157 BGB, § 164 Abs 2 BGB, § 166 Abs 1 BGB
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vorgehend OVG Lüneburg, 27. Juni 2012, Az: 10 LB 33/10, Urteil vorgehend VG Oldenburg (Oldenburg), 11. September 2007, Az: 12 A 4819/06, Urteil
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DEU
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Rückforderung von Ausgleichszahlungen für Kartoffelstärkeerzeuger; Erforderlichkeit einer schriftlichen Vollmacht als Nachweisregelung; Abstimmung mit Behörde begründet nicht ohne weiteres schutzwürdiges Vertrauen
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1. Die Regelung des § 4a Abs. 1 Satz 5 Kartoffelstärkeprämienverordnung (juris: EGV 95/97), nach der die Vertretungsbefugnis des Stärkeherstellers durch schriftliche Vollmacht nachzuweisen war, begründete keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die erteilte Vertretungsmacht, sondern beschränkt sich auf eine Nachweisregelung.
2. Eine Ausnahme vom Ausschluss schutzwürdigen Vertrauens wegen unrichtiger Angaben (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG) kommt nicht schon deshalb in Betracht, weil das Vorgehen mit der Behörde abgestimmt wurde.
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Die Klägerin, eine Landhandelsgesellschaft, wendet sich gegen die Rückforderung von Ausgleichszahlungen für Erzeuger von zur Stärkeherstellung bestimmten Kartoffeln im Wirtschaftsjahr 1995/96.
Die Klägerin schloss für die Wirtschaftsjahre 1995/96,1996/97 und 1997/98 Anbau- und Lieferverträge für Stärkekartoffeln mit der Kyritzer Stärke GmbH oder deren Muttergesellschaft, der Emsland Stärke GmbH. Diese Verträge verpflichteten die Klägerin als Erzeugerin jeweils zum Anbau von Stärkekartoffeln auf einer der Größe nach bestimmten Fläche und zu deren Lieferung. Im Gegenzug verpflichtete sich der Stärkehersteller zur Abnahme und zur Zahlung des Erzeugermindestpreises. Daneben schloss die Klägerin mit mehreren Landwirten ebenfalls Anbau- und Lieferverträge für Stärkekartoffeln. In diesen Verträgen verpflichteten sich die Landwirte, auf gleichfalls der Größe nach bestimmten Flächen für die Klägerin Stärkekartoffeln anzubauen und sie an die Klägerin zu liefern. Im Gegenzug verpflichtete sich die Klägerin, die Kartoffeln abzunehmen, an die Kyritzer Stärke GmbH zu liefern und den Erzeugermindestpreis zu zahlen.
Entsprechend den für das Wirtschaftsjahr 1995/96 von der Kyritzer Stärke GmbH gestellten Anträgen bewilligte das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Landes Brandenburg in mehreren an die Kyritzer Stärke GmbH adressierten Bescheiden Ausgleichszahlungen für die Stärkekartoffelerzeuger. Die ihr ausgezahlten Ausgleichsbeträge leitete die Kyritzer Stärke GmbH anteilig an die Klägerin weiter.
Bei Vor-Ort-Kontrollen wurde festgestellt, dass die Klägerin im Wirtschaftsjahr 1995/96 die gesamte gelieferte Stärkekartoffelmenge nicht selbst erzeugt hatte, sondern durch Inhaber von Unterverträgen hatte erzeugen und liefern lassen. In einem Prüfbericht wird darüber hinaus ausgeführt, nach Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 97/95 habe der zuständige Prüfer veranlasst, dass zwischen den Händlern und den tatsächlichen Erzeugern Unterverträge abgeschlossen worden seien, um so eine Erzeugervereinigung zu schaffen. Bis zur Kenntnis von der gegenteiligen Auffassung der Europäischen Union im Sommer 1998 sei die Konstruktion Stärkefabrik - Händler - Erzeuger in Verbindung mit einer Bestätigung des Händlers, die Erzeuger ausbezahlt zu haben, als subventionsunschädlich angesehen worden.
Mit Bescheid vom 4. September 2000 nahm die Bezirksregierung Weser-Ems die Bewilligungsbescheide für das Wirtschaftsjahr 1995/96 gegenüber der Klägerin zurück, soweit damit Ausgleichszahlungen für die von der Klägerin bezogenen, von ihr aber nicht erzeugten Stärkekartoffeln bewilligt worden waren, und forderte 16 894,54 DM (= 8 638,04 €) zurück. Mit einem weiteren Bescheid forderte die Bezirksregierung in gleicher Weise die Ausgleichszahlungen für die beiden folgenden Wirtschaftsjahre zurück.
Mit ihren Widersprüchen machte die Klägerin unter anderem geltend, sie sei nicht Adressatin der Bewilligungsbescheide, weshalb die Rückforderungsbescheide nicht ihr gegenüber hätten ergehen dürfen. Sie sei zu keinem Zeitpunkt als Erzeugerin von Stärkekartoffeln aufgetreten und habe lediglich Anbauverträge zwischen den Landwirten und den Stärkeunternehmen vermittelt. Nicht sie, sondern die einzelnen Landwirte, an die sie die Ausgleichszahlungen weitergeleitet habe, seien die richtigen Rückforderungsadressaten. Da das Verfahren der Beantragung und Weiterleitung der Ausgleichszahlungen mit den zuständigen brandenburgischen Behörden abgestimmt gewesen sei, genieße sie Vertrauensschutz.
Die Beklagte wies die Widersprüche der Klägerin zurück. Die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 11. September 2007 abgewiesen.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts teilweise geändert. Soweit es das Wirtschaftsjahr 1995/96 betrifft, hat es den Bescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 4. September 2000 und den diesbezüglichen Widerspruchsbescheid vom 22. September 2006 hinsichtlich der darin dem Grunde nach für das Jahr 1995 festgesetzten Zinsen aufgehoben, im Übrigen aber die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin sei Regelungsadressatin der Bewilligungsbescheide; denn sie sei durch die Kyritzer Stärke GmbH wirksam vertreten worden. Die Klägerin habe zwar deren wirksame Bevollmächtigung zuletzt bestritten. Das sei jedoch nicht glaubhaft. Sie habe die Vertretungsbefugnis erst in Abrede gestellt, nachdem sie von der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts Kenntnis gehabt habe, dass gemäß § 4a Abs. 1 Satz 5 der Kartoffelstärkeprämienverordnung eine schriftliche Vollmacht erforderlich sei. Zuvor habe sie sich selbst darauf berufen, von der Kyritzer Stärke GmbH vertreten worden zu sein. Daran müsse sie sich festhalten lassen. Den ihr gegenüber ausgesprochenen Rücknahmeentscheidungen stehe auch nicht entgegen, dass die Bewilligungsbescheide nicht erkennen ließen, mit wem das Rechtsverhältnis seinerzeit begründet worden sei. Nach Inhalt und Begleitumständen der Bewilligungen sei die Klägerin Adressatin der Ausgleichszahlungen, deren Höhe ebenfalls jeweils bestimmt sei. Die Bewilligungen seien rechtswidrig, weil die Ausgleichszahlungen einen Anbauvertrag mit einem Erzeuger voraussetzten. Die Klägerin sei jedoch keine Erzeugerin, weil sie selbst keine Kartoffeln angebaut und die Voraussetzungen einer Erzeugervereinigung nicht erfüllt habe. Sie könne sich gegenüber der Rücknahme auch nicht auf Vertrauensschutz berufen; denn sie habe die Bewilligungen durch unrichtige Angaben erwirkt. Sie habe sich in dem zugrundeliegenden Anbauvertrag mit der Kyritzer Stärke GmbH unzutreffend als Erzeugerin bezeichnet. Das sei jedenfalls mitursächlich für die rechtswidrigen Bewilligungen gewesen und der Klägerin zuzurechnen, weil sie bei der Antragstellung von der Kyritzer Stärke GmbH wirksam vertreten worden sei. Vor diesem Hintergrund könne sie sich nicht darauf berufen, dass die Art und Weise der Antragstellung mit der Bewilligungsbehörde abgestimmt gewesen sei. Auch die Rückforderung der Ausgleichszahlungen sei danach rechtmäßig. Die Klägerin könne nicht den Wegfall der Bereicherung geltend machen, denn sie habe die Umstände gekannt, nach denen sie nicht Erzeugerin im Sinne der einschlägigen Vorschriften gewesen sei.
Auf die Beschwerde der Klägerin hat der Senat die Revision zugelassen, soweit mit dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts die Klage gegen den das Wirtschaftsjahr 1995/96 betreffenden Bescheid vom 4. September 2000 abgewiesen worden ist.
Zur Begründung ihrer Revision trägt die Klägerin vor, sie sei nicht Adressatin der Bewilligungsbescheide und könne damit auch nicht Adressatin der Rücknahme sein, weil sich die Bewilligungen ihr nicht zuordnen ließen. Das Oberverwaltungsgericht sei verfahrensfehlerhaft über ihr Vorbringen hinweggegangen, dass sie die Kyritzer Stärke GmbH nicht schriftlich bevollmächtigt habe. Die Anträge seien nicht wirksam für sie gestellt worden; denn die nach der Kartoffelstärkeprämienverordnung erforderliche schriftliche Vollmacht habe nicht vorgelegen. Selbst wenn eine formlose Vollmacht genüge, sei sie nicht Begünstigte der Bewilligungen, weil sie lediglich für die Erzeuger der Kartoffeln als Vermittlerin gehandelt habe. Das habe die Kyritzer Stärke GmbH gewusst. Auch die Bewilligungsbehörde habe die Erzeuger der Kartoffeln gekannt; die Vertragsverhältnisse seien mit ihr abgestimmt gewesen. Der Behörde sei daher bewusst gewesen, dass die Kyritzer Stärke GmbH die tatsächlichen Kartoffelerzeuger vertrete. Dementsprechend sei sie, die Klägerin, nicht in das Bewilligungsverfahren einbezogen worden. Das formale Vertragsverhältnis zwischen ihr und der Kyritzer Stärke GmbH rechtfertige es nicht, sie gleichwohl als Begünstigte der Bewilligungsbescheide zu betrachten. Der Anbau- und Liefervertrag mit der Kyritzer Stärke GmbH ergänze einen Vertrag aus dem Jahr 1992 und stelle klar, dass er die beigefügten Einzelverträge mit den Erzeugern zusammenfasse. Dass sie, die Klägerin, in diesem als Erzeugerin bezeichnet werde, sei eine unschädliche Falschbezeichnung. Da von einem einheitlichen Vertrag auszugehen sei, seien die beteiligten Erzeuger als Erzeugervereinigung zu betrachten. Diese Konstruktion sei unionsrechtlich zulässig gewesen; denn es sei nicht vorgeschrieben, den Anbauvertrag in einem einzigen Dokument zu verkörpern. Vor diesem Hintergrund seien die Bewilligungen rechtmäßig und eine Rücknahme schon deshalb ausgeschlossen. Die erforderlichen Anbauverträge hätten vorgelegen und die Ausgleichszahlungen seien unstreitig vollständig an die Erzeuger ausgekehrt worden. Darüber hinaus könne sie sich auf Vertrauensschutz berufen, da sie keine falschen oder unrichtigen Angaben gemacht habe; der Bewilligungsbehörde seien die tatsächlichen Verhältnisse bekannt gewesen. Wenn sie im Antragsverfahren als Erzeugerin bezeichnet worden sei, sei ihr dies mangels formwirksamer Vollmacht nicht zuzurechnen. Abgesehen davon hätten die Ausgleichszahlungen auch bei Kenntnis der richtigen Angaben bewilligt werden müssen. Schließlich habe sie keinen Vorteil erlangt.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Entgegen dem Revisionsvorbringen sei die Klägerin nicht lediglich als Gehilfin der Kartoffelerzeuger tätig geworden. Vielmehr habe eine eigenständige Vertragsbeziehung zwischen ihr und der Kyritzer Stärke GmbH bestanden. Unzutreffend sei auch die Annahme, es habe sich um eine zulässige Erzeugervereinigung gehandelt. Im Übrigen sei mehrfach bestritten worden, dass die Klägerin unentgeltlich vermittelt habe. Es sei davon auszugehen, dass sie ihre Dienstleistung nicht selbstlos erbracht habe.
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Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Zwar verletzt das Berufungsurteil revisibles Recht im Sinne von § 137 Abs. 1 VwGO; es stellt sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).
Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Rücknahme- und Rückforderungsbescheid vom 4. September 2000 seine Rechtsgrundlage in § 10 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen und der Direktzahlungen (MOG) findet, das hier in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. Juni 2005 (BGBI I S. 1847), geändert durch Gesetz vom 13. April 2006 (BGBI I S. 855), anzuwenden ist. Diese Bestimmungen tragen der Verpflichtung der Mitgliedstaaten Rechnung, rechtswidrig gewährte Beihilfen der Europäischen Union in der Regel und - erforderlichenfalls - aufgrund nationaler Rechtsvorschriften zurückzufordern (Art. 4 Abs. 1 VO <EG, Euratom> Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und - für den Bereich der Gemeinsamen Agrarpolitik - Art. 9 Abs. 1 Buchst. a VO <EG> Nr. 1290/2005 des Rates vom 21. Juni 2005 über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik; vgl. auch EuGH, Urteil vom 12. Mai 1998 - Rs. C-366/95, Steff-Houlberg - Slg. I-2661, Rn. 15 m.w.N.).
1. Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 MOG sind rechtswidrige begünstigende Bescheide in den Fällen der §§ 6 und 8 MOG zurückzunehmen; § 48 Abs. 2 bis 4 und § 49a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) sind anzuwenden.
a) Bei den Ausgleichszahlungen, deren Bewilligungen zurückgenommen wurden, handelt es sich um unionsrechtlich im Sinne von § 1 Abs. 2 MOG geregelte Fälle einer produktbezogenen Beihilfe für Marktordnungswaren gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. g MOG (vgl. Teilurteil vom 9. Dezember 2004 - BVerwG 3 C 37.03 - Buchholz 451.90 Sonstiges Europäisches Recht Nr. 198 S. 61). Sie beruhen auf Art. 8 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1766/92 des Rates vom 30. Juni 1992 über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide (ABI Nr. L 181 S. 21 - im Folgenden: VO <EWG> Nr. 1766/92), der für das Wirtschaftsjahr 1995/96 in seiner zuletzt mit Verordnung (EG) Nr. 1863/95 des Rates vom 17. Juli 1995 (ABI Nr. L 179 S. 1) geänderten Fassung maßgeblich war.
b) Im Ergebnis ist das Berufungsgericht auch zu Recht davon ausgegangen, dass die Bescheide für das Wirtschaftsjahr 1995/96, soweit damit Ausgleichszahlungen für die von der Klägerin bezogenen, von ihr aber nicht erzeugten Stärkekartoffeln gewährt worden waren, gegenüber der Klägerin zurückzunehmen waren. Dabei hat es zutreffend zugrunde gelegt, dass ein rechtswidriger Verwaltungsakt gegenüber demjenigen zurückzunehmen ist, mit dem das durch den Verwaltungsakt begründete Rechtsverhältnis besteht, also gegenüber dem Regelungsadressaten oder dessen Rechtsnachfolger (Teilurteil vom 9. Dezember 2004 a.a.O. S. 62 m.w.N.). Das setzt zugleich voraus, dass der Verwaltungsakt gegenüber seinem Regelungsadressaten wirksam geworden ist. Beides ist in Bezug auf die Klägerin der Fall.
aa) Das Berufungsgericht hat die Bewilligungsbescheide dahin ausgelegt, dass die Klägerin Regelungsadressatin der auch der Höhe nach bestimmten Ausgleichszahlungen gewesen sei. Diese Auslegung ist wegen der Bindungswirkung der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) nicht in vollem Umfang revisibel. Was den tatrichterlich ermittelten Erklärungsinhalt der Bewilligungsbescheide betrifft, bedarf es grundsätzlich einer Verfahrensrüge, um die vorinstanzliche Auslegung einer revisionsgerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen. Der Revision unterliegt allerdings die Frage, ob die Auslegung des Tatsachengerichts die Auslegungsregeln beachtet und im Einklang mit allgemeinen Erfahrungssätzen und Denkgesetzen steht. Dabei darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass die Auslegung einer Willenserklärung ebenso wie die eines Verwaltungsakts kein ausschließlicher Akt der Tatsachenfeststellung, sondern ein Ineinander von tatsächlichen Feststellungen und Rechtsanwendungen ist (Urteil vom 31. Mai 2012 - BVerwG 3 C 12.11 - Buchholz 451.55 Subventionsrecht Nr. 113 Rn. 15, vgl. Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 137 Rn. 164 ff.).
