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JURE100055033
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BGH
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9. Zivilsenat
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20100114
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IX ZB 72/08
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Beschluss
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§ 4 InsO, § 13 ZPO, § 251 ZPO
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vorgehend LG Aachen, 17. März 2008, Az: 6 T 104/07, Beschluss vorgehend AG Aachen, 13. Februar 2007, Az: 92 IN 9/07
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DEU
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Insolvenzverfahren: Anwendbarkeit der Vorschrift über das Ruhen des Verfahrens; Beschwerderecht des Insolvenzverwalters im Zusammenhang mit der Verfahrenseröffnung
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Der Antrag des weiteren Beteiligten zu 2 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 17. März 2008 wird auf Kosten der Schuldnerin als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.
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1. Einer Entscheidung steht nicht entgegen, dass die Schuldnerin das Ruhen des Verfahrens beantragt hat. Die Vorschrift über das Ruhen des Verfahrens (§ 251 ZPO) ist im grundsätzlich eilbedürftigen, auf eine rasche Befriedigung der Gläubiger angelegten Insolvenzverfahren und damit auch im Verfahren über eine insolvenzrechtliche Rechtsbeschwerde nicht anwendbar (MünchKomm-InsO/Ganter, 2. Aufl. § 4 Rn. 15; Jaeger/Gerhardt, InsO § 4 Rn. 57; HK-InsO/Kirchhof, 5. Aufl. § 4 Rn. 25; HmbKomm-InsO/Rüther, 3. Aufl. § 4 Rn. 57). Im Übrigen hat die weitere Beteiligte zu 1, die als Gläubigerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt hat, als Rechtsbeschwerdegegnerin dem Antrag nicht zugestimmt.
2. Dem weiteren Beteiligten zu 2 kann nach § 4 InsO in Verbindung mit §§ 114 ff ZPO keine Prozesskostenhilfe gewährt werden, weil er im Rechtsbeschwerdeverfahren gegen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine eigenen Rechte verfolgen kann. Im Ausgangspunkt kann Prozesskostenhilfe nur der "Partei" gewährt werden (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dieser Begriff ist zwar weit auszulegen (vgl. Musielak/Fischer, ZPO 7. Aufl. § 114 Rn. 2); es ist deshalb anerkannt, dass die Vorschrift auch Antragsteller, Antragsgegner sowie die Streithelfer der Parteien erfasst. Der weitere Beteiligte zu 2 gehört im Streitfall als Insolvenzverwalter indes nicht zu diesem Personenkreis (vgl. MünchKomm-InsO/Ganter, aaO § 4 Rn. 21; Jaeger/Gerhardt, aaO § 4 Rn. 48). Er ist nicht berechtigt, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen (§ 13 Abs. 1 InsO). Auch ein Beschwerderecht räumt ihm die Insolvenzordnung im Zusammenhang mit der Verfahrenseröffnung nicht ein (BGH, Beschl. v. 8. März 2007 - IX ZB 163/06, ZIP 2007, 792).
3. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 7, 6, 34 Abs. 2 Satz 1 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO), aber unzulässig. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO).
a) Die von der Rechtsbeschwerde für grundsätzlich erachtete Frage, ob eine nach dem Ausscheiden ihres vorletzten Gesellschafters erloschene, aber noch im Handelsregister eingetragene Kommanditgesellschaft nach dem Rechtsgedanken des § 15 HGB weiterhin insolvenzfähig ist, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, weil das Beschwerdegericht den Austritt der Gesellschafter aus der KG ohne zulassungsrelevanten Rechtsfehler als unwirksam nach § 117 BGB beurteilt hat; seine Rechtsauffassung zu § 15 HGB war daher nicht entscheidungserheblich.
b) Auch die Ausführungen des Beschwerdegerichts zum rechtlichen Interesse der weiteren Beteiligten zu 1 an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 14 Abs. 1 InsO) begründen nicht die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde. Dass die Vorinstanzen den zugrunde liegenden Sachverhalt insoweit anders subsumiert haben als der zuständige Abteilungsrichter im Insolvenzverfahren betreffend das Vermögen des L. N., berührt nicht die Einheitlichkeit der Rechtsprechung i.S.v. § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (BGH, Beschl. v. 16. September 2003 - XI ZR 238/02, NJW 2004, 1167).
c) Dahinstehen kann schließlich, ob das Beschwerdegericht die Forderung der U. GmbH gegen die Schuldnerin bei der Beurteilung des Eröffnungsgrundes der Zahlungsunfähigkeit trotz der Erklärung des "Generalbevollmächtigten" der U. GmbH betreffend eine angebliche Stundung dieser Forderung berücksichtigen durfte. Denn die Beurteilung des Beschwerdegerichts zur Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin wird bereits durch die unstreitig bestehende Umsatzsteuerforderung des Finanzamts G. getragen. Die von der Rechtsbeschwerde insoweit gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) liegt nicht vor.
Ganter Gehrlein Vill
Fischer Grupp
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http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-JURE100055033&psml=bsjrsprod.psml&max=true
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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|||||||||
JURE100055035
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BGH
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9. Zivilsenat
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20100114
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IX ZB 76/09
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Beschluss
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§ 315 InsO, § 13 ZPO, § 16 ZPO, § 3 EGV 1346/2000
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vorgehend LG München I, 14. Februar 2009, Az: 14 T 352/09, Beschluss vorgehend AG München, 2. Oktober 2008, Az: 1542 IN 2678/08
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DEU
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Nachlassinsolvenzverfahren: Örtliche Zuständigkeit des Insolvenzgerichts; grenzüberschreitende Insolvenz; wohnsitzlose Person als Erblasser
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Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 14. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 14. Februar 2009 wird auf Kosten des Antragstellers als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.
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Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit §§ 6, 7, 34 Abs. 1 InsO), jedoch unzulässig. Die nach § 574 Abs. 2 ZPO geltend gemachten Zulässigkeitsgründe liegen nicht vor; weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.
1. Die Frage der örtlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts München für die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens wäre schon nicht entscheidungserheblich, wenn die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht gegeben wäre. Wäre § 3 EuInsVO für das Nachlassinsolvenzverfahren anwendbar (nach wohl herrschender Meinung ist dies zu bejahen; vgl. HK-InsO/Marotzke, 5. Aufl. § 315 Rn. 8 m.w.N.), schiede die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte aus, weil der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in Spanien hatte. Ein Zulässigkeitsgrund wird insoweit nicht dargelegt.
2. Ist § 3 EuInsVO nicht anwendbar, wird für die internationale und örtliche Zuständigkeit § 315 InsO maßgebend. Ausschließlich zuständig ist danach das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk der Erblasser zur Zeit seines Todes seinen allgemeinen Gerichtsstand hatte. Dies richtet sich gemäß § 13 ZPO nach dem Wohnsitz. Bei wohnsitzlosen Personen ist gemäß § 16 ZPO allgemeiner Gerichtsstand der Aufenthaltsort im Inland, wenn ein solcher nicht bekannt ist der Ort des letzten Wohnsitzes. Hat die Person einen Wohnsitz im Ausland, ist dagegen § 16 ZPO nicht anwendbar, und es besteht keine inländische Zuständigkeit (MünchKomm-InsO/Siegmann, 2. Aufl. § 315 Rn. 8; MünchKomm-InsO/Ganter, aaO § 3 Rn. 17). Das Beschwerdegericht hat einen Wohnsitz im Ausland bejaht.
Die Frage, wann jemand wohnsitzlos im Sinne des § 16 ZPO ist, hat keine grundsätzliche Bedeutung. Es ist geklärt, wann ein Wohnsitz vorliegt. Der Wohnsitz wird gemäß § 7 Abs. 1 BGB dort begründet, wo sich eine Person ständig niederlässt. Erforderlich ist eine tatsächliche Niederlassung mit dem Willen, den Ort zum ständigen Schwerpunkt der Lebensverhältnisse zu machen. Die Niederlassung erfordert eine eigene Unterkunft, ein Obdachloser hat keinen Wohnsitz. Es genügt jedoch eine behelfsmäßige Unterkunft. Der Domizilwille muss darauf gerichtet sein, den Ort zum ständigen Schwerpunkt der Lebensverhältnisse zu machen. Dies kann sich aus den Umständen ergeben. Beides war hier der Fall. Es ist nicht erkennbar, dass das Landgericht den Begriff verkannt hätte. Es hat auch nicht Obdachlosigkeit mit Wohnsitzlosigkeit verwechselt, sondern lediglich angedeutet, dass Obdachlose keinen Wohnsitz haben.
Aus der öffentlichen Zustellung des vom Antragsteller erwirkten Versäumnisurteils ergibt sich schon deshalb nichts anderes, weil völlig offen ist, ob damals die hierfür erforderlichen Voraussetzungen tatsächlich vorgelegen haben und sich zwischenzeitlich auch nichts geändert hat.
3. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Antragstellers liegt nicht darin, dass das Beschwerdegericht kein Partikularinsolvenzverfahren eröffnet hat. Die Eröffnung eines solchen Verfahrens war nicht - auch nicht hilfsweise - beantragt worden. Dessen Voraussetzungen hatte der Gläubiger auch nicht dargelegt, sein Interesse hieran nicht glaubhaft gemacht. Das Vorliegen inländischen Vermögens wurde nicht substantiiert dargelegt. Die Grundstücke liegen in Spanien und stehen im Eigentum spanischer Gesellschaften. Ob auf die Gesellschaftsanteile des Schuldners zugegriffen werden kann und ob sie werthaltig sind, ist unklar. Lediglich eine geschäftsführend tätige Gesellschaft soll ihren Sitz in B. S. haben.
Eine örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts München besteht hierfür jedenfalls nicht (vgl. § 354 Abs. 3 InsO; Art. 102 § 1 Abs. 2 und 3 EGInsO). Der Gläubiger hatte auch keinen Verweisungsantrag gemäß § 281 ZPO, § 4 InsO gestellt.
Ganter Gehrlein Vill
Lohmann Fischer
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100055051
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BGH
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2. Strafsenat
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20100113
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2 ARs 569/09
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Beschluss
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§ 42 Abs 3 JGG
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DEU
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Jugendgerichtsverfahren: Abgabe an das nach Wohnsitzwechsel des Angeklagten zuständige Gericht
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Für die Untersuchung und Entscheidung der Sache ist das Amtsgericht - Jugendrichter - Nürnberg zuständig.
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Die Abgabe durch das Amtsgericht Darmstadt gemäß § 42 Abs. 3 JGG ist zulässig, weil der Angeklagte seinen Wohnsitz Anfang September 2009 und damit nach der Erhebung der Anklage nach Nürnberg verlegt hat (vgl. BGHSt 13, 209, 217). Sie ist auch im Hinblick auf die am Verfahren zu beteiligende Jugendgerichtshilfe des neuen Wohnortes zweckmäßig (vgl. BGH StraFo 2007, 162). Demgegenüber kommt hier dem Umstand, dass Zeugen in Hessen wohnhaft sind, nur eine untergeordnete Bedeutung zu (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Februar 2007 - 2 ARs 547/06).
Rissing-van Saan Fischer Appl
Cierniak Krehl
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100055072
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BGH
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2. Strafsenat
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20100113
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2 StR 428/09
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Urteil
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§ 212 StGB, § 227 StGB
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vorgehend LG Frankfurt, 10. Juni 2009, Az: 5/22 Ks 5/09 - 3590 Js 242390/08 Kap, Urteil
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DEU
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Bedingter Tötungsvorsatz bei zum Tode führender Körperverletzung
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Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 10. Juni 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt, zugleich seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass ein Jahr der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, die sich vor allem gegen die Ablehnung eines (bedingten) Tötungsvorsatzes wendet, hat mit der Sachrüge Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen der Schwurgerichtskammer hielt sich der Angeklagte, bei dem schon im Grundschulalter ein (nicht erfolgreich behandeltes) Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitäts-Syndrom festgestellt worden war, am 4. Oktober 2008 zwischen 1.00 Uhr und 1.30 Uhr im Bereich der P. schule in F. auf. Auf einem zum Teil unbeleuchteten Verbindungsweg, der zu Sportplätzen und einem Kleingartengelände führt, traf er auf das Tatopfer, einen ihm vom Sehen her bekannten Obdachlosen. Aus nicht näher zu klärenden Gründen gerieten dieser und der Angeklagte, der seiner Gewohnheit entsprechend im Laufe des Tages in größeren Mengen alkoholische Getränke zu sich genommen und mehrere Joints Marihuana geraucht hatte, in einen Streit, der in eine heftige Schlägerei überging. Im Zuge der gewalttätigen, etwa 30 Minuten dauernden Auseinandersetzung, deren Ablauf im Einzelnen nicht geklärt werden konnte, brachte der Angeklagte, der selbst unverletzt blieb, seinem Opfer - u.a. durch Faustschläge und Fußtritte - zahlreiche schwerwiegende Verletzungen bei. Anschließend zerrte er den Schwerverletzten - mit dem Rücken auf dem Boden schleifend - über den Weg, ließ ihn schließlich dort liegen und entfernte sich sodann vom Tatort. Er ging zum in der Nähe gelegenen Wohnhaus eines Freundes, berichtete diesem, er habe sich mit jemandem geschlagen, der "irgendwo da hinten" liege, und veranlasste ihn, mit ihm in Richtung Tatort zu laufen. Als es diesem aber mulmig wurde, weigerte er sich, weiter mit dem Angeklagten ins Dunkle zu gehen, und lief nach Hause zurück. Er ging dabei davon aus, dass der Angeklagte ihm ohnehin eine Lügengeschichte erzählt und niemanden geschlagen habe.
Das Tatopfer wurde am frühen Morgen des 4. Oktober 2008 tot auf dem Verbindungsweg aufgefunden. Es wies zahlreiche Verletzungen am gesamten Körper auf, insbesondere im Gesicht und im Bauchbereich, u.a. eine Mittelgesichtstrümmerfraktur und eine Einblutung in das große Netz mit Rippenserienbrüchen auf beiden Seiten. Ursache des binnen 30 Minuten eingetretenen Todes waren durch einen Jochbeinbruch eingetretene Verletzungen arterieller Gefäße und/oder venöser Geflechte, die zu starker Blutung und schneller Einatmung des Blutes geführt hatten.
2. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt, sich aber an einer Verurteilung wegen Totschlags, auch in Form eines Unterlassens, gehindert gesehen, weil ein (bedingter) Tötungsvorsatz dem Angeklagten, der sein Opfer erheblich verletzen wollte, nicht nachweisbar gewesen sei. Zwar könnten massive Verletzungen, wie der Angeklagte sie seinem Opfer zugefügt habe, den Schluss auf einen bedingten Tötungsvorsatz nahe legen. Angesichts der Besonderheiten in der Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten, seiner alkohol- und drogenbedingten Enthemmung zur Tatzeit und des Umstandes, dass die konkrete Ursache der letztlich zum Tode führenden Gesichtsverletzung nicht zu klären gewesen sei, könne nicht ausgeschlossen werden, dass dem Angeklagten das Ausmaß der Gefährlichkeit seines Handelns nicht bewusst gewesen sei und er den tödlichen Ausgang auch nicht gebilligt habe. Dies gelte auch, soweit der Angeklagte das Tatopfer liegen gelassen habe, ohne Hilfe zu holen. Ob ihm zu diesem Zeitpunkt bewusst gewesen sei, dass dieses unversorgt sterben könnte, und ob ihm dies gegebenenfalls gleichgültig gewesen sei, müsse offen bleiben. Angesichts der persönlichkeitsbedingten Unfähigkeit des Angeklagten, Verantwortung zu empfinden und Konsequenzen seines Handelns zu bedenken, könne nicht ausgeschlossen werden, dass er darauf vertraut habe, das Opfer werde die Verletzungen überleben (UA S. 18).
II.
Die Verneinung bedingten Tötungsvorsatzes durch das Landgericht hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
1. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei oder sieht er von einer weiter reichenden Verurteilung ab, weil er Zweifel nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Dieses hat insoweit nur zu beurteilen, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ-RR 2004, 238; 2005, 147).
2. Die Beweiswürdigung, mit der das Landgericht einen Tötungsvorsatz hinsichtlich der aktiven Verletzungshandlung des Angeklagten verneint hat, ist rechtsfehlerhaft.
a) Das Landgericht hat bereits das Wissenselement eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht feststellen können (UA S. 18). Die Beweiswürdigung hierzu ist lückenhaft. Keiner der drei zum Ausschluss des Wissenselementes vorgebrachten Umstände vermag dieses Ergebnis ohne nähere Erläuterung zu tragen. Die "Besonderheiten in der Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten" beschreiben Verhaltensauffälligkeiten und Eigenschaften, die im Laufe der Zeit - ausgehend von einer hyperkinetischen Störung (ICD-10 F90.1) - zu einer dissozialen Entwicklung des Angeklagten (F60.2) geführt haben (UA S. 3 f., 16). Anhaltspunkte dafür, dass sich das dem Angeklagten nach diesem Befund eigene Verhaltensmuster auf seine Erkenntnisfähigkeit ausgewirkt haben könnte, teilt das Urteil nicht mit. So lässt sich für das Revisionsgericht nicht nachvollziehen, ob der beschriebenen Persönlichkeitsentwicklung überhaupt Einfluss auf das Wissenselement beim Vorsatz zukommen kann.
Auch die "alkohol- und drogenbedingte Enthemmung des Angeklagten" zur Tatzeit ergibt nicht ohne Weiteres einen Anhalt dafür, dass ihm das Ausmaß der Gefährlichkeit seines Handelns nicht bewusst gewesen sein könnte. Nur in Fällen außergewöhnlich hoher Alkohol- und Drogenintoxikation liegt es auf der Hand, dass es neben der Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens auch zu einer Einschränkung der Wahrnehmungsfähigkeit kommen kann. Insoweit wäre das Landgericht gehalten gewesen, näher darzulegen, dass beim Angeklagten - trotz des Umstands, dass man seinen übertriebenen Trinkmengenangaben keinen Glauben geschenkt hat (UA S. 16) - ein solcher auch die Erkenntnisfähigkeit beeinträchtigender Zustand vorgelegen haben könnte. Dabei hätte es sich auch damit auseinandersetzen müssen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedenfalls bei schweren und lang andauernden Gewalthandlungen die Erkenntnisfähigkeit trotz alkoholbedingter Bewusstseinstrübung kaum fraglich sein kann (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 296).
Auch erlaubt der Umstand, dass das Landgericht eine konkrete Ursache für die zum Tode führenden Gesichtsverletzungen nicht feststellen konnte, einen Rückschluss darauf nicht, der Angeklagte habe die Gefährlichkeit der beim Tatopfer eingetretenen, zum Tode führenden Gesichtsverletzungen nicht wahrgenommen. Das Landgericht hat - sachverständig beraten - ausgeschlossen, dass das Opfer ohne Zutun des Angeklagten mehrmals hintereinander mit dem Gesicht auf das Geländer gestürzt sein und sich dadurch verletzt haben könnte. Es ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Gesichtsverletzungen dem Opfer durch mehrfache Gewalteinwirkung seitens des Angeklagten beigebracht worden sind, wobei die konkrete Art der Verursachung offen geblieben ist (UA S. 15). Warum der Angeklagte trotz der Feststellung, dass die Verletzungen jedenfalls auf konkreten, jeweils für sich lebensgefährlichen Gewalttätigkeiten des Angeklagten beruhen, gleichwohl die Gefährlichkeit seines Handelns nicht erkannt haben soll, erschließt sich deshalb nicht.
Schließlich ergibt sich auch unter zusammenfassender Betrachtung aller Gesichtspunkte keine tragfähige Grundlage für die Ablehnung des kognitiven Vorsatzelements. Auch soweit das Landgericht letztlich lediglich nicht ausgeschlossen hat, dass dem Angeklagten das Ausmaß der Gefährlichkeit seines Handelns nicht bewusst gewesen sei, fehlt es an der erforderlichen umfassenden Würdigung aller subjektiven und objektiven Tatumstände (vgl. dazu Fischer, StGB, 57. Aufl., 2010, § 212, Rdn. 7 m.w.N.). Das Landgericht hätte zusätzlich etwa den Umstand erörtern müssen, dass der Angeklagte nach Verlassen des Tatortes einen Freund aufgesucht hat und mit diesem zu dem am Boden liegend zurückgelassenen Tatopfer zurückkehren wollte. Mit der sich danach aufdrängenden Überlegung, der Angeklagte habe erkannt oder zumindest mit der Möglichkeit gerechnet, dass sich das Opfer in einer hilfsbedürftigen, lebensbedrohlichen Lage befand, hat sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt.
b) Das Schwurgericht hat aufgrund der genannten Umstände auch nicht ausschließen können, dass der Angeklagte den tatsächlichen Ausgang seines Handelns nicht gebilligt habe. Auch hinsichtlich dieser (wohl zusätzlich für den Fall des Vorliegens des Wissenselements angestellten) Erwägung fehlt es an der gebotenen umfassenden Abwägung sämtlicher die Tat und die Persönlichkeit des Angeklagten betreffender Umstände.
3. Die fehlerhafte Beweiswürdigung zum bedingten Vorsatz hinsichtlich der gegen das Tatopfer gerichteten Gewalthandlung des Angeklagten führt zur Aufhebung und Zurückverweisung, ohne dass es noch auf die weiter erhobenen Einwände gegen die Ablehnung eines versuchten Totschlags durch Unterlassen und die unterlassene Prüfung einer Strafbarkeit nach § 221 StGB ankommt.
