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JURE100057841
BGH
3. Zivilsenat
20100211
III ZR 10/09
Urteil
§ 276 BGB, § 280 BGB, § 309 Nr 7b BGB, § 311 Abs 2 BGB, § 328 BGB
vorgehend OLG München, 16. Dezember 2008, Az: 18 U 1901/08, Urteil vorgehend LG München I, 13. Dezember 2007, Az: 12 O 16967/06
DEU
Kapitalanlagegeschäft: Haftung des als Mittelverwendungskontrolleur eingesetzten Wirtschaftsprüfers wegen unterlassener Prüfung der Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Verwendungskontrolle
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 16. Dezember 2008 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Von Rechts wegen
Der Kläger macht gegen den beklagten Wirtschaftsprüfer Ersatzansprüche im Zusammenhang mit Beteiligungen an der F. Z. GbR geltend, die er am 24. Mai 2003 und 14. September 2004 zeichnete. Die Anlage wurde anhand eines von der Fondsgesellschaft herausgegebenen Emissionsprospekts vertrieben. Unter anderem nach Nummer 10 der darin enthaltenen Erläuterungen der rechtlichen Grundlagen des Fonds hatte zur Absicherung der Kapitalanleger ein Wirtschaftsprüfer die Kontrolle über die zweckgerechte Verwendung der Gesellschaftereinlage übernommen. Dem lag ein im Prospekt abgedruckter Mittelverwendungskontrollvertrag zwischen der F. Z. GbR und dem Wirtschaftsprüfer zugrunde. Dieser Vertrag enthielt insbesondere folgende Regelungen: "§ 1 Sonderkonto (1) Die Fonds-Gesellschaft richtet ein Sonderkonto bei einem Kreditinstitut ein, über das sie nur gemeinsam mit dem Beauftragten verfügen kann ("Sonderkonto"). Auf das Sonderkonto sind die Gesellschaftereinlagen einzuzahlen und die von der Fonds-Gesellschaft ausgereichten Darlehen zu tilgen. … (3) Zahlungen aus dem Sonderkonto dürfen nur entweder zur Begleichung von Kosten der Fonds-Gesellschaft oder zur Ausreichung von Darlehen geleistet werden. Zahlungen zur Ausreichung eines Darlehens dürfen nur geleistet werden, wenn… … § 4 Haftung (1) Dieser Vertrag wird als Vertrag zu Gunsten Dritter, und zwar zu Gunsten aller Gesellschafter abgeschlossen. Die Gesellschafter können aus diesem Vertrag eigene Rechte herleiten. (2) Schadensersatzansprüche gegen den Beauftragten können nur geltend gemacht werden, wenn die Fonds-Gesellschaft oder die Gesellschafter nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermögen. …" Die Mittelverwendungskontrolle sollte nach dem Prospekt von einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer durchgeführt werden, der "aus standesrechtlichen Gründen" nicht genannt wurde. Der Beklagte wurde im März 2003 als Mittelverwendungskontrolleur gewonnen. Er erstellte zudem ein Prospektprüfungsgutachten. Für das Sonderkonto, auf das die Anleger ihre Gesellschaftereinlagen einzahlten, war er gesamtvertretungsberechtigt. Drei der geschäftsführenden Gesellschafter waren demgegenüber einzeln zeichnungsbefugt. Erst nach dem 1. Dezember 2004 wurden deren Zeichnungsrechte dahingehend geändert, dass sie nur gemeinsam mit dem Beklagten über das Konto verfügen konnten. Nachdem Mitte Dezember 2004 wirtschaftliche Schwierigkeiten der Fondsgesellschaft offen gelegt wurden, befindet sich diese seit Ende des Jahres 2005 in Liquidation. Der Kläger begehrt von dem Beklagten im Wege des Schadensersatzes unter anderem die Rückzahlung der von ihm geleisteten Einlagen abzüglich der aus der Liquidation erhaltenen Beträge Zug um Zug gegen Abtretung des Anspruchs auf Auszahlung weiteren Liquidationserlöses sowie die Feststellung, dass der Beklagte ihn von sämtlichen Verpflichtungen aus der Beteiligung freizustellen habe. Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Ansprüche weiter.
Die zulässige Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz. I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts scheiden Ansprüche des Klägers aus Prospekthaftung aus. Der Beklagte sei nicht prospektverantwortlich gewesen und habe auch kein persönliches Vertrauen in Anspruch genommen. Der Kläger habe gegen den Beklagten auch keinen Schadensersatzanspruch gemäß § 311 Abs. 2, 3 BGB wegen Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten. Der Beklagte sei lediglich verpflichtet gewesen, künftige Anleger über ihm bekannte oder sich ihm aufdrängende Auffälligkeiten zu informieren. Eine Aufklärungspflicht habe insbesondere nicht bezüglich der Zeichnungsbefugnisse für das Sonderkonto bestanden. Zwar sei dieses mangels einer Vereinbarung mit der Bank, dass Verfügungen nur unter Mitwirkung des Beklagten zulässig sein sollten, nicht vertragsgerecht eingerichtet worden. Jedoch habe der Kläger nicht den Nachweis erbracht, dass dem Beklagten dies zum Zeitpunkt seiner Beitritte zum Fonds bekannt gewesen sei oder es sich ihm hätte aufdrängen müssen. Der Beklagte sei auch nicht verpflichtet gewesen, künftige Anleger darauf hinzuweisen, dass er nicht überprüft habe, ob ein dem Mittelverwendungskontrollvertrag entsprechendes Sonderkonto eingerichtet worden sei. Dem Vertrag sei eine diesbezügliche Kontrollpflicht nicht zu entnehmen. Ansprüche aus einer Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der Abwicklung des Mittelverwendungskontrollvertrags schieden aus, da sie nicht auf den vom Kläger begehrten Ersatz des Zeichnungsschadens gerichtet seien. Schließlich kämen auch Ansprüche auf deliktsrechtlicher Grundlage nicht in Betracht. II. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Der Senat hat mit seinem Urteil vom 19. November 2009 (III ZR 109/08 - ZIP 2009, 2449), das denselben Beklagten, denselben Fonds, denselben Mittelverwendungskontrollvertrag und einen auch ansonsten im Wesentlichen gleich gelagerten Sachverhalt betraf, die Pflichten des Beklagten in entscheidenden Punkten abweichend beurteilt. Danach gilt zusammengefasst Folgendes: 1. a) Den Beklagten traf nach dem Vertrag über die Mittelverwendungskontrolle (MVKV) gegenüber den Anlegern unter anderem die Verpflichtung zu überprüfen, ob die Konditionen des Sonderkontos mit den in § 1 Abs. 1 Satz 1 MVKV genannten Kriterien übereinstimmten. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hatte sich der Beklagte zu vergewissern, dass sämtliche Verfügungsberechtigten nur gemeinsam mit ihm zeichnungsbefugt waren (Senat aaO S. 2450 Rn. 17 ff). Dies folgt aus dem Zweck des Mittelverwendungskontrollvertrags. Die vom Beklagten übernommene Funktion bestand darin, die Anleger davor zu schützen, dass die geschäftsführenden Gesellschafter Zahlungen von dem Sonderkonto vornehmen, ohne dass die in § 1 Abs. 3 MVKV genannten Voraussetzungen vorliegen. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, musste er sicherstellen, dass er die ihm obliegende Kontrolle über den Mittelabfluss auch tatsächlich ausüben konnte. Da ein Konto, über das nur unter Mitwirkung des Beklagten verfügt werden konnte, eine zentrale Bedingung des Mittelverwendungskontrollvertrags darstellte und Voraussetzung für die effektive Verwirklichung seines Schutzzwecks war, durfte er nicht ohne eigene Vergewisserung darauf vertrauen, dass die für das Sonderkonto bestehenden Zeichnungsbefugnisse den Anforderungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 MVKV entsprachen. Der Beklagte musste, wenn nicht schon Manipulationen der Fondsgesellschaft, so doch aber jedenfalls gewärtigen, dass es bei der Einrichtung des Sonderkontos infolge von Unachtsamkeiten oder Irrtümern auf Seiten der Bank oder der Fondsgesellschaft zu Fehlern bei der Einräumung der Zeichnungsrechte kommen konnte. Hiernach oblag dem Beklagten die Überprüfung, ob die geschäftsführenden Gesellschafter nur mit ihm gemeinschaftlich für das Sonderkonto verfügungsberechtigt waren. Diese Prüfungspflicht bestand zu dem Zeitpunkt, ab dem die Anlage "einsatzbereit" war (Senat aaO S. 2451 Rn. 26). Die Mittelverwendungskontrolle musste naturgemäß sichergestellt sein, bevor die Anleger Beteiligungen zeichneten und Zahlungen auf ihre Einlagen leisteten. b) Allerdings beschränkten sich die Pflichten des Beklagten nicht auf diese Überprüfung und darauf, der Fondsgesellschaft gegenüber auf die Beseitigung der Mängel hinzuwirken. Gegenüber Anlegern, die dem Fonds nach Aufnahme seiner Tätigkeit beitraten, war der Beklagte darüber hinaus verpflichtet, in geeigneter Weise darauf hinzuweisen, dass die im Prospekt werbend herausgestellte Mittelverwendungskontrolle bislang nicht stattgefunden hatte (vgl. Senat aaO S. 2451 f Rn. 29 f). Er konnte nicht ausschließen, dass es bereits vor dem Beitritt § 1 Abs. 3 MVKV widersprechende Auszahlungen von dem Sonderkonto gegeben hatte, durch die das Gesellschaftsvermögen - auch zum Nachteil der künftig beitretenden Gesellschafter - fortwirkend vermindert worden war. In dieser Situation hätte der Beklagte seinen vorvertraglichen Verpflichtungen gegenüber den Beitrittsinteressenten nicht allein dadurch genügt, für eine ordnungsgemäße Mittelverwendungskontrolle in der Zukunft Sorge zu tragen. Da eine zweckwidrige Minderung des Gesellschaftsvermögens bereits eingetreten sein konnte, hätte er nach Aufnahme der Tätigkeit des Fonds vielmehr unverzüglich zusätzlich darauf hinweisen müssen, dass die im Prospekt werbend herausgestellte Mittelverwendungskontrolle bislang nicht stattgefunden hatte. Er hätte deshalb auf eine Änderung des Prospekts drängen müssen und Anleger, die vor einer derartigen Prospektänderung ihr Interesse an einer Beteiligung bekundeten, in geeigneter anderer Weise unterrichten müssen. Der Senat verkennt nicht, dass es für den Beklagten - anders als in den Fällen, in denen ein Treuhandkommanditist zum Mittelverwendungskontrolleur bestimmt ist und daher zwangsläufig in unmittelbaren Kontakt zu den beitrittswilligen Anlegern tritt - durchaus mit Mühen verbunden gewesen wäre, die Anlageinteressenten rechtzeitig vor Tätigung der Anlage zu informieren. Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand ist jedoch davon auszugehen, dass dem Beklagten zumutbare und hinreichend erfolgversprechende Mittel zur Verfügung standen. So hätte er insbesondere den Vertrieb und notfalls die Fachpresse über die unterbliebene Mittelverwendungskontrolle informieren können. Es wird Sache des Beklagten sein, darzutun und gegebenenfalls zu beweisen, dass ihm die Erfüllung dieser Informationspflichten nicht möglich war. c) Ein sich aus der Verletzung dieser Pflicht ergebender Anspruch der Anleger gegen den Beklagten ist auf Ersatz des so genannten Zeichnungsschadens gerichtet (Senat aaO S. 2452 Rn. 33 ff). d) Seine Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz scheitert nicht an der Subsidiaritätsklausel des § 4 Abs. 2 MVKV. Diese Regelung ist wegen Verstoßes gegen § 309 Nr. 7 Buchst. b BGB unwirksam (Senatsurteil vom 19. November 2009 - III ZR 108/08 - ZIP 2009, 2446, 2447 f Rn. 11 ff). 2. Da noch ergänzende Feststellungen erforderlich sind, ist der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif, so dass das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist (§ 563 Abs. 1, 3 ZPO). Schlick                               Dörr                                  Herrmann Hucke                            Tombrink
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100057867
BGH
7. Zivilsenat
20100127
VII ZR 97/08
Beschluss
§ 649 BGB, Art 103 Abs 1 GG, § 286 ZPO
vorgehend OLG Rostock, 2. April 2008, Az: 2 U 12/07, Urteil vorgehend LG Stralsund, 31. Januar 2007, Az: 7 O 110/04
DEU
Rechtliches Gehör: Auseinandersetzung des Gerichts mit dem Streit des Privatgutachters einer Partei und dem gerichtlichen Sachverständigen
Der Beschwerde der Beklagten wird stattgegeben. Das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 2. April 2008 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagten zur Zahlung von 48.534,56 € nebst Zinsen verurteilt worden sind. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 2. April 2008 wird zurückgewiesen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Streitwert: 97.428,64 € Stattgebender Teil: 48.534,56 €
I. 1. Der Kläger ist der Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der H. GmbH (künftig: Gemeinschuldnerin). Er verlangt mit seinem Hilfsantrag Werklohn in Höhe von 97.428,64 €. Die Gemeinschuldnerin war von den Beklagten mit der Erstellung eines Einfamilienhauses zu einem Pauschalpreis in Höhe von 531.700 DM beauftragt. Später haben sich die Vertragsparteien unter Berücksichtigung von Änderungen auf einen Werklohn von 514.374,31 DM geeinigt. Die Leistungen wurden teilweise erbracht. Die Beklagten bezahlten die sechste Teilrechnung über die sechste und siebte Abschlagsforderung nicht. Sie wandten ein, der entsprechende Bautenstand sei nicht erreicht und beriefen sich auf Mängel. Die Gemeinschuldnerin stellte ihre Arbeiten ein. Die Beklagten setzten der Gemeinschuldnerin eine Frist zur Fertigstellung. Nach erfolglosem Fristablauf kündigten sie den Vertrag außerordentlich. Das Berufungsgericht hat dem Kläger 48.534,56 € zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wenden sich beide Parteien mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Sie wollen mit der Revision ihre zweitinstanzlichen Anträge auf Zahlung von 97.428,64 € (Kläger) und Klageabweisung (Beklagte) weiter verfolgen. 2. Das Berufungsgericht hat die außerordentliche Kündigung der Beklagten für gerechtfertigt gehalten. Es hat dem Kläger die Vergütung für die erbrachten Leistungen zuerkannt und diese nach Anhörung des Sachverständigen H. mit 89,68 % der vereinbarten Leistungen bewertet. Unter Berücksichtigung geleisteter Abschlagszahlungen von 317.410 DM hat das Berufungsgericht eine Restwerklohnforderung von 143.880,88 DM für begründet gehalten. Davon hat es zur Aufrechnung gestellte Gegenforderungen der Beklagten wegen Mängeln (13.546,33 DM), Fertigstellungsmehrkosten (21.233,37 DM) und Verzögerung der Fertigstellung (14.175,33 DM) in Abzug gebracht. Dementsprechend hat das Berufungsgericht dem Kläger 94.925,35 DM (= 48.534,56 €) zugesprochen. II. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten ist das Berufungsurteil im Umfang ihrer Verurteilung gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht hat in entscheidungserheblicher Weise das Recht der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. 1. Das Berufungsgericht hat die erbrachten Leistungen nach Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen H. mit 89,68 % bewertet. Demgegenüber haben die Beklagten unter Vorlage eines Gutachtens des Sachverständigen L. vorgetragen, dass der Bautenstand zum Zeitpunkt der Kündigung erst zu 68,18 % erfüllt gewesen sei. Die Bewertungsansätze des Sachverständigen H. seien falsch, wie sich teilweise auch aus den abweichenden Ansätzen der Gemeinschuldnerin ergebe. Zudem seien Leistungen in das Gutachten eingestellt, welche die Gemeinschuldnerin gar nicht erbracht habe. Mit diesem Vorbringen hat sich das Berufungsgericht unter Verstoß gegen das Recht der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht befasst.Ein solcher Verstoß liegt vor, wenn sich aus den Umständen klar ergibt, dass das Gericht nicht seiner Pflicht nachgekommen ist, entscheidungserhebliche Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das ist der Fall, wenn das Gericht zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, trotz entsprechenden Parteivortrags in den Entscheidungsgründen nicht Stellung nimmt (vgl. BVerfG, NJW-RR 1995, 1033). So liegt der Fall hier. Das Berufungsgericht hat in keiner Weise zu erkennen gegeben, dass es den Vortrag der Beklagten zur Kenntnis genommen hat. Es hat sich mit diesem Vortrag nicht auseinandergesetzt. Es hat insbesondere auch nicht zu erkennen gegeben, dass es den Streit zwischen dem gerichtlichen Sachverständigen und dem Privatgutachtersorgfältig und kritisch gewürdigt und die Streitpunkte zumindest mit dem gerichtlichen Sachverständigen erörtert hat (vgl. BGH, Urteil vom 9. Januar 2001 - VIII ZR 304/00, NJW 2002, 672; Urteil vom 6. März 1986 - III ZR 245/84, NJW 1986, 1271). Vielmehr hat es den Streit dadurch entschieden, dass es ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt (vgl. dazu BGH, Urteil vom 23. Januar 2008 - IV ZR 10/07, NJW-RR 2008, 767). Das Berufungsgericht hat zwar eine Anhörung des Sachverständigen H. angeordnet und die Leistungen bewerten lassen. Weder das Protokoll der mündlichen Verhandlung noch die Entscheidungsgründe lassen jedoch erkennen, dass eine Auseinandersetzung mit den Einwendungen stattgefunden hätte, die sich aus dem Privatgutachten ergeben. Die Begründung des Berufungsgerichts, der Sachverständige habe die prozentuale Gewichtung unter Heranziehung von Fachliteratur nach dem Standard des Einfamilienhauses vorgenommen und dessen Ausführungen seien nachvollziehbar und überzeugend, erweisen sich angesichts der Einwendungen aus dem Privatgutachten als Leerformeln. Der Gehörsverstoß ist erheblich. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des Gutachtens des Sachverständigen L. zu einer anderen Bewertung der von der Gemeinschuldnerin erbrachten Leistungen gelangt wäre und die Klage schon deshalb abgewiesen worden wäre. War der Leistungsstand lediglich mit 68,18 % zu bewerten, hätte der Kläger schon aus diesem Grunde keinen Anspruch (68,18 % von 514.374,31 DM = 350.700,40 DM ./. 317.410 DM Zahlungen = 33.290,40 DM ./. Abzüge von 48.955,53 DM). Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass für die Ermittlung des Werklohns die vom Senat entwickelten Grundsätze zur Abrechnung eines gekündigten Werkvertrages gelten. Danach schuldet der Auftraggeber eine Vergütung, die dem am Vertragspreis orientierten Wert der erbrachten Leistung entspricht (Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 9. Teil, Rdn. 16 m.w.N.). Das schließt es für das weitere Verfahren zwar nicht aus, auf der Grundlage der nunmehr von dem Kläger übernommenen sachverständigen Bewertung den Werklohn zu ermitteln. Diese Bewertung muss sich jedoch im Streitfall an der vertraglichen Vereinbarung und nicht an Standardliteratur messen lassen. Ergibt sich aus dem Vorbringen des Klägers, dass einzelne Gewerke anders als standardmäßig bewertet worden sind, muss das in die Berechnung eingehen. Sofern es nach erneuter Verhandlung noch darauf ankommt, gibt die Aufhebung und Zurückverweisung dem Berufungsgericht Gelegenheit, die übrigen mit der Nichtzulassungsbeschwerde erhobenen Rügen zu berücksichtigen, die dem Senat überwiegend berechtigt erscheinen. III. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision ist unbegründet. Von einer Begründung wird insoweit abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 544 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbs. ZPO). Kniffka                                                    Kuffer                                          Bauner Safari Chabestari                                         Eick
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100057868
BGH
8. Zivilsenat
20100209
VIII ZB 67/09
Beschluss
§ 130 Nr 6 ZPO, § 519 Abs 4 ZPO
vorgehend LG Hamburg, 11. August 2009, Az: 311 S 49/09, Beschluss vorgehend AG Hamburg-St. Georg, 10. Februar 2009, Az: 920 C 281/07, Urteil
DEU
Berufungsverwerfung: Anforderungen an die Unterschrift eines Rechtsanwalts unter die Berufungsschrift; selbstständige Prüfung der für die Unterschrift erforderlichen Merkmale durch das Rechtsbeschwerdegericht
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der Zivilkammer 11 des Landgerichts Hamburg vom 11. August 2009 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: bis 4.500 €
I. Die Klägerin hat die Beklagten auf Räumung einer Wohnung in Anspruch genommen und nach deren Auszug den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Diesem Begehren hat das Amtsgericht mit Urteil vom 10. Februar 2009 entsprochen. Gegen das am 9. März 2009 zugestellte Urteil haben die Beklagten durch ihre Prozessbevollmächtigte mit am 9. April 2009 beim Landgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz Berufung eingelegt und das Rechtsmittel mit Schriftsatz vom 8. Mai 2009 begründet. Mit Verfügung vom 26. Juni 2009 hat das Landgericht beanstandet, die Berufungsschrift genüge nicht dem Erfordernis einer eigenhändigen Unterschrift durch die den Schriftsatz verantwortende Person (§ 130 Nr. 6, § 519 Abs. 4 ZPO). Es sei daher beabsichtigt, die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Zur weiteren Begründung seines Rechtsstandpunkts hat das Landgericht ausgeführt, die Unterzeichnung der Berufungsschrift genüge nicht den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung gestellten Anforderungen. Dem Schriftzug sei allein der Anfangsgroßbuchstabe "R" zu entnehmen. Hieran schließe sich ein dem kleinen "z" ähnelnder Krakel an, der in eine langgezogene, marginal wellige Linie übergehe, die nicht einmal im Ansatz irgendeine Ähnlichkeit mit einem Buchstaben aufweise. Das Erscheinungsbild dieses Gebildes ähnele - wenn überhaupt - dem einer Paraphe/eines Handzeichens, es lasse aber nicht erkennen, dass es den Namen "R." wiedergeben solle. Die Beklagten haben daraufhin durch ihre Prozessbevollmächtigte vortragen lassen, die handschriftliche Unterschrift sei über den maschinenschriftlichen Namenszusatz und die darunter aufgeführte Berufsbezeichnung gesetzt worden. Zudem entspreche der Schriftzug - wie auch der Akte zu entnehmen sei - den Namenszügen auf den bisher von der Beklagtenvertreterin gefertigten und unterzeichneten Schriftsätzen. Letztlich seien nur die ersten drei Buchstaben ihres Namens ausgeschrieben, während die Bögen bei den restlichen Buchstaben aufgrund der schnellen Schreibweise sehr abgeflacht seien. Die Rechtsgültigkeit dieser von ihr seit Jahren angewandten Art der Unterzeichnung sei bislang von keinem Gericht in Zweifel gezogen worden. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 11. August 2009 die Berufung der Beklagten unter Wiederholung der im Hinweisbeschluss ausgeführten Erwägungen als unzulässig verworfen. Ergänzend hat es angeführt, seine Einschätzung, wonach die Beklagtenvertreterin bislang nur mit einer Paraphe unterzeichnet habe, werde durch den Umstand verstärkt, dass sie die Stellungnahme zur Hinweisverfügung vom 26. Juni 2009 mit einem Namenszug unterzeichnet habe, der die einzelnen Buchstaben des Namens "R." erkennen lasse. Gegen diesen Beschluss wenden sich die Beklagten mit ihrer Rechtsbeschwerde. II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. 1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gefordert ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die angefochtene Entscheidung verletzt das Verfahrensgrundrecht der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Senatsbeschluss vom 27. September 2005 - VIII ZB 105/04, NJW 2005, 3775, unter II 1; BGH, Beschluss vom 14. Februar 2006 - VI ZB 44/05, NJW 2006, 1521, unter II 2 a; jeweils m.w.N.). Das Berufungsgericht hat bei seinen Anforderungen an die nach § 519 Abs. 4, § 130 Nr. 6 ZPO erforderliche Unterschrift eines Rechtsanwalts eine mit den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen nicht mehr vereinbare Strenge an den Tag gelegt und dadurch den Beklagten den Zugang zur Rechtsmittelinstanz unzulässig verwehrt. 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bei bestimmenden Schriftsätzen die eigenhändige Unterschrift des Ausstellers erforderlich, um diesen unzweifelhaft identifizieren zu können (BGH, Urteil vom 10. Juli 1997 - IX ZR 24/97, NJW 1997, 3380, unter II 1; Beschluss vom 21. Februar 2008 - V ZB 96/07, GE 2008, 539, Tz. 8; jeweils m.w.N.). Was unter einer Unterschrift zu verstehen ist, ergibt sich aus dem Sprachgebrauch und dem Zweck der Formvorschrift (§ 130 Nr. 6, § 519 Abs. 4 ZPO). Erforderlich, aber auch genügend ist danach das Vorliegen eines die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnenden Schriftzugs, der individuelle und entsprechend charakteristische Merkmale aufweist, die die Nachahmung erschweren, sich als Wiedergabe eines Namens darstellt und die Absicht einer vollen Unterschriftsleistung erkennen lässt, selbst wenn er nur flüchtig niedergelegt und von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichnet ist (Senatsbeschluss vom 27. September 2005, aaO, unter II 2 a; BGH, Beschluss vom 26. Februar 1997 - XII ZB 17/97, FamRZ 1997, 737; vgl. auch BGH, Urteil vom 22. Oktober 1993 - V ZR 112/92, NJW 1994, 55 m.w.N.). Unter diesen Voraussetzungen kann selbst ein vereinfachter und nicht lesbarer Namenszug als Unterschrift anzuerkennen sein, wobei insbesondere von Bedeutung ist, ob der Unterzeichner auch sonst in gleicher oder ähnlicher Weise unterschreibt (Senatsbeschluss vom 27. September 2005, aaO; BGH, Beschluss vom 26. Februar 1997, aaO). Ein Schriftzug, der nach seinem äußeren Erscheinungsbild eine bewusste und gewollte Namensabkürzung (Handzeichen, Paraphe) darstellt, genügt dagegen den an eine eigenhändige Unterschrift zu stellenden Anforderungen nicht (BGH, Urteil vom 22. Oktober 1993, aaO, m.w.N.; BGH, Urteil vom 10. Juli 1997, aaO; BGH, Beschluss vom 28. September 1998 - II ZB 19/98, NJW 1999, 60, unter II 1; BGH, Beschluss vom 21. Februar 2008, aaO). b) Der Senat kann die Prüfung der für das Vorliegen einer ausreichenden Unterschrift erforderlichen Merkmale selbständig und ohne Bindung an die Ausführungen des Berufungsgerichts vornehmen (vgl. Senatsbeschluss vom 27. September 2005, aaO, unter II 2 b m.w.N.). Gemessen an den vorstehend aufgezeigten Maßstäben handelt es sich bei dem von der Beklagtenvertreterin bei Unterzeichnung der Berufungsschrift verwendeten Schriftzug nicht um ein Handzeichen oder ein sonstiges Namenskürzel, sondern um eine formgültige, wenn auch einem starken Abschleifungsprozess unterliegende, einfach strukturierte, gleichwohl aber vollständige Namensunterschrift. Das Berufungsgericht hat bei seiner abweichenden Beurteilung nicht hinreichend beachtet, dass für die Frage, ob eine formgültige Unterschrift oder lediglich ein bloßes Handzeichen vorliegt, nicht die Lesbarkeit oder die Ähnlichkeit des handschriftlichen Gebildes mit den Namensbuchstaben entscheidend ist, sondern es darauf ankommt, ob der Name vollständig, wenn auch nicht unbedingt lesbar, wiedergegeben wird (vgl. hierzu auch BGH, Beschlüsse vom 21. Februar 2008, aaO, Tz. 10, und vom 28. September 1998, aaO). Es hat rechtsfehlerhaft aus dem Umstand, dass der lesbare Großbuchstabe "R" in einen dem kleinen "z" ähnelnden Krakel und dann in eine langgezogene, marginal wellige Linie übergeht, den Schluss gezogen, bei dem Namenszug handele es sich um eine bloße Paraphe oder um ein Handzeichen. Hierbei hat es außer Acht gelassen, dass sich die Beklagtenvertreterin gerade nicht mit der Niederschrift der Anfangsbuchstaben ihres Nachnamens begnügt hat, sondern sich an den Großbuchstaben "R" und an das einem kleinen "z" oder einem kleinen, nicht vollständig geschlossenen "a" ähnelnde Schriftzeichen eine immerhin vier Zentimeter lange, geschwungene Linie anschließt. Bei einem solchen Schriftzug kann nicht davon ausgegangen werden, dass lediglich mit einer Namensabkürzung unterzeichnet werden und keine vollständige Unterschrift geleistet werden sollte (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 10. Juli 1997, aaO, unter II 2 a). Die von der Beklagtenvertreterin verwendete Unterschrift ist auch trotz ihrer einfachen Struktur so ausgeführt, dass sie sich als individuell ausgestaltete Wiedergabe des Namens "R." darstellt (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 26. Februar 1997, aaO). Der Anfangsbuchstabe des Namens ist vollständig ausgeschrieben, auch der anschließende Buchstabe "a" ist noch ansatzweise lesbar. Der Rest des Namens "R." ist zwar nicht in Form von identifizierbaren Buchstaben wiedergegeben. Zu beachten ist aber, dass die Buchstaben "s", "m", "u", "e" und "n" auf der gleichen Schreibebene liegen und keine Ausschläge nach oben oder unten erfordern, so dass sie bei flüchtiger Schreibweise durchaus zu einer längeren, wellenförmigen Linie verkümmern können. c) Vorliegend kommt hinzu, dass auch vom Berufungsgericht an der Autorenschaft der Beklagtenvertreterin keine Zweifel angemeldet worden sind, so dass ohnehin eine großzügige Betrachtungsweise geboten ist (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 27. September 2005, aaO; BGH, Beschluss vom 26. Februar 1997, aaO). Die Urheberschaft der Beklagtenvertreterin wird bestätigt durch die maschinenschriftliche Namenswiedergabe nebst Berufsbezeichnung und durch den Umstand, dass im vorliegenden Verfahren sämtliche von der Beklagtenvertreterin bis zur erstmaligen Beanstandung durch das Berufungsgericht geleisteten Unterschriften dem Namenszug auf der Berufungsschrift ähneln (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 1997, aaO; vom 27. September 2005, aaO, und vom 26. Februar 1997, aaO). Ball                                         Dr. Milger                                           Dr. Schneider Dr. Fetzer                                           Dr. Bünger
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Deutschland
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BMJV
public
JURE100057900
BVerwG
4. Senat
20100217
4 BN 59/09
Beschluss
§ 1 Abs 6 BauGB, § 1 Abs 7 BauGB, § 11 BauGB
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 24. Juli 2009, Az: 7 D 2/09.NE, Urteil
DEU
Abwägungsbeachtlichkeit von Lärmbelästigungen; Schallschutz im Städtebau
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. Juli 2009 wird zurückgewiesen. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
Die auf sämtliche Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg. 1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst. a) Die Beschwerde hält (sinngemäß) für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig, ob es mit dem planerischen Abwägungsgebot vereinbar ist, in einem verkehrsbelasteten Gebiet, in dem die einschlägigen Grenzwerte schon im Bestand nahezu erreicht und die Orientierungswerte der DIN 18005 um mehr als 10 dB(A) überschritten werden, eine Nutzung zu planen, die zu zusätzlichen, nicht sicher prognostizierbaren Lärmbelastungen führt, wenn die Lärm verursachende Nutzung ohne Nachteile für die Öffentlichkeit auch an anderer Stelle ausgeführt werden könnte. Diese Frage wäre in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich. Die Behauptung der Beschwerde, die Lärm verursachende Nutzung (durch das Vorhaben der Beigeladenen) könne ohne Nachteile für die Öffentlichkeit auch an anderer Stelle ausgeführt werden, findet in den tatsächlichen Feststellungen des Normenkontrollgerichts keine Stütze. Das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass sich in dem von der Änderungsplanung erfassten Bereich ein brachliegendes Anwesen befinde, dessen rückwärtige Grundstücksbereiche "untergenutzt" seien; diese Erwägungen trügen das Konzept der Antragsgegnerin, den Bebauungsplan zu ändern, der in seiner Ursprungsfassung zwar ebenfalls eine Aufwertung des Änderungsbereichs habe bewirken sollen, jedoch - offenbar mangels entsprechender Investitionsbereitschaft - keine Umsetzung erfahren habe; die Antragsgegnerin habe daher die Interessen der Beigeladenen auf Vereinbarkeit mit ihrem städtebaulichen Handlungskonzept prüfen und in die Planänderung aufnehmen dürfen, um so ihrer Zielsetzung näher zu kommen, den Änderungsbereich einer entsprechenden Nutzungsentwicklung zuzuführen (UA S. 23 f.). Das Normenkontrollgericht hat damit Gründe benannt, die der Behauptung des Antragstellers widersprechen. Aber auch unabhängig davon ist die aufgeworfene Frage nicht klärungsbedürftig. In der Senatsrechtsprechung ist geklärt, dass Lärmbelästigungen nicht erst dann abwägungsbeachtlich sind, wenn sie als schädliche Umwelteinwirkungen zu qualifizieren sind oder gar die Schwelle zur Gesundheitsgefährdung überschreiten (Beschluss vom 8. Juni 2004 - BVerwG 4 BN 19.04 - BRS 67 Nr. 19). Die Werte der DIN 18005-1 "Schallschutz im Städtebau" können zur Bestimmung der zumutbaren Lärmbelastung eines Wohngebiets im Rahmen einer gerechten Abwägung lediglich als Orientierungshilfe herangezogen werden; je weiter die Orientierungswerte der DIN 18005 überschritten werden, desto gewichtiger müssen allerdings die für die Planung sprechenden städtebaulichen Gründe sein und umso mehr hat die Gemeinde die baulichen und technischen Möglichkeiten auszuschöpfen, die ihr zu Gebote stehen, um diese Auswirkungen zu verhindern (Urteil vom 22. März 2007 - BVerwG 4 CN 2.06 - BVerwGE 128, 238 Rn. 15). Welche öffentlichen Belange und privaten Interessen konkret in die Abwägung einzustellen sind und welches Gewicht den miteinander konkurrierenden Belangen hierbei beizumessen ist, bleibt eine Frage des Einzelfalls, die sich einer rechtsgrundsätzlichen Klärung entzieht. Die Beschwerde möchte in diesem Zusammenhang noch klären lassen, ob der (Lärm-) Konflikt durch einen städtebaulichen Vertrag gelöst werden kann, der nachts eine zusätzliche Lärmbelastung möglicherweise ausschließt, obwohl es sich nicht um einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan handelt. Sie macht geltend, das Oberverwaltungsgericht verkenne, dass der städtebauliche Vertrag nur den Investor, nicht jedoch einen anderen Bauinteressenten binde. Soweit das Gericht den Rat der Antragsgegnerin für den Fall eines Investorwechsels für verpflichtet halte zu erwägen, ob aus städtebaulichen Gründen eine Planänderung in Betracht zu ziehen sei, könne dies nicht richtig sein, weil ein Bebauungsplan, der abwägungsfehlerfrei erlassen worden sei, vor seiner Realisierung nicht noch einmal überdacht und gegebenenfalls eingeschränkt werden müsse. Insoweit übersieht die Beschwerde, dass das Oberverwaltungsgericht den Einwand, es könne eine Nachfolgenutzung in Betracht zu ziehen sein, die auch nächtlichen Verkehr auslöse, aus zwei selbstständig tragenden Gründen zurückgewiesen hat. Es hat in erster Linie darauf abgestellt, dass eine Nachfolgenutzung im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses nicht im Raum gestanden habe; eine abwägungserhebliche Veränderung aufgrund einer Nachfolgenutzung sei für den Rat weder vorhersehbar noch prognostizierbar gewesen. "Darüber hinaus" würde die Antragsgegnerin gegebenenfalls zu erwägen haben, ob sie an dem Bebauungsplan unverändert festhielte oder aus städtebaulichen Gründen eine Bebauungsplanänderung in Betracht zu ziehen wäre (UA S. 28). In Bezug auf die erste, selbstständig tragende Erwägung zeigt die Beschwerde einen Grund für die Zulassung der Revision nicht auf. Schon aus diesem Grund kann ihre Rüge keinen Erfolg haben. b) Rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf sieht die Beschwerde schließlich hinsichtlich der Frage, welche Anforderungen an eine - etwa im Wege eines Pflanzgebots durchsetzbare - Anpflanzung zu stellen sind, damit sie als ausreichende Berücksichtigung denkmalschutzrechtlicher Belange im Sinne des § 1 Abs. 6 Nr. 5 BauGB bewertet werden kann. Die Beantwortung dieser Frage hängt ebenfalls von den Umständen des Einzelfalls ab. Eine Grundsatzrüge kann hierauf nicht mit Erfolg gestützt werden. 2. Zur Zulassung der Revision führen auch die geltend gemachten Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht. a) Die Beschwerde macht einen Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) geltend, weil das Oberverwaltungsgericht den vom Antragsteller im Termin zur mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag zu 1 zu der Frage, ob die Umplanung die in der Ursprungsfassung des Bebauungsplans vorgesehene Entlastung der Königstraße durch eine geänderte Verkehrsführung verhindere, als unerheblich abgelehnt habe. Ein Verfahrensfehler ist insoweit schon nicht schlüssig vorgetragen. Die Frage, ob im vorinstanzlichen Verfahren gegen die Pflicht zur Sachverhaltsermittlung verstoßen worden ist, ist vom materiellrechtlichen Standpunkt des Gerichts der Vorinstanz aus zu beurteilen, auch wenn dieser Standpunkt rechtlich verfehlt sein sollte (Beschluss vom 23. Januar 1996 - BVerwG 11 B 150.95 - Buchholz 424.5 GrdstVG Nr. 1 m.w.N.). Insoweit räumt die Beschwerde selbst ein, dass die in der Ursprungsfassung des Bebauungsplans vorgesehene Verkehrsführung nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht abwägungsrelevant gewesen sei. Das Normenkontrollgericht hat sich nämlich auf den Standpunkt gestellt, dass die geplante Verkehrsführung nicht verwirklicht worden und eine Verkehrsminderung dementsprechend auch gar nicht eingetreten sei, weshalb die Antragsgegnerin abwägungsfehlerfrei von der derzeitigen tatsächlichen Verkehrsbelastung der Königstraße ausgegangen sei (UA S. 29). Ausgehend von diesem - mit Grundsatz- oder Divergenzrügen nicht angegriffenen - Rechtsstandpunkt war der Beweisantrag zu 1 des Antragstellers nicht entscheidungserheblich und konnte deshalb ohne Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO abgelehnt werden. b) Gleiches gilt, soweit die Beschwerde geltend macht, das Oberverwaltungsgericht habe durch die Ablehnung der Beweisanträge zu 2 Unterpunkte a und b zur behaupteten Fehlerhaftigkeit der Verkehrslärmprognose gegen den Untersuchungsgrundsatz verstoßen. Auch insoweit räumt die Beschwerde ein, dass der Beweisantrag nach der Rechtsauffassung der Vorinstanz nicht entscheidungserheblich war. Das Oberverwaltungsgericht hat sich insoweit auf den Standpunkt gestellt, die seitens des Antragstellers behaupteten und unter Beweis gestellten Fehler des Verkehrslärmgutachtens, die sich angeblich daraus ergäben, dass die angegebenen Berechnungsergebnisse nicht überprüfbar seien, seien für die Entscheidung des Rats der Antragsgegnerin nicht von Belang gewesen und deshalb auch nicht entscheidungserheblich; selbst wenn das Gutachten nachbesserungsbedürftig sei, sei nicht ansatzweise erkennbar, dass sich ein etwaiger Mangel auf die Entscheidung des Rats ausgewirkt haben könnte (UA S. 30); schon gar nicht könne davon die Rede sein, dass eine fehlerhafte Begutachtung im Sinne des § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB offensichtlich und auf das Ergebnis der Abwägung von Einfluss gewesen wäre (UA S. 31 f.). c) Soweit sich die Beschwerde schließlich dagegen wendet, dass auch der Beweisantrag zu 2 Unterpunkt c mangels Entscheidungserheblichkeit abgelehnt wurde, ist ein Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz ebenfalls nicht ersichtlich. Das Oberverwaltungsgericht hat den Beweisantrag dahin ausgelegt, dass er auf die Behauptung ziele, die Abwägung sei deshalb rechtsfehlerhaft, weil ihr ein Gutachten zugrunde gelegen habe, das hinsichtlich des Discountmarktes der Beigeladenen von einem zu niedrigen Verkehrsaufkommen ausgehe. Es hat aber keinen Anhaltspunkt dafür gesehen, dass ein größeres als das vom Rat der Antragsgegnerin berücksichtigte Verkehrsaufkommen zu einer erheblichen Erhöhung der Lärmbelastung führen könne. Als rechtlich erheblich hat es eine Pegelerhöhung um mehr als 1 dB(A) oder auf über 70 dB(A) angesehen. Demgegenüber würde - so das Oberverwaltungsgericht - selbst die vom Antragsteller für den geplanten Discounter auf der Grundlage der Parkplatzstudie des Bayerischen Landesamtes für Umwelt genannte Zahl von 1 792 zu-sätzlichen Kfz/Tag zu einer Erhöhung der Schallimmission von lediglich 0,259 dB(A) führen (UA S. 32 f.). Nach diesen Maßstäben konnte das Oberverwaltungsgericht den Beweisantrag ebenfalls ohne Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO ablehnen. Nichts anderes ergibt sich, wenn man zugunsten der Beschwerde unterstellt, dass tatsächlich von einer Erhöhung um 0,7 dB(A) auszugehen sei. Weitere Lärm erhöhende Umstände und Zweifel an der Korrektheit der Verkehrslärmprognose insgesamt hat die Beschwerde zwar behauptet, aber nicht substantiiert dargetan. 3. Die behauptete Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision. Die Beschwerde macht geltend, das Oberverwaltungsgericht sei bei der Ablehnung des Beweisantrags zu 2 Unterpunkt c von dem Rechtssatz ausgegangen, auch bei Vorliegen nur urkundlich in den Prozess eingeführter Gutachten trotz eines dahingehenden Beweisantrags nicht zur Einholung eines Sachverständigengutachtens verpflichtet zu sein, womit es von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Kammerbeschluss vom 30. November 1993 - 2 BvR 594/93 - juris Rn. 22) abweiche. Tatsächlich hat das Oberverwaltungsgericht den Beweisantrag aber nicht aus den vom Antragsteller unterstellten Gründen, sondern - wie dargelegt - wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit abgelehnt. Eine die Zulassung der Revision rechtfertigende Divergenz ist deshalb schon nicht in einer den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargetan. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
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JURE100058227
BGH
4. Strafsenat
20100209
4 StR 355/09
Beschluss
§ 261 StPO
vorgehend LG Saarbrücken, 21. April 2009, Az: 3 KLs 33/08 - 14 Js 59/08 - 2 AR 29/09, Urteil
DEU
Strafverfahren: Rüge fehlerhafter Beweiswürdigung bei Berücksichtigung der Bekundungen einer nicht vernommenen Zeugin
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 21. April 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten, unter Freisprechung im Übrigen, wegen sexueller Nötigung in zwei Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs einer Jugendlichen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Rüge der Verletzung des § 261 StPO Erfolg. 1. Der Rüge liegt folgendes zu Grunde: Das Landgericht ist auf Grund der Aussagen der Zeuginnen B. und N. H. zu der Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte, der dies bestreitet, die abgeurteilten Taten zum Nachteil dieser Zeuginnen begangen hat. Im Rahmen der - im Übrigen nicht zu beanstandenden - Glaubhaftigkeitsprüfung hat das Landgericht auch darauf abgestellt, dass die Aussagen der Zeuginnen "zum eigentlichen Kerngeschehen eine hohe Konstanz in Bezug auf die Angaben bei der Polizei, über die [die] Kriminalbeamtin Ba. berichtete, ... " [UA 10] aufweisen. Tatsächlich ist diese Kriminalbeamtin, wie sich aus der Sitzungsniederschrift ergibt, in der Hauptverhandlung nicht als Zeugin vernommen worden. 2. Die Revision rügt zu Recht, dass das Landgericht damit den Bericht der Zeugin Ba. im Urteil zum Nachteil des Angeklagten verwertet hat, ohne dass diese Zeugin in der Hauptverhandlung vernommen worden ist. Zwar hat der Generalbundesanwalt erwogen, ob der Inhalt der polizeilichen Aussagen der Zeuginnen H. auch auf anderem Wege, etwa durch nicht protokollierungspflichtige Vorhalte an die Zeuginnen oder durch die Bekundungen der mit der Glaubwürdigkeitsbegutachtung befassten Sachverständigen in die Hauptverhandlung eingeführt worden sein kann. Angesichts der Besonderheiten des Falles würde dies der Rüge aber nicht den Boden entziehen, weil das Landgericht ausdrücklich gerade auf das Zeugnis der Kriminalbeamtin abgestellt hat. 3. Der Senat vermag ein Beruhen des Urteils auf diesem Rechtsfehler nicht auszuschließen. Tepperwien                              Maatz                              Solin-Stojanović Franke                           Mutzbauer
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JURE100058228
BGH
4. Strafsenat
20100209
4 StR 556/09
Beschluss
§ 315b Abs 1 StGB, § 315c StGB
vorgehend LG Marburg, 4. Mai 2009, Az: 6 Ks 4 Js 6547/08 - Ss 371/09, Urteil
DEU
Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr: Schädigungsvorsatz als Voraussetzung der Strafbarkeit des zweckwidrigen Einsatzes eines Kfz in verkehrsfeindlicher Einstellung
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Marburg (Lahn) vom 4. Mai 2009 dahingehend abgeändert, dass im Fall II. 2 der Urteilsgründe die tateinheitliche Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr entfällt. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen. 3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall (II. 1 der Urteilsgründe) in Tateinheit mit Beleidigung, Nötigung und Bedrohung, im anderen Fall (II. 2 der Urteilsgründe) in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr und Bedrohung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führt zum Wegfall der Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. 1. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, soweit das Landgericht ihn im Fall II. 1 der Urteilsgründe wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung, Nötigung und Bedrohung zu der Geldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt hat. Angesichts der Besonderheiten des festgestellten Sachverhalts ist auch nicht zu beanstanden, dass das Landgericht in diesem Fall keine Gesetzeskonkurrenz von Nötigung und Bedrohung (vgl. Fischer StGB 57. Aufl. § 240 Rdn. 63 m.N.) angenommen, sondern beide Delikte als tateinheitlich verwirklicht angesehen hat. Ebenso hat das Landgericht den Angeklagten im Fall II. 2 der Urteilsgründe rechtsfehlerfrei der vorsätzlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung für schuldig befunden und ihn zu der Einsatzstrafe von zehn Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. 2. Dagegen kann der Schuldspruch keinen Bestand haben, soweit das Landgericht den Angeklagten im Fall II. 2 auch des vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr für schuldig befunden hat. a) Das Landgericht hat insoweit festgestellt: Aus Wut, Enttäuschung und Verzweiflung verfolgte der Angeklagte mit seinem Pkw seine Ehefrau, die sich von ihm trennen wollte und sich auf dem Heimweg zu ihrer Wohnung im Haus ihrer Eltern befand. Dieses Haus befindet sich am Ende eines Stichweges. Der Angeklagte erblickte seine Ehefrau, als er in den Stichweg einbog. Er beschleunigte seinen Pkw innerhalb von zwei Sekunden und einer Strecke von 20 m auf 45 bis 48 km/h. Er wollte seiner Ehefrau den Weg in ihr Elternhaus abschneiden und sie noch einmal wegen der Trennung zur Rede stellen. Nach zwei Sekunden maximaler Beschleunigung leitete der Angeklagte jedoch eine Vollbremsung ein, "um - was zu seinen Gunsten unterstellt werden muss - seine Ehefrau nicht weiter zu gefährden". Weiter heißt es in dem Urteil: "Der Angeklagte erkannte dabei, dass er seine Ehefrau durch sein hoch riskantes Fahrmanöver konkret gefährdete, wollte diese indes nicht verletzten und vertraute darauf, dass sie von dem Pkw nicht erfasst würde.“ Sie hatte die Gefahr rechtzeitig erkannt und konnte dem von hinten herannahenden Fahrzeug des Angeklagten ausweichen und sich auf das Grundstück ihrer Eltern flüchten. Der Pkw des Angeklagten kam nur wenige Zentimeter vor dem Jägerzaun dieses Grundstücks zum Stehen. Der Angeklagte stieg aus, lief seiner Ehefrau hinterher und schlug sie an der Haustür zu Boden. b) Diese Feststellungen rechtfertigen die Verurteilung des Angeklagten wegen vollendeten vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nach § 315 b StGB nicht. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 17. November 2009 zutreffend ausgeführt hat, ergeben die Feststellungen nicht, dass Leib oder Leben der Ehefrau des Angeklagten (oder fremde Sachen von bedeutendem Wert) bereits konkret gefährdet worden sind, wie dies § 315 b Abs. 1 StGB voraussetzt (vgl. Senat, Beschlüsse vom 20. Oktober 2009 - 4 StR 408/09, vom 3. November 2009 - 4 StR 373/09 - und vom 10. Dezember 2009 - 4 StR 503/09). Davon abgesehen, scheitert eine Verurteilung des Angeklagten nach § 315 b StGB unter den hier gegebenen Umständen bereits am subjektiven Tatbestand. Denn nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte nur mit Gefährdungsvorsatz gehandelt, der hier nicht genügt. Nach der neueren Rechtsprechung des Senats (BGHSt 48, 233) setzt die Strafbarkeit bei einem sog. verkehrsfeindlichen Inneneingriff, wie ihn das Landgericht hier festgestellt hat, voraus, dass zu dem bewusst zweckwidrigen Einsatz des Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Einstellung hinzu kommt, dass es der Täter mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz - etwa als Waffe oder Schadenswerkzeug - missbraucht; erst dann liege eine - über den Tatbestand des § 315 c hinausgehende und davon abzugrenzende - verkehrsatypische "Pervertierung" des Verkehrsvorgangs zu einem gefährlichen "Eingriff" in den Straßenverkehr im Sinne des § 315 b Abs. 1 StGB vor (ebenso Senat, Beschlüsse vom 16. Oktober 2003 - 4 StR 275/03 -, DAR 2004, 230, und vom 1. September 2005 - 4 StR 292/05 -, DAR 2006, 30). Soweit in BGHSt 48, 233, 238 ausgeführt wird, das Nötigungselement allein mache ein Verkehrsverhalten noch nicht zu einem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, wenn das eigene Fortkommen primäres Ziel einer gewollten Behinderung sei, ist diese Formulierung nicht im Sinne einer Einschränkung des oben ausgeführten Grundsatzes zu verstehen. Der Senat stellt vielmehr klar, dass ein vorschriftswidriges Verkehrsverhalten bei sog. Inneneingriffen im fließenden Verkehr grundsätzlich nur dann von § 315 b Abs. 1 StGB, erfasst wird, wenn der Fahrzeugführer nicht nur mit Gefährdungsvorsatz, sondern mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz handelt. Eine Differenzierung der Fälle danach, ob der Täter seine Fahrt nach dem gefährlichen Eingriff fortsetzen will oder nicht, würde nicht nur zu Abgrenzungsschwierigkeiten, sondern auch zu schwer nachvollziehbaren unterschiedlichen Ergebnissen bei gleichem Unrechtsgehalt der Tat führen. c) Der Senat ändert deshalb im Fall II. 2 der Urteilsgründe den Schuldspruch dahin, dass die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr entfällt. 3. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift näher ausgeführt hat, wird der Strafausspruch im Fall II. 2 der Urteilsgründe durch die Schuldspruchänderung nicht berührt. Das Landgericht hat die Strafe dem Strafrahmen des § 223 Abs. 1 StGB entnommen. Der Schuldgehalt der Tat hat sich durch den Wegfall der tateinheitlichen Verurteilung nach § 315 b StGB nicht wesentlich geändert. Der Senat schließt deshalb aus, dass das Landgericht ohne den Schuldspruch nach § 315 b StGB auf eine (noch) niedrigere Einzel- und Einsatzstrafe erkannt hätte. Tepperwien                               Maatz                               Athing Ernemann                         Mutzbauer
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JURE100058231
BGH
4. Strafsenat
20100119
4 StR 605/09
Beschluss
§ 21 StGB, § 24 Abs 1 S 1 StGB, § 63 StGB, § 212 StGB
vorgehend LG Dessau-Roßlau, 29. Juni 2009, Az: 6 Ks 9/08 - 114 Js 16925/08, Urteil
DEU
Strafbefreiender Rücktritt vom versuchten Totschlag; Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch; Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bei alkoholbeeinflusster Tatbegehung; Gefährlichkeitsprognose beim Tötungsdelikt eines nicht vorbestraften Täters
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 29. Juni 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in drei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen diese Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit der Sachrüge und beanstandet darüber hinaus das Verfahren. I. Das Rechtsmittel des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Einer Erörterung der erhobenen Verfahrensrügen bedarf es daher nicht. 1. Das Landgericht hat nicht geprüft, ob der Angeklagte vom Versuch des Totschlags mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten ist (§ 24 StGB). Hierzu bestand nach den getroffenen Feststellungen Anlass: Am Abend des 11. Juli 2008 hielten sich die ehemalige Lebensgefährtin des Angeklagten, D. M., und deren Tochter im Haus der Familie S. auf. Kurz nach Mitternacht verschaffte sich der Angeklagte gewaltsam Zutritt zum Haus. Unter lauten Beschimpfungen schlug der Angeklagte mit einer Axt zunächst auf den Kopf von D. M. ein, sodann auf den Kopf von C. S. C. S. wurde daraufhin ohnmächtig. Während sich der Angeklagte erneut D. M. zuwandte, betrat U. S. das Wohnzimmer. Der Angeklagte hieb mit der Axt sofort auf den Kopf des Geschädigten S. ein und zerschlug dabei zwei Stühle, mit denen dieser den Angriff des Angeklagten abzuwehren versuchte. U. S. gelang schließlich die Flucht zum Nachbarhaus. 2. Vor dem Hintergrund der Feststellungen bestand Anlass für die Prüfung der Frage, ob der Angeklagte vom unbeendeten oder beendeten Versuch des Totschlags strafbefreiend zurückgetreten ist (§ 24 Abs.1 Satz 1 StGB). a) Für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darauf an, ob der Täter nach der letzten Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; vgl. BGHSt 39, 221, 227; 35, 90; 33, 295, 298; BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 29). Ist dies der Fall, so ist der Versuch beendet und damit ein strafbefreiender Rücktritt durch bloßes Absehen von weiteren tatbestandsmäßigen Handlungen nicht möglich. Rechnet der Täter dagegen nach der letzten Ausführungshandlung nach seinem Kenntnisstand (noch) nicht mit dem Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges, und sei es auch nur in Verkennung der durch seine Handlung verursachten Gefährdung, so ist der Versuch unbeendet, wenn die Vollendung aus der Sicht des Täters noch möglich ist (BGHSt 39, 221, 227), so dass die freiwillige Aufgabe der weiteren Tatausführung genügt. b) Der neue Tatrichter wird die Rücktrittsvoraussetzungen - für jeden Geschädigten gesondert - unter Berücksichtigung der Vorstellungen des Angeklagten nach Abschluss der jeweils letzten konkret vorgenommenen Ausführungshandlung prüfen müssen, da sich die Gründe des angefochtenen Urteils dazu nicht verhalten. Dabei wird es hinsichtlich der Geschädigten C. S. auf die Vorstellungen des Angeklagten zu dem Zeitpunkt ankommen, in dem diese infolge seiner Axthiebe ohnmächtig wurde, woraufhin er von ihr abließ. Hätte er sich bei Aufgabe der weiteren Tatausführung hier keine Vorstellungen über die Folgen seines Angriffs auf die Geschädigte gemacht, kommt ein beendeter Versuch in Betracht (BGHSt 40, 304, 306). Was einen möglichen Rücktritt vom (unbeendeten) Versuch des Totschlags im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB zum Nachteil der D. M. angeht, als sich der Angeklagte von dieser Geschädigten ab- und dem U. S. zuwandte, wird das Landgericht insbesondere bedenken müssen, dass Strafbefreiung im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB den Entschluss des Täters voraussetzt, auf die weitere Durchführung der Tat im Ganzen und endgültig zu verzichten (BGHSt 7, 296, 297; 35, 184, 187). Nicht aufgegeben ist die Tat dagegen, solange der Täter mit dem Versuch ihrer Begehung lediglich vorübergehend innehält (BGH, Urteil vom 1. April 2009 - 2 StR 571/08, NStZ 2009, 501). Im Hinblick auf den Geschädigten U. S. wird zu erörtern sein, ob der Angeklagte die Vorstellung hatte, er könne U. S. noch erreichen, als dieser sich nach der letzten Angriffshandlung des Angeklagten zur Flucht wandte, ob also aus seiner Sicht eine Vollendung noch möglich war. Anderenfalls und auch dann, wenn der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt davon ausging, der Geschädigte S. werde die Polizei alarmieren oder Hilfe holen, wird ein fehlgeschlagener Versuch in Betracht zu ziehen sein. II. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat darauf hin, dass die bisher zur Schuldfähigkeit des Angeklagten getroffenen Feststellungen und Bewertungen nicht geeignet sind, die Maßregelanordnung zu rechtfertigen. 1. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus setzt die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begründet (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 34, 22, 26 f.; 42, 385 f.). Davon geht zwar auch das Landgericht aus. Es hat jedoch die erforderliche, objektiv festzustellende erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB (nur) vor dem Hintergrund des Zusammenwirkens der akuten Alkoholintoxikation (Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit 2,31 ‰) mit einer - in den Urteilsgründen im Übrigen an keiner Stelle näher belegten - Alkoholabhängigkeit sowie einer wahnhaften Störung auf der Basis einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur bejaht. Die Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB setzt aber voraus, dass der Ausschluss oder die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit auf einem länger andauernden psychischen Defekt des Täters beruht. Hat letztlich der Genuss von Alkohol seine Schuldfähigkeit bei Begehung der Tat aufgehoben oder erheblich vermindert, so ist für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nur Raum, wenn der Täter an einer krankhaften Alkoholsucht leidet, in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist oder der Täter an einer länger dauernden krankhaften seelisch-geistigen Störung leidet, bei der bereits geringer Alkoholkonsum oder andere alltägliche Ereignisse die akute erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können und dies im konkreten Fall getan haben (BGHSt 44, 338, 339; 44, 369, 373). 2. Rechtlichen Bedenken begegnet der Maßregelausspruch auch deshalb, weil sich das Landgericht nur unzureichend mit der Gefährlichkeitsprognose auseinandergesetzt hat. Insoweit beschränkt sich das Urteil auf die Feststellung, die Gefährlichkeit des Angeklagten für die Allgemeinheit ergebe sich aus den Ausführungen der forensisch-psychiatrischen Sachverständigen, wonach nicht nur die wahnhafte Störung vor dem Hintergrund einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur, sondern auch die Alkoholabhängigkeit beim Angeklagten untherapiert fortbestünden; Behandlungsangebote habe der vorläufig untergebrachte Angeklagte bislang nicht angenommen. Diese Erwägungen genügen unabhängig von der auch insoweit erforderlichen, hier aber fehlenden Gesamtwürdigung des Angeklagten und seiner Taten (vgl. BGHSt 27, 246, 248) schon deshalb nicht, weil das Urteil nicht deutlich macht, jedenfalls aber nicht ausreichend mit Tatsachen belegt, dass bei dem Angeklagten die begründete Wahrscheinlichkeit weiterer (einschlägiger) Straftaten besteht (zum Maßstab vgl. BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 19). Dies gilt umso mehr, als (einschlägige) Vorstrafen des Angeklagten in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt werden und die Motivation zur Tat wesentlich in konstellativen Faktoren zu sehen ist, die dem persönlichen Lebensbereich des Angeklagten vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen mit seiner Lebensgefährtin zuzuordnen sind, die sich kurz zuvor von ihm getrennt hatte. Insoweit genügt die bloße Wiederholungsmöglichkeit ebenso wenig wie eine nur latente Gefahr weiterer Straftaten (Senatsbeschluss vom 8. Juli 1999 - 4 StR 283/99, NStZ 1999, 610). Auch die Frage der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bedarf daher erneuter Prüfung, gegebenenfalls unter Einschaltung eines neuen Sachverständigen. Tepperwien                              Maatz                              Solin-Stojanović Ernemann                          Franke
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058233
BGH
1. Strafsenat
20100114
1 StR 587/09
Beschluss
§ 29 Abs 1 S 1 Nr 1 BtMG, § 52 StGB, § 53 StGB
vorgehend LG Ravensburg, 12. August 2009, Az: 1 KLs 23 Js 1647/09, Urteil
DEU
Betäubungsmitteldelikt: Tateinheit bei wiederholtem Rauschgifterwerb von demselben Lieferanten
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 12. August 2009 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Der Angeklagte wurde im Rahmen einer Verfahrensabsprache wegen einer Reihe in der ersten Jahreshälfte 2008 begangener Verstöße gegen das BtMG unter Einbeziehung der Einzelstrafen eines Urteils des Amtsgerichts Ravensburg vom 24. November 2008, dessen Feststellungen im Einzelnen mitgeteilt sind, zu einer (nachträglichen) Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, wie dies auch die Verfahrensbeteiligten übereinstimmend beantragt hatten. Gegen dieses Urteil wendet sich die auf die Rüge der Verletzung sachlichen und förmlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Näher ist ausgeführt, wie dies auch schon wiederholt gegenüber der Strafkammer geltend gemacht worden war, dass im Blick auf den in dem einbezogenen Urteil abgeurteilten Sachverhalt ein Verfahrenshindernis wegen Strafklageverbrauchs bestehe. Sie macht weiter geltend, wegen unzulänglicher Hinweise gemäß § 265 StPO seien Verteidigungsmöglichkeiten eingeschränkt worden, und ist nunmehr der Auffassung, die Strafkammer hätte die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) anordnen müssen. Die Revision bleibt erfolglos. 1. Gegenstand der hier abgeurteilten Taten waren insgesamt (jeweils mindestens) 55 g Kokaingemisch, 1,2 kg Amphetamin und 1.200 Ecstasy-Tabletten. Das Rauschgift stammte - an einer Stelle der Urteilsgründe heißt es „überwiegend“, an einer anderen Stelle, die sich allerdings nur auf Kokain und Amphetamin bezieht, ist diese Einschränkung nicht gemacht - von R. Hinsichtlich des Strafklageverbrauchs bezieht sich der Kern des Vorbringens auf die im Urteil des Amtsgerichts getroffene Feststellung, dass der Angeklagte in der Diskothek "D." in Ra. am 11. Mai 2008 61 Ecstasy-Tabletten und 1,7 g Amphetamin gewinnbringend weiterverkaufen wollte. Während das Amtsgericht hinsichtlich sämtlicher sonstiger von ihm abgeurteilter Taten R. als (möglichen) Lieferanten nennt, ist dies hinsichtlich des am 11. Mai 2008 sichergestellten Rauschgifts nicht der Fall. Die Strafkammer erörtert im Anschluss an die Prüfung der Konkurrenzverhältnisse auch die Frage, ob die hier abgeurteilten Taten mit den vom Amtsgericht abgeurteilten Taten eine Bewertungseinheit mit der Folge des Strafklageverbrauchs (vgl. hierzu zusammenfassend Körner BtMG 6. Aufl. § 29 Rdn. 887 m.w.N.) bilden könnten. Die Strafkammer verneint dies. Der Angeklagte sei in vollem Umfang geständig, habe jedoch keine Angaben zur Herkunft des am 11. Mai 2008 im "D." bei ihm sichergestellten Rauschgifts gemacht. Der Angeklagte habe nach seiner eigenen Einlassung im Tatzeitraum Rauschgift nicht allein von R. bezogen. Bei seiner polizeilichen Vernehmung habe er sogar noch ausgesagt, er habe sein Rauschgift meist nicht direkt von R., sondern von irgendwelchen anderen Leuten bekommen. Abschließend führt die Strafkammer aus und belegt, dass auch der Zweifelssatz nicht gebiete, ohne hinreichende konkrete Anhaltspunkte dafür, dass mehrere Fälle des unerlaubten Erwerbs, Besitzes und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln dieselbe Rauschgiftmenge betreffen, eine Bewertungseinheit anzunehmen. Die Revision meint, die Strafkammer habe die polizeiliche Aussage des Angeklagten falsch ausgelegt. Er habe lediglich darauf hingewiesen, dass das Rauschgift, das Gegenstand der vom Amtsgericht abgeurteilten Tat gewesen sei, direkt von R. stamme, in anderen Fällen habe er nicht direkt von R. bezogen, sondern von Dritten, die als Boten bzw. Überbringer für R. tätig geworden seien. Auch im Übrigen sei die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte habe nicht sein ganzes Rauschgift von R. bezogen, wie die Revision im Einzelnen darlegt, rechtsfehlerhaft. Daher hätte die Strafkammer von einer Bewertungseinheit ausgehen müssen. Dies ist nicht der Fall. Bei wiederholtem Rauschgifterwerb sind die Handlungen des Käufers selbst dann nicht als eine Tat im Sinne einer Bewertungseinheit anzusehen, wenn das gesamte eingekaufte Rauschgift aus demselben Vorrat stammt (vgl. BGH NStZ 1997, 243; Rissing-van Saan in LK 12. Aufl. vor § 52 Rdn. 43 jew. m.w.N.). Mehrere Rauschgiftgeschäfte sind dann im Sinne von Tateinheit in einer Bewertungseinheit verbunden, wenn sie in ein und demselben Güterumsatz in einem Handlungsteil, etwa beim Erwerb, bei der Lieferung oder bei der Bezahlung des Kaufpreises in einer Gesamtmenge oder in einem Geldbetrag zusammentreffen (Körner aaO Rdn. 846 f. m.w.N.). Selbst wenn, etwa im Blick auf einen einheitlichen Vorgang des Erwerbs durch den Verkäufer zum Zwecke gewinnbringenden Weiterverkaufs, die von diesem aus dem Vorrat vorgenommenen späteren Verkaufshandlungen in Bewertungseinheit verbunden sind, führte dies nicht dazu, dass diese Vorgänge auch auf Seiten des - immer identischen - Käufers als in Bewertungseinheit verbunden anzusehen wären. Ein (jedenfalls teilweiser) Strafklageverbrauch hinsichtlich des Angeklagten käme allenfalls in Betracht, wenn davon auszugehen wäre, dass er im Rahmen desselben Erwerbsvorgangs - eine nach und nach erfolgte Aufstockung eines Vorrats würde nicht ausreichen ("Silotheorie"; vgl. hierzu Körner aaO Rdn. 857 m.w.N.) - sowohl die am 11. Mai 2008 sichergestellten und dem entsprechend vom Amtsgericht abgeurteilten Mengen als auch eine hier abgeurteilte Menge erworben hätte. Der Senat hat dies nicht im Wege des Freibeweises zu überprüfen, also etwa durch Rekonstruktion des Ergebnisses der Beweisaufnahme und (oder) durch Abgleich der Urteilsgründe mit dem Akteninhalt, sondern nach revisionsrechtlichen Grundsätzen (vgl. BGHSt 46, 349, 352, 353; BGH, Beschl. vom 16. November 2000 - 3 StR 457/00; in vergleichbarem Sinne BGHSt 22, 307, 309; BGH NStZ 2000, 388). Insoweit sind hier nur die Urteilsgründe maßgebend, da eine zulässige Verfahrensrüge in diesem Zusammenhang nicht erhoben ist. Es ist nicht ersichtlich, dass der Strafkammer ein Rechtsfehler unterlaufen wäre. Aus den dargelegten Gründen kommt es schon nicht darauf an, ob der Angeklagte sein Rauschgift ausschließlich von R. bezogen hat (hiergegen können die in den Urteilsgründen dokumentierten Angaben des Angeklagten sprechen) oder gar aus einem einheitlichen Vorrat von R. (hiervon ist bei einer Mehrzahl festgestellter Einzelverkäufe nicht ohne Weiteres auszugehen, vgl. BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 12). Jedenfalls sind keine konkreten Anhaltspunkte für die dargelegte Möglichkeit eines einheitlichen Kaufs des am 11. Mai 2008 sichergestellten Rauschgifts und hier verfahrensgegenständlichen Rauschgifts ersichtlich. Der Angeklagte hat offenbar häufig Rauschgift bezogen, wobei ihm dies von unterschiedlichen Personen ausgehändigt wurde. Unter diesen Umständen könnte, wenn überhaupt, allenfalls der Zweifelssatz zu der Annahme führen, dass mehrere unterschiedliche Mengen Teile einer einheitlichen Gesamtmenge waren. Wie auch die Strafkammer jedoch zutreffend dargelegt hat, ist der Zweifelssatz aber keine tragfähige Grundlage für die Annahme einer Bewertungseinheit (st. Rspr., vgl. zusammenfassend Körner aaO Rdn. 855 m.w.N.). 2. Die Strafkammer gab im Laufe der Hauptverhandlung zwei rechtliche Hinweise gemäß § 265 StPO. Soweit hier von Interesse, lautete der erste Hinweis: "Es wird darauf hingewiesen, dass bei den Taten 1, 13 u. 14 auch unerlaubter Besitz von Btm in nicht geringer Menge in Tateinheit mit vors. unerlaubtem Handeltreiben mit Btm in Betracht kommt (§§ 29a Abs. 1 Nr. 2, 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG, 52 StGB)". Es folgen in demselben Hinweis Ausführungen zu weiteren Taten. Diesem Teil des Hinweises braucht der Senat nicht weiter nachzugehen, weil er von der Revision nicht angegriffen ist. Der zweite Hinweis lautete: "Es wird darauf hingewiesen, dass bei der Tat Ziff. 1 auch unerl. Besitz von Btm in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerl. Handeltreiben von Btm in nicht geringer Menge in Betracht kommt". Die Revision führt aus, dass "dieser Hinweis" in zweifacher Hinsicht fehlerhaft sei, wobei sie zur Begründung sowohl auf Elemente des ersten Hinweises als auch auf Elemente des zweiten Hinweises verweist. Der erste Hinweis verdeutliche nicht, welche neuen Tatsachen der veränderten rechtlichen Würdigung zu Grunde lägen. Darüber hinaus lasse der zweite Hinweis im Gegensatz zum ersten Hinweis die Schuldform des Handeltreibens "nach der nunmehr veränderten Sachlage" offen. Während zunächst noch von "vorsätzlichem" Handeltreiben die Rede gewesen sei, sei dies in dem zweiten Hinweis nicht mehr der Fall gewesen. Auch fehlte in dem zweiten Hinweis die Angabe der einschlägigen Paragraphen, sodass auch insoweit nicht zu erkennen gewesen wäre, ob die Strafkammer von vorsätzlichem oder fahrlässigem Handeltreiben ausgegangen sei. a) Die Rüge, es werde die veränderte Tatsachengrundlage des Hinweises nicht deutlich, geht schon im Ansatz fehl. Die Annahme, ein Hinweis gemäß § 265 StPO müsse aus Rechtsgründen stets auf neuen tatsächlichen Erkenntnissen beruhen, trifft so nicht zu. Freilich ist dies nach forensischer Erfahrung vielfach der Fall, jedoch ist ein Hinweis gemäß § 265 StPO auch dann geboten, wenn sich der Sachverhalt zwar nicht geändert hat, er aber nach Auffassung des Gerichts dennoch rechtlich anders als noch in der zugelassenen Anklage zu bewerten ist (vgl. Engelhardt in KK 6. Aufl. § 265 Rdn. 17). Allein mit der Behauptung, die geänderten tatsächlichen Grundlagen eines Hinweises gemäß § 265 StPO seien nicht mitgeteilt, ist daher ein Verfahrensverstoß nicht schlüssig dargetan. Im Übrigen könnte eine auf unzulängliche tatsächliche Erläuterung eines Hinweises gemäß § 265 StPO gestützte Rüge schon im Ansatz nur dann Erfolg haben, wenn Urteil und zugelassene Anklage in tatsächlicher Hinsicht wesentlich voneinander abweichen würden. Derartige Differenzen sind von der Revision nicht einmal abstrakt behauptet (zur Maßgeblichkeit der "Angriffsrichtung" einer Verfahrensrüge vgl. BGH NStZ 2008, 229, 230; Sander/Cirener JR 2006, 300 jew. m.w.N.), erst recht nicht konkret ausgeführt (vgl. Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 265 Rdn. 47 m.w.N.). b) Dem Angeklagten lag im Fall 1 der Urteilsgründe vorsätzliches Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Last, und er wurde wegen vorsätzlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Die für Fahrlässigkeit maßgebliche Bestimmung, § 29 Abs. 4 BtMG, ist weder in der Anklage oder in den Hinweisen noch im Urteil genannt. Auch wenn es im Übrigen grundsätzlich untunlich ist, identisches Geschehen in unterschiedlichen formalen Prozessvorgängen unterschiedlich (im ersten Hinweis als vorsätzliches Handeltreiben, im zweiten Hinweis als Handeltreiben) zu bezeichnen (vgl. BGH, Beschl. vom 27. Juli 2006 - 1 StR 147/06), kommt schon deshalb ein Verstoß gegen § 265 StPO nicht in Betracht. Das Vorbringen der Revision, das Unterbleiben des von ihr vermissten Hinweises habe (auch) deshalb besonders Gewicht, weil die Strafkammer von einer geänderten Sachlage ausgegangen sei, kann, wie dargelegt, schon im Ansatz der Prüfung des Revisionsvorbringens nicht zu Grunde gelegt werden. Im Übrigen liegt es nahe, mehrere rechtliche Hinweise, die sich auf die nämliche Tat beziehen, nicht isoliert, sondern in einer Gesamtschau zu bewerten; selbst die Revision spricht (teilweise) nur von einem Hinweis. Dann aber wird im Abgleich der beiden Teile dieses Hinweises mit noch hinlänglicher Klarheit deutlich, dass mit dem zweiten Hinweis lediglich die Unzulänglichkeit des ersten Hinweises insoweit beseitigt werden sollte, als dort hinsichtlich des Besitzes nicht auf die geringe Menge hingewiesen war, im Übrigen dessen Inhalt aber fortgelten sollte. c) Ohne dass es darauf ankäme, dass hier eine Verfahrensabsprache vorliegt, könnte der Senat aber auch keine, nicht einmal eine entfernte, Möglichkeit erkennen, dass das gesamte in Rede stehende Verfahrensgeschehen irgend einen nachteiligen Einfluss auf Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten gehabt haben könnte. Auch die Revision legt in ihren Ausführungen zum Beruhen des Urteils auf den geltend gemachten Mängeln nur - zutreffend, aber nur abstrakt - dar, dass eine andere Verteidigungsmöglichkeit nicht notwendigerweise nahe liegen muss. In diesem Zusammenhang bemerkt der Senat: Von hier nicht einschlägigen Besonderheiten abgesehen, braucht eine Revisionsbegründung den ursächlichen Zusammenhang zwischen (behauptetem) Rechtsfehler und dem angefochtenen Urteil nicht ausdrücklich darzulegen. Es ist vielmehr grundsätzlich Sache des Revisionsgerichts, die Beruhensfrage von sich aus zu prüfen. Dies sollte jedoch gerade in Fällen, in denen die Möglichkeit eines Beruhens nicht leicht zu erkennen ist, den Beschwerdeführer nicht davon abhalten, konkret darzulegen, warum aus seiner Sicht hier ein Beruhen möglich erscheinen kann (vgl. zusammenfassend Kuckein in KK 6. Aufl. § 344 Rdn. 65 m.w.N.). Andernfalls ist nicht auszuschließen, dass das Revisionsgericht trotz seiner umfassenden Überprüfung der Beruhensfrage eine in diesem Zusammenhang (doch) in Betracht zu ziehende Möglichkeit nicht erkennt und daher auch nicht in seine Erwägungen einbezieht (BGH, Beschl. vom 14. Januar 2010 - 1 StR 620/09). Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof gerade auch im Zusammenhang mit Rügen der Verletzung von § 265 StPO wiederholt darauf hingewiesen, dass auch dem Revisionsvorbringen nichts zu entnehmen ist, was das (negative) Ergebnis seiner Beruhensprüfung in Frage stellen könne (vgl. z.B. BGHR StPO § 265 Abs.1 Hinweispflicht 9, 12; BGH, Beschl. vom 19. Oktober 1994 - 2 StR 336/94; Beschl. vom 13. Juni 2007 - 2 StR 127/07). 3. Die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat, auch über die im Zusammenhang mit dem geltend gemachten Verfahrenshindernis vorgenommene Überprüfung hinaus, keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Ebenso wenig stellt es den Bestand des Urteils in Frage, dass die Strafkammer davon abgesehen hat, den Angeklagten gemäß § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt unterzubringen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beschwert es den Angeklagten grundsätzlich nicht, wenn keine Maßregel gemäß § 64 StGB gegen ihn verhängt wird (vgl. BGH NStZ 2009, 261 m.w.N.). Eine Fallgestaltung, bei der trotz fehlender Beschwer des Angeklagten auf seine Revision eine Aufhebung des Urteils wegen einer zu Unrecht unterlassenen Unterbringung gemäß § 64 StGB in Betracht kommen kann (BGHSt 37, 5, 9 f.), liegt nicht vor. Ebenso wie schon der hierzu gehörte Sachverständige hat auch die Strafkammer bei der Prüfung und Verneinung der Notwendigkeit einer Unterbringung keine unzutreffenden Maßstäbe zu Grunde gelegt, wie dies auch der Generalbundesanwalt im Einzelnen näher ausgeführt hat, ohne dass dies von der Erwiderung der Revision entkräftet wäre. Nack                            Wahl                          Graf Jäger                           Sander
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058246
BGH
4. Zivilsenat
20100127
IV ZR 50/09
Urteil
§ 12 Abs 1 VVG, § 59 Abs 2 S 1 VVG, § 195 BGB, § 307 Abs 1 S 1 BGB, § 307 Abs 2 Nr 1 BGB, § 307 Abs 2 Nr 2 BGB, § 548 Abs 1 BGB
vorgehend OLG Koblenz, 6. März 2009, Az: 10 U 565/08, Urteil vorgehend LG Koblenz, 10. April 2008, Az: 16 O 468/07, Urteil
DEU
Ausgleichsanspruch der Gebäudeversicherung gegen die Haftpflichtversicherung eines Mieters nach einem Wohnungsbrand: Inhaltskontrolle für eine Ausschlussklausel in Besonderen Versicherungsbedingungen der Haftpflichtversicherung; Subsidiarität des Regressverzichts; Verjährungsfrist
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 6. März 2009 aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 10. April 2008 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren. Von Rechts wegen
Die Klägerin verlangt als Gebäudeversicherer von der Beklagten als Haftpflichtversicherer von Mietern Ersatz von ihrem Versicherungsnehmer erstatteten Aufwendungen, die durch einen in der Wohnung der Mieter am 4. Oktober 2004 entstandenen Brand verursacht wurden. Mietsachschäden sind in die Haftpflichtversicherung eingeschlossen. Den Schaden am Hausrat der Mieter hat deren Hausratversicherer reguliert. Die Klägerin stützt ihren nur noch auf Ausgleich des hälftigen Zeitwertschadens gerichteten Anspruch in Höhe von 11.370,68 € auf die nach der Rechtsprechung des Senats (BGHZ 169, 86 Tz. 22 ff.; Urteil vom 18. Juni 2008 - IV ZR 108/06 - VersR 2008, 1108) entsprechend anwendbaren Grundsätze der Doppelversicherung (§ 59 Abs. 2 Satz 1 VVG a.F.). Die Beklagte meint, eine Doppelversicherung liege nicht vor. Nach Ziffer 4.2 ihrer Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen (BBR) zur Haftpflichtversicherung seien die unter den Regressverzicht nach dem Abkommen der Feuerversicherer bei übergreifenden Schadenereignissen (RVA) fallenden Rückgriffsansprüche von der Deckung ausgeschlossen. Die Voraussetzungen des Regressverzichts der Klägerin gegenüber den Mietern nach dem Abkommen seien erfüllt, weil diese den Schaden nur leicht fahrlässig herbeigeführt hätten und von ihrem Hausratversicherer entschädigt worden seien. Davon abgesehen könne die Klägerin keine Kosten für die Beseitigung von Schäden an Heizungsanlagen und Glasschäden erstattet verlangen, weil insoweit der Ausschluss in Ziffer 4.1.2 und 4.1.3 BBR eingreife. Der Anspruch sei auch gemäß § 548 Abs. 1 BGB verjährt. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 11.370,68 € nebst Zinsen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Mit ihrer Revision erstrebt die Klägerin die Zurückweisung der Berufung.
Die Revision der Klägerin führt zur Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts. Dieses hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin einen Ausgleichsanspruch entsprechend § 59 Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. in der zuerkannten Höhe hat. I. Der Ausschluss für unter das RVA fallende Rückgriffsansprüche in Ziffer 4.2 BBR steht dem Ausgleichsanspruch entsprechend den Grundsätzen der Doppelversicherung nicht entgegen. Der Senat folgt der vom Berufungsgericht (VersR 2009, 1656) vertretenen Ansicht nicht, nach Ziffer 4.2 BBR sei dieser Ausgleichsanspruch ausgeschlossen, weil und insoweit der Klägerin der Regress gegen die Mieterin schon durch den gegenüber dem vom Bundesgerichtshof entwickelten Regressverzicht vorrangigen Regressverzicht nach dem RVA verwehrt sei. Diese Argumentation berücksichtigt Sinn, Zweck und Auswirkung des RVA wie des Ausschlusses in Ziffer 4.2 BBR nicht hinreichend. 1. a) aa) Zweck des vom Senat entwickelten Regressverzichts ist der Schutz der Interessen des Vermieters und des Mieters (BGHZ 169, 86 Tz. 9 ff.). Der Regressverzicht soll dagegen ebenso wenig wie der Regressverzicht nach dem RVA (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 1984 - VI ZR 115/82 - VersR 1984, 325 unter II 2) dem Haftpflichtversicherer des Schädigers zugute kommen. Der vom Senat im Wege der Rechtsfortbildung geschaffene Ausgleichsanspruch (BGHZ 169, 86 Tz. 22 ff.) ist das Äquivalent dafür, dass dem Gebäudeversicherer trotz bestehenden Haftpflichtversicherungsschutzes im Interesse beider Mietvertragsparteien der Regressverzicht zugemutet wird (BGHZ aaO Tz. 9-21; Senatsurteil vom 18. Juni 2008 - IV ZR 108/06 - VersR 2008, 1108 Tz. 11). Im Ergebnis führt dieser zu einer Halbierung der Leistungspflicht des Haftpflichtversicherers. bb) Auch durch den Regressverzicht nach dem RVA wird der Mieter so behandelt, als sei sein Sachersatzinteresse in der Feuerversicherung mitversichert, wie das Landgericht richtig erkannt hat (aaO S. 1689). Dies führt ebenso wie bei dem vom Senat entwickelten Regressverzicht bei einer Mietsachschäden deckenden Haftpflichtversicherung zu einer der Doppelversicherung strukturell vergleichbaren Interessenlage (OLG Bamberg VersR 2007, 1651, 1652; LG Köln VersR 2008, 1258 f.; Langheid in Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. § 67 Rdn. 37; Sieg, BB 1982, 900 f.; Martin, Sachversicherungsrecht 3. Aufl. J I Rdn. 11 f., 14 f.; Kohleick, Die Doppelversicherung im deutschen Versicherungsvertragsrecht S. 36 ff.). Daraus folgt, dass nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. BGHZ 169 aaO Tz. 22 ff.) dem Feuerversicherer auch wegen des Regressverzichts im Rahmen des RVA grundsätzlich ein Ausgleichsanspruch in analoger Anwendung von § 59 Abs. 2 VVG a.F. gegen den Haftpflichtversicherer des Mieters zuzubilligen ist. Das ist das Äquivalent dafür, dass die Feuerversicherer aus sozialer Verantwortung zum Schutz der Schädiger (freiwillig) auf den Regress verzichten. b) Der Regressverzicht ist gemäß Ziffer 6 RVA in der Fassung von 2002 je Schadenereignis nach unten und oben begrenzt. Er gilt nach Ziffer 6a RVA bei einem Regressschuldner für eine Regressforderung bis zu 600.000 €, jedoch nur insoweit, als die Regressforderung 150.000 € übersteigt. Bis zu diesem Betrag wird also grundsätzlich auf den Regress nicht verzichtet. Ziffer 6b RVA erweitert den Verzicht auf diesen Bereich aber unter anderem für Schäden an der Mietsache, sofern eine Haftpflichtversicherung nach den AHB keine Deckung bieten würde, weil der Versicherungsschutz nach § 4 I 6 a AHB, jetzt Ziffer 7.6 AHB 2008 ausgeschlossen ist. Daraus ist umgekehrt zu entnehmen, dass Regress genommen wird, wenn Haftpflichtdeckung besteht. Nach dem Zweck des RVA sollte bis zu der Untergrenze von Anfang an nicht auf einen Regress verzichtet werden, weil sich der Regressschuldner in diesem Bereich im Allgemeinen über eine Haftpflichtversicherung absichern konnte (BGH, Urteil vom 24. Januar 1984 aaO; OLG Düsseldorf VersR 1998, 966, 967; Siegel, VersR 2009, 46, 48; Essert, VersR 1981, 1111, 1112; Günther aaO S. 34; Dietz, Wohngebäudeversicherung 2. Aufl. L 5.4; Sieg aaO). Wortlaut, Systematik und Zweck des RVA, den Schädiger, nicht aber dessen Haftpflichtversicherer zu entlasten, führen deshalb zu der Auslegung, dass der Regressverzicht im Verhältnis zu einer Mietsachschäden deckenden Haftpflichtversicherung jedenfalls bis zum Betrag von 150.000 € subsidiär sein soll. 2. Der damit nach Ziffer 6b RVA vorbehaltene Regress gegen den haftpflichtversicherten Schädiger soll durch Ziffer 4.2 BBR abgewehrt und damit vom Versicherungsschutz ausgeschlossen werden. Diese Ausschlussklausel ist nach § 307 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil sie den Zweck des Haftpflichtversicherungsvertrages in einem wesentlichen Punkt gefährdet und den Mieter auch im Übrigen unangemessen benachteiligt. a) Durch Ziffer 4 Satz 1 und 2 BBR wird dem Versicherungsnehmer - abweichend von § 4 I 6 a AHB - Versicherungsschutz für die gesetzliche Haftpflicht aus der Beschädigung von Wohngebäuden, Wohnungen und sonstigen zu privaten Zwecken gemieteten Räumen in Gebäuden gewährt. Auf diesen Versicherungsschutz ist der Mieter von Wohnraum angewiesen. Leicht fahrlässig verursachte Schäden durch Brand können ein existenzgefährdendes Ausmaß erreichen. Der Einschluss von gemietete Wohnräume betreffenden Haftpflichtschäden ist deshalb längst die Regel, die Wirksamkeit eines formularmäßigen Ausschlusses wäre fraglich (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Dieser versprochene Versicherungsschutz wird durch Ziffer 4.2 BBR eingeschränkt (vgl. Siegel, r+s 2007, 498 f.). Allerdings wird nicht ein bestimmtes Risiko vom Versicherungsschutz ausgeschlossen. Vielmehr will der Haftpflichtversicherer nicht leisten, wenn der Feuerversicherer den Mieter als Quasi-Versicherungsnehmer im Wege des Regressverzichts schützt. Damit hat die Klausel die Bedeutung einer einfachen, die umfassend erteilte Leistungszusage einschränkenden Subsidiaritätsabrede. b) Die Klausel ist insbesondere in ihrer praktischen Auswirkung geeignet, den versprochenen Versicherungsschutz auszuhöhlen. aa) Durch den Leistungsausschluss in Ziffer 4.2 BBR wird der Versicherungsnehmer auf das RVA verwiesen. Dessen Text kennt er nicht. Er wird ihm laut Anmerkung zur Klausel "auf Wunsch zur Verfügung gestellt". Damit wird der Versicherungsnehmer auf ein ihm völlig unbekanntes Vertragswerk verwiesen. Welche Versicherer danach auf einen Regress verzichten, ergibt sich daraus nicht. Der sachliche Gehalt des RVA ist für den Versicherungsnehmer nur schwer zu erfassen. Die Grenzen seiner Verständnismöglichkeiten sind spätestens dann überschritten, wenn er bemerkt, dass Ziffer 6b RVA ihn wieder auf die Haftpflichtversicherung zurückverweist, eine Bestimmung, deren Bedeutung - wie der vorliegende Fall zeigt - schon für sich genommen und insbesondere im Verhältnis zu Ziffer 4.2 BBR auch von spezialisierten Versicherungsjuristen nicht erkannt wird. Es kommt hinzu, dass durch die Verweisung auf das RVA auch dessen Änderungen, die ohne Beteiligung der Parteien des Haftpflichtversicherungsvertrages vorgenommen werden, den Umfang des Versicherungsschutzes beeinflussen können (vgl. Grommelt, r+s 2007, 230, 231 f.). So sind beispielsweise seit dem 1. Januar 2010 Mietsachschäden von der Erweiterung des Regressverzichts in Ziffer 6b RVA nicht mehr umfasst (Siegel, VersR 2009, 678, 680). Eine solche Gestaltung des Versicherungsschutzes ist nicht nur intransparent, sondern auch inhaltlich unangemessen. bb) Die Verweisung des Versicherungsnehmers auf das RVA begründet ferner die praktisch erhebliche Gefahr, dass er letztlich durch keinen der beiden Versicherer den ihm zustehenden Schutz erhält. Wie die Beklagte vorgetragen hat, haben Gebäudefeuerversicherer in der Vergangenheit haftpflichtversicherte Verursacher eines Brandschadens häufig in Anspruch genommen, obwohl das RVA anwendbar gewesen sei. In solchen Fällen besteht nach Auffassung der Haftpflichtversicherer, auch der Beklagten, Anspruch auf Deckungsschutz auch nicht in Form der Anspruchsabwehr. Darüber, ob das RVA einem Regressanspruch gegen den Mieter entgegensteht, werden Feuerversicherer und Haftpflichtversicherer aber oft unterschiedlicher Meinung sein. So kann etwa darüber gestritten werden, ob der Brand auf grober Fahrlässigkeit beruht, ob er von den eigenen Sachen des Mieters ausgegangen ist oder - wie hier - ob die Subsidiaritätsklausel in der Haftpflichtversicherung wirksam ist und sich gegenüber der bereits erörterten einfachen Subsidiaritätsregelung in Ziffer 6b RVA durchsetzt. Dann steht der Mieter zwischen beiden Versicherern, muss sich auf eigene Kosten und eigenes Risiko gegen den Regressanspruch verteidigen und läuft Gefahr, bei einer Verurteilung trotz Haftpflichtversicherung keinen Freistellungsanspruch zu haben. In eine solche Lage darf ein Haftpflichtversicherer seinen Versicherungsnehmer nicht bringen (vgl. BGHZ 171, 56 Tz. 11 ff.; Senatsurteil vom 14. Februar 2007 - IV ZR 54/04 - VersR 2007, 1119 Tz. 11 ff.). Diese Gefahr, die nach den Erfahrungen des Senats nicht selten durch unberechtigte Deckungsablehnungen von Haftpflichtversicherern hervorgerufen wird, war auch ein wesentlicher Grund dafür, trotz bestehender Haftpflichtdeckung einen Regressverzicht des Gebäudeversicherers anzunehmen (BGHZ 169, 86 Tz. 17). Es ist auch nicht hinzunehmen, dass Haftpflichtversicherer und Gebäudeversicherer durch gegenseitige rechtliche Abwehrmaßnahmen den nach allgemeiner Meinung gebotenen Schutz des leicht fahrlässig handelnden Wohnungsmieters unterlaufen (vgl. BGHZ 169, 86 Tz. 8; Staudinger/Kassing, VersR 2007, 10; Looschelders, JR 2007, 424, 426; Günther, VersR 2006, 1539, 1541). cc) Die Befürchtung, dass der Versicherungsnehmer bei kollidierenden Subsidiaritätsabreden letztlich ganz ohne Versicherungsschutz bleibt, ist auch der Grund dafür, dass nach herrschender Meinung keine der beiden Subsidiaritätsklauseln eingreift mit der Folge eines Ausgleichs nach § 59 Abs. 2 VVG a.F. (Kollhosser in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 59 Rdn. 28; Staudinger/Kassing aaO S. 13 Fn. 46; Winter, VersR 1991, 527, 530 f.; Segger, VersR 2006, 38, 41; BK/Schauer, § 59 VVG Rdn. 52; Versicherungsrechts-Handbuch/Armbrüster, 2. Aufl. § 6 Rdn. 88). 3. Die Klägerin hat entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht auf die Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs verzichtet. Die Ansicht der Beklagten, ein solcher Verzicht ergebe sich aus dem Rundschreiben des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft an die Vorstände der Haftpflichtversicherer vom 28. November 1997 zur Neufassung des RVA, ist nicht richtig. Es ist schon fraglich, welche Bedeutung ein Rundschreiben des Gesamtverbandes überhaupt für die Auslegung des RVA haben soll. Überdies kann dieses Rundschreiben den Ausgleichsanspruch analog § 59 Abs. 2 VVG a.F. gar nicht erfassen, weil seinerzeit niemand an einen solchen Ausgleichsanspruch gedacht hat. Der Senat hatte es früher abgelehnt, in eine sogenannte reine Sachversicherung ein Haftpflichtinteresse einzubeziehen (Urteil vom 23. Januar 1991 - IV ZR 284/89 - VersR 1991, 462 unter I). Abgesehen davon geht es hier nicht um das RVA in der Fassung von 1998. II. Die von der Beklagten geltend gemachten Risikoausschlüsse für Schäden an einzelnen Gegenständen nach Ziffer 4.1.2 und 4.1.3 BBR greifen nicht durch. Wie bei Risikoausschlüssen üblich, hat die Beklagte deren Voraussetzungen darzulegen und zu beweisen. Die ins Blaue hinein ausgesprochene Vermutung der Beklagten, die Rechnung über eine Stahlzarge laut Anlage K 18 könne etwas mit zerbrochenem Fensterglas zu tun haben, ist abwegig. Darauf hat schon das Berufungsgericht hingewiesen. Die Rechnungen des Heizungsbauers G. (K 15 und K 16) sind ebenfalls in die Ausgleichsrechnung einzubeziehen. Sie betreffen die Erneuerung eines Heizkörpers in der Mietwohnung zuzüglich Nebenarbeiten. Der Schaden an einem Heizkörper ist kein Schaden an einer Heizungsanlage i.S. der Ausschlussklausel. Unter einer Heizungsanlage ist bei der gebotenen engen Auslegung von Risikoausschlüssen (vgl. Senatsurteil vom 17. März 1999 - IV ZR 89/98 - VersR 1999, 748 unter 2 a) nur das Gerät zu verstehen, das die Wärme erzeugt, nicht aber die Heizkörper in den Wohnräumen. Dafür spricht auch, dass in der Klausel auch Maschinen-, Kessel- und Warmwasserbereitungsanlagen genannt sind. Deshalb kann offen bleiben, ob nach dem Zweck der Klausel (vgl. Späte, Haftpflichtversicherung PrivH Rdn. 47 m.w.N.) Schäden durch Brand davon erfasst werden und - falls ja - die Klausel dann einer Kontrolle nach § 307 BGB standhielte. III. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass der Ausgleichsanspruch in analoger Anwendung von § 59 Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. nicht verjährt ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten gilt nicht die kurze Verjährungsfrist von sechs Monaten nach § 548 Abs. 1 BGB, sondern die dreijährige Verjährungsfrist nach § 195 BGB. Bei dem Ausgleichsanspruch handelt es sich nicht um den übergegangenen Anspruch des Vermieters gegen den Mieter und auch nicht um einen Anspruch aus dem Versicherungsvertrag, der nach § 12 Abs. 1 VVG a.F. verjähren würde (so auch OLG Karlsruhe VersR 2008, 639, 641 m.w.N.). Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Gründe, die im Mietrecht die kurze Verjährungsfrist rechtfertigen, auf den Ausgleichsanspruch nicht anwendbar sind. Dieser vom Senat im Wege der Rechtsfortbildung entwickelte Ausgleichsanspruch ist in seinen Voraussetzungen und seinem Inhalt so auszugestalten, dass das mit diesem Anspruch verfolgte Ziel eines interessengerechten Ausgleichs auch erreicht wird. Würde dieser Anspruch innerhalb von sechs Monaten verjähren, wäre er praktisch bedeutungslos. Es kann nicht im Sinne der beteiligten Versicherer sein, dass innerhalb von sechs Monaten Klage erhoben oder sonstige verjährungshemmende Maßnahmen ergriffen werden, obwohl - wie gerade für Brandschäden typisch - eine ausreichende Aufklärung des Sachverhalts innerhalb dieser Zeit noch gar nicht stattgefunden haben kann. Terno                                             Seiffert                                   Wendt Dr. Kessal-Wulf                                     Felsch
http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-JURE100058246&psml=bsjrsprod.psml&max=true
Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058247
BGH
4. Zivilsenat
20100127
IV ZR 5/09
Urteil
§ 12 Abs 1 VVG, § 59 Abs 2 S 1 VVG, § 195 BGB, § 307 Abs 1 S 1 BGB, § 307 Abs 2 Nr 2 BGB, § 548 Abs 1 BGB, Nr 1.3.4.2 PrHPflVBB, § 4 Abs 1 S 6 Buchst 1 AHB
vorgehend OLG Koblenz, 5. Dezember 2008, Az: 10 U 1604/07, Urteil vorgehend LG Koblenz, 6. Dezember 2007, Az: 16 O 26/07, Urteil
DEU
Ausgleichsanspruch des Gebäudeversicherers gegen den Haftpflichtversicherer des Wohnungsmieters: Wirksamkeit des Ausschlusses der unter das Regressverzichtsabkommen fallenden Rückgriffsansprüche in den AGB des Haftpflichtversicherers; Verjährungsfrist für den Ausgleichsanspruch
Auf die Revision der Klägerin wird unter Zurückweisung der Anschlussrevision der Beklagten das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 5. Dezember 2008 aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 6. Dezember 2007 wird insgesamt zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren. Von Rechts wegen
Die Klägerin verlangt als Gebäudeversicherer von der Beklagten als Haftpflichtversicherer einer Mieterin Ersatz von ihrem Versicherungsnehmer erstatteten Aufwendungen, die durch einen in der Wohnung der Mieterin am 29. Dezember 2005 entstandenen Brand verursacht wurden. Mietsachschäden sind in die Haftpflichtversicherung eingeschlossen. Den Schaden am Hausrat der Mieterin und ihres Ehemannes hat die Beklagte als deren Hausratversicherer reguliert. Die Klägerin stützt ihren auf Ausgleich des hälftigen Zeitwertschadens gerichteten Anspruch in Höhe von 32.760,33 € auf die nach der Rechtsprechung des Senats (BGHZ 169, 86 Tz. 22 ff.; Urteil vom 18. Juni 2008 - IV ZR 108/06 - VersR 2008, 1108) entsprechend anwendbaren Grundsätze der Doppelversicherung (§ 59 Abs. 2 Satz 1 VVG a.F.). Die Beklagte meint, eine Doppelversicherung liege nicht vor. Nach Ziffer 1.3.4.2 ihrer Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen (BBR) zur Haftpflichtversicherung seien die unter den Regressverzicht nach dem Abkommen der Feuerversicherer bei übergreifenden Schadenereignissen (RVA) fallenden Rückgriffsansprüche von der Deckung ausgeschlossen. Die Voraussetzungen des Regressverzichts der Klägerin gegenüber der Mieterin nach dem Abkommen seien erfüllt, weil deren Ehemann den Schaden weder vorsätzlich noch grob fahrlässig herbeigeführt habe und die Eheleute von der Beklagten als Hausratversicherer entschädigt worden seien. Außerdem habe der Ehemann der Mieterin den Brand überhaupt nicht schuldhaft herbeigeführt. Der Anspruch sei auch gemäß § 548 Abs. 1 BGB verjährt. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 31.860,33 € nebst Zinsen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage bis auf einen Betrag von 5.614,81 € nebst Zinsen abgewiesen. Mit ihrer Revision erstrebt die Klägerin die vollständige Zurückweisung der Berufung, die Beklagte mit der Anschlussrevision die volle Abweisung der Klage.
