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1949-09-12 00:00:00
2021-05-07 00:00:00
188
7
1
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Köhler
11,001,150
Wir sind am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich schließe die 7. Sitzung des Deutschen Bundestags und berufe die 8. Sitzung ein auf Dienstag, den 27. September, 15 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01007.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-22
189
8
1
null
köhler
11,001,150
Ich eröffne die 8. Sitzung des Deutschen Bundestags. Der einzige Punkt der Tagesordnung ist die Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung. Ich habe zunächst einige Mitteilungen zu machen. Ich bitte den Herrn Schriftführer, die Namen der abwesenden Mitglieder des Hauses verlesen zu wollen.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-27
190
8
1
null
miessner
11,001,506
Beurlaubt sind wegen Krankheit die Abgeordneten Professor Dr. Baur, Marx, Zühlke, Kuhlemann. ({0})
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Presidium of Parliament
schriftführer
1949-09-27
191
8
1
null
köhler
11,001,150
Der Herr Abgeordnete Zühlke ist da.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-27
192
8
1
null
miessner
11,001,506
Auf Grund von Entschuldigungen fehlen die Abgeordneten Dr. Brill, Jahn, Pohle, Kern. ({0})
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Presidium of Parliament
schriftführer
1949-09-27
193
8
1
null
köhler
11,001,150
Der Herr Abgeordnete Jahn ist anwesend.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-27
194
8
1
null
miessner
11,001,506
Dirscherl, Fröhlich, Dr. Horlacher, Meyer, Farke, Klinge, Wallner, Klabunde, Dr. Oellers, Blachstein, Dr. Reif, Brandt, Dr. Suhr, Neumann, Reimann, Fisch, Kurt Müller, Rische, Nuding. Außerdem sind noch als erkrankt gemeldet die Abgeordneten Vesper und Agatz.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Presidium of Parliament
schriftführer
1949-09-27
195
8
1
null
köhler
11,001,150
Ich habe mir erlaubt, den Fraktionen im Laufe des Vormittags die Rednerfolge mitzuteilen. Da mir keine Widersprüche dagegen bekannt geworden sind, nehme ich an, daß sie so gebilligt wird. Mir liegt eine Meldung zur Geschäftsordnung vor, und zwar von Herrn Abgeordneten Dr. Reismann. Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Reismann das Wort zur Geschäftsordnung.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-27
196
8
1
null
reismann
11,001,815
Die Zentrumsfraktion des Deutschen Bundestags beantragt: Der Bundestag wolle vor und außerhalb der Tagesordnung des heutigen Tages beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, den Ältestenrat über den Stand der Abwertungsfrage zu unterrichten und sich mit ihm darüber zu beraten, Nicht nur die Mitglieder des Hohen Hauses, sondern - wir haben es gerade jetzt, als wir über Sonntag in unserer Heimat waren, erfahren - weite Kreise der Bevölkerung im Lande empfinden es als höchst ungewöhnlich, daß über eine so wichtige und einschneidende, für das ganze Volk bedeutungsvolle Maßnahme - -
26
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-27
197
8
1
null
köhler
11,001,150
Herr Abgeordneter, darf ich Sie einen Moment unterbrechen. Nach § 83 der Geschäftsordnung dürfen sich die Bemerkungen zur Geschäftsordnung nur auf den zur Verhandlung stehenden oder unmittelbar vorher behandelten Gegenstand oder den Geschäftsplan des Hauses beziehen. Insofern gehen Ihre Ausführungen über den Rahmen einer Bemerkung zur Geschäftsordnung hinaus. Wenn Sie einen Antrag haben, dann bitte ich; ihn mir einzureichen.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-27
198
8
1
null
reismann
11,001,815
Den Antrag habe ich hier. ({0}) - Ich begründe den Antrag, und ich bitte, ihn jetzt zu behandeln. ({1}) - Das gehört nach meiner Meinung zur Geschäftsordnung. ({2}) President Dr. Köhler: Dann hätten Sie vorher bei mir einen Antrag einreichen müssen, den ich entweder von mir aus oder nach vorheriger Verständigung mit dem Ältestenrat auf die Tagesordnung gesetzt hätte,
26
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-27
199
8
1
null
reismann
11,001,815
Ich werde Ihnen, Herr Präsident, also den Antrag überlassen. Ich bitte zu beschließen, daß diese wichtige Angelegenheit, sobald es geschäftsordnungsmäßig möglich ist, zur Erörterung kommt.
26
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-27
200
8
1
null
köhler
11,001,150
Ich nehme den Antrag zur Kenntnis. Meine Damen und Herren, wir treten in die Aussprache ein. Zunächst hat Herr Abgeordneter Etzel das Wort.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-27
201
8
1
null
etzel
11,000,497
Meine Damen und Herren! Im Rahmen der Debatte zur Regierungserklärung ist an dieser Stelle wiederholt zum Ausdruck gebracht worden, daß man sie hätte abkürzen und dafür der Regierung Zeit für ihre Arbeit geben sollen. So richtig solche Meinungsäußerungen an sich sind, so darf doch nicht übersehen werden, daß in einem jungen Parlament der Wert solcher Debatten darin liegt, daß es sich profiliert und erste Standpunkte abgetastet werden, welche für die weitere Arbeit wertvoll sind. In diesem Sinne bejahe ich ganz besonders die Ausführungen des Abgeordneten Ollenhauer vom vergangenen Freitag. Ich stimme ihm zu, daß wir hier nicht den Versuch machen sollten, uns gegenseitig zu überzeugen. Das wäre im gegenwärtigen Augenblick verfehlt. Wir sollten aber versuchen, den andern zu hören und zu prüfen, ob sich auf der andern Seite nicht vielleicht doch Wertvolles und vielleicht auch Gemeinsames findet. Die Ollenhauerschen Ausführungen erscheinen so als ein wertvolles Symptom dafür, daß die Opposition vielleicht doch konstruktiv geführt werden kann. Gestatten Ake mir zunächst einmal einige allgemeine Bemerkungen. Herr Dr. Schumacher hat ausgesprochen, wir seien in einer Situation, in der große soziale Versager Heizstoffe für einen neuen Nationalismus und für einen Neofaschismus abgeben könnten. Ich stimme ihm darin zu. In dieser Erklärung liegt aber eine sehr große Verantwortung eingeschlossen, die Herr Dr. Schumacher zu übersehen scheint. Sie bedeutet, daß jeder in diesem Hause, dem es ernst ist mit seiner Verantwortung für unseren jungen demokratischen Staat, verpflichtet ist, echtes soziales Wollen überall anzuerkennen, wo es sich findet. Jeder Versuch, echte soziale Tatbestände zu leugnen und in ihr Gegenteil umzudeuten, nur weil sie vom politischen Gegner kommen, ist eine Sünde an diesem Staat. ({0}) Denn es liegt im Wesen des Politischen, daß solche Versuche immer Gläubige finden, die sich dann nicht in erster Linie gegen die jeweiligen politischen Machthaber, sondern in der Mehrzahl der Fälle gegen den Staat und damit gegen das richten, was allen guten Demokraten ein gemeinsames Anliegen sein soll. Ich wehre mich aus solcher Überlegung sehr energisch gegen die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Dr. Schumacher, in denen er so tut, als ob die Interessen der arbeitenden Bevölkerung nur bei der Opposition gewahrt würden, ({1}) und wenn er behauptet, die Zusammensetzung der Regierung berge die Gefahr in sich, daß der neue Staat ein autoritärer Besitzverteidigungsstaat werde. Mit solchen Ausführungen tut man diesem neuen Staat keinen guten Dienst. ({2}) Ich darf aber in aller Bescheidenheit darauf hinweisen, daß auch die Wähler der Abgeordneten der Regierungsparteien zur arbeitenden Bevölkerung gehören. Selbst wenn der Herr Abgeordnete Dr. Schumacher unter „arbeitender Bevölkerung" hier die handarbeitende Bevölkerung gemeint haben sollte, so muß ich mit aller Festigkeit aussprechen, daß auch wir große Schichten dieser Bevölkerung vertreten und daß die Opposition kein Monopol auf soziale Gesinnung und auf alleinige Wahrung sozialer Interessen hat. ({3}) Wir haben Selbstbewußtsein genug, zu behaupten und zu beweisen, daß unsere Vorstellung von Sozial- und Wirtschaftspolitik zwar sehr wenig für anonyme Kollektive und ihre Funktionäre übrig hat, dafür aber um so bessere Lösungen für den Arbeiter als Menschen und die Besserung der Stellung der sozial Schwachen bietet. Wir sind von dem Glauben erfüllt, daß die Lösung der sozialen Frage die politische Aufgabe dieser Jahre ist, und wir werden danach handeln. Wir glauben aber nicht, daß man das Los der Arbeiter und der sozial Schwachen durch Gründung kollektiver Machtpositionen, Machthäufung beim Staate und Anwendung überlebter Theorien bessern kann. Herr Dr. Schumacher hat weiter ausgesprochen, der Herr Bundeskanzler habe die soziale Leistung von einer Wirtschaftsblüte abhängig gemacht, die nicht schnell realisiert werden könne. Wir räumen der Wirtschaft kein Primat vor der sozialen Gerechtigkeit ein. Ich muß aber unsere wiederholt ausgesprochene Meinung dahin nachdrücklich unterstreichen, daß eine gute Wirtschaftspolitik die beste Sozialpolitik ist; denn niemand kann auch in Deutschland mehr verteilen, als laufend erzeugt wird. Der wesentliche Grund der englischen Krise liegt schließlich in der Tatsache, daß der britische Wohlfahrtsstaat mehr verteilt hat, als erzeugt wurde. ({4}) Der Übergang zur Marktwirtschaft war deswegen auch eine soziale Tat, weil er die Produktion nachhaltig gesteigert hat. Selbst unter Abrechnung der seit der Währungsreform vorgenommenen Selbstfinanzierung kann schließlich von niemand geleugnet werden, daß seit dieser Zeit an Konsumgütern erheblich mehr für die Lebenshaltung des Volkes zur Verfügung gestellt worden ist als vorher. Mit dieser zweiten allgemeinen Bemerkung bin ich aber schon mitten in der entscheidenden Auseinandersetzung. Die Opposition will nicht wahrhaben, daß der 14. August der Regierung und den Regierungsparteien ein klares Mandat für die Fortsetzung der Frankfurter Wirtschaftspolitik gegeben hat. ({5}) Die Ehrlichkeit sollte gebieten, meine Damen und Herren, anzuerkennen, daß das so ist. Herr Dr. Schumacher hat als die Aufgabe, vor der wir stehen, die Erhöhung des Produktionsvolumens um grob geschätzt ein Drittel bezeichnet. Ich will mich hier auf keine Zahl festlegen, aber im Prinzip ist die Aufgabenstellung völlig richtig gesehen. Es bleibt nun ein Geheimnis der Opposition, warum sie die Frankfurter Wirtschaftspolitik verurteilt, obwohl dieselbe den Weg der Produktionserhöhung seit dem ersten Tage Monat für Monat gegangen ist, obwohl sie die Produktion mehr als verdoppelt hat und immer steigend im August 1949 ({6}) bei 91 Prozent der Produktion von 1936 angelangt ist. ({7}) Inwiefern Herr Dr. Schumacher bei solchem Tatbestand in seiner großen Rede vom schrumpfenden Sozialprodukt redet, bleibt sein Geheimnis. ({8}) Es kann weiter nicht geleugnet werden, daß der Reallohn, der weiß Gott für bestimmte Schichten immer noch niedrig genug ist, seit der Währungsreform ganz unverkennbar bedeutend gestiegen ist. ({9}) Die Entgleisungen infolge einer fehlerhaften Währungsreform sind seit der Jahreswende weitgehend aufgefangen. Das Ausmaß der Lebenshaltungskostensenkung seit der Jahreswende bis August 1949 beträgt 6 Prozent, wozu noch die seit diesem Zeitpunkt erfolgte Erhöhung des Nominallohns kommt. Auch hier muß ich beanstanden, daß Herr Dr. Schumacher vom sinkenden Reallohn spricht. Hier haben wir wieder eine unrichtige Behauptung, die ich aus dem Munde des Parteivorsitzenden der zweitgrößten Partei nicht gern höre. Die Opposition scheint, wenn ich die Herren richtig verstanden habe, das Problem dadurch lösen zu wollen, daß durch eine Preisverbilligung die Massenkaufkraft gehoben wird. Das ist eine sehr schöne Forderung, der man sehr begeistert zustimmen wird. Man muß aber auch sagen, wie man das machen will. Das Mittel des Herrn Abgeordneten Dr. Schumacher lautet: Konzentration der wirtschaftlichen Kräfte und der Rationalisierungspotenzen auf Massengüter, Planung in der Reihenfolge der Wichtigkeit der Güter, völlige Abkehr von der Produktion von Luxusgütern, Kontrolle und Lenkung der Rohstoffe und Kontrolle der Kreditverwendung. Der Abgeordnete Ollenhauer hat diese Gedankengänge unterstrichen. Ich finde in solcher Vorstellung vom richtigen Wege zur Preisverbilligung als Mittel der Produktionserhöhung nichts als das Herausholen alter Ladenhüter aus der glücklich gerade hinter uns gebrachten Zeit. Das ist doch ein so tiefer Eingriff in die gerade zurückgewonnene wirtschaftliche Bewegungsfreiheit, daß wir auf diesem Wege im Handumdrehen wieder bei der Planwirtschaft aus der Zeit vor der Währungsreform angelangt sein würden, wenn auch der Abgeordnete 011enhauer erklärt hat, daß er das gerade nicht will. Meine Damen und Herren, gehört angesichts der eigenen Erfahrungen auf diesem Gebiet und angesichts des Debakels, das zur Zeit in England offenbar wird, nicht geradezu der Mut der Verzweiflung dazu, uns hier erneut solche Empfehlungen zu machen? Die Pfundabwertung bedeutet doch gar nichts anderes, als daß die Kosten des englischen Wohlfahrtsstaates zu einem 'Teil auf das Ausland abgewälzt werden. ({10}) Wenn das Realeinkommen und damit der deutsche Lebensstandard durch die Abwertung beeinträchtigt werden sollten, dann möge sich die deutsche Bevölkerung der Tatsache bewußt sein, daß sie damit zur Tragung der Kosten des von der Opposition uns so angepriesenen Wirtschafts- und Sozialexperiments beiträgt. Wir in Deutschland hatten keine Abwertung nötig. Wir haben gearbeitet und nicht mehr verbraucht, als da war. Was heißt es denn überhaupt, wenn von der Opposition eine Konzentration der wirtschaftlichen Kräfte auf Massengüter und eine Planung in der Reihenfolge der Wichtigkeit der Güter verlangt wird? Heute wird in Deuschland jede Nachfrage auch nach Massengütern abgedeckt. Wo heute die Marktwirtschaft herrscht, dort allein gibt es Preisrückgänge und keinen schwarzen Markt. Wo aber an der Bewirtschaftung festgehalten worden ist, liegen auch die Preise fest und gibt es auch noch einen schwarzen Markt. Man zeige uns doch nur ein einziges Land in der Welt, wo die Planwirtschaft sich bewährt hätte! Nein, meine Damen und Herren, die soziale Marktwirtschaft hat die Zukunft für sich, nicht aber das Museumsstück der gelenkten Planwirtschaft. Es wird allerdings von unseren Gegnern immer wieder mit Fleiß versucht, das Wesen der sozialen Marktwirtschaft umzudeuten. Mein Fraktionsfreund Blank hat am Freitag sehr deutlich dargetan, was wir unter solcher Marktwirtschaft verstehen. Ich kann mich hier ganz wesentlich auf ihn beziehen und möchte nur ergänzend und unterstreichend folgendes zu. dem Thema sagen. In der von uns vertretenen sozialen Marktwirtschaft haben wir eine Wettbewerbsordnung hergestellt, in der ein echter Leistungswettbewerb bei gleichen Chancen und fairen Wettkampfbedingungen in freier Konkurrenz die bessere Leistung hervorbringt und in der besseren Leistung belohnt wird. Wir legen den Ton auf bessere Leistung und sind der Meinung, daß gerade unser Volk ein sehr feines Organ dafür hat, darauf angesprochen zu werden, daß wir in erster Linie durch Arbeit und Leistung aus unserer Not herauskommen müssen. In einer solchen Wirtschaft bedarf es allerdings wie in jeder Wirtschaft eines Ordnungsprinzips, welches das Zusammenwirken aller Beteiligten regelt. Dieses Steuerungsmittel ist der marktgerechte Preis, der dadurch entsteht, daß Kaufkraft O und angebotene Gütermenge auf dem Markt zum Ausgleich gebracht werden. Nicht eine lenkende Behörde, nicht Bezugscheine, nicht Beschlagnahme, auch nicht Kontrolle und Straforgane sollen Produktion und Verteilung lenken, sondern das soll nach unserer Meinung der Verbraucher selber tun. Er soll in einer echten demokratischen Abstimmung, dargestellt durch die vielen Hunderttausende täglicher Kaufabschlüsse, bestimmen, was er verbrauchen will, und damit indirekt auch, was produziert werden soll. Die von der Opposition angesprochenen breiten Massen bestimmen damit selber, was sie für Bedürfnisse haben und wo die Grenze für die Produktion von Luxusgütern liegt. Meine Damen und Herren, denken Sie bitte auch einmal daran, daß keine Lenkung der von Ihnen gewünschten Art den Staatsanwalt und die Polizei entbehren kann. Je mehr der Staat lenkt und plant, um so mehr muß er seine Polizeigewalt aufbauen. Wichtige Vorbedingung dafür, einen marktgerechten Preis herbeizuführen, ist ein geordnetes Geldwesen. Alle Versuche, die Funktionsfähigkeit des Preises abzubauen oder gar unser Geldwesen in Unordnung zu bringen, werden daher immer unserer schärfsten Ablehnung begegnen. Der echte Leistungswettbewerb funktioniert durch Belohnung der guten und der besseren Leistung gemäß der Entscheidung der Verbraucher, nicht aber durch planwirtschaftlichen Befehl von oben oder gar durch Verleihung einer goldenen Fahne oder durch das Hennecke-System. Im Rahmen des echten Leistungswettbewerbs steigt die Produktion. Mit steigender Produktion kann bei richtiger Geldpolitik Preissenkung und damit Erhöhung des Reallohns erreicht werden. ({11}) Der Leistungswettbewerb ist aber nicht das einzige Mittel der sozialen Marktwirtschaft. Die soziale Marktwirtschaft will keinen Rückfall in die freie Wirtschaft alter Art. Um das zu erreichen, ist zur Sicherung des Leistungswettbewerbs die unabhängige Monopolkontrolle nötig. Denn so wenig wie der Staat oder halböffentliche Stellen die gewerbliche Wirtschaft oder einzelne Märkte lenken sollen, dürfen Privatpersonen oder private Verbände derartige Lenkungsaufgaben übernehmen. Der Herr Abgeordnete Dr. Schumacher und die Abgeordnete Frau Wessel haben hier an dieser Stelle ihr Mißtrauen geäußert, ob es zu einem Antimonopolgesetz kommt. Ich glaube mich hier mit dem Herrn Wirtschaftsminister einig, wenn ich erkläre, daß dem Hohen Hause ein solches Gesetz sehr bald vorgelegt werden wird. Die soziale Marktwirtschaft bejaht weiter aber auch die planvolle Beeinflussung der Wirtschaft mit den organischen Mitteln einer umfassenden Wirtschaftspolitik auf Grund einer elastischen Marktbeobachtung. Diese Wirtschaftspolitik führt in sinnvoller Kombination von Geld-, Kredit-, Handels-, Zoll-, Steuer-, Investitions- und Sozialpolitik sowie anderen Maßnahmen dazu, daß die Wirtschaft in Erfüllung ihrer letzten Zielsetzung der Wohlfahrt und der Bedarfsdeckung des ganzen Volkes dient. Sie sehen, meine Damen und Herren, der entscheidende Unterschied unserer Auffassung gegenüber unserer Wirtschaftsordnung alter liberaler Prägung ist absolut vorhanden. Wir lassen den einzelnen, Produzent und Verbraucher, frei; aber wir pflegen den Garten unserer Volkswirtschaft, in dem beide wurzeln. Gestatten Sie mir, an dieser Stelle etwas zur Eigentumsordnung, zur Gewinnbeteiligung und zur ) Mitbestimmung in den Grundstoffindustrien zu sagen. Ich glaube feststellen zu dürfen, daß sich unser wirtschaftspolitisches Denken in einem sehr entscheidenden Punkte sehr wesentlich geändert hat. Das Sozialprodukt kommt nicht nur durch die Leistung des Kapitalisten zustande - diese Auffassung beherrscht noch das geltende Aktienrecht -; das Sozialprodukt entsteht aus dem Zusammenwirken von Kapital, Arbeit und Unternehmerleistung. Auf keine dieser drei Kräfte kann verzichtet werden; sie sind alle gleichermaßen notwendig und stehen auch in keinem Gegensatz zueinander. Wenn dem aber so ist, meine Damen und Herren, dann haben alle drei Kräfte einmal Anspruch auf Anteil am Gewinn und zum andern das Recht auf Mitbestimmung, Mitberatung und Mitwirkung bis zu der selbstverständlichen Grenze, daß die echte Unternehmerverantwortung gewahrt und gesichert wird. Es kommt hier allerdings auf ein echtes Mitbestimmungsrecht betriebszugehöriger Arbeiter, nicht aber auf das Mitbestimmungsrecht betriebsfremder Funktionäre an. ({12}) Die Stellung des Eigentümers in der Großwirtschaft bekommt bei solchem Denken einen ganz andern Inhalt. Der Hauptangriff gegen das Großkapital ging gegen seine Machtstellung; Monopolkontrolle und Aufteilung der gesellschaftlichen Rechte haben dem Kapital bereits seine wesentliche Machtstellung genommen. Wir dürfen und können sie aber nicht dadurch neu entstehen lassen, daß wir einen neuen Monopolkapitalismus beim Staate schaffen. Für eine solche Form der Neuordnung bietet auch der englische Vorgang ein sehr schlechtes Beispiel. Es darf auch nicht durch Sondervermögen gebildet und durch Treuhänder verwaltet werden. Wenn der Herr Bundeskanzler daher erklärt hat, daß eine Neuordnung der Besitzverhältnisse in den Grundindustrien notwendig sei, so hat die CDU mit der Aufstellung ihres Machtverteilungsprinzips bereits vor zwei Jahren im Ahlener Programm den Weg gewiesen. Der Herr Abgeordnete Ollenhauer hat nun hier zum Ausdruck gebracht, daß in allen Lagern in der Frage der Sozialisierung verschiedene Auffassungen bestehen. Ich halte diese Erklärung, deren Inhalt mir nicht fremd ist, für wesentlich. Sie bietet die Möglichkeit zu Gesprächen. ({13}) Was die besonders von den Gewerkschaften geforderte Mitbestimmung in der Wirtschaft anlangt, so hat der Herr Bundeskanzler gefordert, daß die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zeitgemäß neu geordnet werden. In der Bestätigung der Koalitionsfreiheit liegt auch die Anerkennung der Gewerkschaften eingeschlossen. Ich erkenne gern an, daß die Gewerkschaften bei den Preissteigerungen des vergangenen Winters mit Ausnahme eines Sonderschrittes ein großes Maß von Einsicht und guter Disziplin gehalten haben. ({14}) Soweit ihnen in Zukunft Mitverantwortung in der Wirtschaft übertragen wird, muß sie übernommen werden im Rahmen der Mitverantwortung anderer gleichgeordneter Wirtschaftsverbände wie Arbeitgeberverbände, Organisationen des gewerblichen Mittelstandes, freie Berufe usw. Es muß aber ganz klar ausgesprochen werden, daß alle politischen Entscheidungen eindeutig beim Parlament bleiben müssen. Hier hat der Arbeitnehmer die gleichen Rechte wie jeder andere Staatsbürger, die er durch den Stimmzettel ausübt. Soziale Marktwirtschaft mit echtem Leistungswettbewerb, mit Monopolkontrolle, mit planvoller Beeinflussung der Wirtschaft und den organischen Mitteln einer umfassenden Wirtschaftspolitik, Beteiligung am Gewinn, Mitbestimmung im Betrieb und die Mitbestimmung der Gewerkschaften und Verbände in der Selbstverwaltung das sind unsere Mittel einer Wirtschafts- und Sozialpolitik, von der niemand, der es ernst mit seiner Verantwortung in Regierung und Opposition meint, behaupten kann, daß sie nicht in einem hohen Maße die sozialen Interessen der arbeitenden Schichten mit einer geradezu revolutionären Gestaltungskraft vertrete. Lassen Sie mich hier etwas zum Problem der Vollbeschäftigung im Rahmen der kurzen mir zur Verfügung stehenden Zeit sagen. Auch wir bejahen die Notwendigkeit, die Wirtschaft in einem Zustand der Vollbeschäftigung zu erhalten. Für uns ist aber die Vollbeschäftigung nicht ein ökonomisches Prinzip, sondern sie ist ein volkswirtschaftliches Ziel. Auf unsere Lage übertragen bedeutet das, daß nicht die Erhaltung des seit der Währungsreform ungefähr gleichbleibenden Beschäftigungsstandes, sondern seine nachhaltige Ausweitung die Aufgabe ist. Eine Ausweitung der Produktion aber ist nicht mit den Mitteln bloßer Planung und Kontrolle der Investierungen, sondern nur mit der Aufbringung zusätzlicher Mittel für die Investierungen zu schaffen. Die Vollbeschäftigung in dieser dynamischen Auffassung führt also zum Kapitalproblem. Die Neubeschaffung von Arbeitsplätzen für die Millionen von Vertriebenen ist nicht zuletzt eine Kapital({15}) irage. Der sozialdemokratische Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, Herr Preller, hat die Kosten für die Schaffung eines einzigen Arbeitsplatzes zur Aufnahme eines Vertriebenen auf 5000 DM beziffert. Der Zustand der Vollbeschäftigung ist zur Zeit nicht erreicht. Damit komme ich zur Arbeitslosigkeit. Das Steigen der Arbeitslosenziffer ist nicht gleichbedeutend mit der Schrumpfung des Beschäftigungsstandes. Die Zahl der Beschäftigten seit der Währungsreform ist im großen und ganzen gleich geblieben. Die Gesamtzahl der Arbeitnehmer ist dagegen um rund 750 000 gestiegen. Ein großer Teil der Arbeitslosigkeit ist in der Flüchtlingsfrage begründet, als solche bedingt durch Wohnungsmangel und fehlende Freizügigkeit. Auf der anderen Seite muß festgestellt werden, daß in dem Wirtschaftsbereich, der freigegeben wurde, 600 000 Arbeitnehmer zusätzlich in Arbeit kamen, während in dem Bereich, der noch der Bewirtschaftung unterliegt, eine gleiche Menge freigestellt worden ist. Herr Dr. Schumacher hat nun weiter die orthodoxe Geldpolitik der Bank deutscher Länder kritisiert. Ich gebe zu, daß in einer zu orthodoxen Handhabung der Geldpolitik Gefahren liegen können. Eine aktive Konjunkturpolitik kann aber niemals ein Allheilmittel sein. Die Grenze liegt hier in der Gleichschaltung von Nominaleinkommen und Güterproduktion. Ich verweise an dieser Stelle auf das neueste Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates der Verwaltung für Wirtschaft, dessen Ausführungen ich voll unterstreiche. Wer das Rezept der Kreditausweitung empfiehlt, darf aber auch nicht verschweigen, daß es nur bei einem rigorosen Lohntop funktionieren kann; sonst bilden sich die nflationistische Kaufkraftaufblähung und der aufgestaute Kaufkraftüberhang, und es wird auch der Opposition bestimmt nichts daran gelegen sein, uns das Gespenst des Herrn Dr. Schacht hier neu zu empfehlen. Also das Problem bleibt, welche Kapitalmittel der deutschen Volkswirtschaft zur Verfügung gestellt werden können. Entscheidend für die Höhe der uns zur Verfügung stehenden Investitionsmittel ist die Kapitalbildung durch echtes Sparen. Auch Herr Dr. Schumacher hat darauf hingewiesen, daß an ausländischen Krediten kaum etwas zu erwarten ist, wenn nicht mindestens die gleichen Beträge aus eigener Kraft aufgebracht werden. Darin unterscheiden wir uns dann allerdings, daß wir diese Kapitalbildung weitgehend in die Hand des Verbrauchers und Sparers, nicht aber über den Steuertarif und andere Zwangsmaßnahmen in die Hand des Staates legen wollen. Dieser Weg ist uns zu teuer und zu schwerfällig und er betrügt den Steuerzahler um Vorteile, die er als Sparer für die Aufbringung der gleichen Beträge erhält. Auch in diesem Zusammenhang lautet daher unsere Forderung nicht nur auf Umbau unseres Steuersystems, sondern auf nachhaltige Senkung unserer Steuersätze. Unsere heutigen Steuersätze bestrafen die Leistung und hemmen damit die Erhöhung unserer volkswirtschaftlichen Produktion. Wer eine solche Erhöhung will, muß die Fesseln des überhöhten Steuertarifs lockern. Wer über Steuerunehrlichkeit klagt, sollte sich vor Augen halten, daß der Staat diejenigen als Steuerzahler hat, die er nach der Gerechtigkeit seines Steuersystems verdient. Wir bejahen auch den sozialen Wohnungsbau. Ich kann auch hier in vollem Umfang auf unsere Düsseldorfer Leitsätze verweisen, um meine Darlegungen zu kürzen und nicht zu weite Ausführungen machen zu müssen. Wir stimmen aber dem Herrn Bundeskanzler sehr überzeugt zu, wenn er ausgesprochen hat, daß sich das private Kapital wieder des Wohnungsbaus bemächtigen muß. 95 Prozent der vorhandenen Wohnungen sind einst von privatem Kapital erstellt worden. Das sollte man nicht vergessen. Es gehört auch zu dem kleinen volkswirtschaftlichen Einmaleins, daß die wichtigste Voraussetzung für die Errichtung von Wohnungen darin besteht, daß wir für Neubauten auf eine Miete kommen, welche die Kosten deckt. Darauf kann kein Bauherr verzichten, sei er eine öffentliche Körperschaft, sei er ein gemeinnütziges Wohnungsunternehmen, sei er ein Privatmann. Wollte man statt dessen den Wohnungsbau subventionieren, wie es offenbar viele wollen, dann müßten die Mittel hierfür aus den gleichen Quellen aufgebracht werden wie die Mieten, nämlich aus den breiten Schichten unseres Volkes. Ich halte Subventionen lediglich bei der Seßhaftmachung der Vertriebenen für möglich und auch für nötig. Wesentlich erscheint mir hier auch die Erhöhung der Ballkapazitäten Auf diesem Gebiet kann man übrigens überraschende Feststellungen machen. Das Münchner Institut für Wirtschaftsforschung hat jüngst 100 000 Wohnbaustellen bei der Bauarbeit statistisch ermittelt. Das sind 200 000 Wohnungen, davon die Hälfte Neubauten. Hier haben wir die überraschende Bestätigung der Überlegenheit der privaten Initiative; denn alle Planungen für dieses Jahr bei den Gewerkschaften, den gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmungen und auch bei allen politischen Parteien haben nur eine Kapazität von 150 000 Wohnungen als erreichbar bezeichnet. Wir fordern vor allen Dingen auch die Beseitigung der bürokratischen Erschwerungen des Wohnungsbau und der Verteurung durch Sondersteuern, Gebühren und Abgaben. Im Altbau ist weitgehend eine Lockerung der Zwangswirtschaft anzustreben. Die heutige Zwangswirtschaft einschließlich der Art der Mietpreisbildung ist zu einer völlig unsozialen Verzerrung der Wohnungsverteilung geworden. Wir werden auch hier sehr bald mit konkreten Vorschlägen hervortreten. Meine Damen und Herren, das ist es, was ich im Rahmen der knappen mir zur Verfügung stehenden Zeit zu sagen habe. ({16}) - Entschuldigen Sie, das hat Herr Dr. Schumacher auch getan! Wir sind entschlossen, den Weg der sozialen Marktwirtschaft weiterzugeben. Wir sehen in Professor Erhard den echten Vertreter einer europäischen Wirtschaftspolitik, ({17}) weil nur ein echter Leistungswettbewerb die Angleichung der europäischen Wirtschaften ermöglicht, während eine nationale wohlfahrtsstaatliche Wirtschaft eine gesunde internationale Arbeitsteilung ausschließt. In diesem Sinn waren die Wahlen vom 14. August 1949 ein erfreuliches Bekenntnis. ({18})
4
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-27
202
8
1
null
köhler
11,001,150
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Frey.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-27
203
8
1
null
frey
11,000,583
Meine Damen und Herren! Gegen alle wirtschaftliche Vernunft ist das deutsche Volk durch die Abtrennung seiner fast rein landwirtschaftlichen Provinzen östlich der OderNeiße-Linie und durch die Vertreibung der dort ({0}) seit Jahrhunderten ansässigen Bevölkerung und ihre Zusammendrängung auf dem verbliebenen Gebiet in Bedingungen versetzt, die im bisherigen Verlauf der Geschichte - so kamt man wohl sagen -- ohne Beispiel sind. Durch diese Situation hat Deutschland etwa den gleichen Zuschußbedarf an Nahrungsmitteln wie Großbritannien. Wenn nun England als Kern eines breit gelagerten Weltreichs Schwierigkeiten in der Nahrungsmittelversorgung hat und gewaltige Anstrengungen zur Erhöhung der eigenen Produktion macht, wieviel bedrohlicher muß dann jedem klar denkenden Deutschen unsere eigene Lage erscheinen! Die Nahrungsmittelversorgung Westdeutschlands ist abhängig von dem Ausfall der Ernten in den Vereinigten Staaten und von der Bereitwilligkeit des amerikanischen Kongresses, Etatmittel für unsere Nahrungsmitteleinfuhr zur Verfügung zu stellen, und von den Entscheidungen der leitenden Männer des Marshallpians. Meine Damen und Herren, das ist auf die Dauer ein unerträglicher Zustand. Es geht nicht an, daß ein ganzes Volk durch etwaige plötzliche Veränderungen in seiner politischen und wirtschaftlichen Umwelt in lebensbedrohlichen Hunger gestürzt werden kann. Diese Gefahr abzuwenden, muß die dringendste Aufgabe der deutschen Staatsführung sein. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung bereits aufgezeigt - und das ist auch hier und dort bei allen übrigen Kollegen in ihren Reden angeschnitten worden -, daß uns in dieser bedrohlichen Lage letztlich nur die Ausschöpfung aller noch zur Verfügung stehenden Reserven in der Land- und Forstwirtschaft, das heißt also eine intensive landwirtschaftliche Produktionssteigerung retten kann. Daraus aber, meine Damen und Herren, ergeben sich eine ganze Reihe von Prinzipien für eine konstruktive Agrarpolitik und Erfordernisse und Voraussetzungen, die unbedingt vorher erfüllt sein müssen. Das erste Erfordernis ist ein gut funktionierendes Preissystem. Die Landwirtschaft will durchaus kein Sonderrecht für sich in Anspruch nehmen, aber sie erwartet doch mit aller Entschiedenheit, daß ihr dieselben Bedingungen und Voraussetzungen zuerkannt werden wie jedem anderen Wirtschaftszweig auch. Dazu gehört, daß die Preise der Produktionsmittel und besonders auch die Kosten der Arbeitskräfte für die Landwirtschaft im Preis der landwirtschaftlichen Produkte wieder hereinkommen. Für die Arbeitskräfte beansprucht die Landwirtschaft dieselben sozialen Bedingungen, vor allem auch für die Arbeiter dieselben Löhne wie in der einschlägigen Industrie. Preisgerechtigkeit und richtige Preisrelation müssen also gegeben sein. Nichts erträgt die Landwirtschaft schlechter als ein Auf und Ab der Preise. Was sie zu ihrer Erzeugung am dringendsten braucht, ist eine gewisse Stetigkeit im Preis und damit auch eine Stetigkeit in der Betriebsführung, da sich ihre Produktion ja immer über einen langen Zeitraum erstreckt und sie ihre Produktion nicht nach der jeweiligen marktbedingten Lage von Monat zu Monat ändern kann. Ohne die Erfüllung dieser Bedingungen gibt es keine Mehrerzeugung von Nahrungsmitteln. Darüber muß man sich vollends im klaren sein. Die Erfüllung dieser Vorbedingung aber steht in keinem Verhältnis zu den volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten und zu den technischen Möglichkeiten einer landwirtschaftlichen Produktionssteigerung. Ein staatliches Bewirtschaftungssystem, das selbst ohne Vertrauen zu seinen papierenen Verordnungen steht, kann das Problem keinesfalls lösen. Zur Lösung des Problems bedarf es vor allen Dingen einer sinnvollen Regelung der Importe, und es muß meines Erachtens eine der vordringlichsten Aufgaben der Mitglieder dieses Hohen Hauses sein, die bestehende Agrargesetzgebung baldigst im Sinne eines produktionsfördernden Anreizes zu revidieren und neu zu gestalten. Diese Produktionssteigerung gewinnt auch heute im Zeichen der Währungsabwertung und des verteuerten Kaufs im Ausland eine besondere Bedeutung. Hierhin gehört ebenso eine sinnvolle Gesetzgebung zur Regelung des inneren Marktes auf der Basis einer freiwilligen Ordnung, etwa im Sinne der Milchverwertungsgesetzgebung vom Jahre 1928 und vom Jahre 1932. Solange aber der Weltmarkt in Teilmärkte mit ganz verschiedenem Preisniveau zerrissen ist und noch einzelstaatlichen Planungen unterliegt, die durch politische Ziele und die devisenwirtschaftliche Zwangslage bestimmt sind, können normale Bedingungen für das innerdeutsche Angebot nur hergestellt werden, wenn jene Störungen von außen, die bald die Produzenten, bald die Konsumenten benachteiligen, durch eine Einfuhrregelung im Sinne einer sozialen Marktwirtschaft neutralisiert werden. Denn, meine Damen und Herren, für die Konsumenten ist das eigene Brot, auf eigener Scholle gewachsen, auf die Dauer immer das sicherste und dann sicher auch das billigste. ({1}) Die Handelspolitik in bezug auf die Landwirtschaft muß in neue Wege geleitet werden. Während wir gegenüber unserem Hauptlieferland, den USA, ein Dollardefizit haben, das nicht ausgeglichen werden kann, versuchen unsere Nachbarländer, ihre Käufe von uns mit ihren Verkäufen an uns aufeinander abzustimmen. Das bedeutet aber eine viel stärkere Verkoppelung von Industrieausfuhr und Agrareinfuhr in Europa, als sie jemals früher bestanden hat. Der kürzlich getätigte Handelsvertrag mit Holland ist in seiner Auswirkung das gerade Gegenteil zum Anreiz einer deutschen landwirtschaftlichen Erzeugungssteigerung. Er ist vielmehr der Weg zur Verelendung unseres gesamten hochintensivierten westdeutschen Obst- und Gemüsebaus. Die heutige handelspolitische Tendenz geht überhaupt dahin, die Einfuhren von Veredelungsprodukten der Viehwirtschaft und von Obst und Gemüse aus unseren Nachbarländern zu vermehren. Wir werden immer mehr mit den Produkten beliefert, die wir leicht und gut selbst produzieren könnten, und der bäuerlichen Wirtschaft - das ist sehr wichtig - wird immer mehr ihr Arbeitseinkommen entzogen. ({2}) Die gegenteilige Tendenz muß zum Zug kommen. nämlich erhöhte Einfuhr von Futtergetreide und Futtermitteln, damit wir selber veredeln können, um damit Devisen für die teueren Veredlungsprodukte zu sparen, vor allem aber, um unsere Grundnahrungsmittel für das Volk - nämlich Brotgetreide und Kartoffeln - aus dem landwirtschaftlichen Betrieb herauszuholen und sie vor dem Futtertrog zu bewahren. Meine Herren Abgeordneten! Das sind im wesentlichen die Grundsätze einer Agrar- und Wirtschaftspolitik, die der notwendigen landwirtschaftlichen Intensivierung Raum und Möglichkeiten geben. Die Hebung des Leistungsdurchschnitts der Landwirtschaft ist bekanntlich sehr schwierig. ({3}) In einem Beruf, in. dem sich schon in normalen Zeiten das investierte Kapital nur mit 21/2 Prozent verzinst, fehlen der Anreiz und das Kapital für eine weitere Intensivierung. Eine wohldurchdachte und ins einzelne gehende Beratung und Förderung muß deshalb einsetzen, um heute eine Produktionssteigerung, und zwar bei allen Betriebsgrößen, zu erreichen. Es muß aber eine Beratung gefordert werden, die vom Vertrauen der Bauern getragen ist. Voraussetzung für dieses Vertrauen ist, daß die Beratung nur privatwirtschaftlich richtige Ratschläge gibt und daß sie technisch richtig aufgezogen ist. Privatwirtschaftlich richtig, sagte ich. Meine Damen und Herren, hören wir doch endlich auf, ernährungs- oder volkswirtschaftliche Notwendigkeiten nur über die Beratung erreichen zu wollen! Der einzige Motor für wirtschaftliche Leistung ist der wirtschaftliche Erfolg. Wir müssen in der gesamten Agrarpolitik dem Grundsatz zum Durchbruch verhelfen, daß das, was volkswirtschaftlich notwendig ist, auch privatwirtschaftlich richtig sein muß. Wenn diese Voraussetzung geschaffen ist, werden wir mit einer technisch richtigen Beratung auch Erfolg haben. Zu diesem Zwecke sind für bestimmte Maßnahmen staatliche Zuschüsse erforderlich. ({4}) Der Berater stößt dann nicht mehr auf die unüberwindliche Schwierigkeit, daß zur Durchführung seiner Ratschläge die Mittel fehlen. Solche Maßnahmen, die ich Sofort-Produktiv-Beratung nennen will und die durch Beihilfen gefördert werden müssen, sind vor allem die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit durch Bodenuntersuchungen und auf Grund dieser Untersuchungen notwendige Gesunddüngungen, genossenschaftliche Getreidereinigungs- und -beizanlagen sowie eine durchgreifende Schädlingsbekämpfung. Ein besonders wichtiges Kapitel ist die Bekämpfung der Rindertuberkulose, der Unfruchtbarkeit des Rindes und die Durchführung der freiwilligen Milchleistungskontrolle - Flurbereinigung und Meliorationen sind hier schon des öfteren genannt worden -, Wiederaufforstung von Kahlflächen bzw. ungenügend bewirtschafteten Waldflächen, Gründung genossenschaftlicher hauswirtschaftlicher Gemeinschaftsanlagen, um das harte Los unserer Bäuerin zu verbessern. Auch die Bodenreform, die der Herr Abgeordnete Dr. Schumacher in der Regierungserklärung vermißt hat, wie er sagte, muß als wichtiges bevölkerungs- und wirtschaftspolitisches Problem sinnvoll in den Rahmen der allgemeinen landwirtschaftlichen Produktionssteigerung eingegliedert werden. Wir sind der Meinung, daß diese Frage von einer so eminent soziologischen und wirtschaftlichen Bedeutung ist, daß sie einmal im Plenum gesondert behandelt werden muß. Das sind die Maßnahmen, deren Förderung ich für äußerst dringlich halte. Ich möchte aber, daß alle Mittel, die zur Verfügung stehen, konzentriert auf diese wenigen Aufgaben verwandt und unter keinen Umständen verzettelt werden. Ihnen, meine Herren Abgeordneten, mögen solche Forderungen angesichts unserer allgemeinen Not vielleicht übertrieben erscheinen. Ich behaupte, daß es angesichts unserer Not Mindestforderungen sind. Wenn es uns in Westdeutschland gelingt, die landwirtschaftliche Erzeugung nur um zehn Prozent zu steigern, werden wir eine Milliarde an Devisen sparen. Ich glaube, daß dieses Ziel jeden Einsatz lohnt und jeder anderen Maßnahme vorangehen muß, so bitter notwendig sie auch sein mag. Wir müssen uns darüber klar sein, daß wir ganz erhebliche Mittel für die Intensivierung anfordern müssen, wenn wir bei der Beendigung des Marshallplans nicht verhungern wollen. Dies hat nichts mit den früheren Subventionierungen zu tun, sondern liegt unseres Erachtens auf derselben Linie wie die öffentlichen Förderungsmaßnahmen, die der Staat auch anderen nationalen Produktionszweigen, zum Beispiel dem Bergbau, zukommen läßt Ich glaube nicht, daß für Intensivierungsbeihilfen, auf den Kopf der Bevölkerung gerechnet, zehn Mark ausreichen werden. Aber diese Beträge werden vielfältig aus dem deutschen Boden zurückfließen und der gesamten deutschen Wirtschaft und dem gesamten Volk zugute kommen. ({5})