Für die Auslegung eines Verwaltungsakts ist entsprechend §§ 133, 157 BGB der erklärte Wille maßgebend, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte. Abzustellen ist auf den Inhalt des Bescheides, aber auch auf die bekannten oder ohne Weiteres erkennbaren Begleitumstände. Dazu gehören insbesondere die einer Bewilligung vorausgehenden Anträge und die zugrundeliegenden Rechtsnormen. Der Bekanntgabeadressat ist nicht notwendig auch Regelungsadressat (vgl. Urteil vom 4. Dezember 2001 - BVerwG 4 C 2.00 - BVerwGE 115, 274 <279> und Teilurteil vom 9. Dezember 2004 a.a.O. S. 62).
Das Berufungsgericht ist ersichtlich von diesem materiell-rechtlichen Verständnis ausgegangen. Vor dem Hintergrund des in § 4a der Kartoffelstärkeprämienverordnung geregelten Verfahrens der Beantragung und Bewilligung von Ausgleichszahlungen über einen Stärkehersteller hat es festgestellt, dass die Kyritzer Stärke GmbH hinsichtlich der Ausgleichszahlungen lediglich Bekanntgabeadressatin der Bescheide war, während Regelungsadressaten die als Erzeuger von Stärkekartoffeln in den Blick genommenen Personen gewesen seien. Es hat diese Annahme zudem darauf gestützt, dass die Ausgleichszahlungen "zur Auszahlung an die anspruchsbeteiligten Stärkekartoffelerzeuger" gewährt wurden. Das entspricht der Rechtsprechung des Senats (Teilurteil vom 9. Dezember 2004 a.a.O. S. 62 f.).
Hinsichtlich der mit den Bewilligungsbescheiden begünstigten Personen und der Höhe der ihnen zuzuordnenden Ausgleichszahlungen hat das Berufungsgericht auf die in den Bewilligungsbescheiden jeweils in Bezug genommenen Abrechnungsläufe und die Antragsunterlagen abgestellt. Aus den nach Unionsrecht vorzulegenden Unterlagen und den in den vorgelegten Behördenakten dokumentierten Vorgängen ergebe sich, dass die zurückgeforderten Ausgleichszahlungen zum Anbau- und Liefervertrag zwischen der Kyritzer Stärke GmbH und der Klägerin und damit zu Gunsten der Klägerin erbracht worden seien.
Die Klägerin hat gegen diese tatsächlichen Feststellungen keine Verfahrensrügen erhoben. Auch rechtlich ist die Auslegung nicht zu beanstanden. Zwar wurden die Ausgleichszahlungen damit entgegen den Vorgaben des materiellen Rechts jemandem bewilligt, der selbst keine Stärkekartoffeln angebaut hat. Die Auslegung ist aber deshalb folgerichtig, weil die Klägerin in dem für die Bewilligung erforderlichen Anbauvertrag (Art. 8 Abs. 2 VO <EWG> Nr. 1766/92) zwischen ihr und dem Stärkeunternehmen Kyritzer Stärke GmbH als Erzeugerin benannt wurde und sich die Bewilligungen nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts auf diesen Vertrag beziehen. Der Einwand der Klägerin, sie habe den Vertrag mit der Kyritzer Stärke GmbH als Vertreterin der Stärkekartoffelerzeuger geschlossen, ist angesichts des Vertragsinhalts nicht berechtigt. Ein Anbauvertrag, wie er in Art. 1 Buchst. e der Verordnung (EG) Nr. 97/95 der Kommission vom 17. Januar 1995 (ABl Nr. L 16 S. 3) definiert war und dessen Mindestangaben Art. 4 Abs. 1 VO (EG) Nr. 97/95 regelte, musste unter anderem den Namen und die Anschrift des Erzeugers oder der Erzeugervereinigung und die Größe der Anbaufläche enthalten. Der Vertrag, auf den die Bewilligungen bezogen wurden, benennt als Erzeugerin ausdrücklich die Klägerin und enthält die Aussage, sie baue auf einer Fläche von 30 ha Stärkekartoffeln an. Er enthält keinen Hinweis auf ein Vertretungsverhältnis. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vertrag vom 15. Dezember 1992, der als Grundlage des Anbauvertrages genannt wird. Mit ihm erwarb die Klägerin von der Kyritzer Stärke GmbH entgeltlich ein "Lieferrecht" für Stärkekartoffeln "aus eigenem Anbau". Die Benennung der Klägerin als Erzeugerin ist auch keine unschädliche Falschbezeichnung. Die Klägerin knüpft mit dieser Überlegung an den zivilrechtlichen Grundsatz an, dass für den Vertragsinhalt ungeachtet des objektiven Erklärungsinhalts der Willenserklärungen der subjektive Wille der Parteien maßgeblich ist, wenn dieser übereinstimmt (falsa demonstratio non nocet). Auf den Anbauvertrag als Bewilligungsvoraussetzung der Ausgleichszahlung ist dieser Grundsatz jedoch unter den hier gegebenen Umständen nicht anwendbar; denn mit dem Vertrag sollte gegenüber der Bewilligungsbehörde der Nachweis der Bewilligungsvoraussetzungen geführt und deren Kontrolle ermöglicht werden (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 1985 - KZR 4/85 - NJW-RR 1986, 724 <726> m.w.N.). Dementsprechend lassen sich die Verträge zwischen der Klägerin und der Kyritzer Stärke GmbH sowie zwischen der Klägerin und den einzelnen Stärkekartoffelherstellern auch nicht als einheitliches Vertragsverhältnis deuten, in dem die Klägerin nicht Vertragspartei sondern lediglich Vermittlerin gewesen wäre.
bb) Das Berufungsgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin im Antragsverfahren wirksam durch die Kyritzer Stärke GmbH vertreten worden ist und sich deshalb deren Wissen um die Umstände, die vom Berufungsgericht bei seiner Auslegung berücksichtigt worden sind, zurechnen lassen muss (§ 166 Abs. 1 BGB analog).
Anders als das Berufungsgericht an anderer Stelle des Urteils entscheidungstragend darlegt (so seine Ausführungen zu dem Wirtschaftsjahr 1996/97 - UA S. 19 f.) und damit denknotwendig auch für das hier betroffene Wirtschaftsjahr voraussetzt, war dafür allerdings eine schriftliche Vollmacht nicht erforderlich. Deshalb greift die der Sache nach berechtigte Verfahrensrüge der Klägerin, sie habe niemals behauptet, der Kyritzer Stärke GmbH eine schriftliche Vollmacht erteilt zu haben, so dass ihr das Berufungsgericht nicht vorhalten dürfe, sich mit dem Bestreiten einer wirksamen Bevollmächtigung in Widerspruch zu ihrem bisherigen Vortrag zu setzen, im Ergebnis nicht durch.
Gemäß § 4a Abs. 1 Satz 1 der zwischenzeitlich außer Kraft getretenen Kartoffelstärkeprämienverordnung vom 25. August 1976 (BGBl I S. 2585) in der für das Wirtschaftsjahr 1995/96 geltenden Fassung vom 8. Dezember 1993 (BGBl I S. 2005) konnte sich ein Kartoffelerzeuger bei dem Antrag auf Gewährung der Ausgleichszahlung durch den Stärkehersteller, mit dem er einen Anbau- und Liefervertrag über zur Stärkeherstellung bestimmte Kartoffeln geschlossen hatte, vertreten lassen. Diese einseitig in der Rechtsmacht des Erzeugers stehende Möglichkeit verpflichtete den Stärkehersteller, den Antrag auf Gewährung von Ausgleichszahlungen im Namen des Erzeugers gleichzeitig mit seinem eigenen Prämienantrag nach § 4 der Verordnung schriftlich zu stellen, wobei seine Vertretungsbefugnis "durch schriftliche Vollmacht nachzuweisen" war (§ 4a Abs. 1 Satz 4 und 5 der Kartoffelstärkeprämienverordnung).
Das Berufungsgericht hat aus dem Wortlaut gefolgert, eine Vollmacht bedürfe "nicht nur" schriftlicher Form, sondern sei "zudem" in dieser Form nachzuweisen. Es hat damit im Ansatz zutreffend zwischen der Schriftform als Wirksamkeitsvoraussetzung und als (bloßes) Nachweiserfordernis unterschieden. Der Wortlaut der Vorschrift beschränkt sich jedoch auf die Aussage, dass ein Nachweis zu führen und dieser durch eine schriftliche Vollmacht zu erbringen ist.
Die aus Anlass der Einführung der Ausgleichszahlungen mit Eilverordnung vom 23. August 1993 (BGBl I S. 1512) eingefügte, nachfolgend mit Zustimmung des Bundesrates durch Änderungsverordnung vom 8. Dezember 1993 (BGBl I S. 2005) entfristete Regelung sollte das neben die Prämien für die Hersteller von Kartoffelstärke hinzutretende Bewilligungsverfahren für Ausgleichszahlungen vereinfachen und den zusätzlichen Verwaltungsaufwand gering halten (BRDrucks 747/93 S. 3). Mit dem schriftlichen Antrag und dem Nachweis in Schriftform gemäß § 4a Abs. 1 Satz 4 und 5 der Kartoffelstärkeprämienverordnung hat der Gesetzgeber das in § 4 der Kartoffelstärkeprämienverordnung für die Herstellerprämie enthaltene Prinzip des schriftlichen Verfahrens übernommen. Das diente einem möglichst einfachen und zugleich effektiven Verwaltungsverfahren, lässt aber nicht erkennen, dass die Erzeuger von Stärkekartoffeln durch ein Schriftformerfordernis hätten geschützt werden sollen. Dies bestätigt auch § 14 VwVfG. Ließ sich ein Kartoffelerzeuger nicht vom Stärkehersteller vertreten - was praktisch fern liegen mochte, aber möglich war - so war ihm nicht verwehrt, seinen Antrag von einem bevollmächtigten Dritten stellen zu lassen. Für die auf diesen Fall anwendbare allgemeine Regelung des § 14 VwVfG ist aber anerkannt, dass mit ihr eine bestimmte Form für die Erteilung einer Vollmacht nicht vorgegeben, sondern nur eine Nachweisregelung getroffen ist (vgl. Schmitz in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 14 Rn. 14; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 14 Rn. 17). Die Vorschriften unterscheiden sich lediglich darin, dass der Nachweis im Falle der Kartoffelstärkeprämienverordnung stets, im Falle des Verwaltungsverfahrensgesetzes nur auf Verlangen zu erbringen war. Schließlich führt auch der Gedanke des Berufungsgerichts nicht weiter, dass im Falle eines fehlenden Nachweises gemäß § 4a Abs. 1 Satz 5 der Kartoffelstärkeprämienverordnung nach den Grundsätzen einer Duldungsvollmacht ein schutzwürdiges Vertrauen der Bewilligungsbehörde in den Bestand einer Vollmacht nicht bestehe. Für die Frage, ob eine Vollmacht wirksam nur schriftlich oder aber auch formlos erteilt werden konnte, ist das nicht weiter bedeutsam. Entscheidend ist insoweit allenfalls die Schutzbedürftigkeit des Vertretenen, gegen den sich die Wirkungen der Vollmacht richten.
Vor diesem Hintergrund erweist sich das Urteil trotz des zu Recht gerügten Verfahrensmangels als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO), weil die Klägerin im Bewilligungsverfahren ungeachtet einer fehlenden schriftlichen Vollmacht wirksam von der Kyritzer Stärke GmbH vertreten wurde. Die Klägerin hat im Revisionsverfahren übereinstimmend mit ihrem früheren Vorbringen geltend gemacht, sie habe im Berufungsverfahren eine schriftliche Bevollmächtigung der Kyritzer Stärke GmbH bestritten, wobei die Betonung auf dem Fehlen der Schriftform gelegen habe. Hingegen habe sie nicht in Abkehr von ihrem bisherigen Vorbringen behauptet, die Kyritzer Stärke GmbH habe nicht als ihre Vertreterin gehandelt. Die Aktivität der Kyritzer Stärke GmbH im Rahmen des Antragsverfahrens auf Ausgleichszahlungen sei mit ihrem Wissen und ihrem Einverständnis erfolgt; die Handlungen seien abgestimmt gewesen. Dies geht über eine bloße Duldung hinaus und schließt die Annahme aus, die Kyritzer Stärke GmbH könnte als vollmachtlose Vertreterin gehandelt haben.
Der Annahme eines mit der Klägerin begründeten Rechtsverhältnisses lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass sie ihrerseits als Vertreterin der Kartoffelerzeuger gehandelt habe. Die Klägerin stützt sich dazu auf die von ihr mit den Erzeugern geschlossenen Verträge, die den Auftrag und die Vollmacht enthalten hätten, die Ausgleichszahlungen für die Erzeuger zu vermitteln. Das trifft so jedoch nicht zu. Die diesbezüglichen Anbau- und Lieferverträge des Wirtschaftsjahres 1995/96, die sich allein in einer vom 8. März 1995 datierenden Fassung in den Behördenakten finden, verweisen zunächst auf eine Vertragsmenge, über die die Klägerin verfüge (§ 1). Sämtliche Verpflichtungen sind so gefasst, dass sie zwischen der Klägerin und den Kartoffelerzeugern bestehen. Entgegen der Ansicht der Klägerin enthält § 6 dieser Verträge keine Bevollmächtigung. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Klägerin im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Vertrag vom 4. April 1995. Nach dessen § 6 "verfügte" der Erzeuger lediglich, dass die Ausgleichszahlungen an die Klägerin ausgezahlt werden sollten. Dem lässt sich aber nicht entnehmen, dass die Klägerin die Kyritzer Stärke GmbH nicht selbst, sondern im Namen der Erzeuger bevollmächtigt hat. Dies bestätigt im Übrigen auch die Praxis der Folgejahre. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bevollmächtigte die Klägerin die Kyritzer Stärke GmbH in den zwischen ihnen für die Wirtschaftsjahre 1996/97 und 1997/98 geschlossenen Anbau- und Lieferverträgen. Ist damit aber der Wille, in fremdem Namen zu handeln, nicht erkennbar hervorgetreten, so kommt der Mangel des Willens, im eigenen Namen zu handeln, nicht in Betracht (§ 164 Abs. 2 BGB analog).
cc) War danach die Kyritzer Stärke GmbH von der Klägerin bevollmächtigt, sie im Verfahren der Bewilligung der Ausgleichszahlungen zu vertreten, so wurden die an die Klägerin gerichteten Bewilligungsbescheide mit ihrer Bekanntgabe gegenüber der Kyritzer Stärke GmbH wirksam (§ 1 Abs. 1 NVwVfG, § 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG) und war das damit gegenüber der Klägerin begründete Rechtsverhältnis auch ihr gegenüber zurückzunehmen.
c) Mit der Beschränkung der Rücknahme der Bewilligungsbescheide auf Ausgleichszahlungen für von der Klägerin bezogene, von ihr aber nicht erzeugte Stärkekartoffeln, ist zugleich der Grund ihrer Rechtswidrigkeit aufgezeigt; denn gemäß Art. 8 Abs. 2 Buchst. a VO (EWG) Nr. 1766/92 konnten nur Erzeuger von zur Stärkeherstellung bestimmten Kartoffeln Ausgleichszahlungen erhalten. Erzeuger in diesem Sinne war nach der Begriffsdefinition des Art. 1 Buchst. d VO (EG) Nr. 97/95 jede natürliche oder juristische Person oder Vereinigung dieser Personen, die selbst oder von ihren Mitgliedern erzeugte Kartoffeln in ihrem Namen und für ihre Rechnung im Rahmen eines von ihr oder in ihrem Namen geschlossenen Anbauvertrags an ein Stärkeunternehmen lieferte. Dass die Klägerin damals keine Stärkekartoffeln erzeugt hat und damit nicht als Erzeugerin angesehen werden kann, ist unstreitig und bindend festgestellt. Sie war auch keine Erzeugervereinigung, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat.
d) Der Rücknahme der Bewilligungsbescheide steht Vertrauensschutz nicht entgegen. Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 MOG bestimmt sich dieser nach § 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG. Die Bewilligung darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf ihren Bestand vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG). Darauf kann sich allerdings von vornherein nicht berufen, wer die Bewilligung durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG).