Die Revision der Klägerin führt zur Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts. Dieses hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin einen Ausgleichsanspruch entsprechend § 59 Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. in der zuerkannten Höhe hat. Die Anschlussrevision der Beklagten hat keinen Erfolg. I. 1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Versicherungsnehmerin der Beklagten würde dem Vermieter ohne den von der Rechtsprechung angenommenen Regressverzicht auf Ersatz des durch den Brand entstandenen Schadens haften. Ein technischer Defekt als Brandursache scheide aus. Die Entstehung des Brandes sei nur so zu erklären, dass der in der Haftpflichtversicherung mitversicherte Ehemann der Mieterin die Ursache dafür durch eine brennende Kerze oder, was wahrscheinlicher sei, durch das Rauchen einer Zigarette im Bett gesetzt habe. Eine andere Ursache des Brandes scheide auch unter Berücksichtigung seiner Alkoholisierung aus. 2. Die dagegen von der Anschlussrevision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet (§ 564 Satz 1 ZPO). II. Der Ausschluss für unter das RVA fallende Rückgriffsansprüche in Ziffer 1.3.4.2 BBR steht dem Ausgleichsanspruch entsprechend den Grundsätzen der Doppelversicherung nicht entgegen. Der Senat folgt der vom Berufungsgericht (VersR 2009, 676, ebenso VersR 2009, 1656) vertretenen Ansicht nicht, nach Ziffer 1.3.4.2 BBR sei dieser Ausgleichsanspruch ausgeschlossen, weil und insoweit der Klägerin der Regress gegen die Mieterin schon durch den gegenüber dem vom Bundesgerichtshof entwickelten Regressverzicht vorrangigen Regressverzicht nach dem RVA verwehrt sei. Diese Argumentation berücksichtigt Sinn, Zweck und Auswirkung des RVA wie des Ausschlusses in Ziffer 1.3.4.2 BBR nicht hinreichend. 1. a) aa) Zweck des vom Senat entwickelten Regressverzichts ist der Schutz der Interessen des Vermieters und des Mieters (BGHZ 169, 86 Tz. 9 ff.). Der Regressverzicht soll dagegen ebenso wenig wie der Regressverzicht nach dem RVA (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 1984 - VI ZR 115/82 - VersR 1984, 325 unter II 2) dem Haftpflichtversicherer des Schädigers zugute kommen. Der vom Senat im Wege der Rechtsfortbildung geschaffene Ausgleichsanspruch (BGHZ 169, 86 Tz. 22 ff.) ist das Äquivalent dafür, dass dem Gebäudeversicherer trotz bestehenden Haftpflichtversicherungsschutzes im Interesse beider Mietvertragsparteien der Regressverzicht zugemutet wird (BGHZ aaO Tz. 9-21; Senatsurteil vom 18. Juni 2008 - IV ZR 108/06 - VersR 2008, 1108 Tz. 11). Im Ergebnis führt dieser zu einer Halbierung der Leistungspflicht des Haftpflichtversicherers. bb) Auch durch den Regressverzicht nach dem RVA wird der Mieter so behandelt, als sei sein Sachersatzinteresse in der Feuerversicherung mitversichert. Dies führt ebenso wie bei dem vom Senat entwickelten Regressverzicht bei einer Mietsachschäden deckenden Haftpflichtversicherung zu einer der Doppelversicherung strukturell vergleichbaren Interessenlage (OLG Bamberg VersR 2007, 1651, 1652; LG Köln VersR 2008, 1258 f.; Langheid in Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. § 67 Rdn. 37; Sieg, BB 1982, 900 f.; Martin, Sachversicherungsrecht 3. Aufl. J I Rdn. 11 f., 14 f.; Kohleick, Die Doppelversicherung im deutschen Versicherungsvertragsrecht S. 36 ff.). Daraus folgt, dass nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. BGHZ 169 aaO Tz. 22 ff.) dem Feuerversicherer auch wegen des Regressverzichts nach dem RVA grundsätzlich ein Ausgleichsanspruch in analoger Anwendung von § 59 Abs. 2 VVG a.F. gegen den Haftpflichtversicherer des Mieters zuzubilligen ist. Das ist das Äquivalent dafür, dass die Feuerversicherer aus sozialer Verantwortung zum Schutz der Schädiger (freiwillig) auf den Regress verzichten. b) Der Regressverzicht ist gemäß Ziffer 6 RVA in der Fassung von 2005 (Text bei Günther, Der Regress des Sachversicherers 3. Aufl. S. 30 ff.) je Schadenereignis nach unten und oben begrenzt. Er gilt nach Ziffer 6a RVA bei einem Regressschuldner für eine Regressforderung bis zu 600.000 €, jedoch nur insoweit, als die Regressforderung 150.000 € übersteigt. Bis zu diesem Betrag wird also grundsätzlich auf den Regress nicht verzichtet. Ziffer 6b RVA erweitert den Verzicht auf diesen Bereich aber unter anderem für Schäden an der Mietsache, sofern eine Haftpflichtversicherung nach den AHB keine Deckung bietet, weil der Versicherungsschutz nach § 4 I 6 a AHB, jetzt Ziffer 7.6 AHB 2008 ausgeschlossen ist. Daraus ist umgekehrt zu entnehmen, dass Regress genommen wird, wenn Haftpflichtdeckung besteht. Nach dem Zweck des RVA sollte bis zu der Untergrenze von Anfang an nicht auf einen Regress verzichtet werden, weil sich der Regressschuldner in diesem Bereich im Allgemeinen über eine Haftpflichtversicherung absichern konnte (BGH, Urteil vom 24. Januar 1984 aaO; OLG Düsseldorf VersR 1998, 966, 967; Siegel, VersR 2009, 46, 48; Essert, VersR 1981, 1111, 1112; Günther aaO S. 34; Dietz, Wohngebäudeversicherung 2. Aufl. L 5.4; Sieg aaO). Wortlaut, Systematik und Zweck des RVA, den Schädiger, nicht aber dessen Haftpflichtversicherer zu entlasten, führen deshalb zu der Auslegung, dass der Regressverzicht im Verhältnis zu einer Mietsachschäden deckenden Haftpflichtversicherung jedenfalls bis zum Betrag von 150.000 € subsidiär sein soll. 2. Der damit nach Ziffer 6b RVA vorbehaltene Regress gegen den haftpflichtversicherten Schädiger soll durch Ziffer 1.3.4.2 BBR abgewehrt und damit vom Versicherungsschutz ausgeschlossen werden. Diese Ausschlussklausel ist nach § 307 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil sie den Zweck des Haftpflichtversicherungsvertrages in einem wesentlichen Punkt gefährdet und den Mieter auch im Übrigen unangemessen benachteiligt. a) Durch Ziffer 1.3.4 Satz 1 BBR wird dem Versicherungsnehmer - abweichend von § 4 I 6 a AHB - Versicherungsschutz für die gesetzliche Haftpflicht aus der Beschädigung von Wohnräumen und sonstigen zu privaten Zwecken gemieteten Räumen in Gebäuden gewährt. Auf diesen Versicherungsschutz ist der Mieter von Wohnraum angewiesen. Leicht fahrlässig verursachte Schäden durch Brand können ein existenzgefährdendes Ausmaß erreichen. Der Einschluss von gemietete Wohnräume betreffenden Haftpflichtschäden ist deshalb längst die Regel, die Wirksamkeit eines formularmäßigen Ausschlusses wäre fraglich (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Dieser versprochene Versicherungsschutz wird durch Ziffer 1.3.4.2 BBR eingeschränkt (vgl. Siegel, r+s 2007, 498 f.). Allerdings wird nicht ein bestimmtes Risiko vom Versicherungsschutz ausgeschlossen. Vielmehr will der Haftpflichtversicherer nicht leisten, wenn der Feuerversicherer den Mieter als Quasi-Versicherungsnehmer im Wege des Regressverzichts schützt. Damit hat die Klausel die Bedeutung einer einfachen, die umfassend erteilte Leistungszusage einschränkenden Subsidiaritätsabrede. b) Die Klausel ist insbesondere in ihrer praktischen Auswirkung geeignet, den versprochenen Versicherungsschutz auszuhöhlen. aa) Durch den Leistungsausschluss in Ziffer 1.3.4.2 BBR wird der Versicherungsnehmer auf das RVA verwiesen. Dessen Text kennt er nicht. Er wird ihm laut Anmerkung zur Klausel "auf Wunsch zur Verfügung gestellt". Damit wird der Versicherungsnehmer auf ein ihm völlig unbekanntes Vertragswerk verwiesen. Welche Versicherer danach auf einen Regress verzichten, ergibt sich daraus nicht. Der sachliche Gehalt des RVA ist für den Versicherungsnehmer nur schwer zu erfassen. Die Grenzen seiner Verständnismöglichkeiten sind spätestens dann überschritten, wenn er bemerkt, dass Ziffer 6b RVA ihn wieder auf die Haftpflichtversicherung zurückverweist, eine Bestimmung, deren Bedeutung - wie der vorliegende Fall zeigt - schon für sich genommen und insbesondere im Verhältnis zu Ziffer 1.3.4.2 BBR auch von spezialisierten Versicherungsjuristen nicht erkannt wird. Es kommt hinzu, dass durch die Verweisung auf das RVA auch dessen Änderungen, die ohne Beteiligung der Parteien des Haftpflichtversicherungsvertrages vorgenommen werden, den Umfang des Versicherungsschutzes beeinflussen können (vgl. Grommelt, r+s 2007, 230, 231 f.). So sind beispielsweise seit dem 1. Januar 2010 Mietsachschäden von der Erweiterung des Regressverzichts in Ziffer 6b RVA nicht mehr umfasst (Siegel, VersR 2009, 678, 680). Eine solche Gestaltung des Versicherungsschutzes ist nicht nur intransparent, sondern auch inhaltlich unangemessen. bb) Die Verweisung des Versicherungsnehmers auf das RVA begründet ferner die praktisch erhebliche Gefahr, dass er letztlich durch keinen der beiden Versicherer den ihm zustehenden Schutz erhält. Wie die Beklagte vorgetragen hat, haben Gebäudefeuerversicherer in der Vergangenheit haftpflichtversicherte Verursacher eines Brandschadens häufig in Anspruch genommen, obwohl das RVA anwendbar gewesen sei. In solchen Fällen besteht nach Auffassung der Haftpflichtversicherer, auch der Beklagten, Anspruch auf Deckungsschutz auch nicht in Form der Anspruchsabwehr. Darüber, ob das RVA einem Regressanspruch gegen den Mieter entgegensteht, werden Feuerversicherer und Haftpflichtversicherer aber oft unterschiedlicher Meinung sein. So kann etwa darüber gestritten werden, ob der Brand auf grober Fahrlässigkeit beruht, ob er von den eigenen Sachen des Mieters ausgegangen ist oder - wie hier - ob die Subsidiaritätsklausel in der Haftpflichtversicherung wirksam ist und sich gegenüber der bereits erörterten einfachen Subsidiaritätsregelung in Ziffer 6b RVA durchsetzt. Dann steht der Mieter zwischen beiden Versicherern, muss sich auf eigene Kosten und eigenes Risiko gegen den Regressanspruch verteidigen und läuft Gefahr, bei einer Verurteilung trotz Haftpflichtversicherung keinen Freistellungsanspruch zu haben. In eine solche Lage darf ein Haftpflichtversicherer seinen Versicherungsnehmer nicht bringen (vgl. BGHZ 171, 56 Tz. 11 ff.; Senatsurteil vom 14. Februar 2007 - IV ZR 54/04 - VersR 2007, 1119 Tz. 11 ff.). Diese Gefahr, die nach den Erfahrungen des Senats nicht selten durch unberechtigte Deckungsablehnungen von Haftpflichtversicherern hervorgerufen wird, war auch ein wesentlicher Grund dafür, trotz bestehender Haftpflichtdeckung einen Regressverzicht des Gebäudeversicherers anzunehmen (BGHZ 169, 86 Tz. 17). Es ist auch nicht hinzunehmen, dass Haftpflichtversicherer und Gebäudeversicherer durch gegenseitige rechtliche Abwehrmaßnahmen den nach allgemeiner Meinung gebotenen Schutz des leicht fahrlässig handelnden Wohnungsmieters unterlaufen (vgl. BGHZ 169, 86 Tz. 8; Staudinger/Kassing, VersR 2007, 10; Looschelders, JR 2007, 424, 426; Günther, VersR 2006, 1539, 1541). cc) Die Befürchtung, dass der Versicherungsnehmer bei kollidierenden Subsidiaritätsabreden letztlich ganz ohne Versicherungsschutz bleibt, ist auch der Grund dafür, dass nach herrschender Meinung keine der beiden Subsidiaritätsklauseln eingreift mit der Folge eines Ausgleichs nach § 59 Abs. 2 VVG a.F. (Kollhosser in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 59 Rdn. 28; Staudinger/Kassing aaO S. 13 Fn. 46; Winter, VersR 1991, 527, 530 f.; Segger, VersR 2006, 38, 41; BK/Schauer, § 59 VVG Rdn. 52; Versicherungsrechts-Handbuch/Armbrüster, 2. Aufl. § 6 Rdn. 88). 3. Die Klägerin hat entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht auf die Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs verzichtet. Die Ansicht der Beklagten, ein solcher Verzicht ergebe sich aus dem Rundschreiben des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft an die Vorstände der Haftpflichtversicherer vom 28. November 1997 zur Neufassung des RVA, ist nicht richtig. Es ist schon fraglich, welche Bedeutung ein Rundschreiben des Gesamtverbandes überhaupt für die Auslegung des RVA haben soll. Überdies kann dieses Rundschreiben den Ausgleichsanspruch analog § 59 Abs. 2 VVG a.F. gar nicht erfassen, weil seinerzeit niemand an einen solchen Ausgleichsanspruch gedacht hat. Der Senat hatte es früher abgelehnt, in eine sogenannte reine Sachversicherung ein Haftpflichtinteresse einzubeziehen (Urteil vom 23. Januar 1991 - IV ZR 284/89 - VersR 1991, 462 unter I). Abgesehen davon geht es hier nicht um das RVA in der Fassung von 1998. III. Zu den von der Beklagten geltend gemachten Risikoausschlüssen für Schäden an einzelnen Gegenständen nach Ziffer 1.3.4.1.b und 1.3.4.1.c BBR brauchte das Berufungsgericht keine Stellung zu nehmen. Insoweit greifen die Berufungsangriffe der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts nicht durch. Die Klägerin hat in der Berufungserwiderung zutreffend darauf hingewiesen, dass die Beklagte in erster Instanz nicht konkret dargelegt hatte, welche Punkte der Schadenaufstellung den jeweiligen Ausschlüssen in welchem Umfang zuzuordnen sind. Die Revisionserwiderung kommt darauf auch nicht mehr zurück. IV. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass der Ausgleichsanspruch in analoger Anwendung von § 59 Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. nicht verjährt ist. Entgegen der Auffassung der Anschlussrevision gilt nicht die kurze Verjährungsfrist von sechs Monaten nach § 548 Abs. 1 BGB, sondern die dreijährige Verjährungsfrist nach § 195 BGB. Bei dem Ausgleichsanspruch handelt es sich nicht um den übergegangenen Anspruch des Vermieters gegen den Mieter und auch nicht um einen Anspruch aus dem Versicherungsvertrag, der nach § 12 Abs. 1 VVG a.F. verjähren würde (so auch OLG Karlsruhe VersR 2008, 639, 641 m.w.N.). Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Gründe, die im Mietrecht die kurze Verjährungsfrist rechtfertigen, auf den Ausgleichsanspruch nicht anwendbar sind. Dieser vom Senat im Wege der Rechtsfortbildung entwickelte Ausgleichsanspruch ist in seinen Voraussetzungen und seinem Inhalt so auszugestalten, dass das mit diesem Anspruch verfolgte Ziel eines interessengerechten Ausgleichs auch erreicht wird. Würde dieser Anspruch innerhalb von sechs Monaten verjähren, wäre er praktisch bedeutungslos. Es kann nicht im Sinne der beteiligten Versicherer sein, dass innerhalb von sechs Monaten Klage erhoben oder sonstige verjährungshemmende Maßnahmen ergriffen werden, obwohl - wie gerade für Brandschäden typisch - eine ausreichende Aufklärung des Sachverhalts innerhalb dieser Zeit noch gar nicht stattgefunden haben kann. Terno                                                  Seiffert                                    Wendt Dr. Kessal-Wulf                                       Felsch
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JURE100058249
BGH
9. Zivilsenat
20100218
IX ZA 39/09
Beschluss
§ 290 Abs 1 Nr 1 InsO, § 290 Abs 1 Nr 2 InsO, § 290 Abs 1 Nr 3 InsO, § 290 Abs 1 Nr 4 InsO, § 290 Abs 1 Nr 5 InsO, § 290 Abs 1 Nr 6 InsO
vorgehend LG Duisburg, 5. November 2009, Az: 7 T 177/09, Beschluss vorgehend AG Duisburg, 24. Juni 2009, Az: 60 IK 38/09
DEU
Restschuldbefreiung: Rechtsschutzbedürfnis für einen erneuten Restschuldbefreiungsantrag innerhalb von drei Jahren nach Versagung der Restschuldbefreiung in einem früheren Verfahren; Versagung der Verfahrenskostenstundung ohne vorhergehende Restschuldbefreiungsversagung
Der Antrag der Schuldnerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 5. November 2009 wird abgelehnt.
I. Auf einen Eröffnungsantrag der Schuldnerin vom Oktober 2007 lehnte das Insolvenzgericht mit Beschluss vom 18. Juni 2008 die Stundung der Verfahrenskosten ab, weil ein zweifelsfreier Grund für die Versagung der Restschuldbefreiung vorlag. Der Antrag auf Verfahrenseröffnung wurde mangels Masse abgewiesen. Der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO lag vor, weil die Schuldnerin in ihrem Insolvenzantrag ein Girokonto und eine Rentenversicherung nicht angegeben hatte. Am 2. März 2009 hat die Schuldnerin erneut Stundung der Verfahrenskosten, Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen und Erteilung der Restschuldbefreiung beantragt. Diese Anträge hat das Insolvenzgericht mit Beschluss vom 24. Juni 2009 zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde ist erfolglos geblieben. Die Schuldnerin beabsichtigt, sich gegen den Beschluss des Beschwerdegerichts vom 5. November 2009 mit der Rechtsbeschwerde zu wenden, für die sie um Prozesskostenhilfe nachsucht. II. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, die Rechtsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg (§ 4 InsO, § 114 ZPO). Das hat der Senat für die vorliegende Konstellation bereits entschieden (BGH, Beschl. v. 11. Februar 2010 - IX ZA 45/09 z.V.b.). Die beabsichtigte Rechtsbeschwerde (§§ 6, 7 Abs. 1, § 4d Abs. 1, § 34 Abs. 1 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) wäre unzulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). 1. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass einem Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn er innerhalb von drei Jahren nach rechtskräftiger Versagung der Restschuldbefreiung in einem früheren Verfahren wegen einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verletzung seiner Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten einen erneuten Antrag auf Restschuldbefreiung stellt (BGH, Beschl. v. 16. Juli 2009 - IX ZB 219/08, ZInsO 2009, 1777, 1778 Rn. 8 z.V.b. in BGHZ). Nach einer weiteren Entscheidung vom 21. Januar 2010 (IX ZB 174/09) gilt die dreijährige Sperrfrist, die ab Erlass der Entscheidung über den Eröffnungsantrag zu laufen beginnt, auch dann, wenn der Schuldner es im Eröffnungsverfahren versäumt hat, auf einen Hinweis des Gerichts rechtzeitig einen eigenen Insolvenzantrag verbunden mit einem Antrag auf Restschuldbefreiung zu stellen. 2. Nach diesen Grundsätzen ist der erneut gestellte Eigenantrag nebst Antrag aus Verfahrenskostenstundung und Restschuldbefreiung unzulässig. Steht schon im Eröffnungsverfahren oder im eröffneten Verfahren zweifelsfrei fest, dass dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen ist, so kann nach ständiger Rechtsprechung (BGH, Beschl. v. 16. Dezember 2004 - IX ZB 72/03, ZInsO 2005, 207, 208; v. 27. Januar 2005 - IX ZB 270/03, ZInsO 2005, 265; v. 15. November 2007 - IX ZB 74/07, ZInsO 2008, 111, 112 Rn. 18) die Stundung der Verfahrenskosten versagt oder aufgehoben werden, ohne dass es auf die vorhergehende Versagung der Restschuldbefreiung ankommt. Diese Aufhebung beruht auf der Unredlichkeit des Schuldners. Die planwidrige Regelungslücke, von der der Senat für das eröffnete Verfahren ausgegangen ist, wenn dem Schuldner die Restschuldbefreiung in einem früheren Verfahren im Schlusstermin versagt werden musste (BGH, Beschl. v. 16. Juli 2009 aaO S. 1779 f Rn. 14 ff), besteht auch hier. Um zu verhindern, dass der im Erstverfahren festgestellte Versagungsgrund sanktionslos bleibt, darf der Schuldner nicht die Möglichkeit haben, sofort wieder einen Antrag auf Restschuldbefreiung zu stellen. Entsprechend dem Grundgedanken des Vorschlags in dem "Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Entschuldung mittelloser Personen, zur Stärkung der Gläubigerrechte sowie zur Regelung der Insolvenzfestigkeit von Lizenzen" vom 22. August 2007 (abgedruckt als Beilage 2 zu ZVI Heft 8/2007), mit dem der Versagungstatbestand des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO erweitert werden sollte (vgl. BGH, Beschl. v. 16. Juli 2009 aaO S. 1779 f Rn. 16), soll der Schuldner das aufwändige und kostenträchtige Verfahren auch dann nicht sofort wieder in Anspruch nehmen können, wenn es aufgrund seines Fehlverhaltens schon in einem vorausgegangenen Verfahren zur Stundungsversagung gekommen ist. Auch hier besteht eine dreijährige Sperrfrist für einen erneuten Antrag, deren Lauf mit Rechtskraft der Entscheidung über die Ablehnung der Verfahrenskostenstundung in dem früheren Verfahren beginnt. 3. Dem steht nicht entgegen, dass es hierfür einer doppelten Analogie, nämlich der Anwendung aller Versagungsgründe des § 290 Abs. 1 Nr. 1-6 InsO im Eröffnungsverfahren auf die Entscheidung über die Verfahrenskostenstundung und der entsprechenden Anwendung des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO nach Maßgabe der Vorschläge des Regierungsentwurfs eines Entschuldungsgesetzes bedarf. Die entsprechende Anwendung aller Versagungsgründe im Eröffnungsverfahren ist - wie oben bereits ausgeführt - im Fall deren zweifelsfreien Vorliegens schon seit langem anerkannt. Anlass, von dieser Rechtsprechung abzugehen oder sie einzuschränken, besteht nicht. Vielmehr ist es zur Sicherung einer maßvollen Inanspruchnahme des zeit- und kostenaufwändigen Restschuldbefreiungsverfahrens geboten, auch bei schon vor Verfahrenseröffnung zweifelsfrei festgestellten Verstößen die übermäßige Inanspruchnahme des Verfahrens zu verhindern. Andere Abgrenzungskriterien haben sich als nicht tragfähig erwiesen (vgl. BGH, Beschl. v. 16. Juli 2009 aaO S. 1780 Rn. 18). In Betracht kommt nur eine zeitlich begrenzte Sperrfrist. Insoweit hält der Senat außerhalb des Anwendungsbereichs des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO einen Zeitabstand von drei Jahren für angemessen (vgl. § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO, hierzu BGH, Beschl. v. 16. Juli 2009 aaO S. 1779 f Rn. 16). Eine übermäßige Beeinträchtigung des Schuldners ist damit nicht verbunden. Auch dies ergibt sich aus der Rechtsprechung des Senats. Ganter                              Vill                          Lohmann Fischer                       Pape
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058250
BGH
9. Zivilsenat
20100121
IX ZB 164/09
Beschluss
§ 233 ZPO, § 238 Abs 2 ZPO, § 574 Abs 2 ZPO, § 290 Abs 1 Nr 6 InsO, § 305 Abs 1 Nr 3 InsO
vorgehend LG Osnabrück, 22. April 2009, Az: 5 T 269/09, Beschluss vorgehend AG Nordhorn, 16. März 2009, Az: 7 IK 89/07, Beschluss vorgehend AG Nordhorn, 28. Oktober 2008, Az: 7 IK 89/07, Beschluss
DEU
Insolvenzrecht: Befugnis zur Beantragung der Versagung der Restschuldbefreiung; Rechtsbeschwerde wegen unzulässiger Versagung der Wiedereinsetzung im Beschwerdeverfahren
Dem weiteren Beteiligten zu 2 wird wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 22. April 2009 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt. Auf die Rechtsmittel des weiteren Beteiligten zu 2 werden der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 22. April 2009 und der Beschluss des Amtsgerichts Nordhorn vom 16. März 2009 aufgehoben. Dem weiteren Beteiligten zu 2 wird wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Nordhorn vom 28. Oktober 2008 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt. Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren sind nicht zu erheben. Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.
I. Der weitere Beteiligte zu 2 (fortan nur noch: Beteiligter) hat gegen die Insolvenzschuldnerin eine zur Tabelle festgestellte Forderung von 74.153,23 €. Im Schlusstermin am 17. September 2008 hat er einen Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung gestellt. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Schuldnerin habe im Gläubiger- und Forderungsverzeichnis gemäß § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO drei Gläubiger nicht angegeben. Tatsächlich hat jedenfalls ein Gläubiger eine Forderung von 14.291,57 € erfolgreich zur Tabelle angemeldet, den die Schuldnerin nicht benannt hatte. Mit Beschluss vom 28. Oktober 2008, dem Beteiligten zugestellt am 31. Oktober 2008, hat das Insolvenzgericht den Versagungsantrag abgelehnt. Das Insolvenzgericht hat dabei angenommen, der Beteiligte könne seinen Versagungsantrag mangels Antragsbefugnis nicht auf die Lücke im Forderungsverzeichnis stützen, weil die Schuldnerin nicht seine, sondern eine für ihn fremde Forderung verschwiegen habe. Mit gesondertem Beschluss vom 30. Oktober 2008 hat das Insolvenzgericht der Schuldnerin Restschuldbefreiung angekündigt Gegen den Beschluss vom 28. Oktober 2008 hat der Beteiligte am 16. November 2008 "Einspruch, Beschwerde, Widerspruch" eingelegt, Prozesskostenhilfe und hilfsweise Wiedereinsetzung beantragt. Mit Beschluss vom 10. Dezember 2008 hat das Insolvenzgericht zunächst den Antrag auf Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg. Durch Beschluss vom 16. März 2009 hat das Insolvenzgericht auch den Wiedereinsetzungsantrag des Beteiligten abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, wenn der Beteiligte Zweifel hinsichtlich der Dauer der Beschwerdefrist gehabt habe, hätte er sich rechtzeitig erkundigen müssen. Gegen diesen am 19. März 2009 zugestellten Beschluss hat der Beteiligte am 1. April 2009 ein weiteres Rechtsmittel (sofortige Beschwerde) eingelegt. Zur Begründung hat er - unterlegt durch eigene eidesstattliche Versicherung - vorgetragen, der zuständige Rechtspfleger des Insolvenzgerichts habe auf telefonisches Befragen jede Auskunft über das richtige Rechtsmittel gegen den Beschluss vom 28. Oktober 2008 und die hierbei einzuhaltenden Fristen unter Hinweis auf seine Neutralitätspflicht verweigert und ihn an einen Rechtsanwalt verwiesen. Sein Rechtsanwalt habe die Beratung von einer vorherigen Bewilligung der Prozesskostenhilfe abhängig gemacht. Ein ausgiebiges Studium des Textes der Insolvenzordnung habe ihm, dem Beteiligten, keinen Aufschluss gegeben. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde mit Beschluss vom 22. April 2009 zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss richtet sich - nachdem der Senat hierfür Prozesskostenhilfe bewilligt hat - die Rechtsbeschwerde des Beteiligten, mit der er seinen Wiedereinsetzungsantrag in die Frist für die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Insolvenzgerichts vom 28. Oktober 2008 weiter verfolgt. Eine Sachentscheidung über die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Versagungsantrags hat das Landgericht noch nicht getroffen. II. Dem Beteiligten ist wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§§ 233, 234 Abs. 2, § 577 Abs. 4 ZPO). Die Fristversäumung ist unverschuldet (§ 233 ZPO), weil der Beteiligte wegen seiner Mittellosigkeit außerstande war, durch die Beauftragung eines beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts die Einlegungs- und Begründungsfrist einzuhalten. Die Wiedereinsetzungsfrist ist gewahrt. Nach Zustellung des Senatsbeschlusses über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe am 15. Juli 2009 hat der Schuldner die Rechtsbeschwerde, verbunden mit einem Wiedereinsetzungsantrag, innerhalb der gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2, § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO einmonatigen Frist am 22. Juli 2009 eingelegt und am 14. August 2009 begründet. III. 1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. a) Gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind auf die Anfechtung einer Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Diese Vorschrift ist - wie alle übrigen Vorschriften der Zivilprozessordnung zur Wiedereinsetzung - gemäß § 4 InsO auf das Insolvenzverfahren entsprechend anzuwenden. Die nachgeholte Prozesshandlung im Sinne des § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO war die sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung des Versagungsantrags, die gemäß § 6, § 289 Abs. 2 Satz 1 InsO statthaft ist. Gegen die Entscheidung über eine solche sofortige Beschwerde ist gemäß § 7 InsO die Rechtsbeschwerde statthaft. Wendet sich der Beschwerdeführer nicht nur gegen die Verwerfung der Erstbeschwerde gegen die Sachentscheidung, sondern zugleich auch gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung, findet dagegen das einheitliche Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde statt (vgl. BGH, Beschl. v. 19. Januar 2006 - IX ZA 26/05, NZI 2006, 544; MünchKomm-InsO/Ganter, 2. Aufl. § 7 Rn. 27; HK-InsO/Kirchhof, 5. Aufl. § 7 Rn. 8). Ist - wie im vorliegenden Fall - die Hauptsacheentscheidung noch nicht ergangen, kann die Entscheidung über die Wiedereinsetzung allerdings nicht mit dieser zusammen angefochten werden. Dies hat jedoch nicht die Unstatthaftigkeit der lediglich gegen die Versagung der Wiedereinsetzung gerichteten Rechtsbeschwerde zur Folge. Die dem Gericht durch § 238 Abs. 1 Satz 2 ZPO eröffnete Möglichkeit, das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung von dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu trennen, kann - falls die Wiedereinsetzung versagt wird - dem Antragsteller das sonst gegebene Rechtsmittel nicht nehmen. Mit der Verfahrenstrennung wird bezweckt, die Zulässigkeit der nachgeholten Prozesshandlung vorab einer Klärung zuzuführen. Dann muss diese Vorfrage aber auch endgültig - das heißt unter Ausschöpfung des Rechtsmittelzuges - geklärt werden können. § 238 Abs. 3 ZPO steht nicht entgegen, weil diese Vorschrift nur die Gewährung der Wiedereinsetzung betrifft, nicht ihre Versagung. Es ist dem Antragsteller auch nicht zuzumuten, die Hauptsacheentscheidung, die ihm zwangsläufig nachteilig sein muss, abzuwarten. b) Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde wird nicht dadurch berührt, dass im vorliegenden Fall das Landgericht bereits über das Rechtsmittel des Beteiligten gegen die Zurückweisung seines Wiedereinsetzungsantrags entschieden hat, statt eine Erstentscheidung zu treffen. Gegen die Zurückweisung eines im Verfahren der sofortigen Beschwerde nach §§ 6, 289 Abs. 2 Satz 1 InsO gestellten Wiedereinsetzungsantrags ist die Rechtsbeschwerde gegeben. Rechtsbeschwerdegericht ist gemäß § 133 GVG ausschließlich der Bundesgerichtshof. Folglich ist alleine er berufen, über das Rechtsmittel des Beteiligten zu entscheiden. Der Zugang zu diesem gesetzlich bestimmten Gericht kann dem Beteiligten nicht dadurch entzogen werden (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), dass sich eines der Instanzgerichte die Kompetenz anmaßt, über ein Rechtsmittel gegen seine eigene Entscheidung zu befinden. Im vorliegenden Fall hat das Insolvenzgericht unbefugt selbst über den Wiedereinsetzungsantrag entschieden. Gemäß § 4 InsO, § 237 ZPO ist dies Sache desjenigen Gerichts, dem die Entscheidung über die nachgeholte Prozesshandlung zusteht. Über die nachgeholte Prozesshandlung, mithin die sofortige Beschwerde gemäß §§ 6, 289 Abs. 2 Satz 1 InsO, hat nach § 4 InsO, § 572 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 ZPO, § 72 Abs. 1 GVG das Landgericht als Beschwerdegericht zu befinden. Folglich war es hier auch für die (Erst-)Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag zuständig (Zöller/Greger, ZPO 27. Aufl. § 237 Rn. 1; Hk-ZPO/Saenger, 3. Aufl. § 237 Rn. 2; MünchKomm-ZPO/Gehrlein, 3. Aufl., § 237 Rn. 2; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO 30. Aufl. § 237 Rn. 1; Gerken in Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl. § 237 Rn. 1; Stein/Jonas/Roth, ZPO 22. Aufl. § 237 Rn. 2). Die dem Insolvenzgericht gemäß § 572 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 ZPO eröffnete Abhilfemöglichkeit ändert hieran nichts (so aber wohl Musielak/Grandel, ZPO 7. Aufl. § 237 Rn. 1 und Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO 67. Aufl. § 237 Rn. 3). Aus ihr folgt lediglich die Befugnis, dem Wiedereinsetzungsgesuch stattzugeben (OLG Koblenz NJW-RR 2002, 1219, 1220; OLG Brandenburg OLG-NL 2005, 208; OLG Stuttgart FamRZ 2008, 2133 f). c) Die Rechtsbeschwerde ist auch gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist erforderlich, weil die Beschlüsse des Insolvenzgerichts vom 16. März 2009 und des Landgerichts vom 22. April 2009 den Beteiligten in seinem Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzen. 2. Die Rechtsbeschwerde ist überdies begründet. Dem Beteiligten ist die Wiedereinsetzung in die Frist der sofortigen Beschwerde gegen die Ablehnung seines Versagungsantrags durch den Beschluss des Insolvenzgerichts vom 28. Oktober 2008 zu gewähren. Die gegenteiligen Entscheidungen der Instanzgerichte haben den Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör verletzt, weil ihm der Zugang zur Beschwerdeinstanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert worden ist (vgl. BVerfGE 77, 275, 284; BVerfG NJW 2003, 281; NJW 2005, 657, 658; 1931, 1932; NZA 2009, 509, 510; BGHZ 151, 221, 227 f; BGH, Beschl. v. 20. Februar 2003 - V ZB 60/02, NJW-RR 2003, 861 f; v. 30. April 2003 - V ZB 71/02, NJW 2003, 2388). Davon ist im Allgemeinen insbesondere dann auszugehen, wenn bei der Auslegung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung die Anforderungen überspannt werden (BGH, Beschl. v. 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 368; Hk-ZPO/Kayser, aaO § 543 Rn. 38; Musielak/Ball, aaO § 543 Rn. 9g). Das war hier der Fall. Wer ein Rechtsmittel gegen eine gerichtliche Entscheidung einlegen möchte, ist allerdings grundsätzlich auch dann alleine für die Einhaltung der förmlichen Anforderungen verantwortlich, wenn er keine juristische Vorbildung hat. Auch ein Verfahrensbeteiligter, dem - mangels hinreichender Mittel - die Einholung von anwaltlichem Rechtsrat verschlossen ist, kann sich in zumutbarer Weise die erforderlichen Kenntnisse verschaffen, indem er sich bei dem Gericht, das die anzufechtende Entscheidung erlassen hat, nach den Rechtsmittelmöglichkeiten und -erfordernissen erkundigt (BVerfGE 93, 99, 109). Gerade wegen letztgenannter Möglichkeit, die üblicherweise durch die Geschäftsstellen des jeweiligen Spruchkörpers und durch die Rechtsantragsstellen der Amts- oder Landgerichte geboten wird, können Verfahrensbeteiligte die Versäumung einer Rechtsmittelfrist regelmäßig nicht mit Unkenntnis von den förmlichen Voraussetzungen entschuldigen (BGH, Beschl. v. 14. November 1990 - XII ZB 131/90, BGHR ZPO § 233 Verschulden 7; v. 30. September 1992 - XII ZB 92/92, FamRZ 1993, 310; v. 19. März 1997 - XII ZB 139/96, NJW 1997, 1989; OLG Köln ZIP 1999, 1850, 1851; ZIP 2000, 280, 282; OLG Saarbrücken OLGR 2001, 392). Im vorliegenden Verfahren hat der Beteiligte vergeblich versucht, vom Insolvenzgericht Auskunft zu erhalten, welches Rechtsmittel er innerhalb welcher Frist gegen den Beschluss vom 28. Oktober 2008 einlegen könne. Dort ist er an einen mit der Angelegenheit anscheinend schon zuvor befassten Rechtspfleger verwiesen worden, der eine Auskunft zu dieser Frage nicht gegeben hat. Diesen Vorgang hat der Beteiligte durch seine eidesstattlichen Versicherungen vom 2. April und 19. Mai 2009 hinreichend glaubhaft gemacht. Seine umfangreiche Schilderung ist lebensnah, frei von Widersprüchen und unsachlichen Angriffen. Der Senat kann dies selbst überprüfen. Das Revisions- oder Rechtsbeschwerdegericht ist bei der Anwendung der §§ 233 ff ZPO nicht an die Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen gebunden, sondern zur selbstständigen Würdigung der Beweislage berufen (BGHZ 4, 389, 395 f; BGH, Beschl. v. 18. März 1992 - IV ZR 101/91, NJW 1992, 1898, 1899; Gerken in Wieczorek/Schütze, aaO § 238 Rn. 11 m.w.N.). Soweit sich die eidesstattlichen Versicherungen des Beteiligten und die vom Senat eingeholte dienstliche Stellungnahme des zuständigen Rechtspflegers teilweise voneinander unterscheiden, sind diese Widersprüche nicht entscheidend. Auch wenn der Rechtspfleger die erbetene Auskunft nicht, wie der Beteiligte angibt, mit dem Hinweis auf seine Neutralitätspflicht abgelehnt haben sollte, sondern wegen eigener Unkenntnis, hätte er den Beteiligten entweder unaufgefordert an eine Stelle vermitteln müssen, die über entsprechende Kenntnisse verfügte, oder den Beteiligten bitten müssen, sich einige Zeit später noch einmal zu melden, und sich die Kenntnisse bis dahin selbst verschaffen müssen. Der Beteiligte konnte sich über die Förmlichkeiten des in Aussicht genommenen Rechtsmittels auch nicht anderweitig kundig machen. Der Treuhänder hat trotz mehrfacher Bitte keinen Kontakt zu ihm aufgenommen. Ein um Auskunft gebetener Rechtsanwalt hat der Bitte um Beratung erst nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe nachkommen wollen. Diese aber haben Insolvenz- und Beschwerdegericht mit der vorgenannten Begründung verweigert. Der Beteiligte war bei unter diesen Umständen auf sich allein gestellt. Da es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass er über eine juristische Ausbildung verfügt, durfte das Insolvenzgericht nicht - wie im Nichtabhilfebeschluss vom 6. April 2009 geschehen - davon ausgehen, er könne die einschlägigen Regelungen in den Texten der Insolvenzordnung und der Zivilprozessordnung ohne Hilfe selbst finden. IV. Zunächst wird nunmehr das Insolvenzgericht darüber zu entscheiden haben, ob es der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss vom 28. Oktober 2008 abhilft. Die Begründung jenes Beschlusses vermag die Ablehnung des Versagungsantrags nicht zu rechtfertigen. Gibt der Schuldner im Forderungsverzeichnis gemäß § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO eine Forderung nicht an, ist nicht nur der Inhaber der nicht angegebenen Forderung, sondern auch jeder andere Insolvenzgläubiger befugt, einen Versagungsantrag gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO zu stellen (BGH, Beschl. v. 22. Februar 2007 - IX ZB 120/05, NZI 2007, 357 Rn. 3). Die Schuldnerin hat zumindest eine Forderung im Forderungsverzeichnis nicht angegeben. Der vom Treuhänder hervorgehobene Umstand, dass die betreffende Gläubigerin ihre Forderung nach Verfahrenseröffnung alsbald selbst anmeldete, vermag die Schuldnerin nicht zu entlasten. Entlastend hätte allenfalls eine Berichtigung durch die Schuldnerin selbst noch vor jener Anmeldung wirken können (vgl. BGH, Beschl. v. 17. September 2009 - IX ZB 284/08, NZI 2009, 777 Rn. 11). Das Insolvenzgericht wird daher nunmehr in eigener tatrichterlicher Würdigung darüber zu entscheiden haben, ob der Schuldnerin hinsichtlich der Lücke im Forderungsverzeichnis Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit anzulasten ist. Ganter                                  Raebel                             Vill Lohmann                                Pape
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058251
BGH
1. Zivilsenat
20100121
I ZB 74/08
Beschluss
§ 139 ZPO, § 295 Abs 1 ZPO, § 900 Abs 4 ZPO, § 185i GVollzGA
vorgehend LG Stuttgart, 5. September 2008, Az: 19 T 234/08, Beschluss vorgehend AG Nürtingen, 3. April 2008, Az: 33 M 1730/07
DEU
Eidesstattliche Versicherung: Heilung eines Ladungsmangels mangels Rüge; Pflicht des Gerichtsvollziehers zum Hinweis auf die Rechtsfolgen des Unterlassens der Rüge
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 19. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 5. September 2008 wird auf Kosten der Schuldnerin zurückgewiesen. Gegenstandswert: 1.500 €.
I. Die Gläubigerin, die K., betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung aus einer notariellen Urkunde. In Ziffer 1 dieser Urkunde hat der Sicherungsgeber, eine Handelsgesellschaft mbH, „zugunsten der K. in Kö. - nachstehend die Gläubigerin genannt“ auf dem Pfandobjekt eine brieflose Grundschuld in Höhe von 130.000 € bestellt, die mit 15% jährlich zu verzinsen ist. In Ziffer 3 der Urkunde hat die Schuldnerin als Darlehensnehmerin die persönliche Haftung übernommen und sich wie folgt der sofortigen Zwangsvollstreckung in ihr gesamtes Vermögen unterworfen: Für die Zahlung eines Geldbetrages, dessen Höhe der bewilligten Grundschuld (Kapital, Zinsen und die sonstige Nebenleistung) entspricht, übernimmt der Darlehensnehmer [hier ist der Name der Schuldnerin eingetragen] - mehrere Personen als Gesamtschuldner - die persönliche Haftung , aus der er/sie ohne vorherige Zwangsvollstreckung in das belastete Pfandobjekt in Anspruch genommen werden kann/können. Er/sie unterwirft sich wegen dieser persönlichen Haftung der Gläubigerin gegenüber der sofortigen Zwangsvollstreckung aus dieser Urkunde in das gesamte Vermögen . Die Gläubigerin kann die persönliche Haftung unabhängig von der Eintragung der Grundschuld und ohne vorherige Zwangsvollstreckung in das belastete Pfandobjekt geltend machen. Die zugunsten der Gläubigerin zunächst eingetragene Grundschuld ist nach einer entsprechenden Bewilligung der Gläubigerin später wieder gelöscht worden. Auf Antrag der Gläubigerin hat der Gerichtsvollzieher die Schuldnerin „in der Zwangsvollstreckungssache K.“ zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung geladen. In dem Termin hat die Schuldnerin durch ihre als Terminsvertreterin erschienene Mutter die Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung mit der Begründung bestritten, dass eine Vollstreckungsgegenklage anhängig und über diese noch nicht entschieden sei. Das Amtsgericht hat den Widerspruch verworfen. Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer (zugelassenen) Rechtsbeschwerde erstrebt die Schuldnerin die Zurückweisung des Antrags der Gläubigerin auf Abnahme der eidesstattlichen Versicherung. II. Die Rechtsbeschwerde ist aufgrund ihrer Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft (vgl. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig. In der Sache hat sie keinen Erfolg. 1. Die Rechtsbeschwerde macht ohne Erfolg geltend, das Beschwerdegericht habe übersehen, dass es bereits an einer ordnungsgemäßen Ladung der Schuldnerin fehle. a) Die Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung in einem vom Gerichtsvollzieher bestimmten Termin setzt allerdings eine ordnungsgemäße Ladung zu diesem Termin voraus. Entspricht die Ladung nicht den gesetzlichen Anforderungen, ist sie unwirksam (vgl. Musielak/Stadler, ZPO, 7. Aufl., § 214 Rdn. 7; Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 214 Rdn. 3). Ist die Ladung unwirksam, fehlt eine der besonderen Voraussetzungen für die Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung. b) Die Rechtsbeschwerde rügt ohne Erfolg, die bloße Angabe „Zwangsvollstreckungssache K.“ habe den an eine ordnungsgemäße Ladung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu stellenden Anforderungen nicht entsprochen, weil die Ladung den Vollstreckungstitel nicht genannt habe. Es kann dahinstehen, ob eine ordnungsgemäße Ladung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zwingend die Nennung des Vollstreckungstitels erfordert (so wohl Musielak/Voit aaO § 900 Rdn. 12; a.A. Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl. § 900 Rdn. 35, der die Angabe des Schuldtitels lediglich für zweckmäßig, nicht aber für zwingend erforderlich hält). Die Rüge der Rechtsbeschwerde dürfte im Streitfall schon deshalb nicht durchgreifen, weil der Schuldnerin auch ohne ausdrückliche Angabe des Schuldtitels bekannt sein musste, wegen welcher Forderung der K. der Gerichtsvollzieher sie zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung geladen hatte. Die Schuldnerin hat nicht behauptet, sie habe - beispielsweise deshalb, weil noch weitere Schuldtitel der K. gegen sie be-standen hätten - nicht gewusst, welcher Vollstreckungstitel der Ladung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu Grunde liegt. Das kann letztlich aber offenbleiben. Die Verletzung einer das Verfahren betreffenden Vorschrift kann nach § 295 Abs. 1 ZPO nicht mehr gerügt werden, wenn die Partei bei der nächsten mündlichen Verhandlung, die aufgrund des betreffenden Verfahrens stattgefunden hat, den Mangel nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen war und ihr der Mangel bekannt war oder bekannt sein musste. In entsprechender Anwendung dieser Vorschrift wird auch ein Mangel der Ladung zum Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung - wie jeder Ladungsmangel - geheilt, wenn der Schuldner oder sein Vertreter im Termin erscheint und den bekannten oder erkennbaren Mangel nicht rügt (vgl. Musielak/Voit aaO § 900 Rdn. 12; Musielak/Stadler aaO § 214 Rdn. 7; Zöller/Stöber aaO § 214 Rdn. 3). Die Schuldnerin hat erst nach dem Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung über ihren Rechtsanwalt geltend gemacht, sie sei zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nicht ordnungsgemäß geladen worden. Diese Rüge ist entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde verspätet. Im Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung hat die Schuldnerin durch ihre als Terminsvertreterin erschienene Mutter nicht geltend gemacht, die Ladung sei mangels Angabe des Vollstreckungstitels unwirksam. Damit ist ein insoweit möglicherweise bestehender Mangel der Ladung geheilt. Dem steht nicht entgegen, dass der Gerichtsvollzieher auf die Folgen des Unterlassens einer Rüge nicht hingewiesen hat. Die Schuldnerin war im Termin zwar nicht rechtskundig vertreten. Das Gericht ist im Anwendungsbereich des § 295 ZPO aber allenfalls dann nach § 139 ZPO verpflichtet, eine Partei auf die Folgen hinzuweisen, wenn die Partei anderenfalls in unzumutbarer Weise durch die Entscheidung des Gerichts überrascht würde (vgl. BGH, Urt. v. 14.11.1957 - II ZR 151/56, NJW 1958, 104; Zöller/Greger aaO § 295 Rdn. 9). Dafür ist im Streitfall nichts ersichtlich. Die Schuldnerin hat im Übrigen selbst nicht behauptet, sie habe darauf vertraut, den ihrer Ansicht nach bestehenden Ladungsmangel auch noch nach dem Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung rügen zu können. 2. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die K. sei als Gläubigerin im Sinne von Ziffer 3 der notariellen Urkunde auch nach dem Erlöschen der Grundschuld berechtigt, gegen die Schuldnerin aus der persönlichen Haftungsübernahme die sofortige Zwangsvollstreckung zu betreiben. Die Rechtsbeschwerde macht demgegenüber geltend, daraus, dass die K. in Ziffer 1 der notariellen Urkunde ausschließlich im Zusammenhang mit der Grundschuldbestellung als Gläubigerin bezeichnet sei, folge, dass der in Ziffer 3 der notariellen Urkunde verwendete Begriff der Gläubigerin gleichfalls allein auf deren Eigenschaft als Grundschuldgläubigerin abhebe. Sie macht weiter geltend, aus der Formulierung in Ziffer 3 der notariellen Urkunde, die Gläubigerin könne die persönliche Haftung „unabhängig von der Eintragung der Grundschuld“ geltend machen, ergebe sich, dass diese Klausel allein den Zweck habe, die Gläubigerin für den Fall, dass die Bestellung der Grundschuld scheitere, davor zu bewahren, dass sie letztlich mit leeren Händen dastehe. Damit dringt die Rechtsbeschwerde nicht durch. Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen, ob Ziffer 3 der notariellen Urkunde dahin auszulegen ist, dass die Schuldnerin die persönliche Haftung nur gegenüber dem jeweiligen Grundschuldgläubiger übernommen und sich auch nur insoweit der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hat, und ob Ziffer 3 der notariellen Urkunde dahin zu verstehen ist, dass die persönliche Haftung und die Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung entfallen, wenn die Gläubigerin freiwillig auf eine stärkere Sicherung durch die Grundschuld verzichtet, betreffen den titulierten Anspruch. Mit dem Widerspruch gegen die Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 900 Abs. 4 Satz 1 ZPO können solche Einwendungen nicht mit Erfolg geltend gemacht werden (vgl. Zöller/Stöber aaO § 900 Rdn. 25). Bornkamm                                    Büscher                               Schaffert Kirchhoff                                  Koch
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058259
BGH
4. Strafsenat
20100128
4 StR 622/09
Beschluss
§ 21e Abs 3 S 1 GVG, § 338 Nr 1 StPO, Art 101 Abs 1 S 2 GG
vorgehend LG Essen, 17. August 2009, Az: 26 KLs 42/09 - 71 Js 448/08, Urteil
DEU
Grundsatz des gesetzlichen Richters: Bestimmung eines Richters als so genannter Sondervertreter in einer Strafkammer
1. Das Verfahren wird gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall 2 c der Gründe des Urteils des Landgerichts Essen vom 17. August 2009 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden ist. Insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten. 2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen schuldig ist, b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den Feststellungen aufgehoben. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 4. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Essen vom 22. Januar 2009 sowie unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen diese Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit einer Verfahrensrüge und beanstandet ferner die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat - nach Einstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO hinsichtlich Fall 2 c der Urteilsgründe - den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. I. Die Rüge der Verletzung von § 338 Nr. 1 StPO, weil die zur Entscheidung berufene VI. Große Strafkammer des Landgerichts in der Person der Richterin am Landgericht Dr. D. vorschriftswidrig besetzt gewesen sei, hat keinen Erfolg. Ergänzend zu den Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 18. Dezember 2009 bemerkt der Senat: Jedenfalls soweit die Revision eine Verletzung von § 338 Nr. 1 StPO in der nach ihrer Auffassung fehlerhaften Annahme der Verhinderung von Frau Richterin am Landgericht B. sieht, ist die Rüge unzulässig, da der Inhalt der dienstlichen Erklärung der Vorsitzenden vom 5. August 2009 nicht mitgeteilt wird (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die weiter gehende Rüge bleibt in der Sache erfolglos. Zwar kann die Bestellung eines sog. Sondervertreters gemäß § 21 e Abs. 3 Satz 1 GVG gegen § 338 Nr. 1 StPO verstoßen, wenn schon aus der Wahl der Sitzungstage die Möglichkeit ersichtlich ist, dass bei gleichzeitigen Sitzungen auch der Vertreterkammern die bestellten Vertreter nicht in der Lage sein werden, ihre Aufgaben in der Strafkammer wahrzunehmen, sodass Veranlassung bestand, diesen Mangel des Geschäftsverteilungsplanes zu beheben (Senatsbeschluss vom 7. April 1987 - 4 StR 166/87, StV 1987, 286). Die Revision, die sich auf diese Entscheidung des Senats stützt, übersieht indessen, dass im damaligen Fall die im Geschäftsverteilungsplan vorgesehene Vertretungsregelung schon für sich genommen nicht ausreichte, um die ordnungsgemäße Besetzung der zur Entscheidung berufenen Strafkammer sicher zu stellen, da nur zwei Vertretungskammern vorgesehen waren und deshalb wegen der Verteilung der Sitzungstage vorhersehbar war, dass die planmäßigen Vertreter sämtlich verhindert sein könnten. So liegt der Fall hier aber nicht. Die Zahl der Mitglieder der insgesamt neun im Geschäftsverteilungsplan vorgesehenen Vertreterkammern rechtfertigte unter Berücksichtigung der Verteilung der Sitzungstage die Erwartung, dass auch bei Verhinderung von Mitgliedern einer oder mehrerer Strafkammern jedenfalls ein Mitglied einer der anderen Kammern zur Verfügung stehen würde. Die im vorliegenden Fall festzustellende Häufung von Verhinderungsfällen war danach nicht vorhersehbar. Entgegen der Auffassung der Revision war die Vorsitzende der hier zur Entscheidung berufenen VI. Großen Strafkammer nicht gehalten, dem Eintritt des Verhinderungsfalles durch kurzfristige Veränderung der Terminierung Rechnung zu tragen, nachdem sie erfahren hatte, dass die Mitglieder der geschäftsplanmäßigen Vertreterkammern auch für die bereits anberaumten Fortsetzungstermine nicht zur Verfügung standen. Die Annahme einer Verhinderung und die Bestellung eines außerplanmäßigen Vertreters erweist sich vor dem Hintergrund der von der Vorsitzenden mitgeteilten angespannten Terminslage der VI. Großen Strafkammer sowie der in den geschäftsplanmäßigen Vertreterkammern austerminierten Sitzungstage jedenfalls nicht als willkürlich. II. Die Einstellung des Verfahrens im Fall II 3 der Urteilsgründe gemäß § 154 Abs. 2 StPO auf Antrag des Generalbundesanwalts und der daraus folgende Wegfall der insoweit verhängten Einzelstrafe von einem Jahr und vier Monaten Freiheitsstrafe führt zum Wegfall des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe, die deshalb vom Tatrichter neu zugemessen werden muss. Soweit das Verfahren eingestellt wird, beruht die Entscheidung über die Kosten und Auslagen auf § 467 Abs. 1 StPO. Athing                              Solin-Stojanović                                    Ernemann Franke                                             Mutzbauer
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058260
BGH
4. Strafsenat
20100218
4 StR 633/09
Beschluss
§ 52 StGB, § 29 BtMG
vorgehend LG Dessau-Roßlau, 25. August 2009, Az: 8 KLs 8/09 - 631 Js 26735/08, Urteil
DEU
Betäubungsmittelhandel: Tateinheit beim Verkauf von angekauften Betäubungsmitteln
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 25. August 2009 a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 18 Fällen verurteilt ist; die in den Fällen II.6. bis 31. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen kommen in Wegfall, b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 44 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. 1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen 26 tatmehrheitlich begangener Taten des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in den Fällen II.6. bis 31. der Urteilsgründe (UA S. 8) kann - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat - keinen Bestand haben. a) Zwar vermag der Besitz verschiedener von vornherein zu unterschiedlichem Handel bestimmter Betäubungsmittel, die niemals zu einem Depot verbunden worden sind, nicht bereits auf Grund zeitlicher Überschneidung eine Bewertungseinheit zu begründen (vgl. BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 9). Das Landgericht hat aber bei der Bewertung der Konkurrenzverhältnisse nicht bedacht, dass nach den Feststellungen der Angeklagte die Verkäufe in den Fällen II.6. bis 31. (je 2 g Haschisch schlechter Qualität) jeweils zugleich mit Heroin aus den Ankaufsfällen II.1. bis 5. getätigt hat. Wegen der damit gegebenen Identität der tatbestandlichen Ausführungshandlungen bestand somit zwischen den Taten II.1. bis 5. und II.6. bis 31. richtigerweise Tateinheit (vgl. BGH, Beschl. vom 25. März 1998 - 1 StR 80/98). b) Dies führt zum Wegfall der Verurteilung in den Fällen II.6. bis 31. der Urteilsgründe nebst der insoweit verhängten Einzelstrafen. Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da nicht ersichtlich ist, dass sich der Angeklagte wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. 2. Die Änderung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich. Deren Bemessung bedarf der erneuten Verhandlung und Entscheidung. Tepperwien                                         Maatz                                        Athing Ernemann                                    Mutzbauer
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058263
BGH
9. Zivilsenat
20100114
IX ZR 153/07
Beschluss
§ 133 InsO, § 142 InsO, § 286 ZPO
vorgehend OLG Stuttgart, 1. August 2007, Az: 9 U 240/06, Urteil vorgehend LG Stuttgart, 15. November 2006, Az: 21 O 117/06
DEU
Insolvenzanfechtung: Prüfung der Voraussetzungen von Bargeschäft und Vorsatzanfechtung
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 1. August 2007 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 40.802,97 € festgesetzt.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft (§ 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und zulässig (§ 544 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO). Sie hat aber keinen Erfolg. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. 1. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass die vorgenommenen Verrechnungen keine Bargeschäfte im Sinne des § 142 InsO darstellen, erweist sich unter zulässigkeitsrelevanten Gesichtspunkten als beanstandungsfrei. Die in der Senatsrechtsprechung verschiedentlich getroffene Aussage, es komme auf die Reihenfolge von Gutschriften und Belastungsbuchungen nicht an (BGHZ 167, 190, 202 Rn. 39; BGH, Urt. v. 25. Januar 2001 - IX ZR 6/00, WM 2001, 689, 691; v. 10. Mai 2007 - IX ZR 146/05, WM 2007, 1181, 1182 Rn. 15), bezieht sich auf das Merkmal der Unmittelbarkeit des Leistungsaustauschs. Davon unabhängig wurde stets gefordert, dass die Verrechnung einer Gutschrift nicht der letzte Akt sein darf, bevor das Kreditinstitut das Konto des Schuldners schließt. Es müssen vielmehr weitere Verfügungen zugelassen werden. Hieran fehlt es. 2. Entgegen der Ansicht der Beschwerde hat das Berufungsgericht die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung hinsichtlich der Verrechnung vom 3. November 2005 beanstandungsfrei festgestellt. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale der Vorsatzanfechtung können - weil es sich um innere, dem Beweis nur eingeschränkt zugängliche Tatsachen handelt - meist nur mittelbar aus objektiven Tatsachen hergeleitet werden. Soweit dabei Rechtsbegriffe wie die Zahlungsunfähigkeit betroffen sind, muss deren Kenntnis außerdem oft aus der Kenntnis von Anknüpfungstatsachen erschlossen werden (BGH, Urt. v. 13. August 2009 - IX ZR 159/06, WM 2009, 1943, 1944 Rn. 8). Es genügt, dass der Anfechtungsgegner die tatsächlichen Umstände kennt, aus denen bei zutreffender rechtlicher Bewertung die (drohende) Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei folgt (BGHZ 180, 63, 66 f Rn. 13). Die in diesem Zusammenhang feststellbaren Beweisanzeichen hat der Tatrichter gemäß § 286 ZPO unter Würdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls auf der Grundlage des Gesamtergebnisses der Verhandlung und einer etwaigen Beweisaufnahme zu prüfen (BGH, Urt. v. 12. Juli 2007 - IX ZR 235/03, ZIP 2007, 2084, 2087 Rn. 21; v. 13. August 2009 - IX ZR 159/06, aaO). Diesen Anforderungen ist das Berufungsgericht, wie insbesondere die Darlegungen unter Ziff. 2 b cc und hh im angegriffenen Urteil zeigen, hinreichend nachgekommen. 3. Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058271
BGH
9. Zivilsenat
20100218
IX ZR 113/09
Beschluss
§ 178 Abs 3 InsO, § 179 Abs 2 InsO
vorgehend Brandenburgisches Oberlandesgericht, 6. Mai 2009, Az: 7 U 129/08, Urteil vorgehend LG Potsdam, 3. Juli 2008, Az: 2 O 375/07
DEU
Insolvenzrecht: Zulässigkeit der negativen Feststellungsklage bezüglich des Nichtbestehens einer zur Insolvenztabelle festgestellten Forderung
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 7. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 6. Mai 2009 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 48.739,17 € festgesetzt.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft (§ 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und zulässig (§ 544 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO). Sie hat jedoch keinen Erfolg, weil sie keinen Zulassungsgrund nach § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO aufdeckt. Verfahrensgrundrechte der Klägerin auf wirkungsvollen Rechtsschutz sind nicht verletzt. Das Berufungsgericht hat die negative Feststellungsklage nicht "aufgrund prozessrechtlich nicht hinnehmbarer Anforderungen" als unzulässig verworfen. 1. Das Berufungsgericht hat nicht verkannt, dass die Klägerin ihr Feststellungsinteresse aus einem "Drittrechtsverhältnis" herleiten will. Es ist aber mit Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin hierzu widersprüchlich - und für jede Variante unzureichend - vorgetragen hat. Die Klägerin hat zum einen geltend gemacht, hinsichtlich der unter der Nr. 80 zur Tabelle festgestellten Forderung nehme der Insolvenzverwalter bei ihr Rückgriff, und zum anderen, insofern berühme sich die Beklagte einer Gläubigerstellung. Das Berufungsgericht ist auf beides eingegangen. Wie sich das eine zum anderen verhält, lässt auch die Beschwerdebegründung im Dunkeln. Es ist zwar vorgetragen worden, dass die Klägerin durch Ankauf und Erwerb sämtlicher gegen die Schuldnerin gerichteter Forderungen alleinige Gläubigerin der Insolvenzmasse sei; dass sie auch die von der Beklagten unter der Nr. 80 zur Tabelle angemeldete und festgestellte Forderung angekauft und erworben habe, ist aber nicht behauptet worden. Ebenso wenig ist vorgetragen worden, die Beklagte verlange insoweit von der Klägerin Ausgleich. 2. Die Unzulässigkeit einer negativen Feststellungsklage gemäß oder analog § 179 Abs. 2 InsO folgt bereits aus dem Umstand, dass gegen eine mit der Rechtskraftwirkung des § 178 Abs. 3 InsO zur Insolvenztabelle festgestellte Forderung nur noch solche Rechtsbehelfe zulässig sind, die gegen rechtskräftige Urteile ergriffen werden können (vgl. HmbKomm-InsO/Preß/Henningsmeier, 3. Aufl. § 179 Rn. 23; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 178 Rn. 15 f, Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 178 Rn. 25). Die einfache negative Feststellungsklage gehört nicht zu diesen Rechtsbehelfen. Im Übrigen wird von einer Begründung gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen. Ganter                                  Raebel                                   Kayser Lohmann                                    Pape
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Deutschland
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BMJV
public
JURE100058272
BGH
6. Zivilsenat
20100126
VI ZR 179/09
Beschluss
§ 823 Abs 1 BGB
vorgehend OLG Düsseldorf, 22. April 2009, Az: I-19 U 23/08, Urteil vorgehend LG Wuppertal, 19. Juni 2008, Az: 16 O 190/05
DEU
Haftung des Endherstellers: Abgrenzung zwischen Konstruktions- und Fabrikationsfehler; Entlastungsbeweis bei einem durch einen "Ausreißer" des Zulieferers verursachten Schaden
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 22. April 2009 wird, soweit sie die Beklagte zu 2 betrifft, zurückgewiesen, weil sie nicht aufzeigt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Die Nichtzulassungsbeschwerde wendet sich nicht dagegen, dass das Berufungsgericht das Vorliegen eines Konstruktionsfehlers verneint hat. Seine Beurteilung, die Beklagte zu 2 hafte auch nicht wegen eines Fabrikationsfehlers ("Ausreißer") unter dem Blickwinkel der Verletzung eigener Prüfungspflichten während des laufenden Bezugs der vom Zulieferer hergestellten Magnetschalter, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat in zulässiger Weise berücksichtigt, dass die Beklagte zu 2 ein renommiertes Zulieferunternehmen ausgewählt und eingehend überprüft hat. Nach den vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Feststellungen des Landgerichts hat die Beklagte zu 2 mit dem Zulieferer auch eine Qualitätssicherungsvereinbarung abgeschlossen. Vortrag dazu, dass diese unzureichend sei, zeigt die Nichtzulassungsbeschwerde nicht auf. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbs. ZPO abgesehen. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens (§ 97 Abs. 1 ZPO). Streitwert: 42.738,94 € Galke                               Zoll                              Wellner Pauge                             Stöhr
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058275
BGH
7. Zivilsenat
20100128
VII ZR 50/09
Beschluss
§ 531 Abs 2 ZPO, § 123 Abs 1 BGB, § 124 BGB, Art 103 Abs 1 GG
vorgehend OLG Düsseldorf, 20. Februar 2009, Az: I-22 U 135/08, Urteil vorgehend LG Duisburg, 2. Juli 2008, Az: 25 O 16/08 nachgehend OLG Düsseldorf, 29. Oktober 2010, Az: I-22 U 135/08, Urteil nachgehend BGH, 8. März 2012, Az: VII ZR 185/10, Beschluss
DEU
Werklohnprozess: Gehörsverletzung bei Nichtberücksichtigung klarstellenden Vortrags in der Berufungsinstanz; Darlegung der Fristwahrung bei Arglistanfechtung des Vertrages
Der Beschwerde der Beklagten wird stattgegeben. Das Urteil des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 20. Februar 2009 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Streitwert: 55.222,35 €
I. Die Beklagte wendet sich gegen ihre Verurteilung zur Zahlung von Werklohn und Abweisung ihrer Widerklage aus einem Vertrag über die Herstellung von drei Aufzugsanlagen. Die Klägerin hat den Vertrag nach teilweiser Leistungserbringung aus Gründen, die zwischen den Parteien streitig sind, gekündigt. Sie verlangt Zahlung von Werklohn. Die Beklagte verlangt die Abweisung der Werklohnklage und begehrt mit der Widerklage die Rückzahlung geleisteter Zahlungen mit der Begründung, sie habe den Vertrag wegen Kartellabsprachen der Beklagten wirksam gemäß § 123 Abs. 1 BGB angefochten. Das Berufungsgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Es hat die Ansicht vertreten, die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung sei nicht innerhalb einer Frist von einem Jahr (§ 124 BGB) erfolgt. Nach eigenem Vortrag der Beklagten sei die Kartellabsprache aufgrund Zeitungsartikel jedenfalls ab Februar 2007 allgemein bekannt gewesen. Die am 22. September 2008 (richtig: 2. Oktober 2008) erfolgte Anfechtung sei verspätet gewesen. Soweit die Beklagte dargelegt habe, erst kurz vor der Anfechtungserklärung von der Kartellsituation erfahren zu haben, sei der Vortrag verspätet (§ 531 Abs. 2 ZPO). Die Beklagte habe sich erstinstanzlich auf die Anfechtung berufen, dabei habe es ersichtlich auch des Tatsachenvortrags zur Einhaltung der Anfechtungsfrist bedurft. Darüberhinaus bestehe auch kein Anfechtungsgrund, weil ein Verstoß gegen kartellrechtliche Bestimmungen regelmäßig nicht zur Nichtigkeit des Vertrags führe, sondern allenfalls zur Teilnichtigkeit der Preisvereinbarung. II. 1. Das Berufungsgericht hat, soweit es den Vortrag der Beklagten und den hierfür angebotenen Beweis, sie habe erst kurz vor der Erklärung der Anfechtung im Schriftsatz vom 2. Oktober 2008 vom Kartellverstoß erfahren, gemäß § 531 Abs. 2 ZPO als verspätet behandelt, den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Mit diesem Vortrag ist die Beklagte der mit der Berufungserwiderung vertretenen Auffassung der Klägerin entgegen getreten, die Anfechtung sei verspätet. Die Presseinformation, auf die die Beklagte Bezug nehme, stamme vom 7. Februar 2007 und die Beklagte habe selbst vorgetragen, diese Presseerklärung sei im Jahre 2007 allgemein bekannt gewesen. Es ist schon nicht nachvollziehbar, dass das Berufungsgericht dieser Auffassung mit der Begründung folgt, die Beklagte habe sich bereits erstinstanzlich auf die Anfechtung berufen, dabei bedürfe es ersichtlich auch des Tatsachenvortrags zur Einhaltung der Anfechtungsfrist. Denn die Beklagte hat erstinstanzlich die Presseinformation in einem anderen Zusammenhang vorgelegt und nicht die Anfechtung erklärt, wie das Berufungsgericht in anderem Zusammenhang auch zuvor feststellt. Selbst wenn erstinstanzlich die Anfechtung erklärt worden wäre, hätte es keines Vortrags zur Einhaltung der Anfechtungsfrist bedurft. Denn die Darlegungslast trägt insoweit der Anfechtungsgegner (BGH, Urteil vom 11. März 1992 - VIII ZR 291/90, NJW 1992, 2346, 2347). Bedenklich erscheint es dem Senat auch, den Vortrag der Beklagten in der Berufungsinstanz dazu, das Landgericht habe bei der Berechnung des Werklohns die allgemein bekannte Preisabsprache übersehen, dahin auszulegen, auch die Beklagte habe diese bereits mit Erscheinen der Pressemitteilung  gekannt. Jedenfalls hätte das Berufungsgericht den klarstellenden Vortrag, das sei nicht der Fall gewesen, nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO zurückweisen dürfen. Denn dieser Vortrag war überhaupt erst durch die Berufungserwiderung der Klägerin veranlasst, so dass der Beklagten keine Nachlässigkeit zur Last fällt. Die Zurückweisung des Vortrags der Beklagten findet im Gesetz keine Stütze und verletzt den Anspruch der Beklagten  auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG. 2. Unter weiterem Verstoß gegen den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG, hat das Berufungsgericht in der Hilfserwägung angenommen, es liege kein Anfechtungsgrund vor. Das Berufungsgericht hat sich in der Folge nicht mit der Anfechtung befasst, sondern lediglich mit der Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts nach §§ 134, 138 BGB. Diese Ausführungen zeigen, dass es den Kern des Vortrags der Beklagten zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Darin liegt ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör, denn die Anfechtung kann für die Entscheidung des Rechtsstreits von zentraler Bedeutung sein (vgl. BVerfG, NJW-RR 1995, 1033). 3.Der Gehörsverstoß kann entscheidungserheblich sein. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre, wenn es den Vortrag der Beklagten in der gebotenen Weise zur Kenntnis genommen hätte. Wurde die Beklagte zur Abgabe der Willenserklärung durch Täuschung (vgl. dazu BGH, Urteil vom 11. Juli 2001 - 1 StR 576/00, BGHSt 47, 83) bestimmt, unterliegt der Vertrag der Anfechtung gemäß § 123 Abs. 1 BGB. Ist die Anfechtung rechtzeitig erfolgt, stehen der Klägerin keine vertraglichen Ansprüche zu und die Beklagte kann gemäß § 812 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Zahlungen haben. Eine rechtliche Würdigung, ob ein Anfechtungsgrund vorliegt, ist dem Senat nicht möglich, da es dazu an den erforderlichen Feststellungen fehlt.Das Berufungsurteil war daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung zurückzuverweisen. Kniffka                                                    Kuffer                                           Safari Chabestari Halfmeier                                               Leupertz
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058278
BGH
10. Zivilsenat
20100209
X ZR 82/07
Urteil
§ 651 S 3 BGB, § 337 HGB, § 381 Abs 2 HGB
vorgehend Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 9. Mai 2007, Az: 6 U 198/06, Urteil vorgehend LG Dessau, 3. November 2006, Az: 3 O 92/05, Urteil
DEU
Vertrag über eine nach den Vorgaben des Bestellers herzustellende neue bewegliche Sache: Anwendung des Kaufrechts
Auf die Revision der Beklagten wird das am 9. Mai 2007 verkündete Urteil des 6. Senats des Oberlandesgerichts Naumburg aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Von Rechts wegen
Die Klägerin ist ein im Straßenbau tätiges Unternehmen, das dabei Straßenfräsmaschinen einsetzt, die auf Tiefladesattelaufliegern transportiert werden. Im Februar 2004 ließ sie sich von der Beklagten ein Angebot eines solchen dreiachsigen Aufliegers unterbreiten, der zum Transport einer bestimmten Fräsmaschine (W. W 1000 F) geeignet sein sollte. Die Beklagte legte ein diesbezügliches Angebot vor. Kurz darauf unterbreitete die Beklagte auf Bitten der Klägerin ein Angebot für einen zweiachsigen Auflieger zu einem günstigeren Preis, das die Klägerin annahm. Nach Lieferung des Aufliegers beglich sie den berechneten Preis. In der Folgezeit platzten beim Transport von Fräsen des Typs W 1000 F mehrfach Reifen, was die Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 16. Dezember 2004 und dem Bemerken, der Auflieger entspreche nicht den gewünschten Erfordernissen, mitteilte. Nach einem von der Klägerin in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachten sind die Reifenschäden auf eine Überschreitung der Achslast der Hinterachsen und die Ungeeignetheit der Ladefläche zurückzuführen. Der Auflieger ist, was im Prozess unstreitig ist, für den Transport der Fräse W 1000 F nicht geeignet. Die Parteien haben insoweit darum gestritten, ob die Beklagte auf diese Ungeeignetheit hingewiesen hat. Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Erstattung der geleisteten Zahlung Zug um Zug gegen Rückgabe des Aufliegers sowie Zahlung von Gutachtenkosten und Rechtsanwaltsgebühren nebst Zinsen und die Feststellung begehrt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Aufliegers im Annahmeverzug befinde. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision, der die Klägerin entgegentritt, erstrebt die Beklagte in erster Linie die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückweisung der von der Klägerin eingelegten Berufung.
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Parteien hätten einen Werkvertrag geschlossen. Der Schwerpunkt des Vertrags liege nicht auf kaufvertraglichen, sondern auf werkvertraglichen Elementen, da der Sattelauflieger nach den konkreten Vorstellungen und Vorgaben der Klägerin habe hergestellt werden sollen. Es hat des Weiteren gemeint, die Klägerin habe bewiesen, dass der Zweiachsauflieger sich auch nach dem hierüber geschlossenen Vertrag für den Transport der Fräse W 1000 F habe eignen sollen. Zwar treffe die Annahme des Landgerichts zu, dass in Anbetracht der widersprüchlichen Aussagen der Zeugen nicht festgestellt werden könne, ob der Zeuge E., ein Mitarbeiter der Beklagten, den bei der Klägerin beschäftigten Zeugen H. über die fehlende Eignung eines Zweiachsaufliegers für den Transport der Fräse W 1000 F informiert habe; entgegen der Ansicht des Landgerichts gehe dieses non liquet aber zu Lasten der Beklagten, weil die Eignung, eine solche Maschine zu transportieren, zunächst beiderseitige Vorstellung geworden und es erwiesen sei, dass die Klägerin die Beklagte um Prüfung gebeten hatte, ob dies auch im Falle der Herstellung eines Zweiachsaufliegers gewährleistet sei. Wenn die Beklagte vor diesem Hintergrund ein Angebot für einen solchen zweiachsigen Auflieger einreiche, habe die Klägerin zu Recht davon ausgehen dürfen, dass die Beklagte dessen Eignung auch für den Transport der Fräse W 1000 F bejahe. Diese gemeinsame Vorstellung von der Verwendung der Sache hätte die Beklagte nur vor Annahme des Angebots durch eine für die Klägerin erkennbare Äußerung ändern können. Dass sie einen entsprechenden Hinweis erteilt habe, könne indes nicht festgestellt werden. Der Wiederholung der Beweisaufnahme bedürfe es nicht, weil es, das Berufungsgericht, wie das Landgericht, seiner Entscheidung die Aussagen der beiden Zeugen zugrunde lege und sie nur abweichend würdige. Selbst wenn das Vorliegen eines Mangels, insbesondere wegen einer anderen Beweislastverteilung, verneint würde, wäre der Klage stattzugeben. Der von der Klägerin geltend gemachte Schadensersatzanspruch sei unabhängig von der Frage des Mangels auch nach den Grundsätzen des Verschuldens bei Vertragsschluss gerechtfertigt. Angesichts des ihr bekannten Verwendungszwecks für den Auflieger hätte es der Beklagten oblegen, die Klägerin darüber zu informieren, dass ein Transport mit dem zweiachsigen Auflieger nicht möglich sei. Das non liquet zu dieser Frage gehe zu Lasten der für die Erfüllung der vorvertraglichen Verpflichtung darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten. II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. 1. a) Die Einordnung des geschlossenen Vertrages als Werkvertrag ist rechtsfehlerhaft. Nach § 651 Satz 1 BGB finden auf einen Vertrag, der, wie hier, die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen zum Gegenstand hat, die Vorschriften über den Kauf Anwendung. Werkvertragsrechtliche Bestimmungen treten nur ergänzend, und nicht verdrängend neben das Kaufrecht, wenn der Vertrag die Lieferung einer nicht vertretbaren Sache zum Gegenstand hat (§ 651 Satz 3 BGB). Kaufrecht ist mithin auf sämtliche Verträge mit einer Verpflichtung zur Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen anzuwenden (BGH, Urt. v. 23.7.2009 - VII ZR 151/08, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen, Tz. 19 unter Hinweis auf BT-Drucks. 14/6040, S. 268). Unerheblich für die vertragsrechtliche Einordnung ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts deshalb, dass der Auflieger nach den konkreten Vorstellungen und Vorgaben der Klägerin habe hergestellt werden sollen. Das mag die Annahme rechtfertigen, der Vertrag habe die Lieferung einer nicht vertretbaren Sache zum Gegenstand gehabt. Dies ändert ausweislich der gesetzlichen Regelung in § 651 Satz 3 BGB aber nichts an der grundsätzlichen Anwendbarkeit von Kaufrecht (vgl. insoweit auch BGH, aaO Tz. 18 ff.). b) Ob ausnahmsweise Werkvertragsrecht anwendbar sein könnte, wenn ein zwischen Unternehmen geschlossener Vertrag die Lieferung typischer Investitionsgüter, namentlich in den Produktionsprozess einzupassender Maschinen oder Investitionsanlagen, und im Zusammenhang damit die Erbringung zusätzlicher wesentlicher Planungs-, Konstruktions-, Integrations- und Anpassungsarbeiten zum Gegenstand hat, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung (vgl. insoweit auch BGH, aaO Tz. 22). Zwar kann davon ausgegangen werden, dass die Beklagte, um ihre Lieferungspflicht zu erfüllen, auch gewisse Planungs- oder Konstruktionsleistungen erbringen musste, worauf schon hindeutet, dass ihr vor Vertragsschluss die Dokumentation der Fräse W 1000 F übergeben wurde. Soweit in den Gründen des angefochtenen Urteils insoweit davon die Rede ist, der Beklagten sei die technische Dokumentation des herzustellenden Sattelaufliegers übergeben worden, handelt es sich ausweislich des Zusammenhangs der Entscheidungsgründe um ein Versehen. Bei den gegebenenfalls erbrachten Planungs- bzw. Konstruktionsleistungen kann es sich nach Lage des Streitfalls nur um solche gehandelt haben, die als Vorstufe zu der im Mittelpunkt des Vertrags stehenden Lieferung anzusehen sind. Der Herstellung von zu liefernden Sachen gehen typischerweise gewisse Planungsleistungen voraus und die Vorschrift des § 651 BGB würde weitgehend leer laufen, wenn dieser Umstand dazu führte, statt Kaufrecht Werkvertragsrecht anzuwenden. c) Die auf vertragsrechtliche Bestimmungen gestützte Verurteilung kann danach schon deshalb keinen Bestand haben, weil das Berufungsgericht auf der Grundlage des von ihm eingenommenen Rechtsstandpunkts nicht geprüft hat, ob die Klägerin den Untersuchungs- und Rügepflichten aus § 377 Abs. 1 oder gegebenenfalls § 377 Abs. 3 HGB nachgekommen ist, die sie auch bei einem Vertrag treffen, der, wie hier, die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen zum Gegenstand hat (§ 381 Abs. 2 HGB, vgl. auch BGH aaO Tz. 27). 2. Bei seiner Annahme, die Klägerin habe bewiesen, dass der gelieferte Auflieger mangelhaft sei, hat das Berufungsgericht die Beweislast verkannt. Das Berufungsgericht ist ausweislich des Zusammenhangs der Gründe davon ausgegangen, dass die Parteien die Eignung zum Transport der Fräse W 1000 F zwar nicht vertraglich i. S. einer Beschaffenheit des Aufliegers (§ 434 Abs. 1 Satz 1, § 633 Abs. 2 Satz 1 BGB) vereinbart, aber nach dem Vertrag vorausgesetzt haben (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, § 633 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BGB). Nach allgemeinen Grundsätzen trägt die Klägerin als Bestellerin des an sie ausgelieferten Aufliegers die Beweislast dafür, dass die Vertragspartner die Eignung zu dieser Verwendung vertraglich noch im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorausgesetzt haben. Von einer entsprechenden vertraglichen Voraussetzung kann nicht ausgegangen werden, wenn eine Partei der anderen vor Vertragsschluss zu erkennen gegeben hatte, dass eine von ihr beabsichtigte Verwendung fraglich oder gar ausgeschlossen sei. Mit ihrem Vorbringen, die Klägerin in diesem Sinne aufgeklärt zu haben, trägt die Beklagte nicht die tatsächlichen Voraussetzungen für rechtshindernde, rechtshemmende oder rechtsvernichtende Umstände vor, für die sie als diejenige, die sich darauf beruft, die Beweislast trüge (vgl. etwa BGH, Urt. v. 13.11.1998 - V ZR 386/97, NJW 1999, 352 f.). Vielmehr handelt es sich bei solchem Vorbringen um substanziiertes Bestreiten, das an der allgemeinen Beweislastverteilung nichts ändert (vgl. BGH, Urt. v. 22.11.1990 - V ZR 160/90, NJW 1992, 892, bei juris Tz. 8) und im Streitfall lediglich die in der Natur der Sache begründete Besonderheit aufweist, dass die Klägerin nunmehr einen Negativbeweis dahin zu führen hat, dass die Beklagte sie nicht auf die fehlende Eignung zum Transport der Fräse W 1000 F hingewiesen habe. Dieser Umstand, der nur daraus resultiert, dass die Beklagte ihrer Verpflichtung zum substanziierten Bestreiten genügt hat, ist indes ohne Einfluss auf die Beweislast (vgl. Zöller/Greger ZPO, 27. Aufl., Vor § 284 Rdn. 18, 24). Der Hinweis der Revisionserwiderung, in Fällen, in denen, wie hier, ein schriftlicher Vertrag geschlossen worden ist, trage für Umstände, die außerhalb der Urkunde liegen, die Partei die Beweislast, die daraus ein günstiges Auslegungsergebnis herleiten wolle, trifft zu, ändert aber nichts daran, dass es der Klägerin obliegt, diesen Beweis zu führen. Denn dass der Auflieger so beschaffen sein sollte, dass die Fräse W 1000 F damit transportiert werden kann, ist gerade nicht der Vertragsurkunde zu entnehmen, sondern soll von den Parteien vertraglich vorausgesetzt worden sein. Entsprechend liegt ein Sachmangel nur dann vor, wenn die Parteien diese Verwendungsmöglichkeit vorausgesetzt haben. Nachdem der Auflieger an sie ausgeliefert worden ist, trägt die Klägerin insoweit die Beweislast. Soweit die Revisionserwiderung darauf hinaus will, dass die Klägerin der Übersendung des zweiten Angebots in Anbetracht der zuvor erbetenen Prüfung den konkludenten Erklärungswert beilegen durfte, dass ein Zweiachsauflieger für den Transport der fraglichen Fräse geeignet sei, lässt diese Sichtweise das Vorbringen der Beklagten außer Acht. 3. Soweit das Berufungsgericht die Verurteilung der Beklagten auch auf die Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht gestützt hat, beruht dies ebenfalls auf der unzutreffenden Beurteilung der im Streitfall gegebenen Verteilung der Beweislast. Wird ein Schadensersatzanspruch daraus hergeleitet, dass ein vorvertraglich geschuldeter Hinweis unterblieben ist und dies zum Schaden geführt hat, geht es nicht um Erfüllung, sondern um die Anspruchsvoraussetzungen. Deshalb muss der Anspruchsteller diesen Sachverhalt darlegen und i. S. eines Negativbeweises beweisen. Wie bereits ausgeführt, reicht es dafür nicht aus, dass nach dem Beweisergebnis offen geblieben ist, ob der Verpflichtete seiner Hinweispflicht genügt hat. 4. Im wiedereröffneten Berufungsrechtszug wird das Berufungsgericht den Sachverhalt nach Maßgabe des vorstehend Ausgeführten erneut zu würdigen haben. Sollte es dabei zu dem Ergebnis gelangen, dass ein Sachmangel vorliegt, wird es außerdem die Erfüllung der Rügeobliegenheit aus § 377 HGB zu prüfen haben (oben II 1 a. E.). Dem Einwand der Revision, die Schadensberechnung sei in einem Fall wie dem vorliegenden nur schlüssig, wenn der Erwerber den Umfang der gezogenen Nutzungen darlege, kann nicht beigetreten werden. Die Beweislast für die Voraussetzungen der einzelnen Ansprüche im Rückabwicklungsverhältnis trägt der jeweilige Rückgewährgläubiger (vgl. MünchKomm.BGB/Gaier, 5. Aufl., § 346 Rdn. 69 m.w.N. in Fn. 8); verlangt der Verkäufer einer Eigentumswohnung im Rahmen des Rücktritts vom Käufer Nutzungsersatz in bestimmter Höhe, so trägt er dafür die Beweislast (BGH, Urt. v. 22.11.1990 - V ZR 160/90, NJW 1992, 892, bei juris Tz. 8). Verlangt, wie hier, der Käufer im Rahmen der Rückabwicklung die Rückzahlung des Kaufpreises und will der Verkäufer eine Nutzungsvergütung in Ansatz bringen, trägt Letzterer als Rückgewährsgläubiger dieses Anspruchs dafür die Beweislast. Das ergibt sich, worauf die Revisionserwiderung zutreffend hinweist, auch aus § 348 BGB. Scharen                                            Gröning                                          Berger Grabinski                                        Hoffmann
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058324
BGH
12. Zivilsenat
20100217
XII ZB 46/10
Beschluss
§ 71 Abs 2 FamFG, § 71 Abs 3 FamFG, § 158 Abs 7 S 2 FamFG, § 158 Abs 7 S 3 FamFG
vorgehend OLG Frankfurt, 23. Dezember 2009, Az: 5 UF 316/09, Beschluss vorgehend AG Gießen, 4. November 2009, Az: 248 F 1132/09
DEU
Vergütung des Verfahrensbeistands in einer Familiensache: Anforderungen an die Begründung der gegen die Festsetzung der Vergütungspauschale gerichteten Rechtsbeschwerde
Das Rechtsmittel gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main - 5. Senat für Familiensachen - vom 23. Dezember 2009 wird als unzulässig verworfen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 2 FamGKG).
Die vom Bezirksrevisor eingelegte - vom Beschwerdegericht zugelassene - Rechtsbeschwerde ist zwar statthaft; im Übrigen ist sie indessen unzulässig. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Bezirksrevisor gemäß §§ 10 Abs. 4 Satz 2, 114 Abs. 3 Satz 2 FamFG vor dem Bundesgerichtshof überhaupt postulationsfähig ist. Voraussetzung ist danach, dass die handelnde Person die Befähigung zum Richteramt hat. Ob der hier handelnde Bezirksrevisor Volljurist ist, lässt sich seiner Beschwerdeschrift nicht entnehmen; regelmäßig verfügen Bezirksrevisoren über die Ausbildung eines Rechtspflegers. Jedenfalls ist die Rechtsbeschwerde deshalb unzulässig, weil sie entgegen § 71 Abs. 2 und Abs. 3 FamFG nicht ordnungsgemäß begründet ist. Der Verweis auf die sich aus dem Akteninhalt ergebenden Stellungnahmen vermag die erforderliche Begründung nicht zu ersetzen (vgl. BGH Urteil vom 24. Januar 2000 - II ZR 172/98 - NJW 2000, 1576 [Revisionsbegründung]; Keidel/Meyer-Holz FamFG 16. Aufl. § 71 Rdn. 36; Bork/Jacoby/Schwab/Müther FamFG § 71 Rdn. 20). Hahne                                           Weber-Monecke                                    Dose Klinkhammer                                               Schilling
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Deutschland
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BMJV
public
JURE100058329
BGH
12. Zivilsenat
20100217
XII ZA 40/09
Beschluss
§ 1600 Abs 2 BGB, § 1600 Abs 4 S 1 BGB, § 114 ZPO
vorgehend OLG Dresden, 24. September 2009, Az: 21 UF 143/09 vorgehend AG Zwickau, 6. Februar 2009, Az: 10 F 351/07
DEU
Vaterschaftsanfechtung bei sozial-familiärer Beziehung des Vaters mit seinem mit ihm nicht zusammenlebenden Kind
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.
Der Antrag war zurückzuweisen, weil die von dem Kläger beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Vor allem hat das Berufungsgericht das Tatbestandsmerkmal der "sozial-familiären Beziehung" i.S. des § 1600 Abs. 2 und Abs. 4 Satz 1 BGB nicht verkannt. Für das Bestehen einer sozial-familiären Beziehung kommt es entscheidend darauf an, dass der Vater für das Kind tatsächliche Verantwortung trägt (§ 1600 Abs. 4 Satz 1 BGB - Senatsurteil vom 30. Juli 2008 - XII ZR 150/06 - FamRZ 2008, 1821 Tz. 13 f.). Dies setzt indes nicht voraus, dass er mit dem Kind zusammenlebt. Auch der sozial-familiäre Verbund eines Vaters mit seinem mit ihm nicht zusammenlebenden Kind ist gemäß Art. 6 Abs. 1 GG geschützt, sofern der Vater für das Kind die tatsächliche Verantwortung trägt (vgl. BVerfGE 108, 82, 112 = FamRZ 2003, 816, 822; 2006, 1596, 1597). Hahne                                     Vézina                                  Dose Klinkhammer                              Schilling
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Deutschland
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BMJV
public
JURE100058519
BVerwG
4. Senat
20100301
4 B 7/10
Beschluss
§ 31 Abs 2 BauGB
vorgehend Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, 11. November 2009, Az: 2 Bf 201/06, Urteil nachgehend BVerfG, 30. August 2010, Az: 1 BvR 974/10, Nichtannahmebeschluss
DEU
Zur Befreiung von Festsetzungen bei Anspruch eines Dritten auf Gebietserhaltung
Die gegen diese Entscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 30.08.2010 - Az: 1 BvR 974/10 - nicht zur Entscheidung angenommen.
Die Beschwerde der Beigeladenen gegen das Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 11. November 2009 wird zurückgewiesen. Die Beigeladenen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu je einem Viertel. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beigeladenen beimessen. 1. Die Beigeladenen pflichten dem Oberverwaltungsgericht darin bei, dass eine unwirksame Zustellung nach § 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 189 ZPO nur dann als wirksam angesehen werden kann, wenn das Gericht mit Zustellungswillen gehandelt hat (so auch BGH, Beschluss vom 26. November 2002 - VI ZB 41/02 - NJW 2003, 1192 <1193>). Sie möchten grundsätzlich geklärt wissen, ob ein fehlender Zustellungswille immer schon dann angenommen werden kann, wenn ein Gericht hätte zustellen müssen und dies nicht getan hat. Es kann offen bleiben, ob die Frage der Beigeladenen überhaupt eine Rechtsfrage ist oder einen - der Grundsatzrüge nicht zugänglichen - Erfahrungssatz zum Inhalt hat. Denn sie würde sich so, wie sie formuliert worden ist, in dem erstrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Das Oberverwaltungsgericht hat den eigenen Zustellungswillen nicht deshalb verneint, weil eine Zustellung der Berufungsbegründungsschriften an den Kläger tatsächlich nicht erfolgt ist, sondern weil die Zustellung weder richterlich verfügt worden sei noch im Übrigen Anhaltspunkte dafür bestünden, dass eine Zustellung habe erfolgen sollen (UA S. 16). Die Beigeladenen sehen dies anders, weil sie die richterliche Verfügung des Inhalts „Nach Eingang des Originals Kopie an andere Beteiligte mit der Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 2 Monaten“ als Anordnung an die Geschäftsstelle werten, die Zustellung der Durchschriften zu veranlassen. Mit einer Kritik an der vorinstanzlichen Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung im Einzelfall lässt sich die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache freilich nicht begründen. Die Zulassung der Grundsatzrevision ist auch nicht deshalb geboten, weil es der VGH Mannheim für den Nachweis des Zustellungswillens hat ausreichen lassen, dass das Gericht das zuzustellende Dokument dem Empfänger zuleitet (Urteil vom 7. November 1997 - 8 S 1170/97 - VBlBW 1998, 217). Die Entscheidung des VGH Mannheim ist überholt. Sie ist zu § 2 Abs. 1 Satz 1 VwZG a.F. ergangen, wonach die Zustellung in der ''Übergabe des Schriftstücks in Urschrift, Ausfertigung oder beglaubigter Abschrift oder in dem Vorlegen der Urschrift'' besteht. Vorliegend geht es um § 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 166 Abs. 1 ZPO, der in der Sache übereinstimmend mit § 2 Abs. 1 VwZG in der jetzigen Fassung bestimmt, dass Zustellung „die Bekanntgabe eines Dokuments an eine Person in der in diesem Titel bestimmten Form“ ist. Die den Zustellungswillen kennzeichnenden Merkmale dessen, was eine Zustellung im Sinne der maßgeblichen Vorschrift ausmacht (Urteil vom 15. Januar 1988 - BVerwG 8 C 8.86 - NJW 1988, 1612), hat der Gesetzgeber mithin geändert. 2. Das Oberverwaltungsgericht hat aus § 69 Abs. 2 Satz 2 HBauO abgeleitet, dass die gerichtliche Aufhebung einer Baugenehmigung auch gegenüber einem Miteigentümer des Baugrundstücks wirkt, der im Prozess nicht beigeladenen worden ist. Die Frage der Beigeladenen, ob die vorinstanzliche Auslegung und Anwendung des § 69 Abs. 2 Satz 2 HBauO mit Art. 14 GG und Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar sei, nötigt ebenfalls nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision. Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ist es nicht mit der Behauptung getan, die Interpretation einer Vorschrift des nach § 173 VwGO i.V.m. § 560 ZPO nicht revisiblen Landesrechts durch das Berufungsgericht stehe mit einer Regelung des Bundesrechts (einschließlich des Bundesverfassungsrechts) nicht im Einklang. Vielmehr muss dargelegt werden, dass die bundesrechtliche Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (vgl. Beschluss vom 11. März 1998 - BVerwG 8 BN 6.97 - NVwZ 1998, 952; stRspr). Dem werden die Beigeladenen nicht gerecht. 3. Zur Zulassung der Revision führt ferner nicht die Frage, ob § 31 Abs. 2 BauGB zu Gunsten des Bauherrn erweiternd auszulegen ist, wenn seinem Vorhaben ein Anspruch eines Dritten auf Gebietserhaltung entgegengehalten wird. Das Oberverwaltungsgericht hat den Rechtssatz formuliert, im Anwendungsbereich des § 34 Abs. 2 Halbs. 2 BauGB scheide die Erteilung einer Befreiung aus, wenn durch das zu beurteilende Vorhaben der sich aus der tatsächlich vorhandenen Bebauung ergebende Gebietscharakter verändert würde (UA S. 19). Die Beigeladenen versprechen sich von einer revisionsgerichtlichen Kontrolle dieses Rechtssatzes im Ergebnis, dass der Anspruch auf Gebietserhaltung zurückgeschnitten und einem Nachbarn nur zuerkannt wird, wenn sein Grundstück durch das rechtswidrige Vorhaben tatsächlich beeinträchtigt wird. Die von ihnen für geboten gehaltene Beschränkung des ihrer Ansicht nach zu weit reichenden Gebietserhaltungsanspruchs lässt sich indes nicht mit Hilfe des § 31 Abs. 2 BauGB erreichen. Im Übrigen zeigen sie keinen Grund dafür auf, warum die Ansicht des Senats, Vorschriften zur Art der baulichen Nutzung gewährten dem Nachbarn unabhängig von tatsächlichen Beeinträchtigungen ein Abwehrrecht in Gestalt eines Gebietserhaltungsanspruchs (vgl. Urteil vom 28. April 2004 - BVerwG 4 C 10.03 - NVwZ 2004, 1244 <1246>; Urteil vom 16. September 1993 - BVerwG 4 C 28.91 - BVerwGE 94, 151), in einem Revisionsverfahren überdacht werden müsste. Dass sie diese Ansicht als für sie nachteilig ablehnen, genügt für die Zulassung der Revision nicht. 4. Auch die Frage, ob eine Beseitigungsanordnung ermessensfehlerhaft ist, wenn die Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände in keinem vernünftigen Verhältnis zu dem dafür erforderlichen Aufwand steht, rechtfertigt nicht die Zulassung der Grundsatzrevision. Die Ermessensausübung richtet sich nach § 76 Abs. 1 Satz 1 HBauO und gehört deshalb im Grundsatz zum irrevisiblen Landesrecht. Die Beigeladenen stellen zwar einen Bezug zum Bundesrecht her, indem sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ansprechen, der der Ermessenbetätigung Schranken setzt. In diesem Punkt zeigen sie jedoch keinen Klärungsbedarf auf. Es ist juristisches Allgemeingut, dass eine Maßnahme unterbleiben muss, wenn die Nachteile, die mit ihr verbunden sind, in einem krassen Missverhältnis zu den Vorteilen stehen, die sie bewirkt. Ob das Oberverwaltungsgericht dem gerecht geworden ist, entzieht sich einer grundsätzlichen Klärung. 5. Die Frage, ob es mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung vereinbar ist, dass ein Anspruch auf Gebietserhaltung primär zwingend in eine Beseitigung des rechtswidrigen Vorhabens münden muss, führt schon deshalb nicht zur Zulassung der Revision, weil sie sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen würde. Das Oberverwaltungsgericht hat einen Rechtssatz des Inhalts, dass die Bauaufsichtsbehörde bei jedem Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften unabhängig von dessen Ausmaß und Schwere zu einem Einschreiten verpflichtet sei, nicht aufgestellt. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO und die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
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deutsch
BMJV
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JURE100058521
BVerwG
8. Senat
20100219
8 B 72/09
Beschluss
§ 1 Abs 8 Buchst a VermG
vorgehend VG Dresden, 24. Februar 2009, Az: 7 K 799/06, Urteil
DEU
Sequestrierungsaufhebung als Voraussetzung eines Enteignungsverbots
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24. Februar 2009 ergangenen Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden wird zurückgewiesen. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg, da kein Zulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt. 1. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu. Die Beschwerde formuliert keine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Die in der Beschwerdebegründung aufgeworfene Frage, ob der Zurechnungszusammenhang einer Entscheidung zum sowjetischen Willen im Sinne des § 1 Abs. 8a VermG durch ein individuelles "sowjetisches Enteignungsverbot" nur dann entfällt, wenn es noch im damaligen Enteignungsverfahren in der Besatzungszeit zu einer Rückgabe des Vermögenswertes gekommen ist, würde sich in einem Revisionsverfahren ebenso wenig stellen wie die weitere für klärungsbedürftig gehaltene Frage, ob der Zurechnungszusammenhang einer Enteignung zum sowjetischen Willen im Sinne des § 1 Abs. 8a VermG durch ein individuelles "sowjetisches Enteignungsverbot" nur dann entfällt, wenn die sowjetische Besatzungsmacht (auch) die der Enteignung vorausgehende Sequestrierung aufgehoben hat. Entgegen dem Beschwerdevorbringen liegt dem angegriffenen Urteil nicht die Annahme zugrunde, das Vorliegen eines Enteignungsverbotes setze stets eine Rückgabe des Vermögenswertes oder die Aufhebung einer vorherigen Sequestrierung voraus. Vielmehr verneint das Verwaltungsgericht ein Enteignungsverbot allein deshalb, weil es dem klägerischen Vorbringen und den dazu in das Verfahren eingeführten Beweismitteln aufgrund seiner Beweiswürdigung keine die Enteignung des Verlagsunternehmens missbilligende Erklärung der sowjetischen Besatzungsmacht entnehmen konnte. Die gegenteilige Darstellung der Kläger löst die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Rückgabe von Vermögenswerten aus dem Argumentationszusammenhang. Die Erwägung, hoheitliche Eingriffe in Vermögenswerte seien der sowjetischen Besatzungsmacht zuzurechnen, wenn sie während der Besatzungszeit in der sowjetischen Besatzungszone vorgenommen und die Vermögenswerte nicht zurückgegeben wurden, umschreibt nur die generellen Zurechnungsvoraussetzungen. Sie wird ergänzt durch die nachfolgenden Ausführungen zur Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs wegen eines generellen oder konkreten Enteignungsverbots. Das angegriffene Urteil behandelt auch die Aufhebung einer vorherigen Sequestrierung nicht als rechtliche Voraussetzung eines Enteignungsverbotes. Es verwertet nur den Umstand, dass die Sequestrierung des Verlagsunternehmens nach den Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts von der sowjetischen Besatzungsmacht nicht in Frage gestellt wurde, einzelfallbezogen im Rahmen der Indizbeweiswürdigung und zieht daraus den Schluss, erst recht sei kein über eine Aufhebung der Beschlagnahme hinausgehendes Enteignungsverbot erklärt worden. Unabhängig davon sind die beiden aufgeworfenen Fragen auch nicht klärungsbedürftig, weil sie sich mit den üblichen Mitteln der Gesetzesauslegung unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung ohne Weiteres - verneinend - beantworten lassen (vgl. Beschluss vom 24. August 1999 - BVerwG 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270> = Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 228). Die Rückgabe eines enteigneten Vermögenswertes ist nur als Kriterium der Rückabwicklung einer bereits geschehenen Enteignung relevant (vgl. Urteil vom 19. Februar 2009 - BVerwG 8 C 7.08 - ZOV 2009, 138 f. = Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 41). Für die Annahme eines Enteignungsverbotes genügt dagegen jede die Enteignung generell oder im Einzelfall ausdrücklich missbilligende oder korrigierende Äußerung der Besatzungsmacht. Davon geht auch das angegriffene Urteil unter Bezugnahme auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aus (stRspr, vgl. Urteile vom 27. Juni 1996 - BVerwG 7 C 3.96 - BVerwGE 101, 282 = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 83 und vom 8. Oktober 2003 - BVerwG 8 C 28.02 - ZOV 2004, 38 <39>; Beschluss vom 22. Januar 2009 - BVerwG 8 B 93.08 - ZOV 2009, 135 f. = Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 40). Die Aufhebung einer Sequestrierung mag als Indiz für einen der Enteignung entgegenstehenden Willen sprechen, ist aber keine notwendige Voraussetzung einer entsprechenden Erklärung. 2. Die Beschwerdebegründung zeigt auch keine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Sie arbeitet keinen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz heraus, der von einem ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz einer als Divergenzentscheidung zitierten höchstrichterlichen Entscheidung abweicht. Das als Divergenzentscheidung angeführte Urteil vom 13. Dezember 2006 - BVerwG 8 C 25.05 - (Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 34) und das weiter in Bezug genommene Urteil vom 13. Februar 1997 - BVerwG 7 C 50.95 - (BVerwGE 104, 84 <86 ff.> = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 104) sind schon nach dem Vorbringen der Kläger nicht einschlägig. Das erstgenannte Urteil betrifft die Auslegung des hier nicht entscheidungserheblichen Verbotes in Nr. 5 des SMAD-Befehls Nr. 64 und die Anforderungen an die Aufhebung eines bereits ausgesprochenen Enteignungsverbotes. Das zweite hat ein generelles Enteignungsverbot zum Gegenstand. Eine Divergenz zum Urteil vom 27. Juni 1996 - BVerwG 7 C 3.96 - (a.a.O.) ist ebenfalls nicht dargelegt. Die verwaltungsgerichtlichen Rechtssätze widersprechen nicht den im zitierten Urteil aufgestellten Rechtssätzen zur Beachtlichkeit eines einmal ausgesprochenen Enteignungsverbotes. Vielmehr verneint das Verwaltungsgericht schon, dass ein solches Verbot erklärt wurde. Aufgrund eingehender Beweiswürdigung kommt es zu dem Schluss, aus dem Tatsachenvortrag der Kläger und den dazu vorgelegten Beweismitteln ergebe sich keine Missbilligung einer Enteignung des Unternehmens, sondern nur die Be-stätigung der treuhänderischen Verwaltung durch den Betriebsleiter sowie das Angebot, den Inhaber im Fall seiner Rückkehr als Treuhänder des sequestrierten Unternehmens einzusetzen, bis endgültig über eine Enteignung entschieden worden sei. Die dem zugrunde liegenden Tatsachenfeststellungen können mit der Divergenzrüge ebenso wenig angegriffen werden wie eine - angeblich - fehlerhafte Anwendung materiellrechtlicher Auslegungsregeln. Entgegen dem Beschwerdevorbringen besteht auch keine Divergenz zum Urteil vom 8. Oktober 2003 - BVerwG 8 C 28.02 - (a.a.O.). Den dort formulierten Voraussetzungen einer faktischen Enteignung oder ihrer vermögensrechtlichen Relevanz widersprechen weder die vom Verwaltungsgericht ausdrücklich aufgestellten Rechtssätze, noch ergibt sich eine Divergenz aus den Subsumtionserwägungen des angegriffenen Urteils. Seine Annahme, in der Nutzungsüberlassung des sequestrierten Verlagsunternehmens an die KPD liege noch keine faktische Enteignung, ist ohne Widerspruch zu den Rechtssätzen der angeblichen Divergenzentscheidung damit zu begründen, dass das Unternehmen dem bisherigen Inhaber nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts durch die Nutzungsüberlassung nicht endgültig, sondern nur vorläufig bis zur aufgeschobenen Entscheidung über eine Enteignung entzogen worden war. Darauf, dass die KPD die Nutzungsüberlassung als Übereignung verstanden wissen wollte, musste das Verwaltungsgericht nicht abstellen, da die objektive Sicht eines verständigen Beobachters in der Situation des Eigentümers maßgeblich ist (vgl. Beschluss vom 3. März 2008 - BVerwG 8 B 75.07 - ZOV 2008, 110 f.). Danach kommt es auf die subjektive Wahrnehmung des von der Maßnahme Begünstigten nicht an. Das angegriffene Urteil stellt schließlich nicht in Abrede, dass ein konkretes Enteignungsverbot eine nach außen erkennbare Willensäußerung der Besatzungsmacht oder ein sonstiges aktives Handeln der Besatzungsmacht voraussetzt, aus denen sich die ausdrückliche Missbilligung und Korrektur der konkreten Enteignung ergibt. Es verneint nur das Vorliegen dieser Voraussetzungen. Die Anwendung eines Rechtssatzes kann jedoch nicht Gegenstand der Divergenzrüge sein. Dies gilt auch für Angriffe gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung der Vorinstanz. 3. Die von den Klägern erhobenen Verfahrensrügen gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO rechtfertigen ebenfalls nicht die Zulassung der Revision. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG ist ebenso wenig dargetan wie ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz gemäß § 108 Abs. 1 VwGO. Dem Beschwerdevorbringen ist nicht zu entnehmen, dass das Verwaltungsgericht nach seiner materiellrechtlichen Rechtsauffassung entscheidungserhebliches Vorbringen oder relevantes Beweismaterial übergangen oder nicht ausreichend gewürdigt hätte. Wie die Kläger selbst einräumen, wird ihr Tatsachenvorbringen im Tatbestand des angegriffenen Urteils zutreffend und vollständig wiedergegeben. Der Vorwurf, das Verwaltungsgericht habe versäumt, sich mit dem Vorbringen zu einer Enteignung durch Übergabe des Betriebsvermögens an die KPD und mit Anhaltspunkten für einen dem entgegenstehenden Willen der Besatzungsmacht auseinanderzusetzen, trifft nicht zu. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht einen endgültigen Eigentumsverlust im Sinne einer faktischen Enteignung verneint, weil es nach eingehender Beweiswürdigung zu dem Schluss gekommen ist, die Besatzungsmacht habe nur eine vorläufige Beschlagnahme durch Sequestration gemäß Befehl Nr. 124 der SMAD vorgenommen (vgl. dazu Beschluss vom 15. Mai 2008 - BVerwG 8 B 17.08 - ZOV 2008, 172). Danach kam es auf das Vorbringen der Kläger, die von diesen angenommene Enteignung zu Gunsten der KPD habe dem Willen der Besatzungsmacht widersprochen, aus der materiellrechtlichen Sicht des Verwaltungsgerichts nicht mehr an. Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat es auch die klägerische Argumentation zu Äußerungen und Erwerbsabsichten Oberst Shukows im Einzelnen gewürdigt. Ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 VwGO liegt ebenfalls nicht vor. Mit Verfahrensrügen kann die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts nur angegriffen werden, soweit sie nicht die Anwendung materiellrechtlicher Auslegungsregeln oder die Subsumtion des festgestellten Sachverhalts betrifft, sondern Schlüsse von Indizien auf Haupttatsachen zieht, die der Tatsachenfeststellung zugeordnet werden können. Solche Schlussfolgerungen sind nicht schon denkfehlerhaft, wenn sie wenig wahrscheinlich oder sogar fernliegend erscheinen. Ein Verstoß gegen die Denkgesetze liegt nur vor, wenn die Schlussfolgerung logisch ausgeschlossen ist. Das ist hier weder dargelegt, noch erkennbar. Auch soweit das Verwaltungsgericht den Tatsachenvortrag der Kläger als wahr unterstellt hat, musste es nicht die von den Klägern daraus gezogenen Schlussfolgerungen übernehmen. Von einer weiteren Begründung der Beschwerdeentscheidung wird nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO abgesehen, weil sie nicht geeignet ist, zur weiteren Klärung der Revisionszulassungsvoraussetzungen beizutragen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 VwGO.