4
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-27
204
8
1
null
schäfer
11,001,933
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kather.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Presidium of Parliament
vizepräsident
1949-09-27
205
8
1
null
kather
11,001,072
Meine Damen und Herren! Das Flüchtlingsproblem hat sowohl in der Regierungsklärung als auch in der anschließenden Debatte einen verhältnismäßig breiten Raum eingenommen. Ich möchte das als erfreulichen Auftakt für die Arbeiten dieses Parlaments und auch der Bundesregierung hinstellen. Ich kann auf eine weitere erfreuliche Tatsache hinweisen. Der Bundestag ist das erste Parlament, in das die Vertriebenen mit einer Zahl von Abgeordneten eingezogen sind, die ungefähr ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung entspricht. ({0}) Etwa sechzig Heimatvertriebene und Flüchtlinge sitzen in den Reihen dieses Hohen Hauses. Wenn man sich vor Augen hält, daß beim ersten Zusammentritt des Wirtschaftsrats unter 52 Abgeordneten nicht ein Heimatvertriebener war, und daran denkt, daß auch im Parlamentarischen Rat unter 70 Abgeordneten nur ein Flüchtling zu finden war, so muß man hier doch einen sehr erfreulichen Fortschritt und ein politisches Novum höchst bedeutsamer Art feststellen. Die Augen der Vertriebenen sind auf Bonn gerichtet. Gerade diese Ärmsten unseres Volkes erwarten sehr viel vom Parlament, von der Bundesregierung und auch von ihren eigenen Abgeordneten. Von diesen erhoffen sie sich insbesondere, daß sie sich über alle Parteischranken hinweg zu gemeinsamer Arbeit für das Wohl ihrer Schicksalsgefährten zusammenfinden. Diese Hoffnung ist auch in einer Entschließung des Zentralverbandes der vertriebenen Deutschen zum Ausdruck gekommen, und ich glaube sagen zu können, daß dieser Wunsch auch von den Flüchtlingsabgeordneten selber einmütig geteilt wird. Schon die Vorbesprechungen im kleineren Kreise haben ergeben, daß der Wille zu dieser sachlichen Arbeit überall vorhanden ist, und ich kann eine solche Arbeitsgemeinschaft, die sich den parlamentarischen Gepflogenheiten anpassen und sich ohne feste Organisation von Fall zu Fall zu gemeinsamer Arbeit zusammenfinden wird, schon jetzt in sichere Aussicht stellen. ({1}) Ich meine, es wird für die ganze Arbeit des Parlaments von Nutzen sein, wenn sich eine so große Zahl von Abgeordneten aus den Kreisen der Vertriebenen zur Arbeit zusammenfinden und sie sich auf diese Weise näherkommen. Der Herr Abgeordnete Zawadil hat zum Ausdruck gebracht, und zwar mit Recht, daß wir in erster Linie Deutsche sein wollen und dann Flücht({2}) linge. Aber ich darf hinzufügen, daß die Arbeit für unsere Leidensgefährten der stärkste Antrieb unserer politischen Tätigkeit und ihre Interessen die oberste Richtschnur für unser politisches Handeln sein müssen. Das Vertrauen der Heimatvertriebenen wird auf die Dauer nur der behalten, der niemals bereit ist, ihre berechtigten Interessen parteitaktischen Erwägungen oder Anforderungen hintanzustellen. Es ist hier im Laufe der Debatte mehrfach gegen den drohenden Radikalismus im Lager der Heimatvertriebenen gesprochen worden. Wer die Entwicklung der letzten Jahre auf diesem Gebiet aufmerksam verfolgt hat, kann sich eigentlich nur wundern, daß der Radikalismus nicht noch viel weiter vorgeschritten ist. Das Unrecht hat an der Wiege unseres Problems gestanden, und es ist den davon Betroffenen treu geblieben bis auf den heutigen Tag. Es begann mit der Ausweisung von Millionen unschuldiger Menschen aus der angestammten Heimat und setzte sich fort hier im Westen mit Benachteiligungen und Zurücksetzungen aller Art. Ich sehe durchaus die Gesamtnot des deutschen Volkes. Das ist ja gerade das Furchtbare an dem Schicksal der Vertriebenen, daß sie hineingestellt sind in ein zerrissenes, zerstückeltes und zerstörtes, ohnmächtiges Vaterland. Wir wissen auch, daß wir in zahlreichen Fällen echter Menschenliebe und Menschenfreundlichkeit begegnet sind und daß viele Menschen und Stellen sich die größte Mühe gegeben haben, unser Los zu bessern. Aber ich muß doch sagen, daß das leider Ausnahmen sind und daß wir großen allgemeinen Unrechtstatbeständen gegenüberstehen, die wir anklagen müssen. Es hätte auch bei der trostlosen Gesamtlage unseres Volkes sehr viel mehr geschehen können. Wenn heute noch Hunderttausende in Lagern und in Bunkern menschenunwürdig hausen müssen, so hätte das nicht mehr zu sein brauchen. Wenn man vielerorts weniger darauf bedacht gewesen wäre, die guten Stuben zu bewahren, und mehr Wert darauf gelegt hätte, das gute Herz zu zeigen, ({3}) dann hätten wir das wahrscheinlich schon überwunden. Die Ostvertriebenen sind die einzige Volksgruppe, deren Angehörige bei der Währungsreform vollkommen leer ausgegangen sind. Vor einigen Tagen hat hier ein Abgeordneter darüber geklagt. daß die Sparguthaben nur mit 6,5 Prozent aufgewertet worden sind. Ich muß ihm entgegenhalten, daß unseren Schicksalsgenossen auch diese 6,5 Prozent vorenthalten worden sind, ({4}) daß sie bis heute noch nicht die geringste Aufwertung für ihre Sparguthaben bekommen haben. Das mutet besonders merkwürdig an, wenn man sich vergegenwärtigt, daß sich auch hier wieder ein Unrecht gegen die richtet, die ohnehin schon alles verloren haben. Wir erwarten von der Regierung, daß eine ihrer ersten Maßnahmen sein wird, diesem Unrecht ein Ende zu setzen. Wir haben mit Genugtuung aus der Erklärung des Kanzlers gehört, daß ein weiteres Unrecht, nämlich in der Behandlung der Ansprüche unserer Pensionäre und Hinterbliebenen, endlich ein Ende finden soll. Der Zonenbeirat hat schon am 14. Januar 1948 die Militärregierung einstimmig gebeten, diesem Unrecht ein Ende zu setzen, und es ist wirklich allerhöchste Zeit, daß das damals gegebene Versprechen der Militärregierung erfüllt wird. Wir müssen auch fordern, daß man den aus dem Osten verdrängten Beamten die ihnen nach dem Beamtengesetz zustehenden Wartegelder nicht weiter vorenthält. Wir müssen fordern, daß man den Kündigungsschutz erweitert. Die Angestellten und Beamten aus dem Osten sind naturgemäß die ersten Opfer jeder Kündigung, die aus Gründen der Ersparnis oder aus anderen Gründen notwendig wird: sie sind zuletzt gekommen und werden zuerst entlassen. Wir wissen, daß der Anteil der Heimatvertriebenen an der Arbeitslosigkeit dreimal so groß ist wie der der einheimischen Bevölkerung. Wir erwarten daher, daß man auf diese besondere Situation auch bei der Bildung der Bundesregierung Rücksicht nimmt. Es entspricht der Gerechtigkeit, daß man in erster Linie an die aus dem Osten gekommenen Angestellten und Beamten denkt, die noch immer keine Beschäftigung gefunden haben. Ganz besonders möchte ich die Aufmerksamkeit der Bundesregierung auf eine weitere Gruppe lenken: das sind die aus dem Osten verdrängten Bauern und Landwirte. Hier handelt es sich um eine Art von Menschen, die sich nur sehr schwer einem anderen Berufe zuwendet, die auch nicht die nötige Wendigkeit besitzt, um sich selbst irgendwie zu helfen, vor allem aber eine Gruppe, die den Verlust der Heimat doppelt schmerzlich empfindet und für die bisher nach meinen Erfahrungen am allerwenigsten getan worden ist. Was man bisher von Aktionen mit wüsten und auslaufenden Höfen und ähnlichem gehört hat, kann man noch nicht einmal als Tropfen auf den heißen Stein bezeichnen. ({5}) Ich muß verlangen und erwarten, daß die Bundesregierung gerade dieser Frage ihre besondere Aufmersamkeit zuwendet, ein wirklich großzügiges Siedlungsprogramm in die Tat umsetzt und auch die dafür erforderlichen Geldmittel bereitstellt. Denken Sie an das weitere Unrecht, das sich in der Art und Weise kennzeichnet, wie das Sofortprogramm gestaltet und gestartet worden ist. Acht Monate haben die Besatzungsmächte die Durchführung dieser wirklich dringenden Notmaßnahmen hinausgezögert, ehe sie sie in Kraft setzten; eine merkwürdige Art der Sachbehandlung, die wirklich geeignet war, den Vertriebenen auch das letzte Vertrauen zu nehmen. Und was ist bei der Sache denn eigentlich herausgekommen? Doch nur eine ziemlich unerhebliche Erhöhung der bisher gezahlten Unterstützungen! Dieses Sofortprogramm, dem man ja auch den Namen „Lastenausgleich" mit Recht entzogen hat, hat mit dieser Maßnahme wirklich nichts mehr zu tun. Es ist nichts anderes als ein vorweggenommener Finanzausgleich. Das Betrübliche daran ist zudem, daß die Beträge, die dafür aufgewendet werden, den Ostverdrängten und den anderen Krieggeschädigten verlorengehen, und wir müssen uns dagegen verwahren, daß aus diesen Mitteln die Wohlfahrtsetats der Länder, Kreise und Gemeinden allein auf Kosten der Kriegsgeschädigten entlastet werden. Das sind Aufgaben, die die Allgemeinheit zu tragen. hat, die aber mit dem Lastenausgleich nicht das geringste gemein haben. Ein weiteres schweres Unrecht ist die Art und Weise, wie man unsere Organisationen behandelt ({6}) hat. Es ist doch ein grotesker Zustand, daß man dieser am meisten geschädigten Volksgruppe seit Jahr und Tag noch die Möglichkeit genommen hat, sich zu gegenseitiger Hilfe zusammenzuschließen. Daher is es kein Wunder, meine Damen und Herren, wenn der Ruf nach der Flüchtlingspartei immer lauter geworden ist. Dieses Mal ist noch ein Erdrutsch verhindert worden, weil die Lizenz fehlte, weil die maßgeblichen Männer sich gegen diese Entwicklung gestemmt haben und weil insbesondere der Zentralverband davor gewarnt hat, den Weg der unabhängigen Kandidatur zu gehen. Es handelt sich hier um ein Problem von einer sehr erheblichen Größenordnung. 7,8 Millionen Flüchtlinge haben wir im Bundesgebiet. Das ist eine Masse, die, wenn sie zusammengefaßt wird, sehr wohl in der Lage ist, das politische Bild vollkommen zu verändern. ({7}) Es gibt nur eins, was diese Entwicklung überhaupt noch aufhalten kann - und ich richte einen Appell an die Bundesregierung -: die Notmaßnahmen, die ich hier aufgezeigt habe, nunmehr unverzüglich in Kraft zu setzen. Mit Drucksache Nr. 29 haben wir einen solchen Antrag bereits eingereicht. Wir erwarten, daß die Bundesregierung von der Möglichkeit des Artikels 119 Gebrauch macht und alle diese Maßnahmen im Wege der Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats in Kraft setzt. ({8}) Ich habe auch nicht der Flüchtlingspartei das Wort geredet, was Sie festgestellt haben müßten, wenn Sie meine Ausführungen mit Aufmerksamkeit verfolgt hätten, sondern ich habe nur auf eine Gefahr hingewiesen, der wir absolut ins Auge sehen müssen. Wir müssen vor allem auch erwarten - und darin stimme ich mit dem Herrn Bundeskanzler überein -, daß der endgültige Lastenausgleich unverzüglich in Angriff genommen wird. Auch ich bin der Meinung, daß er leichter von einer blühenden Wirtschaft zu tragen sein wird, keinesfalls aber aus den Erträgnissen der Wirtschaft. Wir verlangen eine gerechte Neuverteilung der Lasten, die die Zufallsentscheidung des Krieges mit sich gebracht hat, aber diese gerechte Neuverteilung ist ohne Eingriff in die Vermögenssubstanz nicht durchführbar. ({9}) Dem, der die Dinge etwas tiefer sieht, ist es völlig klar, daß in der ganzen Entstehung und Behandlung des Flüchtlingsproblems vom Osten her eine bestimmte politische Absicht erkennbar ist. Man hat uns unsere Ernährungsgrundlage genommen, man hat die 10 Millionen Menschen in das schon übervölkerte Westgebiet hineingepreßt, und durch die Zustände in der Sowjetzone sorgt man dafür, daß dieser Flüchtlingsstrom nicht versiegt; meiner Auffassung nach alles in der offenkundigen Absicht, bei uns unmögliche Zustände zu schaffen, einen ewigen Unruhe- und Zersetzungsherd zu unterhalten und dadurch Westdeutschland langsam, aber sicher für den Bolschewismus reif zu machen. Dieser Gefahr werden wir nur begegnen können, wenn wir die nicht zu leugnenden großen sozialen Spannungen, die auf die Dauer nicht bestehen bleiben können, ({10}) durch einen gerechten Lastenausgleich überwinden. Auch derjenige, der noch einen Besitzstand zu verteidigen hat, sollte sich sagen, daß selbst ein schmerzhafter Eingriff in die Vermögenssubstanz leichter zu ertragen ist als ein Zustand, der geschaffen würde, wenn die verzweifelten Millionen zur Selbsthilfe greifen würden. ({11}) Das deutsche Volk hat hier seine große Bewährungsprobe abzulegen und mit dem deutschen Volk auch der deutsche Bundestag. Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, daß wir zur Lösung unserer Frage internationale Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Darin kann man ihm nur beipflichten. Es wird insbesondere die Aufgabe des Herrn Flüchtlingsministers sein, seine Tätigkeit gerade nach dieser Richtung hin zu intensivieren. Aber es ist schon von anderer Seite gesagt worden, und ich möchte es doch noch einmal sagen: man kann auswärtige Hilfe erst dann in Anspruch nehmen, wenn man selbst die notwendigen eigenen Anstrengungen gemacht hat. Ich entnehme auch daraus eine Unterstützung des Appells, den ich eben an die Bundesregierung gerichtet habe. Ich bin aber auch der Auffassung, daß selbst mit internationaler Hilfe eine wirkliche und echte Lösung des Flüchtlingsproblems nicht möglich sein wird. Der Herr Bundeskanzler hat mit Recht gesagt, daß 50 Prozent unseres Nahrungsmittelbedarfs oder noch mehr eingeführt werden müßten; er hofft, bis zum Jahre 1950 durch Intensivierung der Landwirtschaft einen Ausgleich der deutschen Wirtschaft herbeizuführen. Nach dem, was der Herr Vorredner hier eben gesagt hat, daß durch zehnprozentige Erhöhung unserer Erzeugung eine Milliarde erspart werden könnte, bin ich nicht so optimistisch wie der Herr Bundeskanzler. Wir brauchen weit über drei Milliarden, und ich glaube nicht, daß es möglich sein wird, unsere landwirtschaftliche Erzeugung derart zu steigern, und ebensowenig glaube ich, daß man uns einen Export in diesem Ausmaße gestatten wird. Wir können diese Spanne verringern, aber nicht beheben, und müßten also auf die Dauer Kostgänger der Alliierten bleiben. Es gibt nur eine wirkliche und echte Lösung: das ist die Rückgabe unserer Ostprovinzen. Es ist die Aufgabe der Bundesregierung, diese Erkenntnis, die dahin geht, daß Deutschland ohne diese Ostprovinzen, ohne diese seine Kornkammer immer ein wirtschaftlicher Torso bleiben wird, der ganzen Welt zum Bewußtsein zu bringen und darauf hinzuweisen, daß es ein wahnwitziger Zustand ist, wenn 18 Millionen Polen weit mehr Ackerfläche zur Verfügung haben als 70 Millionen Deutsche. Auf einer derartigen Grundlage kann man kein gesundes und glückliches vereinigtes Europa aufbauen. Das Recht auf die Heimat ist von anderen Rednern schon genügend unterstrichen worden. Dieses Recht erkennen wir selbstverständlich auch unseren sudetendeutschen Freunden zu. Aber es war völlig unmöglich, etwa vom Kanzler zu verlangen, daß er in seiner Regierungserklärung Anspruch auf Gebiete erhebt, die vor 1937 nicht zum Deutschen Reich gehört haben. Wer etwas Derartiges verlangt; dem fehlt das erforderliche Fingerspitzengefühl. ({12}) ({13}) Aber eines müssen und können wir fordern. Wir fordern, daß das Sudetenland, das seit uralten Zeiten deutsch war, seinen deutschen Bewohnern zurückgegeben wird. Das ist eine Forderung, hinter die sich jeder stellen kann. Wir fordern auch die Wiedergutmachung für unsere sudetendeutschen Freunde, und wir wollen hoffen, ({14}) daß es nicht allzulange dauern wird, bis auch die Bewohner des Sudetenlandes wieder in ihrer alten Heimat sitzen, in einem Europa, in dem Grenzen nicht mehr die Rolle spielen, die sie in der Vergangenheit gespielt haben. Lassen Sie mich noch ein Wort zu der Frage des Flüchtlingsministeriums sagen. Die Errichtung des Flüchtlingsministeriums hat in der Debatte allgemein Zustimmung gefunden. Ich habe kein Wort der Kritik gehört. Die Bedenken, die vorher, insbesondere auch vom Organisationsausschuß laut geworden sind, sind uns bekannt; sie mußten aber zurückgestellt werden. Worauf es uns ankommt, ist, daß einer von uns als verantwortlicher Minister im Kabinett sitzt und dafür sorgen kann, daß man uns nicht mehr vergißt. Es wird Sache der Bundesregierung sein, insbesondere auch des Bundeskanzlers, dem Flüchtlingsminister jede Unterstützung zuteil werden zu lassen. Es handelt sich hier um das Problem Nummer 1. Leider Gottes verdient dieses Problem diese Bezeichnung auch im Hinblick auf seine Dauerhaftigkeit. Es werden noch sehr viele Jahre vergehen, ehe wir dieser Schicksalsfrage des deutschen Volkes Herr geworden sind. Mit Rücksicht auf die Bedeutung und den Umfang bitte ich auch, von einer Sparsamkeit I am falschen Platze abzusehen und gerade für dieses Ministerium die erforderlichen Mittel bereitzustellen, damit es die notwendige Arbeit im Interesse der Vertriebenen leisten kann. Wir sind der Meinung, daß zur Unterstützung dieser Arbeit in jedem Ministerium, das in Betracht kommt, eine besondere Abteilung für Flüchtlinge gebildet werden sollte, die gerade die einschlägigen Fragen unter die Lupe zu nehmen hat. Wir von den Flüchtlingsorganisationen begrüßen es, daß einer von uns an dieser Stelle steht. Ich kann dem Herrn Minister die Erklärung abgeben, daß wir seine Arbeit in jeder Weise unterstützen werden; und da er selbst einer von uns ist, auch einer von der Organisation her, sind wir einer vertrauensvollen Zusammenarbeit sicher. Wir erwarten andererseits auch, daß man endlich mit der Diffamierung und Zurücksetzung der Organisationen ein Ende macht, daß man endlich unsere Arbeit, die wir jahrelang unter den schwersten Bedingungen für die Allgemeinheit getan haben, anerkennt und ihr die notwendige Unterstützung zuteil werden läßt. Meine Damen und Herren, die Situation ist ernst. Es wird von der Politik der Bundesregierung und auch dieses Hohen Hauses abhängen, ob es gelingt, die Flüchtlinge von dem Wege der politischen Absonderung abzuhalten. Ich sage noch einmal: ich würde das für ein Unglück ansehen. Bei der augenblicklichen Situation und Stimmung kann eine solche politische Neubildung nur in ein radikales Fahrwasser kommen, und die maßvollen Persönlichkeiten aus dem Flüchtlingslager würden dann wahrscheinlich nicht maßgebend sein. Es hängt von den Erfolgen ab, die wir in den nächsten Wochen und Monaten aufzuweisen haben. Mit Worten sind die Vertriebenen nicht mehr anzusprechen; sie wollen endlich Taten sehen, und nur diese werden sie anerkennen. ({15})
4
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-27
206
8
1
null
schäfer
11,001,933
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Euler.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Presidium of Parliament
vizepräsident
1949-09-27
207
8
1
null
euler
11,000,500
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schon eine ganze Reihe von Rednern hat hier den Worten die Taten gegenübergestellt, ohne daß doch aus dieser Gegenüberstellung die notwendigen Konsequenzen gezogen worden wären. Wir verkennen nicht, daß die heute so populäre Alternative von Worten und Taten ein großes demokratisches Mißverständnis in sich birgt. Trotzdem ist die Ungeduld unserer Bevölkerung gerechtfertigt, und wir sollten uns keinem Zweifel darüber hingeben, daß gerade acht Tage Diskussion einer Regierungserklärung zu Beginn der Arbeit der ersten deutschen Regierung nicht das geeignete Mittel sind, um die aus dem tragischen Schicksal Deutschlands resultierende vorsichtige Einstellung großer Bevölkerungsschichten zur Demokratie zu überwinden. Deswegen ist es uns ein Bedürfnis, ein Beispiel zu geben, von dem wir hoffen, daß sich ihm noch andere Parteien anschließen werden. Dieses Beispiel besteht darin, daß wir in der dritten Runde, die wir ohnehin schon für unnötig gehalten hatten - wir hatten uns in der vorigen Woche gegen die Abhaltung dieser dritten Runde ausgesprochen - auf das Wort verzichten. ({0})
13
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-27
208
8
1
null
schäfer
11,001,933
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Mühlenfeld.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Presidium of Parliament
vizepräsident
1949-09-27
209
8
1
null
mühlenfeld
11,001,540
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch meine Fraktion ist der Auffassung, daß der Worte genügend gewechselt sind ({0}) und daß man jetzt zur Tat schreiten sollte. ({1}) - Meine Damen und Herren, diesem Gedanken würden wir voll Rechnung tragen, und ich würde diesen Platz sofort verlassen, wenn uns eines aus der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers nicht nachdenklich gestimmt hätte. Meine Fraktion sieht sich daher veranlaßt, ganz kurz auf einige Dinge einzugehen. Wir haben aus dem Munde des Herrn Bundeskanzlers mit allergrößtem Interesse vernommen, daß die Aufgaben des Ministeriums für Landwirtschaft und Ernährung einen anderen Charakter tragen sollen, als das bisher der Fall war. Im Vordergrund sollen Verbesserung und erhebliche Steigerung der Produktion durch weiteren Abbau der Zwangswirtschaft, durch Schaffung gesicherter und ausgeglichener Produktions- und Absatzverhältnisse stehen, die die Produktionskosten gut arbeitender Durchschnittsbetriebe decken. Meine Damen und Herren, das sind an sich Erkenntnisse, die nicht neuesten Datums sind. Diese Dinge waren schon bei der VELF keine Geheimwissenschaft mehr, und lange vor Bestehen der VELF war man sich über diese Angelegenheiten, über die Notwendigkeiten der Existenzgrundlage der Landwirtschaft durchaus im klaren. Nun, man hat sich nach dieser Erkenntnis nicht gerichtet; die praktische Anwendung unterblieb. Nach den Erfahrungen, die wir gerade in Frank({2}) furt gemacht haben, haben wir die allergrößte Sorge, daß bei der in der Regierungserklärung verkündeten Weiterverfolgung der in Frankfurt begonnenen Wirtschaftspolitik der Landwirtschaft und dem Gartenbau auch für die Zukunft eine untergeordnete Rolle innerhalb der gesamten deutschen Wirtschaftspolitik zugewiesen werden könnte. ({3}) Meine Damen und Herren, soll die noch immer bestehende Zweigleisigkeit nach Frankfurter Muster in der gesamten Wirtschaftspolitik fortgesetzt werden, diese Zweigleisigkeit, die doch zum geringeren Teil in der unterschiedlichen Marktordnung, viel mehr aber in der Unterschiedlichkeit der Preispolitik begründet ist? Diese Frage wird nicht dadurch gelöst, daß man die Produktionskosten gut arbeitender Betriebe zugrunde legt, ohne daß man darin der Arbeit, und zwar der schwersten körperlichen Arbeit, und ihrer Entlohnung als Kostenelement die gleiche Bewertung zumißt wie im Bergbau und in der Schwerindustrie. Nach unserer Auffassung liegt hier einer der neuralgischen Punkte der Agrarpolitik Oberhaupt. Während man bereit ist, die Industrielöhne, so gut es geht, zu stützen, läßt man eine totale Unterbewertung der Landarbeit zu. Das gilt für den Landarbeiter wie für den Bauern und seine im Betrieb tätigen Familienmitglieder, innbesondere für seine Ehefrau. Auf diese Weise ist es doch bis auf den heutigen Tag praktisch möglich gewesen, die gesamte deutsche Volkswirtschaft aus den der Landwirtschaft - es handelt sich hier um eine der härtesten körperlichen Arbeiten, die wir kennen -- vorenthaltenen Erlösen zu subventionieren, also nicht etwa aus einer normalen Verzinsung des hochgradig investierten Kapitals oder gar aus dem Unternehmergewinn; denn beide sind nachweislich nicht mehr vorhanden. Im Mittelpunkt unseres agrarpolitischen Interesses sollte auch hier der Mensch stehen: der Mensch als Betriebsinhaber, als Bauer und der Mensch als Landarbeiter. Hier sollte mit der Bauernbefreiung schleunigst begonnen werden. Die Landwirtschaft muß in die Lage versetzt werden, ihren getreuen Mitarbeitern auskömmliche Löhne zu zahlen. Die Bundesregierung sollte sich die Abwanderung von Landarbeitern in die Stadt zu einer ernsten Warnung dienen lassen. Erst wenn eine rechte Bewertung der Landarbeit erreicht ist, haben wir für die Produktionssteigerung eine der wichtigsten Grundlagen geschaffen. Die Aufrechterhaltung der jetzigen Hackfruchtanbaufläche - bekanntlich sind die Hackfrüchte in ihrer Leistung grundsätzlich allen anderen Früchten überlegen - wird, um nur ein Beispiel zu nennen, zu einem grundlegenden und besonders ernsten Problem, wenn die Frage der gerechten Entlohnung nicht zufriedenstellend gelöst wird. Dazu gehört auch die Lösung des Problems, das den Titel „landwirtschaftlicher Werkwohnungsraum" trägt. Weil es sich um die Produktionssteigerung an sich handelt, darf ich dem Herrn Bundesminister für Landwirtschaft und Ernährung im Zuge der Importausgleichspolitik nachdrücklichst empfehlen, keine Erhöhung der Preise für Kunstdünger zuzulassen. Wenn irgendwo, so macht sich doch gerade hier eine Subvention bestens bezahlt. Denn die Erträge aus der Subvention werden zum größten Teil an den Staat zurückfließen: aus der mit erhöhten Kunstdüngergaben erhöhten Produktion und durch das dadurch erhöhte Steueraufkommen. In der deutschen Volkswirtschaft, die in den letzten drei, vier Generationen weit überwiegend nach der gewerblichen Seite orientiert ist, wo die Landwirtschaft also ihrem Umfang nach sich in einer Minderheit befindet - die Entwicklung wird ja in dieser Richtung weitergehen -, muß die Regierung alles daran setzen, daß die Landwirtschaft nicht wie bisher in einer hoffnungslosen Minderheit verbleibt. Die hinter uns liegenden Jahre des Hungers, die Zwangslage, 50 Prozent der notwendigen Lebensmittel einführen zu müssen, und die Tatsache, daß eine gesunde Landwirtschaft den sichersten Absatzmarkt unserer eigenen .gewerblichen Produktion darstellt, daß die Landwirtschaft wertmäßig einen hohen Anteil am Sozialprodukt leistet bei gleichzeitig hohen Investitionen, wie sie wohl keine Produktion der deutschen Volkswirtschaft aufzuweisen hat, ferner die Tatsache, daß die Landwirtschaft die breiteste Schicht selbständiger Existenzen enthält, ferner das bevölkerungs- und staatspolitische Gewicht zwingen uns allein schon zur Anerkennung des Grundsatzes der absoluten Gleichberechtigung der Agrarpolitik gegenüber der übrigen Wirtschaftspolitik. Ich muß noch einmal mit allem Ernst wiederholen: wir können leider aus der vergangenen Frankfurter Wirtschaftspolitik nicht feststellen, daß der Landwirtschaft und der ihr verbundenen Wirtschaft diese gleichberechtigte Stellung eingeräumt worden wäre. Insofern wünschen wir uns eine gründliche Änderung der in Frankfurt begonnenen Politik, die sich vornehmlich darin auszudrücken hat, daß eine auf die Erfordernisse der Landwirtschaft eingestellte Handels- und Wirtschaftspolitik betrieben wird. Bei allem Verständnis für die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit der europäischen Teilnehmerländer im Rahmen des Marshallplans und der Bildung eines einheitlichen europäischen Marktes - wir bekennen uns zu dem Grundsatz, daß das europäische Preisgefälle wiederhergestellt werden muß - können wir nicht zusehen, daß Außenhandelsverträge abgeschlossen werden, die plötzlich und unvorbereitet übermäßige Einfuhren von solchen Ernährungsgütern zulassen, die auch in Deutschland sehr gut selbst erzeugt werden und die dadurch, daß sie stoßweise und in unproportionierten, unregelmäßigen Mengen bei uns auftreten, an der Existenzgrundlage unserer Erzeuger rütteln. Die Vorgänge auf dem Gemüse- und Obstmarkt, die die einheimische Produktion zum großen Teil in den Viehstall und auf den Komposthausen wandern ließen, sind mit auf eine schädliche Politik von Frankfurt zurückzuführen. Mir scheint - ich spreche da in memoriam der Zeiten des Wirtschaftsrates -, daß das Fehlen des Ausschusses für Landwirtschaft und Agrarpolitik überhaupt in Frankfurt sich doch drastisch bemerkbar macht. Denn nun ist kein neugieriger Abgeordneter mehr da, der einmal einige interessante Fragen an die verantwortlichen Männer der Agrarpolitik stellen könnte; zum Beispiel warum bei ausreichenden saisonbedingten Auftrieben auf den deutschen Schlachtviehmärkten in demselben Moment große Mengen Walfleisch, das den Engländern wegen seiner minderwertigen Qualität nicht zusagt, gekauft und eingeführt werden; oder warum die VELF mit Italien verhandelt, um die Obst- und Gemüseeinfuhr von 12 Millionen auf 22 Millionen Dollar zu erhöhen, und warum die 148 Deutscher Bundestag - E. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. September 1949 ({4}) Gemüseeinfuhr aus Holland auf 250 000 Tonnen erhöht wird. Das ist meinem Erinnern nach dieselbe Menge, die vor 1938 in das gesamte deutsche Reichsgebiet eingeführt wurde. ({5}) - Nein, so liegen die Dinge leider nicht, sonst wäre es noch verständlich. Es sind noch mehr solche unverständliche Dinge im Laufe des letzten Jahres geschehen, unverständlich deshalb, weil nach unserer Meinung alles daran gesetzt werden muß, bei steigender Agrarerzeugung die Nahrungsmittelimporte zu senken mit dem Ziel, Devisen und noch einmal Devisen zu sparen, mit denen wir Rohstoffe auf dem Weltmarkt für unsere Industrie kaufen können; und somit hilft unsere Landwirtschaft, das Exportvolumen zu vergrößern, sie hilft, zusätzliche Arbeitsplätze in den Fabriken und Werkstätten zu schaffen und damit die städtische Kaufkraft zu heben. Wir begrüßen die bekundete Absicht, die Zwangswirtschaft weiter abzubauen. Diese totale Zwangs- und Planwirtschaft - das ist ja wohl kein Geheimnis mehr - hat zusammen mit dem totalen Erfassungssystem in den vergangenen Zeiten die Produktion ganz erheblich benachteiligt. Man kann wohl sagen, wir können uns dazu gratulieren, daß der Zwang zur Erhaltung ihrer persönlichen und betrieblichen Existenz die Gesamtheit des deutschen Volkes, Erzeuger wie Verbraucher, veranlaßt und gezwungen hat, die Plan- und Zwangswirtschaft, soweit es ging, zu umgehen. Wäre das nicht der Fall gewesen, dann wäre sie zu einer ausgemachten Katastrophe ausgeartet; darüber besteht wohl bei all denjenigen, die sehen und hören wollen, gar kein Zweifel. Sicher ist, daß sich die alte Planwirtschaft selber ad absurdum geführt hat. Aber eine marktmäßig gelenkte Wirtschaft wird nicht zu entbehren sein, und zwar unterschiedlich für die einzelnen landwirtschaftlichen Erzeugnisse, nur mit dem Unterschied, daß wir das nicht aus dogmatischer Rezeptmacherei tun, sondern nach den jeweiligen Erfordernissen des praktischen Lebens von Fall zu Fall. Für uns hängt die Seligkeit davon nicht ab. Im Rahmen der uns auferlegten sozialen Verpflichtungen haben wir gerade auch hier eine soziale Marktordnung Wirklichkeit werden zu lassen. Im Rahmen der zu ergreifenden marktorganisatorischen Maßnahmen wird die Errichtung von Marktverbänden ich denke hier vor allen Dingen an die Zucker- und Milchwirtschaft - ein dringendes Anliegen der Verbraucher, der Erzeuger und Verarbeiter sein. Ich darf mir auch erlauben, die Regierung um beschleunigte Vorlage eines Gesetzes über die Importausgleichsstelle zu bitten. Das Gesetz ist bereits vom Wirtschaftsrat beschlossen worden, hat aber nicht die Genehmigung der Militärregierung gefunden. Durch die Verzögerung wird die Erzeugung in Mitleidenschaft gezogen. Ich hoffe, daß auch in diesem Gesetz eine angemessene Heranziehung der berufenen Vertretung der Landwirtschaft vorgesehen werden wird. In diesen Zusammenhang gehört noch die baldige gesetzliche Regelung von Vorratsstellen für landwirtschaftliche Erzeugnisse aus eigener Produktion und aus Importen, damit eine gleichmäßige Versorgung und Preisregelung zugunsten der Verbraucher und der Erzeuger möglich wird. Meine Damen und Herren! Wenn ich von einer Bauernbefreiung gesprochen und damit die Abschaffung des Ausnahmerechts für die Landwirtschaft gefordert habe, so gehört dazu auch die Wiederherstellung des Verfügungsrechts über den bäuerlichen Besitz für den Eigentümer selber. In dieser Beziehung ist von Gesetzes wegen die totale Herrschaft des Staates aus einer vergangenen Zeit ausschließlich für einen einzelnen Stand aufrechterhalten worden. Ich verkenne durchaus nicht, daß einstweilen noch eine gewisse Kontrolle beim Übergang bäuerlichen Eigentums auf einen anderen Eigentümer nicht zu entbehren ist. Hierzu brauchen wir aber ein Gesetz, das die wenigen Fälle der Eigentums- und Besitzveränderung, die noch zu regeln sind, aufzählt. In diesen Fällen kann die Genehmigung versagt werden, so zum Beispiel, wenn Grund und Boden oder der Betrieb ganz oder teilweise der Nutzung für die Volksernährung entzogen werden soll. Wichtig ist aber vor allem, daß eine starre Preisbindung beseitigt wird und die Kontrolle sich auf die Verhinderung von Auswüchsen nach oben sowie nach unten beschränkt. Eine Revision des geltenden Rechts im Grundstücksverkehr wird sich ebenfalls in Richtung auf eine Produktionssteigerung auswirken. Damit komme ich zu einem sehr wichtigen Kapitel der Agrarpolitik, das mir sehr am Herzen liegt und das einer gründlichen Überholung bedarf, nämlich zu dem Pachtrecht. Das Pachtrecht war einst das hervorragendste, das vornehmste Institut des sozialen Aufstiegs in der Landwirtschaft, sei es, daß komplette Betriebe durch kapitalschwache Landwirte übernommen wurden, sei es, daß unwirtschaftliche oder kleine Betriebe durch Zupachtung einzelner geeigneter Flächen lebensfähig gemacht werden konnten, oder sei es auch, daß eine in der Führung des Betriebes zeitweilig eingetretene Lücke überbrückt werden konnte. In allen diesen Fällen übte das alte Pachtrecht eine gesunde soziale Funktion aus. Diese Funktion des Pachtrechts wiederherzustellen ist eine durch die Entwicklung der jüngsten Zeit notwendig gewordene Angelegenheit. Auf dem Pachtmarkt ist es still, sehr still geworden. Den Schaden davon haben Pächter wie Verpächter und auch Heimatvertriebene in gleichem Maße. Eine Lockerung. eine zeitgerechte Gestaltung des Pachtschutzrechts, vor allen Dingen eine Wiederherstellung der Vertragstreue und, was wohl das Wichtigste ist, die ausdrückliche Anerkennung des Verpächters als Eigentümer - was durch die Diskussion um die Bodenreform leider gründlich mißlungen ist -würden den Pachtmarkt wieder beleben und unter Beibehaltung eines vernünftigen Pachtschutzes der großen Zahl von pachtwilligen Heimatvertriebenen und einheimischen Bauern wieder eine Existenz geben. Wenn wir diese Probleme nicht angreifen, glaube ich nicht, daß das Flüchtlingssiedlungsgesetz den Erfolg haben wird, den wir ihm alle wünschen. Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich noch auf einen Punkt hinweise, der mir gerade in den letzten Wochen sehr augenfällig geworden ist. Ich bin der Überzeugung - und es werden viele in diesem Hause mit mir dieser Überzeugung sein -, daß der Kreditbedarf der Landwirtschaft nicht genügend berücksichtigt wird. Der lang- und mittelfristige Bedarf ist von der Verwaltung für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf 524 Millionen D-Mark für 1949 angegeben worden. Und was ist geschehen? Die Verwaltung für Wirtschaft, in den Angelegenheiten der Kreditpolitik federführend, hat von diesen 524 ({6}) Millionen D-Mark 290 Millionen D-Mark anerkannt und in ihren Planübernommen. Um das Unglück vollständig zu machen, erkennt von diesen nun noch verbliebenen 290 Millionen D-Mark die Militärregierung nur 48 Millionen D-Mark an, wobei allein 16 Millionen D-Mark für die Landeskulturkredite, für Wasserwirtschaft, Flurbereinigung usw., reserviert werden. Auch in diesem Punkte wünschen wir uns eine Änderung der Frankfurter Wirtschaftspolitik und keine Vernachlässigung der Landwirtschaft in der Kreditversorgung. In diesem Zusammenhang sei mir ein Hinweis auf die Verbundenheit von Handwerk, Handel und Landwirtschaft gestattet, die sich aus Betrachtungen gerade einer gesunden Kreditpolitik und deren öffentlich-rechtlichen und genossenschaftlichen Trägern ergibt. Diese Verhältnisse empfehle ich ebenfalls der Aufmerksamkeit der Bundesregierung. Die Bedeutung und das volkswirtschaftliche Leistungsvermögen erfordern die Schaffung eines Staatssekretariats für die mittelständische Wirtschaft mit Abteilungen f r Handel und Handwerk. Gerade von der agrarpolitischen Seite aus kann uns die Position und das Schicksal des Handwerks und des Handels nicht gleichgültig sein. Allein das niedersächsische Handwerk beschäftigt fast 400 000 Personen; unter Einbeziehung der Familienmitglieder sind es weit über 1 Million Personen. Das sollte uns schon einen Aufschluß über die Bedeutung des Handwerks geben. Daraus ergibt sich die Wichtigkeit der Einräumung einer besonderen Position, einer besonderen Abteilung innerhalb des Aufbaus des Ministeriums für Wirtschaft. Meine Damen und Herren! Ich kann nicht umhin, eine weitere wichtige Angelegenheit einer erhöhten Beachtung und Fürsorge unserer Regierung zu empfehlen. Es handelt sich hier um zwei Stiefkinder der deutschen Wirtschaftspolitik, um zwei Stiefkinder, mit denen wir uns im Wirtschaftsrat in monatelanger eingehender Arbeit beschäftigt haben, nämlich um die deutsche Küsten- und Hochseefischerei. Der Wirtschaftsrat hatte sich bemüht, hier einem nationalen Notstand abzuhelfen; aber leider ist den damaligen Arbeiten ein befriedigender Erfolg versagt geblieben. Wir können feststellen, daß sich im gesamten Küstengebiet ein Strukturwandel vollzieht, der sich für alle Beteiligten - und das ist nahezu wohl die Gesamtheit der Bevölkerung in den Küstengebieten - sehr nachteilig auswirkt. Wir sollten von der Bundesregierung erwarten, daß das Entgegenkommen der Besatzungsmächte hinsichtlich des Fischdampferneubaus durch eine einsichtige deutsche Politik zu einem Erfolg wird. In Anbetracht der Bedeutung der deutschen Fischwirtschaft, vor allen Dingen in der Form der Urproduktion, der Fischerei, sei es Küstenfischerei oder Hochseefischerei, gebührt dieser Fischwirtschaft eine besondere Abteilung im Ministerium. Meine Damen und Herren, wir haben bislang darunter gelitten, und wir werden weiter darunter leiden, daß wir nach der bisherigen Organisation - und nach den Empfehlungen der Ministerpräsidenten soll es so bleiben - nur eine Lenkungsstelle haben, unter der ein Referat Fische aufgeführt ist. Meine Damen und Herren, es handelt sich hier um einen Wirtschaftszweig sui generis mit ganz anderen technischen und volkswirtschaftlichen Voraussetzungen. Deshalb ist es unbedingt notwendig, daß der Fischwirtschaft eine besondere Abteilung im Ministerium zugebilligt wird. Die Leistungen der Fischwirtschaft prägen sich nicht besser aus und lassen sich nicht besser darstellen als in einer kleinen Formel. 181 Fischdampfer leisten, über die Relation des Eiweißprozentsatzes umgerechnet, das, was 1 700 000 landwirtschaftliche Betriebe an Fleisch leisten. 80 000 Menschen hängen direkt oder indirekt von dem Gedeihen der deutschen Fischwirtschaft in unseren Küstengebieten ab. Das sollte uns allein schon genügen, um der Fischwirtschaft innerhalb der Organisation des Ministeriums die gebührende Stellung einzuräumen. Lassen Sie mich zum Schluß noch einer ganz besonderen Sorge Ausdruck geben, die ebenfalls unsere Küstengebiete betrifft. Es handelt sich hier um den Wiederaufbau der deutschen Handelsflotte, um die Freigabe von Seefrachtern bis zu 3000 Tonnen. Es ist schlechterdings nicht zu vertreten, daß wir von unserer Landwirtschaft die höchsten Anstrengungen verlangen, um Devisen zu sparen, und auf der andern Seite zusehen, daß 26 Prozent der Devisen die uns nach dem Marshallplan zustehen, für Seefrachten ausgegeben werden. Die Leistungssteigerung der Landwirtschaft muß hier durch Ersparnisse an Devisen in den Seefrachten ergänzt werden. Außer durch die Förderung der Seefischerei kann durch Aufbau einer Handelsflotte die Wirtschaft der küstennahen Gebiete gerettet werden. Die Werften haben keine Aufträge mehr, und Entlassungen der Arbeiter sind an der Tagesordnung. 60 000 deutsche Seeleute und Werftarbeiter sind arbeitslos. Die Zulieferungsindustrien für den Schiffsbau und für die Reparaturanstalten sind zu nachhaltigen Betriebseinschränkungen gezwungen. Ich glaube noch einmal zusammenfassend der Bundesregierung sagen und mit allem Nachdruck darauf hinweisen zu müssen, daß. wir aus den angegebenen Gründen einer automatischen Fortsetzung der in Frankfurt begonnenen Wirtschaftspolitik nicht unsere Zustimmung geben können. Hier bedarf es einer eingehenden Revision. Meine Damen und Herren, erkennen wir nun, daß wir eine Gesundung, unseres gesamten deutschen Wirtschaftslebens nicht erreichen können, wenn der deutschen Landwirtschaft nicht die ihr gebührende gleichberechtigte Stellung in der deutschen Wirtschaftspolitik eingeräumt wird. ({7})