Diese Bestimmungen sind hier mangels spezieller unionsrechtlicher Vertrauensschutzregelungen maßgeblich. Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass insbesondere die Vertrauensschutzregelungen des Integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystems keine Anwendung finden. Dem danach anzuwendenden nationalen Recht sind allerdings durch das Unionsrecht (auch) bei der Rückforderung von unionsrechtlichen Beihilfen Grenzen gezogen; den Interessen der Europäischen Union ist bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen in vollem Umfang Rechnung zu tragen (EuGH, Urteile vom 21. September 1983 - Rs. C-205 bis 215/82, Deutsche Milchkontor - Slg. 2633 Rn. 30 ff., vom 12. Mai 1998 - Rs. C-366/95, Steff-Houlberg - Slg. I-2661 Rn. 15 und vom 16. Juli 1998 - Rs. C-298/96, Oehlmühle - Slg. I-4767 Rn. 24).
Nach den Ausführungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin die Bewilligungen durch Angaben erwirkt, die in wesentlicher Beziehung unrichtig waren, indem sie in dem Vertrag mit der Kyritzer Stärke GmbH unzutreffend den Eindruck erweckt habe, dass sie als Erzeugerin Stärkekartoffeln auf einer Fläche von 30 ha anbaue. Diese von der Klägerin mit Verfahrensrügen nicht angegriffene Feststellung ist für den Senat bindend (§ 137 Abs. 2 VwGO). Das Berufungsgericht hat auch zutreffend darauf hingewiesen, dass der Ausschlusstatbestand des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG nicht bereits dann unanwendbar ist, wenn die Bewilligungsbehörde eine Mitverantwortung trifft (Urteil vom 14. August 1986 - BVerwG 3 C 9.85 - BVerwGE 74, 357 <363 f.>; vgl. auch Urteil vom 20. Oktober 1987 - BVerwG 9 C 255.86 - BVerwGE 78, 139 <142 f.>). Allerdings hat der Senat eine Ausnahme in Erwägung gezogen, wenn ein Begünstigter bei seinen objektiv unrichtigen Angaben ein Höchstmaß an Sorgfalt habe walten lassen, beispielsweise durch eine Erkundigung bei der zuständigen Behörde, sodass der Fehler nicht mehr seiner Verantwortungssphäre zugerechnet werden könne (Urteil vom 13. November 1997 - BVerwG 3 C 33.96 - RdL 1998, 102 <104> insoweit nicht veröffentlicht in BVerwGE 105, 354). Vergleichbar hat auch der Europäische Gerichtshof einem Unternehmen Vertrauensschutz gewährt, das sich auf Angaben eines Dritten verlassen hatte, die es nur mit unverhältnismäßigem Aufwand hätte kontrollieren können und auf die es berechtigt vertraut hat (EuGH, Urteile vom 12. Mai 1998 a.a.O. Rn. 21 ff. und vom 16. Juli 1998 a.a.O. Rn. 29 f.). In eine ähnliche Richtung weist - im hier nicht gegebenen Anwendungsbereich des Integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystems - Art. 73 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 796/2004 vom 21. April 2004 (ABl Nr. L 141 S.18), wonach eine Rückzahlungsverpflichtung dann nicht besteht, wenn die Zahlung auf einen Fehler im Verantwortungsbereich der Behörde zurückzuführen ist, der vom Betriebsinhaber billigerweise nicht erkannt werden konnte (vgl. Beschluss vom 20. Dezember 2012 - BVerwG 3 B 20.12 - Buchholz 451.505 Einzelne Stützungsregelungen Nr. 6 Rn. 10 f.). Hier verhält es sich jedoch so, dass die Vertragsangaben der Klägerin ersichtlich falsch waren. Ihrer Verantwortung dafür ist die Klägerin nicht schon wegen der Abstimmung mit der Bewilligungsbehörde und deren unzutreffender Auslegung des Unionsrechts enthoben. Der Europäische Gerichtshof hat in dem gleich gelagerten Verfahren der Emsland Stärke GmbH entschieden, dass der Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht gegen eine klare gemeinschaftsrechtliche Regelung - die Regelungen zur Erzeugereigenschaft und zum Anbauvertrag - angeführt werden kann und dass das rechtswidrige Verhalten der zuständigen nationalen Behörde kein berechtigtes Vertrauen begründet (EuGH, Urteil vom 16. März 2006 - Rs. C-94/05, Emsland Stärke GmbH - Slg. I-2622 Rn. 30-32). Darüber hinaus hat der Gerichtshof deutlich gemacht, dass es unerheblich ist, ob das materielle Ziel, dessen Erreichen durch Bewilligungsvoraussetzungen gewährleistet werden soll, tatsächlich erreicht wurde. Ausreichend sei, dass das Erreichen des Ziels - die Auszahlung des Mindestpreises an den tatsächlichen Erzeuger - gefährdet werde (EuGH, Urteil vom 16. März 2006 a.a.O. Rn. 36-38). Schließlich hat der Gerichtshof betont, dass bereits die Bewilligung von Prämien für Kartoffellieferungen, die nicht ordnungsgemäß durch einen Anbauvertrag mit einem Erzeuger gebunden sind, einen Schaden für den Haushalt der Union bewirke (EuGH, Urteil vom 16. März 2006 a.a.O. Rn. 52). Nichts anderes gilt für die Ausgleichszahlungen, weshalb unerheblich bleibt, ob die der Klägerin bewilligten Ausgleichszahlungen die Erzeuger der von ihr bezogenen Kartoffeln tatsächlich ungeschmälert erreicht haben. Für Vertrauensschutz der Klägerin bleibt danach kein Raum.
2. Vor diesem Hintergrund ist die Rückforderung der Ausgleichszahlungen gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 MOG und § 49a Abs. 1 VwVfG zwingende Rechtsfolge der Rücknahme der Bewilligungen. Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass sich die Klägerin nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen kann, da sie die tatsächlichen Umstände kannte, die die Rechtswidrigkeit bewirkt haben (§ 49a Abs. 2 VwVfG).
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BMJV
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public
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WBRE410020433
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BVerwG
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5. Senat
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20140717
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5 C 20/13
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Urteil
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§ 1 Abs 1 S 1 EntschG, § 3 Abs 1 S 1 Nr 4 EntschG, § 5a Abs 1 EntschG, § 5a Abs 4 EntschG, Art 3 Abs 1 GG, Art 14 GG, § 2 Abs 1 S 1 VermG
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vorgehend VG Magdeburg, 25. Februar 2013, Az: 5 A 69/12 MD, Urteil
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DEU
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Entziehung eines Binnenschiffs in der DDR; Bemessungsgrundlage und Höchstgrenze der Entschädigung
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Die Entschädigungsregelung für Geschäftsgrundstücke (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EntschG) ist auf Schiffe auch dann nicht anwendbar, wenn diese im Schiffsregister eingetragen sind oder waren. Sie ist auch im Hinblick auf die Höchstgrenze der Bemessungsgrundlage (§ 5a Abs. 4 EntschG) verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
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Die Beteiligten streiten um die Berechnung einer Entschädigung für die Enteignung von Binnenschiffen.
Für den bis 1955 in der Deutschen Demokratischen Republik eingetretenen Verlust von zwei Eimerkettenbaggern und sieben Spül- bzw. Baggerschuten, die im Schiffsregister eingetragen waren, steht dem Kläger als vermögensrechtlich Berechtigtem ein Entschädigungsanspruch zu.
Mit Bescheid vom 6. März 2012 erkannte ihm der Beklagte einen Entschädigungsbetrag von insgesamt 21 331,10 € (einschließlich Zinsen) zu, den er nach den Grundsätzen der Entschädigung für bewegliche Sachen berechnete.
Mit der hiergegen erhobenen Klage hat der Kläger eine höhere Entschädigung mit der Begründung begehrt, aus einer Zusammenschau der gesetzlichen Vorschriften ergebe sich, dass im Schiffsregister eingetragene Schiffe wie Grundvermögen zu behandeln seien. Bemessungsgrundlage müsse deshalb hier - wie für Geschäftsgrundstücke nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Entschädigungsgesetz (EntschG) - das 7fache des vor der Schädigung festgestellten Wertes sein.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Schiffe seien vom Beklagten zu Recht als bewegliche Sachen nach § 5a EntschG und nicht wie Grundvermögen entschädigt worden. Dass für bewegliche Sachen hinsichtlich der Bemessungsgrundlage eine Höchstgrenze von 40 000 DM gelte, sei nicht zu beanstanden.
Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er rügt eine Verletzung des § 3 EntschG sowie der Art. 3 und 14 des Grundgesetzes (GG). Das Verwaltungsgericht habe die Anwendung der Entschädigungsregelung für Grundstücke rechtsirrig abgelehnt. Durch die Berechnung des Beklagten sei er - der Kläger - im Verhältnis zu Grundstückseigentümern ohne zureichenden Grund ungleich behandelt worden, was zugleich einer entschädigungslosen Teilaufopferung bzw. Teilenteignung gleichkomme.
Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.
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Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das angegriffene Urteil steht mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) in Einklang, so dass die Revision zurückzuweisen ist (§ 144 Abs. 2 VwGO). Die in dem Schiffsregister eingetragenen Binnenschiffe, für deren Verlust dem Kläger eine Entschädigung zusteht (1.), unterfallen der Entschädigungsregelung für bewegliche Sachen (§ 5a des Gesetzes über die Entschädigung nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen - Entschädigungsgesetz <EntschG> - in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Juli 2004 - BGBl I S. 1658 -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Mai 2011 - BGBl I S. 920 -). Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Entschädigungsregelung für Geschäftsgrundstücke (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EntschG) hier nicht anwendbar (2.). § 5a EntschG ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (3.). Der angegriffene Bescheid hält auch im Übrigen einer revisionsgerichtlichen Kontrolle stand (4.).
1. Zwischen den Beteiligten steht zu Recht nicht im Streit, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 EntschG erfüllt sind und dem Kläger damit dem Grunde nach ein Anspruch auf Entschädigung für die ihm bis 1955 in der Deutschen Demokratischen Republik entzogenen Binnenschiffe zusteht. Auf der Grundlage der gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatrichterlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts ist der Kläger wegen der entschädigungslosen Enteignung der Binnenschiffe als Berechtigter im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz - VermG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Februar 2005 (BGBl I S. 205), zuletzt geändert durch Gesetz vom 1. Oktober 2013 (BGBl I S. 3719), anzusehen. Dies ergibt sich aus dem vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen vermögensrechtlichen Bescheid des Beklagten vom 1. September 2004, der nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts bestandskräftig geworden ist und dessen Festlegungen von den Beteiligten auch nicht in Zweifel gezogen worden sind.
2. Dem Kläger ist nicht darin zu folgen, dass für die Bemessung der Entschädigung die Entschädigungsregelung für Geschäftsgrundstücke (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EntSchG) anwendbar sei.
Die zwischen den Beteiligten allein streitige Höhe der Entschädigung bestimmt sich gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 EntschG nach der Bemessungsgrundlage (§§ 3 bis 5a EntschG). Hier ist nicht § 3 Abs. 1 Satz 1 EntschG einschlägig. Diese Bestimmung ist weder unmittelbar (a) noch auf der Grundlage einer Analogie (b) anzuwenden.
a) Eine unmittelbare Anwendung des § 3 Abs. 1 Satz 1 EntschG auf (im Schiffsregister eingetragene) Schiffe scheidet aus. Nach dieser Vorschrift ist Bemessungsgrundlage der Entschädigung für Grundvermögen einschließlich Gebäudeeigentum sowie für land- und forstwirtschaftliches Vermögen der vor der Schädigung zuletzt festgestellte Einheitswert, vervielfältigt mit einem Multiplikator, der - in fünf Gruppen gestaffelt - je nach Grundstücksart differiert und etwa für Geschäftsgrundstücke 7 (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EntSchG) beträgt.
Binnenschiffe werden von § 3 Abs. 1 Satz 1 EntSchG auch dann nicht erfasst, wenn diese im Schiffsregister eingetragen sind. Bei Schiffen handelt es sich um bewegliche Sachen (vgl. Ellenberger, in: Palandt, BGB, 71. Aufl. 2012, Überbl. vor § 90 Rn. 3). Es bedarf keiner weiteren Begründung, dass sie den in der Bestimmung verwendeten Begriffen des Gebäudeeigentums, des land-und forstwirtschaftlichen Vermögens sowie des Grundstücks nicht unterfallen.
Schiffe können auch nicht dem Begriff des Grundvermögens zugeordnet werden. Wie sich aus dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenhang des § 3 Abs. 1 Satz 1 EntSchG ergibt, nimmt der entschädigungsrechtliche Begriff des Grundvermögens auf das steuerliche Bewertungsrecht Bezug. Er stimmt mit dem bewertungsrechtlichen Begriff des Grundvermögens überein (vgl. Urteil vom 26. Januar 2011 - BVerwG 5 C 3.10 - BVerwGE 138, 385 = Buchholz 428.41 § 3 EntschG Nr. 10, jeweils Rn. 13). Dieser erstreckt sich nicht auf Schiffe.
b) Die Schiffe, für die der Kläger Entschädigung begehrt, sind hinsichtlich der Bemessungsgrundlage auch nicht im Wege der Analogie als Grundstücke zu behandeln.
Jede Art der gesetzesimmanenten richterlichen Rechtsfortbildung - hier die Analogie - setzt eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus (vgl. Urteile vom 12. September 2013 - BVerwG 5 C 35.12 - BVerwGE 148, 13 Rn. 27 und vom 18. April 2013 - BVerwG 5 C 18.12 - Buchholz 436.511 § 93 SGB VIII Nr. 5 Rn. 22, jeweils m.w.N.). Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, dürfen die Gerichte diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern oder durch eine eigene Lösung ersetzen. Ob eine Gesetzeslücke vorliegt, ist danach zu beurteilen, ob die vom Regelungsprogramm des Gesetzgebers erfassten Fälle in den gesetzlichen Vorschriften tatsächlich Berücksichtigung gefunden haben. Sie ist zu bejahen, wenn festzustellen ist, dass der Wortlaut der Vorschrift nicht alle Fälle erfasst, die nach dem Sinn und Zweck der Regelung erfasst sein sollten (vgl. Urteile vom 12. September 2013 a.a.O. und vom 18. April 2013 a.a.O., jeweils m.w.N.).