Rissing-van Saan Fischer Appl
Cierniak Krehl
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http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-JURE100055072&psml=bsjrsprod.psml&max=true
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100055074
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BGH
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2. Strafsenat
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20100113
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2 StR 447/09
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Beschluss
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§ 20 StGB, § 224 StGB, § 241 StGB
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vorgehend LG Mühlhausen, 24. Juni 2009, Az: 120 Js 58726/08 - 1 Ks, Urteil
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DEU
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Strafverfahren wegen Bedrohung und gefährlicher Körperverletzung: Prüfung der Schuldunfähigkeit bei hoher Blutalkoholkonzentration und nicht nachvollziehbarem Tatmotiv
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Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 24. Juni 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bedrohung und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der allgemeinen Sachrüge Erfolg.
1. Nach den Feststellungen spielten der Angeklagte, das spätere Tatopfer und ein Dritter am Tattag seit dem frühen Morgen im Haus des Geschädigten Karten und konsumierten dabei erhebliche Mengen Alkohol. Gegen 16.30 Uhr fütterte der Angeklagte eine fremde Katze aus der Nachbarschaft, worüber der Geschädigte seinen Unmut zum Ausdruck brachte. Daraufhin verließ der Angeklagte das Haus, holte aus dem Hof eine Axt und äußerte ins Wohnzimmer zurückkehrend gegenüber seinen Mitspielern, er werde sie totschlagen. Anschließend griff er, die Axt schwingend, den Geschädigten an, dem - von zwei Schlägen nur gestreift - leicht verletzt die Flucht zu einem Nachbarhaus gelang, von wo aus er die Polizei verständigte. Währenddessen setzte sich der Angeklagte wortlos zu dem dritten im Wohnzimmer verbliebenen Spieler und wartete auf das Eintreffen der Polizei. Eine ihm um 18.00 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine BAK von 2,91 Promille.
2. Das Landgericht ist sachverständig beraten davon ausgegangen, der Angeklagte sei infolge des zuvor genossenen Alkohols aufgrund eines mittelgradigen Rausches nur erheblich vermindert in der Lage gewesen, sein Verhalten zu steuern. Mit der Frage einer möglichen Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB hat sich die Strafkammer nicht auseinandergesetzt. Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Rückgerechnet auf den Tatzeitpunkt wies der Angeklagte - was das Landgericht nicht bedacht hat - eine BAK von 3,41 Promille auf. Bei einer solch hohen Blutalkoholkonzentration ist regelmäßig die Prüfung einer Aufhebung der Schuldfähigkeit veranlasst (Fischer, StGB 57. Aufl. § 20 Rdn. 19 ff. m.w.N.). Zu einer solchen Prüfung bestand hier auch Veranlassung im Hinblick auf das kaum nachvollziehbare Tatmotiv, das ungewöhnliche Nachtatverhalten und angesichts des Umstandes, dass der nicht vorbestrafte Angeklagte weder generell zu Wut- und Aggressionsausbrüchen neigt noch sonst für aggressive Entgleisungen bekannt ist (UA 9).
3. Die aufgezeigte Lückenhaftigkeit des Urteils führt zu dessen Aufhebung und Zurückverweisung. Der neue Tatrichter wird - sollte er erneut zu einer entsprechenden Verurteilung kommen - zu bedenken haben, dass bei Verhängung von einzelnen Geldstrafen, die in einer Gesamtstrafe aufgehen, neben der Anzahl der Tagessätze auch immer die Tagessatzhöhe festzusetzen ist (BGHSt 30, 93, 96; BGHR StGB § 54 Abs. 3 Tagessatzhöhe 1).
Rissing-van Saan Fischer Appl
Cierniak Krehl
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100055435
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BGH
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Senat für Anwaltssachen
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20100107
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AnwZ (B) 79/09
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Beschluss
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§ 14 Abs 2 Nr 7 BRAO, § 259 Abs 1 S 2 InsO, § 291 Abs 1 InsO
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vorgehend OLG Hamm, 24. April 2009, Az: 1 AGH 11/09, Beschluss
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DEU
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Anwaltliches Berufsrecht: Widerruf der Anwaltszulassung bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei Kanzleifreigabe und Beantragung der Restschuldbefreiung
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Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen vom 24. April 2009 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.
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I.
Die Antragstellerin ist im Bezirk der Antragsgegnerin als Rechtsanwältin zugelassen. Am 29. Februar 2008 beantragte sie die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Dem entsprach das Amtsgericht - Insolvenzgericht - M... mit Beschluss vom 24. September 2008. Am 27. Oktober 2008 waren in dem bislang nicht abgeschlossenen Insolvenzverfahren Forderungen in Höhe von 92.417,73 € angemeldet. Mit Bescheid vom 27. Januar 2009 hat die Antragsgegnerin die Zulassung der Antragstellerin zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls widerrufen. Deren Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde. Die Antragsgegnerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
II.
Das nach § 215 Abs. 3 BRAO i.V.m. § 42 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BRAO a. F. zulässige Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
1. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Ein Vermögensverfall ist gegeben, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außer Stande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Beweisanzeichen hierfür sind insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschl. v. 25. März 1991, AnwZ (B) 73/90, BRAK-Mitt. 1991, 102; Beschl. v. 21. November 1994, AnwZ (B) 40/94, BRAK-Mitt. 1995, 126; Beschl. v. 26. November 2002, AnwZ (B) 18/01, NJW 2003, 577). Wird das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet, wird der Vermögensverfall gesetzlich vermutet.
2. Diese Voraussetzungen lagen bei Erlass des Widerrufsbescheids vor.
a) Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Antragstellerin in Vermögensverfall. Sie hatte über 70.000 € Schulden, die sie weder mit ihren Einnahmen aus ihrer anwaltlichen Tätigkeit noch aus ihrem Vermögen zurückzahlen konnte. Sie hatte deshalb selbst die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen beantragt und später Restschuldbefreiung beantragt. Der von dem Insolvenzgericht bestellte vorläufige Insolvenzverwalter stellte in seinem Bericht fest, dass ermittelten Gläubigerforderungen von etwa 92.000 € eine freie Masse von etwa 14.500 € gegenüberstand. Aus diesem Bericht ergibt sich auch, dass die Antragstellerin nicht in der Lage war, ihren eigenen und den Lebensunterhalt ihrer beiden minderjährigen Kinder aus ihren Einkünften zu bestreiten, und dass ihr deshalb staatliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 1.030,40 € bewilligt worden waren. Der Vermögensverfall wurde bei der Antragstellerin auch gesetzlich vermutet, weil das Insolvenzgericht auf Grund des Berichts des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Beschluss vom 24. September 2008 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Antragstellerin eröffnet hatte. Diese Vermutung hat die Antragstellerin nicht entkräftet.
b) Bei Erlass des Widerrufsbescheids lagen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet waren und deshalb nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 Halbsatz 1 BRAO von einem Widerruf abzusehen war.
aa) Wie der Bestimmung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zu entnehmen ist, geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Interessen der Rechtsuchenden gefährdet sind, wenn sich der Rechtsanwalt in Vermögensverfall befindet (Senat, Beschl. v. 31. März 2008, AnwZ (B) 33/07, juris). Das ist in der Regel auch der Fall, insbesondere im Hinblick auf den Umgang des Rechtsanwalts mit Fremdgeldern und den darauf möglichen Zugriff von Gläubigern (Senat, Beschl. v. 18. Oktober 2004, AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511 unter II 2 a). Diese Gefährdung entfällt nicht bereits durch die Insolvenzeröffnung und die damit verbundene Verfügungsbeschränkung des Insolvenzschuldners (Senat, Beschl. v. 25. Juni 2007, AnwZ (B) 101/05, NJW 2007, 2924, 2925, Tz. 12; Beschl. v. 31. März 2008, AnwZ (B) 33/07, juris). Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens löst nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 Halbsatz 2 BRAO die Vermutung des Vermögensverfalls aus. Das wiederum hat seinen Grund darin, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 16 InsO einen Eröffnungsgrund - das sind nach §§ 17 bis 19 InsO Zahlungsunfähigkeit, drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung - voraussetzt und damit eine Gefährdung der Rechtsuchenden indiziert. Nach dieser Wertung des Gesetzgebers kann die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht schon als solche dazu führen, dass die Gefährdung der Rechtsuchenden durch den mit der Verfahrenseröffnung gerade vermuteten Vermögensverfall nicht mehr besteht. Dann liefe die Vermutung im Ergebnis ins Leere.
bb) Die Gefährdung der Rechtsuchenden entfällt auch nicht schon mit der Freigabe der Kanzlei durch den Insolvenzverwalter (Senat, Beschl. v. 16. April 2007, AnwZ (B) 6/06, ZVI 2007, 619, 620). Die Kanzlei wird nämlich regelmäßig - und so auch im Fall der Antragstellerin - deshalb freigegeben, weil sich der Insolvenzverwalter von ihrem weiteren Betrieb keine Übererlöse für die Insolvenzmasse verspricht und Kosten vermeiden möchte. Mit ihrer Freigabe durch den Insolvenzverwalter unterliegt die Kanzlei zwar nicht mehr dem Insolvenzbeschlag. Damit kann der Rechtsanwalt dann auch wieder frei seine Kanzlei betreiben. Entgegen der Annahme der Antragstellerin verbessert das die Lage der Rechtsuchenden aber nicht. Der Rechtsanwalt kann wieder Fremdgelder entgegennehmen und über sie verfügen. Seine Gläubiger können auf das Kanzleivermögen zugreifen wie auf andere freie Vermögenswerte des Rechtsanwalts. Die Interessen der Rechtsuchenden bleiben deshalb auch und gerade nach einer Freigabe der Kanzlei mangels Ertrags unverändert gefährdet.
3. Die Voraussetzungen für den Widerruf der Zulassung sind auch nicht im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens zweifelsfrei entfallen.
a) Im gerichtlichen Verfahren gegen Entscheidungen über den Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats zu berücksichtigen, ob der Grund für den Widerruf nachträglich entfallen ist (BGHZ 75, 356, 357; 84, 149, 150). Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass der Rechtsanwalt andernfalls nach Bestätigung des Widerrufs sogleich wieder zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden müsste. Erfolgt der Widerruf wegen Vermögensverfalls, besteht ein Anspruch auf Wiederzulassung aber nur, wenn geordnete Verhältnisse zweifelsfrei wiederhergestellt sind. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass es ihm gelungen ist, den Vermögensverfall zu beseitigen, trifft den Rechtsanwalt (BGH, Beschl. v. 10. Dezember 2007, AnwZ (B) 1/07, BRAK-Mitt. 2008, 73, Tz. 8; Feuerich/Weyland, BRAO, 7. Aufl., § 14 Rdn. 60). Deshalb kann ein nachträglicher Wegfall des Widerrufsgrunds des Vermögensverfalls auch bei der gerichtlichen Überprüfung des Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nur berücksichtigt werden, wenn er zweifelsfrei nachgewiesen wird.
b) Diesen Nachweis hat die Antragstellerin nicht geführt.
aa) Die Vermögensverhältnisse eines Rechtsanwalts können grundsätzlich erst mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens, mit welcher der Schuldner das Recht zurückerhält, über die vormalige Insolvenzmasse frei zu verfügen (§ 259 Abs. 1 Satz 2 InsO), und mit der Ankündigung der Restschuldbefreiung durch Beschluss des Insolvenzgerichts (§ 291 Abs. 1 InsO) wieder als geordnet angesehen werden (Senat, Beschl. v. 7. Dezember 2004, AnwZ (B) 40/04, NJW 2005, 1271 unter II 2 und 3). Daran fehlt es hier. Das Insolvenzverfahren ist nicht abgeschlossen. Greifbare Anhaltspunkt dafür, dass sich ein Verfahrensabschluss mit einer Restschuldbefreiung oder einem Insolvenzplan kurzfristig erreichen ließe, bestehen nicht. Der Insolvenzverwalter hat zwar in seinem Gutachten für das Insolvenzgericht vom 29. August 2008 die Möglichkeit angesprochen, mit einem Darlehen der Eltern der Antragstellerin über 10.000 € einen "Vergleich" mit den Gläubigern und einen kurzfristigen Verfahrensabschluss zu erreichen. Die Antragstellerin hat aber weder die Bereitstellung der Mittel nachgewiesen noch dargelegt, dass sie statt der von ihr zunächst beantragten Restschuldbefreiung vorrangig den Abschluss des Verfahrens durch Schuldenbereinigungsplan anstrebt und aus welchen Gründen der erwogene Schuldenbereinigungsplan in dem seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens verstrichenen Zeitraum von mehr als einem Jahr nicht zustande gekommen ist. Das geht zu ihren Lasten.
bb) Die Gefährdung der Rechtsuchenden besteht grundsätzlich fort, solange das Verfahren läuft. Auch der Antrag auf Restschuldbefreiung im Insolvenzverfahren ändert an dem Fortbestand einer Gefährdung der Rechtsuchenden nichts (Senat, Beschl. v. 13. März 2000, AnwZ (B) 28/99, NJW-RR 2000, 1228, 1229; Beschl. v. 7. März 2005, AnwZ (B) 7/04, NJW 2005, 1944; Beschl. v. 31. März 2008, AnwZ (B) 33/07, juris). Vielmehr kann in aller Regel erst dann davon ausgegangen werden, dass nicht nur der Vermögensverfall, sondern auch eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden nach dem Abschluss des Insolvenzverfahrens nicht mehr fortbesteht, wenn das Insolvenzverfahren zu einem Abschluss führt, bei dem mit einer Konsolidierung der Vermögensverhältnisse des Antragstellers gerechnet werden kann. Das setzt die Ankündigung der Restschuldbefreiung durch Beschluss des Insolvenzgerichts (Senat, Beschl. v. 7. Dezember 2004, AnwZ (B) 40/04, NJW 2005, 1271 unter II 2; Beschl. v. 7. März 2005, AnwZ (B) 7/04, NJW 2005, 1944; Beschl. v. 16. April 2007, AnwZ (B) 6/06, ZVI 2007, 619, 620) oder die Annahme eines Schuldenbereinigungsplans durch die Gläubiger oder die Ersetzung von deren Zustimmung durch das Insolvenzgericht (Senat, Beschl. v. 6. November 2000, AnwZ (B) 1/00, juris; Beschl. v. 7. Dezember 2004, AnwZ (B) 40/04, NJW 2005, 1271) voraus. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Es ist nicht einmal erkennbar, ob das Verfahren durch Schuldenbereinigungsplan oder im Wege der Restschuldbefreiung beendet werden soll. Auch das geht zu Lasten der Antragstellerin.
4. Der Senat entscheidet im schriftlichen Verfahren, weil die Beteiligten auf eine mündliche Verhandlung verzichtet haben. Die Besetzung bestimmt sich mangels abweichender Übergangsregelung auch in Verfahren, die vor dem 1. September 2009 bei dem Senat anhängig geworden sind, nach § 106 Abs. 2 Satz 1 BRAO in der seitdem geltenden Fassung (Senat, Beschl. v. 4. November 2009, AnwZ (B) 16/09 für BGHZ bestimmt, juris).
Ganter Ernemann Schmidt-Räntsch
Wüllrich Braeuer
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100055470
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BGH
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4. Strafsenat
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20100105
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4 StR 478/09
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Beschluss
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§ 224 Abs 1 Nr 5 StGB
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vorgehend LG Arnsberg, 19. März 2009, Az: 2 Ks 382 Js 591/08 (26/08a), Urteil
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DEU
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Gefährliche Körperverletzung: Lebensgefährdende Behandlung durch Werfen auf die Fahrbahn
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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 19. März 2009 im Strafausspruch dahin geändert, dass
a) der Angeklagte zu einer Einzelstrafe von vier Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe und einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren drei Monaten und einer Woche verurteilt wird,
b) die Tagessatzhöhe für die verhängte Einzelgeldstrafe auf einen Euro festgesetzt wird.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr (Einzelstrafe: vier Jahre drei Monate und drei Wochen Freiheitsstrafe) und wegen vorsätzlicher Körperverletzung (Einzelstrafe: Geldstrafe von 20 Tagessätzen) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen geringen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Bei der Bemessung der Einsatzstrafe hat das Landgericht die Vorschrift des § 39 StGB nicht berücksichtigt, wonach Freiheitsstrafen von mehr als einem Jahr nach vollen Monaten und Jahren zu bemessen sind. Der Senat setzt diese Strafe daher auf eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten herab und bildet aus dieser und der für die vorsätzliche Körperverletzung erkannten Geldstrafe die - hier denkbar niedrigste - Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren drei Monaten und einer Woche (vgl. hierzu Fischer StGB 57. Aufl. § 39 Rdn. 6).
2. Außerdem hat das Landgericht die Festsetzung der Tagessatzhöhe für die verhängte Einzelgeldstrafe unterlassen, die auch dann zu treffen ist, wenn, wie hier, eine Gesamtfreiheitsstrafe gebildet wird (vgl. BGHSt 30, 93, 96). Der Senat hat dies nachgeholt und die Tagessatzhöhe auf den Mindestsatz nach § 40 Abs. 2 Satz 3 StGB festgesetzt.
3. Im Übrigen bemerkt der Senat ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts:
a) Entgegen den insoweit missverständlichen Ausführungen im angefochtenen Urteil (UA 35) ist für die Tatbestandsverwirklichung des § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB keinesfalls nur auf eine konkrete Gefährdung des von der Zeugin V. geführten Fahrzeugs abzustellen. Anders als in der vom Landgericht zitierten Senatsentscheidung vom 13. Juni 2006 - 4 StR 123/06 - NZV 2006, 483 f. hat sich der Geschädigte hier die Verletzungen nicht bereits bei dem Sturz auf die Fahrbahn zugezogen. Vielmehr ist dadurch, dass der Geschädigte vom Angeklagten auf die Fahrbahn geworfen wurde, angesichts des noch vorhandenen Fahrzeugverkehrs eine weitere - zunächst noch abstrakte - Gefahrenlage für den Geschädigten entstanden, die sich in dem nachfolgenden Unfallgeschehen auch realisiert hat (vgl. Senat, Beschluss vom 26. August 1997 - 4 StR 350/97).
b) Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen belegen nicht, dass der Angeklagte tateinheitlich zu der schweren Körperverletzung auch eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB begangen hat. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Art der Behandlung des Geschädigten durch den Täter nach den Umständen des Einzelfalls (generell) geeignet wäre, das Leben zu gefährden (st. Rspr.; vgl. Fischer aaO § 224 Rdn. 12 m.w.N.). Die Feststellungen belegen indes nicht, dass das Werfen auf die Fahrbahn bereits für sich als lebensbedrohlich in diesem Sinne angesehen werden kann. Zwar ist es infolge der dadurch verursachten Lage des Geschädigten auf der Fahrbahn zu einem dessen Leben bedrohenden Unfallgeschehen gekommen. Dies ist aber für die rechtliche Bewertung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ohne Relevanz, weil der Körperverletzungserfolg erst durch den nachfolgenden Unfall und nicht "mittels" der Art der Behandlung durch den Angeklagten eingetreten ist (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Juni 2006 aaO).
Tepperwien Maatz Athing
Solin-Stojanović Franke
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100055472
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BGH
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2. Strafsenat
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20100113
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2 StR 519/09
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Beschluss
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§ 64 S 2 StGB, § 73a StGB, § 31 BtMG
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vorgehend LG Bonn, 21. Juli 2009, Az: 24 KLs 3/09 - 930 Js 265/08, Urteil
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DEU
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Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Hinreichend konkrete Aussicht der Rückfallfreiheit
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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 21. Juli 2009 mit den Feststellungen aufgehoben
a) im Ausspruch über die Maßregel,
b) soweit das Landgericht den Verfall des Wertersatzes angeordnet hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Bonn zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Es hat seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass sechs Monate der Gesamtfreiheitsstrafe vor der Maßregel zu vollziehen sind. Ferner hat es ausgesprochen, dass "der Betrag von 1.750 € … dem Wertersatzverfall" unterliegt. Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Nachprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Beschwerdeführers ergeben.
2. Hingegen hat die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt keinen Bestand.
Nach § 64 Satz 2 StGB ergeht diese Anordnung nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Angeklagten durch die Behandlung zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf seinen Hang zurückgehen. Die hinreichend konkrete Aussicht der Rückfallfreiheit muss sich demgemäß auf einen "erheblichen" Zeitraum erstrecken. Konkrete Anhaltspunkte für einen die Behandlung im Maßregelvollzug überdauernden Therapieerfolg (vgl. BGH, Beschl. v. 16. September 2008 - 5 StR 378/08; Fischer StGB 57. Aufl. § 64 Rdn. 19) hat das Landgericht nicht festgestellt. Es hat sich vielmehr dem gehörten Sachverständigen angeschlossen, der ausgeführt hat, der Angeklagte sei "zumindest verbal therapiewillig und erscheine auch aufgrund seiner Ausstattung und Persönlichkeitsstruktur therapiefähig … Die Möglichkeit, eine entsprechende therapeutische Veränderung herbeizuführen, könne bejaht werden." Damit hat die Strafkammer jedoch lediglich, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend näher ausgeführt hat, die bloße Möglichkeit einer therapeutischen Veränderung festgestellt. Eine weitergehende Erfolgsaussicht vermag der Senat dem angefochtenen Urteil auch in seinem Gesamtzusammenhang nicht zu entnehmen, zumal der Angeklagte nach regulärer Beendigung eines in den Jahren 2005 und 2006 durchgeführten Methadonprogramms wieder massiv rückfällig geworden ist.