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058523
BVerwG
8. Senat
20100301
8 B 87/09
Beschluss
§ 1 Abs 6 VermG
vorgehend VG Berlin, 29. April 2009, Az: 22 A 141.06, Urteil
DEU
Zweck der vermögensrechtlichen Anmeldefrist
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 29. April 2009 wird zurückgewiesen. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.
Die Beschwerde, die sich allein auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO beruft, hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund liegt nicht vor. Die für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltene Frage, ob die durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Dezember 2004 eröffnete analoge Anwendung von § 1 Abs. 6 VermG auf die von einem Gebietsaustausch betroffenen Flächen auch die analoge Anwendung der Anmeldefrist von § 30a VermG umfasst, erfordert keine Klärung in einem Revisionsverfahren. Dazu genügt nicht, dass das Urteil vom 9. Dezember 2004 - BVerwG 7 C 2.04 - (BVerwGE 122, 286 = Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 31) diese Frage nicht ausdrücklich entschieden hat, und dass sie auch noch nicht Gegenstand einer anderen höchstrichterlichen Entscheidung war. Nur wenn ihre Klärung gerade eine solche Entscheidung verlangt, muss zur Wahrung der Rechtseinheit einschließlich der gebotenen Rechtsfortentwicklung ein Revisionsverfahren durchgeführt werden. Daran fehlt es, wenn die Frage sich anhand der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung ohne Weiteres beantworten lässt (vgl. Beschluss vom 24. August 1999 - BVerwG 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270> = Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 228). Das ist hier der Fall. Ist § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG auf die Schädigung eines vom Gebietsaustausch betroffenen Grundstücks nach den im Urteil vom 9. Dezember 2004 entwickelten Grundsätzen analog anzuwenden, ergibt sich die entsprechende Anwendbarkeit des § 30a Abs. 1 VermG aus der im Tatbestand des § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG ausdrücklich angeordneten entsprechenden Anwendung des Vermögensgesetzes. Diese Rechtsfolgenanordnung bezieht sich auf die Gesamtheit der gesetzlichen Regelungen und erübrigt eine gesonderte, auf einzelne Vorschriften bezogene Prüfung der Voraussetzungen einer Analogie. Die Erfüllung des Tatbestandes des § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG löst die Rechtsfolge entsprechender Anwendbarkeit der vermögensrechtlichen Vorschriften unabhängig davon aus, ob der Tatbestand aufgrund unmittelbarer oder analoger Anwendung des § 1 Abs. 6 VermG erfüllt ist. Seine analoge Anwendung erweitert lediglich den räumlichen Anwendungsbereich der Vorschrift, ohne die Rechtsfolge entsprechender Anwendbarkeit des Vermögensgesetzes zu modifizieren. Entgegen der Auffassung der Beschwerdebegründung muss diese Rechtsfolgenanordnung auch nicht im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Vorschrift einschränkend ausgelegt werden. Die Regelung der Anmeldefrist und deren Ausgestaltung als materiellrechtliche Ausschlussfrist dienen der Rechtssicherheit. Sie gewährleisten, dass nach Fristablauf Gewissheit darüber besteht, welche Vermögenswerte wegen einer Schädigung restitutionsbelastet und von der Verfügungssperre des § 3 Abs. 3 VermG betroffen sind. Danach bezweckt die Regelung der Ausschlussfrist nicht nur, die Investitionssicherheit im Gebiet der neuen Bundesländer zu erhöhen und Investitionshemmnisse dort abzubauen. Sie dient vielmehr dazu, die Verkehrsfähigkeit aller Vermögenswerte wiederherzustellen, die von einer Schädigung im Sinne des Vermögensgesetzes betroffen waren. Dazu zählen auch die Grundstücke, die aufgrund analoger Anwendung des § 1 Abs. 6 VermG in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen. Der entsprechenden Anwendung des § 30a VermG lässt sich schließlich nicht entgegenhalten, dass es den Berechtigten nicht möglich oder jedenfalls nicht zumutbar gewesen wäre, ihre vermögensrechtlichen Ansprüche vorsorglich innerhalb der Frist des § 30a VermG geltend zu machen. Da das Bestehen einer Wiedergutmachungslücke in den Fällen des Gebietsaustauschs offenkundig war (Urteil vom 9. Dezember 2004 a.a.O. S. 290 bzw. S. 150), bestand für die Betroffenen genügend Anlass, Ansprüche zumindest vorsorglich innerhalb der Frist geltend zu machen. Die weiter von den Klägern aufgeworfene Frage, ob die durch die Rechtsprechung eröffnete Möglichkeit der ausnahmsweisen Unbeachtlichkeit der Anmeldefrist des § 30a VermG in Fällen staatlichen Fehlverhaltens ausscheidet, weil die Betroffenen versäumt haben, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, im Rahmen des von der … praktizierten Goodwill-Verfahrens sog. Goodwill-Ansprüche innerhalb der von der … gesetzten Frist bis Ende 1998 anzumelden, hat keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie im Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich wäre. Das angegriffene Urteil verneint die Voraussetzungen einer Nachsichtgewährung, weil ein - von ihm bezweifeltes - staatliches Fehlverhalten nach seinen nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Tatsachenfeststellungen jedenfalls nicht für das Versäumen der Anmeldefrist ursächlich war. Den Mangel der Kausalität begründet das Verwaltungsgericht nicht mit dem Versäumen der von der Beigeladenen gesetzten Frist für die Geltendmachung sog. Goodwill-Ansprüche. Vielmehr stellt es darauf ab, dass die Behörde ihre Rechtsauffassung, § 1 Abs. 6 VermG sei nicht anwendbar, erst nach Ablauf der Anmeldefrist des § 30a Abs. 1 VermG durch Erlass entsprechender Bescheide manifestierte, und dass eine bis zum Ablauf der Anmeldefrist bestehende Unsicherheit über den Anwendungsbereich eine vorsorgliche Anmeldung zur Vermeidung einer Wiedergutmachungslücke nahelegen musste. Die von den Klägern für grundsätzlich für bedeutsam gehaltene Frage, ob im Falle einer analogen Anwendung von § 1 Abs. 6 VermG auf die von einem Gebietsaustausch betroffene Fläche ein anhängiges - westliches - wiedergutmachungsrechtliches Verfahren vor den Wiedergutmachungsämtern in das analog geführte vermögensrechtliche Verfahren mit einzubeziehen ist, bedarf ebenfalls keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Noch ausstehende Entscheidungen über wiedergutmachungsrechtliche Ansprüche, wie sie von den Klägern im derzeit ruhenden Wiedergutmachungsverfahren geltend gemacht werden, sind für den Vermögensrechtsstreit nicht vorgreiflich. Für die analoge Anwendbarkeit des § 1 Abs. 6 VermG genügt, dass das streitige Grundstück durch NS-Verfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet geschädigt worden war, aber vor Inkrafttreten des Vermögensgesetzes aufgrund eines Gebietsaustauschs zwischen der DDR und der Bundesrepublik aus dem Beitrittsgebiet ausschied (vgl. Urteil vom 9. Dezember 2004 a.a.O. S. 289 f. bzw. S. 150 f.). In solchen Fällen bestand typischerweise eine Wiedergutmachungslücke, da Schädigungen im Beitrittsgebiet grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich des alliierten und bundesdeutschen Wiedergutmachungsrechts fielen (vgl. Urteil vom 25. November 2009 - BVerwG 8 C 12.08 - juris) und die Schädigung von Vermögenswerten, die nachträglich in den Geltungsbereich dieser Regelungen verbracht wurden, nur innerhalb bestimmter Fristen geltend gemacht werden konnte (vgl. Urteil vom 9. Dezember 2004 a.a.O. S. 291 bzw. S. 151). Auf die Frage, wie bereits zuerkannte wiedergutmachungsrechtliche Leistungen im vermögensrechtlichen Verfahren zu berücksichtigen sind, kommt es hier nicht an, weil solche Leistungen wegen der geltend gemachten Schädigung bisher nicht erbracht wurden. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058618
BVerwG
8. Senat
20100301
8 C 48/09, 8 C 48/09 (8 C 12/08)
Beschluss
§ 1 Abs 6 VermG
DEU
Gleichwertige Wiedergutmachungsregelungen Beitrittsgebiet
Die gegen diese Entscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 28.07.2015 - 1 BvR 2700/11 - nicht zur Entscheidung angenommen.
Die Anhörungsrüge der Kläger vom 9. Dezember 2009 gegen das Urteil des Senats vom 25. November 2009 - BVerwG 8 C 12.08 - wird zurückgewiesen. Die Kläger tragen die Kosten des Rügeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Die Anhörungsrüge der Kläger hat keinen Erfolg. Nach § 10 Abs. 3 Halbs. 2 VwGO entscheidet der Senat in der Besetzung mit drei Richtern (Beschluss vom 17. August 2007 - BVerwG 8 C 5.07 - Buchholz 310 § 152a VwGO Nr. 4; vgl. BFH, Beschluss vom 22. April 2009 - VI S 4/09 - juris, zu § 10 Abs. 3 Halbs. 2 FGO). Nach § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO bleibt die Anhörungsrüge erfolglos, weil das Urteil vom 25. November 2009 die Kläger nicht in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Es ist nicht als unzulässige Überraschungsentscheidung zu qualifizieren, weil es den räumlichen Anwendungsbereich des § 1 Abs. 6 VermG unter Berücksichtigung des Geltungsbereichs des alliierten und bundesdeutschen Wiedergutmachungsrechts bestimmt, ohne dass den Klägern zuvor ein rechtlicher Hinweis erteilt oder ihnen im Termin zur mündlichen Verhandlung ein Schriftsatznachlass gewährt worden wäre. Der Grundsatz rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG wird in § 108 Abs. 2 VwGO konkretisiert und gewährleistet, dass die Beteiligten sich zu allen entscheidungserheblichen tatsächlichen und rechtlichen Fragen äußern können. Er verbietet, eine Gerichtsentscheidung ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt zu stützen, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem Prozessverlauf nicht rechnen musste. Das Gericht ist danach nicht grundsätzlich verpflichtet, vor der Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinzuweisen. Ein Hinweis ist nur erforderlich, wenn ein Beteiligter bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt nicht zu erkennen vermag, auf welchen Vortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Das ist nicht der Fall, wenn ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens damit rechnen musste, dass ein rechtlicher Gesichtspunkt für die Entscheidung erheblich sein könnte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 <190>; Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1934/93 - BVerfGE 96, 189 <204> und Plenumsbeschluss vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395 <409>). Hier musste ein solcher Prozessbeteiligter bereits nach dem erstinstanzlichen Teilurteil und der Revisionsbegründung der Beklagten davon ausgehen, dass der Geltungsbereich rückerstattungsrechtlicher Schadensersatzregelungen und die Frage, ob eine vermögensrechtlich zu schließende Wiedergutmachungslücke bei Anwendbarkeit solcher Regelungen zu verneinen sei, für die revisionsgerichtliche Entscheidung erheblich werden konnten. Das angegriffene Teilurteil hatte die Möglichkeit des Bestehens rückerstattungsrechtlicher Sekundäransprüche und die Frage, ob dies einer Anwendung des § 1 Abs. 6 VermG entgegenstehe, ausdrücklich angesprochen. Dass sein Verneinen der Frage im Revisionsverfahren nicht überprüft werden würde, konnte ein sachkundiger und gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem weiteren Prozessverlauf nicht unterstellen. Das verwaltungsgerichtliche Teilurteil wurde von der Revision umfassend angegriffen. Dabei ging die Revisionsbegründung der Beklagten ausdrücklich auf die Möglichkeit einer rückerstattungsrechtlichen Wiedergutmachung ein. Darüber hinaus ergab sich aus den von den Klägern vorgelegten Wiedergutmachungsakten, dass einer ihrer Rechtsvorgänger seinerzeit einen rückerstattungsrechtlichen Schadensersatzanspruch geltend gemacht hatte und das betreffende Verfahren noch ruhte. Auch auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung und ihrer schriftsätzlichen Erörterung im Rahmen der Terminsvorbereitung musste ein kundiger Prozessbeteiligter bei gewissenhafter Vorbereitung damit rechnen, dass der Geltungsbereich des alliierten Rückerstattungsrechts entscheidungserheblich sein könnte. Die bisherige Rechtsprechung hatte zur Konkretisierung des Sinns und Zwecks des Vermögensgesetzes, Wiedergutmachungslücken zu schließen, stets darauf hingewiesen, dass nach 1945 im Beitrittsgebiet keine dem alliierten oder bundesdeutschen Wiedergutmachungsrecht gleichwertigen Regelungen galten (vgl. die Nachweise unter Ziff. 2. Buchst. c des Urteils vom 25. November 2009). Selbst die Begründung der Anhörungsrüge räumt ein, dass das angegriffene Urteil vom 25. November 2009 und die nach Meinung der Kläger vom Senat vertretene "neue These" im Sinne einer normativen Betrachtungsweise an die bisherige Rechtsprechung zur Wiedergutmachungslücke anknüpft, und bezeichnet insofern die - darin erläuterte - Abgrenzung ausdrücklich als deren Weiterentwicklung. Dass dies auch im Hinblick auf die Rechtsprechung zu den Fällen des Gebietstauschs zutrifft, insoweit also entgegen der Rügeschrift keine "Abkehr" vorliegt, ergibt sich bereits aus dem angegriffenen Urteil (vgl. dort Ziffer 2. Buchst. c - im vorletzten Absatz vor Ziffer 3.). Die materiellrechtliche Würdigung durch das Revisionsgericht kann nicht Gegenstand einer Anhörungsrüge nach § 152a VwGO sein. Auf den Einwand der Kläger, der Senat habe den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 6 VermG nicht "normativ" abgrenzen dürfen, sondern das Bestehen eines rückerstattungsrechtlichen Schadensersatzanspruchs prüfen, verneinen und deshalb mindestens eine analoge Anwendbarkeit des § 1 Abs. 6 VermG bejahen müssen, kommt es danach nicht an. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO.
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058675
BGH
2. Strafsenat
20100303
2 StR 427/09
Urteil
§ 261 StPO, § 267 Abs 5 StPO
vorgehend LG Fulda, 27. April 2009, Az: 17 Js 2710/07 KLs, Urteil
DEU
Strafurteilsinhalt: Anforderungen an die Beweiswürdigung bei Freispruch vom Anklagevorwurf der sexuellen Nötigung
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Fulda vom 27. April 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf dreier, teils gemeinschaftlich begangener sexueller Nötigungen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft, deren Rechtsmittel vom Generalbundesanwalt vertreten wird, mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg. I. Ein grundlegender Mangel des Urteils liegt bereits darin, dass es nicht erkennen lässt, welchen Sachverhalt das Landgericht als festgestellt erachtet. Vielmehr schließt sich nach Mitteilung des Anklagevorwurfs unmittelbar die Beweiswürdigung an. Spricht aber der Tatrichter den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen frei, so muss er in den Urteilsgründen zunächst den Anklagevorwurf, hieran anschließend die hierzu getroffenen Feststellungen, dann die wesentlichen Beweisgründe und schließlich seine rechtlichen Erwägungen mitteilen. Der Tatrichter muss also zunächst diejenigen Tatsachen bezeichnen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen er die zur Verurteilung notwendigen Feststellungen nicht treffen konnte (BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 10, 13 jeweils m.w.N.; BGH NStZ 2009, 512, 513; zum Aufbau eines freisprechenden Urteils Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen 28. Aufl. Rdn. 619 ff.). Hier sind die Freisprüche - weil tatsächliche Feststellungen nicht ausgewiesen sind - aus den Urteilsgründen selbst heraus nicht nachvollziehbar und nicht überprüfbar. Bereits dieser Darstellungsmangel zwingt zur Aufhebung des Urteils. II. Im Übrigen hält auch die Beweiswürdigung sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, bzw. gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16 m.w.N.). Insbesondere sind die Beweise auch erschöpfend zu würdigen (BGHSt 29, 18, 20). Ist die Beweislage schwierig und hängt die Entscheidung im Wesentlichen davon ab, ob das Gericht den Angaben des potentiellen Opfers einer Sexualstraftat oder dem Angeklagten folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13, 14). Dies gilt insbesondere dann, wenn die einzige Belastungszeugin in der Hauptverhandlung ihre Vorwürfe im Wesentlichen nicht mehr aufrechterhält (BGHSt 44, 153, 159; 256; BGH NStZ-RR 2008, 254; Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 261 Rdn. 11 a). Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung nicht gerecht: Sie ist lückenhaft, weil das Urteil nicht erkennen lässt, dass das Landgericht alle Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, in seine Überlegungen einbezogen hat. 1. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, zusammen mit drei anderen nach einem Discobesuch die Geschädigte - unter dem Vorwand, sie nach Hause fahren zu wollen - zu einer gemeinsamen PKW-Fahrt überredet zu haben. Bei einem Halt auf einem Feldweg habe der Angeklagte die Zeugin aus dem PKW gezerrt, sie zu küssen versucht und zusammen mit einem der Mitfahrer ihre Hose gewaltsam heruntergezogen, um gegen ihren Willen mit ihr den Beischlaf zu vollziehen, was letztlich an ihrer heftigen Gegenwehr gescheitert sei. Während der anschließenden Weiterfahrt habe der neben der Geschädigten auf dem Rücksitz des PKW's sitzende Angeklagte erfolglos durch gewaltsames Herunterdrücken des Kopfes diese zur Ausführung des Oralverkehrs zwingen wollen. Nach dem Scheitern dieser Bemühungen habe er die Hand der Zeugin zu seinem erigierten Glied geführt und bis zum Samenerguss hin und her bewegt. 2. Diesen vor allem auf den polizeilichen Aussagen der Geschädigten beruhenden Anklagevorwurf hält die Strafkammer nicht für erwiesen, weil sich die Zeugin in der Hauptverhandlung zunächst auf Erinnerungslücken berufen und später ihre Aussage relativiert habe. Der Angeklagte hingegen habe bestritten, an dem stattgefundenen Vergewaltigungsversuch außerhalb des PKW beteiligt gewesen zu sein. Die sich anschließenden sexuellen Handlungen auf der Rücksitzbank seien einvernehmlich erfolgt, er habe der Geschädigten nur die Hand geführt (UA 9). 3. Die Beweiswürdigung der Strafkammer ist bereits deshalb rechtsfehlerhaft, weil es an einer geschlossenen Darstellung der Aussage der im Ermittlungsverfahren mehrfach vernommenen Geschädigten fehlt. Das Revisionsgericht kann so nicht prüfen, ob der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung zu beeinflussen geeignet sind, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Insbesondere bleibt unerörtert, welche belastenden Aussagen die Zeugin bei welcher polizeilichen Vernehmung überhaupt gemacht hat sowie, ob und ggf. welche Angaben sie zu den vom Angeklagten behaupteten sexuellen Annäherungen ihrerseits in der Discothek und während der Fahrt bis zum Anhalten auf dem Feldweg gemacht hat. 4. Darüber hinaus ist die Beweiswürdigung deshalb lückenhaft, weil sich das Landgericht nicht damit auseinandersetzt, welches Motiv die Geschädigte gehabt haben könnte, den ihr bis dahin völlig unbekannten Angeklagten und dessen drei Freunde zu Unrecht einer sexuellen Nötigung zu beschuldigen. Die Erwägung, die Geschädigte könnte die Geschehnisse zunächst eher "dramatisiert" haben (UA 6), ist insoweit unbehelflich. Weitere, von der Strafkammer unberücksichtigte Indizien für die Glaubwürdigkeit der Zeugin sind, dass das von ihr geschilderte äußere Tatgeschehen im PKW insoweit vom Angeklagten, dessen Spermaspuren ausweislich der Anklage auf der Jacke der Geschädigten gesichert werden konnten, eingeräumt wird und dass der von ihr angezeigte Vergewaltigungsversuch außerhalb des PKW's nach der Anklage eine objektive Bestätigung durch von den Verletzungen gefertigte Lichtbilder findet. Auch der Angeklagte selbst räumt den von der Geschädigten angezeigten Vergewaltigungsversuch auf dem Feldweg ein, der jedoch nicht von ihm, der im Auto sitzen geblieben sein will, sondern ausschließlich von seinen Mitfahrern unternommen worden sein soll. Weiterhin spräche es für die Glaubwürdigkeit der Geschädigten, wenn sie sich im unmittelbaren Anschluss an die PKW-Fahrt noch vor Anzeigeerstattung ihren Eltern anvertraut hätte, wofür sich in den Urteilsgründen Anhaltspunkte finden (UA 6); auch insoweit fehlt es an der erforderlichen Wiedergabe der von dem Vater der Geschädigten in der Hauptverhandlung dazu offenbar gemachten Bekundungen. Ebenso wenig werden die früheren Einlassungen des Angeklagten mitgeteilt, und es wird nicht erwogen, dass es sich in der Hauptverhandlung um eine der damaligen Beweislage angepasste Einlassung gehandelt haben könnte. Zu einer solchen Überlegung hätte umso mehr Veranlassung bestanden, weil die Strafkammer selbst mitteilt, dass der Angeklagte und seine als Zeugen vernommenen Mitfahrer im Vorfeld der Hauptverhandlung eine Falschaussage mit dem Ziel der Entlastung Einzelner verabredet hatten (UA 7). 5. Dass - wovon die Strafkammer ausgeht - die gerade einer Vergewaltigung entronnene Geschädigte unmittelbar anschließend in gelöster Stimmung (UA 6/7) freiwillig auf der Rücksitzbank an dem Angeklagten sexuelle Handlungen vorgenommen haben könnte, bzw. dass der Angeklagte ungeachtet des gerade vorausgegangenen Vergewaltigungsversuchs jedenfalls von einer freiwilligen sexuellen Hingabe der Zeugin, deren Hand er "führte" (UA 9), ausgegangen war, widerspricht der Lebenserfahrung und hätte eingehender begründet werden müssen. 6. Der neue Tatrichter wird auch denkbaren Ursachen für ein gegebenenfalls zögerliches Aussageverhalten der Geschädigten nachzugehen haben. Fischer                             Roggenbuck                                   Appl Franke                                       Schmitt
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058676
BGH
1. Strafsenat
20100223
1 StR 623/09
Urteil
§ 332 Abs 1 StGB, § 335 Abs 2 Nr 3 StGB
vorgehend LG Hildesheim, 6. April 2009, Az: 25 KLs 4242 Js 9579/09, Urteil
DEU
Bestechlichkeit: Beseitigung der Indizwirkung des Regelbeispiels der gewerbs- und bandenmäßigen Begehung durch tragfähige Milderungsgründe
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 6. April 2009 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die durch dieses dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse. Von Rechts wegen
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bestechlichkeit in Tateinheit mit Beihilfe zur Untreue in 140 Fällen und wegen Steuerhinterziehung in 41 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten verurteilt und hiervon sechs Monate als vollstreckt erklärt. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft ist - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 26. November 2009 zutreffend ausgeführt hat - wirksam auf die Einzelstrafen in den Fällen der Bestechlichkeit sowie die Gesamtstrafe beschränkt. Das allein auf die Sachrüge gestützte, vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel bleibt erfolglos. 2. Der überwiegend geständige, bislang nicht bestrafte Angeklagte war im Tatzeitraum (Oktober 2003 bis Ende August 2005) als Aufsichtsperson des Finanzamtes H. in der Spielbank Ha. eingesetzt. Nach den Feststellungen wirkte er unter Missachtung dieser Aufgabe mit mehreren Mitarbeitern der Spielbank bei der manipulativen Entnahme von - nach dem niedersächsischen Spielbankengesetz steuerverhafteten - Geldern aus Spielautomaten zusammen. Hierfür erhielt er regelmäßig ein Fünftel des entnommenen Betrages, d.h. pro Tat zumeist 200,-- Euro und insgesamt gut 32.000,-- Euro. 3. In den Fällen der Bestechlichkeit hat das Landgericht zwar das Regelbeispiel des § 335 Abs. 2 Nr. 3 StGB als verwirklicht angesehen, dessen Indizwirkung aber verneint und seiner Strafzumessung wegen der tateinheitlich - ebenfalls gewerbsmäßig und als Mitglied einer Bande - begangenen Beihilfe zur Untreue (§ 266 Abs. 1 und 2, § 263 Abs. 3 Nr. 1, § 27 StGB) unter Beachtung des § 52 Abs. 2 Satz 2 StGB jeweils einen von sechs Monaten bis sieben Jahre und sechs Monate Freiheitsstrafe reichenden Strafrahmen zugrunde gelegt. Hiergegen bestehen im Ergebnis keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. 4. Die Beschwerdeführerin beanstandet allerdings, das Landgericht hätte den Strafrahmen des § 335 StGB und nicht denjenigen des § 332 Abs. 1 Satz 1 StGB anwenden müssen. Sie meint, die vom Landgericht herangezogenen Gründe für die Widerlegung der Indizwirkung des Regelbeispiels des § 335 Abs. 2 Nr. 3 StGB seien nicht tragfähig, zudem habe das Landgericht die Systematik der drei für Bestechlichkeit vorgesehenen Strafrahmen verkannt. Beides trifft aber, wie der Generalbundesanwalt bereits in seiner Antragsschrift vom 26. November 2009 dargelegt hat, nicht zu. Der Senat hebt ergänzend lediglich Folgendes hervor: Die Indizwirkung eines verwirklichten Regelbeispiels kann durch entlastende Faktoren beseitigt werden. Die insofern gebotene Gesamtwürdigung hat das Landgericht vorgenommen und sich hierbei auf insgesamt tragfähige Milderungsgründe gestützt. Das Landgericht hat die vom Angeklagten in jedem Einzelfall erzielten Vorteile vertretbar als "eher gering" eingestuft, nicht aber - worauf die Revision abhebt - als "geringwertig". Auf die etwa für § 248a StGB maßgebliche Geringwertigkeitsgrenze kommt es daher nicht an. Gleiches gilt für von der Revision als relevant angesehene Bestimmungen niedersächsischen Beamtenrechts, weil dieses lediglich Grenzen für die Annahme von Zuwendungen in generell erlaubter oder jedenfalls genehmigungsfähiger Höhe vorsieht. Den erheblichen Zeitraum zwischen den Taten und deren Verurteilung durfte das Landgericht als der Indizwirkung des Regelbeispiels widerstreitenden Gesichtspunkt heranziehen. Schließlich erweist sich auch die Bildung der Gesamtstrafe als rechtsfehlerfrei. Nack                            Wahl                               Hebenstreit Jäger                             Sander
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058677
BGH
1. Strafsenat
20100223
1 StR 627/09
Beschluss
§ 2 StPO, § 4 Abs 2 S 1 StPO, § 5 StPO
vorgehend LG Baden-Baden, 24. Juli 2009, Az: 3 KLs 313 Js 15983/08, Urteil
DEU
Verbindung zusammenhängender Strafsachen
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 24. Juli 2009 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend bemerkt der Senat: Der Beschluss vom 24. Juli 2009, mit dem die Strafkammer die zum Amtsgericht Baden-Baden angeklagte Strafsache gegen den Angeklagten (Fall II.4 der Urteilsgründe) zu dem bei ihr anhängigen Strafverfahren hinzuverbunden hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Nach den §§ 4, 5 StPO können zusammenhängende Strafsachen (§ 2 StPO), von denen die eine im ersten Rechtszug beim Amtsgericht und die andere im ersten Rechtszug beim Landgericht anhängig ist, durch die Strafkammer miteinander verbunden werden (vgl. BGHSt 22, 185, 186; Erb in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 4 Rdn. 34). Denn gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 StPO ist für den Verbindungsbeschluss das Gericht höherer Ordnung zuständig, wenn die übrigen Gerichte zu seinem Bezirk gehören. So verhält es sich hier. Das Amtsgericht Baden-Baden gehört zum Bezirk des Landgerichts Baden-Baden. Einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe als gemeinschaftliches oberes Gericht bedurfte es nicht. Nach § 4 Abs. 2 Satz 2 StPO ist das gemeinschaftliche obere Gericht nur dann für den Beschluss über die Verbindung der Strafsachen zuständig, wenn die Voraussetzungen von § 4 Abs. 2 Satz 1 StPO - anders als hier - nicht gegeben sind (vgl. BGHR StPO § 4 Verbindung 9 und 12). Nack                              Wahl                                Graf Jäger                            Sander
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058679
BGH
1. Strafsenat
20100202
1 StR 635/09
Urteil
§ 19 S 3 TabStG, § 370 Abs 1 Nr 2 AO, § 374 AO, § 154 StPO, § 154a StPO
vorgehend LG Hagen (Westfalen), 9. Juli 2009, Az: 71 KLs 6 Js 101/08 (5/09), Urteil
DEU
Steuerhehlerei: Besitzerwerb an steuerpflichtigen Tabakwaren vor Beendigung des Verbringens oder Versendens als Voraussetzung der Erklärungspflicht; Berücksichtigung EU-ausländischer Verbrauchssteuern bei der Strafzumessung bzw. bei der Verfolgungsbeschränkung
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 9. Juli 2009 a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass in den Fällen 1, 2, 3, 4, 6 und 7 der Urteilsgründe die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung entfällt, insoweit wird die Angeklagte freigesprochen; b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass die nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe gemäß §§ 460, 462 StPO zu treffen ist. 2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen. 3. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels bleibt dem für das Nachverfahren gemäß §§ 460, 462 StPO zuständigen Gericht vorbehalten. Von Rechts wegen
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei und wegen Steuerhinterziehung in jeweils sechs Fällen sowie wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen Steuerhehlerei und zur Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Ihre auf die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision hat in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfang Erfolg. I. Nach den Feststellungen des Urteils erwarb die Angeklagte zwischen März 2007 und Juni 2007 in sechs Fällen von dem gesondert verfolgten W. bzw. von anderen Personen, die einer Tätergruppierung um W. angehören, in einer Lagerhalle in H. Zigaretten der Marke "Jin Ling". Die Zigaretten waren zuvor zunächst aus Russland und der Ukraine unter Verstoß gegen die Gestellungspflicht gemäß Art. 40 Zollkodex von anderen Personen nach Polen verbracht und dort zur Vorbereitung des Weitertransportes gelagert worden. Im Anschluss daran wurden sie von Mitgliedern der Tätergruppierung um W. übernommen und entgegen § 12 Abs. 1 TabStG ohne deutsche Steuerzeichen in das Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland verbracht. Die Verbringer der Zigaretten gaben dabei in Deutschland nicht gemäß § 19 Satz 3 TabStG unverzüglich eine Steuererklärung ab. Die Zigaretten wurden in der vorgenannten Lagerhalle, die allein von W. genutzt und verwaltet wurde und zu der keine anderen, außerhalb der Tätergruppierung stehenden Personen Zutritt hatten, bis zum Weiterverkauf der Zigaretten durch W. oder andere Personen, die der Tätergruppierung angehörten, gelagert. Neben dem Erwerb von Zigaretten unterstützte die Angeklagte in einem Fall W. bei der Anlieferung von Zigaretten in einem Zwischenlager, indem sie auf dessen Bitte die Umgebung beobachtete und verdächtige Ereignisse über Mobiltelefon mitteilte. II. 1. Die Sachrüge bleibt erfolglos, soweit die Angeklagte in den Fällen 1 bis 4, 6 und 7 wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei verurteilt wurde, sowie im Fall 5 der Urteilsgründe insgesamt. All dies hat der Generalbundesanwalt, auch schon in seinem Antrag vom 7. Dezember 2009, zutreffend ausgeführt. Hierauf nimmt der Senat Bezug. 2. Dagegen kann der Schuldspruch wegen (jeweils tatmehrheitlich begangener) Steuerhinterziehung in den Fällen 1 bis 4, 6 und 7 keinen Bestand haben. In diesen Fällen war die Angeklagte nicht verpflichtet gemäß § 19 Satz 3 TabStG unverzüglich eine Steuererklärung abzugeben, da sie - unbeschadet ihrer Haftung gemäß § 71 AO - nicht Steuerschuldner i.S.v. § 19 Satz 2 TabStG war. Daher hat sie den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht erfüllt. a) Nach § 19 Satz 1 TabStG entsteht die Tabaksteuer, wenn - wie hier - Tabakwaren unzulässigerweise entgegen § 12 Abs. 1 TabStG aus dem freien Verkehr anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland (vgl. § 1 TabStG) verbracht oder versandt werden, mit dem Verbringen oder Versenden in das Steuergebiet. Steuerschuldner ist, wer verbringt oder versendet und der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat. Allein diese Steuerschuldner sind nach § 19 Satz 3 TabStG verpflichtet, unverzüglich eine Steuererklärung abzugeben. b) Die Angeklagte war weder Verbringer noch Versender. Entgegen der Auffassung des Landgerichts war sie auch nicht Empfängerin der vorschriftswidrig in das Steuergebiet verbrachten Tabakwaren i.S.v. § 19 Satz 2 TabStG. Gemäß § 19 Satz 1 TabStG knüpft das Entstehen der Tabaksteuerschuld an das Verbringen oder Versenden der Tabakwaren aus einem anderen Mitgliedstaat in das Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland an. Aus dem Wortlaut und der Systematik der Vorschrift ergibt sich, dass als weiterer Steuerschuldner neben dem Verbringer und dem Versender allein derjenige "Empfänger" der Ware in Betracht kommt, der im Rahmen des Verbringungs- bzw. Versendungsvorgangs selbst den Besitz an den Tabakwaren erlangt. Dies bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Empfänger im Sinne dieser Vorschrift kann aber nicht mehr sein, wer den Besitz an den Tabakwaren erst dann erlangt, wenn der Verbringungs- bzw. Versendungsvorgang bereits beendet ist. Beendigung in diesem Sinne ist - ebenso wie z.B. bei der Einfuhr i.S.v. § 21 Satz 1 TabStG - dann gegeben, wenn die Tabakwaren in Sicherheit gebracht und "zur Ruhe gekommen" sind (vgl. insoweit für Fälle der Einfuhr BGHSt 3, 40, 44; BGH wistra 2007, 262; 2000, 425). Dies ist auch beim Verbringen oder Versenden i.S.v. § 19 Satz 1 TabStG erst dann der Fall, wenn die Tabakwaren die "gefährliche" Phase des Grenzübertritts passiert haben und der Verbringer bzw. Versender sein Unternehmen insgesamt erfolgreich abgeschlossen hat (vgl. BGH aaO). In der Regel wird das Verbringen oder Versenden erst dann beendet sein, wenn die Tabakwaren ihren Bestimmungsort erreicht haben (vgl. auch BGH NStZ 2007, 590, 592; wistra 2000, 425). c) Nach diesen Grundsätzen kommen in den vorliegenden Fällen als Empfänger allein der gesondert verfolgte W. und die Personen, die seiner Tätergruppierung angehören, in Betracht. Denn diese Personen nahmen die Zigaretten in der Lagerhalle in Empfang, wodurch die Zigaretten bestimmungsgemäß zur Ruhe kamen. Der sich anschließende Weiterverkauf der Zigaretten an die Angeklagte war nicht mehr Teil des Verbringungsvorgangs. War die Angeklagte aber nicht Empfängerin der Zigaretten, geht der konkurrenzrechtliche Hinweis der Strafkammer auf den anders gelagerten Fall, der dem Beschluss des Senats vom 28. August 2008 (1 StR 443/08 = wistra 2008, 470) zu Grunde lag, ins Leere. 3. Im Hinblick darauf, dass das Landgericht zwischen der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei und der von ihm zu Unrecht angenommenen Steuerhinterziehung jeweils Tatmehrheit angenommen hat, lässt der Senat nicht lediglich den fehlerhaften Schuldspruch wegen Steuerhinterziehung entfallen, sondern spricht zur Klarstellung die Angeklagte teilweise - nämlich vom Vorwurf der Steuerhinterziehung - frei. 4. Der Wegfall der Schuldsprüche wegen Steuerhinterziehung führt zugleich zum Entfallen der hierfür jeweils verhängten Einzelstrafen (zwischen sechs und zehn Monaten) und zur Aufhebung der Gesamtstrafe. Die Auffassung, dass darüber hinaus zugleich die in den Fällen 1 bis 4, 6 und 7 wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei verhängten Einzelstrafen (jeweils sechs Monate Freiheitsstrafe) aufzuheben seien, um bei insgesamt im Tatgeschehen gleich bleibendem Gesamtschuldgehalt für die einzelnen Taten höhere Einzelstrafen zu ermöglichen, teilt der Senat nicht. a) Anhaltspunkte dafür, dass die Einzelstrafen für die Fälle der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei zum Nachteil der Angeklagten von der fehlerhaften Verurteilung wegen Steuerhinterziehung beeinflusst worden sein könnten, bestehen nicht. b) Der Senat ist auch nicht der Ansicht, dass diese Einzelstrafen deshalb aufzuheben seien, weil sie - vergleichbar Fällen einer Schuldspruchänderung wegen abweichender Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses bei gleich bleibendem Schuldumfang (z.B. in Fällen sog. Bewertungseinheit vor allem bei Rauschgifthandel, vgl. BGH NStZ 1996, 93; NStZ-RR 1999, 218; vgl. auch die Nachw. b. Kuckein in KK 6. Aufl. § 358 Rdn. 30) - unbeschadet § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO bis zur Summe der jeweiligen Einzelstrafen erhöht werden könnten. Eine solche Fallgestaltung liegt hier nach Auffassung des Senats nicht vor. Es geht hier nicht nur um eine Änderung der Konkurrenzverhältnisse. Da die Angeklagte in den in Rede stehenden Fällen keine Steuerhinterziehung begangen hat, kann sich auch nicht die Frage nach dem Konkurrenzverhältnis hinsichtlich der abgeurteilten gewerbsmäßigen Steuerhehlerei und Steuerhinterziehung stellen. Es verbleibt daher bei den auch sonst ohne Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten gebildeten Einzelstrafen wegen gewerbsmäßiger Steuerhinterziehung in den Fällen 1 bis 4, 6 und 7 sowie wegen Beihilfe zu gewerbsmäßiger Steuerhehlerei und Steuerhinterziehung im Fall 5 der Urteilsgründe. 5. Ausgehend von ihrer rechtlichen Würdigung hat die Strafkammer bei der Bemessung der Einzelstrafen wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei die bei der Verbringung der Zigaretten in das Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland hinterzogene deutsche Tabaksteuer nicht berücksichtigt. Im Rahmen der Gesamtstrafenbildung hat die Strafkammer auch auf den durch die Taten verursachten Gesamtsteuerschaden abgestellt. Hierzu bemerkt der Senat: Bei der gegebenen Sachlage bedarf es hier keiner Entscheidung, ob das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei die in Polen und die in Deutschland verkürzten Verbrauchsteuern auf Tabakwaren der Angeklagten kumulativ hätte zur Last legen dürfen. Für den tatbestandlichen Schuldumfang in den Fällen 1 bis 4, 6 und 7 der Urteilsgründe bestehen gegen die kumulative Heranziehung dieser Abgaben keine Bedenken, weil der Steuerhehlerei gemäß § 374 AO jeweils zwei Vortaten zugrundelagen. Einerseits ist dies die Hinterziehung der bei Einfuhr der Zigaretten nach Polen angefallenen Einfuhrabgaben, nämlich Zoll, polnische Einfuhrumsatzsteuer und polnische Tabaksteuer. Andererseits ist dies die beim dem Verbringen der Zigaretten in das Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland hinterzogene deutsche Tabaksteuer. Die in Polen verkürzten Abgaben sind auch nicht nachträglich durch das Verbringen der Zigaretten nach Deutschland entfallen. Allerdings ist im Blick zu behalten, dass das gemeinschaftsrechtliche Verbrauchsteuersystem - jedenfalls für den Fall normgemäßen Verhaltens - davon ausgeht, dass verbrauchsteuerpflichtige Waren im Ergebnis grundsätzlich nicht mit den Verbrauchsteuern mehrerer Mitgliedstaaten belastet sein sollen. Das Gemeinschaftsrecht sieht deshalb die Möglichkeit der Erstattung von in anderen Mitgliedstaaten entstandenen und auch erhobenen Verbrauchsteuern vor (vgl. Art. 7 Abs. 6 und Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie Nr. 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren [ABl. EG Nr. L 76/1 - "Verbrauchsteuer-Systemrichtlinie"] sowie Art. 33 Abs. 6 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG sowie die dortigen Erwägungsgründe Nr. 12, 30 und 31; ABl. EU 2009 Nr. L 9/12). Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, in zukünftigen, dem vorliegenden Fall vergleichbaren Fällen der Steuerhehlerei oder Steuerhinterziehung die Strafverfolgung hinsichtlich der verkürzten Abgaben gemäß §§ 154, 154a StPO auf die bei der Einfuhr in einen anderen Mitgliedstaat hinterzogenen Einfuhrabgaben Zoll und Einfuhrumsatzsteuer sowie die bei dem Verbringen in das deutsche Verbrauchsteuergebiet hinterzogene deutsche Tabaksteuer zu beschränken. Es bedarf dann auch nicht der sonst erforderlichen Feststellung und Anwendung der tabaksteuerrechtlichen Vorschriften anderer Mitgliedstaaten sowie der zuweilen schwierigen Berechnung und Darstellung der in anderen Mitgliedstaaten hinterzogenen Tabaksteuer (vgl. insoweit BGH NStZ 2007, 595; siehe auch Jäger NStZ 2008, 21, 24). 6. Der Senat verweist die Festsetzung der allein noch zu bildenden neuen Gesamtstrafe gemäß § 354 Abs. 1b Satz 1 StPO in das Beschlussverfahren nach den §§ 460, 462 StPO. Somit obliegt die Bildung der Gesamtstrafe dem gemäß § 462a Abs. 3 StPO zuständigen Gericht. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (auch) zulässig, wenn - wie hier - eine neue Gesamtstrafe wegen eines im Revisionsverfahren erfolgten Teilfreispruchs gebildet werden muss (vgl. BGH, Beschl. vom 10. Oktober 2006 - 1 StR 377/06). Nack                                Wahl                                    Hebenstreit Jäger                                Sander
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058692
BGH
3. Strafsenat
20100126
3 StR 442/09
Beschluss
§ 22 StGB, § 23 StGB, § 306a Abs 1 Nr 1 Alt 1 StGB, § 306a Abs 1 Nr 1 Alt 2 StGB, § 306b Abs 2 Nr 2 StGB
vorgehend LG Oldenburg (Oldenburg), 8. Juni 2009, Az: 731 Js 59455/08 - 4 KLs 27/09, Urteil
DEU
Besonders schwere Brandstiftung: Voraussetzungen eines vollendeten Inbrandsetzens bei Feuerlegung in einem Imbisslokal im Erdgeschoss eines gemischt genutzten Gebäudes
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 8. Juni 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagten der besonders schweren Brandstiftung schuldig gesprochen und sie jeweils zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit ihren Revisionen rügen sie die Verletzung des materiellen Rechts und beanstanden das Verfahren. Die Rechtsmittel haben mit von beiden Angeklagten übereinstimmend erhobenen Verfahrensrügen Erfolg. Auf die Sachrügen kommt es deshalb nicht an. I. 1. Zu Recht beanstanden die Angeklagten, dass das Landgericht die Aussage der Zeugin B. im Ermittlungsverfahren, den vom Angeklagten M. als Grund seiner Brandverletzungen behaupteten Grillunfall habe es nicht gegeben, sowie die betriebswirtschaftliche Auswertung 2008 für das durch den Brand zerstörte Lokal zu ihrem Nachteil verwertet hat. Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift ausgeführt: "Das Gericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft der Angeklagten auch auf die Angaben der Zeugin B. gestützt. Dieser stand als Stieftochter des Angeklagten M. (UA S. 12) ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO zu, über das sie nach § 52 Abs. 3 StPO hätte belehrt werden müssen. Dies ist indes weder bei der polizeilichen Vernehmung noch bei der Vernehmung durch die Kammer erfolgt, was zu einem Verwertungsverbot ihrer Angaben führt (Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl., § 52 Rdnr. 32 m. zahlr. w.N.). Ein Ausnahmefall - wenn etwa feststeht, dass der Zeuge seine Rechte gekannt hat und auch nach Belehrung ausgesagt hätte - ist ersichtlich nicht gegeben. An der Unverwertbarkeit ändert schließlich auch der Umstand nichts, dass sich die Zeugin selbst als 'mit den Angeklagten nicht verwandt oder verschwägert' bezeichnet hat, denn es kommt auf die objektive Sachlage an und die Zeugin hätte darauf hingewiesen werden müssen, dass sie als Stieftochter eines Angeklagten mit diesem 'verschwägert' im Sinne des § 52 StPO ist (BGH, Beschluss vom 3. Mai 2006, 4 StR 40/06 = NStZ 06, 647). … Weiterhin rügt die Revision zu Recht, dass das Gericht seine Überzeugung - hinsichtlich der Motivlage - auch auf die 'Jahresbilanz 2008' gestützt hat, obwohl diese im Gegensatz zur 'Jahresbilanz 2007' nicht durch Verlesen in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist. Dies ergibt sich aus dem Schweigen des Protokolls hierzu … Diese Bilanz ist auch, wie von der Revision überzeugend dargelegt, nicht auf anderem Wege in die Hauptverhandlung eingeführt worden, zumal die Kammer ihr Urteil insoweit ausdrücklich auf die 'verlesene' (UA S. 26) Urkunde stützt." Dem schließt sich der Senat an. 2. Begründet sind im Übrigen auch die Rügen, das Landgericht habe seine Pflicht zur Sachaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) dadurch verletzt, dass es weitere Ermittlungen zur Entwicklung der Konten des Angeklagten A. bei der V. bank D. und bei der S. Bank bzw. des Kontos des Angeklagten M. bei der Landessparkasse O. unterlassen hat. Hierzu hätte bereits der Umstand gedrängt, dass sich diese Bankverbindungen aus (verlesenen) Auskünften der Schufa Holding AG ergeben, deren Einholung das Landgericht zur Beweiserhebung über die Zahlungsfähigkeit der Angeklagten und zur Feststellung der von ihnen unterhaltenen Konten selbst angeordnet hat. Auf diesem Verfahrensfehler beruht das Urteil, denn da das Landgericht festgestellt hat, dass "das Privatkonto" des Angeklagten A. bereits über einen längeren Zeitraum im Soll war, und hieraus auf finanzielle Schwierigkeiten schließt, die es als "deutliches Motiv für eine Brandstiftung" wertet, ist es nicht auszuschließen, dass es zu einer abweichenden Würdigung der Motivlage gelangt wäre, wenn sich die oben angegebenen Konten in der von der Revision behaupteten Weise entwickelt hätten. II. Für die neue Hauptverhandlung geben die Urteilsgründe Anlass zu folgendem Hinweis: 1. Nach den Feststellungen legten die Angeklagten in dem von ihnen im Erdgeschoss des Gebäudes betriebenen Imbisslokal an mehreren Stellen Feuer, um die Versicherungssumme für das Inventar zu erlangen. Der Brand zerstörte das Inventar fast vollständig, wurde aber von der Feuerwehr gelöscht, bevor er Gebäudeteile so erfasste, dass sie selbständig weiterbrennen konnten. Brandschäden an der abgehängten Gipsdecke, Rußablagerungen und Löschwasser machten die Räume des Lokals unbenutzbar, eine Verpuffung des verwendeten Brandbeschleunigers riss zudem dessen Glasfront aus der Verankerung. Wäre das Feuer später entdeckt worden, hätte es sich über den Abluftschacht der Dunstabzugshaube auf das gesamte Gebäude und damit auch auf die im zweiten Obergeschoss gelegenen Wohnungen ausbreiten können. 2. Dies trägt nicht den Schuldspruch wegen (vollendeter) besonders schwerer Brandstiftung nach § 306 b Abs. 2 Nr. 2 StGB, da die Angeklagten kein der Wohnung von Menschen dienendes Gebäude in Brand gesetzt oder durch eine Brandlegung zerstört haben (§ 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB). Allerdings genügt es für ein vollendetes Inbrandsetzen nach § 306 a Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. StGB, wenn in einem - wie hier - einheitlichen, teils gewerblich, teils zu Wohnzwecken genutzten Gebäude nur solche Gebäudeteile selbständig brennen, die für die gewerbliche Nutzung wesentlich sind, aber nicht auszuschließen ist, dass das Feuer auf Gebäudeteile übergreift, die für das Wohnen wesentlich sind (BGH, Beschl. vom 20. Oktober 2009 - 3 StR 392/09 m. w. N.). § 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB stellt als abstraktes Gefährdungsdelikt ein Handeln unter Strafe, das typischerweise das Leben von Personen gefährdet, die sich in einem Gebäude aufhalten; eine solche abstrakte Gefahr besteht bereits dann, wenn "das Gebäude" brennt und der Brand sich ausweiten kann (BGHSt 34, 115, 118; 35, 283, 285 f.). Besteht der durch die Brandlegung bewirkte Erfolg indes nicht darin, dass wesentliche Gebäudeteile der gewerblich genutzten Räume selbständig brennen, sondern allein in der ganzen oder teilweisen Zerstörung dieser Räume durch die Brandlegung, so führt dies auch dann nicht zu einer vollendeten schweren Brandstiftung nach § 306 a Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. StGB, wenn die Gefahr bestand, dass das Feuer auf den Wohnzwecken dienenden Teil des Gebäudes übergreift. Eine (teilweise) Zerstörung kann auf vielfältigen durch die Brandlegung ausgelösten Umständen beruhen, etwa wie hier auf einer Rußentwicklung oder auf der Einwirkung von Löschmitteln (vgl. Fischer, StGB 57. Aufl. § 306 Rdn. 15). Sie ist deshalb, wenn sie die gewerblichen Räume betrifft, nicht typischerweise auch mit einer Gefährdung der Personen verbunden, die sich in dem zu Wohnzwecken genutzten Gebäudeteil aufhalten. Auf diesen Gebäudeteil bezogen liegt der Sachverhalt nicht anders als bei einer Brandlegung, deren Erfolg ausgeblieben ist. Becker                               Sost-Scheible                            Hubert Schäfer                                        Mayer
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058693
BGH
3. Strafsenat
20100114
3 StR 403/09
Beschluss
§ 231a Abs 2 StPO, § 231b Abs 2 StPO, § 177 StGB
vorgehend LG Hannover, 17. März 2009, Az: 70 a 16/07 - 6403 Js 70455/06, Urteil
DEU
Strafverfahren wegen Vergewaltigung: Beruhen des Urteils auf der unterbliebenen Unterrichtung des von der Verhandlung ausgeschlossenen Angeklagten über die ergänzende Vernehmung der einzigen Belastungszeugin
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 17. März 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. 1. Das Urteil muss aufgehoben werden, weil das Landgericht es unterlassen hat, den Angeklagten vom wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was in seiner Abwesenheit verhandelt worden ist, nachdem der Angeklagte, der wegen ordnungswidrigen Benehmens aus dem Sitzungszimmer entfernt war, wieder vorgelassen worden ist (Verstoß gegen § 231 b Abs. 2, § 231 a Abs. 2 StPO). a) Das Landgericht hat den Angeklagten am 5. Verhandlungstag wegen massiver Störung der Hauptverhandlung nach § 177 GVG aus dem Sitzungszimmer entfernt und von der Möglichkeit des § 231 b StPO, ohne den Angeklagten zu verhandeln, Gebrauch gemacht. Es hat sodann in seiner Abwesenheit die Nebenklägerin erneut vernommen und entlassen. Am 7. Verhandlungstag ist die Hauptverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten fortgesetzt worden. Nach Wiedereintritt in die Beweisaufnahme, Feststellungen zum Vollstreckungsstand einer Vorverurteilung, Erteilung eines rechtlichen Hinweises und erneutem Schluss der Beweisaufnahme sind die Schlussvorträge gehalten worden. Über den wesentlichen Inhalt der Verhandlung während seiner Abwesenheit ist der Angeklagte nicht unterrichtet worden. Dies rügt die Revision zutreffend als einen Verstoß gegen § 231 b Abs. 2, § 231 a Abs. 2 StPO. b) Auf diesem Rechtsfehler beruht das angefochtene Urteil. Hierzu im Einzelnen: aa) Ein Urteil beruht schon dann auf einem Rechtsfehler, wenn es als möglich erscheint oder wenn nicht auszuschließen ist, dass es ohne den Rechtsfehler anders ausgefallen wäre. An dem Beruhen fehlt es nur, wenn die Möglichkeit, dass der Verstoß das Urteil beeinflusst hat, ausgeschlossen oder rein theoretisch ist (Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 337 Rdn. 255). Die Entscheidung über das Beruhen hängt - insbesondere bei Verstößen gegen das Verfahrensrecht - stark von den Umständen des Einzelfalls ab (Hanack aaO Rdn. 257). bb) Vorliegend ist in Abwesenheit des Angeklagten die Nebenklägerin erneut vernommen worden. Vom Inhalt dieser Aussage hat das Landgericht den Angeklagten nicht unterrichtet. Dem Senat ist die Rekonstruktion dieser weiteren Aussage untersagt. Aus dem Umstand, dass die Nebenklägerin bereits am 3. Verhandlungstag vernommen worden war, kann - entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts - nicht mit der notwendigen Sicherheit darauf geschlossen werden, dass sie bei ihrer erneuten Vernehmung nur für die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten Unbedeutendes ausgesagt hat. Nach aller Erfahrung dienen ergänzende Vernehmungen von Belastungszeugen der Abklärung von Widersprüchen, die sich im Verlauf der Beweisaufnahme nach der ersten Vernehmung ergeben haben; dies spricht vielmehr für die Bedeutung der weiteren Aussage. Hinzu kommt, dass die Nebenklägerin die einzige Zeugin für das von dem Angeklagten bestrittene Tatgeschehen war. Allein auf ihrer Aussage beruht die Überzeugung der Strafkammer, dass der Angeklagte die Nebenklägerin durch eine Vergewaltigung dazu gebracht hat, eine Tätigkeit als Prostituierte aufzunehmen. Das Landgericht legt in seiner Beweiswürdigung dar, warum es der Darstellung der Nebenklägerin folgt, und setzt sich dabei mit mehreren Umständen auseinander, die gegen die Glaubhaftigkeit der Darstellung der Nebenklägerin sprechen könnten. So hat die Nebenklägerin, nachdem sie in einem Bordell als Prostituierte aufgefallen und polizeilich nach den Hintergründen befragt worden war, nicht sogleich, sondern erst im Verlauf einer weiteren Vernehmung davon berichtet, durch eine Vergewaltigung zur Prostitution gebracht worden zu sein. Zu den Details dieser Vergewaltigung hat sie im Verlauf mehrerer Vernehmungen ebenso unterschiedliche Angaben gemacht wie zu den Umständen, unter denen sie, nachdem der Angeklagte seine Tätigkeit als Wirtschafter in einem Bordell aufgegeben hatte, in ein anderes Bordell verbracht worden war. Wenngleich die Beweiswürdigung des Landgerichts, das sich trotz dieser Besonderheiten im Aussageverhalten der Nebenklägerin von der Richtigkeit ihrer Angaben überzeugt hat, einen sachlichrechtlichen Fehler nicht erkennen lässt, kann der Senat angesichts der Gesamtumstände nicht ausschließen, dass der Angeklagte weitere Verteidigungsmöglichkeiten gehabt hätte, wenn ihm der Inhalt der ergänzenden Vernehmung der Nebenklägerin mitgeteilt worden wäre. 2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass im Falle einer erneuten Verurteilung aufzuklären sein wird, ob der Angeklagte in dieser Sache in Brasilien Freiheitsentziehung erlitten hat. Gegebenenfalls wird eine Entscheidung über den Anrechnungsmaßstab zu treffen sein.
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058694
BGH
3. Strafsenat
20100119
3 StR 530/09
Beschluss
§ 102 StPO, §§ 102ff StPO, § 105 Abs 1 S 1 StPO
vorgehend LG Düsseldorf, 9. Juli 2009, Az: 12 KLs 17/09 - 60 Js 4971/08, Urteil
DEU
Durchsuchung ohne richterliche Anordnung: Gefahr im Verzug aufgrund der Ungeschicklichkeit eines Polizeibeamten
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 9. Juli 2009 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat zur Rüge der Verletzung des § 261 i. V. m. § 98 Abs. 1 Satz 1, § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO: Die ermittelnden Polizeibeamten haben im Vorfeld der Wohnungsdurchsuchung, die sie am 23. Januar 2009 gegen 4.00 Uhr wegen "Gefahr im Verzug" anordneten, keinen so schwerwiegenden Fehler begangen, dass bei der erforderlichen Abwägung der widerstreitenden Interessen, insbesondere dem Gewicht der begangenen Nachlässigkeiten und der Verpflichtung des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit (vgl. BGHSt 44, 243, 248 f.; BGHSt 51, 285, 289 f.), von einem Verwertungsverbot für die bei der Durchsuchung und Beschlagnahme gewonnenen Erkenntnisse auszugehen ist. Nach dem Ergebnis der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme ist auszuschließen, dass sie den für die Durchsuchung einer Wohnung regelmäßig bestehenden Richtervorbehalt bewusst missachtet haben. Dass die Ermittlungsbeamten nicht schon am 21. oder 22. Januar 2009 eine richterliche Durchsuchungsanordnung für das Durchsuchungsobjekt beantragt haben, stellt sich allenfalls als geringfügiges Versäumnis dar, das kein Beweisverwertungsverbot zur Folge hat. Sie erhielten erst am 20. Januar 2009 durch die ihnen von der Polizei in Bochum übermittelten Aussage der Zeugin M. vom gleichen Tag brauchbare Hinweise auf das vom Angeklagten als Aufbewahrungsort für Kokain und zwei Schusswaffen mit Munition genutzte Zimmer. Allein aufgrund der schriftlichen Zeugenaussage waren weder die Wohnung noch das Zimmer genau zu lokalisieren. Dies wäre indes erforderlich gewesen, um einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss sofort erlangen zu können. Bevor ein richterlicher Beschluss beantragt werden konnte, war es daher notwendig, zunächst mit der Zeugin Kontakt aufzunehmen und einen Termin vor Ort zu vereinbaren, um die genaue Belegenheit des Zimmers zu ermitteln. Dass dies wegen der anderen durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen, insbesondere der Observation des Angeklagten, nicht bereits am nächsten oder übernächsten Tag nach der Zeugenaussage geschah, weil zunächst die Observation weiter durchgeführt werden sollte, stellt - wenn überhaupt - jedenfalls keine derartig gravierende Nachlässigkeit im Ermittlungsablauf dar, dass allein hieraus die Unverwertbarkeit der Erkenntnisse aus der am 23. Januar 2009 ohne richterliche Anordnung vollzogenen Durchsuchung des Zimmers abgeleitet werden könnte. Erst nachdem der Angeklagte die Observation bemerkt hatte, deshalb am 22. Januar 2009 gegen 22.00 Uhr festgenommen worden war und eine Wohnung, die der Angeklagte zusammen mit seiner Lebensgefährtin nutzte, aufgrund einer bereits vorliegenden richterlichen Anordnung erfolglos nach Betäubungsmitteln durchsucht worden war, bestand für die Polizeibeamten zwingend akuter Handlungsbedarf für die sofortige Durchsuchung des von der Zeugin M.    beschriebenen Zimmers. Unter diesen Umständen kann es den Polizeibeamten nicht als grobes Versäumnis vorgeworfen werden, dass sie die Zeugin erst jetzt zur Lokalisierung des Zimmers herbeischafften, statt dies schon am 21. oder 22. Januar 2009 getan und auf dieser Grundlage einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss erwirkt zu haben. Als die herbeigerufene Zeugin M. die Wohnung, in der sich das als Bunker für Betäubungsmittel genutzte Zimmer des Angeklagten befand, identifiziert hatte, durften die Polizeibeamten ohne die Anordnung eines Richters oder nachrangig eines Staatsanwalts die Durchsuchung jedenfalls dann durchführen, als die in der Wohnung befindlichen Personen durch die Ungeschicklichkeit einer Polizeibeamtin sogleich aufmerksam geworden waren und sich nach Öffnen der Wohnungstür teils unkooperativ verhielten oder zu fliehen versuchten. Denn spätestens zu diesem Zeitpunkt lagen die engen Voraussetzungen der "Gefahr im Verzug" vor, weil bis zur Einholung einer Entscheidung durch den Richter oder zumindest den Staatsanwalt der Zweck der Durchsuchung gefährdet gewesen wäre (BVerfG NJW 2001, 1121, 1123; Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 98 Rdn. 6). Es bestand die nahe liegende Gefahr, dass ohne eine sofortige Durchsuchung Beweismittel vernichtet werden könnten, zumal bereits nach der Durchsuchung der ersten Wohnung die Ermittlungen gegen den Angeklagten bekannt geworden waren. Dass diese Situation durch die Ungeschicklichkeit der Polizeibeamtin ausgelöst worden war, begründet ebenfalls kein Verwertungsverbot; denn dieser Umstand ist nicht annähernd solchen Fallgestaltungen vergleichbar, in denen durch bewusst gesteuertes oder grob nachlässiges polizeiliches Ermittlungsverhalten die "Gefahr im Verzug" gleichsam heraufbeschworen und damit der Richtervorbehalt gezielt oder leichtfertig umgangen wird. Da die Polizeibeamten wegen der dargestellten "Gefahr im Verzug" ausnahmsweise selbst die Durchsuchung anordnen durften, hat sich der Umstand, dass in Düsseldorf in der Zeit zwischen 21.00 Uhr und 6.00 Uhr kein richterlicher Bereitschaftsdienst für Eilanordnungen zur Verfügung steht, nicht ausgewirkt. Vor dem Eintritt der "Gefahr im Verzug" hätte auch beim Bestehen eines Bereitschaftsdienstes eine richterliche Entscheidung über die Durchsuchung nicht eingeholt werden können, weil bis dahin weder die Wohnung noch das vom Angeklagten benutzte Zimmer identifiziert waren. Aus diesem Grunde muss der Senat nicht entscheiden, ob das Fehlen eines richterlichen Bereitschaftsdienstes während der Nachtzeit in einer Großstadt wie Düsseldorf als ein schwerwiegender Organisationsmangel anzusehen ist (vgl. BVerfG NJW 2004, 1442; BGH NStZ-RR 2007, 242), der im Einzelfall zu einem Beweisverwertungsverbot führen kann. Becker                                     von Lienen                             Sost-Scheible Schäfer                                        Mayer
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058696
BGH
3. Strafsenat
20100202
3 StR 558/09
Beschluss
§ 22 StGB, § 23 StGB, § 212 StGB, § 261 StPO
vorgehend LG Duisburg, 29. Juli 2009, Az: 33 KLs 134 Js 65/08 - 6/09, Urteil
DEU
Versuchter Totschlag: Erforderliche Feststellungen zum Tötungsvorsatz bei gefährlichen Gewalthandlungen in Form von Fußtritten gegen den Kopf des Opfers
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 29. Juli 2009, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es eines Eingehens auf die Verfahrensrügen nicht bedarf. 1. Das Urteil hat keinen Bestand, da die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes bei dem Angeklagten I. auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht. a) Nach den Feststellungen griff der erheblich alkoholisierte Mitangeklagten E., der sich in Begleitung des ebenfalls angetrunkenen Angeklagten befand, ohne jeden Grund den ihm auf dem Gehweg entgegenkommenden Geschädigten K. an und prügelte ihn in einen Hinterhof, wo er ihn zu Fall brachte. Der Angeklagte folgte dem Mitangeklagten nach. Als sich das Tatopfer aufzurichten versuchte, traten beide Angeklagte mit den Füßen gezielt gegen den Kopf des Geschädigten. Während E. mindestens fünf mal mit voller Wucht gegen den ungeschützten Kopf des Tatopfers trat, versetzte der Angeklagte diesem lediglich einen leichten Tritt gegen den Kopf, wobei er mit Körperverletzungsvorsatz handelte. Den Tritten des E. sah der Angeklagte zu, was den Mitangeklagten zur weiteren Tatausführung ermutigte. Das Tatopfer, von dem die Angeklagten abließen, als sie mit dem Eintreffen der Polizei rechneten, erlitt durch die Tritte multiple Gesichtsschädelbrüche, die zu einer lebensbedrohlichen Gehirnschwellung und zu dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen führten. Zur subjektiven Tatseite hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte die Lebensgefährlichkeit der Tritte des E. trotz seiner Alkoholisierung und seines jungen Lebensalters ebenso erkannt habe wie den Umstand, dass E. durch sein Zusehen zum Weiterhandeln ermutigt worden sei. Der Eintritt des Todes des Tatopfers infolge dieser Tritte sei ihm gleichgültig gewesen. Der Angeklagte habe sich selbst mit dem Tritt an den Gewalttätigkeiten beteiligt und E. bei dessen Gewaltanwendung zugesehen, um ein "Lustgefühl an der Gewalt" auszuleben. b) Diese Feststellungen erschöpfen das Ergebnis der Beweisaufnahme nicht. Danach ist das Landgericht rechtsfehlerfrei zu der Überzeugung gelangt, dass das an den Schuhen des Angeklagten I. aufgefundene Blut des Tatopfers dafür spricht, dass der Angeklagte "spät, eventuell sogar als letzter" den Geschädigten gegen den Kopf getreten hat. Dieses Beweisergebnis stellt jedoch das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes beim Angeklagten I. in Frage. Zwar liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit des Todes des Tatopfers rechnet und auch einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Wegen der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist jedoch auch immer die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Insbesondere bei spontanen und unüberlegten Handlungen kann aus dem Wissen um den möglichen Erfolgseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das selbständig neben dem Wissenselement stehende voluntative Vorsatzelement gegeben ist (BGH NStZ 2003, 603). Der Tatrichter muss deshalb in seine Erwägungen alle Umstände einbeziehen, die einem solchen Ergebnis entgegenstehen können (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 1, 5). Gemessen an diesen Grundsätzen ist der von der Strafkammer allein aus der Tatausführung des Mitangeklagten - fünf wuchtige, dem Angeklagten als Mittäter zugerechnete Fußtritte gegen den Kopf des Tatopfers - gezogene Schluss auf den bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten I. vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen und den Ausführungen in der Beweiswürdigung nicht tragfähig begründet. Das Landgericht hat bei Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes nicht berücksichtigt, dass sich der Angeklagte - wovon nach dem gefundenen Beweisergebnis zu seinen Gunsten auszugehen ist - erst am Ende, nachdem der Mitangeklagte dem Tatopfer die wuchtigen Tritte bereits verabreicht hatte, aktiv an dem Tatgeschehen beteiligte, hierbei nach den Feststellungen aber nur mit Körperverletzungsvorsatz handelte. Diese Bewertung der subjektiven Tatseite der eigenen Tathandlung ist jedoch mit der Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe den Eintritt des Todes des Tatopfers infolge der - seiner eigenen Handlung vorausgegangen - Fußtritte des Mitangeklagten bereits gebilligt, nicht vereinbar. Diesen Widerspruch hat die Strafkammer nicht aufgelöst. Die unterschiedliche Würdigung des subjektiven Tatbestands innerhalb desselben Tatgeschehens stellt beim Angeklagten I. deshalb zumindest die Bejahung des voluntativen Elements des Tötungsvorsatzes in Frage. 2. Der neue Tatrichter wird die Frage eines bedingten Tötungsvorsatzes daher erneut zu prüfen haben. Sollte er - wofür die Einlassung des Angeklagten sprechen könnte - zu der Überzeugung gelangen, dass der Angeklagte dem Tatopfer mit Körperverletzungsvorsatz den ersten Tritt gegen den Kopf versetzte und der Mitangeklagte erst anschließend mit Tötungsvorsatz auf den Geschädigten eintrat, wird er zu erwägen haben, ob eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen (tateinheitlich begangenen) versuchten Totschlags durch Unterlassen aufgrund seines Vorverhaltens (Ingerenz) in Betracht kommt (BGHR StGB § 13 Abs. 1 Garantenstellung 7).
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058699
BGH
3. Strafsenat
20100209
3 StR 11/10
Beschluss
§ 21 StGB, § 63 StGB, § 250 Abs 2 Nr 1 StGB, § 255 StGB
vorgehend LG Stade, 21. September 2009, Az: 10e KLs 112 Js 8956/09 (6/09), Urteil
DEU
Besonders schwerer Raub: Schreckschusspistole als Waffe; Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bei verminderter Schuldfähigkeit durch Genuss von Alkohol
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stade vom 21. September 2009 aufgehoben a) im Fall II. 2. b) der Urteilsgründe mit den Feststellungen zur Beschaffenheit der bei der Tat verwendeten Schreckschusswaffe; im Übrigen bleiben die Feststellungen zum objektiven und subjektiven Tatgeschehen aufrechterhalten, b) im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung sowie wegen versuchter "schwerer räuberischer Erpressung" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Angeklagten, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet. Das Rechtsmittel hat auf die Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. 1. Die Verurteilung im Fall II. 2. b) der Urteilsgründe wegen versuchter - richtigerweise: "besonders" - schwerer räuberischer Erpressung gemäß § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand (vgl. zur Tenorierung BGH NStZ-RR 2009, 377). Das Landgericht hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, nähere Feststellungen zur Beschaffenheit der von der Angeklagten bei Bedrohung des Erpressungsopfers eingesetzten geladenen Schreckschusswaffe zu treffen. Die Voraussetzungen des Qualifikationstatbestands des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB sind deshalb nicht belegt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterfällt eine geladene Schreckschusspistole nur dann dem Waffenbegriff des § 250 StGB, wenn feststeht, dass beim Abfeuern der Waffe der Explosionsdruck nach vorne aus dem Lauf austritt und deshalb die Waffe nach ihrer Beschaffenheit geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen (BGHSt 48, 197, 201 f.; BGH NStZ-RR 2004, 169). Dies ergeben die Urteilsgründe nicht. Dieser Rechtsfehler wirkt sich auf den Schuldspruch aus, da infolge der lückenhaften Feststellungen zur Tatwaffe nicht erkennbar ist, ob die Angeklagte lediglich den Qualifikationstatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB verwirklicht, mithin eine (versuchte) schwere räuberische Erpressung begangen hat, oder eine (versuchte) besonders schwere räuberische Erpressung im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB. Das Urteil ist deshalb, soweit es den Fall II. 2 b) betrifft, aufzuheben. Von der Aufhebung werden jedoch lediglich die Feststellungen zur Beschaffenheit der Tatwaffe erfasst; hingegen können im Übrigen die Feststellungen zum objektiven und subjektiven Tatgeschehen bestehen bleiben, da sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind. 2. Darüber hinaus begegnet der Maßregelausspruch durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Generalbundesanwalt hat hierzu Folgendes ausgeführt: "Keinen Bestand kann ... die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB haben. Diese setzt voraus, dass der Ausschluss oder die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit auf einem länger dauernden psychischen Defekt des Täters beruht. Hat letztlich, wie vorliegend, der Genuss von Alkohol die Schuldfähigkeit bei der Begehung der Tat erheblich vermindert, so ist für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus grundsätzlich nur Raum, wenn der Täter an einer krankhaften Alkoholsucht leidet oder in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist (st. Rspr. BGHSt 34, 313 ff.; 44, 369, 373; BGH NStZ-RR 2007, 138). Diese Voraussetzungen hat das Landgericht jedoch nicht festgestellt; vielmehr ist der gehörte psychiatrische Sachverständige lediglich zur Diagnose einer polyvalenten Abhängigkeit mit den Hauptdrogen Alkohol, Kokain, Heroin, Cannabinoiden gelangt (UA S. 12, 13). Allerdings kann auch bei einer fehlenden krankhaften Sucht die Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB getroffen werden, wenn infolge einer dauerhaften und behandlungsbedürftigen psychischen Störung eine verhältnismäßig geringe Alkoholmenge zur Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit führt oder wenn im Zusammenwirken der psychischen Störung und einer aktuellen Alkoholisierung als Auslöser des nach § 21 StGB relevanten Zustandes schon geringfügige, alltägliche Ereignisse in Betracht kommen (BGHSt 44, 369, 374 ff.; Fischer StGB 57. Auflage § 63 Rdn. 9a m.w.N.). Auch diese Voraussetzungen ergeben sich jedoch nicht aus den Urteilsgründen. Vielmehr hat die Strafkammer, dem Sachverständigen folgend, lediglich festgestellt, 'dass die Angeklagte aufgrund der Intelligenzminderung und der besonders ausgeprägten emotionalen und sozialen Unreife in erheblicher Weise irritierbar sei, so dass sie unter ungünstigen Rahmenbedingungen die Verhaltenssteuerung im Rahmen der bestehenden Gesetze und Normen kaum noch aufrechterhalten kann (UA S. 14, 15)', wobei aufgrund der bei beiden Taten vorhandenen zusätzlichen mittelgradigen Alkoholisierung die Steuerungsfähigkeit nur noch eingeschränkt vorhanden gewesen sei (UA S. 15). Dies genügt, wie dargelegt, für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht. Feststellungen, die eine Anordnung nach § 63 StGB rechtfertigen, erscheinen in einer neuen Hauptverhandlung vorliegend nicht ausgeschlossen." Dem schließt sich der Senat an. Becker                                   von Lienen                                  Sost-Scheible Hubert                                         Mayer
http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-JURE100058699&psml=bsjrsprod.psml&max=true
Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058704
BGH
4. Strafsenat
20100209
4 StR 660/09
Beschluss
§ 252 StPO
vorgehend LG Halle (Saale), 7. Oktober 2009, Az: 5 KLs 2/09 - 550 Js 208076/07, Urteil
DEU
Strafverfahren: Vernehmung des Richters über die Aussagen eines das Zeugnis verweigernden Zeugen im Ermittlungsverfahren
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 7. Oktober 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. 1. Die Jugendschutzkammer hat den Angeklagten des sexuellen Missbrauchs seiner Tochter A. insbesondere aufgrund deren für glaubhaft erachteter Aussage als überführt angesehen. Dabei hat das Landgericht - im Ansatz zu Recht - auch der Aussageentstehung eine besondere Bedeutung zuerkannt und in diesem Zusammenhang festgestellt, A. habe bereits 1997 ihrer Halbschwester J. R. erzählt, ihr Vater habe an ihr "herumgegrabscht" und versucht, in ihr Geschlechtsteil einzudringen; dabei habe sie, A., geweint und gefragt, ob J. und ihr Mann nicht hörten, wie sie nachts "Aua, aua, Vati, hör auf!" rufe, was beide bis dahin jedoch nicht gehört hatten. Weiter hat das Landgericht in diesem Zusammenhang festgestellt, einige Zeit später habe J. R. nachts bei ihrer Rückkehr in ihre Wohnung A. in der darüber liegenden Wohnung rufen hören "Hör auf, es tut weh, lass das!" und auch das Wort "Vati" vernommen (UA 9). Bei diesen Feststellungen konnte sich das Landgericht nicht auf die Aussage der J. R. stützen, die in der Hauptverhandlung das Zeugnis verweigert hat. Deshalb hat das Landgericht hierzu den Richter am Amtsgericht B. gehört, der J. R. im Ermittlungsverfahren vernommen hatte. Zum Inhalt seiner Aussage heißt es in dem angefochtenen Urteil: "Zwar konnte sich der Zeuge B. so gut wie nicht mehr an die Sache erinnern, er wusste jedoch noch, dass er - wie stets - die Antworten der damaligen Zeugin selbst zusammengefasst und ins Diktiergerät gesprochen habe. Auf Vorhalt der betreffenden Passage der Vernehmung bestätigte der Zeuge B., es müsse damals so gewesen sein“ (UA 22). 2. Wie die Revision zu Recht rügt, hat das Landgericht hiermit gegen § 252 i.V.m. § 261 StPO verstoßen. Zwar ist es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zulässig, einen Richter als Zeugen über die von der das Zeugnis in der Hauptverhandlung verweigernden Person gemachten Aussagen zu vernehmen, sofern er an einer richterlichen Vernehmung dieser Beweisperson beteiligt war (vgl. Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 252 Rdn. 14 m. Nachw.). Auch dürfen dem Richter, der die Vernehmung durchgeführt hat, die Vernehmungsprotokolle - notfalls durch Vorlesen - als Vernehmungsbehelf vorgehalten werden (vgl. BGH NJW 2000, 1580). Grundlage der Feststellung des Sachverhalts kann jedoch nur das in der Hauptverhandlung erstattete Zeugnis des Richters über den Inhalt der früheren Aussage des jetzt die Aussage verweigernden Zeugen sein, nicht aber der Inhalt der Vernehmungsniederschrift selbst. Deshalb genügt nicht, wenn der Richter lediglich erklärt, er habe die Aussage richtig aufgenommen; verwertbar ist nur das, was - ggf. auf den Vorhalt hin - in die Erinnerung des Richters zurückkehrt (BGH, Beschl. vom 4. April 2001 - 5 StR 604/00, StV 2001, 386; Meyer-Goßner aaO Rdn. 15). Hier ergibt sich aus den allein maßgebenden Urteilsgründen, dass Richter am Amtsgericht B. als Zeuge keine genügende Erinnerung mehr an den Inhalt der Aussage der J. R. hatte. Es ist deshalb nahe liegend, dass das Landgericht bei den Feststellungen zu den Beobachtungen der J. R. nicht auf die Aussage des Richters B., sondern auf das Protokoll ihrer richterlichen Vernehmung zurückgegriffen hat. Das war nicht zulässig. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils. Denn das Landgericht hat ausdrücklich für die Annahme der Glaubhaftigkeit der Angaben von A. auch auf deren erste Offenbarung gegenüber ihrer Halbschwester und darauf abgestellt, dass J. R. "aufgrund deren nächtlichen verzweifelten Rufens von einem Missbrauch A.'s durch (den Angeklagten) erfahren“ habe (UA 20 und 22). Das Urteil lässt auch nicht erkennen, dass das Landgericht etwa auf andere Weise über die nächtliche Wahrnehmung der J. R. Beweis erhoben hat. Der Senat kann danach letztlich nicht ausschließen, dass das Landgericht ohne die Verwertung der früheren Angaben der J. R. zu einer anderen Beweiswürdigung gelangt wäre. 3. Über die Sache ist deshalb insgesamt neu zu entscheiden. Für das weitere Verfahren weist der Senat mit Blick auf UA 15 vorsorglich darauf hin, dass die im Bundeszentralregister getilgte frühere Verurteilung des Angeklagten gemäß § 51 Abs. 1 BZRG auch nicht bei der Beweiswürdigung zum Nachteil des Angeklagten verwendet werden darf. Tepperwien                                          Maatz                                      Athing Solin-Stojanović                            Ernemann
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058706
BGH
3. Strafsenat
20100204
3 StR 8/10
Beschluss
§ 56 Abs 2 S 1 StGB
vorgehend LG Wuppertal, 12. August 2009, Az: 10 Js 1969/08 - 26 KLs 29/09, Urteil
DEU
Strafaussetzung zur Bewährung: Rechtsfehlerhafte Verneinung besonderer Umstände
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 12. August 2009 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu der Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es nicht zur Bewährung ausgesetzt hat. Weiter hat es den Verfall von 1.600 Euro angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. 1. Keinen Bestand hat das Urteil, soweit das Landgericht dem Angeklagten die Aussetzung der Vollstreckung der Strafe zur Bewährung versagt hat. a) Das Landgericht gelangt zu einer ungünstigen Sozialprognose (§ 56 Abs. 1 StGB) mit der Begründung, der Angeklagte konsumiere seit Anfang 2002 Marihuana und zeige keine Einsicht in sein "Drogenproblem"; es bestehe deshalb die Gefahr, dass er erneut zu Drogen greifen und sich so strafbar machen werde. Dabei stützt sich das Landgericht auf die Aussage der früheren Mitangeklagten, der Angeklagte sei im Herbst 2007 in ihre Wohnung eingezogen und habe in der Folge täglich Marihuana geraucht, sowie auf eine im Bundeszentralregister bereits getilgte Verurteilung des Angeklagten vom 21. August 2003 wegen wiederholten Erwerbs von Cannabis im Zeitraum von Anfang 2002 bis Januar 2003, die es "nur zur Klärung des Umfangs seines Drogenkonsums" verwertet hat. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, denn das Landgericht hat dadurch, dass es seine Feststellungen zum Drogenkonsum des Angeklagten auch auf die im Bundeszentralregister getilgte Verurteilung vom 21. August 2003 gestützt hat, gegen das gesetzliche Verwertungsverbot gemäß § 51 Abs. 1, § 63 Abs. 4 BZRG verstoßen. Nach diesen Vorschriften dürfen aus der Tat, die Gegenstand einer getilgten Verurteilung ist, keine nachteiligen Schlüsse auf die Persönlichkeit des Angeklagten gezogen werden; dies gilt, anders als das Landgericht meint, auch für die gemäß § 56 Abs. 1 StGB zu treffende Prognoseentscheidung (vgl. BGH, Beschl. vom 15. November 1989 - 3 StR 303/89; BGH NJW 1990, 2264). Hierauf beruht das Urteil, denn es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht zu einer dem Angeklagten günstigeren Prognose gelangt wäre, wenn es dauerhaften Cannabiskonsum erst ab Herbst 2007 für erwiesen erachtet hätte, zumal der Angeklagte nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft am 24. September 2008 erstmals eine feste Anstellung fand. b) Dass das Landgericht daneben auch besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB verneint hat, führt zu keinem anderen Ergebnis, denn es hat sich dabei rechtsfehlerhaft von der Erwägung leiten lassen, es fehle an einem "von Einsicht und Reue getragenen Geständnis". Darauf, dass der Angeklagte die Tat bestritten hat, darf die Verneinung besonderer Umstände nicht gestützt werden (BGH, Beschl. vom 7. Februar 2007 - 2 StR 17/07 - Rdn. 3; Fischer, StGB 57. Aufl. § 56 Rdn. 20). 2. Das weitergehende Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058707
BGH
4. Strafsenat
20100218
4 ARs 16/09
Beschluss
§ 9 Nr 2 IRG, § 42 Abs 1 IRG, Art 16 Abs 2 S 1 GG, Art 4 EuAuslfÜbkErgVtr POL, Art 10 EUAuslÜbk
vorgehend OLG Oldenburg (Oldenburg), 6. April 2009, Az: Ausl 33/08, Beschluss
DEU
Zulässigkeit der Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen bei verjährungsunterbrechender Handlung im Ausland
Die Sache wird an das Oberlandesgericht Oldenburg zurückgegeben.