Liegt eine Gesetzeslücke vor, ist diese im Fall der Einzelanalogie durch Übertragung der Rechtsfolge einer Bestimmung zu schließen, wenn der ungeregelte Sachverhalt wegen einer vergleichbaren Sach- und Interessenlage dem geregelten Fall ähnlich ist (vgl. Urteil vom 12. September 2013 a.a.O. Rn. 36). Bei der Lückenschließung im Wege der Gesamtanalogie wird mehreren gesetzlichen Bestimmungen, die an verschiedene Tatbestände anknüpfen, ein "allgemeiner Rechtsgrundsatz" entnommen, der auf den im Gesetz nicht geregelten Tatbestand wertungsmäßig ebenso zutrifft wie auf die geregelten Tatbestände (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 384). An den vorstehenden Grundsätzen gemessen sind die in Rede stehenden Schiffe nicht wie Grundstücke zu entschädigen.
aa) Die entschädigungsrechtliche Gleichbehandlung dieser Schiffe mit Grundstücken kann nicht mit einer Gesamtanalogie begründet werden. Deren Voraussetzungen liegen schon deshalb nicht vor, weil dem gesetzten Recht kein allgemeiner Grundsatz zu entnehmen ist, nach dem im Schiffsregister eingetragene (Binnen-)Schiffe rechtlich wie Grundstücke zu behandeln sind.
Ein solcher Grundsatz findet sich im Zivilrecht nicht. Eingetragene Schiffe werden bürgerlich-rechtlich nicht in jeder Hinsicht den Grundstücken gleichgestellt. So fehlt etwa eine Regelung im Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, die Schiffe als unbewegliche Sachen einordnet. Diese sind - wie bereits aufgezeigt - im zivilrechtlichen Sinn bewegliche Sachen. Es gibt auch keine Rechtsnorm des materiellen Zivilrechts oder des Zivilprozessrechts, die eine pauschale Gleichstellung mit Grundstücken anordnet. Diese Rechtsgebiete enthalten neben Spezialregelungen für Schiffe nur partielle Bezugnahmen auf das Grundstücksrecht, insbesondere auf Regelungen, die an das Grundbuch als mit dem Schiffsregister vergleichbares Register anknüpfen.
So richtet sich die Eigentumsübertragung von im Schiffsregister eingetragenen See- und Binnenschiffen nach dem besonderen Schiffssachenrecht, das eigene differenzierte Regelungen aufweist und dem Grundstücksrecht nur angenähert ist. Die Schiffsregisterordnung in der Fassung vom 26. Mai 1994 (BGBl I S. 1133) regelt formelle, das Gesetz über Rechte an eingetragenen Schiffen und Schiffsbauwerken (Schiffsregistergesetz - SchRG) vom 15. November 1940 (RGBl I, S. 1499), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 91), dagegen materielle Fragen. Danach werden eingetragene Seeschiffe durch Einigung übertragen, und ihre Eintragung im Schiffsregister ist nur deklaratorischer Natur. Bei eingetragenen Binnenschiffen ist die Eintragung konstitutiv (§ 2 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 SchRG). Nicht eingetragene Binnenschiffe werden nach der sachenrechtlichen Regelung über bewegliche Sachen (§ 929 BGB) übertragen. Nach § 929a Abs. 1 BGB ist zur Übertragung des Eigentums an einem Seeschiff, das nicht im Register eingetragen ist, oder an einem Anteil an einem solchen Schiff die Übergabe nicht erforderlich, wenn der Eigentümer und der Erwerber darüber einig sind, dass das Eigentum sofort übergehen soll.
Auch in der Zivilprozessordnung unterstellt der Gesetzgeber die Schiffe nicht pauschal dem für Grundstücke geltenden Rechtsregime, sondern trifft gesonderte Einzelregelungen mit begrenzten Verweisungen. So erfolgt nach § 870a Abs. 1 Satz 1 ZPO die Zwangsvollstreckung in ein eingetragenes Schiff oder in ein Schiffsbauwerk, das im Schiffsbauregister eingetragen ist oder in dieses Register eingetragen werden kann, durch Eintragung einer Schiffshypothek für die Forderung oder durch Zwangsversteigerung. § 870a Abs. 2 ZPO erklärt bestimmte Regelungen über die Zwangsvollstreckung in ein Grundstück für entsprechend anwendbar. Anders als bei Grundstücken hat der Gesetzgeber damit jedoch die Zwangsverwaltung bei eingetragenen Schiffen nicht gestattet (vgl. Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, 33. Aufl. 2012, § 870a Rn. 1).
Auch im Steuerrecht werden im Schiffsregister eingetragene Schiffe nicht durchgängig wie Grundstücke behandelt oder diesen gleichgesetzt. Zwar werden nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vom 8. Oktober 2009 (BGBl I S. 3366, 3862), vor der Verkündung dieser Entscheidung zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. Dezember 2013 (BGBl I S. 4318), Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung von Schiffen, die im Schiffsregister eingetragen sind, wie solche aus unbeweglichem Vermögen behandelt, obwohl Schiffe im bürgerlich-rechtlichen Sinn bewegliche Sachen sind (vgl. BFH, Urteil vom 2. Mai 2000 - IX R 71/96 - BB 2000, 2081 <2082> m.w.N.). Der sachliche Grund für diese einkommensteuerrechtliche Gleichbehandlung von bestimmten beweglichen Sachen mit Immobilien liegt darin, dass in ein öffentliches Register eingetragene bewegliche Sachen ähnlich wie Immobilien auf Dauer als Einkunftsquellen geeignet und für Zwecke der Besteuerung einfach zu erfassen sind.
Soweit der Gesetzgeber die zivilprozessualen Regelungen über die Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen bei im Schiffsregister eingetragenen Schiffen für anwendbar erklärt (§ 322 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung <AO>, vom 1. Oktober 2002 - BGBl I S. 3866, 2003 I S. 61 -, vor der Verkündung dieser Entscheidung zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. Dezember 2013 - BGBl I S. 4318 -) hat er zugleich Sonderregelungen vorgesehen, welche diese Verweisung teilweise wieder einschränken oder modifizieren (vgl. z.B. § 322 Abs. 1 Satz 3 AO).
Von einer pauschalen steuerrechtlichen Gleichbehandlung von eingetragenen Schiffen und unbeweglichen Sachen wurde ebenfalls abgesehen. Das zeigt sich etwa daran, dass das differenzierte Grundsteuerrecht, mit dem die Eigentümer von Grundbesitz veranlagt werden, für Schiffe nicht gilt. Nach § 2 des Grundsteuergesetzes vom 7. August 1973 (BGBl I S. 965), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Dezember 2008 (BGBl I S. 2794), belastet die Grundsteuer den Grundbesitz im Sinne des Bewertungsgesetzes, d.h. Betriebe der Land- und Forstwirtschaft, Betriebsgrundstücke und private Grundstücke, nicht aber den Besitz von (eingetragenen) Schiffen.
Im Vermögensrecht gibt es ebenfalls keine gesetzlichen Regelungen, die (eingetragene) Schiffe pauschal mit Grundstücken gleichsetzen. Im Hinblick auf die zu restituierenden Vermögenswerte unterscheidet § 2 Abs. 2 Satz 1 VermG u.a. zwischen beweglichen Sachen einerseits und bebauten und unbebauten Grundstücken sowie rechtlich selbständigen Gebäuden und Baulichkeiten, Nutzungsrechten und dinglichen Rechten an Grundstücken oder Gebäuden andererseits. Schiffe fallen zweifellos nicht unter die zweite Kategorie, sondern sind als bewegliche Sachen im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 1 VermG anzusehen.
Auch § 34 Abs. 5 VermG ist kein allgemeiner Grundsatz des Inhalts zu entnehmen, dass im Schiffsregister eingetragene Binnenschiffe entschädigungsrechtlich Grundstücken gleichzustellen sind. Die Bestimmung sieht für solche Schiffe und für im Schiffsbauregister eingetragene Schiffsbauwerke die entsprechende Anwendung des § 34 Abs. 2 VermG vor. § 34 Abs. 2 Satz 1 VermG betrifft u.a. die Rückübertragung von Eigentums- und sonstigen dinglichen Rechten an Grundstücken und regelt, dass die Behörde das Grundbuchamt um die erforderliche Berichtigung des Grundbuchs ersucht. § 34 Abs. 5 VermG trägt dem Umstand Rechnung, dass im Fall der Rückübertragung bei in den entsprechenden Registern eingetragenen Schiffen oder Schiffsbauwerken die Eintragungen unrichtig werden und zu berichtigen sind. Wegen der insoweit bestehenden Parallelität zur Notwendigkeit der Berichtigung des Grundbuchs bei der Rückübertragung von Eigentums- oder sonstigen dinglichen Rechten an Grundstücken gilt § 34 Abs. 2 VermG entsprechend. Die Bestimmung regelt eine spezielle registerrechtliche Problematik. Ihr kann der für eine Gesamtanalogie erforderliche allgemeine Rechtsgrundsatz, dass im Schiffsregister eingetragene (Binnen-)Schiffe rechtlich wie Grundstücke zu behandeln sind, nicht entnommen werden. Schließlich sind auch keine anderen vermögensrechtlichen Bestimmungen ersichtlich, aus denen ein solcher Grundsatz abzuleiten wäre.
bb) Die entsprechende Anwendung des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EntSchG kann nicht im Wege einer Einzelanalogie hergeleitet werden. Es fehlt insoweit bereits an der Planwidrigkeit einer Gesetzeslücke. Zwar enthält § 3 Abs. 1 Satz 1 EntSchG keine Regelung über die Bemessungsgrundlage der Entschädigung von Schiffen. Diese Lücke entspricht hingegen dem Willen des Gesetzgebers.
In diese Richtung weist bereits der Umstand, dass - wie aufgezeigt - der Gesetzgeber in anderen Rechtsbereichen einschließlich des Vermögensrechts Sonderregelungen für eingetragene Schiffe geschaffen hat. Dem ist deutlich zu entnehmen, dass die Vernachlässigung von Schiffen im Rahmen des § 3 Abs. 1 Satz 1 EntSchG nicht Ausdruck eines Versehens ist, sondern dem gesetzgeberischen Plan entspricht.
Dieser Befund wird bestätigt von dem systematischen Zusammenhang des § 3 Abs. 1 Satz 1 EntschG mit dem steuerlichen Bewertungsrecht. Die Bestimmung ist - worauf schon hingewiesen wurde - systematisch auf das Grundvermögen im Sinne des steuerlichen Bewertungsrechts zugeschnitten. Das Bewertungsrecht erfasst jedoch - wie ebenfalls bereits aufgezeigt - Schiffe auch dann nicht, wenn sie im Schiffsregister eingetragen sind. Dementsprechend wird für Schiffe kein Einheitswert festgesetzt.
Vor dem geschilderten systematischen Hintergrund spricht auch die vom Gesetzgeber mit dem Bezug auf das steuerliche Bewertungsrecht im Rahmen des § 3 EntschG verfolgte Zwecksetzung dagegen, die fehlende Einbeziehung von Schiffen in den Regelungsbereich des § 3 Abs. 1 Satz 1 EntSchG als planwidrig anzusehen. Der von der Bestimmung vorgesehene Rückgriff auf die in der Vergangenheit verbindlich festgelegten Einheitswerte dient der Verwaltungsvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung (vgl. Beschluss vom 29. Oktober 2013 - BVerwG 5 B 71.13 - juris Rn. 6 m.w.N.). Dieser Zweck einer einfachen Wertermittlung kann bei (eingetragenen) Schiffen von vornherein nicht erreicht werden, weil diese nicht dem steuerlichen Bewertungsrecht unterliegen und unterlagen und deshalb auch in der Vergangenheit für sie keine Einheitswerte festgesetzt worden sind. Auch dies erweist sich als gewichtiger Hinweis darauf, dass es nicht der Vorstellung des Gesetzgebers entspricht, Schiffe in den Regelungsbereich des § 3 Abs. 1 Satz 1 EntSchG einzubeziehen.
Dies gilt gleichermaßen für die differenzierten und auf verschiedene Grundstücksarten bezogenen Regelungen in § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5 EntschG, die aufgrund der tatsächlichen Unterschiede bei (eingetragenen) Schiffen keine Entsprechung finden können.
Die Entstehungsgeschichte des § 5a EntschG bestätigt die Annahme, dass es der Gesetzgeber nicht versehentlich unterlassen hat, die Entschädigung von Schiffen einer gesonderten Regelung zuzuführen und wie Grundstücke im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EntSchG zu entschädigen. § 5a EntSchG regelt die Bemessungsgrundlage der Entschädigung für bewegliche Sachen. Er sieht u.a. vor, dass insoweit Bemessungsgrundlage der im Verhältnis 2 zu 1 auf Deutsche Mark umgestellte Wert der Sache zum Zeitpunkt der Entziehung ist (Abs. 1 Satz 1), und dass die Höchstgrenze der Summe der Bemessungsgrundlage für sämtliche zu entschädigenden beweglichen Sachen eines Berechtigten 40 000 Deutsche Mark beträgt (Abs. 4). Mit der Einfügung des § 5a in das Entschädigungsgesetz durch das Vermögensrechtsergänzungsgesetz vom 15. September 2000 (BGBl I S. 1382) verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, eine bis dahin fehlende Bemessungsgrundlage für die Entschädigung beweglicher Sachen, die nicht bereits Gegenstand einer Unternehmensrestitution oder -entschädigung sind (vgl. Urteil vom 19. November 1998 - BVerwG 7 C 40.97 - BVerwGE 107, 380 <385 f.> = Buchholz 428 § 9 VermG Nr. 3 S. 12 <16 f.>), zu schaffen. Dabei ging er erkennbar davon aus, mit § 5a EntSchG werde die Gesetzeslücke abschließend ausgefüllt und für alle diese beweglichen Sachen eine Entschädigungsregelung geschaffen (vgl. BTDrucks 14/1932 S. 10). Dies schließt es aus, für in § 5a EntSchG nicht speziell aufgeführte bewegliche Sachen - wie etwa Schiffe - eine planwidrige Gesetzeslücke anzunehmen.
3. Der für die Bemessung der Entschädigung - wie sich aus dem Vorstehenden ergibt - hier einschlägige § 5a EntSchG steht mit Verfassungsrecht im Einklang.
a) Die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG ist nicht verletzt.
§ 5a EntschG ist nicht an Art. 14 GG zu messen. Dieses Grundrecht scheidet als Prüfungsmaßstab für die Wiedergutmachung der unter der Verantwortung der Deutschen Demokratischen Republik begangenen rechtsstaatswidrigen Vermögenseingriffe aus. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 22. November 2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - BVerfGE 102, 254 <297> m.w.N.) lässt sich eine Pflicht der Bundesrepublik Deutschland zur Wiedergutmachung von Unrecht einer nicht an das Grundgesetz gebundenen Staatsgewalt nicht aus einzelnen Grundrechten herleiten. Dem Eigentumsgrundrecht des Art. 14 GG sind deshalb für die Frage, ob und in welchem Umfang die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist, für derartiges Unrecht einen Ausgleich zu schaffen, keine Vorgaben zu entnehmen. Das Gleiche gilt für die Art einer Wiedergutmachung und deren Ausgestaltung im Einzelnen. So verpflichtet Art. 14 GG den Bundesgesetzgeber etwa weder zu einer Wiedergutmachung von Vermögensschäden in der Form einer Rückgabe rechtsstaatswidrig entzogener Vermögenswerte noch zur Eröffnung von Wiedererwerbsmöglichkeiten oder zu einer Entschädigung. Da Art. 14 GG als Prüfungsmaßstab für die Wiedergutmachung der unter der Verantwortung der Deutschen Demokratischen Republik begangenen rechtsstaatswidrigen Vermögenseingriffe ausscheidet, kommt auch nicht in Betracht, aus der Wertentscheidung des Art. 14 Abs. 1 GG zugunsten des Privateigentums oder aus der Entschädigungsregelung des Art. 14 Abs. 3 GG Vorgaben für die Bemessung der Entschädigung nach dem Entschädigungsgesetz abzuleiten (vgl. BVerfG, Urteil vom 22. November 2000 a.a.O. <300>).
b) Der allgemeine Gleichheitssatz ist gleichfalls nicht verletzt. Insbesondere erweist sich die Begrenzung der Bemessungsgrundlage auf 40 000 Deutsche Mark nach § 5a Abs. 4 EntschG auch im Hinblick auf die vom Kläger angeführte Fallgruppe der zur Berufsausübung dienenden eingetragenen Schiffe als mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar.