Damit entfällt auch die Anordnung des Vorwegvollzugs von sechs Monaten der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe vor der Maßregel. Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird im Falle der erneuten Anordnung der Unterbringung auch die voraussichtlich notwendige Dauer des Maßregelvollzugs mit sachverständiger Hilfe festzulegen haben. Erforderlich ist eine präzise Prognose darüber, wie lange genau die Unterbringung voraussichtlich erforderlich sein wird. Nur auf der Grundlage einer solchen Prognose kann bestimmt werden, welcher Teil der Strafe (einschließlich der anzurechnenden Untersuchungshaft, vgl. BGH NStZ-RR 2008, 182) vorab zu vollziehen ist, bis exakt der in § 67 Abs. 5 StGB bezeichnete Zeitpunkt der Halbstrafenentlassung erreicht sein wird (vgl. BGH StV 2008, 638).
3. Die Strafkammer hat den Betrag von 1.750 € als Ersatz für den Wert des erlangten Heroins und Kokains für verfallen erklärt. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Denn insoweit hatte der Angeklagte aus den Taten nicht einen Erlös, sondern lediglich die Betäubungsmittel selbst erlangt. Diese unterliegen als Beziehungsgegenstände nur der Einziehung nach § 33 Abs. 2 BtMG, nicht aber dem Verfall (vgl. BGH StV 2002, 260). Damit scheidet auch die Anordnung des Wertersatzverfalls nach § 73 a StGB aus, die nur (ersatzweise) anstelle des Verfalls in Betracht kommt. Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird zu prüfen haben, ob in der genannten Höhe (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) der Verfall von Wertersatz im Blick auf die vom Angeklagten aus den Betäubungsmittelgeschäften erzielten Erlöse anzuordnen ist; auch insoweit erhält der Angeklagte durch die neue Hauptverhandlung das rechtliche Gehör.
Rissing-van Saan Fischer Appl
Cierniak Krehl
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100055477
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BGH
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4. Strafsenat
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20100114
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4 StR 399/09
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Urteil
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§ 21 StGB, § 211 StGB
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vorgehend LG Essen, 16. Februar 2009, Az: 22 Ks 29/08 - 70 Js 318/08, Urteil
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DEU
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Heimtückemord: Fehlendes Ausnutzungsbewusstsein bei affektivem Impulsdurchbruch
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1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft, der Nebenkläger und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 16. Februar 2009 werden verworfen.
2. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft sowie die dem Angeklagten hierdurch und seine durch die Revisionen der Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Die Nebenkläger tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel. Die im Revisionsverfahren durch die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen jedoch die Staatskasse und die Nebenkläger je zur Hälfte. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Hiergegen wenden sich der Angeklagte, die Staatsanwaltschaft sowie die Nebenkläger mit ihren jeweils auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen. Während sich das Rechtsmittel des Angeklagten, mit dem dieser Beschwerdeführer die Nichtanwendung des § 213 StGB beanstandet, allein gegen die Strafzumessung richtet, streben die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger mit ihren Rechtsmitteln eine Verurteilung des Angeklagten wegen Heimtückemordes an. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen tötete der nicht bestrafte, seinerzeit 21 Jahre alte Angeklagte die im Tatzeitpunkt 19jährige Abiturientin Sarah L., zu der er "eine Art Ersatzbeziehung" unterhielt, in der Nacht zum 17. Juli 2008, indem er ihr insgesamt 49 Messerstiche versetzte. Unmittelbarer Auslöser für die Gewaltattacke war eine abfällige Äußerung des Tatopfers über die bisherige Freundin des Angeklagten, mit der er seine bisherige Beziehung fortsetzen zu können hoffte.
Das Landgericht ist - dem psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. Le. sowie dem psychologischen Sachverständigen Dr. S. folgend - davon ausgegangen, der Angeklagte habe die Tat infolge eines Affekts im Zustand nicht ausschließbar erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begangen.
II. Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger
Die Schwurgerichtskammer hat das Vorliegen der mordqualifizierenden Merkmale der Heimtücke, der niedrigen Beweggründe und der Grausamkeit geprüft, diese aber im Ergebnis verneint. Zwar erfülle die Tat objektiv die Voraussetzungen der Heimtücke, weil sich Sarah keines Angriffs durch den Angeklagten versehen habe. Es blieben aber - so das Landgericht - in subjektiver Hinsicht Zweifel, dass der Angeklagte die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers erkannt und diese zur Tat ausgenutzt habe. Diese Zweifel gründeten sich auf den affektiven Impulsdurchbruch beim Angeklagten als Folge einer von ihm als Provokation empfundenen Äußerung Sarahs. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte Sarah bereits mit der Erwägung, sie zu töten, an den Tatort gelockt haben könnte, bestünden nicht.
Die dieser Wertung zu Grunde liegende Beweiswürdigung des Tatrichters weist keinen Rechtsfehler auf. Die Schwurgerichtskammer hat nicht verkannt, dass nach der Rechtsprechung (BGH NStZ 2008, 510, 511) allein auf Grund eines relevanten Affekts vom Schweregrad des § 21 StGB nicht ohne Weiteres auf das Fehlen des Ausnutzungsbewusstseins geschlossen werden darf. Wenn das Gericht angesichts der besonderen äußeren und inneren Umstände des Tatgeschehens in Übereinstimmung mit den Sachverständigen eine sichere Überzeugung von der subjektiven Tatseite der mordqualifizierenden Merkmale nicht zu gewinnen vermochte, so hält sich dies im Rahmen der in erster Linie dem Tatrichter vorbehaltenen Würdigung und ist deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmen. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger zeigen demgegenüber durchgreifende Lücken oder Widersprüche in der Beweiswürdigung nicht auf. Insoweit verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 30. Oktober 2009.
III. Revision des Angeklagten
Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung des Angeklagten hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Auch insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 30. Oktober 2009 Bezug.
IV. Damit hat es bei dem angefochtenen Urteil sein Bewenden.
Zu der Kosten- und Auslagenentscheidung verweist der Senat auf den Beschluss des BGH vom 30. November 2005 - 2 StR 402/05 (NStZ-RR 2006, 128, nur LS).
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100055492
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BGH
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4. Strafsenat
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20100114
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4 StR 93/09
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Beschluss
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§ 202a Abs 1 StGB, § 202a Abs 2 StGB
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vorgehend LG Münster, 20. November 2008, Az: 9 KLs 210 Js 223/07 - 8/08, Urteil
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DEU
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Ausspähen von Daten durch Auslesen von auf dem Magnetstreifen einer Zahlungskarte gespeicherten Daten
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1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird
a) mit Zustimmung des Generalbundesanwalts der Vorwurf des jeweils tateinheitlich begangenen Ausspähens von Daten gemäß § 154 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO von der Verfolgung ausgenommen;
b) das angefochtene Urteil des Landgerichts Münster vom 20. November 2008, soweit es die Angeklagten betrifft,
aa) in den Schuldsprüchen dahin geändert, dass die Verurteilungen wegen tateinheitlich begangenen Ausspähens von Daten entfallen;
bb) hinsichtlich der Angeklagten V., Ch. und N. jeweils im gesamten Strafausspruch und hinsichtlich des Angeklagten P. in den Aussprüchen über die in den Fällen I. bis III. der Anklage verhängten Einzelstrafen und über die Gesamtstrafe aufgehoben.
2. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
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Das Landgericht hat die Angeklagten V., Ch. und N. des Ausspähens von Daten in Tateinheit mit gewerbs- und bandenmäßiger Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion in vier Fällen, davon in zwei Fällen mit gewerbs- und bandenmäßigem Computerbetrug, und den Angeklagten P. des Ausspähens von Daten in Tateinheit mit gewerbs- und bandenmäßiger Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion in drei Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Beihilfe zum gewerbs- und bandenmäßigen Computerbetrug, und der Beihilfe zur Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion schuldig gesprochen. Es hat die Angeklagten V. und N. jeweils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren, den Angeklagten Ch. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten und den Angeklagten P. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung sachlichen Rechts; die Angeklagten P., Ch. und N. beanstanden ferner das Verfahren.
Die Revisionen haben in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Vorwurf des jeweils tateinheitlich begangenen Ausspähens von Daten wird mit Zustimmung des Generalbundesanwalts aus verfahrensökonomischen Gründen gemäß § 154 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO von der Verfolgung ausgenommen. Nach Auffassung des Senats erfüllt das bloße Auslesen von auf dem Magnetstreifen einer Zahlungskarte gespeicherten Daten, um mit diesen Daten Kartendubletten herzustellen, nicht den Tatbestand des Ausspähens von Daten. § 202 a Abs. 1 StGB setzt u.a. voraus, dass der Täter sich oder einem anderen den Zugang zu Daten, die gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind, unter Überwindung der Zugangssicherung verschafft. Der Überwindung einer solchen Zugangssicherung bedarf es aber nicht, wenn diese lediglich ausgelesen werden sollen. Dies ist ohne Weiteres mittels eines handelsüblichen Lesegeräts und der ebenfalls im Handel erhältlichen Software möglich. Dass Daten magnetisch und damit nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind, stellt keine besondere Sicherung gegen unberechtigten Zugang dar. Vielmehr handelt es sich gemäß § 202 a Abs. 2 StGB nur bei Daten, die auf diese Weise gespeichert sind, um Daten im Sinne des Abs. 1 dieser Vorschrift. Schon daraus ergibt sich, dass nicht schon diese Art der Speicherung eine besondere Sicherung im Sinne des § 202 a Abs. 1 StGB darstellt, sondern dass darüber hinaus Vorkehrungen getroffen sein müssen, die den unbefugten Zugriff auf Daten ausschließen oder zumindest erheblich erschweren (vgl. Fischer StGB 57. Aufl. § 202 a Rdn. 8). Der Senat sieht sich an einer Änderung des Schuldspruchs durch das Urteil des 3. Strafsenats vom 10. Mai 2005 - 3 StR 425/04 (NStZ 2005, 566) gehindert. Mit Rücksicht darauf, dass sich der Abschluss des Revisionsverfahrens durch die Durchführung des zur Klärung der Rechtsfrage erforderlichen Anfrageverfahrens und die möglicherweise danach gebotene Anrufung des Großen Senats für Strafsachen erheblich verzögern würde, sieht der Senat von der Klärung dieser Rechtsfrage in diesem Verfahren ab. Zudem fällt das mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bedrohte Vergehen des Ausspähens von Daten gegenüber dem Verbrechen der Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion nicht beträchtlich ins Gewicht.
2. Die Beschränkung der Strafverfolgung führt zu entsprechenden Änderungen der Schuldsprüche.
Zwar fällt die Verwirklichung des Straftatbestandes des § 202 a StGB neben der Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion nicht beträchtlich ins Gewicht. Der Senat kann aber gleichwohl nicht ausschließen, dass die Verurteilung der Angeklagten auch wegen Ausspähens von Daten die Bemessung der Einzelstrafen beeinflusst hat, weil das Landgericht die tateinheitliche Verwirklichung auch dieses Straftatbestandes bei allen Angeklagten ausdrücklich strafschärfend gewürdigt hat. Dies nötigt hinsichtlich der Angeklagten V., Ch. und N. jeweils zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs. Hinsichtlich des Angeklagten P. haben aus dem vorgenannten Grund die in den Fällen I. bis III. der Anklage verhängten Einzelstrafen sowie der Ausspruch über die Gesamtstrafe keinen Bestand. Dagegen weist die Zumessung der gegen ihn im Fall VI. der Anklage wegen Beihilfe zur Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion verhängte Einzelstrafe von einem Jahr und sechs Monaten keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
Die zu Grunde liegenden Feststellungen sind rechtsfehlerfrei getroffen und können deshalb bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen, die hierzu nicht in Widerspruch stehen, sind möglich.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100055495
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BGH
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4. Zivilsenat
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20100120
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IV ZR 111/07
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Beschluss
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§ 7 BUZ
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vorgehend OLG Köln, 18. April 2007, Az: 5 U 180/06, Urteil vorgehend LG Köln, 26. Juli 2006, Az: 23 O 508/02
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DEU
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Berufsunfähigkeitsversicherung: Feststellung und Nachweis der Voraussetzungen und des Umfangs der Leistungspflicht des Versicherers im Deckungsprozess des Versicherungsnehmers nach Kulanzentscheidung
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Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 18. April 2007 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 74.414,88 €
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen. Die als rechtsgrundsätzlich bezeichneten Fragen sind geklärt oder nicht entscheidungserheblich.
Zur rechtlichen Bedeutung einer befristeten Leistungszusage, die sich für den Versicherungsnehmer eindeutig erkennbar lediglich als Kulanzentscheidung darstellt, hat der Senat entschieden, dass darin kein Anerkenntnis liegt, das den Versicherer über den zugesagten Zeitraum hinaus bindet mit der Folge, dass er eine Leistungseinstellung nur im Wege des Nachprüfungsverfahrens nach § 7 BB-BUZ erreichen kann (Urteil vom 12. November 2003 - IV ZR 173/02 - VersR 2004, 96 unter II 1 a m.w.N.). Das Schreiben der Beklagten vom 17. September 1998 ist vom Berufungsgericht zutreffend als eine solche Kulanzentscheidung ausgelegt worden. Der Kläger hat dies auch nicht anders verstanden, wie seinem Schreiben vom 22. September 1998 zu entnehmen ist. Die Frage nach dem zulässigen Inhalt einer Vereinbarung über die Leistungspflicht im Sinne der Senatsurteile vom 7. Februar 2007 (IV ZR 244/03 - VersR 2007, 633) und vom 28. Februar 2007 (IV ZR 46/06 - VersR 2007, 777) stellt sich deshalb nicht.
Da die Beklagte ein Anerkenntnis nicht abgegeben hatte, war der Kläger darauf verwiesen, seine Ansprüche im Wege der Klage geltend zu machen. Im Rechtsstreit ist dann - wie hier auch geschehen - zunächst vom Versicherungsnehmer der Nachweis bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit zu führen. Ist danach ab einem bestimmten Zeitpunkt eine Leistungspflicht gegeben, steht dem Versicherer im selben Rechtsstreit der Beweis offen, dass und ab welchem Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine Herabsetzung oder Einstellung der Leistungen nach § 7 BB-BUZ eingetreten sind (vgl. Senatsurteile vom 19. November 1997 - IV ZR 6/97 - VersR 1998, 173 unter 2 b und 3; vom 11. Dezember 1996 - IV ZR 238/95 - VersR 1997, 436 unter II 1 und vom 27. September 1989 - IVa ZR 132/88 - VersR 1989, 1182 unter 4). Im Urteil ist dann über Beginn und Ende der Leistungspflicht zu entscheiden.
Diese vom Berufungsgericht getroffene Entscheidung ist nicht zum Nachteil des Klägers ausgefallen. Nach den nicht angefochtenen Feststellungen lag ab dem 1. Januar 2000 bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit nicht mehr vor. Dem entspricht das Urteil des Landgerichts. Da das Berufungsgericht dem Kläger Leistungen bis Ende Juni 2001 zuerkannt hat, sind die Ausführungen im Berufungsurteil zu § 242 BGB nicht entscheidungserheblich.
Terno Seiffert Dr. Kessal-Wulf
Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100055497
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BGH
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4. Zivilsenat
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20100113
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IV ZR 188/07
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Beschluss
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§ 4 Abs 1 Nr 6 Buchst a AHB
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vorgehend OLG Düsseldorf, 26. Juni 2007, Az: I-4 U 64/06, Urteil vorgehend LG Duisburg, 21. Februar 2006, Az: 4 O 403/05
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DEU
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Versäumnisurteil im Haftpflichtprozess: Bindungswirkung im Deckungsprozess gegen den Haftpflichtversicherer
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Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 26. Juni 2007 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Streitwert: 71.149 €
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Anders als der Beschwerdeführer meint, hat das Landgericht Duisburg mit dem im Rechtsstreit 3 O 239/04 (Haftpflichtprozess) am 15. Dezember 2004 erlassenen Versäumnisurteil nicht für den vorliegenden Deckungsprozess bindend festgestellt, dass die der früheren Vermieterin des Klägers zuerkannten Mangelbeseitigungs- und Schadensersatzansprüche auf der Beschädigung einer fremden, vom Kläger gemieteten Sache im Sinne des Leistungsausschlusses des § 4 I Nr. 6 Buchst. a AHB beruhen.
Auch wenn man das dem Versäumnisurteil zugrunde liegende Vorbringen der dortigen Klägerin (früheren Vermieterin des jetzigen Klägers) in den Blick nimmt (vgl. dazu Senatsurteil vom 19. März 2003 - IV ZR 233/01 - VersR 2003, 635 unter II 2 b), ergibt sich lediglich, dass dem Kläger (und Versicherungsnehmer) des vorliegenden Rechtsstreits das von ihm 1992 zum Zweck des Betriebs einer chemischen Reinigung angemietete Geschäftslokal von der Vermieterin in mangelfreiem Zustand überlassen worden war und er es bei Beendigung des Mietverhältnisses in mangelhaftem Zustand zurückgegeben, sich ferner mit der Verpflichtung, den Mangel zu beseitigen, in Verzug befunden hat. Der Mangel der Mietsache bestand darin, dass das Erdreich unmittelbar und seitlich versetzt unter der angemieteten Ladenfläche mit leicht halogenisierten Kohlenwasserstoffen (LHKW) kontaminiert war.
Soweit der jetzige Kläger in dem genannten Versäumnisurteil zur Beseitigung dieser Bodenverunreinigung und zum Ersatz für Schäden verurteilt worden ist, die auf der verspäteten Erfüllung dieser Verpflichtung beruhen, stützt sich das auf den Anspruch der Vermieterin wegen der Verletzung einer Nebenpflicht aus dem Mietvertrag nach § 280 BGB. Zwar ist der Mieter gemäß § 546 BGB auch verpflichtet, die Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses an den Vermieter zurückzugeben. Für diese Rückgabeverpflichtung ist der Zustand der Mietsache (d.h. die Mangelfreiheit) jedoch grundsätzlich ohne Bedeutung (BGHZ 104, 285, 289; 86, 204, 209). Gibt der Mieter eine mangelhafte Mietsache zurück, so kann dies aber seine Schadensersatzpflicht wegen Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht begründen (Palandt/Weidenkaff, BGB 69. Aufl. § 546 Rdn. 5). Hier ist der gemietete Laden selbst vollständig geräumt übergeben worden. Für eine Schadensersatzverpflichtung nach § 280 BGB reichte es aus, dass der von der Vermieterin beanstandete Mangel auf einer äußeren Einwirkung auf die Mietsache beruhte (vgl. dazu Weidenkaff aaO § 536 Rdn. 20), nämlich die durch die Ausgasung von LHKW aus dem Boden verursachte Gefahr für künftige Mieter und andere Personen. Insoweit war es für den Erlass des Versäumnisurteils unerheblich, ob die Substanz der Mietsache selbst beschädigt war und ob sich der Mietvertrag auch auf das kontaminierte Erdreich erstreckt hatte. Ebensowenig musste im Haftpflichtprozess die versicherungsrechtliche Frage geklärt werden, ob eine Beschädigung der Mietsache im Sinne des Leistungsausschlusses nach § 4 I Nr. 6 Buchst. a AHB gegeben war. Entsprechende - bindende - Feststellungen können dem Versäumnisurteil deshalb auch nicht entnommen werden.
Das Berufungsgericht durfte vielmehr im vorliegenden Deckungsprozess prüfen, ob das kontaminierte Erdreich zur Mietsache gehörte und die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses erfüllt waren.
Soweit es beide Fragen verneint hat, ferner soweit es den Vortrag des Klägers zum Vorliegen eines Versicherungsfalles als ausreichend bewertet hat, zeigt die Nichtzulassungsbeschwerde auch im Übrigen nicht auf, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO).
Seiffert Wendt Felsch
Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100055515
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BGH
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9. Zivilsenat
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20100114
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IX ZB 78/09
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Beschluss
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§ 290 InsO, § 295 Abs 1 Nr 1 InsO, § 296 Abs 1 S 1 InsO
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vorgehend LG Oldenburg (Oldenburg), 25. Februar 2009, Az: 6 T 63/09, Beschluss vorgehend AG Vechta, 5. Januar 2009, Az: 10 IN 91/02, Beschluss
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DEU
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Versagung der Restschuldbefreiung: Beginn der Wohlverhaltensperiode; Verletzung der Erwerbsobliegenheit
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Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 25. Februar 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.
Dem Schuldner wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung für dieses Rechtsbeschwerdeverfahren bewilligt. Ihm werden die Rechtsanwälte J. und Dr. H. beigeordnet.
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I.
In dem am 30. Juli 2002 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners haben die weiteren Beteiligten zu 1 und 2 als Gläubiger die Versagung der Restschuldbefreiung beantragt. Das Amtsgericht hat die Restschuldbefreiung versagt und die dem Schuldner gewährte Stundung der Verfahrenskosten aufgehoben. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Schuldner die Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses sowie Erteilung der Restschuldbefreiung, hilfsweise Zurückverweisung.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, § 296 Abs. 3, §§ 6, 7 InsO statthaft und zulässig, § 574 Abs. 2 ZPO. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
1. Der angefochtene Beschluss unterliegt schon deshalb der Aufhebung, weil er nicht mit Gründen versehen ist (§ 576 Abs. 3, § 547 Nr. 6 ZPO). Beschlüsse, die mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden können, müssen den maßgeblichen Sachverhalt wiedergeben, über den entschieden wird, denn das Beschwerdegericht hat grundsätzlich von demjenigen Sachverhalt auszugehen, den das Beschwerdegericht festgestellt hat (§ 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO). Fehlen tatsächliche Feststellungen, ist es zu einer rechtlichen Überprüfung nicht in der Lage. Ausführungen des Beschwerdegerichts, die eine solche Überprüfung nicht ermöglichen, sind keine Gründe im zivilprozessualen Sinne (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschl. v. 9. März 2006 - IX ZB 17/05, NZI 2006, 481; v. 27. März 2008 - IX ZB 144/07, ZIP 2008, 1034 f Rn. 3 f).