I. Die Republik Polen hat der Bundesrepublik Deutschland einen Europäischen Haftbefehl des Landgerichts Zielona Gora vom 19. November 2007 übermittelt und um die Auslieferung des deutschen Staatsangehörigen M. zum Zwecke der Strafverfolgung ersucht. Diesem werden drei am 22. November 2000 in Polen begangene Straftaten zur Last gelegt, nämlich zwei Eigentumsdelikte (Unterschlagungen) gemäß Art. 284 § 2 sowie ein Betrug gemäß Art. 286 § 1 des polnischen Strafgesetzbuches. Die Strafverfolgung wegen dieser Taten verjährt nach polnischem Recht am 22. November 2020 bzw. am 22. November 2025. Nach deutschem Recht trat - da hier verjährungsunterbrechende Maßnahmen nicht ergriffen wurden - Verfolgungsverjährung im November 2005 ein. Auf Antrag des Generalstaatsanwalts ordnete das Oberlandesgericht Oldenburg am 15. Juli 2008 die Auslieferungshaft gegen den Verfolgten an. Zur Begründung führte es unter anderem aus, dass durch den Haftbefehl des Amtsgerichts Zary vom 12. Februar 2003 „rechtzeitig eine Unterbrechung der Verfolgungsverjährung im Sinne des deutschen Strafrechts bewirkt worden“ sei. Der Verfolgte wurde am 9. Februar 2009 in anderer Sache festgenommen. Am 4. März 2009 wurde ihm der Auslieferungshaftbefehl bekannt gegeben und er wurde richterlich vernommen; einer vereinfachten Auslieferung nach Polen hat er nicht zugestimmt. Am 30. März 2009 hob das Oberlandesgericht Oldenburg den Haftbefehl auf, weil es die Auslieferung des Verfolgten nach § 9 Nr. 2 IRG wegen der in Deutschland eingetretenen Verfolgungsverjährung nicht (mehr) für zulässig erachtete. Auf diese Vorschrift seien die vom Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 26. Juli 1984 - 4 ARs 8/84 (BGHSt 33, 26) entwickelten Grundsätze, wonach im Anwendungsbereich von Art. 10 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk) die Auslieferung zur Strafverfolgung zulässig sei, wenn die Tat zwar im Inland verjährt sei, die Strafverfolgungsbehörden des ersuchenden Staates aber Maßnahmen getroffen hätten, die ihrer Art nach geeignet wären, die Verjährung nach deutschen Rechtsvorschriften zu unterbrechen, wegen der gebotenen grundrechtsschonenden Auslegung nicht übertragbar. § 9 Nr. 2 IRG werde auch nicht von Art. 10 EuAlÜbk i.V.m. Art. 4 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und die Erleichterung seiner Anwendung vom 17. Juli 2003 (PL-ErgV EuAlÜbk) verdrängt, da diese Verträge auf die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger nicht anwendbar seien (vgl. BGHSt 52, 191). Das Oberlandesgericht hat dem Bundesgerichtshof durch Beschluss vom 6. April 2009 folgende Rechtsfrage wegen grundsätzlicher Bedeutung zur Entscheidung vorgelegt: “Ist die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen aufgrund eines Europäischen Haftbefehls an die Republik Polen - zur Strafverfolgung wegen in Polen begangener Straftaten, die nach deutschem Recht verjährt wären und für die wegen der deutschen Staatsangehörigkeit des Verdächtigten auch die deutsche Gerichtsbarkeit begründet ist - auch dann unzulässig, wenn in der Republik Polen Handlungen vorgenommen worden sind, die ihrer Art nach geeignet wären, die Verjährung nach deutschen Rechtsvorschriften zu unterbrechen?“ Das Bundesministerium der Justiz hat zu der Vorlage Stellung genommen. Es hält die Auslieferung für zulässig und ist der Ansicht, dass bei der Prüfung von § 9 Nr. 2 IRG die verjährungsunterbrechenden Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden sowohl des ersuchten als auch des ersuchenden Staates in Betracht zu ziehen seien. Der Generalbundesanwalt hat - mit derselben Begründung - beantragt zu beschließen: “Die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen an die Republik Polen aufgrund eines Europäischen Haftbefehls - zur Strafverfolgung wegen in Polen begangener Straftaten, für die auch die deutsche Gerichtsbarkeit begründet ist und die nach deutschem Recht verjährt sind - ist zulässig, wenn in Polen Handlungen vorgenommen worden sind, die ihrer Art nach geeignet wären, die Verjährung nach deutschen Rechtsvorschriften zu unterbrechen.“ II. Die Sache ist an das Oberlandesgericht Oldenburg zurückzugeben, weil die Voraussetzungen des § 42 Abs. 1 IRG nicht (mehr) gegeben sind. Denn die vom Oberlandesgericht vorgelegte Rechtsfrage ist durch den Beschl. des Bundesverfassungsgerichts vom 3. September 2009 (2 BvR 1826/09) mit - auch für das vorlegende Oberlandesgericht - bindender Wirkung geklärt und daher nicht mehr von grundsätzlicher Bedeutung (vgl. Senat, Beschl. vom 13. Oktober 1983 - 4 ARs 17/83). 1. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem (Kammer-)Beschluss einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, die unter anderem dagegen gerichtet war, dass das Oberlandesgericht München die Auslieferung eines (auch) deutschen Staatsangehörigen aufgrund eines Europäischen Haftbefehls nach Griechenland für zulässig erklärt und die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet hat, obwohl die ihm vorgeworfenen Straftaten nach deutschem Recht verjährt waren. Das Oberlandesgericht München stützte seine Entscheidung darauf, dass die griechischen Behörden Maßnahmen getroffen hatten, die ihrer Art nach geeignet waren, die Verjährung nach deutschem Recht zu unterbrechen. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Beschluss aufgehoben und zur Begründung ausgeführt: Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 16 Abs. 2 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 10. August 2009 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip in der Ausprägung als Bestimmtheitsgebot. Eine Auslegung von § 9 Nr. 2 IRG in der Weise, dass bei konkurrierender Gerichtsbarkeit die Auslieferung Deutscher zur Strafverfolgung auch dann zulässig ist, wenn die Tat im Inland wegen Verfolgungsverjährung nicht mehr geahndet werden kann, die Strafverfolgungsbehörden des ersuchenden Staates jedoch Handlungen vorgenommen haben, die „ihrer Art nach“ geeignet wären, die Verjährung nach deutschen Rechtsvorschriften zu unterbrechen, ist unvereinbar mit Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG. Deutsche Staatsangehörige sind durch das Grundrecht aus Art. 16 Abs. 2 GG vor Auslieferung geschützt (BVerfGE 113, 273 <292>). Das Verbot der Auslieferung (Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG) ist ebenso wie das damit in Zusammenhang stehende Verbot der Ausbürgerung (Art. 16 Abs. 1 GG) nicht nur Ausdruck staatlich beanspruchter Verantwortlichkeit für die eigenen Staatsangehörigen, sondern beide Verbote sind als Freiheitsrechte gewährleistet (BVerfGE 113, 273 <293>). Der qualifizierte Gesetzesvorbehalt, der nach dem zweiten Satz dieser Vorschrift durch Gesetz für bestimmte Fälle eine Einschränkung des Grundrechts erlaubt, ändert nichts daran, dass das Grundrecht, das die Staatsangehörigkeit und den Verbleib in der eigenen Rechtsordnung garantiert, einen hohen Rang hat (BVerfGE 113, 273 <294>). Der Zweck des Freiheitsrechts auf Auslieferungsschutz liegt dabei nicht darin, den Betroffenen einer gerechten Bestrafung zu entziehen (BVerfGE 29, 183 <193>; 113, 273 <293>). Vielmehr sollen Bürger nicht gegen ihren Willen aus der ihnen vertrauten Rechtsordnung entfernt werden. Jeder Staatsangehörige soll - soweit er sich im Staatsgebiet aufhält - vor den Unsicherheiten einer Aburteilung unter einem ihm fremden Rechtssystem und in für ihn schwer durchschaubaren fremden Verhältnissen bewahrt werden (BVerfGE 29, 183 <193>; 113, 273 <293>). Damit das Auslieferungsverbot dabei nicht zu einem Freibrief für kriminelles Handeln eigener Staatsangehöriger im Ausland wird und um der mit dem Schutzversprechen einhergehenden Verantwortung für deren Handeln gerecht zu werden, erstreckt sich die Strafgewalt der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich auch auf Straftaten im Ausland (vgl. §§ 5 ff. StGB und § 1 VStGB). Überdies gewährleistet Art. 16 GG nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Grundrecht mit seinem Ausbürgerungs- und Auslieferungsverbot die besondere Verbindung der Bürger zu der von ihnen getragenen freiheitlichen Rechtsordnung. Der Beziehung des Bürgers zu einem freiheitlichen demokratischen Gemeinwesen entspricht es, dass der Bürger von dieser Vereinigung grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden kann (BVerfGE 113, 273 <294>). Diese Grundsätze haben alle Stellen deutscher Staatsgewalt - auch im Bereich der Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl - zu beachten. So war der Gesetzgeber bei Erlass des Umsetzungsgesetzes zum Rahmenbeschluss verpflichtet, das Ziel des Rahmenbeschlusses in der Weise umzusetzen, dass die dabei unumgängliche Einschränkung des Grundrechts auf Auslieferungsfreiheit verhältnismäßig ist. Insbesondere hatte der Gesetzgeber über die Beachtung der Wesensgehaltsgarantie hinaus dafür Sorge zu tragen, dass der Eingriff in den Schutzbereich des Art. 16 Abs. 2 GG schonend erfolgt. Dabei musste er insbesondere beachten, dass mit dem Auslieferungsverbot gerade auch die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes für den von einer Auslieferung betroffenen Deutschen gewahrt werden. Die Verlässlichkeit der Rechtsordnung ist wesentliche Voraussetzung für Freiheit, das heißt für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seine Umsetzung (BVerfGE 113, 273 <301 f.>). Gleiche Bindungen bestehen aber auch für Exekutive und Judikative. Sie aktualisieren sich unter anderem dann, wenn auf der Grundlage eines grundrechtseinschränkenden Gesetzes im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG in das Grundrecht aus Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG eingegriffen werden soll. Jede Anforderung, die an grundrechtseinschränkende Gesetze im Allgemeinen gestellt wird, muss auch - und gerade - im Kontext des Schutzes vor Auslieferungen gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG gewahrt sein. So verdrängt die besondere im Wortlaut des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG genannte Schranke nicht die für jedes grundrechtseinschränkende Gesetz bestehenden Grenzen der Verfassung. Jedes einschränkende Gesetz muss daher seinerseits allen verfassungsrechtlichen Bindungen entsprechen, darf keine Kollisionen mit anderen Verfassungsbestimmungen hinnehmen und muss unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes den Eingriff schonend ausgestalten (BVerfGE 113, 273 <299 f.>). Zu den Anforderungen an Grundrechtsbeschränkungen in diesem Sinne zählt namentlich das Bestimmtheitserfordernis, das in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit langem als wesentlicher rechtsstaatlicher Bestandteil der Rechtssicherheit im Sinne einer Vorhersehbarkeit von (insbesondere belastenden) Rechtsfolgen für den Grundrechtsträger anerkannt ist. Ausdrücklich mit Blick auf den Europäischen Haftbefehl hat das Bundesverfassungsgericht die Einhaltung des verfassungsrechtlichen Gebotes der Bestimmtheit von grundrechtseinschränkenden Gesetzen angemahnt. Danach muss der Gesetzgeber die Vollstreckungsbehörde mit rechtsstaatlich bestimmten Tatbeständen zumindest in den Stand setzen, das insoweit geschützte Vertrauen seiner Staatsangehörigen in die deutsche Rechtsordnung im Einzelfall entsprechend dieser verfassungsrechtlichen Grundsätze zu gewichten, sofern er auf der Grundlage des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG den Auslieferungsschutz Deutscher in verfassungsgemäßer Weise einschränken will (BVerfGE 113, 273 <308>). Die allgemeine Bindung des Richters an Grundrechte in Verbindung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 1 Abs. 3 GG) allein genügt diesen Anforderungen an ein grundrechtsbeschränkendes Gesetz nicht. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Auslieferung Deutscher sowie die Grundsätze der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit gebieten es vielmehr, dass jedes Ausführungsgesetz zu Art. 16 Abs. 2 GG aus sich heraus verständlich ist und die Auslieferungsentscheidungen hinreichend vorherbestimmt. In jedem Fall bedarf die verfassungsrechtlich gebotene Konkretisierung einer Abbildung im Gesetzestext (BVerfGE 113, 273 <315 f.>). Denn neben der verfahrensrechtlichen Absicherung der Grundrechtssphäre des Bürgers dienen Bestimmtheit und Klarheit von Normen dazu, die Verwaltung zu binden und ihr Verhalten nach Inhalt, Zweck und Ausmaß zu begrenzen (BVerfGE 56, 1 <12>; stRspr). Die Entscheidung über die Grenzen der Freiheit des Bürgers wird nur bei hinreichender Gesetzesklarheit nicht einseitig in das Ermessen der Verwaltung gestellt (BVerfGE 78, 214 <226>); Normenbestimmtheit und Normenklarheit versetzen die Gerichte erst in die Lage, die Verwaltung anhand rechtlicher Maßstäbe zu kontrollieren. Umgekehrt beeinträchtigen etwaige Mängel hinreichender Normenbestimmtheit und -klarheit insbesondere die Beachtung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots (BVerfGE 114, 1 <53 f.>; 118, 168 <186 f.>; 120, 274 <316>; 120, 378 <407 f.>). Die Bestimmtheitsanforderungen gelten gerade auch im Falle von Verweisungsketten (vgl. dazu BVerfGE 110, 33 <63 f.>; 118, 168 <192>) beziehungsweise bei der Regelung einer Materie durch das Zusammenspiel von Normen (vgl. dazu BVerfGE 108, 52 <75>; 110, 33 <53 f.>) wie vorliegend durch die Anwendbarkeit von § 9 Nr. 2 IRG in Verbindung mit § 78c StGB. An diesen Maßstäben gemessen, beruhen Auslegung und Anwendung von § 9 Nr. 2 IRG durch das Oberlandesgericht München auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des Art. 16 Abs. 2 GG, insbesondere vom Umfang dessen Schutzbereichs. § 9 Nr. 2 IRG bestimmt: Ist für die Tat auch die deutsche Gerichtsbarkeit begründet, so ist die Auslieferung nicht zulässig, wenn [...], die Verfolgung oder Vollstreckung nach deutschem Recht verjährt oder auf Grund eines deutschen Straffreiheitsgesetzes ausgeschlossen ist. Die Auslegung von § 9 Nr. 2 IRG in der Weise, dass bei konkurrierender Gerichtsbarkeit die Auslieferung Deutscher zur Strafverfolgung auch dann zulässig sei, wenn die Tat im Inland wegen Verfolgungsverjährung nicht mehr geahndet werden kann, die Strafverfolgungsbehörden des ersuchenden Staates jedoch Handlungen vorgenommen haben, die „ihrer Art nach“ geeignet wären, die Verjährung nach deutschen Rechtsvorschriften zu unterbrechen, berücksichtigt die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend und greift unverhältnismäßig in die Auslieferungsfreiheit nach Art. 16 Abs. 2 GG ein. Dabei kann offen bleiben, ob - jedenfalls bei Auslieferung Deutscher - die Auslegung des § 9 Nr. 2 IRG durch das Oberlandesgericht München sogar das Willkürverbot berührt. Die Auslegungsproblematik resultiert im vorliegenden Fall aus der Heranziehung einer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 33, 26 ff.) zu Art. 10 EuAlÜbk im Rahmen der Auslegung von § 9 Nr. 2 IRG (siehe dazu Vogel/Burchard, in: Grützner/Pötz/Kreß (Hrsg.), Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, Kommentar, 3. Auflage, Bd. I, Loseblatt <Stand: Mai 2009>, § 9 Rn. 66). Art. 10 EuAlÜbk hat folgenden Wortlaut: Die Auslieferung wird nicht bewilligt, wenn nach den Rechtsvorschriften des ersuchenden oder des ersuchten Staates die Strafverfolgung oder Strafvollstreckung verjährt ist. Einfachrechtlich problematisch ist die Übertragung der Rechtsprechung zu Art. 10 EuAlÜbk auf § 9 Nr. 2 IRG erstens deswegen, weil der Bundesgerichtshof seinerzeit ausdrücklich die Gültigkeit seiner Überlegungen für die ähnliche Bestimmung in § 9 Nr. 2 IRG offen ließ (BGHSt 33, 26 <28 f.>), weil - zweitens - der Wortlaut von Art. 10 EuAlÜbk nicht übereinstimmt mit § 9 Nr. 2 IRG und - drittens - deswegen, weil die Regelung in Art. 10 EuAlÜbk nach damaliger Verfassungslage gar nicht die Auslieferung von Deutschen betraf. Verfassungsrechtlich problematisch in einer Weise, die jedenfalls in die Nähe des Willkürvorwurfs gerät, ist die Annahme des Oberlandesgerichts München, dass keine Gründe ersichtlich [seien], weshalb diese Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht auch auf den Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses des Rates über den Europäischen Haftbefehl vom 13. Juni 2002 beziehungsweise das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen anwendbar wären. Diese Ausführungen legen es nahe, dass das Oberlandesgericht München die veränderte Verfassungsrechtslage mit der nunmehr nur ausnahmsweise möglichen Auslieferung auch deutscher Staatsangehöriger im Rahmen der grundrechtlichen Vorgabe des Art. 16 Abs. 2 GG in neuer Gestalt nicht für die Auslegung der Norm berücksichtigt hat. Ebenfalls nicht berücksichtigt werden die Grundsätze der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005 zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl, namentlich die dort entwickelten Anforderungen an die innerstaatlichen Vorschriften zum Europäischen Haftbefehl beziehungsweise zu deren Anwendung. Die entscheidend veränderte verfassungsrechtliche Rahmensituation wird nicht nur nicht aufgegriffen, sondern durch das Oberlandesgericht München sogar in ihr Gegenteil verkehrt, wenn das Gericht auch im Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses des Rates über den europäischen Haftbefehl es als maßgeblich hervorhebt, dass es „Sinn und Zweck [sei], den Auslieferungsverkehr zwischen den Vertragsstaaten zu erleichtern“. Diese einseitig auslieferungsfreundliche Deutung übersieht den aus dem Statusrecht als Deutscher folgenden Schutzanspruch der Grundrechtsträger, der im Rahmen einer stets erforderlichen Abwägung als eigenständiger Wertungsgesichtspunkt mit dem grenzüberschreitenden europäischen Strafverfolgungsinteresse in Ausgleich gebracht werden muss (vgl. dazu BVerfGE 113, 273 <307>). Ungeachtet dieses (möglichen) Willkürvorwurfs verkennt das Oberlandesgericht München im Zuge seiner Auslegung von § 9 Nr. 2 IRG jedenfalls Inhalt und Tragweite von Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG. Der Beschluss wird insoweit dem hohen Rang des betroffenen Grundrechts nicht gerecht, weil er die gesteigerten verfassungsrechtlichen Anforderungen unterschreitet, die angesichts der Schwere der grundrechtlichen Beeinträchtigung im Falle einer Auslieferung an die Vorhersehbarkeit verfassungskonformer Grundrechtsbeeinträchtigungen zu stellen sind. Die Auslegung von § 9 Nr. 2 IRG, die das Oberlandesgericht München vornimmt, führt im Zusammenspiel mit § 78c StGB sowie durch die spezifische Kombination mit den jeweils in Bezug genommenen Hoheitsakten ausländischer Strafverfolgungsbehörden zu verfassungsrechtlich nicht hinreichend vorhersehbaren Eingriffen in das Grundrecht auf Auslieferungsfreiheit gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG. Beeinträchtigt wird die Vorhersehbarkeit des Auslieferungsverfahrens insbesondere durch die so erforderlich gewordenen Ausführungen zum ausländischen Prozessrecht. Die verfahrensrechtliche Abhängigkeit einer Auslieferung von Akten ausländischer Hoheitsträger, deren Funktionsäquivalenz trotz des generellen Vertrauens in die Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze durch Mitgliedstaaten der Europäischen Union für alle Beteiligten nur wenig verlässlich ermittelbar ist, konfrontiert den von einer Auslieferung betroffenen Grundrechtsträger mit nicht hinreichend vorhersehbaren Rechtsfolgen. Die sogenannte Substitution ist zwar nicht generell verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt (1). Die bei der Suche nach Funktionsäquivalenten in fremden Rechtsordnungen regelmäßig entstehenden Übersetzungs-, Einordnungs- und Bewertungsfragen (vgl. Sonnenberger, in: Münchener Kommentar zum BGB, 4. Auflage 2006, Einleitung, Rn. 614) sind aber als verfassungskonforme Beschränkungen von Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG nicht hinnehmbar (2), sie genügen nicht dem qualifizierten Gesetzesvorbehalt von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG. Die Auslegung von § 9 Nr. 2 IRG in Verbindung mit § 78c StGB (sogenannte Substitution) ist eine dogmatische Besonderheit, die ihrer Art nach jedoch nicht einmalig in der deutschen Rechtsordnung ist. Der Begriff der Substitution bezeichnet grundsätzlich die Ersetzung eines inländischen durch einen ausländischen (Verwaltungs-)Akt. Anlass dafür ist stets, dass Rechtsnormen auf Rechtserscheinungen Bezug nehmen, ohne klar zu entscheiden, ob darunter auch sogenannte fremdrechtliche Vorgänge zu verstehen sind (Sonnenberger, in: Münchener Kommentar zum BGB, 4. Auflage 2006, Einleitung, Rn. 614). Das Problem der Substitution wird daher meist im Kontext von international-privatrechtlichen Konstellationen diskutiert (vgl. nur BGHZ 109, 1 <6> m.w.N.; Thorn, in: Palandt, BGB, 68. Auflage 2009, Einleitung Art. 3 EGBGB, Rn. 31). Verbreitet wird dort von einem Grundsatz der Nichtanerkennung und erst recht des Nichtvollzugs ausländischer Verwaltungsakte ausgegangen, doch lockert sich diese Haltung im jüngeren Schrifttum auf. Substitution ist für sich betrachtet jedoch kein Gegenstand des Internationalen Privatrechts, sondern kann prinzipiell in allen Rechtsgebieten auftreten (so ausdrücklich Sonnenberger, in: Münchener Kommentar zum BGB, 4. Auflage 2006, Einleitung, Rn. 618). Allgemein verbirgt sich dahinter jeweils das Problem der Gleichwertigkeit fremder Rechtserscheinungen. Nach herrschender Auffassung im einschlägigen Schrifttum handelt es sich bei Fragen der Substitution stets um einen Aspekt der Auslegung der betreffenden Sachnormen, die bisweilen erleichtert wird, wenn der Gesetzgeber selbst entsprechende Anweisungen erläutert (vgl. m.w.N. Sonnenberger, in: Münchener Kommentar zum BGB, 4. Auflage 2006, Einleitung, Rn. 614). Derartige Hinweise des Gesetzgebers sind selten, eines der wenigen Gegenbeispiele liefert § 34 Abs. 1 SGB I. Typische Auslegungsprobleme der Sachnorm sind in diesem Zusammenhang etwa die Frage, ob Gleichartigkeit der fremden Rechtserscheinung erforderlich ist oder ob Ähnlichkeit in den wesentlichen Punkten genügt (vgl. BGHZ 109, 1 <6>). Ist einer Sachnorm nichts Besonderes zu entnehmen, wird häufig als Faustregel auf Funktionsäquivalenz abgestellt. Im Rahmen von § 9 Nr. 2 IRG in Verbindung mit § 78c StGB genügt die vom Oberlandesgericht München vorgenommene Substitution nicht den Anforderungen des Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG. Die unzuverlässige und mit Unsicherheiten behaftete Ermittlung funktionsäquivalenter Unterbrechungstatbestände bietet jedenfalls im grundrechtssensiblen verfahrensrechtlichen Kontext der Auslieferung deutscher Staatsangehöriger keine hinreichende Vorhersehbarkeit der Grundrechtsbeeinträchtigungen. Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts München enthält erhebliche Unwägbarkeiten bei der Bestimmung von Funktionsäquivalenten: so muss das Oberlandesgericht mit Art. 31 Abs. 2 (gemeint ist wohl: Art. 31 § 2) eine Bestimmung der griechischen Strafprozessordnung heranziehen, um das Handeln der griechischen Behörden überhaupt im richtigen normativen Kontext erfassen zu können, wobei der fremdsprachliche Kontext hinzutritt; denn die von den griechischen Behörden vorgelegten Schriftstücke lassen nach Auffassung des Oberlandesgerichts München nicht eindeutig erkennen, ob der Beschwerdeführer als „Zeuge“ oder aber als „Beschuldigter“ von den griechischen Behörden geführt wurde. Diese grundrechtsrelevanten Unsicherheiten, die durch die Substitution entstehen, hat das Oberlandesgericht München „sehenden Auges“ hingenommen, ohne die Notwendigkeit der Substitution im Lichte von Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG kritisch zu hinterfragen. Dabei hätte insbesondere der Vorlagebeschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg (OLG Oldenburg, NJW 2009, S. 2320 f.) vom 6. April 2009 einen Anlass geben müssen, sich mit den grundrechtlichen Aspekten verjährungsunterbrechender Substitution zu befassen; in diesem Beschluss legte das Oberlandesgericht Oldenburg dem Bundesgerichtshof gemäß § 42 Abs. 1 IRG die folgende Rechtsfrage vor: Ist die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen aufgrund eines Europäischen Haftbefehls an die Republik Polen - zur Strafverfolgung wegen in Polen begangener Straftaten, die nach deutschem Recht verjährt wären und für die wegen der deutschen Staatsangehörigkeit des Verdächtigten auch die deutsche Gerichtsbarkeit begründet ist - auch dann unzulässig, wenn in der Republik Polen Handlungen vorgenommen worden sind, die ihrer Art nach geeignet wären, die Verjährung nach deutschen Rechtsvorschriften zu unterbrechen? An die dabei zentrale Aussage des Oberlandesgerichts Oldenburg (OLG Oldenburg, NJW 2009, S. 2320 <2321>), vor dem Hintergrund der […] grundrechtsschonenden Auslegung der Vorschriften kommt nach Auffassung des Senats eine Auslegung dahingehend, dass die polnischen Haftbefehle auch die deutsche Verjährung unterbrochen haben, nicht in Betracht. Die praktischen Erwägungen, die von Bubnoff in seinem Aufsatz schildert, vermögen daran nichts zu ändern, knüpft das Oberlandesgericht München in seinem Beschluss inhaltlich nicht an, sondern beschränkt sich ausschließlich auf die Diskussionen von Fragen der formellen Bindungswirkung (§ 42 Abs. 1 IRG). Für die Beurteilung der am verfassungsrechtlichen Maßstab gemessen mangelnden Vorhersehbarkeit der „funktionsäquivalenten Unterbrechungstatbestände“ ist unerheblich, ob der Gesetzgeber - was vorliegend dahinstehen kann - bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses zum Europäischen Haftbefehl an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 9 Nr. 2 IRG aus dem Jahr 1984 festhalten wollte (vgl. zum Willen des historischen Gesetzgebers Vogel/Burchard, in: Grützner/Pötz/Kreß (Hrsg.), Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, Kommentar, 3. Auflage, Bd. I, Loseblatt <Stand: Mai 2009>, § 9 Rn. 68). Denn dieser mögliche Wille des Gesetzgebers hätte mit hinreichender Deutlichkeit in der gesetzlichen Grundlage Ausdruck finden müssen; insbesondere hätten dafür die relevanten Tatbestände ausländischer Vollstreckungsbehörden in nachvollziehbarer Weise sichtbar werden müssen. Nur unter diesen qualifizierten Voraussetzungen an die Nachvollziehbarkeit des Auslieferungsverfahrens kann der Forderung des Bundesverfassungsgerichts nachgekommen werden, dass die verfassungsrechtlich gebotene Konkretisierung einer „Abbildung im Gesetzestext“ (BVerfGE 113, 273 <315 f.>) bedarf. Aus dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der europäischen justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen ergibt sich nichts anderes. Denn namentlich der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl eröffnet in Art. 4 Nr. 4 die Möglichkeit einer Auslieferungsverweigerung für den Fall der „Verjährung nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaates“. Jedenfalls können die Zugeständnisse im Rahmen der gegenseitigen Anerkennung nicht weiter gehen, als dies die grundrechtlichen Spielräume bei der Auslieferung deutscher Staatsangehöriger zulassen (vgl. auch Vogel/Burchard, in: Grützner/Pötz/Kreß (Hrsg.), Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, Kommentar, 3. Auflage, Bd. I, Loseblatt <Stand: Mai 2009>, § 9 Rn. 84). Eine verfassungskonforme Auslegung von § 9 Nr. 2 IRG setzt in Konstellationen der Auslieferung deutscher Staatsangehöriger notwendigerweise voraus, dass lediglich inländische Unterbrechungstatbestände anerkannt werden können, um zu hinreichend voraussehbaren Rechtsfolgen für die von Auslieferung betroffenen deutschen Staatsangehörigen zu gelangen. Die Bewilligungsentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft München vom 12. August 2009 verletzt den Beschwerdeführer insofern in seinem Grundrecht aus Art. 16 Abs. 2 GG als sie die bereits durch den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 10. August 2009 eingetretene Grundrechtsverletzung bestätigt und vertieft. In einer weiteren Entscheidung - im selben Auslieferungsverfahren - vom 9. Oktober 2009 (2 BvR 2115/09) hat das Bundesverfassungsgericht erneut die Entscheidungen des Oberlandesgerichts München und der Generalstaatsanwaltschaft München betreffend die Auslieferung des Beschwerdeführers nach Griechenland aufgehoben und dabei ausgeführt: Die mögliche Verfolgungsverjährung ist ein zentraler Aspekt des vorliegenden Auslieferungsverfahrens. Daneben war sie bereits Gegenstand der erfolgreichen Verfassungsbeschwerde gegen die vorangegangene Auslieferungsentscheidung des Oberlandesgerichts München (Az. 2 BvR 1826/09). Auch die Generalstaatsanwaltschaft argumentierte im Hinblick auf die jetzt angegriffene zweite Auslieferungsentscheidung noch in ihrem Antrag vom 4. August 2009 zur Beurteilung der Strafverfolgungsverjährung nach deutschem Recht so, dass die Verjährung durch Handlungen der griechischen Strafverfolgungsbehörden, namentlich die Anordnung der Vernehmung beziehungsweise die erste Vernehmung am 18. April 2008, unterbrochen worden sei. Denn die Auslieferung sei auch dann zulässig, wenn die Tat im Inland zwar nicht mehr geahndet werden könne, die Strafverfolgungsbehörden des ersuchenden Staates jedoch Handlungen vorgenommen hätten, die ihrer Art nach geeignet seien, die Verjährung nach deutschen Rechtsvorschriften zu unterbrechen. Demgemäß sei der in dem Europäischen Haftbefehl vom 29. Juni 2009 erhobene Betrugsvorwurf, wenn man auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 19. Mai 2003 abstelle, noch nicht verjährt. Diese Argumentation der Generalstaatsanwaltschaft hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 3. September 2009 (Az. 2 BvR 1826/09) für verfassungsrechtlich unhaltbar erklärt. 2. An diese Entscheidungen sind die Gerichte gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG gebunden. a) Die einer Verfassungsbeschwerde stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ist eine Sachentscheidung und damit eine Entscheidung im Sinne des § 31 Abs. 1 BVerfGG (Bethge in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge BVerfGG 29. Aufl. 2009 § 31 Rdn. 84 m.w.N.; Benda/Klein Verfassungsprozessrecht 2. Aufl. Rdn. 1321). Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 93c Abs. 1 Satz 2 BVerfGG, wonach der Beschluss einer Kammer der Entscheidung eines Senats des Bundesverfassungsgerichts gleichsteht. Auch der Gesetzgeber ging davon aus, dass § 31 Abs. 1 BVerfGG - sofern die Voraussetzungen im Übrigen vorliegen - für die Entscheidungen einer Kammer des Bundesverfassungsgerichts ebenfalls gilt (BT-Drucks. 10/2951, S. 12; zur Gesetzesgeschichte auch Rixen NVwZ 2000, 1364, 1366 m.w.N.). Dementsprechend nimmt das Bundesverfassungsgericht selbst an, dass eine stattgebende Kammerentscheidung der Entscheidung eines Senats auch im Hinblick auf die Bindungswirkung des § 31 Abs. 1 BVerfGG gleichstehe (BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des 1. Senats vom 27. Januar 2006 - 1 BvQ 4/06, NVwZ 2006, 586, 588, und  der 3. Kammer des 2. Senats vom 5. Dezember 2005 - 2 BvR 1964/05, NJW 2006, 672, 674 m.w.N.). Soweit der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 7. Februar 2006 (3 StR 460/98) die Auffassung vertreten hat, dass eine über den Einzelfall hinausgehende Bindungswirkung einer stattgebenden Kammerentscheidung nicht zukomme, wenn sie nicht auf einer vorangehenden Senatsentscheidung beruhe, kann dahinstehen, ob dem zu folgen ist. Denn der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 3. September 2009 stützt sich auf die Entscheidung des 2. Senats dieses Gerichts vom 18. Juli 2005 (2 BvR 2236/04, BVerfGE 113, 273, 292 ff.). b) Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 3. September 2009 werden von der Bindungswirkung gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG auch erfasst. Denn diese betrifft nicht nur den Tenor, sondern auch die die Entscheidung tragenden Gründe (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des 2. Senats vom 5. Dezember 2005 - 2 BvR 1964/05, NJW 2006, 672, 674 m.w.N.; Benda/Klein a.a.O. Rdn. 1323 ff; Heusch in Umbach/Clemens/Dollinger BVerfGG 2. Aufl. § 31 Rdn. 59 ff; a.A. Voßkuhle in v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner Grundgesetz 4. Aufl. 2001, Band 3 Art. 94 Abs. 2 Rdn. 32). Dabei sind die den Tenor tragenden Entscheidungsgründe jene Rechtssätze, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Gedankengang entfällt. Nicht tragend sind dagegen bei Gelegenheit der Entscheidung gemachte Rechtsausführungen, die außerhalb des Begründungszusammenhangs stehen. Bei der Beurteilung, ob ein tragender Grund vorliegt, ist von der niedergelegten Begründung in ihrem objektiven Gehalt auszugehen (zum Ganzen: BVerfG, Beschluss vom 18. Januar 2006 - 2 BvR 2194/99, NJW 2006, 1191, 1192 m.w.N.). Auf dieser Grundlage steht außer Zweifel, dass insbesondere die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in dem Beschluss vom 3. September 2009 (vgl. oben Seite 5/6): Eine Auslegung von § 9 Nr. 2 IRG in der Weise, dass bei konkurrierender Gerichtsbarkeit die Auslieferung Deutscher zur Strafverfolgung auch dann zulässig ist, wenn die Tat im Inland wegen Verfolgungsverjährung nicht mehr geahndet werden kann, die Strafverfolgungsbehörden des ersuchenden Staates jedoch Handlungen vorgenommen haben, die „ihrer Art nach“ geeignet wären, die Verjährung nach deutschen Rechtsvorschriften zu unterbrechen, ist unvereinbar mit Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG. dem den Tenor dieses Beschlusses tragenden Teil der Entscheidung zuzuordnen sind. 3. Die Vorlage ist auch nicht etwa deshalb zulässig, weil sich das Oberlandesgericht auch mit der Anwendbarkeit des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 auseinandergesetzt und die Ansicht vertreten hat, dass diese noch nicht “verbindlich geklärt“ sei. Zum einen hat der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 12. August 2008 (Rechtssache C-296/08, Goicoechea, NJW 2009, 657) hierzu Stellung genommen. Zum anderen betrifft die Entscheidung des Senats vom 26. Juli 1984 zu Art. 10 EuAlÜbk (BGHSt 33, 26), auf die das Oberlandesgericht verweist, die Auslieferung eines türkischen Staatsangehörigen. Da Art. 10 EuAlÜbk nach Ansicht des vorlegenden Oberlandesgerichts auf einen deutschen Staatsangehörigen nicht anwendbar ist, kommt es auf seine daran anknüpfenden Erwägungen zur Zulässigkeit der Vorlage nicht an. 4. Der Senat ist auch nicht gehalten, im Hinblick auf Art. 12 EGV bzw. Art. 18 AEUV eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Auslegung von § 9 Nr. 2 IRG - insbesondere dazu, ob bei dessen Anwendung nach der Staatsangehörigkeit des Verfolgten unterschieden werden darf - zu erholen. Denn Rückschlüsse darauf, ob die Auslieferung eines Verfolgten mit anderer Staatsangehörigkeit in Fällen der vorliegenden Art erlaubt ist, lassen sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht ziehen. Tepperwien                                    Maatz                                     Solin-Stojanović Franke                                   Mutzbauer
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058708
BGH
4. Strafsenat
20100223
4 StR 438/09
Beschluss
§ 22 StGB, § 23 StGB, § 224 Abs 1 Nr 2 StGB, § 224 Abs 1 Nr 4 StGB, § 240 Abs 1 StGB, § 240 Abs 2 StGB, § 240 Abs 3 StGB, § 253 StGB, § 255 StGB, § 138 Abs 1 BGB, § 812 Abs 1 S 1 Alt 1 BGB, § 814 Alt 1 BGB, § 817 S 2 BGB
vorgehend LG Halle (Saale) , 20. März 2009, Az: 507 Js 28958/06 - 23 KLs 30/07, Urteil
DEU
Strafbarkeit der gewaltsamen Rückforderung eines rechtsgrundlos gezahlten Geldbetrages
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 20. März 2009 a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass die Angeklagten der versuchten Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig sind, b) in den Strafaussprüchen mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.
Das Landgericht hat die Angeklagten der versuchten schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen. Den Angeklagten M. hat es deshalb zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen den Angeklagten W. hat es eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten festgesetzt und ihn unter Auflösung der Gesamtfreiheitsstrafe aus einer Vorverurteilung und unter Einbeziehung der dortigen Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung sachlichen Rechts; der Angeklagte M. beanstandet darüber hinaus das Verfahren. Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte sich der Angeklagte W. in E. I. verliebt, die in den Bordellen ihres Zuhälters J. Ma., der sie zum Zweck der sexuellen Ausbeutung aus Russland nach Deutschland gelockt hatte, der Prostitution nachging. Um mit der Zeugin I. eine gemeinsame Zukunft aufbauen zu können, vereinbarte der Angeklagte W. mit Ma. einen "Freikaufpreis" von 10.000 Euro; im Gegenzug sollte Ma. die "Rechte" an der Zeugin freigeben und ihm ihren Reisepass aushändigen. Nach der Zahlung und der Übergabe des russischen Reisepasses am 17. März 2006 erfuhr der Angeklagte W. von der Zeugin I. , dass dieser Pass abgelaufen war und dass sie, von Ma. getäuscht, diesem den gefälschten litauischen Reisepass, den dieser ihr nach Ablauf ihres Touristenvisums verschafft hatte, zurückgegeben hatte. Nunmehr fühlte sich der Angeklagte W. "abgezockt" und wollte sich das Geld notfalls unter Einsatz von Gewalt zurückholen. Zu diesem Zwecke begab er sich noch am selben Tage mit dem eingeweihten Angeklagten M. und mit weiteren Helfern zu Ma. und verschaffte seiner Rückzahlungsforderung gewaltsam Nachdruck, indem er den Angeklagten M. und einen der Helfer mit Axtstielen gegen Kopf und Oberkörper des Ma. einprügeln ließ. Nachdem es einer Zeugin gelungen war, um Hilfe zu rufen, flohen sie, ohne ihr Ziel erreicht zu haben. 2. Diese Feststellungen tragen zwar neben dem Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung, § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4 StGB, auch einen solchen wegen versuchter Nötigung gemäß § 240 Abs. 1, 2 und 3 StGB; sie rechtfertigen aber nicht die Verurteilung wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung, da die Angeklagten nicht in der Absicht handelten, sich (bzw. einen Dritten) zu Unrecht zu bereichern. Dem Angeklagten W. stand vielmehr gegen Ma. ein Anspruch auf Rückzahlung der 10.000 Euro zu; dass die Angeklagten irrtümlich vom Gegenteil ausgingen, mit der Folge, dass ein untauglicher Versuch in Betracht käme (BGHSt 42, 268), ist nicht festgestellt. a) Der Rückzahlungsanspruch ergibt sich aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB. Die Zahlung war ohne rechtlichen Grund erfolgt, weil die Vereinbarung über den "Freikaufpreis" bereits nach ihrem Inhalt gegen die guten Sitten verstieß und deshalb gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig war. Der Vertrag behandelte die Zeugin I. als bloßes Objekt. Die Anerkennung ihrer persönlichen Freiheit durch Ma., insbesondere ihrer Freiheit zur sexuellen Selbstbestimmung, war danach von einer Gegenleistung abhängig. b) Der Rückzahlungsanspruch ist auch weder nach § 814 Alt. 1 BGB noch nach § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen. § 814 Alt. 1 BGB, wonach die Leistung nicht zurückgefordert werden kann, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war, ist hier nicht anwendbar, weil der Angeklagte W. erkennbar nicht freiwillig gezahlt hatte, sondern vielmehr unter Druck zur Vermeidung eines sonst drohenden Nachteils (BGH, Urt. vom 12. Juli 1995 - XII ZR 95/93 = NJW 1995, 3052, 3054). Ma. hatte schon in der Vergangenheit die Freiheit der I. in strafbarer Weise (§ 232 StGB) missachtet und er drohte sie ihr auch künftig streitig zu machen. Dies wollte der Angeklagte W. durch die Zahlung des "Freikaufpreises" verhindern. Auch der Kondiktionsausschluss nach § 817 Satz 2 BGB greift nicht ein. Danach ist die Rückforderung der Leistung ausgeschlossen, wenn dem Leistenden ein Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen ein gesetzliches Verbot zur Last fällt. Hier aber stand der Zweck der Zahlung - die Wiedergewinnung der Freiheit der Zeugin I. - im Einklang mit der Rechtsordnung. Dem Angeklagten W. ging es bei der Vereinbarung mit Ma. nicht darum, den von diesem betriebenen Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung zu perpetuieren (vgl. dazu OLG Köln, Urt. vom 19. Dezember 1997 - = NJW-RR 1998, 1518). Nach den Urteilsfeststellungen wollte er die Zeugin dem Einflussbereich ihres Zuhälters entziehen, um mit ihr eine gemeinsame Zukunft aufzubauen (UA 17). 3. Der Senat stellt den Schuldspruch um. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da sich die Angeklagten nicht anders als geschehen hätten verteidigen können. Die Schuldspruchänderung zieht die Aufhebung der Strafaussprüche nach sich. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung geringere Strafen verhängt hätte. Wegen der Aufhebung der Einzelstrafe hat auch die bezüglich des Angeklagten W. erkannte Gesamtfreiheitsstrafe keinen Bestand. Tepperwien                                Solin-Stojanović                                    Ernemann Franke                                             Mutzbauer
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058710
BGH
4. Strafsenat
20100225
4 StR 575/09
Urteil
§ 46a Nr 1 StGB, § 224 Abs 1 Nr 5 StGB
vorgehend LG Paderborn, 18. August 2009, Az: 1 Ks 310 Js 62/09 - 28/09, Urteil
DEU
Gefährliche Körperverletzung: Stiche mit einem Schraubendreher als Leben gefährdende Behandlung; Täter-Opfer-Ausgleich
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 18. August 2009 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. 1. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). 2. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat weder zum Schuld- noch zum Strafausspruch einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt. a) Entgegen der Ansicht der Revision belegen die vom Landgericht getroffenen Feststellungen die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes. Danach hatte sich zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen M., die zuvor eng befreundet gewesen waren, aus vielschichtigen Gründen eine hasserfüllte Abneigung entwickelt. Bevor der Angeklagte den Zeugen aufsuchte und sogleich zweimal mit einem Schraubendreher mit einer etwa sieben Zentimeter langen Spitze auf ihn in Richtung des Brustbereichs einstach, hatte sich der Angeklagte seinen eigenen Angaben zufolge entschlossen, "den Streit zwischen ihm und dem Zeugen M. im Kampf einer abschließenden finalen Lösung zuzuführen". Hieraus und aus der Art des schnellen tätlichen Angriffs, der erst durch das Eingreifen weiterer Personen beendet werden konnte, hat das Landgericht geschlossen, dass auch das neben dem Wissenselement selbständig erforderliche Wollenselement des Tötungsvorsatzes beim Angeklagten vorgelegen hat. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Soweit die Revision eine eigene, andere Würdigung der Feststellungen vornimmt, kann sie damit im Revisionsverfahren keinen Erfolg haben. b) Dass das Landgericht tateinheitlich mit dem versuchten Totschlag auch eine gefährliche Körperverletzung in den Begehungsformen des § 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB angenommen hat, begegnet - entgegen den Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift - keinen rechtlichen Bedenken. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB setzt voraus, dass die Körperverletzung "mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung" begangen wird. Erforderlich, aber auch genügend ist, dass die Art der Behandlung durch den Täter nach den Umständen des Einzelfalls generell geeignet ist, das Leben des Opfers zu gefährden; einer konkreten Gefährdung bedarf es nicht (st. Rspr., vgl. BGH, Urt. vom 29. April 2004 - 4 StR 43/04 = NStZ 2004, 618; Beschl. vom 23. Juli 2004 - 2 StR 101/04 = NStZ 2005, 156, 157; vgl. auch Fischer StGB 57. Aufl. § 224 Rdn. 12 mit zahlreichen Nachweisen). Die Stiche mit dem Schraubendreher, bei dem es sich nach den Urteilsfeststellungen um einen harten, spitzkantigen Gegenstand handelte, waren, wie das Landgericht - den Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen folgend - festgestellt hat, generell geeignet, lebensgefährdende Verletzungen hervorzurufen. Darauf, dass der Zeuge infolge seiner Abwehr letztlich nur leichtere Verletzungen erlitten hat, kommt es für die Tatbestandsverwirklichung nicht an. c) Eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB hat das sachverständig beratene Landgericht mit sorgfältiger Begründung rechtsfehlerfrei verneint. Es hat insbesondere dargelegt, warum es sich nicht vom Vorliegen einer Affekttat überzeugen konnte. Soweit der Generalbundesanwalt in diesem Zusammenhang eine weiter gehende Berücksichtigung der kulturellen Prägung des Angeklagten und des Stellenwerts, der einer Männerfreundschaft im arabischen Raum zukomme, vermisst, kann dem nicht gefolgt werden. d) Soweit das Landgericht einen minder schweren Fall des versuchten Totschlags im Sinne des § 213 1. Alt. StGB verneint hat, ist dies entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts revisionsrechtlich schon deswegen nicht zu beanstanden, weil der Angeklagte durch die vorangegangenen Beleidigungen jedenfalls nicht auf der Stelle zur Tat hingerissen worden ist. e) Letztlich begegnet es auch keinen durchgreifenden Bedenken, dass das Landgericht, das einen sonstigen minder schweren Fall nach § 213 2. Alt. StGB angenommen hat, den dadurch eröffneten Strafrahmen nicht nach §§ 46 a Nr. 1, 49 Abs. 1 StGB gemildert hat. Zwar hat sich der Angeklagte in einem Brief, den er aus der Untersuchungshaft an den Geschädigten gesandt hat, für die Tat entschuldigt. Für einen Ausgleich mit dem Verletzten im Sinne des § 46 a Nr. 1 StGB ist es aber regelmäßig erforderlich, dass der Täter sich gegenüber dem Opfer zu seiner Schuld bekennt und die Opfer-Position der geschädigten Person respektiert (vgl. BGHSt 48, 134, 141; vgl. auch Fischer aaO § 46 a Rdn. 10 a und b m.w.N.). Nach dem Inhalt des im Urteil wörtlich wiedergegebenen Briefes des Angeklagten kann dieser jedoch nicht als Zeichen der Übernahme von Verantwortung für das Tatgeschehen angesehen werden. Der Angeklagte weist darin die Alleinschuld an der Eskalation dem Opfer zu, das ihm durch sein Verhalten "keinen anderen Weg gelassen" habe. Darauf, dass der Geschädigte in der Hauptverhandlung erklärt hat, dem Angeklagten zu verzeihen, da dieser auch Familie habe, kommt es daher nicht mehr ausschlaggebend an (vgl. BGH, Beschl. vom 25. Juni 2008 - 2 StR 217/08 = StV 2008, 464). Tepperwien                                      Maatz                                Solin-Stojanović Ernemann                                Franke
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058712
BGH
4. Strafsenat
20100216
4 StR 586/09
Beschluss
§ 63 StGB, § 67b Abs 1 S 1 StGB, § 68b StGB, § 1896 BGB, §§ 1896ff BGB
vorgehend LG Berlin, 21. Juli 2009, Az: (503) 95 Js 1961/08 KLs (7/09), Urteil
DEU
Strafverfahren: Anforderungen an die Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. Juli 2009 im Rechtsfolgenausspruch a) mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Vollstreckung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, b) dahin ergänzt, dass der Führerschein des Beschuldigten eingezogen wird. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, der versuchten gefährlichen Körperverletzung und der Nötigung wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit freigesprochen und - neben einer Maßregel nach §§ 69, 69a StGB - seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen vom Angeklagten eingelegte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg, soweit die Unterbringung des Angeklagten nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts beschloss der Angeklagte im Vorfeld des Besuchs des damaligen US-Präsidentschaftskandidaten Barak Obama in Berlin “durch eine medienwirksame Aktion ein Zeichen gegen die Ungerechtigkeit in der Welt zu setzen und hierdurch die Politiker aufzurütteln“. Hierzu brachte er im Kofferraum seines Pkws einen Verschluss an, den er vom Fahrersitz aus öffnen konnte, kaufte 70 Liter rote Farbe und füllte diese - mit Wasser verdünnt - in den Kofferraum. Anschließend fuhr er in Richtung „Großer Stern“ in Berlin. In dessen Nähe umfuhr der Angeklagte eine Absperrung auf dem Fußweg und fuhr mit 50 km/h auf den Zeugen G. zu, dessen Aufgabe es war, an einer weiteren Absperrung berechtigte Fahrzeuge durchzulassen. Der Zeuge wich „schnell“ zur Seite aus und der Angeklagte durchbrach in einem Abstand von zehn Zentimetern zu dem Zeugen die Absperrung, wobei er dessen Verletzung als ein „notwendiges Opfer … für das von ihm verfolgte höhere Ziel“ billigend in Kauf nahm. Anschließend öffnete der Angeklagte - während der Fahrt - den im Kofferraum seines Fahrzeugs angebrachten Verschluss und verteilte im Kreis fahrend die Farbe auf der Straße. Sodann hielt er an und ließ sich widerstandslos festnehmen. Der Angeklagte befand sich während der Vorbereitung und Ausführung der Tat - wie die sachverständig beratene Strafkammer festgestellt hat - in einer noch andauernden akuten manischen Phase seiner bipolaren affektiven Störung, aufgrund derer sein Steuerungsvermögen jedenfalls erheblich eingeschränkt, nicht ausschließbar aber auch aufgehoben war. Die Strafkammer bewertete das Verhalten des Angeklagten als versuchte gefährliche Körperverletzung, vorsätzlichen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und Nötigung. 2. Dem Angeklagten die Aussetzung der Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung zu versagen, hält der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Anordnung der Maßregel selbst weist allerdings keinen Rechtsfehler auf. Insbesondere sind die jedenfalls erheblich verminderte, möglicherweise auch aufgehobene Schuldfähigkeit des Angeklagten und seine künftige Gefährlichkeit infolge seines Zustandes hinreichend belegt. Auch handelt es sich bei den - ohne medizinische Behandlung - zu erwartenden „ähnlichen Delikten“ jedenfalls insofern um erhebliche Taten im Sinne des § 63 StGB, als sie der im angefochtenen Urteil festgestellten (versuchten) gefährlichen Körperverletzung oder dem vorsätzlichen Eingriff in den Straßenverkehr entsprechen. Jedoch ist nach § 67b Abs. 1 Satz 1 StGB die Aussetzung des Vollzugs der Unterbringung geboten, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Zweck der Maßregel auch ohne deren Vollzug erreicht werden kann. Bei dieser Prüfung sind zwar auch die vom Landgericht allein herangezogenen Umstände zu berücksichtigen, nämlich dass der Angeklagte keine Krankheitseinsicht zeigt und sich weigert, die Medikamente einzunehmen, die eine „schnelle Linderung der krankheitsbedingten Symptome“ herbeiführen würden. Jedoch hätte die Strafkammer erörtern müssen, ob sich die vom Angeklagten ausgehende Gefahr insbesondere durch die Begründung eines Betreuungsverhältnisses nach §§ 1896 ff. BGB (vgl. BGH, Urt. vom 23. Mai 2000 - 1 StR 56/00, NStZ 2000, 470, 471) und/oder durch geeignete Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht (§§ 67b Abs. 2, 68b StGB; vgl. dazu BGH, Beschl. vom 25. April 2001 - 1 StR 68/01 - und Urteile vom 11. Juni 1987 - 4 StR 227/87 - und vom 12. Juni 2001 - 1 StR 574/00) abwenden oder jedenfalls so stark abschwächen lässt, dass ein Verzicht auf den Vollzug der Maßregel gewagt werden kann. Denn die damit verbundenen Überwachungsmöglichkeiten und das dem Beschuldigten zu verdeutlichende Risiko, bei Nichterfüllung solcher Weisungen mit dem Vollzug der Unterbringung rechnen zu müssen, können geeignet sein, die vom Sachverständigen und der Strafkammer angeführten Voraussetzungen einer erfolgversprechenden ambulanten Therapie herbeizuführen (vgl. BGH, Urt. vom 12. Juni 2001 - 1 StR 574/00 - und Urt. vom 27. März 2007 - 1 StR 48/07, NStZ 2007, 465 jeweils m.w.N.). Hierzu bestand vorliegend schon deshalb Anlass, weil - was die Strafkammer ebenfalls nicht erörtert - sich der Angeklagte trotz seines Zustandes bis zur Begehung der verfahrensgegenständlichen Tat straffrei geführt hat und auch danach ohne weitere relevante Auffälligkeiten zunächst auf freiem Fuß verblieben ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Mai 2009 - 4 StR 148/09 m.w.N.). Tepperwien                                      Maatz                                       Athing Ernemann                               Mutzbauer
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058714
BGH
5. Strafsenat
20100224
5 StR 23/10
Beschluss
§ 257c Abs 2 StPO
vorgehend LG Hamburg, 17. September 2009, Az: 619 KLs 9/09 - 6100 Js 71/09 - 2 Ss 4/10, Urteil
DEU
Strafverfahren: Revisionsrüge wegen Nichtverbescheidung des Antrags auf Pflichtverteidigerwechsel bei förmlicher Verständigung unter Mitwirkung des bisherigen Pflichtverteidigers
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 17. September 2009 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend bemerkt der Senat zu den Verfahrensrügen 2 und 3: Die Rüge, das Selbstleseverfahren sei unter Verstoß gegen § 249 Abs. 2, § 261 StPO durchgeführt worden, ist unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Revision bezeichnet die Urkunden, die den Verfahrensmangel begründen sollen, nicht hinreichend. Die Verfahrensrüge, die auf dem - nicht verbeschiedenen - vor Eröffnung des Hauptverfahrens gestellten Antrag des Angeklagten auf Auswechselung des Pflichtverteidigers aufbaut, ist nach den Maßstäben von BGHR StPO § 218 Ladung 6 und § 24 Revision 1 unzulässig. Der hier vorliegende Fall, in dem der Angeklagte nach beantragtem Pflichtverteidigerwechsel in dem Hauptverhandlungstermin vom 14. September 2009 unter ausschließlicher Mitwirkung des bisherigen Pflichtverteidigers eine Verständigung im Sinne des § 257c Abs. 2 StPO getroffen hat, und die Nichtverbescheidung seines Antrags aus dem Zwischenverfahren gleichwohl mit der Revision rügt, ist nicht anders zu behandeln als das Beharren auf einer Verletzung von § 218 Satz 1 StPO oder § 24 Abs. 1 StPO nach einer wirksamen Verständigung. Ob Rechtsprechung des 3. Strafsenats (StV 2009, 628, 629) dem entgegen stünde, bedarf keiner Vertiefung. Die Rüge ist nämlich auch unbegründet. Im Abschluss einer Verständigung unter Mitwirkung des allein tätig gewordenen Pflichtverteidigers liegt eine wirksame konkludente Rücknahme des Antrags auf Auswechselung des Pflichtverteidigers (vgl. BGHR StPO § 218 Ladung 6). Basdorf                               Raum                                 Brause König                                Bellay
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058715
BGH
5. Strafsenat
20100224
5 StR 13/10
Beschluss
§ 354 Abs 1 StPO, § 358 Abs 2 StPO
vorgehend LG Bremen, 21. Juli 2009, Az: 7 (27) KLs 17/08 - 320 Js 31738/08, Urteil
DEU
Gesamtstrafenbildung: Nachholung der unterbliebenen Festsetzung der Einzelstrafen durch das Revisionsgericht
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bremen vom 21. Juli 2009 wird nach § 349 Abs. 2 StPO mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass a) als Einzelstrafen in den Fällen 10, 11 und 12 der Urteilsgründe jeweils eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren festgesetzt wird, b) die vom Angeklagten in der Republik Österreich erlittene Freiheitsentziehung im Verhältnis 1:1 auf die verhängte Strafe angerechnet wird. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dadurch den Nebenklägerinnen entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in neun Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Körperverletzung, wegen gefährlicher Körperverletzung sowie wegen dreifachen schweren Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit zweifacher ausbeuterischer und dirigistischer Zuhälterei zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten erweist sich aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 27. Januar 2010 als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Allerdings ist das Urteil auf Antrag des Generalbundesanwalts im Hinblick auf die verabsäumte Festsetzung der Einzelstrafen für die Fälle 10, 11 und 12 der Urteilsgründe und die unterbliebene Festsetzung des Anrechnungsmaßstabes für die vom Angeklagten in der Republik Österreich erlittene Auslieferungshaft zu ergänzen. Das Landgericht hat im Ergebnis rechtsfehlerfrei den Strafrahmen des § 177 Abs. 2 StGB für alle abgeurteilten Vergewaltigungstaten zugrunde gelegt (UA S. 81). Es hat jedoch versehentlich (UA S. 86) versäumt, die Einzelstrafen für die Taten 10, 11 und 12 der Urteilsgründe festzusetzen. In entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO setzt der Senat deshalb die Einzelstrafen jeweils auf die Mindeststrafe von zwei Jahren Freiheitsstrafe des durch die Strafkammer bestimmten Regelstrafrahmens fest. Das Verbot der Schlechterstellung (§ 358 Abs. 2 StPO) steht der Nachholung der Festsetzung nicht entgegen (vgl. BGHR StPO § 354 Abs. 1 Strafausspruch 10 m.w.N.). Bei Einzelstrafen im Übrigen zwischen drei und vier Jahren ist eine Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe nicht veranlasst, weil der Senat Auswirkungen durch die nachgeholte Festsetzung der drei Einzelstrafen auf die von der Strafkammer festgesetzte Gesamtstrafe ausschließen kann. Der Senat bestimmt zudem den vom Landgericht im Urteilstenor und in den Urteilsgründen unterbliebenen Anrechnungsmaßstab (§ 51 Abs. 4 Satz 2 StGB) für die vom Angeklagten in der Republik Österreich erlittene Freiheitsentziehung. Diese ist im Verhältnis 1:1 auf die erkannte Freiheitsstrafe anzurechnen. Basdorf                            Raum                                Brause König                              Bellay
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058716
BGH
5. Strafsenat
20100223
5 StR 27/10
Beschluss
§ 51 Abs 2 StGB, § 67 StGB, § 349 Abs 2 StPO
vorgehend LG Lübeck, 1. Oktober 2009, Az: 7 KLs 12/09, Urteil
DEU
Strafverurteilung zu zeitiger Freiheitsstrafe und Maßregelanordnung: Obsoletwerden der Anordnung eines Teilvorwegvollzugs
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 1. Oktober 2009 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Die Anordnung des Teilvorwegvollzugs ist angesichts der gebotenen Anrechnung des Vollzugs von Untersuchungshaft und Strafhaft in der einbezogenen Sache hierauf gemäß § 51 Abs. 2 StGB obsolet geworden; insoweit kann nichts anderes gelten als bei Untersuchungshaftvollzug in derselben Sache (vgl. dazu Fischer, StGB 57. Aufl. § 67 Rdn. 9a). Mit Rechtskraft des angefochtenen Urteils ist nunmehr sofort die Maßregel zu vollstrecken, ohne dass es der vom Generalbundesanwalt beantragten Aufhebung des Teilvorwegvollzugs bedürfte. Angesichts umfassend gleicher Auswirkung der getroffenen zur beantragten Entscheidung ist der Senat nicht gehindert, allein auf der Grundlage des § 349 Abs. 2 StPO zu beschließen. Ergänzend merkt der Senat an: Soweit der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift versehentlich auch einen Untersuchungshaftvollzug von Juli 2007 bis Mai 2008 im Zusammenhang mit der vorletzten Vorverurteilung des Angeklagten als anrechenbar auf den Teilvorwegvollzug angesehen hat, ändert dies nichts an dem Befund, dass auch ohne dieses Versehen bislang schon mehr anrechenbarer Strafvollzug erfolgt ist, als Vorwegvollzug angeordnet worden ist. Basdorf                          Brause                           Schaal König                           Bellay
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058717
BGH
5. Strafsenat
20100224
5 StR 38/10
Beschluss
§ 257c Abs 4 S 3 StPO, § 358 Abs 2 S 1 StPO
vorgehend LG Bremen, 21. September 2009, Az: 61 KLs 903 Js 18785/09 - 3 AR 9/10, Urteil
DEU
Zurückverweisung einer Strafsache durch das Revisionsgericht: Verschlechterungsverbots nach einer verständigten Strafobergrenze
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 21. September 2009 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitsichführen einer Schusswaffe zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und sichergestellte Betäubungsmittel eingezogen. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. 1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt: Der 21 Jahre alte Angeklagte konsumierte vor seiner Verhaftung am 22. Juli 2009 vier bis fünf Gramm Marihuana am Tag und zusätzlich an Wochenenden gelegentlich Kokain und Ecstasy. Am 28. Mai 2009 besaß der Angeklagte 166 g Cannabiskraut mit 25 g THC-Anteil sowie nahezu 11 g mit einem Wirkstoffanteil in Höhe von 15 % und ferner zwei Schreckschusspistolen nebst geladenen Magazinen. Der Angeklagte verwahrte 90 g Cannabiskraut für den Zeugen Sch. Aus der größeren, nicht näher festgestellten, gemeinsam mit Sch. gekauften Menge „gab (der Angeklagte) weitere Teilmengen in seinem Wohnzimmer an die Zeuginnen K. und G. gegen Bezahlung ab“ (UA S. 6). Hierzu hat das Landgericht die Aussage der Zeuginnen referiert. Die Zeugin K. habe bekundet, einmal direkt vom Angeklagten erworben und für das Cannabiskraut zehn Euro bezahlt zu haben. Die Zeugin G. habe ausgesagt, sie hätte ungefähr zwei bis drei Monate lang vom Angeklagten sowohl Cannabiskraut als auch Kokain und LSD bekommen und dafür ertrogene Mobiltelefone und einen Laptop übergeben. 2. Hierdurch ist der Schuldspruch des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht bewiesen. Das Landgericht hat in seine Feststellungen zu Recht nicht den von der Zeugin G. bekundeten Ankauf von Kokain und LSD einbezogen. Diese Vorgänge waren von der Anklageschrift nicht erfasst. Die Feststellungen belegen das - schlüssig angeklagte - unerlaubte Handeltreiben mit den sichergestellten 177 g Cannabiskraut nicht. Die dem Zeugen Sch. zugeordneten 90 g scheiden aus. Das Landgericht hat nicht beweiswürdigend erwogen, dass insoweit für den Angeklagten ein mittäterschaftliches Handeltreiben gegeben sei. Aber auch für die restlichen 87 g fehlt es an einer beweiswürdigend fundierten Feststellung, dass der Angeklagte diese Menge für den gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt hatte. Das „nach einer Verständigung zwischen den Verfahrensbeteiligten vollumfängliche Geständnis“ (UA S. 8) des Angeklagten bezieht sich lediglich auf den Erwerb von Cannabiskraut (UA S. 8). Eine ergänzende Bezugnahme auf den Anklagesatz ist dem Hinweis, dass der Angeklagte den Anklagevorwurf eingeräumt habe (UA S. 8), nicht zu entnehmen. Die Voraussetzungen des § 267 Abs. 4 Satz 1 StPO für eine Ermächtigung zur Bezugnahme liegen nicht vor (vgl. Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 267 Rdn. 2 und 8). Hinsichtlich der Verkäufe von Cannabiskraut an die Zeuginnen K. und G. hat es das Landgericht unterlassen, die Tatzeiten und die Handelsmengen festzulegen. Zudem hat es die gebotene Eigennützigkeit (vgl. BGHSt - GS - 50, 252, 256) nicht beweiswürdigend belegt. Der Angeklagte hat gewinnbringende Verkäufe nicht eingeräumt. Solche anzunehmen, lag zwar im Blick auf den erheblichen Finanzbedarf des Angeklagten für den eigenen Drogenkonsum nahe. Sie traten indes im Zusammenhang mit dem festgestellten Verdienst des Angeklagten noch nicht in einem solchen Ausmaß zutage, dass jede - notwendigerweise über das Geständnis hinausgehende - beweiswürdigende Erwägung entbehrlich gewesen wäre. 3. Die Sache bedarf demnach neuer Aufklärung und Bewertung. Dabei wird das - die Anklage freilich nicht erschöpfende - Geständnis des Angeklagten nicht dem Verwertungsverbot des § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO unterliegen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nicht vor. Bei Einhaltung der auch vom Angeklagten im Rahmen der Verständigung akzeptierten Strafobergrenze führt das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) zu deren Perpetuierung im weiteren Verfahren. Zudem ist bei dem hier zu Lasten des Angeklagten vom Tatgericht unzutreffend bewerteten Geständnis nach Korrektur des Wertungsfehlers durch das Revisionsgericht zugunsten des Angeklagten die „Vertragsgrundlage“ für das Geständnis nicht entfallen (vgl. Meyer-Goßner aaO § 257c Rdn. 28). Schon die weitergehenden, vom Landgericht bisher nicht präzisierten Angaben der Zeuginnen K. und G. könnten die Annahme eines nicht unwesentlichen Rauschgifthandels des Angeklagten nahelegen, aus dem sich indiziell der Anklagevorwurf erhärten könnte (vgl. BGH wistra 2002, 430). Zur gegebenenfalls erforderlichen Bewertung des Verhältnisses der Handels- zur Eigenverbrauchsmenge verweist der Senat auf BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Konkurrenzen 5. Basdorf                                         Brause                                  Schaal König                                        Bellay
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058721
BGH
5. Strafsenat
20100223
5 StR 548/09
Beschluss
§ 244 Abs 2 StPO, § 244 Abs 6 StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO
vorgehend LG Hamburg, 25. August 2009, Az: 619 KLs 8/09, Urteil
DEU
Strafverfahren: Beweisantrag ohne konkrete Beweisbehauptung und Aufklärungspflicht des Gerichts
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 25. August 2009 gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch aufgehoben. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es hat ferner 61 kg Kokain und ein Wohnmobil eingezogen. Die Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. 1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen: a) Der Angeklagte lebte von 1998 bis 2007 in Spanien und war als Kaufmann im Bereich Import/Export mit Waren aus Indonesien tätig. Nach dem Tod seiner Freundin verkaufte er seine Besitztümer und unternahm eine längere Reise, u. a. durch Südamerika. Spätestens im Juli 2008 gestattete der Angeklagte einem unbekannt gebliebenen Hintermann, sein Wohnmobil für einen Drogentransport nach Europa zu benutzen. In das in Deutschland auf den Angeklagten zugelassene Fahrzeug wurden sodann 52 Pakete mit 61 kg Kokain (Wirkstoffgehalt 57 kg) eingebaut. Der Angeklagte beauftragte eine Hamburger Reederei, das Wohnmobil im Wert von 7.500 € mit einem Containerschiff nach Dublin (Irland) zu transportieren. Der Container mit dem Fahrzeug des Angeklagten wurde am 6. September 2008 in Rotterdam entladen, anschließend vom niederländischen Zoll gescannt, mit Drogenfahndungshunden ohne Ergebnis kontrolliert und am 22. Oktober 2008 zum Weitertransport freigegeben. b) Der Angeklagte hatte am 18. oder 19. September 2008 davon erfahren, dass der Container noch immer vom niederländischen Zoll festgehalten werde. Er beschloss, den Container in die Bundesrepublik Deutschland umzuleiten. Er flog am 20. September 2008 von Frankfurt/Main nach Buenos Aires und beauftragte am 3. November 2008 einen Berliner Rechtsanwalt mit der weiteren Abwicklung des Transports. Dieser beglich am 25. Februar 2009 die am 20. Februar 2009 von der Spedition weiter in Rechnung gestellten Transportkosten in Höhe von über 11.000 €. Der Container kam am 24. Februar 2009 im Hamburger Containerterminal per Schiff an. Der Angeklagte beauftragte die Berliner Anwaltskanzlei am 26./27. Februar 2009, den Container nach Berlin transportieren zu lassen, und übergab einem Mitarbeiter des Rechtsanwalts den Schlüssel des Fahrzeugs, die erhaltenen Frachtdokumente, die Ladeliste sowie eine Kopie seines Personalausweises. Der Container wurde am 9. März 2009 in Hamburg von Mitarbeitern der Zollbehörde geröntgt. Aufgrund von Unregelmäßigkeiten wurde dessen genauere Untersuchung angeordnet, die am 20. April 2009 im Beisein des Angeklagten stattfand. Rauschgiftspürhunde schlugen im Inneren des Fahrzeugs an. Nach Auffinden des Rauschgifts wurde der Angeklagte festgenommen. c) Das Landgericht hat aus den dem Angeklagten bekannten Umständen des Transports geschlossen, dass der während des gesamten Verfahrens schweigende Angeklagte davon wusste, dass in seinem Fahrzeug Kokain in der Größenordnung vieler Kilogramm in Erzeugerlandqualität nach Deutschland eingeführt wurde. d) Das Landgericht hat die Strafe der Vorschrift des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG entnommen und bis auf die außerordentlich hohe Menge der eingeführten Betäubungsmittel und dessen Gefährlichkeit in geringem Umfang die professionelle Vorgehensweise des Angeklagten strafschärfend berücksichtigt. Als erheblich strafmildernd hat das Landgericht bewertet, dass der 48-jährige Angeklagte unbestraft geblieben war und die Betäubungsmittel vollständig sichergestellt wurden. Der Angeklagte habe bei dem Betäubungsmittelgeschäft zudem nicht in alleinigem Eigeninteresse gehandelt, sondern ihm sei lediglich eine untergeordnete Rolle zugekommen. 2. Die Angriffe der Revision gegen den Schuldspruch bleiben erfolglos. a) Die Verfahrensrügen greifen aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 28. Dezember 2009 dargestellten Erwägungen nicht durch. Zu der die Vernehmung der Fachärzte B. und L. aus Buenos Aires betreffenden Beweisantragsrüge bemerkt der Senat: Ein Verstoß gegen § 244 Abs. 6 StPO liegt nicht vor. Den Anträgen des Verteidigers ermangelte es an der gebotenen konkreten Beweisbehauptung (vgl. BGHSt 39, 251, 253 f.). Mit ihnen war die Vernehmung der beiden Krankenhausärzte zum Beweis dafür benannt worden, dass sich der Angeklagte dort (im Krankenhaus) in der Zeit von Anfang Dezember 2008 bis März 2009 durch den Neurologen und von Anfang Dezember 2008 bis Januar 2009 von dem Orthopäden hätte behandeln lassen, was beweisen würde, dass der Angeklagte in dieser Zeit keine Möglichkeit gehabt hätte, auf den Container oder sein Fahrzeug zuzugreifen. Indes ist hierdurch nicht - wie die Revision meint - ein mehrere Monate dauernder Krankenhausaufenthalt ohne jegliche Kommunikationsmöglichkeit unter Beweis gestellt worden. Solches hätte erst durch eine Schlussfolgerung des Tatgerichts aus den konkreten - in den Anträgen aber nicht dargelegten - Umständen der Krankenhausbehandlung festgestellt werden können. Die Anträge bezeichneten demnach nur ein Beweisziel (vgl. BGHSt aaO S. 254). Nachdem im Revisionsvortrag keine Präzisierung erfolgt ist, bleibt die erhobene Rüge als Aufklärungsrüge gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO unzulässig (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 9; § 244 Abs. 6 Beweisantrag 40). b) Auch die Sachrüge greift zum Schuldspruch nicht durch. Zwar ist die Erwägung des Landgerichts, der Angeklagte habe an der Kontrolle des Containers und seines Fahrzeugs teilgenommen, weil er nicht frei habe entscheiden können, „ob er das Risiko der Entdeckung eingehen und dafür den Versuch der Rückgewinnung der gegebenenfalls doch unentdeckt bleibenden Betäubungsmittel aus den Händen der Behörden versuchen wollte“ (UA S. 22), nicht nachvollziehbar. Denn im Fall der Nichtentdeckung in Abwesenheit des Angeklagten wäre der von einem Rechtsanwalt für den Angeklagten in Auftrag gegebene Weitertransport des Fahrzeugs in einem Container nach Berlin problemlos durchgeführt worden. Die Anwesenheit des Angeklagten bei der Kontrolle war von der Zollbehörde auch nicht veranlasst. Indes schließt der Senat vor dem Hintergrund der übrigen rechtsfehlerfrei festgestellten, ein besonders sicheres Beweisergebnis belegenden Umstände (vgl. BGH NJW 1997, 2762, 2764; BGH, Beschluss vom 16. März 2005 - 5 StR 514/04) aus, dass das Landgericht ohne die zu beanstandende Wertung die Verbringung des für den Straßenverkehr zugelassenen Wohnmobils von Rotterdam nach Berlin per kostspieliger Containerfracht über Hamburg als das Vorgehen eines Gutgläubigen hätte würdigen können, zumal nachdem der Container in Rotterdam ohne Ergebnis überprüft worden war. 3. Indes hält der Strafausspruch der - freilich eingeschränkten (BGHSt 34, 345, 349) - sachlichrechtlichen Prüfung nicht stand. Angesichts der gewürdigten zahlreichen mildernden Umstände, namentlich mit Blick auf die Unbestraftheit des ersichtlich von unaufgedeckt gebliebenen Hinterleuten instrumentalisierten Angeklagten, auf den festgestellten späten Zeitpunkt des vom Angeklagten gefassten Einfuhrvorsatzes, welcher erst den angenommenen Strafrahmen eröffnete, und auf die Umstände der Sicherstellung des Rauschgifts, in deren Rahmen sich der Angeklagte zudem den Ermittlungsbehörden gleichsam auslieferte, ist die verhängte Strafe trotz Art und Umfangs des eingeführten Rauschgifts unvertretbar hoch. Es kommt hinzu, dass das Landgericht auf den mit der Einziehung des Wohnmobils gemäß § 74 Abs. 2 Nr. 1 StGB entstandenen Vermögensverlust des Angeklagten nicht eingegangen ist (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 16; BGH, Beschluss vom 14. Juni 2000 - 2 StR 217/00). 4. Bei dem hier vorliegenden Wertungsfehler bedarf es keiner Aufhebung von Feststellungen. Das neue Tatgericht wird die Strafe auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen zu bestimmen haben, die freilich um solche ergänzt werden dürfen, die den bisher getroffenen nicht widersprechen. Basdorf                               Brause                                Schaal König                                 Bellay
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deutsch
BMJV
public
JURE100058725
BGH
5. Zivilsenat
20100211
V ZB 167/09
Beschluss
§ 29 GBO, § 32 GBO, § 79 Abs 2 S 1 GBO vom 25.12.1993
vorgehend OLG Rostock, 8. Oktober 2009, Az: 3 W 83/08, Beschluss vorgehend LG Rostock, 9. April 2008, Az: 2 T 80/08
DEU
Divergenzvorlage zum Bundesgerichtshof in einer Grundbuchsache: Erfordernis der abweichenden Beurteilung einer streitigen Rechtsfrage durch ein anderes Oberlandesgericht
Die Sache wird an das Oberlandesgericht Rostock zur Behandlung und Entscheidung in eigener Zuständigkeit zurückgegeben.
I. Die Beteiligte zu 1, eine Kommanditgesellschaft, deren Komplementärin eine private limited company nach englischem Recht ist, verkaufte im Jahr 2006 ein Trennstück sowie einen 1/3-Miteigentumsanteil an einem weiteren Trennstück des in dem Eingang dieses Beschlusses bezeichneten Grundbesitzes an den Beteiligten zu 2. Den von der Urkundsnotarin (Beteiligte zu 3) gemäß § 15 GBO gestellten Antrag auf Eintragung der in dem notariellen Kaufvertrag bewilligten Auflassungsvormerkung hat das Grundbuchamt zurückgewiesen, weil die Vertretung der Komplementärgesellschaft durch B.    B.      als director nicht formgerecht gem. § 29 GBO nachgewiesen worden sei. Gegen die Zurückweisung ihrer hiergegen gerichteten Beschwerde durch das Landgericht wendet sich die Beteiligte zu 1 mit der weiteren Beschwerde. Das Oberlandesgericht möchte dem Rechtsmittel stattgeben. Es sieht sich hieran aber durch die Beschlüsse des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 19. Dezember 2002 (BayObLGZ 2002, 413 ff. = ZIP 2003, 398 ff.) und des Oberlandesgerichts Hamm vom 18. August 1994 (NJW-RR 1995, 469 ff.) gehindert und hat deshalb die weitere Beschwerde mit Beschluss vom 8. Oktober 2009 dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt. II. Das vorlegende Gericht meint, die von der Beteiligten zu 1 in dem Verfahren zur Akte gereichte, mit einer Apostille versehene Bescheinigung des Registrar of Companies for England and Wales vom 18. Juni 2007 stelle eine Registerauskunft im Sinne des § 32 GBO dar, durch die der Nachweis der Vertretungsberechtigung des B.    B.      für die private limited company formgerecht erbracht werde. Dessen Alleinvertretungsbefugnis sei angesichts des Umstandes, dass nur ein director bestellt sei, hinreichend urkundlich belegt. Allerdings seien unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Oberlandesgerichts Hamm die Vertretungsverhältnisse einer ausländischen juristischen Person grundsätzlich nach § 29 GBO durch öffentliche Urkunden nachzuweisen. Die danach bestehenden Anforderungen würden durch die in dem Eintragungsverfahren zur Akte gereichten Unterlagen nicht erfüllt. III. Die Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof nach § 79 Abs. 2 GBO a.F. ist nicht statthaft. 1. § 79 GBO ist zwar durch Art. 36 Nr. 9 FGG-RG (vom 17. Dezember 2008, BGBl. I 2586) aufgehoben worden, findet aber auf Grund der Übergangsregelung in Art. 111 Satz 1 FGG-RG auf das bereits vor dem 1. September 2009 anhängige Verfahren weiterhin Anwendung. 2. Die Voraussetzungen, unter denen der Bundesgerichtshof über die weitere Beschwerde zu entscheiden hat, sind indes nicht gegeben. Die von dem vorlegenden Gericht angenommene Divergenz rechtfertigt eine Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof nach § 79 Abs. 2 GBO nicht. a) Zwar ist bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Vorlage der Bundesgerichtshof an die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts gebunden, es könne ohne die Beantwortung der streitigen Rechtsfrage über die weitere Beschwerde nicht entscheiden (st. Rspr., vgl. Senat, BGHZ 7, 339, 341; 90, 181, 182; 99, 90, 92; Beschl. v. 22. Januar 2004, V ZB 51/03, NJW 2004, 937, 938 [insoweit in BGHZ 157, 322 nicht abgedruckt]). Auf der Grundlage des in dem Vorlagebeschluss mitgeteilten Sachverhalts und der darin zum Ausdruck gebrachten rechtlichen Beurteilung des Falles prüft der Bundesgerichtshof jedoch, ob die Rechtsfrage entscheidungserheblich ist, die das vorlegende Gericht abweichend von der in dem Verfahren der weiteren Beschwerde ergangenen Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs beantworten will. Es können daher nur solche Entscheidungen herangezogen werden, die auf einer anderen Beurteilung der Rechtsfrage beruhen. Das setzt voraus, dass die strittige Rechtsfrage in der Entscheidung des anderen Gerichts erörtert und abweichend beantwortet wurde und das Ergebnis für die Entscheidung von Einfluss war (st. Rspr., vgl. Senat, BGHZ 21, 234, 236; Beschl. v. 8. März 2007, V ZB 149/06, NJW-RR 2007, 1569; BGH, Beschl. v. 10. Dezember 2007, II ZB 13/07, WM 2008, 514, 515 - jew. m.w.N.). Daran fehlt es hier. b) Zu Recht geht das vorlegende Oberlandesgericht allerdings davon aus, dass sowohl das Bayerische Oberste Landesgericht als auch das Oberlandesgericht Hamm eine von seiner Rechtsauffassung abweichende Rechtsansicht über die für den Nachweis der Vertretungsbefugnis einer ausländischen Gesellschaft in Grundbuchsachen anzuwendenden Vorschriften vertreten. aa) Nach den angeführten Entscheidungen (BayObLGZ 2002, 413, 415; OLG Hamm NJW-RR 1995, 469, 470) findet die Bestimmung des § 32 GBO a.F., nach welcher die Vertretungsbefugnis einer Handelsgesellschaft durch ein Zeugnis des das Handelsregister führenden Gerichts nachgewiesen werden kann, auf ausländische juristische Personen und Handelsgesellschaften keine Anwendung. Diese Auffassung steht in Übereinstimmung mit der überwiegenden Meinung im Schrifttum (vgl. Schaub in Bauer/von Oefele, GBO, 2. Aufl., Internationale Bezüge Rdn. 125; Demharter, GBO, 27. Aufl., § 32 Rdn. 8; Hügel/Otto, GBO, § 32 Rdn. 29; Herrmann in Kuntze/Ertl/Herrmann/Eickmann, Grundbuchrecht, 6. Aufl., § 32 Rdn. 1; Meikel/Hertel, GBO, 10. Aufl., Einl. L Rdn. 78; Meikel/Roth, GBO, 10. Aufl., § 32 Rdn. 59; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 14. Aufl., Rdn. 156; Bausback, DNotZ 1996, 254, 265; Bungert, DB 1995, 963; a.A. Langhein, ZNotP 1999, 218, 220; Werner, ZfIR 1998, 448, 454). bb) Die Abweichung betrifft auch dieselbe Rechtsfrage (dazu Senat, Beschl. v. 9. November 2006, V ZB 66/06, RPfleger 2007, 134, 135). Dafür ist es nicht entscheidend, dass die zitierten Beschlüsse des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Oberlandesgerichts Hamm nicht den Nachweis der Vertretungsbefugnis, sondern denjenigen der inländischen Rechtsfähigkeit einer ausländischen Kapitalgesellschaft betrafen. Die Statthaftigkeit der Divergenzvorlage setzt nicht voraus, dass die herangezogene Entscheidung denselben Sachverhalt betrifft; maßgeblich ist allein die Gleichheit der Rechtsfrage (BGHZ 95, 118, 123; Senat, Beschl. v. 1. Juli 1993, V ZB 19/93, NJW 1993, 3069 f.; Beschl. v. 9. November 2006, V ZB 66/06, Rpfleger 2007, 134 - jew. m.w.N.). Diese ist hier, bezogen auf die durch das Verfahrensrecht an den jeweiligen Nachweis gestellten Anforderungen, zu bejahen. Denn die Beweiskraft, die einer Handelsregistermitteilung im grundbuchrechtlichen Eintragungsverfahren zukommt, erstreckt sich nicht nur auf die Vertretungsberechtigung, sondern auch auf die rechtliche Existenz der Gesellschaft als Voraussetzung für die Vertretungsbefugnis. Das entsprach bereits der einhelligen Ansicht zu § 32 GBO a.F., einer Norm, die nach ihrem Wortlaut nur den Nachweis der Vertretungsbefugnis betraf (vgl. BayObLG NJW-RR 1989, 977, 978; KG HRR 1939 Nr. 1473; Demharter, GBO, 26. Aufl., § 32 Rdn. 9; Güthe/Triebel, GBO, 6. Aufl., § 32 Rdn. 5; Herrmann, aaO, § 32 Rdn. 7), und wird nunmehr durch die Neufassung des § 32 Abs. 1 Satz 1 GBO durch das Gesetz zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Akte im Grundbuchverfahren sowie zur Änderung weiterer grundbuch-, register- und kostenrechtlicher Vorschriften (ERVGBG) vom 11. August 2009 (BGBl I 2713) ausdrücklich im Gesetz klargestellt. In beiden Fällen ist daher zu beurteilen, ob die Vorlage einer ausländischen Registerbescheinigung zum Nachweis der Eintragungsvoraussetzungen geeignet ist. c) Die unterschiedliche Beantwortung einer Rechtsfrage durch das vorlegende Oberlandesgericht sowie durch eines der in § 79 Abs. 2 Satz 1 GBO a.F. genannten Gerichte reicht allerdings allein nicht aus, um die Entscheidungszuständigkeit des Bundesgerichtshofs zu begründen. Die herangezogene Entscheidung muss auch auf der anderen Beurteilung der Rechtsfrage beruhen. Hierfür genügt es zwar, dass die abweichende Beurteilung der Rechtsfrage für das Ergebnis der Entscheidung von Einfluss war (Senat, Beschl. v. 8. März 2007, V ZB 149/06, NJW-RR 2007, 1569; BGH, Beschl. v. 10. Dezember 2007, II ZB 13/07, WM 2008, 514, 515 - jew. m.w.N.); die Vorlage ist jedoch nicht statthaft, wenn die damalige Entscheidung auch dann nicht anders ausgefallen wäre, wenn das damalige Gericht die Rechtsfrage ebenso beurteilt hätte wie das vorlegende Gericht, das nunmehr über diese Frage zu befinden hat (BayObLGZ 1984, 218, 224). Gemessen daran ist die Vorlage unzulässig, da weder die von dem vorlegenden Oberlandesgericht benannte Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts (BayObLGZ 2002, 413 ff.) noch diejenige des Oberlandesgerichts Hamm (NJW-RR 1995, 469, 470) auf der abweichenden Beurteilung der Rechtsfrage beruht. aa) Das Bayerische Oberste Landesgericht hat in der zitierten Entscheidung in Anlehnung an das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 5. November 2002 (Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-9919 ff. = NJW 2002, 3614 ff. - Überseering) ausgeführt, dass es für die Anerkennung der inländischen Rechtsfähigkeit einer in einem anderen Mitgliedstaat des EG-Vertrages gegründeten Kapitalgesellschaft nicht auf das Vorhandensein des tatsächlichen Verwaltungssitzes in dem Gründungsstaat ankomme (BayObLGZ 2002, 413, 416). Es hat daher ein Eintragungshindernis verneint, welches das Beschwerdegericht noch nach der zuvor vertretenen Sitztheorie angenommen hatte, nach der sich die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft nach dem Recht am Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes bestimmte (vgl. dazu Senat, BGHZ 53, 181, 183; 97, 269, 271). Da das Bayerische Oberste Landesgericht die Rechtsfähigkeit der private limited company bejaht hat, ohne dass es auf deren tatsächlichen Verwaltungssitz ankam, hat es die Entscheidung des Beschwerdegerichts aufgehoben. Die verfahrensrechtliche Frage, ob das Zeugnis des Registrars of Companies dem Zeugnis eines inländischen, das Handelsregister führenden Gerichts für das Bestehen einer Kapitalgesellschaft gleichsteht, blieb für die Entscheidung ohne Bedeutung. bb) Auch die von dem vorlegenden Oberlandesgericht weiter angeführte Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 18. August 1994 beruht nicht auf der abweichenden Auslegung des § 32 GBO. Zwar geht jener Beschluss ebenfalls von der Unanwendbarkeit dieser Vorschrift auf ausländische juristische Personen- und Handelsgesellschaften aus (NJW-RR 1995, 469, 470). Die Rechtsfrage, ob dem Zeugnis einer ausländischen Behörde über die Eintragungen im Handelsregister im Grundbuchverfahren die Beweiswirkungen einer öffentlichen Urkunde nach § 29 GBO i.V.m. § 415 ZPO oder einer Handelsregistereintragung nach § 32 GBO beizulegen sind, war jedoch ebenfalls nicht entscheidungserheblich. (1) Gar keinen Bezug zu der streitigen Rechtsfrage haben die Ausführungen in dem Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm, die tatsächlichen Verhältnisse - wie das in Anwendung der Sitztheorie (s.o.) erforderliche Bestehen eines effektiven Verwaltungssitzes im Gründungsstaat - entzögen sich eines Beweises durch Urkunden. Für diesen (wesentlichen, weil die Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdegerichts tragenden) Teil des Beschlusses des Oberlandesgerichts Hamm, dass das Vorhandensein solcher tatsächlichen Umstände nur im Wege einer freien Beweiswürdigung anhand der Eintragungsunterlagen festzustellen sei, bei dem von dem allgemeinen Erfahrungssatz auszugehen sei, dass eine ausländische Kapitalgesellschaft in ihrem Gründungsstaat auch ihren tatsächlichen Verwaltungssitz habe, war es ohne Bedeutung, wie die Vertretungsbefugnis des für die ausländische Gesellschaft Handelnden nachgewiesen werden kann. An dieser Entscheidung hätte sich auch dann nichts geändert, wenn das Oberlandesgericht Hamm der Ansicht des vorlegenden Oberlandesgerichts gewesen wäre, nach der die besondere Anordnung über die Beweiskraft des Handelsregisters zur Erleichterung des Grundbuchverkehrs in § 32 GBO (dazu: Schaub in Bauer/v. Oefele, GBO, 2. Aufl., § 32 Rdn. 3; Demharter, GBO, 27. Aufl., § 32 Rdn. 1; Hügel/Otto, GBO, § 32 Rdn. 7; Meikel/Roth, GBO, 10. Aufl., § 32 Rdn. 1; Herrmann in Kuntze/Ertl/Herrmann/Eickmann, GBO, 6. Aufl., § 32 Rdn. 10) auch auf die ausländischen Gesellschaften Anwendung fände. (2) Eine entscheidungserhebliche Abweichung ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass das Oberlandesgericht Hamm den Nachweis der Gründung einer Gesellschaft im Ausland nicht durch das Zeugnis der das Register führenden Stelle nach § 32 GBO, sondern durch die Vorlage einer öffentlichen Urkunde nach § 29 Abs. 1 Satz 2 GBO als geführt ansieht. Schriftliche Registerauskünfte ausländischer Behörden (im konkreten Fall die beglaubigte Abschrift eines Auszugs aus dem liechtensteinischen Handelsregister) sieht es jedoch als öffentliche Urkunde an, wenn sie den Erfordernissen des § 415 ZPO entsprechen (aaO, 472). Die Beweiskraft öffentlicher Urkunden nach § 415 ZPO unterscheidet sich allerdings von der in § 32 GBO für das Grundbuchverfahren bestimmten Beweiskraft der Eintragungen im Handelsregister. Öffentliche Urkunden erbringen zwar den vollen Beweis für die Abgabe der beurkundeten Erklärungen, aber nicht den für deren inhaltliche Richtigkeit (BGH, Beschl. v. 21. März 2000, 1 StR 600/99, NStZ-RR 2000, 235; Beschl. v. 16. Januar 2007, VIII ZR 82/06, NJW-RR 2007, 1006, 1007), während § 32 GBO dem Zeugnis des Gerichts für das Grundbuchverfahren auch Beweiskraft für die Richtigkeit und Vollständigkeit des Eingetragenen beilegt, wenn auch diese Wirkungen (Vollbeweis, Beweisvermutung, Anscheinsbeweis) im einzelnen streitig sind (vgl. Bauer/v. Oefele/Schaub, GBO, 2. Aufl., § 32 Rdn. 25; Demharter, GBO, 27. Aufl., § 32 Rdn. 1; Hügel/Otto, GBO, § 32 Rdn. 10 ff.; Meikel/Roth, GBO, 10. Aufl., § 32 Rdn. 7; Herrmann in Kuntze/Ertl/Herrmann/Eickmann, GBO, 6. Aufl., § 32 Rdn. 10 sowie aus der älteren Literatur: Güthe/Triebel, GBO, 5. Aufl., § 33 Rdn. 40; Meikel/Imhof, 4. Aufl., § 32 Rdn. 20). Diese Unterschiede in den Rechtsfolgen des § 415 ZPO und des § 32 GBO waren für das Ergebnis der Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm indessen ohne Bedeutung, da dieses keine Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Eintragungen im Handelsregister des Fürstentums Liechtenstein hatte. Krüger                                  Klein                                     Stresemann Czub                                    Roth
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058726
BGH
5. Zivilsenat
20100128
V ZB 2/10
Beschluss
§ 68 Abs 3 S 2 FamFG
vorgehend LG Koblenz, 30. November 2009, Az: 2 T 763/09, Beschluss vorgehend AG Westerburg, 1. Oktober 2009, Az: 7 XIV 11/09 B
DEU
Ausländerrecht: Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren gegen die Abschiebehaftanordnung
Der Antrag des Betroffenen, ihm für eine Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 30. November 2009 Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen, wird zurückgewiesen.
I. Der Betroffene ist algerischer Staatsangehöriger. Nach seiner Einreise nach Deutschland am 31. März 2008 beantragte er die Anerkennung als Asylberechtigter. Der Antrag wurde von dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 24. April 2009 abgelehnt. Der Betroffene war seit dem 15. Mai 2009 vollziehbar zur Ausreise aus dem Bundesgebiet verpflichtet. Hiergegen gerichtete Rechtsmittel sind erfolglos geblieben. Nachdem der Betroffene am 29. September 2009 und am 30. September 2009 jeweils nicht in seiner Wohnung angetroffen wurde, hat das Amtsgericht nach Anhörung des Betroffenen die Sicherungshaft bis längstens 5. Oktober 2009 und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Die dagegen erhobene Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen will sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde wenden. Für die Durchführung des Verfahrens beantragt er die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe. Am 5. Oktober 2009 ist der Betroffene nach Algerien abgeschoben worden. II. Das Beschwerdegericht meint, die Entscheidung des Amtsgerichts sei rechtmäßig. Es habe der Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG bestanden, Abschiebungshindernisse lägen nicht vor. Eine Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren sei nicht erforderlich. III. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat keine Aussicht auf Erfolg. 1. Das Beschwerdegericht war nicht zu einer Anhörung des Betroffenen verpflichtet (§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG). Sie ist zwar auch im Rechtsmittelverfahren grundsätzlich erforderlich. Davon kann aber - auch unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 EMRK - abgesehen werden, wenn der Betroffene in erster Instanz persönlich angehört worden ist, der Sachverhalt einfach gelagert ist und das Rechtsmittelgericht nach Aktenlage entscheiden kann (EGMR NJW 1992, 1813, 1814 Tz. 31 ff. - Helmers gegen Schweden; Senat, Beschl. v. 11. Mai 1995, V ZB 13/95, NJW 1995, 2226 - insoweit in BGHZ 129, 383 nicht abgedruckt; KG InfAuslR 2009, 356, 357; Hoppe ZAR 2009, 209, 213). Diese Voraussetzungen lagen hier vor. Der Betroffene war am 1. Oktober 2009 durch das Amtsgericht angehört worden. Der Sachverhalt war einfach gelagert. Die Beteiligten hatten keine  neuen Tatsachen vorgetragen. Der bekannte Sachverhalt war lediglich erneut zu würdigen. 2. Das Beschwerdegericht musste dem Betroffenen keine Akteneinsicht gewähren. Denn er wollte keine Einsicht in die diesem Verfahren zugrunde liegenden Akten, sondern allein in die dem Verwaltungsverfahren vor der Ausländerbehörde zugrunde liegenden Akten nehmen. Für die Gewährung von Einsicht in Verwaltungsakten sind jedoch die jeweiligen Verwaltungsbehörden zuständig. 3. Weder das Amtsgericht noch das Landgericht mussten die Rechtmäßigkeit der durch die Verwaltungsbehörde angeordneten Abschiebung prüfen, weil sich die Ausreisepflicht des Betroffenen aus einer bestandskräftigen Abschiebungsverfügung ergab (vgl. Senat, Beschl. v. 16. Dezember 2009, V ZB 148/09 Rz. 7 - zur Veröffentlichung bestimmt). Krüger                                              Lemke                                  Schmidt-Räntsch Stresemann                                      Czub
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058732
BGH
4. Zivilsenat
20100217
IV ZR 312/07
Urteil
§ 32 Abs 1 ATV, § 32 Abs 4 ATV, § 33 Abs 2 ATV, § 33 Abs 4 ATV, § 78 Abs 1 VBLSa, § 78 Abs 2 VBLSa, § 79 Abs 2 VBLSa, § 79 Abs 4 VBLSa, § 307 Abs 1 S 2 BGB
vorgehend LG Karlsruhe, 5. Oktober 2007, Az: 6 S 14/07, Urteil vorgehend AG Karlsruhe, 13. April 2007, Az: 2 C 431/06, Urteil nachgehend BVerfG, 17. Dezember 2012, Az: 1 BvR 488/10, Nichtannahmebeschluss
DEU
Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes: Übergangsregelungen für rentennahe Versicherte nach Systemänderung
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe vom 5. Oktober 2007 aufgehoben, soweit darin zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist, und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 13. April 2007 insgesamt zurückgewiesen. Die Revision des Klägers gegen das vorgenannte Urteil des Landgerichts wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren. Streitwert: 6.747 € Von Rechts wegen
1. Die beklagte Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) hat die Aufgabe, Angestellten und Arbeitern der an ihr beteiligten Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes im Wege privatrechtlicher Versicherung eine zusätzliche Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenversorgung zu gewähren. Mit Neufassung ihrer Satzung vom 22. November 2002 (BAnz. Nr. 1 vom 3. Januar 2003) hat die Beklagte ihr Zusatzversorgungssystem rückwirkend zum 31. Dezember 2001 (Umstellungsstichtag) umgestellt. Den Systemwechsel hatten die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes im Tarifvertrag Altersversorgung vom 1. März 2002 (ATV) vereinbart. Damit wurde das frühere - auf dem Versorgungstarifvertrag vom 4. November 1966 (Versorgungs-TV) beruhende - endgehaltsbezogene Gesamtversorgungssystem aufgegeben und durch ein auf einem Punktemodell beruhendes Betriebsrentensystem ersetzt. Die neue Satzung der Beklagten (VBLS) enthält Übergangsregelungen zum Erhalt von bis zur Systemumstellung erworbenen Rentenanwartschaften. Diese werden wertmäßig festgestellt und als so genannte Startgutschriften auf die neuen Versorgungskonten der Versicherten übertragen. Dabei werden Versicherte, deren Versorgungsfall noch nicht eingetreten ist, in rentennahe und rentenferne Versicherte unterschieden. Rentennah ist nur, wer am 1. Januar 2002 das 55. Lebensjahr vollendet hatte und im Tarifgebiet West beschäftigt war bzw. dem Umlagesatz des Abrechnungsverbandes West unterfiel oder Pflichtversicherungszeiten in der Zusatzversorgung vor dem 1. Januar 1997 vorweisen kann. Die Anwartschaften der ca. 200.000 rentennahen Versicherten werden weitgehend nach dem alten Satzungsrecht ermittelt und übertragen. Die Anwartschaften der übrigen ca. 1,7 Millionen rentenfernen Versicherten berechnen sich demgegenüber nach den §§ 32 Abs. 1 und 4, 33 Abs. 1 Satz 1 ATV, 78 Abs. 1 und 2, 79 Abs. 1 Satz 1 VBLS i.V. mit § 18 Abs. 2 des Betriebsrentengesetzes (BetrAVG). Unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einem rentennahen oder einem rentenfernen Jahrgang erhalten Beschäftigte, die am 1. Januar 2002 mindestens 20 Jahre pflichtversichert waren, als Startgutschrift für jedes volle Kalenderjahr der Pflichtversicherung bis zum 31. Dezember 2001 mindestens 1,84 Versorgungspunkte (VP), bei Teilzeitbeschäftigung gemindert durch Multiplikation mit dem am 31. Dezember 2001 maßgebenden Gesamtbeschäftigungsquotienten (§§ 9 Abs. 3 ATV, 37 Abs. 3 VBLS). 2. Die Parteien streiten über die Zulässigkeit der Systemumstellung, die Wirksamkeit der Übergangsregelung für rentennahe Versicherte, die Frage der Anrechnung von Vordienstzeiten, die Zulässigkeit der Festschreibung von Berechnungselementen (insbesondere der Einkünfte) zum Umstellungsstichtag, die Höhe der dem Kläger erteilten Startgutschrift von 199,96 Versorgungspunkten (das entspricht einem Wert von monatlich 799,84 €) und die Höhe der dem Kläger mittlerweile gezahlten Betriebsrente. Der am 23. Februar 1943 geborene und somit einem rentennahen Jahrgang zugehörige Kläger hat als Beschäftigter im öffentlichen Dienst bis zum Umstellungsstichtag (31. Dezember 2001) 368 Umlagemonate und bis zum Rentenbeginn am 1. April 2006 weitere 51 Umlagemonate bei der Beklagten zurückgelegt. In der gesetzlichen Rentenversicherung hat er darüber hinaus weitere 88 Umlagemonate vorzuweisen, während derer er nicht im öffentlichen Dienst beschäftigt war (so genannte Vordienstzeiten). Er nimmt seit 1. April 2006 Rentenleistungen in Anspruch. Dabei bezieht er seither vom Träger der gesetzlichen Rentenversicherung eine monatliche Altersrente und von der Beklagten eine monatliche Betriebsrente in Höhe von 678,22 € netto (vgl. Rentenmitteilung der Beklagten vom 30. März 2006).Deren Höhe wurde auf der Grundlage der neuen Satzung der Beklagten in der Weise errechnet, dass zunächst nach den vorgenannten Übergangsbestimmungen für rentennahe Versicherte die Startgutschrift (199,96 Versorgungspunkte) für den 31. Dezember 2001 ermittelt und sodann die seit dem 1. Januar 2002 bis zum Rentenbeginn nach dem neuen Punktemodell erworbenen Versorgungspunkte (17,89 Versorgungspunkte) hinzugerechnet wurden. In der Rentenberechnung ist die so genannte Mindestgesamtversorgung (§ 79 Abs. 2 VBLS i.V. mit § 40 Abs. 4 VBLS a.F.) mit berücksichtigt, zur Hälfte berücksichtigt sind die Vordienstzeiten des Klägers. 3. Der Kläger wendet sich insbesondere gegen die Nichtberücksichtigung seines Endgehalts vor Renteneintritt bei der Ermittlung des gesamtversorgungsfähigen Entgelts und ist der Auffassung, seine Betriebsrente müsse auch insoweit nach den früheren, vor der Systemumstellung gültigen Satzungsbestimmungen ermittelt werden. Weiter meint er, die nunmehr in § 39 VBLS vorgesehene jährliche Dynamisierung der Betriebsrente um 1% könne die Anpassungsbestimmung des § 56 VBLS a.F. nicht in zulässiger Weise ersetzen. In verschiedenen Klageanträgen hat der Kläger sein Begehren, die Bestimmungen der alten Satzung seiner Betriebsrentenermittlung zugrunde zu legen, näher konkretisiert. Er beanstandet erstmals im Revisionsverfahren, dass die Beklagte seine Vordienstzeiten nicht in vollem Umfang berücksichtigt habe. Schließlich wendet er sich im Revisionsverfahren auch dagegen, dass die grundsätzlich bruttobezogene Gesamtversorgung auf einen nettobezogenen Betrag begrenzt werde, bei dem etwa Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge vom gesamtversorgungsfähigen Entgelt in Abzug gebracht würden. Die mit der 19. Satzungsänderung am 1. Januar 1985 in Kraft getretene Nettobegrenzung möge zwar seinerzeit dem Abbau einer Überversorgung gedient haben, doch könne davon angesichts der inzwischen eingetretenen Rentenkürzungen keine Rede mehr sein. 4. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers und unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen hat das Landgericht auf einen hilfsweise gestellten Antrag des Klägers festgestellt, die Beklagte sei verpflichtet, dem Kläger bei Eintritt des Versicherungsfalles mindestens eine Betriebsrente zu gewähren, die dem geringeren Betrag aus der Berechnung der Zusatzrente nach ihrer früheren Satzung (in der Fassung der 41. Satzungsänderung) zum Umstellungsstichtag (31. Dezember 2001) oder zum Eintritt des Versicherungsfalles entspricht. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision. Sie erstrebt die Wiederherstellung des klageabweisenden amtsgerichtlichen Urteils. Der Kläger verfolgt mit seiner Revision seine bisherigen Anträge vollen Umfangs weiter und erhebt die oben dargelegten weiteren Beanstandungen.
Nur die Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils. I. 1. Die Übergangsregelungen für rentennahe Versicherte sind wirksam. Der Senat hat bereits mit Urteil vom 14. November 2007 (IV ZR 74/06 - BGHZ 174, 127 Tz. 25 ff.) entschieden, dass die Satzung der Beklagten auch ohne Zustimmung der Versicherten und im Wege einer umfassenden Systemumstellung geändert werden konnte. Mit Urteil vom 24. September 2008 (IV ZR 134/07 - BGHZ 178, 101) hat er dies bestätigt und die Berechnung der bis zum Zeitpunkt der Systemumstellung von den rentennahen Versicherten erworbenen Rentenanwartschaften sowie deren Übertragung in das neu geschaffene Betriebsrentensystem gebilligt. Die von den Tarifvertragsparteien im Rahmen ihres weiten Gestaltungsspielraums getroffene Regelung ist jedenfalls vertretbar und schon aus diesem Grunde verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das gilt insbesondere auch für Zugrundelegung der fiktiven, sich bei Vollendung des 63. Lebensjahres ergebenden Versorgungsrente (BGHZ 178, 101 Tz. 39-45) und die Festschreibung der Rechengrößen, wie etwa des Entgelts, des Familienstandes und der Steuerklasse, zum Umstellungsstichtag (BGHZ aaO Tz. 46 ff.). Der Kläger hat im Übrigen nicht geltend gemacht, dass sich bei ihm persönlich zwischen dem Umstellungsstichtag und dem Renteneintritt Änderungen der Steuerklasse (III/0) oder des Familienstandes ergeben hätten. Weiter begegnet es keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass den rentennahen Versicherten lediglich im Rahmen einer Besitzstandsregelung die Vorteile aus der Halbanrechnung von Vordienstzeiten belassen werden, eine Vollanrechnung aber nicht stattfindet (BGHZ aaO Tz. 54-59). Es kann insoweit offen bleiben, ob der Kläger mit dem erstmals in der Revision erhobenen Einwand gehört werden kann. Entsprechende Klaganträge hatte er in den Vorinstanzen ausweislich des Berufungsurteils nicht gestellt. Im Übrigen wird ergänzend auf die Ausführungen in den genannten Senatsurteilen, die sich auch zu den weiteren Revisionsangriffen des Klägers verhalten, verwiesen. 2. Es liegt keine unzulässige Rückwirkung darin, dass die am 3. Januar 2003 im Bundesanzeiger veröffentlichte neue Satzung der Beklagten die Systemumstellung bereits mit Wirkung zum Ablauf des 31. Dezember 2001 vorgenommen hat. Denn die Tarifvertragsparteien hatten sich schon vor dem Umstellungsstichtag am 13. November 2001 im so genannten Altersvorsorgeplan auf die Systemumstellung geeinigt und dies auch ausreichend öffentlich gemacht. Insofern war ein schutzwürdiges Vertrauen der Versicherten darauf, dass die Regeln der alten Satzung über den 31. Dezember 2001 hinaus Bestand hätten, nicht mehr begründet. 3. Anders als die Revision meint, verstoßen die Übergangsregelungen für rentennahe Versicherte in der neuen Satzung der Beklagten auch nicht gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Prinzip der Normenklarheit oder das Transparenzgebot aus § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 22. März 2000 (1 BvR 1136/96 - VersR 2000, 835 unter II 2 c, cc [juris Tz. 38]) angemerkt, dass das frühere Satzungswerk der Beklagten eine Komplexität erreicht habe, die es dem einzelnen Versicherten kaum mehr ermögliche, zu überschauen, welche Leistungen er zu erwarten habe und wie sich berufliche Veränderungen im Rahmen des Erwerbslebens auf die Höhe der Leistungen auswirkten. Eine weitere Zunahme dieser Komplexität könne an verfassungsrechtliche Grenzen stoßen, sei es weil die Arbeitnehmer dadurch in der freien Wahl ihres Arbeitsplatzes (Art. 12 Abs. 1 GG) in unzumutbarer Weise behindert würden, sei es weil sich die sachliche Rechtfertigung für Ausdifferenzierungen im Normengeflecht nicht mehr nachvollziehen lasse und somit die Beachtung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht mehr gewährleistet werden könne. Das Bundesverfassungsgericht hat die alte Satzung der Beklagten aber trotz dieser Bedenken als gerade noch rechtlich hinnehmbar bewertet. Soweit die Übergangsregelungen der §§ 78 und 79 VBLS darauf zurückgreifen, kann insoweit nichts anderes gelten. Im Übrigen ist das seit der Systemumstellung gültige Punktesystem dadurch gekennzeichnet, dass es die Rentenentwicklung im Gegensatz zum früheren Gesamtversorgungssystem weitgehend von externen Faktoren abgekoppelt und damit eine insgesamt überschaubarere Regelung getroffen hat. Dass die Übergangsvorschriften für rentennahe Versicherte dennoch auf die komplizierten Bestimmungen der früheren Satzung der Beklagten zurückgreifen, dient allein dem Ziel, dieser Gruppe von Versicherten einen weitergehenden Besitzstandsschutz zu gewähren als der Gruppe der rentenfernen Versicherten. 4. Wegen der Angriffe des Klägers auf die mit der 19. Satzungsänderung vom 10. November 1983 (BAnz. Nr. 53 vom 15. März 1984) ab dem 1. Januar 1985 eingeführte Nettobegrenzung der Versorgungsrente nach § 41 Abs. 2c lit. a-e VBLS a.F. und die insoweit zu berücksichtigenden Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge verweist der Senat auf seine Entscheidung BGHZ 103, 370, 383 ff. und das Senatsurteil vom 10. Dezember 2003 (IV ZR 217/02 - VersR 2004, 319 unter II 2 b, bb). II. Auf die Revision der Beklagten waren das Berufungsurteil aufzuheben, soweit zu ihrem Nachteil entschieden worden ist, und die Klageabweisung durch das Amtsgericht unter Zurückweisung der Berufung des Klägers zu bestätigen. Insoweit wird auf die obenstehenden Ausführungen verwiesen.Zu recht weist die Beklagte in ihrer Revisionsbegründung darauf hin, dass es dem Berufungsgericht nicht nachvollziehbar gelungen ist, eine greifbare Renteneinbuße festzustellen, nachdem insbesondere der vom Berufungsgericht in anderen Fällen regelmäßig gewählte Vergleich der tatsächlich gezahlten Zusatzrente mit dem von der vierten Fiktivberechnung ausgewiesenen Wert hier eine Besserstellung des Klägers ergibt. Schon insoweit ist nicht ersichtlich, worin im Falle des Klägers der Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen liegen soll. Terno                                                   Seiffert                                         Wendt Dr. Kessal-Wulf                                          Felsch
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058735
BGH
10a. Zivilsenat
20100218
Xa ZR 164/07
Urteil
Art 6 Abs 1 EGV 261/2004, Art 7 Abs 1 Buchst c EGV 261/2004
vorgehend LG Darmstadt, 7. November 2007, Az: 7 S 119/07, Urteil vorgehend AG Rüsselsheim, 12. Juli 2007, Az: 3 C 1219/06 (32), Urteil
DEU
EU-Luftverkehrsrecht: Anspruch auf Ausgleichszahlung bei über dreistündiger Verspätung der Ankunftszeit des Fluges
Auf die Revision der Klägerin wird das am 7. November 2007 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt im Umfang der nachfolgenden Änderung des Ersturteils aufgehoben. Auf die Berufung der Klägerin wird das am 12. Juli 2007 verkündete Urteil des Amtsgerichts Rüsselsheim abgeändert: Die Beklagte wird verurteilt, über die in den Vorinstanzen zugesprochenen Leistungen hinaus an die Klägerin 400,-- Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2007 zu zahlen. Die weitergehenden Rechtsmittel werden zurückgewiesen. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte 7/10 und die Klägerin 3/10. Von Rechts wegen
Die Klägerin verlangt von der beklagten Charterfluggesellschaft unter anderem eine Ausgleichszahlung nach Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen (ABl. EG L 46 S. 1; im Folgenden: Verordnung), weil sie mit erheblicher Verspätung abgeflogen und mit erheblicher Verspätung am Zielflughafen angekommen ist. Die Klägerin buchte bei der Beklagten einen Flug von Frankfurt am Main nach Costa Rica und zurück. Der für den 30. Januar 2006 gebuchte Rückflug hatte bei Start und Landung eine Verspätung von rund 41 Stunden. Die Klägerin hat deshalb eine Ausgleichszahlung in Höhe von 600,-- Euro, eine Minderung des Flugpreises um 200,-- Euro und Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit in Höhe von 150,-- Euro geltend gemacht. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Das Amtsgericht hat der Klägerin lediglich den geltend gemachten Minderungsbetrag von 200,-- Euro zuerkannt und hiervon eine vermeintliche Zahlung der Beklagten in Höhe von 60,-- Euro abgezogen. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht ihr einen weiteren Minderungsbetrag von 60,-- Euro zugesprochen. Die weitergehende Berufung, mit der die Klägerin ihre Ansprüche auf Ausgleichszahlung und Entschädigung weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren in vollem Umfang weiter. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen. Der Senat hat mit Rücksicht auf ein beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften anhängiges Vorlageverfahren mit Zustimmung der Parteien zunächst von der Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung über die Revision abgesehen. Der Gerichtshof hat in dem Vorlageverfahren mit Urteil vom 19. November 2009 (C-402/07, RRa 2009, 282 = NJW 2010, 43) wie folgt entschieden: 1. Art. 2 Buchst. l sowie die Art. 5 und 6 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 sind dahin auszulegen, dass ein verspäteter Flug unabhängig von der - auch erheblichen - Dauer der Verspätung nicht als annulliert angesehen werden kann, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt wird. 2. Die Art. 5, 6 und 7 der Verordnung Nr. 261/2004 sind dahin auszulegen, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden können und somit den in Art. 7 dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen können, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, d. h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen. Eine solche Verspätung führt allerdings dann nicht zu einem Ausgleichsanspruch zugunsten der Fluggäste, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, also auf Umstände, die von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen sind. 3. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass ein bei einem Flugzeug aufgetretenes technisches Problem, das zur Annullierung oder Verspätung eines Fluges führt, nicht unter den Begriff "außergewöhnliche Umstände" im Sinne dieser Bestimmung fällt, es sei denn, das Problem geht auf Vorkommnisse zurück, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind.