Der Senat geht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts davon aus, dass dem Gesetzgeber auf dem Gebiet der Wiedergutmachung auch im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG ein besonders weites Beurteilungsermessen zusteht und er den Gleichheitssatz nur in seiner Bedeutung als Willkürverbot zu beachten hat. Verboten ist dem Gesetzgeber danach die willkürlich ungleiche Behandlung von Sachverhalten, die in wesentlichen Punkten gleich sind. Welche Sachverhaltselemente so wichtig sind, dass ihre Verschiedenheit eine Ungleichbehandlung rechtfertigt, unterliegt regelmäßig seiner Entscheidung. Der Spielraum des Gesetzgebers endet erst dort, wo die ungleiche Behandlung nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo mit anderen Worten ein sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt (BVerfG, Urteil vom 22. November 2000 a.a.O. <299> m.w.N.). Daran gemessen liegt der von dem Kläger gerügte Grundrechtsverstoß nicht vor (vgl. Zimmermann, in: Rechtshandbuch Vermögen und Investitionen in der ehemaligen DDR, Stand 2013, § 4 EntSchG Rn. 10 und Broschat, in: Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, EntSchG, Stand Oktober 2010, § 4 Rn. 43).
aa) Die Ungleichbehandlung derjenigen Entschädigungsberechtigten, denen eine bewegliche Sache im Wert zum maßgeblichen Zeitpunkt der Schädigung von bis zu 40 000 Deutsche Mark entzogen wurde, gegenüber denjenigen Entschädigungsberechtigten, bei denen der Wert der entzogenen beweglichen Sache über 40 000 Deutsche Mark lag, ist nicht gleichheitswidrig. Zwar wird durch die Begrenzung der Bemessungshöhe die zuletzt genannte Gruppe im Vergleich zu der zuerst angeführten schlechter gestellt. Diese Ungleichbehandlung ist jedoch noch mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 22. November 2000 a.a.O. <310 f. und 312 f.>) ist der Gesetzgeber auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich nicht gehalten, die Höhe der Entschädigung vornehmlich an der Verkehrswerthöhe des verlorenen Vermögens auszurichten. Er konnte auch andere zentrale Gesichtspunkte des Entschädigungsrechts bei der Bewältigung von Folgen des Krieges und der deutschen Teilung berücksichtigen. Dazu gehört das Verhältnis dieser Vermögensentschädigung zu anderen Entschädigungs- oder Wiedergutmachungsleistungen. Die Höhe der Entschädigungsleistung für verlorenes Vermögen ist nicht allein an dessen Wert zu bemessen, sondern auch an den Entschädigungen für anderes begangenes Unrecht, das nicht minder schwer wiegt als der Verlust des Eigentums, bei dem Entschädigungen aber nur in geringem Maße zu realisieren sind. Vor diesem Hintergrund kann die Begrenzung der Entschädigung auf das in § 5a Abs. 4 EntSchG vorgesehene Maß nicht als willkürlich angesehen werden.
Nichts anderes gilt mit Blick darauf, dass diese Begrenzung diejenigen begünstigt, deren Schaden die Höchstgrenze nicht übersteigt. Damit hat der Gesetzgeber aus sozialen Gründen sichergestellt, dass der Vermögensverlust umso höher ausgeglichen wird, je kleiner das Vermögen gewesen ist. Das insofern verfolgte Ziel, bei der Entschädigung soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen, findet seine verfassungsrechtliche Begründung im Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG und rechtfertigt deshalb auch Differenzen zwischen dem Wert des verlorenen Vermögens und der Höhe der Entschädigungsleistung (vgl. BVerfG, Urteil vom 22. November 2000 a.a.O. <314>).
Schließlich ist die mit der Höchstgrenze einhergehende Ungleichbehandlung der hier interessierenden Vergleichsgruppe auch deshalb nicht willkürlich, weil der Gesetzgeber bei der Bewältigung der Folgen des Krieges und der deutschen Teilung auch den insoweit zentralen Gesichtspunkt der Erfüllung der für notwendig erachteten weiteren Aufbauarbeiten der deutschen Einigung in Rechnung stellen durfte. Er durfte Vorsorge dafür treffen, dass neben der Gewährung von Wiedergutmachungs- und Entschädigungsleistungen als erforderlich angesehene weitere Aufgaben aus Anlass der deutschen Einigung erfüllt werden konnten. Im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums durfte er auch darauf Rücksicht nehmen, welche finanziellen Möglichkeiten er zur Wiedergutmachung unter Berücksichtigung der sonstigen Staatsaufgaben hat. Bei der Finanzierung der mit der deutschen Einigung verbundenen Aufgaben durfte er Prioritäten zugunsten gemeinwohlorientierter Projekte setzen und um deren Realisierung willen die Summe der den Entschädigungsberechtigten zufließenden Haushaltsmittel auf ein insgesamt finanzierbares Maß zurückführen. Auch dieser Gesichtspunkt rechtfertigt die ungleiche Behandlung (vgl. BVerfG, Urteil vom 22. November 2000 a.a.O. <303 f. und 310 ff.>).
bb) Die Höchstgrenze erweist sich nicht deshalb als gleichheitswidrig, weil die Entschädigung wegen des Entzugs einer beweglichen Sache nach § 5a Abs. 4 EntSchG in der Höhe begrenzt ist, während derjenige, dem eine solche Sache rückübertragen wird, in den ungeschmälerten Genuss des Wertes der Sache gelangt.
Diese Ungleichbehandlung stellt sich deshalb nicht als willkürlich dar, weil der Gesetzgeber - wie aufgezeigt - berücksichtigen durfte, dass die Entschädigung anderen Unrechts als des Entzugs des Vermögens nur in geringem Maße zu realisieren ist und er im Interesse der Finanzierung mit der deutschen Einheit einhergehende gemeinwohlorientierte Projekte die Entschädigungssumme begrenzen durfte.
cc) § 5a EntSchG hält Art. 3 Abs. 1 GG auch mit Blick darauf stand, dass sich die Entschädigung wegen der Entziehung einer beweglichen Sache an dem Wert zum Zeitpunkt der Schädigung ausrichtet und nach § 5a Abs. 4 EntSchG höhenmäßig begrenzt ist, während diejenigen, denen ein Grundstück entzogen wurde, eine nach § 3 EntSchG ungedeckelte Entschädigung auf der Grundlage des vor der Schädigung zuletzt festgestellten und vervielfachten Einheitswerts unter Beachtung der Degressionsregelung (§ 7 EntSchG) beanspruchen können.
Die damit verbundene unterschiedliche Behandlung für die Entschädigung von beweglichen Sachen einerseits und Grundvermögen andererseits ist bei Zugrundelegung des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers im Wiedergutmachungsrecht nicht willkürlich. Sie knüpft insbesondere an die für die Rechtsordnung grundlegende Unterscheidung zwischen beweglichen Sachen und unbeweglichen Sachen (Grundvermögen) an und berücksichtigt in tatsächlicher Hinsicht deren typischerweise unterschiedliche Wertentwicklung.
Ein bedeutsamer Unterschied zwischen beweglichen Sachen einerseits und sonstigen Vermögenswerten - insbesondere Grundstücken - liegt darin, dass bewegliche Sachen in der Wirklichkeit leichter abhandenkommen, regelmäßig einem zeitbedingten Wertverlust unterliegen und bis zum Substanzverzehr abgenutzt werden können (vgl. Urteil vom 19. November 1998 - BVerwG 7 C 40.97 - BVerwGE 107, 380 <386> = Buchholz 428 § 9 VermG Nr. 3 S. 12 <17>). Demgegenüber verhält es sich bei Grundvermögen erfahrungsgemäß eher umgekehrt. Dies gilt insbesondere für die Entwicklung des Wertes von Grundvermögen im Beitrittsgebiet nach Herstellung der deutschen Einheit. Infolge des Wegfalls der deutschen Teilung sind die Verkehrswerte der Immobilien in den neuen Ländern im Durchschnitt erheblich gestiegen. Der Unterschied in der Wertentwicklung von Grundvermögen und beweglichen Sachen spiegelt sich in den unterschiedlichen Regelungen über Entschädigung wider.
Der Wertsteigerung von Grundvermögen hat der Gesetzgeber im Rahmen des § 3 EntSchG dadurch Rechnung getragen, dass sich die Bewertung solchen Vermögens an ihrem angenommenen Wert zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung orientiert. Zweck des Abstellens auf den vor der Schädigung zuletzt festgestellten Einheitswertes und dessen differenzierte Vervielfachung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5 EntschG ist es, die Höhe der Entschädigung an den fiktiven Verkehrswert der jeweiligen Grundstücksart im Zeitpunkt der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 zu knüpfen.
Da bei beweglichen Sachen eine Wertsteigerung typischerweise nicht zu verzeichnen ist, verzichtet § 5a EntSchG darauf, die Bemessungsgrundlage der Entschädigung an einem fiktiven Wert zum Zeitpunkt der deutschen Einigung auszurichten. Soweit die Bemessungsgrundlage auf den Wert der Sache zum Zeitpunkt der Entziehung abstellt (§ 5a Abs. 1 Satz 1 EntSchG), hat der Gesetzgeber noch außer Betracht gelassen, dass sich der Wert von beweglichen Sachen vom Schädigungszeitpunkt während des Bestehens der Deutschen Demokratischen Republik bis zur Wiedervereinigung typischerweise deutlich verringert hätte oder gar ein Substanzverzehr zu verzeichnen gewesen wäre. Insbesondere hat er zugunsten der Berechtigten davon abgesehen, zeitlich gestufte Abschläge vorzusehen. Den Besonderheiten der Wertentwicklung bei beweglichen Sachen hat er aber nicht nur dadurch Rechnung getragen, dass er hinsichtlich der Bemessungsgrundlage nicht auf einen fiktiven Wert zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung abgestellt hat, sondern auch in der Weise, dass er die Bemessungsgrundlage auf 40 000 Deutsche Mark begrenzt hat. Aufgrund der aufgezeigten tatsächlichen Unterschiede zwischen beweglichen Sachen und Grundvermögen, erweist sich dies als willkürfrei.
Der Senat verkennt nicht, dass die Höchstgrenze des § 5a Abs. 4 EntSchG im Einzelfall bei bestimmten beweglichen Sachen, bei denen die typischerweise anzunehmende Wertentwicklung nicht eingetreten wäre oder deren Wert zum Zeitpunkt der Entziehung 40 000 Deutsche Mark sehr deutlich überstieg, zu Härten führen kann. Auch mit Blick auf das dem Gesetzgeber auf dem Gebiet der Wiedergutmachung zustehende besonders weite Beurteilungsermessen sind pauschalierende und typisierende Regelungen aber nicht schon dann als gleichheitswidrig anzusehen, wenn sie im Einzelfall Unzuträglichkeiten bewirken.
4. Der streitige Bescheid des Beklagten ist auch im Übrigen revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere sind Fehler bei der auf der Grundlage des § 5a EntSchG vorgenommenen Berechnung der Entschädigungshöhe nicht ersichtlich.
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Deutschland
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public
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WBRE410020434
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BVerwG
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8. Senat
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20140915
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8 B 30/14
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Beschluss
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§ 17 Abs 1 S 1 GVG, § 17a GVG, § 17b Abs 2 GVG, § 43 Abs 1 VwGO, § 47 Abs 1 VwGO, § 47 Abs 5 VwGO, § 5 Abs 1 TVG, § 5 Abs 4 TVG, Art 2 Nr 1b TarifAStG
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vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 30. Januar 2014, Az: 1 L 104.13, Beschluss vorgehend VG Berlin, 19. August 2013, Az: 4 K 49.12
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DEU
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Gerichtsbarkeitsklausel des § 47 Abs. 1 VwGO findet keine Anwendung auf Feststellungsklagen
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Die Gerichtsbarkeitsklausel nach § 47 Abs. 1 VwGO findet keine Anwendung auf Klagen zur Feststellung der Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte durch Normen nach § 43 Abs. 1 VwGO (im Anschluss an Urteil vom 28. Januar 2010 - BVerwG 8 C 38.09 - BVerwGE 136, 75 Rn. 32 ff.).
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I.
Die Parteien streiten um die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs.
Die Klägerin, eine tariflich ungebundene Arbeitgeberin des Baugewerbes, wendet sich mit ihrer Klage gegen die Allgemeinverbindlicherklärung näher bezeichneter Tarifvertragswerke für das Baugewerbe für die Jahre 2004 bis 2012 durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales nach § 5 Abs. 1 TVG. Aufgrund dessen wird sie von der Urlaubskasse des Baugewerbes in verschiedenen Verfahren vor dem Arbeitsgericht auf Beitragszahlung in Anspruch genommen. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass die sie betreffenden Allgemeinverbindlicherklärungen rechtswidrig sind und sie in ihren Rechten verletzen. Das Verwaltungsgericht hat vorab beschlossen, dass der Verwaltungsrechtsweg zulässig ist. Die hiergegen erhobene Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen und die weitere Beschwerde gegen seine Entscheidung zugelassen.
II.
Die gemäß § 152 Abs. 1, § 173 Abs. 1 VwGO, § 17a Abs. 4 Sätze 4 und 5 GVG zulässige weitere Beschwerde ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben zurecht angenommen, dass für die geltend gemachten Ansprüche auf Feststellung, dass die durch die Beklagte ausgesprochenen Allgemeinverbindlicherklärungen rechtswidrig sind und die Klägerin in ihren Rechten verletzen, der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist.
Dem steht Art. 2 Nr. 1b des am 16. August 2014 in Kraft getretenen Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) vom 11. August 2014 (BGBl I 1348 <1354>), wonach die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit für "die Entscheidung über die Wirksamkeit einer Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes" gegeben ist, nicht entgegen. Dabei kann offenbleiben, ob die hier in Rede stehende Klage auf Feststellung der Verletzung eigener Rechte durch die Allgemeinverbindlicherklärung denselben Streitgegenstand betrifft. Die Regelung des Art. 2 Nr. 1b des Tarifautonomiestärkungsgesetzes ist hier jedenfalls gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG unbeachtlich, weil sie bei Rechtshängigkeit des vorliegenden Rechtsstreits am 7. Februar 2012 (§ 90 Abs. 1 VwGO) noch nicht in Kraft getreten war; eine abweichende gesetzliche Regelung wurde nicht getroffen (Urteil vom 12. Oktober 1989 - BVerwG 6 C 38.88 - BVerwGE 84, 3 <8> = Buchholz 448.6 § 18 KDVG Nr. 4 S. 11). Nach der Rechtslage zum danach maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit war der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten aus den nachfolgenden Gründen eröffnet.
Die Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG ist ein Rechtsetzungsakt eigener Art zwischen autonomer Regelung und staatlicher Rechtsetzung, die gemäß § 5 Abs. 4 TVG die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber - wie hier die Klägerin - einseitig den Rechtsnormen des Tarifvertrags unterwirft. Es handelt sich somit um einen dem öffentlichen Recht zugehörenden "staatlichen Hoheitsakt" (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 1977 - 2 BvL 11/74 - BVerfGE 44, 322 <340, 344>). Da Klagen auf Feststellung der Verletzung eigener subjektiv-öffentlicher Rechte durch eine Allgemeinverbindlicherklärung nach § 43 Abs. 1 VwGO (vgl. Urteil vom 28. Januar 2010 - BVerwG 8 C 38.09 - BVerwGE 136, 75 Rn. 30 = Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 149 Rn. 30) weder verfassungsrechtlicher Art sind noch bis zum Erlass des Art. 2 Nr. 1b des Tarifautonomiestärkungsgesetzes eine Sonderzuweisung an die Arbeitsgerichtsbarkeit bestand (vgl. Urteil vom 3. November 1988 - BVerwG 7 C 115.86 - BVerwGE 80, 355 <357 ff.> = Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 238; Düwell, NZA-Beilage 2/2011 S. 80 <81>), war bei Rechtshängigkeit die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit gegeben. Davon ist das Bundesverwaltungsgericht schon bisher unausgesprochen ausgegangen (vgl. Urteile vom 3. November 1988 a.a.O. S. 359 und vom 28. Januar 2010 a.a.O. Rn. 77 ff.).