Das Landgericht hat den Entscheidungsgründen zwar einen Sachverhalt vorangestellt. Aus ihm können jedoch ebenso wenig wie aus den Entscheidungsgründen die hier maßgeblichen Umstände entnommen werden. Der amtsgerichtliche Beschluss, auf den das Landgericht womöglich Bezug nehmen will, enthält keinen Sachverhalt.
Der Beschluss des Landgerichts kann damit keinen Bestand haben. Er ist aufzuheben; die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO).
2. Im Übrigen ergibt sich nach der - verfahrensrechtlich unbeachtlichen - Aktenlage, dass der Beschluss auch in der Sache fehlerhaft ist. Das Landgericht hat die Restschuldbefreiung versagt mit der Begründung, der Schuldner habe seine Erwerbsobliegenheit nach § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO verletzt. Es ist hierbei offenbar wie schon das Amtsgericht und die Treuhänderin davon ausgegangen, dass diese Erwerbsobliegenheit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens besteht. Das ist unzutreffend. Für das weitere Verfahren weist der Senat deshalb vorsorglich auf folgende Gesichtspunkte hin:
a) Der Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung aus einem der Gründe des § 290 Abs. 1 InsO ist gemäß § 290 Abs. 2 InsO nur zulässig, wenn der Gläubiger einen Versagungsantrag glaubhaft gemacht hat. Die Glaubhaftmachung des Versagungsgrundes muss im Schlusstermin erfolgen und kann - auch im Beschwerdeverfahren - nicht nachgeholt werden (BGHZ 156, 139, 142 f; BGH, Beschl. v. 5. April 2006 - IX ZB 227/04, ZVI 2006, 596, 597 Rn. 6; v. 18. Mai 2006 - IX ZB 103/05, NZI 2006, 538; v. 23. Oktober 2008 - IX ZB 53/08, ZInsO 2008, 1272 Rn. 8 ff; v. 5. Februar 2009 - IX ZB 185/08, ZInsO 2009, 481, 482 Rn. 6).
Da im Schlusstermin Versagungsanträge nach Aktenlage nicht gestellt wurden, kommt eine Versagung nach §§ 289, 290 InsO nicht in Betracht. Nach Aktenlage ist dem Schuldner vielmehr am 2. Juni 2008 zutreffend die Restschuldbefreiung angekündigt worden.
b) Die Obliegenheiten des Schuldners gemäß § 295 InsO gelten ab Aufhebung des Insolvenzverfahrens und Ankündigung der Restschuldbefreiung (BGH, Beschl. v. 18. Dezember 2008 - IX ZB 249/07, ZInsO 2009, 299 Rn. 8 ff). Dies setzt jedenfalls die Kenntnis des Schuldners von diesen Umständen und damit die Kenntnis von dem Ankündigungsbeschluss und dem Aufhebungsbeschluss voraus.
Nach Aktenlage ist im vorliegenden Fall der Ankündigungsbeschluss am 2. Juni 2008, der Aufhebungsbeschluss am 2. Juli 2008 erlassen worden. Da der Aufhebungsbeschluss nach Aktenlage am 3. Juli 2008 mit einfacher Post versandt wurde, kann er den Schuldner frühestens am 4. Juli 2008 erreicht haben. Die Wohlverhaltensperiode, in der der Schuldner der Erwerbsobliegenheit nachzukommen hatte, dauerte demgemäß allenfalls vom 5. Juli 2008 bis 30. Juli 2008, § 287 Abs. 2 InsO.
Ob womöglich die Obliegenheiten nach § 295 InsO erst mit Rechtskraft der genannten Beschlüsse beginnen, kann hier dahinstehen, weil insoweit eine Entscheidungserheblichkeit nicht erkennbar ist. Nach Aktenvermerk soll die Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses erst am 31. Juli 2008 eingetreten sein. Dann würde allerdings die Wohlverhaltensperiode einen Tag vor ihrem Beginn geendet haben. Der Schuldner hätte dann keine Obliegenheiten nach § 295 InsO einzuhalten gehabt.
c) Der Antrag eines Gläubigers auf Versagung der Restschuldbefreiung wegen einer Obliegenheitsverletzung nach § 295 InsO ist nur zulässig, wenn der Gläubiger die Voraussetzungen glaubhaft macht, § 296 Abs. 1 Satz 3 InsO. Dabei genügt es allerdings, dass der Gläubiger die Tatsachen vorträgt und glaubhaft macht, aus denen sich eine Obliegenheitsverletzung objektiv ergibt. Das Verschulden des Schuldners hat der Gläubiger nicht glaubhaft zu machen, es wird vielmehr vermutet; die Vermutung kann vom Schuldner gemäß § 296 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 InsO widerlegt werden (BGH, Beschl. v. 24. September 2009 - IX ZB 288/08, ZInsO 2009, 2069; v. 3. Dezember 2009 - IX ZB 139/07, z.V.b.).
Nach Aktenlage haben sich die Gläubiger in ihren Versagungsanträgen ausschließlich auf den Schlussbericht der Verwalterin vom 15. April 2008 und auf Vorgänge vor diesem Zeitpunkt bezogen. Damit kann kein Verstoß gegen eine Erwerbsobliegenheit in der Zeit vom 4. Juli 2008 bis 30. Juli 2008 dargelegt und glaubhaft gemacht werden.
d) Die Versagung der Restschuldbefreiung wegen Verletzung der in § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO bestimmten Erwerbsobliegenheit setzt voraus, dass hierdurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt worden ist (§ 296 Abs. 1 Satz 1 InsO). Hierfür genügt nicht eine abstrakte Gefährdung der Befriedigungsinteressen der Gläubiger, sondern nur eine messbare tatsächliche Beeinträchtigung (BGH, Beschl. v. 5. April 2006 - IX ZB 50/05, NZI 2006, 413; v. 22. Oktober 2009 - IX ZB 160/09, ZInsO 2009, 2210, 2211 Rn. 11 mit weiteren Ausführungen zur Berechnung). Dass der Schuldner in der Zeit vom 4. Juli 2008 bis 30. Juli 2008 sich bei pflichtgemäßen Bemühungen eine derartige Erwerbstätigkeit hätte suchen, sie hätte ausüben und dabei pfändbare Beträge hätte erzielen können, ist nach Aktenlage von den Gläubigern schon nicht glaubhaft gemacht gewesen. Das Beschwerdegericht hat derartiges auch nicht festgestellt.
e) Die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Frage, ob einem Schuldner, dem die Bundesagentur für Arbeit ermöglicht hat, von der sogenannten "58er-Regelung" Gebrauch zu machen, überhaupt schuldhaft gegen eine Erwerbsobliegenheit nach § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO verstoßen kann, ist bisher nicht entscheidungserheblich. Es liegt fern, dass diese allgemeine Regelung die Erwerbsobliegenheit nach § 295 InsO für das Restschuldbefreiungsverfahren entfallen lassen könnte.
f) Sofern danach der Versagungsgrund des § 295 Abs. 1 Nr. 1, § 296 InsO nicht festzustellen ist, wird sich das Beschwerdegericht nunmehr mit den anderen geltend gemachten Versagungsgründen zu befassen haben.
g) Die vom Amtsgericht aufgehobene Verfahrenskostenstundung ist mit keinem Wort begründet, aber offenbar auf § 4c Nr. 4 InsO gestützt worden. Das Beschwerdegericht hat sich damit nicht erkennbar befasst. Insoweit wird auf die Entscheidung des Senats vom 22. Oktober 2009 (IX ZB 160/09 aaO) hingewiesen.
Ganter Gehrlein Vill
Lohmann Fischer
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100055517
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BGH
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9. Zivilsenat
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20100114
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IX ZR 50/07
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Urteil
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§ 7 Abs 5 S 2 KAG TH vom 19.09.2000, § 7 Abs 7 S 2 Nr 1 KAG TH vom 17.12.2004, § 7 Abs 9 KAG TH vom 19.09.2000, § 21a Abs 4 KAG TH, § 10 Abs 1 Nr 3 ZVG
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vorgehend Thüringer Oberlandesgericht, 22. Februar 2007, Az: 1 U 269/06, Urteil vorgehend LG Mühlhausen, 21. Februar 2006, Az: 3 O 443/05, Urteil
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DEU
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Kommunales Abgabenrecht: Fälligkeit einer Beitragsforderung für die Erschließung eines Grundstücks mit Wasserentsorgungseinrichtungen in Thüringen; Vorrang der Beitragsforderung gegenüber Grundschuld nach der Zwangsversteigerung
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Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 22. Februar 2007 aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Mühlhausen vom 21. Februar 2006 abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
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Die Klägerin war Inhaberin einer Grundschuld an dem unbebauten Grundstück der Gemarkung N. , Flur Flurstück , Straße in N. . Die beklagte Belegenheitsgemeinde hat gegenüber dem früheren Grundstückseigentümer mit bestandskräftigem Bescheid vom 4. Dezember 2002 auf der Grundlage des Thüringer Kommunalabgabengesetzes (ThürKAG) in der Fassung vom 19. September 2000 einen Beitrag in Höhe von 30.243,51 € für die Erschließung des Grundstücks mit Wasserentsorgungseinrichtungen erhoben. Nach der Zwangsversteigerung des Grundstücks am 11. Februar 2005 hat das Vollstreckungsgericht die Beitragsforderung der Beklagten einschließlich der angefallenen Säumniszuschläge in Höhe von 7.550 € als öffentliche Last im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG angesehen, welche der Grundschuldforderung der Klägerin im Range vorgehe. Auf den Widerspruch der Klägerin hat das Vollstreckungsgericht im Teilungsplan vom 16. März 2005 bestimmt, dass der auf die Forderung der Beklagten entfallende Erlösanteil in Höhe von 37.793,51 € zu hinterlegen und der Klägerin zuzuteilen sei, sofern ihr Widerspruch sich als begründet erweise.
Auf die Widerspruchsklage hat das Landgericht den Teilungsplan dahingehend abgeändert, dass die Grundschuldforderung der Klägerin gegenüber der Beitragsforderung der Beklagten vorrangig zu befriedigen sei. Im Hinblick auf die von der Beklagten verlangten Säumniszuschläge hat das Landgericht die Widerspruchsklage abgewiesen. Nachdem die Berufung der Beklagten erfolglos geblieben ist, verfolgt diese mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision den Antrag auf vollständige Klagabweisung weiter.
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Die Revision hat in der Sache Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat im Anschluss an das Landgericht ausgeführt, die Beitragsforderung der Beklagten habe zwar als öffentliche Last auf dem Grundstück geruht, sei jedoch nicht fällig. Zwar entstehe der Beitragsanspruch bei leitungsgebundenen Einrichtungen grundsätzlich, sobald das Grundstück an diese angeschlossen werden könne (vgl. § 7 Abs. 7 Satz 1 ThürKAG). Auch sehe der Beitragsbescheid der Beklagten vom 4. Dezember 2002 entsprechend der örtlichen Beitragssatzung vor, dass der Beitrag einen Monat nach Bekanntgabe des Bescheids fällig werde. Mit der Novellierung des ThürKAG durch Gesetz vom 17. Dezember 2004 sei die Fälligkeit von Beitragsforderungen für den Anschluss unbebauter Grundstücke an Abwasserentsorgungseinrichtungen jedoch auf den Zeitpunkt hinausgeschoben worden, zu welchem das Grundstück bebaut und tatsächlich an die Abwasserleitung angeschlossen werde, was vorliegend nicht erfolgt sei (§ 7 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 ThürKAG in der Fassung vom 17. Dezember 2004). Da diese Regelung bei ihrem Inkrafttreten auch bereits entstandene Beiträge erfasse (§ 21a Abs. 4 Satz 1 ThürKAG), sei die Fälligkeit der Beitragsforderung entfallen. Diese sei deshalb nicht als rückständig im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG anzusehen.
II.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist abzuändern.
1. Entgegen der Auffassung der Revision ist das Berufungsurteil nicht schon deshalb unrichtig, weil das Berufungsgericht den Grundsatz der Tatbestandswirkung von Verwaltungsakten verkannt hätte.
a) Im Ausgangspunkt zutreffend weist die Revision darauf hin, dass Gerichte und Behörden die durch einen Verwaltungsakt getroffene Regelung grundsätzlich ohne eigenständige Überprüfung als verbindlich zu beachten haben (BGHZ 158, 19, 22; BVerwG, NVwZ 1987, 496; Kopp/Ramsauer, VwVfG 10. Aufl. § 43 Rn. 18 f; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG 7. Aufl. § 43 Rn. 137 ff; MünchKomm-ZPO/Zimmermann, 3. Aufl. § 17 GVG Rn. 13). Die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe die Fälligkeit der Beitragsforderung wegen dessen Tatbestandswirkung nicht abweichend vom Beitragsbescheid beurteilen dürfen, setzt jedoch voraus, dass der Bescheid bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht in unveränderter Fassung fortbestand. Grundsätzlich bedarf die Aufhebung oder Abänderung eines Verwaltungsakts eines gesonderten Verwaltungsakts (vgl. die gemäß § 15 ThürKAG hier entsprechend anwendbare Bestimmung des § 124 Abs. 2 AO). Der Grundsatz steht jedoch unter dem Vorbehalt abweichender spezialgesetzlicher Regelung (vgl. Kopp/Ramsauer, aaO § 43 Rn. 43; Stelkens/Bonk/Sachs, aaO § 43 Rn. 203; Bader/Ronellenfitsch/Schemmer, VwVfG § 43 Rn. 53).
b) Vorliegend hat das Berufungsgericht die Neuregelung in § 21a Abs. 4, § 7 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 ThürKAG in der Fassung des Gesetzes vom 17. Dezember 2004 in der Weise ausgelegt, dass hierdurch nicht lediglich die materielle Neuregelung auf in der Vergangenheit liegende Sachverhalte erstreckt, sondern auch schon bestehende Beitragsbescheide kraft Gesetzes abgeändert werden, ohne dass es eines die Änderung vollziehenden Verwaltungsakts bedürfe. Das Berufungsgericht hat sich insoweit ersichtlich den Ausführungen des Landgerichts angeschlossen, wonach Beitragsbescheide nach der Gesetzesnovelle zwar formal aufrechterhalten bleiben, jedoch die durch Bescheid titulierten Forderungen kraft Gesetzes ihre Fälligkeit verlieren. Diesem Verständnis der ThürKAG-Novelle ist das Berufungsgericht auch in anderen Verfahren gefolgt (vgl. Thüringer OLG, Urt. v. 25. Mai 2007 - 7 U 970/06, bei juris Rn. 24 ff). An die Auslegung des Berufungsgerichts zu dieser nicht über den Bezirk eines Oberlandesgerichts hinaus geltenden landesrechtlichen Regelung ist der Senat nach den gemäß Art. 111 FGG-Reformgesetz hier weiterhin anzuwendenden Bestimmungen der §§ 560, 545 Abs. 1 ZPO in der bis zum 31. August 2009 geltenden Fassung gebunden (vgl. BGH, Urt. v. 19. November 2009 - IX ZR 24/09 Umdruck S. 5 Rn. 8, z.V.b.).
2. Das Berufungsurteil erweist sich jedoch aufgrund des Urteils des Thüringer Verfassungsgerichtshofs vom 23. April 2009 (ThürVerfGH 32/05, bei juris; Leitsatz: NVwZ-RR 2009, 612) als unrichtig.
a) Der Thüringer Verfassungsgerichtshof hat festgestellt, dass die hier gegenständliche Neuregelung des Beitragsrechts für Wasserentsorgungseinrichtungen in § 7 Abs. 7 Satz 2 bis 6 ThürKAG in der Fassung des Gesetzes vom 17. Dezember 2004 mit der Landesverfassung unvereinbar und nichtig ist. Die Entscheidung hat nach § 25 Abs. 2, § 11 Nr. 2 des Thüringer Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof Gesetzeskraft. Das Verfassungsgericht hat damit im Hinblick auf die Fälligkeit noch nicht entrichteter Erschließungsbeiträge für Wasserentsorgungseinrichtungen die vor der ThürKAG-Novelle bestehende Rechtslage wieder hergestellt (ThürVerfGH aaO bei juris Rn. 177). Die Nichtigkeit des vom Berufungsgericht angewandten Rechts ist trotz dessen fehlender Revisibilität (§ 545 ZPO a.F.) auch im Revisionsverfahren beachtlich (vgl. RGZ 152, 86, 90; BGHZ 36, 348, 352; MünchKomm-ZPO/Wenzel, 3. Aufl. § 560 Rn. 6; Musielak/Ball, ZPO 7. Aufl. § 560 Rn. 4).
b) Die Nichtigkeitserklärung durch den Thüringer Verfassungsgerichtshof ist nicht deshalb unbeachtlich, weil bei der Entscheidung über die Widerspruchsklage nach § 115 Abs. 1 ZVG, §§ 876 ff ZPO auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Verteilungstermins abzustellen ist. Auch wenn die Entscheidung des Verfassungsgerichts zum Zeitpunkt des Verteilungstermins noch nicht vorlag, war die Verfassungswidrigkeit der hier maßgeblichen Bestimmungen der ThürKAG-Novelle bereits im Verteilungstermin gegeben und beruht nicht auf einer nachträglichen Änderung der Rechtslage. Zudem gebieten verfassungsprozessrechtliche Erwägungen die Berücksichtigung der Nichtigkeitserklärung.
Gemäß § 79 Abs. 2 BVerfGG lässt die Nichtigkeitserklärung einer Norm durch das Bundesverfassungsgericht nicht mehr anfechtbare gerichtliche Entscheidungen unberührt; sie führt jedoch zur Unzulässigkeit ihrer Vollstreckung. Hieraus folgt zugleich, dass die Nichtigkeitserklärung bei noch anfechtbaren gerichtlichen Entscheidungen im Rahmen des nach der jeweiligen Verfahrensordnung gegebenen Rechtsmittels stets zu berücksichtigen ist (vgl. Bethge in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Bethge, BVerfGG 29. Aufl. § 79 Rn. 51; Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht 2. Aufl. Rn. 1255). Gleichlautende Regelungen im Hinblick auf Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte sieht das Bundesrecht nur für die Verwaltungs- und die Finanzgerichtsbarkeit (§ 183 VwGO; § 157 FGO), nicht jedoch die Zivilrechtspflege vor. Während einzelne Landesrechte entsprechende Bestimmungen für die Entscheidung ihrer Verfassungsgerichte vorsehen (§ 24 VerfGHG Sachsen; § 46 VerfGHG Saarland; § 26 Abs. 4 Satz 3 und 4 VerfGHG Rheinland-Pfalz; § 40 Abs. 3 Satz 2 und 3 StGHG Hessen), enthält das Thüringer Recht keine ausdrückliche Regelung. Diese Regelungslücke ist durch Rückgriff auf den in Art. 79 Abs. 2 BVerfGG zum Ausdruck kommenden allgemeinen Rechtsgedanken (vgl. BVerfGE 20, 230, 236; 37, 217, 262 f; 97, 35, 48; BGHZ 54, 76, 79) zu schließen, welcher auch § 183 VwGO, § 157 FGO sowie den Regelungen der bezeichneten Landesrechte zu Grunde liegt (vgl. Bethge, aaO § 79 Rn. 9; Sodan/Ziekow/Heckmann, VwGO 2. Aufl. § 183 Rn. 23; Pietzner in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO § 183 Rn. 49; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht 16. Aufl. § 159 Rn. 13; vgl. auch Pestalozza, Verfassungsprozessrecht 3. Aufl. § 23 Rn. 125, § 28 Rn. 25, § 29 Rn. 42). Die durch den Thüringer Verfassungsgerichtshof für nichtig erklärten Bestimmungen der ThürKAG-Novelle vom 17. Dezember 2004 können daher vorliegend nicht mehr zur Anwendung kommen.
c) Wie die Vorinstanzen zutreffend angenommen haben und zwischen den Parteien in rechtlicher Hinsicht auch nicht in Streit steht, war die Beitragsforderung der Beklagten nach der Rechtslage vor der ThürKAG-Novelle vom 17. Dezember 2004 und dem hierauf beruhenden Beitragsbescheid vom 4. Dezember 2002 fällig (§ 7 Abs. 5 Satz 2 ThürKAG in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. September 2000) und ruhte als öffentliche Last auf dem Grundstück (§ 7 Abs. 9 ThürKAG in dieser Fassung). Auf der Grundlage der vom Thüringer Verfassungsgerichtshof wieder hergestellten Gesetzeslage hat folglich das Vollstreckungsgericht zu Recht im Teilungsplan der Beitragsforderung der Beklagten gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG Vorrang gegenüber der Grundschuldforderung der Klägerin eingeräumt (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 19. November 2009 - IX ZR 24/09 z.V.b.).