7
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-27
210
8
1
null
schäfer
11,001,933
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Besold.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Presidium of Parliament
vizepräsident
1949-09-27
211
8
1
null
besold
11,000,166
Meine Damen und Herren! Dieses Parlament müßte es zu seiner vornehmsten Aufgabe machen, Auseinandersetzungen zwischen den Parteien auch in vornehmer Weise durchzuführen. Wenn am letzten Freitag am Ende dieser Debatte von dem Herrn Abgeordneten Götzendorff ein Artikel der „Bayerischen Landeszeitung" zitiert worden ist - das ist sein Recht - mit dem Zusatz, daß die Bayernpartei damit eine neue Art des Rassenhasses pflege, so ist das eine Beleidigung einer Partei, die vom Präsidenten hätte gerügt werden müssen. Wir bedauern dies. Meine Damen und Herren! Auch die Bayernpartei hat sich rückhaltlos dafür erklärt, daß auf Bundesebene das Flüchtlingsministerium errichtet wird, obwohl Flüchtlingsangelegenheiten nach der konkurrierenden Gesetzgebung zunächst noch Sachen der Länder sind. Wir haben es deshalb getan, weil wir die große Not der Flüchtlinge kennen. Wir ({0}) haben uns auch für einen Flüchtlingsausgleich nicht bloß im Interesse der einzelnen Länder, sondern auch im Interesse der Flüchtlinge eingesetzt. Auch andere Länder haben das getan. Wir haben das Flüchtlingsministerium auch deshalb betont, weil wir wissen, daß wir nicht allein in der Lage sind, diese Frage zu lösen, sondern daß hier auch die ausländische Hilfe notwendig ist, die auf der Bundesebene leichter erreicht werden kann. Es ist richtig, gegen eine Art von Flüchtlingen haben wir uns gewandt, die aber keine Flüchtlinge sind. Wir wissen, daß gerade in den letzten Monaten und vielleicht auch vor längerer Zeit - das möchte ich hier betonen - unter diesem Deckmantel und unter Ausnützung der Armut und der Not dieser Flüchtlinge aus dem Osten Leute hereingekommen sind, die nicht vertrieben worden sind, sondern ihr Dasein auf diese Weise zur politischen Wühlarbeit benützen, und dagegen wenden wir uns. ({1}) Lassen Sie mich nun noch einige Worte zur Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers sagen! Der Herr Bundeskanzler hat davon gesprochen, daß der Wahlkampf von der Parole beherrscht war „hie soziale Marktwirtschaft - dort Planwirtschaft". Sicherlich haben die Bundesregierung und der Herr Bundeskanzler einen großen Auftrag der Wähler erkannt, und sicherlich ist die Bundesregierung auch gewillt, auf wirtschaftlichem Gebiet gemäß dem Auftrag ihrer Wähler eine Lösung anzustreben und zu finden. Darüber hinaus ist aber eine weit größere und vielleicht entscheidungsschwerere Frage mit nur wenigen Sätzen in der Regierungserklärung betont worden: es ist die Frage des föderalistischen oder zentralistischen Staatsaufbaus. Wenn der Herr Bundeskanzler erklärt hat, daß der Wiederaufbau unserer Wirtschaft die vornehmste, ja die einzige Grundlage für jede Sozialpolitik und für die Eingliederung der Ausgewiesenen ist, so können wir diesen Standpunkt nicht teilen. Wohl ist die Lösung der wirtschaftlichen und der sozialen Fragen vordringlich, weil sie auch die spürbarsten Aufgaben in sich schließen; aber nicht immer sind die spürbarsten Dinge die entscheidenden. Wenn der Herr Bundeskanzler in seiner 19 Seiten langen Regierungserklärung nur mit zwei Sätzen das Problem „Föderalismus oder Zentralismus" berührt hat, so entspricht dies nicht der Bedeutung dieser Frage. Wenn unsere Generation nicht erkannt hat, daß es das ewig deutsche, ja vielleicht europäische Leid und das Leid der Welt ist, daß der Anfang der Blüte einer Wirtschaft immer wieder durch zentralistische Machtkonzentrationen zerstört worden ist, dann kann es kaum eine andere Generation verstehen. ({2}) - Sie lachen! Sie kennen vielleicht die Geschichte nicht. Auch verstehe ich nicht, warum gerade die Linke lacht. ({3}) Sprechen Sie nicht ein Jahrhundert vom Sozialismus und predigen Sie ihn nicht? Sie haben auch auf dem Gebiet der sozialen Lohnwirtschaft Erfolge erzielt. War es aber nicht so, daß in einer Generation zweimal zentralistische Machtkonzentrationen Ihre Arbeiter die eigenen Mordwerkzeuge haben konstruieren lassen? Und war es nicht so, daß damit nicht nur die Existenz des deutschen Volkes, sondern auch der einzelnen Stände zerstört worden ist? ({4}) Wir sagen, daß es sich hier um eine historische Feststellung handelt, um eine historische Feststellung, an der man in der Geburtsstunde eines neuen Bundes, eines neuen Deutschland nicht vorübergehen kann. Man kann diese Dinge auch nicht nur mit zwei Sätzen streifen, weil es sich um elementare, lebenserhaltende oder lebensverneinende Entscheidungen für einen Bund handelt. Wir wissen doch selbst aus unserer Geschichte folgendes. Das Reich von 1871 war zunächst föderalistisch. Je mehr den einzelnen Ländern ihre Rechte genommen, je mehr die einzelnen Länder auf wirtschaftlichem und auf staatspolitischem Gebiet ausgehöhlt und in ihren Rechten zurückgesetzt worden sind, je mehr sich eine zentralistische Staatsausweitung geltend gemacht hat, um so sicherer sind wir in internationale Konflikte gekommen. Zum erstenmal geschah das 1914. Der Krieg wurde verloren. Es kam eine Revolution. Aber, meine Damen und Herren, das war keine Revolution! ({5}) Das Kernübel, nämlich die zentralistische Ausrichtung, wurde nicht beseitigt. Man hat am Alten wieder neu begonnen. In der Weimarer Verfassung hat man das, was zunächst föderalistisch gedacht war, nunmehr zentralistisch niedergelegt und so die Brücke zum exzentrischsten Zentralismus, nämlich zum Nationalsozialismus, geschlagen. ({6}) Nicht daß es die Parteien zuvörderst gewesen sind, meine Damen und Herren, sondern es ist die staatspolitische Auffassung des 19. und 20. Jahrhunderts, die Europa vernichtet hat. An dieser Feststellung dürfen wir am Beginn eines neuen Deutschland nicht vorübergehen. Wenn man immer wieder hört, daß wir in der Bayernpartei sagen, das sei eine bayerische Sache, dann muß ich sagen: freilich ist es eine bayerische Sache, weil diese föderalistische Auffassung bei uns am meisten verkörpert ist, ({7}) aber es ist nicht nur eine bayerische, sondern es ist eine deutsche, ja eine europäische Angelegenheit. ({8}) Ich glaube, daß sich gerade in dieser Stunde eine Auseinandersetzung über diese Frage lohnen muß, weil auch eine blühende Wirtschaft, die der Herr Bundeskanzler in Aussicht gestellt hat, nur dann auf längere Zeit friedensmäßig gesichert ist, wenn endlich mit diesen Machtkonzentrationen in den zentralistischen Staaten Schluß gemacht wird. ({9}) Wenn auch am nächsten Tag der Abgeordnete Blank noch einmal eine Erklärung in föderalistischer Hinsicht geben wollte und dabei gesagt hat: wir wollen keinen Einheitsstaat, wir wünschen, daß dem Menschen seine persönliche Freiheit erhalten bleibt und er nicht zum Sklaven eines totalitären Staates gemacht wird, so habe ich dazu zu sagen, daß hierin keinerlei Sicherung für eine föderalistische Entwicklung enthalten ist; denn es geht nicht nur darum - selbstverständlich geht es auch darum -, ({10}) daß den Menschen ihre persönliche Freiheit gesichert ist, sondern daß auch den einzelnen Ländern ({11}) die Freiheit gesichert wird und daß wir nicht Sklaven nur eines totalitären, sondern eines zentralistisch ausgerichteten Staates werden. ({12}) Meine Damen und Herren, es kommt mir fast so vor, als ob Sie über Ihr Unglück selbst lachen würden, ({13}) als ob Sie mit verschlossenen Augen an der Vergangenheit und an dem letzten Jahrhundert vorübergeben würden und als ob Sie aus Bosheit nicht erkennen möchten, wo der richtige Weg ist. ({14}) Wir wissen, daß in diesem Hause wenig Verständnis für eine föderalistische Staatsrichtung ist. ({15}) Wir wissen es, und wenn auch hier wenig Abgeordnete sind, die sich dazu bekennen, so vergessen Sie nicht, daß sich ein großes Land dazu bekennt, und zwar deshalb, weil seine ganze jahrhundertlange Entwicklung darauf hinzielt. ({16}) Man soll nicht über etwas lachen, was man in der Geschichte vielleicht nicht selbst erlebt hat! ({17}) Glauben Sie es: das ist eine Staatsauffassung, die in diesem Lande auf Grund seiner Fähigkeiten, auf Grund seiner Geschichte verankert und verwurzelt ist. Das bayerische Volk ist zum größten Teil ein kulturschöpferisch ausgerichtetes Volk, und das hat es in seiner Kulturgeschichte gezeigt. Ein Volk, das kulturschöpferisch ausgerichtet ist, braucht auch im staatspolitischen Aufbau seine Freiheit und seine Rechte, und darum - nicht aus Eigenbrötelei, meine Damen und Herren -- hat das bayerische Volk auch in früheren Verfassungen schon immer Vorrechte gehabt. ({18}) Ich sage Ihnen, Sie werden an dem bayerischen Volk und Land den treuesten Partner in einem neuen Deutschland haben, ({19}) wenn Sie diese kulturpolitische Bedingtheit und diese staatspolitisch ausgerichtete Sinnesart im Aufbau des neuen Deutschland berücksichtigen. ({20}) Wenn der Herr Bundeskanzler in dieser Stunde der Entstehung eines neuen Deutschland das Primat der Wirtschaft wieder in den Vordergrund gerückt hat, so mit Recht. Aber daß er neben der sozialen Einstellung der Regierung nichts von dieser ideellen Ausrichtung gesagt hat, das hat uns ebenso verwundert. Wir wissen es, und Sie alle wissen es, daß der beste Staatsmann und das beste Wirtschaftsprogramm nicht zu einer glücklichen Zukunft führen kann, wenn nicht zugleich auch eine geistige und sittliche Erneuerung des Volkes angestrebt wird. Und gerade von dieser Regierung hätten wir diesbezüglich eine Erklärung erwartet. In diesem Hause ist schon von verschiedenen Rednern der Mißbrauch des Rechts betont worden. ({21}) Das ist kein Eingriff in die Rechte der Länder, wenn zum Neubeginn eines neuen Deutschland auch eine geistige Ausrichtung gegeben wird! ({22}) Wir erwarten sie ja von der Regierung, aber wir wissen auch, daß das Fehlen verschiedener Grundsätze in der vergangenen und auch in der allerjüngsten Zeit alle Versprechungen, die bisher gemacht worden sind, immer wieder zu Tode geritten hat. ({23}) Die Wahrheit ist nicht nur aus dem gesellschaftlichen, sie ist auch aus dem politischen Leben verschwunden. Erinnern wir uns zurück: Hat man nicht gerade in der jüngsten Zeit, in den letzten zehn, zwanzig Jahren von Sozialität und Sozialismus gesprochen, und ist in Wirklichkeit nicht in Ausrichtung der zentralistischen Staaten der Stacheldraht geschaffen worden? Aber auch nach 1945, als uns versprochen worden ist, daß die Demokratie geboren wird! Hat man nicht von Volksgemeinschaft gesprochen? Und in Wirklichkeit hat man Haß, Neid, Zwietracht und Denunziation hochgezüchtet. Und dieses süße Mittel der Denunziation ist auch bei der Rechtsgestaltung nach 1945 sogar gefördert worden, und man hat wieder davon Gebrauch gemacht. Man hatte uns versprochen, daß eine neue Demokratie gegründet wird. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen -- das wissen Sie ja -, daß die Demokratie aus dem wirklichen Willen des Volkes heraus geboren wird. Hat man nicht im gleichen Atemzug in diesem Grundgesetz, in dieser neuen Demokratie verankert, daß dieses Grundgesetz nicht der freien Entscheidung des Volkes entspringt? Ich sage: die Wahrheit muß auch im politischen Leben zurückkehren; denn sonst kommt kein Vertrauen zustande. Wo die Wahrheit nicht ist, gibt es auch keine Gerechtigkeit. Man hat den Mißbrauch des Rechts in der nationalsozialistischen Zeit angeprangert. Haben wir nicht nach 1945 zu gleicher Stunde erlebt, daß wieder Mißbrauch mit dem Recht getrieben worden ist in der Lenkung des Rechts im politischen Sinne? Ich spreche nicht für .und nicht gegen die Nazis, ({24}) ich spreche allein vom Standpunkt des Rechts aus und möchte dabei herauskehren, daß auch unter der Führung der Demokratie das Recht mißbraucht werden kann, wenn nicht sittliche Grundsätze in den Vordergrund gestellt werden. Denn wo die Wahrheit nicht ist, finden Sie auch nicht die Gerechtigkeit und die Liebe, die Menschenachtung und die Menschenwürde. Daß dieses Jahrhundert sich an der Menschenachtung und -würde versündigt hat, dafür haben Sie erst in den letzten Tagen noch ein Zeugnis erhalten, als ein Mann aus den östlichen Gebieten hier aufgetreten ist. Die Menschenachtung und die Menschenwürde müssen oberstes Gesetz sein. Man sage nicht, daß die Verletzung des Menschenrechtes, der Menschenachtung und der Menschenwürde eine deutsche Angelegenheit ist! Sie ist eine Angelegenheit der zentralistischen Staatsausrichtung, die immer zum Mißbrauch des Rechts geführt hat, ({25}) zum Mißbrauch des Rechts im exzentrischsten Zentralismus des Nationalsozialismus, zum Mißbrauch des Rechts in diesen totalitären Staatsgebilden, wie wir sie drüben im Osten sehen. Aber ob es sich um Vergasung oder Hungerlager handelt, man hat diese Erscheinungsformen in der Geschichte immer und immer wieder in zentra({26}) listischen Machtzusammenballungen und ihrem Mißbrauch gefunden. ({27}) Deshalb - und nicht aus rein bayerischen Interessen - bekennen wir uns zu einer konsequenten föderalistischen Staatsauffassung. Wir hätten in der Regierungserklärung gerne gehört, inwieweit die Bundesregierung gesonnen ist - anscheinend will sie von der konkurrierenden Gesetzgebung des Artikels 74 sehr weitgehenden Gebrauch machen -, in strengster föderalistischer Auffassung oder zum Zentralismus hinneigend die Voraussetzungen des Artikels 72 zu prüfen. Meine Damen und Herren, mögen Sie darüber lachen, ({28}) daß sich dieses Haus mit diesen Fragen auseinandersetzt. Die Vergangenheit hätte Sie zu ernsteren Mienen veranlassen müssen. ({29}) Ich möchte Ihnen zum Schluß meiner Ausführungen nur zurufen: Meine Damen und Herren, deutsche Männer und deutsche Frauen, rettet Deutschland und Europa durch eine echte und wahre föderalistische Staaten- und Völkergemeinschaft! ({30})
2
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-27
212
8
1
null
köhler
11,001,150
Meine Damen und Herren! Ich habe Ihnen zunächst eine Mitteilung zur Geschäftslage zu machen. Es war ursprünglich vorgesehen, daß jetzt ein Abgeordneter der KPD und anschließend ein Abgeordneter der WAV sprechen sollte. Die von den genannten Parteien für diesen Zweck bestimmten Herren sind, wie mir die Vorsitzenden der beiden Fraktionen eingangs der Sitzung mitgeteilt haben, vorübergehend erkrankt und nicht in der Lage, heute nachmittag zu sprechen. Ein Ersatz dafür war nicht ohne weiteres ausfindig zu machen. Ich habe dann den Versuch gemacht, einen Austausch mit den beiden kleinen Fraktionen herbeizuführen, die für morgen vorgesehen waren. Aber auch da hat sich keine Austauschmöglichkeit ergeben. Ich spreche wohl in Ihrer aller Sinn, daß wir den Versuch machen sollten, die Debatte heute noch etwas fortzusetzen, damit sie morgen nicht zu lange dauert. Ich möchte deshalb vorschlagen, damit einverstanden zu sein, daß ich die Sitzung für etwa 20 Minuten unterbreche und wir im Ältestenrat einen Ausweg zu finden suchen. - Ich nehme das Einverständnis des Hauses mit dieser Regelung an. ({0}) - Ich höre eben, der Herr Vertreter der Gruppe der Nationalen Rechten würde jetzt sprechen. Trotzdem würde ich gerne noch eine Dame oder einen Herrn einer zweiten Fraktion sprechen lassen und daher bei meinem Vorschlag bleiben, die Sitzung für 20 Minuten zu unterbrechen, um den heutigen Tag noch ausnutzen zu können. Ich unterbreche jetzt die Sitzung und lasse Sie nach etwa 20 Minuten wieder zusammenrufen. Ich bitte die Mitglieder des Ältestenrats in den Roten Salon. ({1}) Die Sitzung wird um 17 Uhr 51 Minuten wieder aufgenommen.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-27
242
9
1
null
köhler
11,001,150
Meine Damen und Herren, die Rednerliste ist erschöpft. Zum Wort hat sich noch einmal der Herr Bundeskanzler gemeldet. Ich erteile dem Herrn Bundeskanzler das Wort.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01009.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-28
873
18
1
null
Menzel
11,001,476
Meine Damen und Herren! Die Begründung, die der Herr Innenminister des Bundes diesem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf gegeben hat, ist in doppelter Weise sehr interessant. Einmal ist interessant, mit welcher Ängstlichkeit der Herr Innenminister des Bundes an den politischen Fragen, die ein solches Beamtengesetz beinhaltet, vorbeigegangen ist, ({0}) und ferner ist die Begründung interessant, die er gegeben hat, um uns die Eilbedürftigkeit klarzumachen, weshalb der Bund schon jetzt ein Beamtengesetz braucht. Die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers enthielt eine solche Fülle von Zusagen auf dem sozialen Gebiet, sie hat uns die wirtschaftlichen und sozialen Nöte des Volkes so geschildert, daß wir Sozialdemokraten angenommen hatten, die Bundesregierung würde es als ihre vordringlichste Aufgabe ansehen, uns als eines der ersten Gesetze ein Gesetz über den Wohnungsbau oder über die Hebung der sozialen und wirtschaftlichen Lage der verarmten Massen vorzulegen oder zum mindesten einmal die Kraft und den Mut finden, eine Verordnung nach Artikel 119 des Grundgesetzes zu erlassen, um die gerechte Verteilung der Vertriebenen durchzuführen. ({1}) Aber nach zwei Monaten Regierungszeit stehen wir jetzt vor der Tatsache, daß dieser kreißende Berg nur ein armseliges Mäuslein geboren hat, daß trotz all der wirtschaftlichen Nöte und trotz der noch steigenden Not draußen nichts anderes herausgekommen ist als ein zum mindesten doch recht dürftiges vorläufiges Beamtengesetz. ({2}) Meine Damen und Herren! Etwas voreilig, politisch nicht sehr glücklich und juristisch falsch beraten hatte die Bundesregierung schon vor einigen Wochen erklärt, daß das Gesetz Nr. 15 allein schon durch die Tatsache außer Kraft gesetzt sei, daß sich die Bundesregierung entschlossen habe, ein neues Gesetz vorzulegen. Auch bis zur Bundesregierung sollte es sich herumgesprochen haben, daß durch einen Kabinettsbeschluß, ein neues Gesetz vorzulegen, nicht ein bereits bestehendes außer Kraft gesetzt wird. ({3}) Aber im Laufe der Verhandlungen innerhalb der Bundesregierung, im Bundesrat und mit den Hohen Kommissaren war es die Bundesregierung selbst, die durch ihren amtlichen Sprecher mitteilen ließ, daß auch nach ihrer Auffassung dieses von ihr heute wieder plötzlich als ungültig hingestellte Gesetz doch Gültigkeit auch für den Bund, auch für die französische Zone und für die Bundesbeamten habe. Das kann nach dem Besatzungsstatut, nach dem Gesetz Nr. 25, nach den Artikeln 123 und 124 des Grundgesetzes auch gar nicht anders sein, sofern man gewillt ist, die Verfassung zu achten. Man mag über das Gesetz Nr. 15 denken, wie man will. Auch wir sind durchaus der Auffassung, daß es erheblicher Abänderungen bedarf, daß es allein nicht die geeignete Grundlage sein kann, um einen neuen Beamtentyp in Deutschland zu schaffen. Aber das ist noch längst kein genügender Grund dafür, um die Beamten und Angestellten wieder in die Zwangsjacke des Hitlergesetzes vom Jahre 1937 zu stecken. Meine Damen und Herren! Es ist ja nicht nur so, daß die Hohen Kommissare die Ausdehnung des Gesetzes Nr. 15 auf die Beamten des Bundes ausdrücklich verfügt haben, sondern es heißt in der Anordnung der Hohen Kommissare vom 12. September 1949 - ich darf mit Erlaubnis des Präsidenten den entscheidenden Satz verlesen -, „daß die Hohen Kommissare ferner beschlossen, daß das Militärregierungsgesetz Nr. 15 betreffend die Funktionen und Organisationen der bizonalen Beamten auf die Bundesbeamten anzuwenden sei"; ({4}) und die Bundesregierung hat durch ihren offiziellen Pressedienst dann am 17. Oktober ausdrücklich erklärt, die Militärgouverneure hätten als ({5}) eine ihrer letzten Amtshandlungen das für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet erlassene Beamtengesetz Nr. 15 auf die Bundesbeamten ausgedehnt. Es ist nicht so, wie der Innenminister des Bundes erklärt, daß es sich nur um eine einfache Mitteilung der Besatzungsmacht gehandelt habe, sondern es handelt sich hier um eine amtliche Verlautbarung der Hohen Kommissare. Schließlich hat die Bundesregierung, um gar keinen Zweifel über die Rechtslage aufkommen zu lassen, über den Rundfunk am 28. Oktober verbreiten lassen, die Bundesregierung sei auf Grund einer Intervention der Hohen Kommissare übereingekommen, das alliierte Beamtengesetz so lange in Kraft zu lassen, bis das neue deutsche Gesetz vom Bundestag angenommen und von den Alliierten gebilligt worden sei. Also eine durchaus richtige Würdigung der klaren Rechtslage. Und nun sagt der Herr Innenminister, daß ohne dieses vorläufige Gesetz die Bundesregierung nicht arbeitsfähig werden könnte. Das ist uns nicht verständlich. Die Bundesregierung findet auf Grund der in Frankfurt am Main beschlossenen Gesetze eine fertige Verwaltungsapparatur vor, um eine tatkräftige Beamtenpolitik machen und an eine Besetzung der Beamtenstellen gehen zu können. Aber das, was der Herr Innenminister und der Kollege Strauss hier zum Personalamt ausgeführt haben, beweist ja, warum er nicht an diese Dinge heran will. W i r halten es für notwendig, daß durch ein solches Personalamt die Garantie dafür geschaffen wird, daß die Besetzung der wichtigsten Stellen gerade bei einer Regierung, die sich doch nur auf eine sehr bescheidene Mehrheit in diesem Parlament stützen kann, nicht nur nach einseitigen parteipolitischen Gesichtspunkten oder auf Grund sonstiger Beziehungen erfolgt. ({6}) - Ich glaube schon, daß Ihnen das recht unbequem ist. ({7}) Das vorhandene Amt könnte sofort arbeiten. Es war nicht uninteressant, daß der Herr Innenminister des Bundes neben den Argumenten gegen das Personalamt zum Schluß bemerkte, daß auch sonstige Gründe dagegen sprächen. Nun, meine Damen und Herren, warum so verschämt mit der Angabe dieser Gründe? Ich glaube, daß sich dahinter die Angst versteckt, daß der jetzige Leiter des Personalamts ein Mann ist, der nicht das Mitgliedsbuch einer der Regierungsparteien in der Tasche hat. ({8}) - Ich würde Ihnen empfehlen, den Herrn Bundesminister zu fragen, warum er diesen Mann nicht beschäftigen will. Dann wird er wahrscheinlich das Mitgliedsbuch nennen. ({9}) - Sicher, das weiß ich. Meine Damen und Herren ! Wie es nicht anders zu erwarten war, hat dieser Gesetzentwurf einen sehr schlechten Start gehabt, und zwar zunächst einmal im Bundesrat. Die Bedenken des Bundesrats sind Ihnen in der Drucksache mitgeteilt worden. Aber Sie wissen auch, wie stark die Bedenken und die Kämpfe im Bundesrat waren. Der Bundesrat hatte es sogar für erforderlich gehalten, wegen dieser Gesetzesvorlage eine geheime Sitzung abzuhalten, um erst einmal die gegenüberstehenden Meinungen zu klären und sich dann in der öffentlichen Sitzung jeder sachlichen Diskussion über diese wichtige Frage zu enthalten und einfach die Länder abstimmen zu lassen. Dabei passierte es, daß die Stimmen eines Landes anders abgegeben wurden, als der Kabinettsbeschluß gelautet hatte. ({10}) Aber das Gesetz hat nicht nur beim Bundesrat einiges Kopfschütteln erregt, es hat vor allem - und das scheint uns wichtig und müßte auch dem Parlament wichtig erscheinen - bei den gesamten Beamtengewerkschaften einen erheblichen Protest ausgelöst. Das war nicht nur die Gewerkschaft der öffentlichen Dienste in Stuttgart. Dem Protest dieser Gewerkschaft haben sich später die großen Gewerkschaftsverbände der Eisenbahn, der Post, die Gewerkschaften für Erziehung und Wissenschaft, für Land- und Forstwirtschaft angeschlossen. Auch der Städtetag hat sich in einer Entschließung seines Beamtenausschusses sehr energisch gegen dieses Gesetz gewehrt, und da werden Sie wirklich nicht sagen können, daß es sich um ein sozialdemokratisches Komitee handle. Ein wie gutes politisches Fingerspitzengefühl die Gewerkschaften hinsichtlich der Bedenken gegen diese Vorlage gehabt haben, geht aus einer Kundgebung hervor, die, soviel ich weiß, auch den übrigen Mitgliedern dieses Hohen Hauses zugegangen ist, worin es unter anderem heißt: Die beabsichtigte Wiederinkraftsetzung des Deutschen Beamtengesetzes ist kein mutiger Schritt vorwärts; es ist eine Konzession an den Einfluß solcher Kräfte, die aus Bequemlichkeit oder Energielosigkeit den Weg aus der Vergangenheit nicht in die Gegenwart, noch weniger aber in die Zukunft zu finden vermögen. ({11}) Dieser Begründung kann man sich durchaus anschließen, besonders dann, wenn man einen kurzen Blick auf die politische Entwicklung des Beamtenbegriffs in Deutschland und vornehmlich in Preußen zurückwirft. Das preußisch-deutsche Beamtentum ist im wesentlichen aus zwei Wurzeln gewachsen, einmal aus dem dynastischen Prinzip verbunden mit dem Anspruch auf unbedingten Gehorsam des Staatsdieners, ohne jede Verbindung zum Volke, und zwar einem unbedingten Gehorsam des Staatsdieners gegenüber dem Monarchen. Weil die Monarchien in Deutschland mit dem Aufbau des Militarismus verbunden waren, mußten die Landesherren eine zuverlässige Versorgung ihrer im Wehrdienst tätigen Männer schaffen. Das Prinzip der Militärversorgungsscheine wurde daher bei uns in Deutschland, im Gegensatz zu anderen Ländern, leider die eigentliche Grundlage unseres Beamtentums. ({12}) Damit entstand die sehr unglückselige Einteilung in untere, mittlere und höhere Beamte, und zugleich entstand damit der Kastengeist der Beamten, unter dem das deutsche Volk seit je so sehr gelitten hat. Die Grundlagen des militaristischen Staates sind vernichtet, und mit dem Wegfall dieser Grundlage muß auch jener alte Beamtentyp wegfallen. Verkennen Sie auch das eine nicht: in dem gleichen Maße, in dem die Wandlung des alten Obrigkeitsstaates über den Rechtsstaat zum modernen sozialen und Wirtschaftsstaat vor sich ging, entstand ({13}) die von vielen nicht erkannte Notwendigkeit, einen neuen Beamtentyp in diese Entwicklung einzubauen. Der Staat konnte im vorigen und zu Anfang dieses Jahrhunderts mit diesem Tempo der modernen Entwicklung nicht Schritt halten. Er kam dadurch in eine Isolierung gegenüber den Grundelementen der Bevölkerung, und es war gar kein Wunder, daß unter dieser Isolierung des Staates, unter dieser leider vorhandenen Trennung von Staat und Staatsbürger auch das Ansehen des Beamten leiden mußte. Das änderte sich auch 1918 nach dem Wegfall der Monarchie nicht. Wir haben es alle selbst bitter empfunden und erleben müssen, daß das damalige Beamtentum den neuen Weg nicht sah und in der Weimarer Verfassung zum großen Teil nicht zum Schrittmacher der Demokratie, sondern zum Hemmschuh der Weimarer Republik wurde. In dem gleichen Maße, in dem ein großer Teil der leitenden Beamten nach 1918 an den Ideen der Monarchie und des Absolutismus festhielten, waren sie dann 1933 bereit, zur NSDAP überzugehen. Aus dieser Entwicklung können wir die Bedeutung des Beamtengesetzes erkennen, und an dieser Bedeutung geht der Entwurf völlig vorbei. Er ist in seinem materiellen Inhalt unmöglich, und wir sind auch der Meinung, daß die Formulierungen dieses Entwurfs zum Teil recht oberflächlich sind. Zunächst haben wir Bedenken, der in § 6 des Entwurfs geforderten Ermächtigung an die Bundesregierung zuzustimmen. Die Bundesregierung glaubt, es sei möglich, ein so wichtiges Gesetz wie das Beamtengesetz von 1937 dadurch modernisieren zu können, daß man an den meisten Stellen das Wort „Nationalsozialismus" einfach mit dem Worte „Demokratie" auswechselt. Gegen eine solche „Entnazifizierung" von Gesetzen ({14}) wehren wir uns! Wir haben schon genug gehabt an der Entnazifizierung der einzelnen früheren Beamten. Wenn wir auch bei den Gesetzen jetzt anfangen, Kategorien zu schaffen, dann würde dieses Gesetz nach unserer Auffassung in die Kategorie I, nämlich der Hauptschuldigen gehören; ({15}) denn es war die Grundlage für den Anspruch auf unbedingten und blinden Gehorsam der Staatsdiener gegenüber Adolf Hitler. Mein Herr Vorredner hat sehr richtig darauf hingewiesen, daß in dieser Grundlage des blinden Gehorsams mit ein übler Kern des Dritten Reiches gelegen hat. Wenn aber die Bundesregierung glaubt, dieses Gesetz, wie sie es hier tut, in die Kategorie V bringen zu können, und meint, daß man bloß einige Worte zu streichen brauche, dann fürchten wir, daß es nächstens noch unter eine Amnestie fällt und daß es dann vielleicht noch in seinem alten Wortlaut angewendet wird. ({16}) Wir sind auch der Meinung, daß es nicht möglich ist, so wichtige Gesetze nur dadurch zu entnazifizieren, daß man einfach einige Hauptwörter ändert. ({17}) Denn das, was der Nationalsozialismus im Beamtentum sah, und das, was wir in ihm sehen sollten, sind zwei so verschiedene Elemente wie Feuer und Wasser, und diesen Gegensatz kann man nicht durch die formale Änderung einiger Paragraphen aus der Welt schaffen. ({18}) Wir laufen auch Gefahr, daß wir unsere Beamten in dem neuen . Staat in die recht gefährliche Nähe einer beamtenpolitischen Gedankenwelt bringen, aus der sie durch eine glimpfliche Entnazifizierung gerade entronnen sind. Nun, meine Damen und Herren, was ist denn bei dieser Eile, von der die Bundesregierung spricht, herausgekommen? Die Bundesregierung soll nach § 6 die Ermächtigung erhalten, das alte Reichsbeamtengesetz von 1937 zu überholen. Sie hat diesen Versuch bereits unternommen und hat einen Entwurf ausgearbeitet, der zeigt, wie sie sich dieses Ergebnis denkt. Und wie sieht es aus? Wenn Sie sich diese Vorlage näher ansehen, werden Sie unsere Bedenken gegen eine Ermächtigung für die Regierung teilen. Es heißt zwar in § 2 des Gesetzentwurfes, daß in Durchführung des Grundgesetzes Frauen und die Angehörigen aller Rassen und Berufe gleichgestellt sind. Aber in jener ersten Überarbeitung durch die Bundesregierung finden Sie die fröhliche Wiedergeburt der §§ 28 und 63 des Reichsbeamtengesetzes von 1937, die da besagen, daß Frauen erst mit 35, Männer aber schon mit 27 Jahren Beamte werden dürfen, und Sie finden auch jene Bestimmung wieder, daß die Frauen-Beamten entlassen werden müssen, wenn ihre Versorgung anderweitig sichergestellt ist. Nun, daß das dem Grundgesetz ganz offenbar widerspricht, wird ja auch dem Herrn Bundesinnenminister klar sein. Aber warum will man es erst auf eine Entscheidung des Verfassungsgerichts ankommen lassen, um sich bescheinigen zu lassen, daß diese Bestimmungen des Gesetzes verfassungswidrig sind? Aber es gibt in der überarbeiteten Vorlage noch einige andere Bestimmungen, die sehr interessant sind. Sie finden da wieder die Vorschrift, daß der Herr Bundespräsident - der Paragraph ist also überarbeitet worden, und nun heißt es statt „Führer und Reichskanzler" lediglich „Bundespräsident" - ermächtigt sei, nicht nur die Beamten des Bundes, sondern auch die Regierungspräsidenten, Oberbürgermeister, Landräte und Polizeipräsidenten jederzeit in den Wartestand zu versetzen. ({19}) Ferner findet sich da die Bestimmung, daß dieses Gesetz auch auf die Polizeibeamten der Länder Anwendung zu finden habe. ({20}) Nun weiß ich, daß der Herr Bundesinnenminister erklären wird, das seien einige Flüchtigkeiten. Aber, meine Damen und Herren, ist es wirklich verantwortlich gehandelt, die doch in diesem Hohen Hause immer so stark betonten föderalistischen Interessen ({21}) zu übersehen und sich mit Flüchtigkeiten zu entschuldigen? Wenn man schon einen Paragraphen ändert - und die Paragraphen, die ich zitiert habe, sind geändert worden -, dann wäre es doch viel leichter gewesen, denselben Bleistift zu benutzen, um den ganzen Paragraphen ({22}) zu streichen, nicht aber, ihn in einer neuen Fassung wieder erstehen zu lassen. Meine Damen und Herren! Wir alle wissen auch, daß 1937 an eine gewerkschaftliche Betätigung der Beamten deshalb nicht gedacht werden konnte, weil sie unzulässig war. Hätte es da für die Bundesregierung nicht nahegelegen, in dieses Gesetz etwas über das Recht zur gewerkschaftlichen Betätigung aufzunehmen? Natürlich werden Sie sagen, dieses Recht sei im Grundgesetz garantiert, und das Kontrollratsgesetz Nr. 22 gewähre dem Beamten jenes Recht. Aber nach der jahrelangen Unterdrückung jeder gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit der Beamten wäre es doch notwendig gewesen, als ein politisches Programm dieser Bundesregierung zu erkennen zu geben, daß sie für die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit der Beamten sei. Aber vielleicht hängt das mit der Tatsache zusammen, daß der Herr Bundeskanzler in seiner damaligen Regierungserklärung die Gewerkschaften leider überhaupt nicht erwähnt hat. ({23}) Dabei hätte es doch nahegelegen, sich schon vorher, ehe man dieses Gesetz weiterleitete, mit den Gewerkschaften zu beraten. Man komme uns nicht damit, es sei keine Zeit gewesen. Das Gesetz ist, ich glaube, drei oder vier Wochen im Kabinett beraten worden. Da hätte sich weiß Gott ein Vor- oder Nachmittag finden lassen, um diese Fragen mit den Gewerkschaften zu beraten. Die Gewerkschaften hätten dann mit Recht darauf hinweisen können, welchen gefährlichen Weg wir wieder gehen, wenn wir die alte Klassifizierung des Gesetzes von 1937 erneut einführen. Der Herr Bundesinnenminister hat hier bei der Unterscheidung zwischen Beamten und Angestellten auch wieder auf die alte Formel hingewiesen - und er entleiht sie dem Gesetz von 1937 -, daß Beamter nur sein solle, wer Hoheitsfunktionen erfülle. Nun, meine Damen und Herren, wer die Praxis des Beamtenrechts und wer die Verwaltung kennt, weiß, daß es bei der Vielseitigkeit der heutigen Verwaltungsmaschinerie und bei der Fülle der Aufgaben, die der öffentlichen Verwaltung heute obliegen, gar nicht möglich ist, zwischen reinen Hoheitsaufgaben und Nichthoheitsaufgaben so exakt zu scheiden. Daher hat sich keine der Verwaltungen - sei es vor 1914, sei es vor 1933, sei es auf Grund des Gesetzes von 1937 - an diese Unterscheidung gehalten, weil man sich einfach nicht daran halten konnte. Wir fürchten auch, daß eine solche Unterscheidung sich unsozial auswirken und dazu führen muß, daß nur eine kleine Anzahl der höheren Beamten in den Genuß beamtenrechtlicher Vorteile kommen wird, die Masse der unteren und mittleren Beamten aber nicht. ({24}) Wir sind daher der Auffassung, daß es ' auch im Interesse des Staates nur darauf ankommt, ob eine Tätigkeit, die jemandem übertragen wird, von Dauer ist, und daß derjenige, der diese Stelle ausfüllt, unter den gleichen sozialen und unter den gleichen rechtlichen Bedingungen arbeiten soll wie sein Kollege. Wir würden in dieser Einheit von Beamten und Angestellten - wobei ich hier unter Beamten zunächst noch den alten Typ verstehe einen entscheidenden Fortschritt für die Entwicklung unseres künftigen Beamtenrechts sehen. Wir sind darüber hinaus - gerade wenn wir diese Einheit bejahen - der Auffassung, daß die Einstellung und die Beförderung innerhalb des Staatsdienstes nicht auf einem Laufbahnanspruch, auf einem Karrierenanspruch basieren sollte. Wir sind der Meinung, daß es hier entscheidend auf die fachliche und sachliche Leistung sowie die charakterliche Haltung des Betreffenden ankommen sollte. Uns macht daher jene Vorschrift des Gesetzentwurfes sehr stutzig, in der es heißt, es können „auch" diejenigen, die nicht die Laufbahn des Beamten durchgemacht haben, eingestellt werden. Dieses „auch" ist sehr verdächtig. Es klingt wie eine Art Gnadenbrot. Dabei wissen wir genau, meine Damen und Herren, daß gerade jene Männer und Frauen, die nicht durch die „Ochsentour" gegangen sind, sondern sich draußen im wirtschaftlichen, im politischen, im gewerkschaftlichen ' Leben bewährt haben, meistens die besten Vertreter der Interessen des Staates geworden sind. ({25}) Wir sollten daher verlangen, daß sie „bevorzugt", nicht „auch" einzustellen sind. Damit hängt natürlich, wenn wir den Karriereanspruch künftig verneinen, auch die Notwendigkeit zusammen, alle Stellen im Staate auszuschreiben. ({26}) Es ist nicht richtig, den Nachwuchs nur aus dem engeren Kreise zu nehmen, den der jeweilige Dienstherr gerade kennt. Nach den auf Grund einer Ausschreibung eingehenden Bewerbungen hat der Dienstherr die Möglichkeit, den Richtigen auszuwählen. In diesem Zusammenhange freue ich mich, daß auch mein Herr Vorredner sich grundsätzlich für den sogenannten Trottel-Paragraphen einsetzt. Wir sind aber der Meinung, daß es, um der ganzen beamtenpolitischen Entwicklung eine bestimmte Richtung zu geben, erforderlich wäre, diese Vorschrift schon jetzt aufzunehmen. Es ist mir aufgefallen, daß der Herr Bundesminister einen wesentlichen Teil der amtlichen und uns gedruckt vorliegenden Begründung heute nicht erwähnt hat, und zwar jenen Teil der Begründung, aus dem sich ergibt, wozu die Bundesregierung ermächtigt werden soll. Das ist völlig offen gelassen worden. Dazu gehört z. B., meine Damen und Herren, daß mit der Annahme dieses Gesetzes nicht nur alle besoldungs- und versorgungsrechtlichen Bestimmungen, alle Durchführungserlasse usw. des Dritten Reiches in Kraft treten sollen, sondern daß auch das bei den Beamten so berüchtigte Dienststrafgesetz Adolf Hitlers von 1938 in Kraft treten soll. ({27}) Die schriftliche Begründung läßt das an einer Stelle nur sehr verschämt erkennen. Aber was steckt denn dahinter, meine Damen und Herren? Während wir in Preußen schon vor 1933 ein verhältnismäßig modernes Beamtendienststrafrecht hatten, wurde die Rechtslage durch das Gesetz von 1937 hinter die des Jahres 1851 zurückgeworfen. Damals, das heißt 1937, wurden nicht nur jene den Beamten so ungünstigen Bestimmungen geschaffen, wonach zu einem Schuldspruch eine einfache Mehrheit des Richterkollegiums genüge. Damals wurden auch die Verjährungsvorschriften gestrichen, und das gesamte Dienststrafverfahren wurde zu einem Geheimverfahren hinter verschlossenen Türen gemacht; kein Beamter hatte die Möglichkeit, seine ({28}) Rechte in aller Öffentlichkeit zu verteidigen. Die Rechtlosigkeit, unter die die Beamten damals gestellt wurden, ging sogar so weit, daß ihnen eine Verteidigung erst im Hauptverfahren zustand und kein Verteidiger das Recht hatte, in dem einleitenden Verfahren die Rechte des Beamten wahrzunehmen. Diese Verletzung der primitivsten Rechte eines jeden Angeschuldigten will die Bundesregierung heute wieder dulden. Ich bin der Meinung, daß das eine sehr erhebliche, eine sehr schwerwiegende Verletzung der Fürsorgepflicht des Staates gegen- über den Beamten ist. Wenn hier immer wieder von der Treuepflicht des Beamten gegenüber dem Staat, die auch wir anerkennen, gesprochen wird, so steht dieser Treuepflicht gegenüber auch eine Fürsorgepflicht des Staates. Diese Fürsorgepflicht wird aufs gröblichste verletzt, wenn Sie dieses Geheimverfahren, diese Rechtlosstellung der Beamten im Hitlerschen Dienststrafgesetz wieder einführen wollen. So macht diese Vorlage den Versuch der Wiederherstellung zumindest der rechtlichen Grundlagen eines sehr rückständigen Beamten- und Dienststrafrechtes, das den Geist der Mitte des vorigen Jahrhunderts, das heißt den Geist der preußischen Reaktion atmet. Welche Gefahren hier vorliegen, ergibt sich wohl aus der befremdenden, aber auch geradezu beängstigenden Tatsache des Wiedererwachens der Korporationen an den einzelnen Universitäten. ({29}) - Herr Abgeordneter Dr. Müller, ich werde Ihnen gleich einige Zeilen vorlesen, und wenn Sie dann noch lachen, ist Ihnen allerdings nicht zu helfen. ({30}) In der Göttinger Universitätszeitung vom Oktober dieses Jahres finden Sie einen Artikel, der von einem Herrn Grüninger, Oberregierungsrat, zur Zeit a. D., unterschrieben ist. Er trägt die Überschrift: „Die Korporationsdebatte". Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten möchte ich einige Zeilen daraus verlesen: Mir war es etwa für die Wahl der Mitarbeiter in meinem Wirkungskreis sehr wesentlich, in meinen Bundesbrüdern Persönlichkeiten zu wissen, denen ich mich in Idealen und Zielen verbunden fühle und denen ich deswegen bedenkenlos auch verantwortungsvolle Auf gaben übertragen konnte. Wieviel befriedigender ist doch die Auslese nach einem solchen Persönlichkeitsprinzip gegenüber der schematischen Anwendung fachlicher Prüfungsergebnisse und -zeugnisse. ({31}) Auch mir war in der Zeit meiner eigenen beruflichen Entwicklung die Förderung durch wohlwollende ältere Bundesbrüder eine wertvolle Stütze. ({32}) - Das hat wohl mit dem Beamtengesetz etwas zu tun, weil wir den Geist, der hier aus diesen Zeilen spricht, nicht wieder haben wollen. Wir wollen nicht, daß er in unserer-Beamtenpolitik und Gesetzgebung wieder eine Heimstätte findet. Es heißt dann weiter wie folgt: Der zweite Grundzug, die Erziehung zur unbedingten Ehrenhaftigkeit in allen Lebenslagen, ist ein anderer Ausdruck für den Anspruch des Akademikers als Elitepersönlichkeit. Es ist nun ein gesellschaftliches und berechtigtes Phänomen, daß solche Führerschichten bestrebt sind, durch die Wahl besonderer Moral- und Ehrenkodizes, besonderer Umgangsformen und auch Abzeichen sich von der übrigen Volksmasse abzugrenzen. ({33}) Die Kneipe, der Komment, das Fechten usw. sind unwesentlich, aber - wie die Liturgie der katholischen Kirche --- eine historisch gewordene Form, an deren Wert wir nicht zweifeln dürfen. Sehen Sie, meine Damen und Herren, diese Kreise und diesen Geist des Beamtenrechts wollen wir nicht mehr. ({34}) - Da sind wir einig? ({35}) - Es freut mich, daß wir in diesem strittigen Punkt jetzt einig sind. Immerhin findet der Geist, der hier in Erscheinung tritt, seinen Niederschlag in einem „Schutzbund für ehemalige Pg-Beamte" in Frankfurt am Main, der wahrscheinlich die Grundlage mancher Anträge in diesem Hohen Hause sein wird. Diese Schutzvereinigung fordert ja sogar, daß die innerhalb eines NSDAP-Amtes zugebrachten Tätigkeitszeiten auf das Besoldungsdienstalter auch im neuen demokratischen Staate angerechnet werden sollen. ({36}) In diesem Zusammenhang noch ein Wort zu dem, was nach unserer Auffassung schon jetzt als Praxis der Beamtenpolitik im Bund in Erscheinung tritt. Wir wissen alle, wie wenig zugänglich die Besatzungsmächte häufig in der Beamtenpolitik von Dienststellen, die allein der Kontrolle der Besatzungsmächte unterstanden, waren und wie wenig man deutschen Anregungen und Hinweisen gefolgt ist. Wir wissen, daß es leider Gottes gar nicht so wenige Dienststellen gab, die heute in deutsche Hoheit übergeführt wurden, die nicht nur zu 90 oder 95 Prozent, sondern zu 100 Prozent mit ehemaligen Pgs besetzt worden sind. Aber diese Erbschaft, die nun einmal gegeben ist und mit der wir fertig werden müssen, gibt noch keinen Anspruch, nun auch innerhalb des Bundes eine gleiche Politik fortzusetzen. Unsere Skepsis gegen diesen Beamtenrechtsentwurf wird gerade durch das gestärkt, was wir seit einiger Zeit auf diesem Gebiete erleben. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung einige sehr erfreuliche und sehr mutige Worte zur Judenfrage gefunden. Als er diese Erklärung abgab, fiel uns allerdings auf, daß er dabei nicht den Beifall seiner Regierungsparteien hatte. ({37}) Aber, meine Damen und Herren, wir werden sehr skeptisch, wenn wir beim Herrn Bundeskanzler einen Mann finden, der trotz seiner Kommentierung der Rassegesetze von Nürnberg 1935 und trotz seiner Mitautorschaft an jenem Gesetz heute zu ({38}) einer entscheidenden Funktion beim Herrn Bundeskanzler berufen werden soll. ({39}) Die Beteuerung, gute auswärtige Beziehungen zu erstreben, setzt ferner voraus, daß man dem Ausland durch die Personalpolitik keine berechtigten Einwände gibt, die Echtheit des Bekenntnisses zu Europa zu bezweifeln. Aber das würde geschehen, wenn in einem der entscheidenden Ministerien ein Mann sitzt, der wegen einer Fragebogenfälschung über seine Betätigung im Ausland vorbestraft ist. ({40}) - Dazu gehört der Herr! ({41}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich deshalb etwas aus dem Nähkörbchen plaudern, weil auch innerhalb der Regierungsparteien diese Frage, wie man Personalpolitik macht, heftig umstritten ist. ({42}) - O ja! Unter dem 19. Oktober hat der Herr Bundeskanzler von einer der Fraktionen, die dieser Regierung angehören, einen Brief bekommen: Falls im Innenministerium noch ein freier Posten zu besetzen ist, erwartet die Fraktion, daß ihre Vorschläge entsprechend berücksichtigt werden, und zwar in zahlenmäßigem Umfange wie vereinbart. ({43}) Wir bestehen darauf, daß beim Arbeitsministerium als Staatssekretär Herr . . . vorgesehen wird. Außerdem ist ein koordinierendes Ernährungsdezernat zu schaffen und ebenfalls von uns zu besetzen. ({44}) Jetzt ist es uns nicht mehr verwunderlich, daß die Rechte dieses Hohen Hauses protestierte, als mein Freund Dr. Schumacher in seiner Erwiderung zur Regierungserklärung forderte, daß auch in der Beamtenpolitik die verfassungstreuen Parteien gleichberechtigt berücksichtigt werden sollten. ({45}) Wir führen das nicht wegen dieses oder jenes einzelnen Mannes oder wegen dieses oder jenes einzelnen Postens an, sondern weil diese Vorgänge uns für den Weg, den die Bundesregierung auf einem so wichtigen Gebiete gehen will, symptomatisch zu sein scheinen; denn es handelt sich nicht nur um die Frage einiger Personen, sondern um eine grundsätzliche politische Entscheidung der Bundesregierung. Seien wir uns darüber klar, daß das Ausland sehr aufmerksam darauf achten wird, ob jene Geister zurückgerufen werden, die bereits einmal Schrittmacher des Dritten Reiches oder später seine getreuen Helfer gewesen sind. Meine Damen und Herren! Das, was die Bundesregierung uns hier vorlegt, beweist, daß sie nicht gewillt ist, irgend etwas Modernes zu schaffen, daß sie an der Entwicklung des Staates im letzten Jahrhundert einfach achtlos vorbeigehen will, und wenn der Herr Innenminister des Bundes erklärt, daß das alles nur provisorisch sei, dann erinnere ich an die fatale Tatsache, daß die meisten Provisorien nach 1945 Neigung zu endgültiger Gestaltung gezeigt haben. Wenn es aber einer eiligen provisorischen Lösung bedarf, dann kann ich nur wiederholen: Bleiben Sie bei der jetzigen Rechtsgrundlage! Wir aber von der Sozialdemokratischen Partei, meine Damen und Herren, lehnen es ab, die Beamten wieder in eine politisch so unwürdige und rechtlich so ungeklärte Situation zu bringen, wie sie der vorliegende Entwurf mit sich bringt. Die Demokratisierung der Verwaltung setzt eine Demokratisierung des gesamten Beamtenrechts voraus. So, wie der Beamte ist, wird auch der Staat sein. Der Staat wird in erster Linie durch seine Beamten und Angestellten wirksam, und er tritt in der Person der Beamten und Angestellten dem einzelnen Staatsbürger in seiner großen Machtvollkommenheit gegenüber. Wir von der Sozialdemokratie sagen zu den sittlichen, zu den moralischen Grundsätzen eines an den Staat gebundenen Beamtentums ja; aber, meine Damen und Herren, wir fordern auch um der Beamten willen, daß die Klassenunterschiede beseitigt werden und daß dieses Beamtenrecht eingebettet wird in die politische Gesamtsituation unseres Volkes, in seine Nöte, in seine Wünsche in dieser schweren Zeit und auch in seine berechtigten Hoffnungen auf die Zukunft. ({46})
23
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01018.pdf
Member of Parliament
null
1949-11-25
2,694
40
1
null
Schäfer
11,001,933
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hat heute morgen beschlossen, die Drucksache Nr. 561, den Antrag der Abgeordneten Dr. Richter und Genossen, wegen der Themenverwandtschaft im Zusammenhang mit dem Antrag Drucksache Nr. 482 zu behandeln. Ich erteile zur Antragsbegründung dem Herrn Abgeordneten Dr. Richter das Wort. Dr. Richter ({0}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind uns durchaus darüber im klaren, daß es nicht der Sinn eines Antrags sein kann, auf einem so wichtigen Gebiet wie dem, das heute zur Debatte steht, etwa eine Verzögerung herbeizuführen. Deshalb ändern wir unseren Antrag in der Form ab, daß wir nicht einen Gesetzentwurf von der Regierung vorgelegt haben möchten, sondern daß dieser Antrag die Unterlage für die Ausschußarbeit darstellen soll. Wir sehen in manchen Punkten der Gesetzesvorlage doch gewisse Mängel, die wir gern behoben wissen möchten. Hierzu ist zunächst einmal grundsätzlich eines zu sagen, und auch der Kollege Euler deutete das schon an, wenn auch nicht in der Form, wie ich es jetzt tun muß. Die Entnazifizierung bezeichnete er als eine Ausnahmegesetzgebung. Das ist sie ohne Zweifel; ja sie ist eigentlich noch etwas ganz anderes, sie ist eigentlich noch viel mehr: sie ist etwas Völkerrechtswidriges. ({1}) Sie widerspricht - falls Sie es nicht wissen sollten - dem Artikel 43 der Haager Landkriegsordnung. Diesen können Sie sich einmal zu Gemüte führen. Nach diesem Artikel 43 der Haager Landkriegsordnung haben die Alliierten nicht das Recht, irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen oder Gesetze zu erlassen, die in das innere Leben eines Volkes eingreifen, sondern sie haben die bestehenden Gesetze zu achten, ({2}) was ja bisher in „vorbildlicher" Weise geschehen ist. ({3}) Aus diesem Grunde lehnen wir die Entnazifizierung grundsätzlich als etwas Völkerrechtswidriges ab und stehen nicht an, offen zu erklären, daß alle - ohne daß wir damit die Leute etwa samt und sonders in einen Topf werfen und gleich den Stab über sie brechen wollen -, die in irgendeiner Form etwas damit zu tun hatten, doch in gewisser Hinsicht völkerrechtswidrig gehandelt haben. Die Entnazifizierung war zunächst ein Gebiet, auf dem gewisse Leute ihren ganzen infernalischen politischen Haß austobten. ({4}) Inzwischen ist daraus nichts anderes geworden als eine einzige große Gschaftlhuberei. Man geht sogar soweit, heute Urteilssprüche zu fällen und zu verkünden, die man nach den geltenden Gesetzesbestimmungen nicht anders bezeichnen kann als einen. als Recht verbrämten Diebstahl. Wenn wir uns einmal die Leute ansehen, wenigstens einen Teil - ich gebe die Ausnahmen, die durchaus löblich sind, zu -, die sich auf diesem Gebiet breitgemacht haben, dann, meine Damen und Herren, erscheint es, glaube ich, als sehr. sehr notwendig, daß hier ein sehr entscheidender Schnitt durchgeführt wird, daß einmal grundlegend Ordnung geschaffen wird. Ich glaube, das ist auch dem Ansehen der Demokratie sehr nützlich und sehr dienlich. ({5}) Denn ich bin der Überzeugung, meine Herren, -({6}) - Nun, Herr Greve, Sie sind ganz bestimmt nicht der geeignete Interpret einer Demokratie! ({7}) - Gerade Sie dürfen sich nicht in dieser Form aufregen. ({8}) Ich möchte nur das eine sagen: Ich empfinde es als eine ausgesprochene Schwäche der Demokratie, wenn Sie eine solche - ({9}) - Herr Greve, Sie müssen viel lauter reden! Ich kann Sie beim besten Willen nicht verstehen, wenn Ihre sämtlichen Genossen auf einmal schreien. ({10})
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01040.pdf
Presidium of Parliament
vizepräsident
1950-02-23
213
8
1
null
köhler
11,001,150
Meine Damen und Herren! Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Auf Grund einer Aussprache im Ältestenrat hat dankenswerterweise ein Austausch in der Reihenfolge der beteiligten Fraktionen stattgefunden. Es werden jetzt noch sprechen: für die WAV der Abgeordnete Löfflad, für die Nationale Rechte Abgeordneter Dr. Miessner und der unabhängige Abgeordnete Dr. Ott. Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Löfflad.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-27
214
8
1
null
löfflad
11,001,359
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Hohes Haus! Die WAV steht nach wie vor auf dem Standpunkt, endlich Schluß mit der Debatte zu machen, um der Regierung keine Zeit wegzunehmen, an die Arbeit zu gehen und dem Volke gegenüber eine produktive Arbeit zu leisten. ({0}) Gestatten Sie mir jedoch ({1}) als jüngstem Abgeordneten des Hohen Hauses, einige Worte an Sie zu richten. Die Jugend ist grundsätzlich zu jeder Mitarbeit bereit. Ich bedauere es nur, daß ich in den Reihen des Hohen Hauses sehr wenig junge Vertreter finde. Sei 'n Sie davon überzeugt, daß gerade die Jugend es ist, die jedem Vertreter, gleich aus welchen Reihen er kommen mag, den guten Willen unterstellt; denn es geht dabei nicht um leere Schlagworte und Debatten. Letzten Endes sind wir ja als Vertreter des deutschen Volkes in den Bundestag gewählt worden. Die Jugend hat allerdings auch einen berechtigten Grund, in gewissen Dingen skeptisch zu sein; denn mancher Vertreter, der schon vor 1933 im Reichstag gesessen hat, hat nichts dazu beigetragen, das Wohl des deutschen Volkes zu fördern. Doch wollen wir annehmen, daß diese Herren aus ihren alten Fehlern gelernt haben. Seien wir doch nicht auf die Regierungsparteien wegen ihrer Posten neidisch; wollen wir uns doch nicht streiten! Denn darüber dürfen wir uns wohl im klaren sein, daß die Verantwortung eine ungeheure ist. Und wollen wir doch nicht diese schwere Aufgabe jetzt dadurch behindern, daß wir die Regierungserklärung zum Anlaß uferloser Debatten nehmen. Wollen wir auch als Oppositionspartei dazu beitragen, daß wir unseren Wählern gegenüber bestehen können; denn auch als Oppositionspartei hat man den Wählern gegenüber eine Pflicht und Schuldigkeit. Diese besteht meiner Meinung nach darin, daß wir uns vorläufig abwartend verhalten und auch den Männern der Regierung. den guten Willen unterstellen. Wenn dann die Regierung in drei, vier Monaten nicht gezeigt hat, daß sie in der Lage ist, eine produktive Arbeit zu leisten, dann ist immer noch Gelegenheit und Zeit genug vorhanden, in die Opposition einzutreten und rücksichtslos die Fehler aufzuzeigen, aber gleichzeitig auch mit konkreten Vorschlägen zu kommen, wie man es besser machen könnte und müßte. ({2}) Ich stehe hier nicht nur als Vertreter der Jugend, sondern gleichzeitig als Schwerbeschädigter. Als Schwerbeschädigter habe ich auch eine Bitte an die Regierung, daß nämlich das Problem der Schwerversehrten, der Kriegsrentner usw. schnellstens einer Lösung zugeführt wird, daß es nicht ({3}) nur bei Hungerunterstützungen und Hungerrenten bleibt. Ich glaube, wenn die Regierung da eingreift und Geld abschöpft, wo Geld vorhanden ist, nämlich bei den Großschiebern und Währungsgewinnlern, dann kann auch diesen Menschen geholfen werden. ({4}) Ich möchte mich, wie ich eingangs betont habe, der Auffassung der WAV anschließen und Schluß mit der Debatte machen. Ich möchte an Sie alle appellieren: Sie sind es Ihren Wählern schuldig, daß Sie meinem Vorschlag folgen und nicht mehr lange debattieren. Denn wir alle miteinander, ob es nun Männer aus den Reihen der Regierungsparteien oder aus den Reihen der Opposition sind, wollen und wünschen, daß es mit unserem anständigen und armen deutschen Volk und Vaterland endlich wieder besser wird. Wenn wir zusammenhalten, dann werden wir wieder glücklicheren Zeiten entgegengehen. ({5})
25
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-27
215
8
1
null
köhler
11,001,150
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Miessner.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-27
216
8
1
null
miessner
11,001,506
Meine Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zur Abwechslung einmal diese Anrede zum Zeichen dafür gebrauchen, daß wir hierhergekommen sind, um zusammenzuarbeiten. Im übrigen habe ich wie meine Herren Vorredner über das Wochenende festgestellt, daß der Eindruck, den dieses Haus bisher gemacht hat, nicht überall ein guter ist. Ich meine damit aber nicht so sehr die Tumultszenen, die sich hier abgespielt haben, als vielmehr die Art der Reden. Ich bin nicht ganz mit meinem direkten Vorredner der Ansicht, daß wir nun überhaupt nicht mehr sprechen sollten; denn schließlich wäre das ja eigentlich das Gegenteil von dem, was ein Parlamentarier zu tun hätte. ({0}) Ich glaube, der Grund, weshalb wir in so kurzer Zeit bereits einiges Ansehen verspielt haben, liegt darin, daß hier zum großen Teil Wahlreden gehalten wurden, und ich meine, wir sollten in dieser Richtung Selbstdisziplin halten und möglichst schnell dazu übergehen, zwar nicht völlig zu schweigen, aber, wenn wir schon reden, möglichst sachlich konkrete Vorschläge zu machen.
21
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-27
217
8
1
null
köhler
11,001,150
Herr Abgeordneter, darf ich Sie einen Moment unterbrechen. Sie haben eben gesagt, es seien hier Wahlreden gehalten worden. Ich glaube, jede Partei kann den Anspruch für sich erheben, eine politische Rede zu halten, ohne daß sie als Wahlrede zu bezeichnen ist. Es ist meines Erachtens nicht zulässig, ein derart allgemeines Urteil über sämtliche Fraktionen des Hauses abzugeben. Ich bitte Sie deshalb, von dieser Charakterisierung abzusehen.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-27
218
8
1
null
miessner
11,001,506
Lassen Sie mich zu meinem Thema, zum Wohnungsbau und dessen Finanzierung kommen. Die „Nationale Rechte" hat zunächst keinen Anlaß, den guten Willen der Regierung im Hinblick auf ihr Wohnungsbauprogramm zu bezweifeln oder ihr heute mit Belehrungen zu kommen. Wir halten es auch nicht gerade für geschmackvoll, jetzt, nachdem die Regierung erst vor ein paar Tagen zusammengetreten ist, mit agitatorischen Forderungen auf Bevorzugung dieser oder jener Bevölkerungsgruppe zu kommen. Außerdem bliebe uns da nicht viel mehr übrig; denn soweit ich mich erinnern kann, ist gerade auf dem Gebiet des Wohnungsbaues für jeden bereits eine komplette Wohnung gefordert worden, einschließlich der Frauen mit und ohne Kindern usw. Wenn wir dazu noch etwas tun wollten, könnten wir eigentlich nur noch für jeden Jugendlichen ein Eigenheim verlangen, und die Finanzierungsfrage müßte selbstverständlich in der Weise gelöst werden, daß man die Steuern restlos beseitigt. ({0}) Meine Damen und Herren, einen solchen oder ähnlichen Antrag werden Sie vielleicht von uns als der Partei, die am weitesten rechts steht, erwartet haben. Nun zur Sache! ({1}) Das Wohnungsproblem ist, wie mehrfach hervorgehoben worden ist, ein Finanzproblem. Wir möchten aber nicht dabei stehenbleiben. Es könnte sein, daß es in gewissem Sinne auch ein Organisationsproblem ist, nämlich wenn man bedenkt, daß es sich vielfach um freie Arbeitskräfte, also Arbeitslose handelt, die ja selbst Wohnungsuchende sind. Immer wieder haben wir von den Arbeitslosen gehört, warum es denn nicht möglich sei, daß sie mit ihrer eigenen Arbeitskraft irgendwie eingeschaltet würden, selbst unter Verzicht auf irgendeinen Bauhandwerkerlohn. Sie meinen, man sollte ihnen nach wie vor die Arbeitslosenunterstützung geben, und sie würden dann vielleicht einen halben oder dreiviertel Tag nur für die Arbeitslosenunterstützung arbeiten und insoweit schon zum Wohnungsbau und insbesondere zur Verbilligung des Wohnungsbaues beitragen. Ich muß sagen, daß es einem schwerfällt, diese Wünsche einfach damit abzutun, daß man ihnen sagt, damit wäre die Finanzierung nicht gelöst. Es ist zwar richtig, daß die Kosten eines Hauses sich nicht nur aus Arbeitslohn, sondern in sehr starkem Maße auch aus Materialkosten zusammensetzen; aber ich meine, man sollte doch, wenn man hier soviel gutem Willen begegnet - die eigene Arbeitskraft sogar unentgeltlich zur Verfügung zu stellen -, sehr ernsthaft darüber nachdenken, welche Wege man in dieser Richtung organisatorisch wohl finden könnte. Insoweit meine ich, daß das in gewissem Sinne auch ein Organisationsproblem ist. Ganz spezielle Vorschläge können wir dazu naturgemäß im Augenblick noch nicht machen. ({2}) Im übrigen ist natürlich das Wohnungsbauproblem ein Finanzproblem, und zwar einmal privater Art und zum anderen öffentlicher Natur. Privater Art ist es insofern, als es auch in normalen Zeiten immer üblich war, daß ein Haus nicht aus eigenen Mitteln, sondern im wesentlichen mit Fremdkapital finanziert wurde. Etwa 60 Prozent Hypothekenkredite waren immer erforderlich. Diese Hypothekenkredite wurden in der deutschen Wirtschaft zumeist von Hypothekenbanken und Sparkassen gegeben. ({3}) Diese wiederum besorgten sich die Mittel dazu durch ihr sogenanntes Passivgeschäft am Pfandbriefmarkt oder durch die Spareinlagen. Beides liegt heute darnieder. Es wäre daher zu erwägen, ({4}) ob man nicht das Ansehen des Hypothekenkredits, der ja beim Hausbau eine ganz wesentliche Rolle spielt, wieder stärken müßte, und da möchte ich den ganz konkreten Vorschlag machen, daß man die Abwertung, die hypothekengesicherte Darlehen erfahren haben, günstiger regelt als die Abwertung der übrigen Geldkonten. So war es übrigens auch bei der Wiederaufwertung nach 1918. Bei der Frage, durch welche Stellen eventuell die vom Staat gegebenen Gelder geleitet werden sollen, hört man vielfach von neuen Institutionen sprechen. Ich möchte hier an die eingespielte Arbeit der Hypothekenbanken und Sparkassen erinnern. Diese Institute arbeiten in diesen Fragen seit langen Jahrzehnten. Es ist deshalb, wie ich glaube, nicht unbedingt erforderlich, neue Instanzen zu schaffen. Ich komme nun zu dem Finanzproblem auf dem staatlichen Sektor. Hier möchten wir zunächst das ablehnen, was augenblicklich in Niedersachsen in der Stadt Hannover gemacht wird, wo man Mittel zum Wohnungsbau durch eine sogenannte Wohnbauabgabe beschafft. Es ist doch eigentlich von allen unbestritten, daß sowohl der Hausbesitz als auch die Mieter bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit belastet sind. Ich muß schon sagen: ich empfinde es als mehr als das Ei des Kolumbus, wenn man nun einfach sagt: die Mieter zahlen rund noch zehn Prozent drauf - so ist es in Hannover -, führen dies an den Hauswirt ab, und dieser führt es dann weiter an die Stadt ab. Das bedeutet eine Verteuerung der Lebenshaltung für sämtliche Schichten des Volkes, die gerade für die sozial Schwachen unseres Erachtens nicht tragbar ist. Im übrigen ist das praktisch auch nichts anderes als eine zusätzliche Steuer, denn die Grundsteuer ist zum Beispiel in Hannover um 50 Prozent erhöht worden. Der Hinweis, daß diese Beträge steuerfrei gespart werden könnten, da sie als Spareinlagen gelten, ist nicht stichhaltig; denn man kann derartige Zwangsabgaben nach dem Gesetz nicht als freiwillige Sparbeträge ansehen, die nach dem Einkommensteuergesetz steuerbegünstigt sind. Ein weiteres Mittel, das Finanzproblem staatlicherseits zu lösen, ist das der Kreditausweitung. Dazu ist aber nicht viel zu sagen. Dieses Mittel ist gefährlich, wie wir alle wissen, und es kann auch stets nur bis zu einem gewissen Grade helfen, das Problem zu lösen. Ich möchte aber auf ein drittes Mittel kommen, und zwar nicht das Mittel einer Steuererhöhung, sondern man sollte einmal daran denken, daß der Staat Steuergelder, und zwar reichlich Steuergelder, auch dann bekommt, wenn die Finanzverwaltung als solche gut arbeitet. Ich bin mir bewußt, daß ich hier sicherlich etwas Unpopuläres ausspreche, wenn ich dazu auffordere, die Finanzverwaltung schlagkräftig zu machen. ({5}) In diesem Zusammenhang ist aber leider auf Artikel 108 des Grundgesetzes einzugehen. Danach ist die Regelung so getroffen, daß die Verwaltung der Umsatzsteuer und der einmaligen Vermögensabgaben dem Bund, die Verwaltung der übrigen Steuern den Ländern obliegt. Wir erinnern uns ja noch alle an den bekannten Streit vor einigen Monaten, bei dem diese Frage im Brennpunkt des öffentlichen Interesses stand. Man sollte sich einmal fragen, wer eigentlich ein Interesse daran hat, daß die Finanzverwaltung, die gerade in diesem Augenblick, wo der Staat eine Reihe sozialer Aufgaben zu erfüllen hat, funktionieren muß, in dieser Weise, wie es in Artikel 108 zum Ausdruck kommt, praktisch lahmgelegt wird. Es sind bestimmt nicht die vielen Lohn- und Gehaltsempfänger; denn diese zahlen mehr oder weniger unfreiwillig und ganz von selbst den vollen Steuersatz und sie haben nur das eine Interesse, daß eine schlagkräftige Verwaltung da ist, die so billig, sicher und gleichmäßig wie nur möglich arbeitet. Die Wirtschaft selbst dürfte auch kein Interesse daran haben, die Finanzverwaltung wieder auf den Stand der Zeit vor 1919 zurückzubringen. Die Wirtschaft ist auch froh darüber, daß es nicht mehr in einzelnen Ländern Steueroasen gibt, in die sie ihre Syndizi schicken muß, um hier oder dort eine neue Aktiengesellschaft zu gründen, damit man ja einen Steuervorteil, der irgendwo in einem Land besteht, für sich in Anspruch nehmen kann. Ich glaube, auch die Ausführungen des Herrn Fraktionsvorsitzenden einer Regierungspartei, nämlich der FDP, waren in dieser Hinsicht ziemlich aufschlußreich. Sie setzten sich in gewisser Weise von den Erklärungen anderer Regierungsparteien ab, indem sie eine starke zentrale Regelung auf diesem Gebiet forderten. Wer aufmerksam dabei zugehört hat, dem wird das bei der Rede des Herrn Dr. Schäfer nicht entgangen sein. Schließlich hat auch die Finanzverwaltung selbst kein Interesse an einer Zerschlagung. Wenn man die Finanzbeamten fragt, so hört man, daß sie noch heute sehr darunter, leiden, daß die Finanzverwaltung in den Jahren seit 1945 praktisch in Länderverwaltungen zerschlagen war und daß es an einer einheitlichen Lenkung fehlte. Wenn sie Auskunft geben oder Entscheidungen treffen sollten, konnten sie das einfach nicht tun, weil Anweisungen von oben nicht vorhanden waren. Wir werden daher immer wieder unseren Finger auf diese Wunde legen. Ich glaube auch, daß uns diese Frage im Laufe der nächsten Jahre noch mehr zu schaffen machen wird. Wir möchten es auch von seiten der „Nationalen Rechten" durchaus bezweifeln, ob es richtig war, für den Preis des Inkrafttretens des Grundgesetzes die Zerschlagung der Finanzverwaltung hinzunehmen. ({6}) Zusammenfassend möchte ich erstens sagen: der arbeitslose Wohnungsuchende muß seine unentgeltliche Arbeitsleistung mit in die Waagschale werfen können, um sich damit ein Anrecht auf Wohnung zu sichern; zweitens: das Vertrauen zum Hypothekenkredit muß durch bessere Aufwertung von Hypothekendarlehen wiederhergestellt werden; drittens: staatliche Mittel sollten nicht über neue Stellen, sondern über die bewährten Institute wie Hypothekenbank und Sparkasse verteilt werden; viertens: die großen sozialen Aufgaben der Regierung sind nur bei einer schlagkräftigen, einheitlichen Bundesfinanzverwaltung zu erfüllen. Wir bitten daher, die Verwaltung der Einkommen- und Umsatzsteuer auf jeden Fall personell in dieselbe Hand zu legen. Es ist ja leider nach dem Grundgesetz vorgesehen, daß nur die Umsatzsteuer vom Bund verwaltet wird und die Einkommen- und Körperschaftsteuer von den Ländern. Fragen Sie mal einen Finanzbeamten, dem sträuben sich jetzt schon die Haare bei dem Gedanken, daß der eine Beamte die Umsatzsteuer veranlagt und der andere die Einkommensteuer. Denn wer etwas von diesen Dingen versteht, der weiß, daß sich die Einkommensveranlagung unmittelbar auf der Um({7}) satzfeststellung aufbaut. Es wäre also eine Mehrarbeit und eine schlechtere Arbeit, die allein bei einer Trennung herauskommen würde. Wenn also die Regierung hier durch den Artikel 10.8 festgelegt ist, so bitten wir doch immerhin, die Sache in irgendeiner Weise so zu regeln, daß wenigstens personell entweder der Bundesbeamte die Aufgaben des Landesbeamten mitmacht oder umgekehrt. Das läßt sich ja als Auftragsangelegenheit regeln. Im übrigen wollen wir es hinsichtlich der Regierungserklärung mit dem schönen Bibelspruch von Herrn Loritz halten, den wir gleich konkretisieren, indem wir der Regierung zurufen: „An ihren Häusern wollen wir sie erkennen".
21
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-27
219
8
1
null
köhler
11,001,150
Das Wort hat jetzt der herr Abgeordnete Dr. Ott.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-27
220
8
1
null
ott
11,001,665
Meine Damen und Herren! Viel Bejahung, viel Verneinung und viel Ergänzung hat die Regierungserklärung unseres Herrn Bundeskanzlers erfahren. Ich will nur ganz kurz zwei Punkte herausgreifen. Der Bundeskanzler hat gesagt, er werde die Radikalisten von links bis rechts mit allen zu Gebote stehenden Mitteln bekämpfen. Ich stimme damit überein, wenn er meint, daß er all die Zustände, die zu Radikalismus führen, wirklich mit allen zu Gebote stehenden Mitteln bekämpfen wird. Die armen Volksmassen, die vor überfüllten Schaufenstern stehen und sich auch heute noch nicht das zum Leben Notwendige kaufen können,- das ist ein Zustand, der unter allen Umständen zum Radikalismus führen muß. Wenn er diese Zustände bekämpfen wird, dann wird er wirklich die Zustimmung all der Wähler haben, die mich gewählt haben. Wenn er aber diejenigen Personen meint, die sich der armen Volksmassen in diesem tieftraurigen Zustand annehmen, dann allerdings, Herr Bundeskanzler, garantiere ich dafür, daß wir mit um so größerer Hartnäckigkeit unseren Kampf für die Belange der Armsten unseres Volkes fortsetzen werden. Ein zweiter Punkt: Nationalismus. Wer gibt denn eigentlich dem Ausland die Voraussetzungen, daß wir deutschen Menschen dauernd als „Nationalisten" verschimpft werden? Nach meiner Auffassung sind wir es selbst; wir beschmutzen uns dauernd, und wenn die Idealisten kommen und sich gegen Selbstbeschmutzung wehren, dann sind das die „Nationalisten". Ja, meine Damen und Herren, so , ist es wirklich. Wenn man Geschichte studiert und wenn man vor allem während des Krieges mit anderen Völkern zusammengekommen ist, dann hat man die Feststellung machen können - besonders wir, die wir aus den östlichen Ländern und aus Prag kommen, und besonders im Priesterseminar habe ich das immer wieder festgestellt -, daß alle andern Völker, besonders alle slawischen Völker, mehr Nationalbewußtsein haben als gerade wir Deutschen. Niemand braucht also Angst zu haben vor unserem sogenannten Nationalismus; im Gegenteil, wir hätten alle Grund genug, unser Volk wieder mehr volksbewußt zu erziehen. ({0}) Was des Flüchtlingswesen anlangt, so haben sich alle Ausgewiesenen aus innerstem Herzen gefreut. Aber wir Ausgewiesenen schauen wirklich mit scharfen Augen auf dieses Ministerium. Möge es nicht ein Ministerium der Beschaulichkeit sein, denn nach unserer Auffassung ist es mit eines der verantwortungsvollsten Ministerien. Da bitte ich vor allem den Herrn Minister Lukaschek, daß er die Familien wieder zusammenkommen läßt, daß endlich einmal diese Zuzugsbestimmungen, wenn nicht beseitigt, so doch gelockert werden, daß, wenn heute ein Vater oder eine Mutter die Kinder findet oder umgekehrt die Kinder die Eltern, sie nicht durch diese wirklich oft verdammungswürdigen Zuzugsbestimmungen am Zusammenkommen gehindert werden. Meine Auffassung ist: Wenn ein Vater oder ein Sohn einer Familie eine Wohnung gefunden hat, wenn er Arbeit gefunden hat, dann soll er tatsächlich mit seinen Angehörigen ein Familienleben führen können. ({1}) Was die Soforthilfe anlangt, so wünsche ich, daß sie nicht ein Schaden für unser Volk sein möchte, wie sie sich nun tatsächlich auswirkt, sondern daß sie eine Tathilfe sein möchte. Da kommen wir zum Lastenausgleich. Wir reden dauernd vom Lastenausgleich. Bringen wir endlich einmal dem Volk diese ausgleichende Gerechtigkeit auf allen Gebieten! Zum Ministerium Dr. Erhard kurz folgendes; Man möge sich nicht dem leichten Optimismus hingeben und sagen, bei der letzten Wahl, am 14. August, hätte das Volk diese Wirtschaftspolitik bejaht. Dieser Meinung bin ich nicht ganz. Denn ich komme zu vielen Wählern, die gerade CDU und CSU gewählt haben und mir - auch jetzt am Sonntag wieder - erklärt haben: Wir sind unserem Gewissen gefolgt, haben damit aber nicht eventuell die Wirtschaftspolitik bejaht. Wenn das arme Volk vor den überfüllten Schaufenstern steht - ich komme gerade als Geistlicher immer wieder zu diesen Armsten der Armen - und sich nicht das Lebensnotwendigste kaufen kann ({2}) - Dazu will ich auch, wenn es sein muß, Stellung nehmen. Ich war damals, als ich gezwungen wurde, wie so viele andere Sudetendeutsche, über die Grenze zu eilen - ({3}) - Ich bin auch nicht in SA-Uniform gegangen, sondern in Freibund-Uniform, in kurzer Hose und Hemd, weil ich fliehen mußte, wenn ich nicht erschlagen werden wollte. Wenn heute gesagt wurde, die Regierung hätte keine Idee gegeben, dann möchte ich den Vertretern der Bayernpartei nur sagen: es hat geheißen, wir bekennen uns zur christlich-abendländischen Kultur. Ich glaube, daß diese Idee wirklich ausreicht, um unserm Volk alles zu geben. Mag einer zu diesen Problemen eine Einstellung wie auch immer haben, Christus ist und bleibt die Grundlage der Rettung der Welt und auch des deutschen Volkes. Gerade vom praktizierenden Christentum aus gesehen haben wir Deutsche eine große Sendung für die ganze Welt. Zum Schluß möchte ich noch ganz kurz zur Frage der Steuerreform Stellung nehmen. Auch da müßte ein Unterschied gemacht werden. Jawohl, wir brauchen eine Steuerreform, aber man möge nicht schablonenmäßig vorgehen, sondern die Ärmsten der Armen berücksichtigen, die Fliegergeschädigten, die Ausgewiesenen, die jetzt vor einem neuen Anfang stehen. ({4}) Alles in allem: zur Regierungserklärung ist genug gesagt worden. Ich möchte abschließend nur den einen Satz zitieren: Wir brauchen freiwillige und entsagende Liebe zu unseren Brüdern und Schwestern, die Kraft und Gnade aus der ewigen Liebe Gottes schöpft.
16
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-27
221
8
1
null
köhler
11,001,150
Meine Damen und Herren! Die gemäß Vereinbarung des Ältestenrats für heute nachmittag vorgesehene Rednerliste ist erschöpft. Ich berufe die nächste, 9. Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 28. September 1949, 14 Uhr 30 Minuten ein. Die Fraktion der FDP hat mich gebeten bekanntzugeben, daß sie morgen vormittag 9 Uhr 30 Minuten Fraktionssitzung hat. Die 8. Sitzung des Bundestags ist geschlossen.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01008.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-27
222
9
1
null
köhler
11,001,150
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 9. Sitzung des Deutschen Bundestags. Ich bitte zunächst den Herrn Schriftführer, die Liste der abwesenden Mitglieder zu verlesen. von Aretin, Schriftführer: Entschuldigt sind wegen Krankheit die Abgeordneten Professor Dr. Baur, Marx, Kuhlemann, Vesper, Dr. Blank und Sander, auf Grund anderweitiger Entschuldigungen die Abgeordneten Pohle, Dr. Baumgartner, Junglas, Frommhold, Bauknecht, Dr. Horlacher, Walter, Dirscherl, Frühwald, Dr. Reif, Weinhold, Brandt, Neumann, Wirths.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01009.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-28
223
9
1
null
köhler
11,001,150
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte der Herr Bundeskanzler eine Erklärung zur Frage der Auswirkung der Pfundabwertung abgeben. Ich erteile dem Herrn Bundeskanzler das Wort.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01009.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-28
224
9
1
null
adenauer
11,000,009
Ich habe dem Hohen Hause im Namen der Bundesregierung folgende Mitteilung zu machen. Die Folgen der Pfundabwertung für den deutschen Außenhandel sind bekannt. Die Bundesregierung hat sich, ihrer Pflicht entsprechend, mit der Frage beschäftigt, in welchem Umfang der Verrechnungskurs der Deutschen Mark zum Dollar - gegenüber der bisherigen Festsetzung auf 30 Cents - geändert werden soll. Nach gewissenhafter Prüfung aller Verhältnisse ist sie zu dem Ergebnis gekommen, daß eine Festsetzung auf 22,5 Dollar-Cents die angemessene sei. Sie wissen, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung und die Bundesrepublik Deutschland in diesen Entschlüssen nicht frei sind. Nach dem Besatzungsstatut haben die Hohen Kommissare die Kontrolle des Außenhandels und des Devisenverkehrs. Die Bundesregierung hat sich daher unter dem 24. September an die Hohe Kommission gewandt, ihr Mitteilung von ihrem Beschluß gemacht und sie gebeten, die von einigen Sachverständigen der Alliierten geäußerten Bedenken fallen zu lassen. Heute früh habe ich die Antwort der Hohen Kommission bekommen, und ich erlaube mir, sie Ihnen mitzuteilen. Der Rat der Alliierten Hohen Kommission beschließt wie folgt: 1. Die Alliierte Hohe Kommission erhebt keinerlei Einwände gegen die Festsetzung durch die Regierung der Bundesrepublik Deutschland eines Umrechnungskurses für die Deutsche Mark im Verhältnis zum Dollar zum Kurse von 0,238 Dollar für eine D-Mark. 2. Die Hohe Kommission stellt fest, daß jegliche etwa existierenden diskriminatorischen Maßnahmen und jegliches Dumping aufzuhören haben und Maßnahmen getroffen werden müssen im Hinblick auf die Beseitigung irgendwelcher direkter oder indirekter Subsidien, die zur Unterstützung derartiger diskriminatorischer Maßnahmen und zu Dumpingzwecken gewährt werden. Dies hat bis zum 1. Januar 1950 zu geschehen. Die Hohe Kommission ordnet eine Untersuchung an, die sofort zu unternehmen ist, um die zur Durchführung obiger Richtlinien notwendigen Maßnahmen zu bestimmen. 3. In Erwartung des Ergebnisses der durch die Hohe Kommission angeordneten Untersuchung bezüglich diskriminatorischer Handelspraktiken sind binnen sieben Tagen Maßnahmen zu treffen, die gewährleisten, daß die Interessen von Kohle importierenden Ländern nicht durch die gegenwärtige Abwertung der D-Mark geschädigt werden. Dies kann auf folgende Weise erreicht werden: a) Aufrechterhaltung desselben Preises in D-Mark für Exportkohle wie vor der gegenwärtigen Abwertung oder b) Angleichung der Export- und internen Kohlenpreise in der Weise, daß die Differenz zwischen den beiden nicht größer als vor der gegenwärtigen Abwertung ist. ({0}) Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland wird der Hohen Kommission Maßnahmen zur Durchführung vorgehender Bestimmungen vorzuschlagen haben. Im Namen der Bundesregierung habe ich dazu folgendes zu erklären. Ich habe den Präsidenten der Hohen Kommission, den Botschafter François-Poncet, gebeten, noch heute eine Unterredung zwischen uns und den Hohen Kommissaren zu ermöglichen. Wir sind der Auffassung, daß dieser Beschluß des Hohen Rates nicht den berechtigten Interessen der deutschen Wirtschaft gerecht wird. ({1}) Sie werden aber verstehen, meine Damen und Herren, daß ich mich weiterer Ausführungen enthalte, bis diese Unterredung stattgefunden hat. Ich möchte aber im Namen der Bundesregierung doch jetzt schon folgendes erklären. Unter Ziffer 3b dieses Beschlusses ist eine Angleichung der Export- und internen Kohlenpreise in der Weise vorgeschlagen, daß die Differenz zwischen den beiden nicht größer als vor der gegenwärtigen Abwertung ist. Meine Damen und Herren, das würde bedeuten, daß mit einem Schlag, das heißt innerhalb dieser sieben Tage, der inländische Kohlenpreis um über 25 Prozent heraufgesetzt werden müßte. ({2}) Wir sind der Auffassung, daß eine derartige Heraufsetzung aus Anlaß der Angleichung des Verrechnungskurses der D-Mark an den Dollar -- nicht der Abwertung der D-Mark - für die deutsche Wirtschaft unmöglich und untragbar ist. ({3}) Wir werden diesen Weg unter keinen Umständen beschreiten. ({4}) Ich erkläre das ausdrücklich namens der Bundesregierung, ({5}) damit jede Beunruhigung im deutschen Volk, die etwa durch das Bekanntwerden dieses Beschlusses der Hohen Kommission ausgelöst werden könnte, von vornherein im Keim erstickt wird. ({6})
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01009.pdf
Chancellor
null
1949-09-28
225
9
1
null
köhler
11,001,150
Meine Damen und Herren! Gemäß einer Vereinbarung im Ältestenrat, die wir soeben getroffen haben, soll sich an diese Erklärung des Herrn Bundeskanzlers eine Aussprache anschließen. Um den Fraktionen Zeit zur Vorbereitung dieser Aussprache einzuräumen, soll die Sitzung unterbrochen werden. Es ist jetzt 5 Minuten vor 3 Uhr. Ich erlaube mir den Vorschlag, daß wir die Sitzung bis 3 Uhr 30 unterbrechen. Ich werde kurz vor 3 Uhr 30, wenn diese Zeit den Fraktionen als ausreichend erscheint, wieder das Klingelzeichen geben lassen. ({0}) Die Sitzung ist unterbrochen. ({1}) Die Sitzung wird um 16 Uhr 26 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler wieder eröffnet.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01009.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-28
226
9
1
null
köhler
11,001,150
Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist wieder eröffnet. Durch die Umstände hat sich die Pause leider etwas verlängert. Ich spreche darüber mein Bedauern aus. Ich eröffne nunmehr die Aussprache. Wir werden die 'Aussprache, wie in diesem Fall üblich - ich nehme das Einverständnis des Hauses damit an -, nach der Stärke der Fraktionen durchführen. Es käme demnach zunächst der Sprecher der CDU/CSU dran. Wer spricht von der CDU/CSU? ({0}) Ist der Redner der CDU/CSU da? ({1}) - Dann erteile ich dem Sprecher der nächststärksten Fraktion das Wort. Herr Abgeordneter Dr. Schumacher, bitte!