Die Klägerin meint demgegenüber, dass das einschränkende Tatbestandsmerkmal des § 47 Abs. 1 VwGO, wonach das Oberverwaltungsgericht "im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit" über die Gültigkeit von Rechtsvorschriften entscheidet, analog auf Klagen zur Feststellung der Verletzung eigener Rechte durch Normen nach § 43 Abs. 1 VwGO anzuwenden sei. Danach sei der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet, weil für Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in Bezug auf die Rechte und Pflichten aus dem für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrag ausschließlich die Arbeitsgerichte zuständig seien. Dem kann nicht gefolgt werden.
Ein Oberverwaltungsgericht ist nur dann i.S.d. § 47 Abs. 1 VwGO "im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit" zur Kontrolle von untergesetzlichen Rechtsvorschriften berufen, wenn sich aus der Anwendung der angegriffenen Rechtsvorschrift Rechtsstreitigkeiten ergeben können, für die der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist (Beschluss vom 27. Juli 1995 - BVerwG 7 NB 1.95 - BVerwGE 99, 88 <96 f.> = Buchholz 451.22 § 3 AbfG Nr. 1 S. 9). Damit soll verhindert werden, dass Gerichte anderer Gerichtszweige für Streitigkeiten präjudiziert werden, zu deren Entscheidung im Einzelfall sie sonst ausschließlich zuständig sind (BTDrucks 3/55 S. 33; Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, § 47 Rn. 17; Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 47 Rn. 32). Dieser Regelungszweck ist bei der hier relevanten Klage auf Feststellung der Verletzung eigener subjektiv-öffentlicher Rechte durch eine Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG nicht berührt. Denn Entscheidungen über Feststellungsklagen nach § 43 Abs. 1 VwGO sind nicht wie die Erklärung der Unwirksamkeit einer Rechtsnorm gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO allgemein verbindlich, sondern gelten nur inter partes (lat. "zwischen den Parteien"). Die Gerichte anderer Gerichtszweige werden daher durch die Feststellung der Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte durch die zur Prüfung gestellte Norm nicht hinsichtlich von Rechtsstreitigkeiten präjudiziert, welche die Anwendung derselben Norm betreffen. So hindert etwa eine bereits getroffene verwaltungsgerichtliche Feststellung der Rechtsverletzung durch eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung die Arbeitsgerichte nicht, im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten über Rechte und Pflichten aus dem Tarifvertrag die Rechtmäßigkeit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung erneut inzident zu prüfen und ihrer Entscheidung ein abweichendes Ergebnis zugrunde zu legen (vgl. Düwell a.a.O. S. 83; BAG, Beschluss vom 26. Oktober 2009 - 3 AZB 24/09 - NZA 2009, 1436 ff. und Urteil vom 26. September 2012 - 4 AZR 5/11 - juris Rn. 14). Die von der Klägerin angenommene "faktische Präjudizwirkung" durch solche verwaltungsgerichtliche Feststellungsurteile kann nicht mit der gesetzlich angeordneten Allgemeinverbindlichkeit verglichen werden. Nur letztere begründet das Bedürfnis, zur Vermeidung einer dem Grundsatz der Gleichwertigkeit der einzelnen Gerichtszweige zuwider laufenden Überordnung der Oberverwaltungsgerichte diejenigen Rechtsvorschriften aus der Kontrollbefugnis nach § 47 Abs. 1 VwGO auszunehmen, deren Anwendung der Überprüfung durch Gerichte anderer Gerichtszweige obliegt (vgl. BTDrucks 3/55 S. 33). Davon zu unterscheiden ist das - vom Gesetzgeber nunmehr durch Konzentration der Entscheidungen über die Wirksamkeit von Allgemeinverbindlicherklärungen bei den Arbeitsgerichten und die Anordnung einer inter omnes-Wirkung (lat. "unter allen") entsprechender rechtskräftiger Beschlüsse (Art. 2 Nr. 5 Tarifautonomiestärkungsgesetz) gelöste - rechtspolitische Problem, dass es infolge fehlender Bindungswirkung zu sich widersprechenden Entscheidungen der Verwaltungsgerichte und der Gerichte anderer Gerichtszweige zur Frage der Rechtmäßigkeit von Normen kommen kann (vgl. Düwell a.a.O. S. 84 f.).
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Eine Kostenentscheidung ist hier nicht gemäß § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG entbehrlich. Denn die Kosten im "Verfahren vor dem angegangenen Gericht" sind nur die Kosten des erstinstanzlichen Gerichts. Das Beschwerdegericht hat daher über die Kosten eines Beschwerdeverfahrens nach § 17a Abs. 4 Satz 3 und 4 GVG selbst eine Kostenentscheidung zu treffen (vgl. Beschluss vom 15. Oktober 1993 - BVerwG 1 DB 34.92 - BVerwGE 103, 26 <32>; Zimmermann, in: Münchener Kommentar, ZPO, 3. Aufl. 2008, Band 3, § 17b GVG Rn. 10; anderer Ansicht Rennert, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 41 <§ 17 - 17b GVG> Rn. 45).
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410020435
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BVerwG
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7. Senat
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20140919
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7 B 6/14
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Beschluss
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Art 20 Abs 1 GG, § 67 WHG 2009, § 68 WHG 2009, § 15 Abs 1 BNatSchG 2009, § 15 Abs 2 BNatSchG 2009
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vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 23. September 2013, Az: 3 S 284/11, Urteil vorgehend VG Freiburg (Breisgau), 31. Juli 2010, Az: 2 K 192/08, Urteil
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DEU
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Planfeststellung für Bau und Betrieb eines Hochwasserrückhalteraums; ökologische Flutung
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Ökologische Flutungen können Vermeidungsmaßnahmen im Sinne des § 15 Abs. 1 BNatSchG (juris: BNatSchG 2009) gegenüber Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft durch die Hochwasserrückhaltung und gleichzeitig Ersatzmaßnahmen im Sinne des § 15 Abs. 2 BNatSchG für die durch sie selbst bewirkten Eingriffe sein.
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I.
Die Klägerin wendet sich gegen den Planfeststellungsbeschluss des Landratsamts Ortenaukreis vom 20. Dezember 2007 für den Bau und Betrieb des Rückhalteraums Elzmündung.
Der Rückhalteraum Elzmündung ist auf baden-württembergischer Rheinseite eine von insgesamt 13 geplanten Hochwasserschutzanlagen des von der Landesregierung Baden-Württemberg beschlossenen Integrierten Rheinprogramms. Da die relativ seltenen Hochwassereinsätze des Rückhalteraums die Natur und Landschaft erheblich und nachhaltig beeinträchtigen würden, sollen zusätzlich so genannte Ökologische Flutungen durchgeführt werden. Sie sollen die Pflanzen und Tiere sowie die Landschaft an die bei Hochwasserrückhaltung auftretenden Überflutungen adaptieren bzw. die Sukzessionen im Rückhalteraum so beeinflussen, dass sich überflutungstolerante Gemeinschaften bilden können.
Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass der Planfeststellungsbeschluss nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts rechtswidrig ist und nicht vollzogen werden darf; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Der Planfeststellungsbeschluss leide nicht an einem zu seiner Aufhebung führenden Fehler. Er sei aber rechtswidrig und nicht vollziehbar, weil der Beklagte - was die Klägerin gemäß Art. 10a der UVP-Richtlinie geltend machen könne - die Möglichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung der Bestände der Bauchigen und der Schmalen Windelschnecke ohne hinreichende Untersuchungen verneint habe. Zudem habe er ein methodisch fehlerhaftes Grundwassermodell zugrunde gelegt und deshalb die möglichen Gefahren der Flutungen für das Trinkwasserschutzgebiet Ottenheim nicht hinreichend sicher abgeschätzt.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: § 31 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) a.F. i.V.m. § 64 Wassergesetz Baden-Württemberg (WG BW) und §§ 72 bis 78 LVwVfG stellten eine ausreichende Rechtsgrundlage für den Erlass des Planfeststellungsbeschlusses dar. Das Integrierte Rheinprogramm habe nicht in der Form eines Gesetzes beschlossen werden müssen (UA S. 30 bis 32). Das Vorhaben werde den Anforderungen gerecht, die sich aus der naturschutzrechtlichen Eingriffs- und Ausgleichsregelung nach den §§ 20, 21 Naturschutzgesetz Baden-Württemberg (NatSchG BW), §§ 18, 19 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) 2007 unter Berücksichtigung der Vorgaben der §§ 14, 15 BNatSchG 2010 ergäben. Die Ökologischen Flutungen hätten eine Doppelfunktion: Sie seien Vermeidungsmaßnahmen gegenüber der Hochwasserrückhaltung und - gleichzeitig - Ersatzmaßnahme für die auch durch sie selbst bewirkten Eingriffe in Natur und Landschaft. Dass der Beklagte sie lediglich als Vermeidungsmaßnahme und nicht als eigenständigen Eingriff und als Ersatzmaßnahme angesehen habe, begründe keine durchgreifenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses, weil der Beklagte sowohl ihre beeinträchtigenden Folgen ermittelt und bewertet als auch eine eingehende Prognose ihrer Wirkungen erarbeitet habe (UA S. 68 f.). Die durch die Hochwasserrückhaltung und die Ökologischen Flutungen bewirkten - in ihrer Intensität sukzessiv abnehmenden - Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft würden über die Umwandlung der Natur im Rückhalteraum vollständig kompensiert (UA S. 71). Der Planfeststellungsbeschluss leide auch nicht an einem anderen zu einem weitergehenden Erfolg der Klage führenden Fehler.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
II.
Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die mit der Beschwerde geltend gemachte rechtsgrundsätzliche Bedeutung.
1. Als rechtsgrundsätzlich bedeutsam bezeichnet die Klägerin die Frage:
"Erfordert der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und dem Demokratiegebot (Art. 20 Abs. 1 GG) entwickelte Grundsatz, dass der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen hat und dies nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive überlassen darf ('Wesentlichkeitstheorie'), dass ein Gesamtvorhaben zur Verbesserung des Hochwasserschutzes, das aus einer Vielzahl von einzelnen z.T. sehr großen Hochwasserrückhalteräumen mit einem Gesamtrückhaltevolumen von mehreren hundert Mio. cbm Wasser entlang einer Flussgebietseinheit besteht, die in mehreren Bundesländern realisiert werden sollen, aufgrund seiner weitreichenden Auswirkungen auf Natur und Landschaft (Tiere und Pflanzen, Grundwasser, Umgestaltung weiter Landschaftsabschnitte), der Betroffenheit weiter Bevölkerungskreise sowie der Auswirkungen auf die kommunale Selbstverwaltungsgarantie (Planungshoheit, Trinkwasserversorgung) eine Grundsatzentscheidung in Form eines Parlamentsgesetzes über
- die Notwendigkeit der Gesamtmaßnahme,
- den insgesamt zu überplanenden Raum,
- die Grundkonzeption der Gesamtmaßnahme sowie der sodann umzusetzenden Einzelmaßnahmen und
- die Finanzierung?."
Diese Frage bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Sie kann auf der Grundlage der bereits vorhandenen Rechtsprechung mit dem Verwaltungsgerichtshof ohne Weiteres verneint werden.
Die Grundsätze der so genannten Wesentlichkeitstheorie sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Das Bundesverfassungsgericht hat sie wie folgt zusammengefasst (BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1998 - 1 BvR 1640/97 - BVerfGE 98, 218 <251 f.> - Rechtschreibreform):
"Dieser Grundsatz (gemeint ist der Vorbehalt des Gesetzes) verlangt, dass staatliches Handeln in bestimmten grundlegenden Bereichen durch förmliches Gesetz legitimiert wird. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen, und darf sie nicht anderen Normgebern überlassen. Wann es danach einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedarf, läßt sich nur im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien sind dabei den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den darin verbürgten Grundrechten, zu entnehmen (vgl. BVerfGE 40, 237 <248 ff.>; 49, 89 <126 f.>; 95, 267 <307 f.>). Danach bedeutet wesentlich im grundrechtsrelevanten Bereich in der Regel 'wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte' (vgl. BVerfGE 47, 46 <79> m.w.N.; 83, 130 <140>). Die Tatsache, dass eine Frage politisch umstritten ist, führt dagegen für sich genommen nicht dazu, dass diese als wesentlich verstanden werden müsste (vgl. BVerfGE 49, 89 <126>). Zu berücksichtigen ist im Übrigen auch, dass die in Art. 20 Abs. 2 GG als Grundsatz normierte organisatorische und funktionelle Unterscheidung und Trennung der Gewalten auch darauf zielt, dass staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen. Dieses Ziel darf nicht durch einen Gewaltenmonismus in Form eines umfassenden Parlamentsvorbehalts unterlaufen werden (vgl. BVerfGE 68, 1 <86 f.>)."
Ausgehend hiervon begegnet es keinen Bedenken, dass weder der Bundes- noch der Landesgesetzgeber in der Form eines förmlichen Gesetzes über das Gesamtkonzept zur Verbesserung des Hochwasserschutzes am Oberrhein entschieden haben. Das Gesamtkonzept ist nicht "wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte". Das hat der Verwaltungsgerichtshof für das von der baden-württembergischen Landesregierung beschlossene Integrierte Rheinprogramm zutreffend dargelegt (UA S. 30 bis 32); soweit das Gesamtkonzept darüber hinaus auch Maßnahmen in Rheinland-Pfalz und in Frankreich umfasst (UA S. 41), kann unabhängig von Kompetenzfragen bereits wegen der fehlenden Wesentlichkeit für die Grundrechte nichts anderes gelten. Zu Eingriffen in Grundrechte und auch in die Planungshoheit der Gemeinden können erst die Planfeststellungen der einzelnen im Gesamtkonzept vorgesehenen Maßnahmen führen. Das Gesamtkonzept als solches hat keine Außenwirkungen. Solange es nicht Eingang in Erfordernisse der Raumordnung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Raumordnungsgesetz <ROG>) gefunden hat, kommt ihm auch verwaltungsintern keine Bindungswirkung zu. Die Planfeststellungen für die Einzelmaßnahmen finden in den §§ 67, 68 WHG (§ 31 Abs. 2 WHG a.F., § 64 WG BW) ihre gesetzliche Grundlage. Der Hochwasserschutz ist eine maßgebliche Zielsetzung des Wasserhaushaltsgesetzes, die den Ausbau eines Gewässers - auch den Bau von Hochwasserrückhaltebecken (vgl. Czychowski/Reinhard, WHG, 11. Aufl. 2014, § 67 Rn. 28, 43) - rechtfertigt (UA S. 27, 32). Soweit im Rahmen der Planfeststellung zur Rechtfertigung der Einzelmaßnahmen auf das Gesamtkonzept Bezug genommen wird, können die Verwaltungsgerichte dieses Konzept im Klageverfahren inzident auf seine Tragfähigkeit überprüfen. Wäre über das Konzept und die Notwendigkeit der Gesamtmaßnahme bereits durch förmliches Gesetz entschieden, wären die Verwaltungsgerichte hieran gebunden. Wenn sie das Gesetz für verfassungswidrig hielten, müssten sie das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG aussetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einholen. Erleichtert würde die Erlangung von Rechtsschutz dadurch nicht. Sollte die Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss für eine Einzelmaßnahme abgewiesen werden, später aber die Klage gegen die Planfeststellung einer anderen Einzelmaßnahme Erfolg haben, würde die Planrechtfertigung der zuerst planfestgestellten Einzelmaßnahme dadurch nicht in Frage gestellt; auch das Eintreten eines solchen Falls muss mithin nicht durch eine gesetzliche Entscheidung über das Gesamtkonzept verhindert werden. Das in der deutsch-französischen Vereinbarung vom 6. Dezember 1982 (BGBl II 1984 S. 268) festgelegte Gesamtziel, unterhalb der Staustufe Iffezheim den vor dem Ausbau des Oberrheins vorhandenen Hochwasserschutz wieder herzustellen (Art. 7 Abs. 1 der Vereinbarung), kann zwar nur erreicht werden, wenn allein in Baden-Württemberg ein Gesamtrückhaltevolumen von 167,3 Mio. cbm geschaffen wird (UA S. 3, 43). Jede Einzelmaßnahme ist jedoch auch für sich betrachtet geeignet, einen wirksamen Beitrag zur Erreichung dieses Ziels zu leisten. Sie wird, selbst wenn eine andere Einzelmaßnahme scheitern sollte, nicht zu einem Planungstorso. Die Erreichung des Gesamtziels hängt auch nicht davon ab, dass alle Einzelmaßnahmen exakt an dem im Gesamtkonzept vorgesehenen Standort und exakt in der vorgesehenen Form verwirklicht werden.