Die nur wegen des Anspruchs auf Ausgleichszahlung zulässige Revision hat in diesem Umfang teilweise Erfolg und führt insoweit zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Verurteilung der Beklagten. Im Übrigen ist die Revision als unzulässig zu verwerfen. A. Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 1 ZPO unzulässig, soweit die Klägerin den Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit gemäß § 651f Abs. 2 BGB weiterverfolgt. Insoweit fehlt es an der erforderlichen Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht. Die vom Berufungsgericht ausgesprochene Zulassung der Revision bezieht sich lediglich auf den Anspruch auf Zahlung einer Ausgleichsleistung nach Art. 7 der Verordnung. Dies ergibt sich zwar nicht aus dem Tenor des Berufungsurteils, aber aus den Entscheidungsgründen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann sich die Eingrenzung einer Rechtsmittelzulassung auch aus den Entscheidungsgründen ergeben. Von einer beschränkten Zulassung der Revision ist regelmäßig auszugehen, wenn die Rechtsfrage, die nach den Ausführungen in den Entscheidungsgründen zur Zulassung geführt hat, nur für einen von mehreren prozessualen Ansprüchen erheblich ist (BGHZ 153, 358, 360 ff. m.w.N.). Im Streitfall ist die vom Berufungsgericht als klärungsbedürftig angesehene Frage, wann eine Annullierung im Sinne von Art. 5 der Verordnung vorliegt, nur für den geltend gemachten Ausgleichsanspruch erheblich, nicht hingegen für den auf § 651f Abs. 2 BGB gestützten Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit. Damit erstreckt sich die Zulassung der Revision nicht auf diesen Anspruch. Die vom Berufungsgericht verwendete Formulierung, umstritten seien "insbesondere" die Frage der Auslegung des Verspätungsbegriffs und dessen Abgrenzung zur Annullierung, führt zu keiner anderen Beurteilung. Diesen Ausführungen lässt sich lediglich entnehmen, dass das Berufungsgericht weitere Fragen im Zusammenhang mit der Auslegung der Verordnung für klärungsbedürftig gehalten und die Revision auch im Hinblick darauf zugelassen hat. Anhaltspunkte dafür, dass das Berufungsgericht die Revision auch zur Klärung der Frage, ob § 651f Abs. 2 BGB auf Beförderungsverträge anwendbar ist, zulassen wollte, ergeben sich daraus nicht. B. Die begehrte Ausgleichszahlung steht der Klägerin unter dem Gesichtspunkt der Verspätung eines gebuchten Fluges zu. I. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Voraussetzungen für die begehrten Ausgleichszahlungen nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung seien nicht erfüllt, hält der Nachprüfung nicht stand. 1. Eine Annullierung des Flugs im Sinne von Art. 5 der Verordnung hat allerdings, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, nicht stattgefunden. Nach dem Urteil des Gerichtshofs kann ein verspäteter Flug unabhängig von der - auch erheblichen - Dauer der Verspätung nicht als annulliert angesehen werden, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt wird (aaO Tz. 39). So verhält es sich im Streitfall. Der Flug von Costa Rica nach Frankfurt ist trotz der eingetretenen Verzögerung entsprechend der ursprünglichen Flugplanung durchgeführt worden. 2. Wegen des wesentlich verspäteten Abflugs kommt gleichwohl ein Anspruch auf die in Art. 7 der Verordnung vorgesehene Ausgleichszahlung in Betracht. a) Der Flug hat etwa 41 Stunden später als geplant begonnen; die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 der Verordnung für die Annahme einer von der Verordnung erfassten (großen) Verspätung lagen daher ohne weiteres vor. b) In einem solchen Fall steht dem Fluggast, sofern auch die weiteren Voraussetzungen für eine Ausgleichsleistung erfüllt sind, der in Art. 7 der Verordnung vorgesehene Ausgleichsanspruch zu, wenn er wegen des verspäteten Fluges sein Endziel nicht früher als drei Stunden nach der ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreicht (EuGH aaO Tz. 61). Auch diese Voraussetzung ist ohne weiteres erfüllt, denn das Endziel der Klägerin wurde ebenfalls etwa 41 Stunden später als geplant erreicht. Damit liegen im Streitfall die vom Gerichtshof aufgestellten Anforderungen für einen Ausgleichsanspruch wegen einer wie eine Annullierung zu behandelnden großen Verspätung vor. II. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, da der Rechtsstreit auf der Grundlage des vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts zur Endentscheidung reif ist. 1. Der Ausgleichsanspruch ist nicht entsprechend Art. 5 Abs. 3 der Verordnung ausgeschlossen. Außergewöhnliche Umstände, die der Entstehung eines Ausgleichsanspruchs entgegenstehen könnten, sind nicht vorgetragen. Entgegen der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung besteht auch keine Veranlassung, den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um der Beklagten Gelegenheit zu geben, zu den Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung vorzutragen. Die Parteien haben in den Tatsacheninstanzen darüber gestritten, ob die Beklagte im Streitfall zu einer Ausgleichszahlung wegen Annullierung des Flugs verpflichtet ist. Die Beklagte war demgemäß gehalten, auch zu den Voraussetzungen vorzutragen, unter denen die Verpflichtung zu einer solchen Ausgleichszahlung ausgeschlossen ist, wenn sie sich damit verteidigen wollte. Für den Ausgleichsanspruch wegen großer Verspätung gelten keine anderen Voraussetzungen. 2. Die Beklagte schuldet danach eine Ausgleichszahlung in der in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung bestimmten Höhe von 600,-- Euro. Da der Klägerin vom Berufungsgericht - unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Minderung des Flugpreises - bereits ein Betrag von 200,-- Euro für die Flugverspätung zuerkannt worden ist, ist die Beklagte zur Zahlung weiterer 400,-- Euro zu verurteilen. Ein Mangel der Flugleistung, der einen zusätzlichen Minderungsanspruch begründen könnte, liegt in einer Verspätung regelmäßig nicht (Sen.Urt. v. 28.5.2009 - Xa ZR 113/08, RRa 2009, 242 = NJW 2009, 2743); auch im Streitfall ist für einen Mangel nichts dargetan. Der geltend gemachte Zinsanspruch ergibt sich aus § 288 Abs. 1 BGB. 3. Zu der von der Beklagten angeregten Vorlage der Sache an den Gerichtshof der Europäischen Union sieht der Senat keine Veranlassung. Der Bundesgerichtshof hat dem Gerichtshof die Streitsache X ZR 95/06 zur Vorabentscheidung vorgelegt, weil er es nicht für zweifelsfrei gehalten hat, dass den Fluggästen eines wesentlich verspäteten Fluges, wie er im Streitfall vorliegt, nach der Verordnung kein Anspruch auf Ausgleichszahlungen zusteht. Diese Unklarheit hinsichtlich der Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist dadurch beseitigt worden, dass der Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. November 2009 die Verordnung dahin ausgelegt hat, dass auch in einem solchen Fall Ausgleichsleistungen zu erbringen sind. Das Urteil selbst wirft jedenfalls keine für den Streitfall relevanten neuen Auslegungsfragen auf, die der Senat nicht ohne erneute Vorlage beantworten könnte. Soweit sich das Urteil nicht ausdrücklich mit der Frage befasst, ob das vom Gerichtshof gefundene Auslegungsergebnis mit dem Montrealer Übereinkommen vereinbar ist, hat der Senat diese Frage bereits in seinem Urteil vom 10. Dezember 2009 (Xa ZR 61/09) bejaht; daran hält er fest. Der Gerichtshof hat dies offenbar ebenso gesehen; dass er Art. 29 MÜ übersehen hätte, kann nicht angenommen werden. Der Senat hat auch keine Zweifel an der Gültigkeit der Verordnung. Der Gerichtshof hat die Gültigkeit - anders als die Generalanwältin - bejaht (aaO Tz. 47). Für den von der Beklagten angenommenen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nichts Substantiiertes geltend gemacht. 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Meier-Beck                                Mühlens                                 Berger Grabinski                               Hoffmann
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100058738
BGH
7. Zivilsenat
20100114
VII ZR 162/08
Beschluss
§ 45 Abs 1 S 3 GKG, § 47 Abs 2 S 2 GKG
vorgehend BGH, 10. September 2009, Az: VII ZR 162/08, Beschluss vorgehend OLG München, 29. April 2008, Az: 18 U 3872/07, Urteil vorgehend LG München I, 20. Juni 2007, Az: 8 O 23330/05, Urteil
DEU
Streitwertbemessung bei Einführung eines nur die zeitliche Berechnung des Schadens erweiternden Hilfsantrags im Berufungsverfahren
Die Gegenvorstellung der Rechtsanwälte Dr. Bü. und Dr. Ba. gegen die Festsetzung des Gegenstandswerts im Senatsbeschluss vom 10. September 2009 wird zurückgewiesen.
I. Der Kläger berühmt sich einer Schadensersatzforderung gegen den Beklagten aus unerlaubter Handlung und positiver Vertragsverletzung. Er hat in erster Instanz beantragt, den Beklagten zur Zahlung von 10 Mio. Euro zu verurteilen. Dazu hat er vorgetragen, dieser Schaden sei ihm als entgangener Gewinn in den Jahren 2000 bis 2004 entstanden. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz hat der Kläger sein Begehren als Hauptantrag weiterverfolgt und - soweit hier von Interesse - hilfsweise beantragt, den Beklagten zur Zahlung von 8.419.809,43 € zu verurteilen. Unter Aufschlüsselung des Betrags auf die einzelnen Jahre hat er vorgetragen, dieser Gewinn sei ihm in den Jahren 2002 bis 2006 entgangen. Den Schaden der Jahre 2005 und 2006 hat er mit insgesamt 3.378.141,93 € beziffert. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 13.378.141,93 € festgesetzt. Es hat ausgeführt, hinsichtlich der Jahre 2005 und 2006 liege eine Erweiterung des Streitgegenstandes im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 2 GKG vor, so dass der hierauf entfallende Betrag und der Betrag von 10 Mio. Euro gemäß § 45 Abs. 1 Satz 3 (gemeint: Satz 2) GKG zusammenzurechnen seien. Der Kläger hat Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Mit der beabsichtigten Revision wollte er sein zweitinstanzliches Begehren weiter verfolgen. Der Senat hat die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen und den Gegenstandswert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren auf 10 Mio. Euro festgesetzt. Dagegen richtet sich die Gegenvorstellung der Prozessbevollmächtigten des Beklagten, die eine Erhöhung des Gegenstandswerts der Nichtzulassungsbeschwerde auf 13.378.141,93 € erreichen wollen. II. Die Gegenvorstellung ist nicht begründet. Eine Addition des auf die Jahre 2005 und 2006 entfallenden Gewinnentgangs zu dem hauptsächlich begehrten Schadensersatz von 10 Mio. Euro kommt nicht in Betracht. Der Kläger hat wiederholt darauf hingewiesen, dass er auch mit der Berufung nur einen Betrag von maximal 10 Mio. Euro geltend mache und beide von ihm genannten Beträge auf den gleichen haftungsbegründenden Tatbestand, den gleichen Schaden und die gleiche Kausalität stütze; es handele sich bei dem Hilfsantrag nur um eine alternative Begründung des gleichen Schadens. Daraus folgt, dass der Kläger in der Berufungsinstanz seine Schadensberechnung zwar zeitlich, nicht aber betragsmäßig um die Jahre 2005 und 2006 erweitert hat. Die maximale Höhe des geltend gemachten Schadens sollte davon nicht betroffen sein. Gegenstand des Berufungsverfahrens war somit der entgangene Gewinn in den Jahren 2000 bis 2006, einmal berechnet mit mindestens 10 Mio. Euro durch den Vergleich mit dem Gewinn anderer Architektenbüros in den Jahren 2000 bis 2004 und hilfsweise alternativ berechnet in Höhe von 8.419.809,43 € anhand der vom Kläger für die Jahre 2002 bis 2006 behaupteten konkreten Gewinneinbußen. Damit betreffen Haupt- und Hilfsanspruch denselben Gegenstand im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG und es liegt auch keine Klageerweiterung im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 2 GKG vor. Kniffka                         Kuffer                                Bauner Eick                            Leupertz
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JURE100059114
BGH
2. Strafsenat
20100203
2 StR 368/09
Urteil
§ 27 StGB, § 29 Abs 1 S 1 Nr 1 BtMG
vorgehend LG Darmstadt, 13. Mai 2009, Az: 910 Js 14459/08 - 15 KLs Ss 283/09, Urteil
DEU
Bandenmäßiges unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln: Beihilfe nach Sicherstellung der Drogen
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 13. Mai 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der bandenmäßigen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit bandenmäßigem Handeltreiben in nicht geringer Menge in zwei Fällen freigesprochen. Die auf die Überprüfung eines dieser Tatvorwürfe beschränkte und auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat mit der Sachrüge Erfolg. I. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts bestellte der Mitangeklagte A. M. bei dem in den Niederlanden wohnhaften weiteren Mitangeklagten F. acht Kilogramm Haschisch, drei Kilogramm Streckmittel und 10.000 Ecstasy-Tabletten zum Gesamtpreis von 20.000 €. Als Kurier hatte A. M. den Mitangeklagten K. gewonnen, der am 7. Juli 2008 mit dem Kraftfahrzeug in die Niederlande fuhr, dort F. eine Anzahlung von 8.000 € übergab und dafür von diesem die bestellte Ware erhielt. Angesichts der von Beginn an durchgeführten Observierung durch die Polizeibehörden konnte der Mitangeklagte K. noch am gleichen Tag gegen 16.00 Uhr nach seinem Grenzübertritt in Deutschland festgenommen werden; die Betäubungsmittel wurden sichergestellt. Bis 20.00 Uhr desselben Tages wartete A. M. vergeblich auf die Rückkehr des Kuriers K. Er bat deshalb den Angeklagten, der über das Drogengeschäft informiert war und auch den niederländischen Drogenlieferanten F. kannte, mit diesem zu telefonieren (UA S. 12). Am frühen Morgen des 8. Juli 2008 kam es zu einem Telefongespräch zwischen dem Angeklagten und F., der angerufen hatte. Dabei teilte der Angeklagte (verdeckt) mit, dass der Kurier noch nicht angekommen sei. Er gab an, dass "sie" versucht hätten, diesen anzurufen, die Telefone aber ausgeschaltet seien. Schließlich kündigte er in diesem Gespräch an, in einer Stunde wieder anzurufen (UA S. 26). 2. Das Landgericht, das die Mitangeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge bzw. unerlaubten Handeltreibens in nicht geringer Menge bzw. Beihilfe hierzu verurteilt hat, hat sich an einer Verurteilung des Angeklagten, dem eine mittäterschaftliche Beteiligung an der Vorbereitung oder Durchführung des Drogenerwerbs nicht nachzuweisen gewesen sei, gehindert gesehen. Dieser habe zwar das Betäubungsmittelgeschäft von A. M. mit seinem Telefonat durch Klärung des Aufenthaltsorts des Kuriers und eine dadurch mögliche Inbesitznahme der eingeführten Betäubungsmittel unterstützen wollen. Tatsächlich sei jedoch zu diesem Zeitpunkt eine Förderung der Haupttat nicht mehr möglich gewesen, weil der Kurier zum Zeitpunkt des Telefonats bereits festgenommen worden und damit die Haupttat beendet gewesen sei. Bei dem Bemühen des Angeklagten handele es sich deshalb lediglich um eine - straflose - versuchte Beihilfe (UA S. 27). II. Dies hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand. Das Landgericht hat zu Unrecht jede Strafbarkeit des Angeklagten wegen Beihilfe zu dem zugrunde liegenden Betäubungsmittelgeschäft ausgeschlossen. 1. Allerdings kommt eine Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht in Betracht. Insoweit ist - entsprechend der Ansicht des Landgerichts - die Haupttat mit der Sicherstellung der Betäubungsmittel beendet (BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Einfuhr 15; BGH NStZ-RR 1997, 319). Sämtliche im Urteil festgestellte mögliche Tathandlungen des Angeklagten betreffen aber die Zeit nach ihrer Sicherstellung. Strafbare Beihilfe scheidet insoweit deshalb aus. 2. Als rechtsfehlerhaft erweist es sich aber, dass die Strafkammer auch eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ausgeschlossen hat. Denn durch die Sicherstellung der Betäubungsmittel in Deutschland war das Handeltreiben nicht beendet. Zwar war dadurch der Warenfluss objektiv und auch endgültig zur Ruhe gekommen. Dies war aber den Käufern des Rauschgifts als Empfänger der Lieferung nicht bekannt. Sie bemühten sich u.a. über die (versuchte) telefonische Kontaktaufnahme mit dem Kurier weiter darum, in den Besitz der bestellten Ware zu gelangen, und entfalteten damit - ohne dass es darauf ankommt, ob eine Inbesitznahme noch möglich war - eine eigennützige auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit (vgl. BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 50 u. 52; BGH NJW 2008, 2276; Senat, Urteil vom 26. August 2009 - 2 StR 223/09; offen gelassen vom 5. Strafsenat im Urteil vom 7. Februar 2008 - NStZ 2008, 465). Zu der trotz Sicherstellung der Betäubungsmittel noch nicht beendeten Haupttat konnte der Angeklagte daher grundsätzlich noch Beihilfe leisten. Hierzu hätte er die auf die Erlangung der Betäubungsmittel gerichteten Bemühungen der Drogenkäufer erleichtern oder fördern müssen (vgl. BGH NJW 2008, 1460, 1461; Senat, NStZ 2008, 284 jeweils m.w.N.). So wie das strafrechtliche Verhalten des Haupttäters den tatsächlichen Umsatzerfolg nicht zu umschließen braucht, weil das hierauf abzielende Verhalten genügt, reicht es für den Gehilfen aus, dass er dieses auf Erfolg abzielende Verhalten unterstützt (vgl. BGH NJW 1994, 2162; NJW 2008, 2276; anders der 5. Strafsenat, NStZ 2008, 465 f. für den Sonderfall der Unterstützung einer nach Sicherstellung der Betäubungsmittel von den Ermittlungsbehörden angeschobenen und lediglich zum Schein vereinbarten Geldübergabe). Ob und mit welchen Verhaltensweisen der Angeklagte einen solchen die Tatbegehung fördernden oder erleichternden Beitrag geleistet hat, hat das Landgericht infolge seines fehlerhaften rechtlichen Ausgangspunkts nicht erörtert. Zwar liegt es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nahe, dass eine strafbare Beihilfe jedenfalls in dem von dem Angeklagten mit den Drogenlieferanten am frühen Morgen des 8. Juli 2008 geführten Telefongespräch gesehen werden kann. Entnimmt man diesem nicht nur die bloße Mitteilung des Angeklagten an den Lieferanten über das Nichteintreffen des Kuriers, sondern auch den Versuch, den Aufenthaltsort des Kuriers in Erfahrung zu bringen, läge darin jedenfalls dann eine Förderung der Haupttat, wenn der Angeklagte die aus diesem Gespräch gewonnenen Erkenntnisse an den Drogenkäufer A. M. weitergeleitet hätte. Dies hat das Landgericht - obwohl es mit Blick auf dessen zuvor geäußerte Bitte, mit dem Verkäufer hinsichtlich des Verbleibs des Kuriers zu telefonieren, nach der Lebenserfahrung auf der Hand liegt - allerdings nicht festgestellt. Auch hat sich die Strafkammer rechtsfehlerhaft nicht mit der Frage befasst, ob der Angeklagte nicht bereits zuvor, als er die Bitte des A. M. um ein Telefonat entgegennahm, eine taugliche Beihilfehandlung begangen hat. Denn schon einer womöglich zu diesem Zeitpunkt gegebenen Zusage, ein solches Gespräch später zu führen, könnte eine die Haupttat fördernde bzw. erleichternde Wirkung zugekommen sein. Die fehlerhafte Rechtsansicht des Landgerichts führt zur Aufhebung und Zurückverweisung. Der Senat hebt auch die zugrunde liegenden, an sich rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen auf, um es dem Tatrichter zu ermöglichen, ausgehend von einer zutreffenden rechtlichen Wertung neue widerspruchsfreie Feststellungen zu treffen. Fischer                                          Roggenbuck                                Appl Schmitt                                                Krehl
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JURE100059115
BGH
1. Strafsenat
20100311
1 ARs 1/10
Beschluss
§ 138 Abs 1 StGB, § 138 Abs 2 StGB
vorgehend BGH, 13. Januar 2010, Az: 5 StR 464/09, Beschluss nachgehend BGH, 19. Mai 2010, Az: 5 StR 464/09, Urteil
DEU
Strafbarkeit der Nichtanzeige geplanter Straftaten bei Verdacht der Beteiligung an geplanter Straftat
Der Senat stimmt der Rechtsansicht des anfragenden 5. Strafsenats zu. Er gibt entgegenstehende eigene Rechtsprechung auf.
Der 5. Strafsenat beabsichtigt zu entscheiden: Auch bei fortbestehendem Verdacht einer Beteiligung an einer in § 138 Abs. 1 oder 2 StGB bezeichneten Katalogtat hindert der Zweifelssatz eine Verurteilung wegen Nichtanzeige geplanter Straftaten nicht. Er hat daher bei den anderen Strafsenaten angefragt, ob diese an entgegenstehender Rechtsprechung festhalten. Der 1. Strafsenat folgt der Rechtsauffassung des anfragenden Senats und gibt eigene entgegenstehende Rechtsprechung auf. Nack                       Rothfuß                         Hebenstreit Elf                          Sander
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059116
BGH
1. Strafsenat
20100224
1 StR 260/09
Vorlagebeschluss
§ 200 Abs 1 S 1 StPO, § 243 Abs 3 S 1 StPO, § 132 Abs 2 GVG, § 132 Abs 4 GVG
vorgehend BGH, 8. Dezember 2009, Az: 4 ARs 17/09, Beschluss vorgehend BGH, 25. November 2009, Az: 2 ARs 455/09, Beschluss vorgehend BGH, 17. November 2009, Az: 3 ARs 16/09, Beschluss vorgehend BGH, 28. Oktober 2009, Az: 5 ARs 53/09, Beschluss vorgehend BGH, 2. September 2009, Az: 1 StR 260/09, Beschluss vorgehend LG Mannheim, 12. Dezember 2008, Az: 22 KLs 628 Js 34798/02 - AK 4/08, Urteil
DEU
Verlesung des Anklagesatzes in der Hauptverhandlung bei einer Vielzahl gleichförmiger Taten oder Tateinzelakten
Dem Großen Senat für Strafsachen wird gemäß § 132 Abs. 2 und 4 GVG folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt: Genügt, wenn einem Angeklagten eine große Zahl von Vermögensdelikten zur Last gelegt wird, die einem einheitlichen modus operandi folgen, der Anklagesatz den Anforderungen des § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO, wenn in diesem, der allein in der Hauptverhandlung nach § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO zu verlesen ist, neben der Schilderung der gleichartigen Tatausführung, die die Merkmale des jeweiligen Straftatbestandes erfüllt, die Gesamtzahl der Taten, der Tatzeitraum sowie der Gesamtschaden bezeichnet werden und die Einzelheiten der Taten, d.h. die konkreten Tatzeitpunkte, die Tatorte, die Tatopfer und die jeweiligen Einzelschäden, ergänzend in einem anderen nicht zu verlesenden Teil der Anklageschrift detailliert beschrieben sind?
I. Das Landgericht Mannheim hat den Angeklagten K. wegen Betruges in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und den Angeklagten M. wegen Betruges in 369 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen. Die Revisionen beanstanden mit einer im Wesentlichen inhaltsgleichen Verfahrensrüge, dass der in der Hauptverhandlung verlesene Anklagesatz keine ausreichende Konkretisierung der einzelnen Tatvorwürfe und Tatumstände enthalte und daher nicht den Anforderungen des § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO genüge. Insoweit sei zwar kein die Umgrenzungsfunktion berührender Mangel der Anklageschrift gegeben, indes genüge die Anklage nicht der ihr zukommenden Informationsfunktion. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes, der dieser Rüge zu Grunde liegt, wird auf den Anfragebeschluss des Senats in dieser Sache vom 2. September 2009 (Rdn. 4 bis 10) verwiesen. Klarstellend wird der Sachverhalt insoweit ergänzt, dass die als „Anlagen“ bezeichneten Tabellen, in denen die einzelnen Taten hinsichtlich der Person der jeweils Geschädigten, der Tatorte und der Tatzeit sowie der Einzelschäden konkretisiert werden, ein Teil der Anklageschrift sind. Dies wird insbesondere dadurch bestätigt, dass die Anlagen von dem die Anklage verfassenden Oberstaatsanwalt unterschrieben sind. Der Senat hält die Rüge für zulässig und das diesbezügliche Sachvorbringen für erwiesen. Der Senat möchte die Revisionen - dem Beschlussantrag des Generalbundesanwalts folgend - im Wesentlichen verwerfen. Lediglich soweit sowohl im Original der Anklage als auch in den Anlagen, die den Schöffen ausgehändigt wurden, einzelne Seiten der Tabellen fehlten und aufgrund dieses Versehens einzelne Taten nicht in der zugelassenen Anklage angeführt waren, beabsichtigt der Senat, das Verfahren teilweise einzustellen bzw. die Verfolgung nach § 154a Abs. 2 StPO zu beschränken. Gleiches ist hinsichtlich der Tat Nr. 287 des Angeklagten M. beabsichtigt. Nach den bisherigen Feststellungen trat bei dieser Tat eine G. und nicht der Angeklagte M. als Vermittlerin auf, so dass die Tat dem Angeklagten nicht ohne weiteres zugerechnet werden kann. Im Übrigen erachtet der Senat die Sachrüge und die sonstigen Verfahrensrügen für unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. An der Verwerfung der vorstehend geschilderten Verfahrensrüge, die auf Verletzung von § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO gestützt ist und die der Senat ebenfalls für unbegründet hält, sieht er sich nach Durchführung des Anfrageverfahrens ohne Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen gemäß § 132 Abs. 2 GVG aufgrund des Urteils des 2. Strafsenats vom 28. April 2006 (2 StR 174/05 = NStZ 2006, 649) gehindert. In dieser Entscheidung hatte der 2. Strafsenat erkannt, dass bei einer Serie von Straftaten grundsätzlich erforderlich sei, dass die dem Angeklagten im einzelnen vorgeworfenen Tathandlungen nach Tatzeit, Tatort, Tatausführung und anderen individualisierenden Merkmalen ausreichend beschrieben und dargelegt werden. Dies sei nach der genannten Entscheidung nicht der Fall, wenn bei einer Tatserie im Anklagesatz nur der Tatplan sowie die Tatausführung allgemein beschrieben und die individualisierenden Merkmale der Einzeltat im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen aufgeführt sind. Danach wäre hier ein Verfahrensfehler gegeben. Da der 2. Strafsenat in dem vorgenannten Urteil entschieden hat, dass in Fällen wie dem vorliegenden aufgrund des Umfanges des Verfahrensstoffes ein Beruhen des Urteils regelmäßig nicht ausgeschlossen werden kann, wäre auf der Grundlage dieser Entscheidung die Rüge auch im vorliegenden Fall begründet. Mit dem vorgenannten Beschluss vom 2. September 2009 hat der Senat bei dem 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs angefragt, ob er an seiner entgegenstehenden Entscheidung festhält, bei den übrigen Strafsenaten, ob der beabsichtigten Entscheidung dortige Rechtsprechung entgegensteht und ob gegebenenfalls an dieser festgehalten wird. Der 2. Strafsenat hat mit Beschluss vom 25. November 2009 (2 ARs 455/09) ausgesprochen, dass er an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält. Die übrigen Strafsenate des Bundesgerichtshofs haben mitgeteilt, dass dortige Rechtsprechung der beabsichtigten Entscheidung nicht entgegensteht. Während der 4. Strafsenat (Beschl. vom 8. Dezember 2009 - 4 ARs 17/09) und der 5. Strafsenat (Beschl. vom 28. Oktober 2009 - 5 ARs 53/09) der Rechtsansicht des Senats zustimmen, hat der 3. Strafsenat mit Beschluss vom 17. November 2009 (3 ARs 16/09) Zweifel geäußert, ob sich die beabsichtigte Verfahrensweise ohne Tätigwerden des Gesetzgebers allein auf der Grundlage des geltenden Strafprozessrechts umsetzen lässt. II. 1. Der Senat legt die streitige Rechtsfrage dem Großen Senat für Strafsachen zur Entscheidung vor. Die Vorlage erfolgt sowohl aus Gründen der Divergenz zur Rechtsprechung des 2. Strafsenats (§ 132 Abs. 2 GVG) als auch nach § 132 Abs. 4 GVG, da die Rechtsfrage nach Auffassung des Senats auch zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. a) In Abweichung von dem Rechtssatz, der in dem Anfragebeschluss aufgestellt wurde, konkretisiert der Senat die Rechtsfrage in zwei Punkten. Im Hinblick auf die Bedenken des 2. Strafsenats, wonach der Begriff der „zahlreichen Vermögensdelikte“ einen „Quell zukünftiger Unklarheiten, Auslegungsbedürfnisse und Rechtsstreitigkeiten enthalte“, wird nunmehr - in Anlehnung an die vom Gesetzgeber in § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 2 StGB; § 267 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 StGB; § 306b Abs. 1 Alt. 2 StGB; § 330 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB gewählten Tatbestandsmerkmale - vorausgesetzt, dass eine „große Zahl“ von Vermögensdelikten gegeben ist [vgl. dazu nachfolgend 2. c) aa]. Zudem wird klargestellt, dass es sich bei der - regelmäßig tabellarisch erfolgenden - Auflistung der Einzelheiten der Taten, d.h. den konkreten Tatzeitpunkten, der Tatopfer und der jeweiligen Einzelschäden, um einen Teil der Anklageschrift handelt, der lediglich - wie das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen - nicht nach § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO zu verlesen ist. b) In Abkehr von der Rechtsprechung des 2. Strafsenats genügt nach Auffassung des Senats, wenn einem Angeklagten eine große Zahl von Vermögensdelikten zur Last gelegt wird, die einem einheitlichen modus operandi folgen, die Anklageschrift den Anforderungen des § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO, wenn im konkreten Anklagesatz, der allein in der Hauptverhandlung nach § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO zu verlesen ist, neben der Schilderung der gleichartigen Tatausführung, die die Merkmale des jeweiligen Straftatbestandes erfüllt, die Gesamtzahl der Taten, der Tatzeitraum sowie der Gesamtschaden bezeichnet werden und die Einzelheiten der Taten, d.h. die konkreten Tatzeitpunkte, die Tatorte, die Tatopfer und die jeweiligen Einzelschäden, ergänzend in einem eigenständigen Abschnitt der Anklageschrift, der nicht nach § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO zu verlesen ist, detailliert beschrieben sind. 2. Dies ergibt sich nach Auffassung des Senats aus folgendem: a) Insbesondere im Hinblick auf die zunehmende Verfolgungsdichte im Bereich der Wirtschaftskriminalität (z.B. im Bereich des ärztlichen Abrechnungsbetruges) einerseits und neuer Formen der Tatbegehung - namentlich unter Ausnutzung der Möglichkeiten des Internets - andererseits, besteht in Verfahren, bei denen massenweise und gleichförmig begangene Vermögensdelikte zur Anklage kommen, das praktische Bedürfnis, die Hauptverhandlung von der zeitaufwändigen Verlesung der Aufstellung der einzelnen Taten zu entlasten (so ausdrücklich der 3. Strafsenat im Antwortbeschluss vom 17. November 2009 - 3 ARs 16/09 - unter Hinweis auf die Anm. vom Wilhelm NStZ 2007, 358 zur Entscheidung des LG Mühlhausen NStZ aaO; vgl. insoweit auch die Fallschilderung von Müller NJW 2009, 3745, 3746). Dem Senat ist darüber hinaus zum Beispiel ein Verfahren bekannt, in dem der zu verlesende Anklagesatz auf der Grundlage des Urteils des 2. Strafsenats einen Umfang von knapp 6.000 Seiten hätte. Die insoweit erforderliche Verlesung würde mehrere Verhandlungstage in Anspruch nehmen, was eine erhebliche Beeinträchtigung der Ressourcen der Justiz sowie der weiteren Verfahrensbeteiligten mit sich bringen würde. Dem kann nach Auffassung des Senats mit einer sinnhaften Auslegung von § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO nach Maßgabe der Vorlagefrage begegnet werden. b) Entgegen der Zweifel, die der 3. Strafsenat in seinem Antwortbeschluss geäußert hat und entgegen der Rechtsauffassung von Teilen des 2. Strafsenats, die eine konzentrierte Fassung des konkreten Anklagesatzes nicht mit den Vorschriften des § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO für vereinbar erachten (2. Strafsenat, Beschl. vom 25. November 2009 - 2 ARs 445/09 - dort Rdn. 8 ff.), ist die Auffassung des Senats zwanglos sowohl mit Wortlaut als auch mit Sinn und Zweck der einschlägigen Vorschriften in Einklang zu bringen, die der Gesetzgeber bei der Neufassung von § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO im Blick hatte (nachfolgend aa). Es bedarf daher weder einer Gesetzesänderung, noch ist - wie andere Teile des 2. Strafsenats erwägen (Beschl. vom 25. November 2009 - 2 ARs 445/09 - dort Rdn. 12) - eine entsprechende Anwendung des § 249 Abs. 2 StPO erforderlich. Vielmehr wird die Auffassung des Senats den Funktionen, die der Fassung des Anklagesatzes und dessen Verlesung im Strafverfahren zukommt, gerecht (nachfolgend bb). aa) § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO und § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO in ihrer heutigen Fassung gehen zurück auf das Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 19. Dezember 1964 (BGBl. I 1067). Mit diesem wurde § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO dahingehend geändert, dass die Verlesung des Eröffnungsbeschlusses, in dem nach der Neufassung des Gesetzes nur noch über die Zulassung der Anklage zu entscheiden ist, durch die Verlesung des Anklagesatzes ersetzt wurde. Gleichzeitig wurde § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO neugefasst. An Stelle der bisherigen Formulierung, wonach „die dem Angeschuldigten zur Last gelegte Tat unter Hervorhebung ihrer gesetzlichen Merkmale und des anzuwendenden Strafgesetzes zu bezeichnen“ war, trat die noch heute gültige Legaldefinition des Begriffes „Anklagesatz“, der sich auch in § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO wieder findet. Nach dem Willen des Gesetzgebers kommt dabei dem Anklagesatz besondere Bedeutung zu (vgl. Anlage zur Kabinettsvorlage des BMJ vom 10. Juni 1960 - 4100/1B - O - 22 872/60 - S. 76). Demgemäß forderte die damalige Kommentarliteratur im Anschluss an die Gesetzesänderung, dass die Tat als klarer Lebensvorgang so geschildert werden müsse, dass dem Leser (auch dem juristisch nicht vorgebildeten) erkennbar werde, welches Tun oder Unterlassen Gegenstand der Aburteilung sein soll (Kohlhaas in LR 22. Aufl. § 200 Anm. 4). Weiter wurde als erforderlich angesehen, dass die rechtliche Subsumtion klar und erschöpfend sein soll, was aber nicht auf Kosten der allgemeinen Verständlichkeit gehen dürfe. Namentlich im Hinblick auf die Fortsetzungstat wurde als notwendig, aber auch ausreichend angesehen, dass die Einzelakte aus der Anklageschrift zu erkennen sind, wobei es als ausreichend angesehen wurde, wenn einzelne Akte konkret bezeichnet werden und auf den Fortsetzungszusammenhang verwiesen wird (Kohlhaas aaO Anm. 5). Insoweit hatte sich die Literatur an der bereits vor der Gesetzesänderung ergangenen Rechtsprechung und Literatur orientiert, nach der nicht notwendig war, bei fortgesetzter Handlung jeden Einzelakt in individualisierter Eigenart anzugeben (vgl. OLG Oldenburg NJW 1952, 990; Schmidt Lehrkommentar zur Strafprozessordnung 1957 § 200 Erl. 10). bb) Vor diesem Hintergrund kann nicht angenommen werden, dass es der Gesetzgeber bei der Neufassung der einschlägigen Vorschriften für erforderlich erachtete, bei Serientaten sämtliche Einzeltaten in den Teil der Anklage aufzunehmen, der in der Hauptverhandlung zu verlesen ist (Anklagesatz). Vielmehr ist - auch gemessen an der Funktion und der Stellung der Verlesung des Anklagesatzes in der Hauptverhandlung - davon auszugehen, dass der zu verlesende Anklagesatz nach dem Willen des Gesetzgebers geeignet sein soll, die wesentlichen Gesichtpunkte der zur Aburteilung stehenden Lebenssachverhalte für alle Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit in einer solchen Form zu präsentieren, dass der weitere Gang der Hauptverhandlung nachvollzogen werden kann. Hierfür ist die Mitteilung aller Einzeltaten in der Verlesung weder erforderlich, noch geeignet, zumindest in den Fällen, in denen die zu verlesenden Details allein aufgrund der schlichten Menge der Information intellektuell nicht erfasst und gespeichert werden können. Der Zweck, der mit der Verlesung des Anklagesatzes nach § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO verbunden ist, gebietet vielmehr, den konkreten Anklagesatz so zu fassen, dass er bei Verlesung in der Hauptverhandlung für alle Verfahrensbeteiligte sowie die Öffentlichkeit verständlich und erfassbar ist (vgl. auch Nr. 110 Abs. 1 RiStBV, im Ansatz ebenso Britz in FS Müller, 2008, S. 107, 111 f., der zutreffend von der „Hörverständlichkeit“ des zu verlesenden Anklagesatzes spricht). Verständlichkeit und Erfassbarkeit des Inhaltes ist bei Tabellenwerken, die mehrere hundert Seiten füllen und über viele Stunden oder Tage verlesen werden, aber gerade nicht gegeben. cc) Auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs trug diesen Gesichtspunkten in der Folge Rechnung, indem sie bei der Anklage einer fortgesetzten Handlung anerkannte, dass bei ausreichender Konkretisierung eines Lebenssachverhaltes innerhalb der gesamten Anklage nicht einmal die Darstellung der Einzelakte erforderlich war (BGH, Urt. vom 27. Mai 1975 - 5 StR 184/75; Urt. vom 2. Mai 1985 - 4 StR 142/85). dd) Ein solches Verständnis vom Wesen des Anklagesatzes steht auch im Einklang mit dem allgemeinen Wortsinn des Begriffes „Satz“, der eine knappe, alle wesentlichen Gesichtspunkte erfassende Schilderung des angeklagten Lebenssachverhaltes nahe legt. Mit der Neufassung des § 200 Abs. 1 Satz 1 wollte der Gesetzgeber einen zu schleppenden und zu schwer verständlichen Aufbau vermeiden. ee) In Anbetracht der in der Praxis aufgrund der bisherigen Auslegung von § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO bestehenden Probleme, die sich nicht bei der Abfassung der Anklage, sondern vielmehr bei deren Verlesung in der Hauptverhandlung stellen, reduziert sich die aufgeworfene Rechtsfrage im Ergebnis letztlich darauf, ob die Verlesung der Einzelheiten der Taten, d.h. die konkreten Tatzeitpunkte, die Tatorte, die Tatopfer und die jeweiligen Einzelschäden, im Hinblick auf die Funktionen, die dem Anklagesatz zukommen, geboten ist. Insoweit ist folgendes zu sehen: (1) Die Anklage dient zunächst dazu, die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen. Es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll (Umgrenzungsfunktion, vgl. BGHSt 40, 390, 392). Dieser Umgrenzungsfunktion wird die Anklage, die in der nach Auffassung des Senats gebotenen Art und Weise abgefasst (oben 1. b) ist, gerecht. Durch die Angabe der Zahl der Einzeltaten, die in einem umgrenzten Tatzeitraum begangen wurden und die zudem in den Tabellen der Einzeltaten konkretisiert werden, ist eine hinreichende Individualisierung der Taten gegeben. Für die Beteiligten des konkreten Verfahrens bleibt bei einer solchen Vorgehensweise nicht unklar, welche Einzeltaten nach dem Willen der Staatsanwaltschaft zur Aburteilung stehen. Auch in anderen Verfahren, in denen der Umfang der angeklagten Taten im Hinblick auf Fragen des Strafklageverbrauchs o.ä. bedeutsam sein könnte, kann zweifelsfrei festgestellt werden, welche Einzeltaten von der Anklage umfasst sind. In diesem Sinn machen die Revisionen im vorliegenden Verfahren auch zu Recht kein Verfahrenshindernis geltend, das gegeben wäre, wenn die vorliegende Anklage nicht der Umgrenzungsfunktion entsprechen würde. Auch der 2. Strafsenat erachtete in der Entscheidung, von der abgewichen werden soll, die Umgrenzungsfunktion noch als hinreichend gewahrt. Den durchgreifenden Rechtsfehler erkennt der 2. Strafsenat vielmehr darin, dass der Informationsfunktion der Anklage nicht entsprochen wurde, da die Einzelheiten, die die dem Angeklagten zur Last gelegten Taten konkretisieren, nicht nach § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO in der Hauptverhandlung verlesen wurden (2. Strafsenat, Urt. vom 28. April 2006 - 2 StR 174/05 - Rdn. 7). (2) Entscheidend ist daher, ob im Hinblick auf die Informationsfunktion der Anklage über die Verlesung des Anklagesatzes hinaus, in dem neben der Schilderung der gleichartigen Tatausführung, die die Merkmale des jeweiligen Straftatbestandes erfüllt, die Gesamtzahl der Taten, der Tatzeitraum sowie der Gesamtschaden bezeichnet werden, die Verlesung der Einzelheiten der Taten, d.h. die konkreten Tatzeitpunkte, die Tatorte, die Tatopfer und die jeweiligen Einzelschäden, geboten ist. Dies ist nach der Auffassung des Senats zu verneinen. Im Hinblick auf die Informationsfunktion kommt der Anklage die Aufgabe zu, den Angeklagten und die übrigen Verfahrensbeteiligten über weitere Einzelheiten des Vorwurfs zu unterrichten, um ihnen Gelegenheit zu geben, ihr Prozessverhalten auf den mit der Anklage erhobenen Vorwurf einzustellen (vgl. BGHSt 40, 44, 47 f.). (a) Der Informationsfunktion gegenüber dem Angeklagten entspricht das Gesetz dabei zunächst insoweit, als die Anklageschrift dem Angeschuldigten nach § 201 Abs. 1 StPO zugestellt wird. Bereits dadurch soll die umfassende und zuverlässige Unterrichtung des Angeschuldigten gewährleistet werden, um ihm rechtliches Gehör bereits vor der Eröffnung des Hauptverfahrens und die Möglichkeit zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu geben (vgl. Schneider in KK 6. Aufl. § 201 Rdn. 1 m.w.N.). Diese, die Informationsfunktion gegenüber dem Angeklagten prägenden Gesichtspunkte, werden durch die Abfassung der Anklage in der vorliegenden Art und Weise aber nicht beeinträchtigt, da dem Angeklagten die gesamte Anklage zugestellt wird. Insoweit ist auch - verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG NStZ 2004, 214) - anerkannt, dass die Übersetzung der Anklage in der Hauptverhandlung nicht erforderlich ist, wenn dem des Lesens Kundigen eine schriftliche Übersetzung überlassen wird (Schneider in KK 6. Aufl. § 243 Rdn. 21, Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 243 Rdn. 13). Soweit darüber hinaus dem Angeklagten in der Hauptverhandlung durch die Verlesung nochmals die gegen ihn erhobenen Vorwürfe verdeutlicht werden sollen, wird diesem Zweck durch die Verlesung (und ggfs. Übersetzung) der- quasi vor die Klammer gezogenen - Kernvorwürfe ausreichend Rechnung getragen. Eine Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten ist hierin nicht zu sehen. (b) Auch gegenüber den weiteren Verfahrensbeteiligten, die die gesamte Anklage ausgehändigt erhalten, wird der Informationsfunktion durch die Überlassung der Anklage entsprochen. Der Fassung des zu verlesenden Anklagesatzes kommt daher im Hinblick auf die Informationsfunktion nur noch insoweit Bedeutung zu, als die Schöffen über den Verfahrensgegenstand informiert werden. Daneben tritt die Information der Öffentlichkeit. Insoweit ist die relevante Problematik weiter darauf einzugrenzen, ob durch die Verlesung eines unüberschaubaren Anklagesatzes, der auch die Tateinzelheiten in Tabellen umfasst, der Information der Schöffen und der Öffentlichkeit besser entsprochen werden kann. Dies ist im Hinblick auf die eingeschränkte Verständlichkeit und Erfassbarkeit der in Rede stehenden Tabellenwerke zu verneinen. (aa) Die Schöffen sollen durch die Verlesung des Anklagesatzes mit dem Gegenstand der Verhandlung und mit den Grenzen, in denen sich diese und die Urteilsfindung zu bewegen hat, bekannt gemacht werden. Sie sollen so über den erhobenen Tatvorwurf informiert werden, dass sie ihr Amt ausüben können. An diesen Funktionen gemessen ist der Informationswert einer gruppierten Darstellung gegenüber der bloß chronologischen Auflistung der Einzeltaten weitaus höher. Die für die Beurteilung der Sachverhalte maßgeblichen Gesichtspunkte können von allen Verfahrensbeteiligten schneller erfasst und bewertet werden. Demgegenüber bringt die stunden- oder tagelange Verlesung (vgl. oben II. 2. a) hunderter, zuweilen tausender von Datensätzen, bei dem die Aufmerksamkeit der Verfahrensbeteiligten und der Öffentlichkeit regelmäßig rasch erlahmt, keinen weitergehenden Erkenntnisgewinn. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die Einzeltaten im Laufe der Hauptverhandlung ohnehin im Detail eingeführt werden müssen. Bereits dadurch ist ausgeschlossen, dass die Schöffen bei der Urteilsfindung nicht über die Tateinzelheiten informiert sind. Daneben können die - nicht zu verlesenden - Tabellenwerke den Schöffen ausgehändigt werden (s.a. Krehl NStZ 2008, 525, 526), ohne dass dies freilich für eine hinreichende Anklageverlesung i.S.v. § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO erforderlich wäre. So kann den Schöffen das Nachvollziehen der einzelnen Feststellungen in der Hauptverhandlung erleichtert werden. Die Aushändigung des Anklagesatzes wird grundsätzlich als zulässig angesehen (vgl. Häger in GedSchr. für Karlheinz Meyer, 1990, S. 171, 172 ff.; Schneider in KK 6. Aufl. § 243 Rdn. 21; Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 243 Rdn. 13) und auch seitens des 2. Strafsenats im Antwortbeschluss befürwortet. Sie widerspricht auch nicht dem Grundsatz des fairen Verfahrens (EGMR NJW 2009, 2871, 2873). Durch die Aushändigung der gesamten Anklage einschließlich der Tabellen mit den Einzeltaten wird den Schöffen ermöglicht, der weiteren Hauptverhandlung - namentlich der Beweisaufnahme - anhand der schriftlich vorliegenden Anklage zu folgen. Jeweils dann, wenn der Gang der Hauptverhandlung dies erforderlich macht, kann der Schöffe auf die maßgeblichen Punkte zurückgreifen. Gerade dann wird er auch die Einzelheiten des konkret nachzuweisenden Falles am besten erfassen können. Deshalb ist - orientiert an den Zwecken, die der Anklage zukommen - die Auffassung des Senats auch vorzugswürdig gegenüber einer Einführung der Anklage in entsprechender Anwendung des § 249 Abs. 2 StPO, wie sie ein Teil des 2. Strafsenats befürwortet (2. Strafsenat, Beschl. vom 25. November 2009 - 2 ARs 445/09 - dort Rdn. 12). Denn die Einführung der Anklage in entsprechender Anwendung des § 249 Abs. 2 StPO müsste - den Vorgaben des § 243 Abs. 3 StPO folgend - vor Eintritt in die Beweisaufnahme erfolgen. Zu diesem Zeitpunkt bestehen indes die nämlichen Bedenken im Hinblick auf die intellektuelle Erfassbarkeit der Einzeldaten der Taten, wie sie im Hinblick auf die Verlesung des gesamten Anklagesatzes bestehen. Der eigentliche Erkenntnisgewinn kommt den Daten der Einzeltaten erst dann zu, wenn diese Gegenstand der Beweisaufnahme sind. (bb) Auch die Öffentlichkeit wird durch die Verlesung des konkreten Anklagesatzes, wie er nach Auffassung des Senats gefasst sein kann, hinreichend informiert. Eine Bekanntgabe der Daten, die die Einzelfälle konkretisieren, ist demgegenüber nicht erforderlich (so wohl auch Krehl aaO). Denn Zweck des Öffentlichkeitsprinzips ist einerseits die Kontrolle des Verfahrensgangs durch die Allgemeinheit. Daneben dient sie dem Informationsinteresse des Publikums sowie spezial- und generalpräventiven Zwecken (vgl. Diemer in KK 6. Aufl. GVG § 169 Rdn. 2). Diese Zwecke werden aber auch gewahrt, ohne dass eine dem Formalismus, nicht mehr aber dem eigentlichen Sinn der Vorschriften Rechnung tragende langatmige Verlesung des Anklagesatzes erfolgt, die allenfalls dessen akustische Wahrnehmung, nicht aber seine Aufnahme oder ein intellektuelles Verarbeiten durch die Zuhörer bewirkt. Zudem ist auch an dieser Stelle zu berücksichtigen, dass die Einzeltaten im Laufe der Hauptverhandlung ohnehin im Detail eingeführt werden müssen. Auch die Öffentlichkeit wird dadurch hinreichend über die weiteren Tateinzelheiten informiert. Daher erweist sich auch im Hinblick auf die Information der Öffentlichkeit eine Einführung der Anklage in entsprechender Anwendung des § 249 Abs. 2 StPO gerade nicht als die geeignetere Verfahrensweise. Die vollständige Ersetzung der Verlesung würde dazu führen, dass jegliche Information der Öffentlichkeit über den Verfahrensgegenstand entfiele. Sollte nur die Verlesung der Einzeldaten ersetzt werden, ergäbe sich kein weitergehender Erkenntnisgewinn. c) Nach Auffassung des Senats bestehen daher weder im Hinblick auf den Wortlaut des Gesetzes noch auf den Zweck, den das Gesetz mit der Fassung und der Verlesung des Anklagesatzes verfolgt, Bedenken gegen die vom Senat vertretene Auslegung von § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO. Vor diesem Hintergrund ist - entgegen der Vorbehalte des 3. Strafsenats (Beschl. vom 17. November 2009 - 3 ARs 16/09 - Rdn. 7) - eine sinnhafte Auslegung auch möglich, so dass es einer Gesetzesänderung nicht bedarf. Darüber hinaus erachtet der Senat auch die weiteren Gesichtspunkte, die der 2. Strafsenat in seinem Antwortbeschluss vom 25. November 2009 und der 3. Strafsenat in seinem Antwortbeschluss vom 17. November 2009 anführen, nicht als durchschlagend: aa) Soweit in den Antwortbeschlüssen das im Anfragebeschluss angeführte Abgrenzungskriterium der „zahlreichen“ Vermögensdelikte als zu unbestimmt erachtet wird, kann dem nach Auffassung des Senats dadurch begegnet werden, dass in Anlehnung an § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 2 StGB; § 267 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 StGB; § 306b Abs. 1 Alt. 2 StGB; § 330 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB auf eine große Zahl von Vermögensdelikten abgestellt wird. Diese wird ab 20 Taten gegeben sein (vgl. Fischer StGB 57. Aufl. § 267 Rdn. 40; § 330 Rdn. 8). Werden insoweit bereits im materiellen Strafrecht keine Bedenken gegen die hinreichende Bestimmtheit der dortigen Tatbestandsmerkmale erhoben, können nach Auffassung des Senats auch keine weitergehenden Bedenken gegen die Bestimmtheit der für die in strafprozessualer Hinsicht erforderlichen Voraussetzungen bestehen. Die Anforderungen an den Begriff der „großen Zahl“ kann daher durch die Rechtsprechung hinreichend konkretisiert werden. bb) Auch der als weiteres Abgrenzungsmerkmal aufgenommene Begriff des „einheitlichen modus operandi“ ist nach Auffassung des Senats hinreichend bestimmt, um in der Praxis eine sachgerechte Handhabung zu ermöglichen. Denn ein einheitlicher modus operandi ist nur dann gegeben, wenn die vom Senat für erforderlich erachtete Gruppierung möglich ist. Nur dann, wenn für die große Zahl von Taten eine allgemeingültige Beschreibung der Tatbegehung, die quasi vor die Klammer gezogen wird, erfolgen kann, ist eine Konkretisierung des Anklagesatzes einerseits möglich und andererseits auch sinnvoll. cc) Durch das Erfordernis der Gruppierungsmöglichkeit aufgrund eines einheitlichen modus operandi ist zuletzt nach Auffassung des Senats auch den seitens des 2. Strafsenats gehegten Befürchtungen, dass die Aufstellungen der Einzeltaten in tabellarischer Form besonders fehleranfällig seien, hinreichend begegnet. Ohnehin ist für die Frage, welchen Umfang der nach § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO zu verlesende Anklagesatz im Hinblick auf die Informationsfunktion aufweisen muss, die Frage der Fehleranfälligkeit des Erstellens von Tabellen ohne Belang. Allenfalls für die Frage, ob Einzeltaten überhaupt in der Anklage tabellarisch erfasst werden dürfen, kann die Fehlerhaftigkeit eines solchen Vorgehens von Bedeutung sein. Dessen ungeachtet ist aber gerade dadurch, dass die Gruppierung der einzelnen Taten einerseits dazu zwingt, die Besonderheiten des Einzelfalles genauer in den Blick zu nehmen, andererseits aber auch die Möglichkeit schafft, die für mehrere Taten übereinstimmenden Gesichtspunkte herauszustellen, eine sachgerechte tatsächliche und rechtliche Erfassung des Einzelfalles möglich. Nack                            Wahl                               Rothfuß Jäger                            Sander
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059120
BGH
5. Strafsenat
20100310
5 StR 503/09
Urteil
§ 6 Abs 1 Nr 2 StrEG, § 126a StPO
vorgehend LG Görlitz, 25. Februar 2009, Az: 230 Js 11469/08 - 2 KLs, Urteil
DEU
Verfolgungsentschädigung für einstweilige Unterbringung eines schuldunfähigen Straftäters: Maß des vom Betroffenen erlittenen Sonderopfers
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 25. Februar 2009 werden verworfen. 2. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird das angefochtene Urteil im Ausspruch über die Entschädigungspflicht der Staatskasse für die in diesem Verfahren gegen den Beschuldigten vollzogene einstweilige Unterbringung aufgehoben; die Staatskasse ist nicht verpflichtet, den Beschuldigten für die erlittene einstweilige Unterbringung zu entschädigen. 3. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Beschuldigten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse. Die Nebenklägerin trägt die Kosten ihrer Revision. - Von Rechts wegen -
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren den Antrag auf Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) abgelehnt und dem Beschuldigten für die Zeit seiner einstweiligen Unterbringung eine Entschädigung gewährt. Die hiergegen gerichteten, auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft - vom Generalbundesanwalt nicht vertreten - und der Nebenklägerin bleiben ohne Erfolg. Indes führt die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Entschädigungsgrundentscheidung des Landgerichts zu deren Aufhebung und zum Wegfall der Entschädigungspflicht. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts führte der Beschuldigte in einer Wohnstätte für Menschen mit geistiger Behinderung mit der Nebenklägerin den Geschlechtsverkehr durch. Die Nebenklägerin war dabei wegen einer bei ihr vorliegenden Imbezillität nicht in der Lage, einen der Handlung des Beschuldigten entgegenstehenden Willen zu bilden und zu artikulieren. Der Beschuldigte seinerseits leidet an einer Einschränkung der intellektuellen Leistungsfähigkeit im Sinne des Merkmals Schwachsinn (§ 20 StGB) mit zusätzlicher besonderer Teilleistungsschwäche der sozialen Intelligenz und Kommunikation. Aufgrund dieser Einschränkungen war er nicht in der Lage, die Widerstandsunfähigkeit der Geschädigten zu erkennen, und unfähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen (§ 20 StGB). 2. Gestützt auf das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen hat das Landgericht die beantragte Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus mit der Begründung abgelehnt, dass ein symptomatischer Zusammenhang zwischen der zur Schuldunfähigkeit führenden Behinderung des Beschuldigten einerseits und der festgestellten Tat andererseits nicht vorliege. Das Fehlverhalten des Beschuldigten im Bereich der Sexualität resultiere nicht aus der festgestellten Hirnleistungseinschränkung, sondern sei situationsbedingt. Ferner vermochte das Landgericht bezogen auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung die nach § 63 StGB erforderliche Gefährlichkeitsprognose nicht zu stellen. 3. Die Ablehnung einer Unterbringungsanordnung hält rechtlicher Überprüfung stand. Die in der Anlasstat zum Ausdruck gekommene Gefährlichkeit des Täters muss als Folge der psychischen Störung erscheinen; die Störung muss mindestens wesentlich mitursächlich geworden sein (vgl. BGH NJW 1998, 2986 m.w.N.; BGHSt 27, 246, 249). Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen waren maßgebliche situationsbedingte und -gebundene Ursachen für die Anlasstat die Langeweile des Beschuldigten angesichts eines nach Verlust seiner Beschäftigung in einer Behindertenwerkstatt wenig strukturierten Heimalltags und seine von der Heimleitung geduldete intensive Befassung mit pornografischem Material mit der Folge von bis zu dreimaligem täglichem Masturbieren zur Bekämpfung dieser Langeweile. Als objektiv tatbegünstigende Rahmenbedingung trat hinzu seine Unterbringung gemeinsam mit der geistig schwerstbehinderten Nebenklägerin, die nicht in der Lage war, dem sexuellen Ansinnen des Beschuldigten einen eigenen Willen entgegenzusetzen. Es erscheint zwar gleichwohl zweifelhaft, ob dies bereits rechtfertigt, einen Zusammenhang zwischen der Störung des Beschuldigten und der Tat zu verneinen. Jedenfalls begegnet es aber keinen Bedenken, dass das Landgericht angesichts dieser besonderen Umstände eine Allgemeingefährlichkeit des Beschuldigten im Sinne einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die Begehung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten zum Zeitpunkt des tatgerichtlichen Urteils nicht angenommen hat (vgl. BGH NStZ 1986, 572; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 25). 4. Keinen Bestand haben kann die Entscheidung über die Gewährung einer Entschädigung für die Zeit der einstweiligen Unterbringung des Beschuldigten. Im Ansatz zu Recht geht das Landgericht davon aus, dass die Ablehnung der beantragten Unterbringung nach § 63 StGB einem Freispruch gleichzusetzen ist, so dass nach § 2 Abs. 1 StrEG grundsätzlich eine Entschädigungspflicht der Staatskasse für die Zeit des vorläufigen Freiheitsentzugs besteht (vgl. OLG Stuttgart NStZ-RR 2000, 190 f.). Die Norm gilt auch dann, wenn die Staatsanwaltschaft von vornherein ein Sicherungsverfahren nach §§ 413 f. StPO betreibt, ihr Ziel der Unterbringung des Beschuldigten nach § 63 StGB jedoch nicht erreicht (vgl. OLG Stuttgart aaO; OLG Hamm, Beschluss vom 26. Juli 1982 - 1 Ws 264/82). Bei der Ausübung des nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG eröffneten Ermessens ist zum einen darauf abzustellen, wie hoch der Unrechtsgehalt der rechtswidrigen Taten ist und ob durch sie der Rechtsfrieden empfindlich gestört wurde (vgl. OLG Stuttgart aaO). Das Landgericht hat insoweit angenommen, dass die festgestellte Tat zwar gewichtig sei, jedoch keine schwere Störung des Rechtsfriedens darstelle, weil sie innerhalb eines geschützten Bereichs ohne Gewalteinwirkung oder planvolles Vorgehen des Beschuldigten begangen worden sei; darüber hinaus hätten der Einrichtung zuzurechnende Strukturen die Tatbegehung begünstigt. Indes hat das Landgericht nicht genügend beachtet, dass durch die Tat eine über die Einrichtung hinausgehende Störung des Rechtsfriedens eingetreten ist: Die Geschädigte und andere geistig behinderte Personen sind der Einrichtung auch zu ihrem Schutz gerade vor Übergriffen anvertraut, wie sie der Beschuldigte vorgenommen hat. Die Tat hat damit das Vertrauen in die Schutzfunktion der Wohnstätte empfindlich gestört. Zum anderen ist bei der Ausübung des Ermessens nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG das Maß des Sonderopfers zu betrachten, das der Betroffene durch die Strafverfolgungsmaßnahme zu erleiden hatte. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Beschuldigte bereits vor seiner einstweiligen Unterbringung seit mehreren Jahren unter Betreuung stand und in einem Heim lebte. Dies relativiert seine zusätzliche Belastung durch die Maßnahme nach § 126a StPO ebenso wie der Umstand, dass die Unterbringung im Hinblick auf seine Störung nicht etwa von vornherein unangemessen war und seine fachkundige Betreuung gewährleistete. Dies zeigte sich auch darin, dass er nach Beendigung seiner einstweiligen Unterbringung „auf freiwilliger Basis bzw. aufgrund ärztlicher Einweisung“ (UA S. 6) in dem Krankenhaus verblieb. Ob ohne die fühlbare staatliche Reaktion auf das deliktische Verhalten des Beschuldigten eine Verneinung der Voraussetzungen des § 63 StGB möglich gewesen wäre, erscheint schließlich zweifelhaft. Basdorf                               Brause                              Schneider König                                 Bellay
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059121
BGH
3. Strafsenat
20100218
3 StR 568/09
Urteil
§ 66 Abs 1 Nr 3 StGB, § 223 StGB
vorgehend LG Düsseldorf, 12. August 2009, Az: 12 KLs 32/09 - 110 Js 2034/08, Urteil
DEU
Unterbringung in der Sicherungsverwahrung: Prüfung des verbrecherischen Hangs des Täters; Körperverletzung als Symptomtat
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 12. August 2009 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Von Rechts wegen
Das Landgericht hatte den Angeklagten in einem ersten Urteil wegen Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Bedrohung zu einer "Freiheitsstrafe" von drei Jahren und sechs Monaten (Einzelstrafen von zwei Jahren sowie zwei Jahren und sechs Monaten) verurteilt sowie die Sicherungsverwahrung angeordnet. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten war nur insoweit erfolgreich, als der Senat das Urteil im Strafausspruch dahin berichtigt hat, dass der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt war, und im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen wegen fehlender Erörterungen zu einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen hat. Nunmehr hat das Landgericht sowohl die Maßregel nach § 64 StGB als auch die nach § 66 Abs. 1 StGB angeordnet und bestimmt, dass die Unterbringung in der Entziehungsanstalt zuerst zu vollziehen ist. Die Revision des Angeklagten richtet sich mit einer Verfahrensrüge sowie mit sachlichrechtlichen Beanstandungen allein gegen die Anordnung der Sicherungsverwahrung. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg. 1. Die Beschränkung der Revision auf die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist nicht wirksam. Zwischen ihr und der durch den Beschwerdeführer vom Revisionsangriff ausgenommenen Maßregel nach § 64 StGB besteht hier ein nicht trennbarer Zusammenhang. 2. Die Rüge, das Landgericht habe fehlerhaft einen Antrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens abgelehnt, versagt. Das Gutachten sollte beweisen, dass die Handlungen des Angeklagten bei dem Opfer der beiden Körperverletzungen "keine schweren seelischen oder körperlichen Schäden herbeigeführt haben und hierzu auch nicht geeignet waren". Zutreffend hat das Landgericht den Antrag zurückgewiesen. Soweit in der Beweisbehauptung ein Tatsachenkern über den Umfang und die Auswirkungen der Körperverletzungen zu finden ist, stehen einer Beweisaufnahme die bindenden Feststellungen zum Schuld- und Strafausspruch entgegen. Soweit der Antrag auf eine Wertung der Verletzungen, naheliegend auf eine Subsumtion der Taten unter solche im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB abzielt, handelt es sich nicht um eine Tatsache, sondern um eine rechtliche Einordnung, die das Gericht in eigener Verantwortung zu treffen hat. 3. Die Unterbringung des Angeklagten in der Entziehungsanstalt hält rechtlicher Nachprüfung stand. Zwar hat das Landgericht die bei der Verhängung von Freiheitsstrafen von mehr als drei Jahren nach § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB vorgesehene Entscheidung über einen teilweisen Vollzug der Strafe vor der Maßregel unterlassen. Indes hat der Beschwerdeführer, der sich in dieser Sache seit dem 16. März 2008 in Haft befindet, inzwischen mehr als die Hälfte der erkannten Freiheitsstrafe verbüßt, so dass die Entscheidung über einen Vorwegvollzug nunmehr unterbleiben muss (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 233). 4. Frei von rechtlichen Bedenken ist - entgegen der Ansicht der Revision und des Generalbundesanwalts - auch die Annahme des Landgerichts, bei dem Angeklagten sei ein Hang gegeben zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, und er sei deshalb für die Allgemeinheit gefährlich (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Das Landgericht ist zutreffend von Folgendem ausgegangen: Was unter "erheblichen" Straftaten zu verstehen ist, kann nicht allgemein gesagt werden. Der Hinweis in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB auf Taten mit schweren körperlichen oder seelischen Schädigungen der Opfer (sowie - was hier nicht in Rede steht - mit schweren wirtschaftlichen Schäden) stellt keine abschließende Regelung dar. Vielmehr kann sich jenseits dieser Beispielsfälle die Erheblichkeit auch aus anderen Umständen ergeben. Entscheidend ist, ob der Täter als für die Allgemeinheit gefährlich erscheint, weil von ihm Straftaten zu erwarten sind, die den Rechtsfrieden empfindlich stören (st. Rspr.; BGHSt 24, 153, 154 f.; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Erheblichkeit 3, 6; BGH NStZ 1986, 165). Die Beurteilung, ob die Anlasstat und die übrigen Taten, in denen die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung gefunden werden, in diesem Sinne "erheblich" und damit symptomatisch für einen Hang sind, muss im Einzelfall aufgrund einer sorgfältigen Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten erfolgen (BGHSt 24, 153, 156). Dabei sind ggf. auch länger zurückliegende Taten zu berücksichtigen (vgl. BGH NStZ 1999, 502, 503; StV 2007, 633). Die auf dieser Grundlage getroffene Beurteilung des Landgerichts, bei der zweiten Anlasstat sei das Opfer seelisch und körperlich schwer geschädigt worden und die erste Anlasstat sei - sofern eine solche Schädigung des Opfers nicht vorliege - jedenfalls geeignet, den Rechtsfrieden in empfindlicher und schwerwiegender Weise zu stören, ist rechtsfehlerfrei. In beiden Fällen brachte der Angeklagte seinem wehrlosen Opfer jeweils mit zahlreichen Faustschlägen blutende Verletzungen im Gesicht bei. Nach der ersten Tat befand es sich in einem so schlechten Zustand, dass der Angeklagte es selbst in die stabile Seitenlage verbrachte, weil er befürchtete, es werde andernfalls an seinem Blut ersticken. Bei der zweiten Tat war das Opfer etwa acht Stunden bewusstlos und musste anschließend drei Tage lang stationär im Krankenhaus behandelt werden. Die nur wenige Tage auseinanderliegenden Taten beging der Angeklagte gut einen Monat nach seiner Entlassung aus dem Strafvollzug, wo er eine zwölfjährige Freiheitsstrafe wegen eines im Jahr 1993 begangenen Tötungsdelikts und den Rest einer neunjährigen Freiheitsstrafe u. a. wegen einer im Jahr 1985 begangenen schweren räuberischen Erpressung verbüßt hatte. Neben diesen Symptomtaten hat der Angeklagte auch durch den ebenfalls im Jahr 1985 begangenen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr seine außergewöhnliche Rücksichtslosigkeit gezeigt. Auch die übrigen Darlegungen des Landgerichts sind ohne Rechtsfehler: Sachverständig beraten hat die Strafkammer ausführlich begründet, dass es sich bei dem Angeklagten um eine dissoziale Persönlichkeit mit geringer Frustrationstoleranz und extrem hoher Aggressionsneigung handelt, die durch einen ausgeprägten Mangel an Opferempathie, an Schuldbewusstsein und an der Fähigkeit, aus den Bestrafungen zu lernen, auffällt und von der vergleichbare Taten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. Sost-Scheible                             Pfister                                 von Lienen Hubert                             Schäfer
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059123
BGH
2. Strafsenat
20100224
2 StR 509/09
Urteil
§ 66 Abs 1 Nr 3 StGB, § 66 Abs 4 S 3 StGB
vorgehend LG Mainz, 2. April 2009, Az: 3330 Js 23113/08 - 1 KLs, Urteil
DEU
Sicherungsverwahrung: Hangtäterschaft bei Augenblicks- und Gelegenheitstaten; symptomatischer Zusammenhang; Verwertung von Vortaten nach Rückfallverjährung
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Mainz vom 2. April 2009, soweit es den Angeklagten G. betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abgelehnt worden ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter "gemeinschaftlicher" schwerer räuberischer Erpressung zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision der Staatsanwaltschaft wendet sich mit der Sachrüge allein dagegen, dass die Strafkammer von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen hat. Das Rechtsmittel hat Erfolg. 1. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Revision wirksam auf die Frage der Anordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt. Denn zwischen der Strafe und der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung besteht grundsätzlich keine der Rechtsmittelbeschränkung entgegenstehende Wechselwirkung (vgl. BGH NStZ 1994, 280, 281; 2007, 212, 213). Insbesondere schließt der Senat aus, dass die verhängte Freiheitsstrafe noch niedriger ausgefallen wäre, wenn der Tatrichter die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet hätte. 2. Das Landgericht hat von der Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten mit der Begründung abgesehen, dass die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Hanges im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht sicher nachweisbar seien (UA 60); dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. a) Nach den Feststellungen begleitete der - vielfach vorbestrafte - Angeklagte den Mitangeklagten T., um die vom Geschädigten M. S. - wie beide wussten - zu Unrecht eingeforderte Summe von 5.000 € zu vereinnahmen. Diesen Betrag hatte T. wenige Tage zuvor unter Vorzeigen eines Messers von S. als Strafe gefordert, weil dieser über von der Lebensgefährtin des T. angemietete sog. Terminwohnungen schlecht geredet habe. Der Angeklagte führte einen Teleskopschlagstock aus Metall sowie zwei ausklappbare Taschenmesser mit Klingenlängen von etwa 5 bzw. 7 cm mit sich, T. ein weiteres Taschenmesser. Beider Kleidung wies sie als Angehörige der H. aus. Unmittelbar nach Übergabe des geforderten Betrags wurden sie von der zuvor vom Geschädigten verständigten, die Geldübergabe überwachenden Polizei festgenommen. b) Das Landgericht hat zur Frage der Anordnung der Sicherungsverwahrung ausgeführt, der von ihm beauftragte Sachverständige sei zu dem Ergebnis gelangt, der Angeklagte neige infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten und sei deshalb für die Allgemeinheit gefährlich: Die beim Angeklagten zu diagnostizierende dissoziale Persönlichkeitsstörung erscheine durch vergangene Erlebnisse einschließlich der erfahrenen Bestrafungen nicht änderungsfähig. Eine mögliche Rückbildung der dissozialen Dynamik bei dem Angeklagten vermöge er zwar nicht mit Sicherheit auszuschließen, sie erscheine jedoch unwahrscheinlich. Der Angeklagte habe bis zuletzt in einer kriminellen Subkultur gelebt und einen kriminogenen Lebensstil gepflegt, indem er sich nicht von den H. abgewandt habe. Er gerate immer wieder in ähnliche Konfliktsituationen und reagiere hierauf in stereotyper Weise mit delinquentem Verhalten. Nach seiner letzten Haftentlassung im Februar 2007 sei er in das kriminogene Umfeld zurückgekehrt und pflege Kontakt zum "Milieu". Die bereits seit dem Jahr 2001 bestehende Beziehung zu seiner jetzigen Ehefrau trage nicht zu einer Stabilisierung seiner Persönlichkeit bei. Dem vermochte sich die Strafkammer nicht anzuschließen. Zwar lägen die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und Abs. 3 StGB vor. Die im Jahre 1986 abgeurteilten Taten trügen jedoch "jugend- und entwicklungsspezifischen Charakter". Sowohl einer Verurteilung aus dem Jahr 1998 wegen gefährlicher Körperverletzung als auch dem jetzigen Verfahren lägen spontane Taten des Angeklagten zugrunde, bei der früheren Verurteilung sei er zudem vom damaligen Nebenkläger provoziert worden. Er habe in der sich an seine letzte Vorverurteilung durch das Landgericht Mainz vom 25. Februar 2004 anschließenden Haftzeit eine positive Entwicklung erfahren und in der JVA B. ein Antiaggressivitätstraining erfolgreich absolviert. Mit seiner jetzigen Ehefrau, die ein Tätowierstudio betreibe, verbinde ihn eine konkrete Zukunftsvorstellung. Daher vermögen die vom Angeklagten verwirklichten Straftaten eine fest eingewurzelte Neigung oder einen dauerhaften Entschluss, Straftaten zu begehen, nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu belegen (UA 70). Auch von einer Anordnung nach § 66 a StGB habe die Kammer abgesehen. c) Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil die Strafkammer nicht hinreichend bedacht hat, dass für die Annahme eines Hanges ein "dauerhafter Entschluss", Straftaten zu begehen, nicht erforderlich ist. Vielmehr kann eine entsprechende, in der Persönlichkeit liegende Neigung (vgl. BGH NStZ 2003, 201; 2005, 265 f.; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 8; Urt. v. 4. November 2009 - 2 StR 347/09) auch bei sog. Gelegenheits- und Augenblickstaten zu bejahen sein; denn auch solche Taten können Ausfluss eines inneren Hanges zu Straftaten sein. Dies ist der Fall, wenn sie ihre Ursache darin haben, dass der Täter - etwa wie hier festgestellt aufgrund einer erhöhten Aggressionsbereitschaft - dazu neigt, mit einer neuen strafbaren Handlung auf einen äußeren Tatanstoß zu reagieren (BGH NStZ 1994, 280). Selbst der Umstand, dass ein Täter seine kriminellen Handlungen völlig ungeplant begeht und sich ihm bietende Gelegenheiten spontan ausnutzt, ohne Vorbereitungen für seine Taten zu treffen, schließt einen Hang nicht aus (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 337). Im Übrigen wäre auch, was die hier abgeurteilte Anlasstat anbelangt, die Annahme einer Gelegenheitstat mit den sonstigen Urteilsgründen unvereinbar. Der Umstand, dass der Angeklagte sich mit mehreren gefährlichen Werkzeugen bewaffnet hatte, belegt, dass er keineswegs zufällig in eine ihn etwa nur überfordernde Situation geraten ist. Soweit die Strafkammer darauf verweist, die der Verurteilung durch das Landgericht Mainz vom 25. Februar 2004 zugrunde liegenden Taten seien sämtlich auf die Mitgliedschaft des Angeklagten bei den H. zurückzuführen, ist dem mit dem Generalbundesanwalt entgegenzuhalten, dass der Angeklagte unverändert - zwar nicht mehr in dem Charter M., sondern in dem Charter ... - Mitglied dieses Motorradclubs ist und der gehörte Sachverständige gerade hierin die Fortsetzung des kriminogenen Lebensstils des Angeklagten nach seiner letzten Haftentlassung erblickt hat. Der von der Strafkammer in diesem Zusammenhang hervorgehobene Umstand, dass der Angeklagte fast alle vom Landgericht Mainz abgeurteilten Straftaten mit Mitgliedern aus "seinem" Motorradclub begangen hat, spiegelt sich eindrucksvoll in dem nunmehr abgeurteilten Tatgeschehen wider. Auch die Auffassung des Landgerichts, der Angeklagte sei bei der Tat, die dem zu Recht als Symptomverurteilung im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB herangezogenen Urteil des Amtsgerichts Wiesbaden vom 25. März 1998 zugrunde lag, von dem damaligen Opfer provoziert worden, trifft nicht zu. Für eine Provokation bieten die auf UA 17 wiedergegebenen Feststellungen des Amtsgerichts keinen Anhalt. d) Soweit die Strafkammer ferner "in ihre Überlegungen auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des § 62 StGB einbezogen" hat, vermag auch dies die Nichtanordnung der Maßregel nicht zu begründen. Nachdem das Landgericht in rechtsfehlerhafter Weise bereits einen Hang abgelehnt hat, fehlt es nämlich an den erforderlichen Anknüpfungstatsachen für eine Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Hierzu sind vielmehr zusätzlich die noch zu treffenden Feststellungen zur Gefährlichkeit des Angeklagten einzubeziehen (vgl. zum Zusammenhang zwischen Hang und Gefährlichkeitsprognose BGH NStZ 2008, 27). e) Das angefochtene Urteil weist schließlich einen Erörterungsmangel auf. Das Landgericht hat der negativen Kriminalprognose des Sachverständigen unter anderem entgegen gehalten, der Angeklagte habe in der sich an die Verurteilung vom 25. Februar 2004 anschließenden Haftzeit eine positive Entwicklung erfahren; auch verfüge er über einen stabilen sozialen Empfangsraum. Insoweit besorgt der Senat, die Strafkammer habe nicht hinreichend bedacht, dass etwa das in der JVA B. absolvierte Antiaggressivitätstraining ihn von der Begehung der nunmehr abgeurteilten Tat - in laufender Bewährung - nicht hat abhalten können. Die seinen sozialen Empfangsraum prägende Beziehung zu seiner jetzigen Ehefrau besteht schon seit vielen Jahren; auch dies hat ihn von der neuen Tat sowie schon von einigen der mit der genannten Entscheidung abgeurteilten Straftaten nicht abgehalten. 3. Nach alledem muss über die Anordnung von Sicherungsverwahrung neu befunden werden. Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 4 StGB sorgfältiger als dies bisher geschehen ist festzustellen haben; insoweit verweist der Senat auf die Terminszuschrift des Generalbundesanwalts und die darin wiedergegebenen Ausführungen des Generalstaatsanwalts in Koblenz. Der neue Tatrichter wird bei der neuerlichen Prüfung, ob die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung gegeben sind, auch eingehender als bisher zu prüfen haben, ob ein symptomatischer Zusammenhang zwischen der abgeurteilten Tat und den die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung begründenden Taten besteht. Hierfür ist es nicht stets erforderlich, dass die »Symptomtaten« gleichartig sind oder das gleiche Rechtsgut verletzen. Selbst bei Straftaten, die ganz verschiedener Art sind, ist ihr Indizwert für einen schwerkriminellen Hang und für die Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit nicht ausgeschlossen; dieser bedarf lediglich besonders sorgfältiger Prüfung nach Anlass und Umständen der Tatbegehung sowie der Täterpersönlichkeit (BGH NJW 1999, 3723, 3725; BGHR § 66 Abs. 1 Hang 10). Um so weniger ist ein symptomatischer Zusammenhang ausgeschlossen, wenn sich die Straftaten wie hier die gefährlichen Körperverletzungen und die versuchte schwere räuberische Erpressung als Ausdruck der vom Sachverständigen diagnostizierten dissozialen Persönlichkeitsstörung und der damit einhergehenden Neigung zu aggressivem und gewalttätigem Ausagieren darstellen. Darüber hinaus hindert es § 66 Abs. 4 Satz 3 StGB nicht, im Rahmen der Prüfung, ob beim Angeklagten ein Hang vorliegt, alle Vorverurteilungen des Angeklagten in die erforderliche Gesamtwürdigung einzubeziehen. Der Umstand, dass Vortaten wegen Eintritts der Rückfallverjährung nicht mehr als Symptomtaten herangezogen werden können, hindert nicht ihre Verwertung als sonstiges Beweisanzeichen für die Hangtäterschaft im Rahmen der Würdigung der Persönlichkeit des Angeklagten (vgl. BGH NStZ 1999, 502, 503; 2005, 265, 266). Auch die weiteren Vorverurteilungen wegen gefährlicher Körperverletzung wird der neue Tatrichter mit dem gebührenden Gewicht in seine Erwägungen einzubeziehen haben. Rissing-van Saan                                             Fischer                                     Appl Cierniak                                         Schmitt
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059124
BGH
2. Strafsenat
20100226
2 StR 510/09
Beschluss
§ 22 StGB, § 23 StGB, § 52 StGB, § 244 Abs 1 Nr 3 StGB, § 244a StGB
vorgehend LG Köln, 3. Juli 2009, Az: 110 - 09/09 - 103 Js 18/08, Urteil
DEU
Wohnungseinbruchdiebstahl und versuchter schwerer Bandendiebstahl in Tateinheit
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 3. Juli 2009, soweit es ihn und den Mitangeklagten K. anbelangt, im Schuldspruch dahin abgeändert, dass beide Angeklagte im Fall Ziffer II.16. der Urteilsgründe des versuchten schweren Bandendiebstahls in Tateinheit mit Wohnungseinbruchdiebstahl schuldig sind. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen. 3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten A. wegen schweren Bandendiebstahls in fünf Fällen (darunter der Fall Ziffer II.16.), gewerbsmäßiger Bandenhehlerei, gewerbsmäßigen Bandenbetrugs, Wohnungseinbruchdiebstahls in zwei Fällen sowie Diebstahls in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren sowie den nicht revidierenden Mitangeklagten K. wegen Raubes, schweren Bandendiebstahls in sechs Fällen (darunter der Fall Ziffer II.16.) sowie Wohnungseinbruchdiebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge hin zu einer geringfügigen Änderung des Schuldspruchs. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der Generalbundesanwalt hat dazu ausgeführt: "Im Fall Ziffer II.16. kann die Verurteilung wegen (vollendeten) schweren Bandendiebstahls indes keinen Bestand haben. Ausweislich der Feststellungen bezog sich die Bandenabrede auf die Entwendung von hochwertigen PKW und - nach zwischenzeitlichem Umfrisieren - deren Veräußerung an gutgläubige Kunden (UA S. 22 und 38). Nachdem im Fall Ziffer II.16. der PKW nicht entwendet werden konnte, da er sich zufällig nicht am Tatort befand, ist der schwere Bandendiebstahl nicht über das Versuchsstadium hinausgelangt. Dieser steht mit dem vollendeten Wohnungseinbruchdiebstahl in Tateinheit (vgl. BGHSt 10, 230 ff.; 21, 78 ff. m.w.N.). Der Angeklagte beabsichtigte bereits beim Einsteigen in die Wohnung, dort nicht nur den KFZ-Schlüssel, sondern - außerhalb der Bandenabrede - auch andere hochwertige Gegenstände zu entwenden (vgl. Fall Ziffer II.11.). Der beantragten Schuldspruchänderung steht § 265 StPO nicht entgegen, da der umfassend geständige Angeklagte sich gegen den geänderten Schuldvorwurf nicht anders als geschehen hätte verteidigten können." Dem kann sich der Senat nicht verschließen und erstreckt die Schuldspruchänderung gemäß § 357 StPO auf den im Fall Ziffer II.16. als Mittäter tätig gewesenen nicht revidierenden Mitangeklagten K. In Übereinstimmung mit der Antragsschrift des Generalbundesanwalts, auf die insoweit Bezug genommen wird, schließt der Senat aus, dass die geringfügige Änderung des Schuldspruchs die Höhe der im Fall Ziffer II.16. für diese beiden Angeklagten verhängten Einzelstrafen sowie die Höhe der Gesamtstrafen berührt. Rissing-van Saan                                   Roggenbuck                                       Appl Cierniak                                            Schmitt
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059127
BGH
3. Strafsenat
20100112
3 StR 436/09
Beschluss
§ 244 Abs 3 StPO, § 244 Abs 4 S 1 StPO, § 244 Abs 4 S 2 StPO, § 66 StGB
vorgehend LG Lübeck, 22. Juni 2009, Az: 7 KLs 9/09 - 704 Js 11607/07, Urteil
DEU
Sicherungsverwahrung: Hang als dem Sachverständigenbeweis nicht zugänglicher Rechtsbegriff; Ablehnung des Antrags auf Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 22. Juni 2009 wird das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte wegen exhibitionistischer Handlungen (Fall II. 1. der Urteilsgründe) verurteilt worden ist. Im Umfang der Einstellung hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen einer Serie von 13 Sexualdelikten sowie wegen eines Wohnungseinbruchsdiebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und drei Monaten verurteilt, die Sicherungsverwahrung angeordnet und Entscheidungen im Adhäsionsverfahren getroffen. Die auf eine Beanstandung des Verfahrens und die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. 1. Die Verurteilung wegen exhibitionistischer Handlungen im Fall II. 1. der Urteilsgründe hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Tat ist am 5. Juli 2004 begangen worden. Sie ist mit einer Strafe bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht (§ 183 Abs. 1 StGB), die Verjährungsfrist beträgt damit drei Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB). Der Angeklagte ist erst nach seiner Festnahme Mitte Dezember 2008 als Täter ermittelt worden. Zu diesem Zeitpunkt war die Tat bereits verjährt. 2. Die Einstellung des Verfahrens führt zum Wegfall der Einzelgeldstrafe von 90 Tagessätzen. Davon sind weder die Einzelstrafen für die anderen, überwiegend gravierenden Taten noch die Gesamtstrafe berührt. 3. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Näherer Erörterung bedarf allein die erhobene Verfahrensrüge, mit der die Ablehnung eines Beweisantrags auf Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen beanstandet wird. Ihr liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Nachdem der gerichtlich bestellte Sachverständige sein Gutachten erstattet hatte, hat die Verteidigung beantragt, "hilfsweise für den Fall, dass die erkennende Kammer entgegen der Einschätzung des Sachverständigen Dr. B. zu dem Ergebnis kommt, dass bei dem Angeklagten ein Hang zu Begehung von Straftaten i. S. d. § 66 StGB vorliegt und auch die übrigen Voraussetzungen einer Sicherungsverwahrung gegeben sind, ein weiteres Sachverständigengutachten zur Frage eines Hanges des Angeklagten zu weiteren erheblichen Straftaten einzuholen." Mit dem Gutachten solle einer von zwei namentlich benannten Psychiatern beauftragt werden, die als "anerkannte Kapazitäten auf dem Gebiet der Feststellung eines 'Hanges'" überlegene Forschungs- und Erkenntnismittel erworben hätten. Durch das Gutachten seien deshalb "weitergehende und intensive Erkenntnisse" zu erwarten. Die Strafkammer hat den Antrag abgelehnt und dies damit begründet, sie habe durch die Anhörung des Sachverständigen ausreichende eigene Sachkunde erlangt. Dass der Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen sei, die Sicherungsverwahrung "könne nicht empfohlen werden", beruhe lediglich darauf, dass er der unzutreffenden Auffassung sei, ein Hang sei deshalb nicht anzunehmen, weil der Angeklagte nur einen Teil der von Habermeyer und Saß aus der Literatur (ersichtlich: Habermeyer/Saß Nervenarzt 2004, 1061, 1066 f.) zusammengestellten Kriterien erfülle und weil der Sachverständige den rechtlich verfehlten Schluss gezogen habe, die Gefährlichkeit könne deshalb nicht festgestellt werden, weil nicht sicher vorherzusagen sei, dass der Angeklagte auch nach einer Therapie rückfällig werde. Der Beschwerdeführer ist unter Berufung auf die Entscheidung des Senats BGHR StPO § 244 Abs. 4 Satz 2 Zweitgutachter 7 (3 StR 240/04) der Ansicht, der Antrag hätte "nur dann" abgelehnt werden können, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen sei. Da der frühere Gutachter einen Hang des Angeklagten indes ausdrücklich verneint habe, hätte der Beweis erhoben werden müssen. Die Rüge zeigt einen Rechtsfehler nicht auf. a) Es erscheint bereits in zweifacher Weise zweifelhaft, ob es sich vorliegend überhaupt um einen Beweisantrag handelt. Zum einen könnte es schon deshalb an einer bestimmten Beweisbehauptung fehlen, weil die Anhörung eines weiteren Sachverständigen nur "zur Frage eines Hanges des Angeklagten" beantragt worden ist. Zum anderen handelt es sich bei dem Hang im Sinne des § 66 StGB um einen Rechtsbegriff, der als solcher dem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich ist (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 2). Dass bei dem Angeklagten kein Hang vorliegt, kann allenfalls das Beweisziel sein, also die Folgerung, die das Gericht nach Auffassung des Antragstellers aus dem beantragten Sachverständigengutachten ziehen soll (vgl. Becker in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 244 Rdn. 98 - für die Behauptung, bei der Tat hätten "die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB" vorgelegen). Insofern hätte das Bestehen oder das Fehlen bestimmter tatsächlicher Umstände in der Persönlichkeit des Angeklagten oder in den Taten behauptet werden müssen. b) In jedem Fall hat das Landgericht den Antrag ohne Rechtsfehler abgelehnt. Die Revision verkennt im Ansatz, dass die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Erwiesenheit des Gegenteils der behaupteten Tatsache (§ 244 Abs. 4 Satz 2 StPO) nur ein weiterer, allein für den Sonderfall eines Antrags auf Anhörung eines weiteren Sachverständigen geltender Zurückweisungsgrund ist, der die übrigen Gründe des § 244 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 1 StPO nicht ausschließt. Die Ablehnung des Antrags unter Berufung auf die eigene Sachkunde ist dem Tatrichter deshalb möglich, auch wenn ihm diese erst durch den zunächst vernommenen Sachverständigen vermittelt worden ist und selbst dann, wenn er diesem Gutachter nicht folgen will (vgl. Becker aaO Rdn. 326 m. w. N.). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Revision zitierten Entscheidung des Senats BGHR StPO § 244 Abs. 4 Satz 2 Zweitgutachter 7. In dem dort zugrunde liegenden Fall hatte sich der Tatrichter bei der Ablehnung des Antrags auf Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen auf den Ablehnungsgrund des § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO gestützt, obwohl der erste Gutachter gerade keine Anhaltspunkte für das Bestehen eines Hangs gefunden hatte. Eigene Sachkunde hatte die Strafkammer erkennbar nicht für sich in Anspruch genommen, so dass auch ein - bei Hilfsbeweisanträgen für das Revisionsgericht mögliches - Austauschen des Ablehnungsgrunds nicht in Betracht kam. Vorliegend hat das Landgericht eigene Sachkunde, erworben aus dem ausführlichen Gutachten des gehörten Sachverständigen, in Anspruch genommen (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO) und diese in den Urteilsgründen ausreichend dargelegt. Es hat zutreffend sowohl die Delinquenzentwicklung beim Angeklagten als progredient eingeschätzt als auch für die Gefährlichkeitsprognose auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung abgestellt und dabei den Mutmaßungen des Sachverständigen zum Erfolg einer notwendigen Therapie keine rechtliche Bedeutung beigemessen. Becker                                        Pfister                                     von Lienen Hubert                                        Schäfer
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059128
BGH
3. Strafsenat
20100119
3 StR 499/09
Beschluss
§ 64 StGB, § 67 Abs 2 S 2 StGB, § 67 Abs 2 S 3 StGB, § 67 Abs 5 StGB
vorgehend LG Wuppertal, 16. Juli 2009, Az: 30 KLs 10 Js 1993/08 - 32/08, Urteil
DEU
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Teilvorwegvollzug einer Parallelstrafe aus demselben Urteil
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 16. Juli 2009 im Ausspruch über die Reihenfolge der Vollstreckung dahin geändert, dass die Vollziehung von zwei Jahren vier Monaten und zwei Wochen aus beiden verhängten Freiheitsstrafen vor der Unterbringung des Angeklagten in der Entziehungsanstalt angeordnet wird. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls mit Waffen sowie wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung von Strafen aus zwei Vorverurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt, die aufgrund einer der einbezogenen Strafen geleistete gemeinnützige Arbeit mit zwei Wochen nach § 56 f Abs. 3 StGB angerechnet, die Unterbringung nach § 64 StGB angeordnet und einen Vorwegvollzug der Strafe vor der Maßregel von einem Jahr und fünf Monaten bestimmt. Darüber hinaus hat es den Angeklagten wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit sachlichrechtlichen Beanstandungen. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht. Grundlage der Gesamtfreiheitsstrafe war unter anderem ein bewaffneter Diebstahl, dessen Beute dem heroinabhängigen Angeklagten zur Finanzierung seines Drogenkonsums dienen sollte. Den besonders schweren räuberischen Diebstahl, der Anlass zu der zweiten Freiheitsstrafe gab, beging der Angeklagte zu einem späteren Zeitpunkt, als seine Sucht bereits mit Methadon substituiert wurde. Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt als solche hält rechtlicher Überprüfung stand. Durchgreifende Bedenken bestehen auch nicht gegen die Formulierung, wegen der Begehung des besonders schweren räuberischen Diebstahls habe die Strafkammer von der Anordnung einer Unterbringung abgesehen, weil insoweit die Voraussetzungen des § 64 StGB nicht vorlägen. Das Landgericht hat damit erkennbar nur zum Ausdruck bringen wollen, dass es diese letzte abgeurteilte Tat nicht als Symptomtat angesehen hat. Die Entscheidung, dass ein Teil der verhängten Strafe vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu vollziehen sei, hält im Grundsatz sachlichrechtlicher Prüfung stand. Sie soll bei zeitigen Freiheitsstrafen von über drei Jahren getroffen werden (vgl. § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB). Umstände, die ausnahmsweise ein Absehen von der teilweisen Vorwegvollstreckung der Strafe ermöglichen würden, sind nicht erkennbar. Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht indes den teilweisen Vorwegvollzug der Strafe nur hinsichtlich der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten, nicht aber auch für die daneben ausgesprochene Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten angeordnet. Die letztgenannte Strafe ist in dem Urteil verhängt worden, in welchem das Landgericht neben einer Strafe auch eine Unterbringung nach § 64 StGB angeordnet hat. Dass wegen der Zäsurwirkung einer Vorverurteilung zwei getrennte Strafen gebildet werden mussten, ändert daran nichts. Damit ist - anders als in den Fällen der Vollstreckung mehrerer Freiheitsstrafen aus verschiedenen Urteilen (vgl. hierzu Fischer, StGB 57. Aufl. § 67 Rdn. 2 f. m. w. N.) - die Vorschrift über die Reihenfolge der Vollstreckung (§ 67 StGB) auf beide Strafen anzuwenden, sodass auch die Sollvorschrift des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB für beide Strafen einheitlich gilt. Ebenso ist die zweite ausgeurteilte Strafe auch bei der durch § 67 Abs. 2 Satz 3 StGB geregelten Bemessung des vor der Maßregel zu vollziehenden Teils der Strafe zu berücksichtigen. Dieses mit dem Wortlaut des Gesetzes in Einklang stehende Ergebnis wird auch dem Sinn von § 67 Abs. 2 Satz 3 StGB gerecht. Danach soll durch das Abstellen auf einen Zeitpunkt, zu dem gemäß § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB eine Aussetzung des Strafrests zur Bewährung nach Erledigung der Hälfte der Strafe möglich ist, ein Anreiz für die Therapie gegeben und eine Entlassung nach deren erfolgreichem Abschluss ermöglicht werden, um den Verurteilten nicht erneut in den Vollzug der Freiheitsstrafe zurückverlegen oder ihn länger als erforderlich im Maßregelvollzug belassen zu müssen. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden. Auch unter Berücksichtigung der zweiten Strafe sind keine Umstände ersichtlich, die Anlass geben könnten, von der Soll-Vorschrift des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB abzuweichen. Die für die Berechnung des Vorwegvollzugs erforderlichen Grundlagen sind sämtlich rechtsfehlerfrei festgestellt worden (vgl. BGHR StPO § 354 Abs. 1 Maßregelausspruch 1). Danach dauert die Therapie des Angeklagten voraussichtlich neun Monate. Die Summe beider Strafen beträgt sechs Jahre und drei Monate, die Hälfte hiervon sind drei Jahre, ein Monat und 2 Wochen. Somit sind zwei Jahre vier Monate und 2 Wochen Freiheitsstrafe vor der Unterbringung zu vollziehen. In diesen Vorwegvollzug ist die erlittene Untersuchungshaft einzurechnen (BGH NStZ-RR 2009, 234); Gleiches gilt für die Anrechnung nach § 56 f Abs. 3 StGB. Der teilweise Erfolg des Rechtsmittels ist nicht von einer solchen Bedeutung, dass es unbillig wäre, den Beschwerdeführer mit den Gebühren und Auslagen in vollem Umfang zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO). Becker                                      Pfister                                      von Lienen Hubert                                       Schäfer
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deutsch
BMJV
public
JURE100059129
BGH
3. Strafsenat
20100204
3 StR 564/09
Beschluss
§ 261 StPO, § 211 StGB, § 212 StGB
vorgehend LG Hildesheim, 18. September 2009, Az: 12 Ks 17 Js 7092/09, Urteil
DEU
Lückenhafte Beweiswürdigung im Strafverfahren: Möglichkeit eines alternativen Handlungsablauf
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 18. September 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg; denn die Beweiswürdigung des Landgerichts enthält eine rechtlich erhebliche Lücke. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen: Zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau Nuran C., dem späteren Tatopfer, kam es zum wiederholten Male in der Ehewohnung zu einem Streit. Der Angeklagte zog sich daraufhin in das Schlafzimmer zurück. Der gemeinsame Sohn Akin C. beschloss, mit dem Angeklagten über den Vorfall zu reden, und begab sich zu diesem. Zwischen beiden entwickelte sich eine tätliche Auseinandersetzung, bei der Akin C. dem Angeklagten durch Schläge mit einer Ketchupflasche eine Platzwunde an der Stirn beibrachte. Sodann floh Akin C. in das Kellergeschoss des Hauses. Der Angeklagte holte eine mit acht Patronen geladene Pistole aus dem Schlafzimmerschrank, um seinem Sohn damit Angst einzujagen. Er bemerkte sodann, dass dieser die Wohnung bereits verlassen hatte, und begab sich in das Badezimmer, um seine heftig blutende Wunde zu versorgen. Der schon stark erregte Angeklagte empörte sich beim Anblick seiner Verletzung noch mehr und ärgerte sich nunmehr auch über seine Ehefrau, weil er fälschlicherweise davon ausging, sie habe den Sohn auf ihn gehetzt. Daraufhin steigerte sich das ohnehin bereits vorhandene Hassgefühl gegen seine Ehefrau und er beschloss, sie mit der Pistole zu erschießen. Er verließ das Bad und traf im Wohnungsflur auf seine Ehefrau. Diese wich in das Kinderzimmer zurück. Der Angeklagte folgte ihr und schoss sieben Mal auf sie. Während des Tatgeschehens schrien der Angeklagte sowie Nuran C. laut, wobei der Angeklagte ausrief "Ich bring Dich um!". Nuran C. wurde von sechs Kugeln getroffen und verstarb trotz einer Notoperation an den Schussverletzungen. Nach der Tat warf der Angeklagte die Pistole auf das Bett im Schlafzimmer und verließ die Wohnung. 1. Die Beweiswürdigung, auf der die tatgerichtliche Überzeugung beruht, der Angeklagte habe entgegen seiner Einlassung den Tötungsentschluss bereits im Badezimmer getroffen, hält materiellrechtlicher Nachprüfung nicht stand. a) Die Würdigung der erhobenen Beweise obliegt allein dem Tatrichter; sie kann vom Revisionsgericht auf die Sachrüge nur darauf überprüft werden, ob sie Rechtsfehler aufweist (zum Maßstab revisionsrechtlicher Kontrolle vgl. im Einzelnen BGH NJW 2005, 2322, 2326). Dies ist etwa dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft ist und das Tatgericht sich insbesondere nicht mit nahe liegenden alternativen Geschehensabläufen befasst, obwohl sich dies nach dem Beweisergebnis aufdrängt. b) So liegt der Fall hier. Das Landgericht hat ausgeschlossen, dass der Angeklagte den Vorsatz, seine Ehefrau zu töten, erst dann fasste, nachdem er das Badezimmer verlassen hatte. Zur Begründung hat es lediglich darauf abgestellt, die Einlassung des Angeklagten sei widerlegt, seine Ehefrau habe ihn zu diesem Zeitpunkt mit den Worten "Ich scheiß dir in den Mund! Verrecke!" beleidigt, worauf er "schwarz gesehen" habe. Dies reicht hier nicht aus. Das Landgericht hätte aufgrund der Umstände des vorliegenden Falles auch die Möglichkeit in seine Würdigung einbeziehen müssen, dass der ohnehin stark verärgerte Angeklagte sich erst zur Tötung seiner Ehefrau entschloss, als er nach Verlassen des Badezimmers im Wohnungsflur auf diese traf, ohne dass sie den Angeklagten beleidigte. Nach den Feststellungen führte der Angeklagte die Pistole ursprünglich mit sich, um seinem Sohn zu drohen. Objektive Anhaltspunkte dafür, wann er dieses Vorhaben aufgab und den Vorsatz fasste, seine Ehefrau zu erschießen, sind den Feststellungen nicht zu entnehmen. Das Tatgeschehen im engeren Sinne weist - auch nach der Wertung des Landgerichts (s. UA S. 58) - deutliche Merkmale einer Spontantat auf. Unter diesen Umständen liegt die Möglichkeit, dass der Angeklagte auch ohne zusätzliche Provokation durch seine Ehefrau den Tötungsvorsatz erst nach Verlassen des Badezimmers fasste, jedenfalls nicht ferner als diejenige, dass er sich bereits zuvor zu ihrer Tötung entschlossen hatte. 2. Das Urteil beruht auf dem dargelegten Rechtsfehler. Nach der Würdigung des Landgerichts handelte der Angeklagte gerade deshalb heimtückisch und erfüllte damit ein Tatbestandsmerkmal des § 211 StGB, weil er den Tötungsvorsatz fasste, während er im Badezimmer verweilte. Nuran C. sei arglos und aufgrund der räumlichen Verhältnisse in der Wohnung auch wehrlos gewesen. Der Angeklagte habe diese Umstände bewusst zur Tatbegehung ausgenutzt. Als er sich vor der Tat im Badezimmer überlegt habe, seine Ehefrau zu erschießen, sei ihm klar gewesen, dass diese nicht mit einem Angriff gerechnet und, sobald der Angeklagte das Badezimmer verlassen habe, keine Fluchtmöglichkeit mehr haben werde. Ein sonstiges Mordmerkmal ist nicht festgestellt. Becker                             von Lienen                               Sost-Scheible Schäfer                                     Mayer
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059158
BGH
4. Zivilsenat
20100224
IV ZR 7/09
Urteil
Art 3 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 38 VBLSa, § 41 Abs 5 VBLSa
vorgehend OLG Karlsruhe, 16. Dezember 2008, Az: 12 U 208/08, Urteil vorgehend LG Karlsruhe, 27. Juni 2008, Az: 6 O 232/07
DEU
Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst: Wirksamkeitskontrolle für eine Ruhensregelung betreffend die Hinterbliebenenrente
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 16. Dezember 2008 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens. Streitwert: bis 5.000 € Von Rechts wegen
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die beklagte Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) ihm eine Witwerrente ohne Anwendung der Ruhensbestimmung des § 41 Abs. 5 ihrer Satzung (VBLS) gewähren müsse. 1. Die Beklagte hat die Aufgabe, Angestellten und Arbeitern der an ihr beteiligten Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes im Wege privatrechtlicher Versicherung eine zusätzliche Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenversorgung zu gewähren. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Hinterbliebenenrente ergeben sich aus § 38 VBLS. Ergänzend verweist § 41 Abs. 5 VBLS (als so genannte Ruhensbestimmung) für die Anrechnung eigenen Einkommens des rentenberechtigten Hinterbliebenen auf die für die gesetzliche Rentenversicherung geltenden Bestimmungen. Damit wird auf §§ 89 ff. SGB VI und insbesondere § 97 SGB VI verwiesen, der (u.a.) die Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten regelt. § 41 Abs. 5 in der zum 1. Januar 2001 neu gefassten Satzung der Beklagten lautete: "Für Hinterbliebene gelten die Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung über das Zusammentreffen von Rente und Einkommen entsprechend mit der Maßgabe, dass eventuelle Freibeträge sowie das Einkommen, das auf die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung angerechnet wird, unberücksichtigt bleibt." Mit Urteil vom 20. September 2006 (IV ZR 304/04 - BGHZ 169, 122) hat der Senat diese Satzungsbestimmung für unwirksam erklärt. Daraufhin einigten sich die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes am 22. Juni 2007 im Änderungstarifvertrag Nr. 4 zum Tarifvertrag Altersversorgung vom 1. März 2002 (ATV) auf eine Neufassung des § 41 Abs. 5 VBLS, welche mit Beschluss des Verwaltungsrates der Beklagten vom 23. November 2007 rückwirkend zum 1. Januar 2007 in Kraft gesetzt wurde. Diese 11. Änderung der neuen Satzung der Beklagten wurde vom Bundesministerium der Finanzen als zuständiger Aufsichtsbehörde am 14. Januar 2008 genehmigt und anschließend im Bundesanzeiger Nr. 25 vom 14. Februar 2008 veröffentlicht (BAnz 2008, 503). § 41 Abs. 5 VBLS lautet nunmehr: "Für Hinterbliebene gelten die Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung über das Zusammentreffen von Rente und Einkommen entsprechend mit folgenden Maßgaben: a) Eventuelle Freibeträge sowie das Einkommen, das auf die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung angerechnet wird, bleiben unberücksichtigt. b) Der/dem Hinterbliebenen werden mindestens 35 Prozent der ihr/ihm nach § 38 zustehenden Betriebsrente gezahlt." 2. Die am 31. März 1955 geborene frühere Ehefrau des Klägers ist am 22. Oktober 2006 verstorben. Sie war als Beschäftige im öffentlichen Dienst seit dem 1. Oktober 1978 bei der Beklagten pflichtversichert. Nach dem Tode der Versicherten setzte die Beklagte mit Schreiben vom 8. Februar 2007 die Witwerrente des Klägers für die Zeit vom 22. Oktober 2006 bis zum 31. Januar 2007 (das so genannte Sterbevierteljahr) auf monatlich 211 € fest. In der Folgezeit erbrachte sie unter Berufung auf § 41 Abs. 5 VBLS in der vom Senat beanstandeten Fassung zunächst keine Rentenzahlungen mehr. Erst nach der Neufassung der Ruhensbestimmung gewährte sie dem Kläger rückwirkend ab dem 1. Februar 2007 mit monatlich 73,85 € den Mindestbetrag von 35% der Witwerrente. Seit 1. Juli 2007 hat sich dieser Betrag auf monatlich 74,59 € erhöht. 3. Der Kläger wendet sich gegen die Anwendung des § 41 Abs. 5 VBLS, dessen frühere Fassung im Zeitpunkt des Todes seiner Frau nicht wirksam gewesen sei und dessen Neufassung jedenfalls nicht rückwirkend zum 1. Januar 2007 habe in Kraft gesetzt werden dürfen. Die Vorinstanzen haben die Klage insoweit abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch darauf, dass die Ruhensvorschrift des § 41 Abs. 5 VBLS auf seine Witwerrente nicht angewendet werde. In ihrer Neufassung, nach der den Hinterbliebenen mindestens 35% der nach § 38 VBLS ermittelten Betriebsrente erhalten blieben, sei die Satzungsbestimmung wirksam. Sie schließe es nunmehr aus, dass Hinterbliebenenrenten durch die Ruhensregelung vollständig aufgezehrt würden. Die Neuregelung beruhe auf einer Grundentscheidung der Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes und überschreite nicht deren Gestaltungsspielraum, weshalb auch der Satzungsgeber insoweit weitgehende Gestaltungsfreiheit genieße. Mit höherrangigem Recht sei § 41 Abs. 5 VBLS n.F. vereinbar. Im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG genüge die Bestimmung den Voraussetzungen, die der Senat in der Entscheidung BGHZ 169, 122 aufgestellt habe. Im Ergebnis führe die neue Ruhensregelung dazu, dass dem Hinterbliebenen ca. 20% der Rente erhalten blieben, die der verstorbene Versicherte selbst im Zeitpunkt seines Todes hätte beanspruchen können. Das entspreche im Wesentlichen der Rechtslage für die Beamtenversorgung nach § 53 BeamtVG. Eine völlige Entwertung des vom verstorbenen Ehegatten verdienten Versorgungsanspruchs werde nunmehr ausgeschlossen. Auch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und Art. 20 Abs. 3 GG würden durch die Neuregelung nicht verletzt. Schließlich sei es aus Verfassungsgründen auch nicht zu beanstanden, dass die Neufassung des § 41 Abs. 5 VBLS rückwirkend zum 1. Januar 2007 in Kraft gesetzt worden sei. Seit dem Senatsurteil vom 20. September 2006 (BGHZ 169, 122), mit dem die frühere Fassung des § 41 Abs. 5 VBLS für unwirksam erklärt worden war, hätten die Versicherten zwar auf eine verfassungskonforme, ihnen günstigere Neuregelung vertrauen können, nicht jedoch darauf, dass diese erst später - nach Einigung der Tarifvertragsparteien - in Kraft treten würde. Vielmehr habe schon mit Ablauf des Jahres 2006 kein geschütztes Vertrauen darauf bestanden, dass es nicht alsbald zur Neuregelung käme. II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand. 1. Den rechtlichen Maßstab, anhand dessen § 41 Abs. 5 VBLS in seiner ab dem 1. Januar 2007 in Kraft gesetzten Fassung von den Gerichten zu kontrollieren ist, hat das Berufungsgericht zutreffend bestimmt (vgl. dazu Senatsurteil vom 14. November 2007 - IV ZR 74/06 - BGHZ 174, 127 Tz. 28-38). Ein Vergleich von § 1 Ziffer 4 des Änderungstarifvertrages Nr. 4 vom 22. Juni 2007 mit der wortgleichen Regelung in § 41 Abs. 5 VBLS n.F. zeigt, dass die Neufassung der Ruhensbestimmung auf einer maßgeblichen Grundentscheidung der Tarifvertragsparteien beruht. Sie haben es sich im Anschluss an die Senatsentscheidung vom 20. September 2006 (BGHZ 169, 122) vorbehalten, einvernehmlich festzulegen, in welchem Umfang eine Hinterbliebenenrente dem Berechtigten trotz eigener Einkünfte erhalten und insbesondere welcher Mindestbetrag von einer Anrechnung dieser Einkünfte unberührt bleiben soll. Diese Entscheidung entspringt dem Kernbereich der von Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Tarifautonomie.Der Grundrechtsschutz ist nicht für alle koalitionsmäßigen Betätigungen gleich intensiv. Die Wirkkraft des Grundrechts nimmt vielmehr in dem Maße zu, in dem eine Materie aus Sachgründen am besten von den Tarifvertragsparteien geregelt werden kann, weil sie nach der dem Art. 9 Abs. 3 GG zugrunde liegenden Vorstellung des Verfassungsgebers die gegenseitigen Interessen angemessener zum Ausgleich bringen können als der Staat. Das gilt vor allem für die Festsetzung der Löhne und der anderen materiellen Arbeitsbedingungen (BVerfGE 94, 268, 284 f.). Auch die Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst hat Entgeltcharakter, zählt mithin im weiteren Sinne zum Bereich der Löhne und materiellen Arbeitsbedingungen. Die Gewährung (auch) einer Hinterbliebenenversorgung wiederum ist wesentlicher Teil des den über die Beklagte versicherten Beschäftigten des öffentlichen Dienstes gegebenen Leistungsversprechens. Vor diesem Hintergrund betrifft die Festlegung genereller Kriterien für die Bestimmung der Höhe von Hinterbliebenenrenten nicht lediglich einen peripheren Regelungsgegenstand, sondern einen wesentlichen Teil der Versorgungszusage. Die dieser tarifvertraglichen Vorgabe folgende Satzungsbestimmung des § 41 Abs. 5 VBLS n.F. ist deshalb der Inhaltskontrolle nach den AGB-rechtlichen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches entzogen (BGHZ 174 aaO Tz. 32 m.w.N.). Bei der Umsetzung und inhaltlichen Ausgestaltung solcher Entscheidungen der Tarifvertragsparteien genießt auch der Satzungsgeber eine weitgehende Gestaltungsfreiheit, die die Gerichte grundsätzlich zu respektieren haben (BGHZ 174 aaO m.w.N.). Insoweit wirkt der Schutz der Tarifautonomie fort, die den Tarifvertragsparteien besondere Beurteilungs-, Bewertungs- und Gestaltungsspielräume eröffnet. Da andererseits die Beklagte als Anstalt des öffentlichen Rechts (§ 1 Satz 1 VBLS) eine öffentliche Aufgabe wahrnimmt, ist die gerichtliche Kontrolle ihrer Satzungsbestimmungen nach ständiger Rechtsprechung neben der Prüfung, ob die Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft beachtet sind, jedenfalls darauf zu erstrecken, ob ein Verstoß gegen das Grundgesetz vorliegt (vgl. BGHZ 174 aaO Tz. 33 f. m.w.N.). Da die Rechtssetzung durch Tarifvertrag in Ausübung eines Grundrechts der Tarifvertragsparteien (Art. 9 Abs. 3 GG) erfolgt, es sich um eine privatautonome Gestaltung auf kollektiver Ebene handelt und dabei die auf der einzelvertraglichen Ebene bestehenden Vertragsparitätsdefizite typischerweise ausgeglichen werden, sind den Tarifvertragsparteien allerdings größere Freiheiten einzuräumen als dem Gesetzgeber. Ihre größere Sachnähe eröffnet ihnen Gestaltungsmöglichkeiten, die dem Gesetzgeber verschlossen sind (vgl. dazu BGHZ 174 aaO Tz. 36; BAGE 69, 257, 269 f. unter Hinweis auf BVerfGE 82, 126, 154). Die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Koalitionsfreiheit und die sich daraus ergebende Tarifautonomie werden durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt (vgl. u.a. BVerfGE 100, 271, 283 f.; 103, 293, 306 ff.; BAGE 99, 112, 118 ff.). Entgegenstehende, verfassungsrechtlich begründete Positionen können sich insbesondere aus den Grundrechten der beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer ergeben. Das Grundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG und die Grundrechte der vom Tarifvertrag erfassten Personen begrenzen sich mithin wechselseitig. Die Grenzen sind durch einen möglichst schonenden Ausgleich zu ermitteln, wobei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist. Diese Maßstäbe sind auch bei der Überprüfung der Satzungsregelungen der Beklagten heranzuziehen (BGHZ 174 aaO Tz. 38). 2. Gemessen daran hält die Neuregelung des § 41 Abs. 5 VBLS der gerichtlichen Kontrolle stand. a) Im Urteil vom 20. September 2006 (BGHZ 169, 122 Tz. 18, 19) hat der Senat ausgesprochen, dass die Hinterbliebenenrente in der betrieblichen Altersversorgung der Beklagten vor allem Entgeltcharakter hat und es sich deshalb mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG verbietet, sie wie eine Hinterbliebenenrente in der gesetzlichen Rentenversicherung - oder andere ausschließlich fürsorgerisch motivierte Leistungen (etwa die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - §§ 1, 2, 8 Nr. 2, 19 Abs. 2, 41 ff. SGB XII - oder die Hilfe zum Lebensunterhalt - §§ 1, 2, 8 Nr. 1, 19 Abs. 1, 27 ff. SGB XII) - durch eine Einkommensanrechnung auf Dauer vollständig zum Ruhen zu bringen und damit aufzuzehren. Auch die neue Satzung der Beklagten umfasst weiterhin Leistungen zugunsten von Hinterbliebenen (vgl. §§ 2 Abs. 1, 25 Nr. 1 c und 2 c VBLS), die als Anspruch ausgestaltet und durch Betriebstreue des Verstorbenen mit erdient worden sind (BGHZ 169 aaO, vgl. auch BAG VersR 1979, 1158, 1159). Insoweit besteht von je her ein wesentlicher Unterschied zwischen einem Privatversicherungsverhältnis und dem gesetzlichen Rentenversicherungsverhältnis (vgl. BVerfGE 70, 101, 111; 58, 81, 110; BSGE 90, 279, 280, 284; 85, 161, 170), der durch die Umstellung der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes von einer aus dem Alimentationsgedanken entwickelten betrieblichen Altersversorgung (vgl. BVerfG FamRZ 1996, 1067 zu § 65 VBLS a.F.) auf ein auf einem Punktemodell beruhendes Betriebsrentensystem eher bekräftigt als beseitigt worden ist. b) Mit der zum 1. Januar 2007 in Kraft gesetzten Neuregelung des § 41 Abs. 5 VBLS und der darin festgeschriebenen Mindestquote von 35% der nach § 38 VBLS zu ermittelnden Hinterbliebenenrente, welche dem Hinterbliebenen ungeachtet der Anrechnung eigener Einkünfte in jedem Falle verbleibt, haben die Tarifvertragsparteien - und ihnen folgend der Satzungsgeber - den vorgenannten verfassungsrechtlichen Bedenken insoweit ausreichend Rechnung getragen, als es nun nicht mehr zu einem vollständigen Aufzehren der Hinterbliebenenrente kommen kann. c) Soweit die Revision beanstandet, die verbleibende Mindestquote von 35% der Hinterbliebenenrente genüge quantitativ noch nicht den Anforderungen, die sich aus Art. 3 Abs. 1 GG ergäben, weil auch diese Kappung der Anrechnung große Teile der Rente aufzehre, ist dem nicht zu folgen. aa) Es ist im Grundsatz nicht zu beanstanden, dass die Satzung der Beklagten die Höhe der Hinterbliebenenversorgung mit Rücksicht auf eigenes Einkommen des versorgungsberechtigten Hinterbliebenen kürzt. Aus dem Umstand, dass die Hinterbliebenenversorgung vom verstorbenen Versicherten als Einkommen erdient worden ist, folgt aus Verfassungsgründen kein Anspruch des Hinterbliebenen auf eine ungekürzte Auszahlung derjenigen Rente, die dem verstorbenen Versicherten zugestanden hätte. Vielmehr ist die Beklagte als Versicherer im Rahmen der Privatautonomie zunächst frei darin, ihr Leistungsversprechen insoweit einzuschränken. Das ergibt sich schon daraus, dass auch die Hinterbliebenenrente in der Zusatzversorgung der Beklagten - insoweit vergleichbar mit der Hinterbliebenenrente in der gesetzlichen Rentenversicherung - ohne eigene Beitragsleistung des Rentenempfängers und ohne erhöhte Beitragsleistung des Versicherten gewährt wird (vgl. insoweit für die gesetzliche Rentenversicherung: BVerfGE 97, 271, 285). Aus dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG lässt sich mithin lediglich ableiten, dass wegen des Entgeltcharakters der Versicherungsleistung dem Hinterbliebenen selbst dann, wenn er über ausreichende eigene Einkünfte verfügt, ein nennenswerter Rest des vom Verstorbenen erdienten Rentenanspruchs verbleiben muss (Senatsurteile vom 27. März 1985 - IVa ZR 192/82 - VersR 1985, 759 unter 2 und BGHZ 169, 122 Tz. 18, 19). bb) Soweit sich die Tarifvertragsparteien bei der Ruhensregelung auf eine Mindesthinterbliebenenrente von 35% geeinigt haben, hält das der gerichtlichen Kontrolle stand. Insoweit haben sie - wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat - von ihrem weiten Gestaltungsspielraum in zulässiger Weise Gebrauch gemacht. Mit dem Erhalt von zumindest mehr als einem Drittel der Hinterbliebenenrente für den Rentenempfänger ist dem Gebot, dass die Rente nicht "aufgezehrt" werden dürfe, ausreichend Genüge getan (zum Begriff der "völligen Entwertung" im Rahmen des § 53 BeamtVG vgl. auch BVerwGE 120, 154, 165). Die Tarifvertragsparteien waren nicht verpflichtet, die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen (vgl. BGHZ 174, 127 Tz. 35). Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt auch nicht darin, dass sich - worauf das Berufungsurteil verweist - die Höhe der maximalen Anrechnung eigenen Einkommens im Ergebnis nicht sehr von der Regelung in § 53 Abs. 5 BeamtVG unterscheidet. Denn daraus kann nicht entnommen werden, dass sich die Tarifvertragsparteien in Verkennung der Unterschiede zwischen Beamten- und Zusatzversorgung fehlerhaft an den Vorgaben des Beamtenversorgungsrechts orientiert hätten. Vielmehr haben sie in § 41 Abs. 5 VBLS eine eigenständige Regelung getroffen. Insofern ist es auch nicht von Belang, ob - wie die Revisionserwiderung meint - die von § 53 Abs. 5 BeamtVG vorgesehenen Anrechnungsmaßstäbe für die Zusatzversorgung der Beklagten nicht unterschritten werden dürfen. Maßstab für die gerichtliche Kontrolle war hier allein, ob die Neuregelung des § 41 Abs. 5 VBLS ein vollständiges Aufzehren der Betriebsrente der Verstorbenen ausreichend vermeidet. cc) Die Neuregelung verstößt schon deshalb nicht gegen Art. 14 Abs. 1 GG, weil der Anspruch auf Hinterbliebenenrente aus der Zusatzversorgung dem Schutzbereich dieses Grundrechts nicht unterfällt (vgl. für die Hinterbliebenenversorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung BVerfGE 97, 271, 283 ff.). Zwar können zu den von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechtspositionen auch Ansprüche und Anwartschaften auf Rentenleistungen gehören, wenn es sich um vermögensrechtliche Rechtspositionen handelt, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger als privatnützig zugeordnet sind, auf dessen nicht unerheblichen Eigenleistungen beruhen und seiner Existenzsicherung dienen (BVerfG aaO m.w.N.). Es fehlt hier aber bereits an einer ausschließlichen, privatnützigen Zuordnung, denn die Hinterbliebenenleistung aus der Zusatzversicherung der Beklagten erstarkt nicht schon nach Ablauf einer Wartezeit und Eintritt des Versicherungsfalles zum Vollrecht, sondern ist von weiteren Voraussetzungen abhängig. So kann eine Witwerrente nur beansprucht werden, wenn der Versicherte im Todeszeitpunkt mit dem Anspruchsteller in gültiger Ehe gelebt hat. Der Anspruch erlischt sowohl bei Vorversterben wie auch bei Wiederheirat des Anspruchstellers. Es fehlt weiter die Anknüpfung des Rentenanspruchs an eine individuell zurechenbare Eigenleistung des Rentenberechtigten, denn ähnlich wie bei der gesetzlichen Rente wird die Hinterbliebenenrente als Element des sozialen Ausgleichs dem Rentenempfänger ohne eigene Beitragsleistung und ohne erhöhte Beitragslast für den Versicherten gewährt (BVerfGE aaO). dd) Auch aus den von der Revision ins Feld geführten europarechtlichen Vorgaben folgt nichts anderes. Dass der Europäische Gerichtshof Leistungen aus einer berufsständischen Versorgung als Entgelt im Sinne der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 (ABl. EG Nr. L 303 vom 2. Dezember 2000 S. 16 ff.) sowie der Antidiskriminierungsbestimmung in Art. 141 des EG-Vertrages eingestuft hat (EuGH, Urteil vom 1. April 2008 - C-267/06 - Slg. 2008 Seite I-01757-01816), steht nicht in Widerspruch zur Senatsrechtsprechung, welche das Verbot des Aufzehrens solcher Rentenleistungen durch Ruhensbestimmungen ebenfalls aus diesem Entgeltcharakter ableitet (BGHZ 169, 122 Tz. 17). Für die Höhe der zulässigen Kürzung einer Hinterbliebenenrente mit Blick auf eigene Einkünfte des Rentenberechtigten ergeben sich daraus jedoch keine konkreten Vorgaben. d) Die rückwirkende Inkraftsetzung der erst am 23. November 2007 vom Verwaltungsrat der Beklagten beschlossenen Neuregelung des § 41 Abs. 5 VBLS zum 1. Januar 2007 verletzt nicht das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Gebot des Vertrauensschutzes. aa) Allerdings gebietet die Rechtssicherheit als wesentliches Element der Rechtsstaatlichkeit, dass der rechtsunterworfene Bürger nicht durch die rückwirkende Beseitigung erworbener Rechte über die Verlässlichkeit einer Norm getäuscht wird. Eine verschlechternde Rückwirkung ist deshalb grundsätzlich unvereinbar mit dem insoweit gewährleisteten Vertrauensschutz. Nur in Ausnahmefällen ist eine nachträgliche Verschlechterung der Rechtslage zulässig. Die dazu vom Bundesverfassungsgericht für den Gesetzgeber entwickelten Maßstäbe (BVerfGE 18, 429, 439; 24, 75, 98) sind auch von den Tarifvertragsparteien zu beachten (BGHZ 174, 127 Tz. 53; BAG NZA 2006, 1285, 1288 m.w.N.). bb) Eine Rückwirkung von Rechtsfolgen liegt dann vor, wenn der Beginn des zeitlichen Anwendungsbereichs einer Bestimmung und der Eintritt ihrer Rechtsfolge auf einen Zeitpunkt festgelegt sind, die vor demjenigen liegt, zu dem die Bestimmung gültig geworden ist, so dass mit ihr nachträglich ändernd in einen bereits abgeschlossenen Sachverhalt eingegriffen wird (vgl. dazu BVerfGE 25, 371, 404; BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2009 - 2 C 23/07 - veröffentlicht in juris Tz. 44). Ob ein solcher abgeschlossener Sachverhalt hier bereits gegeben war, obwohl die Beklagte seit dem 1. Februar 2007 unter fortdauernder Berufung auf § 41 Abs. 5 VBLS in der vom Senat als unwirksam beanstandeten früheren Fassung keine Rentenzahlungen geleistet hat, kann offen bleiben. Denn jedenfalls ist selbst eine echte Rückwirkung der Neufassung des § 41 Abs. 5 VBLS ausnahmsweise deshalb zulässig, weil sie insoweit voraussehbar war, als die Bezieher von Hinterbliebenenrenten der Beklagten zu Beginn des Jahres 2007 bereits damit rechnen mussten (vgl. dazu BVerfGE 13, 261, 272; 15, 313, 324 f.; 18, 429, 439; 25, 371, 404), dass es zu einer Neuregelung der Ruhensbestimmung käme, die zwar den Beanstandungen des Senats aus der Entscheidung BGHZ 169, 122 Rechnung tragen, nicht aber auf eine Anrechnung eigenen Einkommens der rentenberechtigten Hinterbliebenen auf die Hinterbliebenenrenten vollständig verzichtete. Der Senat (aaO) hatte am 20. September 2006 die frühere Ruhensbestimmung des § 41 Abs. 5 VBLS lediglich deshalb für unwirksam erklärt, weil sie infolge der unbegrenzten Anrechnungsmöglichkeit dazu führen konnte, dass eine vom verstorbenen Versicherten erdiente Hinterbliebenenrente vollständig aufgezehrt wurde. Die Einkommensanrechnung als solche hatte der Senat im Grundsatz aber nicht beanstandet. Danach lag es nahe, dass die Tarifvertragsparteien und die Beklagte alsbald im Rahmen einer Neuregelung der Satzung bestrebt sein würden, diesen verfassungsrechtlichen Bedenken durch eine den Rentenempfängern zwar günstigere Anrechnung eigenen Einkommens Rechnung zu tragen, bei der es nicht mehr zur vollständigen Rentenkürzung kommen konnte. Demgegenüber sprach nichts dafür, dass die Beklagte künftig auf jegliche Anrechnung eigenen Einkommens der Hinterbliebenenrentenberechtigten verzichten würde. Insoweit hatte die Senatsentscheidung vom 20. September 2006 lediglich vorübergehend dazu geführt, dass die Satzung der Beklagten für Hinterbliebenenrenten keine wirksame Ruhensbestimmung mehr enthielt. cc) Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, bestand spätestens mit Ablauf des Jahres 2006 auch kein geschütztes Vertrauen der Rentenberechtigten mehr darauf, dass dieser vorübergehende Rechtszustand weiterhin fortbestünde. Im Falle des Klägers galt dies im Übrigen auch deshalb, weil die Beklagte die Hinterbliebenenrente nach Ablauf des Sterbevierteljahres ab dem 1. Februar 2007 unter Berufung auf die vom Senat für unwirksam erklärte Ruhensbestimmung nicht auszahlte. Ungeachtet dessen, dass dieses Verhalten zunächst nicht mehr der aktuellen Satzungslage entsprach, konnte der Kläger daraus entnehmen, dass die Beklagte plante, die Ruhensbestimmung binnen kurzer Zeit durch eine verfassungskonforme Neuregelung zu ersetzen und dabei im Grundsatz an einer Einkommensanrechnung festzuhalten. Terno                                                   Seiffert                                         Wendt Dr. Kessal-Wulf                                         Felsch
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059159
BGH
9. Zivilsenat
20100311
IX ZB 122/08
Beschluss
§ 63 InsO, § 64 InsO, § 10 InsVV, § 11 InsVV
vorgehend LG Kassel, 5. Mai 2008, Az: 3 T 399/07, Beschluss vorgehend AG Kassel, 19. April 2007, Az: 662 IN 180/06
DEU
Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters: Kürzung von Zuschlägen wegen Einsatzes eines Interimmanagers; Bestimmung der Berechnungsgrundlage
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kassel vom 5. Mai 2008 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 37.119,34 € festgesetzt.