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01009.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-28
227
9
1
null
schumacher
11,002,113
Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion des Deutschen Bundestages präzisiert ihren Standpunkt in folgender Erklärung. Die sozialdemokratische Fraktion hätte es für besser gehalten, wenn die Bundesregierung den Bundestag unmittelbar nach Abschluß der Kabinettsberatung über die Festsetzung des neuen Wechselkurses der D-Mark unterrichtet hätte. Die Stellungnahme des Parlaments hätte die Position des deutschen Volkes in dieser wichtigen Angelegenheit gestärkt. . Die sozialdemokratische Fraktion hätte es für besin einer Frage europäischer Solidarität die Hohe Kommission es vorgezogen hat, auf Kosten der wirtschaftlichen Interessen ein es Landes ein Diktat zugunsten anderer Interessen auszusprechen. ({0}) Sie bedauert weiter, daß die erste Anwendung des Besatzungsstatuts so wenig Rücksicht auf das Ansehen und die Lebensnotwendigkeiten der deutschen Demokratie nimmt. ({1}) Die sozialdemokratische Fraktion sieht in den von der Hohen Kommission zur Auswahl gestellten Maßnahmen auf dem Gebiete der Kohlenwirtschaft eine untragbare Erschwerung des deutschen Wirtschaftslebens und eine gefährliche Erschütterung des sozialen Gefüges. Die eine dieser beiden Maßnahmen würde zu einer Erhöhung der innerdeutschen Kohlen- und Kokspreise um 25 Prozent führen. Dies würde eine endlose Preis-Lohn-Spirale in Gang setzen und das Ende jeder deutschen Wirtschaftspolitik bedeuten. Die andere Maßnahme würde dazu führen, daß die heute schon gezwungenermaßen unter dem Weltmarktpreis verkaufte Exportkohle künstlich noch mehr verbilligt wird und der deutschen Zahlungsbilanz weiter unentbehrliche Devisenbeträge verlorengehen. Die sozialdemokratische Fraktion fordert die Bundesregierung auf, in der Verteidigung der wirtschaftlichen und sozialen Lebensnotwendigkeiten des deutschen Volkes keiner Regelung zuzustimmen, die einseitig andere Länder auf Kosten Deutschlands begünstigt und den arbeitenden Menschen unerträgliche Lasten auferlegen müßte. ({2}) Um den von jeder Herabsetzung des Wechselkurses drohenden Folgen zu begegnen, ersucht die sozialdemokratische Fraktion die Bundesregierung, ({3}) dem Bundestag umgehend ein detailliertes Programm von Abwehrmaßnahmen vorzulegen. Die Bewilligung der dafür erforderlichen Mittel unterliegt der Zuständigkeit des Deutschen Bundestages. ({4})
23
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01009.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-28
228
9
1
null
köhler
11,001,150
Als nächster Sprecher hat das Wort Herr Ageordneter Dr. Bucerius.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01009.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-28
229
9
1
null
bucerius
11,000,287
Meine Damen und Herren! Der Erklärung der CDU/CSU-Fraktion habe ich kurz folgendes vorauszuschicken. Als diejenige Fraktion, die die Politik der Bundesregierung und deren Verhandlungen mit den Hohen Kommissaren vor allem zu stützen hat, ist die Fraktion der CDU/ CSU verpflichtet, den vorliegenden Sachverhalt mit besonderer Vorsicht und dem in internationalen Verhandlungen erforderlichen Takt und mit der während schwebender Verhandlungen gebotenen Zurückhaltung zu behandeln. Dies vorausgeschickt, habe ich namens der CDU/CSU-Fraktion folgendes zu erklären. Solange die Besprechungen über das Ausmaß und die Umstände der Neufestsetzung des Umrechnungskurses zwischen den deutschen und alliierten Stellen noch nicht zum Abschluß gekommen sind, haben wir in erster Linie die innerdeutschen Konsequenzen des uns von dem Herrn Bundeskanzler bekanntgegebenen Beschlusses der Hohen Kommissare zu bedenken. Wir haben mit Genugtuung vernommen, daß die innerdeutschen Kohlenpreise unter keinen Umständen aus Anlaß der Pfundabwertung erhöht werden dürfen, weil eine solche Erhöhung das bestehende deutsche Preis- und Lohngefüge stark erschüttern würde. Die CDU/ CSU-Fraktion bittet die Bundesregierung, an diesem Standpunkte bei den Verhandlungen unter allen Umständen festzuhalten. ({0}) Ferner ist die CDU/CSU-Fraktion der Auffassung, daß der Umrechnungskurs von 0,238 Dollar den berechtigten Interessen der deutschen Exportwirtschaft nicht entspricht, ({1}) nachdem das englische Pfund um 30 vom Hundert abgewertet worden ist und dem zahlreiche andere Währungen gefolgt sind. Aus dieser Stellungnahme ergeben sich für die Verhandlungen, welche die Bundesregierung nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion mit den Hohen Kommissaren zu führen hat, wichtige Konsequenzen. Wir erwarten, daß das schwierige Problem durch eine gegenseitige Aussprache - ich wiederhole: durch eine gegenseitige Aussprache! - zwischen der Bundesregierung und den Hohen Kommissaren einer befriedigenden Lösung zugeführt wird. Dies, meine Damen und Herren, ist die Erklärung der CDU/CSU-Fraktion. Ich habe Ihnen ferner zu sagen, daß nach meiner Auffassung die Bundesregierung in ihrer Bekanntgabe und Stellungnahme sowie bei der Mitteilung 'derjenigen Beschlüsse, die im Kabinett gefaßt worden sind, durchaus die notwendige Form und das notwendige Maß innegehalten hat. ({2}) Es gibt Dinge, ({3}) die nicht sofort auf den Tisch des Hauses gelegt werden müssen, besonders solange noch Verhandlungen schweben und die Dinge noch offen sind. ({4}) Damit schafft man unter Umständen vollendete Tatsachen, die dann allerdings nicht mehr beseitigt werden können! ({5})
4
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01009.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-28
230
9
1
null
köhler
11,001,150
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Höpker-Aschoff.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01009.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-28
231
9
1
null
höpker-aschoff
11,000,927
Meine Damen und Herren! Als uns vor einigen Monaten in Frankfurt zum ersten Male der Entwurf eines Besatzungsstatuts vorgelegt wurde, wurde uns von den Herren Gouverneuren die Zusicherung gegeben, daß dieses Besatzungsstatut in loyaler Weise gehandhabt werden würde. Auch die Hohen Kommissare haben diese Zusicherung gegeben, und der Herr Bundeskanzler hat, wie wir mit Freude vernommen haben, hier der Überzeugung Ausdruck gegeben, daß es auch in dieser Weise gehandhabt werden würde. Unsere Erwartung ist jetzt einer gewissen Enttäuschung gewichen, ({0}) denn nunmehr wird von uns in dem Memorandum der Hohen Kommissare doch nahezu in Form eines Diktats verlangt, das wir binnen kurzer Zeit innenwirtschaftliche Maßnahmen durchführen, die nicht nur unsere Haushaltspläne über den Haufen werfen würden, sondern auch zu einer schweren Erschütterung des Lohn- und Preisgefüges der deutschen Wirtschaft führen müßten. Diese Forderungen mögen den Sinn haben, unsere Wirtschaft einer größeren Freiheit zuzuführen; aber es ist vielleicht nicht unangebracht, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß bisher die Bemühungen der Frankfurter Wirtschaftsverwaltung und des Frankfurter Wirtschaftsrats, eine Auflockerung innerhalb der deutschen Wirtschaft herbeizuführen, immer auf den Widerstand gerade der Besatzungsmächte gestoßen sind. ({1}) Meine Damen und Herren! Wenn von uns die Beseitigung aller Suventionen gefordert wird, so scheint man nicht mit gleichem Maß zu messen, denn solche Subventionen werden ja nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern gegeben, ({2}) und wir haben auch noch nichts davon gehört, daß nunmehr auch von den anderen Ländern im Zusammenhang mit der von ihnen durchgeführten Devalvation eine Beseitigung solcher Subventionen gefordert würde. ({3}) Die Bedeutung der Devalvation schätze ich nicht gering ein, und ich bin persönlich geneigt, in dieser ganzen Devalvation auch eine positive Seite zu sehen, weil sie ja im Einvernehmen mit den Vereinigten Staaten durchgeführt ist und schließlich doch den Sinn haben soll, uns auf die Dauer zu einer freieren Gestaltung des Weltwirtschaftsverkehrs zu führen. Wie ist die heutige Lage? Ein dauernder Exportüberschuß der Vereinigten Staaten, Dollarknappheit in allen anderen Ländern, bilaterale Handelsverträge, Blöcke, Pfundblöcke und andere Währungsblöcke, also eine völlige Auflösung des von uns für notwendig gehaltenen allgemeinen multilateralen Handelsverkehrs. Wäre es und gelungen, im ({4}) Zuge einer vernünftigen Devalvation zur Herstellung vernünftiger Kaufkraftparitäten zwischen den Währungen zu kommen, so wäre damit ein großes Hindernis für eine solche Gestaltung eines freieren zwischenstaatlichen Handelsverkehrs aus dem Wege geräumt worden. Die segensreichen Folgen, die eine solche Aktion hätte haben können, werden aber offenbar voll und ganz beseitigt, wenn nun mit dieser Devalvation Forderungen verknüpft werden, die das, was erstrebt wird, wieder aufheben müssen. Über das Maß der Devalvation mag man verschiedener Meinung sein. Aber bedenken Sie, daß nach maßgebender deutscher Auffassung auch ein Verrechnungskurs von 30 Cents, wie wir ihn heute haben, der deutschen Wirtschaftslage nicht gerecht wird und daß beispielsweise das Harmssensche Gutachten, auch ganz abgesehen von einer solchen Devalvation, bereits eine Herabsetzung dieses Verrechnungskurses gefordert hat. Hätten wir bei dem heutigen Verrechnungskurs von 30 Cents in der gleichen Weise abgewertet wie die Engländer, so würden wir auf einen Verrechnungskurs von 21 Cents kommen. Uns wird nunmehr in dem Memorandum der Besatzungsmächte die Genehmigung gegeben, bis auf 23,8 Cents herunterzugehen. Ich bin mit meinen Freunden der Meinung, daß der Beschluß der Bundesregierung, den Verrechnungskurs auf 22,5 Prozent herabzusetzen, das allermindeste ist, wenn die Exportmöglichkeiten der deutschen Wirtschaft aufrechterhalten werden sollen. Und nun gestatten Sie mir, noch ein paar kurze Bemerkungen über den Sinn einer Devalvation überhaupt zu machen, weil ich daraus mit Rücksicht auf die Forderungen des Memorandums unter 3a und 3b hernach gewisse Folgerungen zu ziehen beabsichtige. Jede Devalvation muß zu einer Verteuerung der, Einfuhr führen. Wir könnten die Folgen einer solchen Verteuerung, insbesondere auf dem Gebiete der Lebensmittelpreise, entweder durch Subventionen oder aber durch die Erhöhung der Lebensmittelpreise mit entsprechenden Folgerungen für den Ausgleich der Löhne und Gehälter abwenden. Aber es wäre uns lieb gewesen, wenn man es uns, unserer Entscheidung überlassen hätte, welche Konsequenzen wir aus einer solchen Devalvation ziehen wollen, ob wir den einen oder den anderen Weg gehen wollen; denn auch den anderen Völkern, die jetzt zu einer Devalvation schreiten, überläßt man ja diese Freiheit der Entschließung. ({5}) Auf der anderen Seite hat die Devalvation den Sinn, der Exportindustrie höhere Erlöse zu geben, in heimischer Währung gerechnet, und ihr dadurch die Möglichkeit zu verschaffen, billiger zu exportieren und einen Export in größerem Umfange durchzuführen. Betrachten Sie nun, meine Damen und Herren, das Memorandum der Besatzungsmächte und die Forderungen, die unter 3a und 3b an uns gerichtet werden! Sie sind alternativ gestellt. Die Forderung unter 3a enthält das nach meiner Auffassung unbillige Verlangen, ein wertvolles Exportgut, die Kohle, unter dem Weltmarktpreis zu verkaufen, um die Kohle einführenden Länder vor der Erhöhung der Kohlenpreise, in ihrer Währung gerechnet, die ja eine Folge der Devalvation sein muß, zu bewahren. Meine Damen und Herren, so geht es nicht! ({6}) Wer den guten Tropfen haben will, muß auch den bitteren Tropfen schlucken. ({7}) Wenn die Kohle einführenden Länder devalvieren, um ihre Exportmöglichkeiten zu verbessern, so müssen sie dabei auch die Verteuerung der Importe mit in Kauf nehmen. ({8}) Ebenso unbillig erscheint mir die alternative Forderung unter 3b, denn sie bedeutet, daß wir gezwungen werden sollen, durch Erhöhung der inländischen Kohlenpreise die Produktionskosten der gesamten deutschen Wirtschaft zu erhöhen und dadurch jeglichen Vorteil, den auch wir von einer Devalvation durch den Export haben wollen, wie alle anderen, wieder zunichte zu machen. ({9}) Auch das ist eine unmögliche Forderung. Aber betrachten Sie nun die Dinge einmal vom Standpunkt der Kohle einführenden Länder! Denken Sie meinetwegen an Frankreich, das eine Devalvation im Ausmaß von 27 Prozent durchführt! Was bedeuten die Dinge vom Standpunkt der Franzosen aus? Daß sie devalvieren, um größere Exportmöglichkeiten zu haben, 'daß aber auch sie den bitteren Tropfen, die Verteuerung der Kohlenimporte, in ihrer heimischen Währung gerechnet, nicht hinnehmen wollen! Auch das scheint mir eine ungerechte Lösung zu sein. Meine Damen und Herren, das ist das Wesentliche, was ich im Namen meiner Fraktion hier auszuführen habe. Abschließend dazu möchte ich nur noch sagen, daß die Zusammenarbeit mit der Hohen Kommission einen schlechten Start gehabt hat, ({10}) und zwar nach meinem Dafürhalten deshalb, weil hier sachliche Verhandlungen, die die Bundesregierung mit der Hohen Kommission hätte führen können, verknüpft werden mit wirtschaftlichen Forderungen zu Lasten der deutschen Wirtschaft. ({11}) Das geht nicht an. Wir bedauern auch diese Verquickung mit der großen amerikanischen Konzeption. Denn, meine Damen und Herren, ich erblicke in dieser Devalvation, die ja im Einvernehmen mit den Amerikanern durchgeführt wird, aus den vorhin angegebenen Gründen nach dem Marshallplan den zweiten Schritt, Ordnung in das Chaos der Weltwirtschaft zu bringen und wieder einen allgemeinen Güteraustausch lebendig zu machen auf der Grundlage von Währungen, die der Kaufpreisparität der einzelnen Länder entsprechen. Ich bedauere, daß diese große Konzeption hier durch solche Forderungen Schaden erleiden muß. ({12}) Die Bundesregierung möge versichert sein, daß sie die volle Unterstützung meiner Fraktion findet, wenn sie hier mit Hartnäckigkeit die deutschen Interessen wahrzunehmen weiß. ({13})
13
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01009.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-28
232
9
1
null
köhler
11,001,150
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Merkatz.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01009.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-28
233
9
1
null
merkatz
11,001,477
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Deutschen Partei bedauert es lebhaft, daß hier über die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers zum Verlangen der Hohen Alliierten Kommission hinsichtlich der Angleichung der D-Mark und einer vorgeschlagenen Erhöhung der Kohlenpreise in diesem Stadium der Verhandlungen in der Form ({0}) mehrerer Parteierklärungen gewissermaßen eine Diskussion hervorgerufen wird. Sie hätte es lieber gesehen, wenn die Einmütigkeit der deutschen Haltung dadurch zum Ausdruck gekommen wäre, daß auf Grund einer Vereinbarung im Ältestenrat eine gemeinsame Erklärung aller Fraktionen des Bundestages zustande gekommen wäre. ({1}) Die Fraktion der Deutschen Partei begrüßt die aus den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers hervorgehende klare und eindeutige Stellungnahme der Bundesregierung. Hierbei ist es erforderlich, daß auch die deutsche Öffentlichkeit mit genügendem Verständnis die Ziele der Bundesregierung unterstützt und wirtschaftliche Beunruhigungen im innerdeutschen Gefüge vermieden werden. Die Fraktion der Deutschen Partei ist der Auffassung, daß es sich bei dieser Frage um einen hervorstechenden Fall seit Inkrafttreten des Besatzungsstatuts handelt, bei dem die deutsche Öffentlichkeit Gelegenheit hat, ihr nationales Bewußtsein hinsichtlich der Wirtschaft und des sozialen Lebens durch ein hohes Maß von Selbstdisziplin zu betätigen. Die Fraktion der Deutschen Partei kann allerdings nicht umhin festzustellen, daß das in dem Schreiben der Hohen Alliierten Kommission an die Bundesregierung zum Ausdruck gekommene Verlangen, die Kohlenpreise in einer wirtschaftlich nicht zu vertretenden Weise zu manipulieren, weit den Rahmen der Befugnisse einengt, die der deutschen Bundesregierung auf Grund des Besatzungsstatuts verblieben sind. Es ist der Fraktion der Deutschen Partei in höchstem Maße zweifelhaft, ob das Kontrollrecht über den Außenhandel und den Devisenverkehr gemäß Vorbehalt g des Artikels 2 des Besatzungsstatuts eine Maßnahme deckt dahingehend, daß die Hohe Alliierte Kommission der deutschen Bundesregierung den Prozentsatz der Angleichung der deutschen Währung vorschreibt. Auf keinen Fall kann sie es aber unwidersprochen lassen, daß gemäß dem Schreiben der Hohen Alliierten Kommission die Heraufsetzung der Kohlenpreise binnen sieben Tagen verlangt wird. Wenn das Besatzungsstatut überhaupt einen Sinn haben soll, so ist es erforderlich, daß sich auch die Hohe Alliierte Kommission an seine Bestimmungen mit genau derselben Loyalität hält, wie sie von der deutschen Bundesregierung und jedem deutschen Staatsbürger verlangt werden muß. Das im Schreiben der Hohen Alliierten Kommission niedergelegte Verlangen hinsichtlich der Kohlenpreise könnte doch nur auf den Vorbehalt h des Artikels 2 des Besatzungsstatuts gestützt werden, der aber seinem Sinn und seinem Wortlaut nach dafür auch nicht die geringste Handhabe bietet. Das Besatzungsstatut läßt diese Eingriffsmöglichkeit in das innere Gefüge der deutschen Wirtschaft nur in einem Mindestmaß, und zwar nur zu dem Zwecke zu, eine Vergeudung der durch auswärtige Hilfe nach Deutschland eingeführten Güter zu verhindern. Um einen solchen Fall handelt es sich hier aber hinsichtlich der Kohlenpreise nicht. Wir sind als deutsche Vertreter gehalten, vor der Öffentlichkeit mit dem ganzen Ernst unserer Verpflichtung dagegen zu protestieren, daß durch eine solche umstürzende Maßnahme, wie sie von der Hohen Alliierten Kommission verlangt wird, unübersehbarer Schaden angerichtet wird. Die Fraktion der Deutschen Partei ist davon überzeugt, daß die Tragweite dieses Verlangens die Hohe Alliierte Kommission bewegen sollte, dem sehr ernsten Hinweis der deutschen Bundesregierung stattzugeben. Die Fraktion der Deutschen Partei begrüßt es wärmstens, wenn die Bundesregierung in dieser Frage fest bleibt. ({2})
7
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01009.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-28
234
9
1
null
köhler
11,001,150
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Seelos.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01009.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-28
243
9
1
null
adenauer
11,000,009
Meine Damen und Herren! In einer im September erschienenen Nummer der Zeitung „Die Zeit", die ich zufällig zur Hand habe, befindet sich die Wiedergabe der folgenden Bemerkung, die ein Reichstagsabgeordneter an den früheren Kanzler von Bülow gerichtet hat: Meine Aufgabe als Volksvertreter ist es, den Gefühlen des deutschen Volkes Ausdruck zu geben. Ihre Aufgabe als Minister des Äußern wird es sein, den hieraus entstehenden Schaden wiedergutzumachen. ({0}) Meine Damen und Herren! Ich bin selbstverständlich davon überzeugt, daß keiner der Herren Vorredner so verantwortungslos gedacht hat wie dieser Reichstagsabgeordnete, aber ich möchte mir doch erlauben, darauf hinzuweisen, daß jeder von uns, der von diesem Pult aus spricht, gegenüber dem deutschen Volke eine Verantwortung trägt! ({1}) Ich darf weiter noch folgendes bemerken: Die Verhandlungen mit der Hohen Kommission sind noch im Gange. ({2}) - Verhandlungen! - Wenn es mir möglich gewesen wäre, die Veröffentlichung in Frankreich hintanzuhalten, würde ich selbstverständlich auch hier der Presse keine Mitteilung gegeben haben; denn ich halte es für eine außerordentliche Gefährdung solcher Verhandlungen und damit der Interessen des deutschen Volkes, wenn während schwebender Verhandlungen eine entweder unangebrachte oder zum mindesten doch verletzende Kritik geübt wird. Man sollte meines Erachtens damit zurückhalten, bis die Verhandlungen abgeschlossen sind. ({3}) Nun, meine Damen und Herren, bitte ich doch im Interesse der deutschen Öffentlichkeit - ich sage das namentlich gegenüber dem, was der Herr Abgeordnete Dr. Reismann gesagt hat -, daran festzuhalten, daß bisher überhaupt noch nichts vorgeschrieben und auch noch nichts irgendwie zugesagt ist. Ich darf gegenüber Herrn Dr. Reismann feststellen, daß ich hier ausdrücklich erklärt habe, die Bundesregierung sei einmütig entschlossen, den Vorschlag der Hohen Kommissare auf eine Erhöhung der inländischen Kohlenpreise nicht anzunehmen. Das bitte ich doch festzuhalten und nicht durch Ausführungen, wie sie der Vertreter einer angesehenen Partei hier eben gemacht hat, Beunruhigung im deutschen Volke hervorzurufen. ({4}) Daß die Verhandlungen im Flusse sind, geht auch daraus hervor, daß meinem Ersuchen um eine mündliche Verhandlung mit den Hohen Kommissaren stattgegeben worden ist. Die Verhandlung wird stattfinden. ({5}) Ich bitte, diesen Beschluß der Hohen Kommissare einmal in Ruhe durchzulesen; Sie werden dann finden, daß in dem Wortlaut dieses Beschlusses selbst Möglichkeiten zu Verhandlungen aufgezeigt sind. Sobald die Verhandlungen abgeschlossen sind, wird das Ergebnis dem Hohen Hause selbstverständlich mitgeteilt werden. Aber ich glaube, die heutigen Verhandlungen waren ein Schulbeispiel dafür, daß man während schwebender Verhandlungen nicht darüber sprechen soll. ({6})
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01009.pdf
Chancellor
null
1949-09-28
244
9
1
null
köhler
11,001,150
Meine Damen und Herren! Darf ich annehmen, daß nach dieser Erklärung des Herrn Bundeskanzlers die Aussprache vom Hause als abgeschlossen angesehen wird? ({0}) Ich höre keinen Widerspruch und stelle fest, daß die Aussprache zu der eingangs abgegebenen Erklärung des Herrn Bundeskanzlers als beendet angesehen wird. Wir fahren nunmehr in unserer eigentlichen Tagesordnung fort: Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung. Nach der seinerzeit im Ältestenrat festgelegten Reihenfolge der Redner hat nunmehr Herr Abgeordneter Agatz das Wort. ({1}) Ich darf noch einmal darauf aufmerksam machen, daß die Herren von der KPD und vom Zentrum je eine halbe Stunde Redezeit haben.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01009.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-28
245
9
1
null
agatz
11,000,013
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat uns in seiner Regierungserklärung kundgetan, daß er auf dem Gebiete der Wirtschaftspolitik die in Frankfurt „so erfolgreich eingeschlagene Richtung" weiterverfolgen werde. Wir haben das zur Kenntnis genommen, obwohl es angesichts erstens des Marshallplans, zweitens des Ruhr- und Besatzungsstatuts und drittens der Tatsache, daß der Herr Bundeskanzler Adenauer und der Herr Wirtschaftsminister Professor Erhard hießen, für uns eine Selbstverständlichkeit war. Aber wenn der Herr Bundeskanzler erklärt, diese Wirtschaftspolitik sei so erfolgreich gewesen, so muß das, meine ich, doch den Widerspruch weiter Teile unseres Volkes herausfordern. Wir sind der Meinung, daß vor allem das schaffende Volk, daß die Arbeiter und Angestellten darüber anderer Auffassung sind als der Herr Bundeskanzler. Was sind denn das für „Erfolge"? Würde der Herr Bundeskanzler nach dem, was jetzt mit unserer D-Mark passiert ist, und nach den hier geführten Diskussionen auch noch von „Erfolgen" sprechen? Ich finde, wir sollten klar sehen. Worauf waren denn diese Erfolge zurückzuführen? Auf unsere deutsche Kraft? Nein! Sind nicht die Schaufenster da draußen mit gepumpten Milliarden gefüllt worden? ({0}) Das ist doch nicht zu bestreiten. Wir sollten uns nicht mit fremden Federn schmücken. Solange das deutsche Volk nicht aus eigenem Vermögen, aus eigener Kraft sich einen festen Boden unter die Füße schafft, so lange sollte man mit dem Wort ,,Erfolg" sehr vorsichtig sein. Nach unserer Auffassung ist unserem Volke mit dieser Frankfurter Wirtschaftspolitik eine sehr böse Mahlzeit serviert worden. Nach dem, was wir vorhin gehört haben, können wir getrost sagen, daß diese Mahlzeit mit sehr gefährlichen Keimen infiziert ist, mit den Keimen des niederbrechenden, verfaulenden Kapitalismus. Unser Volk wird sehr aufpassen müssen, daß es dabei überhaupt noch erhalten bleibt. Ich möchte den Herrn Bundeskanzler fragen, wieso er von „Erfolgen" reden kann, wo es doch eine weitbekannte Tatsache ist, daß 50, ja 60 Prozent unseres Volkes unter dem Existenzminimum leben. ({1}) Ich möchte ihn fragen, wie man von „Erfolgen" reden kann, wenn man 1,3 Millionen Arbeitslose, ebenso viele Kurzarbeiter hat und wenn diese Arbeitslosenzahlen wachsen, wenn jetzt zum Beispiel wieder 20 000 Eisenbahner entlassen werden müssen. Geht denn diese Arbeitslosigkeit auf konjunkturelle oder auf strukturelle Ursachen zurück? Alle Sachkenner wissen: es liegt an der Wirtschaftsstruktur, es liegt an der Frankfurter Wirtschaftspolitik, eben an dieser, wie der Herr Bundeskanzler sagte, „so erfolgreich eingeschlagenen Richtung". Was sollen unsere Millionen Alten, die zu versorgenden Kranken, unsere Kriegsbeschädigten sagen? Es ist immer wieder festgestellt worden, in welch großer Not sie leben. Wie kann man da von „Erfolgen" reden? Und was sollen die Flüchtlinge sagen? Hier wurde wiederum mit den Flüchtlingen gespielt. Wir sind der Meinung, daß den Flüchtlingen hier bei uns geholfen werden muß, daß es Pflicht eines jeden Deutschen ist, dafür zu sorgen, daß den Flüchtlingen geholfen wird und daß die Regierung sich dieses Problems annehmen und es einer gerechten Lösung zuführen muß. Die deutsche Kraft muß ausreichen, um diese Not zu beseitigen. ({2}) Was sollen die Millionen Arbeiter und Angestellten sagen, deren Löhne und Gehälter durch die Frankfurter Wirtschaftspolitik gestoppt wurden, während gleichzeitig die Preise in Bewegung gesetzt wurden? Und jetzt möchte ich einmal als Bergarbeiter sprechen. Was sollen die Bergarbeiter zu dieser „erfolgreichen" Wirtschaftspolitik sagen? Ist sich die Regierung, sind sich die Herren Abgeordneten darüber im klaren, daß mit der Arbeitskraft der Bergarbeiter jetzt schon wieder schmählich Mißbrauch getrieben wird, daß dieses wertvollste Gut unseres Volkes jetzt schon wieder über alle Maßen ausgenutzt und ausgebeutet wird, daß unsere Bergarbeiter an der geforderten Leistung und der gewährten Entlohnung krank werden müssen und krank werden? Was sollen sie denn dazu sagen, wenn hier von „Erfolgen" gesprochen wird? Sie sollten mit ihren Löhnen und mit ihrem sozialen Schutz an der Spitze aller übrigen Industriearbeiter stehen. Aber was haben sie, an welcher Stelle liegen sie? Weit, weit darunter! Und das zu einer Zeit, in der Unternehmer große Gewinne einstecken konnten. Diese Herren konnten von „Erfolg" reden. Der Herr Bundeskanzler mag die Frage beantworten, ab 'er sich mit seinem Ausspruch zu dieser Seite unseres Volkes bekennen wollte. Nach unwidersprochenen Meldungen hat zum Beispiel die Firma Opel in drei Monaten einen Reingewinn von 11 Millionen DM erzielt. Wir könnten Beispiele über Beispiele dafür bringen, wie hoch die Gewinne der Unternehmer infolge der Frankfurter Wirtschaftspolitik waren. ({3}) - Hinzu kommt selbstverständlich das, was die amerikanischen und anderen Unternehmer dabei verdient haben. Der Vorsitzende des DGB, Herr Kollege Böckler, erklärte auf einer Gewerkschaftsveranstaltung, daß in der Wirtschaft nach der Währungsreform mindestens 2,5 Milliarden D-Mark investiert worden seien, die zu Unrecht entzogenen Lohn darstellten. Das ist der Erfolg. Die Arbeiter, die Angestellten haben dafür bluten müssen, daß aufs neue eine kapitalistische Wirtschaft hier restauriert werden konnte, daß aufs neue der schnöde Eigennutz der Menschen, die Profitgier zur Triebfeder des Wirtschaftens gemacht ,werden konnte. Die Werktätigen messen Erfolg oder Mißerfolg mit den Maßstäben ihrer eigenen Not. Aus dieser Not wurden große Forderungen geboren. Wir als Gewerkschaftler haben uns für die Sozialisierung eingesetzt. Wir können heute erklären: auf Grund der Frankfurter Wirtschaftspolitik ist die Sozialisierung hintertrieben worden; wir können heute sagen, daß damit das beste, was unsere Menschen wollten, unter den Stiefel getreten worden ist. Da ist die Frage des Mitbestimmungsrechts. Wir haben darüber sehr viel gehört. Wir haben zum Beispiel erfahren müssen, daß die katholischen Arbeiter auf dem Katholikentag dieses Mitbestim({4}) mungsrecht in einer Entschließung forderten, die ziemliches Aufsehen erregt hat. Wir sind der Meinung, daß sich in dieser Bekundung der katholischen Arbeiter eine tiefe Sehnsucht nach wirtschaftlicher Sicherheit und nach sozialem Fortschritt offenbarte. Wir müssen allerdings feststellen, daß diese dort gemachten Bekundungen zum Mitbestimmungsrecht mächtigen Kreisen in Westdeutschland offenbar arg mißfallen haben. Denn in den letzten Tagen erst hat es der Herr Kardinal Frings für richtig gehalten, Essig in den Wein zu gießen, indem er darauf hingewiesen hat, daß die Betriebsleitung weiterhin unabhängig sein und die Befehlsgewalt im Betriebe haben müsse, daß noch sehr viel Zeit notwendig sei, um das Prinzip des Mitbestimmungsrechts einem Ende zuzuführen, daß es also nicht eine Sache von heute auf morgen sei, dieses Mitbestimmungsrecht zu realisieren; das heißt also, daß die Politik der Regierung, wie vom Herrn Bundeskanzler ausgeführt worden ist, auf die Wiederherstellung des freien Spiels der Kräfte, also auf die Wiederherstellung der alleinigen Macht der Unternehmer in ihren Betrieben hinstrebt. Der Herr Bundeskanzler sagt, er wolle eine Politik machen, die so sozial wie möglich sein sollte. Ich muß schon sagen, was heißt „so sozial wie möglich"? Nach dem, was wir sonst in dieser Regierungserklärung finden, scheinen die Möglichkeiten zu einer Sozialpolitik der Regierung sehr, sehr eng zu sein. Wir meinen, daß die sozialpolitik einer Regierung so sozial wie notwendig sein müsse; und was notwendig ist, meine Damen und Herren, das haben vor allen Dingen die Gewerkschaften erklärt. Ich werde mir gestatten, hier zu den Forderungen der Gewerkschaften, die zur Wahl dieses Bundestags erhoben worden sind, einige Bemerkungen zu machen. Die Gewerkschaften fordern erstens eine Politik der Vollbeschäftigung; sie sagen, die Erfahrungen seit der Währungsreform beweisen deutlich, daß auf den von der amtlichen Wirtschaftspolitik eingeschlagenen Wegen dieses Ziel nicht erreicht werden kann; sie sagen, daß die unausgesetzte Nichtausnutzung der produktiven Kräfte in einem aufreizenden Gegensatz zur Unterversorgung des deutschen Volkes stehe. Was sagt die Regierung zu dieser Forderung? Sie sagt lediglich, daß sie die „erfolgreiche" Politik der sozialen Marktwirtschaft fortzusetzen gedenke. Für sie gibt es anscheinend keine Arbeitslosen, für sie gibt es das Problem der Vollbeschäftigung nicht, für sie gibt es diese Schande nicht, daß dort Millionen Hände ruhen müssen zu einer Zeit, wo unser Volk größte Not an Bedarfsgütern, an Wohnungen in seinem Leben leidet. Es kommt zweitens die Frage eines umfassenden Wohnungsbauprogramms, welches die Gewerkschaften gefordert haben. Der Herr Bundeskanzler erklärt: „Wir werden durch Lockerungsvorschriften der Raumbewirtschaftung und der Mietfestsetzung das Privatkapital für den Bau von Wohnungen interessieren". Also Wohnungen sollen nur dann gebaut werden, darf ich wohl feststellen, wenn sich der Bau von Wohnungen profitabel macht. Der Wohnungsbau soll also zur Sache der Geldmänner gemacht werden, die an der Wohnungsnot unseres Volkes zu verdienen gedenken. Das ist das Ende des so viel beredeten sozialen Wohnungsbaus. Wie sollen denn Wohnungen errichtet werden, wenn nicht gewaltige öffentliche Mittel zur Verfügung gestellt werden, die dann zu Mieten führen, die auch für den kleinen Mann tragbar sind? Es heißt in den Gewerkschaftsforderungen, daß die Vollbeschäftigung dauernd gesichert werden müsse. Die Politik der Vollbeschäftigung muß als oberster Grundsatz der Staatspolitik anerkannt werden, fordern die Gewerkschaften. Wir haben auch davon in der Regierungserklärung nichts gehört. Wir haben überhaupt den Eindruck, daß die Tatsache der Erwerbslosigkeit sehr, sehr leicht genommen wird. Wir haben erfahren können, daß der Herr Professor Erhard gelegentlich sogar erklärt hat: „Erwerbslose, echte Erwerbslose, nun, die haben wir nur sehr wenig; das sind meistens Schwarzhändler oder sonstige lichtscheue Gesellen, die da arbeitslos sind, die da irgendwie aufgetaucht sind und ihre Ansprüche stellen". ({5}) Ich möchte sagen: Gerade die Politik der Vollbeschäftigung ist das entscheidende Kriterium für den wirtschafts- und sozialpolitischen Kurs der Regierung Adenauer. Aber eine solche Politik hat zur Voraussetzung, daß vom Prinzip der sozialen Marktwirtschaft abgegangen wird. Das wird die Regierung nicht tun; darum wird notwendigerweise die Zahl der Erwerbslosen ansteigen, notwendigerweise werden sich damit auch die sozialen Spannungen verschärfen, und notwendigerweise wird daraus Widerstand erwachsen, der der Regierung Adenauer eines Tages zeigen wird, was die Gewerkschaften wollen. In den gewerkschaftlichen Forderungen steht vor allem die Demokratisierung der Wirtschaft. Dabei heißt es sehr richtig, daß die Erfahrungen der Jahre 1918 bis 1933 gezeigt haben, daß die formale politische Demokratie nicht ausreicht, eine echte demokratische Gesellschaftsordnung zu verwirklichen. Die Demokratisierung des politischen Lebens muß deshalb durch die Demokratisierung der Wirtschaft ergänzt werden. Was aber erleben wir heute? Die Unternehmer fühlen sich jetzt schon wieder stark. In allen Betrieben versuchen sie jetzt schon wieder die Mitbestimmungsposition der Arbeitnehmer einzuschränken. Sie versuchen jetzt schon wieder systematisch und hartnäckig, den alten Herr-imHause-Standpunkt durchzusetzen. Nach der Regierungserklärung werden sie nicht geneigt sein, von diesem ihrem Kurs auch nur das mindeste abzulassen. Weiter wird gefordert, daß entscheidende Wirtschaftszweige in Gemeinwirtschaft übergeführt werden müssen. Damit kommen wir zu der Frage der Entmachtung des Monopolkapitals. Seien wir uns doch darüber klar, daß diese Forderung, die in der Sozialisierungsforderung der Gewerkschaften und der Werktätigen ihren Ausdruck fand, eine geschichtlich notwendige Maßnahme darstellt. An dieser Forderung gibt es kein Vorbeikommen. Es kann nicht zum Segen des deutschen Volkes gereichen, wenn hier in Westdeutschland der Versuch gemacht wird, eine neue Unternehmerwirtschaft, einen neuen Monopolkapitalismus zu installieren. Das muß im Widerspruch zu den entscheidenden Lebensfragen unseres gesamten Volkes stehen, und daher kommt dieser Forderung erhöhtes Gewicht zu. Die Regierung spricht in ihrer Regierungserklärung davon, daß die Besitzverhältnisse geändert werden müßten; sie sagt aber gleichzeitig, daß man das Vertrauen des ausländischen Kapitals wieder({6}) gewinnen müßte. Ich mache darauf aufmerksam, daß jetzt bei der auf Grund der von der Besatzungsmacht aufdiktierten Neuordnung nach dem Gesetz Nr. 75 zum Beispiel die Unternehmungen in unserem Bergbau, die in ausländischem Besitz sind, herausgenommen wurden, bei dieser Neuordnung also eine Vorzugsbehandlung genossen. Daß ihnen nicht nur dieser eine Vorteil zuteil werden wird, dessen dürfen wir ganz gewiß sein. Hinzu kommt, daß jetzt viel davon die Rede ist, ausländisches Kapital müsse auch in den Bergbau hinein. Ich frage: will die Regierung ihre Hand mit dazu hergeben, daß unser Bergbau in ausländischen Besitz übergeht? Gerade weil die Fragen so ernst sind, muß die Forderung der Gewerkschaften auf Überführung entscheidender Wirtschaftszweige in Gemeinwirtschaft energischer gestellt und auch erfüllt werden. Unter Punkt 7 der gewerkschaftlichen Forderungen heißt es, daß ein einheitliches Arbeitsrecht und eine fortschrittliche Sozialpolitik gefordert werden müßten. Damit kommen wir in einem sehr interessanten Punkt der Regierungserklärung. Die Gewerkschaften fordern ein einheitliches Arbeitsrecht. Der Herr Bundeskanzler sagt: ,,Die Rechtsbeziehungen .zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern müssen zeitgemäßer geordnet werden. Die Selbstverwaltung der Sozialpartner muß an die Stelle der staatlichen Bevormundung treten". Was meint der Herr Bundeskanzler mit diesem Ausdruck „staatliche Bevormundung" im Arbeitsrecht? Wer hat sich bevormundet gefühlt? Der Herr Bundeskanzler will auch hier dem freien Spiel der Kräfte Geltung verschaffen. Denn die Unternehmer als die wirtschaftlich Stärkeren konnten sich bevormundet nur dann fühlen, wenn sie durch die staatliche Einwirkung gezwungen wurden, die Arbeitsgesetzgebung zu beachten, wenn sie gezwungen wurden, die Tariflöhne, die der Tarifvertrag vorsah, zu zahlen, wenn sie gezwungen wurden, den Urlaub zu gewähren und den Arbeitern jenen Schutz zuzugestehen, der im Interesse der Arbeiter auf dem Gesetzeswege geschaffen worden ist, der freilich den Unternehmern unliebsam war und gegen den sie aufbegehrt haben. Weil der Staat zugunsten der Arbeiter eingriff, haben sie sich bevormundet gefühlt. Und nun soll diese Bevormundung, dieser staatliche Schutz des wirtschaftlich Schwächeren aufgehoben werden. Wir meinen, daß damit sehr deutliche Worte gesagt worden sind und daß es für die Arbeiter und Angestellten Zeit ist aufzuhorchen, um das Programm dieser Regierung früh genug erkennen und entsprechende Abwehrmaßnahmen durchführen zu können. In der Frage der Sozialpolitik sagt der Herr Bundeskanzler: „Es scheint mir aber auch eine der wesentlichen Grundbedingungen einer verständigen Sozialpolitik zu sein, dem Fleißigen und Tüchtigen jede Aufstiegsmöglichkeit zu verschaffen". Das hört sich wunderbar an. Wer die Dinge aber in den Betrieben kennt, der weiß, wie gerade das kollektive Arbeitsrecht, der kollektive Tarifvertrag einen Sicherheitsschutz für die arbeitenden Menschen bilden. Man muß sehr, sehr aufmerken, wenn solche Worte gesprochen werden. Wir meinen, daß damit Gefahren signalisiert werden, die die Arbeiter veranlassen müssen, auf der Hut zu sein. Wir fragen die Regierung: Was gedenkt sie zur Linderung der großen sozialen Not zu tun? Davon haben wir in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers wenig gehört. Was gedenkt sie zum Beispiel für diesen Winter zu tun? Es könnte ein harter Winter über uns kommen. Was gedenkt sie zu tun, damit unsere armen Menschen nicht hungern und frieren müssen? Was gedenkt sie zu tun, um die deutsche Arbeiterschaft vor der durch Marshallplan, Ruhrstatut und Besatzungsstatut, wie wir es heute erst wieder bestätigt erhalten haben, doppelten Ausbeutung zu schützen? Was gedenkt sie zu tun, daß die Arbeiter zu gerechten Löhnen kommen? Wir meinen, die Regierung kann nicht aus der Verantwortung entlassen werden. Wenn sie die Politik des Marshallplans, des Ruhrstatuts und des Besatzungsstatuts bejaht, dann trägt sie die Verantwortung für alle Folgen. Man muß sich die Lage - ich muß darauf noch einmal zu sprechen kommen - der Bergarbeiter vorstellen. Ihr Lohn steht nicht mehr an der Spitze. Ihre Leistungen für das Volk sind ungeheuer. Gezwungen aus Not, gehen jetzt die Bergarbeiter dazu über und verfahren Überschichten. Sie tun sich damit schwersten gesundheitlichen Schaden an. Ich appelliere an die Minister, besonders an den Herrn Arbeitsminister Storch, diesem Überschichtenunwesen der Bergarbeiter ein Ende zu setzen. Aber dazu ist nötig, daß die Löhne der Bergarbeiter erhöht werden. ({7}) Es geht nicht an, daß die Bergarbeiter so schlecht entlohnt werden, daß sie gezwungen sind, Überschichten zu machen. Man stelle sich vor, da gibt es Schichtlöhner im Bergbau bei den Übertagearbeitern, die einen solch niedrigen Lohn haben, daß, wenn sie krankfeiern müssen, die Wohlfahrtsunterstützungssätze höher liegen als ihr Krankengeld. Ich muß darauf aufmerksam machen, daß die Gier nach gesteigerter Leistung, nach erhöhter Kohlenförderung die Grubensicherheit gefährdet, daß dadurch schwerste Unglücke über uns kommen können. Was gedenkt die Regierung zu tun, um die Grubensicherheit für die Bergarbeiter zu verstärken? Es macht sich bei vielen verantwortlichen Stellen eine gefährliche Lockerung der Auffassungen über die Grubensicherheit, über die Anwendung der bergpolizeilichen Vorschriften bemerkbar. ({8}) Das kann zu Katastrophen schrecklichen Ausmaßes führen. Wir wollen nicht, daß das geschehe. Darum fordern wir von der Regierung, daß sie gerade auf diesem Gebiete dafür sorgt, daß die Sicherheit der Bergarbeiter garantiert wird. Ich muß darauf hinweisen, daß zigtausende Bergarbeiter von der Silikose angefressen sind, daß sie damit einem frühen und schrecklichen Ende ihres Lebens entgegengehen. Für den Kampf gegen die Silikose müssen große Mittel bereitgestellt werden. Ich möchte im Namen der Bergarbeiter fordern, daß die Regierung diese Mittel bereitstellt, damit die Bergarbeiter vor der Silikose geschützt werden können. Und unsere alten, unsere kranken Bergarbeiter! Ihr ganzes Leben haben sie geopfert, damit das deutsche Volk Kohle hatte, damit es wirtschaften und sich wärmen konnte. Werden sie entlassen, weil sie krank und siech sind, dann stehen sie mit einer kargen Rente da, und dann sind sie auf die Gnade ihrer Söhne oder Schwiegersöhne angewiesen, bei denen sie wohnen. Wir müssen sagen, daß das ein beschämender Zustand ist und daß es höchste Zeit ist, die Renten der Al({9}) ten, der Kranken und der Invaliden zu erhöhen. Gerade gegenüber der Wohnungsnot bei den Bergarbeitern erwächst der Regierung eine ganz besondere Aufgabe. Bekommen wir nicht bald in genügendem Umfang Bergarbeiterwohnungen, dann werden die Zehntausende neuer Bergleute, die zur Ruhr gekommen sind, nicht zu halten sein. Es geht nicht, daß diese Leute nach wie vor in Baracken, in Zechenheimen in unwürdigen Unterkünften dahinvegetieren müssen. Sie brauchen dringend eine Wohnung, soll nicht dem Bergbau die wertvolle Arbeitskraft verlorengehen. Im Mittelpunkt der Wirtschaft soll der Mensch stehen, so wird immer ausgeführt. Schauen wir uns die Verhältnisse im Bergbau an, so stellen wir fest: im Mittelpunkt steht nicht der Mensch, da steht die Kohlenförderung, die Summe der Kohlen, die durch den Schweiß der Bergarbeiter herausgeholt werden. Wir sagen: die Verantwortung der Regierung gerade für die sozialen Probleme unseres Volkes muß klar herausgestellt werden. Wir sagen weiter, daß die Werktätigen auf die Politik dieser Regierung eine richtige Antwort finden müssen, daß die Werktätigen sehen müssen, daß diese Regierung ihrer ganzen Herkunft und Zusammensetzung nach eine ihnen entgegenstehende Politik, eben eine Politik zur Restaurierung des Monopolkapitalismus machen wird, daß sie Marshallplan und Ruhrstatut ausführen, daß sie die Werktätigen einer doppelten Ausbeutung ausliefern wird. Wir sagen darum: gegen diese Regierung muß der Kampf aufgenommen werden. Wir appellieren an die Werktätigen, sich ihrer eigenen Kraft und ihrer eigenen Verantwortung bewußt zu werden, den gemeinsamen Feind, den Monopolkapitalismus, zu erkennen und sich zum Kampfe gegen diesen gemeinsamen Feind zusammenzuschließen. Wir sagen den Gewerkschaftlern: wir haben unser Programm, dieses Programm ist nötig und richtig, es ist gegen die Politik der Regierung. Auf dem Boden dieses Programms muß eine Politik gemacht werden, Werktätigen den Interessen unseres Volkes dient. Die Werktätigen müssen in den Gewerkschaften den Kampf zur Durchsetzung dieses Programms organisieren. Sie müssen erreichen, daß diese Politik der sozialen Marktwirtschaft geändert wird, daß es zu einer planmäßig gelenkten und geleiteten Wirtschaft kommt. Zu diesem gemeinsamen Handeln rufen wir Kommunisten auf. Wir sagen eins: für diese Regierung kann es seitens der Arbeiter, seitens der sozial Bedrängten, seitens der Notleidenden kein Ja geben. Für diese Regierung kann es nur eins geben: hinweg mit ihr so schnell wie möglich! Wir Kommunisten werden das Unsere dazu tun. ({10})