Die Klägerin hat auch nicht aufgezeigt, warum die gesetzgebenden Körperschaften besser als die Verwaltung geeignet sein könnten, ein Gesamtkonzept für den Hochwasserschutz am Oberrhein zu entwickeln und hierfür die Auswirkungen auf Natur und Landschaft, die Bevölkerung und die Gemeinden im betroffenen Planungsraum zu bewerten. Staatliche Planung kann weder eindeutig der Legislative noch eindeutig der Exekutive zugeordnet werden (BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 1996 - 2 BvF 2/93 - BVerfGE 95, 1 <16>). Fachplanungen sind üblicherweise der Verwaltung vorbehalten, die dafür den erforderlichen Verwaltungsapparat und Sachverstand besitzt. Verbindlichkeit für nachfolgende Planungen erlangen vorbereitende Konzepte auf der Grundlage des Raumordnungsgesetzes und des Landesplanungsgesetzes des jeweiligen Landes insbesondere durch die Festlegung von Zielen der Raumordnung (§ 3 Abs. 1 Nr. 2, § 4 Abs. 1 ROG). Auch das ist hier sowohl im Landesentwicklungsplan 2002 (UA S. 42) als auch im Regionalplan Südlicher Oberrhein 1995 (UA S. 50) geschehen. Um die demokratische Legitimation der Regionalplanung zu stärken, werden in Baden-Württemberg die Mitglieder der Regionalversammlung, die den Regionalplan zu beschließen hat, von den Land- und den Stadtkreisen gewählt (§ 35 LPlG).
Über die Bereitstellung von Haushaltsmitteln für die Umsetzung der einzelnen Vorhaben zur Umsetzung der Gesamtkonzeption hat der Haushaltsgesetzgeber zu entscheiden. Welche Entscheidungen über die Finanzierung in einem Gesetz über das Gesamtkonzept getroffen werden sollten, ist weder dargelegt noch ersichtlich.
2. Die Klägerin hält außerdem folgende Fragen für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig:
"Kann es sich bei einer Maßnahme (im konkreten Fall: ökologische Flutungen), deren räumlicher Umgriff im Wesentlichen mit dem räumlichen Umgriff des zugelassenen Vorhabens übereinstimmt, die zeitlich vor Durchführung des zugelassenen Vorhabens (im konkreten Fall: Retentionsflutungen) durchgeführt wird und die ihrerseits bereits zu einer erheblichen Beeinträchtigung des zuvor vorhandenen Bestandes an Tier- und Pflanzenarten führt, aufgrund ihrer positiven naturschutzfachlichen Gesamtbilanz um eine Vermeidungsmaßnahme i.S.d. § 19 Abs. 1 BNatSchG 2007 bzw. § 15 Abs. 1 BNatSchG 2010 handeln, oder handelt es sich bei dieser Maßnahme vielmehr um einen eigenständigen Eingriff in Natur und Landschaft i.S.d. § 18 Abs. 1 BNatSchG 2007 bzw. § 14 Abs. 1 BNatSchG 2010?"
und
"Ist es, sofern es sich um einen Eingriff in Natur und Landschaft handelt, nach § 19 Abs. 2 BNatSchG 2007 und § 15 Abs. 2 BNatSchG 2010 zulässig, dass diese Maßnahme zugleich dem Ersatz des durch sie selbst bewirkten Eingriffes dient ('Selbstkompensation')?".
a) Mit der ersten Frage setzt die Klägerin voraus, dass Ökologische Flutungen nur entweder eine Vermeidungsmaßnahme oder ein eigenständiger Eingriff im Sinne des § 18 Abs. 1 BNatSchG 2007 bzw. § 14 Abs. 1 BNatSchG 2010 sein können. Das ist nicht die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs. Nach seiner Auffassung haben Ökologische Flutungen eine Doppelfunktion: Sie sind Vermeidungsmaßnahmen gegenüber der Hochwasserrückhaltung und - gleichzeitig - Ersatzmaßnahme für die auch durch sie selbst bewirkten Eingriffe in Natur und Landschaft im Sinne einer erheblichen nicht vermeidbaren Beeinträchtigung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts und der Landschaft (UA S. 68). Als eigenständigen Eingriff im Sinne der Eingriffsregelung bewertet der Verwaltungsgerichtshof die Ökologischen Flutungen auch für den Fall, dass Retentionsflutungen erst durchgeführt werden, nachdem die Natur über die Ökologischen Flutungen erfolgreich adaptiert wurde (a.A. Beschwerdebegründung S. 27). Nur in diesem Fall können die Ökologischen Flutungen die Eingriffswirkungen der Retentionsflutungen vermeiden. Gerade soweit sie als Vermeidungsmaßnahmen wirken, bejaht der Verwaltungsgerichtshof aber zugleich einen durch sie selbst bewirkten Eingriff in Natur und Landschaft. Er verkennt nicht, dass die mit den Ökologischen Flutungen bezweckte Umwandlung des Naturraums Beeinträchtigungen des bestehenden Naturzustands bewirkt; diese seien entsprechend dem Vermeidungskonzept der Ökologischen Flutungen "systemimmanent" (UA S. 91).
Die Frage, ob Ökologische Flutungen Vermeidungsmaßnahmen im Sinne des § 19 Abs. 1 BNatSchG 2007 bzw. § 15 Abs. 1 BNatSchG 2010 sein können, stellt sich auch dann, wenn sie zugleich als Eingriffe in Natur und Landschaft zu qualifizieren sind. Dass die Vorinstanzen Ökologische Flutungen zu Recht als Vermeidungsmaßnahmen anerkannt haben, unterliegt jedoch keinen Zweifeln, die erst in einem Revisionsverfahren ausgeräumt werden könnten. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 BNatSchG 2010 sind Beeinträchtigungen vermeidbar, wenn zumutbare Alternativen, den mit dem Eingriff verfolgten Zweck am gleichen Ort ohne oder mit geringeren Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu erreichen, gegeben sind. Das Vermeidungsgebot verpflichtet den Verursacher, in allen Planungs- und Realisierungsphasen dafür Sorge zu tragen, dass Vorhaben so umweltschonend wie möglich umgesetzt werden (BTDrucks 16/12274 S. 57). Das Vermeidungsgebot zielt nicht auf die Vermeidung des Eingriffs, sondern der mit ihm verbundenen nachteiligen Folgen (Urteile vom 7. März 1997 - BVerwG 4 C 10.96 - BVerwGE 104, 144 <149 f.> = Buchholz 406.401 § 8 BNatSchG Nr. 21 S. 19 f. und vom 16. Dezember 2004 - BVerwG 4 A 11.04 - Buchholz 406.400 § 19 BNatSchG 2002 Nr. 1 S. 3 - juris Rn. 16; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht Band II, § 15 BNatSchG Rn. 4; Koch, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 15 Rn. 5; Lütkes, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 15 Rn. 7). In Betracht kommt nicht nur schlichtes Unterlassen bestimmter Maßnahmen; auch die Durchführung zusätzlicher Maßnahmen kann zur Schadensvermeidung geboten sein (Gellermann, a.a.O. Rn. 4). Wie die mit dem Eingriff verbundenen Beeinträchtigungen vermieden werden können, hängt maßgebend davon ab, auf welchen Wirkpfaden das Vorhaben Natur und Landschaft beeinträchtigt.
Retentionsflutungen, die durch den Bau eines Hochwasserrückhalteraums ermöglicht werden, führen wiederkehrend und wegen ihrer relativen Seltenheit immer wieder neu zu Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft. Nach dem Konzept der Ökologischen Flutungen sollen diese Beeinträchtigungen soweit wie möglich vermindert werden, indem die betroffene Flora und Fauna an die bei Hochwasserrückhaltung auftretenden Überflutungen so angepasst wird, dass sich überflutungstolerante Gemeinschaften etablieren (UA S. 66 f.). Ökologische Flutungen sollen also Beeinträchtigungen vermeiden, die im Fall unvorbereiteter Retentionsflutungen eintreten würden. In Bezug auf diese Beeinträchtigungen wirken sie verhindernd und nicht wiedergutmachend (vgl. Sparwasser/Wöckel, NVwZ 2007, 764 <769>). Dadurch unterscheiden sie sich von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, die auf einer zweiten Stufe nicht vermeidbare Beeinträchtigungen kompensieren sollen. Die Anerkennung von Ökologischen Flutungen als Vermeidungsmaßnahmen widerspricht auch nicht dem Zweck des Vermeidungsgebots. Das Vermeidungsgebot hat im Rahmen der Eingriffsregelung die Aufgabe, den status quo der gegebenen Situation zu erhalten (Urteil vom 16. Dezember 2004 a.a.O. Rn. 21). Ökologische Flutungen sollen zwar zu einer Anpassung von Natur und Landschaft an Überflutungen führen; wenn das gelungen ist, soll aber im Fall eines Eingriffs durch eine Retentionsflutung der im Zeitpunkt dieses Eingriffs bestehende status quo in seiner natürlichen Dynamik erhalten werden. Es trifft auch nicht zu, dass durch Ökologische Flutungen nur die Natur an den Eingriff, nicht aber der Eingriff an die Natur angepasst werde. Die Ökologischen Flutungen treten - möglichst zeitlich vorlaufend - zu den Retentionsflutungen hinzu; insoweit verändern sie bereits den Eingriff. Dass Ökologische Flutungen trotz ihrer schadensvermeidenden Wirkungen gegenüber den Retentionsflutungen zunächst den bei ihrer Durchführung vorhandenen status quo von Natur und Landschaft beeinträchtigen und insoweit selbst Eingriffe im Sinne des § 18 Abs. 1 BNatSchG 2007 bzw. § 14 Abs. 1 BNatSchG 2010 darstellen, hat der Verwaltungsgerichtshof - wie dargelegt - ausdrücklich anerkannt.
b) In Bezug auf die zweite Frage hat die Klägerin einen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf nicht aufgezeigt.
Gemäß § 15 Abs. 2 Satz 3 BNatSchG 2010 ist eine Beeinträchtigung ersetzt, wenn und sobald die beeinträchtigten Funktionen des Naturhaushalts in dem betroffenen Naturraum in gleichwertiger Weise hergestellt sind und das Landschaftsbild landschaftsgerecht neu gestaltet ist. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die Behörde zur Kompensation eines Eingriffs wegen eines naturschutznäheren Endziels auch Maßnahmen ergreifen darf, die zunächst eine Beeinträchtigung des bestehenden naturhaften Zustands darstellen. Erweist sich die Maßnahme in der naturschutzfachlichen Gesamtbilanz als günstig, stellt sie also insbesondere eine wesentliche Verbesserung des bestehenden Zustandes dar, bedarf der mit der Maßnahme zunächst bewirkte Eingriff keiner weiteren Kompensation durch Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen. Die an sich erforderliche Kompensation geht in die ökologische Gesamtbilanz regelmäßig ein (Beschluss vom 28. Januar 2009 - BVerwG 7 B 45.08 - NVwZ 2009, 521 - juris Rn. 20; Gerichtsbescheid vom 10. September 1998 - BVerwG 4 A 35.97 - Buchholz 406.401 § 8 BNatSchG Nr. 25 S. 31 - juris Rn. 33). Dass auf die Herstellung eines naturnäheren Zustands gerichtete Ersatzmaßnahmen die hierfür erforderlichen Eingriffe selbst kompensieren können, ist damit bereits anerkannt. Inwiefern dies hier für die Ökologischen Flutungen ausgehend von den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs weiter klärungsbedürftig sein sollte, hat die Klägerin nicht dargelegt. Sie macht lediglich geltend, dass die Annahme einer "Selbstkompensation" den Vorrang von Ausgleich vor Ersatz (§ 19 Abs. 2 BNatSchG 2007) aushebeln würde (Beschwerdebegründung S. 8). Das BNatSchG 2010 hat an diesem Vorrang aber nicht festgehalten. Ausgleich und Ersatz stehen gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG 2010 als Formen der Realkompensation nunmehr alternativ nebeneinander (BTDrucks 16/13298 S. 3; Urteil vom 6. November 2012 - BVerwG 9 A 17.11 - BVerwGE 145, 40 Rn. 139 = Buchholz 451.91 Europ UmweltR Nr. 52 Rn. 139). Es soll dem Einzelfall überlassen bleiben, ob die Durchführung einer Maßnahme zur Realkompensation die unmittelbare Nähe zum Eingriffsort (Ausgleich) erfordert oder im gelockerten räumlichen Zusammenhang des betroffenen Naturraums erfolgen kann (BTDrucks 16/13298 S. 3, 16/13430 S. 19; Gellermann, a.a.O. Rn. 20; Lütkes, a.a.O. Rn. 29; Guckelberger, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 15 Rn. 44). Fragen, die sich nur aufgrund von auslaufendem und ausgelaufenem Recht stellen, verleihen einer Rechtssache regelmäßig - und so auch hier - keine grundsätzliche Bedeutung (stRspr, vgl. Beschluss vom 6. Juni 2014 - BVerwG 3 B 58.13 - juris Rn. 3 m.w.N.). Dass sich auch nach § 15 Abs. 2 BNatSchG 2010 rechtsgrundsätzliche Fragen zum Verhältnis von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen stellen, hat die Klägerin nicht dargelegt (vgl. dazu 3.).
3. Schließlich rechtfertigt auch folgende Frage nicht die Zulassung der Revision:
"Ist es mit § 19 Abs. 2 BNatSchG 2007 und mit § 15 Abs. 2 BNatSchG 2010 vereinbar, eine Maßnahme als Ersatzmaßnahme anzuerkennen, wenn die den Eingriff zulassende Behörde selbst davon ausging, dass es sich um eine Vermeidungsmaßnahme handelt ('Umdeutung')?"