I. Der weitere Beteiligte wurde in dem Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der Schuldnerin am 19. Dezember 2006 zum mitbestimmenden vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Das Insolvenzgericht ordnete unter anderem an, dass der Beteiligte das Unternehmen der Schuldnerin bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit der Schuldnerin fortführen sollte. Er sollte ferner Sanierungsmöglichkeiten prüfen und hierzu Verhandlungen führen sowie mit Lieferanten der Schuldnerin Vereinbarungen zur Weiterbelieferung treffen. Am 1. März 2007 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 7. März 2007 beantragte der Beteiligte, ihm für seine Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter ausgehend von einer Berechnungsgrundlage von 1.783.409,30 € eine Vergütung in Höhe von 75 % der Regelvergütung des Insolvenzverwalters zuzüglich 1.000 € Auslagen und 19 % Mehrwertsteuer festzusetzen. Das Amtsgericht hat die Vergütung nach der Korrektur eines Rechenfehlers antragsgemäß auf 57.790,73 € festgesetzt. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Landgericht die Vergütung auf 20.671,39 € herabgesetzt. Hiergegen wendet sich der Beteiligte mit der Rechtsbeschwerde. II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 7, 6, 64 Abs. 3 Satz 1 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht. 1. Das Beschwerdegericht ist von der Regelvergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters in Höhe von 25 % der Regelvergütung des Insolvenzverwalters ausgegangen und hat grundsätzlich neben anderen Zuschlägen in der Gesamthöhe von 20 % auch einen Zuschlag für die Fortführung des Unternehmens von 10 % und für Sanierungsbemühungen von 20 % für gerechtfertigt gehalten. Es hat die beiden zuletzt genannten Zuschläge jedoch um die Hälfte gekürzt, weil sich der Beteiligte durch den Einsatz eines so genannten Interims-Managers, der von der Schuldnerin bezahlt wurde, erhebliche Arbeit erspart habe, die er sonst selbst hätte erledigen müssen. Das für die Berechnung der Vergütung maßgebliche Vermögen der Schuldnerin hat das Beschwerdegericht lediglich mit 207.640,83 € angenommen. Es hat dabei Forderungen aus Lieferungen und Leistungen (548.564,74 €), das Guthaben auf einem Anderkonto (71.117,67 €), Ersatzansprüche nach § 64 Abs. 2 GmbHG (50.000 €), Anfechtungsansprüche (vom Beteiligten mit insgesamt 891.086,09 € bewertet) und Ansprüche aus Eigenkapital ersetzendem Darlehen (15.000 €) unberücksichtigt gelassen. 2. Diese Ausführungen halten in einem wesentlichen Punkt rechtlicher Nachprüfung nicht stand. a) Ohne Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde allerdings gegen die Kürzung der Zuschläge für die Unternehmensfortführung und für die Sanierungsbemühungen.Die Bemessung vorzunehmender Zu- und Abschläge ist grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters. Sie ist in der Rechtsbeschwerdeinstanz nur darauf zu überprüfen, ob sie die Gefahr der Verschiebung von Maßstäben mit sich bringt (BGH, Beschl. v. 13. November 2008 - IX ZB 141/07, ZInsO 2009, 55, 56 Rn. 8 m.w.N.; st. Rspr.). Dies ist hier nicht der Fall. Sowohl die Fortführung des Unternehmens des Schuldners als auch Bemühungen um eine Sanierung des Schuldners gehören nicht zu den Regelaufgaben eines vorläufigen Insolvenzverwalters und können deshalb einen Zuschlag rechtfertigen. Delegiert der vorläufige Insolvenzverwalter einen Teil solcher Tätigkeiten auf Dritte, die vom Schuldner vergütet werden, kann ein Zuschlag gekürzt oder gar versagt werden. Beides hat das Beschwerdegericht berücksichtigt. b) Die Kürzung der Berechnungsgrundlage um die behaupteten Ersatzansprüche nach § 64 Abs. 2 GmbHG nimmt die Rechtsbeschwerde hin. Rechtsfehler sind insoweit nicht erkennbar. c) Die vom Beteiligten behaupteten Anfechtungsansprüche und Ansprüche auf Rückzahlung Eigenkapital ersetzender Leistungen nach §§ 32b, 32a GmbHG a.F. hat das Beschwerdegericht bei der Bestimmung der Berechnungsgrundlage mit Recht außer Betracht gelassen, weil sie erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen. Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats (BGH, Beschl. v. 29. April 2004 - IX ZB 225/03, ZIP 2004, 1653, 1654). Die 2. Verordnung zur Änderung der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung vom 21. Dezember 2006 gibt keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung (BGH, Beschl. v. 18. Dezember 2008 - IX ZB 46/08, ZInsO 2009, 495, 496 Rn. 10). Ob dieses neue Recht anwendbar ist, braucht deshalb nicht entschieden zu werden. d) Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Würdigung des Beschwerdegerichts, Forderungen aus Lieferungen und Leistungen in Höhe von 548.564,74 € seien bei der Berechnungsgrundlage nicht zu berücksichtigen, weil die Schuldnerin unwidersprochen vorgetragen habe, dass diese Forderungen Gegenstand einer Globalzession seien, und der Beteiligte nicht vorgetragen habe, sich in erheblichem Umfang mit diesen Forderungen befasst zu haben (§ 11 Abs. 1 Satz 4 InsVV). Die Schuldnerin hat erstmals im Schriftsatz vom 23. August 2007 vorgetragen, die Forderungen seien aufgrund einer Globalzession eines Kreditinstituts mit Aus- oder Absonderungsrechten belastet; die in Rede stehenden Positionen könnten nur abzüglich der vom Insolvenzverwalter noch bekannt zu gebenden Aus- und Absonderungsrechte bei der Berechnungsgrundlage berücksichtigt werden. Hierauf hat der Beteiligte nicht mehr erwidert. Er hatte jedoch bereits in seinem Gutachten vom 27. Februar 2007 ausgeführt, hinsichtlich Altforderungen in Höhe von 40.000 € bestehe zwar eine Forderungsabtretung zugunsten einer Bank; diese greife jedoch nicht, weil eine Gläubigerin die Forderungsabtretung vertraglich ausgeschlossen habe. Forderungen nach Anordnung der Insolvenzverwaltung bestünden in Höhe von 508.564,74 €; diese seien vollständig einziehbar. Bei dieser Sachlage durfte das Beschwerdegericht nicht davon ausgehen, dass die Forderungen vollständig von der Globalzession erfasst sind. e) Ohne Rechtsfehler hat das Beschwerdegericht hingegen das Guthaben auf dem Anderkonto unberücksichtigt gelassen. Auch insoweit hat sich die Schuldnerin auf eine bestehende Globalzession berufen. Anders als bei den Forderungen aus Lieferungen und Leistungen hat der Beteiligte bezüglich der Position Anderkonto zu keinem Zeitpunkt Entgegenstehendes vorgetragen. 3. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat nicht möglich, da die bisher getroffenen Feststellungen eine Beurteilung, ob und in welchem Umfang Aus- oder Absonderungsrechte an den Forderungen aus Lieferungen und Leistungen bestehen, nicht erlauben. Die Sache war daher an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 ZPO). Ganter                                           Raebel                                     Kayser Gehrlein                                       Grupp
http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jb-JURE100059159&psml=bsjrsprod.psml&max=true
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JURE100059162
BGH
9. Zivilsenat
20100311
IX ZR 68/08
Beschluss
§ 203 BGB, § 212 Abs 1 Nr 1 BGB
vorgehend OLG Hamm, 26. Februar 2008, Az: 25 U 17/07, Urteil vorgehend LG Hagen (Westfalen), 21. Dezember 2006, Az: 4 O 152/06
DEU
Haftung des Steuerberaters: Hemmung der Verjährung von Regressansprüchen des Mandanten durch Verhandlungen bzw. Anerkenntnis im Finanzgerichtsverfahren
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 25. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 26. Februar 2008 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen. Der Gegenstandswert des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf 69.697,00 € festgesetzt.
Die zulässige Nichtzulassungsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO). 1. Das Berufungsgericht hat keinen von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichenden Begriff der Verhandlungen im Sinne des § 203 BGB zu Grunde gelegt und insbesondere nicht verkannt, dass Verhandlungen auch durch die Mitteilung des in Anspruch Genommenen begründet werden können, er werde die Angelegenheit seinem Haftpflichtversicherer vorlegen. Das Berufungsgericht hat vielmehr das Schreiben des Beklagten vom 28. September 2003 in der Weise ausgelegt, der Beklagte lehne die Erörterung von Regressansprüchen ab, während hieraus nicht die Erklärung entnommen werden könne, die Angelegenheit dem Haftpflichtversicherer zuzuleiten. Auf der Grundlage dieser tatrichterlichen Würdigung, gegen welche die Nichtzulassungsbeschwerde keine zulassungsrelevanten Rügen vorbringt, vermochte das Schreiben des Beklagten vom 28. September 2003 keine Verhandlungen zu begründen. Eine Hemmung der Verjährung ist auch nicht zwischen dem Aufforderungsschreiben des Klägers vom 24. August 2003, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten, und dem Antwortschreiben des Beklagten vom 28. September 2003 erfolgt. Verhandlungen im Sinne des § 203 BGB werden nicht allein dadurch begründet, dass eine Seite Ansprüche anmeldet, sofern sich nicht die Gegenseite auf einen Meinungsaustausch einlässt (Staudinger/Peters, BGB 2004 § 203 Rn. 9). Der insoweit geltend gemachte Gehörsverstoß (Art. 103 Abs. 1 GG) liegt nicht vor. 2. Die von der Nichtzulassungsbeschwerde vorgebrachte abweichende Bestimmung des Begriffs der Verhandlungen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Werkvertragsrecht von derjenigen zur Steuerberaterhaftung besteht nicht. Nach der Abschaffung der früheren Bestimmung des § 639 Abs. 2 BGB mit Wirkung zum 1. Januar 2002 kennt das Werkvertragsrecht einen Tatbestand der Verjährungshemmung wegen Maßnahmen der Mängelprüfung oder Mängelbeseitigung als solchen nicht mehr. Im Regelfall liegen jedoch in den zuvor von § 639 Abs. 2 BGB a.F. erfassten Sachverhalten Verhandlungen im Sinne des § 203 BGB vor. Hat der Unternehmer hingegen beim Besteller nicht den Eindruck erweckt, er werde sich um den Mangel kümmern, sondern vielmehr seine Einstandspflicht abgelehnt, so begründet auch die Besichtigung des Mangels durch den Unternehmer keine Verhandlungen (BGH, Urt. v. 26. Oktober 2006 - VII ZR 194/05, NJW 2007, 587 Rn. 12; v. 30. Oktober 2007 - X ZR 101/06, WM 2008, 656, 657 f Rn. 13). Hiermit steht vollumfänglich in Einklang, dass die Anfechtung eines belastenden Steuerbescheids durch den Steuerberater für sich genommen keine Verhandlungen über einen Regressanspruch im Sinne des § 203 BGB begründet, wenn der Mandant nicht aus den Äußerungen des Steuerberaters den Schluss ziehen durfte, dieser lasse sich auf Erörterungen über das Bestehen eines Regressanspruchs ein. Klärungsbedarf, welcher die Zulassung der Revision erforderte, besteht nicht. 3. Das Berufungsgericht hat das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht dadurch verletzt, dass es ohne nähere Begründung ein den Neubeginn der Verjährung auslösendes Anerkenntnis gemäß § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB verneint hat. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Gerichte das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis nehmen und würdigen, auch wenn nicht jeder Gesichtspunkt in den Urteilsgründen im Einzelnen behandelt wird (BVerfGE 86, 133, 145 f). Besondere Umstände, weshalb im vorliegenden Fall das Berufungsgericht den Standpunkt des Klägers nicht gewürdigt haben sollte, bringt die Beschwerdebegründung nicht vor. Ein Anerkenntnis erfordert ein tatsächliches Verhalten des Schuldners gegenüber dem Gläubiger, aus dem sich das Bewusstsein vom Bestehen der Forderung unzweideutig entnehmen lässt (BGHZ 58, 103, 104; 142, 172, 182). Mit der Darlegung des Beklagten gegenüber dem Finanzgericht, er habe dem Kläger die Auskunft über die Steuerfreiheit der Entschädigungszahlungen erteilt, wird über die Berechtigung eines Regressanspruchs gegen den Beklagten nichts ausgesagt. Weder gesteht der Beklagte hiermit zu, den Kläger fehlerhaft beraten zu haben, noch liegt hierin eine Aussage über die Ursächlichkeit eines unterstellten Beratungsfehlers für einen Steuerschaden. Die Annahme eines Anerkenntnisses lag deshalb sehr fern. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist. Ganter                           Raebel                             Kayser Pape                               Grupp
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059163
BGH
9. Zivilsenat
20100311
IX ZR 2/08
Beschluss
§ 280 BGB, § 1573 Abs 5 BGB vom 02.01.2002
vorgehend OLG Celle, 28. November 2007, Az: 3 U 94/07, Urteil vorgehend LG Bückeburg, 5. April 2007, Az: 2 O 246/06
DEU
Rechtsanwaltshaftung: Maßgeblichkeit der Rechtslage im Ausgangsprozess
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 28. November 2007 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 113.414,63 € festgesetzt.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft (§ 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und zulässig (§ 544 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO). Sie hat jedoch keinen Erfolg. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). 1. Das Verfahrensgrundrecht des Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist nicht verletzt. a) Es kann nicht festgestellt werden, dass das Berufungsgericht den Vortrag des Beklagten, der Ehemann der Klägerin hätte einem Vergleich mit einem höheren Abfindungsbetrag nicht zugestimmt, übergangen hätte. Die Erwägung des Berufungsgerichts, möglicherweise wäre ein Vergleich über eine laufende Unterhaltszahlung von 1.500 € zustande gekommen, kann zutreffen, auch wenn der Ehemann zu keiner höheren Abfindung bereit war. Im Übrigen beruht das Berufungsurteil nicht auf der Annahme, dass bei richtiger Beratung ein anderer Vergleich zustande gekommen wäre. b) Der Vortrag des Beklagten, die Klägerin hätte dem Vergleich so, wie er geschlossen wurde, auch bei richtiger Beratung zugestimmt, wird im Berufungsurteil wiedergegeben, aber nicht ausdrücklich erörtert. Dies erlaubt nicht den Schluss, das Berufungsgericht habe diesen Vortrag nicht zur Kenntnis genommen und erwogen. Es ist ersichtlich davon ausgegangen, dass die Klägerin bei richtiger Beratung den Vergleich so nicht geschlossen hätte. Mit den vom Beklagten für seine abweichende Ansicht angeführten Argumenten hat sich das Berufungsgericht bei der Erörterung der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts auseinandergesetzt. c) Die Behandlung des Vermögens der Klägerin auf einem Depot in der Schweiz lässt ebenfalls keine Gehörsverletzung erkennen. Wesentlichen Vortrag des Beklagten, den das Berufungsgericht dabei übergangen hätte, zeigt die Beschwerde nicht auf. d) Die Annahme eines Unterhaltsbedarfs der Klägerin von 1.800 € belegt nicht, dass das Berufungsgericht die vom Beklagten diesbezüglich vorgetragenen Einwendungen übergangen hat. Das Berufungsgericht hat sich mit diesen Einwendungen auseinandergesetzt, sie aber nicht für durchgreifend erachtet. e) Auch die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Beklagte sei verpflichtet, der Klägerin die im Zugewinnausgleichsverfahren noch entstehenden Anwaltskosten zu ersetzen, verletzt nicht den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör. Das Berufungsgericht hat den Vortrag des Beklagten zu den Gründen der Mandatsbeendigung nicht übersehen, sondern für unerheblich erachtet. 2. Das Berufungsgericht ist bei seiner Beurteilung, eine Fortführung des familiengerichtlichen Prozesses hätte für die Klägerin wahrscheinlich zu einem günstigeren Ergebnis geführt als der geschlossene Vergleich, nicht von der Rechtsprechung gleich- oder übergeordneter Gerichte abgewichen. a) Es hat nicht übersehen, dass der nach § 1573 oder § 1571 BGB Unterhaltsberechtigte grundsätzlich auch den Stamm seines Vermögen verwerten muss; es hat eine solche Pflicht der Klägerin lediglich aus Billigkeitsgründen verneint (§ 1577 Abs. 1 und 3 BGB). b) Im Regressprozess gegen einen Rechtsanwalt ist die Rechtslage maßgeblich, welche zum Zeitpunkt der hypothetischen Entscheidung im Ausgangsprozess anzuwenden gewesen wäre (BGHZ 145, 256, 261, 263; BGH, Urt. v. 27. März 2003 - IX ZR 399/99, WM 2003, 1146, 1150). Bei seinen Ausführungen zu einer Befristung des Unterhaltsanspruchs brauchte das Berufungsgericht deshalb die Rechtsänderung zum 1. Januar 2008 nicht zu berücksichtigen. Der neue § 1578b BGB stellt im Übrigen lediglich klar, was bereits zuvor aufgrund § 1573 Abs. 5 BGB a.F. und der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung gegolten hatte (BGH, Urt. v. 18. November 2009 - XII ZR 65/09, NJW 2010, 365, 371 f Rn. 60). Weil im Regressprozess auch die höchstrichterliche Rechtsprechung nach dem Stand des Ausgangsverfahrens maßgeblich ist, kommt entgegen der Ansicht der Beschwerde auch eine Entscheidung zur Fortbildung des Rechts im Blick auf die Voraussetzungen des § 1573 Abs. 5 BGB a.F. nicht in Betracht. Ganter                                 Raebel                                   Kayser Gehrlein                                 Grupp
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059168
BGH
11. Zivilsenat
20100223
XI ZR 190/09
Urteil
§ 13 BGB, § 675a BGB, § 675d BGB, § 4 UKlaG, Art 7 Abs 1 EWGRL 13/93, Art 7 Abs 2 EWGRL 13/93
vorgehend OLG Frankfurt, 27. Mai 2009, Az: 17 U 7/09, Urteil vorgehend LG Frankfurt, 10. Dezember 2008, Az: 2/6 O 168/08
DEU
Verbraucherschutz: Anspruch einer qualifizierten Einrichtung auf Zurverfügungstellung der Preis- und Leistungsverzeichnisse eines Kreditinstituts
Die Revision gegen das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 27. Mai 2009 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen. Von Rechts wegen
Der Kläger ist ein auf bankrechtlichen Verbraucherschutz spezialisierter Verbraucherschutzverband und als qualifizierte Einrichtung gemäß § 4 UKlaG eingetragen. Die Beklagte ist eine Sparkasse. Der Kläger nimmt die Beklagte darauf in Anspruch, es bei Vermeidung von Ordnungsgeld und -haft zu unterlassen, Interessenten, die Verbraucher sind, die Einsichtnahme in ihr vollständiges Preis- und Leistungsverzeichnis zu verweigern, und dem Kläger auf Verlangen unentgeltlich mittels Email, Fax oder Briefpost ihr aktuelles vollständiges Preis- und Leistungsverzeichnis zur Verfügung zu stellen. Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der - vom Berufungsgericht zugelassenen - Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.
Die Revision ist teilweise unzulässig, im Übrigen unbegründet. A. Die Revision ist unzulässig, soweit mit ihr der Antrag weiterverfolgt wird, die Beklagte zu verpflichten, es bei Vermeidung von Ordnungsgeld und -haft zu unterlassen, Interessenten, die Verbraucher sind, die Einsichtnahme in ihr vollständiges Preis- und Leistungsverzeichnis zu verweigern. Hinsichtlich dieses Antrags entspricht die Revisionsbegründung nicht den Anforderungen des § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO. Der Kläger greift mit der Revision das gesamte Berufungsurteil an und verfolgt seine in der Berufungsinstanz gestellten Schlussanträge uneingeschränkt weiter. Die Revision macht damit neben dem bereits bezeichneten Anspruch von Interessenten, die Verbraucher sind, Einsicht in das Preis- und Leistungsverzeichnis zu nehmen, den Anspruch des Klägers auf Zurverfügungstellung eines Preis- und Leistungsverzeichnisses geltend. Hierbei handelt es sich um verschiedene Streitgegenstände im prozessualen Sinne (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 8. Mai 2007 - XI ZR 278/06, WM 2007, 1241, Tz. 15 ff.). Erstreckt sich die Revision auf mehrere Streitgegenstände, muss sie in Bezug auf jeden Streitgegenstand ausreichend begründet werden (BAG NJW 2007, 3739, Tz. 32; Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl., § 551 Rn. 12; für die entsprechenden Anforderungen an eine Berufungsbegründung: BGH, Urteil vom 26. Januar 2006 - I ZR 121/03, NJW-RR 2006, 1044, Tz. 22). Im vorliegenden Fall geht der Kläger in der Revisionsbegründung jedoch auf die Abweisung des Antrags, der den Anspruch von Interessenten, die Verbraucher sind, betrifft, nicht ein. In der Revisionsbegründung wird vielmehr ausdrücklich ausgeführt, im Streit stehe, ob dem Kläger ein Anspruch auf Einsichtnahme in das Preis- und Leistungsverzeichnis der Beklagten zustehe. Allein dieser Anspruch wird näher begründet, insbesondere unter Bezugnahme auf Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. EG Nr. L 95 vom 21. April 1993, S. 29 - 34), der die Rechte von Personen und Organisationen, die - wie der Kläger - ein berechtigtes Interesse am Schutz der Verbraucher haben, betrifft. In diesen Ausführungen kann nicht zugleich eine Begründung der Revision, soweit sie sich gegen die Abweisung des ersten Antrags wendet, der Ansprüche von Interessenten, die Verbraucher sind, betrifft, gesehen werden. Dem steht entgegen, dass die beiden Anträge Ansprüche verschiedener Personen betreffen. Der Kläger, dessen Anspruch Gegenstand des zweiten Antrags ist, ist kein Verbraucher im Sinne des ersten Antrags. Er ist als eingetragener Verein eine juristische Person. Verbraucher im Sinne des § 13 BGB sind hingegen nur natürliche Personen (ebenso für den Begriff des Verbrauchers im Sinne der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. EG Nr. L 95 vom 21. April 1993, S. 29 - 34: EuGH NJW 2002, 205). Diese Regelung ist abschließend (Erman/I. Saenger, BGB, 12. Aufl., § 13 Rn. 5). Verbraucherschutzverbände wie der Kläger sind demnach keine Verbraucher (Schmidt-Räntsch in Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., § 13 Rn. 5). B. Im Übrigen, soweit der Anspruch des Klägers auf Zurverfügungstellung eines Preis- und Leistungsverzeichnisses im Streit steht, ist die Revision zulässig, aber unbegründet. I. Insoweit hat das Berufungsgericht zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte müsse gemäß § 675a BGB nur Kunden bzw. im Rahmen der Geschäftsanbahnung potentiellen Kunden Einsicht in ihr Preis- und Leistungsverzeichnis gewähren. Die Mitarbeiter des Klägers, die am 25. Juni 2007 die Geschäftsräume der Beklagten aufgesucht und sich als interessierte Besucher vorgestellt hätten, seien nicht als potentielle Kunden anzusehen, weil im Rahmen dieses Besuchs nicht von der Einrichtung eines Kontos oder der Durchführung eines anderen Bankgeschäfts die Rede gewesen, sondern ohne weiteres Einsicht in das Preis- und Leistungsverzeichnis verlangt worden sei. Das geltend gemachte Einsichtsrecht stehe dem Kläger auch nicht gemäß § 312b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 312c BGB, § 1 Abs. 1 Nr. 7 BGB-InfoV zu. Der Kläger habe nicht dargelegt, warum er sich auf Fernabsatzverträge über Finanzdienstleistungen beziehe. Zudem begründeten diese Vorschriften Informationspflichten nur gegenüber potentiellen Kunden. Auch § 12 BGB-InfoV spreche ausdrücklich von Pflichten gegenüber tatsächlichen und möglichen Kunden. Die Klageforderung sei aufgrund der genannten Vorschriften des deutschen Rechts auch dann nicht begründet, wenn diese richtlinienkonform ausgelegt würden. § 675a BGB diene der Umsetzung der Richtlinie 97/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Januar 1997 über grenzüberschreitende Überweisungen (ABl. EG Nr. L 43 vom 14. Februar 1997, S. 25 - 30). Nach Art. 3 dieser Richtlinie stellten die Institute ihren tatsächlichen und möglichen Kunden bestimmte Informationen zur Verfügung. Für eine analoge Anwendung des § 675a Abs. 1 BGB auf Verbraucherschutzverbände fehle eine vergleichbare Interessenlage. Während einem Kunden durch die Einsichtnahme in das Preis- und Leistungsverzeichnis ein Konditionenvergleich ermöglicht werden solle, wolle der Kläger das Verzeichnis darauf kontrollieren, ob einzelne Klauseln Anlass zur Beanstandung im Wege einer Abmahnung oder Unterlassungsklage gäben. Auch eine planwidrige Regelungslücke sei nicht gegeben. Die Rechte von Verbraucherschutzverbänden seien im Unterlassungsklagengesetz (UKlaG), im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und in den einschlägigen EG-Richtlinien, aber nicht im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt. Außerdem begründe das BGB Informationspflichten erst im Stadium der Aufnahme von Vertragsverhandlungen. Die vom Kläger gewünschte Rechtsfolge ergebe sich auch nicht aus einer Gesamtanalogie zu den §§ 2, 3, 13 UKlaG, § 675a BGB, Art. 7 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. EG Nr. L 95 vom 21. April 1993, S. 29 - 34), Art. 1, 2, 4, 7 der Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (ABl. EG Nr. L 166 vom 11. Juni 1998, S. 51 - 55). In § 13 UKlaG habe der Gesetzgeber den Verbraucherschutzverbänden bewusst nur ein restriktiv zu verstehendes Auskunftsrecht in Bezug auf den Namen und die zustellungsfähige Adresse bestimmter Unternehmen eingeräumt. Einen weitergehenden Auskunftsanspruch sähen weder Art. 7 der Richtlinie 93/13/EWG noch die Richtlinie 98/27/EG vor. Im Gegenteil verbiete die Richtlinie 93/13/EWG im vorletzten Absatz ihrer Erwägungsgründe eine Vorabkontrolle. Der 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 98/27/EG stelle ausdrücklich auf beanstandete Verstöße ab. Das in Art. 7 der Richtlinie 93/13/EWG vorgesehene Recht, missbräuchliche Klauseln zum Gegenstand gerichtlicher Verfahren zu machen, stehe Verbraucherschutzverbänden nach dem UKlaG zu. Eigene, von einem konkreten Verstoß gegen verbraucherschützende Vorschriften unabhängige Ermittlungs- und Auskunftsbefugnisse wolle das europäische Verbraucherschutzrecht den Verbraucherschutzverbänden nicht einräumen. Die Belastung eines Kreditinstituts mit einer Auskunftspflicht außerhalb der Anbahnung eines Geschäfts stelle einen Eingriff in die Berufsausübungs-, jedenfalls in die allgemeine Handlungsfreiheit dar, und bedürfe einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, die der deutsche Gesetzgeber nicht getroffen habe. Der Kläger sei auch ohne das geltend gemachte Auskunftsrecht nicht in der Ausübung seiner satzungsmäßigen Aufgaben beschränkt, weil ihm die zur Vorbereitung von Klagen nach dem UKlaG benötigten Informationen von Kunden der Kreditinstitute geliefert werden könnten. Die Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zu der Frage, ob Art. 7 der Richtlinie 93/13/EWG einen Auskunftsanspruch von Verbraucherschutzverbänden gegen Klauselverwender vorsehe, sei nicht veranlasst, weil ein solches Informations- und Auskunftsrecht sich der Richtlinie nicht entnehmen lasse. II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand, so dass die Revision zurückzuweisen ist. Der mit der Klage geltend gemachte Anspruch, dem Kläger auf Verlangen unentgeltlich mittels Email, Fax oder Briefpost ein aktuelles vollständiges Preis- und Leistungsverzeichnis zur Verfügung zu stellen, ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt begründet. 1. Der Kläger kann seine Forderung nicht auf § 675a BGB stützen. a) Diese Vorschrift regelt allerdings entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung in ihrer durch Art. 1 Nr. 46 des Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie, des zivilrechtlichen Teils der Zahlungsdiensterichtlinie sowie zur Neuordnung der Vorschriften über das Widerrufs- und Rückgaberecht vom 29. Juli 2009 (BGBl. S. 2355) geänderten Fassung weiterhin Informationspflichten - auch - von Kreditinstituten, soweit diese nicht zur Erbringung von Zahlungsdiensten tätig werden. Die Änderung des § 675a BGB trägt der Ersetzung der Richtlinie 97/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Januar 1997 über grenzüberschreitende Überweisungen (ABl. EG Nr. L 43 vom 14. Februar 1997, S. 25 - 30), deren Umsetzung § 675a BGB diente, durch die Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG (ABl. EU Nr. L 319 vom 5. Dezember 2007, S. 1 - 36) Rechnung. In Umsetzung der letztgenannten Richtlinie sind die Informationspflichten von Zahlungsdienstleistern nunmehr gebündelt in § 675d BGB geregelt. Die Informationspflichten gem. § 675a BGB sind deshalb, soweit sie Zahlungsdienste betrafen, aufgehoben worden (Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie, des zivilrechtlichen Teils der Zahlungsdiensterichtlinie sowie zur Neuordnung der Vorschriften über das Widerrufs- und Rückgaberecht, BT-Drucksache 16/11643, S. 98). Da § 675d BGB als Sondervorschrift nur für Zahlungsdienste (Palandt/Sprau, BGB, 69. Aufl., § 675a Rn. 2) gilt, bleibt § 675a BGB für andere Leistungen und Preise der Beklagten, auf die sich die Klage auch erstreckt, anwendbar. b) Die nach § 675a BGB geschuldete Zurverfügungstellung von Informationen besteht aber nur in der Bereithaltung der Informationen zur Kenntnisnahme, z.B. durch Aushang in den Geschäftsräumen oder Bereitstellung im Internet oder an einem Lesegerät (Staudinger/Martinek, BGB (2006), § 675a Rn. 11; MünchKomm/Heermann, BGB, 5. Aufl., § 675a Rn. 10; Palandt/Sprau, BGB, 69. Aufl., § 675a Rn. 4). Die mit der Klage begehrte Übermittlung per Email, Fax oder Briefpost an den Kläger ist daher von vornherein nicht geschuldet. c) Außerdem steht der Informationsanspruch gemäß § 675a BGB dem Kläger als Verbraucherschutzverband nicht zu.Der Wortlaut des § 675a BGB bringt zwar nicht zum Ausdruck, wer Inhaber der in dieser Vorschrift geregelten Ansprüche ist. Der Entstehungsgeschichte und dem Regelungszweck ist aber eindeutig zu entnehmen, dass der Anspruch nur Kunden und potentiellen Kunden des Auskunftspflichtigen im Rahmen der Geschäftsanbahnung zusteht. Zu diesem Personenkreis gehört der Kläger nach den rechtsfehlerfreien und von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht. aa) Nach der Begründung des Regierungsentwurfs eines Überweisungsgesetzes (BT-Drucksache 14/745, S. 15 zu § 676 E) dient §675a BGB der Umsetzung der Art. 3 bis 5 der Richtlinie 97/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Januar 1997 über grenzüberschreitende Überweisungen (ABl. EG Nr. L 43 vom 14. Februar 1997, S. 25 - 30). Art. 3 der Richtlinie sieht vor, dass Institute im Sinne der Richtlinie "ihren tatsächlichen und möglichen Kunden" bestimmte Informationen zur Verfügung stellen. Auch nach Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 sind den "Kunden" eines Instituts bestimmte Informationen zu erteilen. Nach dem achten Erwägungsgrund legt die Richtlinie im Interesse der Transparenz Mindestanforderungen für eine ausreichende "Kundeninformation" fest. bb) Bei der Umsetzung dieser Richtlinie hat der deutsche Gesetzgeber die Auskunftspflicht nicht auf Kreditinstitute beschränkt, sondern auch auf andere Anbieter von Geschäftsbesorgungsverträgen erstreckt. Er hat den in § 675a BGB geregelten individuellen Informationsanspruch aber als "Anspruch auf Geschäftsanbahnungsinformationen" verstanden (BT-Drucksache 14/745, S. 15 zu § 676 E), der demgemäß nur Personen zusteht, die in einer Geschäftsbeziehung zu einem Auskunftspflichtigen stehen oder in Erwägung ziehen, in eine solche Geschäftsbeziehung zu treten, d.h. Dienstleistungen des Auskunftspflichtigen in Anspruch zu nehmen und einen Vertrag mit ihm zu schließen. Aufgrund der Zielsetzung des § 675a BGB, Geschäftsanbahnungsinformationen zu vermitteln, steht der Anspruch nur tatsächlichen oder potentiellen Kunden oder Auftraggebern des Auskunftspflichtigen zu (Gößmann/van Look, WM 2000, SB Nr. 1, S. 16; Staudinger/Martinek, BGB (2006), § 675a Rn. 3 und 18; PWW/Fehrenbacher, BGB, 4. Aufl., § 675a Rn. 4; Erman/Graf v. Westphalen, BGB, 12. Aufl., § 675a Rn. 1: "Stadium des rechtsgeschäftlichen Kontakts"; MünchKomm/Heermann, BGB, 5. Aufl., § 675a Rn. 1: "Stadium der Geschäftsanbahnung"). Dieses Auslegungsergebnis wird dadurch bestätigt, dass der in § 675a Abs. 1 Satz 2 BGB aF in Bezug genommene Art. 239 EGBGB aF, der das Bundesministerium der Justiz ermächtigte, durch Rechtsverordnung weitere Informationspflichten für Kreditinstitute festzulegen, ausdrücklich von Angaben sprach, über die Unternehmer ihre Kunden zu unterrichten hatten. Auch die auf dieser Ermächtigungsgrundlage geschaffenen §§ 12 und 13 BGB-InfoV aF sahen Informationspflichten gegenüber tatsächlichen und möglichen Kunden (§ 12 Abs. 1 BGB-InfoV aF) vor. cc) § 675a BGB kann zugunsten von Verbraucherschutzverbänden nicht analog angewandt werden. Eine Analogie ist zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält (BGHZ 149, 165, 174 m.w.N.) und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen, wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (BGH, Urteil vom 13. März 2003 - I ZR 290/00, ZIP 2003, 1204, 1206; vgl. auch BGHZ 105, 140, 143; 110, 183, 192; 120, 239, 252). Die Lücke muss sich also aus einem unbeabsichtigten Abweichen des Gesetzgebers von seinem - dem konkreten Gesetzgebungsverfahren zugrunde liegenden - Regelungsplan ergeben (BGHZ 155, 380, 389 f.). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Eine unbeabsichtigte Regelungslücke liegt nicht vor. Der Gesetzgeber hat, wie dargelegt, in § 675a BGB einen Anspruch auf Geschäftsanbahnungsinformationen geschaffen. Entsprechend diesem Regelungszweck ist der Anspruch bewusst auf tatsächliche und potentielle Kunden des Auskunftspflichtigen begrenzt und nicht auf Personen erstreckt worden, die gar nicht in Erwägung ziehen, in eine Geschäftsbeziehung zu dem Auskunftspflichtigen zu treten und rechtsgeschäftlichen Kontakt zu ihm aufzunehmen. Aufgrund der unterschiedlichen Interessenlage dieser beiden Personengruppen besteht kein Anlass, auch denjenigen, die keine Geschäftsbeziehung zu einem Auskunftspflichtigen anstreben, einen Anspruch auf Geschäftsanbahnungsinformationen zu geben. dd) Entgegen der Auffassung der Revision ist eine Erstreckung des Informationsanspruches gemäß § 675a BGB auf Verbraucherschutzverbände auch nicht zur ordnungsgemäßen Umsetzung des Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. EG Nr. L 95 vom 21. April 1993, S. 29 - 34) erforderlich. Nach Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie sorgen die Mitgliedsstaaten dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird. Diese Mittel müssen nach Art. 7 Abs. 2 auch Rechtsvorschriften einschließen, nach denen Personen und Organisationen, die nach dem innerstaatlichen Recht ein berechtigtes Interesse am Schutz der Verbraucher haben, im Einklang mit den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften die Gerichte oder die zuständigen Verwaltungsbehörden anrufen können, damit diese darüber entscheiden, ob Vertragsklauseln, die im Hinblick auf eine allgemeine Verwendung abgefasst wurden, missbräuchlich sind, und angemessene und wirksame Mittel anwenden, um der Verwendung solcher Klauseln ein Ende zu setzen. Art. 7 der Richtlinie zielt mithin auf die Schaffung von effektiven überindividuellen Instrumenten zum Schutz des Rechtsverkehrs vor unseriösen Klauselwerken und ordnet an, dass zu diesen Instrumenten auch die Schaffung einer Klagemöglichkeit bzw. Antragsbefugnis für Verbraucherrepräsentanten oder -verbände gehören muss (Pfeiffer in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Band IV, Stand 13. EL Mai 1999, A5 - Richtlinie, Art. 7 Rn. 1). Eine Vorabkontrolle, d.h. ein präventives Verbots- oder Genehmigungsverfahren in Form einer Klauselzensur, ist, wie aus dem vorletzten Erwägungsgrund der Richtlinie hervorgeht, nicht geboten (Pfeiffer, aaO, Rn. 15). Diesen Anforderungen der Richtlinie entspricht das deutsche Recht mit den Kontrollverfahren nach §§ 1 ff. UKlaG in vollem Umfang (Hensen in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 10. Aufl., § 1 UKlaG, Rn. 1; Wolf in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 5. Aufl., Richtlinie, Art. 7 Rn. 4; Eckert, WM 1993, 1070, 1078; Nassall in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kapitel 5 Rn. 24). Art. 7 der Richtlinie verpflichtet die Mitgliedsstaaten nicht, Verbraucherschutzverbänden neben der Klagemöglichkeit bzw. Antragsbefugnis auch das mit der Klage geltend gemachte Informationsrecht einzuräumen. Die Klagemöglichkeit bzw. Antragsbefugnis ist nach Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie das einzige den Verbraucherschutzverbänden einzuräumende Recht zur Bekämpfung missbräuchlicher Klauseln. Die Richtlinie fordert dagegen nicht, dass als weiteres Mittel das mit der Klage geltend gemachte Recht auf Zurverfügungstellung der Klauselwerke gegeben sein muss. Der Wortlaut der Richtlinie enthält hierfür keinen Anhaltspunkt. Die Revision bezieht sich insoweit ohne Erfolg auf die Rechtsprechung des EuGH. Dieser hat entschieden, dass die Richtlinie erfordert, dass ein nationales Gericht in einem Rechtsstreit zwischen einem AGB-Verwender und seinem Kunden von Amts wegen ohne Rüge des Kunden prüfen muss, ob eine Klausel des ihm vorgelegten Vertrages missbräuchlich ist (EuGH, NJW 2000, 2571, Tz. 27 f.; EuZW 2003, 27, Tz. 34; NJW 2009, 2367, Tz. 30; EuZW 2009, 852, Tz. 32). Diese Rechtsprechung beinhaltet keine Entscheidung über die Rechte von Verbraucherschutzverbänden. Dass deren in Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie vorgesehene Klagebefugnis nicht von einer vorherigen Rüge einer Klausel durch einen Kunden des Klauselverwenders abhängig ist, ergibt sich eindeutig aus der Richtlinie und wird von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Der Richtlinie und der Rechtsprechung des EuGH ist aber nicht ansatzweise zu entnehmen, dass einem Verbraucherschutzverband zur Ausübung und Vorbereitung seiner Klagebefugnis das mit der Klage geltend gemachte Informationsrecht zustehen muss. Der Richtliniengeber hat dieses Recht nicht in die Richtlinie aufgenommen, sondern ist - wie die gerichtliche Praxis der Unterlassungsklage zeigt, zu Recht - davon ausgegangen, dass den Verbraucherschutzverbänden die Erfüllung ihrer satzungsmäßigen Aufgaben und die Ausübung ihrer Klagebefugnis auch ohne dieses Recht möglich ist, weil die im Rechtsverkehr verwendeten Allgemeinen Geschäftsbedingungen - nur auf solche bezieht sich die Klage - auch ohne das in Rede stehende Informationsrecht in der betroffenen Öffentlichkeit hinreichend bekannt sind. Die Effektivität, der präventive Charakter und der Abschreckungszweck der Rechtsbehelfe nach Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie (vgl. Nassall in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kapitel 5 Rn. 22) erfordern deshalb entgegen der Auffassung der Revision dieses Recht nicht. Die Auslegung des § 675a BGB erfordert entgegen der Auffassung der Revision keine Vorlage an den EuGH zur Vorabentscheidung über die Auslegung des Art. 7 der Richtlinie. Die richtige Auslegung der Richtlinie ist aus den dargelegten Gründen derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt (vgl. EuGH, NJW 1983, 1257, 1258; BVerfG, NJW 1988, 1456; BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2006 - IX ZB 150/05, WM 2007, 373, Tz. 18). 2. Die Klage ist für den Bereich der Zahlungsdienste auch nicht gemäß § 675d BGB begründet. Die hier normierten Informationspflichten von Zahlungsdienstleistern bestehen nur gegenüber Zahlungsdienstnutzern. Dies entspricht dem 21. Erwägungsgrund und den Art. 30 ff. der Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG (ABl. EU Nr. L 319 vom 5. Dezember 2007, S. 1 - 36). Zahlungsdienstnutzer sind Personen, die einen Zahlungsdienst als Zahler, Zahlungsempfänger oder in beiden Eigenschaften in Anspruch nehmen (§ 675f Abs. 1 BGB, Art. 4 Nr. 10 der Richtlinie). Dies trifft auf den Kläger, der, wie dargelegt, nicht zu den Kunden oder potentiellen Kunden der Beklagten gehört, nicht zu. 3. Die Klageforderung ist, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat, nicht aufgrund einer analogen Anwendung des § 13 UKlaG begründet. Nach § 13 Abs. 1 UKlaG haben Verbraucherschutzverbände gegen geschäftsmäßige Erbringer von Post-, Telekommunikations- oder Telemediendiensten unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Auskunft über den Namen und die zustellungsfähige Anschrift von Beteiligten an Post-, Telekommunikations- oder Telemediendiensten. Ein Anspruch gegen Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen auf Einsichtnahme in die Allgemeinen Geschäftsbedingungen und auf deren Zurverfügungstellung kann der Vorschrift auch aufgrund einer analogen Anwendung nicht entnommen werden. Dafür fehlt bereits eine planwidrige Regelungslücke (vgl. BGHZ 149, 165, 174). Der Gesetzgeber hat durch die Begründung des Auskunftsrechts nach § 13 Abs. 1 UKlaG gezielt dem Problem abhelfen wollen, dass das Klagerecht der Verbraucherschutzverbände oft leer läuft, weil Unternehmen, die ihre Geschäfte mit Hilfe von Post-, Telekommunikations- oder Telemediendiensten betreiben, unter einer Anschrift handeln, unter der sie nicht verklagt werden können (Stellungnahme des Bundesrats zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, BT-Drucksache 14/6857, S. 39 f. zu § 12 E). § 13 Abs. 1 UKlaG ist deshalb bewusst auf die Mitteilung des Namens und der zustellungsfähigen Anschrift dieser Unternehmen beschränkt worden. Auf weitere Informationen ist der Auskunftsanspruch bewusst nicht erstreckt worden. Auch die Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (ABl. EG Nr. L 166 vom 11. Juni 1998, S. 51 - 55) sieht die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche nicht vor. Wiechers                               Joeres                               Mayen Maihold                            Matthias
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059169
BGH
11. Zivilsenat
20100223
XI ZR 195/09
Urteil
§ 134 BGB, § 139 BGB, § 164 BGB, §§ 164ff BGB, Art 1 § 1 RBerG, § 1 RBerG, § 286 ZPO
vorgehend OLG Frankfurt, 20. Mai 2009, Az: 9 U 33/07, Urteil vorgehend LG Frankfurt, 30. März 2007, Az: 2/19 O 233/06
DEU
Treuhändervermittelte finanzierte Immobilienfondsbeteiligung: Widerlegung der Vermutung für eine Selbstständigkeit einer Einzelvollmacht im Zeichnungsschein
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 20. Mai 2009 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Von Rechts wegen
Der Kläger verlangt die Rückabwicklung eines Darlehens, das ihm von der Beklagten zur Finanzierung einer wirtschaftlichen Immobilienfondsbeteiligung gewährt wurde. Der Kläger wurde im November 1992 von einem Vermittler geworben, sich zwecks Steuerersparnis mit 50.000 DM an der im August 1991 gegründeten ... Fonds GbR (im Folgenden: Fonds) zu beteiligen. Hierzu unterzeichnete er am 16. November 1992 ein mit "Auftrag und Vollmacht (Zeichnungsschein)" überschriebenes Formular, in dem er die H. Steuerberatungsgesellschaft mbH (im Folgenden: Treuhänderin), die eine der Gründungsgesellschafterinnen des Fonds ist, beauftragte, für ihn den wirtschaftlichen Beitritt zum Fonds zu bewirken. Außerdem bevollmächtigte er die Treuhänderin, für den Fonds und dessen Gesellschafter die erforderlichen Zwischen- und Endfinanzierungskredite aufzunehmen. Ferner schloss der Kläger, wie im Zeichnungsschein vorgesehen und diesem als Muster beigefügt, einen Treuhandvertrag. Darin erteilte er der Treuhänderin Vollmacht zur Durchführung aller zum wirtschaftlichen Erwerb und zur Verwaltung der Gesellschaftsbeteiligung erforderlichen Maßnahmen, wozu auch die Abgabe vollstreckbarer Schuldanerkenntnisse der Gesellschafter gehörte. Diese Vollmacht ließ der Kläger am 23. Dezember 1992 notariell beglaubigen. Die Treuhänderin, die nicht über eine Erlaubnis zur Rechtsberatung verfügte, erklärte im Namen des Klägers den wirtschaftlichen Beitritt zum Fonds, zu dessen Gunsten eine weitere Mitinitiatorin des Fonds, die HA. Vermögensberatungsgesellschaft mbH (im Folgenden: Mietgarantin), eine zehnjährige Mietgarantie übernommen hatte. Am 20. März/ 29. April 1993 schloss die Treuhänderin in Vertretung des Klägers mit der Beklagten einen Darlehensvertrag über 50.000 DM, der durch eine Grundschuld am Fondsgrundstück und durch eine persönliche Zwangsvollstreckungsunterwerfung des Klägers gesichert wurde. Die Valuta wurde weisungsgemäß auf ein Anderkonto der Treuhänderin überwiesen und diente der Ablösung eines von der Fondsgesellschaft zuvor aufgenommenen Zwischenfinanzierungskredits. Nachdem die Mietgarantin 1998 in Konkurs gefallen war und der Kläger auch keine Fondsausschüttungen mehr erhalten hatte, widerrief er am 31. März 2006 gegenüber der Beklagten seine auf den Abschluss des Darlehensvertrages gerichtete Willenserklärung und am 22. Mai 2006 gegenüber der Treuhänderin die im Zeichnungsschein erteilte Vollmacht. Der Kläger begehrt die Erstattung seiner Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von 6.812,76 € nebst Zinsen sowie die Freistellung von sämtlichen Verpflichtungen aus dem Darlehensvertrag. Er beruft sich auf die Unwirksamkeit der von ihm erteilten Vollmachten nach Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG, § 134 BGB, auf deren Widerruf nach dem Haustürwiderrufsgesetz und auf einen Schadensersatzanspruch wegen Aufklärungspflichtverletzung der Beklagten, die bereits bei Abschluss des Darlehensvertrages von einer Überschuldung der Mietgarantin gewusst habe. Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. I. Das Berufungsgericht, dessen Urteil in OLGR Frankfurt 2009, 789 ff. veröffentlicht ist, hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Zahlungsanspruch und die begehrte Freistellung, die als Feststellung auszulegen sei, weil Freistellung nur von Ansprüchen Dritter verlangt werden könne, seien unbegründet. Dem Kläger stünden keine Bereicherungsansprüche zu. Er sei bei Abschluss des Darlehensvertrages von der Treuhänderin wirksam vertreten worden, denn deren ordnungsgemäße Bevollmächtigung ergebe sich aus der gesonderten Vollmacht im Zeichnungsschein. Diesbezüglich bestünden keine Bedenken im Hinblick auf das Rechtsberatungsgesetz, denn die Einzelvollmacht sei nicht auf den Abschluss eines ganzen Bündels von Verträgen mit mannigfaltigem Beratungsbedarf gerichtet gewesen. Die etwaige Unwirksamkeit der notariell beglaubigten Vollmacht des Klägers vom 23. Dezember 1992 sei hierauf ohne Einfluss. Dem stehe auch § 139 BGB nicht entgegen, denn bei getrennt abgeschlossenen Rechtsgeschäften bestehe eine Vermutung für deren Selbständigkeit. Der Kläger habe diese Vermutung nicht entkräftet und auch keine Umstände vorgetragen, aus denen für die Treuhänderin erkennbar gewesen sei, dass er sich vorgestellt habe, die Vollmacht im Zeichnungsschein habe nur zusammen mit der notariellen Vollmacht gelten sollen. Ob der Zeichnungsschein der Beklagten bei Abschluss der Darlehensverträge vorgelegen habe, sei deshalb unerheblich. Ein Widerruf nach dem Haustürwiderrufsgesetz komme nicht in Betracht, da bei Abschluss des Darlehensvertrages durch die Treuhänderin keine Haustürsituation bestanden habe. Ob der Kläger seinen Fondsbeitritt und die im Zeichnungsschein erteilte Vollmacht nach dem Haustürwiderrufsgesetz widerrufen könne, insbesondere ob insoweit eine Haustürsituation vorgelegen habe und ob es sich hierbei um eine entgeltliche Leistung handele, könne dahinstehen, denn die Rechtswirkungen eines solchen Widerrufs seien nach den Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft zu beurteilen, nach denen der Fondsbeitritt des Klägers allenfalls für die Zukunft beseitigt werden könne. Ein etwaiges, allein auf die Erteilung der Vollmacht bezogenes Widerrufsrecht des Klägers sei jedenfalls nach § 2 Abs. 1 Satz 4 HWiG erloschen, weil der Kläger als Vollmachtgeber und die Treuhänderin als Vollmachtsempfängerin ihre jeweiligen "Leistungen" bereits vollständig erbracht hätten. Die Beklagte sei auch nicht wegen eines Wissensvorsprunges ausnahmsweise zur Aufklärung über Verwendungsrisiken des Darlehens verpflichtet gewesen. Der Kläger habe nichts dazu vorgetragen, dass die Beklagte beim Abschluss des Darlehensvertrages mehr gewusst habe als die Treuhänderin, worauf es im Hinblick auf § 166 BGB jedoch ankomme. Unabhängig davon sei die vom Kläger behauptete Überschuldung der Mietgarantin bei Abschluss des Darlehensvertrages nicht gegeben gewesen, denn die Bilanz der Mietgarantin für 1991, auf die der Kläger abstelle, weise einen Überschuss aus. Soweit der Kläger zu einem negativen Bilanzergebnis durch Berücksichtigung von Eventualverbindlichkeiten gelange, für die seiner Ansicht nach Rückstellungen zu bilden gewesen wären, sei dies nicht überzeugend. Der Darlehensvertrag sei im März/April 1993 abgeschlossen worden, die Mietgarantie jedoch erst ab Februar 1998 ausgefallen. Sie sei infolgedessen 1993 objektiv nicht wertlos gewesen. Zu eigenen diesbezüglichen Nachforschungen sei die Beklagte nicht verpflichtet gewesen. II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand. 1. Mit der gegebenen Begründung hätte das Berufungsgericht einen Einheitlichkeitswillen des Klägers im Sinne von § 139 BGB hinsichtlich der im Zeichnungsschein enthaltenen Einzelvollmacht und der umfassenden notariellen Vollmacht und demgemäß die Unwirksamkeit des Darlehensvertrages der Parteien nicht verneinen dürfen. a) Soweit das Berufungsgericht davon ausgegangen ist, dass die im Zeichnungsschein vom 16. November 1992 enthaltene Einzelvollmacht für sich allein genommen nicht gegen das Rechtsberatungsgesetz verstößt, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Wie der Senat bereits mehrfach für gleichlautende Zeichnungsscheine entschieden hat, verstößt eine solche Einzelvollmacht nicht gegen das Rechtsberatungsgesetz. Da angesichts der rechtlichen Durchdringung nahezu aller Lebensbereiche die Besorgung wirtschaftlicher Belange vielfach auch mit rechtlichen Vorgängen verknüpft ist, ist für die Frage, ob eine Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten im Sinne von Art. 1 § 1 RBerG vorliegt, nicht allein auf die rechtliche Form einer Tätigkeit, sondern auf ihren Kern und Schwerpunkt abzustellen, d.h. darauf, ob die Tätigkeit überwiegend auf wirtschaftlichem Gebiet liegt und die Wahrnehmung wirtschaftlicher Belange bezweckt oder ob die rechtliche Seite der Angelegenheit im Vordergrund steht und es wesentlich um die Klärung rechtlicher Verhältnisse geht. Anders als die umfassende notarielle Vollmacht des Klägers hat dessen Einzelvollmacht im Zeichnungsschein nicht den Abschluss eines ganzen Bündels von Verträgen mit mannigfaltigem rechtlichem Beratungsbedarf zum Gegenstand. Sie beschränkt sich vielmehr auf die Erklärung des wirtschaftlichen Beitritts zum Fonds und auf die Aufnahme der Finanzierungsdarlehen. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um die Wahrnehmung wirtschaftlicher Belange (Senat, BGHZ 167, 223, Tz. 14 f., Urteile vom 10. Oktober 2006 - XI ZR 265/05, WM 2007, 108, Tz. 20 und vom 24. Oktober 2006 - XI ZR 216/05, WM 2007, 116, Tz. 16). b) Da das Berufungsgericht es hat dahinstehen lassen, ob die vom Kläger der Treuhänderin am 23. Dezember 1992 erteilte umfassende notarielle Vollmacht wegen eines Verstoßes gegen Art. 1 § 1 RBerG, § 134 BGB unwirksam ist, ist dies - worauf die Revision zutreffend hinweist - im Revisionsverfahren zugunsten des Klägers zu unterstellen. c) Das Berufungsgericht ist jedoch unter Verletzung von § 286 ZPO rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass die Einzelvollmacht im Zeichnungsschein mit Blick auf die umfassende notarielle Vollmacht wirksam ist, weil der Kläger die bei getrennt abgeschlossenen Rechtsgeschäften regelmäßig bestehende tatsächliche Vermutung ihrer Selbständigkeit im Sinne von § 139 BGB nicht entkräftet und keine Umstände vorgetragen habe, aus denen sich ergebe, dass seine Vorstellung, beide Vollmachen hätten nur zusammen gelten sollen, für die Treuhänderin erkennbar gewesen und von dieser gebilligt bzw. hingenommen worden sei. aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes liegt der für die Annahme eines einheitlichen Rechtsgeschäftes im Sinne von § 139 BGB erforderliche Einheitlichkeitswille vor, wenn das eine Geschäft nicht ohne das andere gewollt ist, äußerlich getrennte Rechtsgeschäfte also miteinander stehen und fallen sollen. Dabei kommt es auf den rechtlichen Zusammenhang, nicht auf eine wirtschaftliche Verknüpfung an. Die Niederlegung mehrerer selbständiger Erklärungen oder Verträge in verschiedenen Urkunden begründet zwar die Vermutung, dass die Verträge nicht in rechtlichem Zusammenhang stehen sollen. Diese Vermutung ist jedoch widerlegt, wenn die Parteien die rechtliche Einheit übereinstimmend gewollt haben. Dafür reicht es aus, dass nur einer der Vertragspartner einen solchen Willen zeigt und der andere ihn anerkennt oder zumindest hinnimmt (vgl.BGHZ 50, 8, 13; 76, 43, 48 f.; 78, 346, 349; 101, 393, 396). Ob es sich aufgrund eines solchen Einheitlichkeitswillens der Vertragsparteien um ein einheitliches Rechtsgeschäft handelt, ist Tatfrage und durch Ermittlung und Auslegung des Parteiwillens festzustellen (vgl. BGHZ 76, 43, 49; 78, 346, 349; Senat, Urteile vom 10. Oktober 2006 - XI ZR 265/05, WM 2007, 108, Tz. 24 und vom 24. Oktober 2006 - XI ZR 216/05, WM 2007, 116, Tz. 17, jeweils m.w.N.). bb) Soweit das Berufungsgericht hier einen solchen Einheitlichkeitswillen des Klägers hinsichtlich der im Zeichnungsschein enthaltenen Einzelvollmacht und der umfassenden notariellen Vollmacht verneint hat, ist dies mit der gegebenen Begründung nicht haltbar. (1) Zwar unterliegt die Auffassung des Berufungsgerichts, der Kläger habe die bei getrennt abgeschlossenen Rechtsgeschäften bestehende Vermutung ihrer Selbständigkeit im Sinne von § 139 BGB nicht entkräftet, als Ergebnis tatrichterlicher Würdigung gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht. Dieses kann lediglich prüfen, ob der Streitstoff umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denk- und Erfahrungssätze gewürdigt worden ist (vgl. Senat, Urteil vom 26. Oktober 2004 - XI ZR 211/03, WM 2005, 27 m.w.N.). (2) Solche Rechtsfehler liegen hier aber vor. Mit der gegebenen Begründung hätte das Berufungsgericht nicht annehmen dürfen, der Kläger habe keine der Treuhänderin erkennbaren und von ihr gebilligten Umstände für seine Vorstellung von einer Einheitlichkeit der beiden von ihm erteilten Vollmachten dargetan. Der Kläger hat - worauf die Revision zu Recht hinweist - im Schriftsatz vom 14. März 2008 unter Antritt von Zeugenbeweis vorgetragen, der Vermittler N. habe ihm erklärt, ein wirksamer Fondsbeitritt und dessen steuerliche Wirkungen könnten nur erreicht werden, wenn der Kläger das im Zeichnungsschein aufgeführte Angebot zum Abschluss des Treuhandvertrages einschließlich der darin enthaltenen umfassenden Vollmacht notariell beglaubigen lasse. Ohne Abschluss des Treuhandvertrages werde die Treuhänderin nicht für den Kläger tätig werden. Wie der Kläger gleichfalls vorgetragen und unter Zeugenbeweis gestellt hat, entsprach dies auch dem Willen der Treuhänderin. d) Da das Berufungsgericht die Frage offen gelassen hat, ob der Beklagten bei Abschluss des Darlehensvertrages der Zeichnungsschein oder eine Ausfertigung der notariellen Vollmachtsurkunde vorlag und sie sich infolge dessen auf einen von der Treuhänderin erzeugten Rechtsschein der wirksamen Bevollmächtigung im Sinne von §§ 171, 172 BGB berufen kann, ist revisionsrechtlich davon auszugehen, dass dies hier nicht der Fall war. Fehlt es danach an einer wirksamen Vollmacht der Treuhänderin, ist der von ihr im Namen des Klägers geschlossene Darlehensvertrag nicht wirksam zustande gekommen. 2. Die Frage der Anwendbarkeit des Haustürwiderrufsgesetzes auf Vollmachtserklärungen bei richtlinienkonformer Auslegung von § 1 HWiG bedarf deshalb derzeit ebenso wenig einer Entscheidung wie die von der Revision aufgeworfenen Fragen, ob sich die Treuhänderin wegen einer vertraglichen Erweiterung des gesetzlichen Widerrufsrechts durch die Einbeziehung der Vollmacht in die dem Kläger im Zeichnungsschein erteilte Widerrufsbelehrung nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) an der Widerrufbarkeit der Einzelvollmacht festhalten lassen muss und ob ein solches Widerrufsrecht bereits erloschen wäre. Gleiches gilt für die Frage, ob der Kläger Schadensersatz wegen einer Aufklärungspflichtverletzung der Beklagten hinsichtlich einer arglistigen Täuschung durch die Treuhänderin beanspruchen kann, weil ein diesbezüglicher Wissensvorsprung der Beklagten wegen eines institutionellen Zusammenwirkens zu vermuten wäre. III. Das Berufungsurteil ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur weiteren Sachaufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird dabei zunächst die erforderlichen Feststellungen zum wirksamen Abschluss des Darlehensvertrages aufgrund der im Zeichnungsschein enthaltenen Einzelvollmacht zu treffen haben. Sollte sich dieser als unwirksam erweisen, weil die Nichtigkeit der notariell beurkundeten Vollmacht gemäß § 139 BGB auch die im Zeichnungsschein erteilte Vollmacht erfasst, sind Feststellungen dazu erforderlich, ob die Treuhänderin gemäß §§ 171, 172 BGB zur Vertretung des Klägers befugt war, d.h. ob der Beklagten bei Abschluss der Darlehensverträge eine Durchschrift des Zeichnungsscheins oder eine Ausfertigung der notariellen Vollmacht des Klägers vorlag (vgl. Senat, Urteil vom 25. April 2006 - XI ZR 219/04, WM 2006, 1060, Tz. 23 f.). Wiechers                               Joeres                              Mayen Maihold                            Matthias
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059170
BGH
12. Zivilsenat
20100203
XII ZB 177/09
Beschluss
§ 15a RVG vom 30.07.2009, Teil 3 Vorbem 3 Abs 4 RVG-VV, Nr 2300 RVG-VV, Nr 3100 RVG-VV
vorgehend OLG Celle, 10. September 2009, Az: 2 W 253/09, Beschluss vorgehend LG Lüneburg, 5. August 2009, Az: 5 O 148/09, Beschluss vorgehend LG Lüneburg, 2. Juni 2009, Az: 5 O 148/09, Versäumnisurteil
DEU
Rechtsanwaltsvergütung: Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die spätere Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens in Altfällen
1. Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 10. September 2009 aufgehoben. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Rechtspflegers des Landgerichts Lüneburg vom 5. August 2009 teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst: Die auf Grund des Versäumnisurteils des Landgerichts Lüneburg vom 2. Juni 2009 - 5 O 148/09 - von dem Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten werden festgesetzt auf 1.962,17 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 17. Juli 2009. Der weiter gehende Kostenfestsetzungsantrag wird zurückgewiesen. 2. Der Beklagte hat die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu tragen. 3. Beschwerdewert: bis 600 €
I. Die Klägerin begehrt im Kostenfestsetzungsverfahren gegen den Beklagten den Ansatz der ungeminderten Verfahrensgebühr. Rechtspfleger und Oberlandesgericht haben die von der Klägerin für ihre erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte geltend gemachte 1,3-Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) nicht in voller Höhe berücksichtigt. Denn gemäß Anlage 1, Teil 3, Vorbemerkung 3 [im Folgenden: Vorbemerkung 3] Abs. 4 VV RVG sei hier auf die Verfahrensgebühr die halbe vorgerichtlich entstandene 1,0-Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV RVG) anzurechnen. Mangels Anwendbarkeit auf Altfälle habe an dieser Rechtslage auch die zwischenzeitlich erfolgte Einführung des § 15 a RVG nichts geändert. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde. II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch sonst zulässig. Das Beschwerdegericht hat sie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechungzugelassen. Daran ist der Senat gebunden (§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO). III. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet, denn das Oberlandesgericht hat die geltend gemachte 1,3-Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) zu Unrecht nicht in voller Höhe berücksichtigt. 1. Allerdings kann sich das Beschwerdegericht auf die Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs stützen. Danach sei Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG so zu verstehen, dass eine entstandene Geschäftsgebühr unter der Voraussetzung, dass es sich um denselben Gegenstand handelt, teilweise auf die spätere Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen sei. Es verringere sich die erst später nach Nr. 3100 VV RVG angefallene Verfahrensgebühr, während die zuvor bereits entstandene Geschäftsgebühr unangetastet bleibe (vgl. BGH Urteile vom 7. März 2007 - VIII ZR 86/06 - NJW 2007, 2049, 2050; vom 14. März 2007 - VIII ZR 184/06 - NJW 2007, 2050, 2052 und vom 11. Juli 2007 - VIII ZR 310/06 - NJW 2007, 3500 f. sowie BGH Beschluss vom 22. Januar 2008 - VIII ZB 57/07 - FamRZ 2008, 878, 879; zustimmend Peter NJW 2007, 2298, 2299; Streppel MDR 2007, 929, 930 f.; a.A. noch BGH Beschlüsse vom 20. Oktober 2005 - I ZB 21/05 - NJW-RR 2006, 501, 502; vom 27. April 2006 - VII ZB 116/05 - FamRZ 2006, 1114 und vom 30. Januar 2007 - X ZB 7/06 - VersR 2007, 1102). Dieser Auffassung des VIII. Zivilsenats, die in Instanzrechtsprechung und Literatur auf Kritik gestoßen ist (vgl. KG (1. ZS) MDR 2008, 1427; KG (1. ZS) JurBüro 2008, 304, 305 f.; OLG Karlsruhe AGS 2007, 494, 495; Ruess MDR 2007, 1401, 1402 ff.; Schons AGS 2007, 284 f.;Hansens RVGreport 2008, 121 f., 127), haben sich zwischenzeitlich mehrere Senate des Bundesgerichtshofs angeschlossen (vgl. BGH Beschlüsse vom 30. April 2008 - III ZB 8/08 - FamRZ 2008, 1346; vom 14. August 2008 - I ZB 103/07 - AGS 2008, 574; vom 24. September 2008 - IV ZB 26/07 - juris, Tz. 6 f. und vom 25. September 2008 - VII ZB 93/07 - juris, Tz. 5). 2. Der Gesetzgeber hat auf diese Entwicklung in der Rechtsprechung einiger Senate des Bundesgerichtshofs sowie die dagegen geäußerte Kritik reagiert und in dem mit Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 des am 4. August 2009 verkündeten Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 30. Juli 2009 (BGBl. I S. 2449) eingeführten § 15 a Abs. 2 RVG geregelt, dass ein Dritter sich auf eine im Gesetz vorgesehene Gebührenanrechnung nur berufen kann, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in denselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden. § 15 a RVG ist gemäß Art. 10 des vorgenannten Gesetzes am Tag nach der Verkündung in Kraft getreten. Eine ausdrückliche Übergangsregelung hat der Gesetzgeber nicht angeordnet. Infolgedessen ist streitig geworden, ob § 15 a RVG auch auf sog. Altfälle Anwendung findet (offen gelassen in den BGH Beschlüssen vom 9. September 2009 - X a ZB 2/09 - FamRZ 2009, 2082 Tz. 7 und vom 29. September 2009 - X ZB 1/09 - WRP 2009, 1554, 1556 f.). 3. Der erkennende Senat hat hierzu in Übereinstimmung mit dem II. Zivilsenat (vgl. BGH Beschluss vom 2. September 2009 - II ZB 35/07 - ZIP 2009, 1927, 1928) nach Erlass der angefochtenen Entscheidung entschieden, dass § 15 a RVG eine bloße Klarstellung der bestehenden Gesetzeslage darstellt und somit auch Anwendung findet, wenn die Auftragserteilung des Erstattungsberechtigten an seinen Prozess- bzw. Verfahrensbevollmächtigten vor dem 5. August 2009 erfolgt war (vgl. Senatsbeschluss vom9. Dezember 2009 - XII ZB 175/07 - zur Veröffentlichung bestimmt m.w.N.). 4. Der vorliegende Sachverhalt gibt dem Senat keine Veranlassung, hiervon abzuweichen. a) Mit den vom Beschwerdegericht für seine gegenteilige Rechtsauffassung angeführten Argumenten hat sich der Senat im Wesentlichen bereits im Beschluss vom 9. Dezember 2009 (XII ZB 175/07 - zur Veröffentlichung bestimmt) ausführlich befasst. b) Auch der Verweis auf die fehlende Übergangsregelung und § 60 Abs. 1 RVG verfängt nicht. Denn mangels Änderung der Rechtslage bedurfte es weder einer Übergangsvorschrift noch ist der Anwendungsbereich des § 60 Abs. 1 RVG eröffnet. Aus diesem Grund liegt ebenfalls keine (unechte) Rückwirkung vor. Nichts anderes folgt schließlich aus der Pressemitteilung des Bundesministeriums der Justiz vom 5. August 2009, in der es heißt, dass mit dem neuen § 15 a RVG eine für Rechtsanwälte und Gerichte bedeutsame Änderung des anwaltlichen Vergütungsrechts in Kraft getreten sei. Denn zum einen dürfte die Presseerklärung des zuständigen Ministeriums keine tragfähigen Rückschlüsse auf den Willen des Gesetzgebers im Sinne der historischen Auslegungsmethode zulassen (vgl. BGH Beschluss vom 29. September 2009 - X ZB 1/09 - WRP 2009, 1554, 1556 f.) und zum anderen ist auch in der Pressemitteilung sodann die Rede von einer Klarstellung, dass sich die Anrechnung im Verhältnis zu Dritten grundsätzlich nicht auswirke. 5. Da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, hat der Senat gemäß § 577 Abs. 5 ZPO in der Sache selbst zu entscheiden.Nachdem keiner der Ausnahmefälle des § 15 a Abs. 2 RVG ersichtlich ist, ist die Verfahrensgebühr in voller Höhe zu berücksichtigen. Die vom Beklagten der Klägerin zu erstattenden Kosten sind somit antragsgemäß auf insgesamt 1.962,17 € nebst Zinsen festzusetzen. Die im Rechtsmittelverfahren nicht mehr begehrte, jedoch im Kostenfestsetzungsantrag der Klägerin noch geltend gemachte vorprozessuale Geschäftsgebühr zählt nicht zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO und kann daher nicht im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103, 104 ZPO, § 11 Abs. 1 Satz 1 RVG festgesetzt werden. Hahne                                            Wagenitz                                    Dose Klinkhammer                                        Schilling
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059292
BVerwG
3. Senat
20100308
3 B 8/10
Beschluss
§ 2 Abs 1 S 5 VZOG, § 48 Abs 1 S 1 VwVfG
vorgehend VG Chemnitz, 14. Oktober 2009, Az: 4 K 837/07, Urteil
DEU
Vermögenszuordnung; Beschränkung des Rücknahmeermessens; Fristbeginn
Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 14. Oktober 2009 wird zurückgewiesen. Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid des Bundesamts für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen vom 22. Mai 2007, mit dem unter teilweiser Rücknahme eines zu ihren Gunsten ergangenen Vermögenszuordnungsbescheides aus dem Jahr 1992 eine 8 ha große Teilfläche eines ihr seinerzeit zugeordneten ca. 54 ha großen Buchgrundstücks der beigeladenen BVVG zugeordnet wurde. Das Verwaltungsgericht hat ihrer Klage stattgegeben, weil nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgrund der Regelung des § 2 Abs. 5 Satz 1 des Vermögenszuordnungsgesetzes - VZOG - eine Rücknahme nach der in dieser Vorschrift genannten 2-Jahresfrist nur noch dann in Betracht komme, wenn höhergewichtige öffentliche Belange für eine Korrektur der fehlerhaften Zuordnung sprächen. Derart bedeutende Belange seien hier nicht ersichtlich, obwohl die Beigeladene an dem ursprünglichen Zuordnungsverfahren nicht beteiligt gewesen sei. Dies sei jedoch auch nicht erforderlich gewesen, weil der seinerzeitige Zuordnungsbescheid das gesamte 54 ha große Buchgrundstück zum Gegenstand gehabt habe, ohne hiervon die umstrittene landwirtschaftlich genutzte Teilfläche abzuspalten. Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil beruft sich die Beigeladene auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von der Beigeladenen als klärungsbedürftig bezeichnete Frage, "ob § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG im Rahmen des § 48 Abs. 1 VwVfG auch dann ermessenslenkend einer Rücknahme entgegensteht, wenn die ursprüngliche Zuordnungsentscheidung offensichtlich rechtswidrig ist, und ob die Frist des § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG nicht erst mit wirksamer Bekanntgabe an den eigentlichen Zuordnungsberechtigten zu laufen beginnt", rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, weil sie - soweit es um den ersten Teil der Frage geht - nicht generell beantwortet werden kann und - soweit der Beginn der Frist des § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG in Rede steht - ihre Beantwortung nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. 1. Der Senat hat in seinem vom Verwaltungsgericht herangezogenen Urteil vom 27. April 2006 - BVerwG 3 C 23.05 - (BVerwGE 126, 7 = Buchholz 428.2 § 2 VZOG Nr. 16) dargelegt, dass die in § 2 Abs. 1 Satz 5 VZOG zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertung das Rücknahmeermessen der Zuordnungsbehörde nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG im Sinne einer Ermessensdirektive beschränkt, allerdings im Einzelfall öffentliche Belange von derart hohem Gewicht für die Korrektur einer fehlerhaften Zuordnung streiten können, dass sie sich auch noch nach Ablauf der 2-Jahresfrist durchsetzen. Diese Ausführungen verdeutlichen, dass insoweit die Umstände des Einzelfalls maßgeblich sind. Zu diesen Umständen zählt selbstverständlich auch das Maß der Fehlsamkeit der Zuordnungsentscheidung und damit die Erkennbarkeit des Mangels. Selbst eine offensichtlich rechtswidrige Zuordnungsentscheidung muss jedoch nicht zwangsläufig dazu führen, dass sich trotz Ablaufs der Frist das Korrekturinteresse gegenüber dem Interesse an der Beständigkeit auch rechtsfehlerhafter Zuordnungsentscheidungen durchsetzt; vielmehr handelt es sich um einen, wenn auch nicht unbedeutenden Gesichtspunkt, der in die Ermessensentscheidung über die Rücknahme einzustellen ist. 2. Die Frage nach dem Beginn der Frist des § 2 Abs. 1 Satz 5 VZOG rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, weil sie durch das Gesetz unzweideutig mit dem Eintritt der Bestandskraft des Zuordnungsbescheides beantwortet wird. Von diesem Fristbeginn geht offenbar auch das Urteil des Verwaltungsgerichts aus. Es steht allerdings auf dem Standpunkt, die Beigeladene habe an dem Verwaltungsverfahren nicht beteiligt werden müssen, weil das ungeteilte Buchgrundstück Gegenstand der Zuordnung gewesen sei und es sich bei der umstrittenen Teilfläche nur um einen unselbständigen Teil dieses Grundstücks gehandelt habe. Es ist daher augenscheinlich von der Bestandskraft des Zuordnungsbescheides auch gegenüber der Beigeladenen ausgegangen, obwohl dieser der Bescheid weder bekannt gegeben noch zugestellt worden war und obwohl das Verwaltungsgericht selbst die Beigeladene als Zuordnungsberechtigte hinsichtlich der Teilfläche und damit den Zuordnungsbescheid als insoweit rechtswidrig angesehen hat. Dieser Rechtsfehler des Verwaltungsgerichts begründet jedoch keinen über den Fall hinausweisenden Klärungsbedarf hinsichtlich des Fristbeginns. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 VZOG nicht erhoben. Wegen des Gegenstandswerts wird auf § 6 Abs. 3 Satz 2 VZOG hingewiesen.