20
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01009.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-28
246
9
1
null
schäfer
11,001,933
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Reismann.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01009.pdf
Presidium of Parliament
vizepräsident
1949-09-28
247
9
1
null
reismann
11,001,815
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung an die Nöte mancher Volksschichten und mancher Kreise gedacht. Er hat vieler mit warmen Worten gedacht. Aber einen Kreis hat er kaum in Betracht gezogen, er hat ihm kaum irgendwelche Worte gewidmet. Er hat von dem großen Kreis der Kriegssachgeschädigten, der Fliegergeschädigten, der Bombengeschädigten so gut wie überhaupt nicht gesprochen. Er hat sie zweimal erwähnt, das eine Mal aber nur insoweit, als er gesagt hat, daß ihrem Wohnungselend ebenso gesteuert werden müsse, wie den aus ihrer Heimat Vertriebenen ein neues Obdach gegeben werden müsse. Dann sprach er in ganz unbestimmten Wendungen von der Notwendigkeit eines Lastenausgleichs und versprach, daß die Regierung dieses Problem, bisher ein heißes Eisen, nun endlich angreifen werde. Damit ist es aber nicht getan. Wir hätten gedacht und gewünscht, daß nun endlich eine Regierung, die es sich zum Ziel setzt, die Verhältnisse in Deutschland zu stabilisieren, etwas konkretere Vorschläge hierüber gewußt und gemacht hätte. Bisher ist für die Kreise der Kriegsbeschädigten, der Bombengeschädigten, der Ausgebombten praktisch so gut wie gar nichts geschehen. Das Allermindeste, was man hätte erwarten können, ist doch, daß man der besonderen Vorbelastung, mit der sie in den wirtschaftlichen Kampf gehen, Rechnung getragen hätte. Es wäre das Allermindeste, daß man ihnen die Konkurrenz in dem wirtschaftlichen Wettbewerb zu den gleichen Bedingungen wie den anderen ermöglicht. Statt dessen werden sie auch noch in der Besteuerung mit einem zusätzlichen Handicap versehen. Es ist jetzt so, daß bei dem Soforthilfegesetz gerade diejenigen, die selber schwer betroffen sind, ebenso mit herangezogen werden wie diejenigen, die mit Gewinnen aus dem Krieg hervorgegangen sind. Die durch den Bombenkrieg selber schwer Betroffenen leiden durch die Substanzverluste. Sie leiden dadurch, daß sie sie noch immer nicht einholen konnten. Sie leiden jetzt zusätzlich dadurch, daß man von ihnen verlangt, noch Aufwendungen zusätzlicher Art zu machen. Wir hätten erwartet, daß eine einigermaßen großzügige Lösung ins Auge gefaßt worden wäre. Da der Herr Bundeskanzler ohnehin davon sprach, daß in großzügigem Maße gebaut werden müsse, und da es eine Tatsache ist, an der wir nicht vorbeikommen, daß im Laufe der Zeit viele Milliarden für die Wiederherstellung der Wohnungen aufgebracht werden müssen, um das deutsche Volk überhaupt wieder unter Dach und Fach zu bringen, hätte es nahegelegen, daß er sich Gedanken darüber gemacht und uns mitgeteilt hätte, wie man diese beiden Probleme miteinander verbinden will. Es ist durchaus möglich - und unser Vorschlag geht dahin -, daß man die Zuwendungen für den Wiederaufbau in erster Linie denjenigen zuwendet, die die Verluste gehabt haben. Das Geld, das die Regierung zur Verfügung stellen wird, darf also nicht in Kanäle geleitet werden, die mit den Kriegsverlusten nichts zu tun haben. Es ist weiter daran zu denken, daß der Bund und die Länder jetzt von einer inneren Verschuldung fast völlig frei geworden sind. Man kann die Lasten dieses Krieges und die Kriegsfolgekosten nicht auf einmal in den nächsten Jahren aus den laufenden Mitteln aufbringen. Es wäre ein durchaus zumutbares und selbstverständliches Vorhaben, diese Lasten mit auf die Schultern der Zukunft zu legen. Wir fordern deswegen, daß die Regierung sich in dieser Hinsicht zunächst zu ihren Verpflichtungen bekennt, daß sie Entschädigungen in Form von Schuldverschreibungen ausgibt, mit denen die so Bedachten etwas anfangen können, und daß sie ihnen auf diese Art und Weise auch eine Art Kapital zur Verfügung stellt, mit dem man den Wiederaufbau fördern kann. Damit fördert man zu({0}) gleich die private Initiative. Wir müssen uns darüber klar sein, daß die Millionen von Ausgebombten nicht in Häusern gewohnt haben, die von der öffentlichen Hand gebaut worden sind. Diese Häuser sind vielmehr von der privaten Initiative gebaut worden. Wir können nicht auf die private Initiative derjenigen verzichten, die bisher die großen Verluste gehabt haben. Das gleiche gilt für die Wiedereinrichtung von all den vielen Millionen Haushaltungen, die um ihren gesamten Hausrat gekommen sind und die sich noch jetzt, ein Jahr nach der Währungsreform, mit kümmerlichen Behelfen durchschlagen müssen. Ohne eine solche Hilfe verkommen - darauf sei auch einmal hingewiesen - Milliardenwerte, die noch in den Resten der bombenzerstörten Häuser vorhanden sind. Bisher verfallen von Monat zu Monat, von Tag zu Tag Millionen und aber Millionen an Werten deswegen, weil die Verfügungsberechtigten nicht die Mittel haben, sie auszuwerten und mit ihrer Hilfe in verbilligter Art und Weise wiederaufzubauen, so daß, je länger wir warten, um so mehr ein totaler Wiederaufbau erforderlich ist. Statt ihnen zu helfen, verstrickt man zurzeit gerade diese Geschädigten, gerade diese Kreise, die unendlich viel zu der Wiederherstellung verhältnismäßig billiger, zumindest verbilligter Wohnräume beitragen könnten, in eine Menge von Vorschriften und einen bürokratischen Apparat, der sie, selbst wenn sie in der Lage sind, an den Wiederaufbau zu gehen, auf viele Monate hinaus hindert, ihren Willen in die Tat umzusetzen und ihr Kapital und ihre Arbeitskraft einzusetzen. Hier eine verwaltungsmäßig und finanziell großzügige Lösung in die Wege zu leiten, ist eine der vordringlichsten Aufgaben, die die Bundesregierung auf dem Gebiete des Wiederaufbaues vor sich hat, aber auch eine Forderung der primitivsten Gerechtigkeit, eine Forderung d e r Gerechtigkeit, für die sich einzusetzen die Bundesregierung versprochen hat. ({1}) Die gleiche Sorge muß die Bundesregierung aber auch den Sparern angedeihen lassen, wenn sie mit ihrer Aufforderung und mit ihren Bemühungen, den Sparwillen im deutschen Volke wieder zu fördern, Erfolg haben will. Wenn man, ohne irgendwelche Konsequenzen aus früheren Versprechungen zu ziehen, es bei allgemeinen Redensarten bewenden läßt, und bei allen Sparern, ob sie sich nun im Laufe eines langen Lebens ein kleines Häuschen erspart haben oder ob sie - nicht mit Schiebergewinnen in der letzten Zeit vor der Währungsreform zusammengerafft, sondern in langen Jahren mit Mühe und Schweiß erworben - ein kleines Kapital auf der Sparkasse hatten, durch alles einfach einen Strich macht und wenn dann die Länder und der Bund von den Hypotheken 90 Prozent für sich verlangen, obwohl doch klar ist, wem das Kapital an sich zukommt, obwohl damit also klar ist, daß man der Ansicht ist, daß die Wirtschaft dieses Kapital aufbringen, auf die Dauer verzinsen und amortisieren kann -, wenn man auf solche Art und Weise mit den Sparern umgeht, dann wird es schwer halten, den Sparwillen im deutschen Volke wieder zu erwecken. Es ist deswegen eine notwendige Forderung, die wir erheben, daß man zumindest dem Problem der Schattenquote bei den Altsparern ganz intensiv nachgeht und sich in bester Absicht bemüht, herauszuholen, was man kann. Man kommt von dem Gedanken nicht ganz frei, daß zur Zeit die öffentliche Hand bestrebt ist, das, was durch die Währungsreform und auf andere Weise in einer konfiskatorischen Art gerade den kleinen Sparern wegenommen worden ist, auf alle Fälle als erworbenen Besitz zu hüten, und daß man sich weigert, irgend etwas davon denen, die das Kapital aufgebracht oder erspart haben, wieder zukommen zu lassen. Es ist eine dringende Forderung, daß man sich hierum kümmert. Eine weitere Angelegenheit, die ich im Zuge unserer Erwiderung auf die Regierungserklärung noch besprechen wollte, ist jetzt zu einem großen Teil erledigt, weil wir über die Frage der Währungsabwertung schon gesprochen haben. Ich will aber in diesem Zusammenhang betonen - der Herr Kanzler scheint mich da mißverstanden zu haben -, daß unsere Forderung gar nicht dahin ging, das alles vor der Öffentlichkeit dieses Hauses zu erörtern. Das war sein eigener Wunsch. Wenn die Diskussion nicht so gelaufen ist, wie er es haben wollte, kann er nicht die Verantwortung auf die Parteien abschieben. ({2}) Wir haben nur verlangt, daß das Haus durch den zuständigen Ältestenrat in Kenntnis gesetzt, daß es meinetwegen in aller Vertraulichkeit darüber unterrichtet worden wäre. Diese Forderung hätte ich gestern schon gestellt, wenn es mir möglich gewesen wäre, hierzu zu sprechen. Aber es ist ja das auch schon bekannt geworden. Es geht jetzt nicht darum, mit irgendeinem Effekt dem Herrn Kanzler zu einem mehr oder minder großen parlamentarischen Sieg in seiner Erklärung zu verhelfen, sondern es geht vielmehr darum, für die Zukunft festzustellen, daß das Parlament nicht wünscht, sich auf solche Art und Weise übergehen zu lassen und stillschweigend sich beiseite gestellt zu sehen, wie das bisher der Fall war. ({3}) Im übrigen bitte ich den Herrn Kanzler, das Stenogramm meiner Rede nachzusehen. Ich habe keineswegs behauptet, daß die Abwertung nach den Maßnahmen und Bedingungen erfolgen würde, die er abgelehnt hat. Ich habe nur gesagt, daß sie den Erfolg, den man sich auf seiten derer, die sie vertreten, wünscht, nicht haben könnte, wenn man nach diesen Bedingungen verfahren würde, die die Oberkommissare stellen. Ich bedauere, daß sich der Herr Kanzler um den genauen Text meiner Rede nicht kümmern konnte, weil er die Stenogramm-Übertragung noch nicht zur Hand haben konnte, da ich gerade erst gesprochen hatte. Es ist ihm offenbar bei aller Aufmerksamkeit entgangen, was ich gesagt hatte. Der Kern unserer Beanstandung bei dem Vorgehen bleibt jedenfalls nicht anzutasten, daß es nämlich besser gewesen wäre, das Haus durch den zuständigen Ausschuß rechtzeitig zu unterrichten. Das ist der Wunsch, den wir auch für die Zukunft an die Bundesregierung haben. Das ist mir mehr wert, als mich im Augenblick weiter über diese Frage auszulassen. ({4})
26
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01009.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-28
248
9
1
null
köhler
11,001,150
Meine Damen und Herren, damit ist die Rednerliste erschöpft. Ich möchte noch folgendes Geschäftliches mitteilen. Die nächste Sitzung, das ist die zehnte, wird voraussichtlich morgen mittag bereits um 14 Uhr beginnen. Über den endgültigen Zeitpunkt werden wir uns noch heute abend im Ältestenrat verständigen. ({0}) Was die Tagesordnung der nächsten Sitzung anlangt, so wird sie in ihrem ersten Teil zunächst die Fortsetzung bzw. Beendigung der Aussprache über die Regierungserklärung bringen. Die sich daran anschließenden Punkte der Tagesordnung kann ich entgegen der einschlägigen Bestimmung der Geschäftsordnung im Augenblick noch nicht mitteilen, weil darüber erst heute abend im Ältestenrat Beschluß gefaßt wird. Ich bitte, sich mit dieser an sich geschäftsordnungswidrigen Handhabung in diesem Fall freundlicherweise begnügen zu wollen. Ich berufe den Ältestenrat auf 20 Uhr 15 ein. Meine Damen und Herren, damit stehen wir am Ende der Sitzung. Ich schließe die neunte Sitzung des Deutschen Bundestags.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01009.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-28
249
10
1
null
Köhler
11,001,150
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 10. Sitzung des Deutschen Bundestags. Die Tagesordnung liegt Ihnen gemäß Abmachung im Ältestenrat vor. Ich darf gleich hinzufügen, daß wir gestern abend nach sehr eingehenden Beratungen im Ältestenrat übereinstimmend zu der Auffassung gelangt sind, diese Tagesordnung heute zu erledigen, damit wir morgen noch einige weitere wichtige Punkte besprechen und morgen gegen Abend die Sitzungswoche beenden können. Ich darf alle Damen und Herren des Hauses bitten, sich darauf einzustellen. Ich habe ferner einige Mitteilungen mehr technischer Art zu machen, damit über das System des Abklingelns einmal Klarheit herrscht. Wenn die helle Glocke dreimal im Abstand von einigen Minuten ertönt, so bedeutet das Sitzungsbeginn. Wenn die Glocke einmal während der Diskussion ertönt, so bedeutet das für die Damen und Herren des Hauses, die sich außerhalb des Plenarsaales aufhalten, einen Rednerwechsel. Wenn die Glocke mit dunklem Klang ertönt, so bedeutet das eine Abstimmung, und dies schließt natürlich die Notwendigkeit daß die Damen und Herren außerhalb des Saales sich schnellstens hier einfinden. Ich darf dann den Herrn Schriftführer bitten, die heute abwesenden Mitglieder bekanntzugeben.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-29
250
10
1
null
Karpf
11,001,067
In der heutigen Sitzung sind beurlaubt wegen Krankheit die Abgeordneten Professor Dr. Baur, Kuhlemann und Dr. Schumacher, auf Grund von Entschuldigungen die Abgeordneten Dirscherl, Dr. Horlacher, Bauknecht, Marx, Dr. Baumgartner, Frühwald, Margulies, von Aretin; Farke, Walter, Hellwege, Dr. Dresbach, Wallner und Nowak.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Presidium of Parliament
schriftführer
1949-09-29
279
10
1
null
Köhler
11,001,150
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Laforet.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-29
874
18
1
null
Köhler
11,001,150
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gundelach.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01018.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-11-25
251
10
1
null
Köhler
11,001,150
Meine Damen und Herren! Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich noch mitteilen, daß sich der Herr Bundeskanzler und einige andere Mitglieder des Kabinetts zur Zeit noch in den bekannten Besprechungen auf dem Petersberg befinden und bis zur Stunde noch nicht haben eintreffen können. Wir treten nunmehr in die Tagesordnung ein und kommen zum ersten Punkt: Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung. Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Professor Dr. Schmid das Wort.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-29
252
10
1
null
Schmid
11,001,993
Meine Damen und Herren! Es ist in diesem Raum eine gute Woche lang sehr viel von Demokratie und fast noch mehr von Freiheit gesprochen worden. Vielleicht werden die Geschichtsschreiber einst dieses Gebäude noch das Haus der Freiheit nennen ... Es ist hier insbesondere in sehr beredten Worten das Regierungsprogramm dem deutschen Volk geradezu als eine Art von Magna Charta der Freiheit vorgestellt worden. Und manchmal erschien mir im Lobpreis gewisser Redner der Herr Bundeskanzler als eine Art von Drachentöter, der mit dem neidlichen Schwert seiner Regierungserklärung den Weg in eine blühende Zukunft geöffnet hat, einen Weg, der im wesentlichen von den Sozialdemokraten verstellt zu sein scheint. Man hat mit sehr bewegten Worten gewisse Gefahren an die Wand gemalt, die dem deutschen Volk gerade von diesen Sozialdemokraten drohen: die Gefahren der Planwirtschaft, die man seltsamerweise in diesem Hause so gern Zwangswirtschaft nennt, so als könnten sich manche Leute Planung und Ordnung nicht anders denn als Produkt von Kommando und Zwang vorstellen. ({0}) Dabei schien gestern noch die Planwirtschaft gar nicht .so abwegig zu sein! Ich erinnere Sie, meine Damen und Herren auf den Bänken vor mir, an den Artikel 5 Ihres Ahlener Programms, den der Abgeordnete Blank so beredt und so seltsam ausgelegt hat, wie es ein Geschäftsführer des weiland Hansa-Bundes, nicht besser hätte tun können. ({1}) Es ist schade, daß unser Kollege von Brentano nicht da ist; ich hätte ihn daran erinnert, wie freudig er sich seinerzeit zur hessischen Verfassung bekannt hat, die nicht nur die Planwirtschaft, sondern, Herr Kollege Euler, ich glaube auch die Sozialisierung zum Inhalt des Staatsgrundgesetzes von Hessen machte. Sehen' Sie, in solchen Dingen, die weit jenseits der Sphäre liegen, wo Güte und Bosheit der Menschen etwas zu bewirken vermögen, manifestiert sich gelegentlich ein sehr altes Phänomen, das den Betrachter der Zeitläufe melancholisch stimmen kann - das Phänomen nämlich, daß im ersten Schock eines Zusammenbruchs fast alle sich auf die immanenten Tendenzen einer Epoche zu besinnen pflegen, daß sie in solchen Zeiten klarer sehen, was die tieferen Ursachen des Zusammenbruchs gewesen sind, und daß sie in der I Auflockerung durch den Schock - es gibt auch politisch eine Schocktherapie - bereiter als sonst sind, Konsequenzen zu ziehen. Nach der ersten Erholung beruhigt man sich, man atmet auf - „die Dinge sind ja längst nicht so schlimm" -, das Gesetz der Trägheit wirkt, und man strebt nach dem Ruhebett des Gewohnten zurück. Meine Damen und Herren, ich sagte einleitend, man hat hier viel von Demokratie und von Freiheit gesprochen. Aber es ist ganz natürlich, daß jeder von seiner Demokratie und ein wenig von seiner Freiheit gesprochen hat; und das ist nicht weiter verwunderlich. Demokratie ist wie jedes geschichtlich gewordene Phänomen ein recht vielgestaltiges Ding in seiner Erscheinung und in seinen Möglichkeiten. Aber etwas ist doch unter allen Hüllen bleibende Substanz: die Trias der Postulate der Demokratie, als da sind: Freiheit als Selbstbestimmung, Gleichheit und die Gründung aller Dinge im Recht. Man spricht gern über diese Namen, und es ist meistens alles ganz richtig, was darüber gesprochen zu werden pflegt. Nur wird oft der Fehler begangen, daß man davon spricht, als sei es gleichgültig, in welcher Zeit und an welchem Ort man davon spricht. Aber diese Postulate haben die Möglichkeit zur Realisierung immer nur in einem Hier und Jetzt. Man muß da schon konkret fragen, welche Freiheit und wessen Freiheit, welche Gleichheit und wessen Gleichheit ist gemeint und was für ein Recht und für wen dieses Recht sein soll: Recht als ein Ding zum Festhalten von Privilegien oder als ein Ding zur Abwehr des Eindringens des jeweils dritten Standes in die bisher verwehrten Bereiche - oder soll das Recht ein Ding sein zum Erwerb von Rechten für die, die noch nicht genug davon haben; ein Ding, das ihnen Tore in Bereiche öffnen kann, die ihnen bisher verschlossen waren. Wie seltsam man vom Recht denken kann, dafür gibt es kaum ein einleuchtenderes Beispiel als die bekannte Rede eines gewissen Junkers Otto von Bismarck aus dem Jahre 1847, wo er als göttlichem und menschlichem Recht widerstreitend darstellte, daß die adligen Grundbesitzer zur gleichen Grundsteuer herangezogen werden sollen wie die bürgerlichen. Das war durchaus „sittlich" gemeint und keine Tartufferie. Meine Damen und Herren, was hier in diesen Tagen im Namen der individuellen Freiheit vertreten worden ist, das waren zum großen Teil Relikte des Nationalliberalismus der Wilhelminischen Zeit. ({2}) Es war weitgehend der sehr respektable Honoratioren-Liberalismus von Besitz und Bildung - der zu seiner Zeit wohl eine höchst moderne und die Welt reich befruchtende Sache gewesen ist. Aber leider haben heute in unserem Volk nur wenige den dafür erforderlichen Besitz, und die Bildung ist leider nicht immer dort, wo solcher Besitz sich findet. ({3}) Was einigen der Vertreter und Lobpreiser dieses Wesens im Denkbild vorschwebt, das wirkt sich real aus - nicht gewollt, aber es wirkt sich nun eben einmal aus als die Freiheit des reichen Mannes, der sein Gesinde und seine Klientel ordentlich behandelt. ({4}) - Ich glaube nicht, Herr Kollege Euler, obwohl vielleicht bei Ihnen die Generationenfrage eine Rolle ({5}) spielen mag. Jene Gleichheit, an die jene Redner dachten, wirkt sich aus - nicht gewollt, aber real zur Gleichheit der Chance innerhalb der Koterie auf der einen Seite und zur bunt dekorierten Uniformität des Sich-Abfindens mit dem sozialen Dualismus auf der andern Seite. Wir Sozialdemokraten aber möchten auch für die Freiheit des armen Mannes reale Unterbauten schaffen. Und wenn Sie in diesem Fall vom Rechte sprechen, Herr Kollege Euler, dann denke ich daran, daß Demokratie für uns nicht schon darin bestehen kann, daß es den armen Leuten wie den reichen Leuten verboten ist, Brot zu stehlen! Herr Dr. Ewers hat uns ein Idealbild seiner Demokratie und seiner sozialen Gerechtigkeit entrollt, ein Bild, auf dem ich manche Züge entdeckte, die mir in meiner - frühen - Jugend die Lektüre von Gustav Freytags „Soll und Haben" so sympathisch gemacht haben. Aber so ehrenwert das alles ist - und es ist durchaus ehrenwert -, es ist das die Sozialphilosophie des weiland Junkers von der Marwitz. Das ist die gute alte Zeit. Es ist die Welt des Immermannschen „Oberhof". Aber wo dieser Oberhof einst stand, Herr Dr. Bucerius, da stehen heute - Ihnen wohl bekannt - Zechen und Hütten. Und die Probleme, die dieser Wandel aufwirft, löst man nicht mit der sozialökonomischen Weisheit Onkel Bräsigs, daß die Armut von der Powerteh komme. ({6}) Letzten Endes läßt sich diese Auffassung von Demokratie in dem Satz resumieren: Demokratie ist dort, wo die Leute einem glauben, daß sie Ursache haben, mit ihrem Los zufrieden zu sein; und die Feinde der Demokratie - die „subversiven Elemente", wie man sie einstmals nannte -, das sind jene, die den armen Leuten Zweifel darüber erwecken, daß diese Welt der Väter die beste aller möglichen Welten sei. Dagegen steht unsere Auffassung, von Demokratie, die lautet: Demokratie ist nur dort eine lebendige Wirklichkeit, wo man bereit ist, im Anruf des jeweiligen Hier und Jetzt die sozialen und ökonomischen Konsequenzen aus ihren Postulaten zu ziehen. ({7}) Dazu gehört einiges. Dazu gehört, daß man den Menschen herausnimmt aus der bloßen Objektsituation - nicht nur im formalpolitischen Bereich, sondern auch und gerade dort, wo der Schwerpunkt seines Lebens liegt, nämlich im ökonomischen und im sozialen Bereich. Es lohnt sich manchmal, meine Damen und Herren der Rechten, Karl Marx zu lesen. Wenn Sie die Seiten lesen, die er über die Selbstentfremdung des Menschen durch die Maschine geschrieben hat, dann werden Sie einige der schönsten Seiten gelesen haben, die je einen Beitrag zu einer humanistischen Konzeption des Verhältnisses des Menschen zur Welt gegeben haben. Wir müssen aber den Menschen aus dieser Objektsituation unter den Gegebenheiten dieses Jahrhunderts herausnehmen, das - wenn Sie wollens: Gott sei's geklagt - ein Jahrhundert der Maschine ist und ein Jahrhundert der Vermassung. Weiter muß man dann den Menschen herausnehmen wollen aus dem Verfallensein an die Krisen, die das notwendige Produkt der zügellosen Wirtschaft sind, die Sie so gerne und so idyllisch die „freie" nennen. Dazu gehört weiter, daß man dem Menschen, der zur Lohnarbeit gezwungen ist, erträgliche Arbeits- und Lohnbedingungen schafft durch die Brechung des Monopols der Eigentümer der Produktionsmittel bei der Bestimmung der Arbeitsbedingungen. Und da muß man zuerst die industrielle Reservearmee demobilisieren, die Sie von Frankfurt aus mobilisiert haben! ({8}) Das erfordert einige Strukturveränderungen in unserer Gesellschaftsverfassung. Es erfordert, daß man den Betrieben - das heißt dort, wo die Menschen dieses Volkes den größten Teil ihres Lebens zubringen - eine Verfassung schafft, die mindestens das an Mitbestimmung bringt, was die konstitutionelle Monarchie schon vor hundertfünfzig Jahren im Staate geschaffen hat. Es bedingt weiter, daß die Wirtschaft - mit indirekten Mitteln natürlich - geplant und gelenkt werden muß, und zwar unter gleichwertiger Beteiligung der Organisationen der Arbeiterschaft. Als ich am ersten Tage von da drüben rechts einen Zwischenruf hörte: „Na, da wird was Schönes herauskommen!", da habe ich mich ein kleines bißchen geschämt. Es bedingt weiter, daß man die Schlüssel- und Grundstoffindustrien in Gemeineigentum überführt. Denn Demokratie als Bestimmung der Geschicke eines Volkes durch das Volk selbst gibt es nur dort, wo die Schalthebel der Wirtschaft nicht in Händen von Gruppen liegen, denen , ihre wirtschaftliche Macht die Möglichkeit gibt, sich der demokratischen Kontrolle - jedenfalls einer wirksamen demokratischen Kontrolle - zu entziehen. ({9}) Wenn Sie hierbei von Kommandowirtschaft sprechen und wenn es Ihnen beliebt, Parallelen zur Hitlerschen Zwangs- und Kriegswirtschaft zu ziehen, dann frage ich Sie: Gibt es denn als Kontrast zu Gesetzlosigkeit und Planlosigkeit nichts anderes als den Kasernenhof? Kann man sich als Kontrast denn nicht vorstellen, daß an die Stelle eines erbarmungslosen Mechanismus eine Ordnung tritt, die der vorsorgende Verstand des Menschen geschaffen hat? ({10}) Es ist seltsam, daß sich sehr warmherzige Menschen, die hier gesprochen haben, so gegen diese Möglichkeit sträuben. Aber, meine Damen und Herren, Warmherzigkeit konsumiert sich nicht darin, daß man der Arbeiterschaft versichert, wie leid einem die Proletarisierung tue, und daß man sich möglichst viele kleine selbständige Existenzen wünsche, sondern sie erfüllt sich darin, daß man ohne Ressentiment die Konsequenzen daraus zieht, daß die kapitalistische Wirtschaftsordnung in Gottes oder in Teufels Namen die Arbeiterschaft eben weithin proletarisiert hat ({11}) und daß sie bewirkt hat, daß auch die „kleine selbständige Existenz" das Privileg weniger geworden ist. Wenn man hier den Versuch gemacht hat, Karl Marx und was sich über ihn hinaus entwickelt hat, mit Adam Smith zu widerlegen, so darf ich sagen, meine Damen und Herren: die Wirtschaftsgeschichte des 19. und des halben 20. Jahrhunderts ist doch ein einziges Zeugnis dafür, daß man gezwungen war, wenigstens etwas von dem zu korrigieren, was die Epigonen von Adam Smith über die Menschheit gebracht haben. Man hat hier den Wagemut des unternehmenden Menschen gelobt, man hat die Zeiten gelobt, die ({12}) charakterisiert sind durch Reglementslosigkeit - gut! -, man hat hier an den Pioniergeist der Neuen Welt appelliert. Aber, meine Damen und Herren, alle diese Dinge hatten ihren Preis, und dieser Preis war die Brutalität des Menschen gegen den Menschen. Der Preis, den man dafür zu zahlen hatte, war das Gesetz des Dschungels! ({13}) Jenen, denen der Pioniergeist so gefällt, ({14}) nöchte ich das Wort der „Pioniere" in Erinnerung rufen: „Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer!" - Die Indianer haben für den Pioniergeist bezahlt! ({15}) Und wie ist es mit dem Wagemut und mit der Reglementslosigkeit? Meine Damen und Herren, wenn Sie nicht wissen sollten, was sich in der klassischen Zeit der Herrschaft dieser Theorien ereignet hat: es lohnt sich auch heute noch, die Enqueteberichte des englischen Unterhauses aus der Mitte des letzten Jahrhunderts zu lesen! Man hat versucht, diese Dinge zu korrigieren, in Etappen zu korrigieren, zuerst dadurch, daß man sozialpolitische Maßnahmen einführte, insbesondere die Sozialveisicherung. Aber ich erinnere mich - aus der Literatur -, daß, als diese Dinge eingeführt wurden, auf den rechten Bänken des Reichstags davon gesprochen wurde, daß es unmoralisch sei, die Menschen zwangsweise zu versichern. ({16}) Dann hat man versucht, eine neue Wirtschaftsgesinnung lebendig zu machen, und es sind hier einige große Dinge geschehen. Ich nenne nur den Bischof Ketteler, und ich nenne eine so leuchtende Persönlichkeit wie Wichern. Ich spreche nicht von denen, die sich plötzlich des Arbeiters erinnerten, weil sie fahen, daß sie eine Klientel verlieren könnten; ich spreche von denen, denen es ernst gewesen ist. - Aber auch diesen Menschen hielt man manches entgegen und sprach von der Sünde der Selbsterlösung, zu der sie die Versuchung anlegten. Dann kam die nächste Etappe: der Versuch, das Arbeitsrecht zu modernisieren, charakterisiert dadurch, daß an die Stelle der Gesindeordnung der Tarifvertrag getreten ist. Ich habe mich in meiner Dissertation noch damit abquälen müssen, nachzuweisen, daß der Tarifvertrag nicht gegen die guten Sitten verstößt. ({17}) - So historisch ist das nicht. Sie haben damals alle schon gelebt, meine Damen und Herren! Und nun muß man weitergehen. Wo man stillsteht, geht man zurück. Man muß weitergehen zur strukturellen Wandlung unserer Gesellschafts- und Sozialverfassung. ({18}) - Meine Damen und Herren, es gibt manchen, der es nicht merkt, daß er Marxist in seinem Anderssein ist. - Der Groschen fällt schon, warten Sie mal! ({19}) Sie sprechen so gern von den ewigen Gesetzen der Wirtschaft. ({20}) Die Wirtschaftsgesetze sind nicht ewig, sie sind historisch. ({21}) Auch der Marxismus ist nicht ewig! ({22}) - Ich gönne Ihnen die Freude, meine Damen und Herren, sich uns turmhoch überlegen fühlen zu können. - Diese 'Gesetze sind abhängig von bestimmten Gegebenheiten, die die Zeit schafft und wegnimmt, und darum wandeln sich diese Gegebenheiten in jeder Generation, und so wandeln sich auch die Anliegen, in denen sich der Kampf des Menschen gegen die Tyrannei des Mechanismus der gesellschaftlichen Gebilde verkörpert. Wer da glaubt, es genüge, sozial im sozialkonservativen Sinne zu sein, um dem Gebot der Zeit gerecht zu werden - das kleine Häuschen und der Schrebergarten für „die Leute" -, der mißversteht die Impulse, die seit hundert Jahren die Arbeiterbewegung tragen. ({23}) Der Arbeiter will nicht, daß man ihm aus guter Gesinnung etwas schenkt. ({24}) Er will keinen Paternalismus à la Salazar. Ihm genügt nicht, daß man „es gut mit ihm meint". Man sollte sich sein Bild von der deutschen Arbeiterschaft nicht allzusehr aus den Romanen Rudolf Herzogs holen. ({25}) - Da wäre es schon besser, Herr von Rechenberg, wenn man sich das Bild der Unternehmerschaft aus der „Union der festen Hand" eines gewissen Erik Reger holen würde, ({26}) den Sie jetzt im „Tagesspiegel" lieber lesen, als Sie ihn vor 15 Jahren gelesen hätten. ({27}) - Es ist schade, daß Sie das Buch nicht kennen. Sie würden sehr viel darin wiederfinden, was Ihnen autobiographisch bekannt sein dürfte. ({28}) Meine Damen und Herren, die Arbeiterschaft ist nicht mehr „Gesinde", der Kumpel ist - trotz der schönen Knappentracht eines Kollegen im Hause - nicht mehr der „Knappe", und der Unternehmer ist nicht mehr der „Meister". Die Arbeiterschaft verlangt, daß man sie als Klasse - und nicht als romantischen Berufsstand - in die Lage versetzt, in rechtlich geordneter Weise über sich und die ökonomischen und politischen Voraussetzungen ihrer sozialen Existenz zu bestimmen. ({29}) Das macht gewisse - bedeutsame - strukturelle Veränderungen innerhalb unserer Ökonomie und Soziologie notwendig. Solange diese Dinge nicht in Angriff genommen werden, wird es, fürchte ich, unruhig bleiben in diesem Lande. Die Arbeiterbewegung ist doch nicht nur eine Lohnbewegung, sie ist eine Freiheitsbewegung! ({30}) Sie ist der Aufbruch derer, die bisher für ihr tägliches Brot Fremden zu gehorchen hatten, einer Welt zu, in der die Gebotstafeln für den Erwerb des täglichen Brotes von ihnen selber aufgerichtet sein würden. Ich weiß, man sagt in Ihren Reihen ({31}) gern: Utopie, ganz schön, Schwarmgeister usw. Aber, meine Damen und Herren, haben Sie denn keinen Sinn für die Großartigkeit und für den Realismus dieser Impulse? Diese Impulse sind so großartig und so realistisch, wie die Ihrer geistigen Väter und Ihrer wirklichen Vorväter 1789 und 1848 einst gewesen sind. ({32}) Damals sagte man auch: „Na, was sollen denn diese „Bürger" regieren können! Haben sie ja nicht gelernt!" Wer da glaubt, wir meinten, auf diese Weise würde auf dieser Erde ein Paradies erblühen, das den Schmerz und das Leid nicht kennt, der täuscht sich. Es wird auch dann, wenn wir das, was wir verwirklichen müssen und wollen, verwirklicht haben werden, noch Raum genug geben für christliche Nächstenliebe! ({33}) - Wenn Sie glauben, mir darauf antworten zu können, alle diese Dinge seien ja leicht in Ordnung zu bringen, wenn man die rechte und gute Gesinnung habe, und wenn Sie den Geist von Caux beschwören und anrufen, - meine Damen und Herren, es gibt leider auf dieser Welt einige harte Dinge, wie Angebot und Nachfrage, Verzinsung und Rendite, die dem guten Willen gelegentlich Schranken anlegen. ({34}) Ich habe, als ich einige Redner hier hörte, manchmal an Verse einer sehr unheiligen Oper denken müssen: „Ein edler Mensch, wer wäre es nicht gerne? Doch leider, die Verhältnisse, die sind nicht so!" Es ist die Drei-Groschen-Oper, wenn Sie es nicht wissen sollten. ({35}) Es ist hier auch vom Klassenkampf gesprochen worden. Manche Ausführungen darüber schienen mir fleißige Lektüre weiland Rumpelstilzchens zu verraten. ({36}) Meine Damen und Herren, der Klassenkampf ist nicht von den bösen Sozis erfunden worden, den haben sie vorgefunden, und die Arbeiterschaft brauchte ihn lediglich aufzunehmen. Hätte sie ihn nicht aufgenommen - Herr Kollege Gockeln, Sie haben mir zugenickt -, stünden die Arbeiter dann heute da, wo sie jetzt stehen? ({37}) - Nein, sie stünden nicht dort. ({38}) Und nun will ich Ihnen etwas sagen: im demokratisch kontrollierten Staat, in dem das Machtmonopol übermäßig zusammengeballten wirtschaftlichen Eigentums gebrochen ist, kann ein gutes Stück Klassenkampf in seiner elementaren Form überflüssig werden. ({39}) Aber dieser Staat wird dann nicht als ein Staat konzipiert werden, der in erster Linie als Besitzschutzmaschine konstruiert wird. ({40}) Dieser Staat muß dann die res publica sein. ({41}) Der aufgeblähte Staat ist scheußlich, ({42}) und jede Verabsolutierung des Staates ist unmenschlich. ({43}) - Wie freue ich mich, daß Sie rechts so klatschen! ({44}) Vor Zeiten hat man auf Ihren Bänken vom Staate gesprochen als dem rocher de bronze! ({45}) Bei Ihnen kultivierte man die Märchen vom Alten Fritz! ({46}) In Ihren Schulbüchern pries man den Vater Friedrichs des Großen mit dem Korporalstock als den Begründer des „modernen" Staates. ({47}) Es ist eine seltsame Sache, meine Damen und Herren: in gewissen Zeiten und bei gewissen Gelegenheiten sind es besonders die reichen Leute, die so wenig Staat als möglich haben wollen - die Polizei ausgenommen natürlich -, und wenn man genau hinsieht, dann erscheint ihnen der Staat offensichtlich dort am scheußlichsten, wo er als Finanzamt in Erscheinung tritt. ({48}) Wenn man sich bei Ihnen heute so über die Beamtenschaft aufregt - nun, vor Tische las man's da gelegentlich anders. Als man bei Ihnen das Monopol der Ämterpatronage hatte, meine Damen und Herren, da fand man den Staat nur dort richtig gefügt, wo recht viele Beamte als Säulen der Gesellschaft aufgereiht werden konnten. ({49}) - Herr Kollege Hilpert, Sie haben offenbar keine Ahnung, wie virulent das 19. Jahrhundert im 20. Jahrhundert noch sein kann. - Sehen Sie, meine Damen und Herren, wenn Sie mit Ihren Zwischenrufen über die Stellenvermittlungsbüros der Parteien kommen, - erinnern Sie sich nicht mehr eines seligen Kösener SCs, erinnern Sie sich nicht mehr der Stellenvermittlungsbüros bei den Altherrenschaften der Korporationen? ({50}) - Ich sehe, daß sich in diesem Augenblick manche Anwesende mit viel Intensität in das Studium ihrer Akten vertiefen. ({51}) Meine Damen und Herren, wir wollen sowenig Staat als möglich, aber soviel Staat als nötig! ({52}) Man stellt gelegentlich in diesem Zusammenhang auch die Kontroverse Unitarismus - Zentralismus. Meine Damen und Herren, das ist falsch gesehen! Was hier gemeint ist, ist doch, daß ein geballter Staat den einzelnen Menschen gerade von der Hinwendung zur res publica fernhält, daß er den Menschen zum Objekt anonymer bürokratischer oder anderer Gewalten macht. Das ist richtig. Aber das ist nicht anders, wenn ein Staat sechs Millionen Einwohner hat oder sechzig Millionen; von einer bestimmten Größe ab werden alle weiteren quantitativen Steigerungen gleich null oder gleich unendlich. Ich erinnere Sie an den bayerischen Etatismus, Herr Kollege Seelos, Sie kennen ihn gut. Ich erinnere Sie an den bayerischen Zentralismus. Fragen ({53}) wir eimal die Franken in diesem Hause; die wissen darüber etwas zu sagen. Was hier korrigiert werden will und korrigiert werden sollte, das kann man nach Ihren Rezepten nicht korrigieren; das kann man nur korrigieren, indem man sehr viel mehr staatliche Gewalt auf die Gemeinden verlagert, als es heute der Fall ist. ({54}) Dann bringen Sie den einzelnen Menschen nahe, sehr viel näher an die res publica heran. Aber ob der Staat fünf Millionen Einwohner oder sechzig Millionen Einwohner hat, das spielt im Verhältnis des einzelnen zur „Obrigkeit" keine Rolle mehr. Man hat uns die Segnungen des Föderalismus in bewegten Worten gepriesen, ({55}) - ich werde dazu noch etwas sagen, lieber Herr Landsmann -, insbesondere die Sprecher der Bayernpartei. Sie haben den Anspruch erhoben, für Bayern zu sprechen, Herr Seelos. Ich weiß nicht, ob die existentielle Interpretation des Bayerntums, die Sie und Herr Dr. Besold gegeben haben, die richtige ist. Ich weiß es nicht. Vielleicht haben die beiden Herren auch nur Spaß gemacht. ({56}) Aber wenn sie so bewegt darüber geklagt haben, daß man sie in die Bundesrepublik „hineinvergewaltigt" habe - was meinen Sie denn, Herr Seelos, was ein Nürnberger „Föderalist" im Jahre 1803 gegen München gesagt haben mag? Oder ein Augsburger? Sehen Sie, die Geschichte geht nun einmal gelegentlich in Sprüngen voran. Das läßt sich nicht vermeiden, das ist ihre Gefährlichkeit und ihre Dignität. - Und dann, Kollege Seelos, Sie sind mir ein schöner Föderalist! Sie haben in Ihrer Rede verlangt, daß man dem Lande Berlin die Finanzgebarung kontrolliere, wenn man ihm Bundesmittel gibt. Stellen Sie sich einmal vor, es sagte nun einer: die Bayern erhalten doch Bundesmittel, also muß man doch kontrollieren, wie sie verwendet werden ... ({57}) - Etwas interessanter - finden Sie nicht auch? - als ein langweiliger Föderalist! Der Föderalismus scheint es so an sich zu haben, Frau Kollegin Kalinke. Sie haben den Antrag Nr. 40 eingebracht, wo es heißt: bei der Zuwendung von Mitteln des Bundes an Berlin soll die Verwendung dieser Mittel an die Zustimmung eines von der Bundesregierung zu bestellenden Bundeskommissars gebunden sein. Vielleicht ist das sachlich richtig. Aber dann darf man nicht aus kleinen Liebhabereien ({58}) eine Religion des Absoluten machen wollen. ({59}) - Sie haben ein ausgesprochenes Talent, sich klar auszudrücken! Herr Dr. Etzel hat einen Dithvrambus auf das bündische Prinzip gesungen. Das hat mich gefreut. Auch ich bin der Meinung, daß in dem bündischen Prinzip eine sehr humane und sehr schöpferische Kraft liegt. Aber das bündische Prinzip wollen wir doch heute nicht im Masstabe Krähwinkels aktualisieren, sondern im europäischen Maßstab! ({60}) Einer von Ihnen hat einmal gesagt, die deutschen Länder müßten im Gänsemarsch in Europa einmarschieren. Meine Damen und Herren, Europa ist kein Hühnerhof! So wird es nicht kommen. ({61}) - Einer von Ihnen, nicht gestern, sondern schon vor längerer Zeit. Nun werde ich noch etwas sagen, und jetzt werde ich sehr ernst. Sie haben auch Österreich angesprochen. Ich will Ihnen nicht die Unehre antun, zu glauben, als ob Sie etwas wie „Anschluß" nazistischer Art gemeint hätten. Das haben Sie nicht getan. Was aber hier geschehen ist, ist höchst gefährlich, denn es klang, etwas an von. dem Mythos des „Heiligen Reichs der Deutschen", als Mythos großartig, aber als Realität eine bittere und gefährliche Sache. ({62}) Sehen Sie, diese Art von Romantik hat die Eigenschaft, über ihre Begründer hinauszuwachsen. Es lohnt sich manchmal, ein bißchen Hegelsche Logik zu studieren, Herr Seelos! Sehen Sie, solche Dinge pflegen in der nächsten Generation umzuschlagen. Ein Mann wie Constantin Frantz ist auch ein Verläufer des Nazismus gewesen, ({63}) nicht nur wegen seines Antisemitismus! Sehen Sie: es hat wenig Dinge zu Beginn des 19. Jahrhunderts gegeben, die so großartig und lauter und rein gewesen wären wie die deutsche Nationalbewegung, etwa verkörpert in der frühen Burschenschaft. Aber diese Bewegung fand sehr bald ihren Treitschke, und damit wurde sie pervertiert: sie wurde zum Impuls des kleindeutschen PreußenDeutschland und machte dieses zur imperialistischen Macht Kontinental-Europas. ({64}) Weil ich mir vorstellen muß, daß auch Ihr neuer romantischer Überschwang einmal seinen Treitschke finden könnte, deswegen rufe ich Ihnen zu - im Guten -, meine Herren: ({65}) Nehmen Sie diesen Traum von Ihrer Stirn und kehren Sie zurück zu einer nüchternen Betrachtung dieser Dinge! ({66}) Herr Dr. Richter hat hier in einem anderen Ton von ähnlichen Dingen gesprochen. Das war schon eher alldeutscher Anspruch virulenter Art! Wir haben das aber bei Schönerer und Rudolf Jung schon besser gelesen, - den beiden Autoren, die das Geschichtsbild eines Linzer Realschülers namens Adolf Hitler gebildet haben. Und, Herr Kollege Richter, durch die Lektüre Mosleys ist es nicht besser geworden. ({67}) Ich glaube, daß Anlaß besteht - und damit erweise ich Ihnen eine Ehre -, auf diese Dinge genau zu achten und rechtzeitig das Paroli zu bieten, das wir seinerzeit zu bieten vergessen haben! ({68}) Sie haben sich, Herr Dr. Richter, darüber beklagt, daß in diesem Hause einige dagegen gewesen sind, daß „Einigkeit und Recht und Freiheit" gesungen wurde, und Sie haben gemeint, diesen Leuten liege offenbar nichts an Einigkeit und Recht und Freiheit. So einfach ist es nicht. Wir wollen ({69}) kein Lied zur Nationalhymne haben, das dadurch entehrt worden ist, daß dieses Volk es zwölf Jahre lang zur ersten Strophe des Horst-Wessel-Liedes degradiert hat! ({70}) Sie haben, Herr Dr. Richter, mit bewegten Worten über das Unrecht geklagt, das nach Abschluß der Kämpfe den Deutschen im Osten und Westen zugefügt worden ist. Hierzu ist zu sagen, daß wahrlich viel geschehen ist, was sich neben Tatbestände stellen kann, für die man in Landsberg Leute gehängt hat. ({71}) Aber das Recht, hier moralisch anzuklagen, haben doch wohl nur diejenigen, die sich seinerzeit über Sauckel, über die Austreibung und Ausrottung der Juden und Polen, über Lidice, über Auschwitz und über Oradour wenigstens geschämt haben! ({72}) Wenn hier von einigen Fällen späterwachten Widerstandsgeistes gesprochen worden ist, dann sage ich, meine Damen und Herren: Konversionen nach Stalingrad sind demokratisch uninteressant. ({73}) Die