3. Die Neuregelung des Thüringer Kommunalabgabenrechts durch das Thüringische Beitragsbegrenzungsgesetz vom 18. August 2009 berührt die Richtigkeit des streitgegenständlichen Teilungsplans nicht.
a) Der Thüringer Landesgesetzgeber hat in dem am 28. August 2009 verkündeten Beitragsbegrenzungsgesetz (Thüringer GVBl. S. 646 f) die durch Urteil des Landesverfassungsgerichts vom 23. April 2009 für nichtig erklärten Bestimmungen des ThürKAG durch eine Regelung ersetzt, die in der hier maßgeblichen Frage der Fälligkeit von Erschließungsbeiträgen für Abwasserentsorgungseinrichtungen bei unbebauten Grundstücken vollumfänglich mit der zuvor für nichtig erklärten Fassung übereinstimmt (§ 7 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 ThürKAG in der Fassung des Gesetzes vom 18. August 2009). Der vom Landesverfassungsgericht für nichtig befundenen Gesetzesfassung entspricht auch die Anwendbarkeit der Neuregelung auf zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens bereits entstandene Beitragsforderungen (§ 21a Abs. 4 ThürKAG in dieser Fassung).
Während der Gesetzentwurf ursprünglich vorsah, die Neufassung am Tag nach der Verkündung in Kraft treten zu lassen (Art. 2 des Gesetzentwurfs vom 16. Juni 2009, Thüringer LT-Drucks. 4/5333 S. 7), ist der Gesetzgeber der Beschlussempfehlung des Innenausschusses (Thüringer LT-Drucks. 4/5428 S. 3) gefolgt und hat die Novelle rückwirkend zum 1. Januar 2005 in Kraft gesetzt (Art. 2 Beitragsbegrenzungsgesetz). Der Gesetzgeber hat diese Rückwirkung hier für möglich erachtet, weil sie den Betroffenen lediglich Vorteile bringe (vgl. die Stellungnahme der Abg. Groß, Thüringer LT Plenarprotokoll 4/111 S. 11296). Indem die Neufassung in § 21a Abs. 4 Satz 1 ThürKAG sich auch auf die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beitragsbegrenzungsgesetzes bereits entstandenen Beitragsforderungen bezieht, erfasst diese auch die hier streitgegenständliche Forderung der Beklagten.
b) Unabhängig von der Frage, ob die Erstreckung auf bereits entstandene Beitragsforderungen in § 21a Abs. 4 Satz 1 ThürKAG in der Fassung vom 18. August 2009 deren Fälligkeit kraft Gesetzes abändert oder lediglich einen Anspruch auf Erlass eines Stundungsbescheids verschafft, ist diese Neufassung für die vorliegende Widerspruchsklage nicht beachtlich.
Bei der Entscheidung über die Widerspruchsklage ist auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Verteilungstermins abzustellen, während spätere Änderungen außer Betracht bleiben (RGZ 62, 168, 171; 65, 62, 66; 75, 313, 315; 84, 8, 10; BGHZ 113, 169, 174 ff, 177; 166, 319, 326 Rn. 19; BGH, Urt. v. 25. Januar 1974 - V ZR 68/72, WM 1974, 371, 372; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1989, 599; Zöller/Stöber, ZPO 28. Aufl. § 878 Rn. 14; Musielak/Becker, aaO § 878 Rn. 5; Prütting/Gehrlein/Zempel, ZPO § 878 Rn. 6; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO 68. Aufl. § 878 Rn. 9; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO 30. Aufl. § 878 Rn. 6; a.A. Stein/Jonas/Münzberg, ZPO 22. Aufl. § 878 Rn. 36; MünchKomm-ZPO/Eickmann, 3. Aufl. § 878 Rn. 26; Hk-ZPO/Kindl, 3. Aufl. § 878 Rn. 4). Die Maßgeblichkeit des Zeitpunkts des Verteilungstermins bedeutet dabei keine Abweichung von dem verfahrensrechtlichen Grundsatz, wonach die bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung im Zivilprozess eingetretenen und vorgetragenen Ereignisse Grundlage der Entscheidung sind, sondern stellt eine materiell-rechtliche Regel dar. Der Teilungsplan begründet einen Anspruch auf Zuteilung nach der im Zeitpunkt des Verteilungstermins gegebenen Rechtslage. Wird ein zu diesem Zeitpunkt nicht berechtigter Widerspruch erhoben und findet deshalb insoweit die gesetzlich vorgesehene sofortige Verteilung des Erlöses (§ 117 Abs. 1 ZVG) nicht statt, vermag dieser Widerspruch den Zuteilungsanspruch des Begünstigen nicht zu beseitigen, auch wenn er aufgrund einer später eintretenden rückwirkenden Änderung der Rechtslage als begründet anzusehen sein würde (vgl. BGHZ 113, 169, 176 f).
Im vorliegenden Fall war wegen der Nichtigkeit der ThürKAG-Novelle vom 17. Dezember 2004 zum Zeitpunkt des Verteilungstermins am 16. März 2005 die Fassung des Gesetzes vom 19. September 2000 weiterhin geltendes Recht. Auf dieser Grundlage ist der Beitragsforderung der Beklagten im Teilungsplan zu Recht der Vorrang gegenüber der Grundschuldforderung der Klägerin eingeräumt worden. Die mit Gesetz vom 18. August 2009 rückwirkend zum 1. Januar 2005 erfolgte Änderung des ThürKAG berührt den Zuteilungsanspruch der Beklagten daher nicht.
Ganter Gehrlein Vill
Lohmann Fischer
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100055519
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BGH
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8. Zivilsenat
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20100112
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VIII ZB 64/09
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Beschluss
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§ 519 Abs 2 Nr 2 ZPO
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vorgehend LG Verden, 13. August 2009, Az: 2 S 101/09, Beschluss vorgehend AG Syke, 10. Februar 2009, Az: 9 C 669/08
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DEU
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Berufungsschrift: Fehlende Bezeichnung der Berufungskläger
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Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 13. August 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 1.385 € festgesetzt.
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I.
Die Kläger begehren von dem Beklagten nach Beendigung des Mietvertrages die Rückzahlung der von ihnen geleisteten Mietkaution. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben die erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Kläger Berufung eingelegt. Die mit dem Briefkopf der Rechtsanwaltssozietät des Klägervertreters versehene Berufungsschrift, der eine Ablichtung des erstinstanzlichen Urteils anlag, hat folgenden Wortlaut:
" Geschäftszeichen: 9 C 669/08
In Sachen
S. R. und Herrn K.
Bevollmächtigte RAe: K. und Kollegen
gegen
J. P.
Bevollmächtigte RAe: B. & H.
legen wir hiermit gegen das Urteil vom 10.02.2009
Berufung
ein.
Eine Ablichtung des erstinstanzlichen Urteils haben wir in der Anlage mit beigefügt."
Das Landgericht hat die Berufung der Kläger als unzulässig verworfen, weil die Berufungsschrift nicht erkennen lasse, für wen - für die Klägerin zu 1, den Kläger zu 2 oder beide - das Rechtsmittel eingelegt werde. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Kläger.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist kraft Gesetzes statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und im Übrigen auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 575 ZPO). Sie ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Der angefochtene Beschluss verletzt das Verfahrensgrundrecht der Kläger auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. dazu BVerfGE 77, 275, 284; 74, 228, 234; BVerfG, NJW 2005, 814, 815; BVerfG, NJW 2003, 281; BVerfG NJW 1991, 3140; Senatsbeschluss vom 27. September 2005 - VIII ZB 105/04, NJW 2005, 3775, unter II 1; BGHZ 151, 221, 227; BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, unter II 1 bb; BGH, Beschluss vom 5. November 2002 - VI ZB 40/02, NJW 2003, 437, unter II 3 b). Indem das Berufungsgericht zu Unrecht (dazu unter 2) davon ausgegangen ist, dass die Berufungsschrift auch durch Auslegung nicht erkennen lasse, für wen das Rechtsmittel eingelegt werde, hat es den Klägern den Zugang zur Berufungsinstanz ungerechtfertigt verwehrt.
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat die Berufung zu Unrecht nach § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen.
a) Das Berufungsgericht ist allerdings in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zutreffend davon ausgegangen, dass zum notwendigen Inhalt der Berufungsschrift gemäß § 519 Abs. 2 ZPO auch die Angabe gehört, für und gegen welche Partei das Rechtsmittel eingelegt wird. Aus der Berufungsschrift muss entweder für sich allein oder mit Hilfe weiterer Unterlagen bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eindeutig zu erkennen sein, wer Berufungskläger und wer Berufungsbeklagter sein soll. Dabei sind vor allem an die eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittelführers strenge Anforderungen zu stellen; bei verständiger Würdigung des gesamten Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung muss jeder Zweifel an der Person des Rechtsmittelklägers ausgeschlossen sein. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die erforderliche Klarheit über die Person des Berufungsklägers ausschließlich durch dessen ausdrückliche Bezeichnung zu erzielen wäre; sie kann auch im Wege der Auslegung der Berufungsschrift und der etwa sonst vorliegenden Unterlagen gewonnen werden. Dabei sind, wie auch sonst bei der Ausdeutung von Prozesserklärungen, alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen. Die Anforderungen an die zur Kennzeichnung der Rechtsmittelparteien nötigen Angaben richten sich nach dem prozessualen Zweck dieses Erfordernisses, also danach, dass im Falle einer Berufung, die einen neuen Verfahrensabschnitt vor einem anderen als dem bis dahin mit der Sache befassten Gericht eröffnet, zur Erzielung eines auch weiterhin geordneten Verfahrensablaufs aus Gründen der Rechtssicherheit die Parteien des Rechtsmittelverfahrens, insbesondere die Person des Rechtsmittelführers, zweifelsfrei erkennbar sein müssen (Senatsbeschlüsse vom 9. April 2008 - VIII ZB 58/06, NJW-RR 2008, 1161, Tz. 5, und vom 6. Dezember 2005 - VIII ZB 30/05, juris, Tz. 4; BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2006 - XI ZB 14/06, NJW-RR 2007, 413, Tz. 8; BGH, Beschluss vom 13. März 2007 - XI ZB 13/06, FamRZ 2007, 903, Tz. 7; jeweils m.w.N.).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen, es sei innerhalb der Berufungsfrist nicht erkennbar gewesen, für wen mit dem Schriftsatz vom 19. März 2009 Berufung eingelegt worden sei.
aa) Die Auslegung von Prozesshandlungen und damit auch der Berufungsschrift unterliegt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der freien revisionsrechtlichen Nachprüfung (Senatsbeschluss vom 24. Juni 1992 - VIII ZR 203/91, NJW 1992, 2413, unter I 2 a; BGH, Beschluss vom 20. Januar 2004 - VI ZB 68/03, NJW-RR 2004, 862, unter II 3 a; jeweils m.w.N.). Sie orientiert sich an dem Grundsatz, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse entspricht. Lediglich theoretisch mögliche Zweifel, für die tatsächliche Anhaltspunkte nicht festgestellt sind, können bei der Auslegung der Berufungsschrift nicht ausschlaggebend sein (BGH, Beschluss vom 20. Januar 2004, aaO).
bb) In der hier zu beurteilenden Berufungsschrift werden zwar die Parteirollen nicht genannt. Der Berufungsschrift war jedoch eine Abschrift der angefochtenen Entscheidung beigefügt. Diesem vom Berufungsgericht nicht berücksichtigten Umstand kommt entscheidende Bedeutung zu. Denn die in der Sollvorschrift des § 519 Abs. 3 ZPO vorgesehene Vorlage einer Ausfertigung oder beglaubigten Abschrift des angefochtenen Urteils ist zwar nicht der einzige Umstand, aufgrund dessen sich eine fehlende Angabe in der Berufungsschrift als unschädlich erweisen kann; sie stellt indessen ein geeignetes Mittel und letztlich den sichersten Weg dar, um Zweifelsfälle zu vermeiden (vgl. BGHZ 165, 371, 373; BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2006 - IV ZB 20/06, NJW-RR 2007, 935, Tz. 8). Im vorliegenden Fall lässt sich durch einen Abgleich der Berufungsschrift mit der beigefügten Abschrift des erstinstanzlichen Urteils jeder vernünftige Zweifel hinsichtlich der Frage, ob für beide oder nur für einen Kläger Berufung eingelegt werden soll, ausräumen.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts besteht kein Zweifel, dass mit der Berufungsschrift das Rechtsmittel für beide Kläger eingelegt worden ist. Im Eingang des angefochtenen Urteils des Amtsgerichts wird als Prozessbevollmächtigter beider Kläger die Rechtsanwaltssozietät genannt, zu der der Klägervertreter gehört und unter deren - auch seinen Namen aufweisenden - Briefkopf er die Berufungsschrift gefertigt hat. Hinzu kommt, dass die genannte Rechtsanwaltssozietät auch im Rubrum der Berufungsschrift als Prozessbevollmächtigte der Kläger aufgeführt wird. Ferner ergibt sich aus der Urteilsformel des Amtsgerichts, dass die Klage in vollem Umfang abgewiesen worden ist. Vernünftige Zweifel, dass das Rechtsmittel für beide Kläger eingelegt worden ist, können bei dieser Sachlage - zumal beide Kläger in der Berufungsschrift aufgeführt sind und sich der Berufungsschrift auch ansonsten keine Anhaltspunkte für eine Beschränkung der Rechtsmitteleinlegung auf einen der Kläger entnehmen lassen - nicht aufkommen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 2005 - V ZB 42/04, BGHReport 2005, 1216, unter III 2 b).
3. Nach alledem kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben. Er ist daher aufzuheben, und die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Ball Dr. Frellesen Dr. Milger
Dr. Fetzer Dr. Bünger
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100055708
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BVerwG
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Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO
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20100107
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20 F 5/09
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Beschluss
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§ 99 Abs 1 S 2 VwGO
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vorgehend Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, 15. Mai 2009, Az: 8 F 430/08, Beschluss
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DEU
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Rechtmäßigkeit einer Sperrerklärung
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Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 15. Mai 2009 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Zwischenverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zwischenverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
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I
Mit der diesem Zwischenverfahren zugrundeliegenden Klage begehrt der Kläger vollständige Auskunft über sämtliche beim Beklagten zu seiner Person gespeicherten Daten und Informationen. Dem anhängigen Zwischenverfahren ist ein erstes Zwischenverfahren vorangegangen, in dem der Senat auf die Beschwerde des Klägers festgestellt hat, dass die auf die Sperrerklärung vom 24. April 2007 gestützte Verweigerung der Aktenvorlage an das Gericht - soweit sie noch Gegenstand des Beschwerdeverfahrens war - rechtswidrig war, weil der Beigeladene sein Ermessen gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht ordnungsgemäß ausgeübt hatte (Beschluss vom 18. Juni 2008 - BVerwG 20 F 44.07 -). Wie sich aus den Sperrerklärungen vom 24. April 2007 und vom 31. Oktober 2008 ergibt, handelt es sich um Aktenteile einer von dem Beklagten jahrgangsweise geführten Sachakte, in der die Ergebnisse der seit Dezember 1999 bis zum 31. Dezember 2007 dauernden Beobachtung der "Linkspartei.Landesverband Saarland", vormals Landesverband Saarland der "Partei des demokratischen Sozialismus" (PDS) festgehalten sind, außerdem um Auszüge aus dem Nachrichtendienstlichen Informationssystem NADIS der Verfassungsschutzbehörden und der Amtsdatei des Beklagten, die - soweit nicht vorgelegt - gesperrt seien und nur für dieses Verfahren Verwendung fänden.
Mit Sperrerklärung vom 31. Oktober 2008 hat der Beigeladene erneut die vollständige Vorlage der Akten verweigert und hinsichtlich der Sachakte unter Angabe von Blattzahlen dargelegt, welche Aktenseiten ohne Einschränkung und aus welchen Gründen Aktenseiten gar nicht oder nur teilweise geschwärzt vorgelegt werden können, sowie erläutert, aus welchen Gründen die gefertigten Auszüge aus NADIS und der Amtsdatei nicht vorgelegt werden können. Mit Beschluss vom 15. Mai 2009 hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts festgestellt, dass die Verweigerung der Aktenvorlage rechtmäßig ist. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.
II
Die Beschwerde des Klägersist unbegründet. Zu Recht hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts entschieden, dass die Weigerung des Beigeladenen, die begehrten Aktenseiten vorzulegen, auf der Grundlage der Sperrerklärung vom 31. Oktober 2008 rechtmäßig ist.
Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes Anliegen des Gemeinwohls (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 7. November 2002 - BVerwG 2 AV 2.02 - NVwZ 2003, 347 und vom 23. März 2009 - BVerwG 20 F 11.08 - juris Rn. 5), das eine Verweigerung der Vorlage gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen kann. Ein Nachteil in diesem Sinne ist u.a. dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (stRspr, vgl. nur Beschlüsse vom 29. Juli 2002 - BVerwG 2 AV 1.02 - BVerwGE 117, 8 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 27, vom 25. Februar 2008 - BVerwG 20 F 43.07 - juris Rn. 10, vom 5. Februar 2009 - BVerwG 20 F 24.08 - juris Rn. 4, vom 3. März 2009 - BVerwG 20 F 9.08 - juris Rn. 7 - und vom 2. Juli 2009 - BVerwG 20 F 4.09 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 54 Rn. 8). An diesen besonderen Gründen des Geheimnisschutzes hat sich der Beigeladene (nunmehr) ausgerichtet. Wie der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts zutreffend ausgeführt hat, hat der Beigeladene in der (erneuten) Sperrerklärung vom 31. Oktober 2008 erkannt, dass die Gründe, die eine Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen können, von denjenigen Gründen zu unterscheiden sind, die im Verfahren der Hauptsache zur Verweigerung der Aktenvorlage angeführt werden. Er hat auf dieser Grundlage das ihm gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO eingeräumte Ermessen ausgeübt und auch erkannt, dass bei der Abwägung neben den Gründen des Geheimnisschutzes nicht nur das öffentliche Interesse an der von Amts wegen gebotenen Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht, sondern auch das private Interesse des Klägers an der Durchsetzung seines Auskunftsanspruchs zu berücksichtigen ist. Ausgerichtet an dem legitimen Anliegen, eine mögliche Gefährdung der künftigen Aufgabenerfüllung des Landesamts für Verfassungsschutz zu verhindern und Quellenschutz zu gewährleisten, hat der Beigeladene im jeweiligen konkreten Einzelfall - bei der Sachakte je Aktenseite - die inhaltliche Qualität der Information in den Blick genommen und zunächst zwischen sog. Deckblattmeldungen und Anlagen unterschieden und dabei wiederum nach verschiedenen Geheimhaltungsinteressen geordnete Gruppen gebildet und untersucht. Auf dieser Grundlage war es ihm dann möglich, die nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geforderte Abwägung vorzunehmen und dabei auch dem Offenbarungsinteresse des Klägers Rechnung zu tragen, was darin zum Ausdruck kommt, dass er zwischen einer uneingeschränkten Offenlegung, einer durch Schwärzungen eingeschränkten Offenlegung und einer Vorenthaltung der übrigen Seiten der Sachakte sowie der Auszüge aus NADIS und der Amtsdatei unterschieden hat. Dass er dabei alle sog. Deckblattmeldungen schon aus inhaltlichen Gründen wegen der Vielzahl der enthaltenen Informationen zur Arbeitsweise des Beklagten und aus der Zusammenarbeit mit Quellen als schützenswert erachtet hat, ist nicht zu beanstanden. Daten, die dem Quellenschutz dienen oder Methoden der operativen Arbeit der Sicherheitsbehörde bei einer Offenlegung offenbaren würden, lassen Rückschlüsse auf geheime Einschätzungen und Entscheidungsbildungen auch in Sachfragen zu. Das gilt auch für die verweigerte Vorlage der Auszüge aus NADIS. Ebenso wenig sind die formalen Gesichtspunkte zu beanstanden, an Hand derer der Beigeladene in jedem Einzelfall entschieden hat, welche als Anlagen und sonstige Bestandteile bezeichneten Aktenseiten im Interesse des Klägers insgesamt oder nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zumindest teilweise - mit Schwärzungen - vorgelegt werden können. Wie der Senat bereits entschieden hat, sind formale, die Aktenführung betreffende Gesichtspunkte wie beispielsweise Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und Bezeichnungen des Verwaltungsvorgangs, Handzeichen und Mitarbeiternamen, Verfügungen, schriftliche Randbemerkungen, Arbeitshinweise und Querverweise, Hervorhebungen und Unterstreichungen grundsätzlich geeignet, vor allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau, die künftige Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden zu erschweren, weil sich daraus Rückschlüsse auf Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung ableiten lassen (vgl. nur Beschlüsse vom 1. August 2007 - BVerwG 20 F 10.06 - juris Rn. 7 und vom 23. März 2009 - BVerwG 20 F 11.08 - juris Rn. 9). Auch die weitere Differenzierung bei den als Anlagen bezeichneten Aktenseiten, bei der unter dem Gesichtspunkt des Quellenschutzes unterschieden wird, ob es sich um Informationen, die ausschließlich für einen beschränkten Personenkreis bestimmt waren, oder um Dokumente und Unterlagen allgemeinen Inhalts handelt, die aber angesichts des Zeitpunkts der Kenntniserlangung im kleinen Personenkreis Rückschlüsse auf die Quelle erlauben, zeigt, dass der Beigeladene berücksichtigt hat, im Rahmen seiner Ermessenserwägungen gerade auch dem Offenbarungsinteresse des Klägers an den in der Sachakte des Beklagten zusammengetragenen Informationen Rechnung zu tragen.