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059413
BVerwG
Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO
20100304
20 F 14/09
Beschluss
§ 99 Abs 1 VwGO, § 15 Abs 1 BVerfSchG, § 15 Abs 2 BVerfSchG
DEU
Ermessensfehler bei Sperrerklärungen
Der Antrag des Antragstellers wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die Kosten des Zwischenverfahrens. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zwischenverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
I Der Antragsteller, Abgeordneter des Deutschen Bundestages und Mitglied der Fraktion "Die Linke", begehrt in dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren vor dem Verwaltungsgericht von der Antragsgegnerin umfassende Auskunft über die zu seiner Person erhobenen Daten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte dem Antragsteller im Verwaltungsverfahren einige über ihn vorliegende Erkenntnisse mitgeteilt, eine vollständige Auskunft der weiteren vorliegenden Einzelinformationen, die im Zusammenhang mit Datenerhebungen angefallen sind, jedoch zum Schutz der den Verfassungsschutzbehörden übertragenen Aufgabenerfüllung, zum Schutz von Drittinteressen und zum Quellenschutz verweigert. Das Verwaltungsgericht hat die Antragsgegnerin im Hauptsacheverfahren mit Beschluss vom 8. September 2008 verpflichtet, die Personenakte des Antragstellers vorzulegen. Daraufhin hat der Beigeladene als oberste Aufsichtsbehörde des Bundesamts für Verfassungsschutz unter dem 13. Juli 2009 eine "geschwärzte Fassung" der über den Antragsteller gesammelten Erkenntnisse vorgelegt und zugleich eine Sperrerklärung abgegeben. Danach werden zahlreiche nach Blattzahlen der Originalakte bezeichnete Dokumente nur mit teilweisen Schwärzungen, gar nicht oder in Form von Austauschblättern vorgelegt. II Der gegen die Sperrerklärung gerichtete Antrag des Antragstellers ist unbegründet. Die Weigerung des Beigeladenen, dem Verwaltungsgericht die von ihm angeforderten und zur Entscheidungsfindung benötigten Akten uneingeschränkt vorzulegen, ist rechtmäßig. 1. Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem Wohl des Bundes Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes Anliegen des Gemeinwohls (stRspr, vgl. nur Beschlüsse vom 7. November 2002 - BVerwG 2 AV 2.02 - NVwZ 2003, 347 und vom 23. März 2009 - BVerwG 20 F 11.08 - juris Rn. 5), das eine Verweigerung der Vorlage gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen kann. Ein Nachteil in diesem Sinne ist u.a. dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (stRspr, vgl. u.a. Beschlüsse vom 29. Juli 2002 - BVerwG 2 AV 1.02 - BVerwGE 117, 8 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 27, vom 25. Februar 2008 - BVerwG 20 F 43.07 - juris Rn. 10, vom 3. März 2009 - BVerwG 20 F 9.08 - juris Rn. 7 und vom 2. Juli 2009 - BVerwG 20 F 4.09 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 54 Rn. 8). Gemäß § 15 Abs. 1 BVerfSchG erteilt das Bundesamt für Verfassungsschutz dem Betroffenen über zu seiner Person gespeicherte Daten auf Antrag unentgeltliche Auskunft, soweit er hierzu auf einen konkreten Sachverhalt hinweist und ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. Gemäß § 15 Abs. 2 BVerfSchG unterbleibt die Auskunftserteilung, wenn einer der dort genannten Geheimhaltungsgründe vorliegt. Wird der Auskunftsanspruch nach § 15 BVerfSchG vor dem Verwaltungsgericht geltend gemacht und beabsichtigt die oberste Aufsichtsbehörde, die Vorlage der vom Verwaltungsgericht zum Zweck der Sachverhaltsaufklärung angeforderten Akten gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO wegen Geheimhaltungsbedürftigkeit ganz oder teilweise zu verweigern, so genügt es nicht, dass sie in ihrer Erklärung gegenüber dem Gericht auf die Geheimhaltungsgründe des Fachgesetzes verweist. Die oberste Aufsichtsbehörde hat vielmehr neben der Geheimhaltungsbedürftigkeit der Akten zusätzlich (gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO) in den Blick zu nehmen, dass das angerufene Gericht der Hauptsache auf die Kenntnis der Akten angewiesen ist, um zu einer sachgerechten Entscheidung zu kommen. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO überlässt der obersten Aufsichtsbehörde die Wahl, ob sie die Akten oder die Auskunft wegen ihrer Geheimhaltungsbedürftigkeit zurückhält oder ob sie davon um des effektiven Rechtsschutzes willen absieht. Insofern ist die Vorschrift des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO im Verhältnis zu den fachgesetzlich geregelten Auskunftsansprüchen eine prozessrechtliche Spezialnorm (stRspr, vgl. nur Beschluss vom 23. März 2009 a.a.O. Rn. 6 m.w.N.). Das bedeutet, dass der obersten Aufsichtsbehörde auch in den Fällen Ermessen zugebilligt ist, in denen das Fachgesetz der zuständigen Fachbehörde kein Ermessen einräumt. 2. In der Sperrerklärung vom13. Juli 2009 hat der Beigeladene das ihm eingeräumte Ermessen erkannt. So hat er ausgeführt, dass bei der gebotenen Güterabwägung nicht nur das Interesse an einer lückenlosen Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht, sondern auch das private Interesse des Antragstellers an der begehrten Auskunft zu berücksichtigen sei. Dabei seien alle Aspekte des Einzelfalls, namentlich die Aktualität der in Rede stehenden Angaben und der jeweilige Grad einer möglichen Gefährdung für die zukünftige Aufgabenerfüllung des Bundesamts für Verfassungsschutz im Falle ihrer Offenlegung, die Folgen der Zurückhaltung dieser Aktenbestandteile für die gerichtliche Sachverhaltsaufklärung als eines wesentlichen Elements des Rechtsstaatsprinzips und die Individualinteressen des Antragstellers zu berücksichtigen (Abschnitt III 1 und 2 der Sperrerklärung, S. 5 bis 6). Bei seiner Abwägung ist der Beigeladeneunter Berücksichtigung etwaiger Besonderheiten des Einzelfalls nach dem Regel-Ausnahme-Prinzip verfahren und hat zunächst nach verschiedenen Geheimhaltungsinteressen geordnete Gruppen gebildet, innerhalb derer die Zurückhaltung der Information jeweils durch denselben Geheimhaltungsgrund gerechtfertigt ist (Abschnitt IV 1 der Sperrerklärung, S. 7 bis 14). Dabei ist es - wie der Senat bereits wiederholt entschieden hat (vgl. nur Beschlüsse vom 1. August 2007 a.a.O. Rn. 6 f. und vom 23. März 2009 a.a.O. Rn. 8) - nicht zu beanstanden, dass der Beigeladene in der Sperrerklärung die Gesichtspunkte Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und Arbeitstitel (Abschnitt IV 1 a), Verfügungen und namentliche Hinweise auf Bearbeiter (Abschnitt IV 1 b), Aktenvermerke, Arbeitshinweise, Randbemerkungen und Querverweise (Abschnitt IV 1 c) sowie Hervorhebungen und Unterstreichungen (Abschnitt IV 1 d) als für eine Geheimhaltung der Akten sprechend berücksichtigt hat. Diese Informationen sind grundsätzlich geeignet, vor allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau, die künftige Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden zu erschweren, weil sich daraus Rückschlüsse auf Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung ableiten lassen (Beschluss vom 23. März 2009 a.a.O. Rn. 9 m.w.N.). Ferner ist nicht zu beanstanden, dass der Beigeladene, sofern er kein vorrangiges Aufklärungsinteresse des Antragstellers feststellen konnte, die Namen von in den Akten genannten anderen Personen unkenntlich gemacht hat, über die das Bundesamt für Verfassungsschutz Informationen sammeln könnte (Abschnitt IV 1 e). Dies dient dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen und - insbesondere bei Unterstreichungen und Hervorhebungen von Namen - der Vermeidung von Rückschlüssen auf weitere Beobachtungsobjekte, die Arbeitsweise und den Erkenntnisstand des Bundesamts. Auch der Antragsteller anerkennt diesen Schutz sowohl insoweit, als es um Schwärzung von Namen von Bearbeitern des Bundesamts für Verfassungsschutz als auch insoweit, als es um sonstige Belange Dritter geht. Der Beigeladene hat - wie der Antragsteller ebenfalls einräumt - auch erkannt, dass dem öffentlichen Interesse an der gerichtlichen Sachverhaltsaufklärung wie auch dem privaten Informationsinteresse des Antragstellers zumindest teilweise dadurch Rechnung getragen werden konnte, dass als milderes Mittel zu einer Schwärzung der Austausch von Seiten vorgenommen wurde. Die vom Antragsteller geltend gemachten generellen Zweifel an der Ermessensausübung, die damit begründet werden, der Beigeladene habe an mehreren Stellen in der Sperrerklärung statt vom Kläger von einer "Klägerin" gesprochen, sind unbegründet. Allein der Umstand, dass sich eine solche Fehlbezeichnung in der Sperrerklärung befindet, genügt nicht. Es ist nicht zu erkennen, dass die allgemeinen Erwägungen nicht auch im Fall des Antragstellers gelten sollten. Besonderheiten in der Person des Antragstellers, die der Beigeladene zu berücksichtigen gehabt hätte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers vertritt im Übrigen in einer Reihe von vergleichbaren Verfahren Abgeordnete des Deutschen Bundestages und Mitglieder der Fraktion "Die Linke", unter anderem auch eine "Klägerin". In jenem Verfahren wie auch in diesem Verfahren gelten dieselben allgemeinen Grundsätze. Ähnlich gelagerte Fälle bringen es mit sich, dass auf verallgemeinernde Umschreibungen und Begründungen zurückgegriffen werden muss (vgl. auch Beschluss vom 5. Februar 2009 - BVerwG 20 F 24.08 - juris Rn. 12). Differenzierung ist gefordert, wenn es um die Begründung im konkreten Einzelfall mit Blick auf Besonderheiten im Hinblick auf einzelne Aktenseiten geht. Das hat der Beigeladene erkannt; er hat im Rahmen von Einzelfallabwägungen (Abschnitt IV 2, S. 14 bis 40 der Sperrerklärung) weitere Seiten der Akte ganz oder teilweise zurückgehalten, weil sie - mitunter zusätzlich zu den bereits angesprochen formalen Aspekten - Informationen enthalten, deren Sperrung dem Quellenschutz dient, Methoden der operativen Arbeit des Bundesamts für Verfassungsschutz oder der Zusammenarbeit mit anderen Behörden offenbaren oder Rückschlüsse auf die interne Arbeits- und Verfahrensweise des Bundesamts ermöglichen würden (Deckblattberichte, Vermerke zur Aktenverwaltung, Schriftverkehr mit anderen Behörden, Gesprächsdokumentationen). Das gilt auch für (nunmehr) allgemein oder jedenfalls einem größeren Kreis zugängliche Dokumente, die aber wegen des Zeitpunkts der Kenntniserlangung im kleinen Personenkreis oder der Art ihrer Zusammenstellung Rückschlüsse auf die Quelle erlauben können. Der Senat hat die dem Verwaltungsgericht vorgelegte "geschwärzte Fassung" der Personenakte des Antragstellers (ein Band Blatt 1 bis 404) und das ihm vorgelegte Original (zwei Bände, Band 1: Blatt 1 bis 291, Band 2: Blatt 292 bis 404) im Einzelnen durchgesehen und miteinander verglichen. Dabei hat sich ergeben, dass der Beigeladene keine Eintragungen zurückgehalten hat, die nicht den oben aufgeführten Kriterien entsprechen und gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geheimhaltungsbedürftig sind. Dies gilt auch für die in der Sperrerklärung nicht gesondert erwähnten und in der geschwärzten Fassung nicht durch Leerblätter kenntlich gemachten Aktenvorblätter, die den eigentlichen Aktenbestandteilen jeweils vorgeheftet sind und - ähnlich etwa der Beschriftung von Aktendeckeln - ausschließlich formale Merkmale zum Zwecke der Aktenführung enthalten. Selbst wenn man diese Vorblätter zum Akteninhalt rechnete, was hier dahinstehen kann, erfüllen sie zweifelsfrei die genannten Geheimhaltungsgründe für Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und Arbeitstitel. Auf die im Hauptsacheverfahren zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob der Auskunftsanspruch nach § 15 BVerfSchG auf die Informationen beschränkt ist, die (gezielt) zu dem Antragsteller gespeichert und in der ihn betreffenden Personenakte zusammengeführt sind oder auch solche Daten erfasst, die in Sachakten oder den Personenakten Dritter über den Antragsteller gespeichert sind (vgl. dazu OVG Münster, Beschluss vom 13. Februar 2009 - OVG 16 A 844/08 - NVwZ-RR 2009, 505 zu VG Köln, Urteil vom 13. Dezember 2007 - 20 K 6242/03 -), kommt es für dieses Zwischenverfahren nicht an. Der Senat hat nur darüber zu entscheiden, ob die Sperrerklärung des Beigeladenen rechtmäßig ist, welche sich allein auf die vom Verwaltungsgericht angeforderte Personenakte des Antragstellers bezieht. Aus diesem Grund kommt es auch nicht darauf an, ob - wie der Antragsteller vorträgt - ein Vertreter des Bundesamts für Verfassungsschutz öffentlich erklärt hat, dass nachrichtendienstliche Mittel gegen Abgeordnete der Fraktion im Bundestag "Die Linke" nicht eingesetzt würden. Wie in der Sperrerklärung im Einzelnen angeführt ist und die Durchsicht auch bestätigt hat, befinden sich auf den jeweiligen Seiten sogenannte Deckblattmeldungen ("Deckblätter"), die Angaben zu operativen Maßnahmen enthalten. Diese Angaben sind nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Funktionsfähigkeit der Verfassungsschutzbehörde, sondern vor allem auch aus Gründen des Quellenschutzes geheimhaltungsbedürftig. Feststellungen des Fachsenats dazu, welchen Anlass die Deckblattmeldungen hatten, verbieten sich unter dem Gesichtspunkt des Geheimhaltungsschutzes (§ 99 Abs. 2 Satz 10 VwGO). Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Werts des Streitgegenstands ergibt sich aus § 52 Abs. 2 GKG.
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059414
BVerwG
Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO
20100309
20 F 16/09
Beschluss
§ 99 Abs 1 S 2 VwGO
DEU
in-camera-Verfahren; Prüfungsmaßstab
Der Antrag der Antragstellerin wird abgelehnt. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Zwischenverfahrens. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zwischenverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
I Die Antragstellerin, Abgeordnete des Deutschen Bundestages und Mitglied der Fraktion "Die Linke", begehrt in dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren vor dem Verwaltungsgericht von der Antragsgegnerin umfassende Auskunft über die zu ihrer Person erhobenen Daten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte der Antragstellerin im Verwaltungsverfahren einige ihm vorliegende Informationen mitgeteilt, eine vollständige Auskunft der weiteren vorliegenden Einzelinformationen, die im Zusammenhang mit Datenerhebungen angefallen sind, jedoch zum Schutz der den Verfassungsschutzbehörden übertragenen Aufgabenerfüllung, zum Schutz von Drittinteressen und zum Quellenschutz verweigert. Das Verwaltungsgericht hat die Antragsgegnerin im Hauptsacheverfahren mit Beschluss vom 30. Juni 2008 verpflichtet, die Personenakte der Antragstellerin vorzulegen. Daraufhin hat der Beigeladene als oberste Aufsichtsbehörde des Bundesamts für Verfassungsschutz unter dem 24. Februar 2009 eine "geschwärzte Fassung" der über die Antragstellerin gesammelten Erkenntnisse vorgelegt und zugleich eine Sperrerklärung abgegeben. Danach werden zahlreiche nach Blattzahlen der Originalakte bezeichnete Dokumente nur mit teilweisen Schwärzungen, gar nicht oder in Form von Austauschblättern vorgelegt. II Der gegen die Sperrerklärung gerichtete Antrag der Antragstellerin ist unbegründet. Die Weigerung des Beigeladenen, dem Verwaltungsgericht die von ihm angeforderten und zur Entscheidungsfindung benötigten Akten uneingeschränkt vorzulegen, ist rechtmäßig. 1. Das Verwaltungsgericht hat durch Beschluss vom 30. Juni 2008 der Antragsgegnerin die Vorlage der umstrittenen Personenakte aufgegeben und damit zu erkennen gegeben, dass es diese Akte als entscheidungserheblich ansieht. Einer weiteren Beschlussfassung anlässlich der Vorlage der Hauptsacheakten an den Fachsenat - wie es der Antragstellerin möglicherweise vorschwebt - bedurfte es nicht. 2. Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem Wohl des Bundes Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes Anliegen des Gemeinwohls (stRspr, vgl. nur Beschlüsse vom 7. November 2002 - BVerwG 2 AV 2.02 - NVwZ 2003, 347 und vom 23. März 2009 - BVerwG 20 F 11.08 - juris Rn. 5), das eine Verweigerung der Vorlage gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen kann. Ein Nachteil in diesem Sinne ist u.a. dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (stRspr, vgl. u.a. Beschlüsse vom 29. Juli 2002 - BVerwG 2 AV 1.02 - BVerwGE 117, 8 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 27, vom 25. Februar 2008 - BVerwG 20 F 43.07 - juris Rn. 10, vom 3. März 2009 - BVerwG 20 F 9.08 - juris Rn. 7 und vom 2. Juli 2009 - BVerwG 20 F 4.09 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 54 Rn. 8). Gemäß § 15 Abs. 1 BVerfSchG erteilt das Bundesamt für Verfassungsschutz dem Betroffenen über zu seiner Person gespeicherte Daten auf Antrag unentgeltliche Auskunft, soweit er hierzu auf einen konkreten Sachverhalt hinweist und ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. Gemäß § 15 Abs. 2 BVerfSchG unterbleibt die Auskunftserteilung, wenn einer der dort genannten Geheimhaltungsgründe vorliegt. Wird der Auskunftsanspruch nach § 15 BVerfSchG vor dem Verwaltungsgericht geltend gemacht und beabsichtigt die oberste Aufsichtsbehörde, die Vorlage der vom Verwaltungsgericht zum Zweck der Sachverhaltsaufklärung angeforderten Akten gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO wegen Geheimhaltungsbedürftigkeit ganz oder teilweise zu verweigern, so genügt es nicht, dass sie in ihrer Erklärung gegenüber dem Gericht auf die Geheimhaltungsgründe des Fachgesetzes verweist. Die oberste Aufsichtsbehörde hat vielmehr neben der Geheimhaltungsbedürftigkeit der Akten zusätzlich (gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO) in den Blick zu nehmen, dass das angerufene Gericht der Hauptsache auf die Kenntnis der Akten angewiesen ist, um zu einer sachgerechten Entscheidung zu kommen. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO überlässt der obersten Aufsichtsbehörde die Wahl, ob sie die Akten oder die Auskunft wegen ihrer Geheimhaltungsbedürftigkeit zurückhält oder ob sie davon um des effektiven Rechtsschutzes willen absieht. Insofern ist die Vorschrift des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO im Verhältnis zu den fachgesetzlich geregelten Auskunftsansprüchen eine prozessrechtliche Spezialnorm (stRspr, vgl. nur Beschluss vom 23. März 2009 a.a.O. Rn. 6 m.w.N.). Das bedeutet, dass der obersten Aufsichtsbehörde auch in den Fällen Ermessen zugebilligt ist, in denen das Fachgesetz der zuständigen Fachbehörde kein Ermessen einräumt. 3. In der Sperrerklärung vom24. Februar 2009 hat der Beigeladene das ihm eingeräumte Ermessen erkannt. So hat er ausgeführt, dass bei der gebotenen Güterabwägung nicht nur das Interesse an einer lückenlosen Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht, sondern auch das private Interesse der Antragstellerin an der begehrten Auskunft zu berücksichtigen sei. Dabei seien alle Aspekte des Einzelfalls, namentlich die Aktualität der in Rede stehenden Angaben und der jeweilige Grad einer möglichen Gefährdung für die zukünftige Aufgabenerfüllung des Bundesamts für Verfassungsschutz im Falle ihrer Offenlegung, die Folgen der Zurückhaltung dieser Aktenbestandteile für die gerichtliche Sachverhaltsaufklärung als eines wesentlichen Elements des Rechtsstaatsprinzips und die Individualinteressen der Antragstellerin zu berücksichtigen (Abschnitt III 1 und 2 der Sperrerklärung, S. 4 bis 5). Bei seiner Abwägung ist der Beigeladeneunter Berücksichtigung etwaiger Besonderheiten des Einzelfalls nach dem Regel-Ausnahme-Prinzip verfahren und hat zunächst nach verschiedenen Geheimhaltungsinteressen geordnete Gruppen gebildet, innerhalb derer die Zurückhaltung der Information jeweils durch denselben Geheimhaltungsgrund gerechtfertigt ist (Abschnitt IV 1 der Sperrerklärung, S. 5 bis 9). Dabei ist es - wie der Senat bereits wiederholt entschieden hat (vgl. nur Beschlüsse vom 1. August 2007 a.a.O. Rn. 6 f. und vom 23. März 2009 a.a.O. Rn. 8) - nicht zu beanstanden, dass der Beigeladene in der Sperrerklärung die Gesichtspunkte Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und Arbeitstitel (Abschnitt IV 1 a), Verfügungen und namentliche Hinweise auf Bearbeiter (Abschnitt IV 1 b), Aktenvermerke, Arbeitshinweise, Randbemerkungen und Querverweise (Abschnitt IV 1 c) sowie Hervorhebungen und Unterstreichungen (Abschnitt IV 1 d) als für eine Geheimhaltung der Akten sprechend berücksichtigt hat. Diese Informationen sind grundsätzlich geeignet, vor allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau, die künftige Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden zu erschweren, weil sich daraus Rückschlüsse auf Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung ableiten lassen (Beschluss vom 23. März 2009 a.a.O. Rn. 9 m.w.N.). Ferner ist nicht zu beanstanden, dass der Beigeladene, sofern er kein vorrangiges Aufklärungsinteresse der Antragstellerin feststellen konnte, die Namen von in den Akten genannten anderen Personen unkenntlich gemacht hat, über die das Bundesamt für Verfassungsschutz Informationen sammeln könnte (Abschnitt IV 1 e). Dies dient dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen und - insbesondere bei Unterstreichungen und Hervorhebungen von Namen - der Vermeidung von Rückschlüssen auf weitere Beobachtungsobjekte, die Arbeitsweise und den Erkenntnisstand des Bundesamts. Der Beigeladene hat auch erkannt, dass dem öffentlichen Interesse an der gerichtlichen Sachverhaltsaufklärung wie auch dem privaten Informationsinteresse der Antragstellerin zumindest teilweise dadurch Rechnung getragen werden konnte, dass als milderes Mittel zu einer Schwärzung der Austausch von Seiten vorgenommen wurde. Weiter ist nicht zu beanstanden, dass der Beigeladene darüber hinaus im Rahmen von Einzelfallabwägungen (Abschnitt IV 2, S. 9 bis 32 der Sperrerklärung) weitere Seiten der Akte ganz oder teilweise zurückgehalten hat, weil sie - mitunter zusätzlich zu den bereits angesprochen formalen Aspekten - Informationen enthalten, deren Sperrung dem Quellenschutz dient, Methoden der operativen Arbeit des Bundesamts für Verfassungsschutz oder der Zusammenarbeit mit anderen Behörden offenbaren oder Rückschlüsse auf die interne Arbeits- und Verfahrensweise des Bundesamts ermöglichen würden (Deckblattberichte, Vermerke zur Aktenverwaltung, Schriftverkehr mit anderen Behörden, Gesprächsdokumentationen). Das gilt auch für (nunmehr) allgemein oder jedenfalls einem größeren Kreis zugängliche Dokumente, die aber wegen des Zeitpunkts der Kenntniserlangung im kleinen Personenkreis oder der Art ihrer Zusammenstellung Rückschlüsse auf die Quelle erlauben können. Der Senat hat die dem Verwaltungsgericht vorgelegte "geschwärzte Fassung" der Personenakte der Antragstellerin (ein Band Blatt 1 bis 407) und das ihm vorgelegte Original (zwei Bände, Band 1: Blatt 1 bis 280, Band 2: Blatt 281 bis 403) im Einzelnen durchgesehen und miteinander verglichen. Dabei hat sich ergeben, dass der Beigeladene keine Eintragungen zurückgehalten hat, die nicht den oben aufgeführten Kriterien entsprechen und gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geheimhaltungsbedürftig sind. Dies gilt auch für die in der Sperrerklärung nicht gesondert erwähnten und in der geschwärzten Fassung nicht durch Leerblätter kenntlich gemachten Aktenvorblätter, die den eigentlichen Aktenbestandteilen jeweils vorgeheftet sind und - ähnlich etwa der Beschriftung von Aktendeckeln - ausschließlich formale Merkmale zum Zwecke der Aktenführung enthalten. Selbst wenn man diese Vorblätter zum Akteninhalt rechnete, was hier dahinstehen kann, erfüllen sie zweifelsfrei die genannten Geheimhaltungsgründe für Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und Arbeitstitel. Die in der Originalakte nicht vorhandenen Blatt 404 bis 407, die sich in der "geschwärzten Fassung" der Personenakte befinden, enthalten keine Schwärzungen, so dass der Senat keinen Anlass hatte, die vier Aktenseiten nachzufordern. Auf den im Hauptsacheverfahren von der Antragstellerin - unter Bezugnahme auf ein beim Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG anhängig gemachtes Verfahren - erhobenen Einwand, die nachrichtendienstliche Sammlung und Auswertung von Informationen im Hinblick auf Abgeordnete des Deutschen Bundestages stelle eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung eines Mitglieds eines Verfassungsorgans dar und sei rechtswidrig, kommt es für dieses Zwischenverfahren nicht an. Der Senat hat nur darüber zu entscheiden, ob die Sperrerklärung des Beigeladenen gemessen an den dargestellten Maßstäben des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtmäßig ist, nicht hingegen darüber, ob die Datenerhebung durch die Antragsgegnerin die fachgesetzlich und gegebenenfalls verfassungsrechtlich gezogenen Grenzen beachtet hat (vgl. Beschluss vom 5. Februar 2009 - BVerwG 20 F 24.08 - juris Rn. 13). Darüber hat vielmehr das Hauptsachegericht zu entscheiden, soweit dort die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Datenerhebung beantragt wird oder sonst nach der Rechtsauffassung des Hauptsachegerichts entscheidungserheblich sein sollte. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Werts des Streitgegenstands ergibt sich aus § 52 Abs. 2 GKG.
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059415
BVerwG
5. Senat
20100305
5 B 7/10
Beschluss
§ 132 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 86 Abs 2 VwGO, § 28 BAföG
vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 11. November 2009, Az: 12 BV 08.1293, Urteil
DEU
Unterlassener Beweisantrag; Darlegungsanforderungen an Aufklärungsrüge
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 11. November 2009 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die Beschwerde, die sich auf die Zulassungsgründe der Divergenz (1.) und des Verfahrensfehlers (2.) stützt, hat keinen Erfolg. 1. Die Revision ist nicht gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen der geltend gemachten Divergenz zuzulassen. Eine Divergenz ist gegeben, wenn das vorinstanzliche Gericht in Anwendung derselben Vorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden (abstrakten) Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung des übergeordneten Gerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgewichen ist. Die Beschwerdebegründung muss darlegen, dass und inwiefern dies der Fall ist (stRspr, vgl. z.B. Beschlüsse vom 11. August 1999 - BVerwG 11 B 61.98 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19 und vom 24. November 2009 - BVerwG 5 B 35.09 - juris). Das Beschwerdevorbringen genügt nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Geltendmachung einer Divergenz. Eine solche liegt auch in der Sache nicht vor. Die Beschwerde rügt eine Abweichung von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. September 2008 - BVerwG 5 C 12.08 - (BVerwGE 132, 21). Das Berufungsgericht habe festgestellt, dass eine wirksame Treuhandabrede schon allein daran scheitere, dass die 10 000 DM auf dem Sparkassenbuch Nr. 377…. mit deren Einzahlung am 18. August 2000 auch mit dem dortigen Guthaben der Klägerin vermischt und damit nicht vom eigenen Vermögen der Klägerin getrennt worden seien. Insoweit vertrete das Berufungsgericht (abstrakt) die Auffassung,„die Separierung des Treugutes ist aber ein gewichtiges Indiz, bei dessen Nichtvorliegen im Regelfall davon auszugehen ist, dass eine verbindliche Treuhandvereinbarung tatsächlich nicht getroffen wurde“ (vgl. UA S. 12). Demgegenüber habe aber das Bundesverwaltungsgericht in dem vorgenannten Urteil entschieden, dass im ausbildungsrechtlichen Zusammenhang „die fehlende Trennung des Treuguts vom eigenen Vermögen nicht zwingend aus[schließt], dass ein wirksamer Treuhandvertrag geschlossen wurde“ (a.a.O., S. 28). Damit wird ein Auffassungsunterschied in einer Rechtsfrage nicht dargetan. Die von der Beschwerde einander gegenübergestellten Aussagen widersprechen sich inhaltlich nicht. Die gegenteilige Auffassung der Beschwerde beruht auf einem Fehlverständnis des herangezogenen Urteils des Bundesverwaltungsgerichts. Dass die fehlende Trennung des Treuguts vom eigenen Vermögen einen zivilrechtlich wirksamen Treuhandvertrag nicht zwingend ausschließt, bedeutet nicht, dass die fehlende Separierung des Treuguts in der Regel nicht als Indiz gegen einen wirksamen Vertragsschluss zu werten ist. Den weiteren Ausführungen in dem für das Verständnis der zitierten Aussage des Bundesverwaltungsgerichts erforderlichen Kontext ist vielmehr zu entnehmen, dass das Bundesverwaltungsgericht eine derartige Indizwirkung annimmt. Es führt in der herangezogenen Entscheidung ausdrücklich aus: „Ist allerdings die Separierung des Treuguts schon nicht Bestandteil des behaupteten Vertrages und hat der angebliche Treuhänder das Empfangene auch tatsächlich nicht von seinem eigenen Vermögen getrennt, so ist in der Regel davon auszugehen, dass die Beteiligten eine verbindliche Treuhandvereinbarung tatsächlich nicht getroffen haben“ (a.a.O.). Darüber hinaus hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 4. September 2008 in dem Verfahren BVerwG 5 C 30.07, das einen im entscheidungserheblichen Kern vergleichbaren Sachverhalt wie das Verfahren BVerwG 5 C 12.08 betrifft, unter Bezugnahme auf das im letztgenannten Verfahren erlassene Urteil und Anwendung der dort für das Bestehen einer ausbildungsrechtlich beachtlichen Treuhandabrede aufgestellten Rechtssätze einen zivilrechtlich wirksam zustande gekommenen Treuhandvertrag bereits (allein) deshalb vereint, weil das etwaige Treugut nach den vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen nicht auf einem Konto eingezahlt worden ist, das ausschließlich zur Aufnahme von treuhänderisch gebundenen Fremdgeldern bestimmt war (BVerwGE 132, 10 <15>). Abgesehen davon verkennt die Beschwerde, dass das Berufungsgericht den Treuhandcharakter des Guthabens auf dem Sparkassenbuch Nr. 377…. nicht allein wegen der fehlenden Separierung des angeblichen Treuguts in Höhe von 10 000 DM verneint hat (vgl. so aber Beschwerdebegründung S. 2). Es hat vielmehr im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei der Prüfung, ob hinsichtlich der am 18. August 2000 auf das Sparbuch Nr. 377…. eingezahlten 10 000 DM eine wirksame Treuhandvereinbarung geschlossen worden ist, alle in Betracht zu ziehenden Umstände des Einzelfalles gewürdigt und das Vorliegen einer solchen Vereinbarung schon deshalb verneint, weil insoweit jegliche Darlegung einer Treuhandabrede fehlt. Nach den mangels erhobener durchgreifender Verfahrensrügen mit bindender Wirkung für das Bundesverwaltungsgericht (§ 137 Abs. 2 VwGO) getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist von einer Treuhandabrede immer nur im Zusammenhang mit dem Sparkonto Nr. 1197…. die Rede gewesen, auf das die 10 000 DM am 9. April 2001 überwiesen worden seien. Zum Inhalt einer etwaigen Abrede und zum Zeitpunkt eines etwaigen Vertragsschlusses hinsichtlich der Einzahlung auf das Sparkassenbuch Nr. 377…. der Klägerin sei nichts dargelegt (vgl. UA S. 11 f.). Der Aspekt der fehlenden Separierung des Treuguts bei Einzahlung der 10 000 DM auf das Sparkassenbuch Nr. 377…. am 18. August 2000 war somit im konkreten Fall nicht allein entscheidungserheblich, sodass das angefochtene Urteil auch nicht auf der behaupteten Divergenz beruhen würde. 2. Auch der geltend gemachte Verfahrensfehler rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Die Beschwerde führt insoweit zur Begründung aus, das Berufungsgericht habe den tatsächlichen Fusionszeitpunkt der Sparkassen durch Befragung der Sachbearbeiterin der Sparkasse B., welche die Klägerin und deren Vater im April 2001 beraten habe, von Amts wegen näher aufklären müssen. Diese hätte bestätigen können, dass die Eröffnung des Sparkassenzertifikats auf den Namen der Klägerin im April 2001 zum Erwerb der günstigeren Zinsoption die alleinige Alternative gewesen sei. Erst nach der tatsächlichen "technischen" Fusion der beiden Sparkassen im März 2002 sei umgehend eine Eröffnung eines Sparkassenzertifikats auf den Namen des Vaters möglich gewesen und tatsächlich vollzogen worden. Damit wäre auch klargestellt, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Vermögen zumindest um eine Schuld im Sinne des § 28 Abs. 3 BAföG gehandelt habe. Diese Ermittlungen hätten sich dem Berufungsgericht auch ohne Hinwirken von sich aus aufdrängen müssen, da die Frage des tatsächlichen Fusionszeitpunkts der beiden Sparkassen mitunter maßgeblich dafür sei, ob die Kontoverschiebungen rechtsmissbräuchlich oder nicht und damit auch das Vermögen dem Vater oder der Klägerin zuzuordnen sei (vgl. Beschwerdebegründung S. 4). Damit wird eine Verletzung der gerichtlichen Amtsermittlungs- bzw. Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend bezeichnet. Wer, wie die Klägerin, die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht erhebt, obwohl sie - durch eine nach § 67 Abs. 1 VwGO postulationsfähige Person vertreten - in der Vorinstanz keinen förmlichen Beweisantrag gestellt hat (vgl. § 86 Abs. 2 VwGO), muss, um den gerügten Verfahrensmangel prozessordnungsgemäß zu bezeichnen, insbesondere substantiiert darlegen, warum sich dem Tatsachengericht aus seiner für den Umfang der verfahrensrechtlichen Sachaufklärung maßgeblichen materiell-rechtlichen Sicht die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung in der aufgezeichneten Richtung hätte aufdrängen müssen (vgl. nur Beschlüsse vom 13. März 2003 - BVerwG 5 B 267.02 - juris, 20. August 2007 - BVerwG 5 B 173.07 - juris und 21. Februar 2008 - BVerwG 5 B 122.07 - juris). Die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Prozessbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen von förmlichen Beweisanträgen, zu kompensieren (vgl. Beschlüsse vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265 und vom 10. Oktober 2001 - BVerwG 9 BN 2.01 - NVwZ-RR 2002, 140). Die aufgezeigten Darlegungsanforderungen erfüllt die Beschwerde nicht. Das Berufungsgericht hat sich ausdrücklich die Feststellung des Verwaltungsgerichts zu Eigen gemacht, dass nach Auskunft der Sparkasse B. vom 11. Januar 2008 die Fusion der Stadtsparkasse B. und der Kreissparkasse B.-P. zur Sparkasse B. bereits zum 1. Januar 2001 vollzogen wurde (vgl. UA S. 14). Dem Vorbringen der Beschwerde lässt sich nicht entnehmen, dass sich dem Berufungsgericht vor diesem Hintergrund eine weitere Sachaufklärung durch Vernehmung der Sachbearbeiterin hätte aufdrängen müssen. Insbesondere benennt sie keine bestimmten, vom Gericht festgestellten Tatsachen, die auch nur ansatzweise dafür sprächen, dass die Fusion zum 1. Januar 2001 nur "juristisch" und die tatsächliche "technische" Fusion erst nach der Eröffnung des Sparkontos Nr. 1197…. (Sparkassenzertifikat) vollzogen worden sei. Das Berufungsgericht hat die entsprechende Behauptung der Klägerin vielmehr als unsubstantiiert angesehen (vgl. a.a.O.). Ebenso wenig legt die Beschwerde dar, inwiefern das angefochtene Urteil auf der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung beruhen kann, obwohl das Berufungsgericht den Treuhandcharakter des Sparkontos Nr. 1197…. (Sparkassenzertifikat) nicht nur wegen der mangelnden Glaubwürdigkeit des von der Klägerin behaupteten Grundes (konkret: nur Klägerin habe am 9. April 2001 das Sparkassenzertifikat erwerben können, da ihr Vater kein Konto bei der Kreissparkasse gehabt habe, welche das Sparkassenzertifikat ausgestellt habe; von der Fusion der Kreissparkasse und der Stadtsparkasse zum 1. Januar 2001 hätten die Klägerin und ihre Eltern nichts gewusst) für die erst am 25. März 2002 erfolgte Umschreibung dieses Sparkontos auf den Vater der Klägerin verneint hat. In Wirklichkeit wendet sich die Beschwerde mit ihrem Vorbringen gegen das Ergebnis der Sachverhaltswürdigung und damit gegen die ihrer Ansicht nach fehlerhafte Rechtsanwendung des Berufungsgerichts im Einzelfall und setzt der rechtlichen Bewertung des Berufungsgerichts eine eigene Würdigung entgegen. Damit lässt sich aber der behauptete Verfahrensmangel nicht darlegen. 3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO). 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.
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Deutschland
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BMJV
public
JURE100059594
BGH
12. Zivilsenat
20100303
XII ZB 109/09
Beschluss
§ 40 Abs 2 S 3 IntFamRVG vom 26.01.2005, § 40 Abs 2 S 4 IntFamRVG vom 17.12.2008, § 22 FGG, § 27 FGG, Art 111 Abs 1 FGG-RG, KiEntfÜbk Haag
vorgehend OLG Köln, 10. Juni 2009, Az: 21 UF 86/09, Beschluss
DEU
Verfahren nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen: Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde nach altem Recht
Das Rechtsmittel gegen den Beschluss des 21. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Köln vom 10. Juni 2009 wird auf Kosten der Antragstellerin als unstatthaft verworfen. Der Antrag, für die Durchführung dieses Rechtsmittels Prozesskostenhilfe zu gewähren, wird zurückgewiesen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg hat. Wert: 3.000 €
Auf das Rechtsmittel findet noch das bis zum 31. August 2009 geltende Verfahrensrecht Anwendung, weil das Verfahren vor dem 1. September 2009 eingeleitet worden ist (Art. 111 Abs. 1 FGG-RG; vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 2009 - XII ZR 50/08 - Tz. 7, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt). Das von der Antragstellerin als Rechtsbeschwerde bezeichnete Rechtsmittel ist nicht statthaft. Nach dem bis zum 31. August 2009 geltenden Verfahrensrecht ist eine Rechtsbeschwerde nicht zulässig, weil sich das Rechtsmittelverfahren gemäß § 40 Abs. 2 IntFamRVG (a.F.) nach § 22 FGG richtet und nach dem FGG nur die sofortige Beschwerde sowie die weitere Beschwerde (§ 27 FGG) vorgesehen sind (vgl. KG FamRZ 2009, 624). Nach der Sonderregelung in § 40 Abs. 2 Satz 3 IntFamRVG (a.F.) findet jedoch in Verfahren nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen (HKÜ) gegen Entscheidungen der Oberlandesgerichte eine weitere Beschwerde nicht statt. Die von der Antragstellerin angeführte Vorschrift (§ 28 IntFamRVG) betrifft nur die in Abschnitt 5 des IntFamRVG aufgeführten Verfahren, zu denen das Verfahren nach dem HKÜ (Abschnitt 6) nicht gehört. Im Ergebnis gilt im Übrigen nach dem seit dem 1. September 2009 geltenden Verfahrensrecht nichts anderes (§ 40 Abs. 2 Satz 4 IntFamRVG n.F.). Hahne                                         Weber-Monecke                                Vézina Klinkhammer                                              Günter
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Deutschland
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JURE100059596
BGH
1. Zivilsenat
20100311
I ZR 203/08
Beschluss
§ 6 Abs 2 Nr 6 UWG, Art 3a Abs 1 Buchst h EWGRL 450/84
vorgehend OLG Köln, 28. November 2008, Az: 6 U 63/05, Urteil vorgehend BGH, 6. Dezember 2007, Az: I ZR 184/05, Urteil vorgehend OLG Köln, 14. Oktober 2005, Az: 6 U 63/05, Urteil vorgehend LG Köln, 25. Februar 2005, Az: 81 O 42/04, Urteil nachgehend BGH, 12. Mai 2010, Az: I ZR 203/08, Beschluss
DEU
Vergleichende Werbung: Darstellung eines Produkts als Imitation
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 28. November 2008 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, die auf die Verletzung von Verfahrensgrundrechten gestützten Rügen greifen nicht durch und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern auch im Übrigen keine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass es sich bei den angegriffenen Bezeichnungen und Ausstattungen der Beklagten nicht um eine Darstellung von Produkten als Imitation oder Nachahmung i.S. von § 6 Abs. 2 Nr. 6 UWG, Art. 3a Abs. 1 lit. h Richtlinie 97/55/EG (Art. 3a Abs. 1 lit. h Richtlinie 84/450/EWG; Art. 4 lit. g Richtlinie 2006/114/EG) handelt. Es hat sich dabei in nicht zu beanstandender Weise auf die Entscheidung des Senats vom 6. Dezember 2007 (I ZR 169/04, GRUR 2008, 628 Tz. 26 = WRP 2008, 930 - Imitationswerbung) gestützt. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union ist insoweit nicht geboten (vgl. BGH GRUR 2008, 628 Tz. 33 - Imitationswerbung). Der von der Beschwerde mit Schriftsatz vom 6. Juli 2009 angeführten Entscheidung des Gerichtshofs vom 18. Juni 2009 (C-487/07, GRUR 2009, 756 - L´Oréal/Bellure) lag eine vergleichende Werbung durch Verwendung von Duftvergleichslisten zugrunde (vgl. EuGH GRUR 2009, 756 Tz. 52, 66 - L´Oréal/Bellure). Es war in jenem Verfahren unstreitig, dass die dort in Rede stehenden Vergleichslisten den Zweck und die Wirkung hatten, die betreffenden Verkehrskreise auf das Originalparfüm hinzuweisen, als dessen Imitationen die von dem Verwender der Vergleichslisten vertriebenen Parfüms galten, und deshalb von einer Darstellung als Imitation i.S. von Art. 3a Abs. 1 lit. h Richtlinie 84/450/EWG auszugehen war (aaO Tz. 76). Die genannte Entscheidung des Gerichtshofs steht schon aus diesem Grund der tatrichterlichen Würdigung des Berufungsgerichts nicht entgegen, im Streitfall könne nicht festgestellt werden, dass (auch) den beanstandeten Bezeichnungen und Ausstattungen die Wirkung zukomme, in vergleichbarer Weise darauf hinzuweisen, dass es sich bei den Produkten der Beklagten um Imitationen der Originalparfüms der Klägerin handele. Das Berufungsgericht ist dabei in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs (vgl. EuGH GRUR 2009, 756 Tz. 75 - L´Oréal/Bellure) und des Senats (GRUR 2008, 628 Tz. 26 - Imitationswerbung; BGH, Urt. v. 1.10.2009 - I ZR 94/07 Tz. 29 - Oracle) zutreffend davon ausgegangen, dass eine Darstellung im Sinne der genannten Vorschriften keine explizite Bezeichnung als Imitation erfordert, sondern bereits eine implizite Bezugnahme auf das Originalparfüm genügen kann (BU S. 5 Abs. 2). Da das Berufungsgericht eine unlautere Imitationswerbung rechtsfehlerfrei verneint hat, fehlt es auch an hinreichenden Anhaltspunkten für eine unlautere Rufausnutzung (vgl. EuGH GRUR 2009, 756 Tz. 79 - L´Oréal/Bellure). Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbs. ZPO abgesehen. Der Streitwert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wird auf 215.000 € festgesetzt. Bornkamm                                       Pokrant                                    Schaffert Bergmann                                      Koch
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059600
BGH
4. Zivilsenat
20100302
IV ZB 15/09
Beschluss
§ 233 ZPO, § 519 ZPO
vorgehend LG Dessau-Roßlau, 11. März 2009, Az: 1 S 32/09, Beschluss vorgehend AG Dessau-Roßlau, 27. November 2008, Az: 4 C 373/07
DEU
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Wahrung der Berufungsfrist bei Eingang der an ein falsches Gericht adressierten Berufungsschrift in der gemeinsamen Briefannahmestelle mehrerer Gerichte
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 11. März 2009 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Streitwert: 1.681,82 €
I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Erstattung der Kosten für eine zahnärztliche Behandlung aus einer Krankenversicherung in Anspruch. Das Amtsgericht wies die Klage mit Urteil vom 27. November 2008 ab. Das erstinstanzliche Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 26. Januar 2009 zugestellt. Gegen dieses Urteil legte der Kläger mit einem an das Amtsgericht Dessau-Roßlau gerichteten Schriftsatz vom 25. Februar 2009 Berufung ein. Dieser Schriftsatz ging zunächst per Telefax am 25. Februar 2009 beim Amtsgericht Dessau-Roßlau ein und wurde von dort am 27. Februar 2009 an das Landgericht Dessau-Roßlau weitergeleitet. Das Original des ebenfalls an das Amtsgericht Dessau-Roßlau adressierten Berufungsschriftsatzes vom 25. Februar 2009 weist einen Eingangsstempel des Amtsgerichts Dessau-Roßlau vom 26. Februar 2009 sowie einen weiteren Eingangsstempel des Justizzentrums Dessau-Roßlau vom 27. Februar 2009 auf. Das Amtsgericht Dessau-Roßlau (Willi-Lohmann-Straße 33 in Dessau) verfügt über einen eigenen Briefkasten, während das Landgericht Dessau-Roßlau (Willi-Lohmann-Straße 29) zusammen mit dem Finanz- und Arbeitsgericht eine gemeinsame Briefeinlaufstelle unter der Bezeichnung "Justizzentrum Dessau-Roßlau" unterhält. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat mit Schriftsatz vom 10. März 2009 gegenüber dem Landgericht erklärt, er habe das Original des Berufungsschriftsatzes selbst am 26. Februar 2009 gegen 17.30 Uhr in den Briefkasten des Justizzentrums eingeworfen. Das Landgericht hat die Berufung mit Beschluss vom 11. März 2009 als unzulässig verworfen. Hierbei hat es die Frage, ob das Original des Berufungsschriftsatzes noch fristgerecht am 26. Februar 2009 in den Briefkasten des Justizzentrums eingelegt wurde, offen gelassen. Der Schriftsatz sei nicht rechtzeitig in die Verfügungsgewalt des Berufungsgerichts gelangt, da er sich in einem verschlossenen Umschlag befunden habe und der Briefkasten des Justizzentrums Dessau-Roßlau als gemeinsame Briefeinlaufstelle nicht nur für das Land-, sondern auch für das Finanz- und Arbeitsgericht diene. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers. II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V. mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gebietet (§ 574 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. ZPO). Die angefochtene Entscheidung verletzt den Kläger in seinem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (BVerfGE 69, 381, 385; 77, 275, 284; 88, 118, 123 f.; NJW-RR 2002, 1004, 1005, 1007). Sie steht ferner im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Zulässigkeit der Berufung bei fehlerhafter Adressierung und gemeinsamer Posteinlaufstelle (BGH, Beschlüsse vom 21. Juni 2004 - II ZB 18/03 - NJW-RR 2005, 75 zu II 2; vom 10. Februar 1994 - VII ZB 30/93 - NJW 1994, 1354; vom 28. Januar 1992 - X ZB 17/91 - NJW 1992, 1047 zu II; vom 6. Oktober 1988 - VII ZB 1/88 - NJW 1989, 590 zu II 2). 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Ohne weitere Sachaufklärung lässt sich beim derzeitigen Verfahrensstand nicht abschließend beurteilen, ob die Berufung rechtzeitig am 26. Februar 2009 beim Landgericht Dessau-Roßlau eingelegt wurde. Zwar konnte die Berufungsfrist nicht durch das am 25. Februar 2009 beim Amtsgericht Dessau-Roßlau eingegangene Faxschreiben gewahrt werden, weil es zunächst beim Amtsgericht einging und von dort erst am 27. Februar 2009, als die zuständige Richterin die Akte vorfand, an das Landgericht weitergeleitet wurde, wo es ebenfalls am 27. Februar 2009 einging. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht demgegenüber die Frage offen gelassen, ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers das Original der Berufungsschrift noch fristgerecht am 26. Februar 2009 in den Briefkasten des Justizzentrums Dessau-Roßlau eingelegt hat. a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein bei einer gemeinsamen Einlaufstelle mehrerer Gerichte eingegangener Schriftsatz einer Partei mit der Einreichung bei der Einlaufstelle bei dem Gericht eingegangen, an das er adressiert ist (BGH, Beschlüsse vom 18. Februar 1997 - VI ZB 28/96 - NJW-RR 1997, 892 zu II 1; vom 9. Juli 1986 - IVa ZB 9/86 - VersR 1987, 48, 49; Zöller/Heßler, ZPO 28. Aufl. § 519 Rdn. 13). Hiernach erlangt bei einer für mehrere Gerichte eingerichteten gemeinsamen Briefannahmestelle nur dasjenige Gericht die tatsächliche Verfügungsgewalt, an das der entsprechende Schriftsatz gerichtet ist. Es genügt, wenn sich das zuständige Rechtsmittelgericht ohne ausdrückliche Benennung eindeutig aufgrund der genauen Bezeichnung des angefochtenen Urteils im Übrigen zuordnen lässt (BGH, Beschluss vom 28. Januar 1992 - X ZB 17/91 - NJW 1992, 1047 unter II, wenn gegen ein Urteil des Landgerichts Berufung eingelegt wird, diese bei der gemeinsamen Annahmestelle eingeht und in dem Schriftsatz kein weiterer Empfänger bezeichnet ist). Maßgebend ist, dass der Schriftsatz trotz eines etwaigen Adressierungsfehlers tatsächlich fristgerecht in die Verfügungsgewalt des zuständigen Berufungsgerichts gelangt (BGH aaO; Zöller/Heßler aaO; Musielak/Ball, ZPO 6. Aufl. § 519 Rdn. 19; MünchKomm/Rimmelspacher, ZPO 3. Aufl. § 519 Rdn. 29). Eine falsche Adressierung ist bei Einwurf in einen Briefkasten ferner unschädlich, wenn die Einrichtung nur einem einzigen Gericht dient. Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht beachtet. Die Berufungsschrift war hier zwar an das Amtsgericht Dessau-Roßlau adressiert, nach dem Vorbringen des Klägers hat sein Prozessbevollmächtigter indessen das Original der Berufungsschrift am 26. Februar 2009 persönlich in den Briefkasten des Justizzentrums Dessau-Roßlau eingeworfen. Da der eigentliche Briefkasten des Amtsgerichts sich an einem anderen Ort befindet, wäre ein Zugang beim unzuständigen Amtsgericht nur in dem Fall anzunehmen, in dem auch das Amtsgericht zugleich an den Briefkasten des gemeinsamen Justizzentrums angeschlossen ist. Das ist indessen nicht der Fall. Vielmehr hat das Amtsgericht einen eigenen Briefkasten, während der Briefkasten des Justizzentrums lediglich für das Land-, das Arbeits- und Finanzgericht dient. Mithin konnte der Schriftsatz, wenn er am 26. Februar 2009 in den Briefkasten des Justizzentrums eingeworfen wurde, nicht in die Verfügungsgewalt des Amtsgerichts gelangen. Vielmehr wäre er dann noch rechtzeitig beim Landgericht eingegangen. Der Umstand, dass der Briefkasten des Justizzentrums zugleich dem Arbeits- und Finanzgericht dient, ändert daran nichts. Aus dem Berufungsschriftsatz vom 25. Februar 2009 ergibt sich eindeutig, dass Berufung gegen ein nach Datum und Aktenzeichen näher bezeichnetes Urteil des Amtsgerichts Dessau-Roßlau eingelegt werden soll. Eine derartige Berufung kann indessen nur beim Landgericht, nicht dagegen beim Arbeits- oder Finanzgericht eingelegt werden. Insofern ist der Fall hier nicht anders zu behandeln als derjenige, bei dem eine an das falsche Gericht adressierte Berufung allein in den Briefkasten des zuständigen Rechtsmittelgerichts eingelegt wird. In einem solchen Fall ist die Berufung rechtzeitig eingegangen. b) Anders liegt es dann, wenn der an ein falsches Gericht gerichtete Berufungsschriftsatz zwar tatsächlich in dem nur hierfür vorgesehenen Briefkasten des Rechtsmittelgerichts eingeht, der Schriftsatz sich aber in einem verschlossenen Umschlag befindet und der Umschlag mit der Adresse des unzuständigen Gerichts bezeichnet ist. In einem derartigen Fall ist die Posteingangsstelle des Rechtsmittelgerichts verpflichtet, die Sendung ungeöffnet an dasjenige Gericht weiterzuleiten, das auf dem Umschlag angegeben ist (BGH, Beschluss vom 10. Februar 1994 - VI ZB 30/93 - NJW 1994, 1354 unter II 1 a). Derartige Umstände stehen hier indessen gerade nicht fest. Der im Berufungsverfahren hierzu vom Kläger gehaltene Vortrag war erkennbar unzureichend. Er hat mit Schriftsatz vom 10. März 2009 lediglich vorgetragen, sein Prozessbevollmächtigter habe das Original der Berufungsschrift persönlich am 26. Februar 2009 gegen 17.30 Uhr in den Briefkasten des Justizzentrums geworfen. Der Umschlag sei nicht frankiert gewesen. Aus diesem unvollständigen Vortrag ergibt sich nicht, ob sich der Schriftsatz in einem verschlossenen Umschlag sowie ob und gegebenenfalls welche Anschrift sich auf dem Umschlag befand. Insoweit hat der Kläger seinen Vortrag nunmehr ergänzt und mit Schriftsatz vom 16. Februar 2010 vorgetragen, es habe sich um einen Umschlag ohne Sichtfeld gehandelt, bei dem sich links der Kanzleistempel befunden habe. Mittig auf dem Umschlag habe Landgericht Dessau gestanden. Der Umschlag sei nicht frankiert gewesen und auch eine Straße und Postleitzahl habe sich auf diesem nicht befunden, weil er ihn persönlich eingeworfen habe. c) Das Berufungsgericht wird daher nunmehr - gegebenenfalls nach § 284 Satz 2 ZPO im Wege des Freibeweises (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Februar 2009 - IV ZB 25/08 - zu II 4) - zu klären haben, ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers tatsächlich am 26. Februar 2009 das Original der Berufungsschrift in einem Briefumschlag, auf dem außen Landgericht Dessau stand, in den Briefkasten des Justizzentrums Dessau-Roßlau eingeworfen hat. Neben einer Vernehmung des Prozessbevollmächtigten des Klägers als Zeuge kommt hier auch eine Vernehmung der Mitarbeiter der Posteingangsstelle des Justizzentrums dazu in Betracht, wie bei Schriftstücken verfahren wird, die sich in einem an das Landgericht gerichteten Briefumschlag befinden, in denen sich aber ein an das Amtsgericht gerichteter Schriftsatz befindet. Hierbei wird auch zu klären sein, wie es mit dem Vortrag des Klägers zu vereinbaren sein soll, dass sich auf der ersten Seite des Originals des Berufungsschriftsatzes vom 25. Februar 2009 der Eingangsstempel des Amtsgerichts Dessau-Roßlau vom 26. Februar 2009 befindet, auf der Rückseite der zweiten Seite des Schriftsatzes dagegen erst der Eingangsstempel des Justizzentrums Dessau-Roßlau vom 27. Februar 2009. Terno                                               Seiffert                                         Dr. Kessal-Wulf Harsdorf-Gebhardt                                Dr. Karczewski
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JURE100059603
BGH
9. Zivilsenat
20100311
IX ZB 128/07
Beschluss
§ 1 Abs 2 Nr 1 S 3 InsVV, § 6 InsO, § 10 InsVV, § 11 Abs 1 S 2 InsVV vom 04.10.2004, § 11 Abs 1 S 3 InsVV vom 04.10.2004, § 19 Abs 2 InsVV
vorgehend LG Bochum, 14. Juni 2007, Az: 10 T 35/07, Beschluss vorgehend AG Bochum, 17. April 2007, Az: 80 IN 129/06
DEU
Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters: Berechnungsgrundlage für den Vergütungsanspruch in Altfällen; Berücksichtigung des Werts eines unentgeltlichen Nutzungsanspruchs
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts Bochum vom 14. Juni 2007 wird auf Kosten des weiteren Beteiligten als unzulässig verworfen. Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 23.927,55 € festgesetzt.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, §§ 6, 7, 64 Abs. 3 InsO statthafte Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 2 ZPO unzulässig. 1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Seit Einlegung der Rechtsbeschwerde ist geklärt, dass nach § 19 Abs. 2 InsVV auf vorläufige Insolvenzverwaltungen, die vor dem 29. Dezember 2006 begonnen und geendet haben, wie hier, § 11 Abs. 1 Satz 2 und 3 InsVV in der Fassung vom 4. Oktober 2004 anzuwenden sind (BGH, Beschl. v. 23. Oktober 2008 - IX ZB 35/05, ZInsO 2008, 1321, 1322 Rn. 7 bis 9; v. 10. Dezember 2009 - IX ZB 181/06, ZInsO 2010, 350 Rn. 5). Die Berechnungsgrundlage der Vergütung bestimmt sich daher für den weiteren Beteiligten nach den Grundsätzen, die der Bundesgerichtshof zur Auslegung der §§ 10, 1 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 InsVV aufgestellt hat (vgl. BGHZ 165, 266, 274; 168, 321, 324 ff). Von diesen Grundsätzen ist das Beschwerdegericht zugunsten des weiteren Beteiligten abgewichen, indem es den Wert des verwalteten Vermögens ohne Abzug der Rechte Dritter gemäß §§ 771, 805 ZPO (nach Eröffnung: Aus- oder Absonderungsrechte) als Berechnungsgrundlage der Vergütung herangezogen hat. Nach diesem Ausgangspunkt sind etwaige belastende Maßstabsverschiebungen bei der Bemessung des Zuschlags für die Betriebsfortführung, den das Beschwerdegericht dem weiteren Beteiligten dem Grunde nach mit Recht zugebilligt hat, auf die Höhe der richtigerweise festzusetzenden Vergütung ohne Einfluss. 2. Entgegen der Rechtsbeschwerdebegründung ist auch nicht ersichtlich, dass das Beschwerdegericht von den Grundsätzen des Senatsbeschlusses vom 27. Juli 2006 (IX ZB 243/05, ZIP 2006, 1739 f Rn. 8) abgewichen wäre. Zur Berechnungsgrundlage für den vorläufigen Insolvenzverwalter gehört danach bei Fortführung des Schuldnerbetriebs auch der Wert des unentgeltlichen Nutzungsanspruchs bei einer eigenkapitalersetzenden Gebrauchsüberlassung, soweit er den Unternehmenswert erhöht. Von diesem Grundsatz ist die angefochtene Entscheidung nicht erkennbar abgewichen, wenn sie den Wert dieses Anspruchs während der Amtsdauer des weiteren Beteiligten in die Berechnungsgrundlage seiner Vergütung einbezogen hat. 3. Die von der Rechtsbeschwerde gerügte Gehörsverletzung besteht nicht. Das Beschwerdegericht war nicht verpflichtet, näher auszuführen, inwieweit sich seine Berücksichtigung der kapitalersetzenden Nutzungsüberlassung mit der bereits in der Beschwerdeinstanz von dem weiteren Beteiligten angeführten Senatsentscheidung vom 27. Juli 2006 (aaO) deckte. 4. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO abgesehen. Ganter                             Raebel                              Kayser Pape                                Grupp
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JURE100059605
BGH
9. Zivilsenat
20100311
IX ZB 82/08
Beschluss
§ 15a RVG vom 30.07.2009, Teil 3 Vorbem 3 Abs 4 RVG-VV, Nr 3100 RVG-VV
vorgehend OLG Frankfurt, 28. Februar 2008, Az: 18 W 62/08, Beschluss vorgehend LG Hanau, 4. Dezember 2007, Az: 9 O 628/06, Kostenfestsetzungsbeschluss
DEU
Rechtsanwaltsgebühr: Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr in Kostenfestsetzungsverfahren in Altfällen
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 28. Februar 2008 aufgehoben. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Hanau vom 4. Dezember 2007 abgeändert. Die von der Beklagten aufgrund des vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main am 5. Oktober 2007 geschlossenen Vergleichs an den Kläger zu erstattenden Kosten werden auf 2.360,93 € festgesetzt nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. Oktober 2007 aus 1.318,33 € und seit dem 13. November 2007 aus 1.042,60 €. Die Beklagte hat die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu tragen. Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 164,23 € festgesetzt.
I. Die Parteien streiten im Kostenfestsetzungsverfahren um die Höhe der von der Beklagten dem Kläger zu erstattenden Kosten. Das Landgericht Hanau hat im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 4. Dezember 2007 die zu erstattenden Kosten auf 2.196,70 € festgesetzt. Dabei hat es die vom Kläger für seine Prozessbevollmächtigten nach Nr. 3100 VV RVG geltend gemachte 1,3-fache Verfahrensgebühr nur in Höhe einer 0,65-fachen Gebühr berücksichtigt. Den vollen Ansatz der Verfahrensgebühr hat es mit der Begründung abgelehnt, die nach Angabe des Klägers für die vorgerichtliche Tätigkeit seiner Prozessbevollmächtigten angefallene Geschäftsgebühr sei gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 VV RVG hälftig auf die Verfahrensgebühr anzurechnen. Die dagegen erhobene sofortige Beschwerde des Klägers hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt der Kläger die uneingeschränkte Berücksichtigung der geltend gemachten Verfahrensgebühr. II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. An die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist der Senat gebunden (§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO). 2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. a) Die Entscheidung des Beschwerdegerichts entsprach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bis zur Einführung des § 15a RVG durch Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes vom 30. Juli 2009 (BGBl. I S. 2449, 2470). Der VIII. Zivilsenat hat mit Beschluss vom 22. Januar 2008 (VIII ZB 57/07, NJW 2008, 1323, 1324 Rn. 6 ff) entschieden, dass die Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren gegen den Prozessgegner nur gekürzt um den nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 VV RVG anzurechnenden Teil der Geschäftsgebühr festgesetzt werden könne. Mehrere Zivilsenate des Bundesgerichtshofs haben sich dieser Auffassung angeschlossen (BGH, Beschl. v. 30. April 2008 - III ZB 8/08, NJW-RR 2008, 1095; v. 3. Juni 2008 - VI ZB 55/07, NJW-RR 2008, 1528; v. 16. Juli 2008 - IV ZB 24/07, JurBüro 2008, 529 f; v. 14. August 2008 - I ZB 103/07, AGS 2008, 574; v. 25. September 2008 - VII ZB 93/07, RVGreport 2008, 468). Nach Inkrafttreten des § 15a RVG, wonach sich ein Dritter nur unter bestimmten Voraussetzungen auf die Anrechnung berufen kann, ist in der Rechtsprechung der Instanzgerichte streitig geworden, ob diese Norm auch für die Beurteilung von so genannten Altfällen von Bedeutung ist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 19. Oktober 2009 - 2 W 280/09, OLGR 2009, 930). Die bisher befassten Senate des Bundesgerichtshofs haben sich auf den Standpunkt gestellt, dass § 15a RVG die bisherige Rechtslage nicht geändert hat, sondern sie lediglich klarstellt (BGH, Beschl. v. 2. September 2009 - II ZB 35/07, NJW 2009, 3101; v. 9. Dezember 2009 - XII ZB 175/07, AGS 2010, 54). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Die von verschiedenen Oberlandesgerichten angeführten Gegenargumente sind im Beschluss des XII. Zivilsenats vom 9. Dezember 2009 erörtert und für nicht durchgreifend erachtet worden. Auch für Kostenfestsetzungen vor Inkrafttreten dieser Norm gilt daher, dass die Anrechnung gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG grundsätzlich nur das Innenverhältnis zwischen Anwalt und Mandant betrifft und sich im Verhältnis zu Dritten, also insbesondere im Kostenfestsetzungsverfahren regelmäßig nicht auswirkt. Damit weicht der Senat von der genannten Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats und der ihm folgenden Senate ab. Die Abweichung ist jedoch die Folge einer gesetzlichen Klärung und setzt deshalb keine Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen voraus (§ 132 Abs. 2 GVG). b) Das Beschwerdegericht hat danach die geltend gemachte Verfahrensgebühr zu Unrecht gekürzt. Ein Ausnahmefall nach § 15a Abs. 2 RVG liegt nicht vor. Die angefochtene Entscheidung war deshalb aufzuheben. Da die Aufhebung nur wegen Rechtsverletzung bei der Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden. Bei ungekürzter Berücksichtigung der von beiden Parteien geltend gemachten Verfahrensgebühr mit dem Betrag von jeweils 985,40 € errechnet sich der von der Beklagten dem Kläger zu erstattende Betrag mit 2.360,93 €. Ganter                                          Raebel                                       Kayser Gehrlein                                          Grupp
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Deutschland
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BMJV
public
JURE100059619
BGH
Senat für Anwaltssachen
20100208
AnwZ (B) 67/08
Beschluss
§ 14 Abs 2 Nr 7 Halbs 1 BRAO
vorgehend Anwaltsgerichtshof Hamm, 14. Dezember 2007, Az: 1 ZU 87/07, Beschluss
DEU
Anwaltliches Berufsrecht: Widerruf der Anwaltszulassung wegen Vermögensverfalls trotz Vorlage eines der BGH-Rechtsprechung entsprechenden Anstellungsvertrages mit einer Anwaltssozietät
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen vom 14. Dezember 2007 wird zurückgewiesen. Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.
I. Der Antragsteller wurde am 26. Juni 1989 im Bezirk der Antragsgegnerin zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Bescheid vom 17. September 2007 widerrief die Antragsgegnerin die Zulassung wegen Vermögensverfalls. Der Anwaltsgerichtshof hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen. Mit seiner sofortigen Beschwerde will der Antragsteller weiterhin die Aufhebung des Widerrufsbescheides erreichen. II. Die sofortige Beschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BRAO a.F., § 215 Abs. 3 BRAO). Sie bleibt jedoch ohne Erfolg. 1. Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Anwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außer Stande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Beweisanzeichen hierfür sind insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn (st. Rspr.; vgl. z.B. Senatsbeschluss v. 14. April 2007 - AnwZ (B) 6/06, Rdn. 5 m.w.N.). 2. Im Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung waren diese Voraussetzungen erfüllt. Die Vollstreckungstitel und -maßnahmen, auf welche die Widerrufsverfügung Bezug nimmt, belegen, dass der Antragsteller nicht in der Lage war, seinen finanziellen Verpflichtungen zeitnah nachzukommen. Dies hat er in seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung selbst eingeräumt. Insbesondere verlief die Zwangsvollstreckung der N. GmbH wegen einer Forderung von zuletzt 5.999 € im Juli 2007 fruchtlos (lfd. Nr. 33 der Forderungsaufstellung). Der Vermögensverfall führt regelmäßig zu einer Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden, insbesondere im Hinblick auf den Umgang des Rechtsanwalts mit Mandantengeldern und den darauf möglichen Zugriff seiner Gläubiger. Anhaltspunkte dafür, dass ungeachtet des Vermögensverfalls die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet waren, gab es nicht. 3. Die Vermögensverhältnisse des Antragstellers haben sich auch nicht, was bei der Entscheidung noch zu berücksichtigen wäre (BGHZ 75, 356, 357; 84, 149, 150), im Laufe des gerichtlichen Verfahrens konsolidiert. Der Antragsteller befindet sich nach wie vor in Vermögensverfall. Seine Vermögensverhältnisse haben sich seit dem Erlass der Widerrufsverfügung noch verschlechtert. Einer Mitteilung des Amtsgerichts L. vom 30. März 2009 zufolge war zuletzt in 22 Zwangsvollstreckungsverfahren Haftbefehl zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung erlassen worden, bevor der Antragsteller am 18. August 2009 die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat. Aus diesem Grund wird der Vermögensverfall nunmehr auch gesetzlich vermutet (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 Halbsatz 2 BRAO). Aus den von der Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen sind zudem ständige neue Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den Antragsteller ersichtlich (zuletzt ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 16. November 2009 wegen eines Betrages von 690,28 € nebst Zinsen und Kosten sowie ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wegen einer Forderung von 920 € nebst Zinsen und Kosten vom 4. Januar 2010). Tatsachen, welche die gesetzliche Vermutung widerlegen könnten, hat der Antragsteller nicht dargelegt. Bis heute hat er keine Übersicht über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder eine Aufstellung aller gegen ihn erhobener Forderungen vorgelegt. Seiner Pflicht, bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 36a BRAO a.F., § 215 Abs. 3 BRAO) ist der Antragsteller damit trotz mehrfacher Hinweise der Antragsgegnerin, des Anwaltsgerichtshofs und des Senats nicht nachgekommen, obwohl ihm hierfür mehr als ausreichend Zeit zur Verfügung stand. Der Widerrufsbescheid datiert vom 17. September 2007, das Verfahren vor dem Senat ist seit mehr als einem Jahr anhängig. Seine Absicht, die Einzelkanzlei aufzugeben, und seine Bemühungen um eine Anstellung hat er dem Senat erst unmittelbar vor dem seit langem feststehenden Termin zur mündlichen Verhandlung mitgeteilt. In diesem Zusammenhang hat er lediglich pauschal behauptet, er werde seine Schulden begleichen können, nachdem er nunmehr als angestellter Anwalt arbeite und ein festes Einkommen beziehe. Das reicht nicht aus. 4. Eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden durch den Vermögensverfall des Antragstellers (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 Halbsatz 1 BRAO) lässt sich nach wie vor nicht ausschließen. a) Der Antragsteller hat einen Arbeitsvertrag vorgelegt, den er mit dem Rechtsanwalt und Steuerberater A. P. geschlossen hat. Als Beginn des Arbeitsverhältnisses ist der 1. November 2009 vereinbart (§ 1). Das Einkommen des Antragstellers beträgt 3.000 € brutto (§ 4 Nr. 1). Der Vertrag sieht unter anderem vor, dass der Antragsteller nicht berechtigt ist, Mandate für die Kanzlei anzunehmen (§ 2 Nr. 1). Eine Nebentätigkeit darf der Antragsteller nur mit vorheriger schriftlicher Zustimmung des Arbeitgebers aufnehmen; eine Nebentätigkeit "im Rahmen einer Rechtsanwaltskanzlei" ist "uneingeschränkt unzulässig". In § 9 heißt es unter der Überschrift "Sonstige Vereinbarungen": "Dem Arbeitgeber ist bekannt, dass der Arbeitnehmer sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet. Die Parteien sind sich darüber einig, dass es in berufsrechtlicher Hinsicht ergänzender Regelungen bedarf, um auch objektiv Gefahren für Mandanten auszuschließen. Deswegen vereinbaren die Parteien ergänzend: 1. Der Arbeitnehmer erscheint nicht auf dem Briefkopf und dem Kanzleischild des Arbeitgebers. Es soll ausgeschlossen sein, dass durch die Benennung auf dem Briefkopf auch nur der Schein des Bestehens einer Sozietät zwischen den Parteien dieses Arbeitsvertrages entsteht. 2. Der Arbeitnehmer nimmt keine eigenen Mandate an. Der Arbeitnehmer nimmt auch persönlich keine Mandate für die Sozietät ohne ausdrückliche Zustimmung des Arbeitgebers an. Grundsätzlich werden Mandate im Namen und für die Rechnung der Sozietät abgeschlossen. Soweit dies im Einzelfall nicht möglich ist, erfolgt die Mandatsübernahme im Innenverhältnis ausschließlich auf Rechnung des Arbeitgebers. 3. Nach ständiger Übung wird grundsätzlich der gesamte Zahlungsverkehr der Kanzlei unbar abgewickelt. Sollte es dennoch in Ausnahmefällen zu Barzahlungen durch Mandanten oder Dritte kommen, ist dem Arbeitnehmer bekannt, dass Barzahlungen nach einer gültigen Weisung und der ständigen Übung der Sozietät grundsätzlich nur durch einen Sozius unter Hinzuziehung der Bürovorsteherin oder eines anderen Mitarbeiters entgegengenommen und quittiert werden. Entsprechendes gilt sinngemäß für sonstige Vermögenswerte (Schecks pp.). 4. Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, diese Regelungen einzuhalten und ausnahmslos die persönliche Entgegennahme von Zahlungen an die Sozietät, sei es auch nur im Auftrag oder für Rechnung Dritter, abzulehnen. 5. Die Parteien sind darüber einig, dass ein Verstoß gegen diese Verpflichtung des Arbeitnehmers die sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber aus wichtigem Grund zu Folge hat, ohne dass es zuvor einer Abmahnung bedarf. 6. Im Falle der Durchführung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitnehmers führt der Arbeitgeber auf Grund der ihm in Abschrift vorzulegenden Abtretungserklärung den pfändbaren Teil des Arbeitseinkommens an den vom Insolvenzgericht bestellten Treuhänder direkt ab. Bis zur Bestellung eines Treuhänders wird der pfändbare Teil des Arbeitseinkommens vom Arbeitgeber direkt auf das vom Insolvenzverwalter eingerichtete Treuhandkonto überwiesen. 7. Die Parteien werden diesen Arbeitsvertrag an etwaige Auflagen der Rechtsanwaltskammern oder der Gerichte, soweit sie zum Erhalt der Bestellung des Arbeitnehmers als Rechtsanwalt erforderlich sind, anpassen, sofern dies dem Arbeitgeber zumutbar ist und die in jeder Hinsicht ordnungsgemäße Erbringung der Rechtsberatungstätigkeit der Sozietät dadurch nicht beeinträchtigt wird." Der Antragsteller und Rechtsanwalt P. haben außerdem eine Zusatzvereinbarung geschlossen, in welcher sie sich verpflichtet haben, den Rechtsanwaltskammern H. und D. jede Änderung des Arbeitsvertrages sowie ein etwaiges Ende des Anstellungsverhältnisses unverzüglich mitzuteilen. In einem weiteren Zusatz heißt es, die Bürovorsteherin des Rechtsanwalts P. sei von diesem angewiesen, die Pflichten des Antragstellers aus dem Arbeitsvertrag zu überwachen. b) Eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden hat der Senat in Fällen verneint, in denen der Anwalt seine selbständige Tätigkeit vollständig und nachhaltig aufgegeben hatte, nur noch als Angestellter einer Rechtsanwaltssozietät tätig war und mit dieser rechtlich abgesicherte Maßnahmen verabredet hatte, die verhinderten, dass er mit Mandantengeldern in Berührung kam. Um dies sicherzustellen, war vertraglich vereinbart, dass der Rechtsanwalt auf dem Kanzleibriefkopf entweder gar nicht oder ausdrücklich als angestellter Rechtsanwalt geführt wurde, Mandatsverhältnisse ausschließlich im Auftrag und für Rechnung der Sozietät eingehen, eigene Mandate nicht annehmen und Zahlungen an die Sozietät nicht entgegennehmen durfte. Die Sozien der Kanzlei, gegen deren berufsrechtliche Zuverlässigkeit keine Bedenken bestanden, hatten geeignete Sicherheitsvorkehrungen und Vertretungsregeln getroffen, die eine Einhaltung dieser Regelungen gewährleisteten. Der pfändbare Teil des Arbeitseinkommens wurde an den Insolvenzverwalter abgeführt. Beide Vertragsparteien hatten sich durch schriftliche Erklärung gegenüber der Rechtsanwaltskammer verpflichtet, jede Änderung des geschlossenen Anstellungsvertrags und ein etwaiges Ende des Anstellungsverhältnisses unverzüglich mitzuteilen (BGH, Beschl. v. 18. Oktober 2004 - AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511; BGH, Beschl. v. 25. Juni 2007 - AnwZ (B) 101/05, NJW 2007, 2924). c) Der vom Antragsteller kurz vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung eingereichte Arbeitsvertrag entspricht im Wesentlichen denjenigen Verträgen, welche den zitierten Entscheidungen zugrunde lagen. Nach Auskunft der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers im Termin zur mündlichen Verhandlung wurde er im Hinblick auf das vorliegende Verfahren in der Kanzlei der Verfahrensbevollmächtigten erstellt und dabei den Erfordernissen der einschlägigen Senatsentscheidungen angepasst. Ein derartiges Verhalten hat der Senat auch in anderen Fällen beobachtet, in denen die Zulassung eines Anwalts wegen Vermögensverfalls widerrufen worden war. Dem Senat werden schriftliche Verträge vorgelegt, die kurzfristig geschlossen worden sind oder deren verbindlicher Abschluss für den Fall der Aufhebung des Widerrufsbescheides sogar nur in Aussicht gestellt wird, verbunden mit der Bitte um rechtliche Hinweise zur "Vervollkommnung" des jeweils vorgelegten Entwurfs. Hierin äußert sich ein grundlegendes Missverständnis der bisherigen Senatsrechtsprechung. Der Senat sieht Anlass zu folgenden Hinweisen: Schon nach dem Wortlaut des § 14 Nr. 7 BRAO ist der Widerruf der Zulassung die Regel und die trotz des Vermögensverfalls nicht gegebene Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden die Ausnahme (vgl. BGH, Beschl. v. 25. Juni 2007 - AnwZ (B) 101/05, NJW 2007, 2924 Rdn. 8). Der Vermögensverfall des Anwalts lässt befürchten, dass entweder der Anwalt selbst oder aber dessen Gläubiger auf Gelder der Mandanten zugreifen. Ziel der Vorschrift des § 14 Nr. 7 BRAO ist es, dieser Gefahr vorzubeugen. Daran hat sich die Rechtsanwendung zu orientieren. Von einem Widerruf der Zulassung eines in Vermögensverfall geratenen Anwalts kann folglich nur dann abgesehen werden, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung eine sichere Prognose dahingehend getroffen werden kann, dass sich im zu entscheidenden Einzelfall die typischen Gefahren, die mit dem Vermögensverfall eines Anwalts verbunden sind, nicht realisieren werden. Grundlage einer solchen Prognose kann nicht nur der Abschluss eines den einschlägigen Senatsentscheidungen nachgebildeten Anstellungsvertrages sein. Vielmehr entscheidet eine Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände darüber, ob die Gefährdung der Rechtsuchenden hinreichend sicher ausgeschlossen ist. Dies wird angesichts der für eine Gefährdung streitenden Vermutung nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommen; die Feststellungslast hierfür trifft den Rechtsanwalt. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Frage, ob die arbeitsvertraglichen Beschränkungen vom angestellten Rechtsanwalt und seinen Arbeitgebern auch eingehalten werden. Hierzu müssen - auch in Vertretungsfällen greifende -Sicherungsvorkehrungen getroffen werden, die eine effektive Kontrolle der vertraglichen Vereinbarungen gewährleisten; es bedarf einer ausreichend engen tatsächlichen Überwachung, um zu verhindern, dass der Rechtsanwalt mit Mandantengeldern in Berührung kommt. Unter diesem Gesichtspunkt hat der Senat etwa ein Anstellungsverhältnis mit einer Einzelkanzlei nicht als ausreichend angesehen, weil in diesem Fall nicht zuverlässig sichergestellt ist, dass die Einhaltung der Vereinbarungen auch während urlaubs- oder krankheitsbedingter Abwesenheit des Einzelanwalts überwacht wird (BGH, Beschl. v. 5. Dezember 2005 - AnwZ (B) 13/05, NJW-RR 2006, 559; v. 5. Dezember 2005 - AnwZ (B) 14/05, AnwBl. 2006, 281; v. 31. März 2008 - AnwZ (B) 33/07, Rdn. 10; v. 26. November 2009 - AnwZ (B) 27/09 Rdn. 17). In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, ob der Vertrag bisher nur bei Gericht vorgelegt oder aber im Zeitpunkt der Entscheidung schon über einen längeren Zeitraum beanstandungsfrei durchgeführt ("gelebt") worden ist (vgl. dazu Schmidt-Räntsch, in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 14 BRAO Rdn. 45). In den beiden Fällen, in denen der Senat zugunsten des Rechtsanwalts entschieden hat, waren die Arbeitsverhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats bereits seit mehr als eineinhalb (BGH, Beschl. v. 18. Oktober 2004 - AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511) und sogar seit mehr als drei Jahren (BGH, Beschl. v. 25. Juni 2007 - AnwZ (B) 101/05, NJW 2007, 2924) in Vollzug gesetzt. Um die Prognose abzusichern, dass eine Gefährdung der Rechtsuchenden ausgeschlossen ist, hat der Senat im Übrigen schon bisher - neben der Aufgabe der selbständigen Tätigkeit und dem Abschluss eines Anstellungsvertrages, der die üblichen Befugnisse eines Anwalts im Umgang mit Mandanten und mit Fremdgeld zum Schutze der Mandanten einschränkt- für relevant gehalten, ob der Anwalt seine berufliche Tätigkeit bis dahin beanstandungsfrei ausgeübt hat und ob er selbst zielgerichtet, ernsthaft und planvoll die erforderlichen Schritte zur Stabilisierung seiner Vermögensverhältnisse unternommen hat. Die arbeitsvertraglichen Beschränkungen und insbesondere die Sicherheitsvorkehrungen zu ihrer Überwachung dürfen nicht auf unabsehbare Zeit erforderlich sein. Da dies mit dem Berufsbild des Rechtsanwalts nicht in Einklang zu bringen wäre, können sie nur vorübergehend hingenommen werden, wenn nach Ablauf einer gewissen Zeit wieder mit einer Konsolidierung der Vermögensverhältnisse gerechnet werden kann, die die Notwendigkeit der Beschränkungen entfallen lässt (BGH, Beschl. v. 18. Oktober 2004 - AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511; Beschl. v. 5. Dezember 2005 - AnwZ (B) 14/05, AnwBl. 2006, 281). d) Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller seine Einzelkanzlei aufgegeben und mit seinem Arbeitgeber - dem Partner einer großen überörtlichen Sozietät, die auch an dem für den Antragsteller vorgesehenen Einsatzort D. mit mehreren Anwälten vertreten ist - Maßnahmen vereinbart, die formal die hierzu in der Senatsrechtsprechung entwickelten Kriterien erfüllen. Das allein reicht jedoch, wie gezeigt, nicht aus. In Anbetracht der übrigen Umstände des vorliegenden Falles hat sich der Senat nicht die notwendige Überzeugung verschaffen können, dass eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden aller Voraussicht nach bis zur Konsolidierung der Vermögensverhältnisse des Antragstellers ausgeschlossen ist. Der Antragsteller hat es bisher nicht vermocht, die zur Ordnung seiner Vermögensverhältnisse erforderlichen Schritte in die Wege zu leiten.Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und auf Restschuldbefreiung hat er entgegen seiner Ankündigung aus dem Schriftsatz vom 5. November 2009 nicht gestellt. Auch zu dem Sanierungsplan, den er nach diesem Schriftsatz in Angriff nehmen wollte, hat er im weiteren Verlauf des Verfahrens nichts Konkretes vorgetragen. In seinem Schriftsatz vom 6. Januar 2010 hat er keine Einzelheiten zu den vorhandenen Verbindlichkeiten, zu Verhandlungen mit den Gläubigern oder zu den Beträgen, welche ihm auf der Grundlage seines jetzigen Verdienstes für die Rückführung der Schulden zur Verfügung stehen, mitgeteilt. Darin heißt es nur, sein jetzt in abhängiger Stellung erzieltes Einkommen reiche aus, um seine Schulden "in Höhe von ca. 50.000 €" ohne Insolvenzverfahren zu begleichen; bereits im vergangenen Jahr habe er "etliche tausend Euro" auf seine Verbindlichkeiten gezahlt und sich dafür "in seiner Lebensführung erheblich eingeschränkt". Eine konkrete Perspektive, wann die Verbindlichkeiten des Antragstellers geregelt sein werden, ist damit nicht aufgezeigt. Dieses Vorbringen ist nicht nur, wie dargelegt, zum Beleg einer gegenwärtigen Konsolidierung der Vermögensverhältnisse ungeeignet. Darauf lässt sich auch nicht die Prognose gründen, dass es dem Antragsteller in absehbarer Zeit gelingen wird, sämtliche Verbindlichkeiten zu tilgen oder auf andere Weise zu regeln. Dass er seine Vermögensverhältnisse erneut nicht vollständig offen legt, fügt sich zudem in sein bisheriges prozessuales Verhalten und gibt Anlass, an seiner für die Annahme eines Ausnahmefalls erforderlichen persönlichen Zuverlässigkeit zweifeln. In dieser Hinsicht kommt hinzu, dass der Antragsteller seinen Beruf schon bisher nicht ohne jede Beanstandung ausgeübt hat. Ein Fehlverhalten im Zusammenhang mit Mandantengeldern ist zwar nicht bekannt geworden. Gegen ihn liegt jedoch nicht nur die von ihm eingeräumte Rüge aus dem Jahr 2007 (oder 2008) vor, die ihren Grund in einer missverständlichen Zeitungsanzeige gehabt haben soll. Zu der von der Antragsgegnerin vorgelegten Liste mit Beschwerden hat der Antragsteller erklärt, es handele sich durchweg um Eingaben querulatorischer Mandanten. In zumindest einem Fall ist das jedoch nicht richtig. Die Beschwerde vom 16. Juli 2008 kann nicht damit abgetan werden, dass der Antragsteller, wie er behauptet, eine Verwaltungsakte "versehentlich" nicht zurückgegeben habe. Der Antragsteller hat die Akte, die ihm im Februar 2008 übersandt worden war, vielmehr trotz Einschreitens der Antragsgegnerin zurückbehalten und erst bei einer von der Staatsanwaltschaft De. veranlassten Durchsuchung seiner Kanzleiräume am 21. Juli 2009 herausgegeben. Das Strafverfahren wegen Urkundenunterdrückung wurde zwar nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, weil nicht nachzuweisen war, dass er zum Zwecke der Beweisvereitelung gehandelt hat. Der Verdacht einer berufsrechtlichen Verfehlung (Verstoß gegen § 56 Abs. 1 BRAO, § 19 BORA) ist damit jedoch nicht ausgeräumt. Die Generalstaatsanwaltschaft beabsichtigt ausweislich ihres Schreibens vom 5. November 2009, welches die Antragsgegnerin zu den Akten gereicht hat, den Antragsteller wegen dieses Vorgangs vor dem für den Bezirk des Oberlandesgerichts H. zuständigen Anwaltsgericht anzuschuldigen. Wegen dreier weiterer Beschuldigungen eingeleitete Verfahren sind an die Generalstaatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht H. abgegeben worden. Dem Bericht der Staatsanwaltschaft De. zufolge war die Durchsuchung der Räume des Antragstellers außerdem in zwei anderen Ermittlungsverfahren angeordnet worden. Die DAK hat mit Schreiben vom 12. November 2009 mitgeteilt, dass der Antragsteller im Zeitraum 1. Oktober bis 31. Dezember 2007 Sozialversicherungsbeiträge für die bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer nicht abgeführt habe. Zu allen diesen Vorgängen hat sich der Antragsteller nicht erklärt, obwohl er ausreichend Gelegenheit dazu hatte. Tolksdorf                                               Roggenbuck                                        Lohmann Stüer                                                         Quaas
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public
JURE100059624
BGH
2. Strafsenat
20100210
2 StR 503/09
Urteil
§ 211 StGB
vorgehend LG Gießen, 25. Juni 2009, Az: 5 Ks - 401 Js 2916/08, Urteil
DEU
Heimtückemord: Arglosigkeit des Opfers bei latenter Angst vor dem Täter
1. Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 25. Juni 2009, soweit der Angeklagte wegen Totschlags verurteilt ist und im Gesamtstrafenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags sowie wegen unerlaubten Erwerbs und Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb und Besitz von Munition zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Gegen die Verurteilung wegen Totschlags richtet sich die mit der Sachrüge und mit Verfahrensrügen begründete zulässige Revision des Nebenklägers, der geltend macht, das Landgericht habe Mordmerkmale zu Unrecht verneint. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg und führt im Umfang seiner Einlegung zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, während der nicht angegriffene Schuldspruch wegen des Waffendelikts und die insoweit verhängte Einzelstrafe rechtskräftig sind. I. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils hatte der in dritter Ehe verheiratete Angeklagte seit 2004 eine konfliktreiche Beziehung mit dem späteren Tatopfer Č. Es kam mehrfach zu Strafanzeigen der Č. gegen den Angeklagten wegen Körperverletzungshandlungen, die sie später meist nicht aufrecht erhielt. Am 1. November 2006 wurde gegen den Angeklagten wegen insgesamt zehn Körperverletzungshandlungen zum Nachteil seiner Ehefrau S. D., der Č. und deren im Februar 2004 geborener Tochter E. Anklage erhoben. Die häufigen Konflikte führten dazu, dass das Jugendamt E. und die beiden gemeinsamen Söhne des Angeklagten und der Frau Č. in einem Kinder- und Jugenddorf unterbrachte. Am 1. Januar 2008 zog Frau Č. mit dem vier Wochen alten dritten gemeinsamen Sohn in das Frauenhaus F. Sie entschloss sich, sich endgültig vom Angeklagten zu trennen. Nach ihren Angaben war es an diesem Tag zu einer Auseinandersetzung mit dem Angeklagten gekommen, der sie geschlagen, eine Treppe herunter gestoßen und auf die Wirbelsäule getreten habe. Bei einer Untersuchung im Krankenhaus wurde ein Impressionsbruch des ersten Lendenwirbels festgestellt. Aufgrund einer Nachricht, die der Angeklagte im Kinder- und Jugenddorf hinterlassen hatte, nahm Frau Č. telefonisch Kontakt zu ihm auf. Am 22. Januar 2008 traf sie sich mit dem Angeklagten, obwohl sie sich vor ihm fürchtete. Zu ihrem Schutz hatte sie eine Bekannte aus dem Frauenhaus gebeten, sie zu begleiten. Während Frau Č. mit dem Angeklagten nach Hause fuhr, wartete die Bekannte am Bahnhof. Um 15.05 Uhr rief Frau Č. sie an und teilte ihr mit, dass alles in Ordnung sei und sie nach Hause gehen könne. Später am Abend kündigte sie ihr telefonisch an, dass sie in einer Stunde zurück in F. sein werde. Der Angeklagte, der am Abend zunächst seine Tochter S. nach Hause gefahren hatte, sagte Frau Č., dass er sie jetzt nach F. fahren wolle und ließ sie mit dem jüngsten Sohn in das Auto einsteigen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt entschloss er sich, Frau Č. zu töten. Er fuhr mit ihr unmittelbar in ein in entgegen gesetzter Richtung zum Frauenhaus liegendes Waldstück. Auf einem Weg etwa 300 m im Wald hielt er sein Fahrzeug an. Dort schoss er entweder im Fahrzeug oder aus Richtung der Fahrerseite in das Fahrzeug hinein auf Frau Č., die auf dem Beifahrersitz saß und sich in Richtung Fahrersitz dem Angeklagten zugewandt hatte. Das Projektil durchschlug den Körper von Frau Č. unterhalb des rechten Rippenbogens und verletzte Leber und Niere. Außerhalb des Fahrzeugs schoss der Angeklagte Frau Č. dreimal in die rechte Kopfhälfte. Frau Č. starb binnen weniger Minuten. Sie blieb etwa 6,30 m vom Waldweg in Rückenlage liegen. Das Motiv für die Tötung konnte das Landgericht nicht aufklären. II. Die Verfahrensrügen sind jedenfalls unbegründet. Die Sachrüge führt jedoch zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit es angefochten ist. Die Begründung, mit der das Landgericht das Mordmerkmal der Heimtücke verneint hat, hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Hierzu ist im angefochtenen Urteil (UA S. 56) ausgeführt: Frau Č. sei nicht arglos gewesen. Sie habe bereits bei einem Telefonat mit ihrer Rechtsanwältin einige Tage vor der Tat bekundet, dass der Angeklagte sie umbringen werde, wenn er sie noch einmal in die Finger bekäme. Dass sie auch am 22. Januar 2008 einen Angriff auf ihr Leben noch ins Kalkül gezogen habe, ergebe sich daraus, dass sie gegenüber einer Zeugin bei der Verabschiedung am Bahnhof gesagt habe "Wenn etwas passiert, weißt Du, wer es war". Dass Frau Č. zum Angeklagten ins Fahrzeug eingestiegen sei, heiße nicht, dass sie ihren Argwohn aufgegeben habe. a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs (st. Rspr., vgl. u.a. BGH NStZ 2006, 503, 504 m.w.N.). Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit ist es erforderlich, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Arglosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2008 - 5 StR 189/08 - m.w.N.). Die Rechtsprechung hat den Grundsatz, dass Heimtücke Arglosigkeit des Angegriffenen bei Tatbeginn voraussetzt, für einzelne typische Ausnahmefälle modifiziert (vgl. BGHSt 22, 77, 79 f.; 32, 382, 385 f.; Schneider in MüKo StGB § 211 Rdn. 131 m.w.N.). Ein solcher Ausnahmefall liegt etwa vor, wenn der Täter das Opfer mit Tötungsvorsatz planmäßig in einen Hinterhalt lockt, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, und die entsprechenden Vorkehrungen und Maßnahmen bei Ausführung der Tat noch fortwirken (BGHSt 22, 77, 79 f.; BGH NStZ 1989, 364; BGH, Urteile vom 14. Juni 1960 - 1 StR 73/60 - und vom 9. Dezember 1980 - 1 StR 620/80 -). b) Das Landgericht geht offenbar davon aus, dass der Angeklagte Frau Č. in eine Falle gelockt hat, als er sie in sein Auto einsteigen ließ, denn es prüft die Arglosigkeit der später Getöteten zu diesem Zeitpunkt (UA S. 56). Weshalb es zu dieser Annahme gekommen ist, hat das Landgericht nicht dargelegt, ebenso wenig wie es die Feststellung, dass der Angeklagte spätestens zu diesem Zeitpunkt (UA S. 15) entschlossen war, Frau Č. zu töten, auf festgestellte Tatsachen gestützt hat. Der Angeklagte ist hierdurch nicht beschwert, denn dass er jedenfalls bei der Tat mit Tötungsvorsatz gehandelt hat, belegt bereits die Tatausführung selbst. Zu seinem Vorteil greifen aber die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Arglosigkeit von Frau Č. schon beim Einsteigen verneint hat, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu kurz. Die Ausführungen des Landgerichts belegen zwar, dass Frau Č. grundsätzlich Angst vorm Angeklagten hatte. Eine auf früheren Aggressionen und einer feindseligen Atmosphäre beruhende latente Angst des Opfers vermag aber dessen Arglosigkeit nicht zu beseitigen (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 14 m.w.N.; NStZ-RR 2004, 234). Es kommt insofern vielmehr allein darauf an, ob das Opfer im Tatzeitpunkt mit Feindseligkeiten des Täters rechnet (vgl. BGHSt 39, 353, 368). Hiermit hat sich das Landgericht für den Zeitpunkt des Einsteigens ins Fahrzeug nicht konkret auseinander gesetzt. Die Umstände, die hier gegen eine solche Erwartung von Frau Č. sprechen konnten, nämlich dass sie ihrer Bekannten telefonisch mitgeteilt hatte, dass alles in Ordnung sei und jene sich nach Hause begeben könne, dass sie bei einem späteren Telefonat ihr eigenes Erscheinen in F. angekündigt hatte und dass sie überhaupt mit dem Kind in das Fahrzeug eingestiegen ist, hat das Landgericht nicht erörtert.
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059625
BGH
2. Strafsenat
20100224
2 StR 577/09
Urteil
§ 261 StPO, § 211 StGB, § 212 StGB, § 224 StGB
vorgehend LG Frankfurt, 25. Mai 2009, Az: 5/8 KLs 6330 Js 231882/08 (21/08), Urteil
DEU
Tötungsvorsatz bei einer spontanen gravierenden Gewalthandlung im Zustand der erheblichen Alkoholisierung und affektiven Erregung
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt - Jugendkammer - vom 25. Mai 2009 im Fall 8 der Urteilsgründe sowie im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten der gefährlichen Körperverletzung in vier Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung, des Raubs in Tateinheit mit Körperverletzung sowie der Bedrohung schuldig gesprochen und ihn deshalb unter Einbeziehung von drei früheren Verurteilungen zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die auf die Verurteilung im Fall II. 8 der Urteilsgründe und den Strafausspruch beschränkte, vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts zu diesem Fall kam es in den frühen Morgenstunden des 26. Juli 2008, gegen 2.45 Uhr zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten, dem Mitangeklagten L. und dem geschädigten Nebenkläger E.. Dieser hatte vom Fenster aus beobachtet, wie die beiden Angeklagten, die im Laufe des Abends im Bereich der Nordweststadt Frankfurt in alkoholisiertem Zustand bereits mehrfach Schlägereien mit anderen Jugendlichen gesucht hatten, gemeinsam einen weiteren Jugendlichen angriffen und schlugen. Da er - irrtümlich - annahm, der Angegriffene befinde sich in Lebensgefahr, wollte er ihm zu Hilfe kommen und begab sich vor das Haus. Dort wurde er von dem Angeklagten sogleich aggressiv bedrängt. Da inzwischen die Polizei benachrichtigt worden war und der Nebenkläger einer tätlichen Auseinandersetzung ausweichen wollte, wandte er sich zum Gehen. Der Angeklagte setzte ihm jedoch nach und bedrängte ihn körperlich; hierauf schubste der Nebenkläger ihn zurück. Der Angeklagte schlug ihn nun mit der Faust ins Gesicht. Als der Nebenkläger Anstalten machte, sich zu wehren, schlug auch der Mitangeklagte L. auf ihn ein; beide Angeklagte schlugen aus wechselnden Positionen auf Kopf und Oberkörper des Nebenklägers und schrieen unter anderem: "Ich stech Dich ab". Der Mitangeklagte L. war mit einem Malerspachtel bewaffnet, setzte diesen aber nicht ein; der Angeklagte trug ein Messer bei sich; L. rechnete nicht damit, dass er dieses einsetzen würde. Als der Angeklagte aufgrund der Gegenwehr des Nebenklägers befürchtete zu unterliegen, holte er aufgrund eines spontanen Entschlusses sein Messer hervor, klappte es unbemerkt auf, zog den Nebenkläger am Hemd zu sich hin und stach sofort zu. Er stach hierbei ungezielt von unten nach oben in die rechte Flanke des Nebenklägers. Der Stich drang etwa 10 cm tief ein, verletzte die Leber und verfehlte eine große Hohlvene nur um etwa 2 cm. Bei geringfügig anderem Stichverlauf hätte konkrete Todesgefahr bestanden. Der Nebenkläger, der den Stich bemerkt hatte, wandte sich zur Flucht. Der Angeklagte verfolgte ihn, konnte ihn aber nicht mehr erreichen. Die Verletzungen des Nebenklägers sind folgenlos ausgeheilt. Das Landgericht hat nicht feststellen können, dass der Angeklagte den Stich mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz ausgeführt habe. Es hat gesehen, dass die sehr gefährliche Tathandlung zwar ein Indiz für einen solchen Vorsatz war, und hat die Einlassung des Angeklagten, er habe nur das Bein des Nebenklägers treffen wollen, als widerlegt angesehen. Andererseits hat es angenommen, der Stich sei ungezielt gewesen (UA S. 44); überdies habe der Angeklagte bis zur Flucht des Nebenklägers nur einmal gestochen, obgleich ihm weitere Stiche (entgegen der Einlassung des Angeklagten selbst) möglich gewesen wären (UA S. 47). Auch seine erhebliche, zur Einschränkung der Steuerungsfähigkeit führende Alkoholisierung spreche gegen einen Tötungsvorsatz; weiterhin der Charakter der Tat als spontane Einzelhandlung in affektiver Erregung (UA S. 49). 2. Gegen diese Beweiswürdigung und die Verurteilung in diesem Fall nur wegen gefährlicher Körperverletzung wendet sich die Revision mit Recht. Die tatrichterliche Würdigung der Beweislage zum subjektiven Vorstellungsbild des Täters ist in Fällen wie dem vorliegenden nur rechtsfehlerfrei, wenn sie auf einer umfassenden Erörterung der festgestellten Beweisanzeichen beruht; Voraussetzung hierfür ist wiederum, dass die Beweisbedeutung einzelner Umstände zutreffend erkannt und deren Gewicht fehlerfrei beurteilt wird. Hieran fehlt es vorliegend, wie auch der Generalbundesanwalt zutreffend dargelegt hat. Die vom Landgericht angeführten Beweisanzeichen gegen einen bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten sind schon für sich nicht geeignet, das Beweisergebnis zu tragen. Weder eine erhebliche Alkoholisierung noch gar ein Handeln in affektiver Erregung und aufgrund spontanen Entschlusses sprechen gegen das Vorliegen von Tötungsvorsatz zum Handlungszeitpunkt; vielmehr sind diese Umstände nach sicherer Erfahrung gerade besonders geeignet, die Hemmschwelle auch für besonders gravierende Gewalthandlungen herabzusetzen. Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall, in dem aufgrund schwerster Berauschung oder tiefgreifender Bewusstseinsstörung schon die Erkenntnisfähigkeit des Täters beeinträchtigt ist, sind vorliegend ersichtlich nicht gegeben. Es liegt nahe, dass das Landgericht zu einer anderen Bewertung auch der sonstigen Tatumstände gelangt wäre, wenn es die Bedeutung der von ihm als gewichtig angesehenen Indizien zutreffend eingeordnet und beurteilt hätte. Die Gesamtwürdigung des Tatrichters, für die grundsätzlich ein der Überprüfung nur eingeschränkt zugänglicher Spielraum besteht, beruht hier auf unzutreffenden Grundlagen und ist daher insgesamt rechtsfehlerhaft. Das Urteil war daher insoweit aufzuheben. Ein Rücktritt vom - möglicherweise - versuchten Tötungsdelikt kommt hier aus den vom Generalbundesanwalt zutreffend dargelegten Gründen nach den bisherigen Feststellungen nicht in Betracht, da es auch bei Annahme eines unbeendeten Versuchs an einem freiwilligen Aufgeben der weiteren Tatausführung fehlen würde. Voraussetzung für eine Beurteilung wären im Übrigen nähere Feststellungen zum Rücktritts-Horizont des Angeklagten, die das Landgericht - aus seiner Sicht konsequent - nicht getroffen hat. Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls auch die Voraussetzungen des Mordmerkmals der Heimtücke zu prüfen haben.