Regierung hat ein lautes Bekenntnis zu den föderativen Grundlagen des Grundgesetzes abgegeben. Herr Dr. Seelos, Sie waren wirklich undankbar gegen die Alliierten; denen verdanken wir doch das meiste davon. ({74}) Der Föderalismus, zu dem sich die Regierung bekannt hat, regt in mir zwei Fragen an: Meinen Sie Föderalismus assoziativ oder dissoziativ? Meinen Sie Föderalismus als Vereinigung dessen, was getrennt ist, oder als Trennung von etwas, was vereint ist? Wir sagen Ja nur zu der ersten Möglichkeit, Herr Kollege Kiesinger, und da sagen wir freudig Ja. Wir hoffen, die Regierung meint es auch so .... Nun bitte ich - mit allem Respekt -, mich an die Regierungsbank wenden zu dürfen. Gewisse Personen dort erwecken bei uns Zweifel. Diese Regierung wird, wenn wir sie ganz richtig bezeichnen wollen, von uns als Regierung AdenauerSchäffer bezeichnet werden müssen. ({75}) Einige der Hüter der Verfassung haben seinerzeit gegen dieses Grundgesetz gestimmt, ({76}) weil es ihnen zu unerträglich zentralistisch erschien. Da haben wir nun den Verdacht - Sie sollten sich also über unsere Zweifel nicht wundern, Herr von Brentano -, daß vielleicht einige dieser Herren denken könnten, jetzt auf organisatorischem Wege das schaffen zu können, was ihnen in Bonn zu schaffen nun einmal nicht gelungen ist. Wir werden darüber wachen, daß Deutschland nicht weiter dissoziiert wird ({77}) und daß damit der Preis, den Sie, Herr Bundeskanzler, für den bayerischen Sukkurs zahlen mußten, nicht allzusehr auf Kosten der deutschen Zukunft geht. ({78}) Vielleicht werden wir dabei auch Sie zum Bundesgenossen erhalten, Herr Bundeskanzler. ({79}) Wenn man sich anschaut, was sich in gewissen Ländern in den Staatskanzleien alles an politischer Energie und an Politikfreudigkeit zusammengeballt hat, dann kann man - konnte man - gelegentlich Bilder unbeschreiblicher Komik sehen. Manche Staatskanzleien trieben nämlich Außenpolitik gegen andere Staatskanzleien. ({80}) Es gab da etwas wie eine Doktrin des innerdeutschen Gleichgewichts. - Sie rufen „Tübingen". Ich will Ihnen gleich etwas sagen. Die Tübinger Staatskanzlei bestand zu meiner Zeit aus zwei Beamten, als die Freiburger aus 34 bestand. ({81}) Vielleicht war das notwendig. Man hat damals Legationsräte noch und noch eingestellt, Gott sei Dank, denn jetzt haben wir wenigstens Protokollchefs zur Verfügung .... ({82}) Aber abseits dieser Scherze, meine Damen und Herren: nichts ist heute für dieses Volk notwendiger als eine ernsthafte und konsequente Außenpolitik, und hier muß ich sagen, daß mir die Zurückhaltung des Herrn Bundeskanzlers, kein Auswärtiges Amt zu errichten, höchst weise erscheint. Ob das aus Erkenntnis geschehen ist oder weil die Schaffung eines solchen Amtes die Geburtswehen der Kabinettsbildung verschlimmert hätte, das ist gleichgültig; wir freuen uns des Resultats. ({83}) Unser Staat ist noch nicht in der Lage, eine institutionelle Außenpolitik im klassischen Sinn zu treiben. Zu einer solchen Politik gehören eine Reihe von Voraussetzungen, von denen die wichtigste die Möglichkeit ist, sich seine Partner frei zu wählen. ({84}), Die haben wir nicht. Es gehört dazu die Möglichkeit der Universalität der politischen Beziehungen. Es gehört dazu die Möglichkeit, dies zu einem System korrespondierender Röhren auszubauen, und es gehört die Möglichkeit dazu, den politischen Entschlüssen einen Zug zum Permanenten hin zu geben. Das alles können wir heute, wo wir unter Fremdherrschaft leben - noch leben -, nicht. Der Plafond des Raums für eine deutsche staatliche Außenpolitik ist das Besatzungsverhältnis. Das bildet den geometrischen Ort, auf dem sich die staatliche politische Aktivität, die wir leisten können, vollzieht. Jeder staatliche Akt, der darüber hinausreichen wollte, würde sich im Prisma der Hohen Kommission brechen müssen. Außerdem: wir müssen noch ein wenig warten, bis gewisse Traditionen der Wilhelmstraße ausgestorben sind. ({85}) Es gibt mehr Nadolnys, als die Nadolnys selber wissen. ({86}) Wir können und wollen mit einer Tradition, die letztlich nur Ausspielen von Ost und West, „Rückversicherungsverträge" usw. kannte, nichts mehr anfangen. ({87}) Wir können auch nichts anfangen mit einer neuesten Tradition des Wilhelmstraßenfortsatzes: mit ({88}) den Abendlandrezepten im Sinne einer Option für die Politik westlicher Staaten, indem man Deutschland zum Instrument dieser Politik anbietet. ({89}) Auch dafür stehen schon Spezialisten in Deutschland an. Man sollte nicht den Fehler machen, im freudigen Streben, den Nationalismus früherer Zeiten in den Orkus zu werfen, zu glauben, Antinationalismus bedinge, daß eine deutsche Politik notwendig Funktion der nationalen Interessenpolitik fremder Länder sein müsse, ({90}) liegen diese Länder nun östlich oder mögen sie westlich liegen. ({91}) Wenn man dabei, wie es gelegentlich geschieht, vor der Gefahr der Selbstisolierung warnt - es gibt Zeiten, wo Isolierung das beste Mittel ist, um sich vor dem Aufgefressenwerden zu schützen. Denken Sie an das unvorsichtige Rotkäppchen! ({92}) Vielleicht sollten wir ein wenig an gewisse Maximen des letzten Jahrhunderts denken. Ich denke da an ein Wort Cavours: Italia fara da sè, Germania farà da sè! Deutschland wird sich aus sich selber bilden! ({93}) - Herr Seelos, Sie haben auf Außenpolitik studiert; ich weiß es. Ich bitte Sie um die Erlaubnis, als Dilettant gelegentlich einen Fehler begehen zu dürfen. ({94}) Und, meine Damen und Herren, die Leute, die eine solche deutsche Politik in ein System bringen könnten, sind als Team noch nicht vorhanden. Wir sollten uns daran gewöhnen, in der Geduld nicht nur ein Nichttun zu sehen, sondern eine höchst wirksame Kraft. ({95}) Sie würden mich äußerst mißverstehen, wenn Sie glaubten, daß diese Worte Ausdruck defaitistischer Gesinnung seien. Auch ohne Auswärtiges Amt und auch ohne Gesandtschaften und Botschaften ist ein Land wie Deutschland ein Agens der Politik in der Welt. ({96}) Deutschland ist durch sein Dasein, seine Masse, seinen Ort und durch seine Zukunft ein außenpolitisches Agens in potentia. ({97}) Dieses immanente Potential gilt es von Fall zu Fall zu aktualisieren. Wir müssen als Volk eine deutsche Politik anlegen, das heißt eine Politik, die nicht Funktion fremden Willens ist, sondern Produkt des Willens dieses Volkes. Wir müssen es tun, um eine europäische Politik machen zu können, ({98}) das heißt eine Politik, in der begriffen ist, daß alles, was ist, Funktion gesamteuropäischer Ursachen ist und daß alles, was wir zu tun haben, auf Europa hinführen muß, sei es unmittelbar, sei es mittelbar im Reflex. Man hat vom Primat der Außenpolitik gesprochen. Aber mir will scheinen, als ob einige der Kollegen, die es taten, damit das „Innere" der Politik zu weit in den Hintergrund geschoben hätten. Jede Außenpolitik hat ihr „inneres" Substrat. Beide müssen aneinander angepaßt sein; sonst gibt es einen Bruch. Es ist keine wirksame Außenpolitik möglich ohne das rechte Verhältnis eines Volkes zu sich selbst. Solange ein Volk mit dem nicht fertig geworden ist, was ihm zu tun obliegt, um „in Verfassung" zu kommen - nicht im Verstande der Staatsrechtslehrer; ich meine das so, wie Lassalle das Wort verstanden hat, wenigstens im Sinne des Durchbruchs zum Entschluß, in Verfassung zu kommen -, kann es höchstens eine fragmentarische oder eine hysterische Außenpolitik oder eine solche der Unterwerfung treiben. Auf jeden Fall aber wird es - mag es diese oder jene Außenpolitik treiben - dem Untergang zutreiben. Heute ist diesem Volke aufgegeben, sich im Kampf um die Verwirklichung einer lebendigen Demokratie zu integrieren - Demokratie als die politische Form des Willens eines Volkes zur Selbstbehauptung, zur Selbstbestimmung und zur Selbstachtung verstanden. ({99}) Das bedingt aber, meine Damen und Herren - und hier muß ich mich wiederholen -, daß man die sozialen und strukturellen Konsequenzen der Postulate der Demokratie, wie sie dieses 20. Jahrhundert und nicht das 19. Jahrhundert aufgerichtet hat, zieht. Nur wenn dieses Volk, das Volk der Arbeiter, der Städter und Bauern Deutschlands, weiß: in diesem Lande lebt man richtig, und das heißt: nach dem Gesetz dieser Zeit; und wenn es weiß: in diesem Lande lohnt es sich zu leben, wird es möglich sein, eine echte, systematische, eigenständige Außenpolitik zu treiben, die gleich weit entfernt ist von dem Surrogat der Selbstachtung, das Nationalismus heißt, wie von der Flucht in die Unterwerfung. Politik heißt: das Notwendige möglich machen. Das Ziel unserer Politik muß sein, das Notwendige, nämlich die Wiedergewinnung der deutschen Freiheit und der deutschen Einheit, möglich zu machen. Aber man sollte sich vor der Versuchung hüten, über Schatten zu springen, nicht nur über den eigenen, sondern auch über die Schatten der Zeit. Es gibt kein Betrugen gegen die Fakten; es gibt darum auch kein Überspringen von Etappen. Man sollte nie aus dem Sinn lassen, daß man nur machen kann .,la politique de ses moyens", die Poli-tik der Mittel, die einem zur Verfügung stehen. Aber man sollte heute von den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, nicht zu gering denken! Man sollte nicht vergessen, daß es auf bestimmten Gebieten und in bestimmten Situationen eine potentielle Überlegenheit des Besiegten über den Sieger gibt. Wir sollten uns weiter davor hüten, uns in Fiktionen abdrängen zu lassen: man wird uns im Laufe der Zeit eine Reihe von „Freiheiten" anbieten; aber jede „Freiheit" engagiert korrespondierende Verantwortungen, das heißt, daß nur dort echte Freiheit ist, wo man funktionsmäßig in der Lage ist, sie zu realisieren. Manche „Freiheiten" darf man nicht annehmen, weil man sonst vielleicht die Freiheit schlechthin gefährden könnte. Der praktische und tätige Hinweis darauf, daß jeder, der sich auf die Totalität eines Sieges und auf gewisse Vorbehaltsbefugnisse in deutschen Angelegenheiten beruft, dafür auch mit erhöhter Verantwortung bezahlen muß, wird von uns manchen Verzicht auf halbe Lösungen bedingen; es wird aber der einzige Weg sein, um zur ganzen Lösung des Problems zu kommen, und damit zur Freiheit und Einheit Deutschlands. Das ({100}) Schädlichste, was es in der Politik gibt, ist, was Niccoio Macchiavelli „la via del mezzo" genannt hat. Er meint nicht den goldenen Mittelweg, sondern die Politik des halben Weges. Es ist ganz klar, daß das erste konkrete Ziel der Außenpolitik der Regierung die Schaffung eines rechten Verhältnisses zu den Besatzungsmächten sein muß. Die äußere Form, in der dieses Verhältnis sich allein gestalten kann, ist das Besatzungsstatut. Man muß das richtig sehen. Das Besatzungsstatut ist kein Ausführungsgesetz zur Haager Landkriegsordnung. ({101})' Die heutige Besetzung Deutschlands ist keine Sicherheitsbesetzung im Sinne der Haager Landkriegsordnung, sondern eine interventionistische Besetzung, das heißt eine Besetzung zu dem Zweck. fremden Mächten in Deutschland die Möglichkeit zu geben, bestimmte Dinge vorzunehmen, die sonst nach dem Gesetz der Souveränität nur von den Deutschen vorgenommen werden könnten. Das geschah bisher par ordre de mufti, unkontrollierbar und ganz nach dem freien Ermessen der Militärregierung. ({102}) - Das Besatzungsstatut, Herr Kollege Renner, hat in diese Dinge wenigstens den Anfang eines geordneten Verfahrens gebracht! ({103}) - Ich werde davon noch sprechen, verlassen Sie sich darauf. - Solange wir keinen Friedensvertrag haben, durch den wir gewisse Dinge als Rechtens anerkennen, ist alles, was hierbei geschieht. als im Bereich der Faktizität geschehen zu betrachten, und die Regierung sollte beim Anerkennen bestimmter Situationen vorsichtig sein, sei es im Sinne direkten Anerkennens oder im Sinne des Anerkennens durch konkludente Handlungen. Das Wesentliche der Interpretation des Besatzungsstatuts wird durch die Praxis der nächsten Wochen geleistet werden müssen. Da wird im Verkehr zwischen Bundesregierung und Hoher Kommission die genauere Abgrenzung und Detaillierung der vorbehaltenen Sachgebiete zu erfolgen haben da muß über Art und Weise der Geltendmachung dieser Vorbehaltsrechte eine etwas klarere Vorstellung gebildet werden, als sie bisher besteht. Man sollte sich insbesondere davor hüten, bei internalliierten Anordnungen auf Sachgebieten, die die Alliierten sich vorbehalten haben, eine deutsche Unterschrift vorschalten zu lassen. ({104}) Man wird auch interpretieren müssen, was denn eigentlich „Kontrolle" im Sinne des Besatzungsstatuts heißt - ob das ein milderes Wort für „Anweisung" und „Befehl" ist oder, wie man uns in Mainz versprochen hat, ein grobes Wort für „Beratung" der Regierung durch die Hohen Kommissare, oder ob es mit dem identisch ist, was wir Einspruch nennen. Das alles wird man ausfechten müssen. Die Sache mit der Abwertung der D-Mark war ein schlechter Start. ({105}) Es scheint so, als ob gewisse Einsprüche gegen den von der Regierung gewünschten Umrechnungssatz hauptsächlich von der Absicht bestimmt gewesen wären, gewissen Abnehmern von Ruhrkohle billigen Ruhrkoks zu sichern. ({106}) Wir sind auch der Meinung, daß es besser gewesen wäre, wenn die Bundesregierung dieses Haus rechtzeitig von diesen Verhandlungen unterrichtet hätte. Ich meine das nicht in dem Sinne, daß man nun alles, was zur Beratung stand, hier hätte erzählen sollen; aber den Rahmen, in dem sich das Verhandeln bewegt hat, hätte man diesem Hause vielleicht darlegen können. ({107}) - Ja, das hätte man gekonnt! Vielleicht hätten wir dabei dem Herrn Bundeskanzler einige Hilfe leisten können, und sei es nur durch den Hinweis darauf, daß in allen Devisenangelegenheiten der Hohe Kommissar der Vereinigten Staaten von Amerika gegenüber seinen beiden Kollegen ein hochqualifiziertes Stimmrecht hat. ({108}) Es hätte sein können, daß ein amerikanisches Presse-Echo auf ein solches Wort in diesem Hause dem Hohen Kommissar der Vereinigten Staaten in Deutschland ein anderes Verhalten als das, das ihm beliebt hat, hätte nahelegen können. Mir hat auch der Ton nicht gefallen, in dem der Beschluß abgefaßt worden ist. ({109})' Herr Bundeskanzler! Mir hat auch nicht gefallen, wie Sie gestern dieses Hohe Haus abgekanzelt haben. Man sollte das Parlament nicht nur für einen Störenfried halten. Bei allem Respekt, den wir vor der Regierung haben, sind wir doch auf unseren beschränkten Untertanenverstand recht stolz. ({110}) Ich meine übrigens, daß die Bülowschen Lebenserinnerungen nicht die empfehlenswerteste Lektüre für einen demokratischen Staatsmann sind. ({111}) Es ist ganz klar, daß das Verhältnis zur Hohen Kommission so arbeitsergiebig wie möglich gestaltet werden muß. Aber das gelingt nicht immer dadurch, daß man nur Ja sagt. Oft wird durch ein „Nein" zur rechten Zeit ein besseres Verhältnis geschaffen als durch zuviel Ja. Die Revision des Besatzungsstatuts ist eine dringende Notwendigkeit. Sie wird nicht ein Geschäft für Juristen, sondern eine Sache der Praxis sein. Diese Abänderung wird ausgekämpft werden müssen. Durch Finassieren werden wir hier nichts erreichen; denn Politik ist nicht Advokatur. Bei der Politik handelt es sich nicht darum, recht zu haben, sondern recht zu behalten, ({112}) und es handelt sich darum, Fakten anzuerkennen und Fakten anzugehen. Noch besser allerdings ist es, ein neues Recht zu schaffen, das die Gravamina gegenstandslos macht. Das wird man hier nur können, wenn man auch die Probleme, die die Besatzung aufgibt, auf eine andere als die nation al-staatliche Ebene hebt, nämlich auf die gesamteuropäische Ebene. ({113}) Es gibt keine konkretere politische Aufgabe im Großen, als das für alle Notwendige - nämlich Europa! - auch von Deutschland aus möglich zu machen, ({114}) nicht das Europa des Novalis, nicht das Europa der Heiligen Allianz, auch nicht eine Europa-AG, son({115}) dern ein echtes Commonwealth, einen europäischen Bundesstaat, an den die europäischen Staaten von heute wesentliche Teile ihrer Souveränität abgeben. ({116}) - Ja, freiwillig! - Wir müssen endlich das törichte Dogma vom Monismus der Souveränität in die Wolfsschlucht werfen! ({117}) Dieses Europa kann nur Voll-Europa und nicht Klein-Europa sein; denn Klein-Europa wäre nichts anderes als ein Streifen an den Ufern der sieben Meere, ein amerikanischer Brückenkopf oder eine Verlockung für den Osten Darm ist der Eiserne Vorhang nicht allein ein deutsches Problem, sondern er ist ein europäisches Problem. Wir vergessen zu oft, daß der Eiserne Vorhang nicht von Stettin bis Hof, sondern von Stettin bis Triest reicht! Die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands ist also ein europäisches Anliegen. Wir müssen uns aber klar sein, daß die Voraussetzung dafür, daß sie geschehen kann, eine Einigung der vier Besatzungsmächte über eine gemeinsame Deutschlandpolitik ist. Was können w i r dabei tun? Als Volk können wir uns dabei so verhalten, daß es den westlichen Besatzungsmächten - bei Gefahr des Verlustes ihrer Ehre - unmöglich wird, sich einem - vielleicht erwünschten - Diktat des Ostens zu fügen. Dafür müssen wir aber für bestimmte Dinge Beweis antreten: nämlich dafür, daß der Westen entschlossen ist, alles zu tun, um dem Osten das Leben möglich zu machen! Und, als Regierung können wir dabei folgendes leisten: nämlich nichts zu tun, was die Alliierten aus ihrer Verantwortung entlassen könnte, sei es durch vorzeitige Anerkennung bestimmter Situationen, sei es dadurch, daß man Ausweichtore öffnet. Es werden da manche Versuchungen im verführerischen Gewand der Erweiterung unserer Souveränitätsmarge an uns herantreten. Wir dürfen diesen Versuchungen nicht erliegen! Die Voraussetzung für die Wiedervereinigung des Ostens kann man nicht ohne eine aktive BerlinPolitik schaffen. Es sind hier gute Worte über die Hilfe - die wirtschaftliche und finanzielle Hilfe -, die man Berlin bringen muß, gefallen, Worte, die ich ernst nehme. Wir müssen aber mehr tun als das. Wir müssen auch eine aktive Staatspolitik im Hinblick auf Berlin treiben. ({118}) Man hält mir hier das alliierte Veto entgegen. Mein Gott, ja; es wurde ausgesprochen. Aber wir können in diesem Haus - und man kann besonders auf Ihrer Bank, meine Herren Minister, Berlin so behandeln, als ob es heute schon das zwölfte Land der Bundesrepublik Deutschland wäre! ({119}) Man kann sich dabei so verhalten, daß das Plazet der Hohen Kommissare dereinst nur noch eine Formalität sein wird. Über die Oder-Neiße-Linie ist nichts mehr zu sagen. Nur folgendes möchte ich hier - warnend - sagen: Beziehen wir in diesen Komplex nicht das Sudetenland ein! Bannen wir alle Vorstellungen vom weiland Großdeutschen Reich! ({120}) Die Sudetendeutschen müssen in ihre Heimat zurück und müssen dort gleichberechtigt mit den anderen Völkern Böhmens und Mährens leben in einem Europa, das - ich variiere hier ein Wort Masaryks - eine höhere Schweiz werden muß! ({121}) Und was den Westen anbetrifft, so kann auch hier unsere Politik nur europäisch sein. Sie ist belastet mit einer Reihe von Hypotheken; aber wir sollten einsehen, daß diese Hypotheken nicht von ungefähr zu unseren Lasten in das Grundbuch der Geschichte eingetragen sind: Demontagen, Reparationen, Besatzungskosten, Grenzkorrekturen, Ruhrstatut und die Saar. Wir müssen versuchen, damit fertig zu werden, wir müssen versuchen, damit sauber fertig zu werden und unter Verzicht auf Fiktionen. Manches davon wird endgültig nur europäisch gelöst werden können; durch falsche nationalstaatliche Lösungen könnten wir Europa gefährden. Jeder Redner hat von der Notwendigkeit der Bereinigung unseres bösen Verhältnisses zu Frankreich gesprochen. Ja, ja und nochmals ja! Das muß geschehen, aber es muß auf soliden Grundlagen geschehen und darf nicht nur auf Beteuerungen und moralische Überforderungen hüben und drüben gegründet werden. Man sollte von uns nicht verlangen, daß wir ständig im Büßerhemd herumlaufen. Darauf läßt sich eine Zukunft nicht aufbauen. Und wir sollten nicht von den Franzosen verlangen. schlicht zu vergessen. Nur wenn wir bereit sind, unsererseits den Beweis zu liefern, daß w i r nicht vergessen, warum alles so gekommen ist, werden wir den Franzosen sagen dürfen: Nun solltet ihr einiges vergessen! ({122}) Um dafür die Grundlagen zu schaffen, ist es nötig, klare Tatbestände zu setzen und alle Zwielichtsituationen zu vermeiden, aus denen die giftigen Fledermäuse des Nationalismus ausschwärmen könnten. Endgültig gelöst - gelöst auch in dem Sinne, in dem man von der Gelöstheit einer Haltung spricht - wird das deutschfranzösische Verhältnis erst dann sein, wenn wir die Vereinigten Staaten von Europa unter Dach und Fach gebracht haben. ({123}) Manche meinen, das Ruhrstatut sei ein guter Weg dazu. Ich glaube es nicht. Ich fürchte, daß, das Ruhrstatut eher ein Hindernis auf dem Wege nach Europa sein wird als eine offene Tür. Wir werden darüber in den nächsten Tagen zu diskutieren haben; es liegt ja ein Antrag vor. Die Regierung wird sich entscheiden müssen - denn wir sind uns doch wohl alle einig, daß dieses Ruhrstatut transformiert werden muß -, ob sie glaubt, es könne besser dadurch transformiert werden, daß man es ausdrücklich anerkennt und so drei Stimmen in der Ruhrbehörde erhält, oder ob es nicht vielleicht sicherer dazu kommen könnte, wenn man das Statut nicht anerkennt und so eine neue Prüfung des Problems veranlaßt. ({124}) Und was nun die Saar anbetrifft, da habe ich zu meinem Bedauern - - Vielleicht fragen Sie, Herr Präsident, ob ich noch weiterreden darf?
23
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-29
253
10
1
null
Köhler
11,001,150
Ist das Hohe Haus damit einverstanden, daß der Herr Abgeordnete noch fünf Minuten spricht? ({0}) - Danke schön.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-29
254
10
1
null
Schmid
11,001,993
Danke! Ich habe zu meinem Bedauern feststellen müssen, daß die Bemerkungen, die der Herr Bundeskanzler über das Saargebiet gemacht hat, in der im Bundesanzeiger abgedruckten Regierungserklärung nicht enthalten sind, ({0}) und es hat mich geschmerzt, daß der Herr Bundeskanzler davon gesprochen hat, daß Frankreich Interessen im Saargebiet hat - was richtig ist -, daß aber auch Deutschland „Interessen" im Saargebiet habe. Man spricht nur dort von „Interessen" eines Staates in einem anderen Gebiet, wo dieses Gebiet ein fremdes Gebiet ist. Das Saargebiet aber ist ein Stück Deutschland! ({1}) Es gibt keine Saarfrage, wie es einmal - mit Recht - eine elsaß-lothringische Frage gegeben hat. Es gibt eine Realität „Saarkohle" und „lothringisches Erz", die durch eine politische Grenze getrennt sind, und das Problem ist: wie bringt man diese Kohle und dieses Erz zusammen, obwohl eine politische Grenze dazwischen läuft? ({2}) Die Methoden von früher, Annexionen usw. sind heute nicht mehr möglich. Wir meinen aber, daß die hybride Methode, die man vor einigen Jahren in Saarbrücken exerziert hat, unseres Jahrhunderts auch nicht würdig ist. In Asien und Afrika baut man die Rechtsfigur des Protektorats langsam ab, und hier im Herzen Europa errichtet man eine Protektoratsverfassung! Wenn man sich dabei auf den Willen des Saarvolks beruft - man wage doch eine Volksabstimmung im Saargebiet! ({3}) Es muß hier eine Lösung gefunden werden, die dieser Zeit und der Atlantik-Charta würdig ist. Am besten wäre es natürlich, wir könnten heute schon die europäischen Bodenschätze eurdpäisieren. Das können wir aber leider noch nicht. Nächstdem wäre es auch noch eine gute Sache, wenn man das Potential von Ruhr, Saar und Lothringen - Kohle, Erze, Eisen, Stahl - zu einem wirtschaftlichen Zweckverband vereinigen könnte. Auch das wird heute noch nicht gehen. Aber schon heute könnte man eine Vereinbarung zwischen Deutschland und Frankreich treffen, deren Ergebnis ein unbehinderter Zugang des Erzes zur Kohle und der Kohle zum Erz sein könnte. Ich denke an etwas -wie den alten deutschen Zollverein mit seinen legislativen und administrativen Befugnissen. Eine solche Lösung würde allen französischen Interessen gerecht werden und einen recht giftigen Pfeil aus dem Körper Europas ziehen. ({4}) Wir werden sehr bald vor der Frage stehen, wie wir uns zum Europa-Rat in Straßburg stellen sollen. Ich meine, daß wir warten sollten, bis man uns einlädt. Ich meine auch, daß wir nicht als mehr sollten hineingehen wollen, als wir sind: wir haben noch keine Möglichkeit einer souveränen Außenpolitik; darum kann ich mir einen deutschen Minister im Ministerrat des Europa-Rates nicht vorstellen. Wir sollten nur als assoziiertes Mitglied nach Straßburg gehen wollen, nicht nur deswegen, weil man uns anders nicht einladen wird. Ich glaube, wenn wir uns hierbei auf das Mögliche beschränken, dann wird uns das früher die Freiheit bringen, als fiktive Gleichberechtigungen es könnten! Meine Damen und Herren! Wie wir die Opposition zu führen gedenken, ist hier schon zu zweien Malen gesagt worden. Ich will dazu noch einige ergänzende Worte sagen. Opposition bedeutet für uns nicht eine Respektabilitätsbezeichnung für jene, „die nicht mitmachen dürfen". Wir betrachten uns nicht als eine Art „Klub der Mißvergnügten". Opposition ist nicht die Bremse am Wagen der deutschen Politik! Opposition ist der andere Beweger der deutschen Politik. ({5}) Regierung und Opposition bilden nur zusammen die Gänze der deutschen politischen Kräfte! ({6}) Meine Damen und Herren, nehmen Sie diese Worte nicht allzusehr irenisch; sie sind kein Bekenntnis zur Sanftmut. Es wird Kampf geben, ({7}) das liegt in der Natur der Sache. - Sie kennen das Wort von den Kartoffeln, Herr Kollege Hilbert; ich brauche es Ihnen nicht zu sagen. - Diesen Kampf zu vermeiden, ist keine Sache des guten Willens allein. Sache des guten Willens aber ist, wie dieser Kampf geführt wird. Wir wollen ihn fair führen und hoffen von der Regierungskoalition, daß die Art, wie sie ihn führen wird, so sein wird, daß wir nicht ausschließlich gezwungen sein werden, gegen sie zu kämpfen, sondern daß unser Kampf ein Wettstreit um die Bürgerkrone, ein Wettkampf um den Ruhm, unserem Volke am besten gedient zu haben, werden kann. ({8})
23
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-29
255
10
1
null
Köhler
11,001,150
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat mich gebeten, eine Unterbrechung der Sitzung vorzunehmen und zunächst einmal den Ältestenrat zusammenzuberufen, um ihm die Möglichkeit zu geben, von dem Ergebnis - wie ich annehmen darf - der heutigen Besprechung zu berichten, und anschließend vermutlich im Plenum. Meine Damen und Herren, damit wir nicht wieder die Mißverständnisse wie gestern nachmittag erleben, möchte ich vorschlagen, daß wir auf ungewisse Zeit unterbrechen. Ich werde etwa zehn Minuten vor Beendigung der Besprechung im Ältestenrat das Zeichen zum Wiederzusammentritt geben lassen. Die Sitzung ist unterbrochen. ({0}) Die Sitzung wird um 16 Uhr 44 Minuten wieder aufgenommen.
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https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-29
256
10
1
null
Köhler
11,001,150
Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist wieder eröffnet. Das Wort hat zunächst der Herr Bundeskanzler zu einer Erklärung über die Besprechungen mit den drei Hohen Kommissaren. Dr. Adenauer. Bundeskanzler: Meine Damen und meine Herren! Heute vormittag hatten einige Vertreter der Bundesregierung eine mehrstündige Unterhaltung und Beratung mit den Alliierten Oberkommissaren. Über den Verlauf dieser Be({0}) sprechung geben die Oberkommissare an die Presse eine Mitteilung, die ich Ihnen jetzt verlesen möchte: Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland traf sich heute morgen mit den alliierten Hohen Kommissaren, um gewisse allgemeine Fragen zu erörtern, die sich auf den gestern von der Hohen Kommission gefaßten Beschluß über die Neufestsetzung des Umrechnungskurses der D-Mark beziehen. Es fand ein Gedankenaustausch in voller Offenheit auf beiden Seiten statt. Die Hohen Kommissare erklärten im einzelnen die ihrem Beschluß zu Grunde liegenden Motive, die aus dem Wunsch entspringen, die Interessen Europas im ganzen aufeinander abzustimmen, die europäische Wirtschaft zu fördern und Deutschland in die europäische Gemeinschaft einzugliedern. In diesem Sinne müßten die drei Punkte des Beschlusses der Hohen Kommission verstanden werden. Man kam überein, daß juristische Sachverständige der vier Länder zusammentreten sollen, um die Anwendungen gewisser Bestimmungen des Besatzungsstatutes und das Verfahren für die Behandlung ähnlicher Fragen in der Zukunft zu prüfen. Es wurde festgestellt, daß die endgültige Entscheidung aller dieser Fragen bei der Hohen Kommission verbleiben muß. Die heutige Sitzung Wird von weiterem Gedankenaustausch gefolgt werden. Der Bundesregierung bleibt überlassen, neue Vorschläge zur Ausführung des Paragraphen 3 des Beschlusses der Hohen Kommission zu machen.
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https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-29
257
10
1
null
Köhler
11,001,150
Meine Damen und Herren, ich darf wohl feststellen, daß das Hohe Haus diese Erklärung des Herrn Bundeskanzlers zur Kenntnis genommen hat. Ich erteile nunmehr dem Herrn Bundeskanzler das Wort zur Antwort auf die bisherige Aussprache über die
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https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-29
258
10
1
Regierungserklärung
Adenauer
11,000,009
Meine Damen und Herren! Die Diskussion zur Regierungserklärung hat sich über so viele Tage erstreckt und es ist so viel dabei angeregt worden, daß Sie verstehen werden, wenn ich nicht zu allen gemachten Ausführungen und Ausstellungen im einzelnen Stellung nehme. Aber seien Sie überzeugt davon, daß alles sehr sorgfältig geprüft wird, was gesagt worden ist, und daß die Bundesregierung auch dort, wo es ihr richtig erscheint, die nötigen Konsequenzen daraus ziehen wird. Ich möchte - wenn ich nunmehr auf einzelne Ausführungen eingehe - anfangen mit dem, was der Herr Kollege Schmid gesagt hat, weil mir das am frischesten im Gedächtnis ist. Er hat mich ermahnt, ein Bundeskanzler dürfe seine Zeit nicht damit vertun, die Memoiren oder die Lebenserinnerungen des Fürsten Bülow zu lesen. Ich kann dem Herrn Kollegen Schmid versichern, erstens daß ich jetzt keine Zeit dazu habe ({0}) und zweitens, daß ich es auch früher nicht getan habe. ({1}) - Der Herr Kollege Renner hat meine Geschichte zum Teil miterlebt. ({2}) Aber sehen Sie, meine Damen und Herren, wenn nun der Zufall mir gerade eine Nummer der „Zeit" in die Hände spielt, in der ein so ausgezeichnetes Zitat stand, ({3}) - ja ich komme noch darauf, Herr Schmid - dann heißt es doch viel verlangt, wenn man etwas Derartiges unterdrücken soll. Aber ich darf hinzufügen, daß ich gesagt habe, ich nehme nicht an, daß ein Mitglied dieses Hauses so gewissenlos wie dieser Reichstagsabgeordnete gewesen ist. Nun, meine Damen und Herren, möchte ich noch etwas weiteres zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Schmid sagen, und zwar zu den Ausstellungen über meine Ausführungen zur Saarfrage. Warum diese Ausführungen nicht in dem „Bundesanzeiger" veröffentlicht sind, weiß ich nicht. ({4}) Ich habe keine Zeit dazu, den Regierungsanzeiger zu lesen, aber schließlich kommt es doch darauf an, was hier im Stenogramm steht. Ich darf folgendes wiederholen. Ich habe gesagt: die Franzosen haben ein wirtschaftliches Interesse, wir Deutschen haben ein wirtschaftliches u n d ein nationales Interesse. ({5}) Ich habe weiter gesagt: schließlich haben die Saarländer auch ein Lebensinteresse. Ich glaube, wenn man meine Ausführungen im Zusammenhang nimmt, dann wird man schlechterdings nicht sagen können, daß ich die Saarfrage irgendwie als quantité négliable betrachtet hätte. Im Gegenteil, meine Damen und Herren, ich bedauere die Entwicklung der Saarfrage außerordentlich, einmal aus deutschem Interesse und zweitens aus europäischem Interesse heraus. Ich glaube aber nach wie vor daran, daß sich doch eines Tages im europäischen Rahmen eine Regelung der Saarfrage finden wird, die unseren berechtigten wirtschaftlichen und nationalen Interessen genügt. ({6}) Es ist bemängelt worden, daß ich nicht der Arbeiterwohlfahrt gedankt hätte. Ich glaube, wenn Sie meine Ausführungen nicht nur im „Bundesanzeiger", sondern auch sonst nachlesen würden dann würden Sie finden, daß ich nur den Organisationen gedankt habe, die sich besonders um, unsere Kriegsgefangenen bemüht haben. Ich habe in der Zwischenzeit gehört. daß die Arbeiterwohlfahrt das auch getan hat. Ich stehe nicht an, auch der Arbeiterwohlfahrt den Dank des gesamten deutschen Volkes dafür auszusprechen. ({7}) Es ist ferner gesagt worden, ich hätte nicht von den Arbeitern gesprochen. Das ist wohl der Fall. Ich bitte, auch da nachzulesen, was ich gesagt habe. Es ist bemängelt worden, daß ich die Disziplin und das staatliche Gefühl nicht hervorgehoben hätte, das die Gewerkschaften in den vergangenen Jahren gezeigt hätten. Ich stehe nicht an zu erklären, einmal, daß ich die Berechtigung der Gewerkschaften absolut anerkenne, weiter, daß ich ebenfalls durchaus anerkenne, daß die Gewerkschaften in den Jahren, die hinter uns liegen, ({8}) ihre Verpflichtung gegenüber dem Volksganzen erkannt und erfüllt haben. ({9}) Wenn ich davon nichts gesagt habe und ihnen nicht ausdrücklich gedankt habe, so habe ich es deswegen getan, weil ich noch sehr vielen anderen dann auch hätte danken müssen. Denn sehen Sie, meine Damen und Herren, wenn wir einmal über die Zeit seit 1945 rückwärts blicken, dann müssen wir, glaube ich, in allererster Linie unseren Hausfrauen danken für das, was sie ertragen und geleistet haben. ({10}) Man hat weiter vermißt, daß ich nichts zur Selbstverwaltung gesagt habe. Nun, ich bürge doch mit meiner ganzen Person wahrhaftig dafür, daß ich ein Freund der Selbstverwaltung durch und durch bin. ({11}) - Ich bedauere auch, daß im Grundgesetz über die Selbstverwaltung etwas wenig gesagt worden ist. Ich hätte gewünscht, es wäre mehr darüber gesagt worden; denn ich erblicke in der Stärkung der Selbstverwaltung einen ganz wesentlichen Bestandteil des föderalistischen Gedankens. Außerordentlich habe ich begrüßt, was die Vertreter der Opposition über die Stellung zur Regierung und zur Regierungskoalition gesagt haben. Wenn ich sage, die Sprecher der Parteien der Opposition, so drücke ich mich mit Absicht etwas vorsichtig aus; denn ich weiß noch nicht so recht, wer alles zur Opposition gehört. ({12}) - Es ist von mehreren Vertretern der Fraktionen, auch der sozialdemokratischen Fraktion durch den Mund des Herrn Schmid, heute zum Ausdruck gebracht worden, daß man je nach dem Inhalt der Gesetzesvorlagen zur positiven Mitarbeit bereit sei. Deswegen beschränke ich mich jetzt darauf, die Worte zu unterstreichen, und zwar mit Genugtuung zu unterstreichen, die sowohl Herr Dr. Schumacher wie Herr Ollenhauer wie Herr Professor Schmid prinzipiell über das Verhältnis von Opposition und Regierung gesagt haben. Ich glaube, wenn die Opposition in dem Sinne geübt wird, vielleicht dann und wann einige Grad mehr - ich habe nichts dagegen -, ({13}) dann ist das für das gesamte demokratische Empfinden des deutschen Volkes von größter Bedeutung. Ich stehe nicht an zu erklären, daß jede Regierung, insbesondere auch die von mir geführte Regierung, von einer klugen Opposition sehr viel lernen kann und lernen wird. Ich möchte nun noch einige Punkte hervorheben, die für uns von Bedeutung sind. Zunächst möchte ich von den Hemmnissen sprechen, die unserer Schiffahrt auferlegt sind. Wenn das deutsche Volk bis zum Jahre 1952 in der Lage sein soll, auf eigenen Füßen zu stehen, dann müssen die Hemmnisse, die jetzt der deutschen Schiffahrt in den Weg gelegt sind, unbedingt beseitigt werden. ({14}) Ich glaube, wir alle sind uns darin einig, daß Sie die Bemühungen der Bundesregierung auf diesem Gebiete mit dem Gewicht Ihrer Stimmen unterstützen. Ich möchte ein Wort zu der sogenannten Grenzberichtigung im Westen sagen, die in den letzten Tagen vorgenommen worden ist. Ich bedauere es außerordentlich, daß die Niederländische Regierung eine sogenannte Grenzkorrektur - so nennt sie esvorgenommen hat, ohne daß irgend jemand sich an das Land Nordrhein-Westfalen oder, was richtiger wäre, vorher an die Bundesregierung gewandt hat. ({15}) Meine Damen und Herren! Ein solches Vorgehen ist völlig unmöglich und kann von uns in keiner Weise ertragen werden. ({16}) Das niederländische Volk wünscht mit uns in guten wirtschaftlichen Beziehungen zu leben. Wirtschaftliche Beziehungen sind nicht möglich ohne gegenseitige Achtung. Es ist aber ein Zeichen der Nichtachtung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland und gegenüber der Bundesregierung, wenn Dinge vorkommen, wie sie jetzt vorgekommen sind. ({17}) Im Verlaufe der Auseinandersetzungen sind - ich bitte die betreffenden Herren, mir den Ausdruck nicht übelzunehmen - einige romantische Ausführungen über Böhmen, Mähren, Österreich usw. gemacht worden. ({18}) Meine Damen und Herren, ich bitte alle diejenigen, die von diesem Pulte aus sprechen, folgendes zu bedenken: Das Mißtrauen gegenüber uns Deutschen ist im gesamten Ausland nach wie vor außerordentlich stark, und daher sollte jeder, der öffentlich spricht, seine Worte sehr sorgfältig abwägen, ob sie nicht zu Mißdeutungen Anlaß geben können, die dieses Mißtrauen gegen uns noch verstärken. ({19}) Es ist mir gesagt worden: „Du hast Österreich nicht erwähnt!" - Nun, meine Damen und Herren: wenn einer ein Freund Österreichs seit vielen, vielen Jahren ist, dann bin ich es. Aber hat es denn Zweck und ist es überhaupt von Österreich ge-. wünscht, ({20}) daß wir hier von Österreich sprechen? ({21}) In Köln hat eine Versammlung vertriebener Sudetendeutscher stattgefunden. Meine Damen und Herren, jeder von uns wird mit den vertriebenen Sudetendeutschen empfinden und fühlen, und jeder wird mit ihnen übereinstimmen, wenn sie verlangen, in ihre Heimat, in ihre freie Heimat zurückkehren zu können. ({22}) Aber lassen Sie mich das ausdrücklich betonen: das hat mit Plänen, mit Gedanken und Gedankengängen, wie sie früher bei den Alldeutschen und später bei den Nationalsozialisten bestanden haben, gar nichts zu tun. ({23}) Das ist lediglich ein Ausdruck der Liebe zur heimatlichen Scholle und weiter nichts. Herr Kollege Ollenhauer war so freundlich, mir am Schlusse seiner Ausführungen nahezulegen, ob ich nicht an das Hohe Haus die Frage stellen wolle, ob es meine Regierungserklärung billige. ({24}) ({25}) - Ich tue es auch nicht! ({26}) - Sehen Sie, meine Damen und Herren, Herr Kollege Schmid kennt mich aus einjähriger Zusammenarbeit ganz genau, ({27}) und er wußte auch das; er hätte das gar nicht gefragt. Herr Ollenhauer kennt mich noch nicht so lange. ({28}) Aber, meine Damen und Herren, ich bitte: sehen Sie sich das Grundgesetz doch einmal an. ({29}) Dann werden Sie finden, daß derartige Vertrauensfragen durch die Fassung des Grundgesetzes absichtlich ausgeschlossen sind. ({30}) Diese Frage, ob die Frage der Billigung der Regierungserklärung gestellt werden könne und solle oder nicht, oder umgekehrt, ob eine Mißbilligung oder etwas Derartiges ausgesprochen werden konne oder nicht, ist im Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates sehr eingehend diskutiert worden. Ein so hervorragender, namentlich auch von Ihnen anerkannter Jurist wie der Justizminister Katz hat diese Frage mit Entschiedenheit verneint. ({31}) - Also dann will ich Ihnen folgendes darauf antworten: Ich war nicht dabei, ({32}) aber, verehrter Herr Kollege Schmid, der jetzige Justizminister Dehler war dabei und hat sich damals an der Diskussion beteiligt. Der Justizminister Dehler hat damals die Ansicht vertreten, es sei die Erklärung einer Billigung oder Mißbilligung möglich, hat mir aber erklärt, gerade Herr Katz habe mit aller Entschiedenheit betont, das sei unmöglich, das dürfe nicht mehr vorkommen. ({33}) Meine Damen und Herren, die Hauptsache ist ja, daß ich nicht die Absicht habe und daß ich, verehrter Herr Kollege Ollenhauer, dann wohl Ihnen überlassen muß, daraus irgendwelche Konsequenzen zu ziehen. Aber ich glaube kaum, daß Sie sie ziehen werden. ({34}) Sie haben lange Tage mit vielen Reden hinter sich und noch vor sich und Sie werden es deswegen sicher als angenehm empfinden, wenn ich mich sehr kurz fasse. Das möchte ich auch tun und möchte Sie zum Schlusse nur um folgendes bitten. Ich schließe mich da dem an, was einige Vertreter von Fraktionen, die nicht zur Regierungskoalition gehören, gesagt haben: Bitte, beurteilen Sie die Bundesregierung nach ihren Taten. Geben Sie der Bundesregierung Zeit, zu zeigen, ob sie etwas leistet oder ob sie nichts leistet. Ich bitte Sie alle: Bei entscheidenden und für das deutsche Volk wichtigen Dingen wollen wir versuchen zusammenzuarbeiten und in diesen so außerordentlich schweren Zeiten wenigstens etwas weiterzukommen im Interesse unseres Volkes! ({35})
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Chancellor
null
1949-09-29
259
10
1
null
Köhler
11,001,150
Meine Damen und Herren, darf ich das Hohe Haus fragen, ob es damit den Punkt 1 der Tagesordnung als erledigt ansieht? ({0}) Oder wird das Wort weiter gewünscht? - Ich stelle fest: das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe damit die Beratung über die Erklärung der Bundesregierung. Wir gehen nunmehr über zu Punkt 2 der Tagesordnung: Interfraktioneller Antrag betreffend Einsetzung von Ausschüssen, und ich bitte Sie, meine Damen und Herren, die Drucksache Nr. 45 zur Hand zu nehmen. Dieser interfraktionelle Antrag trägt, wenn ich recht sehe, die Unterschrift von Vertretern sämtlicher Gruppen des Hauses. Ich eröffne die Aussprache über diesen Antrag. Wird das Wort gewünscht? -- Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Beratung. Wer für den interfraktionellen Antrag Drucksache Nr. 45, betreffend Einsetzung von Ausschüssen, ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit überwältigender Mehrheit angenommen. Meine Damen und Herren, wir kommen damit zu Punkt 3 der Tagesordnung: Anträge der Fraktionen auf Bildung von Ausschüssen. Auf Grund interfraktioneller Besprechungen bzw. einer gestern im Ältestenrat getroffenen Vereinbarung bleibt es einzelnen Fraktionen noch vorbehalten, Anträge über die Bildung irgendwelcher Ausschüsse zustellen, die über den Rahmen der soeben angenommenen Drucksache Nr. 45 hinausgehen. Aus technischen Gründen ist es nicht möglich gewesen, die jeweiligen Anträge sämtlichen Mitgliedern des Hauses zuzustellen.. Vielmehr war vorgesehen, diese Anträge jeweils den Herren Fraktionsvorsitzenden zugehen zu lassen. Zur Orientierung des Hauses darf ich aber nun die in Frage kommenden Anträge zur Verlesung bringen. Ich beginne mit dem Antrag der CDU/CSU-, FDP- und DP-Fraktion. Er lautet: Der Bundestag wolle beschließen: Es wird ein Ausschuß für innergebietliche Neuordnung gemäß Artikel 29 des Grundgesetzes in Stärke von 15 Mitgliedern gebildet. Wird zu diesem Antrag das Wort gewünscht? - Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Falkner!