Vor diesem Hintergrund ist - wie auch der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts angemerkt hat - der Einwand des Klägers, die Sperrerklärung vom31. Oktober 2008 leide an demselben Ermessensfehler wie die ursprüngliche Sperrerklärung, nicht nachvollziehbar. Die vom Senat mit Beschluss vom 18. Juni 2008 beanstandete Sperrerklärung vom 24. April 2007 beschränkte sich darauf, ohne jegliche Differenzierung nach Art der Information und Grund der Weigerung pauschal auf eine Geheimhaltungsbedürftigkeit aller Unterlagen zu verweisen.
Der Senat hat die ihm im Original vorgelegten Seiten der Sachakte, die dem Kläger nicht oder nur als Kopien mit Schwärzungen zugänglich gemacht worden sind, sowie die Auszüge aus NADIS und der Amtsdatei im Einzelnen durchgesehen. Dabei hat sich ergeben, dass der Beigeladene keine Informationen vorenthalten und keine Eintragungen geschwärzt hat, die nicht den oben aufgeführten Kriterien entsprechen und gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geheimhaltungsbedürftig sind. Die Einsicht hat auch bestätigt, dass es sich bei den Eintragungen in der Amtsdatei lediglich um Zusammenfassungen von Informationen handelt, die bereits in der Sachakte enthalten sind und für die - ebenso wie für die Auszüge aus NADIS - Geheimhaltungsgründe vorliegen, soweit die Informationen nicht bereits bekannt gegeben worden sind.
Der unter Bezugnahme auf das gerichtliche Schreiben des Fachsenats des Oberverwaltungsgerichts vom 4. Februar 2009 erhobene Einwand des Klägers, im Hauptsacheverfahren werde lediglich vollständige Auskunft über sämtliche zu seiner Person gespeicherten Daten und Informationen verlangt, auch das Verwaltungsgericht habe die "einschlägigen" Verwaltungsakten angefordert, sodass die Vorlage eines ganzen Aktenordners als bewusste Verschleierungs- und Vernebelungstaktik anzusehen sei, zielt anscheinend - soweit sich der Vortrag dem Senat erschließt - auf den Vorwurf, der Beigeladene schaffe sich selbst durch Hinzuziehung von Material, das keinen Bezug zum Kläger habe, überhaupt erst die Voraussetzungen, um Unterscheidungen treffen zu können und damit den Anschein einer sorgfältigen Ermessensentscheidung zu erzeugen. Dieser Vorwurf liegt neben der Sache. Die Einsicht hat bestätigt, dass die Sachakte Informationen enthält, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Klägers für die damals beobachtete Partei angefallen sind. Das gilt auch für Dokumente und Unterlagen mit allgemeinem Inhalt, die indes die Besonderheit aufweisen, dass sie vor dem Zeitpunkt der Allgemeinzugänglichkeit durch den Einsatz sicherheitsbehördlicher Mittel erlangt wurden. Soweit Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des Beklagten ausgeschlossen erscheinen, hat der Beigeladene die Unterlagen z.T. vollständig, z.T. mit Schwärzungen auch vorgelegt. Ob - wie der Kläger weiter geltend macht - die bis zum31. Dezember 2007 dauernde Beobachtung der Partei und der damit verbundene Einsatz von sicherheitsbehördlichen Mitteln rechtmäßig war, ist keine Frage, über die der nach § 99 Abs. 2 VwGO angerufene Fachsenat zu entscheiden hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.
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http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-JURE100055708&psml=bsjrsprod.psml&max=true
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100055709
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BVerwG
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Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO
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20100107
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20 F 7/09
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Beschluss
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vorgehend Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, 15. Mai 2009, Az: 8 F 433/08, Beschluss
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DEU
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Die gegen diese Entscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 25.05.2012 - 1 BvR 554/10 - nicht zur Entscheidung angenommen.
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Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 15. Mai 2009 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zwischenverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zwischenverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
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I
Mit der diesem Zwischenverfahren zugrundeliegenden Klage begehrt die Klägerin vollständige Auskunft über sämtliche beim Beklagten zu ihrer Person gespeicherten Daten und Informationen. Dem anhängigen Zwischenverfahren ist ein erstes Zwischenverfahren vorangegangen, in dem der Senat auf die Beschwerde der Klägerin festgestellt hat, dass die auf die Sperrerklärung vom 18. September 2007 gestützte Verweigerung der Aktenvorlage an das Gericht - soweit sie noch Gegenstand des Beschwerdeverfahrens war - rechtswidrig war, weil der Beigeladene sein Ermessen gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht ordnungsgemäß ausgeübt hatte (Beschluss vom 18. Juni 2008 - BVerwG 20 F 47.07 -). Wie sich aus den Sperrerklärungen vom 18. September 2007 und vom 31. Oktober 2008 ergibt, handelt es sich um Aktenteile einer von dem Beklagten jahrgangsweise geführten Sachakte, in der die Ergebnisse der seit Dezember 1999 bis zum 31. Dezember 2007 dauernden Beobachtung der "Linkspartei.Landesverband Saarland", vormals Landesverband Saarland der "Partei des demokratischen Sozialismus" (PDS) festgehalten sind, außerdem um Auszüge aus dem Nachrichtendienstlichen Informationssystem NADIS der Verfassungsschutzbehörden und der Amtsdatei des Beklagten, die - soweit nicht vorgelegt - gesperrt seien und nur für dieses Verfahren Verwendung fänden.
Mit Sperrerklärung vom 31. Oktober 2008 hat der Beigeladene erneut die vollständige Vorlage der Akten verweigert und hinsichtlich der Sachakte unter Angabe von Blattzahlen dargelegt, welche Aktenseiten ohne Einschränkung und aus welchen Gründen Aktenseiten gar nicht oder nur teilweise geschwärzt vorgelegt werden können, sowie erläutert, aus welchen Gründen die gefertigten Auszüge aus NADIS und der Amtsdatei nicht vorgelegt werden können. Mit Beschluss vom 15. Mai 2009 hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts festgestellt, dass die Verweigerung der Aktenvorlage rechtmäßig ist. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
II
Die Beschwerde der Klägerin ist unbegründet. Zu Recht hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts entschieden, dass die Weigerung des Beigeladenen, die begehrten Aktenseiten vorzulegen, auf der Grundlage der Sperrerklärung vom 31. Oktober 2008 rechtmäßig ist.
Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes Anliegen des Gemeinwohls (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 7. November 2002 - BVerwG 2 AV 2.02 - NVwZ 2003, 347 und vom 23. März 2009 - BVerwG 20 F 11.08 - juris Rn. 5), das eine Verweigerung der Vorlage gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen kann. Ein Nachteil in diesem Sinne ist u.a. dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (stRspr, vgl. nur Beschlüsse vom 29. Juli 2002 - BVerwG 2 AV 1.02 - BVerwGE 117, 8 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 27, vom 25. Februar 2008 - BVerwG 20 F 43.07 - juris Rn. 10, vom 5. Februar 2009 - BVerwG 20 F 24.08 - juris Rn. 4, vom 3. März 2009 - BVerwG 20 F 9.08 - juris Rn. 7 - und vom 2. Juli 2009 - BVerwG 20 F 4.09 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 54 Rn. 8). An diesen besonderen Gründen des Geheimnisschutzes hat sich der Beigeladene (nunmehr) ausgerichtet. Wie der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts zutreffend ausgeführt hat, hat der Beigeladene in der (erneuten) Sperrerklärung vom 31. Oktober 2008 erkannt, dass die Gründe, die eine Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen können, von denjenigen Gründen zu unterscheiden sind, die im Verfahren der Hauptsache zur Verweigerung der Aktenvorlage angeführt werden. Er hat auf dieser Grundlage das ihm gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO eingeräumte Ermessen ausgeübt und auch erkannt, dass bei der Abwägung neben den Gründen des Geheimnisschutzes nicht nur das öffentliche Interesse an der von Amts wegen gebotenen Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht, sondern auch das private Interesse der Klägerin an der Durchsetzung ihres Auskunftsanspruchs zu berücksichtigen ist. Ausgerichtet an dem legitimen Anliegen, eine mögliche Gefährdung der künftigen Aufgabenerfüllung des Landesamts für Verfassungsschutz zu verhindern und Quellenschutz zu gewährleisten, hat der Beigeladene im jeweiligen konkreten Einzelfall - bei der Sachakte je Aktenseite - die inhaltliche Qualität der Information in den Blick genommen und zunächst zwischen sog. Deckblattmeldungen und Anlagen unterschieden und dabei wiederum nach verschiedenen Geheimhaltungsinteressen geordnete Gruppen gebildet und untersucht. Auf dieser Grundlage war es ihm dann möglich, die nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geforderte Abwägung vorzunehmen und dabei auch dem Offenbarungsinteresse der Klägerin Rechnung zu tragen, was darin zum Ausdruck kommt, dass er zwischen einer uneingeschränkten Offenlegung, einer durch Schwärzungen eingeschränkten Offenlegung und einer Vorenthaltung der übrigen Seiten der Sachakte sowie der Auszüge aus NADIS und der Amtsdatei unterschieden hat. Dass er dabei alle sog. Deckblattmeldungen schon aus inhaltlichen Gründen wegen der Vielzahl der enthaltenen Informationen zur Arbeitsweise des Beklagten und aus der Zusammenarbeit mit Quellen als schützenswert erachtet hat, ist nicht zu beanstanden. Daten, die dem Quellenschutz dienen oder Methoden der operativen Arbeit der Sicherheitsbehörde bei einer Offenlegung offenbaren würden, lassen Rückschlüsse auf geheime Einschätzungen und Entscheidungsbildungen auch in Sachfragen zu. Das gilt auch für die verweigerte Vorlage der Auszüge aus NADIS. Ebenso wenig sind die formalen Gesichtspunkte zu beanstanden, an Hand derer der Beigeladene in jedem Einzelfall entschieden hat, welche als Anlagen und sonstige Bestandteile bezeichneten Aktenseiten im Interesse der Klägerin insgesamt oder nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zumindest teilweise - mit Schwärzungen - vorgelegt werden können. Wie der Senat bereits entschieden hat, sind formale, die Aktenführung betreffende Gesichtspunkte wie beispielsweise Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und Bezeichnungen des Verwaltungsvorgangs, Handzeichen und Mitarbeiternamen, Verfügungen, schriftliche Randbemerkungen, Arbeitshinweise und Querverweise, Hervorhebungen und Unterstreichungen grundsätzlich geeignet, vor allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau, die künftige Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden zu erschweren, weil sich daraus Rückschlüsse auf Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung ableiten lassen (vgl. nur Beschlüsse vom 1. August 2007 - BVerwG 20 F 10.06 - juris Rn. 7 und vom 23. März 2009 - BVerwG 20 F 11.08 - juris Rn. 9). Auch die weitere Differenzierung bei den als Anlagen bezeichneten Aktenseiten, bei der unter dem Gesichtspunkt des Quellenschutzes unterschieden wird, ob es sich um Informationen, die ausschließlich für einen beschränkten Personenkreis bestimmt waren, oder um Dokumente und Unterlagen allgemeinen Inhalts handelt, die aber angesichts des Zeitpunkts der Kenntniserlangung im kleinen Personenkreis Rückschlüsse auf die Quelle erlauben, zeigt, dass der Beigeladene berücksichtigt hat, im Rahmen seiner Ermessenserwägungen gerade auch dem Offenbarungsinteresse der Klägerin an den in der Sachakte des Beklagten zusammengetragenen Informationen Rechnung zu tragen.
Vor diesem Hintergrund ist - wie auch der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts angemerkt hat - der Einwand der Klägerin, die Sperrerklärung vom31. Oktober 2008 leide an demselben Ermessensfehler wie die ursprüngliche Sperrerklärung, nicht nachvollziehbar. Die vom Senat mit Beschluss vom 18. Juni 2008 beanstandete Sperrerklärung vom 18. September 2007 beschränkte sich darauf, ohne jegliche Differenzierung nach Art der Information und Grund der Weigerung pauschal auf eine Geheimhaltungsbedürftigkeit aller Unterlagen zu verweisen.
Der Senat hat die ihm im Original vorgelegten Seiten der Sachakte, die der Klägerin nicht oder nur als Kopien mit Schwärzungen zugänglich gemacht worden sind, sowie die Auszüge aus NADIS und der Amtsdatei im Einzelnen durchgesehen. Dabei hat sich ergeben, dass der Beigeladene keine Informationen vorenthalten und keine Eintragungen geschwärzt hat, die nicht den oben aufgeführten Kriterien entsprechen und gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geheimhaltungsbedürftig sind. Die Einsicht hat auch bestätigt, dass es sich bei den Eintragungen in der Amtsdatei lediglich um Zusammenfassungen von Informationen handelt, die bereits in der Sachakte enthalten sind und für die - ebenso wie für die Auszüge aus NADIS - Geheimhaltungsgründe vorliegen, soweit die Informationen nicht bereits bekannt gegeben worden sind.
Der unter Bezugnahme auf das gerichtliche Schreiben des Fachsenats des Oberverwaltungsgerichts vom 4. Februar 2009 erhobene Einwand der Klägerin, im Hauptsacheverfahren werde lediglich vollständige Auskunft über sämtliche zu ihrer Person gespeicherten Daten und Informationen verlangt, auch das Verwaltungsgericht habe die "einschlägigen" Verwaltungsakten angefordert, sodass die Vorlage eines ganzen Aktenordners als bewusste Verschleierungs- und Vernebelungstaktik anzusehen sei, zielt anscheinend - soweit sich der Vortrag dem Senat erschließt - auf den Vorwurf, der Beigeladene schaffe sich selbst durch Hinzuziehung von Material, das keinen Bezug zur Klägerin habe, überhaupt erst die Voraussetzungen, um Unterscheidungen treffen zu können und damit den Anschein einer sorgfältigen Ermessensentscheidung zu erzeugen. Dieser Vorwurf liegt neben der Sache. Die Einsicht hat bestätigt, dass die Sachakte Informationen enthält, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Klägerin für die damals beobachtete Partei angefallen sind. Das gilt auch für Dokumente und Unterlagen mit allgemeinem Inhalt, die indes die Besonderheit aufweisen, dass sie vor dem Zeitpunkt der Allgemeinzugänglichkeit durch den Einsatz sicherheitsbehördlicher Mittel erlangt wurden. Soweit Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des Beklagten ausgeschlossen erscheinen, hat der Beigeladene die Unterlagen z.T. vollständig, z.T. mit Schwärzungen auch vorgelegt. Ob - wie die Klägerin weiter geltend macht - die bis zum31. Dezember 2007 dauernde Beobachtung der Partei und der damit verbundene Einsatz von sicherheitsbehördlichen Mitteln rechtmäßig war, ist keine Frage, über die der nach § 99 Abs. 2 VwGO angerufene Fachsenat zu entscheiden hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.
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Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO
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vorgehend Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, 15. Mai 2009, Az: 8 F 431/08, Beschluss
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DEU
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Die gegen diese Entscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 25.05.2012 - 1 BvR 555/10 - nicht zur Entscheidung angenommen.
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Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 15. Mai 2009 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Zwischenverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zwischenverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
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I
Mit der diesem Zwischenverfahren zugrundeliegenden Klage begehrt der Kläger vollständige Auskunft über sämtliche beim Beklagten zu seiner Person gespeicherten Daten und Informationen. Dem anhängigen Zwischenverfahren ist ein erstes Zwischenverfahren vorangegangen, in dem der Senat auf die Beschwerde des Klägers festgestellt hat, dass die auf die Sperrerklärung vom 20. Juni 2007 gestützte Verweigerung der Aktenvorlage an das Gericht - soweit sie noch Gegenstand des Beschwerdeverfahrens war - rechtswidrig war, weil der Beigeladene sein Ermessen gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht ordnungsgemäß ausgeübt hatte (Beschluss vom 18. Juni 2008 - BVerwG 20 F 46.07 -). Wie sich aus den Sperrerklärungen vom 20. Juni 2007 und vom 31. Oktober 2008 ergibt, handelt es sich um Aktenteile einer von dem Beklagten jahrgangsweise geführten Sachakte, in der die Ergebnisse der seit Dezember 1999 bis zum 31. Dezember 2007 dauernden Beobachtung der "Linkspartei.Landesverband Saarland", vormals Landesverband Saarland der "Partei des demokratischen Sozialismus" (PDS) festgehalten sind, außerdem um Auszüge aus dem Nachrichtendienstlichen Informationssystem NADIS der Verfassungsschutzbehörden und der Amtsdatei des Beklagten, die - soweit nicht vorgelegt - gesperrt seien und nur für dieses Verfahren Verwendung fänden.
Mit Sperrerklärung vom 31. Oktober 2008 hat der Beigeladene erneut die vollständige Vorlage der Akten verweigert und hinsichtlich der Sachakte unter Angabe von Blattzahlen dargelegt, welche Aktenseiten ohne Einschränkung und aus welchen Gründen Aktenseiten gar nicht oder nur teilweise geschwärzt vorgelegt werden können, sowie erläutert, aus welchen Gründen die gefertigten Auszüge aus NADIS und der Amtsdatei nicht vorgelegt werden können. Mit Beschluss vom 15. Mai 2009 hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts festgestellt, dass die Verweigerung der Aktenvorlage rechtmäßig ist. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.
II
Die Beschwerde des Klägersist unbegründet. Zu Recht hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts entschieden, dass die Weigerung des Beigeladenen, die begehrten Aktenseiten vorzulegen, auf der Grundlage der Sperrerklärung vom 31. Oktober 2008 rechtmäßig ist.
Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes Anliegen des Gemeinwohls (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 7. November 2002 - BVerwG 2 AV 2.02 - NVwZ 2003, 347 und vom 23. März 2009 - BVerwG 20 F 11.08 - juris Rn. 5), das eine Verweigerung der Vorlage gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen kann. Ein Nachteil in diesem Sinne ist u.a. dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (stRspr, vgl. nur Beschlüsse vom 29. Juli 2002 - BVerwG 2 AV 1.02 - BVerwGE 117, 8 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 27, vom 25. Februar 2008 - BVerwG 20 F 43.07 - juris Rn. 10, vom 5. Februar 2009 - BVerwG 20 F 24.08 - juris Rn. 4, vom 3. März 2009 - BVerwG 20 F 9.08 - juris Rn. 7 - und vom 2. Juli 2009 - BVerwG 20 F 4.09 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 54 Rn. 8). An diesen besonderen Gründen des Geheimnisschutzes hat sich der Beigeladene (nunmehr) ausgerichtet. Wie der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts zutreffend ausgeführt hat, hat der Beigeladene in der (erneuten) Sperrerklärung vom 31. Oktober 2008 erkannt, dass die Gründe, die eine Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen können, von denjenigen Gründen zu unterscheiden sind, die im Verfahren der Hauptsache zur Verweigerung der Aktenvorlage angeführt werden. Er hat auf dieser Grundlage das ihm gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO eingeräumte Ermessen ausgeübt und auch erkannt, dass bei der Abwägung neben den Gründen des Geheimnisschutzes nicht nur das öffentliche Interesse an der von Amts wegen gebotenen Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht, sondern auch das private Interesse des Klägers an der Durchsetzung seines Auskunftsanspruchs zu berücksichtigen ist. Ausgerichtet an dem legitimen Anliegen, eine mögliche Gefährdung der künftigen Aufgabenerfüllung des Landesamts für Verfassungsschutz zu verhindern und Quellenschutz zu gewährleisten, hat der Beigeladene im jeweiligenkonkreten Einzelfall - bei der Sachakte je Aktenseite - die inhaltliche Qualität der Information in den Blick genommen und zunächst zwischen sog. Deckblattmeldungen und Anlagen unterschieden und dabei wiederum nach verschiedenen Geheimhaltungsinteressen geordnete Gruppen gebildet und untersucht. Auf dieser Grundlage war es ihm dann möglich, die nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geforderte Abwägung vorzunehmen und dabei auch dem Offenbarungsinteresse des Klägers Rechnung zu tragen, was darin zum Ausdruck kommt, dass er zwischen einer uneingeschränkten Offenlegung, einer durch Schwärzungen eingeschränkten Offenlegung und einer Vorenthaltung der übrigen Seiten der Sachakte sowie der Auszüge aus NADIS und der Amtsdatei unterschieden hat. Dass er dabei alle sog. Deckblattmeldungen schon aus inhaltlichen Gründen wegen der Vielzahl der enthaltenen Informationen zur Arbeitsweise des Beklagten und aus der Zusammenarbeit mit Quellen als schützenswert erachtet hat, ist nicht zu beanstanden. Daten, die dem Quellenschutz dienen oder Methoden der operativen Arbeit der Sicherheitsbehörde bei einer Offenlegung offenbaren würden, lassen Rückschlüsse auf geheime Einschätzungen und Entscheidungsbildungen auch in Sachfragen zu. Das gilt auch für die verweigerte Vorlage der Auszüge aus NADIS. Ebenso wenig sind die formalen Gesichtspunkte zu beanstanden, an Hand derer der Beigeladene in jedem Einzelfall entschieden hat, welche als Anlagen und sonstige Bestandteile bezeichneten Aktenseiten im Interesse des Klägers insgesamt oder nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zumindest teilweise - mit Schwärzungen - vorgelegt werden können. Wie der Senat bereits entschieden hat, sind formale, die Aktenführung betreffende Gesichtspunkte wie beispielsweise Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und Bezeichnungen des Verwaltungsvorgangs, Handzeichen und Mitarbeiternamen, Verfügungen, schriftliche Randbemerkungen, Arbeitshinweise und Querverweise, Hervorhebungen und Unterstreichungen grundsätzlich geeignet, vor allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau, die künftige Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden zu erschweren, weil sich daraus Rückschlüsse auf Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung ableiten lassen (vgl. nur Beschlüsse vom 1. August 2007 - BVerwG 20 F 10.06 - juris Rn. 7 und vom 23. März 2009 - BVerwG 20 F 11.08 - juris Rn. 9). Auch die weitere Differenzierung bei den als Anlagen bezeichneten Aktenseiten, bei der unter dem Gesichtspunkt des Quellenschutzes unterschieden wird, ob es sich um Informationen, die ausschließlich für einen beschränkten Personenkreis bestimmt waren, oder um Dokumente und Unterlagen allgemeinen Inhalts handelt, die aber angesichts des Zeitpunkts der Kenntniserlangung im kleinen Personenkreis Rückschlüsse auf die Quelle erlauben, zeigt, dass der Beigeladene berücksichtigt hat, im Rahmen seiner Ermessenserwägungen gerade auch dem Offenbarungsinteresse des Klägers an den in der Sachakte des Beklagten zusammengetragenen Informationen Rechnung zu tragen.