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BGH
4. Strafsenat
20100223
4 StR 599/09
Beschluss
§ 147 StPO, § 338 Nr 8 StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO, § 475 StPO
vorgehend LG Saarbrücken, 28. Juli 2009, Az: 1 KLs 12/09 - 5 Js 495/08 - 2 AR 49 - 50/09, Urteil
DEU
Strafverfahren: Anforderungen an die Revisionsbegründung bei der Rüge der Beschränkung der Verteidigung wegen fehlender Akteneinsicht
1. Auf die Revision des Angeklagten H.-J. R. wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28. Juli 2009 bezüglich dieses Angeklagten aufgehoben, soweit die Strafkammer in den Ziffern IV. und V. des Tenors festgestellt hat, dass der Anordnung des Verfalls von Wertersatz Ansprüche Verletzter entgegenstehen und ein Geldbetrag von 557.299,87 € dem Wert des durch die Taten Erlangten entspricht. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten H.-J. R., an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten H.-J. R. und die Revision des Angeklagten I. R. gegen das vorbezeichnete Urteil werden verworfen. 4. Der Angeklagte I. R. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten H.-J. R. wegen gewerbsmäßiger Hehlerei in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Ferner hat es festgestellt, dass der Anordnung des Verfalls von Wertersatz Ansprüche Verletzter entgegenstehen und - hinsichtlich dieses Angeklagten - ein Geldbetrag von 557.299,87 € dem Wert des durch die Taten Erlangten entspricht. Den Angeklagten I. R. hat die Strafkammer wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen Hehlerei zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Gegen das Urteil richten sich die auf Verfahrensrügen und die Verletzung des sachlichen Rechts gestützten Revisionen der beiden Angeklagten. Das Rechtsmittel des Angeklagten H.-J. R. hat mit der Sachrüge in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es, wie die Revision des Angeklagten I. R. insgesamt, unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. 1. Die von beiden Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen, mit denen sie eine Beschränkung der Verteidigung geltend machen, weil der Antrag, Einblick in die gesamten TKÜ-Protokolle des Ursprungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Koblenz zu gewähren, zurückgewiesen worden sei, haben keinen Erfolg. a) Den Verfahrensrügen liegt im Wesentlichen folgendes Geschehen zugrunde: In dem gegen A. W. wegen des Verdachts des Diebstahls geführten Ermittlungsverfahren wurde im Jahr 2007 - zuletzt am 18. Oktober - die Überwachung seiner Mobilfunkanschlüsse angeordnet und durchgeführt. Auf Grund der dabei gewonnenen Erkenntnisse wurde das Ermittlungsverfahren am 22. Oktober 2007 auf den Angeklagten H.-J. R. und später auf I. R. als weitere Beschuldigte erstreckt. Am 7. März 2008 trennte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen die beiden Angeklagten ab und verfügte, die Akte "vollständig" zu fotokopieren, wobei vermerkt ist, dass diese "derzeit" aus zwölf Stehordnern bestehe und - unter anderem - der "LO TK-Maßnahmen" in der nächsten Woche von der Polizei nachgereicht werde. In dem Ermittlungsverfahren gegen A. W. (und dessen Bruder) wurde am 27. März 2008 Anklage zum Landgericht Konstanz erhoben. Das gegen die Angeklagten geführte Ermittlungsverfahren wurde - mit 4 Stehordnern Hauptakten, 3 Stehordnern Finanzermittlungen, 2 Sonderbänden KT-Maßnahmen, 8 Bänden Fallakten und 1 Karton mit Asservaten - am 13. August 2008 an die Staatsanwaltschaft Saarbrücken abgegeben, die den Verteidigern der Angeklagten am 30. Januar 2009 Akteneinsicht gewährte und unter dem Datum dieses Tages die Anklageschrift verfasste. In der Hauptverhandlung wurde zu mehreren überwachten Telefongesprächen Urkundenbeweis erhoben. Einen "Beweisantrag" des Verteidigers des Angeklagten H.-J. R., mit dem er die Beiziehung der vollständigen TKÜ-Protokolle des Strafverfahrens gegen A. W. und dessen Bruder sowie Einsicht in diese Akten begehrte, um festzustellen, "dass in der Ermittlungsakte des vorliegenden Verfahrens die TKÜ Protokolle nur unvollständig enthalten sind", lehnte die Strafkammer mit Beschluss vom 28. Juli 2009 wegen (tatsächlicher) Bedeutungslosigkeit ab, wobei sie ergänzend ausführte, dass sich - anders als vom Verteidiger vorgetragen - aus der Nummerierung der TKÜ-Protokolle (auf das Gespräch 1391 folgte das Gespräch 1406) keine Rückschlüsse darauf ziehen lassen, dass sich in der Akte des Landgerichts Konstanz weitere TKÜ-Protokolle befinden. Eine Beiziehung der Akten des Landgerichts Konstanz erfolgte - auch in der Folgezeit - nicht. Sonstige Bemühungen um Akteneinsicht - auch in dem vor dem Landgericht Konstanz durchgeführten Strafverfahren - wurden nach dem Vortrag der Revisionsführer von den Angeklagten oder ihren Verteidigern nicht bzw. nach dem 30. Januar 2009 nicht mehr unternommen. Auch teilt die Revision nicht mit, welche konkreten weiteren Erkenntnisse sich aus der Einsicht in die TKÜ-Protokolle, die sich in den Akten des Landgerichts Konstanz befinden, ergeben hätten. b) Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg. Dabei kann dahinstehen, ob bei einem zeitweise gegen mehrere Beschuldigte geführten Ermittlungsverfahren nach der Abtrennung des Verfahrens gegen einen oder mehrere Beschuldigte das Akteneinsichtsrecht im anhängigen Verfahren auch solche Akten oder Aktenteile umfasst, die dem Gericht tatsächlich nicht vorliegen, die aber in dem (auch und noch) gegen die Angeklagten geführten Ermittlungsverfahren wegen der Taten angefallen sind, die letztlich Gegenstand der Anklageschriften geworden sind (vgl. BGH, Urt. vom 18. Juni 2009 - 3 StR 89/09). Dem könnte entgegenstehen, dass sich nach der bisherigen Rechtsprechung der Anspruch auf Akteneinsicht nur auf die dem Gericht tatsächlich vorliegenden Akten bezieht (BGH, Urt. vom 26. Mai 1981 - 1 StR 48/81, BGHSt 30, 131, 138, 141, und Beschl. vom 11. November 2004 - 5 StR 299/03, BGHSt 49, 317, 327 m.w.N.; ähnlich ["bei Gericht vorliegende Unterlagen"] BGH, Beschl. vom 10. Oktober 1990 - StB 14/09, BGHSt 37, 204, 206), also Aktenbestandteile aus anderen Verfahren dem Akteneinsichtsrecht nach § 147 Abs. 1 StPO selbst dann nicht unterliegen, wenn die Verfahren zeitweise gemeinsam geführt, später aber getrennt und diese im formellen Sinne "fremden" Akten nicht beigezogen wurden (BGH, Beschl. vom 4. Oktober 2007 - KRB 59/07, BGHSt 52, 58, 62; vgl. auch BGH, Urt. vom 26. August 2005 - 2 StR 225/05, BGHSt 50, 224, 229). Den Rügen ist der Erfolg jedenfalls deshalb zu versagen, weil es für die Annahme, die Verteidigung sei in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt beschränkt worden, nicht genügt, dass diese Beschränkung nur generell (abstrakt) geeignet ist, die gerichtliche Entscheidung zu beeinflussen. Vielmehr ist § 338 Nr. 8 StPO nur dann gegeben, wenn die Möglichkeit eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem Verfahrensverstoß und dem Urteil konkret besteht (vgl. die Nachweise bei Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 338 Rdn. 59 und KK-Kuckein StPO 6. Aufl. § 338 Rdn. 101). Bei der Rüge der Beschränkung der Verteidigung in einem wesentlichen Punkt durch Ablehnung eines Antrags auf Beiziehung von Akten bzw. eines Akteneinsichtsantrags ist daher ein substantiierter Vortrag erforderlich, welche Tatsachen sich aus welchen genau bezeichneten Stellen der Akten ergeben hätten und welche Konsequenzen für die Verteidigung daraus folgten (vgl. BGH, Urt. vom 26. Mai 1981 - 1 StR 48/81, BGHSt 30, 131, 138, 143, und Beschl. vom 2. Februar 1999 - 1 StR 636/98, StV 2000, 248, 249 m. Anm. Ventzke). Damit korrespondiert das Erfordernis möglichst konkreten Vortrags bei einer Rüge wegen unterlassener Beiziehung von Akten unter dem Aspekt der Verletzung der Aufklärungspflicht (BGH, Beschl. vom 11. November 2004 - 5 StR 299/03, BGHSt 49, 317, 328 m.w.N.; vgl. auch BGH, Beschl. vom 21. Oktober 2004 - 1 StR 324/04). Sollte eine solche konkrete Bezeichnung wesentlichen vorenthaltenen Aktenmaterials dem Verteidiger nicht möglich sein, weil ihm die Akten, in die er Einsicht nehmen will, verschlossen geblieben sind, so muss er sich - damit die Ausnahme von der an sich nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO bestehenden Vortragspflicht gerechtfertigt und belegt wird - jedenfalls bis zum Ablauf der Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge weiter um die Akteneinsicht bemüht haben und die entsprechenden Anstrengungen gegenüber dem Revisionsgericht auch dartun (BGH, Beschl. vom 11. November 2004 - 5 StR 299/03, BGHSt 49, 317, 328, und Urt. vom 23. August 2006 - 5 StR 151/06, StraFo 2006, 459, 460). An einem solchen zumutbaren und jedenfalls nach § 475 StPO Erfolg versprechenden (vgl. BGH, Urt. vom 26. August 2005 - 2 StR 225/05, BGHSt 50, 224) Bemühen um Einsicht in die Akten der Staatsanwaltschaft oder des Landgerichts Konstanz fehlt es vorliegend. 2. Hinsichtlich des Angeklagten H.-J. R. hat dagegen die Sachrüge teilweise Erfolg. Denn das Landgericht hat - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausführt - nicht berücksichtigt, dass eine teilweise bereits durchgeführte Schadenswiedergutmachung (hier durch Rückgabe eines Teils der Hehlerware an den Eigentümer) bezogen auf diesen Teil einer Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO entgegensteht (vgl. Senat Beschl. vom 10. November 2009 - 4 StR 443/09). Dies führt zur Aufhebung von den Ziffern IV. und V. des Tenors des angefochtenen Urteils. Dem Senat ist eine Korrektur dieser Entscheidung verwehrt, da es sich bei § 111i Abs. 2 StPO um eine Ermessensentscheidung handelt, die dem Tatrichter vorbehalten ist (vgl. BGH, Beschl. vom 18. Dezember 2008 - 3 StR 460/08, wistra 2009, 241, 242). Einer Aufhebung der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bedarf es indes nicht (vgl. Meyer-Goßner aaO § 353 Rdn. 12, 15). Tepperwien                                          Athing                                           Solin-Stojanović Ernemann                                      Mutzbauer
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059629
BGH
4. Strafsenat
20100216
4 StR 574/09
Beschluss
§ 176 StGB, § 176a StGB
vorgehend LG Bochum, 24. Juni 2009, Az: II-3 KLs 49 Js 7/08 - 11/09, Urteil
DEU
Sexueller Missbrauch von Kindern: Tatbegehung am 14. Geburtstag des Opfers
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 24. Juni 2009 mit den Feststellungen aufgehoben, a) soweit der Angeklagte im Fall 1 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses verurteilt worden ist, jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen mit Ausnahme derjenigen zur Tatzeit aufrechterhalten, b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses und wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Nach den bisherigen Feststellungen ist, worauf die Revision zu Recht hingewiesen hat, zu Gunsten des Angeklagten davon auszugehen, dass das Tatopfer sein 14. Lebensjahr bereits vollendet hatte, denn der Angeklagte beging die Tat zum Nachteil des am 8. Juli 1993 geborenen Tatopfers "in der Zeit vom 21.03.2007 bis zum 08.07.2007.“ Wurde die Tat am 14. Geburtstag des Tatopfers begangen, was nach den bisherigen Feststellungen nicht auszuschließen ist, war das Tatopfer aber bereits 14 Jahre alt, denn bei der Berechnung des Lebensalters wird der Tag der Geburt nicht mitgerechnet (§§ 187 Abs. 2 Satz 2, 188 Abs. 2 H.S. 2 BGB; vgl. Fischer StGB 57. Aufl. § 19 Rdn. 2). Bei der Bezeichnung des in Betracht kommenden Tatzeitraums handelt es sich nicht lediglich um eine unpräzise Formulierung, denn hinsichtlich der weiteren Taten hat das Landgericht festgestellt, dass diese "nach dem 14. Geburtstag" des Tatopfers begangen wurden. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung der Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses. Eine Schuldspruchänderung kommt nicht in Betracht, weil nicht auszuschließen ist, dass festgestellt werden kann, dass die erste der Taten, was nach den mitgeteilten Behandlungsterminen in der Zeit von März bis Juni 2007 jedenfalls nicht fern liegt, vor dem 14. Geburtstag des Tatopfers begangen wurde. Die Aufhebung der Verurteilung in diesem Fall zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe nach sich. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können mit Ausnahme derjenigen zur Tatzeit bestehen bleiben. Tepperwien                                         Athing                                 Solin-Stojanović Ernemann                                     Franke
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059631
BGH
4. Strafsenat
20100225
4 StR 596/09
Urteil
§ 206a StPO, § 76 Abs 2 S 1 GVG
vorgehend LG Essen, 19. August 2009, Az: 25 KLs 27/09 - 85 Js 2688/07 - 6 Ss 505/09, Urteil
DEU
Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses: Anklagezulassung in der Hauptverhandlung mit fehlerhaft besetzter Kammer
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 19. August 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Das Verfahren wird eingestellt, soweit dem Angeklagten mit der Anklageschrift vom 26. Februar 2009 eine gefährliche Körperverletzung (Fall III 2. der Urteilsgründe) zur Last gelegt wird. Im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last. 3. Im Übrigen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen der gefährlichen Körperverletzung in drei Fällen wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit zum Zeitpunkt der Taten freigesprochen. Mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils und zur Einstellung des Verfahrens im Fall III 2. der Urteilsgründe. I. 1. Der Angeklagte leidet seit seinem 15. Lebensjahr an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose und hat sich seit mehr als zehn Jahren regelmäßig stationären psychiatrischen Behandlungen unterzogen. In dem Zeitraum von Juli 2007 bis zum November 2008 wurde der Angeklagte im Abstand von 14 Tagen mit Depotspritzen behandelt, die für einen stabilen Zustand sorgten. Als der Angeklagte diese Behandlung im Frühjahr 2008 vernachlässigte, kam es zu einem Selbstmordversuch und zu einer mehrere Wochen dauernden stationären psychiatrischen Behandlung. In der Zeit von November 2008 bis Januar 2009 wurde die Behandlung mit Depotspritzen erneut unterbrochen. Seit seinem letzten Klinikaufenthalt im Februar 2009 befindet sich der Angeklagte in regelmäßiger ambulanter Behandlung in einer psychiatrischen Klinik und erhält im Abstand von 14 Tagen Depotspritzen. 2. Zu den dem Angeklagten zur Last gelegten Taten hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen: Fall III 1. der Urteilsgründe (Anklageschrift vom 19. Februar 2008): Bei dem Versuch, sich nach einer Fahrausweiskontrolle in der U-Bahn der Feststellung der Personalien zu entziehen, zog der Angeklagte ein Küchenmesser aus der Tasche und „fuchtelte damit wild herum.“ Dabei nahm er Verletzungen der ihn verfolgenden Fahrausweisprüfer billigend in Kauf. Er verletzte einen von ihnen an der Hand und einen anderen am Oberarm. In den Urteilsgründen werden zum Tattag widersprüchliche Angaben gemacht. So wird zum einen das Datum 27. August 2007 und zum anderen das Datum 12. Februar 2008 genannt. Im Rahmen der Feststellungen zur Person und zur Schuldfähigkeit wird dagegen mitgeteilt, dass der Angeklagte die Tat in dem Zeitraum von November 2008 bis Februar 2009, in dem er nicht behandelt wurde, beging. Fall III 2. der Urteilsgründe (Anklageschrift vom 26. Februar 2009): Während eines Aufenthalts in einer Spielhalle wurde der Angeklagte gegenüber der Spielhallenaufsicht aggressiv und warf einen Glasaschenbecher auf die Theke, an der der Zeuge F. stand. Der Zeuge wurde durch einen Glassplitter an der Nase verletzt. Der Angeklagte hätte dies vorhersehen können und müssen. 3. Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen, weil "jedenfalls" nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Angeklagte aufgrund seiner zu den jeweiligen Tatzeitpunkten virulenten paranoiden Schizophrenie nicht in der Lage gewesen sei, das Unrecht der Taten einzusehen. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hat das Landgericht abgelehnt, weil von dem Angeklagten "bei sichergestellter Medikation keine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht", und nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Behandlung des Angeklagten derzeit sichergestellt sei. II. Das Urteil hat insgesamt keinen Bestand. 1. Soweit das Landgericht den Angeklagten im Fall III 2. der Urteilsgründe freigesprochen hat, ist das Urteil aufzuheben und das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 206 a StPO einzustellen, weil es insoweit an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss fehlt. Dieses Verfahrenshindernis ist - unbeschadet der Frage, ob die Revision der Staatsanwaltschaft wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt ist, von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. Einl. Rdn. 151 m.N.). Das Landgericht hat die ihm im Hinblick auf die bei ihm bereits anhängige Sache 85 Js 2688/07 (Anklageschrift vom 19. Februar 2008) vorgelegte Sache 85 Js 119/09 (Anklageschrift vom 26. Februar 2009) erst in der Hauptverhandlung am 19. August 2009 "durch Kammerbeschluss" zur Hauptverhandlung zugelassen, das Hauptverfahren eröffnet und die Verbindung zu der bereits anhängigen Sache beschlossen. Dies war rechtsfehlerhaft. Entsprechend dem Eröffnungs- und Besetzungsbeschluss vom 9. Juni 2009, war die Strafkammer in der Hauptverhandlung gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG mit zwei Berufsrichtern besetzt. Wird eine zunächst unterbliebene Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens in der Hauptverhandlung nachgeholt, so entscheidet darüber aber beim Landgericht auch dann die Große Strafkammer in ihrer Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung mit drei Berufsrichtern ohne Mitwirkung der Schöffen, wenn die Kammer die Hauptverhandlung in reduzierter Besetzung durchführt (Senat, Beschluss vom 2. November 2005 - 4 StR 418/05, BGHSt 50, 267). 2. Auch der Freispruch wegen der Vorwürfe der gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen (III 1. der Urteilsgründe) hat keinen Bestand. Die Beschränkung der Revision der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam. Die Feststellungen bilden keine tragfähige Grundlage für die Beurteilung der Schuldfähigkeit. Sie ermöglichen dem Revisionsgericht deshalb nicht die isolierte Überprüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 63 StGB für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (vgl. BGH Beschluss vom 10. Januar 2001 - 2 StR 500/00, BGHSt 46, 257, 259). Es ist nicht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte die Tat beging, als seine paranoide Schizophrenie virulent war, weil er nicht mit Depotspritzen behandelt wurde. Sowohl der in den Urteilsgründen als Tattag genannte 27. August 2007 als auch der 12. Februar 2008 fallen in den Zeitraum, in dem der Angeklagte nach den Feststellungen im Abstand von 14 Tagen mit Depotspritzen behandelt wurde. III. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin: 1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB setzt voraus, dass die Voraussetzungen des § 20 StGB oder die des § 21 StGB zweifelsfrei festgestellt sind (vgl. Senat, Urteil vom 6. März 1986 - 4 StR 40/86; Fischer StGB 57. Aufl. § 63 Rdn. 11 m.w.N.). Auf die Feststellung, dass eine Aufhebung der Einsichtsfähigkeit nicht auszuschließen sei, kann die Anordnung der Maßregel nicht gestützt werden, weil damit weder die Voraussetzungen des § 20 StGB noch die des § 21 StGB festgestellt sind, denn eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Dezember 2009 - 4 StR 437/09; Fischer aaO, jew. m.w.N.). Ist das nicht der Fall, wird der neue Tatrichter, sofern die paranoide Schizophrenie des Angeklagten zur Tatzeit virulent war, auch die Frage einer (sicheren) erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit zu prüfen haben. 2. Im Falle einer ohne Behandlung bestehenden Gefährlichkeit wird die Notwendigkeit einer Unterbringung gemäß § 63 StGB entgegen der Auffassung der Strafkammer in der Regel nicht durch minder einschneidende Maßnahmen außerhalb des Bereichs der strafrechtlichen Maßregeln aufgehoben. Vorrangig wird eine Minderung der Gefährlichkeit durch flankierende Maßnahmen bei der Frage der Vollstreckung, nicht aber bei der Frage der Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung zu beachten sein (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2008 - 3 StR 469/08, NStZ 2009, 260 m.N.).
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059632
BGH
4. Strafsenat
20100311
4 StR 22/10
Urteil
§ 267 Abs 5 S 1 StPO, § 46 Abs 1 S 2 StGB, § 46 Abs 2 S 2 StGB
vorgehend LG Frankenthal, 6. August 2009, Az: 5220 Js 43613/07 Jug KLs - 1 Ss 73/09, Urteil
DEU
Freispruch: Notwendigkeit von Feststellungen zu Werdegang, Vorleben und Persönlichkeit der Angeklagten
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal vom 6. August 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Von Rechts wegen
Das Landgericht hat die Angeklagte vom Vorwurf der schweren Misshandlung von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das - vom Generalbundesanwalt vertretene - Rechtsmittel hat schon mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die verfahrensrechtlichen Beanstandungen der Staatsanwaltschaft nicht ankommt. I. 1. Die zugelassene Anklage hat der Angeklagten zur Last gelegt, als alleinerziehende Mutter von drei kleinen Söhnen zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im Zeitraum vom späten Nachmittag des 26. November 2007 bis zu den frühen Morgenstunden des 27. November 2007 aus ungeklärter Ursache und - wie ihr bewusst gewesen sei - ohne rechtfertigenden Grund ihren damals vierjährigen Sohn K. entweder über einen längeren Zeitraum am Hals gewürgt oder aber kräftig am Hals gepackt und gleichzeitig die Atemöffnungen des Kindes mit der Hand oder einem weichen Gegenstand zugehalten zu haben. Infolge dessen seien der Blutrückfluss aus dem Kopf des Kindes und die Blutzufuhr für mindestens 30 bis 40 Sekunden unterbrochen gewesen. K. habe dadurch zahlreiche petechiale Einblutungen sowie blauviolette Hautverfärbungen u.a. im Gesicht, in den Augenbindehäuten und im Nacken davongetragen. Dass das Kind diese lebensbedrohlichen Misshandlungen überlebt habe, sei, wie der Angeklagten bewusst gewesen sei, letztlich vom Zufall abhängig gewesen. Das Überleben ihres Sohnes zum Zeitpunkt des Abbruchs der Misshandlungen habe sie nicht mehr verlässlich steuern können. 2. Die Angeklagte hat die ihr zur Last gelegte Tat bestritten und sich dahin eingelassen, ihr Sohn habe sich die Verletzung bei einem Sturz in der Badewanne zugezogen. Er sei trotz ihrer nachdrücklichen Ermahnungen ständig in der Badewanne herumgehüpft, sodann ausgerutscht, mit der linken Gesichtshälfte und dem linken Ohr auf den Badewannenrand geprallt und von dort aus in die Wanne gefallen. Da sein Kopf kurzzeitig unter Wasser geraten sei, habe sie sofort in die Wanne gegriffen, um ihren Sohn herauszuziehen. Dabei habe sie ihn am Hals zu fassen bekommen und wieder auf die Füße gestellt. Anschließend sei beim Abduschen noch Seifenwasser in seine Augen gekommen. Das Geschehen seit dem Sturz habe nur wenige Sekunden gedauert; währenddessen habe ihr Sohn ständig geschrien. 3. Das Landgericht hat die Einlassung der Angeklagten mangels weiterer unmittelbarer Tatzeugen – ihr Sohn hat von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht – nicht zu widerlegen vermocht. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere vor dem Hintergrund der Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Prof. Dr. M., lasse sich das Verletzungsmuster trotz dessen Intensität "problemlos" mit dem von der Angeklagten geschilderten, nur wenige Sekunden dauernden Unfall in der Badewanne erklären. Auch angesichts der großen Zahl und der Beschaffenheit der aufgetretenen Petechien verblieben daher vernünftige Zweifel am Erwiesensein des Tatvorwurfs. II. Der Freispruch hat keinen Bestand. 1. Dabei kann dahinstehen, ob die Ausführungen des Landgerichts den gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellenden Anforderungen insgesamt gerecht werden (vgl. dazu nur BGHSt 37, 21, 22 m.w.N.). Jedenfalls enthalten die Urteilsgründe keine Feststellungen zu Werdegang, Vorleben und Persönlichkeit der Angeklagten. Solche Feststellungen sind zwar in erster Linie bei verurteilenden Erkenntnissen notwendig, um nachvollziehen zu können, ob der Tatrichter die wesentlichen Anknüpfungstatsachen für die Strafzumessung (§ 46 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 StGB) ermittelt und berücksichtigt hat. Aber auch bei freisprechenden Urteilen ist der Tatrichter aus sachlich-rechtlichen Gründen zumindest dann zu solchen Feststellungen verpflichtet, wenn diese für die Beurteilung des Tatvorwurfs eine Rolle spielen können und deshalb zur Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler hin notwendig sind; das ist auch dann der Fall, wenn vom Tatrichter getroffene Feststellungen zum Tatgeschehen ohne solche zu den persönlichen Verhältnissen nicht in jeder Hinsicht nachvollziehbar und deshalb lückenhaft sind (vgl. dazu BGHSt 52, 314, 315; BGH, Urteile vom 13. Oktober 1999 - 3 StR 297/99, NStZ 2000, 91 und vom 14. Februar 2008 - 4 StR 317/07, NStZ-RR 2008, 206). So liegt es hier. 2. a) Die Notwendigkeit, die persönlichen Verhältnisse der Angeklagten umfassend in den Blick zu nehmen und nähere Feststellungen zu deren Lebenslauf, Werdegang und Persönlichkeit zu treffen und in den Urteilsgründen darzulegen, ergibt sich im vorliegenden Fall bereits aus der ihr zum Vorwurf gemachten Straftat. Sie beruht auf einer Handlung, die sich im familiären, häuslichen Bereich ereignet haben soll. Ist ein solcher Vorwurf, wie hier, von erheblichem Gewicht, liegt es nahe, dass der Persönlichkeitsentwicklung der Beteiligten, insbesondere des Beschuldigten, und seinen individuellen Lebensumständen Bedeutung auch für die Beurteilung des Tatvorwurfs zukommen kann. Dies gilt nicht nur, wenn der Verdacht einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung besteht, sondern gleichermaßen, wenn der Vorwurf eine Gewalttat im Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern zum Gegenstand hat. Schon deshalb durfte sich die Strafkammer im vorliegenden Fall nicht darauf beschränken, im Zusammenhang mit der Schilderung des Anklagevorwurfs zur Person der Angeklagten mitzuteilen, sie sei zum Zeitpunkt des Vorfalls allein erziehende Mutter von drei kleinen Söhnen gewesen. Vielmehr waren insoweit detaillierte Feststellungen geboten, die genaueren Aufschluss über die Persönlichkeit der Angeklagten und deren Lebensumstände hätten geben können, was gegebenenfalls – etwa im Hinblick auf eine mögliche Überlastungssituation – Rückschlüsse auf den Tatvorwurf zugelassen hätte. b) Auch vor dem Hintergrund der zum Tatvorwurf getroffenen Feststellungen hätten die persönlichen Verhältnisse der Angeklagten nicht unerörtert bleiben dürfen. So ergibt sich aus den Urteilsgründen u.a., dass die Zeugin S. , Erzieherin in der Kindertagesstätte, in der der Geschädigte betreut wurde, beim Anblick der Verletzungen in dessen Gesicht sofort die Frage stellte, ob „das die Mama gemacht habe“ und gegenüber den anderen Mitarbeiterinnen die Vermutung äußerte, der Geschädigte sei geschlagen worden. Ohne Rücksprache mit der Angeklagten wurde daraufhin umgehend das Jugendamt verständigt, das noch am gleichen Vormittag eine Mitarbeiterin, die Zeugin Mo., zu der Betreuungseinrichtung entsandte, um dem Vorfall nachzugehen. Zu dieser für sich genommen ungewöhnlichen Vorgehensweise der Betreuungseinrichtung, in die die Angeklagte als Erziehungsberechtigte gezielt nicht einbezogen wurde, wird im angefochtenen Urteil lediglich mitgeteilt, dass dem Jugendamt schon vor dem verfahrensgegenständlichen Vorfall die „problematische familiäre Situation der Angeklagten“ bekannt gewesen sei, die als allein erziehende Mutter von drei kleinen Kindern „bisweilen überfordert gewirkt“ habe. Die Zeugin Mo. habe als für die Familie der Angeklagten zuständige Sachbearbeiterin des Jugendamtes die Mitarbeiter der Kindertagesstätte deshalb gebeten, „ein Auge auf K. zu haben“ und „etwaige Unregelmäßigkeiten zu melden“. Dass eingehende Feststellungen zum persönlichen und familiären Hintergrund hier möglicherweise geeignet gewesen wären, vor dem Hintergrund der komplexen Beweislage auch den Tatvorwurf zu erhellen, liegt jedenfalls nicht fern, zumal die Angeklagte nach den Feststellungen (sinngemäß) äußerte, sie habe mit dem Eingreifen des Jugendamtes gerechnet, wenn ihr Sohn mit den festgestellten Verletzungsanzeichen in der Kindertagesstätte erscheine, weil man annehmen werde, sie habe ihn geschlagen. Zudem erscheint das von der Angeklagten geschilderte Geschehen – Packen eines vierjährigen Kindes am Hals, um es aus der Badewanne zu heben – eher lebensfremd. III. Das Fehlen der vermissten Feststellungen ist ein sachlich-rechtlicher Mangel, der zur Aufhebung des Urteils führt, weil es dem Senat nicht möglich ist zu prüfen, ob der Freispruch auf einer tragfähigen Grundlage beruht. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Tepperwien                                            Solin-Stojanović                                         Ernemann Franke                                                      Mutzbauer
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JURE100059845
BGH
3. Strafsenat
20100309
3 ARs 3/10
Beschluss
§ 138 Abs 1 StGB, § 138 Abs 2 StGB
vorgehend BGH, 13. Januar 2010, Az: 5 StR 464/09, Beschluss nachgehend BGH, 19. Mai 2010, Az: 5 StR 464/09, Urteil
DEU
Strafbarkeit der Nichtanzeige geplanter Straftaten bei Verdacht der Beteiligung an geplanter Straftat
Der beabsichtigten Entscheidung des 5. Strafsenats steht Rechtsprechung des 3. Strafsenats nicht entgegen.
1. Der 5. Strafsenat beabsichtigt zu entscheiden: "Auch bei fortbestehendem Verdacht einer Beteiligung an einer in § 138 Abs. 1 oder 2 StGB bezeichneten Katalogtat hindert der Zweifelssatz eine Verurteilung wegen Nichtanzeige geplanter Straftaten nicht." Er hat deshalb bei den übrigen Strafsenaten angefragt, ob an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird. 2. Rechtsprechung des 3. Strafsenats steht der beabsichtigten Entscheidung nicht entgegen. Soweit sich der Senat in der Vergangenheit mit dem Problem befasst hat, ob bei fortbestehendem Tatverdacht der Beteiligung an einer in § 138 Abs. 1 oder 2 StGB bezeichneten Katalogtat der Zweifelssatz eine Verurteilung wegen Nichtanzeige geplanter Straftaten hindert, waren seine Ausführungen nicht tragend. In der im Anfragebeschluss genannten Entscheidung BGHSt 36, 167, 169 f. hatte die Strafkammer nach Abschluss der Beweisaufnahme eine Beteiligung des Angeklagten an der nicht angezeigten Tat ausgeschlossen, sodass die Verurteilung des Angeklagten wegen Nichtanzeige geplanter Straftaten auch nach den Grundsätzen der bisherigen Rechtsprechung rechtsfehlerfrei war. 3. In der Sache bemerkt der Senat: Nach der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung in der Literatur kann derjenige, der an der Katalogtat beteiligt ist, nicht wegen Nichtanzeige dieser Tat verurteilt werden. Vielmehr setzt eine Strafbarkeit nach § 138 StGB voraus, dass die nicht angezeigte Katalogtat eine vollkommen fremde Tat ist (vgl. BGHSt 36, 167, 169; 39, 164, 167; BGH NStZ 1982, 244). Die unterschiedlichen Begründungen für diese Voraussetzung lassen nicht zweifelsfrei erkennen, ob es sich bei der Fremdheit der nicht angezeigten Katalogtat um ein (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal oder ein konkurrenzrechtliches Problem handelt (vgl. Hanack in LK 12. Aufl. § 138 Rdn. 43 m. w. N.). Auch der Anfragebeschluss verhält sich hierzu nicht. Jedenfalls dann, wenn die Fremdheit der Katalogtat dogmatisch als unrechtsbegründendes (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal des § 138 StGB einzuordnen sein sollte, erscheint es dem Senat fraglich, ob ein Angeklagter wegen Nichtanzeige geplanter Straftaten verurteilt werden kann, wenn er nach Abschluss der Beweisaufnahme weiterhin der Beteiligung an der nicht angezeigten Katalogtat verdächtig ist. Dabei mag dahinstehen, ob zwischen der Strafvorschrift des § 138 StGB und der nicht angezeigten Katalogtat ein normativ-ethisches Stufenverhältnis anzunehmen ist. Denn auch wenn das der Fall sein sollte, bedarf die Bestrafung nach § 138 StGB des Nachweises aller tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Bestimmung. Dies kann nach Auffassung des Senats nicht durch die Anwendung des Zweifelssatzes ersetzt werden. Vermag sich das Tatgericht nicht davon zu überzeugen, dass der Angeklagte mit Sicherheit eines von zwei in Betracht kommenden Delikten begangen hat, weil für jede der beiden in Betracht kommenden Strafvorschriften die Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals in Zweifel bleibt, ist es sich aber sicher, dass der Angeklagte einen der beiden Tatbestände verwirklicht hat, so liegt die typische Konstellation vor, in der eine Wahlfeststellung in Betracht zu ziehen ist. Scheidet diese wegen fehlender rechtsethischer und psychologischer Vergleichbarkeit der alternativen Straftaten aus, so ist auch der Zweifelssatz nicht geeignet, die Verurteilung wegen des weniger schwerwiegenden Delikts zu tragen. Der Senat lässt offen, ob die Verurteilung eines Angeklagten nach § 138 StGB im Wege der sog. Präpendenzfeststellung in Betracht gezogen werden könnte (vgl. Joerden JZ 1998, 847, 852 f.; ders. Jura 1990, 663 ff., 640 f.), falls die Fremdheit der Katalogtat dogmatisch nur als Frage der konkurrenzrechtlichen Abgrenzung zwischen § 138 StGB und der nicht angezeigten Katalogtat einzustufen sein sollte (s. Rudolphi/Stein in SK-StGB § 138 Rdn. 35).
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JURE100059847
BGH
3. Strafsenat
20100318
3 StR 426/09
Beschluss
§ 74 StPO, § 338 Nr 5 StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO
vorgehend LG Itzehoe, 17. März 2009, Az: Jug 3 KLs 21/06 - 307 Js 22148/06 jug, Urteil
DEU
Strafverfahren: Notwendiger Inhalt der Revisionsbegründung; Vernehmung eines abgelehnten Sachverständigen als Zeugen
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 17. März 2009 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Ergänzend zu der Begründung der Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat: 1. Die Rüge, es bestehe ein Verfahrenshindernis nach Art. 6 Abs. 2 MRK ist zulässig erhoben. Der Beschwerdeführer hat vorgetragen, dass er sich dem Einstellungsantrag der Mitangeklagten angeschlossen hat. Der Mitteilung des Hauptverhandlungsprotokolls bedurfte es entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts nicht. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO verpflichtet den Beschwerdeführer nur zum vollständigen Tatsachenvortrag, nicht auch darüber hinausgehend zum Beweisantritt (BGH NStZ 2009, 145). Die Rüge greift aber aus den vom Generalbundesanwalt ergänzend dargelegten Gründen in der Sache nicht durch. 2. Die Rüge einer "Verletzung der §§ 74, 86 StPO" zeigt einen Rechtsfehler nicht auf. Das Landgericht durfte die erfolgreich abgelehnte Sachverständige über die von ihr im Rahmen ihres Auftrags - die Erstellung eines aussagepsychologischen Gutachtens - ermittelten Tatsachen als Zeugin vernehmen (BGH NStZ 2002, 44; NJW 2005, 445, 447 [insoweit in BGHSt 49, 381 nicht abgedruckt]). Damit war auch die ergänzende Augenscheinseinnahme der auf Tonband aufgezeichneten Explorationsgespräche, die die abgelehnte Sachverständige mit der kindlichen Zeugin geführt hatte, zulässig. Becker                             Pfister                              Hubert Schäfer                            Mayer
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JURE100059848
BGH
3. Strafsenat
20100202
3 StR 527/09
Beschluss
§ 66 Abs 1 Nr 1 StGB, § 66 Abs 3 S 1 StGB, § 66 Abs 4 S 3 StGB, § 66 Abs 4 S 4 StGB
vorgehend LG Lüneburg, 10. Juni 2009, Az: 20 KLs - 5106 Js 9442/08 (19/08), Urteil
DEU
Sicherungsverwahrung: Berechnung der "Rückfallverjährung"
1. Auf die Revision des Angeklagten S. wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 10. Juni 2009, soweit es ihn betrifft, im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision des Angeklagten S. und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten S. und die Revision des Angeklagten N. werden verworfen. 3. Der Angeklagte N. hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat die Angeklagten des Mordes schuldig gesprochen. Gegen den Angeklagten S. hat es eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt und die Sicherungsverwahrung angeordnet; den Angeklagten N. hat es zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel des Angeklagten S. führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Maßregelausspruchs; im Übrigen ist es ebenso wie die Revision des Angeklagten N. unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. 1. Die vom Landgericht auf § 66 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 StGB gestützte Unterbringung des Angeklagten S. in der Sicherungsverwahrung kann keinen Bestand haben; denn den Urteilsgründen sind die jeweils erforderlichen formellen Voraussetzungen der Maßregel nicht zu entnehmen. a) Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB setzt u. a. voraus, dass der Täter die neue Tat nach zwei vorangegangenen Verurteilungen zu Freiheitsstrafen von jeweils mindestens einem Jahr begangen hat (§ 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind. In diese Frist der "Rückfallverjährung" wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist (§ 66 Abs. 4 Satz 3, 4 StGB). Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte u. a. wegen einer am 20. Juli 1999 begangenen Tat am 10. August 2001 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten und wegen einer Tat, die er am 21. September 2006 verübte, am 8. Februar 2007 zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt wurde. Unter Berücksichtigung der im Strafvollzug verbrachten Zeit habe zwischen diesen beiden Taten ein Zeitraum von vier Jahren, elf Monaten und einem Tag und damit weniger als fünf Jahren gelegen; "Rückfallverjährung" nach § 66 Abs. 4 Satz 3, 4 StGB sei somit nicht eingetreten. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand; denn bei der Berechnung des von Verwahrung freien Zeitraums nach § 66 Abs. 4 Satz 3 StGB kommt es auf den Zeitraum zwischen den einzelnen nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB relevanten, das heißt den zur Begründung der formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung in Betracht kommenden Vortaten, für die Einzelfreiheitsstrafen von mindestens einem Jahr verhängt worden sind, sowie auf die Frist zwischen der letzten relevanten Vortat und der abzuurteilenden neuen Straftat an (BGHSt 25, 106, 107; BGHR StGB § 66 Abs. 3 Satz 3 Fristberechnung 1; BGH, Beschl. vom 3. September 2008 - 5 StR 281/08; Fischer, StGB 57. Aufl. § 66 Rdn. 20; Sinn in SK-StGB § 66 Rdn. 9). Danach musste hier die Verurteilung vom 8. Februar 2007 außer Betracht bleiben. In dieser wurde eine Freiheitsstrafe von acht Monaten und damit weniger als einem Jahr verhängt; sie ist deshalb nicht geeignet, die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu erfüllen. Nach den bisherigen Feststellungen hätte das Landgericht vielmehr prüfen müssen, ob zwischen der Tat vom 20. Juli 1999 als letzter nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB relevanter Vortat und der neuen, am 1. April 2008 begangenen Straftat ein Zeitraum von fünf Jahren liegt, in welchem der Angeklagte sich nicht in behördlicher Verwahrung befand. b) Entsprechendes gilt, soweit die Strafkammer die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung auf § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB gestützt hat. Dies setzt u. a. wenigstens eine Vortat voraus, deretwegen der Angeklagte zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Die Regelungen der "Rückfallverjährung" nach § 66 Abs. 4 StGB gelten hier ebenfalls (Rissing-van Saan/Peglau in LK 12. Aufl. § 66 Rdn. 62). Daraus folgt, dass für die Berechnung des Zeitraums von fünf Jahren nur die nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB relevanten Vortaten sowie die neu abzuurteilende Tat maßgebend sind. Das Landgericht stellt indes lediglich auf eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wegen einer am 30. Dezember 1991 begangenen versuchten schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung ab und verweist für die Frage der "Rückfallverjährung" pauschal auf seine Ausführungen zu § 66 Abs. 1 StGB. Diesen lässt sich eine weitere, im Rahmen des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB relevante Vortat nicht entnehmen. Das Landgericht hätte deshalb bei der Prüfung des § 66 Abs. 4 Satz 3, 4 StGB auf den Zeitraum zwischen der Tat vom 30. Dezember 1991 und der neuen Tat vom 1. April 2008 abstellen müssen. 2. Die dargelegten Rechtsfehler nötigen zur Aufhebung des Maßregelausspruchs und zur Zurückverweisung der Sache in diesem Umfang. Eine eigene Sachentscheidung des Senats in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO kommt nicht in Betracht. Den allein maßgebenden Urteilsgründen lässt sich weder mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen, dass die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 oder Abs. 3 Satz 1 StGB vorliegen, noch dass dies nicht der Fall ist. Das Landgericht hat bei den Feststellungen zur Person zunächst pauschal mitgeteilt, der Angeklagte sei bereits 22 Mal strafrechtlich in Erscheinung getreten. Sodann hat es indes lediglich einen geringen Teil der Vorverurteilungen geschildert. Bei seinen rechtlichen Erwägungen zur Anordnung der Sicherungsverwahrung hat es teilweise auf Straftaten, Verurteilungen und Verbüßungszeiten abgestellt, die durch die bisherigen Feststellungen nicht belegt werden. Zudem wird auch bei Berücksichtigung dieser Ausführungen die angegebene Anzahl von 22 Vorverurteilungen bei weitem nicht erreicht. Insgesamt sind die Urteilsgründe somit lückenhaft und deshalb - auch in ihrem Gesamtzusammenhang - als Grundlage einer abschließenden Sachentscheidung nicht zureichend. Die Sache bedarf deswegen insoweit erneuter tatrichterlicher Überprüfung und Entscheidung. Becker                           von Lienen                           Sost-Scheible Schäfer                                   Mayer
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JURE100059851
BGH
1. Strafsenat
20100325
1 StR 52/10
Beschluss
§ 370 AO, § 4 Abs 1 S 2 TabStG
vorgehend LG München I, 6. November 2009, Az: 6 KLs 299 Js 36861/09, Urteil
DEU
Strafverfahren wegen Hinterziehung von Tabaksteuer: Anforderungen an die Steuerberechnung durch das Tatgericht
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 6. November 2009 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend bemerkt der Senat: Die Strafkammer hat sich bei der Feststellung der Höhe der hinterzogenen Tabaksteuer pro Zigarette auf die Angaben der als Zeugin gehörten Zolloberinspektorin G. gestützt. Diese habe den Steuerbescheid erstellt und den Mindeststeuersatz auf 13,64 Cent pro Zigarette zu Grunde gelegt. Dies ist keine zureichende Beweiswürdigung. Der Senat kann nicht nachvollziehen, wie die Strafkammer den Mindeststeuersatz pro Zigarette berechnet hat, und vermag nicht zu beurteilen, ob dies rechtsfehlerfrei geschehen ist. Die auf den Besteuerungsgrundlagen aufbauende Steuerberechnung ist Rechtsanwendung und daher Aufgabe des Tatgerichts (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Mai 2009 - 1 StR 718/08 - Rdn. 20; vom 25. Oktober 2000 - 5 StR 399/00; vom 15. Mai 1997 [BGHR AO § 370 Abs. 1 Berechnungsdarstellung 9]). Den der Berechnungsdarstellung zukommenden Aufgaben kann nicht durch Bezugnahmen auf Steuerbescheide oder Betriebs- oder Fahndungsprüfungsberichte entsprochen werden. Das Tatgericht ist zwar nicht gehindert, sich Steuerberechnungen von Beamten der Finanzverwaltung anzuschließen, die auf den festgestellten Besteuerungsgrundlagen aufbauen. Allerdings muss im Urteil zweifelsfrei erkennbar sein, dass das Tatgericht eine eigenständige - weil ihm obliegende Rechtsanwendung - Steuerberechnung durchgeführt hat (vgl. BGH, Beschl. vom 12. Mai 2009 - 1 StR 718/08 - Rdn. 21; Jäger StraFo 2006, 477, 479 m.w.N.). Im vorliegenden Fall kann eine Fehlberechnung zum Nachteil des Angeklagten allerdings ausgeschlossen werden. Der Generalbundesanwalt hat hierzu zutreffend ausgeführt: "Auch der Strafausspruch hält einer rechtlichen Überprüfung stand. Zwar sind die Feststellungen zur Höhe der hinterzogenen Tabaksteuer unzureichend. Zur Berechnung der Tabaksteuer nach § 4 Abs. 1 TabStG ist es erforderlich, dass ein Kleinverkaufspreis festgestellt wird. Das gilt auch im Anwendungsbereich des Mindeststeuersatzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 TabStG, da nach der gesetzlichen Regelung die auf den Kleinverkaufspreis entfallende Umsatzsteuer bei der Berechnung des Mindeststeuersatzes abzuziehen ist. Nach den im Urteil wiedergegebenen Angaben der als Zeugen vernommenen Zolloberinspektorin D., die sich die Strafkammer offensichtlich zu eigen gemacht hat (vgl. UA S. 7 f.), existiert für Zigaretten der ausländischen Marke 'Raquel Gold Classic' in Deutschland zwar kein regulärer legaler Kleinverkaufspreis auf der Grundlage versteuerter Zigaretten. Die Kammer hätte in diesem Fall aber der Schätzung den durchschnittlichen Kleinverkaufspreis von Markenzigaretten des unteren Preissegments zugrunde legen können (vgl. Senat, NStZ-RR 2009, 343, 344). Hierzu verhält sich das angefochtene Urteil nicht. Jedoch lässt sich ausschließen, dass der Angeklagte hierdurch beschwert ist. Das Bundesministerium der Finanzen hat mit Bekanntmachung vom 12. Januar 2009 (BAnz. S. 284) nach § 4 Abs. 1 Satz 4 TabStG die gängigste Preisklasse für Zigaretten des Jahres 2008 mit 4,00 EUR je 17 Stück Zigaretten angegeben; dies entspricht 23,529 Cent je Stück. Bei diesem Kleinverkaufspreis errechnet sich die Tabaksteuer mit 14,072 Cent und die Umsatzsteuer mit 3,756 Cent je Stück, die Gesamtsteuerbelastung durch die Tabaksteuer und die Umsatzsteuer für solche Zigaretten beträgt somit 17,828 Cent je Stück. Daraus ergibt sich nach § 4 Abs. 1 Satz 2 TabStG ein Mindeststeuersatz von 17,114 Cent abzüglich der Umsatzsteuer, höchstens 14,07 Cent. Wie sich durch einfache mathematische Überlegungen zeigen lässt, entspricht der von der Strafkammer - ohne nähere Erläuterung - angenommene Satz der Tabaksteuer von 13,64 Cent je Stück dem niedrigsten überhaupt möglichen Satz der Tabaksteuer. Dieser Satz wird bei einem Kleinverkaufspreis von etwa 21,769 Cent je Stück erreicht, was einem Preis von etwa 3,70 EUR für eine Packung von 17 Stück entspricht. Bei einem niedrigeren Kleinverkaufspreis errechnet sich ein höherer Mindeststeuersatz, weil der Abzugsposten für die Umsatzsteuer geringer ausfällt; bei einem höheren Kleinverkaufspreis liegt hingegen die tarifmäßige Tabaksteuer nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TabStG über dem Mindeststeuersatz. Aufgrund der Ausgestaltung des Steuertarifs lässt sich daher rechnerisch ausschließen, dass ein geringerer Hinterziehungsbetrag hätte festgestellt werden können. Außerdem beträgt der Unterschied zum Steuersatz der gängigsten Preisklasse ohnehin weniger als einen halben Cent pro Stück und ist damit im Vergleich so geringfügig, dass sich ein Einfluss auf die Strafzumessung ausschließen lässt." Wahl                          Rothfuß                            Hebenstreit Jäger                              Sander
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JURE100059853
BGH
2. Strafsenat
20100203
2 StR 550/09
Beschluss
§ 21 StGB, § 213 Alt 1 StGB, § 227 Abs 2 StGB
vorgehend LG Mühlhausen, 24. Juli 2009, Az: 120 Js 57075/08 - 1 Ks, Urteil
DEU
Minder schwerer Fall der Körperverletzung mit Todesfolge
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 24. Juli 2009 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zum Nachteil seiner Ehefrau zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Seine Revision führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs. 1. Der Schuldspruch hält rechtlicher Überprüfung stand. Zwar ergibt sich aus den Urteilsgründen weder, ob das Landgericht bei der Rückrechnung der zur Tatzeit möglicherweise vorliegenden Blutalkoholkonzentration eine Kontrollrechnung durchgeführt hat (vgl. dazu Fischer StGB 57. Aufl. § 20 Rdn. 15 a m.w.N.), noch wie groß die als Nachtrunk zugrunde gelegte Alkoholmenge war. Es bleibt daher im Ergebnis offen, ob das Landgericht die Möglichkeit gesehen hat, dass beim Angeklagten eine deutlich über 3,0 ‰ liegende Alkoholkonzentration vorlag, deren Annahme nicht schon wegen unrealistischer Rückrechnungswerte verneint werden konnte. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist aber ersichtlich, dass das Landgericht aus dem konkreten Ablauf der Tat und des Nachtatverhaltens geschlossen hat, der in hohem Maße trinkgewohnte Angeklagte sei auch bei Vorliegen einer möglicherweise sehr hohen Blutalkoholkonzentration nicht steuerungsunfähig gewesen. Das weist im Ergebnis keine Rechtsfehler auf. 2. Dagegen hat der Strafausspruch keinen Bestand. Bei der Prüfung, ob ein minder schwerer Fall gemäß § 227 Abs. 2 StGB anzunehmen sei, hat das Landgericht nur ausgeführt, die Umstände, die zur verminderten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten geführt hätten, stünden einer Affektlage im Sinne des § 213 StGB nicht gleich. Weder sei der Angeklagte zum Zorn gereizt und auf der Stelle zur Tat hingerissen worden noch habe es "einen außergewöhnlichen Streit" mit dem Opfer gegeben (UA S. 23). Damit hat das Landgericht nicht ausschließbar der Prüfung des § 227 Abs. 2 StGB einen unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt. Die Annahme eines minder schweren Falles der Körperverletzung mit Todesfolge setzt nicht voraus, dass eine in § 213, 1. Variante StGB vorausgesetzte Provokationslage gegeben ist oder dass der Tat ein "außergewöhnlicher Streit" zwischen Täter und Opfer vorausgegangen ist. Vielmehr war hier, wenn sonstige, allgemeine Milderungsgründe eine Einordnung der Tat als minder schweren Fall nicht rechtfertigten, der vertypte Milderungsgrund des § 21 StGB neben allen anderen, in den Urteilsgründen darzustellenden Milderungs- und ggf. Erschwerungsgründen in eine Gesamtbewertung der Tat einzustellen und im Zusammenhang in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise zu erörtern. Dem wird die jedenfalls mehrdeutige und im Ergebnis unklare Würdigung durch das Landgericht nicht gerecht. Angesichts der hohen Strafe kann der Senat nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei zutreffender Würdigung zu einem anderen Strafrahmen und zu einer niedrigeren Strafe gelangt wäre.
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JURE100059868
BGH
4. Strafsenat
20100223
4 StR 506/09
Beschluss
§ 22 StGB, § 23 StGB, § 315b Abs 1 Nr 3 StGB, § 315b Abs 2 StGB
vorgehend LG Neuruppin, 20. Juli 2009, Az: 21 KLs 359 Js 4016/09 - 8/09 - 5 AR 65/09, Urteil
DEU
Versuch eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr: Steinwurf von der Autobahn
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 20. Juli 2009 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr schuldig ist. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen. 3. Es wird davon abgesehen, dem Beschwerdeführer die Kosten und Auslagen des Revisionsverfahrens aufzuerlegen.
Das Landgericht hat den Angeklagten des vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr schuldig gesprochen. Unter Einbeziehung des Urteils des Jugendschöffengerichts Neuruppin vom 3. April 2008 hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und gemäß § 5 Abs. 3 JGG von der Verhängung einer Jugendstrafe abgesehen. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Sachrüge führt zu einer Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Revision beanstandet die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich des (vollendeten) vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB) schuldig gemacht, zu Recht. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen kann der Angeklagte nur wegen Versuchs (§ 315 b Abs. 2 StGB) verurteilt werden. Nach den Feststellungen warf der Angeklagte einen etwa faustgroßen und - wovon zu seinen Gunsten auszugehen ist - brüchigen Sandstein von der Autobahnbrücke etwa 25 m weit auf den rechten Fahrstreifen. Zwar war er sich hierbei darüber im Klaren, dass es dadurch zu einer konkreten Gefährdung von Leib und Leben der Insassen des auf dem Fahrstreifen fahrenden Mazda 626 und/oder des Fahrzeugs kommen könnte und nahm dies billigend in Kauf. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist aber der tatbestandliche Erfolg, nämlich eine konkrete Gefährdung im Sinne des § 315 b Abs. 1 StGB (vgl. Senat, Urteil vom 4. Dezember 2002 - 4 StR 103/02, BGHSt 48, 119, 125; Senat, Beschluss vom 4. November 2008 - 4 StR 411/08 = NStZ 2009, 100, jew. m.w.N.), nicht eingetreten. Der Stein schlug "unmittelbar" vor dem von dem Zeugen D. geführten Mazda 626 auf und zersplitterte. Die auffliegenden Steinsplitter verursachten zwar ein krachendes Geräusch am Unterboden des Fahrzeugs, als der Zeuge mit dem Pkw über die Aufschlagstelle hinweg fuhr. Schäden an dem Fahrzeug wurden aber nicht festgestellt. Dass der Eingriff des Angeklagten zu einer kritischen Situation im Sinne eines "Beinahe-Unfalls" geführt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Dezember 1996 - 4 StR 615/96, NStZ-RR 1997, 200; Senat, Beschluss vom 4. November 2008 - 4 StR 411/08, NStZ 2009, 100, jew. m.w.N.) ist durch die Feststellungen nicht belegt, weil danach durch den unmittelbar vor dem Pkw aufschlagenden und zersplitternden Stein weder das Fahrverhalten noch die Fahrsicherheit des Zeugen D. in irgendeiner Weise beeinträchtigt worden sind. Der Senat kann den Schuldspruch von sich aus ändern. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, denn der Angeklagte hätte sich gegen den geänderten Schuldspruch nicht wirksamer als geschehen verteidigen können. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB wird durch die Änderung des Schuldspruchs nicht in Frage gestellt. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 74, 105 Abs. 1, 109 Abs. 2 Satz 1 JGG. Tepperwien                                        Maatz                                         Athing Ernemann                                   Mutzbauer
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deutsch
BMJV
public
JURE100059869
BGH
4. Strafsenat
20100309
4 StR 592/09
Beschluss
§ 52 StGB, § 263a StGB
vorgehend LG Essen, 24. August 2009, Az: 21 KLs 2/09 - 75 Js 32/08, Urteil
DEU
Konkurrenzen beim Computerbetrug
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 24. August 2009 dahin geändert, dass a) der Angeklagte des Computerbetrugs in 46 Fällen und des Betrugs in vier Fällen schuldig ist und b) die für die Taten I. 2. Ziffern 10, 14 bis 16, 30, 31, 33, 36, 39, 42, 44, 46, 48 bis 60, 62 bis 99, 102 bis 115 und 121, 122 verhängten Einzelstrafen entfallen. 2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen. 3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Computerbetrugs in 125 Fällen und wegen Betrugs in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegen das Urteil richtet sich die auf eine nicht ausgeführte Verfahrensrüge und die Verletzung des sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 7. Dezember 2009 dargelegten Gründen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. In den Fällen der Verurteilung wegen Computerbetrugs hält die Bewertung der Konkurrenzen durch das Landgericht nicht uneingeschränkt der rechtlichen Überprüfung stand. Denn die Strafkammer hat übersehen, dass der Angeklagte nach der Eingabe der Lohnsummen und der Personalien der Arbeitnehmer durch eine Handlung (UA 6) für alle zuvor erfassten Daten den „Echtlauf Lohnauszahlung“ startete, durch den die „Bankbegleitliste“ erstellt wurde. Daher liegt hinsichtlich aller an einem Tag vom Angeklagten veranlassten Überweisungen lediglich ein Computerbetrug vor. Dem entsprechend war der Schuldspruch abzuändern. Die Änderung des Schuldspruchs führt zum Wegfall derjenigen Einzelstrafen, die von der Strafkammer neben der höchsten Einzelstrafe für die an jeweils demselben Tag begangenen Taten verhängt wurden. Einer Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe bedarf es dagegen trotz des Wegfalls einer erheblichen Anzahl an Einzeltaten und Einzelstrafen nicht. Denn durch die Zusammenfassung mehrerer Taten zu jeweils einer einzigen Tat ändert sich deren Schuldgehalt nicht (vgl. BVerfG Beschl. vom 1. März 2004 - 2 BvR 2251/03 m.w.N.). Der Senat schließt daher - auch im Hinblick auf unverändert gebliebenen Schaden von insgesamt 447.091,91 € - aus, dass der Ausspruch über die ohnehin sehr maßvolle Gesamtstrafe auf der fehlerhaften Bewertung der Konkurrenzen beruht und die Strafkammer ohne diesen Rechtsfehler auf eine noch geringere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte (vgl. BVerfG Beschl. vom 27. September 2006 - 2 BvR 1603/06). Tepperwien                                     Solin-Stojanović                                       Ernemann Franke                                                 Mutzbauer
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Deutschland
deutsch
BMJV
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JURE100059870
BGH
4. Strafsenat
20100309
4 StR 632/09
Beschluss
§ 22 StGB, § 23 StGB, § 121 Abs 1 Nr 1 StGB, § 121 Abs 1 Nr 2 StGB
vorgehend LG Hagen (Westfalen), 23. Juli 2009, Az: 52 KLs 3/09 - 400 Js 578/08, Urteil
DEU
Gefangenenmeuterei: Konkurrenz zwischen Vollendung und Versuch
1. Auf die Revision des Angeklagten M. wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 23. Juli 2009 hinsichtlich beider Angeklagter im Schuldspruch dahin geändert, dass die Angeklagten der Gefangenenmeuterei in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig sind. 2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten M. und die Revision des Angeklagten W. gegen das vorgenannte Urteil werden verworfen. 3. Die Angeklagten haben die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Im Übrigen wird von der Auferlegung von Kosten und Auslagen abgesehen.
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Gefangenenmeuterei in Tateinheit mit versuchter Gefangenenmeuterei und mit gefährlicher Körperverletzung unter Einziehung weiterer Urteile zu Einheitsjugendstrafen von sieben Jahren (Angeklagter W.) bzw. sieben Jahren und neun Monaten (Angeklagter M.) verurteilt. Gegen das Urteil richtet sich die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte und auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten W. Der Angeklagte M. beanstandet mit seinem unbeschränkt eingelegten Rechtsmittel das Verfahren und die Anwendung sachlichen Rechts. Die Revision des Angeklagten M. führt zu einer Schuldspruchänderung, die auf den Angeklagten W. zu erstrecken ist. Im Übrigen ist das Rechtsmittel des Angeklagten M. und die Revision des Angeklagten W. insgesamt unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts versuchten die Angeklagten am 24. August 2008 aus der Justizvollzugsanstalt I. auszubrechen. Hierzu überwältigen sie einen Justizvollzugsbeamten, misshandelten ihn in lebensgefährlicher Weise und nahmen ihm den Generalschlüssel und ein Funkgerät ab. In bzw. in der Nähe eines Innenhofs der Justizvollzugsanstalt scheiterte der Ausbruchsversuch. 2. Das Rechtsmittel des Angeklagten M. führt zu einer Änderung des Schuldspruchs, weil die Feststellungen seine Verurteilung wegen vollendeter in Tateinheit mit versuchter Gefangenenmeuterei nach § 121 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 StGB nicht tragen. Zwar setzt die Anwendung von § 121 Abs. 1 Nr. 1 StGB - anders als dessen Nummer 2 - nicht voraus, dass die Nötigung oder der tätliche Angriff mit dem Ziel eines Ausbruchs begangen wird. Jedenfalls in der vorliegenden Fallgestaltung eines im Versuchsstadium steckengebliebenen Ausbruchs, der mit der Nötigung bzw. dem tätlichen Angriff ermöglicht werden sollte, scheidet aber die Annahme von Tateinheit aus, weil der lediglich versuchten Gefangenenmeuterei kein eigenständiges Handlungsunrecht zukommt (vgl. zum Verhältnis zwischen versuchter Nötigung und Bedrohung auch BGH, Beschluss vom 8. November 2005 - 1 StR 455/05 - sowie ferner Eser in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 121 Rdn. 23; Bosch in Münchner Kommentar StGB § 121 Rdn. 36; a.A. LK-Rosenau StGB 12. Aufl. § 121 Rdn. 67 jeweils m.w.N.; Fischer StGB 57. Aufl. § 121 Rdn. 13). 3. Die Schuldspruchänderung ist gemäß § 357 StPO auf den Angeklagten W. zu erstrecken (vgl. Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 357 Rdn. 7 m.w.N.). 4. Auf die Rechtsfolgenaussprüche haben die Schuldspruchänderungen keine Auswirkungen, da der Erziehungsbedarf der Angeklagten und der Unrechtsgehalt der Tat hiervon nicht berührt werden und deshalb auszuschließen ist, dass der Tatrichter - der auf die tateinheitliche Verurteilung auch wegen versuchter Gefangenenmeuterei bei der Strafzumessung nicht abgestellt hat - bei richtiger Beurteilung der Konkurrenzen eine andere Strafe verhängt hätte (vgl. BVerfG Beschluss vom 27. September 2006 - 2 BvR 1603/06). Tepperwien                                           Solin-Stojanović                                          Ernemann Franke                                                      Mutzbauer
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Deutschland
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JURE100059873
BGH
3. Strafsenat
20100210
3 StR 560/09
Beschluss
§ 29a Abs 1 Nr 2 BtMG, § 25 Abs 1 StGB, § 27 StGB
vorgehend LG Duisburg, 1. September 2009, Az: 35 KLs 154 Js 894/08 (11/09), Urteil
DEU
Betäubungsmittelhandel: Täterschaftliche Beteiligung bei Verhandlungen über eine Betäubungsmittellieferung aus dem Ausland
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 1. September 2009 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben a) im Fall II. 14. der Urteilsgründe; b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen einer Serie von 25 Betäubungsmittelstraftaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Die auf mehrere Verfahrensrügen und die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. 1. Die Verurteilung wegen täterschaftlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Fall II. 14. der Urteilsgründe hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte sich ein Interessent für Marihuana beim Onkel des Angeklagten nach einer günstigen Einkaufsquelle erkundigt. Dieser wiederum hatte den Angeklagten gebeten, sich entsprechend umzuhören. Daraufhin verhandelten der Angeklagte sowie zwei weitere Personen über einen Monat hinweg telefonisch mit einem Mann in den Niederlanden über die für den Interessenten bestimmte Lieferung. Die dabei entstehenden Verständigungsschwierigkeiten machten es erforderlich, eine weitere Person als Dolmetscher hinzuzuziehen. Trotz Zahlung des Kaufpreises wurden die Betäubungsmittel nicht geliefert. Damit ist lediglich festgestellt, dass sich der Angeklagte auf Bitten seines Onkels durch Verhandlungen um die Lieferung von Betäubungsmitteln durch einen Niederländer an einen Dritten bemühte. Zwar kann dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe noch entnommen werden, dass die Anstrengungen des einschlägig vorbestraften Angeklagten hier wie bei den anderen Taten auf Erlangung zumindest eines persönlichen Vorteils gerichtet waren, der Angeklagte somit eigennützig handelte (vgl. hierzu im Einzelnen Weber, BtMG 3. Aufl. § 29 Rdn. 286 ff.). Eine täterschaftliche Beteiligung des Angeklagten an diesem fremden Umsatzgeschäft ist damit aber nicht belegt. Auch im Rahmen der rechtlichen Würdigung fehlt es an der für solche Konstellationen gebotenen Begründung, warum der Angeklagte als Täter und nicht lediglich als Gehilfe an der Tat mitgewirkt hat (vgl. hierzu nur BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 56 - 59 m. w. N.). Für die dazu erforderliche Würdigung könnten die spärlichen, auf einer vom Angeklagten "autorisierten" Verteidigererklärung beruhenden, mit dem Anklagesatz nahezu wortgleichen Feststellungen ohnehin keine Grundlage bieten. Die Aufhebung führt zum Wegfall der Einzelstrafe von drei Jahren und sechs Monaten und der Gesamtstrafe. Der Senat schließt aus, dass die weiteren Einzelstrafen in der Höhe davon betroffen sind. 2. Die weitergehende Revision ist unbegründet. Becker                                         Pfister                                 von Lienen Hubert                                      Schäfer
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059875
BGH
3. Strafsenat
20100209
3 StR 17/10
Beschluss
§ 73 Abs 1 S 1 StGB, § 74 Abs 2 Nr 2 StGB, § 250 Abs 2 Nr 1 StGB
vorgehend LG Verden, 7. September 2009, Az: 7 KLs 8/09 - 104 Js 438/09, Urteil
DEU
Schwerer Raub bei Bedrohung mit einer Schreckschusswaffe; Voraussetzungen der Dritteinziehung und der Einziehung des Erlangten bei mehreren Tatbeteiligten
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 7. September 2009 aufgehoben, soweit die Angeklagten in den Fällen II. 1. bis 6. und 8. der Urteilsgründe verurteilt worden sind; jedoch bleiben in den Fällen II. 1. bis 6. der Urteilsgründe die bisherigen Feststellungen insgesamt und im Fall II. 8. der Urteilsgründe die bisherigen Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten M. wegen schwerer räuberischer Erpressung in fünf Fällen, wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung und wegen Verabredung einer schweren räuberischen Erpressung, den Angeklagten F. wegen schwerer räuberischer Erpressung in vier Fällen, wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung und wegen Verabredung einer schweren räuberischen Erpressung sowie den Angeklagten Me. wegen schwerer räuberischer Erpressung in drei Fällen, wegen Beihilfe zur schweren räuberischen Erpressung in zwei Fällen und wegen versuchter Nötigung jeweils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Die Angeklagte Me. hat es wegen Beihilfe zur schweren räuberischen Erpressung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat; eine Digitalkamera und ein Mobiltelefon dieser Angeklagten hat es eingezogen. Weiter hat das Landgericht festgestellt, dass der Anordnung des Verfalls von 365.050 € betreffend den Angeklagten M., 345.050 € betreffend den Angeklagten F., 339.000 € betreffend den Angeklagten Me. und 30.000 € betreffend die Angeklagte Me. lediglich Ansprüche Verletzter entgegenstehen. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. 1. Die Schuldsprüche wegen schwerer räuberischer Erpressung, versuchter schwerer räuberischer Erpressung, Beihilfe zur schweren räuberischen Erpressung und Verabredung einer schweren räuberischen Erpressung halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die vom Landgericht jeweils angenommene Qualifizierung der Taten wegen der Verwendung einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs (§ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) - die zu deren rechtlicher Tenorierung als "besonders schwer" hätte führen müssen (BGHR StPO § 260 Abs. 4 Satz 1 Urteilsformel 4) - wird von den Feststellungen nicht getragen. Zutreffend geht das Landgericht zwar davon aus, dass der Tatbestand des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB kein Durchladen der verwendeten Schusswaffe erfordert, sondern deren Unterladung durch Einfügen des bestückten Magazins genügt. Bedroht der Täter bei einer Raubtat das Opfer mit einer - geladenen oder unterladenen - Schreckschusswaffe, erfüllt er den Qualifikationstatbestand indes nur dann, wenn nach deren Bauart der Explosionsdruck beim Abfeuern der Kartuschenmunition nach vorne durch den Lauf austritt (vgl. BGHSt 48, 197). Dies hat das Landgericht nicht festgestellt; Feststellungen hierzu waren auch nicht entbehrlich, denn der Austritt des Explosionsdrucks nach vorne kann nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Der neue Tatrichter wird deshalb zur Bauart der Waffen ergänzende Feststellungen zu treffen haben. Die sonstigen bisherigen Feststellungen sind in den Fällen II. 1. bis 6. der Urteilsgründe insgesamt rechtsfehlerfrei und können daher bestehen bleiben (§ 352 Abs. 2 StPO). Gleiches gilt hinsichtlich der Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen im Fall II. 8. der Urteilsgründe. Jedoch hat sich das Landgericht insoweit nicht mit den Einlassungen der Angeklagten M. und F. auseinandergesetzt, sie hätten es für nicht strafbar gehalten, am Telefon die Durchführung eines Banküberfalls zu vereinbaren. Ob diese Angaben glaubhaft sind, sich die beiden Angeklagten aufgrund dessen in einem Verbotsirrtum befanden, dieser vermeidbar und gegebenenfalls von der Möglichkeit der Strafmilderung nach § 17 Satz 2 StGB Gebrauch zu machen war, hat das Landgericht nicht erörtert. Daher hat der Senat in diesem Fall die Feststellungen zur subjektiven Tatseite insgesamt aufgehoben. 2. Mit der Aufhebung der Verurteilung in den genannten Fällen kommen die insoweit für die jeweils beteiligten Angeklagten festgesetzten Einzelstrafen sowie die unter deren Einbeziehung gebildeten Gesamtfreiheitsstrafen in Wegfall. Gleiches gilt für die Einziehungsanordnung sowie die Feststellung, dass die Anordnung des Verfalls in je unterschiedlicher Höhe wegen Ersatzansprüchen der Geschädigten ausgeschlossen ist. Insoweit sieht der Senat für das weitere Verfahren Anlass zu folgenden Hinweisen: a) Die Einziehung der Digitalkamera und des Mobiltelefons der Angeklagten Me. ist schon für sich rechtsfehlerhaft. Die Kamera stellte sie dem Angeklagten M. im Falle II. 8. der Urteilsgründe zur Ausspähung möglicher Tatobjekte zur Verfügung. Da die Angeklagte an der Verabredung des Überfalls (§ 30 Abs. 2 StGB) nicht als Täterin beteiligt war und Beihilfe hierzu nicht leisten konnte (Fischer, StGB 57. Aufl. § 30 Rdn. 14), kommt lediglich eine Dritteinziehung nach § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB in Betracht, deren Voraussetzungen nicht festgestellt sind. Eine Verwendung des Mobiltelefons der Angeklagten Me. wird nicht ersichtlich. b) Die Feststellung der Geldbeträge, hinsichtlich deren das Landgericht nur wegen des Bestehens von Ansprüchen Verletzter von der Anordnung des Wertersatzverfalls abgesehen hat (§ 111 i Abs. 2 Sätze 1 und 3 StPO), lässt besorgen, dass sie sich nicht auf den Wert des von den Angeklagten jeweils im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB Erlangten beschränkt. Bei mehreren Beteiligten an einer Tat ist entscheidend, was der einzelne Beteiligte selbst tatsächlich erlangt hat. Zwar reicht es aus, dass er die wirtschaftliche Mitverfügungsgewalt an dem Vermögensgegenstand erlangt, jedoch kann ihm nach § 73 StGB nicht darüber hinaus auch das zugerechnet werden, was ausschließlich von einem anderen Tatbeteiligten erlangt ist (Fischer aaO § 73 Rdn. 16 m. w. N.). Jedenfalls die Angeklagten Me., denen die Angeklagten M. und F. nur nachträglich ihre Anteile ausbezahlten, hatten keine wirtschaftliche Mitverfügungsgewalt an der gesamten jeweils erzielten Tatbeute; gleichwohl hat das Landgericht sie ihnen zugerechnet. Die Angeklagten sind hierdurch auch beschwert, denn der nach § 111 i Abs. 2 StPO festgestellte Betrag bestimmt den gegen sie gerichteten, aufschiebend bedingten Zahlungsanspruch des Staates (§ 111 i Abs. 5 Satz 1 StPO). Zu Recht hat das Landgericht deshalb auch die Beute aus der Tat II. 1. der Urteilsgründe, begangen vor Inkrafttreten der Neufassung von § 111 i StPO am 1. Januar 2007 (Gesetz vom 24. Oktober 2006; BGBI I 2350), nicht in seine Berechnung einbezogen (vgl. BGH NJW 2008, 1093; wistra 2008, 193; 2009, 241; NStZ-RR 2009, 56, 113). Vermögensgegenstände, in die Verletzte die Zwangsvollstreckung betreiben (können), müssen im Urteil nicht bezeichnet werden (vgl. § 111 i Abs. 3 StPO). 3. Rechtsfehlerfrei ist die Verurteilung des Angeklagten Me. im Fall II. 7. der Urteilsgründe wegen versuchter Nötigung. Auch die insoweit festgesetzte Einzelfreiheitsstrafe von sechs Monaten kann bestehen bleiben; der Senat vermag auszuschließen, dass die Höhe dieser Strafe durch die übrigen gegen diesen Angeklagten verhängten Einzelstrafen beeinflusst ist. Becker                           von Lienen                           Sost-Scheible Hubert                                   Mayer
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JURE100059894
BGH
9. Zivilsenat
20100311
IX ZB 94/07
Beschluss
§ 27 AVAG, Art 38 Abs 1 EGV 44/2001
vorgehend OLG Dresden, 24. April 2007, Az: 3 W 594/06, Beschluss vorgehend LG Zwickau, 30. März 2006, Az: 2 O 479/06, Beschluss
DEU
Vollstreckung ausländischer Urteile: Berücksichtigung der Aufhebung der Vollstreckbarkeit der Entscheidung im Ursprungsstaat im Beschwerdeverfahren der Vollstreckbarerklärung
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 24. April 2007 wie folgt geändert: Der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Zwickau vom 30. März 2006 wird insgesamt aufgehoben. Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Urteils des Tribunale civile di Prato (Italien) vom 2. Mai 2005 wird abgelehnt. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens aller Instanzen. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 18.437,57 € festgesetzt.
I. Die Antragstellerin (im Folgenden auch: Gläubigerin) erhob im Jahr 1998 in Italien Zahlungsklage gegen die Antragsgegnerin (im Folgenden auch: Schuldnerin). Mit einem am 6. September 2005 für vollstreckbar erklärten, nicht rechtskräftigen Urteil vom 2. Mai 2005 verurteilte der Tribunale civile di Prato die Schuldnerin zur Zahlung von 18.437,75 € zuzüglich Kosten. Auf Antrag der Gläubigerin hat der Vorsitzende einer Zivilkammer des Landgerichts dieses Urteil mit Beschluss vom 30. März 2006 für vollstreckbar erklärt. Hiergegen hat die Schuldnerin Beschwerde eingelegt. Auf Beschwerde der Schuldnerin setzte die Corte d'Appello di Firenze am 29. Mai 2006/5. Juli 2006 die Vollstreckung des angefochtenen Urteils des Tribunale civile di Prato aus (Art. 283 c.p.c.). Termin zur Verhandlung über die Berufung der Schuldnerin vor der Corte d'Appello di Firenze ist auf den 9. November 2011 bestimmt. Zwischenzeitlich war auf Antrag der Gläubigerin durch das Amtsgericht Auerbach eine Kontenpfändung ausgebracht worden (§ 720a ZPO). Mit Beschluss vom 24. April 2007 hat das Beschwerdegericht die Entscheidung des Landgerichts vom 30. März 2006 geändert und das Urteil des Tribunale civile di Prato für die Zeit bis zum 28. Mai 2006 zur Vollstreckung zugelassen. Danach sei das Urteil wegen der Aussetzung der Vollstreckung oder Aufhebung der Vollstreckbarkeit in Italien nicht mehr vollstreckbar. Hiergegen wendet sich die Schuldnerin mit ihrer Rechtsbeschwerde. II. Das gemäß § 15 Abs. 1 AVAG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsmittel ist zulässig, weil die Frage grundsätzliche Bedeutung hat (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), ob ein nicht rechtskräftiges ausländisches Urteil, dessen Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat ausgesetzt oder aufgehoben worden ist, für einen begrenzten Zeitraum für vollstreckbar erklärt werden kann. Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 15 Abs. 2 und 3, § 16 AVAG. III. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Beschluss des Landgerichts ist insgesamt aufzuheben. Eine zeitlich begrenzte Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen sieht das Gesetz nicht vor. 1. Auf das Verfahren findet die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 (EuGVVO) gemäß Art. 66 Abs. 2 Buchst. a, Art. 76 EuGVVO Anwendung. 2. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, es sei zu beachten, dass das Urteil des Tribunale civile di Prato in Italien bis zum 28. Mai 2006 vollstreckbar gewesen sei. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung des Landgerichts hätten die Voraussetzungen für eine Vollstreckbarerklärung vorgelegen. Die Entscheidung der Corte d'Appello di Firenze habe die Vollstreckbarkeit in Italien nicht rückwirkend beseitigt, sondern nur die Weiterführung der begonnenen Vollstreckung verhindert. Dies ergebe sich aus einer Auskunft des italienischen Justizministeriums. Die Entscheidung habe eine der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung nach deutschem Recht vergleichbare Wirkung. Bereits getroffene Vollstreckungsmaßregeln blieben danach bestehen. Um die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen, sei die EuGVVO dahin auszulegen, dass gerichtliche Entscheidungen - soweit sie anzuerkennen seien - mit der Wirkung in den Vollstreckungsstaat zu übernehmen seien, die sie auch im Urteilsstaat hätten. Ergehe dort eine die Zwangsvollstreckung lediglich vorläufig beschränkende Entscheidung, seien im Vollstreckungsstaat zuvor bereits ausgebrachte Vollstreckungsmaßnahmen aufrecht zu erhalten. Dies müsse auch im Hinblick auf die schon erfolgte Kontenpfändung gelten. 3. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. a) Mit der Aufhebung oder Aussetzung der Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat fehlt eine nach der EuGVVO anzuerkennende Entscheidung (Art. 38 Abs. 1 EuGVVO). Auch für eine bloße Sicherungsvollstreckung ist Voraussetzung, dass im Urteilsstaat eine vollstreckbare Entscheidung vorliegt. Ob die dortige Entscheidung für einen begrenzten Zeitraum vollstreckbar war und ob eine Aufhebung der Vollstreckbarkeit dort ex nunc oder ex tunc wirkt, ist unerheblich. Entfällt während des Beschwerdeverfahrens die Vollstreckbarkeit der Entscheidung, so ist dies - wie auch sonst im Vollstreckbarerklärungsverfahren (vgl. BGHZ 171, 310, 316 Rn. 15; BGH, Beschl. v. 30. April 1980 - VIII ZB 34/78, NJW 1980, 2022) - uneingeschränkt zu berücksichtigen. Die Frage, ob aus der Entscheidung im Urteilsstaat für einen begrenzten Zeitraum hätte vollstreckt werden können, hat hiermit nichts zu tun. Ein "Gleichlauf" der vorläufigen Vollstreckbarkeit im Urteilsstaat und im Inland, wie ihn sich das Beschwerdegericht vorstellt, kommt wegen des Wegfalls der Voraussetzungen für die Vollstreckbarerklärung nicht in Frage. b) Diese Sichtweise gebietet auch § 27 AVAG. Nach dieser Vorschrift kann der Schuldner die Aufhebung oder Änderung der Zulassung der Vollstreckung in einem besonderen Verfahren geltend machen, wenn der Titel in dem Staat, in dem er errichtet worden ist, aufgehoben oder geändert wird. Hieraus folgt, dass sogar die nachträgliche Aufhebung der Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat zu beachten ist und bereits erfolgte Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben sind (§ 27 Abs. 5 AVAG). Wenn für die Zeit nach Beendigung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens ein Rechtsbehelf zur Verfügung steht, mit dem nachträgliche Veränderungen der Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat zu berücksichtigen sind, muss dies erst recht für die Änderung der Vollstreckbarkeit während des laufenden Vollstreckbarerklärungsverfahrens gelten. Sicherungsmaßnahmen sind nach Art. 47 Abs. 3 EuGVVO ausdrücklich auf die Zeit bis zum Erlass der Entscheidung des Beschwerdegerichts beschränkt. Bestätigt das Beschwerdegericht die Vollstreckbarerklärung nicht, dürfen auch keine vorläufigen Sicherungsmaßnahmen mehr aufrechterhalten werden. Die Vollstreckbarkeit entfällt in vollem Umfang. IV. Die Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen erfolgt nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis. Nach letzterem ist die Sache zur Endentscheidung reif. Das Rechtsbeschwerdegericht hat deshalb in der Sache selbst zu entscheiden, § 17 Abs. 2 AVAG, § 577 Abs. 5 ZPO. Ganter                          Raebel                              Kayser Pape                              Grupp
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059895
BGH
9. Zivilsenat
20100318
IX ZR 111/08
Beschluss
§ 130 Abs 1 InsO, § 140 Abs 1 InsO, § 1274 Abs 2 BGB
vorgehend OLG Frankfurt, 29. April 2008, Az: 11 U 18/07 (Kart), Urteil vorgehend LG Frankfurt, 17. April 2007, Az: 2/3 O 74/06
DEU
Insolvenzanfechtung: Anfechtbarkeit einer Vorausverpfändung
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 29. April 2008 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 192.528,75 € festgesetzt.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft (§ 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und zulässig (§ 544 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO). Sie hat jedoch keinen Erfolg, weil sie keinen Zulassungsgrund aufdeckt. Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen sind entweder geklärt oder nicht entscheidungserheblich. 1. Die Kontokorrentabrede zwischen der Schuldnerin und der F. AG erlosch nach §§ 115, 116 InsO mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (BGHZ 70, 86, 93; BGH, Urt. v. 25. Juni 2009 - IX ZR 98/08, WM 2009, 1515, 1516 Rn. 10 zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ 181, 361). Gleichzeitig wirkte aber bereits die Beschränkung des § 91 InsO, nach welcher an Gegenständen der Insolvenzmasse - hier dem kausalen Schlusssaldo bei Insolvenzeröffnung am 1. Juli 2003 - Rechte und damit auch Pfandrechte nicht mehr wirksam erworben werden konnten (BGH, Urt. v. 25. Juni 2009 aaO). 2. An den seit dem Rechnungsabschluss vom 30. Juni 2003 in das Kontokorrent eingestellten Einzelforderungen konnte ein Pfandrecht ebenfalls nicht entstanden sein. Denn nach § 1274 Abs. 2 BGB kann ein Pfandrecht nicht an einem Recht bestellt werden, das nicht übertragbar ist. Die in das Kontokorrent eingestellten Einzelforderungen waren jedoch nicht selbständig abtretbar, solange die Kontokorrentbindung bestand (BGH, Urt. v. 25. Juni 2009 aaO Rn. 9). 3. Ein wirksamer Erwerb eines Pfandrechts kam also nur bezüglich des Schuldsaldos hinsichtlich des Rechnungsabschlusses zum 30. Juni 2003 in Höhe von 178.074,87 € in Betracht. Den Rechten aus einem solchen Pfandrecht kann aber jedenfalls dessen Anfechtbarkeit nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO entgegengehalten werden. Für die Anfechtbarkeit kommt es nach § 140 Abs. 1 InsO auf den Zeitpunkt an, in dem die rechtlichen Wirkungen der Rechtshandlung eintreten. Bei mehraktigen Rechtshandlungen treten diese mit dem letzten zur Erfüllung ihres Tatbestandes erforderlichen Teilakt ein. Bei der Vorausabtretung einer Forderung ist dies das Entstehen der Forderung (BGHZ 157, 350, 354; 170, 196, 201; 174, 297, 300 Rn. 13). Deshalb wird auch die Verpfändung einer künftigen Forderung erst mit dem Entstehen der Forderung wirksam. Da an den in das Kontokorrent eingestellten Einzelforderungen ein Pfandrecht nicht erworben werden konnte, kommt für den Erwerb des Pfandrechts von vorneherein nur der Schlusssaldo in Betracht. Für die Anfechtbarkeit ist deshalb auf diesen abzustellen, nicht auf die in das Kontokorrent eingestellten Einzelforderungen. Dies hat der Senat für die hier vorliegende Konstellation bereits für die Vorausabtretung ausdrücklich entschieden (BGH, Urt. v. 22. Oktober 2009 - IX ZR 90/08, ZIP 2009, 2347, 2350 Rn. 20 ff). Für die Vorausverpfändung gilt nichts anderes. Klärungsbedarf besteht insoweit nicht. Das Berufungsgericht hat auch zutreffend entschieden. 4. Die weiteren von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen sind deshalb nicht entscheidungserheblich. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen. Kayser                                             Gehrlein                                             Vill Fischer                                                 Grupp
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059897
BGH
9. Zivilsenat
20100318
IX ZR 192/08
Beschluss
§ 675 BGB
vorgehend OLG München, 17. September 2008, Az: 15 U 1895/08, Urteil vorgehend LG Ingolstadt, 28. November 2007, Az: 4 O 2541/04, Urteil
DEU
Beratungspflicht des Steuerberaters: Eingeschränkte Warnpflicht bei anderweitiger fachkundiger Beratung in außerhalb des Auftrages liegenden Fragen
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 17. September 2008 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 116.582,42 € festgesetzt.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft (§ 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und zulässig (§ 544 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO). Sie hat jedoch keinen Erfolg, weil sie keinen Zulassungsgrund aufdeckt (§ 543 Abs. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat in zulassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein eingeschränktes Mandat der Beklagten angenommen und seiner Entscheidung die Rechtsprechung des Senats hierzu zugrunde gelegt. Danach muss ein Steuerberater den Mandanten auch vor außerhalb seines Auftrags liegenden steuerlichen Fehlentscheidungen warnen, wenn sie ihm bekannt oder für einen durchschnittlichen Berater auf den ersten Blick ersichtlich sind (BGH, Urt. v. 21. Juli 2005 - IX ZR 6/02, WM 2005, 1904, 1905; v. 18. Dezember 2008 - IX ZR 12/05, WM 2009, 369, 370 Rn. 14 je m.w.N.; Zugehör in Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung, 2. Aufl. Rn. 496 f). Ist der Mandant hinsichtlich dieser Frage anderweitig fachkundig beraten, gilt eine derartige Warnpflicht nur eingeschränkt. Der Steuerberater muss den Mandanten vor etwaigen Fehlleistungen des anderen Beraters nur dann warnen, wenn er diese erkennt oder erkennen kann und zugleich annehmen muss, dass der Mandant die Gefahr möglicherweise nicht bemerkt (BGH, Urt. v. 21. Juli 2005 aaO S. 1905). Die Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall durch das Berufungsgericht lässt die von der Beschwerde geltend gemachte Verletzung von Verfahrensgrundrechten des Klägers, nämlich des Grundrechts auf rechtliches Gehör und des Willkürverbots, nicht erkennen. Hinsichtlich der Abweisung der Klageanträge 6 bis 8 lässt zwar das Berufungsurteil eine gesonderte Begründung vermissen. Das Berufungsgericht ist jedoch ersichtlich davon ausgegangen, dass insoweit ein neuer, unabhängiger Schaden nicht eingetreten ist. Umstände, die insoweit auf die auch hier geltend gemachte Willkür schließen lassen könnten, legt die Beschwerde nicht konkret dar. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen. Kayser                                     Gehrlein                                    Vill Fischer                                         Grupp
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059898
BGH
9. Zivilsenat
20100204
IX ZR 32/09
Beschluss
§ 130 InsO, § 131 Abs 1 InsO
vorgehend LG Mühlhausen, 15. Januar 2009, Az: 1 S 161/08, Urteil vorgehend AG Nordhausen, 26. Juni 2008, Az: 22 C 76/08
DEU
Insolvenzanfechtung: Positive Kenntnis des Arbeitnehmers von der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers bei Lohnrückständen
Der Senat beabsichtigt, die Revision der Beklagten gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Mühlhausen vom 15. Januar 2009 gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen. Den Parteien wird Gelegenheit gegeben, bis zum 12. April 2010 Stellung zu nehmen. Der Streitwert des Revisionsverfahrens wird auf 2.387,37 € festgesetzt.
Gemäß § 552a ZPO weist das Revisionsgericht die vom Berufungsgericht zugelassene Revision durch einstimmigen Beschluss zurück, wenn es davon überzeugt ist, dass die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vorliegen und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. So verhält es sich hier. 1. Zulassungsvoraussetzungen: Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe. Damit ist ersichtlich gemeint, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu den subjektiven Voraussetzungen der Deckungs- und Vorsatzanfechtung für Lohnzahlungen vorlag. Die Anforderungen, die im Anwendungsbereich der §§ 130, 133 Abs. 1 InsO an die Kenntnis eines Gläubigers, der über keine "Insiderkenntnisse" verfügt, zu stellen sind, und wie die für den Anfechtungstatbestand des § 130 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 InsO erforderliche positive Kenntnis von der grob fahrlässigen Unkenntnis abzugrenzen ist, haben die Senatsurteile vom 19. Februar 2009 (BGHZ 180, 63) und vom 15. Oktober 2009 (IX ZR 201/08, ZIP 2009, 2306 f Rn. 10 ff) geklärt. Die angefochtene Entscheidung wirft in diesem Zusammenhang keine weiteren klärungsbedürftigen Grundsatzfragen auf. 2. Keine Erfolgsaussicht: a) Das Berufungsgericht leitet die positive Kenntnis der Beklagten von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners insbesondere aus der zeitlichen Dauer und der Höhe der eigenen Lohnrückstände ab. Zum maßgeblichen Zeitpunkt (§ 140 Abs. 1 InsO) am 5. August 2004 befand sich der Schuldner nach den Feststellungen mit der Zahlung von 7 bis 9 Monatslöhnen im Rückstand. Mit der angefochtenen Zahlung wurden lediglich (restliche) Lohnansprüche der Beklagten bis einschließlich Dezember 2003 ausgeglichen. Für den Zeitraum ab Januar 2004 hat die Beklagte vom Schuldner zu keinem Zeitpunkt Arbeitslohn erhalten. Dass die Lohnrückstände nicht nur in ihrer Person vorlagen, sondern - was der Beklagten bekannt war - in ähnlichem Ausmaß auch bei einem Großteil der übrigen Arbeitnehmer, ergibt sich aus ihrem eigenen Vortrag, wonach sie und andere Mitarbeiter die erheblichen Verzögerungen bei den Lohnauszahlungen hingenommen hätten, weil die Geschäftsleitung insoweit auf offene Forderungen verwiesen habe. b) Bei diesen Umständen handelt es sich - wie in dem vom Senat am 15. Oktober 2009 (IX ZR 201/08, ZIP 2009, 2306 f) entschiedenen Parallelfall - um eine Indizienlage, welche die tatrichterliche Annahme trägt, die bei dem Schuldner in dem kaufmännischen Bereich beschäftigte Beklagte habe sich ein eindeutiges Urteil über die Liquiditätsgesamtlage des Schuldners gebildet. Entgegen der Auffassung der Revision wirkt sich bei dem Umfang der Lohnrückstände nicht entlastend aus, dass aus Sicht der Beklagten erhebliche Forderungen des Schuldners offen standen und die Auftragsbücher "im Grunde voll gewesen" seien. Zahlungsrückstände der festgestellten Art können auch unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ersichtlich nicht als bloße Zahlungsstockung eingeordnet werden. Kayser                              Raebel                                Gehrlein Pape                                  Grupp Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden.
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059899
BGH
7. Zivilsenat
20100325
VII ZR 160/09
Beschluss
§ 138 BGB, § 632 BGB, § 2 Nr 3 Abs 2 VOB B, § 2 Nr 5 VOB B
vorgehend Thüringer Oberlandesgericht, 11. August 2009, Az: 5 U 899/05, Urteil vorgehend LG Erfurt, 23. August 2005, Az: 3 O 1867/02
DEU
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 5. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 11. August 2009 wird zurückgewiesen. Von einer Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO). Der Senat sieht sich ergänzend zu dem Hinweis veranlasst, dass er die Auffassung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe die Vermutung des sittlich verwerflichen Gewinnstrebens im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB widerlegt, nicht teilt. Diese Vermutung wird dadurch begründet, dass die entweder auf § 2 Nr. 3 Abs. 2 oder § 2 Nr. 5 VOB/B beruhende Vereinbarung der Parteien für Mehrmengen eine um mehr als das Achthundertfache und damit außerordentlich überhöhte Vergütung festlegte (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2008 - VII ZR 201/06, BGHZ 179, 213, 219, Tz. 15). Sie hätte im vorliegenden Fall nur durch Angaben zur Preisbildung widerlegt werden können, die den Schluss auf ein sittlich verwerfliches Gewinnstreben ausschließen. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens (§ 97 Abs. 1 ZPO). Gegenstandswert:  1.698.454,48 € Kniffka                                  Kuffer                           Bauner Safari Chabestari                        Eick
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Deutschland
deutsch
BMJV
public
JURE100059900
BGH
8. Zivilsenat
20100210
VIII ZR 222/09
Versäumnisurteil
§ 305c Abs 1 S 1 BGB, § 307 BGB, § 535 BGB, § 28 BVO 2
vorgehend LG Berlin, 28. Juli 2008, Az: 67 S 325/07, Urteil vorgehend AG Spandau, 5. Oktober 2007, Az: 3 C 257/07, Urteil
DEU
Wohnraummiete: Wirksamkeit der Schönheitsreparaturenklausel mit der Verpflichtung des Mieters zum Streichen der Wohnungseingangstür und der Fenster
Auf die Rechtsmittel des Beklagten werden das Urteil der Zivilkammer 67 des Landgerichts Berlin vom 28. Juli 2008 - auch im Kostenpunkt - aufgehoben und das Urteil des Amtsgerichts Spandau vom 5. Oktober 2007 - unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung des Beklagten - abgeändert, soweit der Beklagte verurteilt worden ist, an die Klägerin - über bereits gezahlte 718,29 € hinaus - mehr als 262,27 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. Mai 2007 zu zahlen. Insoweit wird die Klage abgewiesen. Von den Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz tragen die Klägerin 4/5 und der Beklagte 1/5. Die Kosten des Revisionsverfahrens fallen der Klägerin zur Last. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Von Rechts wegen
Der Beklagte war Mieter einer Wohnung der Klägerin in B.. Der Formularmietvertrag enthält unter anderem folgende Klauseln: § 4 Nr. 6: Schönheitsreparaturen trägt der ... Mieter (vgl. § 13). § 13 Nr. 1 Satz 1: Die Schönheitsreparaturen sind fachgerecht und wie folgt auszuführen: Tapezieren, Anstreichen der Wände und Decken, das Streichen der Fußböden, Reinigen von Parkett, Reinigung von Teppichböden, das Streichen der Heizkörper einschließlich der Heizrohre sowie der Türen und Fenster. Das Mietverhältnis endete am 28. Februar 2007. Der Beklagte, der unstreitig starker Raucher war, hat die Wohnung vor Auszug zumindest teilweise renoviert, jedoch nach Ansicht der Klägerin nicht sach- und fachgerecht, weil das "Nikotin" trotz verschiedener Anstricharbeiten wieder durchgeschlagen sei. Die Klägerin forderte den Beklagten Anfang März 2007 erfolglos auf, Wände und Decken mit einem Nikotingrund und anschließend mit Dispersionsfarbe deckend weiß zu streichen. Die Klägerin hat den Beklagten auf Zahlung von 4.091,37 € Schadensersatz für die Ausführung von Malerarbeiten, abzüglich 608,61 € Kaution, zuzüglich 1.111,17 € Mietrückstand sowie 370,39 € Nutzungsentschädigung für den Monat März 2007, in dem die von der Klägerin veranlassten Malerarbeiten ausgeführt wurden, somit insgesamt in Höhe von 4.964,32 € nebst Zinsen in Anspruch genommen. Das Amtsgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten war teilweise erfolgreich. Das Berufungsgericht hat die Verurteilung des Beklagten, nachdem die Parteien unstreitig gestellt hatten, dass auf den Mietrückstand 718,29 € gezahlt wurden, unter Klageabweisung im Übrigen auf Zahlung von 2.557,02 € (1.924,36 € Renovierungskosten, 370,39 € Mietausfall, 262,27 € rückständige Miete) nebst Zinsen ermäßigt. Mit der vom Berufungsgericht beschränkt zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klagabweisungsantrag weiter, soweit er zur Zahlung von mehr als 262,27 € nebst Zinsen verurteilt worden ist.
Die Revision hat Erfolg. Über die Revision des Beklagten ist antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden, da die Klägerin in der mündlichen Revisionsverhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht anwaltlich vertreten war. Inhaltlich beruht das Urteil indessen nicht auf der Säumnis der Klägerin, sondern auf einer Sachprüfung (vgl. BGHZ 37, 79, 81 f.). I. Das Berufungsgericht hat - soweit noch von Interesse - zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe neben den Ansprüchen auf rückständige Miete in Höhe von 262,27 € und auf Schadensersatz wegen Mietausfalls für März 2007 in Höhe von 370,39 € Anspruch auf Schadensersatz wegen nicht oder nicht ordnungsgemäß ausgeführter Schönheitsreparaturen gemäß § 280 Abs. 1 und 3, § 281 Abs. 1 BGB. Diese Forderung reduziere sich unter Verrechnung mit dem Kautionsbetrag von 608,61 € auf 1.924,36 €. Der Beklagte sei bei Beendigung des Mietverhältnisses zur Vornahme von Schönheitsreparaturen in dem von der Klägerin verlangten Umfang verpflichtet gewesen. Zwar ergäben sich Bedenken gegen die Wirksamkeit der Vertragsklauseln § 4 Nr. 6 und § 13 des Mietvertrages daraus, dass nach der Klausel ein Anstrich der Fenster und Türen vorgeschrieben sei ohne die Beschränkung, dass nur ein Anstrich der Fenster von innen, der Innentüren und der Innenseite der Wohnungseingangstür gemeint sei. Nach der in § 28 Abs. 4 der Zweiten Berechnungsverordnung enthaltenen Regelung, wonach zum Umfang der Schönheitsreparaturen insoweit nur das Streichen "der Innentüren sowie der Fenster und der Außentüren von innen" umfasst sei, stelle eine Verpflichtung des Mieters, auch die Außenseiten der Fenster und die zum Treppenflur gewandte Seite der Wohnungseingangstür zu streichen, eine unangemessene Benachteiligung dar. Die Unwirksamkeit der Verpflichtung zur Vornahme von Schönheitsreparaturen in Bezug auf Fenster und Türen habe jedoch nicht zur Folge, dass die gesamte Klausel des § 13 des Mietvertrages unwirksam wäre. Nach der "blue pencil rule" sei es möglich, den Passus "sowie der Fenster und Türen" aus der Klausel zu streichen, ohne dass der verbleibende Text damit unverständlich werde. In einer solchen Streichung sei kein Verstoß gegen das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion zu sehen. Die Überwälzung der Verpflichtung zur Vornahme der Schönheitsreparaturen sei auch nicht deshalb unwirksam, weil der Mietvertrag auch eine so genannte Quotenklausel enthalte. Der Beklagte habe den ihm obliegenden Beweis, dass er die von ihm hiernach geschuldeten Anstricharbeiten in der betroffenen Wohnung ordnungsgemäß durchgeführt habe, nicht erbracht. II. Diese Beurteilung hält, soweit sie revisionsrechtlichter Nachprüfung unterliegt, dieser in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die im Formularmietvertrag von der Klägerin als Vermieterin gestellte Schönheitsreparaturklausel in vollem Umfang unwirksam. Daher steht der Klägerin gegen den Beklagten weder ein Schadensersatzanspruch wegen nicht oder nicht fachgerecht ausgeführter Schönheitsreparaturen in Höhe von 1.924,36 € noch ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Mietausfalls in Höhe von 370,39 € für den Monat März 2007 zu. 1. Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die Regelung in § 13 Nr. 1 Satz 1 des Mietvertrages, wonach der Mieter im Rahmen der ihm nach § 4 Nr. 6 des Mietvertrages auferlegten Pflicht zur Vornahme von Schönheitsreparaturen auch das Streichen der Türen und der Fenster schuldet, den Mieter insoweit unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB benachteiligt und deshalb unwirksam ist (vgl. Senatsurteil vom 13. Januar 2010 - VIII ZR 48/09, zur Veröffentlichung bestimmt, unter II 1; anders noch Senatsurteil vom 6. Oktober 2004 - VIII ZR 215/03, NZM 2004, 903, unter II 1). a) Der Begriff der Schönheitsreparaturen bestimmt sich nach allgemeiner Auffassung auch bei preisfreiem Wohnraum anhand der in § 28 Abs. 4 Satz 3 der Zweiten Berechnungsverordnung (II. BV) enthaltenen Definition, wonach als Schönheitsreparaturen das Tapezieren, Anstreichen oder Kalken der Wände und Decken, das Streichen der Fußböden und der Heizkörper einschließlich der Heizrohre, der Innentüren sowie der Fenster und der Außentüren von innen anzusehen sind (vgl. Senatsurteile vom 18. Februar 2009 - VIII ZR 210/08, WuM 2009, 286, Tz. 10, und vom 13. Januar 2010, aaO, unter II 1 a; BGH, Urteil vom 8. Oktober 2008 - XII ZR 15/07, NZM 2009, 126, Tz. 19; jeweils m.w.N.). Die gegenständliche Beschränkung des Begriffs der Schönheitsreparaturen auf die in dieser Bestimmung aufgeführten Arbeiten bildet zugleich den Maßstab der Klauselkontrolle und markiert auf diese Weise die Grenze dafür, welche Arbeiten dem Mieter in einer Klausel über dessen Verpflichtung zur Vornahme von Schönheitsreparaturen auferlegt werden dürfen. Dementsprechend ist eine formularvertragliche Erweiterung dieser Arbeiten über den in § 28 Abs. 4 Satz 3 II. BV beschriebenen Inhalt hinaus - zumindest bei Fehlen einer angemessenen Kompensationsregelung - wegen unangemessener Benachteiligung des Mieters gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam (vgl. Senatsurteile vom 18. Februar 2009, aaO, Tz. 11, und vom 13. Januar 2010, aaO; jeweils m.w.N.). b) Das - jedenfalls bei der gebotenen kundenfeindlichsten Auslegung (§ 305c Abs. 2 BGB) in der Klausel enthaltene - Streichen der Wohnungseingangstüren und Fenster von außen ist in § 28 Abs. 4 Satz 3 II. BV ausgeklammert worden. Denn auch diese Arbeiten überschreiten den Bereich der Schönheitsreparaturen, weil es bei ihnen nicht mehr um die Beseitigung einer typischerweise vom Mieter verursachten Abnutzung des dekorativen Erscheinungsbildes innerhalb der gemieteten Wohnung geht (Senatsurteile vom 18. Februar 2009, aaO, Tz. 10 f.; und vom 13. Januar 2010, aaO, unter II 1 b; jeweils m.w.N.). 2. Das Berufungsgericht hat jedoch zu Unrecht angenommen, dass die Unwirksamkeit der Verpflichtung des Mieters zur Vornahme des Außenanstrichs der Fenster und der Wohnungseingangstüren nur zur Folge habe, dass  die Überwälzung der Schönheitsreparaturen bei Türen und Fenstern insgesamt entfalle, im Übrigen aber wirksam sei. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils für eine gleichlautende Formularklausel klargestellt hat, darf die in § 4 Nr. 6 in Verbindung mit § 13 Nr. 1 des Mietvertrages unzulässig ausgestaltete Verpflichtung des Mieters zur Vornahme von Schönheitsreparaturen nicht im Wege der Klauselkontrolle in eine zulässige Verpflichtung inhaltlich umgestaltet werden (Senatsurteile vom 18. Februar 2009, aaO, Tz. 12, und vom 13. Januar 2010, aaO, unter II 2). Zwar kann im Rahmen einer Klauselkontrolle eine Formularklausel, die mehrere sachliche, nur formal verbundene Regelungen enthält und sich aus ihrem Wortlaut heraus verständlich und sinnvoll in einen inhaltlich und gegenständlich zulässigen und in einen unzulässigen Regelungsteil trennen lässt, mit ihrem zulässigen Teil aufrechterhalten werden (BGHZ 145, 203, 212; BAG, NZA 2008, 699, 701). Diese Teilbarkeit ist hier aber nicht gegeben, so dass die vom Berufungsgericht vorgenommene Streichung derjenigen Textbestandteile in § 13 Nr. 1 des Mietvertrages, mit denen die Klausel den in § 28 Abs. 4 Satz 3 II. BV geregelten Gegenstandsbereich von Schönheitsreparaturen überschreitet, der Sache nach eine unzulässige geltungserhaltende Reduktion der Formularklausel darstellt (vgl. Senatsurteil vom 13. Januar 2010, aaO). Konkretisierungen der Schönheitsreparaturverpflichtung hinsichtlich ihres gegenständlichen und zeitlichen Umfangs sowie ihrer Ausführungsart sind inhaltlich derart eng mit der Verpflichtung selbst verknüpft, dass diese bei einer Beschränkung der Unwirksamkeit auf die unzulässige Ausführungsmodalität inhaltlich umgestaltet und mit einem anderen Inhalt aufrechterhalten würde. Bei einer dem Mieter auferlegten Pflicht zur Vornahme von Schönheitsreparaturen handelt es sich um eine einheitliche Rechtspflicht, die sich nicht in Einzelmaßnahmen oder Einzelaspekte aufspalten lässt; deren Ausgestaltung durch den Mietvertrag ist vielmehr insgesamt zu bewerten. Stellt sich diese Verpflichtung aufgrund unzulässiger Ausgestaltung - sei es hinsichtlich der zeitlichen Modalitäten, der Ausführungsart oder des gegenständlichen Umfangs - in ihrer Gesamtheit als übermäßig dar, hat dies die Unwirksamkeit der Vornahmeklausel insgesamt zur Folge (Senatsurteil vom 13. Januar 2010, aaO). Eine Aufrechterhaltung der Klausel in der Weise, dass nur die Renovierungspflicht bezüglich der Türen und Fenster entfällt, würde gegen das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion Allgemeiner Geschäftsbedingungen verstoßen (vgl. hierzu auch Senatsurteil vom 20. Januar 2010 - VIII ZR 50/09, zur Veröffentlichung bestimmt, unter II 2). III. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben, soweit der Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 2.294,75 € nebst Zinsen verurteilt worden ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da weitere tatrichterliche Feststellungen nicht zu treffen sind und der Rechtsstreit hiernach zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Da die Klägerin von dem Beklagten über den bereits gezahlten Betrag von 718,29 € sowie den von der Revision nicht angegriffenen Betrag von 262,27 € hinaus keine Zahlung verlangen kann, ist unter Zurückweisung der Berufung des Beklagten im Übrigen die darüber hinausgehende Klage abzuweisen. Ball                                        Dr. Achilles                                            Dr. Schneider Dr. Fetzer                                            Dr. Bünger
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deutsch
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