Die Klägerin macht geltend, die Behörde habe, weil sie die Ökologischen Flutungen zu Unrecht nur als Vermeidungsmaßnahme und nicht auch als Eingriff qualifiziert habe, nicht geprüft, ob die durch die Ökologischen Flutungen bewirkten nicht vermeidbaren Beeinträchtigungen jedenfalls ausgeglichen werden könnten. Ohne eine solche Prüfung könne aber nicht festgestellt werden, dass die Kompensation im Wege des Ersatzes ausreichend sei. Eine rechtsgrundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ergibt sich daraus nicht. Ob die Realkompensation einen Ausgleich erfordert oder auch im Wege des Ersatzes bewirkt werden kann, soll - wie dargelegt - nach § 15 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG 2010 dem Einzelfall überlassen bleiben. Die Frage, ob dieser Einzelfallentscheidung eine Ermittlung und Bewertung der in Betracht kommenden Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen vorangehen muss, würde sich in einem Revisionsverfahren nur stellen, wenn im vorliegenden Fall ein weitergehender Ausgleich überhaupt möglich wäre. Hierfür hat der Verwaltungsgerichtshof keine hinreichenden Anhaltspunkte gesehen. Die Klägerin habe lediglich vorgetragen, der Beklagte hätte über die Festsetzung von Ausgleichsmaßnahmen nachdenken müssen; dass überhaupt die Möglichkeit von weiteren Ausgleichsmaßnahmen bestehe, habe die Klägerin nicht dargelegt noch habe sie konkrete Ausgleichsmaßnahmen aufgezeigt, die über die im Landschaftspflegerischen Begleitplan vorgesehenen Maßnahmen hinausgingen (UA S. 70). Die Klägerin wendet hiergegen ein, sie treffe diesbezüglich auch keine Darlegungslast; im Übrigen habe der Verwaltungsgerichtshof nicht festgestellt, dass sonstige Kompensationsmaßnahmen unmöglich seien (Beschwerdebegründung S. 25). Ob und inwieweit ein Kläger die Möglichkeit weiterer Ausgleichsmaßnahmen darzulegen hat, hängt jedoch nicht nur vom materiellen Recht, sondern auch von den tatsächlichen Umständen des jeweiligen Falles ab. Wenn - wie nach der Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs hier - in tatsächlicher Hinsicht nicht ersichtlich ist, wie überhaupt ein weiterer Ausgleich möglich sein sollte, besteht ohne einen entsprechenden Vortrag die Klägerin kein Anlass, dieser Frage weiter nachzugehen oder die Unmöglichkeit sonstiger Kompensationsmaßnahmen ausdrücklich festzustellen. Welche Anhaltspunkte für die Möglichkeit eines weiteren Ausgleichs bestanden haben sollten, zeigt die Klägerin in der Beschwerdebegründung nicht auf.
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http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-WBRE410020435&psml=bsjrsprod.psml&max=true
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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WBRE410021432
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ECLI:DE:BVerwG:2018:130818B1WDSAV8.17.0
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BVerwG
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1. Wehrdienstsenat
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20180813
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1 WDS-AV 8/17
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Beschluss
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§ 2 Abs 2 RVG, § 14 RVG
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DEU
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Anwaltliche Tätigkeit im Wehrbeschwerdeverfahren; Bestimmung der billigen Gebühren anhand des weiterentwickelten "Kieler Kostenkästchens"
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Mit Bescheid des Bundesministeriums der Verteidigung - Referat R II 2 - (Az.: …) vom 15. November 2017 wurde folgende Kostengrundentscheidung getroffen:
" …
2. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen werden Ihnen erstattet.
3. Die Hinzuziehung Ihres Bevollmächtigten war notwendig."
Der Bevollmächtigte des Antragstellers beantragte mit Schriftsatz vom 17. November 2017 die dem Antragsteller erwachsenen notwendigen Aufwendungen für das vorgerichtliche Verfahren auf insgesamt 815,08 € festzusetzen. Dabei hat er die Geschäftsgebühr mit 500 € in Ansatz gebracht. Begründung dafür sei eine umfangreiche Sachverhaltsprüfung zur Klärung der streitigen Referenzgruppe. Ferner beantragte er die Erstattung von Reisekosten für eine Besprechung mit seinem Mandanten in B.
Dem Bundeswehrdisziplinaranwalt wurde als Vertreter gemäß § 21 Abs. 3 Satz 2 WBO Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Er teilte mit Schreiben vom 22. Dezember 2017 mit, dass dem Kostenfestsetzungsantrag hinsichtlich der Höhe der geforderten Geschäftsgebühr sowie der Reisekosten widersprochen wird. In dem Verfahren ging es um eine Beschwerde bzgl. der Zusammensetzung einer für den Beschwerdeführer gebildeten Referenzgruppe. Die Beschwerde wurde vom Beschwerdeführer selbst eingelegt und dann vom Bevollmächtigten mit einem sechsseitigen Schriftsatz begründet nachdem er Akteneinsicht genommen habe. Danach wurde lediglich gegenüber dem Bundesministerium der Verteidigung die Erledigung der Hauptsache erklärt. Eine Überschreitung der Geschäftsgebühr über den "Schwellenwert" von 300 € aufgrund der umfangreichen Sachverhaltsprüfung werde durchaus gesehen, allerdings in einem moderaten Bereich. Eine Gebühr von 400 € wäre noch als billig anzusehen.
Die Erstattung der Reisekosten wäre aufgrund der nicht erkennbaren Notwendigkeit - zumal diese lange nach der Akteneinsicht und Begründung der Beschwerde erfolgt sei - zurückzuweisen.
Letztlich könnte lediglich ein Betrag von 499,80 € festgesetzt werden.
Nach Übersendung der Stellungnahme des Bundeswehrdisziplinaranwaltes erklärte der Bevollmächtigte, dass sich seine anwaltliche Tätigkeit nicht auf eine Akteneinsicht und einen sechsseitigen Begründungsschriftsatz einschließlich nachfolgender Erledigungserklärung reduzieren lasse.
Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit sei vielmehr die Identifizierung und Beiziehung der für die Erstellung der Beschwerdebegründung notwendigen Sachverhalte, Tatsachen und Dokumente in Zusammenarbeit mit dem Beschwerdeführer. Der durchaus komplexe Sachverhalt, resultierend aus der Bewertung einer fiktiven Laufbahnnachzeichnung vor dem Hintergrund mehrfacher Versuche des Dienstherrn, den Soldaten gegen seinen Willen in den Ruhestand zu versetzen, die auch bereits jeweils rechtlich abgewehrt werden mussten, waren sowohl rechtlich als auch in der Sachverhaltsermittlung schwierig wie auch zeitaufwändig. Der Zeitaufwand für das Mandat ging um ein Mehrfaches über den angesetzten Betrag von 500 € - angemessener vergüteter Arbeitsaufwand von allenfalls zwei bis drei Anwaltsarbeitsstunden - hinaus.
Ebenso verhalte es sich mit den angesetzten Kosten für eine Besprechung beim Mandanten in B. Entscheidend war, dass anhand der Komplexität des Sachverhaltes eine rein fernmündliche Besprechung nicht ausreichte, sondern ein persönliches Gespräch anhand der beigezogenen Unterlagen notwendig war.
Der Bundeswehrdisziplinaranwalt teilte daraufhin in seiner Stellungnahme vom 23. Februar 2018 mit, dass ihm die angesetzte Höhe der Geschäftsgebühr trotz der weiteren vorgetragenen Begründung als zu hoch erscheine, aber vielleicht noch billigem Ermessen entsprechen könne. Dies möge aber der zuständige Urkundsbeamte entscheiden.
Die nunmehr mit einem Mandantengespräch nach B. begründeten Reisekosten mögen erstattungsfähig sein, obwohl die Notwendigkeit eines Gespräches zu diesem Zeitpunkt - mehr als zwei Monate nach der im Juli erfolgten Beschwerdebegründung - sich nach wie vor nicht erschließe.
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Die an einen Rechtsanwalt zu zahlenden Beträge gehören zu den notwendigen Aufwendungen bzw. Auslagen (§ 20 Abs. 4 WBO i.V.m. § 140 Abs. 8 Nr. 2 WDO).
Der Gebührentatbestand Nr. 2302 VV-RVG ist vorliegend erfüllt, da es sich nach Nr. 2 um ein Verfahren nach der Wehrbeschwerdeordnung mit der weiteren gerichtlichen Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts - Wehrdienstsenate - handelt.
Gemäß § 14 RVG handelt es sich um eine Rahmengebühr. Somit bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG). Ist die Gebühr jedoch von einem Dritten zu ersetzen, wie im vorliegenden Fall vom Bund, so ist die vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). Dass die Bestimmung der Billigkeit entspricht, ist darzulegen. Unbillig ist eine Gebührenbestimmung jedoch nur dann, wenn die Bewertung des Sachverhalts nach den Bemessungskriterien des § 14 RVG unter Berücksichtigung der gebotenen gleichen Behandlung gleichartiger Fälle eine Gebühr ergibt, die von der vom Rechtsanwalt bestimmten Gebühr derartig abweicht, dass die Abweichung im Interesse der Gebührengerechtigkeit wegen Ermessensmissbrauch nicht mehr hingenommen werden kann (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 48. Aufl. 2018, § 14 RVG Rn. 23 ff. m.w.N.).
In Fällen, die nach Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit durchschnittlich gelagert sind, ist bei der Bestimmung der Geschäftsgebühr im vorgerichtlichen Verfahren grundsätzlich von einer Gebührenhöhe von 300 € (Schwellengebühr) auszugehen. Eine über der sogenannten Schwellengebühr liegende Gebühr ist nur dann erstattungsfähig, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war.
Zur Bewertung der für die Bestimmung der billigen Gebühren zu betrachtenden Kriterien, wird das sogenannte weiterentwickelte "Kieler Kostenkästchen" hilfsweise herangezogen (zur grundsätzlichen Systematik des "Kieler Kostenkästchens" vgl. SG Kiel, Kammerbeschlüsse vom 1. Juni 2012 - S 21 SF 7/12 E, S 21 SF 36/12 E - juris; Mayer, in: Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 22. Aufl. 2015, § 3 Rn. 10 ff., 22, 69; zur Weiterentwicklung des "Kieler Kostenkästchens" vgl. SG Kiel, Kammerbeschluss vom 4. Januar 2016 - S 21 SF 167/14 E - juris).
Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit beschreibt den zeitlichen Aufwand, den ein Rechtsanwalt in einer Angelegenheit aufbringen muss. Der durchschnittliche Umfang lässt sich allerdings nicht exakt in Zeitstunden ausdrücken; solche können allenfalls eine Orientierungshilfe bieten (vgl. Braun, in: Festschrift 50 Jahre Deutsches Anwaltsinstitut e.V., 2003, S. 369 <379>; "Durchschnittlich wendet damit ein Anwalt pro Fall etwa 4 Stunden an berechnungsfähiger Zeit auf."). Vielmehr hat sich der durchschnittliche Umfang am Leitbild der zugehörigen Verfahrensordnung am Ablauf eines Verfahrens zu orientieren. Wie der Bundeswehrdisziplinaranwalt richtig feststellt, war die anwaltliche Tätigkeit aufgrund der "umfangreichen Sachverhaltsprüfung" zweifellos hinreichend umfangreich, um mit der Geschäftsgebühr den "Schwellenwert" von 300 € zu überschreiten. Der Umfang wird aufgrund der Ausführungen des Bevollmächtigten als überdurchschnittlich (4 Punkte) bewertet.
Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit beschreibt die Intensität der Arbeit des Rechtsanwalts. Objektiver Maßstab für die Beurteilung der Schwierigkeit ist die Sicht des "Allgemeinanwalts" (vgl. Schneider/Wolf, RVG, 7. Aufl. 2014, § 14 Rn. 34). Entscheidend ist dabei, ob es sich allgemein um eine schwierige Materie handelt. Die Schwierigkeit beurteilt sich daher nach dem objektiv-generellen Maßstab. Schwierig sind u.a. Tätigkeiten in Spezialgebieten. Die Verknüpfung von Wehrbeschwerderecht und Beamtenrecht - wie in dem vorliegenden Fall - kann als ein solches Spezialgebiet angesehen werden. Auch dies wird als überdurchschnittlich (4 Punkte) bewertet.
Die Bedeutung der Angelegenheit ist als subjektives Merkmal aus der Sicht des Auftraggebers zu ermitteln. Dabei ist neben der tatsächlichen und rechtlichen Bedeutung auch auf die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ideellen Auswirkungen des Ausgangs der Angelegenheit abzustellen. Von besonderer Bedeutung ist eine Angelegenheit insbesondere dann, wenn sie für den Mandanten zu beruflichen Konsequenzen führen kann. In diesem Verfahren geht es um die Bildung einer Referenzgruppe und der Positionierung des Soldaten in dieser um ggf. auf einen A 16 Dienstposten befördert zu werden. Der A 16 Dienstposten stellt für den Soldaten eine Spitzenposition (Endamt) in seiner Laufbahn dar und kann daher mit überdurchschnittlich (4 Punkte) bewertet werden.
Die Einkommensverhältnisse des Antragstellers sind auch zu berücksichtigen. Dabei ist vom durchschnittlichen Bruttoeinkommen in der Bundesrepublik Deutschland auszugehen. Der monatliche Einkommensdurchschnitt bei Arbeitnehmern lag 2017 laut Statistischem Bundesamt bei 2 863 €. Bei einem monatlichen Bruttoeinkommen des Antragstellers von ca. 6 000 € ist das Einkommen als überdurchschnittlich zu bezeichnen und mit 5 Punkten zu bewerten.
Nach dem in Anlehnung an das "Kieler Kostenkästchen" ermittelten Quotienten (4,25) und nach den sonstigen vorstehenden Ausführungen ist die Bestimmung einer Geschäftsgebühr bis zu 443 € (4/3 Mittelgebühr) nicht unbillig hoch.
Die Literatur und ihr folgend die Rechtsprechung gesteht dem Rechtsanwalt jedoch bei einem nicht lediglich durchschnittlich gelagerten Verfahren - wie hier - einen Ermessensspielraum von 20 % (Toleranzgrenze) über der vom Gericht objektiv für angemessen gehaltenen Gebühr zu, der von dem Dritten wie auch von Gerichten zu beachten ist (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 31. Oktober 2006 - VI ZR 261/05 - NJW-RR 2007, 420 und BVerwG, Beschluss vom 17. August 2005 - 6 C 13.04 - Buchholz 363 § 14 RVG Nr. 1 Rn. 24 ff.). Erst bei Abweichungen über den Toleranzbereich hinaus liegt ein anwaltlicher Ermessensmissbrauch vor, der durch eine Neufestsetzung des Gerichts ersetzt werden kann (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 46. Aufl. 2016, § 14 RVG Rn. 23 ff. m.w.N.). Ausgehend von der noch als billig anzusehenden Geschäftsgebühr von maximal 443 €, liegt die noch als angemessen anzusehende Toleranzgrenze bei einem Betrag von 532 € (531,60 € aufgerundet). Die vom Bevollmächtigten des Antragstellers beantragte Gebühr von 500 € liegt damit noch im Toleranzbereich und kann so festgesetzt werden.
Die Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV-RVG ist - wie beantragt - in Höhe von 20,00 € festzusetzen.
Die Reisekosten für ein Mandantengespräch sind erstattungsfähig gemäß § 91 Abs. 1 ZPO, wenn es sich bei dem Streitgegenstand um keine ganz einfache Sache aus dem Lebens- und Geschäftsbereich handelt und ein persönliches Gespräch notwendig war. Aufgrund der überdurchschnittlichen Schwierigkeit und des Umfangs wird die Notwendigkeit eines persönlichen Gesprächs gesehen und für erstattungsfähig erachtet. Zum Zeitpunkt der Reise ist hier nur zu sagen, dass sie noch längere Zeit vor Verfahrensende stattgefunden hat und selbst nach Einreichung der Begründung nicht absehbar war, wie es ausgehen wird und daher durchaus die Notwendigkeit einer Reise zum persönlichen Gespräch gesehen werden kann.
Bei Flugreisen sind die Kosten zu denen einer Bahnreise ins Verhältnis zu setzen. Die Bahnreise zweiter Klasse von B. nach B. und zurück betragen ohne Sparpreis und Bahncardbonus mindestens 181,80 €, sodass die Kosten für die Flugreise einschließlich der Parkgebühren und Fahrtkosten für öffentliche Verkehrsmittel in Höhe von 164,94 € für erstattungsfähig erachtet werden.
Die Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV-RVG berechnet sich mithin aus einem Betrag in Höhe von 684,94 € und beträgt 130,14 €.
Somit sind die zu erstattenden notwendigen Aufwendungen im vorliegenden Verfahren insgesamt auf einen Betrag in Höhe von 815,08 € festzusetzen.
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