Vor diesem Hintergrund ist - wie auch der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts angemerkt hat - der Einwand des Klägers, die Sperrerklärung vom31. Oktober 2008 leide an demselben Ermessensfehler wie die ursprüngliche Sperrerklärung, nicht nachvollziehbar. Die vom Senat mit Beschluss vom 18. Juni 2008 beanstandete Sperrerklärung vom 20. Juni 2007 beschränkte sich darauf, ohne jegliche Differenzierung nach Art der Information und Grund der Weigerung pauschal auf eine Geheimhaltungsbedürftigkeit aller Unterlagen zu verweisen.
Der Senat hat die ihm im Original vorgelegten Seiten der Sachakte, die dem Kläger nicht oder nur als Kopien mit Schwärzungen zugänglich gemacht worden sind, sowie die Auszüge aus NADIS und der Amtsdatei im Einzelnen durchgesehen. Dabei hat sich ergeben, dass der Beigeladene keine Informationen vorenthalten und keine Eintragungen geschwärzt hat, die nicht den oben aufgeführten Kriterien entsprechen und gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geheimhaltungsbedürftig sind. Die Einsicht hat auch bestätigt, dass es sich bei den Eintragungen in der Amtsdatei lediglich um Zusammenfassungen von Informationen handelt, die bereits in der Sachakte enthalten sind und für die - ebenso wie für die Auszüge aus NADIS - Geheimhaltungsgründe vorliegen, soweit die Informationen nicht bereits bekannt gegeben worden sind.
Der unter Bezugnahme auf das gerichtliche Schreiben des Fachsenats des Oberverwaltungsgerichts vom 4. Februar 2009 erhobene Einwand des Klägers, im Hauptsacheverfahren werde lediglich vollständige Auskunft über sämtliche zu seiner Person gespeicherten Daten und Informationen verlangt, auch das Verwaltungsgericht habe die "einschlägigen" Verwaltungsakten angefordert, sodass die Vorlage eines ganzen Aktenordners als bewusste Verschleierungs- und Vernebelungstaktik anzusehen sei, zielt anscheinend - soweit sich der Vortrag dem Senat erschließt - auf den Vorwurf, der Beigeladene schaffe sich selbst durch Hinzuziehung von Material, das keinen Bezug zum Kläger habe, überhaupt erst die Voraussetzungen, um Unterscheidungen treffen zu können und damit den Anschein einer sorgfältigen Ermessensentscheidung zu erzeugen. Dieser Vorwurf liegt neben der Sache. Die Einsicht hat bestätigt, dass die Sachakte Informationen enthält, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Klägers für die damals beobachtete Partei angefallen sind. Das gilt auch für Dokumente und Unterlagen mit allgemeinem Inhalt, die indes die Besonderheit aufweisen, dass sie vor dem Zeitpunkt der Allgemeinzugänglichkeit durch den Einsatz sicherheitsbehördlicher Mittel erlangt wurden. Soweit Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des Beklagten ausgeschlossen erscheinen, hat der Beigeladene die Unterlagen z.T. vollständig, z.T. mit Schwärzungen auch vorgelegt. Ob - wie der Kläger weiter geltend macht - die bis zum31. Dezember 2007 dauernde Beobachtung der Partei und der damit verbundene Einsatz von sicherheitsbehördlichen Mitteln rechtmäßig war, ist keine Frage, über die der nach § 99 Abs. 2 VwGO angerufene Fachsenat zu entscheiden hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.
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http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-JURE100055710&psml=bsjrsprod.psml&max=true
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BVerwG
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Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO
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20100107
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20 F 9/09
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Beschluss
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vorgehend Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, 15. Mai 2009, Az: 8 F 434/08, Beschluss
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DEU
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Die gegen diese Entscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 25.05.2012 - 1 BvR 533/10 - nicht zur Entscheidung angenommen.
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Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 15. Mai 2009 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Zwischenverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zwischenverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
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I
Mit der diesem Zwischenverfahren zugrundeliegenden Klage begehrt der Kläger, der auch Verfahrensbevollmächtigter der Kläger der Parallelverfahren BVerwG 20 F 5.09, 7.09 und 8.09 ist, vollständige Auskunft über sämtliche beim Beklagten zu seiner Person gespeicherten Daten und Informationen. Ursprünglich hatte der Beigeladene mit Sperrerklärung vom 14. Mai 2008 die Vorlage der Akten an das Gericht verweigert. Nachdem der Senat mit Beschlüssen vom 18. Juni 2008 in dem ersten Zwischenverfahren der Kläger der Parallelverfahren festgestellt hat, dass die Verweigerung der Aktenvorlage - soweit sie noch Gegenstand des Beschwerdeverfahrens war - rechtswidrig war, weil der Beigeladene sein Ermessen gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht ordnungsgemäß ausgeübt hatte, hob der Beigeladene mit Schreiben vom 10. September 2008 die Sperrerklärung vom 14. Mai 2008 auf. Wie sich aus den Sperrerklärungen vom 14. Mai 2008 und vom 31. Oktober 2008 ergibt, handelt es sich um Aktenteile einer von dem Beklagten jahrgangsweise geführten Sachakte, in der die Ergebnisse der seit Dezember 1999 bis zum 31. Dezember 2007 dauernden Beobachtung der "Linkspartei.Landesverband Saarland", vormals Landesverband Saarland der "Partei des demokratischen Sozialismus" (PDS) festgehalten sind.
Mit Sperrerklärung vom 31. Oktober 2008 hat der Beigeladene erneut die vollständige Vorlage der Akten verweigert und hinsichtlich der Sachakte unter Angabe von Blattzahlen dargelegt, welche Aktenseiten ohne Einschränkung und aus welchen Gründen Aktenseiten gar nicht oder nur teilweise geschwärzt vorgelegt werden können. Mit Beschluss vom 15. Mai 2009 hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts festgestellt, dass die Verweigerung der Aktenvorlage rechtmäßig ist. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.
II
Die Beschwerde des Klägersist unbegründet. Zu Recht hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts entschieden, dass die Weigerung des Beigeladenen, die begehrten Aktenseiten vorzulegen, auf der Grundlage der Sperrerklärung vom 31. Oktober 2008 rechtmäßig ist.
Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes Anliegen des Gemeinwohls (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 7. November 2002 - BVerwG 2 AV 2.02 - NVwZ 2003, 347 und vom 23. März 2009 - BVerwG 20 F 11.08 - juris Rn. 5), das eine Verweigerung der Vorlage gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen kann. Ein Nachteil in diesem Sinne ist u.a. dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (stRspr, vgl. nur Beschlüsse vom 29. Juli 2002 - BVerwG 2 AV 1.02 - BVerwGE 117, 8 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 27, vom 25. Februar 2008 - BVerwG 20 F 43.07 - juris Rn. 10, vom 5. Februar 2009 - BVerwG 20 F 24.08 - juris Rn. 4, vom 3. März 2009 - BVerwG 20 F 9.08 - juris Rn. 7 - und vom 2. Juli 2009 - BVerwG 20 F 4.09 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 54 Rn. 8). An diesen besonderen Gründen des Geheimnisschutzes hat sich der Beigeladene (nunmehr) ausgerichtet. Wie der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts zutreffend ausgeführt hat, hat der Beigeladene in der (erneuten) Sperrerklärung vom 31. Oktober 2008 erkannt, dass die Gründe, die eine Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen können, von denjenigen Gründen zu unterscheiden sind, die im Verfahren der Hauptsache zur Verweigerung der Aktenvorlage angeführt werden. Er hat auf dieser Grundlage das ihm gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO eingeräumte Ermessen ausgeübt und auch erkannt, dass bei der Abwägung neben den Gründen des Geheimnisschutzes nicht nur das öffentliche Interesse an der von Amts wegen gebotenen Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht, sondern auch das private Interesse des Klägers an der Durchsetzung seines Auskunftsanspruchs zu berücksichtigen ist. Ausgerichtet an dem legitimen Anliegen, eine mögliche Gefährdung der künftigen Aufgabenerfüllung des Landesamts für Verfassungsschutz zu verhindern und Quellenschutz zu gewährleisten, hat der Beigeladene im jeweiligenkonkreten Einzelfall - bei der Sachakte je Aktenseite - die inhaltliche Qualität der Information in den Blick genommen und zunächst zwischen sog. Deckblattmeldungen und Anlagen unterschieden und dabei wiederum nach verschiedenen Geheimhaltungsinteressen geordnete Gruppen gebildet und untersucht. Auf dieser Grundlage war es ihm dann möglich, die nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geforderte Abwägung vorzunehmen und dabei auch dem Offenbarungsinteresse des Klägers Rechnung zu tragen, was darin zum Ausdruck kommt, dass er zwischen einer uneingeschränkten Offenlegung, einer durch Schwärzungen eingeschränkten Offenlegung und einer Vorenthaltung der übrigen Seiten der Sachakte unterschieden hat. Dass er dabei alle sog. Deckblattmeldungen schon aus inhaltlichen Gründen wegen der Vielzahl der enthaltenen Informationen zur Arbeitsweise des Beklagten und aus der Zusammenarbeit mit Quellen als schützenswert erachtet hat, ist nicht zu beanstanden. Daten, die dem Quellenschutz dienen oder Methoden der operativen Arbeit der Sicherheitsbehörde bei einer Offenlegung offenbaren würden, lassen Rückschlüsse auf geheime Einschätzungen und Entscheidungsbildungen auch in Sachfragen zu. Ebenso wenig sind die formalen Gesichtspunkte zu beanstanden, an Hand derer der Beigeladene in jedem Einzelfall entschieden hat, welche als Anlagen und sonstige Bestandteile bezeichneten Aktenseiten im Interesse des Klägers insgesamt oder nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zumindest teilweise - mit Schwärzungen - vorgelegt werden können. Wie der Senat bereits entschieden hat, sind formale, die Aktenführung betreffende Gesichtspunkte wie beispielsweise Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und Bezeichnungen des Verwaltungsvorgangs, Handzeichen und Mitarbeiternamen, Verfügungen, schriftliche Randbemerkungen, Arbeitshinweise und Querverweise, Hervorhebungen und Unterstreichungen grundsätzlich geeignet, vor allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau, die künftige Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden zu erschweren, weil sich daraus Rückschlüsse auf Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung ableiten lassen (vgl. nur Beschlüsse vom 1. August 2007 - BVerwG 20 F 10.06 - juris Rn. 7 und vom 23. März 2009 - BVerwG 20 F 11.08 - juris Rn. 9). Auch die weitere Differenzierung bei den als Anlagen bezeichneten Aktenseiten, bei der unter dem Gesichtspunkt des Quellenschutzes unterschieden wird, ob es sich um Informationen, die ausschließlich für einen beschränkten Personenkreis bestimmt waren, oder um Dokumente und Unterlagen allgemeinen Inhalts handelt, die aber angesichts des Zeitpunkts der Kenntniserlangung im kleinen Personenkreis Rückschlüsse auf die Quelle erlauben, zeigt, dass der Beigeladene berücksichtigt hat, im Rahmen seiner Ermessenserwägungen gerade auch dem Offenbarungsinteresse des Klägers an den in der Sachakte des Beklagten zusammengetragenen Informationen Rechnung zu tragen.
Vor diesem Hintergrund ist - wie auch der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts angemerkt hat - der Einwand des Klägers, die Sperrerklärung vom31. Oktober 2008 leide an demselben Ermessensfehler, den der erkennende Senat in dem Beschluss vom 18. Juni 2008 festgestellt habe, nicht nachvollziehbar. Die vom Senat mit Beschluss vom 18. Juni 2008 beanstandete Sperrerklärung vom 24. April 2007 beschränkte sich darauf, ohne jegliche Differenzierung nach Art der Information und Grund der Weigerung pauschal auf eine Geheimhaltungsbedürftigkeit aller Unterlagen zu verweisen.
Der Senat hat die ihm im Original vorgelegten Seiten der Sachakte, die dem Kläger nicht oder nur als Kopien mit Schwärzungen zugänglich gemacht worden sind, im Einzelnen durchgesehen. Dabei hat sich ergeben, dass der Beigeladene keine Informationen vorenthalten und keine Eintragungen geschwärzt hat, die nicht den oben aufgeführten Kriterien entsprechen und gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geheimhaltungsbedürftig sind.
Der unter Bezugnahme auf das gerichtliche Schreiben des Fachsenats des Oberverwaltungsgerichts vom 4. Februar 2009 erhobene Einwand des Klägers, im Hauptsacheverfahren werde lediglich vollständige Auskunft über sämtliche zu seiner Person gespeicherten Daten und Informationen verlangt, auch das Verwaltungsgericht habe die "einschlägigen" Verwaltungsakten angefordert, sodass die Vorlage eines ganzen Aktenordners als bewusste Verschleierungs- und Vernebelungstaktik anzusehen sei, zielt anscheinend - soweit sich der Vortrag dem Senat erschließt - auf den Vorwurf, der Beigeladene schaffe sich selbst durch Hinzuziehung von Material, das keinen Bezug zum Kläger habe, überhaupt erst die Voraussetzungen, um Unterscheidungen treffen zu können und damit den Anschein einer sorgfältigen Ermessensentscheidung zu erzeugen. Dieser Vorwurf liegt neben der Sache. Die Einsicht hat bestätigt, dass die Sachakte Informationen enthält, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Klägers für die damals beobachtete Partei angefallen sind. Das gilt auch für Dokumente und Unterlagen mit allgemeinem Inhalt, die indes die Besonderheit aufweisen, dass sie vor dem Zeitpunkt der Allgemeinzugänglichkeit durch den Einsatz sicherheitsbehördlicher Mittel erlangt wurden. Soweit Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des Beklagten ausgeschlossen erscheinen, hat der Beigeladene die Unterlagen z.T. vollständig, z.T. mit Schwärzungen auch vorgelegt. Ob - wie der Kläger weiter geltend macht - die bis zum31. Dezember 2007 dauernde Beobachtung der Partei und der damit verbundene Einsatz von sicherheitsbehördlichen Mitteln rechtmäßig war, ist keine Frage, über die der nach § 99 Abs. 2 VwGO angerufene Fachsenat zu entscheiden hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100055930
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BVerwG
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8. Senat
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20100126
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8 B 43/09
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Beschluss
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§ 4 Abs 2 S 1 VermG
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vorgehend VG Chemnitz, 12. Dezember 2008, Az: 4 K 1479/01, Urteil
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DEU
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Vorliegen tatsächlicher Voraussetzungen für einen redlichen Erwerb
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Die Beschwerde der Beigeladenen zu 2 und 3 gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 12. Dezember 2008 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladenen zu 2 und 3 tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 220 000 € festgesetzt.
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von den Beigeladenen zu 2 und 3 geltend gemachten Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO liegen nicht vor.
1. Die Divergenzrüge gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO greift nicht durch. Die Beschwerde hat nicht dargelegt, mit welchem das angefochtene Urteil unmittelbar tragenden abstrakten Rechtssatz das Verwaltungsgericht von eben einem solchen Rechtssatz in den genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen sein soll. Insbesondere hat das Verwaltungsgericht keinen Rechtssatz aufgestellt, der den im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Februar 2001 - BVerwG 8 C 10.00 - niedergelegten Rechtssätzen widerspricht. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht den Entscheidungsgründen einen mit diesem Urteil konformen Rechtssatz vorangestellt. Er lautet: „Hierbei gilt der Grundsatz, dass dann, wenn sich nicht abschließend aufklären lässt, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für einen redlichen Erwerb gegeben sind, ein anspruchsausschließender Erwerb nicht angenommen werden kann. Dies gilt allerdings nur dann, wenn überhaupt greifbare Anhaltspunkte für eine mögliche Unredlichkeit des Erwerbers bestehen, die aber für sich allein genommen zur Überzeugungsbildung noch nicht ausreichen.“ (UA S. 8 oben). Diese Formulierung entspricht nahezu wörtlich dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Januar 2000 - BVerwG 7 C 39.98 - und den vorausgegangenen Beschlüssen vom 16. Oktober 1995 - BVerwG 7 B 163.95 - (Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 22) und vom 2. November 1998 - BVerwG 8 B 211.98 - (Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 59). Mit ihren Ausführungen versucht die Beschwerde, nach Art einer Berufungsbegründung, die Rechtsausführungen des Verwaltungsgerichts anzugreifen, was aber zur Begründung einer Divergenzrüge nicht ausreicht.
2. Erfolglos bleibt auch die erhobene Verfahrensrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
Soweit die Beschwerdeführer geltend machen, das Verwaltungsgericht sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass in der DDR nach § 8 Abs. 2 der Wohnraumlenkungsverordnung vom 14. September 1967 die Mitwirkung der Wohnungskommission unter anderem „bei der Prüfung der Zuweisungsanträge und für die Unterbreitung eines Vergabevorschlages“ obligatorisch gewesen sei, rügen sie keine Verletzung einer Verfahrensvorschrift im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, also einer für das verwaltungsgerichtliche Verfahren maßgeblichen Regelung des Prozessrechts.
Soweit die Beschwerde mit dem Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe unter Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO keine hinreichenden Aufklärungen für seine Feststellungen getroffen, dass die Beschwerdeführer mit ihrer vor dem Wohnungstausch zusammen mit einem Kind bewohnten Vier-Zimmer-Wohnung - Plattenbau - bereits "überversorgt" gewesen seien und dass eine Wohnraumzuweisung für das Einfamilienhaus vom 27. März 1979 nicht vorliege, ist die Verfahrensrüge unzulässig, weil sie nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 VwGO entspricht. Bei einem behaupteten Verstoß gegen das Amtsermittlungsgebot (§ 86 Abs. 1 VwGO) muss substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären; weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. Beschluss vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265).
Diesen Anforderungen wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.
Hinsichtlich der behaupteten Aufklärungsbedürftigkeit der für die Wohnraumvergabe in Karl-Marx-Stadt maßgeblichen besonderen Vergabekriterien ("Belegungsnormative") wird in der Beschwerde jedenfalls nicht dargelegt, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Ebenso wird weder dargelegt noch ist ersichtlich, dass bereits im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen.
Soweit die Beschwerdeführer rügen, der Notar sei zu Unrecht nicht als Zeuge dazu vernommen worden, ob die Wohnraumzuweisung vom 27. März 1979 beim Kaufvertragsabschluss tatsächlich vorgelegen habe, ist nicht ersichtlich, dass sie einen entsprechenden Beweisantrag in der ersten Instanz gestellt haben, obwohl das Verwaltungsgericht ausdrücklich auf die fehlende Auffindbarkeit der Wohnraumzuweisung vom 27. März 1979 hingewiesen hatte. Die anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer haben auch keine Umstände dafür dargetan, dass sich eine Vernehmung des Notars - ohne Beweisantrag - dem Verwaltungsgericht aufdrängen musste. Dagegen spricht im Übrigen, dass das Verwaltungsgericht auf Grund der bei den Akten befindlichen Wohnraumzuweisung vom 1. November 1979 auf Grund der von ihm gewürdigten Gesamtumstände offenbar zu der Schlussfolgerung gelangt ist, dass für dasselbe Wohnobjekt keine weitere Zuweisung bestanden habe und dass der Hinweis in dem notariellen Kaufvertrag vom 20. September 1979 auf eine am 27. März 1979 erfolgte Zuweisung angesichts der Gesamtumstände nicht der Wahrheit entsprach, zumal im Schreiben der VEB Gebäudewirtschaft an den Rat des Stadtbezirks Süd vom 19. März 1979 u.a. mitgeteilt worden war, dass den Beschwerdeführern vom Stadtbezirk Süd die Wohnraumzuweisung bereits zu diesem Zeitpunkt erteilt gewesen sei, was wiederum - in einer weiteren Version - von den Angaben im notariellen Kaufvertrag abwich.
Auch soweit die Beigeladenen im Hinblick auf die Umstände des Wohnungstausches vom 12. Februar 1979 die unterbliebene Vernehmung der Zeugen N. und Sch. als Aufklärungsmangel rügen, wird in der Beschwerde jedenfalls nicht dargelegt, dass sie im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht einen diesbezüglichen Beweisantrag gestellt haben oder aus welchem Grund sich dem Gericht die Notwendigkeit der Zeugenvernehmung von sich aus hätte aufdrängen müssen.
Soweit die Beschwerdeführer das Unterbleiben weiterer gerichtlicher Feststellungen zu den Umständen und Hintergründen der am 22. Oktober 1979 erfolgten grundbuchrechtlichen Eintragung des Nutzungsrechts rügen, legen sie mit ihrer Beschwerde weder dar, welche weiteren gerichtlichen Aufklärungsmaßnahmen in Betracht gekommen wären noch welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Auch ist wiederum nicht ersichtlich, dass sie bereits im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme einer diesbezüglichen Sachverhaltsaufklärung hingewirkt haben oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen.