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-29
738
16
1
null
Köhler
11,001,150
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die Aussprache zu den Ausführungen des Herrn Antragstellers. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. von Brentano.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01016.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-11-10
260
10
1
Falkner
-
-1
Meine Damen und Herren! Bitte, betrachten Sie es nicht als eine Anmaßung einer kleinen Fraktion, wenn wir uns erlauben, gegen einen Ausschuß Stellung zu nehmen, der von allen anderen Fraktionen gewünscht wird. Dieser Ausschuß soll sich mit den Möglichkeiten des Artikels 29 des Grundgesetzes beschäftigen, ({0}) ({1}) dieses Artikels 29, der besagt, daß das Bundesgebiet unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und des sozialen Gefüges durch Bundesgesetz neu gegliedert werden könne. Dazu möchte ich bemerken, daß wir es im Stadium des Aufbaus eines Staates nicht für richtig halten, wenn man diesen Aufbau durch interne Fragen stört. Dazu kommt aber, daß in dem Genehmigungsschreiben der Militärgouverneure vom 12. Mai 1949 in Ziffer 5 unter den Vorbehalten folgendes ausgeführt wird: Ein vierter Vorbehalt bezieht sich auf die Artikel 29 und 118 und die allgemeine Frage der Neuregelung der Ländergrenzen. Ausgenommen im Falle von Württemberg-Baden und -Hohenzollern haben sich unsere Auffassungen - „unsere", also die der Militärgouverneure - in dieser Frage nicht geändert, seitdem wir diese Angelegenheiten mit Ihnen am 2. März besprochen haben. Falls nicht die Hohen Kommissare einstimmig dahingehend übereinkommen, diese Auffassung zu ändern, werden die in diesen Artikeln vorgesehenen Vollmachten nicht ausgeübt werden können, und die Grenzen aller Länder, ausgenommen Württemberg-Baden und -Hohenzollern werden so, wie sie jetzt festgesetzt sind, bis zum Friedenschluß bleiben. Nachdem diese Vorbehalte der Besatzungsmächte noch gelten, ist uns nicht verständlich, was dieser Ausschuß eigentlich bearbeiten soll. Vielleicht kann aber von den Antragstellern eine Begründung für die Einrichtung dieses Ausschusses gegeben werden.
2
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-29
261
10
1
null
Köhler
11,001,150
Wird weiter das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Dr. Schmid, bitte!
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-29
262
10
1
null
Schmid
11,001,993
Ich möchte nur eine Aufklärung geben. Die Sperrbestimmung der Besatzungsmächte bezüglich der gebietlichen Neugliederung ist nicht so absolut, wie hier gesagt wurde. Es heißt darin lediglich, daß im Falle eines Gesetzes, durch das das Bundesgebiet neu aufgeteilt wird, alle drei Besatzungsmächte zustimmen müssen. ({0}) Mehr ist nicht gesagt worden. Und wir sollten doch nicht so sehr an der Weisheit der Besatzungsmächte zweifeln, meine Damen und Herren! ({1})
23
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-29
263
10
1
null
Köhler
11,001,150
Wird das Wort weiter gewünscht? - Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache. Dann kommen wir zur Abstimmung über den vorhin von mir verlesenen Antrag. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. - Gegen wenige Stimmen angenommen. Der nächste Antrag, ebenfalls ein Antrag der CDU/CSU-, FDP- und DP-Fraktion, lautet: Der Bundestag wolle beschließen: Es wird ein Ausschuß für Fragen der öffentlichen Fürsorge zur Regelung der dem Bund gemäß Artikel 74 der Grundordnung obliegenden Möglichkeiten und Notwendigkeiten in Stärke von 15 Mitgliedern gebildet. - Das muß doch wohl „Grundgesetz" heißen? ({0}) - Dann bitte ich, das zu korrigieren. Ich eröffne die Aussprache über diesen Antrag. Das Wort hat der Herrr Abgeordnete Dr. Kleindinst.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-29
264
10
1
null
Kleindinst
11,001,120
Meine Damen und Herren! Die außerordentliche Notlage weiter Kreise der Bevölkerung wird uns dazu zwingen, uns fortgesetzt mit der öffentlichen Fürsorge zu befassen. Die Regelung der Fürsorge ist ja in der Fürsorgepflichtverordnung erfolgt. Aber diese Fürsorgepflichtverordnung hat viele Änderungen erfahren müssen, weil unsere sozialen Verhältnisse ständig fließend gewesen sind und es unter der Belastung der Gegenwart in erhöhtem Maße sein werden. Außerdem müssen hier die Verbände der freien Fürsorge bei den Aufgaben mitwirken, die den Bezirksfürsorgeverbänden gestellt sind. Aus diesem Grunde halten wir es für notwendig, daß ein Ausschuß für die öffentliche Fürsorge gebildet wird. Der Ausschuß für Verwaltung befaßt sich hauptsächlich mit verwaltungspolitischen Fragen, während die Aufgaben, die hier zu lösen sind, materiell in erster Linie solche der öffentlichen Fürsorge sind. Ich bitte aus diesem Grunde, der Bildung dieses Ausschusses zuzustimmen; er ist eine unbedingte Notwendigkeit.
4
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-29
265
10
1
null
Köhler
11,001,150
Wird das Wort zu diesem Antrag weiter gewünscht? - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Goetzendorff.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-29
377
11
1
null
Schoettle
11,002,061
Ich bitte, meinen Antrag nicht so verstehen zu wollen, daß ich eine En-blocAbstimmung über die ganze Gruppe verlangt habe. Ich habe nur zweckmäßigkeitshalber alle Ausschüsse aufgeführt, von denen wir wünschen, daß' sie 27er-Ausschüsse werden. Sie können darüber einzeln abstimmen lassen.
23
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01011.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-30
875
18
1
null
Gundelach
11,000,752
Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Kommunistischen Partei lehnt den Regierungsgesetzentwurf zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse für die im Dienst des Bundes stehenden Personen in seiner jetzigen Fassung ab. Dieser Entwurf entspricht keineswegs den Bedingungen einer demokratischen Neuordnung des Beamtenrechts. Wir Kommunisten sind der Meinung, daß auch ein Provisorium für eine gewisse Übergangszeit das Neue und das Fortschrittliche gegenüber dem Alten zum Ausdruck bringen muß. Von einem neuen, fortschrittlichen Geist ist aber in der Regierungsvorlage nicht das geringste zu spüren. Man hat bei der Erarbeitung dieser Vorlage auf das Beamtengesetz aus dem Jahre 1937 zurückgegriffen. Dieses, meine Herren und Damen, wird aber dadurch nicht besser, daß in der Begründung der Regierung darauf hingewiesen wird, daß es den Beamtenrechtsverhältnissen der Weimarer Zeit mit entspricht. Diese Tatsache, daß man sich seitens der Regierung bei der zur Beratung stehenden Gesetzesvorlage auf die mangelhaften Rechtsverhältnisse der Vergangenheit stützt, läßt vermuten, daß die Regierung auch bei der Ausarbeitung eines Gesetzes für die endgültige Regelung der Rechtsverhältnisse für die im öffentlichen Dienst tätigen Personen den demokratischen Erfordernissen nicht Rechnung tragen wird. Die vorliegende Gesetzesvorlage ist das Werk der Ministerialbürokratie. Die Regierung hat es nicht einmal für erforderlich gehalten, obwohl es sich hier um die Rechte eines großen Personenkreises handelt, der gewerkschaftlich organisiert ist, dessen Berufsvertretung, die Gewerkschaften, bei der Vorbereitung der Gesetzesvorlage zur Mitarbeit heranzuziehen. Das zeigt einen Kurs der Regierung, den wir bereits auf anderen Gebieten gewohnt sind, der aber auf das schärfste zu mißbilligen ist. Die Gewerkschaften haben ein Anrecht darauf, auch dort gehört zu werden, wo der Arbeitgeber der Staat selber ist. Nur durch die Mitarbeit der Gewerkschaften bei der Neuregelung der ({0}) Rechte der im öffentlichen Dienst tätigen Personen wird erreicht werden, daß diese Menschen in engste Tuchfühlung mit dem Volke kommen und nicht mehr, wie es leider der Fall ist, Staat im Staate spielen können. Für uns Kommunisten ist es selbstverständlich, daß allen Personen, die im öffentlichen Dienst tätig sind, die vollen Staatsbürgerrechte zugestanden werden müssen. Wir sind gegen die zur Zeit bestehenden Beschränkungen, die es Beamten und Angestellten im Staatsdienst verbieten, sich politisch zu betätigen, und die es diesen Personen nicht gestatten, bei Wahlen zu kandidieren. Eine solche Entrechtung hat ganz und gar nichts mit Demokratie und ganz und gar nichts mit der Schaffung demokratischer Verwaltungsorgane zu tun; im Gegenteil: eine solche entrechtete Beamtenschaft ist volksfremd und muß volksfremd bleiben. Mit diesem Zustand muß nach der Auffassung der Kommunisten bei der Neuregelung der Rechtsverhältnisse für die im Staatsdienst tätigen Menschen Schluß gemacht werden. Es muß aber auch mit dem heutigen Zustand der Abhängigkeit der Staatsbediensteten von der oberen Bürokratie Schluß gemacht werden. Die Staatsbediensteten sollen unserer Meinung nach volle Verantwortlichkeit einzig und allein gegenüber dem gesamten Volke tragen. Der vorliegende Gesetzentwurf entspricht keineswegs fortschrittlichen demokratischen Auffassungen auf dem Gebiete der Neuregelung der Rechtsverhältnisse für die im Staatsdienst tätigen Personen. Deswegen lehnen wir Kommunisten den Gesetzentwurf in der jetzigen Fassung ab. Auch wir vermissen darin das, was schon von dem Herrn Abgeordneten Menzel zum Ausdruck gebracht worden ist und eine sehr wichtige Forderung der Gewerkschaften darstellt, nämlich die Schaffung eines Personalamts des Bundes. Wir stehen zu dieser Forderung der Gewerkschaften, weil wir damit ein Entgegenwirken gegen die „Nur-Entscheidung" der einzelnen Ministerien in der Beamtenpolitik erreichen wollen. ({1})
20
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01018.pdf
Member of Parliament
null
1949-11-25
266
10
1
null
Goetzendorff
11,000,706
Meine Damen und Herren! Auch wir halten die Bildung eines Fürsorgeausschusses für sehr, sehr notwendig. Ich möchte Sie aber bitten, von der Bildung eines 15erAusschusses abzusehen und aus diesem Ausschuß einen 21er-Ausschuß zu machen. Ich glaube, die Fürsorge ist für alle Fraktionen - seien sie groß oder klein - eine so eminent wichtige Frage, daß jeder Fraktion Gelegenheit gegeben werden sollte, daran mitzuarbeiten. Ich stelle daher den Antrag, den Fürsorgeausschuß auf 21 Mitglieder zu erweitern.
25
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-29
267
10
1
null
Köhler
11,001,150
Ich stelle also fest, daß Sie einen Abänderungsantrag zu dem eben von mir verlesenen Antrag dahingehend stellen: seine Stärke soll statt 15 21 Mitglieder betragen. Wird das Wort weiter gewünscht? - Ich stelle jetzt fest, daß dies nicht der Fall ist. Ich schließe die Aussprache und lasse usancegemäß über den Abänderungsantrag des Herrn Abgeordneten Goetzendorff dahingehend, daß der Fürsorgeausschuß statt aus 15 aus 21 Mitgliedern bestehen soll, abstimmen. Wer für diesen Abänderungsantrag des Herrn Abgeordneten Goetzendorff ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Der Antrag ist zweifelsfrei mit Mehrheit abgelehnt. Wer nunmehr für den Antrag in der unveränderten Fassung, wie ich sie vorgetragen habe, ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. - Zweifelsfrei mit Mehrheit angenommen. Ich komme zum nächsten Antrag: Antrag der CDU/CSU-, FDP- und DP-Fraktion: Der Bundestag wolle beschließen: Es wird ein Ausschuß für Fragen des Gesundheitswesens zur Regelung der dem Bund gemäß Artikel 74 des Grundgesetzes obliegenden ({0}) Möglichkeiten und Notwendigkeiten in Stärke von 21 Mitgliedern gebildet. Ich eröffne die Aussprache zu diesem Antrag. Wird das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache. Wer für diesen soeben von mir verlesenen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. - Zweifelsfrei mit Mehrheit angenommen. Ich komme zum nächsten Antrag der CDU/CSU-, FDP- und DP-Fraktion: Der Bundestag wolle beschließen: Es wird ein Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge zur Regelung der dem Bunde gemäß Artikel 74 des Grundgesetzes obliegenden Möglichkeiten und Notwendigkeiten in Stärke von 15 Mitgliedern gebildet. 'Wird das Wort zu diesem Antrag gewünscht? - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Besold.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-29
268
10
1
null
Besold
11,000,166
Die Fraktion der Bayernpartei hat gegen die Gründung dieses Ausschusses Einspruch erhoben wie auch gegen die der Ausschüsse für Gesundheitswesen, Kulturpolitik, öffentliche Fürsorge, Wissenschaft und Forschung, Presse, Rundfunk und Film. Wir haben deshalb Einspruch erhoben, weil wir uns auf das Grundgesetz stützen und die Bildung eines Ausschusses nicht für notwendig erachten können, wofür weder derzeit noch überhaupt eine Rechtsgrundlage oder ein Bedürfnis gegeben ist. Ein Ausschuß kann nur dort einen Zweck und einen Sinn haben, wo gleichzeitig auch irgendwie die Zuständigkeit des Bundes begründet ist, sei es in ausschließlicher Gesetzgebungsmöglichkeit oder in konkurrierender Gesetzgebungsmöglichkeit. Wenn eine derartige Möglichkeit im Grundgesetz nicht vorgesehen ist, ({0}) dann spricht die Vermutung für die Zuständigkeit der Länder. Es ist weder im Artikel 73 noch in dem Katalog des Artikels 74 auch nur irgendwie ein Anhalt dafür gegeben, daß dem Bund die Zuständigkeit für Jugendfürsorge und Jugendwohlfahrt gegeben ist. Es kann daher auch nicht antizipativ die Zuständigkeit des Bundes durch Gründung derartiger Ausschüsse vorweggenommen werden. Deshalb ist die Fraktion der Bayernpartei gegen einen Ausschuß für Jugendpflege und Jugendwohlfahrt, weil dieses Gebiet durchaus von den Ländern bewältigt werden kann und muß und auch keine Bedürfnisfrage irgendwie fundiert ist. Darf ich gleich auch zu den anderen Ausschüssen sprechen?
2
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-29
269
10
1
null
Köhler
11,001,150
Nein, wir wollen das getrennt behandeln, Herr Abgeordneter. Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Weber.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-29
270
10
1
null
Weber
-1
Ich möchte dem Herrn Vorredner sagen, daß er über die Grundlage dieser Frage doch nicht im Bilde ist. Der Bund wird das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz in seinen Abänderungen zur Behandlung bekommen. Das war schon im alten Reich so; es fällt jetzt unter die konkurrierende Gesetzgebung, und es wird ganz sicher auch eine Angelegenheit der Bundesgesetzgebung werden. ({0}) - Die Jugendwohlfahrt ist ein Teil der öffentlichen Fürsorge. Im Parlamentarischen Rat, im Hauptausschuß, ist damals ausdrücklich erklärt worden - wer die Debatten mitgemacht hat, der ist im Bilde -, daß unter öffentlicher Fürsorge nicht nur die Fürsorgepflichtverordnung, die eben genannt wurde, zu verstehen ist, sondern auch die Reichsjugendwohlfahrtsgesetzgebung von früher, also auch die Jugendfürsorge. Wir haben im Gegenteil im Augenblick den Zustand, daß jedes Land hier seine eigenen Reformen macht, und wir müssen auf diesem Gebiet zu einer einheitlichen Gesetzgebung kommen.
4
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-29
271
10
1
null
Köhler
11,001,150
Wird das Wort weiter gewünscht? - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strauß.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-29
272
10
1
null
Strauß
11,002,270
Ich möchte zur Berechtigung dieses Ausschusses nur ergänzend bemerken: Herr Abgeordneter Dr. Besold hat von einem Ausschuß für Jugendpflege und Jugendfürsorge gesprochen. Sein Einspruch gegen den Ausschuß für Jugendfürsorge im engeren Sinne wäre tatsächlich berechtigt, wenn so beantragt worden wäre. Die Jugendpflege fällt in fast allen deutschen Ländern in die Zuständigkeit der Kultusministerien. Kulturpolitische Angelegenheiten sind nach dem Grundgesetz Angelegenheiten der Länder. Darum kann sich dieser Ausschuß mit Jugendpflege im kulturpolitischen Sinne nicht befassen. Darin würde ich mit Ihnen, Herr Dr. Besold, durchaus übereinstimmen. Allerdings hat die Jugendpflege und Jugendfürsorge heute in einem größeren Maße, als es früher der Fall war, Grenzgebiete, die sich überschneiden. Jugendpflege ist heute weitestgehend eine soziale Aufgabe geworden, die durchaus, bis zu einem gewissen Grade jedenfalls, in die Zuständigkeit des Bundes fällt. Hier möchte ich daran erinnern, daß ja nach dem Grundgesetz dem Bund die Möglichkeit gegeben ist, Dotationen für Zwecke der Wohlfahrtspflege, der Gesundheitspflege und der kulturellen Förderung zu machen. Wir wollen so Gott uns helfe, dafür sorgen, daß der Bund das Seine auf dem Gebiet Jugendfürsorge leistet und im Rahmen der ihm zur Verfügung stehenden Mittel auch etwas zur Förderung der Jugendpflege beiträgt. ({0})
4
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-29
296
10
1
null
Schoettle
11,002,061
Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir nur zwei Sätze! Ich glaube, daß der Einwand nicht richtig ist, daß die Geschäftsordnung das d'Hondtsche Verfahren vorschreibt. Sie schreibt lediglich vor, daß die Fraktionen in den Ausschüssen im Verhältnis ihrer Stärke in der Vollversammlung vertreten sind. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß nach unserem Vorschlag die Regierungsparteien in allen Ausschüssen eine Mehrheit haben, eine so schwache Mehrheit, wie sie sie hier im Hause auch haben. Mehr können sie von keinem Verfahren erwarten.
23
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-29
2,695
40
1
null
Schäfer
11,001,933
Herr Abgeordneter Dr. Richter, ich würde Ihnen empfehlen, Ihren Vortrag fortzusetzen und auf Zwiegespräche nicht einzugehen. Dr. Richter ({0}), Antragsteller: Ich werde mich dadurch auch nicht stören lassen! Ich bin der Meinung, daß die Stärke eines demokratischen Systems gerade darin besteht, daß es derartiger Ausnahmegesetze überhaupt nicht bedarf. Deshalb haben wir in unserem Antrag verlangt, daß die Gruppen III bis V von vornherein von allen Beschränkungen befreit und in ihre alten Rechte eingesetzt werden, was vor allem für Beamte gilt, ({1}) was aber natürlich denen nicht passen wird, die nie für das Berufsbeamtentum, ({2}) sondern für eine ausgesprochene Parteibonzokratie sind. ({3}) Die Gruppen I und II ({4}) wollen wir jedenfalls auch herausgenommen sehen. ({5}) Die nach Gruppe I oder II Eingestuften sollen, wenn sie der Überzeugung sind, daß man ihnen nichts nachweisen kann, wenigstens das Recht haben. von sich aus den Antrag zu stellen, daß ein Verfahren vor einem ordentlichen Gericht und nicht vor Gerichten durchgeführt wird, bei denen sogenannte Sachverständige, die überhaupt gar keine Ahnung von der Sache haben, um die es sich . dreht, das Urteil entscheidend beeinflussen. Ich will wegen der Kürze meiner Redezeit in diesem Zusammenhang nur auf ein Musterbeispiel der ganzen Entnazifizierung hinweisen. ({6}) - Nun, regen Sie sich nicht über den Fall Hedler auf! Die Blamage hatten in dem Fall ja Sie. ({7}) Ich rede hier vielmehr von dem KolbenheverProzeß. Daß es in Deutschland überhaupt Menschen gegeben hat. die den bedeutendsten lebenden deutschen Dichter ({8}) vor ein Entnazifizierungstribunal geschleppt haben, das ist die größte Schande, die dem deutschen Volk überhaupt widerfahren konnte; ({9}) und wenn man sich dann diese - mit Verlaub gesagt - Trottel von Sachverständigen ansieht, fragt man sich nur, wie überhaupt derartige Menschen auf die Allgemeinheit losgelassen werden konnten. ({10}) Und den Kollegen von Bayern möchte ich nur den einen guten Rat geben und die Bitte an sie aussprechen, daß sie diejenigen, die für das Urteil gegen Kolbenheyer verantwortlich sind, doch einmal auf ihren Geisteszustand untersuchen lassen möchten, ({11}) oder wenigstens dafür sorgen, daß einmal nachgeforscht wird inwieweit sie die völkerrechtswidrige Macht, die sie sich angemaßt haben, noch in schamlosester Weise mißbraucht haben. Da uns der Antrag sehr wichtig erscheint und wir der Überzeugung sind, daß er allein die restlose Beendigung dieses Verbrechens der Entnazifizierung mit sich bringen kann, bitten wir Sie um Ihre Zustimmung. ({12})
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01040.pdf
Presidium of Parliament
vizepräsident
1950-02-23
273
10
1
null
Köhler
11,001,150
Wird weiter das Wort gewünscht? - Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über diesen Antrag. Wer für den Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Ich danke. Der Antrag ist eindeutig mit Mehrheit angenommen. Wir kommen zu dem nächsten Antrag; er ist von den Abgeordneten Ollenhauer ({0}), Holzapfel ({1}), Euler ({2}), Klinge ({3}), Reismann ({4}) und Tichi ({5}) unterzeichnet und lautet: Der Bundestag wolle beschließen: Es wird ein Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films gebildet, der 15 ordentliche Mitglieder hat. Ich eröffne die Aussprache über diesen Antrag. Wird das Wort gewünscht? - Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Besold!
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-29
274
10
1
null
Besold
11,000,166
Auch gegen die Bildung dieses Ausschusses hat die Fraktion der Bayernpartei Einspruch erhoben. An und für sich gehören Presse, Rundfunk und Film in den Bereich der ({0}) Kulturpolitik, die zweifelsfrei eine ausschließliche Zuständigkeit der Länder im Grundgesetz rechtfertigt. Dazu muß gesagt werden, daß eine Zuständigkeit des Bundes in Angelegenheiten des Rundfunks überhaupt nicht gegeben oder erwähnt ist, weder in der ausschließlichen Gesetzgebung noch im Katalog nach Artikel 74. Von Presse und Film ist lediglich im Artikel 75 die Rede, in dem es heißt, daß der Bund das Recht hat, unter den Voraussetzungen des Artikels 72 Rahmenvorschriften zu erlassen. Dann ist unter Ziffer 2 lediglich von den allgemeinen Rechtsverhältnissen der Presse und des Films, nicht aber des Rundfunks die Rede. Es ist nicht von ungefähr, wenn nach Aufgabe des bayerischen Rundfunks durch die Militärregierung dieser Rundfunk in bayerische Hände als bayerischer Rundfunk übergeben worden ist. Es gibt keine irgendwie geartete gesetzliche Grundlage in dem Grundgesetz, und Sie können mir, meine Damen und Herren, keine gesetzliche Fundation aus dem Grundgesetz anführen, nach welcher der Bund die Zuständigkeit auf dem Gebiete des Rundfunks irgendwie für sich in Anspruch nehmen könnte. ({1}) Was den Ausschuß für Presse und Film anlangt, so habe ich schon erwähnt, daß diese Spezialgebiete Ausschnitte aus der kulturpolitischen Sphäre überhaupt sind. Hier ist auch nach den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers die Zuständigkeit der Länder begründet. Wenn der Bund trotzdem eine Zuständigkeit für sich in Anspruch nehmen kann, so nur dann, wenn eine Bedürfnisfrage unter den Voraussetzungen des Artikels 72 Absatz 2 gegeben ist. Diese Bedürfnisfrage muß aber zuerst entschieden sein, und eine Zuständigkeit des Bundes kann nicht dadurch vorweggenommen werden, daß hier schon Ausschüsse gebildet werden, obwohl der Bund seine Zuständigkeit noch nicht nachgewiesen und auch noch nicht in Anspruch genommen hat. ({2})
2
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-29
275
10
1
null
Köhler
11,001,150
Wird das Wort weiter gewünscht? - Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache. Wer für den von mir verlesenen interfraktionellen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Ich danke. Der Antrag ist mit überwältigender Mehrheit angenommen. Wir kommen zum nächsten Antrag: Antrag der SPD-Fraktion: Der Bundestag wolle beschließen: Es wird ein Ausschuß gemäß Artikel 15 des Grundgesetzes eingesetzt. Der Ausschuß soll 27 ständige Mitglieder haben. Wird das Wort zu diesem Antrag gewünscht? - Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache. Wer für diesen soeben von mir verlesenen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Danke. Das erstere war eindeutig die Mehrheit. Der Antrag ist angenommen. Der nächste Antrag der SPD-Fraktion lautet: Der Bundestag wolle beschließen: Es wird ein ständiger Ausschuß für Bau- und Bodenrecht mit 7 ordentlichen Mitgliedern gebildet. Wird das Wort zu diesem Antrag gewünscht? - Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Ich schließe die Beratung. Wer für diesen Antrag betreffend Bildung eines Ausschusses für Bau- und Bodenrecht ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erstere war die Mehrheit. Der Antrag ist angenommen. ({0}) - Die zuerst vorgenommene Abstimmung ergab die Mehrheit für den Antrag. ({1}) - Wird die Abstimmung angezweifelt? ({2}) - Dann wiederholen wir sie. Hier oben waren wir allerdings anderer Meinung. Ich verlese den Antrag, über den ich noch einmal abstimmen lassen werde: Es wird ein ständiger Ausschuß für Bau- und Bodenrecht mit 7 Mitgliedern gebildet. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um Auszählung; wir wollen ganz korrekt verfahren. - Ich bitte, die Hand recht hoch zu heben, damit den Herren Schriftführern das schwere Amt des Auszählens nach Möglichkeit erleichtert wird. - Danke schön. Ich bitte um die Gegenprobe und wiederum um Auszählung. - Danke schön. Meine Damen und Herren! Das Ergebnis der Abstimmung ist folgendes: für den Antrag 191, gegen den Antrag 155 Stimmen. Damit ist der Antrag angenommen. Wir kommen zum nächsten Antrag: Antrag der FDP: Der Bundestag wolle beschließen: Es wird ein Ausschuß für Kulturpolitik mit 21 Mitgliedern eingesetzt. Wird das Wort dazu gewünscht? - Bitte, Herr Abgeordneter Mayer.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-29
276
10
1
null
Mayer
11,001,446
Meine Damen und Herren! Wir wissen natürlich, was vorhin wiederholt festgestellt wurde, daß Kulturpolitik Länderangelegenheit ist. Wir beantragen diesen Ausschuß auch nicht, um in die Rechte der Länder einzubrechen. Wir beantragen ihn aus der Sorge, daß das durch die Ruftrennung in drei Zonen eingeleitete Auseinanderleben unseres Volkes noch weiter fortschreiten könnte. Wir beantragen diesen Ausschuß, weil wir die Sorge haben, daß mit der Einheitlichkeit im Kulturellen eine wesentliche Klammer der deutschen Einheit verschwinden könnte. Wir wollen schon auch die Vielfalt und das Vielfältige im Kulturleben, aber wir wollen auch, daß wir in Deutschland einmal wieder zu einer Freizügigkeit im Raum des Kulturellen kommen. Wir wollen, daß in Deutschland auch die Freizügigkeit des Schulkindes wiederhergestellt wird. Wir wollen schließlich, daß sich der Bund um d i e kulturellen Dinge kümmert, um die er sich kümmern muß, weil sich die Länder nicht um sie kümmern können. Ein Beispiel nur: Wer kümmert sich gegenwärtig um die deutschen wissenschaftlichen Institute im Ausland? Ein anderes: Wer kümmert sich jetzt um die Dinge, wenn wir wieder in das kulturpolitische Gespräch mit dem Ausland kommen? Bitte, das ist im Artikel 73 des Grundgesetzes ziemlich klar festgestellt, und nach Artikel 74 gehören ({0}) zur konkurrierenden Gesetzgebung der Schutz des deutschen Kulturgutes und die Förderung der wissenschaftlichen Forschung. ({1}) Und noch etwas, was eindeutig in der Zuständigkeit der Länder liegt, was uns aber wohl nicht befreit, uns darüber Gedanken zu machen; das ist, daß wir jetzt in 11 Ländern, in drei verschiedenen Zonen, eine Schulreformgesetzgebung erleben, die viel weniger aus deutschem Willen als aus fremdem Vorbild und fremden Anregungen geboren ist. ({2}) Wir möchten hier keine Bevormundung der Länder, aber wir möchten eine Stelle schaffen, die sich koordinierend, vermittelnd, ausgleichend bemüht, die im Zusammenwirken mit dem Bundesrat das schafft, was ich eingangs andeutete, die Sicherstellung der kulturellen Freizügigkeit in unserem deutschen Raum. Aus all diesen Gründen bittet Sie meine Fraktion, der Einsetzung dieses Ausschusses zuzustimmen.
13
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-29
277
10
1
null
Köhler
11,001,150
Wird das Wort weiter gewünscht? - Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Besold!
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-29
278
10
1
null
Besold
11,000,166
Wir verstehen durchaus die speziellen Sorgen des Vorredners bezüglich des deutschen Kulturgutes, das im Ausland liegt. Aber dazu ist es nicht notwendig, das Grundgesetz zu verletzen; denn dieser Schutz deutschen Kulturgutes im Ausland ist nicht Aufgabe eines kulturpolitischen Ausschusses, sondern ist Aufgabe einer Vertretung, die früher das Außenministerium hatte und die heute sicher in den besten Händen, nämlich beim Bundeskanzler selbst liegt. ({0}) Meine Damen und Herren! Wenn Sie einen kulturpolitischen Ausschuß antizipativ gründen, so geben Sie dem Bund eine Zuständigkeit, die wirklich nicht vorgesehen ist. ({1}) In Artikel 56 des Grundgesetzes, in dem der Schwur auf das Grundgesetz festgelegt ist, heißt es, daß das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes zu wahren und zu verteidigen sind. Wenn durch die Beratungen des Parlamentarischen Rates, die über acht Monate gedauert haben, klipp und klar festgelegt worden ist, daß kulturelle Angelegenheiten ausschließlich Angelegenheiten der Länder sind, so hat es auch mit Rücksicht auf Artikel 56 des Grundgesetzes dabei zu verbleiben. Ich möchte hier - und zwar bezüglich all der Ausschüsse, gegen die wir Einspruch erhoben haben - gerade auf die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Dr. Schmid verweisen, der heute gesagt hat: Sowenig Staat als möglich, soviel Staat als notwendig. Das heißt bezüglich der Ausschüsse: sowenig Ausschüsse als möglich und soviel Ausschüsse als gerade notwendig. Wenn hier auf die Einflußnahme des Auslandes in kulturellen Angelegenheiten hingewiesen worden ist, so glaube ich, daß diese Gefahr viel mehr abgewendet ist, wenn in kulturpolitischer Hinsicht nicht eine zentrale Leitung vorhanden ist, sondern wenn die kulturellen Angelegenheiten den Ländern überlassen sind. Denn auf die einzelnen Länder kann vom Ausland aus nicht dieser globale Einfluß genommen werden. Weil bezüglich kultureller Angelegenheiten dem Bund überhaupt kein Zuständigkeitsbereich gegeben ist, sind wir also unter allen Umständen gegen diesen kulturpolitischen Ausschuß. Die Fragen, die hier angedeutet worden sind, können auf anderer Ebene zum Nutzen und zum Frommen Deutschlands erledigt werden.
2
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-29
280
10
1
null
Laforet
11,001,267
Meine Damen und Herren! Die Frage war im Parlamentarischen Rat lange Gegenstand eingehender Erörterung. Es unterliegt gar keinem Zweifel, daß die gesamte kulturelle Pflege ausschließlich Sache der Länder ist. ({0}) Es sind nur Ausnahmen gegeben, in denen dem Bund eine Zuständigkeit zukommt. Eine solche ist allerdings in Artikel 74 Ziffer 13 gegeben. Danach ist die Förderung der wissenschaftlichen Forschung im Inland und im Ausland Aufgabe des Bundes. Es ist wohl zweckmäßig, hier einen Ausschuß an die Seite der Regierung zu stellen. Wir haben deshalb beantragt, einen solchen Ausschuß zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung ins Leben zu rufen. Damit ist die Bundeszuständigkeit erschöpft. Für den allgemeineren Antrag können wir, aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht stimmen.
4
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-29
281
10
1
null
Köhler
11,001,150
Wird zu diesem Antrag weiter das Wort gewünscht? - Bitte, Herr Abgeordneter Euler!
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-29
282
10
1
null
Euler
11,000,500
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verfassungsrechtliche Bedenken dürften einem Ausschuß nicht entgegenstehen, der unter anderem auch die Aufgabe haben soll. Empfehlungen abzugeben, die verhindern sollen, daß das deutsche Schulwesen einer Zersplitterung verfällt, die später - auch schon in dem heutigen Zustand - zu einer schweren Einschränkung der Freizügigkeit innerhalb Deutschlands führen dürfte. Wenn auch ein solcher Ausschuß nur Empfehlungen abgibt, so glaube ich, daß diese Empfehlungen dazu beitragen werden, den Willen zu einer Abstimmung der Schulreformen in den verschiedenen Ländern zu stärken. Diese Stärkung liegt im gesamtdeutschen Interesse.
13
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-29
283
10
1
null
Köhler
11,001,150
Wird das Wort weiter gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den Antrag ist, einen Ausschuß für Kulturpolitik mit 21 Mitgliedern zu bilden, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; wir haben es von hier oben einwandfrei festgestellt. Damit ist der Antrag angenommen. Wir kommen zum nächsten Antrag: Antrag der CDU/CSU-Fraktion: Der Bundestag wolle beschließen: Es wird ein Ausschuß zur Förderung von Wissenschaft und Forschung - ({0}) - Der Antrag wird zurückgezogen. Er ist damit erledigt. Meine Damen und Herren, damit ist Punkt 3 - Anträge der Fraktionen auf Bildung von Ausschössen - erledigt. ({1}) Wir kommen nunmehr zu Punkt 4 der Tagesordnung: Beschlußfassung über die Mitgliederzahl der Ausschüsse und Verfahren zu ihrer Besetzung. Wir haben uns interfraktionell darüber verständigt. daß dieser Abstimmung letzten Endes die Drucksache 48 zugrunde gelegt wird, vorher aber, um die Drucksache 48 wirksam werden zu lassen, über zwei Anträge abstimmen zu lassen, die nämlich das Verfahren zur Besetzung regeln. Da liegt zunächst vor - ich darf ihn verlesen - ein Antrag der SPD-Fraktion: Der Bundestag wolle beschließen: Die Ausschüsse des Bundestags werden nach folgendem Schlüssel durch die Fraktionen besetzt: 27er-Ausschuß: CDU/CSU 9, SPD 9, FDP 4, DP 1, BP 1, KPD 1, WAV 1, Zentrum 1; 21er-Ausschuß: - in derselben Reihenfolge der Fraktionen, mit Ausnahme des Zentrums 7, 7, 33, 1, 1, 1, 1; 15er-Ausschuß: 5, 5, 2, 1, 1, 1 - aufhörend bei der KP einschließlich -; 7er-Ausschuß: 3, 3, 1. Den nach diesem Schlüssel in einem Ausschuß nicht vertretenen Fraktionen steht das Recht zu, sich durch einen Abgeordneten mit beratender Stimme vertreten zu lassen, soweit nicht der Bundestag für einzelne Ausschüsse eine abweichende Regelung beschließt. Ich eröffne die Aussprache über diesen Antrag. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schoettle.
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-29
284
10
1
null
Schoettle
11,002,061
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Für die politische Zusammensetzung der Ausschüsse des Bundestages gibt es mehrere Möglichkeiten, die in einer kleinen vom Ältestenrat eingesetzten Kommission auch lange erörtert worden sind. Es hat sich, um zunächst die hervorstechendste Methode zu erwähnen, einmal das d'Hondtsche System angeboten, das nach dem strengen Höchstzahlenverfahren die Ausschußsitze zuteilt und das praktisch dazu führt, daß man außer den eigentlichen großen Fraktionen und, sagen wir, den Fraktionen bis zu etwa 20 oder 17 Mitgliedern alle anderen ausschließt. Wir haben demgegenüber den Vorschlag gemacht, davon auszugehen, daß in den wichtigeren Ausschüssen, das heißt in den großen Ausschüssen, alle Fraktionen mindestens mit einem Mitglied vertreten sein sollen, daß man von hier aus aufbauen und daß sich daraus das Verhältnis der einzelnen Vertretungen in den Ausschüssen ergeben soll. Diesem Gesichtspunkt will unser Vorschlag dienen, den der Herr Präsident soeben verlesen hat. Auch dann bleiben selbstverständlich bei den kleineren Ausschüssen einige Fraktionen ausgeschlossen. Da wir die Fraktionsstärke in der Geschäftsordnung auf 10 Abgeordnete festgesetzt haben, trifft das - mit Abstufungen - die Fraktionen vom Zentrum bis zur KP und, ich glaube, auch bis zur Bayernpartei und zur DP. 13m hier auszuweichen, schlagen wir vor, daß die Fraktionen, die durch den Schlüssel nicht erfaßt sind, in den Ausschüssen durch ein Mitglied mit beratender Stimme vertreten sein sollen. Ich glaube. das ist im Interesse des parlamentarischen Betriebs absolut notwendig. Wir ersparen uns durch diese Art der Vertretung, die den kleinen Fraktionen auch tatsächlich eine Beteiligung an den Ausschußarbeiten ermöglicht, eine Menge unnötiger Debatten im Plenum, weil mancher Gesichtspunkt bereits in den Ausschüssen zur Sprache gebracht werden kann, und ich glaube, wir sollten im Interesse der parlamentarischen Atmosphäre den kleinen Fraktionen tatsächlich ein solches Entgegenkommen zeigen. ({0}) - Ich habe es hier nicht mit Schleswig-Holstein zu tun, sondern mit dem Bundesparlament, das einen neuen Anfang zu machen hat, und ich hoffe, daß wir alle darin einig sind. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort hinzufügen, das an sich mit dieser Frage nichts zu tun hat, wohl aber mit der Stellung, die die Berliner Vertreter in diesem Hause gegenüber den Ausschüssen haben sollen. Ich möchte namens meiner Fraktion hier den Wunsch aussprechen, daß die Berliner Vertreter in den Ausschüssen, in denen ihre jeweilige Fraktion Wert darauf legt, daß sie sich an der Arbeit beteiligen, ebenfalls mit beratender Stimme teilnehmen können. Das betrifft alle Fraktionen, die Vertreter aus Berlin in ihren Reihen haben, und man sollte den Damen und Herren aus Berlin ebenfalls die Möglichkeit der sachlichen Mitarbeit geben, ohne daß sie rechtlich diskriminiert sind. ({1})
23
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-29
285
10
1
null
Köhler
11,001,150
Herr Abgeordneter Schoettle, ist das ein ergänzender Antrag, oder soll er als besonderer Antrag gelten?
-1
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Presidium of Parliament
präsident
1949-09-29
286
10
1
null
Schoettle
11,002,061
Herr Präsident, ich glaube, wenn das ganze Haus in diesem Wunsche einig ist, kann das einer Absprache der Fraktionen überlassen bleiben.
23
https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01010.pdf
Member of Parliament
null
1949-09-29