Gleiches gilt hinsichtlich des Vortrages der Beschwerdeführer, das Verwaltungsgericht habe keine hinreichenden Feststellungen zum Einbau der Warmwasserheizung und den daraus von ihm gezogenen rechtlichen Schlussfolgerungen getroffen. Soweit die Beschwerdeführer sich sinngemäß gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts wenden, dass ein bereits vor der Grundstücksverkehrsgenehmigung und der Verleihung des dinglichen Nutzungsrechts vorgenommener Einbau einer Warmwasserheizung (Rechnung vom 25. September 1979) gegen die Redlichkeit des Erwerbs spreche, legen sie insbesondere nicht dar, welche Beweismittel das Verwaltungsgericht zur Feststellung der von ihnen angeführten Verwaltungspraxis hätte nutzen müssen sowie welche entscheidungsrelevanten tatsächlichen Feststellungen bei Vernehmung der von ihnen angeführten Zeugen Sch. und N. voraussichtlich getroffen worden wären. Die Zeugen Sch. und N. sind von den Beschwerdeführern lediglich als Zeugen dafür benannt worden, dass die letzte Mieterin des Hauses Ende Juni 1979 ausgezogen sei.
Soweit die Beschwerdeführer sinngemäß einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO rügen, hat ihre Beschwerde ebenfalls keinen Erfolg.
Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Tatsachengericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Diese Pflicht verletzt es dann, wenn es seiner Entscheidung den ermittelten Sachverhalt unrichtig oder unvollständig zugrunde legt (vgl. dazu Urteile vom 2. Februar 1984 - BVerwG 6 C 134.81 - BVerwGE 68, 338 = Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 145 und vom 25. März 1987 - BVerwG 6 C 10.84 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183). § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO verlangt zudem, dass im Urteil die Gründe angegeben werden, die für die richterliche Überzeugungsbildung leitend gewesen sind. Wie umfangreich und detailliert dies zu geschehen hat, lässt sich nicht abstrakt umschreiben. Im Allgemeinen genügt es, wenn der Begründung entnommen werden kann, dass das Gericht eine vernünftige und der jeweiligen Sache angemessene Gesamtwürdigung und Beurteilung vorgenommen hat (Beschluss vom 12. Juli 1999 - BVerwG 9 B 374.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 43). Das Tatsachengericht muss das Ergebnis seiner Würdigung in den Entscheidungsgründen in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise darlegen. Es verstößt gegen § 108 Abs. 1 VwGO, wenn es gewichtige Tatsachen oder Tatsachenkomplexe in den Entscheidungsgründen übergeht.
Das Vorbringen der Beschwerdeführer lässt eine Verletzung dieser rechtlichen Vorgaben nicht erkennen.
Soweit die Beschwerdeführer rügen, die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass bereits vor dem notariellen Kaufvertrag vom 20. September 1979 das Nutzungsrecht an dem Grundstück eingeräumt worden sei (S. 10, letzter Absatz der Urteilsgründe), stehe im Widerspruch zum Akteninhalt und zu den eigenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts, liegt offenbar ein Fehlverständnis vor. Das Verwaltungsgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass die "Nutzungsurkunde" vom 12. Oktober 1979 datiert und dass die Eintragung des Nutzungsrechts in das Grundbuch am 22. Oktober 1979 vorgenommen wurde, also jeweils nach dem Kaufvertrag vom 20. September 1979. Mit der gerügten Formulierung hat das Verwaltungsgericht ersichtlich zum Ausdruck bringen wollen, dass das Nutzungsrecht rückwirkend zum 1. Juli 1979 und damit auf einen Zeitpunkt vor Abschluss des Kaufvertrages eingeräumt wurde, was auch die Beschwerdeführer nicht in Zweifel ziehen.
Soweit die Beschwerdeführer die Würdigung der Aussage der Zeugin K. durch das Verwaltungsgericht angreifen und auch insoweit einen Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO geltend machen, führt dies ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision. (Vermeintliche) Fehler in der Beweiswürdigung des Tatsachengerichts sind regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen und können daher einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht begründen. Eine Ausnahme kommt bei einer aktenwidrigen, gegen die Denkgesetze verstoßenden oder sonst von objektiver Willkür geprägten Beweiswürdigung in Betracht (vgl. u.a. Beschluss vom 22. Mai 2008 - BVerwG 9 B 34.07 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 65 S. 29 f. m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Insbesondere ist entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer keine Aktenwidrigkeit gegeben. Das Verwaltungsgericht hat mit der „bevorzugten Behandlung“ der Eintragung des Nutzungsrechts in diesem Zusammenhang allein auf den zeitlichen Aspekt („die Eintragung sofort vorzunehmen“) abgestellt, den es der Aussage der Zeugin entnommen hat. Diesen zeitlichen Aspekt räumen auch die Beschwerdeführer ein (S. 9 der Beschwerdebegründung).
Die Darlegungen der Beschwerdeführer, dass die vom Verwaltungsgericht herangezogenen Indizien keine Hinweise auf die Absicht ergäben, den Erwerbsvorgang gezielt zu beeinflussen, und dass das Verwaltungsgericht sich nicht mit den subjektiven Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Buchst. a VermG befasst habe, betreffen keine Verfahrensfehler, sondern gehören zur materiell-rechtlichen Beurteilung des Falles.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47, 52 GKG.
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100056011
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BGH
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5. Strafsenat
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20100128
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5 StR 552/09
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Beschluss
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§ 265 Abs 2 StPO, § 63 StGB, § 66 Abs 2 StGB
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vorgehend LG Berlin, 14. August 2009, Az: (517) 2 Op Js 2066/07 KLs (36/08), Urteil
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DEU
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Hinweis auf die Änderung des rechtlichen Gesichtspunkts: Verfahrensfehlerhaftes Unterbleiben eines Hinweises auf die mögliche Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 14. August 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes in sechs Fällen, Diebstahls in 77 Fällen, Computerbetrugs in acht Fällen und versuchten Computerbetrugs zu Einzelstrafen zwischen zwei Monaten und vier Jahren verurteilt und daraus eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren gebildet. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Revision des Angeklagten ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, soweit das Rechtsmittel sich gegen den Schuldspruch und den Strafausspruch richtet. Jedoch muss auf eine Verfahrensrüge die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben werden.
Der Beschwerdeführer beanstandet mit der auf § 265 Abs. 2 StPO gestützten Verfahrensrüge zu Recht, dass ihm kein rechtlicher Hinweis auf die Möglichkeit seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erteilt worden ist. Weder in der Anklageschrift noch in dem Eröffnungsbeschluss ist auf die Möglichkeit einer Unterbringung nach § 63 StGB hingewiesen worden und auch in der Hauptverhandlung hat das Gericht einen solchen Hinweis nicht erteilt. Dass die psychologische Sachverständige in ihrem Gutachten die Maßregel des § 63 StGB angesprochen hat und die Frage in der Hauptverhandlung erörtert wurde, macht einen solchen gerichtlichen Hinweis nicht entbehrlich (vgl. BGHR StPO § 265 Abs. 2 Hinweispflicht 6 m.N.; BGH NStZ-RR 2002, 271; StV 2003, 151; NStZ-RR 2008, 316; BGH, Beschluss vom 28. April 2009- 4 StR 544/08). Insbesondere vor dem Hintergrund, dass Staatsanwaltschaft und Verteidigung in ihren Schlussanträgen übereinstimmend lediglich die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt beantragt haben, vermag der Senat nicht auszuschließen, dass das Urteil auf dem Verfahrensverstoß beruht. Zutreffend hat der Generalbundesanwalt darauf hingewiesen, dass auch durch den von der Verteidigung gestellten Beweisantrag auf Anhörung eines weiteren Sachverständigen dazu, „dass die Voraussetzungen der Unterbringung gemäß § 63 und § 66 StGB beim Angeklagten nicht vorliegen“, ein Beruhen nicht ausgeschlossen wird. Dieser Antrag wurde nach Erteilung des rechtlichen Hinweises gestellt, dass „auch die Rechtsfolge der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 StGB in Betracht“ komme, und belegt keine eindeutige Orientierung des Angeklagten.
Basdorf Raum Schaal
König Bellay
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100056016
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BGH
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3. Strafsenat
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20100113
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3 StR 500/09
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Beschluss
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§ 263 Abs 1 StGB
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vorgehend LG Oldenburg (Oldenburg), 28. November 2008, Az: 2 KLs 112/08 - 950 Js 39229/07, Urteil
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DEU
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Betrug: Erforderliche Urteilsfeststellungen zur Person des Verfügenden bei arbeitsteilig tätigen Unternehmen wie einer Bank
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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 28. November 2008 aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt er die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet das Verfahren. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
1. Der Schuldspruch wegen Betruges hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift ausgeführt:
"Eine Strafbarkeit wegen Betruges gemäß § 263 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass eine andere Person über Tatsachen getäuscht wird und durch den so hervorgerufenen Irrtum zu einer vermögensmindernden Verfügung veranlasst wird (Fischer, StGB 56. Aufl. § 263 Rdn. 5). Bei arbeitsteilig tätigen Unternehmen müssen die Urteilsgründe daher regelmäßig darlegen, wer im konkreten Fall auf welcher Grundlage und mit welchen Vorstellungen die Entscheidung über die Erbringung der vom Täter erstrebten Leistung getroffen und damit die Verfügung vorgenommen hat (Senat NStZ 2002 [richtig: 2003], 313, 314 f.). Im Allgemeinen werden bei einer Bank Auszahlungsanordnungen auf der üblicherweise dafür vorgesehenen Sachbearbeiterebene getroffen. Im vorliegenden Fall ist angesichts der Größenordnung des Geschäfts jedoch davon auszugehen, dass die Entscheidung auf einer vorgesetzten Ebene getroffen wurde oder diese dem Sachbearbeiter zumindest Anweisungen erteilt hat, bevor es zur Auszahlung des angeblichen Kaufpreises kam. Für die Beurteilung der Irrtumsfrage bedurfte es daher der Feststellung, wer die Verfügung traf und welche Erkenntnisse der Verfügende hinsichtlich des finanzierten Geschäfts hatte (vgl. Senat aaO; BGHR StGB § 263 Abs. 1 Irrtum 9 und 15; Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 263 Rdn. 41a).
Die knappen Feststellungen des Landgerichts bieten keine hinreichende Grundlage für die Beantwortung der Frage, inwieweit die Auszahlung des Kaufpreises durch einen täuschungsbedingten Irrtum des Verfügenden veranlasst wurde. Die Strafkammer hat insoweit lediglich festgestellt, dass durch die Vorlage der unter Mitwirkung des Angeklagten zum Schein erstellten Verträge und Rechnungen die den (angeblichen) Kauf finanzierende Litauische Bank zur Überweisung des Kaufpreises veranlasst werden sollte. Zugleich hat sie jedoch festgestellt, dass ein 'involvierter Direktor der U. banko' einen fest vereinbarten Anteil des ausgezahlten Betrages erhalten sollte (UA S. 5). Angesichts dieser Umstände hätte es der weiteren Klärung bedurft, inwieweit der Direktor, der offensichtlich Kenntnis von dem Scheingeschäft hatte, für die Auszahlung des Betrages verantwortlich war. Soweit dieser die Verfügung selbst vornahm oder eine entsprechende Anweisung erteilte, käme eine Verurteilung des Angeklagten wegen Betruges nicht in Betracht. Es wäre dann zu prüfen, ob der Angeklagte Beihilfe zu der vom Direktor zum Nachteil der litauischen Bank begangenen Untreue geleistet hat ...
Der neue Tatrichter wird ergänzende Feststellungen hinsichtlich der Person des Verfügenden und dessen Vorstellungen treffen müssen. Da die bisher getroffenen Feststellungen von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind, können diese bestehen bleiben."
Dem schließt sich der Senat an.
2. Das weitergehende Rechtsmittel ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Becker Pfister Sost-Scheible
Hubert Mayer
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100056019
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BGH
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4. Strafsenat
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20100121
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4 StR 407/09
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Urteil
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§ 200 StPO, § 29 Abs 1 S 1 Nr 1 BtMG
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vorgehend LG Dortmund, 20. April 2009, Az: 36 KLs 49/08 - 150 Js 150/07, Urteil
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DEU
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Strafverfahren wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge: Aufhebung der Identität zwischen Anklage und abgeurteilter Tat wegen Veränderung des Tatzeitraums
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1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 20. April 2009 wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 20 Fällen (Verkauf von jeweils 10 g Kokaingemisch im Juli und August 2006) verurteilt worden ist; insoweit fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last,
b) das vorbezeichnete Urteil im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen
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Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 24. April 2008 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 59 Fällen und wegen Versuchs der Beteiligung an einem Verbrechen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt sowie den Verfall von Wertersatz angeordnet. Gegenstand der Verurteilung waren Betäubungsmittelverkäufe des Angeklagten im Zeitraum Anfang März bis Ende Juni 2006. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat mit Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 4 StR 384/08 - das Urteil aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Dieses hat nunmehr den Angeklagten des Handelns mit Betäubungsmitteln im Zeitraum Anfang Juni bis Ende August 2006 für schuldig befunden und ihn wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 30 Fällen unter Freisprechung im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Zugleich hat es hinsichtlich eines Geldbetrages von 14.409,70 € den erweiterten Verfall angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel ist teilweise begründet.
1. Das Verfahren ist gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen, soweit der Angeklagte wegen des Verkaufs von jeweils 10 g Kokaingemisch in 20 Fällen, begangen in den Monaten Juli und August 2006, verurteilt worden ist, da es insoweit an der Verfahrenvoraussetzung einer wirksamen Anklageerhebung fehlt.
a) Die - unverändert zugelassene - Anklage vom 21. November 2007 hatte dem Angeklagten zur Last gelegt, in dem Zeitraum Anfang März bis Ende Juni 2006 an den Zeugen J. (alias H.) Kokain verkauft zu haben, und zwar mindestens an jedem zweiten Tag zwischen 10 bis 30 g, in einem weiteren Fall 50 g und in einem Fall nochmals mindestens 100 g. In dem angefochtenen Urteil ist demgegenüber das Landgericht davon ausgegangen, dass der Angeklagte von Anfang Juni bis Ende August 2006 über einen Zeitraum von mindestens 13 Wochen jeweils wöchentlich zwei Kokainverkäufe und an jedem zweiten Wochenende einen zusätzlichen Verkauf, d.h. insgesamt 32 Kokainverkäufe, an J. getätigt hat. Hinsichtlich der Menge hat es dabei in 30 Fällen eine Mindestmenge von 10 g, und in den zwei verbleibenden Fällen eine solche von 50 g und von 100 g zu Grunde gelegt. Den nunmehr festgestellten Tatzeitraum hat es dabei von der Anklageschrift vom 21. November 2007 als mit umfasst angesehen.
b) Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Allerdings braucht eine Veränderung des Tatzeitraums die Identität zwischen Anklage und abgeurteilter Tat nicht aufzuheben (vgl. BGHSt 46, 130, 133; BGH NStZ-RR 2006, 316, 317 jeweils m.w.N.). Dies setzt aber voraus, dass die in der Anklage beschriebene Tat unabhängig von der Tatzeit nach anderen Merkmalen individualisiert ist (BGH aaO). Das ist hier in Bezug auf die 20 Taten im Juli und August 2006 nicht der Fall. Diese betreffen jeweils dieselbe Verkaufsmenge von 10 g Kokaingemisch und weisen auch im Übrigen keine individualisierende Merkmale auf, die sie als einmalige, unverwechselbare Geschehen erscheinen lassen könnten. Allein der Umstand, dass die Kokainverkäufe ohne weitere nähere Zuordnung in zwei verschiedenen Wohnungen stattfanden, genügt hierfür nicht (vgl. auch BGHSt 46, 130, 133 f.).
c) Anders liegt es indes bei den beiden Verkaufsgeschäften über 50 g bzw. 100 g Kokaingemisch. Zwar hat das Landgericht nicht feststellen können, ob sich diese in dem von der Anklage noch erfassten Zeitraum Juni 2006 oder erst im Juli oder August 2006 ereignet haben. Dem Angeklagten lagen jedoch von vorneherein nur zwei Kokainverkäufe über diese Mengen an den Zeugen J. zur Last. Damit ist insoweit auch bei Zugrundelegung einer Tatzeit erst im Juli oder August 2006 die „Nämlichkeit“ der Tat noch gewahrt, da sich diese beiden Taten unverwechselbar von der übrigen Tatserie abheben (vgl. auch BGH, Urteil vom 28. Mai 2002 - 5 StR 55/02).
2. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
a) Die Formalrüge (Verstoß gegen § 358 Abs. 1 StPO) ist nicht ordnungsgemäß ausgeführt und erweist sich daher bereits als unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
b) Auch sachlichrechtlich weist das Urteil keinen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler auf, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat.
3. Die Sache bedarf daher zur Höhe der neu festzusetzenden Gesamtstrafe der erneuten Verhandlung und Entscheidung. Hierbei wird der neue Tatrichter die lange Verfahrensdauer gebührend zu berücksichtigen haben.
Tepperwien Athing Solin-Stojanović
Ernemann Franke
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100056020
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BGH
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5. Strafsenat
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20100126
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5 StR 528/09
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Beschluss
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§ 57 StPO, § 337 StPO
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vorgehend LG Cottbus, 10. Juli 2009, Az: 21 KLs 18/08, Urteil
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DEU
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Strafverfahren: Beruhen des Urteils auf Bekundungen des als Zeuge vernommenen Sachverständigen ohne entsprechende Belehrung
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Die Revision der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 10. Juli 2009 wird aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 21. Dezember 2009 nach § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen.
Die Revision des Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
Die durch den Angeklagten erhobene Rüge, die Strafkammer habe Bekundungen des psychiatrischen Sachverständigen über Zusatztatsachen verwertet, obwohl der Sachverständige nicht als Zeuge belehrt und vernommen worden sei, ist entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts zulässig als Verfahrensrüge erhoben. Jedoch schließt der Senat unter den hier gegebenen Umständen aus, dass der Sachverständige, wäre er zugleich als Zeuge behandelt worden, andere Angaben gemacht hätte, und dass dann die Beweiswürdigung für den Angeklagten günstiger ausgefallen wäre (vgl. BGH NStZ 1985, 135).
Basdorf Brause Schaal
Schneider König
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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JURE100056022
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BGH
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4. Strafsenat
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20100113
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4 StR 562/09
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Beschluss
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§ 52 StGB, § 53 StGB, § 235 StGB, § 239b StGB, § 315c StGB
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vorgehend LG Bochum, 24. Juli 2009, Az: 1 KLs 36 Js 100/09, Urteil
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DEU
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Idealkonkurrenz: Verbindung mehrerer Delikte durch ein mit ihnen jeweils tateinheitlich zusammentreffendes anderes Delikt
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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 24. Juli 2009
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte in den Fällen III. 3. und 4. der Urteilsgründe der Geiselnahme in Tateinheit mit Entziehung Minderjähriger und mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs schuldig ist,
b) in den Einzelstrafaussprüchen bezüglich dieser Fälle und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung, wegen Geiselnahme, wegen Entziehung Minderjähriger in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs und wegen Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt; außerdem hat es eine Maßregelanordnung nach §§ 69, 69 a StGB getroffen. Mit seiner hiergegen eingelegten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat nur den aus der Beschlussformel ersichtlichen geringen (vorläufigen) Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Das Landgericht hat verkannt, dass das Verbrechen der Geiselnahme und das Vergehen der fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs, die bei isolierter Betrachtungsweise in Tatmehrheit zueinander stehen, durch das Vergehen der Entziehung Minderjähriger zur Tateinheit verbunden werden, weil dieses seinerseits mit jedem der anderen Delikte tateinheitlich zusammentrifft. Diese Wirkung tritt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch dann ein, wenn eines der betroffenen Delikte schwerer wiegt als dasjenige, das die Verbindung begründet (vgl. BGHSt 31, 29, BGHR StGB § 52 Abs. 1 Klammerwirkung 7 m.w.N.; vgl. auch Fischer StGB 57. Aufl. Vor § 52 Rdn. 30).
Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert; § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da sich der geständige Angeklagte gegen die Annahme von Tateinheit nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
Die abweichende rechtliche Bewertung der Konkurrenzverhältnisse in den Fällen III. 3. und 4. der Urteilsgründe führt zur Aufhebung der insoweit erkannten Einzelstrafen. Dies zieht die Aufhebung der für sich gesehen nicht zu beanstandenden Gesamtstrafe nach sich.
Einer Aufhebung der zugehörigen Feststellungen bedarf es nicht, da diese rechtsfehlerfrei getroffen sind. Ergänzende Feststellungen, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen, bleiben zulässig. Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass die neu zu bemessende Einzelstrafe die Summe der beiden aufgehobenen Einzelstrafen nicht überschreiten darf.
Tepperwien Maatz Athing
Solin-Stojanović Ernemann
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Deutschland
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deutsch
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BMJV
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public
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Court | Types | Documents |
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BAG | KARE | 7,033 |
BFH | STRE | 11,150 |
BGH | JURE | 6,164 |
BGH | KORE | 25,992 |
BPatG | JURE | 5,866 |
BPatG | MPRE | 1,311 |
BSG | KSRE | 6,121 |
BVerfG | KVRE | 5,507 |
BVerwG | JURE | 553 |
BVerwG | WBRE | 9,210 |
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